Staatlichkeit in Rom? Diskurse und Praxis (in) der römischen Republik 351510710X, 9783515107105

War die römische Republik ein Staat? Dieser Frage gehen zehn renommierte Autoren in ihren Beiträgen nach, in denen sie m

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German Pages 276 [278] Year 2014

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Table of contents :
EDITORIAL
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
EINFÜHRUNG IN DIE THEMATIK
STAATSDISKURSE IN ROM? STAATLICHKEIT ALS ANALYTISCHE KATEGORIE FÜR DIE RÖMISCHE REPUBLIK
TRÄGER VON STAATLICHKEIT
DIE VÄTER UND DER STAAT DIE GRUNDLAGEN DER AGGRESSIVEN SUBSIDIARITÄT IN DER RÖMISCHEN GESELLSCHAFT
MEISTER DER MACHT OHNE FORMIERUNG VON STAATLICHKEIT: DIE RÖMISCHE ARISTOKRATIE
DAS VOLK ALS INSTITUTION UND DISKURSIVE BEZUGSGRÖSSE IN DER RÖMISCHEN REPUBLIK
KOMMUNIKATIONSSTRUKTUREN
EROBERUNG UND DEBATTE DISKUTIERTEN DIE RÖMER ÜBER IHRE EXPANSION?
RES PUBLICA, PROVINCIAE UND IMPERIUM ROMANUM: DIE KOMMUNIKATION ZWISCHEN DEN RÖMERN UND DEN STÄDTEN DES OSTENS
AUFGABEN DES STAATES
DIE DEBATTE UM DIE REGELUNG DER GETREIDEVERSORGUNG ALS DISKURS ÜBER STAATLICHKEIT IN DER SPÄTEN RÖMISCHEN REPUBLIK?
INFRASTRUKTUR UND POLITISCHES SYSTEM IM IMPERIUM ROMANUM
DAS RECHTSWESEN DER RÖMISCHEN REPUBLIK
GRUNDSATZKRITIK
„STAAT“ IN DER GRIECHISCH-RÖMISCHEN ANTIKE?
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
REGISTER
QUELLENREGISTER
PERSONENREGISTER (AUSWAHL)
SACHREGISTER
AUTORENVERZEICHNIS
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Staatlichkeit in Rom? Diskurse und Praxis (in) der römischen Republik
 351510710X, 9783515107105

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Christoph Lundgreen (Hg.)

Staatlichkeit in Rom? Diskurse und Praxis (in) der römischen Republik

28 Staatsdiskurse Franz Steiner Verlag

Christoph Lundgreen (Hg.) Staatlichkeit in Rom?

Staatsdiskurse Herausgegeben von Rüdiger Voigt Band 28

Wissenschaftlicher Beirat: Andreas Anter, Leipzig Paula Diehl, Berlin Manuel Knoll, Istanbul Eun-Jeung Lee, Berlin Marcus Llanque, Augsburg Samuel Salzborn, Göttingen Birgit Sauer, Wien Gary S. Schaal, Hamburg Peter Schröder, London

Christoph Lundgreen (Hg.)

Staatlichkeit in Rom? Diskurse und Praxis (in) der römischen Republik

Franz Steiner Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-10710-5 (Print) ISBN 978-3-515-10742-6 (E-Book) Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Laupp & Göbel GmbH, Nehren Printed in Germany

EDITORIAL Der Staat des 21. Jahrhunderts steht in einem Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit, zwischen Ordnung und Veränderung, zwischen Herrschaft und DemoNUDWLH(UEHÀQGHWVLFK]XGHPLQHLQHP'LOHPPD,QWHUQDWLRQDOH7UDQVDNWLRQHQUHduzieren seine Souveränität nach außen, gesellschaftliche Partikularinteressen schränken seine Handlungsfähigkeit im Innern ein. Anliegen der Reihe Staatsdiskurse ist es, die Entwicklung des Staates zu beobachten und sein Verhältnis zu Recht, Macht und Politik zu analysieren. Hat der Staat angesichts der mit „Globalisierung“ bezeichneten Phänomene, im Hinblick auf die angestrebte europäische Integration und vor dem Hintergrund einer Parteipolitisierung des Staatsapparates ausgedient? Der Staat ist einerseits „arbeitender Staat“ (Lorenz von Stein), andererseits verkörpert er als „Idee“ (Hegel) die Gemeinschaft eines Staatsvolkes. Ohne ein Mindestmaß an kollektiver Identität lassen sich die Herausforderungen einer entgrenzten Welt nicht bewältigen. Hierzu bedarf es eines Staates, der als „organisierte Entscheidungs- und Wirkeinheit“ (Heller) Freiheit, Solidarität und Demokratie durch seine Rechtsordnung gewährleistet. Gefragt ist darüber hinaus die Republik, bestehend aus selbstbewussten Republikanern, die den Staat zu ihrer eigenen Angelegenheit machen. Der Staat seinerseits ist aufgefordert, seinen Bürgerinnen und Bürgern eine politische Partizipation zu ermöglichen, die den Namen verdient. Dies kann – idealtypisch – in der Form der „deliberativen Politik“ (Habermas), als Einbeziehung der Zivilgesellschaft in den Staat (Gramsci) oder als Gründung der Gemeinschaft auf die Gleichheit zwischen ihren Mitgliedern (Rancière) geschehen. Leitidee der Reihe Staatsdiskurse ist eine integrative Staatswissenschaft, die einem interdisziplinären Selbstverständnis folgt; sie verbindet politikwissenschaftliche, rechtswissenschaftliche, soziologische und philosophische Perspektiven. Dabei geht es um eine Analyse des Staates in allen seinen Facetten und Emanationen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des In- und Auslands sind zu einem offenen Diskurs aufgefordert und zur Veröffentlichung ihrer Ergebnisse in dieser Reihe eingeladen. Rüdiger Voigt

INHALTSVERZEICHNIS Einleitung ............................................................................................................ 11 Einführung in die Thematik Christoph Lundgreen Staatsdiskurse in Rom? Staatlichkeit als analytische Kategorie für die römische Republik .................................................................................... 13 Träger von Staatlichkeit Bernhard Linke Die Väter und der Staat. Die Grundlagen der aggressiven Subsidiarität in der römischen Gesellschaft .... 65 Uwe Walter Meister der Macht ohne Formierung von Staatlichkeit: Die römische Aristokratie .................................................................................... 91 Martin Jehne Das Volk als Institution und diskursive Bezugsgröße in der römischen Republik ................................................................................. 117 Kommunikationsstrukturen Rene Pfeilschifter Eroberung und Debatte. Diskutierten die Römer über ihre Expansion? ............ 141 Michael Snowdon Res Publica, Provinciae und Imperium Romanum: Die Kommunikation zwischen den Römern und den Städten des Ostens ......... 163

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Inhaltsverzeichnis

Aufgaben des Staates Claudia Tiersch Die Debatte um die Regelung der Getreideversorgung als Diskurs über Staatlichkeit in der späten römischen Republik? ....................................... 187 Helmuth Schneider Infrastruktur und politisches System im Imperium Romanum .......................... 211 Detlef Liebs Das Rechtswesen der römischen Republik ........................................................ 231 Grundsatzkritik Aloys Winterling „Staat“ in der griechisch-römischen Antike? ..................................................... 249 Anhang Abbildungsverzeichnis ....................................................................................... 257 Register .............................................................................................................. 259 Quellenregister ............................................................................................ 259 Personenregister .......................................................................................... 272 Sachregister ................................................................................................. 272 Autorenverzeichnis ............................................................................................ 274

EINLEITUNG War die römische Republik ein Staat? Diese scheinbar einfache Frage verlangt imSOL]LWHLQH%HVFKUHLEXQJRGHU'HÀQLWLRQGHVVHQZDVHLQÅ6WDDW´GHQQLVWRGHUVHLQ soll. Sucht der Althistoriker hier Rat bei den Wissenschaften vom Staat, allen voran Jurisprudenz und Politikwissenschaft, stellt er nicht nur fest, dass dies kontrovers diskutiert wird und alles andere als eindeutig ist, sondern stößt auch darauf, dass die genannten Wissenschaften ihrerseits (teilweise) wiederum auf die historische Entwicklung verweisen, womit der Ball wieder im Feld der Geschichtswissenschaft liegt. Wann und wie der Begriff „Staat“ genau verwendet werden soll, bleibt damit umstritten – für die Gegenwart wie für die Alte Geschichte. Umso angemessener erscheint es daher, dass in der Reihe „Staatsdiskurse“ nunmehr auch ein Band erscheint, der mit der römischen Republik eine antike Thematik unter moderner Fragestellung behandelt. Das Ziel ist es dabei, aktuelle Forschungsergebnisse für ein größeres Publikum aufzubereiten und gleichzeitig unter der Frage nach Staatlichkeit zu pointieren und damit neue Facetten zu beleuchten – stets mit dem Fokus sowohl auf der historischen Praxis als auch auf den römischen Diskursen. Sollte darüber hinaus das hier präsentierte historische exemplum der römischen Republik PLW VHLQHQ 6SH]LÀND DXFK GLH DNWXHOOH 'HEDWWH XP 6WDDW XQG 6WDDWOLFKNHLW EHUHLchern, wäre dies nur zu begrüßen. Trotz des Ausgangspunktes in zeitgenössischen Debatten der Rechts- und Politikwissenschaften stehen im Mittelpunkt keine a prioriGHÀQLHUWHQ0HUNPDOHYRQ Staatlichkeit, anhand derer dann bestimmte Kriterien überprüft, verneint oder bejaht werden, sondern Rekonstruktionen römischer Staatsdiskurse. Darunter sind römische Wertvorstellungen und Normen, politische Diskussionen und Selbstvergewisserung durch Kommunikation ebenso zu fassen wie Sinngebung und Kontextualisierung der „Staatspraxis,“ der politischen Aktivität im öffentlichen Raum. Das Herzstück des Bandes bilden drei thematische Gruppen von Beiträgen zu Trägern von Staatlichkeit, Kommunikationsstrukturen und Aufgaben des Staates. Da historische Analyse nie ohne Akteure auskommt, werden am Anfang die möglichen Träger von Staatlichkeit untersucht. Die Perspektive öffnet sich dabei wie ein Trichter, von der kleinsten Einheit des Bürgers und, davon zu trennen, des pater familias (Bernhard Linke) über die Elite und die Amtsträger allgemein (Uwe Walter) bis hin zum Volk als Institution und diskursiver Bezugsgröße in der römischen Republik (Martin Jehne). Hernach geht es um Kommunikationsstrukturen, wobei hier die Überzeugung zu Grunde liegt, dass in der Kommunikation nach innen wie nach außen stets eine Selbstvergewisserung mitläuft, so dass gerade hier Selbstverständliches wie Selbstverständnis, also auch Herrschaftsverständnis und mögliches Staatsverständnis herausgearbeitet werden können – sowohl für die Frage der Expansion (Rene Pfeilschifter) als auch für den Bereich von Herrschaft und Verwaltung (Michael Snowdon). Schließlich wird die Erfüllung verschiedener Auf-

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Einleitung

gaben des Staates untersucht. Hier mag mancher vielleicht überrascht sein, dass die beiden klassischen Aufgaben des modernen europäischen Staates „fehlen“: Steuern und Sicherheit. Beide Felder lassen sich für die römische Republik aber unter der Frage des Bandes kaum adäquat darstellen. Direkte Steuern konnten in Rom auf Grund der vielen Eroberungen und Tribute 167 v. Chr. abgeschafft werden, sind damit auch nicht Gegenstand politischer Debatten. Eine Polizei (oder auch nur ein funktionales Äquivalent dazu) hatte Rom nicht, wie allerdings kein antiker Stadtstaat; auch der Begriff securitas taucht erst in der Kaiserzeit auf, so dass das Thema für Staatsdiskurse in der Republik nicht trägt. Die stattdessen gewählten Bereiche von der Getreideversorgung (Claudia Tiersch) über Infrastruktur (Helmuth Schneider) bis zum Recht (Detlef Liebs) folgen ebenfalls bewusst der modernen Folie des Rechts- und Versorgungsstaates, lassen sich aber ZHLWEHVVHUDXIGLHVSH]LÀVFKHQ9HUKlOWQLVVHGHUU|PLVFKHQ5HSXEOLNZHQGHQXQG nachzeichnen. Eingerahmt werden diese drei Felder von zwei weiteren Beiträgen, die gezielt die Kategorien Staat und Staatlichkeit beleuchten. Während Christoph Lundgreen dabei für eine Übernahme der Kategorie „Staatlichkeit“ aus der modernen rechts- und politikwissenschaftlichen Diskussion optiert, wird der Band mit einem Plädoyer von Aloys Winterling beschlossen, anstelle von „Staat“ für die römische Republik besser von „politischer Integration“ zu sprechen. Mit dieser ebenso offenen wie freundlichen Kontroverse folgt der Band dem Credo, dass Erkenntnis (immer) nur durch Differenz möglich ist und Wissenschaft (meistens) von Dissens lebt – jedenfalls von der Konkurrenz alternativer Modelle und differenter Bewertungen historischer Phänomene nur gewinnen kann. Insofern wird der Leser in den verschiedenen Beiträgen auf die Frage nach „dem Staat in Rom“ unterschiedliche $QWZRUWHQ ÀQGHQ 'LHV WUlJW DXFK GHU 0|JOLFKNHLW 5HFKQXQJ GDVV PDQ LQ EHstimmten Bereichen vielleicht eine stärkere (oder schwächere) Staatlichkeit erkennen mag, als in anderen. Auch auf ein Résumé ist bewusst verzichtet worden, da ein JHPHLQVDPHV )D]LW YRUGULQJOLFK 'LIIHUHQ]HQ HLQJHHEQHW XQG VSH]LÀVFKH 'HWDLOV verwischt hätte. Ziel des Bandes ist eben nicht eine Antwort (schon gar nicht eine!), um die Staatsfrage für die römische Republik („endlich“) zu klären. Im Gegenteil – die Hoffnung ist es, Reaktionen zu stimulieren und eine Debatte auszulösen (was auch heißen kann: Widersprüche herauszufordern). * Last but not least gilt es, Dank auszusprechen. Dank an Rüdiger Voigt, der mir die Herausgabe des Bandes übertragen hat. Dank an Peter Lundgreen, mit dem im sommerlichen Masuren der mögliche Zuschnitt ausführlich hin- und her diskutiert wurde und der wie immer mit Rat und Tat zur Seite stand. Dank an Horst Dreier, Stefan Dreischer, Martin Jehne, Christian Meier, Wilfried Nippel, Gunnar Folke Schuppert und Hans Vorländer für Kritik, Rat, aber auch Ermutigung bei meinem eigenem Versuch, einen Bogen von Governance und Staatlichkeit zur römischen Republik und wieder zurück zu schlagen, wobei für Verkürzungen, Auslassungen

Einleitung

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und Fehler ich allein die Verantwortung trage. Dank an den Franz Steiner Verlag für die umsichtige Betreuung und großzügige Unterstützung. Dank aber vor allem an die Autoren, die sich bereitwillig auf diese Unternehmung eingelassen und spannende Beiträge verfasst haben, auch wenn sie dem Begriff des Staates für die römischen Republik teilweise skeptisch gegenüberstanden oder noch immer stehen. Berlin, Silvester 2013 CL

EINFÜHRUNG IN DIE THEMATIK

STAATSDISKURSE IN ROM? STAATLICHKEIT ALS ANALYTISCHE KATEGORIE FÜR DIE RÖMISCHE REPUBLIK Christoph Lundgreen EINLEITUNG Die im Titel aufgeworfene Frage nach Staatlichkeit und Staatsdiskursen in Rom fordert weiterführende Explikationen geradezu ein. Was ist Staatlichkeit – was Staat? Kann man diese Begriffe für die Alte Geschichte benutzen, kann man überhaupt solche modernen Begriffe für die Antike fruchtbar anwenden? Zumindest der letzte Teil der Frage ist klar zu beantworten: Ja – und es geht nie anders: Historiker können immer nur mit den Begriffen ihrer Zeit arbeiten.1 Wichtig ist nur, sich neben den eigenen Prämissen auch die Implikationen moderner Konzepte bewusst zu machen, wenn man sie auf die Antike überträgt. Wie sinnvoll ein Begriff dann im Einzelfall ist, ist eine ganz andere Frage – hier ist der Maßstab einzig und allein der Erfolg und das heisst, ob mit den Kategorien fruchtbar gearbeitet werden kann oder nicht. Anders als der Begriff Staat, der gleich weiter problematisiert werden soll, wird GHU 'LVNXUVEHJULII LQ HLQHP HKHU XQVSH]LÀVFKHQ XQG ZHLWHQ 6LQQ JHIDVVW ² DOVR nicht etwa in pointierten Anlehnung (oder Abgrenzung) zu Foucault oder anderen. Wichtig ist nur, dass es bei Diskursen immer um mehr als um bloße Diskussionen geht, nämlich um die Organisation von Wirklichkeit vermittels von Sprache und Zeichen, also um Formen symbolischer Ordnungen.2 Untersucht wird damit 1



Vgl. aus dem Bereich der Alten Geschichte beispielsweise Bleicken 1972, 10: „Wir können die Vergangenheit nur mit unserer heutigen Vorstellungs- und Begriffswelt erfassen und müssen daher mit modernen Begriffen arbeiten“ (Kontext ist der Begriff der Freiheit/libertas). Für Argumente gegen den „Purist der Quellensprache“ siehe weiter Walter 1998, 10. Für die Gegenposition wird meist auf Otto Brunner (1965) verwiesen, was aber einer genauen Lektüre QLFKW VWDQGKlOW =ZDU ÀQGHW VLFK LQ Å/DQG XQG +HUUVFKDIW´ GLH EHUKPWH 0D[LPH ÅGD‰ GLH Terminologie […] soweit als möglich den Quellen selbst entnommen sei,“ doch muss ebenso die Fortsetzung kurz darauf wiedergegeben werden: „Nichts aber wäre falscher, als zu glauben, daß historische Arbeit die modernen Begriffe entbehren könnte“ (163); vgl. hierzu Rüsen 1986, 157 (Endnote 75) sowie zu Brunners Ansatz insgesamt Koselleck 1983, 12–17. Die Bemerkungen Brunners zu „‚Staat‘ und ‚Gesellschaft‘“ (111–120) sind insgesamt überraschend ausgewoJHQGHUOHJLWLPHQ:DUQXQJVSH]LÀVFKHVHLQHUPLWWHODOWHUOLFKHQ6WDDWOLFKNHLWGXUFKHLQHQDOOgemeinen Staatsbegriff zu verdecken (114), könnte sich der hier später vorgestellte Governance-Diskurs ohne größere Probleme anschließen. 'HU$QVDW]LVWVWDUNEHHLQÁXVVWYRQ'UHVGQHU$UEHLWHQ]XLQVWLWXWLRQHOOHQ2UGQXQJHQYJOHWZD Rehberg 1994, Melville 2001, Melville/Vorländer 2002, Melville 2005.

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Christoph Lundgreen

sowohl, was in welchem Kontext gesagt wird, als auch, was überhaupt nicht gesagt wird. Gerade das Nicht-Sagbare, Nicht-Machbare, das Nicht-Denkbare ist für die Frage nach dem Selbstverständnis einer Gesellschaft zuweilen wichtiger als immerfort betonte Absichtserklärungen oder explizite Selbstvergewisserungen.3 Auf die römische Republik gewendet geht es also um die Rekonstruktion römischer Wertvorstellungen und Normen, d. h. natürlich um politische Diskussionen und Positionen, aber eben auch um Selbstvergewisserung, Sinngebung und Kontextualisierung von Praxen. Beides lässt sich aus öffentlichen Reden und Inschriften, aus Münzbildern und Briefen, Bauten oder Ritualen rekonstruieren – alles, wie gesagt, in der positiven Perspektive dessen, was gesagt und gedacht wurde, z. B. im Dialog mit griechischen Poleis, (vgl. den Beitrag von M. Snowdon), aber auch umgekehrt unter gleichsam methodisch negativen Vorzeichen, was nicht gedacht, aber somit auch nicht in Frage gestellt wurde, wie die römische Expansion als solche (vgl. den Beitrag von R. Pfeilschifter). Ein solches Verfahren hat Grenzen, und dies gilt nun vor allem für die Alte Geschichte, schlicht auf Grund der Quellenlage. Daher muss die Perspektive der Römer auf ihr Gemeinwesen ergänzt werden um unsere eigene Sicht auf die römische Republik. Halten wir die römische Republik für einen Staat? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, warum doch? Hierfür aber ist es nun nötig, sich damit auseinanderzusetzen, was denn unter Staat überhaupt verstanden wird und wurde.4 3

4

Dies folgt nicht nur Foucaults Differenz zwischen dem, was sich theoretisch sagen ließe, und dem, was tatsächlich gesagt wurde (vgl. Sarasin 2003, 35), sondern auch Ansätzen, dass wirklich Unstrittiges gar nicht mehr bewusst ist, vgl. beispielsweise Daube 1973, Bloch 1992 („what goes without saying“) oder Sarasin 2003, 60: „Grundsätzlich lässt sich sagen, dass das Reale als das Unaussprechliche genau dort sichtbar wird, wo Dinge geschehen, die das betroffene Subjekt nicht mehr symbolisieren kann, die es buchstäblich nicht mehr ‚fassen‘ kann. Dann reißt das diskursive Netz, brechen symbolische Strukturen auseinander, sehen sich SubMHNWHJH]ZXQJHQQHXXQGDQGHUV]XGHQNHQ´²*HUDGHGXUFKGHQ(LQÁXVVYRQ)RXFDXOWKDW sich die historische Diskursanalyse zunächst Themen wie Geschlecht, Sexualität, Tod, Krankheit und Verbrechen zugewandt und hier durch ihre konstruktivistische Perspektive auch großen Fortschritt erzielt, aber dies lässt sich genauso auch auf politische Ordnungen oder Verfassungen übertragen, vgl. dazu Landwehr 2010; für den Bereich der Politik ist beispielsweise Steinmetz 1993 mit seiner Unterscheidung von Sag- und Machbarem zu nennen. Für „Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse“ vgl. generell Sarasin 2003, 10–60; bes. 55 ff. Nicht verfolgt werden sollen dagegen die antike „Staatstheorie“ etwa von Platon, Aristoteles oder Cicero für die Frage des Staates an sich oder politischer Ordnungen heutzutage, vgl. dafür den Überblick bei Demandt 2000 sowie zu möglichen antiken Umschreibungen für „Staat“ auch Demandt 1995, 21–24 und Suerbaum 1977. In dieser nicht eingeschlagenen Betrachtungsweise scheint die unbestrittene Differenz zwischen Antike und Moderne mögliche Erkenntnis auch eher zu begrenzen, vgl. (vielleicht zu skeptisch) Trapp 1988 oder (ebenfalls pointiert) Quaritsch 1998, 298 f., der feststellt: „Bürokratisierung der staatlichen Aufgaben und Repräsentation durch Berufspolitiker haben das Objekt der politischen Theorie der Antike in seinen wesentlichen Strukturen bis zur Unkenntlichkeit verändert […], den antiken, an der Polis orientierten Politiktheorien ist das Objekt abhanden gekommen.“ Eine Ausnahme bilden die fundierten Bemerkungen von Gelzer 1955, der furchtbringend die Differenz zur Moderne betont, aber dennoch eine schöne Linie von einem griechischem Gemeindestaat zum römischen Reichsstaat und damit von Bürgern zu Untertanen zieht. – Auch die Begriffsgeschichte von „Staat“ selber interessiert (trotz des Ursprungs „status“) nicht, siehe dazu Krüger 1966,

Staatlichkeit als analytische Kategorie

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Der vorliegende Beitrag geht dafür in einem Dreischritt vor. Am Anfang steht der Überblick zur Verwendung des Begriffs Staat in der althistorischen Forschung (1), wobei sich mit den Namen von Eduard Meyer einerseits und Christian Meier andererseits zwei diametrale Positionen fassen lassen sowie daneben vielfach ein Vermeiden der Debatte zu konstatieren ist. Vor allem aber wird der Begriff seit längerem gar nicht mehr diskutiert, was seltsam koinzidiert mit der lebendigen Debatte um Staat und Staatlichkeit der letzten Jahre in anderen Wissenschaften wie auch in den Feuilletons unter den Schlagworten von Europäisierung und Globalisierung. Daher wird in einem zweiten Schritt genau diese gegenwärtige Debatte um den Staat nachgezeichnet, mit Schwerpunkt auf den Rechts- und PolitikwissenVFKDIWHQ  ,QEHLGHQ3XQNWHQVWHKWGHUVSH]LÀVFKGHXWVFKH:LVVHQVFKDIWVGLVNXUV im Mittelpunkt. Dies liegt neben der Menge an Literatur auch daran, dass jedes /DQG VHLQH VSH]LÀVFKH:LVVHQVFKDIWVJHVFKLFKWH KDW ² JHUDGH EHLP7KHPD 6WDDW Das zeitgleiche wie gemeinsame Entstehen von Althistorie und Staatsrechtslehre im deutschen Kaiserreich rechtfertigte allein eine längere Abhandlung. Gleichwohl LVWHVVFKRQDXV*UQGHQGHU%HJULIÁLFKNHLWLPPHUZLHGHULQWHUHVVDQWHLQHQ%OLFN darüber hinaus zu wagen, vor allem die angelsächsische Forschung muss schon insoweit mit betrachtet werden, als die von Morris/Scheidel 2009 und Bang/ Scheidel 2013 vorgelegten Sammelbände zu „Ancient Empires“ und „Ancient States“ wohl die zur Zeit besten Einführungen zur Thematik bieten. Da deren jeweilige Einleitungen und theoretischen Grundlagen aber stark sozialanthropologisch geprägt sind und fast ohne Verweis auf deutschsprachige Autoren auskommen, scheint es umso lohnender, die Debatte mit den Ergebnissen der deutschsprachigen Forschung zum Thema Governance und Staatlichkeit anzureichern. Deren Hauptergebnisse bedeuten dann, ‚Staat‘ als Prozess aufzufassen (Schuppert), von verschiedenen Graden von Staatlichkeit zu sprechen und den Staat somit eher als Herrschaftsmanager, denn als Herrschaftsmonopolisten zu begreifen (Genschel/ Zangl). Diese Resultate ermöglichen es dann (3) zum althistorischen Gegenstand, hier der römischen Republik, zurückzukehren und die Frage nach Staat und Staatlichkeit vielleicht nicht neu zu beantworten, zumindest aber neu zu stellen – durchgespielt werden für römische Staatsdiskurse die mögliche Anwendung der berühmten Drei-Elemente-Lehre von Georg Jellinek (3.1), die Differenz zwischen Herrschaft und Staatlichkeit beim Phänomen der Piraterie (3.2) und schließlich die Betrachtung des Untergangs der Republik als Auseinanderfallen staatlicher Schlüsselmonopole (3.3). Diese Punkte bieten keine abschließenden Thesen, sondern sollen die Anwendbarkeit von Staatlichkeit als analytische Kategorie (4) deutlich machen, woran sich dann die einzelnen Beiträge des Bandes anschließen können (nicht müssen!), die nach Trägern von Staatlichkeit, Kommunikationsstrukturen und Aufgaben eines römischen Staates fragen.

8–14; Koselleck 1990, bes. 8 und knapp Reinhard 2002, 15f, und gleiches gilt generell für die reiche Rezeptionsgeschichte, siehe dafür in diesem Zusammenhang nur Genet 2007.

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1 „STAAT“ IN DER ALTEN GESCHICHTE Am Beginn seiner „Geschichte des modernen Staates“ stellt Wolfgang Reinhard fest: „Paradoxerweise war es gerade die deutsche Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, die theologisch und philosophisch inspiriert, dem Staat ahistorischzeitlose ontologische, bisweilen geradezu metaphysische Qualitäten zugeschrieben hat.“ Es folgen die klassischen Verweise auf Hegel (Staat als „die Wirklichkeit der sittlichen Idee“ und „das an und für sich Vernünftige“) und Leopold von Ranke (Staaten als „Gedanken Gottes“). Hinzu nehmen könnte man den Historiker und Politiker Friedrich Christoph Dahlmann, der im Staat „eine ursprüngliche Ordnung, ein{en} nothwendigen Zustand, ein Vermögen der Menschheit“ sieht, und viele andere – auch Althistoriker.5 In der Figur des renommierten Altertumswissenschaftlers und Universalhistorikers Eduard MeyerÀQGHWGDVEHVFKULHEHQH*UXQGverständnis gemünzt auf die Antike seinen Niederschlag. Meyer hat seiner fünfbändigen Geschichte des Altertums eine Einleitung mit dem Titel „Elemente der Anthropologie“ vorangestellt, in welcher er den Staat nicht nur als zentrale Kategorie der Menschheit, sondern ihn als dem Menschen vorgängig begreift: Å:LUPVVHQGDKHUGHQVWDDWOLFKHQ9HUEDQGQLFKWQXUEHJULIÁLFKVRQGHUQDXFKJHVFKLFKWOLFK als die primäre Form der menschlichen Gemeinschaft betrachten, eben als denjenigen sozialen Verband, welcher der tierischen Herde entspricht und seinem Ursprung nach älter ist als das Menschengeschlecht überhaupt, dessen Entwicklung erst in ihm und durch ihn möglich geworden ist.“6

Damit positioniert sich Meyer klar sowohl gegen Vorstellungen von Naturzustand und Vertragstheorien als auch gegen anthropologisch-ethnologische Ansätze, den Staat umgekehrt aus dem menschlichen Zusammenschluss heraus entstehen zu lassen. Stattdessen „postuliert Meyer eine Universalität des Staates als der zu allen Zeiten und an allen Orten fundamentalen Form menschlicher Vergesellschaftung,“ so Nippel.7 Nun gibt es verschiedene (und gewichtige) methodische Einwände gegen diese Position, wie den selektiven Umgang mit Aristoteles oder die bereits erwähnte fehlende Auseinandersetzung mit anthropologischen Ansätzen.8 Mit letzterem versucht Meyer nicht nur wissenschaftspolitisch argumentierend den Vorrang der Geschichtswissenschaft gegenüber Ethnologie oder Anthropologie zu zementieren, sondern steht auch in der „deutschen Tradition der Überhöhung des Staates.“9 5

6 7 8

9

Reinhard 2007, 8; Hegel 1820/1970, 398 f. (§ 257, § 258;); Ranke 1836, 39; Dahlmann 1853, 1 (zweiter Punkt in seiner Einleitung „Wie der Staat zu der Menschheit stehe“); weitere, ähnliche =LWDWHÀQGHQVLFKEHL'DQLHO Meyer 1907, 11. Nippel 1990, 318. Beispielsweise wird die berühmte Herleitung des Aristoteles (im ersten Buch der Politik, 1252b–1253a) von Polis aus Oikos (Haus) und Kome (Dorf) abgelehnt (Meyer 1907, 15; vgl. dazu Nippel 1990, 320). Walter 1998, 14. Vgl. Nippel 1990, 322–327, ebenso Stahl 2003, 104–106. Hier müsste man MHW]WGLHVSH]LÀVFKH*HPHQJHODJHGHXWVFKHU*HVFKLFKWHLP-DKUKXQGHUWPLWGHUÅ6WDDWVZHUdung“ und Reichseinigung 1871 einerseits und der sich zur gleichen Zeit entwickelnden Rechts- und Geschichtswissenschaft andererseits hinzunehmen (vgl. dazu knapp Stahl 2003, 108, Reinhard 2007, 8 f., Daniel 1998 und Möllers 2008, 15–26), um bestimmte Äußerungen

Staatlichkeit als analytische Kategorie

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Ohne diese Punkte hier vertiefen zu wollen, bleibt folgendes Problem ungelöst: Die Vorstellung vom Staat als universalem Prinzip menschlicher Existenz ist – völlig unabhängig von ihrem Wahrheits- oder besser: Wahrscheinlichkeitsgehalt – als ArEHLWVGHÀQLWLRQVFKOLFKW]XJUR‰DOVGDVVVLHIUXFKWEDUDQJHZDQGWZHUGHQN|QQWH Wenn alles Staat ist, ist nichts geklärt, und der Begriff verkommt zu einem leeren Oberbegriff unter dem alles und nichts subsumiert werden kann, bis hin zu den Straßenkötern in den Quartieren Konstantinopels, die nach Meyer „räumlich umgrenzte Hundestaaten“ gebildet haben.10 Der paradigmatische Gegenentwurf zu solch einem allumfassenden Staatsbegriff kommt von Carl Schmitt. Schmitt lässt nicht nur das Zeitalter der Staatlichkeit erst im 16. Jahrhundert beginnen, sondern kritisiert explizit das Verkommen des Begriffs Staat im 19. Jahrhundert „zu einem auf alle Zeiten und Völker übertragenen Allgemeinbegriff,“ der so – wie z. B. beim „‚antiken Staat‘ der Griechen und Römer“ – „zu der politischen Ordnungsvorstellung der Weltgeschichte überhaupt“ gemacht wurde: Å(LQH GXUFKDXV ]HLWJHEXQGHQH JHVFKLFKWOLFK EHGLQJWH NRQNUHWH XQG VSH]LÀVFKH 2UJDQLVDWLonsform der politischen Einheit verliert auf diese Weise ihren geschichtlichen Ort und ihren typischen Inhalt; sie wird in irreführender Abstraktheit auf gänzlich verschiedenen Zeiten und Völker übertragen und in völlig andersartige Gebilde und Organisationen hineinprojiziert.“11

Auch diese Position hat zu Widerspruch und Auseinandersetzung gereizt (und tut es noch immer), ist aber zumindest in der Bundesrepublik sehr wirkmächtig geblieben. Hier reicht es schlicht zu konstatieren, dass Schmitt die Rede von antiken Staaten ablehnt und ablehnen muss, soll doch „der konkret-geschichtliche und spe]LÀVFKH&KDUDNWHUGHV6WDDWVEHJULIIVDOVHLQHUDQGDVELV-DKUKXQGHUWHXURpäischer Geschichte gebundenen, politischen Ordnungsvorstellung von Anfang an außer Zweifel gestellt“ sein.12'DPLWLVWGLHVH'HÀQLWLRQIUGHQ$OWKLVWRULNHUOHW]W-

10 11 12

Meyers überhaupt zu verstehen, wie etwa: „Der moderne Liberalismus ist vom Streben beherrscht, wie in der Praxis die Macht, so in der Theorie die Bedeutung des Staates herabzudrücken… . Er verwirft die Auffassung der Historiker von der zentralen Bedeutung des Staats für das menschliche Leben und stellt statt dessen den Begriff der menschlichen Gemeinschaft und ihrer Wandlungen in den Vordergrund: die Anthropologie tritt daher vielfach unter dem Namen der Soziologie auf“ (Meyer 1907, 16). Mit der „Vorgängigkeit“ des Staates bleibt Meyer nicht allein, vgl. z. B. auch de Sanctis 1980 (siehe Anm. 11 von B. Linke in diesem Band) oder Ehrenberg 1965, 290 f. (s. dazu Stahl 2003, 103). Zur Einordnung Meyers siehe weiter Canfora 1985, 45–60. Meyer 1907, 7; weitere Hinweise zu diesem Beispiel bei Nippel 1990, 319 und Anm. 28. Schmitt 1958, alle Zitate 376. Schmitt 1958, 376. In einem diametralen (wenngleich impliziten) Gegensatz zu Eduard Meyers Hundestaaten bezeichnet Schmitt in einer späteren Zusatzbemerkung zu seinem Aufsatz die Rede vom „Staat“ der Athener oder Römer als eine „schlimmere Fehlerquelle, als wenn man vom Bienen- oder Ameisenstaat spricht, denn bei diesen Tier-‚staaten‘ handelt es sich nicht um geschichtliche Begriffe“ (383). Schmitt ist längst nicht der einzige, der den Staat erst in der 1HX]HLWDQIDQJHQOlVVWYJO0|OOHUVZRKODEHUGHUHLQÁXVVUHLFKVWH]XPLQGHVWMHGHQfalls eine beliebte Referenz für spätere Autoren. Der Linie Schmitts folgt beispielsweise die ZLHGHUXPKlXÀJ]LWLHUWH $OOJHPHLQH6WDDWVOHKUHYRQ+HUEHUW.UJHU  IUGLHVHKUXQterschiedlichen Reaktionen im Fach auf diese in den 1960er Jahren als stark etatistisch empfundene Darstellung siehe F. Günther 2004.

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lich genauso unbrauchbar wie die von Eduard Meyer; war die eine zu groß, so ist diese zu klein und führt im Ende zur wenig überraschenden Feststellung, dass es den Staat als Produkt der Moderne in der Antike nicht gegeben hat. Denkt man dies weiter, führt es dazu, dass „das homerische Ithaka und das römische Reich nach den diokletianisch-konstatinischen Reformen auf einmal nebeneinander stehen, denn EHLGHN|QQHQSHUGHÀQLWLRQHPQXUQRFKDOVYRURGHUQLFKWVWDDWOLFKH*HELOGHEHzeichnet werden,“ so zutreffend Walter.13 Obwohl eigentlich zu groß respektive zu klein, sind beide beschriebenen Pole in der Alten Geschichte zu Referenzpunkten geworden – wobei der größere Teil der älteren Forschung zunächst den Begriff des Staates benutzt, auch ohne dass deswegen damit gleich die universalistische Position Meyers notwendig verbunden ist. 'DVVVLFKDXVGHP-DKUKXQGHUW7LWHOPLWGHP:RUW6WDDWÀQGHQODVVHQZLHGDV berühmte „Römische Staatsrecht“ von Theodor Mommsen, ist jedenfalls nicht überraschend.14 Die Reihe lässt sich mit der „Griechische[n] Staatskunde“ von Georg Busolt und Heinrich Swoboda und „Der Staat der Griechen“ von Victor Ehrenberg fortsetzen und reicht dann weiter über „Römischer Staat und Staatsgedanke“ sowie „Einführung in die antike Staatskunde“ von Ernst Meyer und „Das Staatsdenken der Römer“ von Richard Klein bis hin zu „Antike Staatsformen“ von Alexander Demandt.15'DEHLEOHLEW6WDDWKlXÀJHLQEOR‰HU2EHUEHJULIIGHU ohne größere Schwierigkeit auch durch „Gesellschaft“ oder „Kultur“ ersetzt werden könnte.16 *OHLFKZRKO OlVVW VLFK KLHU LPSOL]LW GLH 3RVLWLRQ KHUDXVÀOWHUQ GDVV man auch für die Antike von „Staat“ sprechen darf.17 Dabei wird der Begriff aber ]X KlXÀJDOVNODUXQGXQPLVVYHUVWlQGOLFKYRUDXVJHVHW]WXQGQLFKWZHLWHUHUOlXWHUW ja gerade von Studien, die selbst methodisch auf moderne Theorien und Konzepte Bezug nehmen oder sich von Fragen unserer Zeit anregen lassen, eher als Teil der Lösung präsentiert, denn problematisiert. Dazu zwei Beispiele: Armin und Peter Eich wollen den Begriff „Imperialismus“ vermeiden und schlagen daher stattdessen mit dem coercion-extraction-cycle ein Modell zur Staatsentstehung vor; und bei 13

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:DOWHU*HJHQHLQH]XHQJH'HÀQLWLRQVLHKHDXFK6FKHLGHOÅ7KHUHLVOLWWOH SRLQWLQFRQVWUXFWLQJGHÀQLWLRQVVRQDUURZO\DVWRH[FOXGHPRVWSROLWLFDOIRUPDWLRQVLQZRUOG KLVWRU\´VRZLH*ROGVWRQH+DOGRQÅWKHQRWLRQRIÄWKHVWDWH¶PXVWUHPDLQÁH[LEOHLILWLV to generate explanations; it should function as a heuristic tool.“ Wobei Mommsen den Begriff selbst eher vermeidet, worauf Aloys Winterling (in diesem Band) zurecht hinweist. Mommsen 1887; Busolt/Swoboda 1926; Ehrenberg 1965; Meyer 1961 und 1992; Klein 1966; Demandt 1995. So geht es beispielsweise bei Demandt 1995 mit dem Titel „Antike Staatsformen. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte der Alten Welt“ nicht nur um rechtliche Strukturen, sondern ebenso um Gesellschaft, Geschichte, Wirtschaft, Verwaltung, Kultur und Religion. Die Beiträge in Klein 1966 („Staatsdenken der Römer“) umfassen Rhetorik, Sitte und Moral ebenso wie Spezialstudien zu Cicero, Sallust und Caesar. Explizit gegen Carl Schmitt positioniert sich z. B. Demandt (1995 wie 2007), der weiter als Kennzeichen für die Antike auch die Trias Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt anwendet; ähnlich R. Günther 2004, 257, die allerdings von „antiker Staatlichkeit“ spricht. Generell wird in fast allen Untersuchungen zum Völkerecht ein Modell mit Staaten implizit vorausgesetzt, angerissen wird diese Problematik von Wendt 2008, 134–138 in seiner Untersuchung zur „Entwicklung der römischen Außenpolitk.“

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Arthur Eckstein, der sich mit dem „Anarchic interstate system“ beschäftigt, wird der theoretische Ansatz von „realist paradigms of Interstate Behaviour“ ausführlich erklärt, den Begriff des Staates setzt diese moderne politikwissenschaftliche Theorie aber voraus, sodass hierzu keine weiteren Ausführungen erfolgen.18 Es kommt KLQ]X GDVV LQ GHU DQJHOVlFKVLVFKHQ )RUVFKXQJ KlXÀJ HLQH HKHU XQEHIDQJHQH UH  Verwendung von „state“ zu beobachten ist.19 Aber auch in der autorisierten Übersetzung von Ernst Badians Untersuchung der „Unternehmer im Dienst der römischen Republik“ wird selbstverständlich von „Staat“ und der Vergabe von „Staatsverträgen“ an Private gesprochen.20 Etwas besser sieht es aus im Sammelband „Der wiederkehrende Leviathan“, welcher die „Staatlichkeit und Staatswerdung in Spätantike und früher Neuzeit“ mit guten und materialreichen Beiträgen untersucht und den Staatsbegriff nicht auf die Frühe Neuzeit verengen möchte; gleichwohl werden GRUWGLH%HJULIIH6WDDWVZHUGXQJXQG6WDDWOLFKNHLWHKHUDQJHZDQGWDOVNODUGHÀQLHUW oder lange diskutiert.21 Gesondert erwähnt werden muss die explizite (und äußerst produktive) Beschäftigung mit dem Staat im Zuge vergleichender Studien zu vormodernen Imperien, exemplarisch genannt seien die Sammelbände „The Dynamics of Ancient Empires. State Power from Assyria to Byzantium“ von Morris/Scheidel sowie das „Oxford Handbook of the State in the Ancient Near East and the Mediterranean“ von Bang/Scheidel.22 Hervorzuheben ist aus dem letzteren z. B. die exzellente und ausführliche Einleitung mit einem großen Überblick zu Theorien von Staatsentstehung von Scheidel, wenngleich der Fokus, mit der kaum vermeidbaren Ausnahme von Max Weber, zum einen auf angelsächsischer Forschung und zum anderen auf sozialanthropologischer und politikwissenschaftlicher Literatur ruht.23 Der 18 19

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Eich/Eich 2005; Eckstein 2006 (Erläuterungen zum theoretischen Ansatz 12–36). Auf zahlreiche Beispiele wird verzichtet, exemplarisch ist an eine Miniaturdarstellung zu „King Den’s Sandal Label“ aus der wunderbaren „Geschichte der Welt in 100 Objekten“ von Neil MacGregor denken, die sich mit einem 5×5 cm kleinem Schild aus Nilpferd-Hauer mit der angeblich allerersten Abbildung eines siegenden Herrschers von ca. 2985 v. Chr. beschäftigt, der Kommentar (MacGregor 2010) lautet: „This united Egypt was one of the earliest societies we can think of as a state in the modern sense, and […] King Den had to adress all the problems of control and coordination that a modern state has to confront today“ (64 f.). Badian 1997, 1 und passim. Dieses Phänomen beschränkt sich mitnichten auf Althistoriker, siehe nur Samuel E. Finers dreibändige „History of Government“ (Finer 1997). Bei der erklärungslosen Verwendung können moderne Konnotationen dann besser oder schlechter passen: Wenn Botermann 1992 für die Jahre 46–44 unter Caesar die Alternative „Rechtsstaat oder Diktatur“ markiert, ist dies eher dem pointierten Charakter des Aufsatzes geschuldet; ihren Bekundungen zum Trotz schwingen m. E. zu viele moderne Konnotationen bei Rechtsstaat mit und suggerieren damit eine Alternative, die es so in Rom nicht gegeben hat. Wenn dagegen Jehne 1987 vom „Staat des Dictators Caesar“ spricht, wird seine These, Caesar habe doch, anders als in der Forschung angenommen, eine institutionelle Ordnung hinterlassen, pointiert und verstärkt. Eich/Schmidt-Hofner/Wieland 2011, hier 24; vgl. dazu Lundgreen 2013b. Morris/Scheidel 2009; Bang/Scheidel 2013. Die einzig zitierte deutschsprachige Literatur neben Weber ist Herfried Münklers Imperienbuch (Münkler 2005) sowie aus dem Bereich der Alten Geschichte Forschungen von Eich/Eich 2005 (oben erwähnt) und Eich 2005. Wolfgang Reinhardts Geschichte der Staatsgewalt (Rein-

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später (2) beschriebene Governancediskurs ist jedenfalls nicht existent, was umso interessanter ist, da verschiedene Beiträge einen ähnlichen Ausgangspunkt nehmen und von Staatswerdung als stetem und nie abgeschlossenem Prozess sprechen – meist mit Rückgriff auf eine These des Soziologen George Steinmetz, der in einem Sammelband zu „State / Culture“ in einer relativ kurzen Bemerkung vom „ongoing process of state-formation“ spricht.24 Dies schlägt sich z. B. in den Arbeiten von Ian Morris nieder, der gerade in dieser Perspektive (sowie der Konzeption von empire als Unterkategorie zu state) überzeugend von einem „Greater Athenian State“ spricht, später für die griechische Welt (unter zusätzlichem Rückgriff auf Tillys Thesen zu capital and coercion) zwischen „Athens (capital-intensive), Sparta (coercion-intensive), and Syracuse (a combination of both)“ differenziert und die erfolgreichen Übergänge von Stadtstaaten zu Territorialstaaten wie auch den letztlich nicht erfolgreichen Versuch Athens, ein dauerhaftes Imperium zu bilden, untersucht.25 Nicht alle Beiträge dieser Studien sind indes so fruchtbar – während in „Dynamics of Ancient Empires“ ein Aufsatz zur römischen Republik schlicht fehlt, bietet der Beitrag zur römischen Republik in „The State in the Ancient Near East and the Mediterranean“ von Mouritsen zwar einen guten, aber doch letztlich konventionellen Überblick über Strukturen und Entwicklungen ohne eine fruchtbare Wendung der „Staats-Perspektive.“26 In der deutschsprachigen Althistorie lässt sich dagegen eher ein gewisses Unbehagen gegenüber dem Begriff konstatieren, doch resultiert daraus eher ein VerPHLGHQ GHQQ HLQH NRQWURYHUVH 'LVNXVVLRQ ]ZHFNV EHJULIÁLFKHU .OlUXQJ27 Dazu kommen wenige, wenngleich gewichtige, explizite Stimmen gegen die VerwendunJHQ GHV %HJULIIHV Å6WDDW´ 'LHVH ÀQGHQ VLFK QLFKW LPPHU DQ DOO]X SURPLQHQWHU Stelle, vor allem im Œuvre von Christian Meier.28 Nach eigener Aussage ver-

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hard 2002) ist dagegen nicht rezipiert worden, Breuer 1998 oder beispielsweise die Arbeiten von Schuppert auch nicht, vgl. hier auch die Rezension von Uwe Walter 2013. Steinmetz 1999, 9; für die Bezüge darauf siehe u. a. „We therefore employ the term ‚state formation‘ to describe the development of states overall, and not just to apply to their beginnings“ (Scheidel 2013, 9) oder Goldstone/Haldon 2009, 7, die von „different shades of ‚state-ness‘“ sprechen und damit ebenfalls den Prozesscharakter betonen. Vgl. auch weiter im Text. Morris 2009 (135 für den Rückbezug auf Steinmetz); Morris 2013, 283; Tilly 1999, 16–20. Morris hat generell keine Scheu, bewusst mit dem Begriff Staat für ganz frühe Phasen der Geschichte zu operieren, wenn er z. B. in seiner beeindruckenden Studie „Why the West rules – for now“ als das „folgenreichste Ereignis des 1. Jahrtausends v. u. Z.“ den „Übergang von Low-End- zu High-End-Staten“ benennt (Morris 2012, 228). Ähnlich schon Mann 1986. Vgl. Mouritsen 2013. So zutreffend Walter 1998, 14; vgl. ebenfalls Stahl 2003, 95 f., 107 f. Im Vorwort zur Neuausgabe seiner Studie „res publica amissa“ überlegt Meier, ob sich nicht durch die „Anwendung des Staatsbegriffs auf vormoderne Zeiten […] zahlreiche falsche Assoziationen […] einschleichen“, und offeriert dann im Folgenden alternative Formulierungen für seine Thesen, vgl. Meier 1997, XXII–XXVI. Die Warnung, dass durch eine „leichtfertige{n} Übertragung des Staatsbegriffs auf die Antike […] unbewusst vieles aus der Moderne in die $QWLNHEHUWUDJHQZLUGZDVGRUWQLFKWKLQJHK|UW´ÀQGHWVLFKZHLWHULP1DFKZRUW]XU7DVFKHQbuchausgabe seines Athen-Buches, vgl. Meier 2004, 703; Anlass ist eine Rezension dieses %XFKHVGXUFK8ZH:DOWHUGHP0HLHUDXFKEULHÁLFKVHLQH6NHSVLVPLWJHWHLOWKDWYJO:DOWHU 1998, 18.

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zichtet Meier seit 1981 „ohne Beeinträchtigung“ auf das Wort Staat, nach ihm kommt man ohnehin mit Begriffen wie „polis“, „res publica“ oder „Gemeinwesen“ der Sache näher und differenzierter an die Phänomene heran.29 Es ist nicht sehr JHZDJWKLHUGHQ(LQÁXVVGHUSchmitt’schen Position zu betonen, den Staat als genuin modernes Phänomen begreifen zu wollen.30 Eine Abkehr von den Kategorien „Staat“ wie aber auch „Gesellschaft“ schlägt überdies Aloys Winterling vor, der für den augusteischen Prinzipat und die römische Kaiserzeit die Dichotomie einer bloß staatsrechtlichen wie auch einer bloß gesellschaftlichen Analyse durch den Begriff der politischen Integration überwinden will, womit das Funktionieren SROLWLVFKHU2UGQXQJGXUFKGLHJUXQGVlW]OLFKH$N]HSWDQ]HLQHUVWDUNVWUDWLÀ]LHUWHQ Gesellschaft erklärt werden soll.31 Versuche, die dargestellten Positionen fruchtbar zu überwinden, bleiben – ebenso wie längere Auseinandersetzung mit dem „Staat“ – rar. Zu nennen sind dennoch erstens der Aufsatz von Uwe Walter „Der Begriff des Staates in der griechi29 0HLHU$PGHXWOLFKVWHQIRUPXOLHUWÀQGHWVLFKVHLQH3RVLWLRQ]XPHLQHQLQHLQHU9RUlesung am Collège de France über die politische Identität der Griechen, Meier 1984, 23: „Si l’on considère tous ces faits, la question se pose de savoir ce que, à vrai dire, la Polis a de commun avec l’État. Rien, de toute évidence.“ Zum anderen ist seine Caesarbiographie einschlägig, Meier 1982, 247: „Eine eigenständige Staatlichkeit aber hatte das römische Gemeinwesen gerade nicht ausgebildet. Unendlich viel, was bei uns der Staat an sich riß oder entwickelte und was ohne ihn gar nicht mehr geht, erledigten die Mitglieder der römischen Gesellschaft unter sich: So brauchte sie keine Bürokratie, keinen Staatsanwalt, keine Kriminalpolizei, kein öffentliches Schulwesen, keine Post. Selbst für das Bedürfnis nach öffentlicher Ordnung kamen in der Regel die Einzelnen mit Hilfe von Nachbarn, Clienten oder Sklaven auf. Unendlich viel weniger als heute war man auf öffentliche Dienste angewiesen.“ Interessant ist weiter, dass Meier gerade für Caesar später kontrafaktisch anmerkt: „Vom Standpunkt moderner Geschichtswissenschaft aus muß man es jedenfalls tief bedauern, daß Caesar nicht ein bis zwei Jahrzehnte länger hat leben können. Vielleicht hätte er uns dann gelehrt, was auch in Rom alles hätte möglich sein können, vielleicht gar der Aufbau von so etwas wie einem Staat? Da das aber nicht der Fall war, müssen wir den Staat wohl einstweilen weiterhin als ein typisches Produkt erst der Neuzeit ansehen“ (Meier 2008, 294). Vgl. weiter zuletzt Meier 2011. Anders sieht es in früheren Arbeiten von Meier aus, wie in seiner Besprechung von Ehrenbergs Staat der Griechen, wo Meier nicht nur die Begriffe Staat und Staatlichkeit benutzt, sondern auch zwischen „Staat im abgegriffensten, praktisch nichtssagenden Sinn“ und einer „einigermaßen vollendeten Staatlichkeit in präziserem Sinn“ unterscheidet. Letztere wird erstens klar gekennzeichnet durch ein Gerichtswesen, Monopol legitimer Gewaltanwendung nach innen, Kriegsführung und Bewusstsein von der Polis als wichtigster Richtgröße und erlaubt damit zweitens „fraglos eine schärfere Erfassung des Wesens und der Geschichte der Polis“ (Meier 1969, 373 f.). 30 Eine in diesem Kontext interessante Anekdote hat Christian Meier anlässlich der Feier seines 80. Geburtstags im Berliner Wissenschaftskolleg erzählt und auch in einem Interview mit Stefan Rebenich geäußert. Demnach habe Carl Schmitt ihm geradezu verboten, für antike Verhältnisse den Begriff Staat zu verwenden, und überlegt, Ernst Wolfgang Böckenförde zu beauftragen, ihm, Meier, den Begriff Staat auszutreiben; Anlass war die in der vorangegangen Anmerkung erwähnte Rezension zu Ehrenberg. Auf einen darauf folgenden Brief von Meier an Böckenförde mit der Frage nach einer Alternative habe er allerdings keine Antwort erhalten (vgl. Meier 2004, 187). 31 Vgl. Winterling 2001 (‚Staat‘, ‚Gesellschaft‘ und politische Integration), daneben 2008, bes. 225 f. und 1997, alles jetzt (auf englisch) zusammen in Winterling 2009; siehe weiter auch seinen Beitrag in diesem Band.

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schen und römischen Geschichte“, zweitens, mit Fokus auf der griechischen Geschichte, Bemerkungen von Michael Stahl und drittens die Einleitung im Band „Staat und Staatlichkeit in der frühen römischen Republik“ von Walter Eder.32 Da der Fokus beim letzteren auf der frühen römischen Republik liegt und die Genese von Staatlichkeit beinhaltet, läuft der Band einem universalen Verständnis des Staates als ein dem Menschen vorgängiges Konzept gleichsam automatisch zuwider. Aber auch der Ausgangspunkt eines engen, modernen Staatsbegriffs wird von Eder kritisiert. Dieser sei für Rom aus zwei Gründen zu klein, zum einen fehle die Beachtung privatrechtlicher Ansprüche, vor allem Rolle und Funktion des pater familias, des Familienoberhaupts, können nicht erfasst werden (siehe dazu hier den Beitrag von Linke). Zum anderen sei generell die scharfe moderne Scheidung von Staat und Gesellschaft für Rom nicht adäquat – römische Phänomene wie die Strafgewalt des angesprochenen pater familias, der seine Kinder töten durfte, umgekehrt auch seine Möglichkeit, durch Freilassung eines Sklaven den Verband der Bürger individuell zu vergrößern, und schließlich das die gesellschaftlichen Beziehungen in Rom strukturierende Klientelwesen sieht Eder als „geradezu gegenstaatliche Institutionen“ an. Da er weiter aber Territorium und Bürgerstatus, Institutionen und $PWVWUlJHULGHQWLÀ]LHUWVFKOlJWHUYRUÅGD‰PDQGHQ%HJULIIÄ6WDDW¶LQHLQHPDOOgemeinen Verständnis benutzt und jeweils in seiner zeitlichen Eigenart präzisiert.“ $XFKN|QQHPDQHLQH.HUQGHÀQLWLRQGHV6WDDWHVQlPOLFKGLH)XQNWLRQGHU)ULHGHQVVLFKHUXQJ GXUFK LQVWLWXWLRQDOLVLHUWH )RUPHQ GHV .RQÁLNWDXVWUDJV YRQ YHUschiedenen „formbildenden Akzidentien“ trennen, deren Summe die sich verdichtende oder verdünnende Staatlichkeit ausmacht.33 Auch wenn man Eders Thesen GHUÅJHJHQVWDDWOLFKHQ,QVWLWXWLRQHQ´QRFKPRGLÀ]LHUHQNDQQVLQG*HGDQNHQJDQJ ZLH%HJULIÁLFKNHLW$XVJDQJVSXQNWHIUGLHVHQ%DQGGLH9RUVWHOOXQJYRQDEXQG ]XQHKPHQGHU6WDDWOLFKNHLWÀQGHWPDQMHGHQIDOOVLQGHUJHJHQZlUWLJHQ'LVNXVVLRQ um verschiedenen Grade von Staatlichkeit wieder (Punkt 2). Eine besonders gelungene Anwendung dieser Kategorie bietet (im Band von Eder) Dieter Timpe, der schön zeigen kann, wie sich das „Kriegsmonopol des römischen Staates“ erst langsam im 5. und 4. Jahrhundert und dabei durch eine doppelte Bewegung entwickelt hat: Private Initiativen wurden zum einen von einer zunehmenden Verrechtlichung der Außenpolitik und einem immer stärkeren Zugriff der Gemeinschaft auf Soldaten erschwert, zum anderen das dahinter stehende Interesse an Beutegewinnung bald „besser und risikoloser innerhalb der staatlichen Kriegsführung befriedigt.“34 Überall durchgesetzt hat sich eine solche Idee von Di32

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Walter 1998; Stahl 2003, 110–116; Eder 1980. Stahl benutzt, wie Eder und Walter, den Terminus Staatlichkeit und nennt mit Streitschlichtung, Integration und Entscheidungskompetenz (111) sehr sinnvolle Kriterien für die Selbststeuerung von Gesellschaften. Allerdings sollte die etwas dichotomische Gegenüberstellung von „Staatlichkeit“ und „Nicht-Staatlichkeit“ (113) noch mit dem Konzept graduell steigender (oder fallender) Staatlichkeit erweitert werden, wie GLHV(GHUXQG:DOWHU EHV² YRQGHUHQ$XIVlW]HQLFKVWDUNSURÀWLHUWKDEHVFKRQDQGHXten. Siehe dazu weiter im Text. Für ‚Grade von Staatlichkeit‘ durch Institutionalisierung siehe bereits Wiemer 2006, 2 (Anm. 3). Eder 1990, 17–21 (Zitate: 18, 20, 21); interessant ist weiter sein Gesichtspunkt der „Reziprozität“ als Staatskriterium (20, vgl. im gleichen Band dazu van der Vliet 1990). Timpe 1990, 385 (Hervorhebung im Original). – Für den Zusammenhang von Staatlichkeit und

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mensionen von Staatlichkeit aber nicht; im selben Band von Eder will Jochen Martin lieber bei der „althistorischen Praxis“ bleiben, Staat schlicht gleichzusetzen mit „politischer Organisation.“35 Dann wird es unbestreitbar auch in der Antike Staaten gegeben haben. Solches ist auch die Konsequenz, wenn in rechtshistorischen Studien von „Protostaaten“ (Uwe Wesel) oder „Staaten der Frühzeit“ (Roman Herzog) die Rede ist und damit die Gebilde noch vor (!) den antiken Hochkulturen in Mesopotamien oder Ägypten gemeint sind, wobei es dann allerdings auch weniger um die politische Organisationsform „Staat“ geht als um „Recht“ (bei Wesel) oder „Herrschaftsformen“ (bei Herzog).36 Auch wenn das Feld dieser Einleitung nicht um diese beiden (noch größeren und vorgängigen) Bereiche erweitert werden soll, können doch zwei wichtige Aspekte erwähnt werden. Zum einen ist zu konstatieren, dass aus dieser Richtung zusammen mit Untersuchungen aus den Bereichen der Ethnologie und Anthropologie viele fruchtbare Studien kommen, die die Debatte bereichern.37 Zum anderen zeigt sich bei der Frage nach „Recht“ genau das gleiche Problem wie bei der Frage nach Staat. Hatten frühe, segmentäre Gesellschaften „Recht“? Oder doch nur Brauchtum und Sitte – womit Recht dann ein

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Piraterie, was später (3.2) gesondert untersucht wird, sei an dieser Stelle auf den guten Überblick von Grieb 2012 verwiesen. Martin 1990, 229. Dies führt, so Martin, dazu, dass „es aber – zumindest unter vergleichenden Gesichtspunkten – keine Grade von Staatlichkeit geben“ kann (zurecht kritisch zu dieser Schlussfolgerung Walter 1998, 12 Anm. 8). Generell werden die programmatischen Bemerkungen Eders nicht wirklich in den Beiträgen des Sammelbandes aufgenommen, was aber auch am weiten Zuschnitt der Sektionen liegt, geht es doch um „Politik und Religion“, „Quellen und Quellenkritik“, „interdisziplinäre und vergleichende Methoden,“ „Recht und Verfassung,“ „Magistratur und Gesellschaft“ sowie um „Wirtschaft, Expansion und innere Entwicklung“. Die Einträge des Registers für „Staat“ beschränken sich neben der protokollierten Diskussion auf vier von insgesamt zwanzig Beiträgen, „Staatlichkeit“ hat keinen Eintrag bekommen. Wesel 2006, 55–63; Herzog 1998. In dieser Perspektive sind Landbesitz, Bewässerung und Ackerbau, also letztlich die neolithische Revolution, zentral für die Staatsentwicklung; vgl. zur ]HQWUDOHQ5ROOHGHU.XOWXUSÁDQ]HQLQGHU0HQVFKKHLWVJHVFKLFKWH]XOHW]W.VWHU²+HU]RJ überlässt es in seiner Einleitung dem Leser zu entscheiden, „von welchem Grad der Organisation an er bereit ist, einer Herrschaft das Attribut ‚Staat‘ zuzubilligen.“ Das Buch von Herzog PXVV VFKRQ GHVKDOE %HDFKWXQJ ÀQGHQ GD GHU JOHLFKH$XWRU DXFK HLQH Å$OOJHPHLQH 6WDDWVlehre“ (Herzog 1971) und u. a. den Artikel „Ziele, Vorbehalte und Grenzen der Staatstätigkeit“ +HU]RJ YHUIDVVWKDWLP]XOHW]WJHQDQQWHQÀQGHQVLFKGLHKLVWRULVFKHQ8UVSUQJHGHV Staates als „Staatszwecke“ wieder: Verteidigung (von Ackerbauern gegen Nomaden), Daseinsvorsorge (Wasserzuteilung) und innere Durchsetzung der Herrschaft (in der Steppe), vgl. § 72, 8–9. Es ist ein schönes Beispiel für das Zusammenspiel von historischer und juristischer Betrachtung, wobei Herzog seine Thesen hier klar als historische Erkenntnisse kennzeichnet und gleich zu Beginn (in der Folge Jellineks) feststellt, dass „sich die Aufgaben des Staates überhaupt nur empirisch-historisch feststellen“ lassen, § 72,1. Für eine knappe Übersicht hierzu Wesel 2006, 45–63, Breuer 1998, 26–37 sowie für Theorien bezüglich „Evolutionism and State“ auch Lull/Micó 2011, 135–172; siehe weiter auch die Anm. 12 von Bernhard Linke in diesem Band. Wenn dabei teilweise der entscheidende, kategoriale Unterschied zwischen segmentären Gesellschaften einerseits und Häuptlingstümern andererseits gesehen wird, wohingegen letztere von Staaten nur schwierig zu differenzieren seien (vgl. Service 1977, 373 f.), ließe sich diesem Problems m. E. genau mit der hier vorgeschlagenen Figur sich verdichtender Staatlichkeit begegnen.

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Kennzeichen einer Weiterentwicklung wäre?38 Bestimmte terminologische Probleme stellen sich dabei gerade im deutschen Sprachraum verschärft, so lässt sich die Vorstellung von rechtlicher Herrschaft kaum so schön neutral wie die „rule of law“ formulieren, umgekehrt umgeben gerade den „Rechtsstaat“ noch weit mehr moderne Konnotationen als nur „Staat.“ Dieses letzte Beispiel ist aktueller denn je, denn natürlich soll es in der EU rechtlich geordnet vonstatten gehen, aber setzt nicht die Rede vom Rechtsstaat dann die EU als Staat voraus?39 Weiter ist auch das Voranstellen von Adjektiven wie „antik“ oder „modern“ alleine nicht hinreichend, denn was genau darunter verstanden wird, ist gerade nicht selbsterklärend.40 Gleiches gilt für die Zauberformel vom antiken Polis- oder Stadtstaat. Hier muss allerdings – spätestens – der Forschungsüberblick differenziert werden. Für die griechische Geschichte hat die Frage nach polis und Stadtstaat eine längere Tradition und auch eine Vielzahl von Forschungsergebnissen hervorgebracht.41 Rom dagegen wird seit jeher weniger mit dem Begriff des Staates verbunden. Für das römische Imperium spricht man von Reich oder lässt imperium unübersetzt stehen.42 Und die römische Republik trägt ja mit der Bezeichnung „Re38

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Siehe Wesel 2006, 50–54 für die Diskussion in der (angelsächsischen) Ethnologie von „law“ und „custom“ über „jural“ und „order and dispute“ und wieder zurück zu „Recht“, was schlicht anders sei als heutiges Recht (nämlich mit Ordnungs- und Gerechtigkeitsfunktion, aber ohne Herrschaftsfunktion des staatlichen Rechts). Vgl. hierzu auch Schuppert 2009; grundlegend ist Heuschling 2002. Interessant ist der französische Weg, durch eine Kleinschreibung anstelle von État de droit (Rechtsstaat) lieber von einem état de droit (Zustand des Rechts) zu schreiben. – Solche Probleme stellen sich (natürlich) auch in der Alten Geschichte. Die berühmte „Studie über Kultus, Recht und Einrichtungen Griechenlands und Roms“ von Fustel de Coulanges (1864) wird im Deutschen als „Der Antike Staat“ geführt, wo es im Original „La cité antique“ heisst und „Staat“ darin als ein Kapitel neben anderem wie etwa Familie, Revolutionen und Glaubenslehren auftaucht. Ein Beispiel für eine Einteilung der Staatsbegriffe nach Epochen bietet Jellinek 1914, 287–331, der fünf Typen unterscheidet: den altorientalischen, den griechischen, den römischen, den mittelalterlichen und den modernen Staat. Für den römischen Staat vgl. dort 312–316. Von Jacob Burckhardts „Griechischer Kulturgeschichte“ (1898) angefangen, über Victor Ehrenbergs „Staat der Griechen“ und seine „Grundformen griechischer Staatsordnung“ (Ehrenberg 1965 und 1961, siehe dazu neben Meier 1969 auch Nörr 1966) ist neben Wilfried Gawantkas Studie über „Die sogenannte Polis. Entstehung, Geschichte und Kritik der modernen althistorischen Grundbegriffe: der griechische Staat, die griechische Staatsidee, die Polis“ (Gawantka 1985) vor allem auf die reichhaltigen Publikationen des „Copenhagen Polis Centre“ (1993–2005) und seines Umfeldes unter Federführung von Mogens Herman Hansen hinzuweiVHQ HLQHDNWXHOOH/LVWHÀQGHWVLFKXQWHUKWWSZZZFRSHQKDJHQSROLVFHQWUHLQIR YJO]XOHW]W Hansen 2006, darin besonders die Kapitel: „Cities, States, City-States and City-State-Cultures“ (7–16) sowie „Polis as State“ (106–117). Einen guten Überblick dazu bietet Stahl 2003, 94– 109; die produktiven Studien von Ian Morris (u. a. 2009, 2013) sind oben im Text bereits genannt worden, für die polis als nucleus für „the rise of state action in the Archaic period“ s. weiter auch Hall 2013, hier 21. „Reich“ ist, neben „Freiheit“ und „wahrer Glaube“, einer der drei Kernbegriffe, die Leppin 2010 als „Erbe der Antike“ ausmacht. Wie aufgeladen und problematisch aber auch die Kategorie „Reich“ ist, zeigen die Bemerkungen von Fried 2005 für die Zeit in Europa um 900; aber auch gegen die Verwendung von „Staat“ für das Mittelalter verwahrt sich Fried deutlich (85). – Für den Begriff imperium, der zunächst schlicht Befehlsgewalt und Aufgabe, dann Krieg gegen Feinde im Gebiet des Kommandos und erst später das Herrschaftsgebiet meint, siehe

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publik“ bereits einen Namen (eine Zustandsbeschreibung?) und braucht daher paradoxerweise durch diese Kombination mit einer Staatsform gerade weniger den Begriff des Staates.43 Und – wegen der frühen Expansion? – auch nicht unbedingt den GHV 6WDGWVWDDWHV ZREHL GLHV KlXÀJHU DXIWDXFKW 5HÁHNWLHUW RGHU WKHRUHWLVFK DEgrenzt wird dies aber selten.44 Eine Ausnahme bilden knappe Ausführungen von Karl-Joachim Hölkeskamp, der vorschlägt, gerade in den ForschungsergebnisVHQGHUOHW]WHQ-DKUHQGKLQGHPNRQVWDWLHUWHQQRUPDWLYHQXQGVR]LDOHQ*HÁHFKW von Werten und Tradition, in den Ritualen und kulturellen Praktiken und schließlich in dem von politisch-religiöser Topographie und Kommunikation einer face-toface society gebildeten öffentlichen Raum einen eigenen Typ von „Stadtstaatlichkeit“ zu erkennen. Interessanter als diese Subsumption von Forschungsergebnissen unter einem neuen Oberbegriff ist, dass Hölkeskamp hier „Staatlichkeit“ nicht mehr „ausschließlich in autonomen, voll ausdifferenzierten Systemen verwirklicht“ sehen will und damit den Begriff auch für die Alte Geschichte öffnet.45 Es bleibt aber zu konstatieren, dass im Mittelpunkt der Beschäftigung mit der römischen Republik seit knapp zwei Jahrzehnten eher die politische Kultur stand und steht – mit beachtlichen Forschungserträgen zu den symbolischen Dimensionen von Politik und Herrschaftsorganisation, aber damit in einem Bereich, der eher neben, um und zwischen den Institutionen anzusiedeln ist, denen Mommsen sein monumentales Staatsrecht gewidmet hatte.46 Und dennoch ist es überraschend, dass

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Richardson 2008. Daneben existiert „Imperium“ aber auch als analytische Kategorie, meist entweder als Gegenpol zu Staat(en), dann gekennzeichnet von losen und durchlässigen Grenzen, einem Zentrum-Peripherie-Gefälle und ohne gleichwertige Partner (so z. B. bei Münkler 2005, bes. 16–21), oder aber als Untergruppe zu Staat, wie bei Tilly 1999 oder, gekennzeichnet durch die „Fremdheit“ zwischen Herrschenden und Beherrschten, bei Doyle 1986, 45 (wiederum aufgenommen u. a. von Morris/Scheidel 2009). Siehe zu diesen Punkten weiter die Beiträge in diesem Band von Pfeilschifter, Anm.18, und Snowdon, bes. 2–4. Eine Sonderbegrifflichkeit bietet Breuer 1998, 126, wenn er „Staatstaatenreiche“ untersucht, deren Hauptbeispiel dann das Imperium Romanum ist (128–131). Dies bestätigt sich in umgekehrter Perspektive, wenn für Europa heutzutage der Republik-Begriff fruchtbar gemacht werden soll, um die Frage von Staatenbund und Bundesstaat zu vermeiden, vgl. Bogdandy/Guérot 2013. Bezeichnend ist, dass z. B. Ausführungen von Cornell 1995, 97–103 unter der Überschrift „The city-state: Theoretical Problems“ nicht „state,“ sondern „city“ problematisieren und siedlungsarchäologische Probleme aufwerfen (wobei die Debatte zwischen „Stadtgründung“ und „Stadtwerdung“ Parallelen zum Staatsdiskurs erkennen lässt). Einige hundert Seiten später ist der Staat längst vorhanden und die Ausführungen zu „The Transformation of the State“ (369–373) beschränken sich auf die dominierende Rolle des Senats: „the most striking development was the emergence of the Senate as the principal organ of government“ (369). Hölkeskamp 2004, 66–70; Zitat 69. – Verweisen kann man auch auf die Beiträge in „City States LQ&ODVVLFDO$QWLTXLW\DQG0HGLHYDO,WDO\´ (POHQ0ROKR5DDÁDXE IU$WKHQVLHKWZHLter Schuller 1993, 122 f. auf Grund der konstatierten kalkulierenden und zweckmäßigen RatioQDOLWlWGHU+HUUVFKDIWVRUJDQLVDWLRQLPPHUKLQGLH0|JOLFKNHLWYRQHLQHPÅVSH]LÀVFKHQ6WDDWVtyp“ auszugehen, will es aber bei einer solchen Vermutung belassen. Ando 1999 dreht mit der Frage „Was Rome a Polis?“ die Perspektive um und zeigt, welche Schwierigkeiten die Griechen hatten, Rom und römische Herrschaft zu verstehen und zu beschreiben. Überblicke bieten Jehne 2006 sowie Hölkeskamp 2004 (aktualisiert 2010) und 2006. – Im Gegensatz zu anderen Ländern hat in der deutschen Geschichtswissenschaft die Frage nach

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der Begriff „Staat“ in der Alten Geschichte kaum mehr Anziehungskraft auszuüben scheint, wo doch zeitgleich nicht nur in den benachbarten Disziplinen von Jurisprudenz, Soziologie und Politikwissenschaft, sondern auch in den Feuilletons und öffentlichen Debatten vor dem Hintergrund des Kampfes gegen den Terror, der asymmetrischen, „neuen“ Kriegen, der failed states in Afrika und der Bedrohung durch Piraterie einerseits und der Frage der europäische Einigung andererseits, Rolle und Status des Staates in einer Intensität diskutiert werden, wie vielleicht nur eben im 19. Jahrhundert zur Zeit eines Eduard Meyer. Um welche Konzepte es dabei geht, ist Thema des nächsten Punktes.

2 „STAAT“ IN DER GEGENWÄRTIGEN DISKUSSION „Der gebändigte Leviathan“ (1990), „Abschied vom Staat – Rückkehr zum Staat“ (1993), „Der Leviathan auf dem Weg zum nützlichen Haustier“ (1993), „Diskurse über Staatsaufgaben“ (1994), „Entstaatlichung und soziale Sicherheit“ (2003), „Fragile Staatlichkeit“ (2006), „Staatszerfall und Governance“ (2007), „Metamorphosen des Staates“ (2008), „Zerfaserte Staatlichkeit“ (2008), „Staat als Prozess“ (2010), „Governance Without a State“ (2011) – die Liste könnte beliebig verlängert werden.47 Dass der Staat in der Diskussion ist, wird man nicht bestreiten können, dass Rolle und „Wesen“ neu diskutiert und vermessen werden sieht man nicht zuletzt an der Arbeit gleich zweier Sonderforschungsbereiche: „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“ (SFB 700 in Berlin) und „Staatlichkeit im Wandel“ (SFB 597 in Bremen).48 Erwähnenswert sind hier zwei Diskussionsstränge, zum

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Staat allerdings generell keine große Konjunktur mehr und ist eher durch die Paradigmen von Sozial- und Kulturgeschichte abgelöst worden – einen konzisen Überblick bietet hierzu Möllers 2011, 220–223. Denninger 1990; Voigt 1993; Schulze-Fielitz 1993; Kaufmann 1994; Allmendinger 2003; Schneckener 2006; Beisheim/Schuppert 2007; Genschel/Zangl 2008; Genschel/Leibfried/ Zangl 2008, Schuppert 2010, Risse 2011. – Die Debatte um den „Tod des Staates“ ist älter, vgl. für die Verlustängste schon in den 1960er Jahren Möllers 2008, 44–47. Und Breuer 1998, 10 konstatiert: „Der große Leviathan lebt noch, aber die Zahl seiner Jäger vergrößert sich von Tag zu Tag.“ Reagiert wird in den genannten Publikationen vor allem auf die Phänomene von Europäisierung, Transnationalisierung und Globalisierung. Bei der Europäisierung spielt der Vertrag von Maastricht eine besondere Rolle, vgl. allgemein Möllers 2008, 72f; prägnant lautet beispielsweise der Titel der Studie von Huber 1993: „Maastricht – ein Staatsstreich?“ (auch wenn die Frage im Ergebnis verneint wird). Einen Überblick über die Debatten des letzten Jahrzehnts innerhalb der Jurisprudenz bieten Frankenberg 2010, 61–69 und vor allem Möllers 2011, XI–XLIX. Für Forschungsprogramm und bisherige Ergebnisse sei auf die jeweilige homepage verwiesen: http://www.sfb597.uni-bremen.de/ und http://www.sfb-governance.de/; einen guten Überblick über Ansätze, Berührungspunkte und Differenzen bietet die (freundliche) Kontroverse zwischen Schuppert 2008 und Genschel/Leibfried 2008. Von besonderem Interesse in diesem Kontext ist das Projekt B10 „Governance im Übergang von antiker zu mittelalterlicher Staatlichkeit“ des SFB 700 in Berlin. Erwähnenswert in diesem Kontext sind weiter noch das EXC 243 „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und das GRK 1263 „Verfassung jenseits des Staates: Von der europäischen zur globalen Rechtsgemeinschaft?“ an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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einen die Diskussion um Governance und dann die Rede von Staatlichkeit. Unter Governance ist dabei mit Renate Mayntz das „Gesamt aller nebeneinander bestehender Formen der kollektiven Regelung gesellschaftlicher Sachverhalte, von der institutionalsierten zivilgesellschaftlichen Selbstregelung über verschiedene Formen des Zusammenwirkens staatlicher und privater Akteure bis hin zu hoheitlichem Handeln staatlicher Akteure“ zu verstehen.49 Diese weite Fassung des Konzepts ist wichtig: Governance wird damit nicht als ein „den Staat ausblendendes Konzept,“ sondern als ein „staatsrelativierendes“ Konzept begriffen, das die „mit jeder Staatszentriertheit verbundene Gefahr der Blickverengung“ vermeiden will und dessen „Mehrwert“ in der „Prozesshaftigkeit und Dynamik der in ihm angelegten Perspektive“ liegt, so Schuppert.50 Um bei diesem Autor zu bleiben: Gunnar Folke Schuppert dreht in seiner Studie „Der Staat als Prozess“ die Perspektive DXIGHQÅ6WDDWDOVHXURSlLVFKH(UÀQGXQJ´LQIUXFKWEDUHU XQGP(EHU]HXJHQGHU  Weise um und kann daher in modernen Veränderungen auch nicht das Endes des Staates, sondern allenfalls eines Staatstyps sehen, nämlich des „Westphalian State“ oder auch des sog. DRIS, des „Demokratischen Rechts- und Interventionsstaates.“51

49 0D\QW]   HUOlXWHUQG KHLVVW HV ZHLWHU Å'DGXUFK GDVV LQ GHU 'HÀQLWLRQ QLFKW YRP ‚Staat‘ sondern von ‚staatlichen Akteuren‘ die Rede ist, wird die für die Governance-Perspektive mehr als für die steuerungstheoretische charakteristische Einsicht ausgedrückt, daß ‚der 6WDDW¶ NHLQ XQLWDULVWLVFKHU$NWHXU VRQGHUQ HLQ GLIIHUHQ]LHUWHV *HÁHFKW QXU WHLOZHLVH KLHUDUchisch miteinander verbundener Akteure (Behörden, Ämter) ist. Dadurch, daß nicht einfach von Regelungsstruktur, sondern etwas umständlicher von ‚Formen der kollektiven Regelung‘ die Rede ist, wird der Doppelnatur des Begriffs Governance Rechnung getragen: ‚Governance‘ kann sich sowohl auf eine Handeln regelnde Struktur als auch auf den Prozeß der Regelung beziehen; unabhängig von der Wortwahl im Einzelfall sind immer beide Aspekte impliziert.“ Siehe für diesen „anerkannt uneindeutigen Begriff“ weiter beispielsweise Blumenthal 2005 oder Zürn 2008, der vor allem noch das Kollektivinteresse und Gruppenwohl als Kennzeichen kollektiver Regelungen hinzunimmt (554 f.); speziell zu Staatlichkeit und Governance siehe dort 569–571. 50 Schuppert 2010, 135 und 161. Für das Problem eines „tendenziellen Anti-Staats-Bias“ siehe auch Blumenthal 2005, 1176. 51 Schuppert 2010, 9 f. Der DRIS, der demokratische Rechts- und Interventionsstaat, zeichnet sich nach Genschel/Leibfried/Zangl 2007, 38 f. durch vier Dimensionen aus: Ressourcenmonopol, rule of law, Legitimation und Wohlfahrt. – Vermisst wird damit bei Schuppert nicht der Staat, sondern vielmehr eine „gegenstandsangemessene Staatstheorie“ (11); hieraus ergeben sich auch sein Interesse an Metaphern und Schlüsselbegriffen sowie sein Betonen der „Überwindung eingeschliffenen Grenzdenkens und die kontinuierliche Anstrengung, ÜbergangsphäQRPHQHVSUDFKIlKLJGKEHJULIÁLFKHUIDVVEDU]XPDFKHQ´  'DPLWJHKWHUEHUGLH (zunächst entwicklungs-, dann sicherheitspolitisch motivierte) Debatte über failing und failed states hinaus, in der ein Modell entwickelt wurde, um politische Ordnungen anhand ihrer „governance capacity“ hinsichtlich der Kriterienerfüllung von Sicherheit, Wohlfahrt und Legitimität in vier Gruppen von starken, schwachen, versagenden und gescheiterten Staaten einzuordnen. Dies hat zwar gegenüber der Dichotomie „Staat – Nicht-Staat“ schon einen Fortschritt bedeutet, letztlich aber nicht die Perspektive des modernen europäischen Staates als Norm und 6WDQGDUGYHUlQGHUWYJO6FKXSSHUW²GHUGLHVHQÅGHÀFLWOLVWDSSURDFK´NULWLVLHUW Interessanterweise ließe sich hier auch der Vater der Drei-Elemente-Lehre zitieren, bei Jellinek 1914, 287 heisst es: „Der Staat ist, wie jede geschichtliche Erscheinung, fortwährendem Wandel seiner Erscheinungsformen unterworfen.“

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Was aber hat diesen Staatstyp gekennzeichnet? Wie verlief der Entwicklungsprozess? Die gängigen Darstellungen bieten einen Durchgang vom Hochmittelalter im frühen elften Jahrhundert bis zur Gegenwart an, wobei sich verschiedene Entwicklungslinien überkreuzen. Zu nennen sind, erstens, die Trennung von geistlicher und weltlicher Herrschaft, von Politik und Religion mit dem Stichwort Investiturstreit (1057–1122), wobei sich zunächst die Kirche Vorrang und Vorteile sichern konnte, die Politik aber so erst als eigenständiger Bereich konstituiert wurde, was weltlichen Herrschern bald erlaubte, ihrerseits Suprematieansprüche anzumelden. Angefangen mit dem Schisma und konkurrierenden Päpsten über Reformation und folgende Religionskriege setzten sich dann das Primat der Politik und der Staat als Ordnungsinstanz durch. Daneben sind, zweitens, Adel und lokale Eliten als weitere Akteure zu nennen, mit denen sich eine entstehende Zentralgewalt arrangieren musste, für welche umgekehrt, drittens, Dynastien von großem Vorteil und Machteliten unabdingbar waren. Anzuführen ist damit auch der Aufstieg der Juristen, die MXULVWLVFKH3HUVRQDOVDEVWUDNWH'HQNÀJXUGLHhEHUQDKPHGHV$PWHVYRQGHU.LUche und die Ausweitung der Herrschaftsbefugnis „von der Rechtsdurchsetzung auf die Rechtssetzung“ (Grimm). Ausgehandelt werden mit lokalen Eliten musste vor allem die Abschöpfung von Ressourcen, und zwar besonders in Kriegszeiten, hier ist, viertens, der berühmte extraction-coercion-cycle zu nennen, also der eigendynamische Prozess von Ressourcenabschöpfung, der Zwangsmittel ermöglicht und benötigt: „Soldat und Steuereinnehmer legten gemeinsam die Grundlagen des modernen Staates,“ so Reinhard. Militär, vor allem in der Form von stehenden Heeren leitet auch, fünftens, über zu verschiedenen Formen der Disziplinierung der 8QWHUWDQHQGXUFK:HKUSÁLFKWXQGVSlWHUDXFK6FKXOSÁLFKWZRPLWQHEHQ6WHXHUSÁLFKWXQG%URNUDWLHQDFKReinhard die wichtigsten Kennzeichen des modernen Staates benannt wären. Alle diese Prozesse haben sich dabei nur langsam und keineswegs kontinuierlich vollzogen, erst das 19. Jahrhundert sieht den Übergang „vom traditionalen zum rationalen Staat“ durch moderne Bürokratie und eine „Wegrationalisierung von Zwischengewalten,“ so Osterhammel. Hier liegen auch die Anfänge von Fürsorgemaßnahmen (sowie, eng damit verbunden, Disziplinierungsversuchen), die im 20. Jahrhundert zum Wohlfahrts- und Sozialstaat führen, womit nach Reinhard „eine totale Endstufe der Staatsgewalt“ erreicht wird.52 52

Vgl. generell Reinhard 2002 und 2007 (Zitate 2007, 70, 103, 87, 104). Einen guten Überblick, vor allem zu verschiedenen Theorien und Modellen gibt Scheidel 2013. Für „die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation“ siehe besonders Böckenförde 2006, 92–114, Grimm 1987, 57 und Roth 2010; für den berühmten extraction-coercion-cycle siehe Finer 1975, für das Konzept weiter Tilly 1999; für die Entwicklung von Staat und Staaten weltweit im 19. Jahrhundert besonders Osterhammel 2011, 818–906 (Zitate 878 f. und 905), für „Herrschaft durch Verwaltung“ Raphael 2000; die Rolle der Juristen ist schon bei Weber 1964, 1037 das Kennzeichen des rationalen Staates des Okzidents, vgl. zur Rolle der „bureaucratic elite“ auch Goldstone/Haldon 2009, 8 f. – Einige Elemente sind auch für die römische Republik (und Kaiserzeit) betrachtet worden, besonders der Zusammenhang von Kriegsführung und Ressourcenverbrauch wie -bereitstellung sowie die Rolle der Armee zur Disziplinierung, so bei Eich/ Eich 2005, ähnlich auch Erdkamp 2007 oder Schulz 2013, 447, 456 und Bang 2013, der als Kernstück von Prinzipat und Kaiserzeit die Finanzierung der Soldaten ansieht. Weiter von Interesse sind die Ergebnisse von Eich 2005 zur personalen Bürokratie und von Tiersch 2011 zur

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In einem Satz wird hier ein Prozess der Verstaatlichung von Herrschaft beschrieben. Dieses Ausweiten von Zuständigkeit (Genschel/Zangl sprechen von „institutioneller Ambition“) lässt sich historisch besonders gut zeigen an der Durchsetzung nur eines Rechts gegenüber vielen Sonderrechten bestimmter Korporationen oder Enklaven und aktuell ablesen an modernen Diskursen über Staatsaufgaben mit der Entwicklung vom ‚Rechtsstaat zum Sozialstaat bis hin zum Präventionsstaat‘.53 Schaut man im „Handbuch des Staatsrechts“ nach, so ergibt das Inhaltsverzeichnis des vierten Bandes „Aufgaben des Staates“ unter dem Punkt „Bereiche staatlichen Handelns“ eine beeindruckende Liste: Bevölkerungs- und Familienpolitik, innere Integration, auswärtige Gewalt, Verteidigung und Bundeswehr, innere Sicherheit, Kultur, Sport und Freizeit (!), Wissenschaft und Technik, Verkehr, Post und Telekommunikation, Internet, Wirtschaft, Energieversorgung, Arbeitsmarkt, Gesundheitswesen, Daseinsvorsorge und soziale Sicherheit sowie schließlich wirtschaftliche Beteiligung des Staates, von den in Band fünf des Handbuchs ausgelagerten großen Bereichen Recht und Finanzen einmal abgesehen.54 Fokussiert man aber weiter die moderne Staatsdiskussion, wird klar, dass dies kein unumkehrbarer Prozess ist. Jedenfalls haben die beiden Politikwissenschaftler Philipp Genschel und Bernhard Zangl aufgezeigt, wie sich diese Entwicklung seit den 70er Jahren langsam umkehrt und die politische Herrschaft wieder entstaatlicht wird.55 Kernbegriff dieser Debatten um den „Wandel von Staatlichkeit“ ist – neben dem allgemeinen und klassischen „Durchsetzen-können einer Entscheidung“ in der Folge von Weber und Luhmann – vor allem die von Norbert Elias JHSUlJWH 'HQNÀJXU eines „Schlüsselmonopols.“ Dabei geht es nicht um die konkreten Bereiche wie Gewalt- oder Abgabenmonopol, sondern die Idee, dass der Staat in gewissen Feldern zwar die „Letztverantwortung“, aber nicht die Alleinverantwortung trägt.

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Rolle der Bischöfe in der Spätantike, die im Osten des Reiches Bestandteil der weltlichen Verwaltungselite und Stütze der Staatlichkeit gewesen seien, im Westen dagegen teilweise als alleinige Träger staatlicher Macht fungierten, was lokale Autonomiebestrebungen ebenso wie theologische Vorstellungen vom Kaiser in statt über der Kirche und damit für die weitere Geschichte der europäischen Staatswerdung eine ganz fundamentale Prägung zur Folge hatte. Bevor sich im Mittelalter aber, wie oben erwähnt, die Politik als eigenständiger Bereich neben der Kirche etablieren konnte/musste, hatte sich letztere ihrerseits überhaupt erst in durch das Aufkommen des Christentum als eigenständiger Bereich herausgebildet, für die problematische Trennung von Politik und Religion in der römischen Republik vgl. Lundgreen 2013a, 191–195. Vgl. nur Kaufmann 1994. Isensee/Kirchhoff 2006 und 2007. Gleichwohl sähe eine antike Liste kaum anders, eher noch detaillierter aus, regelte der antike Stadtstaat doch den Konsum von Wein ebenso wie Haar- und Bartmode oder Kleidung, ganz zu schweigen von den Bereichen Heirat, Kindererziehung oder :HKUSÁLFKWYJOEHUHLWV)XVWHOGH&RXODQJHV²VRZLHQDWUOLFK%XUFNKDUGW 72–82. Siehe für Athen auch Eich 2004 mit dem „sentenzhaftes Resümee“: „Die griechische Freiheit war weit mehr eine Freiheit des politischen Kollektivs nach außen als eine Freiheit des Individuums innerhalb des Kollektivs.“ Die Frage nach Freiheit bei den Griechen hat jüngst eine gewisse Renaissance erlebt, vgl. nur Nippel 2008, Meier 2009 (bes. 16–22) oder Karagiannis/Wagner 2013, müsste weiter m. E. aber getrennt von der ‚neutraleren‘ Frage nach der Intensität von Staatlichkeit behandelt werden. Genschel/Zangl 2008.

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Genschel/Zangl]%GHÀQLHUHQXQGGLIIHUHQ]LHUHQSROLWLVFKH+HUUVFKDIWDQKDQG der Trias von Entscheidungskompetenz, Organisationsmacht und Legitimationsfähigkeit. Ausgehend von den Stichworten Internationalisierung, Privatisierung und Transnationalisierung zeigen sie dann exemplarisch auf, wie neue Akteure zwar in einigen Bereichen staatliche Aufgaben übernehmen können, aber nie in allen drei Feldern gleichzeitig: Der Staat lagert Entscheidungen an internationale Organisationen aus, behält aber die Durchsetzung in seiner Hand. Oder: Der Staat entscheidet über Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Ausführung anderen überlassen bleibt. Ihre These lautet dann: „Der Verlust des (weitgehenden) staatlichen Herrschaftsmonopols nimmt dem Staat weder seine Staatlichkeit noch macht er ihn EHUÁVVLJ>«@'HU6WDDWEOHLEWGHU$QJHOSXQNWSROLWLVFKHU+HUUVFKDIWDEHUVHLQH Rolle ändert sich: er wird vom Herrschaftsmonopolisten zum Herrschaftsmanager.“56 Bevor wir zu den Konsequenzen dieser modernen Debatten für die Alte GeVFKLFKWHNRPPHQHLQOHW]WHU3XQNW=ZDQJVOlXÀJIKUHQGLHVH'LVNXVVLRQHQDXFK zu einer neuen Bewertung alter Kriterien. Ubiquitär zitiert, seien diese – in der Folge von Max Weber und Georg Jellinek – auch hier einmal gennant: Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt, letztere meint dabei das Monopol der legitimen Anwendung physischer Gewalt sowohl nach innen als auch nach außen.57 Ein an56

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Genschel/Zangl 2008, 446; vgl. für einen „zunehmenden Trend der Ko-Produktion von Staatlichkeit“ auch Schuppert 2008, 350 und siehe bereits Breuer 1998, 297–300. Interessant ist, dass sich die Figur des Herrschaftsmanagers teilweise auch deckt mit Passagen von Herzog 2006, wie § 72, 72 oder § 72, 37: „Sieht man sich die Dinge konkret an, besteht also heute – mit Ausnahme der Landesverteidigung – auf keinem Gebiet ein staatliches Aufgabenmonopol, das diese Bezeichnung wirklich verdient.“ Auch wenn Herzog hier nur von Aufgaben und nicht von Befugnissen spricht, bleibt es wichtig zu sehen, dass die vorgestellte Analyse hier aus Richtung des eher konservativen und staatszentrierten „Handbuchs des Staatsrechts“ (vgl. nur Möllers 2008, 63–67) bestätigt wird; auch die Analyse einer „Neuausrichtung des Staatsrechts“ auf ein ÅNRPSOH[HV+HUUVFKDIWVJHÁHFKW´KLQYRQ'L)DELR  NRPPWGHPEHUUDVFKHQGQDK vgl. Schuppert 2008, 351 f. – Während die Analyse der Entstaatlichung oder zumindest eines retardierenden Moments in der Geschichte des Staates fast durchgängig geteilt wird, bleibt die Bewertung uneins. Überwiegend werden Metaphern vom Rück- oder Niedergang gebraucht, Reinhard 2007, 123 sieht „ein ‚neues Mittelalter’, dem aber die gemeinsamen Wertvorstellungen des Mittelalters fehlen“, heraufziehen. Dies liegt m. E. nicht nur an einer gewissen pessimistischen Weltsicht („der staatstragende Gemeinwille der demokratischen Identitätsphilosophie hat zugunsten konkurrierender Gruppenidentitäten abgedankt“), sondern auch an der grundsätzlichen Konzeption, den Staat wie Carl Schmitt als „einen konkreten, an eine geschichtliche Epoche gebundenen Begriff“ aufzufassen, was die Darstellung der Entwicklung des Staates viel eher auf Aufstieg, Blüte und Verfall hin ausrichtet (vgl. z. B. van Creveld 1999: Å7KH5LVHDQG)DOORIWKH6WDWH´ DOVHWZDHLQRIIHQHU3UR]HVVEHJULIIRKQHGHÀQLHUWHV7HORVZLH bei Schuppert (siehe bes. 2003, 22 f.; 2008, 355–357 und 2011, alle m. w. V.), Breuer 1998, u. a. 299 f., bei dem der Staat schlicht Mittel einer Verwirklichung von Ordnungen ist, oder sogar Depenheuer 2011, u. a. 25, der gleichwohl auf der Suche nach einem neuen Narrativ zwecks Sinnstiftung ist. So Reinhard 2007, 12 f.; grundlegend sind Weber 1964, 1042–1046 und Jellinek 1914, 394– 434. Vgl. in jüngerer Zeit dazu u. a. Randelzhofer 2004, Vitzthum 2004, Grawert 2004 und für einen Überblick Zippelius 1994, 52–89. Dies ist auch die Grundlage für die in angelsächsischer /LWHUDWXUKlXÀJ]LWLHUWHÅ6WDUWGHÀQLWLRQ´YRQ&KDUOHV7LOO\GLHJOHLFKZRKOGXUFKOlVVLJHULVW Å/HWXVGHÀQHVWDWHVDVFRHUFLRQZLHOGLQJRUJDQL]DWLRQVWKDWDUHGLVWLQFWIURPKRXVHKROGVDQG kinship groups and exercise clear priority in some respect over all other organizations within

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derer Begriff dafür, der in diesem Kontext normalerweise spätestens an dieser Stelle auftaucht, lautet: Souveränität. Dieser Begriff ist nun nicht nur eng mit „Staat“ verbunden, sondern (daher) auch mit der dargestellten Debatte von Governance und Staatlichkeit.58 Die oben beschriebenen Entwicklungen haben spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg zumindest auf die äußere Souveränität (die Domäne des VölkerUHFKWV JUR‰HQ(LQÁXVV=XGHQNHQLVWLQWHUQDWLRQDODQGLH81RGHUGHQ,QWHUQDWLRnalen Strafgerichtshof sowie aus europäischer Perspektive natürlich an die EU oder den EuGH. Grimm spricht dabei von einem „Grundtatbestand der Souveränitätseinbuße“, bei variierender Intensität derselben. Eine solche Einbuße hat aber auch Auswirkungen für die innere Seite der Souveränität (die Domäne des Staatsrechts), für die Grimm nurmehr „wechselseitige Autonomieverschränkungen“ sieht.59 Ohne hier auf die Diskussion länger einzugehen, ist festzuhalten, dass „Souveränität“ als Begriff changiert (und immer changiert hat)60 und dies zusammen mit der Frage

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substantial territories. The term therefore includes city-states, empires, theocracies, and many RWKHUIRUPVRIJRYHUQPHQWEXWH[FOXGHVWULEHVOLQHDJHÀUPVDQGFKXUFKHVDVVXFK´ 7LOO\ 1999, 1 f.). So schreibt Reinhard Koselleck in dem gemeinsamen (!) Artikel für Staat und Souveränität der Geschichtlichen Grundbegriffe: „‚Staat‘ und ‚Souveränität‘ sind zwei Begriffe, die in ihrer geschichtlichen Entstehung und ihrer rechtlichen Zuordnung aufeinander verweisen. Dennoch bleiben sie weder in der Wirklichkeit noch in der Rechtstheorie in Gänze voneinander abhängig. Es gab souveräne Fürsten, die nicht über einen Staat geboten, so wie es Staaten gab und gibt, die nicht souverän sind“ (Koselleck 1990, 1). Der letzte Aspekt scheint mir besonders ZLFKWLJ]XVHLQKLHULVW ZLHEHLP6WDDWVYHUVWlQGQLVDOOJHPHLQ DXIHLQ6SH]LÀNXPGHUGHXWschen Geschichte hinzuweisen, auf die Reichsgründung von 1871, bei der die Fürsten zwar nicht mehr souverän waren, aber der Bundesstaat dennoch Staaten unterhalb der Reichsebene vorsah, siehe für diesen „juristischen Kunstgriff […], von dem das Verfassungsrecht bis heute zehrt und unter dem es bis heute leidet“, Möllers 2008, 19–21 (Zitat: 19) sowie Grimm 2007, 66 f. Grimm 2009, 92 und 98. Für den Zusammenhang beider Betrachtungsweisen vgl. bes. Randelzhofer 2004, § 17, 24; für das Verhältnis von Völkerrecht und Staatsgewalt siehe Zippelius 1994, 66–68. Aktuell diskutiert wird bindendes Völkerrecht, vgl. m.w.V. Schuppert 2010, 28–31 oder Bogdandy/Dann/Goldmann 2011 sowie auch weiter im Text und in der nächsten Anmerkung. Vgl. generell die Beiträge in Stein/Buchstein/Offe 2007 und in Voigt 2010, darüber hinaus besonders Randelzhofer 2004, von Haltern 2007, Grimm 2009 sowie, begriffsgeschichtlich grundlegend, Quaritsch 1986 und Koselleck 1990. Generell scheint mir für Souveränität auch die Begriffsgeschichte wichtig(er), da sich, so Koselleck 1990, 1, im europäischen Vergleich bei „synchroner Anwendung diachrone Verzerrungen“ aufzeigen lassen und der Begriff ständig zwischen Zustandsbeschreibung und Zielvorstellungen changiert. Siehe zuletzt Grimm 2009 für eine ideengeschichtliche Linie von Bodin über Hobbes zu Rousseau sowie eine realhistorische über die unterschiedlichen Ausformungen von Parlamentssouveränität (wie in England), Volkssouveränität (wie in den USA), Nationalsouveränität (wie in Frankreich) und Staatssouveränität (wie in Deutschland) bis hin zu bloß latenter Souveränität in modernen Verfassungen, vgl. für den letzten Punkt auch Zippelius 1994, 59–61, der die weitergehende Souveränität eines pouvoir constituant von der (bloßen) Organsouveränität eines pouvoir constitué innerhalb einer Verfassung unterscheidet. – Hauptstreitpunkt war und ist dabei die Frage der Unteilbarkeit der Souveränität, die im Europa der Gegenwart neue Aktualität erhält. Die Governancediskussion scheint hier eine klare Absage zu erteilen. In dem Antrag auf Errichtung eines ExelOHQ]FOXVWHUVPLWGHP7LWHOÅ*RYHUQDQFHLQD*OREDOL]HG:RUOG´ÀQGHWVLFK ]LWLHUWQDFK6FKXSpert 2010, 77) die lapidare Feststellung: „The European Union (EU) constitutes the most deve-

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nach Staat und Staatlichkeit auch Auswirkungen auf die oben genannten Kriterien hat. Phänomene wie eine doppelte Staatsbürgerschaft, transnationales Recht durch NGOs (wie die WTO), supranationales Recht wie durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, konstitutionalisiertes Völkerrecht und Menschenrechtsschutz als Grund für Interventionen führen auch dazu, die inhaltliche Bestimmung von Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt neu zu vermessen. Dies kann für die Frage nach Staat nicht ohne Bedeutung bleiben – auch nicht im Bereich der Alten Geschichte.61 3 NOCH EINMAL: „STAAT“ FÜR (ALT-)HISTORIKER? PERSPEKTIVEN UND BEISPIELE Welche Konsequenzen sind aus dieser Skizze zu ziehen? Die moderne Debatte zeigt in aller Deutlichkeit, dass es sinnvoll ist, „Staat“ zwar als historisches Produkt, aber deswegen nicht als epochegebundenes Phänomen zu begreifen. Staatlichkeit sollte weiter erstens – wie bei den genannten Arbeiten der vergleichenden empire-studies einerseits und in Teilen des deutschen Governance-Diskurses – als steter Prozess und nicht als Zustand begriffen werden.62 Bewegungen innerhalb dieses Prozesses sollten zweitensQLFKWPLWGHU'HQNÀJXUYRQ$XIVWLHJXQG9HUIDOO oder anderen, teleologischen Begriffen gekoppelt werden, sondern analytisch als VFKZlFKHUHRGHULQWHQVLYHUH6WDDWOLFKNHLW MHZHLOVPLWVSH]LÀVFKHQ9RUXQG1DFKteilen) benannt werden. Wenn sich weiter der Befund variierender Staatlichkeit soZRKOLQGHQSROLWLNZLVVHQVFKDIWOLFKHQ$QDO\VHQGHU*HJHQZDUWÀQGHWDOVDXFKLQ der historisch-vergleichenden Perspektive für das 19. Jahrhundert,63 sollte man

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loped form of a multi-level governance system of sharing, pooling, or dividing sovereignty“, wohlgemerkt als Ausgangspunkt für weitere Forschung, nicht als provokante These. Für diese Ansicht ist stellvertretend Schuppert 2007 zu nennen, der Souveränität als einen „funktionalen Begriff“ auffasst (252), Veränderungen im Außenverhältnis (Schutz von Menschenrechten entgegen des Prinzips von non-intervention) wie im Innenverhältnis (konsensuale statt hoheitliche Steuerung) aufnimmt und von Souveränität als einem „Mehrebenenbegriff“ spricht (259). Skeptisch dazu bleibt Grimm 2007 (im gleichen Band). Die hier diskutierte Problematik berührt sowohl die Gebiete anderer Disziplinen als auch in der Geschichtswissenschaft andere Epochen. Für den Impuls der Mediävistik, allen voran Otto Brunners, den Staatsbegriff des 19. Jahrhunderts in Frage zu stellen, vgl. m.w.V. Walter 1998, 14 f., Anm. 16 sowie oben Anm. 1. Siehe dazu jetzt weiter den spannenden „Versuch in vergleichender Governancegeschichte“ von Esders/Schuppert i. V. Siehe neben Steinmetz 1999, Morris 2013 und Scheidel 2013 einerseits sowie Schuppert 2010 andererseits auch Möllers 2008, 116: „Die Rede vom ‚Staat‘ als solchem hat von vornherein Unterschiede im Namen eines vermeintlichen Idealtyps unterschlagen.“ Trotz aller Sympathie für pointierte Thesen halte ich daher die Formulierung „Europa hat den Staat erfunden“ (Reinhard 2007, 7) für wenig hilfreich. Besser wäre die – zugegeben leere und auch unschöne – Formulierung: Europa hat den europäischen Staat erfunden. So auch die Perspektive des „Universalhistorikers“ Jürgen Osterhammel (siehe die nächste Anmerkung). Vgl. Schuppert 2010, u. a 128 f. für die „varieties of statehood“, und Osterhammel 2011, 818– 826. Die Kontingenz der europäischen Staatsentwicklung in der Neuzeit wird auch von Tilly 1990, 224 betont.

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auch für die Antike die strikte Dichotomie „Staat / Nicht-Staat“ aufgeben – zumindest Odysseus in Ithaka und Rom unter Diocletian ließen sich so differenzierter darstellen. Am wichtigsten sind dazu drittens die These der Entstaatlichung von Herrschaft und die Figur des Herrschaftsmanagers, der nicht mehr (oder eben noch nicht) alle Schlüsselmonopole alleine erfüllt. Diese zunächst rein auf die Gegenwart bezogene Analyse bedeutet generell, dass organisierte Herrschaft und Staat auch (wieder) getrennt gedacht werden können. Die Frage muss also lauten, in welchem konkreten historischen Verhältnis sie auftreten, welchen Grad an zentraler Organisation die Herrschaft hat. Die Differenzierung von Genschel/Zangl zwischen Entscheidungskompetenz, Organisationsmacht und Legitimationsfähigkeit lässt sich dabei in verschiedener Weise für die Antike allgemein wie auch speziell für die römische Republik fruchtbar machen.64 Man könnte in einer engen Perspektive versuchen, die Institutionen Senat, Magistratur und Volksversammlung diesem Schema zuzuordnen, auch nach „Letztverantwortung“ wäre zu fragen. Man könnte in einer weiten Perspektive überlegen, inwieweit vielleicht gerade in der OrganisaWLRQVPDFKWE]ZRKQPDFKWHLQ6SH]LÀNXPHLQLJHU QLFKWDOOHU DQWLNHU6WDDWVZHVHQ besteht, wohingegen sich Entscheidungskompetenz vielleicht besser zuordnen lässt.65 Eine Berührungsangst vor „Staat“ ist m. E. jedenfalls weder der Sache noch dem Begriff nach nötig ist: Man darf auch für die Antike von „Staat“ und eben besser: Staatlichkeit sprechen, so man denn will. Wie weit das fruchtbar ist, ist eine andere Frage, die erst noch geklärt werden muss. 0(NDQQHLQVLQQYROOHU7HVWQXULQHLQHPÅUHÁHNWLHUWHQ(NOHNWL]LVPXV´EHVWHhen: Zum einen müssen die jeweiligen Implikationen moderner Kategorien und Begriffe genauer betrachtet und beachtet werden. Folgt man einem Autor oder Denker, ist immer explizit zu machen, welcher Staatsbegriff gemeint ist, um welchen Aspekt von Souveränität es geht. Zum anderen aber eröffnet gerade die vergebliche 6XFKH QDFK VFKHLQEDU NODUHQ XQG XQXPVWULWWHQHQ .ULWHULHQ XQG 'HÀQLWLRQHQ GLH Möglichkeit, nicht starre moderne Konzepte auf die Antike anzuwenden, sondern für das historische Material passende auszuwählen. Sind moderne Implikationen erst einmal bewusst und explizit gemacht, können sie in Maßen auch für die histoULVFKH (UNHQQWQLV PRGLÀ]LHUW ZHUGHQ 'D]X VHLHQ LP )ROJHQGHQ HLQLJH %HLVSLHOH diskutiert, zunächst für die mögliche Anwendbarkeit der klassischen Kriterien von Georg Jellinek (3.1), dann für die fruchtbare Differenzierung zwischen Herr64

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Genschel/Zangl 2008, 431: „Herrschaft bedeutet dabei die Fähigkeit, erstens, kollektiv-verbindliche Entscheidungen zu treffen (Entscheidungskompetenz), diese Entscheidungen, zweitens, mit geeigneten organisatorischen Mitteln umzusetzen (Organisationsmacht) und sie, drittens, normativ soweit rechtfertigen zu können, dass sie auf ein hohes Maß an freiwilliger Befolgung durch die Herrschaftsunterworfenen treffen (Legitimationsfähigkeit).“ (Hervorhebungen im Original). Hier ist an Badians Untersuchung über die „Unternehmer im Dienst der Republik“ zu denken: „Als der alte Stadtstaat des Mittelmeeraumes in das volle Licht der Geschichte tritt, wird er, politisch gesehen, von einer kleinen Oberschicht regiert – mit einem Minimum an Personal und Regierungsmaschinerie“ (Badian 1997, 5). Für den „römischen Staat“ konstatiert Badian (6 f.) dann zwei Aufgabengebiete, die er leisten müsste, aber nicht erfüllen konnte: Versorgung und Einziehung von Geldern. Zur Rolle der Administration siehe auch weiter Punkt 4.

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schaft und Staatlichkeit am Beispiel der antiken Piraterie (3.2) und schließlich für einen möglichen (zusätzlichen) Erklärungsansatz zur Krise der römischen Republik an Hand der drei diskutierten Schlüsselmonopole (3.3). Die drei Punkte bauen bewusst nicht aufeinander auf, sondern sollen exemplarisch die Fruchtbarkeit der Kategorie Staatlichkeit an unterschiedlichen Beispielen aus verschiedenen Zeiten der römischen Republik beleuchten. Auch geht es dabei nicht um abschließende Thesen, sondern um Perspektiven und mögliche Ansätze. Allen gemeinsam ist dabei weiter, dass Sie versuchen, die Frage nach Staat und Staatlichkeit von vornherein mit der im Band eingeschlagenen Diskursperspektive zu verknüpfen.

3.1 Jellinek für die Antike? Bei der berühmten Trias von JellinekÀQGHWVLFKGLHJOHLFKH)RUPYRQ ]X HLQIDcher Übernahme oder aber (zu) schneller Ablehnung wie beim Staatsbegriff allgemein. Es ist eine Sache, schlicht zu behaupten, dass man für die römische Republik ein (sich schnell erweiterndes) Staatsgebiet in Italien, ein Staatsvolk der cives Romani und eine Staatsgewalt durch imperium oder potestas ausmachen kann. Aber eine solche Übertragung lässt den historischen Kontext von Jellinek und damit Implikationen der Begriffe außer Acht. Staatsvolk und Staatsgebiet beispielsweise implizieren eben nicht bloß ein Bürgerrecht in einem bestimmten geographischen Raum, sondern beinhalten auch Vorstellungen vom Übergang von personaler hin zu territorialer Herrschaft, hoheitlicher Rechtsdurchsetzung im Gebiet und äußerer Souveränität wie im westfälischen Modell.66 Nun wäre zu überlegen, solche ImpliNDWLRQHQEHZXVVWZHJ]XODVVHQ'RFKLVWEHLVROFKHU0RGLÀ]LHUXQJYRUHLQHU%Hgriffsentleerung zu warnen: Benutzt man Jellineks Trias ganz allgemein und völOLJRKQHVSH]LÀVFKH%HGHXWXQJHQSDVVWVLHDXIIDVWDOOH*HPHLQZHVHQXQGYHUOLHUW damit ihren heuristischen Wert.67%HVVHULVWHLQ0LWWHOZHJGHUYRQPRGHUQHQ'HÀnitionen ausgeht oder inspiriert ist, die jeweiligen Implikationen kennt und evtl. DXFKPRGLÀ]LHUWVLFKDEHUEHLGHU$UEHLWDPVSH]LÀVFKHQ0DWHULDOYRQIHVW]XVWHOlender Differenz anregen lässt. Die Rede von einem Staatsgebiet dürfte dazu führen, dass man nicht nur Differenzen feststellt zwischen der res publica und dem Staat à la Westphalian State. Sie schärft vielmehr auch den Blick für Fragen nach römischen Raum- und Ord66

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Vgl. nur Jellinek 1914, 395 selbst, der hier einen Unterschied zur Antike festhält. Interessant sind weiter seine Ausführungen zum pater familias: „Der Römer hat selbstständige, vom Staat nicht abgeleitete und nicht einmal von ihm kontrollierte Herrschergewalt, die einer Staatsgewalt gleicht. Von einer kleinen Monarchie unterschied sich, an unseren Begriffen gemessen, die römische Familie nur dadurch, daß sie kein Gebiet hatte, sondern reiner Personenverband war“ (313 f.). Für Kritik an der Drei-Elemente-Lehre, die allein nicht ausreichend sei, vgl. schon Krüger 1966, 145 f. und Herzog 1971, 85–89, siehe dann aber Kersten 2000, 229–308. Vgl. zur Jellinekschen Staatstheorie darüber hinaus ausführlich Möllers 2011, 12–35. In den berühmten drei Elementen den „Minimalkonsens“ hinsichtlich des modernen Staates zu sehen (Gallus 2007,  PDJVWLPPHQOLHJWDEHUZLHKlXÀJEHL.RQVHQVZRKOGDUDQGDVVJDQ]8QWHUVFKLHGOLFKHV damit verbunden wird.

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nungsvorstellungen mit der konstitutiven Unterteilung der Welt in die Bereiche domi et militiae und dem pomerium als Grenze.68 Während im Bereich außerhalb der Stadt, rechtlich betrachtet, Kriegsrecht herrschte und Feldherren ihre eigenen Soldaten ohne Verfahren hinrichten lassen konnten, durften im Gebiet der Stadt keine Waffen getragen werden und konnten Volkstribune Bürger vor magistratischer Gewaltausübung schützen. Nimmt man hinzu, dass „Staatshandlungen“ ja fast ausschließlich in Rom – wiewohl nicht nur innerhalb des pomerium²VWDWWÀQden konnten, könnte man zugespitzt fragen, ob sich das Staatsgebiet auf die Stadt beschränkt hat. Bei der Frage nach einem Staatsvolk stößt man auf die merkwürdige, aber notwendige Differenzierung zwischen Gemeinschaft der Bürger und Staatsvolk, die in der römischen Republik in einer vielleicht singulären Weise auseinander treten. Denn während das römische Bürgerrecht im Sinne des Rechts auf einen ordentlichen Prozess überall galt,69 wurde der populus Romanus keinesfalls aus der tatsächlichen Summe aller cives Romani gebildet. Stattdessen wurde der populus Romanus von denjenigen repräsentiert, die sich zu einer durch Magistrate einberufenen Volksversammlung eingefunden hatten. Wer auch immer gerade kam und wie viele auch immer es nur waren, die Entscheidung galt nicht bloß „für das ganze „Staatsvolk,“ sondern auch als „von dem ganzen Staatsvolk“ getroffen (vgl. den Beitrag von Martin Jehne).70 (VEOHLEWGLH²KlXÀJDOVÅGDVHQWVFKHLGHQGH0HUNPDOGHU6WDDWOLFKNHLW´DSRVtrophierte – Kategorie der Staatsgewalt.71 Während man nach „außen“ mit Blick auf die römischen Legionen hier weniger Probleme vermutet, sind beim Blick nach „innen“ und der Perspektive auf die Stadt Rom einige Einwände zu erheben, wie das Fehlen einer Polizei oder auch nur eines funktionalen Äquivalents dazu und 68

Zum pomerium und der Unterscheidung der Bereich domi et militae vgl. nur Mommsen StR I, S. 66 f., dann Rüpke 1990, 35 f., Liou-Gille 1993, Beard/North/Price 1998, 177–181 und Drogula 2007. 69 Berühmt ist der Fall des Apostel Paulus, der sich gegen die Geißelung durch Soldaten verwahrt und mit Bezug auf sein römisches Bürgerrecht sowohl einen Prozess als auch die Überstellung nach Rom bewirkt, vgl. dazu Nippel 2003. Dabei ist nach Nippel für die Zeit der Republik von einer Ausweitung der provocatio (Recht auf einen Prozess) für die Provinzen auszugehen, erst unter Augustus jedoch auch mit der Möglichkeit zu rechnen, einen Prozess in Rom beantragen zu können (367–370). 70 Die gängige Sicht, der Staat sei rechtlich nichts anderes als die Gemeinschaft seiner Bürger (vgl. bspw. Kaser 1992, 87), muss also zumindest differenziert werden. Siehe auch Ando 1999, 14 für das (Verständnis-)Problem der Griechen, dass der populus Romanus eben nicht dem demos entsprach. Nicht problematisch für die Antike (oder die Althistoriker) ist dagegen die „Divergenz auch zwischen dem Kreis der Gewaltunterworfenen und dem der Staatsangehörigen“ (Zippelius 1994, 71), also zwischen Bürgern auf der einen Seite und geduldeten Ausländern, Frauen oder Sklaven auf der anderen Seite. Für die letztlich auf Statistik beruhende diskursive „Produktion“ eines Staatsvolks, das – ebenso wenig wie Bevölkerung – einfach vorgefunden werden könne, vgl. (am Beispiel Venedigs im 17. und 18. Jahrhundert) die Bemerkungen von Landwehr 2011, bes. 393 f., der sich schon 2007 eingehend mit dem Zusammenhang von Landvermessung, Demographie und Staatlichkeit beschäftigt hat. 71 0|OOHUV   6LHKH IU GLH 'HÀQLWLRQ GHV 6WDDWHV DOV JHVHOOVFKDIWOLFKH Å/|VXQJ´ GHU Frage nach innerem Frieden weiter Buchheim 1988, 1 f. u. passim (wobei Frieden bei ihm nicht immer mit „Recht“ im Einzelfall einhergehen muß, 10), was u. a. von Eder 1990, 20 aufgenommen wird (vgl. oben Anm. 33).

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damit zusammenhängend der große Stellenwert der Selbsthilfe, die wichtige Rolle sozialer Rügebräuche und eine vermutlich höhere Toleranz gegenüber Gewalt.72 So richtig und wichtig alle diese Feststellungen sind, sprechen sie zwar für eine aus heutiger Sicht schwach ausgeprägte Staatlichkeit, aber aus zwei Gründen nicht gegen die Kategorie der Staatsgewalt als solche. Denn erstens ist, historisch-sachlich EHWUDFKWHWÅGDV*HZDOWPRQRSRO>«@QLFKWHLQJOHLFKVDPQDWXUJHJHEHQHV'HÀQLWLonsmerkmal des ‚modernen‘ Staates, sondern ein historischer Extremzustand, der nur vorübergehend angestrebt und erreicht wurde“, und zweitens ist unter Staatsgewalt, juristisch-analytisch gesprochen, erst einmal nichts anderes als die legitime Ausübung der höchsten Gewalt zu verstehen.73 An einer prinzipiellen Legitimität der Handlungen und Befehle ihrer Magistrate, ausgestattet mit potestas, imperium und Koerzitionsgewalt, oder auch der Volkstribune haben die Römer nicht gezweifelt. Gleiches gilt für die sie begleitenden Liktoren und auch für die Rolle von Bürgern, Klienten oder Sklaven als Helfern bei der Verfolgung von Verbrechen, beim Bewachen von Stadttoren oder anderen Hilfsdiensten;74 eine starke Staatlichkeit hat hierfür spezielles Personal, aber zur Ausübung der Staatsgewalt können 72

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Für die Rolle der Gewalt in Rom siehe bes. Lintott 1968, zur Selbsthilfe ebenfalls Lintott 1968 und 2008 sowie Nippel 1995, 35–39 und Fuhrmann 2012, 49–52. Für die (moderne) Frage nach einer Polizei vgl. Meier 1971, 396–400 (kritische Rezension zu Lintott 1968) sowie dann vor allem Nippel 1988, bes. 7–10 und 1995, bes. 1–3; 113–119. Klassisch bereits Finley 1983, 18: „The ancient city-state had no police other than a relatively small number of publicly owned slaves at the disposal of the different magistrates, from archons and consuls down to market-inspectors […]. That is hardly surprising: The organized police force is a nineteenth-century creation.“ Für den Vergleich der öffentlichen Ordnung zwischen Athen und Rom siehe Yakobson 2011. Osterhammel 2011, 822. Dass es nicht um ein tatsächliches Monopol in der Ausübung von Gewalt, sondern um das Monopol bezüglich der legitimen Ausübung geht, beruht auf den DeÀQLWLRQHQYRQ0D[:HEHU YJOXD VLHKHREHQ$QP(VEOHLEWGHQQRFKGLH Kategorie, bei deren Nicht-Erfüllung man am ehesten geneigt zu sein scheint, einem Gebilde die Staatsqualität abzusprechen, bei failed-states im modernen Afrika ebenso wie für Herrschaftsgebilde in der Vormoderne, vgl. Gallus/Jesse 2007, 5: „Erst in dem Moment, in dem der Staat sein Gewaltmonopol nicht mehr durchzusetzen weiß, ist das Wort von der ‚Krise des Staates‘ berechtigt.“ Schon Brunner 1965, 17 sah ja gerade in der „Ausschaltung der Selbsthilfe und im besonderen der Fehde ein zentrales Problem in der Geschichte mittelalterlicher Staatlichkeit.“ Wie sehr aber die Fokussierung auf das Gewaltmonopol „für die historische Untersuchung von Staatlichkeit ein Erkenntnishindernis“ sein kann, unterstreicht Möllers 2011, 214–227, hier 225; im Hintergrund steht, dass die für Historiker interessante tatsächliche Durchsetzungsmacht immer beschränkt ist, für den Juristen Geltung aber immer nur in der Entweder-Oder Form auftritt (224), siehe weiter für dogmatische Begründungsschwierigkeiten der Staatsgewalt ebd. 272–284; zu Möllers Studie siehe weiter auch die Bemerkungen von Frankenberg 2010, 67 f. Dennoch bleibt es überraschend, davon zu lesen, dass Honduras die Gründung privater Stadtstaaten mit eigenen Gesetzen, Gerichten und Sicherheitskräften erlauben will (Methling 2012). Die Rolle der Bürger als Denuntianten oder Aufdecker sowie als Bewacher von Stadttoren lässt sich z. B. bei der Niederschlagung der Bachanalien-Affäre 186 (Liv. 39,16,4 und 13) oder der Catilinarischen Verschwörung 63 fassen (Sall. Cat. 30,7, vgl. auch Cic. Cat. 2,26). Zur Rolle der Liktoren, die zwar Personen in der Menge zur Seite schieben (populum summovere) und dem Magistraten Ehrerbietung und Gehör verschaffen konnten, aber (schon auf Grund der Aufstellung in einer langen Reihe) weder als Leibwache noch (auf Grund der Anzahl) als eine

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grundsätzlich natürlich auch „Nicht-Staatsdiener“ hinzugezogen werden, wobei die Legitimität ihrer Handlungen eben durch den befehlenden Magistraten und entsprechende Beschlüsse von Senat und Versammlungen erzeugt wird (wie im Übrigen heutzutage bei „privaten“ Sicherheitsdiensten im „öffentlichen“ Raum auch). Die Vorstellung, in Magistraten und Liktoren eine Form von Staatsgewalt zu sehen, wird weiter im Umkehrschluss darin bestätigt, dass sich zumindest Cicero an der missbräuchlichen Verwendung von Hoheitszeichen störte: In der zweiten Rede gegen das Ackergesetz (63 v. Chr.) berichtet er empört von einer Begebenheit, die er zwanzig Jahre zuvor in Capua erlebt hatte. Die führenden Magistrate der Kolonie, die überall sonst duumviri, also schlicht „Zweimänner“ genannt würden, ließen sich als praetores anreden und ihre örtlichen Liktoren nicht, wie angemessen, mit normalen Stäben, den bacilla, sondern mit fasces voranschreiten, welche nur den Liktoren in Rom zuständen.75 Für uns ist der Unterschied beider Stäbe schwierig zu rekonstruieren. Es wird, das hat Thomas Schäfer herausgearbeitet, Cicero um die „unterschiedliche staatsrechtliche Qualität curulischer und munizipaler Runtenbündel“ gegangen sein: Während erstere mit den Beilen die Koerzitionsgewalt des Magistraten außerhalb Roms symbolisierten, blieben letztere immer dem lokalen Bereich verhaftet.76 Öffentliche Ordnung musste in allen Städten lokal gewährleistet werden, legitime Staatsgewalt aber, so die Botschaft, gab es eben nur in bzw. durch Rom. Dementsprechend wurden die römischen Bürger und Verschwörer Catilina und Manlius genau in dem Moment zu Feinden (hostes) erklärt, als sie sich mit der $XIQDKPHYRQ5XWHQEQGHOQXQGPLOLWlULVFKHQ$E]HLFKHQGLHRIÀ]LHOOHU|PLVFKH Kommandogewalt anmaßten.77 Da Legitimität immer eine Geltungsbehauptung ist, die symbolisch codiert wird, eignet sich die Kategorie der Staatsgewalt besonders gut für die Suche nach Staatsdiskursen,78 und zwar gerade bei der eben schon aufgeworfenen Frage nach der Reichweite legitimer Gewalt, also, wenn man denn möchte, der Frage von 6WDDWVJHZDOWXQG6WDDWVJHELHW7UHIÁLFKHV%HLVSLHOGDIUVLQGGLH5HJHOXQJHQGHV Senats im Zuge der Aufdeckung und Niederschlagung der berühmten Bacchanalien-Affäre von 186 v. Chr. Der Senatsbeschluss sah die Zerstörung der Kultstätten und das Verbot der Kultausübung vor, und zwar nicht nur in Rom, sondern in ganz Italien – omnia Bachanalia Romae primum, deinde per totam Italiam.79 Nun ist das

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paramilitärische Eingreiftruppe vorstellbar sind und somit angewiesen bleiben auf die Akzeptanz ihrer Handlungen, vgl. vor allem Gladigow 1972, dann Nippel 1988, 23 f. und Goltz 2000. Vgl. Cic. leg. agr. 2,93. Schäfer 1989, 199; zu den unterschiedlichen Attributen römischer und lokaler Liktoren dort 197–200. Siehe für eine Darstellung auch die Rückseite von RRC 480/6 (weiter unten, Abb. 3). Sall. Cat. 36,1 f.: cum fascibus atque aliis imperi insignibus in castra ad Manlium contendit. Haec ubi Romae coperta sunt, senatus Catilinam et Manlium hostis iudicat. Zur hostis-Erklärung siehe Ungern-Sternberg 1970, 111–122; zur Reaktion auf Catilina als Frage der Staatsraison vgl. Lundgreen 2012. Für die Kategorie von Geltungsbehauptungen und den Zusammenhang mit Diskursen und Praxen siehe Dreischer et al. 2013. Liv. 39,18,7. Die insgesamt harte Reaktion hat viel mit dem römischen Religionsverständnis zu tun. Wenn für das Wohlwollen der Götter und damit die allgemeine Ordnung die korrekte Ausführung der Rituale, der Vollzug der Opfer und das Sprechen von Formeln entscheidend sind,

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tota Italia wohl nicht wörtlich zu nehmen bzw. auf die augusteische Entstehungszeit des livianischen Berichts zu beziehen. Es bleibt der Anspruch der Stadt Rom, innere Angelegenheiten der Verbündeten zu regeln.80 Dies wird besonders deutlich an der detaillierten Ausnahmemöglichkeit beim Kultverbot: Glaubte jemand, aus religiösen Gründen nicht auf diesen Kult verzichten zu können, konnte er beim Stadtprätor in Rom eine Ausnahme beantragen, dieser sollte dann den Senat befragen und der Senat konnte, bei einem Quorum von mindestens 100 anwesenden Senatoren, eine solche Genehmigung erteilen – allerdings durften nie mehr als fünf Personen an der Opferhandlung beteiligt sein und es durfte weder einen Kultvorsteher noch eine gemeinsame Kasse geben. Inhaltlich wird die Angst einer vormodernen Gesellschaft vor nicht zu kontrollierenden Organisationsformen von Teilgruppen deutlich,81 formal lässt sich der Regelungsanspruch allein durch und in Rom m. E. sehr gut mit den Kategorien von Entscheidungskompetenz und Legitimationsfähigkeit und damit zwei der drei Schlüsselmonopolen beschreiben, allein über die Frage der tatsächlichen Umsetzung und damit der Organisationsmacht sind wir nicht informiert, was aber für die Figur des Herrschaftsmanagers weniger wichtig ist als für den – gar nicht mehr unbedingt zu suchenden – Herrschaftsmonopolisten. Der symbolische Anspruch der römischen Staatlichkeit wird weiter noch durch die Art der Quelle selber untermauert. Denn neben dem literarischen Bericht des Livius über den Senatsbeschluss hat sich auch dieser selbst erhalten, in Form einer Inschrift, die das Senatusconsultum de Bacchanalibus auf Bronze festhielt.82 Und dass die Inschrift 1614 in Tiriolo, einem kleinen Ort im heutigen Kalabrien, gefunden wurde (und nicht etwa in Rom), spricht dafür, dass der Senat seine Regelungen nicht nur für sein ganzes Staatsgebiet erließ, sondern sie überall in seinem Staatsgebiet aufstellen ließ.83 Dies unterstreicht den Charakter des SC de Bacchanalibus als

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bildet Devianz hier eine Gefahr für alle; vgl. hier bes. Linke 2000. Zur Bacchanalien-Affäre insgesamt siehe die große Studie von Pailler 1988 sowie North 1979 und Nippel 1997. Zum Geltungsbereich vgl. Cazanove 2000, bes. 67. Der von Livius (39,13,14) Hispala in den Mund gelegte Satz, es handele sich fast schon um ein zweites Volk (alterum iam prope populum), deutet nicht nur auf die hohe Zahl der Verschwörer, sondern vor allem auf deren Organisation und Selbstverständnis, vgl. Nippel 1997, 72 f. sowie North 1979, 93 f., der besonders auch die Mischung der Bacchanalien-Anhänger (Sklaven/ Freie; Männer/Frauen; Alte/Junge; Reiche/Arme) betont, die man daher nicht richtig zuordnen konnte, was sie noch suspekter machte. Ziel sind nicht also nicht Überzeugungen oder Handlungen Einzelner, sondern Organisationsstrukturen: Eine Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft – hierin wurde von den Römer die Bedrohung ihrer Sicherheit gesehen und dagegen ging man entschlossen vor. Vgl. auch Pfeilschifter in diesem Band, 154. CIL I2 581 = ILLRP2 ,/67H[WXQGGHXWVFKHhEHUVHW]XQJÀQGHQVLFKLQ6FKXPDFKHU 2001, 79–83. Es handelt sich dabei um eine der ganz wenigen erhaltenen Bronzetafeln und eines der ältesten inschriftlichen Zeugnisse zur römischen Geschichte überhaupt. Für die Differenzen zwischen dem livianischen und dem inschriftlichen Text siehe Gelzer 1936, 265. Der 5HJHOXQJVDQVSUXFKGHV6HQDWVÀQGHWVLFKVSlWHUDOVDEVWUDNWH1RUPDXFKEHL3RO\E wofür die Vorfälle von 186 sicherlich den Hintergrund bilden: „Ebenso befasst sich der Senat mit all den Rechtsverletzungen in Italien, die einer Verfolgung von Staatswesen unterliegen, z. B. Verrat, Verschwörung, Giftmord oder Meuchelmord“ (Übersetzung: H. Drexler), vgl. Walbank 1970, 680. Vgl. Cazanove 2000, 63.

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Staatsdiskurs, als eine im wahrsten Sinne weitreichende Regelung, als einen, wenn man so will, Staatsdiskurs in Bronze, welcher den Anspruch römischer Staatlichkeit inhaltlich wie performativ verkörperte.

Abb. 1 Bronzeinschrift „Senatus Consultum de Bachanalibus“, 186 v. Chr. KHM Wien.

Ist die Perspektive erst einmal derart geschärft und auf das Hineinragen römischer Staatlichkeit in den italischen Raum bzw. auf die Intensivierung römischer Staatlichkeit in Italien geeicht, lässt sich (spätestens) im sogenannten Bundesgenossenkrieg (91–88 v. Chr.) eine „Gegenbewegung“ erkennen. Entgegen älteren Auffassungen in der Forschung ging es hier eben nicht um eine stärkere Integration oder das römische Bürgerrecht, sondern um die Bewahrung eigener, lokaler Strukturen in einem Bundesstaat.84(VELOGHWHQVLFKMHGHQIDOOVLP/DXIHGHV.RQÁLNWVLQNXU]HU Zeit gegen- bzw. eigenstaatliche Strukturen inklusive einer neu gegründeten HauptVWDGW &RUÀQLXP KHUDXVV\PEROLVFKZLHGHUXPYHUGLFKWHWLQPDWHULHOOHU+LQWHUODVVHQVFKDIWKLHULQGHU0Q]SUlJXQJGHVLWDOLVFKHQ6WLHUHVGHUGLHU|PLVFKH:|OÀQ niederstieß – wenn man so will, ein italischer Gegendiskurs in Silber, gegen das weitere Ein- und Vordringen der römischen Staatlichkeit.85 84 85

So die neue und pointierte Deutung von Mouritsen 1998; vgl. auch die konzisen Bemerkungen von Linke 2012, 101–104. Siehe zu den Prägungen der italischen Alliierten insgesamt Burnett 1998, der sowohl die 0HQJHDQ0Q]HQ ÅSURGXFHGRQDIDLUO\ODUJHVFDOH´ÅVLJQLÀFDQWPRQHWDU\UROHLQWKHÄ,WDOLDQ

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Abb. 2: Münze mit oskischer Inschrift, um 90 v. Chr. Auf der Vorderseite der Kopf des EHNUlQ]WHQ%DFFKXVDXIGHU5FNVHLWHVW|‰WGHULWDOLVFKH6WLHUGLHU|PLVFKH:|OÀQQLHGHU Imagines Italicae, Italia 1, p.74, 428; British Museum, London.

Generell gilt: Niemand muss mit diesen Kriterien von Staatsvolk, Staatsgebiet oder Staatsgewalt in der Antike operieren. Nur umgekehrt leuchtet es nicht ein, ihre Anwendbarkeit für die Antike mit dem Hinweis auf die Kriterien Webers oder Jellineks generell zu bestreiten, wenn gleichzeitig festgestellt wird, dass eben diese Kriterien in unserer Gegenwart kaum mehr sinnvoll zu benutzen sind.86 Und gleiches gilt für den mit diesen hier diskutierten Begriffen ja eng verknüpften Souveränitätsbegriff. Grimm hat gezeigt, welche Bestandteile immer vorhanden waren und einen Minimalkern gebildet haben (letztinstanzliche Entscheidungskompetenz), auf den dann, beginnend mit Bodin (Rechtssetzung statt bloßer Rechtsdurchsetzung) aufgebaut wurde. Die Neu-Justierung des Begriffs in der Gegenwart erlaubt es nun nicht nur, über eine Anwendung in der Antike zumindest nachzudenken. Die Rede von der Rückkehr in angeblich „mittelalterliche Verhältnisse“ (Reinhard, Grimm) legt eine Überprüfung der althistorischen Ablehnung des Konzepts für die Antike als „vor-souveränen Zustand“ (Christian Meier) sogar nahe.87

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State‘“, 166) als auch deren Propaganda-Funktion betont: „If one is allowed to use the word ÄSURSRJDQGD¶WKHQWKH,WDOLDQFRLQVKDYHDJRRGFDVHIRUEHLQJUHJDUGHGDVWKHÀUVWFRLQVSURduced as propaganda, in the sense that their existence and the symbols they bore were intended to convey a simple and strong message of common identity and hostile distinction from a speFLÀFHQHP\´  OHW]WHUHVLVWEHVRQGHUVLQWHUHVVDQWGDHV]XVDPPHQPLWGHP9HUZHLVDXI Feldherren anstelle der Münzmeister römische numismatische Entwicklungen um einige Jahre vorwegnimmt (170 f.), vgl. gleich weiter im Text. Schon auf Grund dieses „Gegendiskurses“ ist GHU.RQÁLNWDXFKDOVÅlX‰HUHU´XQGQLFKWDOVÅLQQHUHU´.ULHJDQ]XVHKHQXQGPDQNDQQKLHU bereits das Phänomen der „Kunst als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln“ beobachten, wie es aus der Frühen Neuzeit hinlänglich bekannt ist, auch wenn die Form der Auseinandersetzung hier noch lange nicht ein ähnliches Niveau erreicht hat; vgl. exemplarisch Polleross 1978 für die elaborierte Rivalität zwischen Frankreich und Österreich bezüglich der Sonnensymbolik im 17. Jahrhundert. Vgl. die Ausführungen oben. Weiter liest man beispielsweise bei Reinhard 2007, 102: „Der moderne Staat […] hat bereits aufgehört zu existieren. Vor allem das Kriterium von Modernität schlechthin, die einst dem Ancien Régime abgerungene Einheit von Staatsvolk und Staatsgewalt, Staatsgebiet und Staatshoheit (Souveränität) trifft kaum mehr zu.“ Zum pessimistischen Ton vgl. oben Anm. 56. Grimm 2009; Reinhard 2007; Meier 1997, 57. Umgekehrt scheint es nicht sinnvoll, bei der

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3.2 Piraterie und Staatlichkeit Nicht überraschend wird die Kategorie der Staatlichkeit in der Gegenwart gerade da diskutiert, wo die eben diskutierten Felder von Staatsgewalt und Souveränität irritiert werden, so beispielsweise bei der Piraterie. Diese ist aber nun beileibe kein Phänomen der Moderne. In der Odyssee Homers taucht an gleich zwei Stellen eine KLHUIUVLJQLÀNDQWH)UDJHDXI²HLQPDOYRP.\NORSHQ3RO\SKHPJHULFKWHWDQGHQ mit seinen Männern gestrandeten Odysseus, das andere mal von Nestor an den seinen Vater suchenden Telemachos: „Fremdlinge, sagt, wer seid ihr? Von wannen trägt euch die Woge? | Habt ihr wo ein Geschäft, oder kreuzt ihr ohne Bestimmung | Hin und Her auf der See, wie landumirrende Räuber, | Die das Leben wagen, um bei den Fremden zu plündern?“88 In einer solchen Begrüßung Fremder erscheint Piraterie als relativ normales Geschäft; und ganz ähnlich ist auch der Rückblick späterer Griechen auf diese Frühzeit. Der Historiker Thukydides schildert, wie sich GLHPlFKWLJVWHQ0lQQHUDXIGLH6HHUlXEHUHLYHUOHJWHQ]XPHLQHQXP3URÀW]XPDchen, zum anderen um Nahrung für die Schwachen zu erhalten, was ihnen anstelle von Schande sogar Ruhm einbrachte.89 Burkhard Meissner hat dargelegt, wie die homerische Zeit (8. Jahrhundert) insgesamt Plünderungen von entfernt liegenden Küsten als Erwerbsform kennt; neben Piraterie im kleinen tritt der „private“ Beutekrieg der Ilias im großen.90 Zur Zeit von Thukydides und Herodot (5. Jahrhundert) hat sich das Bild allerdings bereits deutlich geändert, vor allem weil beide vor dem Hintergrund des Delisch-Attischen-Seebundes schreiben. Aus Sicht der Seemacht Athen, die an freiem Handel und einer funktionierenden Versorgung der Stadt interessiert war, waren peirates vor allem eines: Störer der Ordnung, die ausgegrenzt und bekämpft wurden. Wenn am Ende des Peloponnesischen Kriegs Piraten wieder vermehrt aufkamen und sogar als Freibeuter oder Kaperfahrer im Krieg agierten, zeigt dies genau den Zusammenhang von schwacher Staatlichkeit und Piraterie, der letztlich bis heute für das Phänomen kennzeichnend ist.91

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Adaption moderner Kriterien eine juristische Kategorie ihrer juristischen Komponente zu berauben. Demandt 1995, 30 z. B. will die juristische Komponente der Souveränität „weglassen“ und rein auf die tatsächliche Kapazität zur Kriegsführung abstellen, dementsprechend auch San Remo und andere „Zwergstaaten“ der Gegenwart nicht als Staaten gelten lassen. Hiergegen ist – wie auch gegen Carl Schmitt – mit Mahlmann 2007, 273 festzuhalten, dass „nicht faktische Unabhängigkeit eines Souveränitätssubjektes, sondern normative Letztinstanzlichkeit“ entscheidend sind; vgl. ebenfalls Randelzhofer 2004, § 17, 26. Der Clou ist ja gerade die rechtliche, nicht die tatsächliche Gleichheit in Art. 2 der UN. Fragen nach einer tatsächlichen Autarkie (Demandt loc. cit.) haben mit dem Begriff also nichts zu tun. Dann sollte man eher – wie Badian 1984, 398 – den Begriff für die Antike ganz meiden. Dies mag man auch für sinnvoll halten, es ist aber nicht a priori zwingend geboten. Hom. Od. 3,71–4 bzw. 9,252–255 (Übersetzung J. H. Voss); vgl. Souza 1999, 18 f. Thuk. 1,5,1. Vgl. Meißner 2012, 27. Der Absatz zur Piraterie im griechischen Raum folgt hier insgesamt eng der gelungenen Skizze von Meißner; siehe zur Piraterie in der Antike generell Souza 1999 sowie zu Piraten allgemein Bohn 2003. – Für den ebenfalls zunächst nicht unüblichen Privatkrieg zu Lande siehe Timpes Skizze zur Entwicklung des „Kriegsmonopols des römischen Staates“ (Timpe 1990, vgl. oben Anm. 33). Vgl. für die Antike hier Meißner 2012, 30 f., Souza 2012, Gabrielsen 2013 sowie allgemein die

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Stärker als Gelegenheitsdiebe oder auch Räuberbanden an Land, sind Piraten auf sichere Rückzugsräume angewiesen, die nicht nur ihnen selbst Sicherheit bieten, sondern in denen z. B. auch Schiffe gebaut oder repariert werden können. Piraterie ist schon deshalb weniger ein Phänomen Einzelner, als vielmehr größerer Gruppen, entweder mit Rückhalt in der lokalen Bevölkerung oder sogar in Personalunion mit lokalen Eliten. Neben eigenen Raubzügen bot es sich in der Welt des 0LWWHOPHHUVGDEHLKlXÀJDQVHLQH)lKLJNHLWHQ]XU6HHJHJHQ(QWORKQXQJLQGHQ Dienst der einen oder anderen rivalisierenden Großmacht zu stellen. Raimund Schulz spricht in diesem Zusammenhang davon, dass sich „bereits Ende des 4. Jahrhunderts ein internationaler Markt“ etablierte, „der von fast allen Mächten frequentiert wurde.“92 Auch Rom war auf diesem Markt ein guter Kunde. Schulz hat GDVNRPSOH[H%H]LHKXQJVJHÁHFKWGHUU|PLVFKHQ([SDQVLRQXQGGHU3LUDWHULHLP Mittelmeer luzide erhellt: Kooperation mit kampanischen und latinischen Seefahrern erlaubte es den Römern, sich zunächst auf die Landeroberung Italiens zu konzentrieren, später halfen ihnen diese bei der Versorgung römischer Truppen in Übersee. Der letzte Punkt zeigt auch erneut auf, wie dünn die Grenze zwischen Unternehmern zur See und Piraten war, von Interesse für Seefahrer war schlicht der 3URÀW-HPHKU*HZLFKWGHU+DQGHOEHNDPDQGHPGDQQDXFK0LWJOLHGHUGHVU|PLschen Adels partizipierten, umso ärgerlich wurden „fremde“ Piraten, gegen die dann, beispielsweise vor der Küste Illyriens, „staatlich“ vorgegangen wurde. Auch im Osten waren die zur See fahrenden Gemeinwesen von Rhodos oder Pergamon zunächst wichtige Verbündete der Römer; und doch bedeutete die große römische Eroberung im Osten auch eine Veränderung der „Marktsituation.“ An die Stelle konkurrierender Mächte mit „mittelstarker Staatlichkeit“ trat die alleinige Herrschaft Roms mit zunächst „schwacher Staatlichkeit.“ Und der römische Anspruch auf Steuerleistungen z. B. traf auf einerseits nun geschwächte („entstaatliche“) lokale Strukturen und anderseits einen nicht unverständlichen lokalen Unwillen. Die Piraten, in seltener Einigkeit, konnten sich in dieser Situation anbieten, den neuen Steuereintreibern einen Teil des Gewinnes wieder abzunehmen. Sie etablierten sich mit Hilfe lokaler Eliten als Machtfaktor im Mittelmeer und wurden für die römische Republik wenngleich nicht zu einer elementaren Bedrohung, so doch zu einem erheblichen Ärgernis – ähnlich wie heutzutage am Horn von Afrika.93

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Beiträge in Grieb/Todt 2012a, darin bes. der abschließende schöne Längsschnitt von Grieb 2012 und die Einleitung von Grieb/Todt 2012b, die von den beiden Kausaldreiecken Krieg, Handel und Piraterie sowie Staatlichkeit, Internationalität und Existenzsicherung sprechen (11). Siehe weiter z. B. Bohn 2003, 11 f. für die Rolle der Vitualienbrüder Ende des 14. Jahrhunderts als Helfer Stockholms gegen Dänemark („Union von Kalmar“) einerseits wie auch als %HGURKXQJ GHV +DQGHOV XQG GDPLW GHU +DQVH  DQGHUHUVHLWV 'LH .DWHJRULH GHU KLHU KlXÀJ einschlägigen asymmetrischen Kriege erlaubt offensichtlich viele fruchtbare Längsschnitte, vgl. Schulz 2006; sowie allg. Heuser 2013, u. a. 133–141. Umgekehrt sind stehenden Flotten ein Indiz für stärkere Staatlichkeit (vgl. dazu auch Karsten/Rader 2013, 14–21 sowie Linke 2013 und seinen Vortrag über „Seerüstung und staaliche Strukturen in der Vormoderne,“ gehalten auf der Tagung „Sea Power in Antiquity“ 12.–14. Dez. 2013 in Berlin). Schulz 2000, 432. Für den Zusammenhang von (nicht) funktionierenden Herrschaftsstrukturen und Piraterie vgl. auch Tröster 2009, 20. Diese Skizze folgt maßgeblich Schulz 2000 und 2006. Siehe daneben Pohl 1993 und Souza

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Wann und wie auf ein Ärgernis reagiert wird, ist immer eine Frage von Interessen, Motiven und Reaktionsschwellen. So wurden im Jahr 100 v. Chr. mit einer lex de provinciis praetoriis gleich mehrere Statthalter aufgefordert, konzertiert gegen die Piraten vorzugehen, der Aktion fehlte insgesamt aber ohne ein gemeinsames Kommando und ohne ausreichende Ressourcen die große Wirkung.94 Mit der Zeit aber kam es zu Brandschatzungen und Entführungen, sogar im Landesinneren, auf der Via Appia zwischen Rom und Brundisium. Und zu den Entführungsopfern, die meist gegen hohes Lösegeld wieder freigelassen wurden, gehörten die Tochter des berühmten Redners M. Antonius ebenso wie der junge C. Iulius Caesar bei seiner hEHUIDKUWQDFK5KRGRV$XFKKDWWHQGLH3LUDWHQPLWWOHUZHLOHVWHKHQGH.ULHJVÁRWten, die sogar im Winter über das Mittelmeer segeln konnten und zeitweise – wenngleich wohl auch in Rücksprache mit auf Teuerung hoffenden Getreideproduzenten und Händlern – römische Legionen in den Provinzen wie auch Italien selbst von der Versorgung abschnitten; 67 schließlich griffen Piraten die Hafenstadt Ostia an, versenkten eine römische Flotte und setzten die Kornspeicher in Brand.95 Die Reaktion der römischen Elite auf die Vorkommnisse kann sehr wohl als eine Verstärkung der staatlichen Kontrolle über ihr Reich gelesen werden, denn mit der Eroberung von Kreta, Zypern und Syrien zu Beginn der 60er Jahre des ersten Jahrhunderts wurden Rückzugsgebiete besetzt und die Form direkter Herrschaft – oder eben „Staatlichkeit“ – intensiviert. Dies war auch die Taktik des Pompeius, der 67 ein großes Kommando mit nie dagewesenen Vollmachten bekam96 und das Mittelmeer (angeblich) in nur 88 Tagen von Piraten befreite. Seine Strategie bestand – neben dem systematischen Vorgehen gegen Stützpunkte, was die meisten Piraten nach Kilikien trieb,

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2012, der gegenüber Schulz den Aspekt des „aggressive Imperialism“ der Römer stärker betont. – Für die Situation heutzutage siehe z. B. Johns 2012 oder Feldt 2012; für das Interesse der Seefahrer an Beute und sicherem Rückzug, wofür eine nur schwach ausgeprägte Staatlichkeit „eine sehr gute, jedoch zugleich nicht die einzige oder sogar notwendige Voraussetzung“ ist, siehe Grieb 2012, 299. Vgl. hierzu Pohl 1993, 216–256; siehe unter der Frage nach der Konzeption eines Herrschaftsgebietes zu diesem Gesetz auch die Bemerkungen von Michael Snowdon in diesem Band (171 f. und passim). Hinzu kommt eine unklare Interessenlage, da römische Großgrundbesitzer GXUFKDXVYRQGHQYRQ3LUDWHQÅEHVRUJWHQ´6NODYHQSURÀWLHUWHQ Vgl. Cic. Manil. 33; 55; Plut. Pomp. 24; Cass. Dio 36,22,1–3; App. Mithr. 93; zu Ciceros Darstellung zur Piraterie siehe Schulz 2000, 436; zum Aspekt der Getreideversorgung den Beitrag von Claudia Tiersch in diesem Band. Der Antrag des Volkstribunen Gabinius sah eine prokonsularische Herrschaftskompetenz (imperium proconsulare IUGUHL-DKUHYRUGLHDQGHUHQ3URPDJLVWUDWHQJOHLFKRGHULP.RQÁLNWIDOO VRJDUEHUJHRUGQHWVHLQVROOWH%HIHKOEHUGLHJHVDPWH.ULHJVÁRWWHXQGXQEHJUHQ]WHQ*HOGmittel bot und es erlaubte, Soldaten auszuheben und Befehlshaber einzusetzen, vgl. Dio 36,23,4; Plut. Pomp. 25; App. Mithr. 94. Detailliert hierzu Groebe 1910, 375 f., dort auch zur äußerst kontroversen Diskussion in Rom, da solche Sondervollmachten einen gefährlichen Präzedenzfall darstellten; für eine Linie von der lex Gabinia hin zu modernen Anti-TerrorismusGesetzen siehe den pointierten Zeitungsartikel von Harris 2006. Zum Gesetz allgemein siehe vor allem Ferrary 2009; zur umstritten Detailfrage, ob Pompeius’ Kommando als imperium aequum den anderen Inhabern prokonsularischer Kompetenzen gleichgestellt oder als imperium maius übergeordnet war, weiter Koehn 2012, der die Frage überzeugend löst und den Vorrang von Pompeius’ Kommando an dessen tatsächliche Anwesenheit im betreffenden Gebiet koppelt.

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wo er sie dann am Ende gezielt angriff – vor allem darin, großzügig Gnade zu gewähren und Piraten für den weiteren Kampf gegen andere Piraten in seinen Dienst zu nehmen. Anstatt am Ende die viele Piraten – Plutarch spricht von 20.000 Gefangenen – zu töten, siedelte er sie in Küstennähe an und gewann sie als seine Klientel.97 Es zeigt sich hier wiederum das Phänomen der nur graduellen – und letztlich diskursiven – Unterscheidung zwischen Kaperfahrern im Dienste eines Feldherren und eigenständigen Piraten, die bei der Erschwerung ihrer Tätigkeit und gleichzeitig alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten ohne Probleme auf Raubzüge zur See verzichten konnten. Jedenfalls vorübergehend und solange letzteres nicht doch wieder attraktiv(er) wurde; gerade Pompeius’ Sohn Sextus konnte während der Bürgerkriege auf Teile dieser Klientel seines Vaters zurückgreifen und die Versorgung ,WDOLHQV ELVY&KU HPSÀQGOLFKVW|UHQ98 Ob Pompeius die Piratenfrage also „gelöst“ hat, kommt auf den Stadtpunkt an – und der hängt auch mit Vorstellungen von Staatlichkeit zusammen. Manuel Tröster hat z. B. den Kampf Roms gegen die Piraten als Einsicht in „the public good of maritime security“ positiv bewertet und als „soft power of inducing pirates to surrender and accept the order to be established by the hegemon“ verstanden.99 Gegen diese Anwendung modernen Kategorien hat sich Philipp de Souza gewandt; sein Hauptpunkt ist allerdings die Kritik an einem Bild legitimer militärischer Gewalt eines römischen Staates gegen bloße Gegner der Ordnung, in welchem weder die Normalität der Piraterie als Kriegs- und Erwerbsform noch die imperialistische Expansion Roms zu erkennen wären.100 Sobald man aber die – römische wie moderne – Vorstellung des legitimen Gewaltmonopols als bloßen Anspruch, als Geltungsbehauptung, auffasst, den man teilen aber auch nicht teilen kann, dürfte der Gegensatz zwischen beiden weniger scharf sein. Souza selbst schreibt: „In retrospect we can see that the Romans were beginning to establish the kind of monopoly on the legitimate uses of violence that is an essential element of the modern nation state.“101 Die Vorstellung, legitim zu erobern, ist aber eben nicht auf moderne Nationalstaaten begrenzt. Und das Problem der Integration verschie97

Vgl. Plut. Pomp. 27 f., App. Mithr. 96 [445] spricht immerhin von 10.000 getöteten Piraten. Zum Umgang mit den Piraten vgl. Schulz 2006, 81f, Tröster 2009, 24–26 sowie Souza 2012 Anm. 62, der betont, dass deren „Ansiedlung“ oftmals genau in den von ihnen besetzten Gebieten erfolgte. Sprechend ist der Kontrast zu dem auf Kreta gegen die Piraten eiserner Hand vorgehenden Metellus, der kein Pardon gab. Die dortigen Piraten wandten sich dementsprechend an Pompeius (Cic. Manil. 35), dem sie sich lieber ergeben wollten und der seinerseits daraufhin tatsächlich versuchte, Metellus die Fortführung des Krieges zu untersagen (Plut. Pomp. 29 sowie dazu die These von Koehn 2010 in Anm. 96 eben). Dagegen betont Deininger 2001 die geglückte Ansiedlung der Piraten mit neuen Existenzgrundlagen und Christ 2004, 64 f., die „umfassende Bewältigung des mediterranen Seeräuberproblems“ als „Pompeius’ imponierendste Leistung.“ 98 Zu Sextus Pompeius siehe in diesem Zusammenhang Souza 1999, 185–195 sowie allgemein Welch 2012. 99 Tröster 2009, 32. 100 Souza 2012, 71–73; vgl. für die Frage der Wahrnehmung von Piraterie hier auch Gabrielsen 2013, bes. 133–135. 101 Souza 2012, 72. Ähnlich hier auch Deininger 2001, 27, der den Schutz vor Piraterie durch das „politisch-militärische Machtmonopol Roms“ gewährleistet sieht.

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dener Gruppen im Herrschaftsgebiet auch nicht. Aber gerade die hier aufscheinende Differenz zwischen Herrschaftsausbau und dem Ausbau von Staatlichkeit zeigt, wie lohnend es sein kann, mit der Kategorie von Staatlichkeit zu operieren: Für die römische Herrschaft bildet das Jahr 146 mit den Zerstörungen von Karthago im Westen und Korinth im Osten jedenfalls einen ganz anderen Einschnitt als für die Frage der Staatlichkeit im Mittelmeerraum. 3.3 Schlüsselmonopole und das Ende der Republik Ging es im letzten Punkt um die Differenz von Herrschaft und Staatlichkeit im Zuge der Expansion, stehen nun umgekehrt die Rückwirkungen dieser Expansion im Mittelpunkt. Es soll zumindest überlegt werden, ob nicht unter dem Gesichtspunkt der Schlüsselmonopole und ihres Auseinanderfallens auch die lange Krise GHUU|PLVFKHQ5HSXEOLNPLWGHUYRUJHVFKODJHQHQ%HJULIÁLFKNHLWQHX]XDN]HQWXLHren ist. Denn in dieser Perspektive wird ein bekannter Prozess noch mehr als sonst in den Fokus gerückt: die Machtverlagerung weg vom Senat und hin zu einzelnen großen Feldherren, und zwar sowohl bezüglich der Organisationsmacht, als auch immer mehr der Entscheidungskompetenz und schließlich sogar der Legitimationsfähigkeit. Michael Crawford hat diese Aspekte für Pompeius im Osten (66–63) und in Spanien (54–50), für Caesar in Gallien (58–50), aber auch für den abtrünnigen Sertorius, der in Spanien (83–72) mit eigenem Senat und Magistraten herrschte und dessen Niederschlagung von Plinius (n. h. 7,96) als „bellum civile“ bezeichnet wurde, unter dem Titel „states waiting in the wings“ zusammengestellt: Pompeius kontrollierte eigenständig die Finanzen seiner Gebiete, Caesar hob selbstständig Truppen aus, beide (und andere) boten jungen Aristokraten in ihrem Gefolge Karrierechancen außerhalb des normalen cursus honorum, betätigten sich als große Wohltäter im Osten, nutzen wirtschaftliche Kapazitäten zur Versorgung ihrer Truppen ebenso wie zur Produktion von Waffen „and negociated with other states […] as if they were states.“102 Damit aber muss man für das Ende der Republik das paradoxe Ergebnis einer gleichzeitigen Ver- und Entstaatlichung konstatieren: Verstaatlichung bezieht sich auf die beeindruckende Organisationsmacht an verschiedenen Punkten im Reich, Entstaatlichung meint, dass nicht mehr unbestritten war, wer eigentlich die res publica repräsentierte.103 102 Crawford 2008, 634–639, Zitat 637 (Hervorhebung im Original), dessen Ergebnisse und Argumente der Absatz hier wiedergibt. Crawford verbindet seine Ausführungen nicht mit irgendHLQHU7KHRULHYRQ6WDDWOLFKNHLWXQGEHQXW]WÅVWDWH´HKHUDQJHOVlFKVLVFKXQVSH]LÀVFKZDVVHLQH Ausführungen aus meiner Sicht aber noch interessanter macht. Die von ihm angeführten Belege für Organisationsmacht sind jedenfalls beeindruckend: Exemplarisch sei auf die Amphorenproduktion des Pompeius in Sizilien verwiesen, um dessen Armeen 67 und 66 mit Wein zu versorgen (basierend auf Manacorda 2005) oder auf die eigene Waffenherstellung von Caesar (Cass. Dio 40,60,1); zum letzteren siehe weiter auch Malitz 1987, der die spätere Herrschaftsorganisation Caesars mit dem mittelalterlichen Begriff der Kanzlei beschreibt. 103 Diese Skizze bietet eine Ergänzung zur These der „enormen „Machtkonzentration in partikularem Sinn“ und der These einer „mächtigen Republik, die zugleich ein schwacher entwickelter Staat war“ von Uwe Walter (in diesem Band Punkt 2.5).

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Für Staatsdiskurse ist auch wieder die symbolische Seite besonders greifbar, beginnend mit Caesars Münzprägung direkt nach dem Überschreiten des Rubikon: Caesar hatte zum einen die Kapazitäten, Münzen zu prägen und symbolisierte damit zum anderen gleichzeitig seinen Anspruch, dieses auch zu dürfen.104 Dass auch Caesars Gegner Münzen prägten, verstärkt noch den hier beschriebenen tatsächlichen wie ideologischen Kampf um die Republik, wobei dieser nicht nur in der Übernahme dieser klassisch hoheitlichen Funktion des Münzprägens überhaupt bestand, sondern auch in den Münzbildern selber Niederschlag fand.105

Abb. 3: Denar des Iulius Caesar und L. Aemilius Buca, 44. v. Chr.; RRC 480/6. Auf der Vorderseite der umkränzte Kopf Caesars, die erste numismatische Abbildung eines noch lebenden Römers. Die Inschrift CAESAR · DICT · PERPETVO bezieht sich auf die Übernahme der lebenslänglichen Diktatur. Auf der Rückseite Herrschaftssymbole. British Museum, London.

Die Einsicht der Römer in diesen Prozess sollte nicht unterschätzt werden: Mit frappierender Klarheit schrieb Dolabella (aus dem Lager Caesars) an Cicero (im Lager des Pompeius) im Frühsommer 48: relicum est, ubi nunc est res p., ibi simus potius quam, dum illam veterem sequamur, simus in nulla – „Es bleibt uns nur, lieber dort zu stehen, wo jetzt der Staat ist, als uns an jenen alten zu klammern und 104 Vgl. Crawford 2008, 639. 105 Generell repräsentierten Münzen in Rom die ganze res publica, was z. B. beim Aufkommen der 6LOEHUGHQDUH DE KlXÀJGXUFKGLH$EELOGXQJGHU6WDGWJ|WWLQ5RPDHQWVSUHFKHQGV\PERlisiert wurde. Hinzu traten ab den 170er Jahren Zeichen der zuständigen Münzmeister, der tresviri monetalesGLHLKUHUVHLWVODQJVDPDQÀQJHQ0Q]HQDOVLKU*HVWDOWXQJVPHGLXP]XEHJUHLIHQXQGGDQQEHJDQQHQVSH]LÀVFKHPLOLWlULVFKHRGHUSROLWLVFKH7DWHQLKUHU9RUIDKUHQGDUzustellen. Spätestens mit den Debatten um die schriftliche Abstimmung in den 130er Jahren waren Münzen nicht nur Medium individueller Stilisierung, sondern auch Teil der politischen Auseinandersetzung. Dies kulminiert schließlich in der Prägung von Portraits, ein in der Antike sonst nur aus hellenistischen Monarchien bekanntes Motiv für Münzen. Es beginnt Mitte der 50er Jahre mit der Kommemorierung des toten Diktators Sulla; der erste zu Lebzeiten portraitierte Römer ist dann Caesar, in seinem Fall aber immerhin noch pro forma auf Beschluss des Senats. Sein Mörder und „Befreier“ der Republik, M. Iunius Brutus, kommemorierte sich wenig später bereits ganz aus eigener Kraft. Vgl. für diese Skizze Crawford RRC, 712–744; in diesem Zusammenhang bes. 726: „It is notorious that in the end a Republican denarius could bear both types and legends neither of which were distinctively Roman, striking testimony both of the dissolution of the Republic and of the fact that at the same time the power of Rome was VRJUHDWWKDWKHUFRLQDJHQRORQJHUQHHGHGWREHLGHQWLÀHG´

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keinen zu besitzen.“106 Doch wo der Staat wirklich war, war nach Caesars Tod 44 v. Chr. wieder offen. Dies endete und änderte sich erst, als einige Jahre und viele Tote später nur noch einer allein übrig und aus dem Protagonisten des Bürgerkriegs Oktavian der Friedenskaiser Augustus geworden war, der die Frage nach dem Staat – und das heisst nach allen Schlüsselmonopolen – vielleicht nicht immer unangefochten, aber doch hinreichend beantworten konnte.107 4 ZUSAMMENFASSUNG Die Beispiele, wie moderne Kategorien durch Differenz fruchtbare Fragestellungen erlauben, ließen sich fortsetzen, aber es wird Zeit, ein Résumé zu ziehen. Unstrittig GUIWHVHLQGDVVHVOHW]WOLFKHLQH'HÀQLWLRQVVDFKHEOHLEWIUZDVPDQGHQ%HJULII Staat benutzt. Dies hat in gewohnt konziser Form bereits Koselleck festgehalten: „Die Anwendung des Terminus ‚Staat‘ auf alle Kulturen und Perioden der Weltgeschichte kann, wenn sie bewusst gemacht und methodisch im Hinblick auf ihren (Vergleichs-)Wert sowie auf ihre eingeschränkte Aussagekraft reduziert gerechtfertigt wird, vertreten werden. In einem weiten, kulturanthropologischen Sinne hat es in der Geschichte keine menschliche Existenz ohne sanktionierte, dem Zusammenhalt im Innern und dem Schutz nach außen dienende 2UGQXQJNOHLQHUHURGHUJU|‰HUHUVR]LDOHU(LQKHLWHQJHJHEHQ(VLVWHLQH6DFKHGHÀQLWRULVFKHQ Übereinkommens, ob dafür (gegebenenfalls von welcher Grenze des Umfangs und dauerhafter Organisationsintensität an) das Wort Staat als formalisierter Allgemeinbegriff benutzt werden sollte.“108

Die Frage muss also sein, was dafür und was dagegen spricht. Aloys Winterling weist zu Recht darauf hin, dass der Begriff des Staates einen großen Ballast einer „mehr als zweihundertjährigen Begriffsgeschichte“ mit sich bringt.109 Und das Ri106 Cic. fam. 9,9 (Übersetzung: H. Kasten). 107 Für den Prinzipat des Augustus vgl. allg. die Augustus-Biographien von Bleicken 1998, Kienast 2009 und Dahlheim 2012; darüber hinaus beispielsweise Pfeilschifter 2005, der schön zeigen kann, wie Augustus transitive Macht in intransitive überführte und aus zu verschleiernder militärischer Macht legitime Herrschaft wurde, siehe dazu auch Jehne 2012. Nicht unterschätzt werden darf weiter der Aufbau einer „patrimonial bureaucracy“ mit der neue Antworten auf die „structural Differentiation“ (Hopkins 1968, hier 79) gegeben werden konnte; vgl. hierfür auch die Beiträge von Tiersch und Schneider in diesem Band. 108 Koselleck 1990, 5 f. Auch gilt für den Staatsbegriff (wie für alle Begriffe), dass er vieldeutig EOHLEHQPXVVQLFKWGHÀQLHUWVRQGHUQQXULQWHUSUHWLHUWZHUGHQNDQQYJO.RVHOOHFN;;,, f. Man könnte versucht sein, bei der Rede vom Staat als Prozess an dieser Stelle auf das Diktum Nietzsches aus der Genealogie der Moral hinzuweisen: „alle Begriffe, in denen sich ein ganzer 3UR]HVVVHPLRWLVFK]XVDPPHQIDVVWHQW]LHKHQVLFKGHU'HÀQLWLRQGHÀQLHUEDULVWQXUZDVNHLQH Geschichte hat“ (Nietzsche 2002, 217). Dem hat Koselleck 1983, 14 entgegengesetzt: „BeJULIIH>«@HQWKDOWHQ*HVFKLFKWHKDEHQDEHUNHLQH´XQGGLH1RWZHQGLJNHLWYRQ'HÀQLWLRQHQIU die Geschichtswissenschaft betont. Als analytische Kategorien lassen sich demnach die jeweils VSH]LÀVFKHQ.RQVWDQWHQHLQHV%HJULIIVEHZXVVWIHVWOHJHQRKQHGLHNHLQ.RQ]HSWHLQHQKHXULVtischen Wert hat. 109 Winterling in diesem Band, 252. Vgl. aber auch umgekehrt Bogdandy/Guérot 2013: „Sämtliche Begriffe, mit denen wir das Gemeinwesen denken, sind in der europäischen Moderne zu staatsrechtlichen Begriffen geworden.“

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siko, anachronistische Konnotationen nicht abstreifen zu können, sehe ich auch. Es gibt also gute Gründe gegen den Begriff. Die Frage bleibt, ob es in einer Abwägung nicht dennoch bessere Argumente für ihn gibt. Wenn die Ergebnissen der jüngeren historischen, politikwissenschaftlichen und juristischen Forschung allesamt den Staat des späten 19. und frühen 20 JahrhunGHUWVQLFKWPHKUDOV1RUPDOIDOOVRQGHUQDOV$XVQDKPHNODVVLÀ]LHUHQLVWHVIUGLH Alte Geschichte zumindest erlaubt (und m. E. auch geboten) ihre Position hierzu zu überprüfen. Konkret wird dafür zusammenfassend vorgeschlagen, an Eder und Walter einerseits, an Schuppert und Genschel/Zangl andererseits anknüpfend, den Terminus der Staatlichkeit und damit ein erweitertes Konzept für eine KLVWRULVFKMHZHLOVVSH]LÀVFKH)RUPRUJDQLVLHUWHUSROLWLVFKHU+HUUVFKDIW]XYHUZHQden. Staat/Staatlichkeit sind dann eben keine historischen Begriffe, sondern analytische Kategorien. So kann weiter nach der graduellen Erfüllung bestimmter Kriterien, Funktionen oder Schlüsselmonopole gefragt und beispielsweise zwischen Entscheidungskompetenz und Organisationsmacht differenziert werden, wodurch sich mehr oder weniger starke Staatlichkeit feststellten lässt. Gerade die graduelle Vorstellung von Staatlichkeit ermöglich auch eine (relativ) Teleologie-freie Wissenschaftssprache, da anstatt von Aufstieg und Niedergang oder Blüte und Verfall schlicht von Intensivierung und Verringerung gesprochen wird – so beim Entstehen des Kriegsmonopols des römischen Staates im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. und dann umgekehrt wieder den bei Heeresklientelen der großen Männer am Ende der Republik. Wobei andere Aspekte natürlich hinzukommen müssen. Gerade dann aber wird die Rede von verschiedenen, immer konkret zu benennenden, Schlüsselmonopolen mögliche Formen einer Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen besser in den Blick nehmen können als eine ständige binär-kodierte Entscheidung zwischen „noch-nicht-Staat“ und „jetzt-doch-Staat“. Die analytische Figur der ab- und zunehmenden Staatlichkeit zieht sich denn auch wie ein roter Faden durch den vorliegenden Band, bei Trägern von Staatlichkeit ebenso wie in Kommunikationsstrukturen und bei Aufgaben des Staates. Sie ist DOVVSH]LÀVFKU|PLVFKH)RUPYRQEHZXVVWQXUVFKZDFKDXVJHSUlJWHU6WDDWOLFKNHLW ]%EHLP(UJHEQLVGHU6WlQGHNlPSIH]XÀQGHQDOVGLH6WHOOXQJGHUpatres weitgehend dem Zugriff zentraler Instanzen entzogen und damit der patrizisch-plebejischen Elite persönliche Machtausübung garantiert wurde (Linke). Sie erlaubt es weiter, die komplementäre und verschränkte „öffentliche Ordnung“ zwischen domus und res publica in den Blick zu nehmen, erklärt aber auch das Ausbleiben eines umfassenden Institutionalisierungsprozesses auf Grund der strukturellen Konkurrenz der Elite, die bis zum Ende auf situatives und vor allem individuelles Handeln À[LHUW EOLHE Walter). Das heisst nicht, dass eben jene Elite nicht vielfältig die Hoheit des populus Romanus betonen und die Gemeinsinnigkeit ihrer Vorhaben vor dem Volk herausstreichen musste, um selbiges durch rituelle Partizipation zu integrieren. Im Gegenzug war die Zustimmung der anwesenden Bürger und damit, nach allgemeiner Wahrnehmung, die Zustimmung des ganzen Staatsvolks fast immer sicher und manifestierte einen allgemeinen Konsens (Jehne). Bestimmte Grundzüge der Ordnung ließen sich so gar nicht mehr in Frage stellen, dies galt besonders für ein durch den steten Erfolg immer wieder neu als richtig erwiesenes

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3KlQRPHQZLHGLH([SDQVLRQZHOFKHGDIURKQHMHGHLGHRORJLVFKH$XÁDGXQJDXVkam und ohne Missionsdrang verlief. Das Verhältnis der Römer zu Eroberten blieb jedenfalls durch ein tolerantes Desinteresse gekennzeichnet (Pfeilschifter), die Kommunikationsstrukturen mit griechischen Stadtstaaten durch einen reziproken Freundschaftsgestus geprägt (Snowdon). Nur so, kann man weiter argumentieren, ließ sich der große römische Herrschaftsbereich überhaupt mit der schwach ausgeprägten Staatlichkeit in Einklang bringen, die keine Administration hatte. Umgekehrt ist im Fehlen einer Bürokratie wohl aber ein Grund dafür zu sehen, dass die Erfahrung von Gängelung und Entfremdung der Menschen vom Staat (Pfeilschifter) ebenso wenig aufkam wie Vorstellungen einer nötigen Repräsentation der Bürger (Jehne). Gerade mit Bezug auf die, für die Moderne so wichtige, Administration lässt sich die Figur der geringen und sich dann langsam verdichtende Staatlichkeit in den Bereichen der Staatsaufgaben weiter verfolgen. Je nach Blickrichtung lassen sich vor dem Hintergrund moderner Erfahrungen das „Fehlen“ eines bürokratischen Apparats feststellen oder aber die ersten Ansätze hierfür in Republik und Prinzipat betonen, so wenn aus Konkurrenz gespeiste senatorische Einzelmaßnahmen zur Getreideversorgung langsam durch die Übernahme der Verantwortung durch den princeps und stabilere Distributionsmechanismen abgelöst werden (Tiersch) oder DXV HUVWHQ FHQVRULVFKHQ ,QLWLDWLYHQ IU 6WUD‰HQ XQG :DVVHUOHLWXQJHQ VSH]LÀVFKH Ämter (cura aquarum) und ein kaiserzeitlicher Diskurs um Nutzen, Gesundheit und Sicherheit wird (Schneider). Schließlich steht im Recht der, beim „Fehlen“ von Staatsanwalt wie Gerichtsvollzieher nötigen, privaten Initiative bei Rechtssprechung wie Rechtsdurchsetzung die Arbeit von Juristen gegenüber, welche Anpassungen und Vereinfachungen im Zivilrecht vornahmen, was mit dem Prinzip der ERQDÀGHV sogar zu Leitlinien guter Provinzverwaltung und Einsatz der Obrigkeit für Gemeinwohlinteressen führen konnte (Liebs). Dass in vielen Bereichen gleichwohl noch lange keine moderne Intensität erreicht wird, ist kein Argument gegen das Konzept von Staatlichkeit, sondern gerade dafür, denn es geht um graduelle Abstufungen, nicht um kategoriale Differenz. Spricht man sich aber trotz der hier vorliegenden Befunde und in Kenntnis der hier vorgeschlagenen Terminologie und Figur von Staatlichkeit gegen die Feststellung von Staatlichkeit in der römischen Republik aus, ist dieses Ergebnis in solch zugespitzten Weise notwendigerweise viel fruchtbarer (und wohl auch anschlussfähiger) als die Ablehnung des Staates a priori oder die in sich wenig überraschende Konstatierung einer Differenz zwischen Antike und Moderne.

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TRÄGER VON STAATLICHKEIT

DIE VÄTER UND DER STAAT DIE GRUNDLAGEN DER AGGRESSIVEN SUBSIDIARITÄT IN DER RÖMISCHEN GESELLSCHAFT Bernhard Linke

1. DER FELDHERR UND DER VATER – EINLEITENDE BEMERKUNGEN Das Jahr 217 v.Chr. begann für die Römer mit dramatischen Ereignissen. Im Spätwinter des Jahres vernichtete Hannibal, der kurz zuvor mit seinem spektakulären Alpenübergang in Italien eingefallen war, ein großes römisches Heer am Trasimenischen See.1 Der römische Kommandeur, Gaius Flaminius, hatte gegen viele Widerstände eine offensive Strategie gegen Hannibal verfolgt. Obwohl diese EntVFKHLGXQJLQHLQHUPLOLWlULVFKHQ.DWDVWURSKHHQGHWHOLH‰HQGLHLQQHUHQ.RQÁLNWH um die richtige militärische Antwort auf das Eindringen der Karthager in Italien nicht nach. Zunächst setzte man Q. Fabius Maximus, der für eine hinhaltende Taktik plädierte, als Dictator und damit als alleinigen Oberkommandeur ein. Zur Dictatur, die in dieser Zeit ein normaler Bestandteil der staatlichen Ordnung war, griffen die Römer immer dann, wenn sie für eine kurze Zeit – im Höchstfall sechs Monate – die staatliche Führung in einer Hand konzentrierten wollten oder mußten. Dies war nicht auf den militärischen Bereich beschränkt, sondern konnte zur Durchführung einer besonders weihevollen religiösen Handlung oder zur Durchführung einer Wahl erfolgen. Nach der Erfüllung der vorgegebenen Aufgabe, auch wenn sie nur einen Tag in Anspruch nahm, sollte der Dictator zurücktreten. Nach dem Antritt des Ausnahmeamtes ernannte der Dictator einen ‚Reiterobersten‘ (magister equitum) als seinen Stellvertreter. Im Fall von Fabius Maximus war dies M. Minucius 5XIXV'LHVHUSURÀOLHUWHVLFKLP.ULHJMHGRFKVHKUVFKQHOOGXUFKVHLQHODXWHQ)RUderungen nach einer angriffslustigeren Strategie gegen den Feind.2 Nach einem Zwischenerfolg, der gegen den erklärten Willen des Fabius Maximus zustande kam, wurde Minucius so populär, daß das römische Volk beschloß, den Reiteroberst dem Dictator rechtlich gleichzustellen. Dieser Beschluß widersprach dem gesamten Sinn der Dictatur als zeitlich eng befristeter Bündelung der obersten Befehlsgewalt in einer Hand. Zwar ließ man den Dictator im Amt, doch führte man wieder die Kollegialität ein, die in normalen Zeiten mit den beiden Konsuln gegeben war.3

1  3

Zu den Ereignissen im Kontext der Schlacht am Trasimenischen See s. Liv. 22,1–6; App. Ann. 9,38–10,41; Wild 1994, 137–247; Develin 1979; Meißner 2002; Beck 2005, 244–268. =XP.RQÁLNW]ZLVFKHQ)DELXV0D[LPXVXQG0LQXFLXV5XIXVV/LY²X² 30,10; Polyb. 3,101–105; Plut. Fab. 8–13; App. Ann. 12,51–52; s. a. Seibert 1993, 173–177. Liv. 22,27,1–11.

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Die römische Geschichtsschreibung, die allerdings von einer starken Sympathie für Fabius Maximus geprägt ist, betont, daß diese Kollegialisierung der Dictatur nicht den gewünschten Erfolg zeitigte. Der nun mehr gleichberechtigte Reiteroberst Minucius hätte sein ganzes Heer durch unbedachte und törichte Aktionen an den Rand einer neuen Katastrophe gebracht. Die Situation sei nur durch das ebenso schnelle wie umsichtige Eingreifen von Fabius gerettet worden, dessen Heer die anderen Truppen vor der Vernichtung durch Hannibal bewahrt hätte.4 In dieser Lage habe Minucius sein eigenes Versagen klar erkannt und dies auch seinen Truppen in einer Rede mitgeteilt. Dort habe er ausgeführt, daß man die beiden Heere wieder in einem Lager unter dem Kommando des Dictators vereinigen sollte. Er selber werde als Zeichen der hierarchischen Unterordnung den Dictator als ‚Vater‘ anreden, wie er es aufgrund seiner Verdienste gegenüber dem fast geschlagenen Heer und aufgrund seiner Größe / Würde (‚maiestas‘) verdiene.5 Die einfachen Soldaten sollten die Soldaten des anderen Heeres als ihre Schutzherren (patroni) begrüßen. Auf sein Zeichen hin zog das Heer des Reiterobersten in das Lager des Dictators, wo Minucius den Fabius als Vater angesprochen und ihn gebeten haben soll, ihn – entgegen des Volksbeschlusses – wieder in der normalen Position des nachgeordneten Reiterobersten aufzunehmen.6 Für moderne Leser ist die von Minucius vorgenommene Vermischung von staatlicher und familiärer Sphäre zunächst erstaunlich und dies umso mehr, als es sich nicht um zwei Personen handelt, die schon länger einen vertrauten Umgang PLWHLQDQGHUSÁHJWHQXQGDXIGLHVH:HLVHLQGLHIDPLOLlUH6\PEROLNKLQHLQJOHLWHQ ,P*HJHQWHLOGHU9HUODXIGHU6]HQHULHLVWGXUFK'LVWDQ]XQGIRUPDOLVLHUWH.RQÁLNWH über die Strukturen staatlicher Exekutive gekennzeichnet. Diese Formalisierung der Diskurse stärkt den Kontrast zur familiären Symbolik, die Minucius ausdrücklich wählt. Die Römer hatten offensichtlich mit dieser Implementierung familiärer 'LVNXUVHEHQHQLQGHQRIÀ]LHOOHQ.RQWH[WHLQHV+HHUODJHUVNHLQH6FKZLHULJNHLWHQ Die hier deutlich werdende Permiabilität zwischen dem staatlichen und der familiären Ebene geht weit über die Bedeutung patriarchalischer Strukturen in den Familien vieler vormoderner Gesellschaften hinaus.7 In der Regel besitzt der Vater in patriarchalischen Gesellschaften zwar die situative Verfügungsgewalt über den materiellen Besitz der Familie, doch er bleibt im Kern der Erwartungshaltung seiner sozialen Umgebung ein Treuhänder, der den Besitz gut verwalten und nach Möglichkeiten vermehrt seinen Erben übergeben soll, die nach klaren, vorgegebenen rechtlichen Kriterien in ihr Erbe eintreten und damit die Rolle des Treuhänders übernehmen. In Rom hingegen ist der Vater nicht der Treuhänder, sondern der Herr über den Besitz, über den er Kraft seines absoluten Eigentumsrechtes frei verfügen kann. Seine Söhne konnten zeit seines Lebens nicht eigenständig über einen Besitz verfü4 5 6 7

Liv. 22,29,1–6. Liv. 22,29,10–11; Plut. Fab. 13; vgl. Val. Max. 5,2,4; App. Ann. 13,55. Liv. 22,30,1–6; Cass. Dio frg. 57,19, Zon. 8,26,10–11. Diese Einzigartigkeit der Kompetenzen des römischen Vaters, die weit über das in anderen antiken Gesellschaften übliche Maß hinaus ging, betonen auch die griechischen Quellen, so z. B. Dion. Hal. ant. 2,26,1–6.

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gen, sondern besaßen nur Dinge, die ihnen von ihrem pater familias auf Widerruf delegiert worden waren. Doch nicht nur im Besitzrecht waren sie eingeschränkt, solange ihr Vater bzw. ihr Großvater als direkter männlicher Verwandter noch lebte. Auch rechtlich erlangten sie selbst als erwachsene Männer nie die volle Eigenständigkeit. So konnten sie sich vor Gericht nicht selbst vertreten, da nur der pater familias im öffentlichen Raum rechtsfähig war und blieben damit auch als Erwachsene der Züchtigungsgewalt des Vaters unterworfen. Aber die Stellung des pater familias speiste sich nicht allein aus dem Monopol auf die Vertretung des privaten Haushalts nach außen. Er besaß auch im Inneren des Familienverbandes gegenüber den Angehörigen seiner familia eine weitgehende Strafgewalt, die in Extremfällen bis zur Verhängung eines Todesurteils reichen konnte.8 Ohne Zweifel waren diese weitreichenden Machtbefugnisse der patres familias in der Wirklichkeit des Soziallebens in gewohnheitsrechtliche Rahmungen eingebettet, die einen willkürlichen Mißbrauch erschwerten.9 Doch wurde dadurch die grundsätzlich umfassende Macht des Vaters in der Familie nicht in Frage gestellt. Diese endete erst mit dem Tod des Vaters. Zu seinen Lebzeiten führten die Söhne eine gesellschaftlich sekundäre Existenz, die sich aus der Unterworfenheit unter die patria potestas des Vaters ableitete. Auf der Basis dieser Kompetenzen entwirft der französische Rechtshistoriker Yan Thomas folgende prägnante Skizzierung der römischen Familie: „Die Ordnung der römischen Familie war eine politische Kraft seiner Stellung verfügt der Vater über eine Züchtigungsgewalt, die in Konkurrenz zum Strafrecht verstanden werden muß; aus seinem Vermögen, dem alleinigen Familienvermögen, stattet er seinen Sohn für eventuelle öffentliche Aufgaben aus. Als Bürger in all seinen Funktionen anerkennt die politische Ordnung nur diejenigen, die in ihrem Hause bis zum Tode eine Gewalt ausüben, die nie als privat bezeichnet wird. Dies ist ein grundsätzlicher und weitgehend unbemerkt gebliebener Unterschied zum griechischen Stadtstaat und erst recht zu unserem heutigen Staat mit seinem Straf- und Zivilrecht. Söhne sind Staatsbürger zweiter Klasse und dies ausschließlich über ihren Vater: Sie sind keine selbständigen Rechtssubjekte, haben keinen unmittelbaren Zugang zu den Gerichten und können auch als Verheiratete und ungeachtet ihres Alters nicht unter eigenem Namen ins Bürgerregister eingetragen werden. Die Einheit für den Zensus und die Steuereinheit ist der souveräne Familienälteste einer domus: Er vereint, was wir heute Zivilgesellschaft und Staat nennen.“10 8

9

10

Gell. 5,19,9, der die Adoptionsformel beschreibt, die der Pontifex Maximus dem Volk zur Genehmigung der Adoption vorlegte: Eius rogatus verba haec sunt: „Velitis, iubeatis, uti L. ValeULXV/7LWLRWDPLXUHOHJHTXHÀOLXVVLHWTXDPVLH[HRSDWUHPDWUHTXHIDPLOLDVHLXVQDWXVHVVHW XWLTXHHLYLWDHQHFLVTXHLQHXPSRWHVWDVVLHWXWLSDWULHQGRÀOLRHVW+DHFLWDXWLGL[LLWDYRV Quirites, rogo“; Dion. Hal. ant. 2,26,4 u. 27,1; Codex Theodosianus 4,8,6 pr: ut patribus quibus ius vitae in liberos necisque potestas permissa est (= Codex Justinianus 8,46,10, dort steht allerdings ‚olim permissa erat‘); zu der Thematik s. a. Thomas 1984 u. Harris 1986. Vgl. Martin 1984, 95 f. Siehe weiter Dumont 1990, der die Bedeutung der von der öffentlichen Meinung überwachten Einhaltung der mores betont, sowie Saller 1991, der ebenfalls bei der Anwendung der patria potestas insbesondere gegenüber den ÀOLL IDPLOLDV gewohnheitliche Grenzen sieht. Ein entscheidendes Instrument zur Eindämmung der Willkür bestand im ‚Hausgericht‘ s. Kunkel 1966, 233–238; Thomas 1990. Thomas 1996, 324 f.

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Vor dem Hintergrund dieser umfassenden Gewalt des pater familias in Rom wird deutlich, welch totale Unterordnung Minucius durch die Anrede des Dictators Fabius als Vater signalisieren wollte. Diese symbolische Geste war umso schärfer, als die Übernahme des imperium, wie es auch Minucius als magister equitum besaß, die einzige Gelegenheit war, bei der ein Sohn für die kurze Amtszeit aus der patria potestas herausgenommen wurde und eine unabhängige Stellung einnahm, die die Römer als loco patris familias = ‚wie die eines Familienoberhauptes‘ bezeichneten. Mehr als durch die Aufgabe dieser privilegierten Position, die noch weit über die Akzeptanz der obersten Befehlsgewalt des Dictator hinaus ging, konnte Minucius sein Scheitern nicht demonstrieren. Letztlich wollte er zeigen, daß er wie ein Sohn nun mehr keine eigene, sondern eine abgeleitete soziale Existenz besaß, die völlig vom Willen des ‚Vaters Fabius‘ abhing. Die Anrede als Vater zeigte also die politische und militärische Selbstentmündigung des Minucius und damit das Eingeständnis des totalen Versagens. Dies war auch der Kern der Botschaft, die die aristokratisch geprägte Geschichtsschreibung der römischen Republik deutlich machen wollte. Ob die Episode sich wirklich so zugetragen hat, ist dabei für unsere Fragestellung von eher sekundärer Bedeutung, da die intentionale Inszenierung in der Historiographie, die Minucius feindlich gesonnen war, das symbolische Potential dieser Schilderung noch erhöhen würde. Stärker konnte man das Scheitern des Minucius in Rom dem Leser nicht vermitteln. Die besondere Position des Vaters und ihre Genese in der Intermediärität zwiVFKHQ )DPLOLH XQG 6WDDW ELOGHQ GHQ 6FKOVVHO ]XP 9HUVWlQGQLV GHU VSH]LÀVFKHQ Entwicklung der römischen Staatlichkeit. Daher soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, die Entstehung dieser ungewöhnlichen Konstellation zu erklären, um dann schließlich die Folgen für das römische Staatsverständnis eingehend zu betrachten.

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2. DIE RÖMISCHE FAMILIE UND DIE URSPRÜNGE DES RÖMISCHEN STAATES Daß die Ausbildung staatlicher Strukturen das Ergebnis einer komplizierten Entwicklung war, ist Konsens in der modernen Forschung, die sich schon vor längerer Zeit mit dieser Überzeugung gegen Tendenzen gerichtet hat, die von einer Ursprünglichkeit des Staates ausgingen.11 Basierend auf den Resultaten der ethnologischen Forschung werden gesellschaftliche Konstellationen ohne institutionelle Führung, sog. akephale Gesellschaften, als Ausgangspunkt der sozialen Evolution angesehen, aus dem dann differenziertere staatliche Organisationsformen hervorgingen.12 %HLQlKHUHU$QDO\VHÀQGHWVLFKHLQHEHDFKWOLFKH=DKOYRQLQWHUHVVDQWHQ+LQweisen, die auch in Rom eine akephale Organisationsform als Ausgangsstadium der sozialen Entwicklung belegen. So haben sich in der lateinischen Verwandtschaftsterminologie Elemente erhalten, die nur als Relikte einer frühen gesellschaftlichen Ordnung auf der Basis verwandtschaftlicher Beziehungen, erklärbar sind. Als kurzes Beispiel dafür sei die Bezeichnung des Bruders der Mutter, des Onkels mütterlicherseits, als avunculus = ‚kleiner Großvater‘ (abgeleitet von avus) angeführt, während der Bruder des Vaters, Onkel väterlicherseits, als patruus (‚der Väterliche‘) bezeichnet wurde. Diese zunächst eigentümlich erscheinende Differenzierung in der Bezeichnung zwischen den jeweiligen Brüdern der beiden Elternteile verliert ihren überraschenden Charakter, wenn man sich die hohe Bedeutung des Onkels mütterlicherseits in vielen akephalen Gesellschaften ansieht. Die Heirat mit der Tochter des Onkels mütterlicherseits, der sog. Kreuzcousine, ist in zahlreichen Verwandtschaftssystemen akephaler Gesellschaften verbreitet, da durch diese Heiratsregel langfristig gesehen eine überaus gleichmäßige Gegenseitigkeit in den Austauschbeziehungen zwischen verschiedenen Siedlungsgruppen gewährleistet werden kann.13 Die Bezeichnung des Bruders der Mutter als ‚kleinen Großvater` ist ein klarer Beleg dafür, daß im frühen Rom ein Austausch von Heiratspartnern zwischen zwei Siedlungsgemeinschaften stattfand.14 11

12 13 14

Die These einer ausgeprägten Staatlichkeit als Ausgangspunkt der gesellschaftlichen Entwicklung wird heute kaum mehr vertreten. Ihre wichtigsten Exponenten in den Altertumswissenschaften waren Eduard Meyer 1907 und 1953, 1–37 sowie De Sanctis 1980, 233. Zur Kritik an dieser Position s. Franciosi 1984. Einen guten Überblick zur Forschungsdiskussion geben Wieacker 1988, 195–200 u. Richard 1978, 150–157. Vgl. Service 1977; Kramer/Sigrist 1983; Eder 1980; Levi-Strauss 1967; Lenski 1977. Vgl. Lowie 1983, 62–82, 74. Zu den Formen und der strukturellen Bedeutung der Kreuzkusinenheirat s. Levi-Strauss 1967, 139–154 u. Oppitz 1975, 73–129. Heirateten die jungen Männer regelmäßig eine Tochter ihres Onkels mütterlicherseits wurde dieser automatisch, als Vater der Mutter, zum Großvater mütterlicherseits für die Kinder. Aber nicht nur auf diese Weise durchdrangen sich die Position des Onkels mütterlicherseits und des Großvaters. Wurde die Heirat mit der Kreuzcousine nämlich über Generationen hinweg umgesetzt, ergab sich die Tatsache, daß von einem beliebigen männlichen ‚ego‘ aus gesehen der Onkel mütterlicherseits des eigenen Onkels mütterlicherseits (avunculus) der Großvater väterlicherseits (avus) von ‚ego‘ war. In diesem System war die Stellung des Onkels mütterlicherseits und die des Großvaters in extremer Weise miteinander verwoben. In jedem Onkel mütter-

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Aber eines gilt es zu bedenken: Auch wenn die früheste Ordnung Roms keine zentrale Führungsinstanz besaß, handelte es sich in keiner Weise um eine herrschaftslose Gesellschaft. In ihr dominierten die alten Männer, die gemeinschaftlich die ökonomischen Ressourcen kontrollierten, die für das Überleben der Familien entscheidend waren und darüber hinaus als Tauschgüter die Aufnahme sozialer Beziehungen, z. B. als Brautpreise bei Heiraten, erst ermöglichten.15 Von dieser kollektiven Bewirtschaftung der ökonomischen Ressourcen, die für diese Gesellschaftsform typisch ist, hat sich eine beachtliche Anzahl von Relikten im römischen Recht erhalten, wie z. B. das consortium fratrum. Dies bezeichnete die Erbengemeinschaft, die die Söhne nach dem Tode des Vaters bildeten. Der gemeinsame Besitz wurde nicht aufgeteilt, sondern blieb der kollektive Besitz aller männlichen Nachkommen.16 Auf diese Weise traten die jüngeren Männer nach dem Tod des Vaters gemeinschaftlich in die Gruppe der dominanten älteren Männer ein. licherseits steckt auch immer schon ein zukünftiger, ein ‚kleiner‘ Großvater. patruus (matertera / amita).

15 16

Vgl. Meillassoux 1983; ders. 1973, 35–56; Eder 1980, 46–49. Gaius inst. III, 154a: olim enim mortuo patre familias inter suos heredes quaedam erat legitima simul et naturalis societas, quae appellabatur ercto non cito, id est dominio non diviso – „In alter Zeit gab es nämlich nach dem Tode des Familienvaters eine bestimmte Gesellschaft unter den Hauserben, die auf gesetzlicher und gleichzeitig natürlicher Grundlage beruhte; diese wurde ‚ercto non cito‘ genannt, das bedeutet ‚ohne dass das Eigentum geteilt worden ist“ (Übers. U. Manthe). Der hier zitierte Text basiert auf der von de Zulueta 1934, 170–171 rekonstruierten und editierten Fassung. Zur Interpretation s. de Zulueta 1935; Diósdi 1970, 44–46;

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Da diese Übernahme automatisch erfolgte und auch vom Vater nicht zu beeinÁXVVHQZDUEHWRQWHQGLHlOWHVWHQ5HFKWVIRUPHOQGD‰GLH6|KQHVFKRQ]X/HE]HLWHQ des Vaters wie zukünftige Väter (patre vivo quodammodo domini existimantur) angesehen wurden, also qua eigenen Rechts in das Erbe eintraten.17 Durch diese automatische Erbfolge reproduzierte sich diese Gesellschaft von Generation zu Generation identisch, wie dies viele Gesellschaften tun, die aus identischen Verwandtschaftssegmenten bestehen. Die Väter waren in dieser Ordnung nur die Treuhänder des kollektiven Besitzes, den sie für die kommenden Generationen zu nutzen und zu bewahren hatten. Sie waren nicht seine Eigentümer. Das frühe Rom kannte also noch eine rechtliche Konstellation der Familie und Verwandtschaftsordnung, wie wir sie gut auch aus anderen frühen Gesellschaften kennen. Doch im Laufe des 8. und 7. Jahrhunderts v.Chr. ergaben sich dramatische Veränderungen. Das ursprüngliche Konzept der gesellschaftlichen Organisation in Rom beruhte auf der Tatsache, daß ein geringer wirtschaftlicher Überschuß solidarisch verteilt wurde und kaum zur Thesaurierung von Gütern und damit zu einer Akkumulierung von Macht genutzt werden konnte. Diese Überlegungen stimmen eindeutig mit den archäologischen Funden überein, die nur eine geringe soziale Differenzierung in den frühen Perioden des zehnten und neunten Jahrhundert v.Chr. aufweisen.18 Seit dem ausgehenden neunten und beginnenden achten Jahrhundert v.Chr. änderte sich das Bild dagegen grundlegend. In den archäologischen Funden wird zunehmend eine klare soziale Differenzierung deutlich. Die Gesellschaft spaltete sich also immer stärker in arme und reiche Menschen. Dies weist auf fundamentale Veränderungen in den gesellschaftlichen Strukturen hin. Die Ursachen für den neuen Wohlstand waren höchstwahrscheinlich vielfältiger Natur. Zum einen veränderte sich die Lage nicht nur durch den Aufstieg der etruskischen Stadtkultur in den nördlich angrenzenden Gebieten Roms dramatisch, sondern auch durch die einsetzende Besiedlung der Küstenregionen im südlichen Italien durch griechische Siedler.19 Der sich intensivierende Kontakt zu den neu entstehenden urbanen Zentren vergrößerte das Wohlstandspotential erheblich, da das frühe Rom an einer günstigen Position für den Handel gelegen war. Zudem ermöglichte höchstwahrscheinlich die Übernahme neuer Technologien zur TrockenOHJXQJYRQ%|GHQGHQ(LQVDW]GHV3ÁXJHVXQGGDPLWHLQHZHVHQWOLFKH,QWHQVLYLHrung der Landwirtschaft, die zu erheblichen Ertragssteigerungen führte. Lobrano 1984, 125–128; Wieacker 1936, 177–188. Zu den Relikten des consortium fratrum im römischen Familienrecht s. Kaser 1971, 52–59 u. 91–105; zum Verwandtschaftseigentum im frühen Rom s. Westrup 1944, 1934 und 1939, 233–296; zur genossenschaftlichen Organisation des consortium s. Betti 1954, 9–12; Franciosi 1989, 10–12. 17 Sabinus bei Paulus Dig. 28,2,11; vgl. Gaius inst. II, 157: … sui quidem heredes ideo appellabatur, quia domestici sunt et vivo quoque parente quodammodo domini existimantur. Eine bis heute beeindruckende Analyse der Fragmente gibt Westrup 1934, 67–78; in den Grundzügen parallel Wieacker 1936, 177–179; s. a. Diosdi 1970, 44; Lobrano 1984, 36–41. 18 Zu den archäologischen Befunden der römischen Frühzeit s. Cornell 1995, 48–80; eine ausführliche Darlegung der Funde gibt auch Carandini 2002, dessen inhaltliche Deutungen aber in der Forschung äußerst umstritten sind. 19 =XGHQYLHOIlOWLJHQH[WHUQHQ(LQÁVVHQXQGGHQLQWHUQHQ(QWZLFNOXQJHQLP5RPGHVXQG Jh.v.Chr. s. Cornell 1995, 81–118; Smith 1996, 72–125; ders 2006, 144–156.

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Als Folge des wesentlich höheren Wohlstandsniveaus und der damit verbundeQHQ NODUHQ %LQQHQGLIIHUHQ]LHUXQJ LQ GHU *HVHOOVFKDIW YHUÀHO GDV DOWH 9HUZDQGWschaftssystem in relativ kurzer Zeit. 20 Die reich gewordenen Familien akzeptierten nicht mehr die Frauen aus den arm gebliebenen Familien als Heiratspartner, sondern waren bestrebt innerhalb der neuen Oberschicht verwandtschaftliche Beziehungen aufzubauen. Demonstrativ gaben sich diese wohlhabenden Familien nun die exklusive Bezeichnung ‚Patrizier‘ (die Väterlichen) und reklamierten eine Reihe wichtiger Privilegien für sich.21 Auch dieser Prozeß, in dessen Verlauf die alten Verwandtschaftssegmente verfallen und der deshalb in der Ethnologie als ‚Entsegmentarisierung‘ bezeichnet wird,22 hat im römischen Recht spannende Spuren hinterlassen. Es entstand eine Form der dauerhaften sozialen Beziehung zwischen einzelnen Mächtigen (patroni) und einer großen Zahl einfacher Römer (clientes).23 Diese asymmetrischen Beziehungen, die in der Regel an die nächste Generation weiter gegeben wurden, nannten die Römer ‚clientela‘.24 Dies deutet daraufhin, daß die ursprünglich gleichberechtigten Familienclans, die untereinander Heiratspartner tauschten, nun in ein hierarchisches Verhältnis zueinander eintraten. Die wohlhabend gewordenen Familien, die die Fortsetzung gleichberechtigter Heiratsbindungen mit den Ärmeren verweigerten, leisteten nur noch Hilfe in Notfällen, wenn die ärmeren Familien bereit waren, sich ihnen dauerhaft unterzuordnen und damit ihren gesellschaftlichen Führungsanspruch akzeptierten. Aus ‚angeheirateten‘ Verwandten wurden clientes. Dieser Prozeß stellt eine fundamentale Wegmarke in der römischen Entwicklung dar, die noch über Jahrhunderte die Gesellschaft bestimmen sollte. Die clientela, die sich im Laufe der Zeit 20

21 22 23 24

Für die konkreten sozialen Begleiterscheinungen besitzen wir glücklicherweise unabhängig von den archäologischen Funden ein weiteres Indiz. Im latinischen Kulturraum kam seit der Wende vom 8. zum 7. Jahrhundert v.Chr. ein völlig neues Namenssystem auf. Während früher die Nennung des Namens des Vaters zusätzlich zum eigenen, individuellen Namen die Zugehörigkeit zu einer langen Kette von Abstammung und Erbfolge symbolisierte, wählten die Menschen im latinischen Kulturraum ein neues Namensystem. Sie benannten sich nun nach der Zugehörigkeit zu einer größeren Gruppe, einer gens. In einem für die damalige Mittelmeerwelt einzigartigen Verfahren ordneten die Menschen damit ihre Individualität und ihre Abstammung HLQHUJHPHLQVDPHQ%H]HLFKQXQJXQWHUGLH$X‰HQVWHKHQGHQJHJHQEHUGLHSULPlUH,GHQWLÀ]LHrungsfunktion übernahm. Zu Recht wird in der Forschung dieses Phänomen als Indiz für die Unterordnung unter aufstrebende Aristokraten gesehen, die die Führung größerer Personenverbände besaßen. Nach der Zugehörigkeit zu diesen streng hierarchisierten Personenverbänden benannten sich nun die Menschen. Zu den historischen Bedingungen und den linguistischen Voraussetzungen des Wechsels s. Rix 1972. Zu den frührömischen Patriziern und ihren Privilegien s. Linke 1995, 92–104. Zum Prozeß der Entsegmentarisierung in vergleichender Perspektive s. Mair 1977, 52 und Wesel 1985, 196. Eine ausgezeichnete Übersicht zu den Problemen des Clientelwesens in der römischen Frühzeit bietet Richard, 1978, 157–173; s. a. Rouland 1979, 46–110; Ferenczy 1982; Franciosi 1988. De Martino 1972, 41: „La clientela non può essere sorta dopo la costituzione cittadina, perchè i rapporti fra clienti e patrono sono evidentemente di carattere familiare e quindi derivano dall’ ordinamento interno dei gruppi; un semplice vincolo di subordinazione economica non avrebbe potuto trasformarsi in una subordinazione domestica“; ähnlich sieht es Magdelain 1971, 106– 108; ders. 1990, 387.

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zunehmend zu einer asymmetrischen Beziehung auf Gegenseitigkeit entwickeln sollte, wurde ein elementarer Bestandteil des sozialen Lebens, das die römische Gesellschaftsordnung z. B. stark von der griechischen unterschied. Doch bei weitem nicht alle Römer waren von der clientela betroffen.25 So haben wir Belege dafür, daß der Prozeß der Entsegmentarisierung und sozialen Hierarchisierung offensichtlich viel komplizierter und differenzierter abgelaufen ist, als dies das Phänomen der clientela mit seiner klaren sozialen Dichotomie zu suggerieren scheint. Der entscheidende Punkt ist die Tatsache, daß ein großer Teil der römischen Bevölkerung sich dem Hierarchisierungsprozeß entziehen konnte und jenseits von Unter- und Überordnung einen dritten Weg der Etablierung des eigenen Status in der Gesellschaft verfolgte: die Sicherung der Autonomie der Familie ohne Machtansprüche gegenüber anderen Familien zu stellen. Einer großen Zahl von Familien gelang es, sich nach dem Zerfall des alten solidarischen Verwandtschaftssystems eine ausreichende ökonomische Grundlage zu sichern, die sie davor bewahrte, sich in die Abhängigkeit der reich und mächtig gewordenen Familien – der Patrizier – begeben zu müssen, ohne allerdings die ökonomische Potenz zu besitzen, anderen ihre Vorherrschaft aufzunötigen. Der Preis für diese Unabhängigkeit war allerdings ein entscheidender Einschnitt in die Organisationsstruktur der Familie. Die wichtigste Achillesverse der Familie mußte beseitigt werden: Das gleichberechtigte Erbrecht aller männlichen Nachkommen. Die Gleichberechtigung aller Erben führte langfristig immer wieder zu Risikosituationen, in denen die Zahl der Nutzer des Besitzes dessen Ertragskraft überstieg. Diese Krisensituationen waren das entscheidende Einfallstor für die Etablierung sozialer Hierarchien, da es Hilfe von den Wohlhabenden nur noch zum Preis der sozialen Unterordnung gab. Das Erbrecht beinhaltete also das größte Verarmungsrisiko für die Familie und damit die Gefahr einer ökonomischen und letztlich auch sozialen Abhängigkeit von GHQQHXHQ$ULVWRNUDWHQ'LHHIÀ]LHQWHVWH$EZHKUGLHVHU*HIDKUEHVWDQGLQGHU)OHxibilisierung der Erbaufteilung. So wurde dem Vater zur Abwehr des äußeren sozialen Druckes zunehmend das Recht zugestanden, den Besitz auf wenige bzw. in Notfällen sogar nur einen Nachkommen zu konzentrieren und damit wenigsten die Lebensfähigkeit dieses Familienzweiges in Unabhängigkeit sicherzustellen. Der Schutz der Familie vor der totalen Verarmung hatte also einen hohen Preis: große Teile der Familie wurden einer prekären Zukunft ausgesetzt, um die Fortdauer eines Familienkerns zu gewährleisten.26

25 26

Dies betont zurecht Smith 2006, 170–176. Diese Form der Sicherstellung der Überlebensfähigkeit der Gemeinschaft durch eine Beschränkung der Besitzübertragung auf wenige Personen stellte im Grundsatz nur eine extreme, in die Familie verlagerte Variante des im antiken Italien durchgeführten Rituals des ver sacrum (‚Heiliger Frühling‘) dar. Dabei mußte eine ganze Altersgruppe die Gemeinschaft verlassen, um in Notzeiten deren Überleben zu sichern; Varro r. r. 3,16,29 propter multitudinem liberorum; Dion. Hal. ant. 1,16; Strab. 5,4,12; Salmon 1967, 35 f.; Forsythe 2006, 108 f. In anderen frühen *HVHOOVFKDIWHQÀQGHQVLFKlKQOLFKH6WUDWHJLHQGHUhEHUOHEHQVVLFKHUXQJLQ1RWIlOOHQVR]%LQ Griechenland im Rahmen der Gründung von Kolonien (Strab. 6,1,6 zur Gründung von Rhegium).

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'LHVH(QWZLFNOXQJZDUNHLQHPRGLÀ]LHUWH)RUWIKUXQJGHUDOWHQ6WUXNWXUHQ(V war eine soziale Revolution, die alle alten Regeln außer Kraft setzte und eine völlig neue Ordnung schuf. Der Vater war nicht mehr Treuhänder für seine Söhne, die nach seinem Tod aus eigenem Recht gemeinschaftlich in das Erbe eintraten, sondern absoluter und alleiniger Eigentümer, der geradezu herrschaftlich bestimmen konnte, wie die Zukunft der Familie zu sichern war und wer in der kommenden Generation begünstigt werden sollte. Die Beziehung des Vaters zu seinen Kindern war nicht mehr von den generationsübergreifenden Verwandtschaftsregeln, die die Gesellschaft identisch und automatisch reproduzierten geprägt. Aus der biologischen Beziehung des Vaters zu seinen Kindern wurde eine herrschaftliche, die die Kinder dem absoluten Willen des Vaters unterwarf.27 Die römische Familie wandelte sich vom alten Verwandtschaftsverband zu einem Herrschaftsverband. Genau das ist der Kern der römischen familia; zu ihr gehören nicht primär Menschen, die miteinander verwandt sind, sondern Menschen, die alle unter der patria potestas eines pater familias leben.28 Es ist also die Herrschaft des Vaters, die die familia formt, und nicht die gemeinsame Abstammung. So konnten auch die Männer als pater familias bezeichnet werden, die nicht verheiratet waren und keine Kinder hatten.29 Mit der Machtfülle der patres familias hatte die alte akephale Verwandtschaftsorganisation endgültig ihre Bedeutung für die römische Gesellschaft verloren. Diese Zerstörung der alten Ordnung durch die Formierung der neuen Strukturen, die in dieser Form im Mittelmeerraum einzigartig sind, wird in der Forschung kaum beachtet. Dabei hatte schon vor mehr als hundert Jahren der bedeutende Sprach- und Rechtswissenschaftler Burkard Wilhelm Leist auf die dramatische Wirkung der neuen Ordnungsprinzipien hingewiesen: „Die römisch-particularrechtliche väterliche Gewalt hat nach verschiedensten Seiten hin in die alten fasrechtlichen Anschauungen eine wahre Zerstörung getragen. Der altarische Hausherr erscheint als das Haupt einer Koinonie, in welcher Herr und Herrin, die heranwachsenden Kinder, die Verwandten, die Clienten und Diener, jeder ihre eigene themisrechtliche Stellung haben. Herrschaft wird um der ganzen Koinonie willen 27

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Sachers 1949, 2134: „Die Zugehörigkeit zur Personengruppe ‚Familie‘ war im römischen Recht nicht durch Abstammungs- (Bluts-) Gemeinschaft, sondern durch die gemeinsame Unterwerfung unter die Gewalt einer der Familie angehörigen Person, unter den pater familias gekennzeichnet.“ Schon Mommsen StR III, 10 war die eigenartige Konstruktion der frührömischen Sozialordnung aufgefallen, ohne daß er hierfür eine Erklärung hatte: „Seltsamer Weise fehlt der lateinischen Terminologie ein mit populus oder gens gleichstehendes Wort für das Haus. Die sui sind die Hausangehörigen; der Hausherr, dem sie angehören, ist dabei ausgeschlossen.“ Dies zeigt sich deutlich bei den kasuistischen Überlegungen zu der Stellung von Kindern, deren Vater schon vor ihrer Geburt gestorben war, die also nie zu Lebzeiten seiner Gewalt unterworfen waren. Für diese Fälle wurde ausdrücklich darauf verwiesen, daß die Nahrungsmittel, die die Frau während der Schwangerschaft zu sich genommen hat, unter der patria potestas standen und somit auch der Foetus nur aufgrund der Teilhabe am väterlichen Besitz lebensfähig war. Vgl. Thomas 1993, 116. Dig. 50,16,195,2: pater autem familias appellatur, qui in domo dominium habet, recteque hoc QRPLQHDSSHOODWXUTXDPYLVÀOLXPQRQKDEHDWQRQHQLPVRODPSHUVRQDPHLXVVHGHWLXVGHmonstramus: denique et pupillum patrem familias appellamus.

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geführt. Der Eintritt des heranwachsenden Sohnes an Stelle des sterbenden Vaters ist, auf Grund des physischen Fortlebens des väterlichen Samens im Sohne, OikosFortsetzung. Die Oikosgemeinschaft schließt auch das Haupt, den pati, in sich. Dagegen der römische pater-familias steht über seiner familia. Er ist der alleinige sui iuris; aus seiner ganz egoistisch gestalteten Machtfülle ergiebt sich, dass Alles: Frau, Kind, Sklave ihm in gleichartiger Stellung unterworfen ist; die Frau herrscht rechtlich nicht mit, sie steht nicht anders wie die Kinder; ihnen Allen gegenüber hat GHUVXLLXULVUHFKWOLFKNHLQH3ÁLFKWHQVRQGHUQQXU5HFKWH´30 Zur Abwehr der äußeren Machtansprüche durch die aufsteigenden Aristokraten wählten also die römischen Familien, deren wirtschaftliche Grundlage es erlaubte, eine radikale und im kulturellen Vergleich einzigartige Strategie: Sie schützten sich vor der externen Hierarchisierung durch die Etablierung einer radikalen inneren Hierarchie.31 Damit war allerdings notwendigerweise auch die Konsequenz verbunden, daß die Verwandtschaft als Basisprinzip der Familie durch Herrschaft ersetzt wurde. Der pater familias wurde aus eigenem Recht zum Angelpunkt und einzigen Repräsentanten der Hausgemeinschaft und damit – langfristig – zum Nukleus der römischen Gesellschaft. Diese Strategie der internen Hierarchisierung der Familie war sehr erfolgreich, doch hatte sie einen Schwachpunkt. Die unumschränkte und auch zeitlich unbegrenzte Stellung des pater familiasPX‰WHHLQKRKHV.RQÁLNWSRWHQWLDOHU]HXJHQGD die Überlebensfähigkeit des Familienverbandes in schwierigen Zeiten nur durch die massive Benachteiligung einzelner Nachkommen zu gewährleisten war. Diese brutale Zurücksetzung konnte kaum harmonisch erfolgen. Zudem unterschied sich die Position des pater familias in Rom fundamental dadurch von anderen patriarchalischen Gesellschaftsordnungen, daß die Macht des römischen pater familias nicht an seine physische Fähigkeit zur Kontrolle des Besitzes gekoppelt war. In Griechenland z. B. war es die Regel, daß der Hausvorstand den Hof an seine Erben übergab, sobald er nicht mehr in der Lage war, die Felder zu bestellen und die Arbeit zu organisieren.32 In dieser letzten Phase seines Lebens drohte ihm eine prekäre Existenz, die vom Wohlwollen seiner Kinder abhing, die ihrerseits über lange Jahre unter seinem Machtanspruch gelebt und z. T. auch gelitten hatten. Die große Zahl 30

31 32

Leist, 1892, 191–192. Es ist bedauerlich, daß die herausragenden Schriften von Leist, der enorme Kenntnisse des indo-europäischen Sprachvergleichs mit rechtshistorischer Kompetenz verband, kaum rezipiert worden sind, was zum Teil auch an der nicht einfachen Darstellungsform lag, die er wählte. Leist war der Überzeugung, daß Rechtsordnungen zwar bei den einzelnen Völkern unterschiedliche Ausformungen erhalten können, sie aber auf Grund einer ‚natürlichen Vernunft‘, naturalis ratio, die allen Rechtssystemen immanent ist, vergleichend bewertbar sind. Zu Leist und der bahnbrechenden Bedeutung seiner Arbeiten s. Schlerath 1978, 5: „Leist hat bei den indogermanischen Altertumskundlern keine gebührende Beachtung gefunden, aber es wäre denkbar gewesen, daß er von den strukturalistisch geprägten Kulturanthropologen der neueren Zeit wiederentdeckt worden wäre. Hier hätte man besonders die Beweiskraft der organischen Zusammenhänge zwischen den Institutionen zu schätzen gewußt.“ Auf die wichtige Stellung von Leist in der Rechtswissenschaft des 19. Jh. geht ausführlich Bekker 1907 ein. Vgl. Linke 1998, 104–131. Vgl. Schmitz 2004, 96–98.

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von gesetzlichen Regelungen zur Behandlung der Alten in den griechischen Poleis OHJWHLQEHUHGWHV=HXJQLVYRQGHQPDQLIHVWHQ.RQÁLNWHQXQG0L‰VWlQGHQDEGLH sich aus dieser Konstellation ergaben. Der römische pater familias blieb bis zu seinem Tod alleiniger Eigentümer des Familienbesitzes, über den er auch bis zum Schluß frei verfügen konnte. Alles, was seine Söhne zu seinen Lebzeiten erwarben, blieb – zumindest formalrechtlich – sein Eigentum. Die Aufrechterhaltung des innerfamiliären Machtanspruchs auch in einer Lebensphase, in der die physischen Kräfte dramatisch zurückgingen, konnte zu Situationen führen, in der der pater familias auf externe Unterstützung angewiesen war. Dies galt auch für die Gültigkeit seiner Regelungen über seinen Tod hinaus. Die Gefahr, daß die vom pater familias getroffenen Entscheidungen über die Zukunft des Besitzes der Familie im Zuge von unerbittlichen Erbstreitigkeiten wieder revidiert wurden und damit das Fortbestehen der Familie in Frage gestellt wurde, war groß. Die umfassende Position des pater familias und ihre dauerhafte Wirkung beLQKDOWHWHDOVRHLQVWUXNWXUHOOHV'HÀ]LWXQGZDUGDKHUQXUHUIROJUHLFKDXI'DXHU]X gewährleisten, wenn es Instanzen gab, die ihn absicherten.33 So absolut die patria potestas erscheint, war ihr also schon von Anfang an eine ‚Verankerungsnotwendigkeit‘ in einem größeren Zusammenhang immanent. Die patres familias hatten also ein Interesse an einer funktionierenden Zentralgewalt, die einerseits ihre Stellung sichern sollte, gleichzeitig aber auch die Unabhängigkeit der Familien respektieren mußte. 3. DIE ETRUSKISCHEN KÖNIGE UND DIE ENTWICKLUNG DES INTEGRATIVEN ZENTRALISMUS Es ist ein entscheidender Impuls für die Entwicklung der römischen Gesellschaft gewesen, daß es in dieser historischen Konstellation tatsächliche einen Machtfaktor JDEGHUGLHVHVNRPSOL]LHUWH$QIRUGHUXQJVSURÀOHUIOOHQNRQQWHGDVIUKU|PLVFKH Königtum.34 Die römischen Könige, die in der Phase der sozialen Differenzierung des 8. und 7. Jh. v.Chr. ihre rein priesterliche Rolle, die sie in der akephalen Ordnung besessen hatten,35 zu einer aufstrebenden Zentralinstanz ausweiten wollten, standen – wie die patres familias²LP.RQÁLNWPLWGHQUHLFKJHZRUGHQHQ3DWUL]Lern.36 Angesichts des Widerstands dieser mächtigen Aristokraten konnte die Akzep33 34 35

36

Auf diesen Aspekt weist zu Recht Martin 1984 intensiv hin. Zu der Überlieferungssituation zum frührömischen Königtum s. die umfassende Studie von Poucet 2000. Zur priesterlichen Funktion des Königtums in der Anfangsphase der römischen Gesellschaft s. Linke, 1995, 52–56; Mair 1977, 60–68, die zahlreiche Beispiele für die Koexistenz sakraler Monarchien und akephaler Gesellschaftsstrukturen anführt, die nachdrücklich belegen, daß diese Herrschaftsform in keinem notwendigen Zusammenhang mit der Existenz einer zentralen Befehlsgewalt steht; s. a. Balandier 1978, 116–133; zum Entstehungsprozeß sakraler Monarchien s. Goetze/Mühlfeld 1984, 178–182. Die beginnende Dynamik, die das römische Königtum in der zweiten Hälfte des siebten JahrKXQGHUWVY&KUHUID‰WHXQGGLHHUKHEOLFKHQ3RWHQWLDOHGLHGLHVSH]LÀVFKH6LWXDWLRQLQ5RPPLW sich brachte, analysiert überzeugend Camous 2004.

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tanz des königlichen Herrschaftsanspruchs in der Mittelschicht nur förderlich sein. Die Hauptursache für diese Orientierung zur Mittelschicht dürfte gewesen sein, daß die römischen Könige nicht das Machtpotential besaßen, eine autokratische Stellung in der Gesellschaft durchzusetzen. Eine gut organisierte staatliche Infrastruktur, die auf ein monarchisches Zentrum ausgerichtet ist, hat es in Rom auch unter den Königen nicht gegeben. Stattdessen suchten die Könige das gesellschaftliche Bündnis mit den mittelständischen Bauern, um auf diese Weise die mächtigen Adelsclans in Schach zu halten. Diese Tendenz verstärkte sich noch, als Rom im 6. Jh. v.Chr. unter die Herrschaft etruskischer Heerführer geriet, die primär an der Kontrolle der Handelswege interessiert waren. Das Verhältnis der einheimischen Aristokratie zu den neuen Herrschern, unter denen Rom eine erhebliche Expansion erlebte, blieb angespannt.37 In dieser Situation tritt uns vor allem der König Servius Tullius in der Überlieferung als innovativer Reformer entgegen,38 der die Stellung und Rechte der mittelständischen Bauern im politischen Zentrum massiv förderte, um so seine Machtbasis zu erweitern. Die Einteilung des römischen Territoriums in Landeinheiten (tribus) wird diesem König genauso zugeschrieben,39 wie die Einführung einer Bürgerliste (census)40 und damit eng verbunden die Schaffung einer nach Vermögen gegliederten Heeres- und Volksversammlung (comitia centuriata)41. Mit der 6FKDIIXQJHLQHU%UJHUOLVWHGHÀQLHUWHQGLH.|QLJH]XPHUVWHQ0DOJHQDXGLH=XJHhörigkeit zum römischen Gemeinwesen und gaben den Betroffenen damit einen eigenständigen Status in der Gesellschaft.42 Die Menschen wurden dadurch direkt zu römischen Bürgern und hatten nicht nur über die Vermittlung mächtiger Patrone am Gemeinwesen teil. Dieser selbständige Status schlug sich dann in der Teilnahme an der neuen Heeresversammlung nieder, in der die Bürger kraft eigenen Rechts auftraten. Insgesamt läßt sich das reformerische Wirken der Könige als eine gezielte Stärkung der Stellung der bäuerlichen Mittelschicht im Staat bezeichnen. Abgerundet wurden diese Bemühungen durch eine intensive Bautätigkeit, die die urbane Infrastruktur verbesserte und den Menschen ein attraktives Zentrum bot, das zum Fokus des öffentlichen Lebens wurde.43 Statt einer hierarchisierenden Bürokratisierung verfolgten die römischen Könige also ein Konzept, das man als ‚integrativen Zentralismus‘ bezeichnen könn-

37 38 39 40

41 42 43

Eder 1990, 23 f. Die detailreichste Analyse des Wirkens von Servius Tullius bleibt die Arbeit von Thomsen 1980; s. a. Cornell 1995, 173–197. Liv. 1,43,13; Dion. Hal. ant. 4,15,1–3; Festus p. 506 L; die komplizierte Quellenlage zu dieser Reform analysiert Thomsen 1980 136–143 eingehend. Zum census s. Liv. 1,44,1 und Dion. Hal. ant. 4,15,6; Last 1945 meint zurecht, daß der frühe censusQLFKWXQEHGLQJWVFKRQHLQH.ODVVLÀ]LHUXQJGHU%UJHUQDFK9HUP|JHQEHLQKDOWHWKDEHQ muß, sondern nur die Anerkennung der Bürgerschaft durch die Eintragung in die census-Liste umfaßte. Liv. 1,43,1–13 und Dion. Hal. ant. 4,16,1–18,3. Vgl. Eder 1988, 472. Zur Baupolitik der etruskischen Könige s. Smith 1996, 150–184; Poucet 2000, 229–237; Kuhoff 1995.

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te.44 Die langfristige Wirkung dieses Ansatzes war für den Zusammenhalt der römischen Gesellschaft von enormer Bedeutung, da er bei vielen Bauern eine positive Disposition gegenüber einer zentralen staatlichen Gewalt förderte, in der sie zunehmend einen Garanten ihrer gesellschaftlichen Unabhängigkeit sahen. Hier zeichnet sich bereits die ungewöhnlich Synthese aus starker Exekutive und bürgerlichem Selbstbewußtsein ab, die typisch für die römische Republik werden sollte. Bis zu ihrer endgültigen Verwirklichung mußte allerdings noch einmal eine schwierige 3KDVHGHULQQHUHQ.RQÁLNWHEHUZXQGHQZHUGHQGLHDXVHLQHUYHKHPHQWHQ5HDNtion der mächtigen aristokratischen Familien auf diese Entwicklung resultierte.

4. DIE FORMIERUNGSPHASE DER FRÜHEN REPUBLIK Die Herrschaft der Könige in Rom endete im ausgehenden 6. Jh. v.Chr.45 Die Ursachen für das Scheitern der Monarchen, die offensichtlich von den patrizischen Aristokraten vertrieben worden sind, könnten paradoxerweise gerade in ihrem Erfolg zu suchen sein. Sie hatten nicht nur erfolgreich das römische Herrschaftsgebiet im latinischen Umfeld erweitert, sondern auch die urbane Infrastruktur erheblich verbessert. Der Aufschwung, den das römische Gemeinwesen unter ihnen nahm, vertiefte und stabilisierte in Verbindung mit den politischen Reformen die Bindung großer Bevölkerungsteile an die Könige. Ein kritischer Punkt bei der zunehmenden Stärkung der monarchischen Macht war für die Aristokraten offensichtlich erreicht, als sich die Könige mit der demonstrativen Errichtung eines riesigen Jupiter-Tempels ein ganz neues Potential für die religiöse Legitimation ihrer Herrschaft erschlossen. Die Annäherung an den neuen Jupiter Optimus Maximus im Rahmen von Triumphzügen und anderen religiösen Festen hätte die religiöse Aura der Monarchie in einer Form gestärkt, daß die sakralen Grundlagen des Statusanspruches der Aristokraten dagegen vollkommen verblaßt wären.46 Dies konnten die römischen Aristokraten nicht hinnehmen. Gemäß der römischen Überlieferung sollen sie die Könige genau in dem Jahr, in dem der große Tempel fertig gestellt wurde, vertrieben haben.47 Diese Entwicklung stellte die unabhängigen Bauern vor große Probleme. Man kann wohl nicht davon ausgehen, daß sie ein zu starkes Königtum begrüßt hätten, dessen Machtansprüche letztlich auch ihren Status bedroht hätte. Ihr Verhältnis zur Zentralgewalt blieb immer durch eine sensible Reziprozität geprägt. Die Abschaffung der Monarchie durch die patrizische Aristokratie stellte sie allerdings vor noch größere Schwierigkeiten. Durch diese politischen Umwälzungen hatte die Mittel44 45

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Vgl. Linke 2010a, 181–196. Die kompliziert zu rekonstruierende Ereigniskette hat eine intensive Forschungsdiskussion hervorgerufen, die allerdings in den zurückliegenden Jahre deutlich abgeklungen ist; s. Cornell, 1995, 215–241. Vor allem Versnel 1970 hat auf das hohe Potential für die königliche Herrschaftslegitimation in GHQ7ULXPSK]JHQKLQJHZLHVHQ(UVLHKWGDEHLGLUHNWH(LQÁVVHDXVGHQ]HLWJHQ|VVLVFKHQ(QWwicklungen in den Staaten des Vorderen Orients, die die etruskischen Könige inspiriert haben könnten. Zur komplexen Positionierung des wichtigsten Gottes im republikanischen Rom s. Linke 2009.

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schicht die entscheidende Instanz verloren, die sie vor den bedrohlichen Ambitionen der Aristokraten geschützt hatte.48 Die Lage der unabhängigen Bauern wurde um so prekärer, als die Aristokraten nun bestrebt waren, die staatliche Infrastruktur zu minimieren, um auf diese Weise einen möglichst großen Freiraum für die persönliche Machtausübung zu gewinnen.49 Dieses Bestreben nach der Minimierung von Staatlichkeit, dessen Konturen sich in den ersten Jahren der Republik abzeichneten, stellte die Mittelschicht vor eine brutale Wahl: Entweder sie akzeptierten dauerhaft die unterordnende Eingliederung in die clientela eines Aristokraten und gaben damit ihre Unabhängigkeit auf oder sie fanden sich – im Falle des Widerstands – in einem rechtsfreien Raum wider, in dem es keine schützenden Institutionen gab. Doch mit dieser Strategie des Alles-oder-Nichts hatten die patrizischen Adelsfamilien den Bogen überspannt. Angesichts des enormen Drucks kam es in der restlichen Bevölkerung zu einer ebenso heftigen wie konsequenten Reaktion. Ein breites Bündnis von ganz unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen entstand, das von ganz armen Menschen, die um ihre nackte Existenz fürchteten, bis zu sehr wohlhabenden Römern, die ihre politische Ausgrenzung nicht hinnehmen wollten, reichte.50 Den gesellschaftlichen Kern dieser Bewegung, die die Römer als die ‚Vielen‘ (Plebejer) bezeichneten, bildeten zweifellos die unabhängigen Bauern, die für die Autonomie ihrer Familienverbände kämpften. Eruptive Widerstandsbewegungen sind welthistorisch keine Seltenheit, aber meistens schlecht organisiert und daher nicht dauerhaft. In Rom war die Plebs jedoch bestens organisiert und schuf innerhalb kürzester Zeit Institutionen, die die weit gespannten Interessen ihrer Mitglieder wahrnahmen.51 Die Verstetigung ihrer Versammlung, des concilium plebis, und die jährliche Wahl einer Exekutive, der Volkstribunen, gaben der Bewegung der Plebejer eine ungewöhnliche Schlagkraft.52 In Rückbezug auf die Ausübung einer schützenden Zentralgewalt durch die Könige gaben die Plebejer sich nun Institutionen, die ihren Status und ihre Interessen auf der gemeinschaftlichen Ebene wahrten. So wurde ihre Organisation zum

48 49 50 51

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Eder 1993, 97–127. Vgl. Linke 1995, 132–158. Die entscheidende Arbeit zum Phänomen der römischen Plebs bleibt das umfassende Werk von Richard 1978, passim. Die allgemeinen Darstellungen der plebeischen Revolte und der Gründung neuer Institutionen ÀQGHQVLFKEHL/LY²'LRQ+DODQW²'LHVHP.HUQGHUU|PLVFKHQhEHUOLHIHrung stehen eine ganze Reihe von schwierigen Fragen über den genauen Ablauf dieser Ereignisse gegenüber, über deren komplizierte Rekonstruktion sich selbst die antiken Autoren bewußt waren. Trotz dieser Unklarheiten im Detail werden die Ereignisse der ersten secessio in ihren Grundzügen von der Forschung weitgehend für historisch gehalten, s. De Martino 1972,  HEHQVR 'UXPPRQG  ² ² 5DDÁDXE 1986, 222–223; Richard 1987, 541–544; Siber 1951, Sp.111–112. Zum Volkstribunat in der frühen Republik allgemein s. Siber 1936, 16–31; De Martino 1972, 334–370; Bleicken 1968, 5–18; Bleicken 1981, passim; Humbert 1988, 431–501, 449–468, dessen Darstellung im Gegensatz zu Bleicken die Einbindung der tribunizischen Aktivitäten in feste juristische Strukturen betont, die der Autor allerdings nicht überzeugend zu belegen vermag.

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Erbe der Könige und zum Bewahrer einer übergreifenden und integrativen Staatlichkeit.53 Die dauerhafte Stabilisierung der gemeinsamen Organisation verlieh den Forderungen der Plebejer eine besondere Schlagkraft und so gaben die patrizischen Aristokraten schließlich in zentralen Punkten nach. Im Zwölftafelgesetz, das im Jahr 451/450 v.Chr. erstellt wurde und in der kollektiven Erinnerung der Römer einen zentralen Platz einnahm, wurde die Position der patres familias endgültig abgesichert.54 Ausdrücklich wurde festgehalten, daß die patres familias die Besitzvererbung im Testament frei regeln können: uti legassit super familia sua tutelave suae rei, ita ius esto (5,3 [Flach] = Dig. 50,16,120 u. a.).55 Diese Testierfreiheit gab den unabhängigen Bauern die entscheidende Flexibilität, um auf die jeweilige ökonomische Situation ihrer Höfe reagieren zu können. Zugleich wurde dadurch die herausragende Stellung der patres familias als ‚Herrscher‘ in ihren Familienverbänden bestätigt. Nur sie waren die Eigentümer der materiellen Güter. Sie waren eben keine Treuhänder wie in anderen patriarchalischen Gesellschaften, wie z. B. in Griechenland.56 Ihre freie Willensentscheidung wurde durch keine rechtliche Vorgabe eingeschränkt. Aber auch gegenüber den sozial Mächtigeren wurden sie durch Zugeständnisse abgesichert. Die Formulierung ‚patronus si clienti fraudem fecerit, sacer esto‘ (8,10 [Flach] = Serv. Verg. Aen. 6,609) – , der Patronus solle den Göttern geweiht sein, wenn er einen Clienten betrügt‘ ist in ihrer einseitigen Orientierung auf die Rechte der sozial Unterlegenen bemerkenswert. Dieses Zugeständnis dürfte den patrizischen Familien nicht leicht gefallen sein, da sie damit ein wesentliches soziales Druckmittel zur Disposition stellten. Allerdings sollte sich diese Regelung als ein wichtiger Schritt zur stärkeren Gegenseitigkeit im Klientelverhältnis erweisen und auf diese Weise ein entscheidendes Fundament für die soziale Ordnung der Republik legen. Schließlich wurde noch festgelegt, daß über das Leben einzelner Bürger nur vom comitiatus maximus geurteilt werden durfte: de capite civis nisi per maximum comitiatum ne ferunto (9,1–2 [Flach] = Cic. leg. 3,11,44). Damit war bei schweren Anklagen ein Schutz des Bürgers vor dem Zugriff magistratischer, d. h. in diese Zeit vor allem patrizischer, Willkür gesichert. Nur alle Bürger gemeinsam konnten einen der ihren zum Tode verurteilen.57

53 54

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Eder 1990, 21–22. Zum historischen Kontext der Zwölftafeln s. Liv. 3,31,1–55,5; Dion. Hal. 10,54–11,46; Cic. rep. 2,36,61–37,63; Diodor 12,23–25; Tac. ann. 3,27; Dig. 1,2,2,3–4 u. 24. Zu den modernen Analysen der Überlieferungsprobleme s. Täubler 1921, 14–67; Poma 1984, 53–171; UngernSternberg 1986, 78–82. Zu Recht betont Dieter Flach in seinem Kommentar zu dem Passus, daß damit nicht einer willkürlichen Enterbung und dem Mißbrauch ökonomischer Macht im Familienverband Vorschub geleistet werden sollte, sondern die Freiheit von erbrechtlichen Zwängen die Unabhängigkeit der Familien sichern sollte. Vgl. Flach 2004, 200. Zu den Strukturen der griechischen Familie s. jetzt Schmitz 2007; zur Einordnung der Familie in den gesamtgesellschaftlichen Kontext in Griechenland s. a. Schmitz 2004. Zum Recht der römischen Bürger im Rahmen der provocatio an die Volksversammlungen appellieren zu dürfen, s. Jehne 2002 und Lintott 1972.

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Auf den ersten Blick mutet der Inhalt des Zwölftafelgesetzes eher privatrechtlicher Natur an. Eigentumsrechte werden genauso festgeschrieben wie Bestimmungen zur Hinterlassenschaft.58 Dennoch bilden die Zwölftafeln den entscheidenden $XVJDQJVSXQNW IU GLH (QWZLFNOXQJ HLQHU VSH]LÀVFKHQ 6WDDWOLFKNHLW LQ GHU U|PLschen Republik und wurden auch als solcher im historischen Gedächtnis der Römer memoriert. Die patrizische Aristokratie gab nach Jahrhunderten den Versuch auf, die Masse der unabhängigen Bauern mit Druck und Zwang in ihre streng hierarchisierten Personenverbände eingliedern zu wollen. Mit den Zwölftafeln anerkannte VLHVRJDUGHQVSH]LÀVFKHQ$XIEDXGHQVLFKGLH)DPLOLHQDOV6FKXW]JHJHQGLHVH permanente Statusbedrohung gegeben hatten.59 Die staatlichen Qualitäten in der Position der patres familias wurden ausdrücklich bestätigt und dauerhaft in der Gesellschaft verankert. 60 Als Folge davon wurden alle auf dem römischen Territorium lebenden Menschen, die nicht pater familias waren, zudem durch die Rechtssprechungskompetenz der Familienoberhäupter dem juristischen Zugriff zentraler Instanzen weitgehend entzogen. Insgesamt lief dieses Gesellschaftsmodell auf eine extreme Subsidiarität hinaus, die die staatliche Regelungs- und Zugriffskompetenzen an zehntausende von Familienoberhäuptern delegierte, die ihrerseits im Gegenzug bereit waren, auf der Ebene der zentralen Organisation eine auf wenige Kompetenzfelder beschränke starke Exekutive zu akzeptieren und zu unterstützen.61 Aus Sicht der römischen ‚Mittelschicht‘ war dies ein epochaler Einschnitt, der ihre Lebenssituation grundlegend änderte und ein völlig neues Verhältnis zu den sich entwickelnden republikanischen Institutionen ermöglichte. Zum ersten Mal wurde die patrizische Aristokratie nicht mehr nur als Gegner wahrgenommen, der langfristig die Statusreduzierung der eigenen Familie anstrebte, sondern als möglicher Partner bei der Durchsetzung eigener Interessen. Ein neues Verständnis von bürgerlicher Partizipation entstand, das sich in einer wesentlich aktiveren Rolle des Volkes in den politischen Institutionen niederschlug.62 Mit der Disposition weiter Teile der politisch relevanten Bevölkerung zu einer neutralen Partizipation wurde die Basis dafür gelegt, daß die Volksversammlungen zunehmend die Rolle eines ‚Schiedsrichters‘ bei der Auswahl der führenden Repräsentanten innerhalb der aris58 59

60 61 62

Vgl. Eder 1986, 262–300. Mit der Sicherheit der eigenen Person und der Rechtssicherheit für den Besitz hatte die römische Gesellschaft Grundlagen geschaffen, die in der modernen sozialwissenschaftlichen Forschung als wesentlich für die Entfaltung des Wohlstandes angesehen werden. Dem institutionellen Schutz vor Willkür scheint dabei eine besondere Bedeutung zuzukommen s. Acemoglu/ Johnson/Robinson 2008. Vgl. Linke 2010b, 128–134. Zur geringen Dichte gesetzlicher Regelungen in der mittleren Republik s. Linke 2011, 37–64, 50–58. Dies galt vor allem für die Rolle der comitia centuriata bei der Einsetzung der Magistrate. So wurde zum Beispiel bei der Einführung der Censur festgelegt, daß deren Inhaber durch eine lex centuriata legitimiert werden sollten (Liv. 4,8,2–7). Aber auch die Quaestoren wurden nicht mehr von den führenden Amtsinhabern ernannt, sondern vom Volk gewählt (Tac. ann. 11,22). Zu der wachsenden Bedeutung der Volksversammlung s. Ferenczy 1976, 30–31; Hölkeskamp 1987, 38–39; Gaudemet 1982, 313–314; De Francisci 1959, 771–773; Meyer 1975, 64–65; Kienast 1975, 98; Wieacker 1988, 225–230; Drummond 1989, 98–204.

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tokratischen Oberschicht übernehmen konnten.63 Zudem weitete sich der Kompetenzspielraum des Volkes innerhalb der Gesetzgebung und der Außenpolitik deutlich aus.64 5. DER STAAT, DIE FAMILIE UND DIE AGGRESSIVE SUBSIDIARITÄT Selbstverständlich wird dieser Sinneswandel nicht abrupt und vollständig innerhalb kürzester Zeit eingetreten sein. Dafür waren die Interessen der Beteiligten einer zu starken Binnendifferenzierung innerhalb der jeweiligen Gruppe unterlegen. Viele Patrizier werden – trotz der gesetzlichen Regelungen – weiterhin die alten Ziele verfolgt haben (exemplarisch für einen solchen Gegensatz sind die Valerii und Claudii) und viele unabhängige Bauern werden noch lange Zeit den Patriziern zutiefst mißtraut haben. Und doch darf man nicht übersehen, daß es langfristig eine solide Basis für eine Zusammenarbeit gab: ein erstaunlich ähnliches Staatsverständnis. Sowohl die Aristokratie als auch die unabhängigen Bauern besaßen ein sehr ambivalentes Verhältnis zu den staatlichen Institutionen. Einerseits war ein Mindestmaß an staatlicher Infrastruktur zur Sicherung der eigenen Position von hoher Bedeutung. Doch durfte diese Staatlichkeit keine Machtansprüche entfalten, die die herrschaftliche Stellung in der eigenen sozialen Umgebung bedroht hätten. 'LH 6WDELOLVLHUXQJ HLQHU PLQLPLHUWHQ DEHU HIÀ]LHQWHQ 6WDDWOLFKNHLW ZDU DOVR IU beide Seiten ein Leitbild politischen Handelns. Für das entstandene Bündnis zwischen Aristokratie und Mittelschicht, das langfristig zu einer politisierten Elitenrekrutierung und damit zu grundlegenden Veränderungen in der Oberschicht führen sollte, gibt uns die römische Überlieferung ein wunderbares Beispiel, dessen zentrale Figur zu den berühmtesten Heroen der römischen Republik wurde. Im Jahre 363 v.Chr. wurde der patrizische Adlige Lucius Manlius Imperiosus zum Dictator ernannt.65 Diese außergewöhnliche Funktion sollte er nur übernehmen, um eine religiöse Zeremonie in besonders weihevoller Form durchzuführen, von der sich die Römer die Befreiung von einer grassierenden Seuche erhofften. Doch anstatt nach dem Ritual sofort zurückzutreten, wie es die Mitbürger erwartet hatten, führte er eine Aushebung durch, um einen Krieg gegen das Nachbarvolk der Herniker zu beginnen. Erst als sich alle Volkstribunen geschlossen gegen ihn stellten, verzichtete er auf das Vorhaben und legte die Dictatur nieder. Bei den umstrittenen Aushebungen war er jedoch so brutal vorgegangen, daß ihm das Volk nicht 63 5LOLQJHU²VSULFKWYRQHLQHPÄ3D]LÀ]LHUXQJVSRWHQWLDO¶GHV:DKODNWHVGDVYRQGHU Aristokratie genutzt werden mußte, da ihre Autorität aufgrund der voranschreitenden Differenzierung der Gesellschaft nicht mehr als alleiniger Legitimationsträger für die Einsetzung der Magistrate ausreichte. Die hohe Bedeutung des Volkes als einer dritten Instanz, die durch gesellschaftlich akzeptierte Kompetenz den adelsinternen Konkurrenzkampf um Führungspositionen entschied, betont zurecht Hölkeskamp 2006. 64 So z. B. das Recht über Krieg und Frieden zu entscheiden (Liv. 4,30,15); zur Entwicklung der frührepublikanischen Gesetzgebung s. Bleicken 1975, 52–99; Flach 1994. 65 Die Episode zur Dictatur des Manlius Imperiosus und der Jugend seines Sohnes Titus Manlius 7RUTXDWXVÀQGHWVLFKEHL/LY²6HQEHQHI3,37,4.

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nur den schmählichen Beinamen ‚Imperiosus‘ – der ‚Herrische‘ – gab, sondern er sogar von dem Volkstribunen Marcus Pomponius angeklagt wurde. Pomponius ließ es sich dabei nicht nehmen, das gesamte Verhalten von Manlius Imperiosus in den Prozeß miteinzubeziehen. So wurde auch sein Vorgehen gegenüber seinem Sohn Titus Gegenstand der Anklage. Diesen hatte Manlius Imperiosus aufs Land verbannt und ihn gezwungen unter ganz und gar unwürdigen Umständen niedrige Tätigkeiten zu leisten. Dies soll er deshalb getan haben, weil er aufgrund der sprachlichen Probleme seines Sohnes eine angemessene Förderung der Karriere des Jungen nicht für lohnenswert hielt.66 Dieses verachtende Vorgehen gegen seinen eigenen Sohn wurde in der Öffentlichkeit als Skandal angesehen. Die Reaktion des Sohnes Titus auf die Anklage des Vaters wurde der Beginn einer heldenhaften Biographie, die Titus zu der vielleicht bedeutendsten Inkarnation römischer Werte machen sollte. Als er von dem Prozeß hörte, schlich er sich nach Rom, wo er im Haus des Volkstribuns Einlaß fand. Als er allein mit Pomponius war, bedrohte er ihn mit einem Messer und zwang ihn, einen Eid zu leisten, daß er seinen Vater nicht mehr anklagen werde. So rettete der Sohn den Vater vor der Verurteilung. Auch wenn der Historiker Livius nachdrücklich unterstreicht, daß die Aktion roh und von derbem Charakter gewesen sei und kein Beispiel für eine bürgerliche Verhaltensform, so sei es doch aufgrund der richtigen Einstellung als Sohn gegenüber dem Vater (pietas) zu loben.67 Die Priorität liegt für Livius also eindeutig auf der richtigen Handlungsweise als Sohn, die die gewalttätige Vorgehensweise in diesem besonderen Fall rechtfertige, sogar wenn sie sich gegen einen Volkstribun richtete, der in extremer Weise vom ganzen römischen Volk vor der Bedrohung durch Gewalt geschützt war. Der Vorrang der richtigen Rolle innerhalb der Familie könnte nicht deutlicher betont werden. Daß sich Titus als idealer Sohn gegenüber VHLQHP9DWHUYHUKLHOWREZRKOGLHVHUVHLQHYlWHUOLFKH)UVRUJHSÁLFKWHNODWDQWYHUletzt hatte, gab ihm die Legitimation für dieses eigentlich ungeheuerliche Vorgehen. Aufschlußreich dabei ist, daß diese Haltung des Sohnes gerade nicht als das Ergebnis einer richtigen Erziehung durch den Vater dargestellt wird, sondern als eine dem Sohn von Natur aus mitgegebene Eigenschaft. Da er zwangsweise in rustikaler Asozialität lebte, unterstreicht seine tugendhafte Verhaltensform die Tatsache, daß die bedingungslose Unterwerfung unter den Vater im römischen Denken quasi einen Bestandteil der natürlichen Ordnung darstellte. Nachdem er so bravourös die Kerntugenden eines römischen Sohnes der breiten Öffentlichkeit demonstriert hatte, wurde er im selben Jahr direkt zum MilitärtriEXQHQJHZlKOWREZRKOHUNHLQHZHLWHUH4XDOLÀNDWLRQDXIZLHV,PQlFKVWHQ-DKU bewährte er sich bei einem Angriff der gefürchteten Gallier aufs Neue glänzend. Als die Römer zu einem Zweikampf mit einem hünenhaften Gallier herausgefordert wurden, meldete sich Titus freiwillig, nicht ohne allerdings den befehlshabenden Dictator ausdrücklich um Erlaubnis gefragt zu haben.68 Nachdem er in einem harten Kampf gesiegt hatte, nahm er dem Gallier einen goldenen Halsring (torques) ab, 66 67 68

Liv. 7,4,1; Sen. benef. 3,37,4; Cic. off. 3,112; Val. Max. 5,4,3; 6,9,1; Zonar. 7,24. Liv. 7,5,7: eoque id laudabilius erat, quod animum eius tanta acerbitas patria nihil a pietate avertisset; s. a. Cic. off. 3,112; Val. Max. 5,4,3. Liv. 7,10,1–14.

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den dieser als Zeichen seiner hohen Stellung trug. Aufgrund dieser sehr persönlich erfochtenen Beute erhielt Titus Manlius nun den ehrenvollen Beinamen Torquatus. 21 Jahre später, 340 v.Chr., war Titus Manlius Torquatus selber Konsul und führte zusammen mit seinem Kollegen Decius Mus den Krieg gegen die vereinte Streitmacht der Latiner, die gemeinsam gegen Rom zu Felde zogen.69 Vor der entscheidenden Schlacht, der in der römischen Überlieferung eine enorme Bedeutung zukommt und die durch Vorzeichen stark religiös konnotiert ist, gab Manlius den Befehl, daß niemand ohne seinen ausdrücklichen Befehl den Kampf beginnen dürfe. Ausgerechnet sein eigener Sohn, der bei der Reiterei diente, ließ sich nun durch gegnerische Reiter provozieren. Die sich aus dem Geplänkel ergebende Schlacht endete mit einem großen Sieg der Römer. Stolz präsentierte sich der Sohn seinem Vater als würdiger Erbe seines Mutes und Kampfvermögens. Doch Torquatus ließ ihn unerbittlich und zum Entsetzen der jüngeren Soldaten vor dem versammelten Heer hinrichten, weil er seinem Befehl nicht gehorcht hatte. Das Leben und Wirken des Titus Manlius Torquatus wurde zum Inbegriff der VSH]LÀVFKU|PLVFKHQ9HUZREHQKHLWYRQIDPLOLlUHU+LHUDUFKLHXQGVWDDWOLFKHU2UGQXQJ$XIGHQHUVWHQ%OLFNVFKHLQHQVLFKGLH3ÁLFKWGHQ%HIHKOHQGHU2EHUPDJLVtrate Folge zu leisten, und die Unterwerfung unter den Willen des Vaters als gleichberechtigte Phänomene zu ergänzen, die dazu führten, daß die jungen Römer in privaten wie öffentlichen Kontexten eine permanente Gehorsamsbereitschaft eingeimpft bekamen. Das römische Weltreich wäre aus dieser Sicht das Produkt einer Totalität absoluter Unterwerfungsanforderungen. Doch diese Interpretation der Konstellation, die sich bis zum 4. Jh. v.Chr. entwickelt hatte, bekommt bei genauerer Analyse tiefe Risse. Zwar betont die Lebensgeschichte des Torquatus ohne Zweifel in einer besonders intensiven Weise die Notwendigkeit, sich dem Willen des Vaters und den Befehlen des Obermagistrats zu unterwerfen. Doch werden in den Abläufen klare Differenzierungen zwischen der Tragweite dieser gesellschaftlichen Hierarchisierungen deutlich. Der Wille des Vaters gilt uneingeschränkt und in jeder Situation. Die heroische Leistung des jungen Manlius lag darin, diesem Grundsatz trotz der eklatanten Ungerechtigkeiten zum Durchbruch verholfen zu haben. Der Wille des Magistrats unterliegt hingegen der gesellschaftlichen Relativität. So mußte Manlius Imperiosus seine militärischen Aushebungen abbrechen, weil sie auf keine gesellschaftliche Akzeptanz stießen. Für das unangemessen brutale Vorgehen wurde er sogar angeklagt. Der plumpe Versuch zivile Kompetenz in militärische Machtfülle umzuwandeln, scheiterte am gesellschaftlichen WiderVWDQG$XIGLHVH:HLVHHUZLHVVLFKGLH(IÀ]LHQ]GHV6FKXW]HVGHU%UJHUYRUGHU Willkür der Magistrate durch das Volkstribunat – ein wichtiges Ergebnis der Ständekämpfe. Einen Schutz des Sohnes vor dem Vater gab es nicht. Der Versuch eines politischen Amtsträgers, des Volkstribunen Pomponius, hier Abhilfe zu leisten, scheiterte komplett. Das entscheidende der Tat von Torquatus lag darin, daß der Schutz der väterlichen Gewalt von innen erfolgte und damit die Autonomie der Familie gewahrt blieb. Für die Aufrechterhaltung dieses hohen Gutes tolerierte die Gesell69

/LY²&LFÀQ9DO0D[*HOO

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schaft sogar die zutiefst frevelhafte Gewaltanwendung gegenüber einem Volkstribun, die ansonsten mit den härtesten Strafen belegt war. Die Römer waren offensichtlich der Meinung, daß bei einer Kollision zwischen dem Interesse der Familie und dem Amt des Volkstribuns die Bedeutungshierarchie der beiden gesellschaftlichen Institutionen klar war. Auch wenn die Volkstribune den Magistraten entgegentreten konnten, standen der Vater und seine gesellschaftliche Stellung in der Werteordnung über dem Volkstribunat. Dieses Amt war eben gerade geschaffen worden, um die Autonomie der Familie, die auf der Herrschaft des pater familias basierte, zu sichern, und durfte diese nicht durch staatliche Machtansprüche bedrohen. So blieb der Volkstribun auch im Gegensatz zum Magistrat mit imperium der patria potestas des Vaters untergeordnet und konnte von diesem auch öffentlich gemaßregelt werden.70 Konsequenterweise wurde auch der junge Torquatus daher für sein Vorgehen zum Schutz des Vaters gegen einen Volkstribun nicht bestraft, sondern gelobt und ohne einschlägige Erfahrung direkt in eine militärische Funktion gewählt. Er widerlegte damit die Bedenken seines Vaters gegenüber einer möglichen Karriere glänzend. Nachdrücklicher konnte der ungeheure Stellenwert des pater familias nicht hervorgehoben werden. Die Unantastbarkeit der autonomen Familie wurde zur Basis für die freiwillige Partizipation der Bürger am Gemeinwesen. Auf der Grundlage dieser eigenmotivierten Teilhabe konnte ein Staat entstehen, der langfristig mit erstaunlich wenigen Institutionen und einer geringen normativen Regelungstiefe auskam. Die Bürger selbst hatten ein Interesse am Fortbestand eines funktionierenden Gemeinwesens und mußten nicht durch institutionellen Druck zur Unterstützung bewogen werden. Die Lebensgeschichte des Manlius Torquatus ist aber auch ein Symbol für den grundlegenden Wandel in der patrizischen Oberschicht. Obwohl er aus einer patrizischen Familie stammte, die über erbliche Privilegien verfügte, entschied der ehrgeizige Vater über die Karrierechancen seine Sohnes ausschließlich nach politischen Kriterien: Ganz nüchtern sah er in der mangelnden Sprachfähigkeit des Sohnes ein fundamentales Hindernis im neuen Wettbewerb um politische Ämter, wie er nach der Zulassung der Plebejer zum Oberamt 367 v.Chr. entstanden war. Daß der Vater diese Konsequenz schon in dieser frühen Phase der politischen Neuorientierung zog, zeigt eindrücklich, daß er ein Gespür für die sich wandelnden Anforderungen im politischen Raum besaß. Auch wenn Manlius Imperiosus mit seinem Verhalten in keiner Weise sympathisch wirkt, kann man ihm doch nicht einen klaren Blick auf die Veränderungen absprechen, die sich aus dem Wandel der Oberschicht von einem Erbadel zu einem politischen Leistungsadel ergaben. Die FähigNHLW]XU|IIHQWOLFKHQ.RPPXQLNDWLRQZXUGHGDEHL]XHLQHU]HQWUDOHQ4XDOLÀNDWLRQ 'LH7DWVDFKHGD‰GHU6RKQGLH0lQJHOEHLVHLQHU%HIlKLJXQJ]XUÄREHUÁlFKOLFKHQ Kommunikation‘ durch substantielle Taten ausglich, ließ seinen Werdegang endgültig zum historischen Sehnsuchtsort einer Gesellschaft werden, die in ihrem Selbstverständnis die Leistung des Einzelnen als entscheidendes Adelskriterium ansah. Daß Manlius Torquatus dabei vor allem das Autonomie-Ideal der ‚normalen‘ 70

Zu Beispielen ‚aufrührerischer‘ Volkstribunen, die von ihrem Vater diszipliniert wurden s. Botteri 1983.

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Römer verteidigte, ließ seine Idealisierung anschlußfähig für breite Schichten der Gesellschaft werden. So wurde er zum Sinnbild der Aussöhnung der Wertesysteme der Oberschicht und weiter Schichten der einfachen Bürger. Erst auf der Basis dieses schichtenübergreifenden Konsenses entstand die ungewöhnliche Gehorsamsbereitschaft der Bürger gegenüber der neuen politischen Aristokratie. Die gestiegene Gehorsamsbereitschaft breiterer Bevölkerungsschichten gegenüber den gewählten Magistraten stellte die personellen Grundlagen für eine aggressivere Außenpolitik bereit. Diese wurde ihrerseits durch den zunehmenGHQ/HLVWXQJVXQG3URÀOLHUXQJVGUXFNDQJHWULHEHQGHPGLH$QJHK|ULJHQGHUQHXHQ Oberschicht im Rahmen der politischen Konkurrenz unterlagen. Beide Faktoren ]XVDPPHQ ² HLQH HQRUPH 3DUWL]LSDWLRQVEHUHLWVFKDIW DQ PLOLWlULVFKHQ .RQÁLNWHQ und eine statusunsichere Führungsschicht, deren Angehörige sich über äußere Erfolge zu legitimieren suchten – verbanden sich zu einer explosiven Mischung, die die Basis für die atemberaubende Expansion Roms seit der Mitte des 4. Jh. v.Chr. bildete. Die großzügige Verteilung von Beute führte dazu, daß die römischen Gesellschaft in immer neue sich selbst stabilisierende Kreisläufe der Aggression eintrat, deren Erfolg sowohl die Akzeptanz des Führungsanspruches der Oberschicht stärkte als auch die wirtschaftlichen Grundlagen der römischen Familie festigte und damit das Hauptziel der Mittelschicht einer gesicherten familiären Autonomie unterstützte. So bildete – trotz einer starken Exekutive – der freie Bürger, der in seiner eigenen domus die entscheidende Gewalt darstellte, die Grundlage des römischen Staates. Selbst in der Armee wurde er bei aller Disziplin nicht zum entrechteten Befehlsempfänger, sondern war ein ‚Bürger in Uniform‘. Dies spiegelt sich eindrücklich in der strikten Handlungsweise des Torquatus wider, der bei dem harten Todesurteil gegen seinen eigenen Sohn die Rolle des Imperiumträgers und des Vaters in sich untrennbar vereinte. Auf diese Weise wurde er im historischen Gedächtnis zum Symbol dafür, daß beide Gewalten eine gemeinsame Quelle in der Gesellschaft besaßen. Aus diesem komplexen Zusammenspiel von staatlicher und subsidiärer Autorität entstand ein Gemeinwesen, dessen politische Entscheidungen im Zentrum nur eine relativ geringe Regelungstiefe entwickelten. Die gesellschaftliche Konstellation des römischen Staates in der Phase der Expansion seit der Mitte des 4. Jh.v.Chr. könnte man daher als Situation der aggressiven Subsidiarität bezeichnen. Diese wurde zur Grundlage des entstehenden Weltreiches. Doch sollte man nicht übersehen, daß die Austarierung von häuslicher Autonomie und politisch-militärischer Unterordnung ein fragiles Gleichgewicht bildete, das im Laufe der Republik in nicht wenigen Fällen schwere Erschütterungen erfuhr. Das Verhältnis der Väter zum Staat blieb immer von einer sensiblen Reziprozität geprägt.

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MEISTER DER MACHT OHNE FORMIERUNG VON STAATLICHKEIT: DIE RÖMISCHE ARISTOKRATIE Uwe Walter I. WORUM ES GEHT Die Aristokratie der römischen Republik kann in ihrer Eigenart wie in ihrer rezeptionsgeschichtlichen Bedeutung nur verstanden werden, wenn man den Expansionsprozeß betrachtet, der die Tiberstadt langsam, aber dafür um so nachhaltiger zunächst zur beherrschenden Macht Italiens machte (ca. 400–270)1 und nach weiteren gut zweihundert Jahren darin gipfelte, daß sich in der gesamten Mittelmeerwelt niemand mehr mit Aussicht auf Erfolg der römischen Macht widersetzen oder diese gar herausfordern konnte.2 Umgekehrt bildeten die Existenz des Herrschaftsgebietes und die innere Struktur der soziopolitischen Führungsschicht zusammen mit dem institutionellen Rahmen eine kritische Masse für die Erosion und Zerstörung der politischen Ordnung in Rom nach 133. Erst der Sieger im letzten Bürgerkrieg vermochte als Princeps Augustus ab 30/27 den römischen Machtbereich in ein echtes Imperium zu transformieren und dieses gemeinsam mit der – personell wie habituell zum Teil neu formierten – Aristokratie in Form einer kommunikativen Monarchie zu regieren. Der Zielrichtung des Bandes folgend wird die republikanische Aristokratie hier in erster Linie unter folgenden Gesichtspunkten betrachtet: Ausrichtung auf das Gemeinwesen in Denken, Handeln und Haltung, ferner Machtkonzentration, Strukturbildung und Institutionalisierung. Andere, selbstverständlich ebenso erkenntnisträchtige Perspektiven müssen zurücktreten oder können nur gestreift werden.3 Im Sinne einer problemorientierten Skizze soll ferner exemplarisch und idealtypisch verfahren werden; die Unschärfen und Kontingenzen, die sich aus einer genauen Betrachtung etwa einzelner Karrieren ergeben – wobei sich auch da immer wieder Muster erkennen lassen –, müssen ebenfalls weitgehend ausgeblendet werden. Auch erscheint es weder nötig noch zielführend, für (Staats-)Diskurse als „explizite oder implizite Selbstbeschreibungen und Erwartungshaltungen der Römer“ (s. o. 1 2

3

Alle Jahreszahlen verstehen sich v.Chr., wenn nicht anders angegeben. Den wesentlichen Einschnitt bildeten der Sieg des Gnaeus Pompeius über den pontischen König Mithradates VI. Eupator und die anschließende Neuordnung der Gebiete von der Levante bis zum Schwarzmeerraum i. J. 63. Die Eroberung Galliens durch Caesar (58–50) hingegen kann man eher zu der anschließend in der – hier nicht behandelten – Kaiserzeit vollzogenen Expansion in die kontinentalen Räume West- und Mitteleuropas zählen. – Die wesentlichen Fakten und Zusammenhänge bei Walter 2008; vorzügliche Orientierung zum Forschungsstand: Rosenstein/Morstein-Marx 2006; zu den Konzeptionen weiterführend Hölkeskamp 2004a. Vgl. ferner Bleicken 1999; Jehne 2008. Für einen Gesamtüberblick s. Bleicken 1995a, 42–67; vgl. ferner Stein 2007.

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die Einleitung) in erster Linie die Rolle der Aristokratie in der politischen Philosophie Ciceros4 zu referieren. Das gilt umso mehr, als Cicero in De re publica und De legibus keine tiefgreifende Revision oder systematisierende Neumodellierung der damals bestehenden Ordnung der öffentlichen Angelegenheiten versuchte5, sondern vielmehr die Tradition in intellektualisierender Manier reformulierte, um für sich selbst eine Autorität zu gewinnen, die er als politischer Akteur in der Abfassungszeit der Schriften, den 50er-Jahren, nicht besaß. Auch ist sein ‚Staatsbegriff‘ bereits ausführlich untersucht worden.6 Im Folgenden wird die Gruppe, um die es geht, meist als Aristokratie bezeichnet, nur vereinzelt mit den soziologischen, eher formalen Bezeichnungen Oberschicht, Elite oder Führungsschicht. Aristokratie bringt besser zum Ausdruck, daß HVKLHUXPÅHLQHVSH]LÀVFKH+HUUVFKDIWVIRUPHLQEHVRQGHUHV(WKRVXQG6HOEVWELOG sowie einen distinktiven Lebensstil, der seinerseits in alle Bereiche des Denkens und Handelns hineinreicht“, geht.7 Eine vergleichende, epochenübergreifende Zusammenschau legt nahe, Aristokratie als ein „integrierendes, auf prinzipielle Gleichheit einer herrschenden Gruppe bedachtes, zugleich aber Individualität und ‚Besonders-Sein‘ förderndes und den gemeinsamen Nutzen langfristig sicherndes Modell von politischer Herrschaft, gesellschaftlicher Ordnung und sozialer Formierung“ zu begreifen. Eine Besonderheit der republikanischen Aristokratie, die in der Kaiserzeit noch verrechtlicht und objektiviert wurde, sei an dieser Stelle einleitend wenigstens angedeutet: Wer sich der Aristokratie zurechnete, war mehr oder minder vermögend, SÁHJWHHLQHQGLVWLQNWLYHQ/HEHQVVWLOKLHOWVHLQH9RUIDKUHQLQ(KUHQXQGKREVLFK durch Bildung von der breiten Bevölkerung ab. Zugleich verstand es sich für ihn von selbst oder lag doch zumindest nahe, öffentliche Ämter zu bekleiden und Mitglied eines aristokratischen Ratsgremiums zu sein. Genau hier ist aber eine wichtige Differenzierung vonnöten: Nur wer in Rom Amtsträger war und im Senat8 saß oder dies anstrebte, gehörte zum inneren Kreis der herrschenden Aristokratie; diese nach einigen hundert Köpfen zählende Gruppe wird daher in der Forschung auch gelegentlich als ‚regierende Klasse‘ bezeichnet.9 Wie noch zu zeigen sein wird, betrachtete ein Angehöriger dieses Kreises die ‚Politik‘ als das Zentrum seiner Existenz und strebten die ihm Zugehörenden nach Prominenz im Raum der res publica. Ihre übrigen Rollen – etwa als Hausvorstand, Wirtschaftssubjekt, Grundbesitzer, Patron und kultivierter Mensch – wurden davon jedoch nicht an den Rand gedrängt.10 Als Musterbild des ‚integralen Aristokraten‘ galt Nachgeborenen wie Cicero, Cornelius Nepos und Plutarch der ältere Cato (234–149), ein Mann, der sich frühzeitig auf allen relevanten Feldern betätigte: als Vater und Erzieher seines 4 5 6 7 8 9 10

Hierzu ausführlich, aber konventionell Atkins 2000; Ottmann 2002, 77–129; konziser Lintott 1998, 220–232. Vgl. ferner Asmis 2004; 2005. Etwas anders akzentuiert Meyer 2006. Suerbaum 1977. Beck/Scholz/Walter 2008, 2. Ebd., 3 das folgende Zitat im Text. Meyer 1975, 202–215; Bleicken 1995a, 85–97; Lintott 1998, 65–93. Über den inneren Führungskreis (Nobilität) s. u. Zu diesem Komplex grundlegend Beck 2008.

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Sohnes, als Gastgeber, als Redner und Rechtskundiger, als Soldat und später als Befehlshaber, als aktiver, bisweilen auch aggressiver Politiker, genügsam in seiner Lebensführung, zugleich ein auf höchste Rendite zielender Agrarunternehmer, der sich stets treu geblieben sei und sich auch im hohen Alter nicht aus der Öffentlichkeit zurückzog.11 Hingegen spielte für den anderen Teil der römischen Aristokratie politische Prominenz eine untergeordnete oder gar keine Rolle. Die ‚Ritter‘ (equites)12 hießen so, weil sie ursprünglich in der Bürgerreiterei zu Pferd dienten. Die Standesbezeichnung mitsamt Abzeichen und Privilegien blieb erhalten, doch mehr und mehr rückte eine funktionale Ausrichtung ins Zentrum. Die equites, mehrere Tausend an Zahl, waren, so kann man vereinfachend sagen, diejenigen Aristokraten mit römischem Bürgerrecht, die nicht in die Ämterlaufbahn in Rom eintraten, sondern allenIDOOVLQLKUHU+HLPDWJHPHLQGHSROLWLVFKH3ÁLFKWHQZDKUQDKPHQVLFKDEHUDQVRQVten ganz auf wirtschaftlichen Erfolg konzentrierten. Sie „zogen Luxus, heimliche 0DFKWXQGVROLGHQ3URÀWGHQ/DVWHQGHQ*HIDKUHQXQGGHPEHUPl‰LJHQ$XIZDQG eines Senatorenlebens vor“.13 Ihre Interessen und Aktivitäten waren dabei freilich aufs engste mit dem Gemeinwesen und dadurch mit den Entscheidungen der regierenden Klasse verknüpft, denn sie engagierten sich in besonders gewinnträchtigen Sektoren wie Getreidetransport, Heeresversorgung, Baumaßnahmen, Zöllen und Ausbeutung der Ressourcen der unterworfenen Provinzen sowie im Kreditgeschäft. Es bestanden vielfältige Heirats- und Geschäftsverbindungen zwischen herrschender Aristokratie und Ritterstand, der zugleich eine ‚Führungsreserve‘ darstellte14: Einige sehr bekannte Römer wie der schon genannte Cato, ferner Gaius Marius (ca. 157–86) und Marcus Tullius Cicero (106–43) kamen aus dem ländlichen Ritterstand und erklommen die Ämterlaufbahn bis zur Spitze. Andere schlugen diese Option bewußt aus und engagierten sich politisch nicht, unterhielten aber intensive wirtschaftliche und kommunikative Verbindungen zu prominenten Mitgliedern der regierenden Klasse.15 Gleichzeitig waren die römischen Ritter durch ihre Aktivitäten und weil sie sich nicht so stark auf die Stadt Rom ausrichteten wie die Nobiles, vermutlich stärker als diese mit den Eliten ganz Italiens vernetzt. Als die Italiker nach dem Bundesgenossenkrieg (91–89) das römische Bürgerrecht erhielten und die equites nunmehr ganz Italiens ihre Interessen zu formieren begannen (s. u.), erwuchs so etwas wie eine potentielle ‚Reserveelite‘, die ab den 30er-Jahren des 1. Jahrhunderts v.Chr. durch Oktavian/Augustus zum Zuge kommen sollte, d. h. in die Ämterlaufbahn eintrat. Sie hatte mangels starker ‚republikanischer‘ Prägungen weniger Probleme als die Mitglieder der alten Nobilität, sich einem Monarchen unterzuordnen.16 Doch wir sind weit vorausgeeilt. 11 12 13 14

15 16

Vgl. Walter 2011, 223 f. Vgl. Bleicken 1995a, 67–84; ausf. ders. 1995b. Syme 1939/2002, 20. Besonders sinnfällig war das seit dem Plebiszit über die Rückgabe des Ritterpferdes (129 oder im Tribunat des C. Gracchus): Wer als Ritter in Rom ein Amt bekleidete und danach in den Senat eintrat, mußte das ihm von der res publica gestellte Pferd in einem öffentlichen Akt abgeben; vgl. Cic. rep. 4,2; Mommsen 1887, Bd. 3, 505 f. Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe ist Titus Pomponius Atticus; s. Perlwitz 1992; Leppin 2002. Dazu klassisch Syme 1939/2002; vgl. ferner Wiseman 1971.

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II 1. Prolog im Jenseits Hätte sich ein römischer Aristokrat der Republik mit einem kalós kagathós aus dem klassischen Athen, einem spätmittelalterlichen eques oder einem französischen noble zur Zeit Ludwigs XIV. gut unterhalten können? Die Sprachbarrieren einmal ausgeklammert, fände das Quartett gewiß rasch vielfältigen Gesprächsstoff: Alle vier wären Grundbesitzer und bezögen also einen großen Teil ihrer Ressourcen aus dem Land, der so oft unzuverlässigen und zugleich einzig beständigen Quelle von Einkünften, die etwa dazu dienten, standesgemäß und repräsentativ wohnen, besser: residieren zu können und abkömmlich zu sein. Sie hätten sich über die Jagd austauschen können, die Probleme beim Arrangieren günstiger Ehen für Söhne und Töchter oder die Reihen ihrer Ahnen, durch die sie selbst sich ausgezeichnet, erhöht XQGYHUSÁLFKWHWVDKHQ1LFKWZHQLJHGLHVHU9RUIDKUHQKDWWHQDXI6FKODFKWIHOGHUQ Ruhm gewonnen oder ihr Leben verloren, und so konnten auch das Kriegshandwerk und seine Instrumente leicht Thema eines sachkundigen Austausches werden. Gewiß würde das Gespräch auch bald auf Kleidung und Lebensstil kommen: wie sie sich hierin von den einfachen Leuten unterschieden und wie schön es war, sich in der einen oder anderen Form von Darbietungen erfreuen zu lassen. Mit einiger Sicherheit fände sich hier sogar eine Gemeinsamkeit im engeren Sinn: Alle vier hätten schon einmal vom Krieg um Troja und von den Helden dort gehört. Viele andere Teile der Lebenswelt aber würden sich im Gespräch als sehr unterschiedlich erweisen, und die jeweils drei anderen hätten ihre Mühe, das Berichtete zu verstehen. Der Athener erwähnte wohl, wie schwierig es war, seinen Wohlstand und seine Prominenz in der Volksversammlung zur Geltung zu bringen. Der mittelalterliche Ritter dürfte sich anstrengen, den Standesgenossen verständlich zu machen, warum er so oft Fehden auszutragen hatte und einem Lehnsherrn Gefolgschaft schuldete. Der französische Adlige hätte zu erklären, warum ein großer Teil seines Selbstbewußtseins daraus erwuchs, daß er zum inneren Kreis der Hofgesellschaft gehörte und der König ihn mit Namen kannte. Und der Römer müßte eine eigentümliche Konstellation darlegen: Reichtum, gute Heiraten und Sichtbarkeit, Kultiviertheit und Bewährung im Krieg bildeten zwar wichtige Elemente seiner Existenz, als wirklich erfolgreich und prominent konnte aber nur gelten, wer durch Wahlen eine der Magistraturen erlangte, also der Ämter, welche die res publica für jeweils nur ein Jahr zu vergeben hatte. Sich in einer solchen Wahl durchzusetzen war, wenn es um die höheren Ränge ging – zumal das oberste Amt, das Konsulat –, keineswegs selbstverständlich und setzte stetiges Bemühen voraus. Römische Aristokraten sahen sich gehalten, die ‚Erdung‘ nicht zu verlieren. Einige von ihnen erreichten den symbolische Gipfel, den Triumphzug nach einem siegreichen Feldzug, und konnten sich für ein paar Stunden Iuppiter, dem höchsten Gott der res publica, nahe fühlen. Doch auch sie hatten zuvor, wie fast alle anderen Standesgenossen auch, gelegentlich die schwieligen Hände von römischen Bauern schütteln müssen, wenn sie um die Stimmen dieser gestandenen Bürger warben, um in der Ämterlaufbahn (cursus honorum) nach oben zu klettern und mit jedem höheren Amt auch einen höheren Rang innerhalb der Aristokratie einzunehmen.17 17

Ehemalige Konsuln und Zensoren (s. u. im Text) bildeten die oberste Rangklasse; sie waren die Meinungsführer im Senat und stellten den princeps senatus, dessen Autorität besonders groß

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Die Ämterlaufbahn (cursus honorum)18 – – –

Konsuln Mindestalter im 1. Jh.: 43 Jahre Anzahl: 2 Kompetenzen/Aufgaben: Heerführung; Strafgewalt; Einberufung des Senats und Sitzungsleitung; Leitung der Wahl- und Gesetzeskomitien; Exekution des Notstands; Leitung von Opfern und Spielen; diplomatische Kommunikation u. v. a. Ausgestattet mit militärischer Kommandogewalt (imperium) Intervall von mind. 2 Jahren

Prätoren – – –

Mindestalter im 1. Jh.: 40 Jahre Anzahl: 2, ab 227: 4, ab 197: 6, ab 81: 8, ab 47: 10 Kompetenzen/Aufgaben: Rechtsprechung in Rom; Ausübung der römischen Herrschaft in einer Provinz. Ausgestattet mit militärischer Kommandogewalt (imperium) Intervall von mind. 2 Jahren

Diese Etappe kann übersprungen werden.

– – –

– – –

Ädile Mindestalter im 1. Jh.: 37 Jahre Anzahl: 4 (2 patrizische, 2 plebeische) Kompetenzen/Aufgaben: Marktpolizei; Sicherung der Getreideversorgung; Ordnungsaufgaben; Veranstaltung von Spielen. Agieren nur im Bereich der Stadt; ohne militärische Kommandogewalt

Intervall von mind. 2 Jahren

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Volkstribune kein Mindestalter, kein regulärer Teil des cursus Anzahl: 10 (nur Plebejern zugänglich) Kompetenzen/Aufgaben: Gesetzesanträge; Verhinderung von magistratischen Amtshandlungen (Interzession); Schutz von Bürgern gegen magistratische Willkür; Verhängung von Strafen gegen Magistrate. Agieren nur im Bereich der Stadt; ohne militärische Kommandogewalt

Quästoren Mindestalter im 1. Jh.: 31 Jahre Anzahl: anfangs 2 od. 4, ab 82: 20 Kompetenzen/Aufgaben: Verwaltung der Finanzen in Rom, beim Heer und in den Provinzen; allgemein Zuarbeit für höherrangige Magistrate Abb. 5: Übersicht zur römischen Ämterlaufbahn

18

war. Es folgten die Prätorier, die Ädilicier und schließlich die ehemaligen Volkstribune und Quästoren. Für die Magistratur insg. sowie die einzelnen Ämter s. Kunkel/Wittmann 1995; speziell zur Entwicklung im 3. und 2. Jahrhundert s. Beck 2005.

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Gleichsam neben der Ämterlaufbahn standen v. a. in der Mittleren Republik (ca. 400–133) zwei nicht-jährliche Ämter: der Dictator, der bei Bedarf ernannt wurde, um in militärischen Notlagen und befristet eine Konzentration von Autorität und Entscheidung zu erreichen, sowie die beiden Zensoren, die alle fünf Jahre für achtzehn Monate gewählt wurden, um u. a. die Senatsliste zu aktualisieren und dadurch in Einzelfällen zu entscheiden, ob jemand zur aktuellen politischen Elite gehörte oder nicht. Die Zensur war das prestigeträchtigste Amt der Republik, da es nur von einem Fünftel aller ehemaligen Konsuln erreicht werden konnte. Nicht Teil der Ämterlaufbahn, aber sehr wohl konstitutiv für die Prominenz eines Aristokraten waren zwei weitere Tätigkeitsbereiche: der religiöse und der juristische. Es gab in Rom mehrere Priesterkollegien für die öffentlichen Kulte,19 deren Mitglieder allesamt der Aristokratie entstammten.20 Ihnen präsidierte der pontifex maximus, der gewählt wurde. Ohne ‚Spezialisten‘ im modernen Wortsinn zu sein, erlangten einige Nobiles als Priester hohes Ansehen. Ähnliches galt für die Juristen, die durch Auslegungen und Auskünfte das römische Privatrecht weiterentwickelten und sich durch gelehrte Sammlungen und Kommentare einen Namen machten.21 Nicht selten erscheinen beide Kompetenzfelder in einer Person verbunden, so bei Quintus Mucius Scaevola (Konsul 117), der als Augur und Jurist bekannt war. Einen anderen Zweig bildete das Gerichtspatronat, also die Vertretung eines Angeklagten vor Gericht, die in öffentlichkeitsträchtigen Reden gipfeln konnte.22 Cicero verdankte seinen Erfolgen auf diesem Gebiet einen großen Beitrag zu seinem politischen Aufstieg. Recht, Rhetorik und Politik waren in der römischen Republik untrennbar miteinander verbunden, weil sie von einer und derselben Elite praktiziert, genauer: gelebt wurden. Die iuris prudentia konnte so nicht Profession werden, sondern mußte Handlungsmuster und soziale Rolle neben den anderen Aufgaben bleiben, auch Teil der aristokratischen Kommunikation. Weitergegeben wurde sie folgerichtig durch mimetische Sozialisation, nicht durch formalen Unterricht. II 2. Die republikanische Aristokratie: Grundlagen, Eigenarten, Terminologie, Formierung Eine wesentliche formative Grundlage für das Selbstbewußtsein der römischen Aristokratie bildete die ausgeprägte Autonomie und Autorität des Familienoberhauptes (pater familias; s. dazu den Beitrag von Bernard Linke in diesem Band). Dieser hatte in Gestalt der patria potestas und der manus die unbeschränkte und erst mit seinem Tod endende Gewalt über Ehefrau, Kinder (auch erwachsene), Enkel und Sklaven. Die „lebenslängliche monarchische Gewalt des männlichen Fami19 20 21 22

3RQWLÀFHVDXJXUHVÁDPLQHVXQG TXLQ GHFHPYLULVDFULVIDFLXQGLV bildeten die ‚größeren Kollegien‘; zu den ‚kleineren‘ gehörten fetiales, septemviri epulonum, Salii und Arvales fratres. Für eine umfassende Darstellung mit Verzeichnis aller bekannten Inhaber von Priesterämtern s. Rüpke 2005; eine gute Skizze bietet Scheid 1997. Vgl. Schiavone 1997; Kirov 2005; Liebs in diesem Band. David 2009.

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lienoberhaupts über alle Angehörigen und alle Habe der Kleinfamilie ist die schärfste Ausprägung des patriarchalischen Prinzips, die wir kennen“23. Seine häusliche Strafgewalt über die Gewaltunterworfenen sowohl hinsichtlich privatrechtlicher Streitigkeiten als auch wegen strafrechtlicher Vergehen materialisierte sich im Hausgericht.24 Hierin eine Schwäche römischer Staatlichkeit zu sehen wäre gewiß verfehlt, denn die Handhabung war an einen Verhaltenskomment gebunden und stand nicht im Gegensatz zur öffentlichen Ordnung, anders als etwa eigenmächtige Selbsthilfe, deren Hegung generell als wesentliches Moment der Stärkung von Staatlichkeit gelten kann. Das Verhältnis zwischen Haus (domus) und öffentlicher Ordnung (res publica) in Rom war in mancherlei Hinsicht komplementär und verschränkt zugleich: Konnte die res publica manche ‚öffentliche‘ Aufgabe, zum Beispiel die Ahndung von Disziplinvergehen in der Armee, der väterlichen Sanktion überlassen, so gab es umgekehrt etwa die Möglichkeit, die Gültigkeit eines Testaments wegen Mißbrauchs der Testierfreiheit anzufechten. Die väterliche Gewalt im Haus hieß ebenso wie die öffentliche der Amtsträger potestas; auch hieraus spricht nicht Unklarheit oder ein Konkurrenzverhältnis, sondern die Vorstellung, daß ein ‚Imstandesein‘ (von posse) ihres Inhabers sowohl im Haus als auch gegenüber den Bürgern die Voraussetzung für das Funktionieren jeglicher Ordnung darstellte. Verschränkt waren daher folgerichtig auch die Räume: Das Stadthaus eines römischen Aristokraten25 hatte insofern öffentlichen Charakter, als sich dort Klienten, Bittsteller und Gäste einfanden – Cicero rühmte sich, daß seine Tür immer offen stehe26 –, und umgekehrt bemühte er sich stets um Sichtbarkeit an den verschiedenen Orten öffentlichen Handelns: auf dem Forum, in den Hallen und auf dem Marsfeld, bei Opfern und Prozessionen. Wichtig war etwas anderes: Auch wenn ein Römer unter Umständen lange warten mußte, bis er selbst pater familias wurde – selbst ein Konsul konnte noch unter der Gewalt seines Vaters stehen –, lernte er doch sehr früh, was einen solchen ausmachte: Autorität auszustrahlen, wirksam zu sprechen, zu entscheiden, Fürsorge zu üben, sich gegebenenfalls mit erfahrenen Freunden zu beraten (consilium). In seiner Rolle als pater familias konnte sich der einzelne Aristokrat im Verhältnis zu den anderen ferner als ein ‚Gleicher‘ betrachten, selbst wenn alle anderen Parameter – Vermögen, Ahnen, individueller Ruhm, Verbindungen – Ungleichheit begründeten. Anders gewendet: Ein soziales Verhältnis im Raum des Hauses wirkte durch Praxis und Normativität formierend und stabilisierend auf die öffentliche Sphäre. Als älteste Aristokratie haben die Römer denn auch die Versammlung der patres angese-

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Liebs 1999, 120. Vgl. Mommsen 1899, 16–26: „Die Hauszucht“. Mommsen faßt die Hausgewalt genetisch als „die Keimzelle des Gemeinwesens“ und den Hausherrn als „Vorbild des Magistrats“ (17). Es erscheint jedoch besser, die Evolution (und damit die mit Hypothesen beladene Frühzeit) auf sich beruhen zu lassen und eine komplementäre Ko-Evolution von häuslicher und öffentlicher Institutionalisierung anzunehmen. Dazu Hölkeskamp 2004b. Cic. Planc. 66.

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hen. Deren Nachkommen genossen als sog. Patrizier später bestimmte Ehren- und Reservatrechte sowie Standesabzeichen.27 Doch weit prägender als diese geschlossene Gruppe wirkte von Anfang an eine gesellschaftsgeschichtliche Eigenart, die auch im römischen Selbstverständnis fest verwurzelt war: Eine wirksame und dauerhafte Abschließung des Adels – der anfangs durchaus als ein Geburtsadel zumindest gedacht wurde – nach außen und nach unten gelang nie.28 Die Überlieferung und die modernen Rekonstruktionen der Entwicklung bis zum 4. Jahrhundert v.Chr. unterscheiden mehrere Etappen, die im Detail hier nicht von Interesse sind. Neue Geschlechter verschafften sich Zutritt zur soziopolitischen Führungsschicht; als wichtigster Einschnitt gelten die sog. Licinisch-Sextischen Gesetze von 367, durch die ein Jahr später der erste Nicht-Patrizier das nunmehr zweistellige oberste Amt, das Konsulat, erreichte. Seit Matthias Gelzers bahnbrechender Studie über die „Nobilität der römischen Republik“29 wird die hieraus erwachsende regierende Elite in der Forschung – mit guten Gründen – als Nobilität bezeichnet, obwohl nobilitasNHLQIHVWGHÀQLHUWHU7HUPLQXVWHFKQLFXV und schon gar keine Bezeichnung eines „Standes“ war. In den Quellen, vornehmOLFKEHL&LFHURÀJXULHUHQDOVnobiles (von *gnobilis, ‚der durch seine Vorfahren und sein eigenes Auftreten bekannte Mann‘) die männlichen Mitglieder von Familien, die vor nicht allzu langer Zeit und am besten öfters einen Konsul stellen konnWHQ=ZDUEOHLEHQDOOHPRGHUQHQ9HUVXFKHHLQHUWUHQQVFKDUIHQ'HÀQLWLRQSUREOHPDtisch. Aber ein näherer Blick auf die Konsullisten sagt doch viel aus: Seit etwa 200 sank der Anteil der Konsuln, die ihrerseits bereits Inhaber dieses Amtes als Vorfahren vorweisen konnten, im Verhältnis zu allen Konsuln niemals unter 70 Prozent, und in der ‚letzten Generation‘ der Republik, also etwa von 80 bis 50, stieg diese Rate sogar auf 80 Prozent.30 Eine wesentliche Voraussetzung für diese hohe Repro27 28

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Vgl. Ungern-Sternberg 2000, 407–409. Beginnend mit der mythhistorischen Einwanderung des Aeneas aus Troja und dem angeblichen Asyl des Romulus. 48 n.Chr. zählte Kaiser Claudius, der in einer Rede für die Zulassung von romanisierten Mitgliedern der gallischen Elite zu den Ämtern in Rom warb, mit historischer Gelehrsamkeit die Beispiele von gelungenen Integrationen auf (Tac. ann. 11,48, Übers.: E. Heller): „Meine Vorfahren, deren ältester, Clausus, ein geborener Sabiner, zugleich in die Bürgerschaft Roms und unter die Familien der Patrizier aufgenommen worden ist, mahnen mich, nach den gleichen Grundsätzen bei der Regierung zu verfahren, indem ich hier in diese Versammlung hole, was sich irgendwo hervorgetan hat. Denn ich weiß wohl, daß die Iulier aus Alba, die Coruncanier aus Camerium, die Porcier aus Tusculum und, um nicht die alte Zeit zu durchforschen, Familienverbände aus Etrurien, Lucanien und ganz Italien in den Senat berufen wurden, daß zuletzt Italien selbst bis an die Alpen vorgeschoben wurde, so daß nicht nur einzelne Männer, sondern ganze Landschaften und Stämme zur Einheit unseres Namens zusammenwuchsen. Damals herrschte unerschütterliche Ruhe im Innern; auch nach außen standen wir mächtig da, als die Transpadaner in die Bürgerschaft aufgenommen waren und als man in die scheinbar über den ganzen Erdkreis verteilten Legionen die kräftigsten Bewohner der Provinzen einbezog und damit das erschöpfte Reich stabilisierte. Müssen wir es etwa bedauern, daß die Balbi aus Spanien und nicht minder ausgezeichnete Männer aus der Gallia Narbonensis herübergekommen sind? Noch leben ihre Nachkommen und stehen uns in ihrer Liebe zu Rom nicht nach.“ Gelzer 1912/1962. Vgl. Hölkeskamp 2004a, 78 f.

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duktionsrate lag gewiß in der früh einsetzenden, intensiven Sozialisation und Erziehung des nobilitären Nachwuchses durch den Vater und in der familia. Sie setzte auf ,PLWDWLRQGXUFK+|UHQ6HKHQXQG7HLOKDEHDQGHU$XVEXQJDOOGHU3ÁLFKWHQXQG Tätigkeiten, die einen nobilis zum politischen Menschen machten.31 Wer sie in sich aufgenommen hatte, war schon vor Eintritt in die Ämterkaufbahn vertraut damit, was Prominenz ausmachte. Dabei standen nicht etwa die Vielfalt der Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kenntnisse oder gar ein „Herrschaftswissen“ im Vordergrund, sondern die gesamte Haltung in der öffentlichen Existenz. Angesichts einer solchen Reproduktionsrate konnte nobilitas in dieser Zeit auch polemisch zum Synonym für einen gegenüber dem Volk gleichgültigen, sich abschottenden, alle Ämter, Ressourcen und Privilegien bei sich monopolisierenden Adel mutieren, besonders in Kontexten, wenn ein „neuer Mann“ (homo novus), ein Aufsteiger ohne konsularische Vorfahren Zutritt zur obersten Elite forderte oder erlangt hatte.32 Doch die Polemik gegen die pauci potentes (Sallust) bestätigt die Regel: Nur die Offenheit des Zugangs zur herrschenden Elite war diskursiv einklagbar; die faktische Abschottung hingegen fand statt, war aber nicht positiv ‚sagbar‘. Zudem verschwanden im Einzelfall selbst phasenweise ungemein erfolgreiche Familien wie die Fabii oder die Caecilii Metelli – diese stellten einmal binnen zwölf Jahren mindestens ebenso viele Konsuln, Censoren und Triumphatoren33 – für mehr als ein halbes Jahrhundert ganz aus den Konsullisten. Nicht immer vermochten Adoptionen den frühen Tod hoffnungsvoller Erben oder einen generellen Mangel an Nachkommen auszugleichen. Und es wurde erwartet, daß einmal erworbene nobilitas immer wieder aktualisiert wurde; wenn sie erst aus verstaubten Verzeichnissen ermittelt werden mußte, war sie faktisch nicht mehr existent.34 Die prinzipielle Offenheit der aristokratischen Elite und ihre innere Dynamik bildete sich durch die Ämterlaufbahn ebenso ab, wie sie durch diese befördert wurde: Jedes Jahr wurden alle Ämter neu vergeben und damit auch die Chancen, sich in verhältnismäßig kurzer Frist auszuzeichnen und einen Namen zu machen. *OHLFK]HLWLJZLUNWHQGHUIUDOOH(KUJHL]LJHQYHUSÁLFKWHQGH$XIVWLHJLPcursus honorum, die vergleichsweise geringe Zahl der Ämter und die hohe kommunikative ‚Kontaktdichte‘ im Senat wie auf dem Forum, bei gegenseitigen Besuchen oder durch die Arbeit in den vielfältigen Kommissionen und Kollegien homogenisie31 32 33 34

Dazu jetzt umfassend Scholz 2011. Vgl. etwa Cic. leg. agr. 2,3.5.6; Verr. 2,1,35; Sall. Iug. 4,7; 30,3; 63,6; 85 pass. Zu Begriff und Phänomen s. Strasburger 1936/1982; Wiseman 1971; Brunt 1982; Burckhardt 1990. Vell. 2,11,3; vgl. Hölkeskamp 2004a, 84. – In den Jahren 51, 50 und 49 war jeweils ein Claudius Marcellus Konsul. Vgl. etwa Cic. Mur. 16: Tua vero nobilitas, Ser. Sulpici, tametsi summa est, tamen hominibus litteratis et historicis est notior, populo vero et suffragatoribus obscurior. pater enim fuit equestri loco, avus nulla inlustri laude celebratus. itaque non ex sermone hominum recenti sed ex annalium vetustate eruenda memoria est nobilitatis tuae. – „Dein Adel jedoch, Ser. Sulpicius, ist zwar sehr erlaucht; doch kennen ihn nur belesene und in der Geschichte bewanderte Leute einigermaßen, dem Volk hingegen und den Wählern ist er ziemlich dunkel. Dein Vater hatte nämlich den Rang eines Ritters; kein hervorragendes Lob verschaffte deinem Großvater Hochschätzung. Man kann daher die Erinnerung an deinen Adelsstand nicht dem frischen Gespräch der Leute. sondern nur alten Chroniken entnehmen“ (Übersetzung: M. Fuhrmann).

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rend; selbst in den vier Fällen, in denen auf einen Schlag zahlreiche neue Mitglieder in den Senat kamen,35HUZLHVVLFKGLHDXWRPLPHWLVFKH.UDIWGHUVSH]LÀVFKU|PLschen aristokratischen Existenz als bemerkenswert stark ausgeprägt. Wer qua Geburt in der Aufstiegsspirale steckte, hatte kaum eine Alternative zur politischen Karriere (rem publicam capessere), konnte allenfalls wie der jüngere Scipio (ca. 185–129) einmal die Sorge äußern, ob er den Anforderungen entsprechen werde.36 Grundsätzliche Kritik an diesem Lebensentwurf war nur von außen und aus einer philosophisch-poetischen Perspektive möglich.37 Wie ist die Erweiterung der republikanischen Aristokratie durch die Einbeziehung neuer Familien und einzelner Aufsteiger sowie die Gestaltung der Ämterlaufbahn zu erklären? Und wie ihre auch im historischen Vergleich bemerkenswerte Ausrichtung, ja Fixierung auf die Belange der res publica und ihre eigene Sichtbarkeit vor der römischen Öffentlichkeit? Beides ergab sich eindeutig aus der außenpolitischen Situation Roms seit dem ausgehenden 5. Jahrhundert und aus der Dynamik der kriegerischen Expansion. Nach der Eroberung der Nachbarstadt Veji (396) begann ein Prozeß der territorialen und machtpolitischen Ausdehnung. Die kaum je unterbrochene Kette von Kriegen – gegen die latinischen Städte (340–338), gegen die Samniten (343–341; 326–304; 298–290), gegen Tarent und Stämme in Süditalien sowie den epirotischen König Pyrrhos (282–270) und gegen Karthago (264–241) – prägte die Nobilität zutiefst. Ihre markanten Häupter führten als Konsuln die Legionen der res publica zu Siegen, von denen die breite Bevölkerung durch Beuteanteile und Landverteilung auch etwas hatte. Fast wichtiger noch: Auch nach schweren Rückschlägen, die es reichlich gab, nicht zuletzt auch durch Eigenmächtigkeiten einzelner besonders ehrgeiziger Akteure, zerbrach die Solidarität innerhalb der Führungsschicht niemals. Der Gehorsam hielt, und hinter jedem abtretenden Konsul drängten Nachfolger, die Erfolge noch zu übertreffen oder eine Schlappe wettzumachen. Die Dynamik des jährlichen Wechsels im Oberamt, die Konkurrenz um Ruhm, Ehre und Beute sowie der ausgeprägte Herrschaftswille im Senat, dem Kollektivgremium der gewesenen Amtsträger, die entweder weiter nach oben wollten (zu den Ämtern mit Kommandogewalt) oder dort schon angekommen waren, nachhaltig geprägt von den Zielen und Routinen des Kollektivs, all dies wirkte wie eine starke Zentripetalkraft zur gedachten Mitte der res publica. In dieser Phase bedurfte es keines Institutionalisierungsschubs, der eine zentralisierte ‚Staatsgewalt‘ hervorgebracht hätte. Die Gewalt im Sinne einer jederzeit bereitstehenden, legitimen Handlungsfähigkeit, hinter der prinzipiell die gesamte 35

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216 nach der Katastrophe von Cannae; 81 durch Sulla (Verdoppelung der Senatorenzahl von 300 auf 600); nach 48 durch Caesar (900 Senatoren) sowie während des 2. Triumvirats 43–33 durch eine hohe Zahl von Amtsträgern in jedem Jahr. Vgl. Polyb. 32,9 f. Vgl. Lucr. 2,7–13 (Übers.: D. Ebener): „Am liebsten bewohnt man die hohen, heiteren Räume, / die durch die Lehre der Weisen in Sicherheit angelegt wurden. / Kannst du von dort doch herabschauen auf die andern und sehen, / wie sie umherirren, weithin schweifend den Lebensweg suchen, / wetteifernd streiten an geistigen Gaben, um Würden und Ränge (contendere nobilitate), / Tag sich und Nacht mit beträchtlicher Anstrengung (labore) eifrig bemühen, / aufwärts]XNOLPPHQ]X5HLFKWXPXQG0DFKWXQGSROLWLVFKHP(LQÁX‰ rerum potiri).“

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Bürgerschaft stand, existierte auch ohne eine solche Verfestigung. Man kann von kongruenten Konzentrationsprozessen in allen wesentlichen sozialen Formierungen sprechen: Die Stärke des Hauses konzentrierte sich im pater familias und seiner väterlichen Gewalt, die Stärke der Gesellschaft in den Klientelen mit dem patronus an der Spitze;38 der Wille der Bürgerschaft war ganz in den Magistraturen aufgehoben,39 die Durchschlagskraft des Heeres im Feldherrn mit seiner im Krieg uneingeschränkten Kommando- und Strafgewalt. Die soziale Autorität und der Wille der Aristokratie bündelten sich im Senat wie in einem Brennspiegel. Selbst die potentiell prekäre Kommunikation mit einem nicht immer leicht berechenbaren ‚auswärtigen‘ Akteur, den Göttern, unterlag vollständig der Kontrolle durch die res publica in Gestalt der Konsuln, des Senats und der Priesterkollegien, wobei letztere entweder Mitglieder der Aristokratie waren (s. o.) oder bloße Experten ohne jede Chance auf religiöses Charisma. Zur Konzentration der Gewalt trug schließlich noch ein anderer Umstand bei: Die Aufgaben- und Kompetenzteilung in der Magistratur war eher schwach ausgebildet. Zumal die Amtsträger mit imperium (Konsuln und Prätoren) konnten je nach Erfordernis zahlreiche Aufgaben wahrnehmen und Handlungen vollziehen; außerdem besaß jeder von ihnen die volle Amtsgewalt.40 Die gesellschaftlich-institutionelle Ordnung im Inneren und die militärischpolitische Dynamik nach außen kann man mit guten Gründen zugleich als VorausVHW]XQJHQZLHDOV5HVXOWDWHHLQHUVSH]LÀVFKHQKDELWXHOOHQ)RUPLHUXQJGHU5|PHU betrachten: die Welt in den Kategorien von Hierarchie und Überlegenheit wahrzunehmen – und dabei selbst stets oben zu stehen; als individueller Amtsträger druckvoll oder bloß routinemäßig zu agieren, in der Sicherheit, daß keiner Herausforderung anders und kürzer als bis zum Sieg begegnet werden würde. Im Wort magistratus, der Domäne der Aristokratie, steckt magis, „mehr“; in maiestas, dem Ausdruck für die „Hoheit“, die „Unverletzlichkeit und die „Würde“ des populus Romanus (aber auch der Götter!), entsprechend maius, „größer“.41 Ciceros späte, idealiVLHUHQGH%HVFKUHLEXQJGHU3ÁLFKWHQHLQHV$PWVWUlJHUVVSLHJHOWGLHHQJH9HUNQSIXQJHVVHLHLQH]XGLHVHPJHK|UHQGH3ÁLFKWHLQ]XVHKHQÅGD‰HULQGHU5ROOHGHU Bürgerschaft handelt, ihre Würde und Ehre aufrechterhalten, die Gesetze schützen, das Recht bestimmen und daran denken muß, daß diese Dinge seiner Verläßlichkeit anvertraut sind“.42

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Für den hohen Stellenwert des Klientelwesens in der deutschen Forschung bei der Erklärung soziopolitischer Prozesse s. Bleicken 1995a, 24–42; für eine Gegenposition Brunt 1988. Vgl. Cic. agr. 2,17: RPQLVSRWHVWDWHVLPSHULDFXUDWLRQHVDEXQLYHUVRSRSXOR5RPDQRSURÀcisci convenit. Zu allen Aspekten der Magistratur s. Mommsen 1887, Bd. 1; Meyer 1975, 106–155; Kunkel/ Wittmann 1995; speziell zum Konsul jetzt Pina Polo 2011; zu den Begriffen der Amtsgewalt s. Bleicken 1981. – Das kollegiale Verbietungsrecht gegen die Amtshandlung eines gleichgestellten Magistrats (intercessio) spielte in der Praxis keine große Rolle. Drexler 1988, 31–48 (materialreich, aber mit obsoleten Interpretationen). Cic. off. 1,124: Est igitur proprium munus magistratus intellegere se gerere personam civitatis GHEHUHTXHHLXVGLJQLWDWHPHWGHFXVVXVWLQHUHVHUYDUHOHJHVLXUDGLVFULEHUHHDÀGHLVXDHFRPmissa meminisse.

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Die skizzierten Zusammenhänge bildeten sich in den Annalen der Expansion ab, die viele Niederlagen sahen, aber ausschließlich siegreich beendete Kriege. Ferner in den Konsullisten: Da es jedes Jahr mehrere Prätoren und zwei Konsuln gab, war im Senat immer genug Führungserfahrung versammelt; diese konzentrierte und reproduzierte sich zudem in einer überschaubaren Zahl von Familien. ‚Durchschnittliche‘ Begabungen, ohne deren große Zahl kein politisches System existieren kann, fanden ihren Platz; besonders erfolgreiche Gestalten erhielten Gelegenheit zur mehrfachen Bewährung; Fehler konnten im Einzelfall schwerwiegende Folgen haben, aber auch wieder ausgebügelt werden, indem man etwa einen Dictator ernannte oder das Kommando eines bewährten Führers verlängerte oder ihn mit einem solchen ausstattete. Auch die Selbstzeugnisse der Elite spiegelten deren ausgeprägte Fixierung. Aufschlußreich ist hier etwa die Grabinschrift für den ersten bedeutenden Vertreter der Familie der Scipionen, Lucius Cornelius Scipio Barbatus, Konsul 296, Censor 280, ein Held des Samnitenkrieges: „Lucius Cornelius Scipio Barbatus, entsprossen von seinem Vater Gnaeus, ein Mann, ebenso tapfer wie klug (sapiens), dessen Wohlgestalt seiner Tugend höchst angemessen war, der Konsul, Censor und Ädil bei euch gewesen ist, Taurasia und Cisauna in Samnium erobert, ganz Lukanien unterworfen und Geiseln weggeführt hat.“43 Zwar werden nach der Abstammung zunächst ‚universale‘ aristokratische Tugenden genannt, dann aber folgt (und überwiegt) die Reihe der erreichten (wichtigen) Ämter und der militärischen Erfolge. Auch die Aktiva eines anderen Nobilis, wie sie in einem Auszug aus der Grabrede auf ihn vollständiger aufgelistet sind, weisen gleich mehrfach auf seine öffentliche Tätigkeit hin: „Q. Metellus hat in der Lobrede, die er bei der letzten Ehrung seines Vaters L. Metellus hielt, der Oberpriester, zweimal Konsul, Diktator, Befehlshaber der Reiterei und einer der zur Verteilung von Land erwählten Fünfzehnmänner war und der nach dem ersten Punischen Krieg erstmals Elefanten im Triumph aufführte, schriftlich überliefert, sein Vater habe die zehn höchsten und besten Vorzüge, deren Erlangung die Weisen ihr Leben widmeten, in sich vereinigt: sein Wunsch sei gewesen, der erste Krieger, der beste Redner, der tapferste Feldherr zu sein, (ferner), daß unter seiner Leitung die wichtigsten Taten vollbracht würden; er habe die höchsten Ehrenstellen, die größte Weisheit, die höchste Senatorenwürde erstrebt, ein großes Vermögen auf rechte Weise sammeln, viele Kinder hinterlassen und der Angesehenste in der Bürgerschaft sein wollen; dies sei ihm zuteilgeworden und keinem anderen seit der Gründung Roms.“44 ,QGHPVLHDQGHU6SLW]HVFKLHUXQHUVFK|SÁLFKHU+HHUHDXV5|PHUQXQG9HUEQdeten unnachgiebig, opferbereit und mit harter Hand jeden Krieg bis zum Sieg durchkämpften, gewannen und sicherten die Nobiles Roms Herrschaft, zunächst über Italien, dann schrittweise über den westlichen und schließlich auch über den östlichen Teil des Mittelmeerraumes. Es war eine blutige Bilanz – auch für die Elite selbst45 –, gleichzeitig aber eine erfolg- und folgenreiche: In den Jahrzehnten vom 43 Inscriptiones Latinae selectae Nr. 1 = Schumacher 1998, 162 (daraus die Übersetzung). 44 Plin. nat. 7,139 f.; Übers.: R. König, leicht verändert. 45 ,QGHU6FKODFKWYRQ&DQQDH  ÀHOHQZRP|JOLFK0DQQGDUXQWHUHLQ.RQVXO]ZHL Quästoren, 29 Militärtribune, einige ehemalige Konsuln und Prätoren, insgesamt etwa 80 Se-

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Latinerkrieg bis zum Sieg über Hannibal (201) sammelte die Nobilität ein großes Kapital an Autorität, Vertrauen und Legitimität an. Selbst als seit den Gracchen (133/123) die Erwartungen an die Führung größer und vor allem dissonanter geworden waren und zumindest bei Teilen der Bürger und Nichtbürger dieses Kapital aufgezehrt schien (s. u.), hielten die Nobiles als Kollektiv in ihrer übergroßen Mehrzahl wie selbstverständlich an ihrem Anspruch auf umfassende Führung fest. Wenn es aber in erster Linie Siege, Beute und Triumphe waren, was die Nobiles anstreben mußten, um sich im Wettbewerb mit ihren verewigten Ahnen und ihren Konkurrenten aus der gleichen Alterskohorte behaupten zu können, so prägte dies die Außenpolitik insgesamt, sowohl die von einzelnen Imperiumträgern vorangetriebene wie die des Senats. Daß die Römer in der Folgezeit, selbst unmittelbar nach dem opferreichen Hannibalkrieg, kaum eine Chance zu Intervention, Expansion und präventiven Bekämpfung potentieller Feinde ungenutzt ließen, war zum großen Teil auch eine Folge der inneren Struktur der Nobilität.46 Selbst als im 1. Jahrhundert viele Aristokraten es faktisch für ihre Karrierechancen und ihren poliWLVFKHQ(LQÁX‰DOVYRUWHLOKDIWDQVDKHQDXVVFKOLH‰OLFKLQ5RPSUlVHQW]XVHLQZHLO die Chancen, im Herrschaftsbereich zu nennenswerten, eigenständig errungenen militärischen Erfolgen zu kommen, stark gesunken waren,47 so blieb die ideologische Fixierung auf Kriegsruhm und -beute ungebrochen, freilich mit dem einen, wesentlichen Unterschied, daß ein erfolgreiches Agieren auf diesem Feld unter gewandelten Bedingungen nur noch wenigen herausragenden Aristokraten möglich war. II 3. Politik als alternativloser Lebensentwurf Christian Meiers bekanntes Diktum „Wer Politik trieb, gehörte zum Adel, und wer zum Adel gehörte, trieb Politik“48 gilt nach dem Gesagten zum einen auf der phänomenologischen Ebene49: Die Gruppe als Ganze widmete sich nichts anderem als der Politik – wobei der Krieg einen wesentlichen Teil ausmachte –, und das wiederum exklusiv im Dienst an der und für die res publica50, mit der sich die Nobiles

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natoren und eine dreistellige Zahl von equites; vgl. Seibert, 1993, 195. Nach Cannae wurden 177 Männer neu in den Senat aufgenommen (Liv. 23,23,7). Dazu v. a. Harris 1979. Ehrgeiz und Konkurrenz betont (für die Zeit des 1. Punischen Krieges) auch Bleckmann 2002. Blösel 2011 spricht zugespitzt von einer „Entmilitarisierung“ großer Teile der Nobilität. Meier 1966/1980, 47. Das Folgende angelehnt an Hölkeskamp 2004a, 79. In der Frühzeit hatte es dagegen noch Kriegunternehmungen von mobilen Gefolgschaftsgruppen unter einem warlord oder einzelnen Familienverbänden gegeben, die erst eine Überlieferung, die nur ‚staatliche‘ Formen kennt, in verschiedene Kategorien einsortierte: Servius Tullius wurde zum König, Lars Porsenna zum auswärtigen Feind, Valerius Poplicola zum Helden der Republik; vgl. Fabius Pictor FRH 1 F 21 mit Kommentar. Ebenso wurde der Kriegszug der )DELHUGHURGHUNDWDVWURSKDOVFKHLWHUWH]XHLQHPRIÀ]LHOOHQ.ULHJV]XJGHUres publica mit einem bevollmächtigten Obermagistrat umgedeutet und zugleich auch verrechtlicht; vgl. dazu Licinius Macer FRH 17 F 18 mit Kommentar.

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XQGGLHZHLWHUHKHUUVFKHQGH$ULVWRNUDWLHJHUDGH]XUFNVWDQGORVLGHQWLÀ]LHUWHQ(V gab „keine alternativen Karriereoptionen, die auch nur annähernd vergleichbare ideelle und materielle Erfolgsprämien in Form von sozialem Prestige, politischem (LQÁX‰XQGHEHQDXFK5HLFKWXPYHUVSUDFKHQ´51. So bildete sich ein dementspreFKHQGHV (WKRV KHUDXV GDV DOV XUHLJHQHV 2ULHQWLHUXQJV XQG:HUWV\VWHP JHSÁHJW und immer wieder neu vor Augen gestellt und ins Bewußtsein gebracht wurde: in der Ausstattung des Hauses, in Reden und Denkmälern und immer wieder durch performative Akte wie den Begräbnis- oder den Triumphzug. Im Mittelpunkt dieses Ethos standen die Herrschaft, Würde und Hoheit des populus Romanus und der Wettbewerb mit den gleichaltrigen Standesgenossen wie mit den eigenen Ahnen. Die zentralen Leitbegriffe dieser Orientierung verknüpften dabei alle Akteure eng miteinander. Der Begriff für die Größe, Würde und Macht des römischen Volkes – maiestas (populi Romani; s. o.) – schloß die Aristokratie ein, und der für die Würde und den Rang eines einzelnen Aristokraten in Relation zu anderen gebrauchte Ausdruck dignitas wurde auch auf das Volk abgewendet. Ferner auffällig: Es gibt keinen Ausdruck für eine irgendwie geartete Exklusivität des Senats. Ihm war lediglich auctoritas zugeordnet, ein magisches, schwer zu übersetzendes Wort, das ‚Gewicht‘, ‚Gewährleistung‘ und ‚Sicherheit‘ einschließt. Meiers Wort hat aber zum anderen auch eine prozessuale Dimension. Zwar wurde im Zuge der Expansion die Zahl der Magistrate, die außerhalb von Rom, also im Bereich militiae tätig waren, kontinuierlich erhöht (außer beim Konsulat; s. o. die Graphik), aber die Zahl der Senatoren blieb bis ins 1. Jahrhundert v.Chr. konstant bei etwa 300 Köpfen. Obwohl die Römer vielfältige Instrumente entwickelten, um das größer werdende Herrschaftsgebiet mit dem Personal eines Stadtstaates beherrschen zu können – Verlängerung von Statthalterschaften, Verpachtung eines großen Teils der Ressourcenabschöpfung, Verbleiben eines Großteils der routinemäßigen Ordnungsaufgaben bei den Unterworfenen, Hinauszögern der Übernahme direkter Herrschaft in Gestalt einer Provinzialisierung –, nahmen die Aufgaben gerade für die amtlosen Senatoren merklich zu. Gesandtschaften mußten zusammengestellt, fremde Gesandte angehört und beschieden, Verträge ausgefertigt und protokolliert werden. Imperiumträger gingen nicht ohne einen Stab von Beratern (consilium) in ihr Aufgabengebiet, dem auch (meist jüngere) Senatoren angehörten. Konsuln und andere Funktionsträger erhielten vom Senat Instruktionen, umgekehrt mußten von diesen kommende Briefe und Berichte zur Kenntnis genommen und beantwortet werden. Auch die religiösen Aufgaben nahmen zu: Selbst wenn spektakuläre Aktionen wie die vom Senat durch Beschluß angeordnete Unterdrückung geheimer Kulte in ganz Italien seltene Ausnahmen darstellten (senatus consultum de Bacchanalibus von 186), so wurde doch das römische Bürgergebiet immer größer, aus dem Vorzeichen gemeldet werden konnten, welche der Senat zu würdigen und gegebenenfalls anzuerkennen hatte. Spätestens im 2. Jahrhundert, als große Teile Spaniens und Nordafrikas sowie Sizilien und Sardinien direkt beherrscht wurden und Rom zugleich gegenüber den hellenistischen Königreichen zur allein maßgeblichen bestrafenden und belohnenden Macht geworden war, hatte die regierende 51

Hölkeskamp 2004a, 81.

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Elite also einfach quantitativ sehr viel mehr und qualitativ erheblich unübersichtlichere Gemengelagen zu beraten und zu analysieren, um Entscheidungen treffen und den Imperiumträgern Anweisungen geben zu können.52 Man sprach nun erstmals von unterschiedlichen Politikstilen,53 konnte solche also unterscheiden. II 4. Prekäre Staatlichkeit ‚Staatlichkeit‘ entsteht – so jedenfalls lautet eine Variante der ethno-soziologisch inspirierten Theoriebildung –, wenn die Bewältigung der elementaren Gemeinschaftsaufgaben, in erster Linie Kriegführung, Streitschlichtung, Kommunikation mit den Göttern und Willensbildung für kasuelles Entscheidungshandeln, zunehmend institutionalisiert und versachlicht werden. Im republikanischen Rom gab es für all diese Aufgaben Institutionen, und man wird nach dem, was über Hierarchien und Konzentration von Macht und Autorität in den wichtigsten Feldern sozialer Integration bis hierher skizziert wurde, diese Institutionen nicht für schwach halten wollen. Mit Recht hat Polybios, ein Zeitgenosse von Roms Aufstieg zur Weltherrschaft mit gründlicher Sachkenntnis und analytischem Blick, die Kompetenzen von Konsuln, Senat und Volksversammlung als außergewöhnlich stark aufgefaßt,54 und die spätestens seit 200 schier unwiderstehliche Machtentfaltung Roms gegen alle potentiellen Herausforderer schien ihm rechtzugeben. Gleichzeitig blieb – nicht überraschend – ein umfassender Institutionalisierungsprozeß aus, der den sich wandelnden Verhältnissen und den vermehrten Aufgaben seit dem Hannibalkrieg (218–201) Rechnung getragen hätte. Die ‚Staatlichkeit‘ der Republik war in den erwähnten Konzentrationen von Macht und reaktiver Handlungsfähigkeit, in der Intensität der inneraristokratischen politischen Kommunikation und in den zeitraubenden, aber stabilisierenden Routinen des Kollektivs wie der Amtsträger gleichsam ‚aufgehoben‘55, und das blieb auch so. Durch teils institutionelle, teils situative Maßnahmen hatte man allerdings die unter dem Druck der karthagischen Invasion Italiens zeitweise gelockerten oder gar suspendierten Regeln des aristokratischen Wettbewerbs um die honores wieder eingeschärft: 180 legte die lex Villia annalis die Bestimmungen des cursus honorum genauer fest, und schon in den Jahren davor war in den beiden sog. Scipionenprozessen deutlich geworden, daß die Mehrheit der Aristokratie eine dauerhafte Sonderstellung eines der ihren nicht zu dulden gewillt war.56 Die Kontrolle der römischen Regierung auch über das religiöse Feld manifestierte sich in den erwähnten Maßnahmen gegen die bacchanalischen Vereinigungen und in der Unterdrückung der sog. Numabücher.57 Generell wurden unklare oder widersprüchliche Regeln sowie deren Dehnung in 52 53 54 55 56 57

Vgl. Lintott 1998, 9–15: „A Roman political year“. Romanae artes vs. nova sapientia: Liv. 42,47,1–9; vgl. Walter 2004, 65. Zu seiner Analyse s. bündig Lintott 1998, 16–26; 214–219. Zur Kommunikation mit dem Volk und zu den Volksversammlungen s. den Beitrag von Martin Jehne in diesem Band. Vgl. Valerius Antias FRH 15 F 46 mit Komm. Vgl. Cassius Hemina FRH 6 F 40 mit Komm.

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den beiden Jahrzehnten nach dem Hannibalkrieg stärker als Problem wahrgenommen und kam es in verschiedenen Bereichen, etwa dem cursus honorum, zu eindeutigen, gesetzlichen Festlegungen.58 Militärisch setzte sich Rom in drei Kriegen ungefährdet gegen Makedonien und das Seleukidenreich durch – das 2. Jahrhundert erlebte, nachdem mit dem Hannibalkrieg die ‚Risikoschwelle‘ überwunden war, regelrechte „Zyklen römischer Kraftentfaltung“59. (VJDEDOVRDXVGHU3HUVSHNWLYHGHU$NWHXUHNHLQHQ*UXQGYRQGHUJHOlXÀJHQ und erfolgreichen Handhabung der Dinge abzuweichen, und es existierte auch kein Instrumentarium, längerfristige Prozesse, die sich am Ende zu einer Bedrohung der Ordnung und ihrer Routinen auswachsen konnten, als solche wahrnehmen zu können oder gar gegenzusteuern – die gelegentlichen Ausfälle gegen moralische Dekadenz und die Beschwörung einer ‚guten alten Zeit‘60 signalisierten vielleicht ein generelles Unbehagen, waren aber auch Handwerkszeug im politischen Tageskampf. Die erwähnten Prozesse liefen auf verschiedenen Ebenen ab, und sie hingen miteinander zusammen. So verschärfte sich durch die Vermehrung der Prätorenstellen auf sechs der Konkurrenzkampf um das Konsulat. Gleichzeitig spülten die siegreichen Kriege im Osten enorme Mengen an Edelmetall nach Italien, und das dadurch bewirkte Anwachsen der Geldmenge in den Kreisläufen des römisch-italischen Wirtschaftslebens dynamisierte das gesamte politische, gesellschaftliche und ökonomische Gefüge – nicht nur die Wahlkämpfe in Rom und ihre langfristige Vorbereitung etwa durch aufwendige Spiele im Rahmen der Ädilität, sondern auch die Verteilung und Nutzung des Grundbesitzes in Italien61 oder die vermehrten Aktivitäten der equites. Anfangs wurde das seit Jahrhunderten bewährte Instrument der Ansiedlung in neu gegründeten Städten noch bedient, doch nach 177 gab es – aus schwer zu benennenden Gründen – keine Ansiedlungen mehr, während gleichzeitig die Zuwanderung nach Rom anstieg. Wenig Aufmerksamkeit schenkte man in Rom auch den Verhältnissen bei den latinischen und italischen Verbündeten62, zumal die rechtlichen Grundlagen von deren Verhältnis zu Rom außergewöhnlich komplex waren. Wie mit dem Problem der Immigration aus diesen Gemeinden umgegangen wurde, ist charakteristisch für den römischen ‚Politikstil‘ der punktuellen Kraftentfaltung ohne längerfristige Zielperspektive: Zwischen 206 und 173 fanden vier Ausweisungen latinischer und italischer Bündner aus Rom statt.63 Ähnlich sieht das Muster auf dem Feld der Milizarmee aus, als der materiell vergleichsweise unergiebige und daher für die Soldaten unattraktive Dauerkrieg in Spanien sowie zunehmende Belastungen der das Heer tragenden bäuerlichen Mittelschicht im ökonomischen Gefüge ihrer heimatlichen Lebenswelt zusammenkamen. Auf die seit 151 mehrmals in nennenswertem Umfang auftretenden Kriegsdienstverweigerungen reagierte man teils mit Härte, teils mit situativen Änderungen im Rekrutierungsmodus. 58 59 60 61 62 63

Dazu jetzt Lundgreen 2011, 286–301. Linke 2005, 16. Vgl. Walter 2004, 319–328. Vgl. zusammenfassend de Ligt 2006. Dazu grundlegend Jehne/Pfeilschifter 2005. 9JO&RüNXQ

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Es ist auch aus der geschichtlichen Rückschau kein Punkt in diesen Prozessen erkennbar, an dem es gleichsam von außen her zu einer krisenhaften Zuspitzung und Eskalation kommen mußte – immer wieder ließen sich Kräfte mobilisieren, die Engstellen gewaltsam weiteten, konnte man Gehorsam einfordern,64 wurden Umwege gefunden, reagierte man mit punktuellen Verboten oder wurden neue Institutionen eingeführt, etwa die ständigen Geschworenengerichtshöfe für Delikte wie besonders heimtückische Morde oder die erpresserische Ausbeutung von Unterworfenen. Gleichwohl sollte deutlich geworden sein, daß die innere Struktur der Nobilität, die institutionellen Rahmenbedingungen zumal in Gestalt der Jahresmagistratur, die Handlungsziele der Aristokraten und ihre informellen Verkehrsformen insgesamt nicht auf eine Stabilisierung von ‚Staatlichkeit‘ und die Etablierung einer konsistenten policy ausgerichtet waren. Jene blieb daher prekär, diese war abgesehen von einigen etablierten Mechanismen nicht existent. Auch wenn wir nicht wissen, wie ausführlich und ‚diskursiv‘ Debatten im Senat geführt wurden, scheint sich aus der Analyse der römischen Geschichtsschreibung, die im Hannibalkrieg einsetzt, sowie der Fragmente der römischen Redner, aus denen für die in Rede stehende Zeit der bekannte Cato herausragt, doch zu ergeben, daß der zeitgenössische ‚Staatsdiskurs‘, materialisiert in der Rede über Gemeinwohl, Selbstbeschränkung, gute Ordnung und vorbildhafte Tradition (mos maiorum), kaum je dahin kam, mehr zu sein als ein situationsbezogenes und ‚ideologisches‘ Argument in der politischen Kommunikation. Demgegenüber lagen in den Institutionen, zumal der Magistratur und den Volksversammlungen, wie auch im antrainierten Habitus der Aristokratie, &KDQFHQ]XU3URÀOLHUXQJ]XQXW]HQXQGGHQHLJHQHQ:LOOHQGXUFK]XVHW]HQZLUNmächtige strukturelle Voraussetzungen bereit, tatsächlich auftretende inneraristokratische.RQÁLNWHRGHUJDUGDXHUKDIWH3RODULVLHUXQJHQHVNDOLHUHQ]XODVVHQ II 5. Formierte Interessen – mehrere res publicae65 Das zeigte sich, als 133 Tiberius Sempronius Gracchus als Volkstribun die Lage vieler landbesitzloser Römer aufgriff, skandalisierte und zum Anlaß für ein Ansiedlungsprogramm auf öffentlichem, jedoch von reichen Grundbesitzern – Römern wie Nicht-Römern – gepachtetem Land (ager publicus) nahm. Die Ereignisse und Zusammenhänge können hier nicht im Einzelnen dargestellt werden;66 nur einige Gesichtspunkte sind im Lichte des bisher Gesagten von Bedeutung. Erstens: Tiberius Gracchus nutzte die im Amt des Volkstribunen liegende Möglichkeit, gegen den Willen der Senatsmehrheit per Gesetz initiativ zu werden. Er setzte eine Höchst64

65 66

138 forderte ein Volkstribun Maßnahmen des Senats gegen eine erneut aufgetretene Getreideknappheit; den Protesten einfacher Stadtrömer (plebs urbana) begegnete der Konsul Publius Cornelius Scipio Nasica mit dem Machtwort: „Schweigt, Bürger, ich weiß nämlich besser als ihr, was gut für das Gemeinwesen ist! (tacete, quaeso, Quirites, plus ego enim quam vos quid rei publicae expediat intellego; Val. Max. 3,7,3). Grundlegend für das Folgende sind Meier 1966/1980 und Linke 2005. Vgl. zuletzt vorzüglich Linke 2005, 17–42. Vgl. ferner Badian 1972; zur Motivation des Tiberius s. Bleicken 1988.

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grenze für die Pachtnutzung von Staatsland durch wohlhabende Grundbesitzer GXUFKXQGÄEHVFKODJQDKPWH¶HLQHQLQV+DXVVWHKHQGHQ=XÁX‰YRQ*HOGPLWWHOQ GLH sog. pergamenische Erbschaft), um den Kleinbauern ein Startkapital zur Verfügung stellen zu können. Zudem schuf er eine eigene Exekutive für sein Vorhaben, eine Dreimännerkommission, die mit umfassenden Vollmachten ausgestattet über mehrere Jahre tätig sein und mit ihm selbst, seinem Bruder und seinem Schwiegervater besetzt sein sollte. Im Bereich der Stadt Rom und an der Spitze einer Volksversammlung, die Gesetze beschließen konnte, vermochte ein Volkstribun einiges in Bewegung zu setzen (zumal in Abwesenheit der Konsuln), wenn zwei Voraussetzungen erfüllt waren: Es durfte keinen Widerstand aus den eigenen Reihen, also von den neun anderen Tribunen geben, und die Nachhaltigkeit der Initiative mußte wenn möglich über das kurze Amtsjahr hinaus gesichert werden. Ersteres wurde durch die Absetzung eines widerspenstigen Kollegen durch die Volksversammlung erreicht, letzteres durch den Versuch, sich für anschließende Jahr wiederwählen zu lassen. In den Augen seiner Gegner strebte Tiberius Gracchus damit eine unwiderstehliche Machtposition auf Dauer an – nach römischem Verständnis eine Monarchie mit tyrannischen Zügen. Das bedeutet: Strukturen aufzubauen, um sich in einer Sachfrage gegen Widerstand durchsetzen und die eigene Politik auf längere Sicht umsetzen zu können, erschien der Mehrheit der regierenden Aristokratie – ganz unabhängig von der strittigen Sachfrage und den eigenen Interessen – gänzlich unannehmbar, weil man nicht in erster Linie auf das Projekt sah (das keineswegs prinzipiell abgelehnt wurde67), auch nicht auf die dafür zu schaffende Institutionalisierung (Kommissionen für Aufgaben wie die Niedersetzung von Siedlungen einzurichten war durchaus möglich und üblich), sondern ausschließlich auf den Standesgenossen, der durch das Projekt und die Institutionalisierung dauerhaft und in hohem Maße an Prestige gewinnen würde. Vor allem aber sahen die Gegner des Tiberius Gracchus, daß es gegen einen entschlossenen und populären Volkstribunen an der Spitze einer Gesetze beschließenden Volksversammlung keine reguläre Abwehr gab. Deshalb griff, nachdem die Kommunikation offenbar gänzlich abgerissen war, eine Gruppe von Senatoren unter Führung des – damals amtlosen – Publius Cornelius Scipio Nasica zur Gewalt und tötete Tiberius sowie etwa zweihundert von dessen Anhängern im Tumult (Ende 133). „Der Tod des Tiberius Gracchus“, so bemerkte Cicero, „wie seine ganze Politik als Volkstribun zuvor spalteten das eine Volk in zwei Teile.“68 In den folgenden Jahrzehnten zeigte sich, wie leicht die Gestaltungsmacht des Senats durch entschlossene Volkstribune neutralisiert werden konnte; den einzigen Ausweg schien dann gewaltsame Unterdrückung zu bieten, wie sie gegen Gaius Gracchus, Lucius Appuleius Saturninus, Livius Drusus und 67

68

Auch ein Gegner des Ti. Gracchus konnte ein Element von dessen Initiative übernehmen, wenn diese eingebunden erschien in breiter angelegte Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit in Italien. So verkündete Publius Popilius (Konsul 132) auf einer Inschrift an einem Meilenstein (Inscriptiones Latinae liberae rei publicae ed. Degrassi Nr. 454): „Und ich habe ferner als Praetor in Sizilien die entlaufenen Sklaven der Italiker aufgespürt und 907 Mann ihren Besitzern zurückgegeben. Und ich habe als erster erreicht, daß die Hirten auf dem ager publicus den 3ÁJHUQ3ODW]PDFKWHQ´ Cic. rep. 1,31.

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zuletzt Clodius geübt wurde.69 Der weitere Verlauf der „Revolutionszeit“70 war dann dadurch bestimmt, daß sowohl Volkstribune als auch (und zunehmend) Imperiumträger die ihnen zukommende Konzentration von Macht – also die Möglichkeit, den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen – immer stärker zum äußersten ausreizten. Zweitens: In einem zunehmend polarisierten politischen Feld trug die institutionelle Ordnung generell nicht zur Befriedung und Entspannung bei, ganz im Gegenteil. Wer als Mitglied der herrschenden Aristokratie für seine eigenen Ziele oder für die eines anderen eine Volksversammlung hinter sich brachte, konnte sich in einer starken Position sehen. Verbunden damit war ein Paradigmenwechsel: Hatte man früher auf strukturelle Probleme meist ad hoc reagiert, indem etwa ein Volkstribun einen Konsul ins Gefängnis abführte, um diesen plakativ an Rekrutierungen zu hindern (so geschehen 151), so dominierten nun auf längere Sicht angelegte Initiativen zu sehr verschiedenen Themen; dazu gehörten die Ansiedlung von landlosen Bauern, später von ehemaligen Soldaten (Veteranen), die Besetzung der Geschworenenbänke von politisch neuralgischen Gerichtshöfen oder die Ausstattung einer Person mit einem langjährigen, außerordentlichen imperium, wie es Pompeius für den Mithradateskrieg (66–63) erhielt und Caesar für die Eroberung Galliens (58–51). In der römischen Politik gab es nunmehr Projekte, auch solche, die aus der Rückschau durchaus heilsam und geeignet waren, das Agieren der Römer etwa in den beherrschten Gebieten stetiger und berechenbarer zu machen. Aber auch diese wurden – in der gegebenen Konstellation durchaus mit Recht – nicht als „im Interesse des Gemeinwesens liegend“ (e re publica esse) betrachtet, weil sie, wie eben angedeutet, das Gesamtgefüge kollektiver aristokratischer Herrschaft zu bedrohen schienen. Bernhard LinkeYHUZHLVWPLW5HFKWDXIGLH+LOÁRVLJNHLWPLWGHUGLH KHUUVFKHQGH (OLWH DXI GLH LQKDOWOLFKH Ä$XÁDGXQJ¶ GHV SROLWLVFKHQ %HWULHEV GXUFK Tiberius Gracchus und mehr noch durch seinen Bruder Gaius (Volkstribun 123 und 122) reagierte. „Die Ordnung der Republik hatte ja gerade durch die Vermeidung inhaltlicher Diskussionen ihre integrative Kraft bezogen. Die politische Orientierung der Bürger wurde durch persönliche Beziehungen und nicht durch inhaltliche Überlegungen bestimmt. Diese Logik galt jedoch nach den Reformbemühungen der Gracchen nicht mehr uneingeschränkt. Mit Erschrecken hatten die führenden Aristokraten mitansehen müssen, wie relevante Teile der politischen Öffentlichkeit bereit waren, einem Politiker, zu dem sie keine persönlichen Beziehungen besaßen, aufgrund des politischen Programms zu folgen.“71 Mit den Projekten oder Agenden eng verbunden war, drittens, eine Homogenisierung der partikularen Interessen von Gruppen, die zuvor als solche gar nicht in (UVFKHLQXQJJHWUHWHQZDUHQ²VLHKWPDQHLQPDOYRQGHQ.RQÁLNWHQ]ZLVFKHQ3DWriziern und Plebeiern in der frühen Republik ab. Gegensätze zwischen Regierung und Regierten, Bürgern und Nichtbürgern, Reichen und Armen, so eine glänzende Bemerkung Theodor Mommsens, begleiteten die römische Geschichte von An-

69 70 71

Vgl. Harris 2010, 572. Brillante, die Dynamik von Aktion und Reaktion akzentuierende Darstellung: Heuss 1963. Linke 2005, 140.

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fang an.72 Jedoch erreichten diese Gegensätze in den auf 133 folgenden Jahrzehnten eine neue Qualität, nicht allein durch die Gewalt, die sich vom Tumult auf dem Forum 133 bis zum mit vierzig Legionen geführten Bürgerkrieg hundert Jahre später steigerte,73 sondern auch durch die angesprochene Formierung.74 Damit einher ging eine erneute Konzentration von Macht und Durchsetzungsmöglichkeiten, nunmehr aber in einem partikularen und antagonistischen Sinn. Im Volkstribunen und dann im Inhaber eines umfassenden imperium standen starke und selbstbewußte Akteure bereit, die wirtschaftliche und soziale Interessen politisch bündeln konnten. Erst jetzt kam es ‚horizontal‘ zur Formierung von Gruppen, welche die traditionelle, im Klientelwesen verfestigte polyzentrisch-personale, vertikale und schichtenübergreifende Integration der römischen Gesellschaft überlagerte und erodierte. Die Gruppen und ihre ‚Mobilisierer‘ waren in der zeitlichen Reihenfolge: das ländliche Proletariat (Tiberius Gracchus), die Grundbesitzer (Senat), die Verbündeten in Italien (Marcus Fulvius Flaccus, Gaius Gracchus, Marcus Livius Drusus), das städtische Proletariat und die Ritter (Gaius Gracchus, Marcus Livius Drusus) sowie – besonders einschneidend – die Soldaten (Gaius Marius, Lucius Cornelius Sulla). Der Senat nahm demgegenüber für sich in Anspruch, das Gemeinwohl zu vertreten, und bewehrte dies mit dem „äußersten Senatsbeschluß“ (senatus consultum ultimum), einer Notstandserklärung, welche die Konsuln ermächtigte, „dafür Sorge zu tragen, daß das Gemeinwesen keinen Schaden erleide“ (videant consules, ne quid detrimenti res publica capiat).75 Doch dieser Anspruch wurde zunehmend igno72 73

74 75

Mommsen 1854/1903, 243 f. Dazu eindrucksvoll der kaiserzeitliche Geschichtsschreiber Appian von Alexandria (Bürgerkriege 1,4–9; Übers.: O. Veh): „Noch nie aber hatte man ein Schwert in die Volksversammlung gebracht und war es dort zu Blutvergießen unter Bürgern gekommen, bis Tiberius Gracchus, während er das Amt eines Volkstribunen bekleidete und Gesetze einbrachte, als erstes Opfer bei einem inneren Zwist den Tod fand, und nach ihm noch viele Menschen, die sich auf dem Kapitol um den Tempel zusammendrängten, erschlagen wurden. [5] Mit diesem Verbrechen aber kamen die Unruhen zu keinem Ende mehr. Die Parteien stießen immer wieder offen aufeinander, sie trugen oftmals Dolche bei sich, und in den Tempeln, bei Volksversammlungen und Marktgeschäften mußte von Zeit zu Zeit ein Beamter sterben, mancher Volkstribun, Prätor, Konsul oder Bewerber um diese Ämter oder auch ein sonstwie angesehener Mann. Hemmungslose Gewalttätigkeit behielt stets in kurzem Abstand die Oberhand, dazu schmähliche Geringschätzung gegenüber Recht und Gesetz. [6] Als dann das Übel an Ausdehnung gewann, kam es zu offenen Empörungen gegen die Staatsgewalt und zu großen, rücksichtslosen Kriegsunternehmen gegen das Vaterland, ausgehend von Verbannten oder Verurteilten oder von PerVRQHQGLHPLWHLQDQGHUXPLUJHQGHLQ$PWRGHU.RPPDQGRVWULWWHQ>@+lXÀJHUKREHQVLFK nunmehr Gewaltherrschaften und Parteiführer, welche die höchste Gewalt anstrebten, wobei die einen sich weigerten, die ihnen vom Volke anvertrauten Truppen wieder zu entlassen, andere hingegen ohne Erlaubnis des Volkes auf eigene Rechnung Streitkräfte gegeneinander anwarben. [8] Wenn sich eine der beiden Parteien vorweg in den Besitz der Stadt gesetzt hatte, so bekämpfte die Opposition angeblich ihre Widersacher, in Wirklichkeit freilich ihre Vaterstadt. Dabei warfen sie sich auf diese wie auf eine feindliche Metropole, und es kam zu erbarmungslosen Schlächtereien unter denen, die ihnen gerade in den Weg traten. Bei anderen griff man zu 3URVNULSWLRQHQ9HUEDQQXQJHQRGHU9HUP|JHQVNRQÀVNDWLRQHQHLQLJHHUOLWWHQVRJDUJDQ]JUl‰liche Folterungen.“ Vgl. Linke 2005, 38. Vgl. knapp Meyer 1975, 214 sowie jetzt Jehne 2013.

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riert; durch seinen Widerstand gegen jede Politik im Sinne formierter Interessen – von den eigenen einmal abgesehen – verlor das ehrwürdige Gremium immer mehr an Autorität und Legitimität.76 Nach dem bisher Skizzierten sollte klargeworden sein, warum der in den drei letzten Generationen der aristokratischen Republik ganz unverkennbare Trend zur institutionellen Formierung in wichtigen Bereichen keinen Beitrag zur Stabilisierung der politischen Sphäre zu leisten imstande war und daher auch kaum von einer Förderung von ‚Staatlichkeit‘ die Rede sein kann: Fast alle Maßnahmen waren strittig, wurden gegen Widerstand durchgesetzt oder blieben wirkungslos. Es lag, zugespitzt gesagt, immer mehr Macht bereit, die aber mangels Konsens nicht in Herrschaft überführt werden konnte und sich gleichsam verselbständigte. Aus Bürgerkrieg, Massaker und Enteignungen heraus war keine Stabilität zu gewinnen: Die von einem klaren politischen Ziel – Sicherung der Nobilitätsherrschaft, Entmachtung des Volkstribunats – her gedachte und daher in der Forschung lange als ‚modern‘ geltende, weitreichende Gesetzgebung des Dictators Sulla († 79) wurde wegen der krassen Gewalt- und Interessenpolitik ihres Urhebers allgemein als überzogen angesehen und hatte hinsichtlich ihres Hauptziels nicht lange Bestand.77 Die Repräsentanten der römischen Bürgerschaft, zumal Imperiumträger und Volkstribune, waren Speerspitzen einer bemerkenswerten Konzentration von Initiative, Entscheidung und Macht. In ihnen war die Geschichte der ersten Jahrhunderte der römischen Geschichte gleichsam eingeschrieben: in den Imperiumträgern die mühsame Selbstbehauptung, dann Expansion der res publica nach außen sowie der Gehorsam und die Disziplin der Soldaten78; in den Volkstribunen der Kampf der plebs um materielle Sicherheit und politische Teilhabe. Balanciert wurde diese Konzentration durch verschiedene Umstände, darunter die insgesamt noch begrenzten Ressourcen, die Einjährigkeit jedes Amtes, die Kollegialität (v. a. bei den Volkstribunen) und die Homogenität der politischen Klasse. Einzelne Aristokraten sind immer wieder eigene Wege gegangen, wurden eigenmächtig initiativ oder haben besondere Prominenz reklamiert, aber es gab weder in der Gesellschaft noch im Herrschaftsgefüge noch gar bei der Armee eine Chance, auf Dauer eine autonome Machtstellung zu erlangen. Und wer scheiterte, dessen Bild in der Geschichte wurde nachhaltig schwarz gefärbt.79 'LHVH*HJHQJHZLFKWHÀHOHQMHGRFK=XJXP=XJZHJRGHUZXUGHQ]XPLQGHVW geschwächt; übrig blieben die in den Institutionen liegenden, durch die gewaltigen Ressourcen des Herrschaftsraumes und die expansionsoffene Peripherie noch gesteigerten Optionen zu einer alle Schranken durchbrechenden Absolutsetzung individueller Ansprüche. Die Mehrheit der Aristokratie mußte dabei den selbstbezogeQHQ )KUHUÀJXUHQ ZLH 6XOOD 3RPSHLXV RGHU &DHVDU DXFK GHVKDOE PLW 5DW XQG +LOÁRVLJNHLWJHJHQEHUVWHKHQZHLOGLHVHLQLKUHQ.ULHJV]JHQXQG:DKONlPSIHQ die Ziele und Wertorientierungen der herrschenden Schicht nicht etwa verletzten, 76 77 78 79

Vgl. Ungern-Sternberg 1998. Zu Sulla s. zuletzt Fündling 2010 mit der älteren Literatur. Vgl. Phang 2008. Paradebeispiel hierfür ist Gaius Flaminius, der 217 am Trasimener See von Hannibal vernichtend geschlagen wurde; vgl. zu ihm Beck 2005, 244–268.

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sondern ‚übererfüllten‘. Konnte man Caesar, den Eroberer Galliens, für seine atemberaubenden Erfolge tadeln? Niemand dachte daran. Die ‚großen Männer‘ taten das, was alle immer schon getan oder zumindest zu tun versucht hatten, aber in einem Maße und mit einem Erfolg, daß am Ende das System gesprengt wurde. Ihre Mittel und Möglichkeiten waren wegen der enormen Ausdehnung des römischen Reiches gegenüber früheren Zeiten geradezu explodiert, und Militärkommanden von der Größe, wie sie Pompeius und Caesar sich beschafften, waren nicht mehr ‚zurückzuholen‘, zumal sie ja auch lange Zeiten der Abwesenheit von Rom und damit der Entfremdung vom politischen Betrieb bedeuteten. Das ist besonders deutlich bei Caesar, der sich in Gallien angewöhnt hatte, in den Gleisen von Befehl und Gehorsam zu denken. Unter seiner Herrschaft kam die aristokratische Regierung über die mächtige Republik, die zugleich ein so schwach entwickelter Staat war, an ihr Ende. Augustus baute die Aristokratie wieder auf, disziplinierte sie und transformierte sie von einer regierenden in eine mit-herrschende Elite, gegliedert in Senatorenstand und Ritterstand. III. PARTEIENDISKURS STATT STAATSDISKURS Und wo bleibt der Staatsdiskurs? Das würde eine eigene, neue Abhandlung erfordern. Man kann es aber auch kurz machen: Der aristokratische Staatsdiskurs in der späten römischen Republik, den allein wir aufgrund der Überlieferungslage einigermaßen greifen können, war im wesentlichen bereits ein Parteiendiskurs. Das lag angesichts der oben skizzierten politischen Konstellationen und Dynamiken spätestens seit 133 nahe, und wurde durch die rhetorische Schulung, die alle aristokratischen Akteure selbstverständlich genossen hatten und die viele von ihnen in der Praxis – vor Gericht und vor der Volksversammlung – weiterentwickelten, noch verstärkt. Griechische Intellektuelle aus der Stadt zu verweisen, weil sie mit ihrem disputare in utramque partem die Geltung unbezweifelbarer Autoritäten unterminierten, gehört zum römischen Bild von einer ‚guten alten Zeit‘ – die Praxis schon eines Cato sah anders aus. Allein die Geschichtsschreibung – idealiter betrieben von Aristokraten, die nicht (mehr) am politischen Tageskampf teilnahmen – versprach von höherer Warte aus das Gesamtinteresse der res publica in den Blick zu nehmen. Aber auch sie neigte dazu, eine von Eintracht (concordia) und gemeinwohlorientierter Tüchtigkeit (virtus) geprägte Vergangenheit scharf der von Egoismus und Gier nach Macht und Geld geprägten Gegenwart gegenüberzustellen, und VLHEHUIKUWHGLHYLHOIlOWLJHQ.RQÁLNWHLQVLQQIlOOLJH3RODULWlWHQ]XPDOGLH]ZLschen Adel und Volk oder zwischen guten und schlechten Bürgern. Das galt sowohl für Sallust (86–34) als auch für Livius (59 v.Chr.–17 n.Chr.), bei aller sonstigen Unterschieden zwischen beiden Autoren und ihren Werken. Und so endet auch der Lobpreis des guten Bürgers und Aristokraten in einer der bekanntesten Reden Ciceros, der i. J. 56 gehaltenen Verteidigungsrede für Publius Sestius, in einer Beschwörung nicht der Arbeit an Konsens und Gemeinwohl, sondern der Bereitschaft für den Ernstfall:

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„Haben wir je einen Mann (scil.: wie Milo) erlebt, der mit einem so übermenschlichen Mut begabt war? Der, ohne daß ihm ein Lohn winkte – außer jenem, den man jetzt für abgenutzt und wertlos hält: dem Urteil der Rechtschaffenen –, Gefahren aller Art, äußerste Mühen und schwerste Kämpfe und Feindschaften auf sich nahm; der, wie mir scheint, als der einzige von allen Bürgern durch die Tat, und nicht durch Worte, gezeigt hat, wozu hervorragende Männer LQHLQHP6WDDWVZHVHQYHUSÁLFKWHWXQGZR]XVLHJHQ|WLJWVLQGGD‰VLHYHUSÁLFKWHWVLQGGHP Verbrechen skrupelloser Menschen, die den Staat zerstören, mit Hilfe der Gesetze und der Gerichtsbarkeit Widerstand zu leisten; daß sie, wenn die Gesetze keine Kraft haben und die Gerichte nicht arbeiten, wenn ein aufrührerisches Komplott von Skrupellosen den Staat mit Waffengewalt unterdrückt, genötigt sind, Leben und Freiheit durch eine Leibwache und Mannschaften zu schützen. Wer so denkt, zeigt Einsicht, wer so handelt, Mut, wer jedoch so denkt XQGKDQGHOWGHUHUUHLFKWGHQ*LSIHOXQEHUWUHIÁLFKHU0DQQKDIWLJNHLW´80

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Uwe Walter

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DAS VOLK ALS INSTITUTION UND DISKURSIVE BEZUGSGRÖSSE IN DER RÖMISCHEN REPUBLIK Martin Jehne Zum Andenken an Hartmut Wolff (1941–2012) Der populus Romanus, das römische Volk, war das römische Gemeinwesen. Daß GLH%UJHUVFKDIWPLWGHU3ROLVLGHQWLÀ]LHUWZXUGHNHQQHQZLUDXVGHUJULHFKLVFKHQ .XOWXU6RZDUGLHRIÀ]LHOOH%H]HLFKQXQJGHU3ROLV$WKHQDOVVWDDWOLFKHU(LQKHLWhoi Athenaíoi, also die Athener, die von Neapel hoi Neopolítai, die Neapolitaner, usw. Auch im römisch-italischen Milieu war das nicht grundsätzlich anders: die Basis des politisch organisierten Gemeinwesens war der Bürgerverband1. Allerdings gehörte zu dieser Fundierung der politisch handlungsfähigen Gemeinschaft in Rom schon frühzeitig eine korporative Akzentuierung, liegt doch dem populus Romanus eine verfaßte Struktur zugrunde, welche dem Terminus Romani nicht innewohnt. Wenn es um bindende Entscheidungen ging, dann war die Bezugs- und Legitimationsgröße eben nicht die schlichte Addition der Bürger, sondern die in Untereinheiten gegliederte, organisierte Bürgerschaft, wie sie im populus Romanus zum Ausdruck gebracht werden konnte. Im folgenden werde ich mich zunächst mit den Bezeichnungen des Volkes und ihren unterschiedlichen Konnotation im römischen Kontext beschäftigen, sodann mit der institutionellen Rolle des Volkes, also letztlich mit den Volksversammlungen, und mit der Partizipationsfrequenz und -breite der Bürgerschaft und ihrem diUHNWHQ(LQÁX‰DXIGLHUHOHYDQWHQ(QWVFKHLGXQJHQ6FKOLH‰OLFKZLOOLFKGLH%HGHXtung des Volkes in den Diskursen behandeln, wobei ich mich auf die Kommunikation zwischen den Angehörigen der Führungsschicht und der Menge der Anwesenden in konkreten Volksmengen konzentrieren will, soweit wir sie in den Reden fassen können. Am Ende werde ich kurz resümieren.

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Bezeichnend die Legende auf den Münzen von Neapel: ƔƌƖƗƖƒƚƟN, also von den Neapolitanern (vgl. Rutter 2001, 70 f. Nr. 573–602; es gibt allerdings auch Varianten). Als Rom begann, selbst Münzen zu prägen, schlug das griechische Vorbild durch, und man prägte mit der Aufschrift: 5RPDQR UXP (vgl. Crawford 1974, Nr. 13; 15–24).

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1. BEZEICHNUNGEN FÜR DAS VOLK Daß es neben dem nüchtern-staatsrechtlichen Terminus auch andere Bezeichnungen für „das Volk“ gibt, ist wahrscheinlich ein universelles, jedenfalls aber ein weit verbreitetes Phänomen. Solche Ausdrücke sind zumeist emotional-wertend aufgeladen, wie besonders in den negativen Varianten – die Masse, der Pöbel, der Mob – deutlich erkennbar ist. In Rom gibt es aber neben dem populus, in den die gesamte Bürgerschaft inkludiert ist, auch die plebs, die nur eine Teilmenge umfaßt. Diese Unterscheidung ist primär keine soziale, sondern eine rechtliche, und sie ist für das politische System insofern ungewöhnlich relevant, weil die plebs in wesentlichen Feldern dieselben Rechte hat wie der populus, die Teilmenge also für das Ganze handeln kann. Diese etwas merkwürdige Struktur läßt sich nur historisch erklären, ist demnach Ergebnis einer Kompromißgeschichte, nicht einer bewußten Planung. Wie kam es dazu? Die Frühgeschichte der römischen Republik liegt für uns bekanntlich im Dunkeln, und es gibt eine Fülle von Theorien über die Verhältnisse und ihre Wandlungen, die hier nicht dargelegt werden können und müssen2. Immerhin ist weitgehend akzeptiert, daß sich bald nach Vertreibung des letzten Königs die Angehörigen der führenden Familien gegen Neuaufsteiger in ihren Kreis abschlossen und sich patres bzw. patricii – Patricier – nannten3. Sie stützten sich dabei auf ihre Clienten. Bald begehrte die Masse der Römer in unterschiedlicher Intensität gegen diese aristokratische Monopolisierung des Zugangs zu Macht und Ehre auf, ZREHLVLFKGLH.RQÁLNWHGXUFK|NRQRPLVFKH.ULVHQ]XVlW]OLFKDXÁXGHQ'LHVH*Hgengruppierung waren die plebeii – die Plebeier, die nun in lang anhaltenden, allerdings nicht durchgehenden Auseinandersetzungen, den sog. Ständekämpfen, die allmähliche politische Gleichstellung mit den Patriciern erreichten4. Der Ständeausgleich kennt verschiedene Etappen, und am Ende war nicht die Unterteilung in Patricier und Plebeier aufgelöst, sondern die rechtliche Zurücksetzung der Plebeier weitgehend aufgehoben, zu denen nun auch diejenigen gerechnet wurden, die früher als Clienten nicht klar zurechenbar gewesen waren5. Einer der letzten Schritte in diesem Prozeß erfolgte im Jahre 287 v.Chr., als die lex Hortensia verabschiedet wurde, ein Gesetz des Dictators Hortensius, das festsetzte, daß die in der Versammlung der Plebeier gefaßten Beschlüsse nunmehr für das gesamte Gemeinwesen, die res publica, bindend sein sollten6. Damit entstand eine etwas absonderliche Situation. Das concilium plebis, die Plebeierversammlung, die als revolutionäre Organisation in der Kampfzeit geschaffen worden war, konnte nun ohne die Patricier, die rechtlich von dieser Versammlung ausgeschlossen waren, unter der Leitung der Volkstribune, die sämtlich Plebeier sein mußten, formal korrekt die res publica steuern. Das hier erkennbare KonÁLNWSRWHQWLDOEHVWDQGDEHUHKHUDXIGHU(EHQHHLQHVDEVWUDNWHQ9HUIDVVXQJVDXIULV2 3  5 6

Vgl. dazu etwa Linke 1995, 132–172; Cornell 1995, 215–241. Vgl. dazu Linke (in diesem Band, 72). 9JO]XGHQ6WlQGHNlPSIHQHWZD5DDÁDXE22005. Die verbleibenden Reservatrechte der Patricier, wie etwa die Bekleidung bestimmter Priestertümer und die Bestellung des interrex, waren politisch nicht sonderlich bedeutsam. Zur lex Hortensia vgl. Hölkeskamp 2004.

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ses, den die Römer nie vornahmen und den sie wahrscheinlich auch gar nicht im Kopf hatten, als auf der Ebene der praktischen Politik. Zahlenmäßig waren die Plebeier ohnehin in einem solchen Ausmaß überlegen, daß sie auch in einer gemischten Versammlung die Patricier bequem niederstimmen konnten. Wichtiger war, daß der Charme des Ständeausgleichs ja gerade darin bestand, daß der Gegensatz zwischen Patriciern und Plebeiern an Bedeutung verlor und bald eine neue, gemischte Führungsschicht entstand, die Nobilität76FKOLH‰OLFKZDUGHU(LQÁX‰GHU Mächtigen, auch der Patricier, nur sehr wenig daran geknüpft, bei einer mit „ja“ oder „nein“ über eine Vorlage abstimmenden Volksversammlung präsent zu sein und selber mitzustimmen. Wie problemlos die Plebeierversammlung bald in die res publica integriert war, zeigt die Tatsache, daß der größte Teil der Gesetzgebung während der Zeit der Republik im concilium plebis verabschiedet wurde8. Der römische populus war also seit dem Ständeausgleich, im wesentlichen seit dem früheren 3. Jh., aufgeteilt in Patricier und Plebeier, und zwar offenbar komplementär: wer nicht Patricier war, der war Plebeier9. Später formalisierte sich allmählich eine ständische Gliederung, in der oben die Senatoren und darunter die Ritter standen, während der ganze Rest der römischen Bürger als plebs bezeichnet werden konnte. Plebs war aber nicht nur ein neutraler Ausdruck für den plebeischen Teil des populus oder für diejenigen Römer, die weder dem Senatoren- noch dem Ritterstand angehörten, sondern plebs konnte im Alltag wie in prononciert politischen Diskursen auch durchaus peiorativ verwandt werden, oft verstärkt durch Adjektive wie in der Verbindung plebs sordida – schmutziges Volk10. Formal konnte die plebs in sozialer und rechtlicher Hierarchie vom Ritterstand und von den Senatoren abgegrenzt werden. Nach dem Wohnort unterschied man die plebs urbana, die römischen Stadtbürger, von der plebs rustica, den römischen Bürgern auf dem Lande, d. h. außerhalb der Stadt Rom. Diese Differenzierung nach Stadt und Land schlägt sich in der Zugehörigkeit zu den regionalen Bürgerbezirken, den tribus, nieder, die in 4 tribus urbanae und in 31 tribus rusticae eingeteilt waren, und da auf der Basis dieser tribus die meisten Volksversammlungen untergliedert waren, war die Zuordnung von massiver Bedeutung für die politische Organisation der res publica. Über all dem schwebt der populus Romanus, und alle römischen Bürger sind darin eingeschlossen. Wenn es um den Rekurs auf das römische Gemeinwesen geht, dann ist der populus die Bezugsgröße, die sich für Herabwürdigungen im verächtlichen Oberschichtdiskurs auch nicht eignet. Es ist daher nur konsequent, daß Cicero die konstitutive Rolle des populus für das römische Gemeinwesen mit seiner berühmten Äquivalenzbehauptung würdigt: die res publica, die öffentliche Sache, ist also die res populi, die Sache des Volkes11. Doch in der Vertretung nach 7 8

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Vgl. dazu Linke und Walter (in diesem Band). Sandberg 2001 legt sogar dar, daß fast die gesamte Gesetzgebung bis zu Sullas Reformen im concilium plebis stattfand. Er hat seine Ansicht gegen Einwände noch einmal verteidigt, vgl. Sandberg 2004. Vgl. Mommsen 1887, III 1, 128 f. Tac. hist. 1,4,3. Vgl. Yavetz 1965 (auf die Kaiserzeit bezogen, aber nützlich auch für die Republik); Kühnert 1991, 14–17. Cic. rep. 1,39: … est igitur … res publica res populi.

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außen wird vom populus eine Institution unterschieden, nämlich der Senat. Die berühmte Formel SPQR, die seit Mussolini in Rom auf jedem Gullydeckel steht, ist in senatus populusque Romanus – Senat und römisches Volk – aufzulösen und begegnet uns in dieser Form oft – aber nicht immer. Denn im zwischenstaatlichen Verkehr ist des öfteren der populus Romanus allein genannt, wenn das römische Gemeinwesen angesprochen wird12, allemal in der Formel von der maiestas populi Romani, die eben verdeutlicht, daß maiestas dem populus Romanus zukommt und eigentlich nicht dem Senat13. Darüber hinaus gibt es aber inschriftliche Zeugnisse aus Spanien, welche die Formel enthalten: dum populus senatusque Romanus vellet (sofern das Volk und der römische Senat will)14. Es handelt sich dabei um sog. Feldherrnverträge, d. h. konkret nahmen hier römische Magistrate die Unterwerfung eines fremden Staates entgegen und restituierten einen Teil der Rechte der besiegten Gemeinde unter dem Vorbehalt einer Bestätigung von Volk und Senat. Hier sieht man also, wie die entscheidenden Institutionen des römischen Staates bei der Herstellung verbindlicher außenpolitischer Rechtszustände zusammenwirken. Da die genannten Belege für die Klausel aus den Jahren 189 und 104 v.Chr. stammen, könnte man daraus folgern, daß im 2. Jh. v.Chr. das Volk durchaus noch dem Senat vorangestellt wurde, wenn es um die Charakterisierung des römischen Staates in seinen Autoritäten ging. Erst in den letzten Jahren der Republik stabilisierte sich dann die umgekehrte Reihenfolge und wurde zum Emblem römischer Staatlichkeit in ihren republikanischen Strukturen, das in der Kaiserzeit Routine wurde15. 2. DAS VOLK ALS INSTITUTION Die formalisierte Partizipation des römischen Volkes an den öffentlichen Angelegenheiten vollzog sich in den Volksversammlungen, wie es in antiken Stadtstaaten üblich war. Ungewöhnlich, ja wahrscheinlich singulär war es aber, daß Rom nicht nur eine abstimmende Volksversammlung besaß, sondern mindestens drei, wenn 12

Vgl. etwa die lex de provinciis praetoriis 101 v.Chr., Crawford 1996, I Nr. 12, Knidos-Version col. III Z. 31; 34; col. IV Z. 20; den Senatsbeschluß über Stratonikeia 81 v.Chr., Sherk 1969, Nr. 18 Z. 28 f. 13 Dazu Mommsen 1888, III 2, 1033 mit Anm. 1, der aber darauf hinweist, daß gegen Ende der Republik die maiestas auch vereinzelt für den Senat reklamiert wird. Vgl. Bauman 1967, 6–14. 14 ,/6 ,//53 Y&KU $( Y&KU 'LHVHOEH5HLKHQIROJHÀQGHWVLFK bei Liv. 29,21,7 (zum Jahr 204, die Locrer betreffend). Vgl. Nörr 1989, 22; 56–60; zu der Formel und zum spanischen Kontext der Anwendungen s. auch Ebel 1991. Nörr 56–58 zeigt, daß die Klausel wahrscheinlicher als Bindung an die noch ausstehende Genehmigung bzw. Bestätigung durch die römische res publica zu verstehen ist (d. h. dum ist mit „sofern“ zu übersetzen) und nicht als unbegrenztes Widerrufsrecht (das wäre die Bedeutung, wenn man dum mit „solange“ übersetzt). Nörr diskutiert auch die Reihenfolge der Autoritäten, also erst der populus und dann der Senat, und kommt zum Ergebnis: „So spricht mehr dafür, daß mit der Formel populus senatusque romanus schlicht der römische Staat gemeint ist, der durch ein nicht näher präzisiertes Organ handelt“ (60). 15 Vgl. Mommsen 1888, III 2, 1258.

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nicht gar vier, die unterschiedlich gegliedert und verfaßt waren. Es handelt sich um die comitia curiata, die sich aus 30 Curien zusammensetzten, die comitia centuriata, die in 193 Centurien unterteilt waren, das concilium plebis, das ebenso wie die etwas umstrittenen comitia tributa16 in 35 tribus gegliedert war. Nur die Einteilung in Untereinheiten machte es überhaupt möglich, verschiedene Typen abstimmender Versammlung nebeneinander zu haben. Diese Volksversammlungen waren für drei Arten von Abstimmungsmaterie zuständig: Gesetze (worunter alle Sachentscheidungen zu verstehen sind, auch solche, die nur situativ galten), Prozeßurteile und Beamtenwahlen. Dazu trat dann noch die nicht abstimmende Versammlung, die contio, in der Mitteilungen gemacht und Projekte vorgestellt wurden und in der das Volk ungegliedert vor der Rednertribüne stand17. Wahrscheinlich nahm diese Vielfalt von der ältesten dieser Versammlungen ihren Ausgang, den comitia curiata. Auch wenn sich die Anfänge der Curiengliederung und der daraus hervorgehenden Comitien im Dunkeln der Frühzeit verlieren, gibt es doch immerhin einige Anzeichen dafür, daß die Curien, die sich aus Männerbünden entwickelten18, ursprünglich auch selbständig tagen konnten, so daß die Gesamtabstimmung vielleicht anfangs aus Einzelabstimmungen in den Curien zusammengesetzt wurde19. Aber wie auch immer sich dies verhielt: Sobald wir römische Volksversammlungen etwas deutlicher fassen können, treffen wir auf die Abstimmung der Bürger in Stimmkörperschaften. Diese römische Eigenheit eröffnete eine Reihe von Möglichkeiten, Stimmen zu gewichten, ohne das Grundrecht anzutasten, daß jeder Bürger, ob arm oder reich, ob angesehen oder marginalisiert, genau eine Stimme hatte. Besonders deutlich tritt dies in den Centuriatcomitien hervor, in denen die Bürger nach dem Vermögen gestaffelt stimmten. Hier waren die Reicheren in mehrfacher Hinsicht bevorzugt: sie waren zahlenmäßig natürlich viel weniger als die Armen, hatten aber mehr Stimmkörperschaften, sie stimmten vor den Ärmeren ab, und ihre Ergebnisse wurden verkündet, bevor die späteren Centurien an die Reihe kamen20. Hinzu kam noch, daß 16

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Sandberg 2001, 105–110 hat wieder energisch die Ansicht verfochten, daß es jedenfalls in der vorsullanischen Republik nur eine nach tribus gegliederte Versammlung gegeben hat, nämlich das concilium plebis, das unter Vorsitz eines Volkstribunen tagte; s. auch seine Bekräftigung Sandberg 2004. Für die römischen Volksversammlungen und ihre Abstimmungsverfahren vgl. die klassischen Werke von Mommsen 1887, II 1, 369–419; Taylor 1966, 34–106; 121–190; Staveley 1972, 121–190; Nicolet 21979, 295–380 ; zum Charakter der Volksabstimmungen in der späten Republik jetzt auch Hollard 2010, 23–70. Auf Einzelverweise wird im folgenden verzichtet. Für einen guten Überblick vgl. Bleicken 71995, 120–133. Vgl. Linke 1995, 56–61. Vgl. meine Spekulationen zur Entwicklung der Curiatcomitien: Jehne 2013b, 130–140 (mit Hinweisen auf ältere Literatur). Zu den Indizien für ursprüngliche Einzelversammlungen gehört der Terminus comitia, der eine Pluralform ist, während der Singular, comitium, den traditionellen römischen Versammlungsplatz am Forum bezeichnet. Zwischen 241 und 218 wurde eine größere Reform der Centuriatcomitien ins Werk gesetzt, über die wir nur sehr unzulänglich informiert sind, weshalb manches umstritten bleibt. Jedenfalls stimmten nun zuerst die 70 Centurien der 1. Klasse, danach oder parallel die 18 Rittercenturien und wohl auch eine centuria fabrum, dann die 2. Klasse, dann die 3., dann die 4., dann die 5. und am Ende noch 4 Centurien von fabri und proletarii. Die Zugehörigkeit zu den Klas-

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die Abstimmung, gegebenenfalls aber auch die Bekanntgabe der Ergebnisse von Stimmkörperschaften, die schon abgestimmt hatten21, sofort abgebrochen wurde, sobald mehr als die Hälfte der Einheiten, bei den 193 Centurien der Centuriatcomitien also 97, für eine der Alternativen gestimmt hatte. Die Bevorzugung der Bessergestellten in diesem System ist evident. Wenn sich die Angehörigen der 1. Klasse und die Ritter einig waren, benötigte man aus der 2. Klasse nur noch neun Centurien, um die Mehrheit zu erreichen. Cicero schrieb denn auch, es seien in der einen Centurie der Proletarier mehr Leute eingeschrieben gewesen als in der gesamten 1. Klasse22, und er sah in der Centurienordnung den bewußten Versuch sicherzustellen, daß die Abstimmung nicht in der Macht der Menge, sondern in der der Besitzenden lag, womit für das gesorgt worden sei, was immer in einer res publica festzuhalten sei, daß nämlich die meisten nicht am meisten zählten23. In den nach tribus, also nach den regionalen Bürgerbezirken gegliederten Versammlungen war die Ungleichheit der Stimmen bei weitem nicht so ausgeprägt, obwohl auch hier keine Anstrengungen unternommen wurden, die Mitgliederzahlen in den tribus einigermaßen anzugleichen. Insgesamt war es daher durchaus bedeutsam, ob sich das Volk nach tribus oder nach Centurien geordnet versammelte, denn die von diesen aufwendigen Ritualen24 ausgesandten Signale für die teilnehmende Bevölkerung waren von ganz unterschiedlicher Art. Während man in den nach tribus geordneten Versammlungen die Gleichheit der Bürger zu spüren bekam

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sen war an ein Mindestvermögen geknüpft, das von der 1. bis zur 5. Klasse abnahm, und für die Mitgliedschaft in den Rittercenturien lagen die Vermögensanforderungen erheblich über denen der 1. Klasse. Vgl. zum Aufbau der Centuriatcomitien z. B. Taylor 1966, 84–91; für eine Diskussion der Reform des 3. Jh.s vgl. etwa Grieve 1985. Dies ist der Fall bei den Wahlen innerhalb der nach tribus untergliederten Versammlungen (vgl. dazu Fraccaro 1957, 235–254, bes. 246; s. auch Taylor 1966, 40 f.), und diese Verfahrensweise beweist, daß der Abbruch nach Erreichen der Mehrheit jedenfalls nicht nur auf den praktischen Grund zurückzuführen ist, daß man so Zeit sparen konnte, denn die Verkündigung schon ausgezählter Ergebnisse von einigen weiteren tribus hätte nur ein paar Minuten in Anspruch genommen. Cic. rep. 2,40: illarum autem sex et nonaginta centuriarum in una centuria tum quidem plures censebantur quam paene in prima classe tota. Vgl. auch Dion. Hal. ant. 7,59,6, der sogar behauptet, die Centurie der Proletarier habe so viele Mitglieder gehabt wie alle anderen zusammen. Cic. rep. 2,39: … easque ita disparavit ut suffragia non in multitudinis sed in locupletium potestate essent, curavitque, quod semper in re publica tenendum est, ne plurimum valeant plurimi. Vgl. auch Liv. 1,42,10. Das gilt besonders für die Centuriatcomitien, die sich selbst bei vollkommener Einigkeit in nicht sehr viel weniger als fünf Stunden durchführen ließen, vgl. Cic. ad fam. 7,30,1 (von der 2. Stunde bis zur 7.). Meine verschiedentlich geäußerte Sicherheit, daß dieses Zeugnis fünf Stunden als Minimum belege (vgl. z. B. Jehne 2003, 283 f.), habe ich jetzt ein wenig relativiert, denn man muß in Rechnung stellen, daß es in dem konkreten Fall, in dem Caesar 44 v.Chr. eigentlich Quaestorenwahlen abhalten wollte und dann (nach der überraschenden Meldung, einer der Consuln sei verstorben) statt dessen einen Consul nachwählen ließ, durchaus wahrscheinlich ist, daß einige Zeit verging zwischen der Todesnachricht und dem Beginn der Volksabstimmung mit neuer Organisation und Zielstellung. Doch länger als eine Stunde dürfte das nicht gedauert haben, womit man in der Nähe von vier Stunden wäre – immer noch ein erheblicher Zeitaufwand für die Wahl eines konkurrenzlosen Kandidaten.

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und als armer Schlucker in unmittelbarer Nähe bei einem großen Feldherrn oder einem berühmten Redner stehen konnte, der dann zweifellos freundlich erklärte, wie man jetzt zum Wohle des populus Romanus abstimmen solle, sah man in den Centuriatcomitien lange zu, wie die vor einem selbst gruppierten Männer das AbVWLPPXQJVULWXDOYROO]RJHQXQGVRZXUGHJHUDGH]XKDQGJUHLÁLFKNODUZHULQGHU gesellschaftlichen Hierarchie über einem plaziert war – aber auch, wer noch unter HLQHP]XÀQGHQZDU'LHVHV1HEHQHLQDQGHUYRQHJDOLWlUHQXQGKLHUDUFKLVFKHQ5Ltualen trug wohl insgesamt zur Integration der römischen Gesellschaft bei25. Die komplexen Reglements und Praktiken römischer Abstimmungen erlaubten es nicht nur, daß Stimmen erheblich gewichtet wurden, sondern sorgten auch dafür, daß sich über die Entscheidungen des Volkes der Schleier des Konsenses legte. Dazu trug vor allem bei, daß es keine komplette Abstimmung und/oder keine komplette Verkündigung der Ergebnisse gab. Zwar galt das Prinzip des Mehrheitswahlrechts in doppelter Hinsicht, d. h. in den Stimmkörperschaft entschied die einfache Mehrheit der Abstimmenden über die Gesamtstimme der Stimmkörperschaft und bei der Addition der Stimmen der Stimmkörperschaften ebenfalls die Mehrheit. Die Verzerrungen solcher Verfahren kennen wir in der Moderne z. B. aus der amerikanischen Präsidentenwahl, dort allerdings in der einfachen Form des Mehrheitswahlrechts. Denn der in einem US-Staat, der Abstimmungseinheit, siegreiche Kandidat (oder die siegreiche Kandidatin) gewinnt unabhängig davon, ob eine große oder kleine Mehrheit erzielt wurde, die Wahlmänner des gesamten Staates, aber diese werden addiert, so daß die Stimmkraft der Staaten nach Bürgerzahl differenziert werden kann. Immerhin reicht auch dieses Verfahren schon, um aus prozentual kleinen Wählerverschiebungen zwischen den Kandidaten der großen Parteien Erdrutschsiege zu machen. Die Art und Weise, wie man diese Mehrheitsentscheidungen in Rom durchführte, war bezeichnend. Bei der Verkündigung des Resultats in einer Stimmkörperschaft wurde nur erklärt, wofür sich die Mehrheit entschieden hatte, ohne das genaue Ergebnis bekannt zu geben, und diese Sukzession von Ergebnisverkündigungen bzw. auch von Abstimmungen der Stimmkörperschaften brach man ja ab, sobald die Mehrheit erreicht war. Das Verfahren hatte zur Folge, daß Minderheiten nicht erfuhren, wie stark sie eigentlich waren. Aber dahinter stand wohl nicht so VHKUGLHSHUÀGH%HQDFKWHLOLJXQJYRQ$QGHUVGHQNHQGHQDOVYLHOPHKUGLHVHOEVWYHUständliche Annahme, daß sich die römischen Bürger einer Mehrheit ohnehin anschlossen26. Tatsächlich waren es sicherlich nicht nur die mehrheitsverstärkenden Elemente des Verfahrens, sondern ebenso die traditionellen Zustimmungsneigungen des populus Romanus, die dafür sorgten, daß der vorgelegte Antrag in den JaNein-Entscheidungen der Gesetzesabstimmungen fast immer eine Mehrheit fand27. Die Vorstellungswelt der römischen Führungsschicht verdeutlicht uns Ciceros Selbstaussage über seine Wahlsiege, die er mit Stolz als Wahl durch alle Centurien

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Vgl. Jehne 2003, 287; 293. Vgl. Jehne 2003, 293 f. Vgl. dazu Flaig 2003, 175 f., der nur zehn Fälle gefunden hat, in denen wir von der Ablehnung eines Gesetzesvorschlags durch die Comitien hören.

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bezeichnete28. Nach unserer Kenntnis des Verfahrens kann das nur bedeuten, daß er in den ersten 97 Centurien der Centuriatcomitien die Mehrheit erreichte und danach als Gewählter verkündet wurde. Die konsensualistische Grundhaltung der Römer legte es nahe, den Erfolg bei der Mehrheit ohne weitere Prüfung mit dem Ganzen ]XLGHQWLÀ]LHUHQ Diese römische Besonderheit, daß beschließende Versammlungen immer aus Stimmkörperschaften zusammengesetzt waren, produzierte noch einen weiteren Vorteil für das Funktionieren des politischen Systems – zumindest von der Warte GHU VHQDWRULVFKHQ )KUXQJVVFKLFKW DXV EHWUDFKWHW GLH Y|OOLJH 8QHPSÀQGOLFKNHLW gegenüber einer verschwindend geringen Partizipationsquote. Wie in antiken Städten allgemein üblich, waren auch römische Volksversammlungen direkte Zusammentreffen der (männlichen) Bürger an zentralen Plätzen in der Hauptstadt, bei denen jeder (männliche) Bürger sein Stimmrecht nur ausüben konnte, indem er persönlich erschien. Solange Rom eine kleine Stadtrepublik mit überschaubarem Territorium war, konnte das Partizipationsrecht noch von vielen Bürgern mit begrenztem Aufwand aktualisiert werden, weil der Weg in das Zentrum Roms nicht weit war. Als aber Rom spätestens im Laufe des 4. Jh.s v.Chr. fast ganz Mittelitalien annektiert hatte, war das faktisch nicht mehr möglich. Die Vergrößerung des Bürgergebiets schritt dann weiter voran, und nach dem Bundesgenossenkrieg ca. 91–88 v.Chr. wurde ganz Italien zum römischen Bürgergebiet. Doch trotz dieser fundamentalen Ausweitung der Siedlungs- und Lebensräume römischer Bürger kam man nie auf die Idee, vom Prinzip der direkten Versammlungen in Rom abzurücken. Die Konsequenz dieser Verhältnisse liegt auf der Hand: praktisch konnte ein immer größerer Anteil der Bürger von seinem Abstimmungsrecht keinen Gebrauch mehr machen. Von modernen Maßstäben aus beurteilt ist die Wahlbeteiligung in Rom dramatisch niedrig. Nun sind uns natürlich keine genauen Zahlen überliefert, so daß eine SUl]LVH4XDQWLÀ]LHUXQJXQP|JOLFKLVW(VJLEWDEHUHLQHQ:HJDXIGHPPDQ]XHLner einigermaßen fundierten Abschätzung der Dimensionen, in denen wir uns bewegen, gelangen kann. Dazu geht man aus von den überlieferten Censuszahlen, also den Angaben über die Menge der römischen Bürger, die im normalerweise alle fünf Jahre durchgeführten Census festgestellt wurde29. Sodann wird abgeschätzt, ZLHYLHOH0HQVFKHQDXIGHQEOLFKHQ9HUVDPPOXQJVSOlW]HQGHV9RONHV3ODW]ÀQGHQ konnten30, und diese Zahlen werden zueinander in Beziehung gesetzt. Sogar der größte Versammlungsplatz, das Marsfeld, auf dem immer die Centuriatcomitien

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Praetur: Cic. imp. Pomp. 2: … cum propter dilationem comitiorum ter praetor primus centuriis cunctis renuntiatus sum, …; Consulat: leg. agr. 2,4: me … una vox universi populi Romani consulem declaravit; Consulat und Praetur: Cic. off. 2,59: … pro amplitudine honorum, quos cunctis suffragiis adepti sumus nostro quidem anno, …; vgl. Asc. p. 94 C.: … Cicero consul omnium consensu factus est. Die Deutung der Zahlen ist umstritten, was ich hier nicht diskutieren kann. Vgl. dazu z. B. Scheidel 2008, 22–30; Hin 2008. Vgl. für dieses Verfahren mit leicht voneinander abweichenden Schätzungen MacMullen 1980; Mouritsen 2001, 18–37.

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abgehalten wurden, konnte kaum mehr als 30.000 Menschen aufnehmen31. Nach den umsichtigen Kalkulationen von Walter Scheidel ergeben sich folgende Partizipationsraten: 338 v.Chr. konnten noch ca. 40 % der Bürger teilnehmen, um 200 waren es schon unter 20 %, 69 waren es vielleicht noch 5 %32. Berücksichtigt man aber lediglich die in der unmittelbaren Umgebung lebende Bevölkerung, die überhaupt nur eine realistische Teilnahmechance besaß, dann kommt man, nach Scheidels Schätzungen über die Bevölkerungsverteilung, auf folgende Werte: 338 konnten noch etwa 90 % der im Kernbereich lebenden Bürger teilnehmen, um 200 sank die Quote schon unter 50 %, 69 war der Besuch dann immer noch für ca. 20 % möglich33. Wenn man jedoch in Rechnung stellt, daß all diese Zahlen von Maximalkalkulationen ausgehen und gerade die Gesetzesabstimmungen auf erheblich kleiQHUHQ9HUVDPPOXQJVSOlW]HQ²QRUPDOHUZHLVHDXIGHP)RUXP²VWDWW]XÀQGHQSÁHJten, dann ergibt sich eindeutig, daß die faktische Partizipationsquote des populus Romanus lächerlich gering war. Das hat die Römer nie veranlaßt, an der Geltungskraft ihrer Volksbeschlüsse zu zweifeln oder über Änderungen nachzudenken, die eine größere Partizipation ermöglicht hätten34, und auch in Zeiten massiver Spaltung wurde nicht der Wunsch laut, die Masse der vom Zentrum weit entfernt lebenden Bürger stärker zu beteiligen Der Grund liegt allem Anschein nach nicht so sehr darin, daß die Gruppe der tatsächlich Partizipierenden ihre Sonderstellung erhalten wollte35, sondern darin, daß es keinerlei Problemwahrnehmung gab. Die Römer hatten alle Entscheidungen seit Urzeiten in Volksversammlungen getroffen, die in Untereinheiten untergliedert abstimmten, und das erleichterte die Sichtweise, daß der populus Romanus als solcher, solange alle Untereinheiten vertreten waren, anwesend war. Selbst für dem Fall, daß tatsächlich einmal in einer Einheit weniger als fünf Zugehörige erschienen waren, gab es eine Lösung, indem man aus anderen Einheiten einige in die unterbe-

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35

Dies ist die Zahl von Mouritsen 2001, 26–30. Scheidel 2006, 217–219. Scheidel 2006, 219 f. Es sieht wie eine Ausnahme aus, daß Augustus seinen 28 Veteranencolonien, die er in Italien gegründet hatte, das Privileg gab, daß die dortigen Mitglieder des Stadtrats für die römischen Magistratswahlen zuhause wählen konnten. Die Behälter mit den Stimmtäfelchen wurden dann nach Rom transportiert, die Stimmtäfelchen leerte man in die dortigen Wahlurnen, und die Stimmen zählte man dann zusammen mit den direkt abgegebenen aus (Suet. Aug. 46). Doch handelt es sich dabei weniger um eine Initiative zur Milderung des faktischen Stimmrechtsentzugs der weiter von Rom entfernt wohnenden Römer als um ein weiteres Ehrenrecht der Veteranen, das auch gut zu dem überlieferten Recht paßt, daß Veteranen nicht zum Census persönlich erscheinen mußten (verliehen im Veteranenprivileg des Octavian/Augustus, vgl. die Edition von Wolff 1986, Falttafel Nr. b), Z. 14–15a (s. auch Corpus Papyrorum Latinarum Nr. 103). Im übrigen ist es zweifelhaft, ob diese aufwendige Beteiligung der Eliten unter den Veteranen lange beibehalten wurde. Diese Argumentation, man solle sich doch nicht von Neubürgern physisch verdrängen lassen, taucht allerdings in der Agitation des Consuls C. Fannius 122 auf, der sich bemühte, den Gesetzesantrag des C. Gracchus, die Latiner ins Bürgerrecht aufzunehmen, zu Fall zu bringen (Malcovati 1976, Nr. 144 F 3). Doch bezieht sich die geschürte Angst vor dem Verlust von Annehmlichkeiten auf die contiones und die Spiele, nicht auf die abstimmenden Versammlungen.

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setzte loste, die dann dort abstimmten36. Für die Römer scheint der populus in den Volksversammlungen immer vollständig gewesen zu sein, folglich gab es keinen Handlungsbedarf zur Partizipationssteigerung. Die römische Optik könnte man mit dem bekannten Diktum und Buchtitel moderner Demoskopie belegen: alle, nicht jeder.

3. WER WAR DAS VOLK? Daß es, wie dargelegt, in Relation zu den Berechtigten nur wenige waren, die tatsächlich die Volksversammlungen besuchten, führt zu den Anschlußfragen, wer denn überhaupt kam und warum. Die Regel, daß die Versammlungen stets in Rom abgehalten wurden, bevorzugte von vornherein diejenigen, die in der Stadt und in der näheren Umgebung lebten, aber auch die erschienen keineswegs in großer Zahl, wie wir schon daraus entnehmen können, daß bereits im 2. Jh., verstärkt dann im 1. -KZHLWPHKU%UJHULQGLHVHU.HUQ]RQHOHEWHQDOVSK\VLVFKEHUKDXSW3ODW]ÀQGHQ konnten. Man muß daher neben dem Aufwand für den Versammlungsbesuch, der von der zurückzulegenden Wegstrecke und der insgesamt einzusetzenden Zeit abhing, korrespondierend das Interesse kalkulieren, das einen Bürger überhaupt zur Versammlung ziehen konnte. Zunächst ist daran zu erinnern, daß die Verknüpfung der abstimmenden Versammlungen mit der Tribusorganisation einen klaren Schwerpunkt auf die Landbevölkerung legte, standen doch den 4 städtischen tribus 31 ländliche gegenüber. Da man davon ausgehen kann, daß die Vermögenderen unter den Bürgern den Aufwand für den Versammlungsbesuch leichter verkraften konnten, und da weiter erkennbar ist, daß das Interesse am Besuch bei den in die Politik mehr oder weniger eingebundenen Oberschichten insgesamt weit höher war, ist es eine einleuchtende Vermutung, daß gerade in den ländlichen tribus die Bessergestellten erheblich überrepräsentiert waren. Die Struktur der Abstimmungsordnung erzeugte also über die tribus-Bindung eine Korrektur zur zahlenmäßigen Dominanz der Stadtbevölkerung – wenigstens solange, bis in den letzten Jahrzehnten der Republik nicht mehr so recht darauf geachtet wurde, daß die Römer, die ihren Wohnsitz in die Stadt verlegt hatten, tatsächlich die tribus wechselten37. Dennoch waren nicht einmal die Wahlen, die normalerweise heiß umkämpft waren und in deren Vorfeld die Kandidaten all ihre Beziehungen mobilisierten, so reichlich frequentiert, daß wir davon hören würden, daß es eng geworden sei bei der Versammlung38. Immerhin kamen zu den Wahlcomitien Bürger von außerhalb in die Stadt39, wobei es anzunehmen ist, daß sich vor allem bessergestellte Römer auf 36

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Cic. Sest. 109. Vgl. Taylor 1966, 76; 145 f. Anm. 41. Vgl. auch die analogen Regelungen in den kaiserzeitlichen Vorstimmcenturien, bezeugt durch die Tabula Hebana (Crawford 1996, I Nr. 37 Z. 32–34). S. dazu auch Jehne 2013b, 150 f. Vgl. dazu Taylor 21968, 53 f.; Nicolet 21979, 395–401; Mouritsen 2003, 80 f. Vgl. für die wenigen Nachrichten über Gedränge auf dem Versammlungsplatz Jehne 2006, 224 f. Anm. 26. Vgl. vor allem die rustici, die Landbewohner, bei Festus p. 290 Lindsay. S. dazu Jehne 2000b, 668–672.

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den Weg machten40. Möglicherweise gehörte die Teilnahme an den Wahlen der Oberbeamten für die Angehörigen der Führungsschicht zu den selbstverständlichen Aktivitäten, aber auch die weitere Oberschicht wird des öfteren dazu angereist sein, allemal dann, wenn jemand zur Wahl stand, dem sie verbunden waren. Anders war es bei den Besuchern der contiones, der Versammlungen, die nicht abstimmten. Da contiones in hoher Frequenz auf dem Forum oder in der näheren 8PJHEXQJVWDWWIDQGHQXQGKlXÀJVHKUNXU]IULVWLJHLQEHUXIHQZXUGHQ41, ist klar, daß diese Veranstaltungen weitgehend von denjenigen besucht wurden, die ohnehin im politischen Zentrum Roms physisch präsent waren42. Es ist nun die Ansicht vertreten worden, daß zu den contiones, die nur von amtierenden Magistraten angesetzt und geleitet werden durften, in erster Linie die Anhänger des Versammlungsleiters erschienen, so daß jede contio je nach Veranstalter ein sehr unterschiedliches Publikum anzog43. Das Hauptargument, daß die einfachen Plebeier schließlich für ihren /HEHQVXQWHUKDOWDUEHLWHQPX‰WHQXQGHVLKQHQGDKHUXQP|JOLFKZDUVLFKKlXÀJHU in contiones herumzudrücken, ist jedoch nicht durchschlagend, denn es unterstellt, daß arme Leute ständig aktiv versuchen, ihr Einkommen aufzubessern, und daher meistens arbeiten oder nach Arbeit suchen44. Dies gilt aber für vormoderne Gesellschaften nicht und ist auch für moderne nicht universell gegeben. Bei den kleinen *HVFKlIWVOHXWHQXQG+LOIVDUEHLWHUQLP)RUXPVEHUHLFKJULII]XGHPGLH3ÁLFKWHQYHUteilung, die in patriarchalischen Gesellschaften auch heute noch anzutreffen ist: Das männliche Familienoberhaupt kann alles mögliche unternehmen, solange nur die Familie – oder besser römisch unter Einschluß der Sklaven: die familia – die anfallende Arbeit erledigt. Es spricht also einiges dafür, daß rund um das Forum eine Gruppe von regelmäßigen Versammlungsteilnehmern existierte, die oft, aber natürlich nicht immer, die contiones und auch die Comitien besuchte und denen die Partizipation am politischen Leben zu einer Lebensweise geworden war45. Christian Meier hat diese Gruppe die plebs contionalis genannt46. Der Ausdruck ist so nicht in den Quellen 40

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Darauf deutet auch die Wahlkampfstrategie. Als sich P. Clodius Pulcher, Ciceros Intimfeind, um die Wahl zum Praetor bemühte, hielt er eine Rede vor dem Stadtrat von Aricia (Asc. p. 31 Clark) und nicht vor der dortigen Volksversammlung: offenkundig ging es darum, die Stadträte zu gewinnen und zur Teilnahme an den Wahlen zu bewegen, nicht um die einfachen Bürger, die wohl eher als Clienten von ihren Patronen für die Wahlen herangebracht werden konnten. Vgl. auch Jehne 2009, 506 f. Das machen die Listen der in der Überlieferung zu greifenden contiones deutlich, vgl. Pina Polo 1989, 244–313; Hiebel 2006, 395–453. Vgl. Jehne 2006, 231. Dieser Normalfall schließt nicht aus, daß im Einzelfall auch einmal größere Gruppen von Landbewohnern in die Stadt strömten, um Projekte und Einzelpersönlichkeiten, die ihnen besonders am Herzen lagen, aktiv zu unterstützen, und dazu gehörte dann auch der Besuch von contiones. So Mouritsen 2001, 43–45; 50–52. Vgl. schon Jehne 2006, 229–231. Vgl. Jehne 2006, 230–233; 2011b, 73–78; 2013a, 49–55; 58–60. Meier 1965, 614; ders. 21980, 114. Meier sieht in der plebs contionalis allerdings ein Unruhepotential und die bevorzugten Partner aufrührerischer Volkstribune, doch scheint mir diese Kerngruppe der Versammlungsbesucher keineswegs primär auf das Inventar volksfreundlicher ,QLWLDWLYHQÀ[LHUWJHZHVHQ]XVHLQVRQGHUQDXIGLHHLJHQHZLFKWLJH5ROOHLQGHUres publica.

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überliefert, aber es gibt ähnliche Formulierungen47, und insgesamt ist das eine gelungene Bezeichnung, aus der sofort hervorgeht, was gemeint ist: die Gruppe der HLQIDFKHQ3OHEHLHUGLHVLFKEHUGHQKlXÀJHQ%HVXFKYRQcontionesGHÀQLHUWHQ Wieviele Männer das waren, ist kaum zu schätzen, aber es dürften keine wirklichen Massen gewesen sein: ein paar hundert Leute vielleicht – genug, um mit einer Teilgruppe dafür zu sorgen, daß auch bei kurzfristig einberufenen contiones auf dem Forum, die während des laufenden Geschäftsbetriebs abgehalten wurden, neben der Gefolgschaft des Versammlungsleiters noch ein paar andere da waren, und auch genug, um als eine Menge wahrgenommen zu werden und nicht als eine auseinanderdividierbare Ansammlung von Individuen. Jedenfalls waren diese Leute die Hauptbezugsgröße der öffentlichen Politik der römischen Senatoren. Nicht nur die Gesetzesinitiativen wurden, sofern sie etwas komplexer und potentiell strittig waren, in Reden vor contiones begründet und beworben, sondern es lief sogar der Wahlkampf wesentlich in diesem Zentrum ab48. Auf dem Forum traten die Kandidaten mit ihrem Gefolge auf und drückten die Hände der Passanten49. Daß sie nomenclatores einsetzten, also Sklaven, die ihnen dann, wenn sie jemandem begegneWHQGHQ1DPHQHLQÁVWHUWHQVHW]WYRUDXVGD‰HVVLFKEHLGHQ%UJHUQGLHDXIGHP Forum präsent waren, mehrheitlich nicht um zufällig und selten dort auftretende Persönlichkeiten handelte, sondern um eine im Kern stabile Gruppe von Männern, deren Namen sich der Sklave einprägen konnte50. Die plebs contionalis verkörperte also in vielen Kontexten den populus Romanus als politische Größe und war der Resonanzraum der senatorischen Führungsschicht und ihres Wettbewerbs. 4. VOLKSDISKURSE Den Beschlüssen des Volkes in den Versammlungen gingen mehr oder weniger intensive öffentliche Vorbereitungen auf die Entscheidungen voraus, in die das Volk einbezogen war. Bei den Gerichtscomitien wurde dreimal öffentlich verhandelt, bevor man in einer vierten Versammlung zur Abstimmung schritt – aber diese Verfahren waren in der späten Republik schon weitgehend außer Gebrauch gekommen und durch den Prozeß vor einer Jury ersetzt worden51. Bei den Gesetzen war es vorgeschrieben, daß der Vorschlag knapp drei Wochen vor der Abstimmung öffentlich ausgehängt wurde52, und zwischenzeitlich fanden dazu contiones statt. Hier wurden zwar keine bindenden Beschlüsse gefaßt, aber die zur Entscheidung anstehenden Fragen vorgestellt, manchmal sogar in Rede und Gegenrede ansatzweise 47 48 49 50 51

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Vgl. Cic. Q. fr. 2,3,4: contionarius populus. Vgl. zum Wahlkampf z. B. Jehne 1995; Yakobson 1999. Vgl. Jehne 1995, 55; 58 f. Vgl. dazu besonders die Augustus-Anekdote bei Macrobius (Sat. 2,4,15) und dazu Jehne 2006, 233. Zum Comitialverfahren vgl. Kunkel 1962, 21–23; zu den Juryprozessen, die auf dem Forum stattfanden und öffentlich waren, vgl. die Sammlung von Alexander 1990, der 391 Fälle zwiVFKHQXQGY&KUDXÁLVWHW Vgl. für das sog. trinundinum, die wohl 17-tägige Ankündigungsperiode, Lintott 1965.

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diskutiert, und die Reaktionen der dabeistehenden Menge waren nicht ohne Bedeutung für das weitere Schicksal des Projekts53ZHVKDOEPDQGHQZDKUHQ(LQÁX‰GHV Volkes auch in den contiones lokalisiert hat54. Doch im vorliegenden Zusammenhang wichtiger ist das Faktum, daß uns die Quellen einen Einblick gewähren, wie denn eigentlich die Diskurse zwischen den Rednern aus der Führungsschicht und dem anwesenden Volk abliefen und welche Rolle im Gemeinwesen dem populus zugeschrieben wurde. Vollständig haben wir aus der republikanischen Zeit nur Volksreden Ciceros erhalten55, aber es gibt darüber hinaus eine Reihe von Fragmenten anderer Redner56 und auch komponierte Reden in der Historiographie, die zweifellos im Duktus der Volksreden, welche die Autoren ja erlebt oder sogar selbst gehalten hatten, abgefaßt waren57. :LUÀQGHQKLHUGLH*HPHLQVLQQVUKHWRULNGLHDXV5HGQHUXQG9RONHLQH(LQKHLW machte, der es gleichermaßen um die salus communis, das Gemeinwohl ging58. Dem populus wurde versichert, daß er das Letztentscheidungsrecht in den wesentlichen Angelegenheiten habe und daß der Redner dieses immer respektieren werde, selbst wenn er im konkreten Falle versuche, den populus von seiner bisherigen Meinung abzubringen59. Der Staatsdiskurs war also in den contiones volksbezogen, und das war ja auch nur folgerichtig, wenn doch der populus eigentlich der Staat war. Die Kommunikationssituation der contiones war aber durch recht enge Verhaltensspielräume in den unterschiedlichen Rollen bestimmt. Es scheint nicht formal verboten gewesen zu sein, daß ein einfacher Mann aus dem Volke das Wort ergriff und zu der Versammlung sprach, aber es sind fast keine Fälle überliefert, und der Magistrat, der die contio einberufen hatte und dafür zuständig war, jemandem das Rederecht zu erteilen, rief ganz selbstverständlich so gut wie immer Senatoren auf die Rednertribüne, ganz gelegentlich mal einen Ritter, auch einmal aus aktuellem Anlaß einen Soldaten60, zuweilen auch auswärtige Gesandte. Daß ein einfacher Mann aus dem Volke reden will und tatsächlich das Wort ergreifen kann, ist nur in der zweifellos unhistorischen Scaptius-Episode des Livius als ein Lehrstück gestaltet, das demonstriert, daß solch ein Vorfall eine Transgression darstellt, die das 53 54 55

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Vgl. zur Kommunikationssituation der contiones vor allem Pina Polo 1996; Morstein-Marx 2004. Vor allem Flaig 1995, 92–96; ders. 2003, 193–199, Neun Reden liegen noch vor: die Rede über die Kommandogewalt des Cn. Pompeius 66 v.Chr., die 2. und die 3. Rede über das Siedlungsgesetz 63 v.Chr., die Verteidigungsrede für C. Rabirius, der des Hochverrats angeklagt war, von 63 v.Chr., die 2. und die 3. Rede gegen Catilina von 63 v.Chr., die Dankesrede an das Volk nach der Rückkehr aus dem Exil von 57 v.Chr. und die 4. und die 6. Philippische Rede gegen Antonius von 44 bzw. 43 v.Chr. Gesammelt von Malcovati 1976. So Sallust, der 52 Volkstribun und 46 Praetor war und in diesen Funktionen auch Reden vor dem Volk gehalten hatte. Vgl. zur Auswertung der Reden in seinen Werken Morstein-Marx 2004, 30 f. Vgl. etwa Cic. imp. Pomp. 48; 56; 64. So Cicero in seiner 2. Rede über das Siedlungsgesetz (leg. agr. 2,16 und 62). Berühmt ist der Auftritt des Centurio Sp. Ligustinus bei Liv. 42,33,1–35,2 (zum Jahr 171), der aber offenkundig eine Inszenierung der Consuln ist, die ihren Standpunkt den Wehrunwilligen aus dem Munde des ‚Kameraden‘ vermitteln lassen.

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Wohl des Staates in Gefahr bringt61. Die Rollen in der contio sind klar verteilt: die Senatoren reden, der populus hört zu. Wie redet man nun mit dem Volk, wenn man sich in einer keineswegs ruhigen Umgebung ohne Mikrophon verständlich machen will und das Letztentscheidungsrecht des Volkes anerkennt? Die Gesamtsituation legt es dem Redner nahe, dem Volke nach dem Munde zu reden, und für das Volk bietet es sich an, eine unbequeme Äußerung in lauten Unmutsbekundungen untergehen zu lassen. Doch nach allem, was wir darüber wissen, waren die contiones nicht so einseitig und inhaltsleer. Zwar ist schon festzustellen, was Robert Morstein-Marx als „ideological monotony“ bezeichnet hat, konkret die universelle Einkleidung der Aussagen mit volksfreundlichen Versatzstücken unabhängig davon, welche Position der Redner gerade vertrat62. Doch neben diesen verbalen Umsetzungen des Jovialitätsgestus, den Senatoren generell im öffentlichen Umgang mit dem Volk zu erbringen hatten63, ließen sich durchaus Argumente vorbringen, warum der populus lieber dem aktuellen Redner folgen solle als anderen. In seiner Volksrede über das Siedlungsgesetz des Rullus im Jahre 63 v.Chr. brachte Cicero dem Volke nahe, daß es den Gesetzesvorschlag entgegen seiner spontanen Neigung, das Projekt zur Landverteilung zu unterstützen, lieber ablehnen solle64. Zunächst einmal verdeutlichte Cicero seinem Publikum, daß es gutgläubig und unbedacht sei und daher der Beratung GXUFK3URÀVEHGUIH'LHVH6FKZlFKHYHUKDQGHOWHPDQLP9RONVGLVNXUVXQWHUGHP Terminus imprudentia, Unvorsichtigkeit, gegen die der Redner vorging, indem er das Volk zur diligentia, zur sorgfältigen Prüfung anhielt65. Hinzu trat die Differenzierung in periti und imperiti, also Leute mit Erfahrung auf der Rednertribüne und Unerfahrene als Zuhörer davor66(LQHVROFKHK|ÁLFKH+LHUDUFKLVLHUXQJOLH‰VLFK der populus offenbar gefallen. Weiter attackierte Cicero seinen Gegner, hier den Volkstribunen Servilius Rullus, der das Gesetz eingebracht hatte, als einen Lügner und Betrüger, der in Wahrheit nicht gemeinsinnig handele, also das Gemeinwohl und damit die salus populi Romani im Auge habe, sondern nur seine partikularen Interessen verfolge67. Als es ihm gelang, das Vertrauen des Volkes in die Gemeinsinnigkeit des Rullus zu erschüttern, war es um die Gesetzesinitiative geschehen68. Bei einer anderen erhaltenen Volksrede, mit der sich Cicero 66 v.Chr. für die Übertragung des großen Ostkommandos an Pompeius einsetzte, waren die Rahmenbedingungen von vornherein viel günstiger für den Redner. Diesmal vertrat er die Seite, die beim Volk ohnehin breite Zustimmung genoß, so daß er in der contio

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Liv. 3,71,1–72,7; Dion. Hal. ant. 11,52,1–4. Vgl. Jehne 2011b. Vgl. Morstein-Marx 2004, 206; 229;-240; vgl. aber die Darlegungen von Tan 2008, 164–172, daß diese Monotonie auch dadurch verstärkt wurde, daß die allermeisten Redner offenbar von Hause aus volksfreundlich positioniert waren. Vgl. dazu auch Jehne 2013a, 59 Anm. 60. Zur Jovialität vgl. Jehne 2000a, 214–217. Vgl. die Analyse bei Jehne 2011a, 113–116; 118 f. Cic. leg. agr. 2,25; 77; 82; vgl. Jehne 2011a, 114. Vgl. Jehne 2011a, 115. Cic. leg. agr. 1,14; 2,21 f.; 69; 3,3; 14. Vgl. Jehne 2011a, 118 f. Wir wissen aber nicht sicher, ob auch eine Drohung eines anderen Tribunen, sein Veto einzulegen, zum Ende des Projekts beitrug (Cic. Sull. 65). Vgl. knapp Jehne 2013a, 51 Anm. 16.

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keinen großen Gegenwind befürchten mußte69$OOHUGLQJVJDEHVHLQÁX‰UHLFKHXQG angesehene Senatoren, die sich gegen den Vorschlag positioniert hatten, und die wollte Cicero nicht verprellen. So machte er also eine große Verbeugung vor der auctoritas der Consulare Hortensius und Catulus und erkannte explizit an, daß diese beiden über die durch Rang, Erfahrung und Leistung erzeugte Autorität verfügten, um das Volk zu lenken und Urheber staatsfördernder Entscheidungen zu sein70. Dann legt er aber dar, daß sich die Vorbehalte gegen die Übertragung einer weiteren umfassenden Befehlsgewalt an Pompeius, die im wesentlich mit grundsätzlichen Erwägungen der Machtbeschränkung und nicht mit Vorbehalten gegen die Person und ihr Leistungsvermögen motiviert wurden, schon bei dem vorangehenden Seeräuberkommando nicht durchgesetzt hatten und das Volk damals die richtige Entscheidung getroffen habe, wie man an dem grandiosen, schnellen Erfolg des Pompeius ersehen können. Daher sollten sich in diesem neuen Fall die großen Männer einmal mit ihren auctoritates der auctoritas populi beugen71. Damit wählt Cicero eine interessante Formulierung, die den römischen Volksdiskurs in den contiones erhellt und gleichzeitig verständlich macht, was die plebs contionalis aus ihrem Einsatz für Vorteile zog. Eigentlich ist nämlich auctoritas eine Qualität, die nur den Senatoren zukommen kann. Dahinter steckt, daß man ein auctor in der res publica ist, also ein Urheber einer Aktion im Gemeinwesen. Hinter der auctoritas steht demnach das Initiativrecht, und das hatten in der römischen Republik nur amtierende Magistrate, die ja auch Senatoren waren, und sonstige Senatoren, die ja ehemalige Magistrate waren. Magistrate konnten das Volk versammeln und einen Vorschlag zur Abstimmung stellen, und Senatoren konnten im Senat einen Antrag stellen und einen Senatsbeschluß erwirken, der zwar formal QRFKQLFKWELQGHQGZDUDEHUEHUGLHKlXÀJZHQQDXFKQLFKWLPPHUHUIROJHQGH %HVWlWLJXQJ GXUFK GLH9RONVYHUVDPPOXQJHQ YHUSÁLFKWHQG ZHUGHQ NRQQWH ,P HLgentlichen Sinne konnte also ein einfacher Plebeier, der nie ein Senator werden würde, keine auctoritas haben. Daher ist es konsequent, daß Cicero nur dem versammelten populus auctoritas zuspricht, und das ist offenbar die einzige Art, in der ein normaler römischer Bürger auctoritas genießen kann: als Teil des Kollektivs populus, der sich in der anwesenden Menge in Volksversammlungen konkretisiert. Der Volksdiskurs, den die Führungsschicht in den contionesSÁHJWHZDUDOVR mit Verbeugungen vor dem Entscheidungsrecht des populus verbunden und sprach dem von erfahrenen Senatoren angeleiteten populus auctoritas zu. Gleichzeitig erwartete man von der Versammlung, daß sie ihr Handeln am Wohl der res publica ausrichtete. Wenn man sich also fragt, was denn die Angehörigen der plebs contionalis von ihrer mit beachtlichem Aufwand verbundenen Partizipation am politischen Leben eigentlich hatten, so sind es sicher nicht die materiellen Vorteile, die in eher bescheidenem Umfang für die einfachen Bürger zu erzielen waren, und auch in den tatsächlichen Entscheidungen waren die contionales eher selten prägend. Aber die Versammelten bekamen immer wieder zu hören, wie wichtig sie waren, und sie wurden mit rhetorischen Anerkennungen ihrer Bedeutung für das Wohler69 70 71

Vgl. zu der Rede Jehne 2013a, 55–60. Cic. imp. Pomp. 51. Cic. imp. Pomp. 64.

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gehen der res publica überhäuft, so daß sie sich vermutlich wirklich als diejenigen verstanden, die mit ihrer Fürsorge zur Prosperität des Gemeinwesens wesentliches beitrugen. Im senatorischen Volksdiskurs wurde das anstehende Problem, das oft nur ein Problem der Führungsschicht war, zu einem Problem der Allgemeinheit erklärt, von der der nötige Gemeinsinn zum Engagement für die Problemlösung erwartet werden konnte. Und dem versammelten populus wurde Status zugewiesen, was für die Mitglieder der plebs contionalis besonders attraktiv gewesen sein dürfte, da sie außerhalb der Versammlungen als Individuen keinerlei Chance hatten, jemals so etwas wie einen höheren Status, der über den eines Freien und eines Bürgers hinausging, zu erlangen. 5. RESÜMEE &LFHUREUDFKWHHVLQVHLQHUNODVVLVFKHQ'HÀQLWLRQDXIGHQ3XQNWGDVU|PLVFKH9RON war mit dem Gemeinwesen identisch. Deshalb war es durchaus angemessen, daß der römische Staat im zwischenstaatlichen Verkehr des öfteren schlicht als populus Romanus angesprochen wurde. Doch bedurfte das Volk als Gesamtheit aller Bürger einer gewissen Organisationsstruktur, um die nötigen Beschlüsse für das Gemeinwesen praktisch fassen zu können und ihnen Verbindlichkeit und Anerkennung zu verschaffen: Der populus wurde daher in Volksversammlungen beteiligt und so zu einer politischen Institution, neben der in Form der Magistrate und Senatoren Funktions- und Prominenzrollen ausdifferenziert waren, die faktisch einer kleinen Führungsschicht vorbehalten blieben. Die wesentliche Abweichung der römischen Republik vom Grundmuster antiker Stadtstaaten bestand nun darin, daß es verschiedene Typen von Volksversammlungen nebeneinander gab, die zum Teil einer gewissen Aufgabentrennung unterlagen, aber vor allem im Bereich der Gesetze, also der Sachentscheidungen, gleichermaßen handlungsfähig waren. Das charakteristische Merkmal war die Abstimmung in Stimmkörperschaften, die ihre Entstehung wohl nicht einer ergebnisorientierten Planung, sondern einer eher zufälligen historischen Entwicklung verdankte und dann aber, über unterschiedliche Untergliederungen, die verschiedenen Volksversammlungsformen ermöglichte. Diese Eigenheit bewirkte einerseits eine Gewichtung des Wertes der Stimmen – besonders krass in den Centuriatcomitien –, andererseits eine partielle Korrektur der höheren Partizipationschancen der Stadtbevölkerung – mit Hilfe der Tribusgliederung, die zunächst das concilium plebis und auch die genauso geordneten comitia tributa bestimmte, seit dem späten 3. Jh. v.Chr. aber auch in den comitia centuriata wichtig war. Daß in der römischen Republik das institutionalisierte Volk mit Entscheidungsrechten immer die in Stimmkörperschaften untergliederte Bürgergemeinschaft war, hatte aber noch eine weitere Konsequenz, die für die Wahrnehmung des eigenen Gemeinwesens von großer Bedeutung gewesen zu sein scheint: das Volk war dann vollständig, wenn alle Stimmkörper angetreten waren, also immer. Diese Perspektive hat wohl dafür gesorgt, daß man in Rom völlig unsensibel war für die Tatsache, daß der Anteil der bei den Versammlungen anwesenden Bürger im Verhältnis zur

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wachsenden Gesamtbürgerzahl immer kleiner wurde und daß aufgrund der großen Entfernung neuer Bürgergebiete von Rom immer weniger Berechtigte eine realistische Chance hatten, an den stets in Rom veranstalteten Versammlungen wirklich teilzunehmen. Die Beteiligung an den Volksversammlungen war in Relation zur Bürgerzahl in der späten Republik lächerlich gering, aber solange die Stimmkörper vertreten waren, spielte das keine Rolle. So haben sich die Römer zwar um eine Regelung gekümmert, wie man in dem Fall, daß tatsächlich niemand oder weniger als fünf Mitglieder einer tribus zur Abstimmung erschienen waren, durch eine Ersatzlösung schnell für Abhilfe sorgen konnte72, aber nicht um eine Erhöhung der Partizipationsquote. Das politische System blieb dominant präsentisch, in Rom kam kein Bedürfnis auf, den in der griechischen Welt in unzähligen Varianten auch praktisch durchexerzierten Repräsentationsgedanken zu verwirklichen. Die römischen Volksversammlungen waren öffentliche Rituale, die zur Integration der anwesenden Bürger über eingehegte Partizipationsformen beitrugen. Bei der Analyse von Ritualen ist es hilfreich, die instrumentelle von der symbolischen Dimension zu unterscheiden. Der große Aufwand, der allen Beteiligten durch die hohe Frequenz der Versammlungen und die ungeheuer differenzierten und sehr zeitraubenden Reglements abverlangt wurde, wäre durch die instrumentelle Leistung allein kaum zu rechtfertigen, wurde doch hier zumeist die in der Praxis fast immer gewährte Zustimmung der Stimmkörperschaften zu einem Gesetzesvorschlag eingeholt. Aber der symbolische Mehrwert war bedeutsam, denn hier trat man als Teil des Beschlußorgans in komplexer Choreographie in Erscheinung und erlebte politische Bedeutung und Zugehörigkeit73. Daß diese Volksversammlungen von ihrer symbolischen Dimension lebten, zeigt ihr Fortbestehen in der römischen Kaiserzeit, als der Entscheidungsspielraum des versammelten Volkes weiter abnahm und fast ganz verschwand, ohne daß deshalb die Volksversammlungen als solche eingestellt worden wären. Zu Recht hat Virginie Hollard jetzt herausgestellt, daß die kaiserzeitlichen Rituale erst den wahren Charakter der römischen Volksversammlungen offenlegen, den diese im Kern eben auch schon in der Republik besaßen74. Das formale Letztentscheidungsrecht des Volkes war offenbar unbestritten, schon weil die Senatoren die Decision ihrer massiven Status- und Machtkämpfe etwa bei den Wahlen niemals hätten intern durchführen können, ohne sich in unversöhnlichen Feindschaften als Gruppe aufzulösen75. Doch war das Volk nicht allein KDQGOXQJVIlKLJVRQGHUQHVEHGXUIWHGHURIÀ]LHOOHQ(LQEHUXIXQJGXUFK$PWVLQKDber, die auch die Abstimmungsvorlagen unterbreiteten, welche die Versammlung 72 73 74

75

S. o. Anm. 36. Vgl. dazu Jehne 2003, 279 f.; 284 f.; 287 f.; 291–293. Hollard 2010, 17 f. Hollard bezeichnet die Volksabstimmungen der Kaiserzeit als Formalitäten und die Erscheinung dann als ein „rituel formel“ (vgl. 18 u. ö.). Das scheint mir eine unglückOLFKH%HJULIÁLFKNHLW]XVHLQGHQQGHU7HUPLQXVÅIRUPHOO´GHXWHWDXI,QKDOWVOHHUH/HHUH5LWXDOH sterben aber ab. Mit der Differenzierung zwischen instrumenteller und symbolischer Dimension läßt sich viel besser fassen, was passiert: Das Instrumentelle geht zurück oder verschwindet sogar, aber das Symbolische wirkt weiterhin stark, weshalb die Rituale daher auch fröhlich weiterleben. Vgl. vor allem Hölkeskamp 2010, 98–101.

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nicht abändern konnte. Darüber hinaus war – eher praktisch als rechtlich, dafür aber umso wirksamer – der Senat die allgemein anerkannte Institution zur Diskussion der Angelegenheiten, die das Gemeinwesen betrafen, und zur Erarbeitung der Entscheidungsvorschläge, und es war tief in die Verhaltensmuster der Römer eingefräst, daß sie im Normalfall der Empfehlung der Senatoren vertrauensvoll zustimmten. Im Senat waren die erfahrenen Politiker und Militärkommandeure, also die periti, versammelt, während die einfachen Bürger durchaus akzeptierten, daß sie von den Senatoren als unerfahrene Männer, imperiti, angesehen wurden, die gutem Rat folgen sollten. Generell waren aber deutliche Beifalls- oder Mißfallensbekundungen des versammelten Volkes ein Faktor, den man als Senator zu berücksichtigen geneigt war, und in strittigen Entscheidungen, die der massive Wettbewerb der Senatoren immer wieder produzierte, konnten die Publikumsreaktionen den Anstoß geben, das Projekt zu verändern oder ganz fallen zu lassen. Das Volk war also trotz seiner Zustimmungsneigung und seiner Bereitschaft, sich leiten zu lassen, keinesZHJVRKQH(LQÁX‰DXIGDV(UJHEQLVHLQHV(QWVFKHLGXQJVSUR]HVVHVZREHLMDKLQ]Xzufügen ist, daß allein schon die Notwendigkeit, Beschlußvorschläge öffentlich zu machen und gegebenenfalls auch zu begründen, eine gewisse Anpassung an vermutete Grundströmungen im Volke nahelegte. Wenigstens im spätrepublikanischen Rom scheint es eine sog. plebs contionalis gegeben zu haben, also einen harten Kern von in der Nähe des Forums lebenden Römern, die es sich zum Lebensinhalt gemacht hatten, regelmäßig an den contiones und auch an den anderen Versammlungen teilzunehmen. Die hohe Frequenz und der geringe Ankündigungsvorlauf bei den contiones, den nicht beschließenden Versammlungen, wären ohne eine gewisse Bereitschaft von ohnehin schon Anwesenden, dem Aufruf zur Versammlung auch Folge zu leisten, nicht denkbar gewesen. Auch hätten die Aktivitäten der nomenclatores, der gedächtnisstarken Sklaven, die LKUHQ+HUUHQGXUFKUHFKW]HLWLJH(LQÁVWHUXQJGHU1DPHQYRQ3DVVDQWHQGLHÀNWLYH Aufrechterhaltung der face-to-face-society ermöglichen sollten, auf dem Forum keinen Sinn gemacht, wenn es nicht eine Gruppe von beachtlicher Größe gegeben hätte, die immer oder fast immer dort anzutreffen war. Wenn man nun nach der – alles andere als selbstverständlichen – Motivation fragt, die diese Männer, die sicher nicht reich waren, dazu veranlaßt haben könnte, verhältnismäßig viel Zeit in den Versammlungen zuzubringen, so deuten die erhaltenen Volksreden die Antwort an: die senatorischen Redner stilisierten den versammelten populus zum Teilhaber an der gemeinsamen Aufgabe, Rom und das Reich zu verwalten und die salus communis, das Gemeinwohl, zu fördern. Cicero ging sogar so weit, dem populus als Kollektiv auctoritas zuzusprechen. Die Besucher der contiones SURÀWLHUWHQ DOVR von ihrem Einsatz in der Weise, daß sie einen Status erhielten, den sie als Individuen nie erreichen konnten. Diese Ehre dürfte sie auch dazu veranlaßt haben, die wiederkehrende Argumentation, es gehe doch allen, dem Redner wie dem Publikum, gleichermaßen um das Wohl der res publica, durchaus ernst zu nehmen und keineswegs nur auf ihren eigenen materiellen Gewinn zu achten. Der senatorische Volksdiskurs in der contio suggerierte den anwesenden Römern, sie würden durch ihre Unterstützung des Redners aus der subalternen Rolle im Geschichtsprozeß heraustreten – kein Wunder, daß sich eine Gruppe bildete, die diese regelmäßige Zu-

Das Volk als Institution und diskursive Bezugsgröße

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weisung von Bedeutung genoß. Die plebs contionalis war so tatsächlich eine Elite, die das Volk verkörperte. Noch einmal muß ich auf zwei wesentliche Charakteristika des römischen Volkes als Institution zurückkommen: Die Präsenz der Bürger in den Versammlungen war gering im Verhältnis zu ihrer Gesamtzahl, und der Entscheidungsspielraum der Volksversammlungen war formal weit, in der Praxis aber sehr eng, was sich in der hohen Zustimmungsrate bei Gesetzesanträgen ausdrückt. Daß beide Beeinträchtigungen der tatsächlichen Mitwirkung der Bürger nicht als problematisch empfunden wurden, ja auch nicht Anlaß wurden für demagogische Agitation, verdeutlicht das Verständnis der Römer von ihrer res publica: es handelte sich um ein kommunikativ-responsives Konsenssystem, in dem das Volk dadurch, daß die Stimmkörperschaften immer vollständig waren, auch immer präsent war, und in dem schon im Abstimmungsmodus, aber auch in Bezug auf die nicht anwesenden Bürger ohne langes Nachdenken davon ausgegangen wurde, daß der gefundene Konsens auch der Auffassung der nicht aktiv Beteiligten entsprach. Insofern konnte es auf der Ebene des Volkes auch kein Bedürfnis nach Repräsentativität geben, denn Repräsentation macht ohne die Vermutung einer möglichen Interessendivergenz regionaOHURGHUJUXSSHQVSH]LÀVFKHU$UWNHLQHQ6LQQ'DV6WDDWVYRONXQGGLH%UJHUVFKDIW klafften also meiner Meinung nach nicht auseinander – jedenfalls nicht in der Wahrnehmung der Römer. BIBLIOGRAPHIE Alexander, M. C. (1990): Trials in the Late Roman Republic, 149 BC to 50 BC (Phoenix Supplementary Vol. 26), Toronto u. a. Bauman, R. A. (1967): The Crimen Maiestatis in the Roman Republic and Augustan Principate, Johannesburg. Bleicken, J. (71995): Die Verfassung der römischen Republik. Grundlagen und Entwicklung, Paderborn u. a. Cornell, T. J. (1995): The Beginnings of Rome. Italy and Rome from the Bronze Age to the Punic Wars (c. 1000–264 BC), London. Crawford, M. (1974): Roman Republican Coinage, 2 Bde., Cambridge. – (1996): (Hg.), Roman Statutes, 2 Bde. (BICS Supplement 64), London. Ebel, Ch. (1991): Dum populus senatusque Romanus vellet, Historia 40, 439–448. Flaig, E. (1995): Entscheidung und Konsens. Zu den Feldern der politischen Kommunikation zwischen Aristokratie und Plebs, in: M. Jehne (Hg.), Demokratie in Rom? Die Rolle des Volkes in der Politik der römischen Republik (Historia Einzelschriften 96), Stuttgart, 77–127. – (2003): Ritualisierte Politik. Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom (Historische Semantik 1), Göttingen. Fraccaro, P. (1957): La procedura del voto nei comizi tributi Romani (1913/4), in: ders., Opuscula 2, Pavia, 235–254. Grieve, L. J. (1985): The Reform of the comitia centuriata, Historia 34, 278–309.

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KOMMUNIKATIONSSTRUKTUREN

EROBERUNG UND DEBATTE DISKUTIERTEN DIE RÖMER ÜBER IHRE EXPANSION? Rene Pfeilschifter Alle fünf Jahre wurde in Rom eine neue Bürgerliste erstellt. Verantwortlich waren die beiden Zensoren, eigens zu diesem Zweck gewählte Amtsträger, die zwar nicht über die Machtfülle der Konsuln oder Prätoren verfügten, aber höchstes Ansehen besaßen. Ihre Aufgabe war nämlich keine bloße Volkszählung, es handelte sich um eine Neukonstituierung des römischen Volkes, die jedem Bürger seinen Platz in der Gemeinschaft zuwies und so die Einheit der res publica fühlbar machte. Im Jahre 141 v. Chr. war einer der Zensoren Publius Cornelius Scipio Aemilianus, der Enkel des Hannibalüberwinders Scipio Africanus und selbst Zerstörer Karthagos. Scipio Aemilianus war der mächtigste Römer seiner Zeit, die Zensur stellte die Krönung seiner Karriere dar. Zum feierlichen Schlußopfer, dem Lustrum, bestellte er das gesamte Volk auf das Marsfeld. Die Bürger versammelten sich im Morgengrauen, als Heeresversammlung, also nach Zenturien aufgestellt, wenn auch schon seit langer Zeit nicht mehr in Waffen. Scipio ließ einen Stier, einen Widder und einen Eber dreimal um das Heer führen, dann opferte er sie dem Mars. Damit erfüllte er das Gelübde, das sein Vorgänger beim letzten Lustrum geleistet hatte. Gleichzeitig erneuerte er es, sobald er um Gedeihen und Macht des römischen Volkes bat. Doch beim Gebet brach Scipio mit dem Ritual. Der Schreiber sprach ihm die übliche Formel vor, in der die unsterblichen Götter gebeten wurden, die Dinge des römischen Volkes – also, wenn man so will, den Staat – zu bessern und zu mehren. Scipio aber erachtete sie für gut und groß genug und bat statt dessen darum, sie auf LPPHUXQYHUVHKUW]XEHZDKUHQ'LHVHbQGHUXQJOLH‰HUVFKULIWOLFKÀ[LHUHQVHLQH Nachfolger hielten daran fest. 9DOHULXV0D[LPXVHLQ6FKULIWVWHOOHUGHUIUKHQ.DLVHU]HLWKDWGLHVH$QHNGRWH in seinen Denkwürdigen Taten und Aussprüchen überliefert. Er kommentiert: „Klug bemerkte er [sc. Scipio], daß Wachstum für das römische Reich erstrebenswert gewesen war, solange innerhalb des siebten Meilensteins Triumphe gesucht wurden, daß es nun aber, da es den größten Teil der ganzen Welt besaß, ebenso habgierig sei, wenn es darüber hinaus strebe, wie ausreichend glücklich, wenn es nichts von seinem Besitz verliere.“19RQGHU5HDNWLRQGHU$QZHVHQGHQEHULFKWHW9DOHULXV0D[Lmus freilich nichts, eine sichtbare war während der strikt regulierten Zeremonie 

9DO0D[prudenter […] sensit tunc incrementum Romano imperio petendum fuisse cum intra septimum lapidem triumphi quaerebantur, maiorem autem totius terrarum orbis partem possidenti ut avidum esse quicquam ultra appetere, ita abunde felix si nihil ex eo quod optinebat amitteret. Allgemein zum Lustrum Kunkel/Wittmann 1995, 466–468; Pfeilschifter I

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$EE'DV=HQVRUHQUHOLHIYRPVRJ$OWDUGHV'RPLWLXV$KHQREDUEXV -DKUKXQGHUWY&KU  Der Zensor, neben dem Altar, blickt auf Stier, Widder und Eber, die für das Lustralopfer herbeigebracht werden. Louvre, Paris. © Erich Lessing Culture and Fine Arts Archives

auch kaum möglich, bis Scipio die Versammlung unter dem Feldzeichen zurück zur Stadt führte, wo sie entlassen wurde. Danach dürfte es nur noch ein Thema gegeben haben: der erste Mann im Staat, der einen grundsätzlichen Kurswechsel angemahnt hatte. Schließlich war Rom durch fast ungebremste Eroberung großgeworden. Nun sollte es sich saturiert geben. Konnte die Republik sich vor ihren Verbündeten derartige Zurückhaltung erlauben? Würde ein solches Verhalten von anderen Mächten nicht als Schwäche ausgelegt werden? Und wie sollten die Römer selbst zurechtkommen? Nicht mehr so viele Kriege und Gefahren, das war schön, aber es bedeutete auch weniger Erfolge und Beute. So könnten die Römer auf den Straßen und in den Palästen gestritten haben, ein wunderbarer Diskurs über die staatlichen Interessen und Ziele, mit dem einzigen Schönheitsfehler, daß er frei aus Scipios neuem Lustralgebet herausgesponnen ist. In Wirklichkeit wissen wir nichts über zeitgenössische Debatten. Ob dies ein bloßer Zufall der Überlieferung ist oder ob mehr dahintersteckt, wird im Folgenden zu klären sein. Dies erfordert einen breiteren Kontext. So will ich analysieren, wie die Römer der Republik über die Expansion und ihr werdendes Weltreich dachten, zunächst in der Kommunikation mit anderen Völkern (I), dann im binnenrömischen Diskurs (II). Zuletzt wird zu fragen sein, inwieweit die Krise der Republik zu Unbehagen über die Expansion und zu politischen Korrekturen führte (III). I Kein anderer Römer informiert uns so ausführlich über seine Motive, Krieg zu führen, wie Caesar im ersten Buch des Gallischen Krieges. Hier, zu Anfang des Werkes, gilt es die Eroberung ganz Galliens zu begründen. Die Gegner des Jahres 58, erst die Helvetier, dann der Germanenkönig Ariovist, sind keine alteingesessenen Einwohner Galliens, sondern wandernde, erobernde Neuankömmlinge. Das macht es Caesar einfach, gegen beide erhebt er die gleichen Vorwürfe:

Eroberung und Debatte

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Sie sind bereits Feinde, weil sie Rom schon vor einigen Jahrzehnten angegriffen haben (die Helvetier) oder sich nach Ehrungen durch den Senat undankbar verhalten haben (Ariovist).2 – Sie stellen eine Gefahr für die bereits bestehende transalpine Provinz, die heutige Provence, dar.3 – Sie bedrohen römische Verbündete, beide Male vor allem die Haeduer.4 Das erste Argument ist kein sachliches, sondern ein moralisches: die längst oder eben erst offenbarte Schlechtigkeit der Gegner, die kein Handeln Caesars notwendig macht, es aber ethisch gerechtfertigt erscheinen läßt. Die Gefahr für die Provinz ist dagegen ein realpolitischer Vorwurf, die Bedrohung der Verbündeten wäre eine Variante davon, wenn nicht auch dieser Vorwurf moralisch überhöht wäre. Ariovist muß sich einen Vortrag (Caesar schreibt tatsächlich docebat) über die alten und gerechten Gründe für die engen römischen Bande mit den Haeduern anhören, über die zahlreichen und ehrenvollen Senatsbeschlüsse für sie, schließlich über den Umstand, daß sie jederzeit die erste Stelle in Gallien innegehabt hätten, auch bevor sie Freunde Roms geworden seien. „Dies sei Gewohnheit des römischen Volkes, daß seine Verbündeten und Freunde nicht nur nichts einbüßen, sondern an Gunst, Ansehen und Ehre gewinnen sollten. Was sie aber in die Freundschaft des römischen Volkes eingebracht hätten, wer könne zulassen, daß ihnen dies entrissen werde?“5 Selbst das zweite, nüchtern wirkende Argument hebt Caesar auf eine ethische Ebene: Den erstaunten Helvetiern teilt er mit, „daß er nach Sitte und Beispiel des römischen Volkes niemandem den Durchzug durch die Provinz gestatten könne, und eröffnet ihnen, daß er sie aufhalten werde, sollten sie Gewalt versuchen“.6 Die drei Punkte bestimmen nicht nur Caesars Äußerungen in Verhandlungen vor der Schlacht, sie tauchen ebenso, und zwar in derselben moralischen Grundierung, in seinen persönlichen Überlegungen auf, an denen er den Leser teilhaben läßt.7 Handeln und Denken passen bei Caesar zusammen, die Außenkommunikation gegenüber den Barbaren fällt mit der römischen Innenkommunikation zusammen. Das überrascht nicht: Caesar war fast von Anbeginn seiner Karriere an einer der umstrittensten Politiker Roms, und so mußte es ihm darauf ankommen, sein Verhalten als untadelig darzustellen. Seine Feinde in Rom sollten keine Gelegenheit zum Angriff erhalten, sondern als mißgünstige Umstandskrämer erscheinen, während der vorbildliche Prokonsul die Interessen der res publica verteidigte. Was 2 3 4 5

6 7

Caes. Gall. 1,7,4; 12,5–7; 14,1–3; 33,1; 33,5; 35,2; 43,4. Caes. Gall. 1,7,5; 8,3; 10,2; 14,3; 33,3 f.; 35,3; 43,9; 45,1–3. Caes. Gall. 1,11,6; 14,3; 14,6; 33,2; 35,3 f.; 43,6–9; 45,1. Caes. Gall. 1,43,6–8: docebat (6) […] populi Romani hanc esse consuetudinem, ut socios atque amicos non modo sui nihil deperdere, sed gratia, dignitate, honore auctiores velit esse; quod vero ad amicitiam populi Romani attulissent, id iis eripi quis pati posset? (8). Caes. Gall. 1,8,3: negat se more et exemplo populi Romani posse iter ulli per provinciam dare et, si vim facere conentur, prohibiturum ostendit. In den späteren Büchern des Gallischen Krieges werden diese Motive nur noch variiert, allerdings mit weit geringerer Emphase, denn spätestens zu Beginn des dritten Buches (Ende 57) hält Caesar ganz Gallien für „befriedet“ (Gall. 2,1,2; 35,1; 3,7,1). Der weitere Krieg ist in seinen Augen und in denen Roms nur noch Niederschlagung eines Aufstands, die keinerlei Rechtfertigung mehr erfordert.

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Caesar im Gallischen Krieg über die Expansion Roms zu sagen hatte, war daher zu Hause unangefochten, es bildete den Konsens der Republik.8 Daß der Wahrheitsgehalt mancher Episode von Caesars Erzählungen der Forschung suspekt erscheint, ist in dieser Perspektive nicht so wichtig, im Gegenteil: Gerade wenn Caesar als Schreiber der eigenen Taten sich idealisiert, kommt das Ideologische, nach innen Gewandte des Gallischen Krieges besonders deutlich zum Ausdruck.9 Ohnehin darf man die Skepsis nicht zu weit treiben. Dinge, die im Umgang mit Landsleuten als selbstverständlich vorausgesetzt und deshalb ungesagt bleiben, müssen bei der Kommunikation mit Fremden eben erklärt werden. Es ist also nicht so verwunderlich, wenn Caesar die Barbaren ausführlich über die Grundsätze römischer Staatslenkung belehrt. Diskurse führt er freilich nicht: Amtsträger äußern sich generell nach außen nicht abwägend oder gar ambivalent über das eigene Gemeinwesen, insbesondere wenn Krieg droht oder schwierige Verhandlungen im Gange sind. Auch Freunden und Verbündeten gegenüber kommen kritische %HPHUNXQJHQ QXU VHOWHQ YRU ]XPLQGHVW QLFKW LP RIÀ]LHOOHQ .RQWH[W /HGLJOLFK über den sind wir durch die antike Geschichtsschreibung recht gut informiert, durch Caesar und noch mehr durch die großen Historiker der römischen Republik, Polybios und Sallust. Ein weiteres Beispiel: Im Jahr 197, bald nach dem entscheidenden Sieg über Philipp V. von Makedonien, berät der Prokonsul Titus Quinctius Flamininus mit den griechischen Alliierten über das weitere Vorgehen. Der aitolischen Forderung nach Absetzung des Königs tritt der Feldherr mit einem wahrhaft caesarischen Vortrag entgegen: Die Gesinnung der Römer, die eigenen Absichten und vor allem der Nutzen der Griechen wiesen in eine andere Richtung. Niemals hätten die Römer jemanden, mit dem sie zum erstenmal kämpften, vernichtet, wie der (eben beendete) Krieg gegen Hannibal beweise.10 Er selbst sei gern zu einem Frieden vor der Schlacht bereit gewesen, wenn Philipp nur auf seine Bedingungen eingegangen wäre. „Im Krieg müssen gute Männer hart und leidenschaftlich sein, in der Niederlage edel und ungebeugt, im Sieg aber maßvoll, mild und freundlich.“ Aber auch das griechische Interesse gebiete die Erhaltung Makedoniens, da dieser Staat ein Bollwerk gegen die Thraker und Kelten bilde. Aus diesen Gründen seien die Römer für einen Friedensschluß.11 8 9

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Vgl. etwa Gelzer 1960, 94; dens. 1963, 318, 321; Collins 1972, 922–933, 940 f.; Rambaud 1966, 112–117; Botermann 2002, 281–284. Zur Diskussion um Caesars Glaubwürdigkeit vgl. den Forschungsüberblick bei Gesche 1976, 71–78, 89 f., 93 f., dazu Walser 1998. Zur Rechtmäßigkeit der Invasion Galliens (nach römischem Urteil) vgl. Timpe 1965, 203–214; Albert 1980, 85–92. Sowohl gegen Karthager wie gegen Makedonen kämpften die Römer eigentlich schon das zweite Mal, aber dieses Detail läßt ihre Milde nur um so heller erstrahlen. Polyb. 18,37,1–10: ›ƮƪƤƫƮԏƬƲƠư ƢҫƯ ƣƤԃ ƲƮҵư чƢƠƧƮҵư ыƬƣƯƠư ơƠƯƤԃư ƤѹƬƠƨ ƩƠұ ƧƳƫƨƩƮхư, ѤƲƲƷƫоƬƮƳư ƣҭ ƢƤƬƬƠрƮƳư ƩƠұ ƫƤƢƠƪфƴƯƮƬƠư, ƬƨƩԙƬƲнư ƢƤ ƫүƬ ƫƤƲƯрƮƳư ƩƠұ ›ƯƠƤԃư ƩƠұ ƴƨƪƠƬƧƯц›ƮƳư (7). Ich beschränke mich in diesem Abschnitt bewußt auf Schriftsteller der republikanischen Zeit bis Caesar. Kaiserzeitliche Autoren wie Livius und Appian stellen zwar unverzichtbare historische Quellen dar, formen aber ideologische Aussagen gern im Geist eines anderen Zeitalters um. An Livius’ Version der Konferenz der Alliierten, die auf Polybios beruht, aber Flamininus’ Rede ausgestaltet (33,12,5–11), ist dies deutlich ablesbar.

Eroberung und Debatte

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Das angeblich wichtigste Argument, die Schutzfunktion Makedoniens gegen den Balkan, mag die Griechen tatsächlich am meisten beeindruckt haben. Den größten Raum aber nimmt die Erörterung der römischen Überzeugungen im allgemeinen und des Feldherrn im besonderen ein, wobei sich schnell zeigt, daß diese vollständig ineinanderfallen. Wieder sind diese nicht strategischer oder realpolitischer, sondern moralischer Natur: Die Römer sind milde im Sieg. Dieses Motiv zieht sich durch Polybios’ Darstellung, wieder und wieder bemühen es die Vertreter Roms. Caesar verwendet es vor allem in seinem Werk über den Bürgerkrieg, aber er kennt es auch im Gallischen Krieg.12 Dieser Widerhall spricht dafür, daß Polybios die Beratung der Alliierten nicht unzutreffend wiedergegeben hat. Er lebte zwar lange in Rom, aber er war doch Grieche und sah stets von außen auf die Republik. Wenn römische Magistrate bei ihm nicht anders reden, als es über ein Jahrhundert später Caesar tat, sprachen sie wohl wirklich auf diese Weise zu anderen Völkern.13 Auch das Bundesgenossenmotiv ist schon bei Polybios ein moralisches. Die Scipionen legen Prusias von Bithynien 190 in einem Schreiben nicht Sachargumente für einen Übertritt auf römische Seite vor, sondern „Beweise nicht nur für die eigene Gesinnung, sondern für die gemeinsame aller Römer“: eine Aufzählung von .|QLJHQGLHYRQGHU$OOLDQ]PLW5RPQXUSURÀWLHUWKlWWHQ14 Der wertvollste Beleg stammt aber nicht aus Polybios. Es handelt sich um einen Brief des Prätors Marcus Valerius Messala an das kleinasiatische Teos, geschrieben im Jahr 193. Da er uns als Inschrift erhalten ist, kann hier kein Schriftsteller als Zwischeninstanz geändert, übertrieben, phantasiert haben, wir hören einen römischen Magistrat aus dem frühen zweiten Jahrhundert v. Chr. Die Teer hatten XP$QHUNHQQXQJGHU8QYHUOHW]OLFKNHLWLKUHU6WDGWJHEHWHQGLH5|PHUYHUSÁLFKWHten sich die Griechen durch die Gewährung dieses Anliegens, was sie nichts kostete – und nutzten die Gelegenheit zur Verkündung ihrer Selbst- und Weltsicht. Ziemlich unvermittelt erklärt Messala nämlich: „Daß wir beständig die größte Achtung vor der Frömmigkeit gegen die Götter zeigen, erkennt man vor allem an dem Wohlwollen, das uns die Gottheit deswegen zuteil werden läßt.“15

12

13

14 15

Scipio Africanus gegen Karthager 202: Polyb. 15,17,3–7. Scipio gegen Aitoler 190: Polyb. 21,4,10. Scipionen gegen Antiochos III. 190: Polyb. 21,17,1 f.; Diod. 29,10. Senat gegen Bocchus I. 106/05: Sall. Iug. 104,5. Caes. Gall. 1,20,5 f.; 2,14,5–15,1; 32,1. Die Stellen im Bürgerkrieg gibt Rambaud 1966, 290 f. S. auch Polybios’ eigenen Kommentar 27,8,8 zur römischen Unbeugsamkeit gegen Perseus 171. In einem wenig später entstandenen, inschriftlich erhaltenen Brief an eine griechische Gemeinde spricht Flamininus von der eigenen und der römischen Gesinnung gegen die Adressaten, was ebenfalls für eine Authentizität des Wortlauts bei Polybios spricht (Sherk 1969 Nr. 33 Z. 2–4). Polyb. 21,11,3–11: Ʈҏ ƢҫƯ ƫфƬƮƬ Ґ›ҭƯ ƲӸư ѳƣрƠư ›ƯƮƠƨƯоƱƤƷư ћƴƤƯƮƬ ч›ƮƪƮƢƨƱƫƮхư, чƪƪҫ ƩƠұ ›ƤƯұ ƲӸư ƩƮƨƬӸư ш›нƬƲƷƬ ԕƷƫƠрƷƬ (5). Sherk 1969 Nr. 34 Z. 11–15: ƩƠұ ҈Ʋƨ | ƫҭƬ ƣƨфƪƮƳ ›ƪƤԃƱƲƮƬ ƪфƢƮƬ ›ƮƨƮхƫƤƬƮƨ ƣƨƠƲƤƪƮԏ|ƫƤƬ ƲӸư ›Ưҳư ƲƮҵư ƧƤƮҵư ƤҏƱƤơƤрƠư, ƫнƪƨƱƲ’ ыƬ Ʋƨư ƱƲƮ|ƵнƥƮƨƲƮ їƩ ƲӸư ƱƳƬƠƬƲƷƫоƬƦư ѤƫƤԃƬ ƤҏƫƤƬƤрƠư | ƣƨҫ ƲƠԏƲƠ ›ƠƯҫ ƲƮԏ ƣƠƨƫƮƬрƮƳ. Siehe für diese Inschrift und Messalas Antwort auch Anm. 14 und 15 von Michael Snowdon in diesem Band.

146

Rene Pfeilschifter

10°



20°

50°

40°

30°

Mare Suebicum

Eboracum 50°

Mare Germanicum

Lindum Corinium Londinium

Col.Agrippinensis Rotomagus

Augusta Treverorum

s

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Aug.Vindelicorum

Rh

Avaricum/ Bituriges Lugdunum Burdigala Vienna

Darantasia Mediolanum Segusio

Augusta Emerita

Aleria Roma

Tarraco

Capua

Corduba

Mare Caspium

Savaria

Tyras

Pantikapaion

Sopianae Sirmium

Carthago Nova

Viminacium

os

Ratiaria

Salona

Istr

Tomis

Gangra Neokaisareia (Germanikopolis) Philippopolis Hadrianopolis Amaseia Skupoi Beneventum Sebasteia Nikomedeia Traianopolis Dyrrhachion Ankyra Herakleia Barium Kaisareia Nisibis Kyzikos ( Mazaka) Thessalonike Edessa Synnada Ti Larissa Sardeis Hierapolis Laodikeia Ikonion Nikopolis Ephesos Tarsos Aphrodisias Antiocheia Ktesiphon E u ph r a t Rhegium Patara Seleukeia Korinthos Babylon Syracusae Rhodos Emesa Paphos Tyros e I n t e r n u m Gortyna Kaisareia es

Sitifis

Carthago Cirta

Hadrumetum

Lambaesis

M a r



Die Entwicklung des Imperium Romanum ( 3. Jh. v. Chr. – 2. Jh. n. Chr. )

Kyrene

Leptis Magna

Darnis

Petra

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Arsinoe

10°

us

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N il

i

Römisches Gebiet um 14 n. Chr. ( nach Augustus )

S

u s

Römisches Gebiet um 44 v. Chr. (nach Caesar)

Pelusion

Alexandreia

Rom und seine Bundesgenossen um 222 v.Chr. (vor dem 2.Punischen Krieg )

Römisches Gebiet um 133 v.Chr. (nach Eingliederung von Asia als Provinz)

Pontus Euxinus

Markianupolis

Serdika

is

Carales Caesarea

Römisches Gebiet um 167 v. Chr. (nach dem 3.Makedonischen Krieg)

Cyrus

Chersonesos

gr

Tingis

Olbia

iu

Aquileia Ravenna Florentia

Cemenelum

Narbo

Virunum

Siscia

Eburodunum

Elusa

Bracara Augusta

Tanis Danuv

Ovilava

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s

Oceanus Atlanticus

40°

Mogontiacum u

Durocortorum

Römisches Gebiet um 120 n.Chr.

0

150

Gebietsverluste ( nach Traianus ) 20°

300

450

600

750 km

30°

A

r

a

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40°

Abb. 7: Entnommen aus Der Neue Pauly 10, 1053 f.

Der Prätor macht hier ein bißchen Propaganda. Wir erfahren aber noch mehr. Frömmigkeit schlägt sich im Wohlwollen der Götter nieder, was in diesem diplomatischen Kontext nur den außenpolitischen Erfolg meinen kann. Die pietas, eine moralische Qualität, garantiert also die Macht des römischen Staates. Umgekehrt beZHLVWGLH([SDQVLRQGDVJRWWJHIlOOLJH9HUKDOWHQGHU5|PHU6LWWOLFKH9RUWUHIÁLFKkeit und Kriegsglück hängen also untrennbar miteinander zusammen. Messala spricht mit dem Selbstbewußtsein der Generation, die Hannibal bezwungen hat und nun in der gesamten Welt keinen stärkeren Gegner kennt. Der Brief bestätigt also nicht nur die moralische Sicht auf die eigene Expansion, er rückt auch das wesentliche Charakteristikum dieser Expansion in den Mittelpunkt: die permanente Sieghaftigkeit. Schon Anfang des zweiten Jahrhunderts war der Aufstieg von der italischen Kleinstadt zur führenden Macht des Mittelmeers in der römischen Selbstsicht eine Erfolgsgeschichte, in welcher selbst existentielle Krisen als bloße Rückschläge interpretiert wurden, die der Gemeinschaft besondere Bewährungsproben abverlangten und bald, nach der Wiederherstellung des Konsenses mit den Göttern, wettgemacht wurden.16 Die wichtigste Konsequenz dieser Eigengeschichte war der unerschütterliche Wille der Römer, Kriege auch in der größten Not bis zum Sieg durchzukämpfen. Diese uns unangenehm berührende (und die meisten Gegner Roms überraschende) Eigenschaft trug dann wiederum zur Verstetigung des römischen Erfolgs bei. 16

Linke 2000, 273–276, 287–291, arbeitet die religiöse Dimension solcher Erfahrungen heraus. Zum Zusammenhang von römischer Frömmigkeit und Aufstieg zur Weltmacht s. insbesondere Cic. har. resp. 19; nat. deor. 2,7–11; 3,5.

Eroberung und Debatte

147

Im Zusammenhang mit der Außenkommunikation sind noch zwei andere Aspekte von Bedeutung. Einmal führte die permanente Sieghaftigkeit zu einem Gefühl der Überlegenheit gegenüber anderen Völkern. Diskurse konnten so nicht entstehen, die Argumente, welche die Gegner vorbrachten, wurden ja auf dem Schlachtfeld als unzutreffend erwiesen. Die Entgegnungen bei diplomatischen Verhandlungen und die Reden von feindlichen Anführern beeindruckten die selbstgewissen römischen Unterhändler nie. Bei Caesar und Sallust sind solche romkritischen Äußerungen erhalten, durchaus zur Verblüffung der modernen Forschung, welche sie oft überzeugender fand als den römischen Standpunkt. Brachten die Römer nicht tatsächlich ewige Knechtschaft über ihre Feinde, und reihten sie etwa nicht Krieg an Krieg, um die Besiegten auszuplündern oder zu töten? Doch Caesar legt solche Äußerungen einem wahren Barbaren in den Mund, Critognatus, der im VHOEHQ$WHP]XJGHQLQ$OHVLDEHODJHUWHQ*DOOLHUQHPSÀHKOWVLFKYRP)OHLVFKGHU Kampfuntauglichen zu nähren. Zudem, für Römer schon ausreichend für die Mißachtung seiner Argumente, ist er ein Rebell.17 Sallusts Mithradates aber ist nicht wirklich ein auswärtiger Kritiker, sondern formuliert im fremden Gewand um so nachdrücklicher die Mißbilligung römischer Politik durch den Verfasser. Es geht also um eine innerrömische Debatte, konkret um den Sittenverfall. Ich komme im letzten Abschnitt darauf zurück. Der zweite Punkt: Das römische Überlegenheitsgefühl speiste sich aus der moUDOLVFKHQ9RUWUHIÁLFKNHLWGHVHLJHQHQ9RONHVQLFKWDXVHLQHUDOOJHPHLQHQ,GHH ZLH Demokratie) oder einem universell gültigen Wert (wie Freiheit). Deshalb blieb die römische Herrschaft frei von Sendungsbewußtsein oder Missionsdrang. Solange die Besiegten ihre Steuern bezahlten, Heeresfolge leisteten und keinen Aufstand wagten, konnten sie unbehelligt nach ihrer eigenen Façon leben. Das war wohlgemerkt keine Toleranz aus Prinzip oder Kalkül, sondern eine aus Desinteresse. Aber sie stabilisierte das römische Regiment: Die Untertanen bekamen kaum Gehör, doch sie bleiben frei von übermäßiger Einmischung.18

17

18

Critognatus: Caes. Gall. 7,77,2–16. Vgl. Kremer 1994, 191–194. Mithradates: Sall. hist. 4,69. Für die romfeindliche Literatur ist immer noch der insbesondere in seinen Endnoten sehr reiche Überblick von Fuchs 1938 unersetzt. Ich bin grundsätzlich wie im Detail im Dissens mit Baltrusch 2011, bes. 54–56. Nach ihm beruhte das republikanische Reich „auf einem Interessenausgleich von Peripherie und Zentrum“ (55), der sich in einer römischen Verinnerlichung von Schmeicheleien der Verbündeten äußerte, vor allem der Rolle des Freiheitsbringers. Mit rhetorisch aufgeputzten Stellen aus dem Augusteer Livius läßt sich eine derart gravierende Umdeutung des Charakters der Republik nicht wahrscheinlich machen. Auf der anderen Seite kann ich ebensowenig Bernstein 2010, 57 f., zustimmen, der die Republik an der Beherrschung ihrer Eroberungen scheitern sieht. Die von ihm konstatierten Faktoren Diskontinuität, Differenz (in der Verwaltungspraxis), mangelnde Kontrolle und Desinteresse genügen nur den an den westlichen Wohlfahrts- und Sozialstaat des 20. Jahrhunderts angelegten Maßstäben nicht. Doch nicht nur kamen die Römer mit ihrem Herrschaftsgebiet ziemlich gut zurecht, selbst nach der aktuellen Staatsrechtsdiskussion raubt der Verzicht des Staates auf ein Herrschaftsmonopol ihm weder die Existenzberechtigung noch die Möglichkeit der Letztverfügung (s. die Einführung zu diesem Band, 31 f.).

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Rene Pfeilschifter

II Die Argumentation nach außen war nicht bloßer Schein zu Propagandazwecken, während man in Wahrheit ganz anders dachte. Die Binnenkommunikation war von denselben Überzeugungen geprägt. Cicero konnte verkünden, daß das römische Volk sich durch die Verteidigung der Bundesgenossen schon der ganzen Welt bemächtigt habe.19 Ein Beispiel dafür war der Zweite Punische Krieg, der um des verbündeten Sagunts willen geführt wurde.20 Moralisch ebenfalls vollauf gerechtfertigt war der Erste Illyrische Krieg von 229/28, ausgelöst durch die Ermordung zweier Gesandter.21 Und der Zweite Makedonische Krieg wurde wiederum „wegen der Ungerechtigkeiten und der bewaffneten Übergriffe auf Verbündete des römischen Volkes“ eröffnet.22 Über den Ausbruch des letztgenannten Kriegs im Jahre 200 sind wir recht gut unterrichtet. Der tiefere Grund war die offene Rechnung mit Philipp V. von Makedonien: Der König hatte sich während der schwärzesten Tage des Punischen Krieges mit Hannibal verbündet, was die Römer nicht zu Unrecht als Dolchstoß in den Rücken interpretierten. Diesen Ersten Makedonischen Krieg hatten sie 205 nach zehn Jahren beendet, trotz leichter Vorteile für Philipp, aber sie wollten die Hände frei haben für die Niederringung der Karthager. Die Erbitterung und der Argwohn gegenüber dem König waren deswegen aber nicht geschwunden. Fünf Jahre später aber wurde nicht ‘zur Revanche gegen Philipp’ der Krieg beschlossen, sondern wegen der Angriffe auf die Verbündeten. Solche waren in der Tat vorgekommen, gegen Gemeinden in Illyrien, gegen Pergamon und Rhodos, gegen Athen. Diese Mächte konnten sich mit mehr oder weniger gutem Recht als Alliierte oder wenigstens Freunde der Römer betrachten, sie alle hatten den Senat um Hilfe ersucht. Nach einigem diplomatischem und auch schon militärischem Geplänkel war zu Anfang des Jahres 200 das Maß voll. Der Konsul Publius Sulpicius Galba setzte als ersten Punkt den Krieg gegen Philipp auf die Tagesordnung des Senats. Dieser beschloß, die Konsuln sollten den Göttern opfern mit der Bitte: „Was der Senat und 19 20

21

22

Cic. rep. 3,35 (= 3,26 Powell): noster autem populus sociis defendendis terrarum iam omnium potitus est; Manil. 6; 12–14; off. 2,26 f. Daß die Römer Sagunt während der achtmonatigen Belagerung alleinließen, bis zur Zerstörung der Stadt, paßte zu diesem Selbstbild freilich wenig und wurde von der römischen Überlieferung nach Kräften verschleiert: Liv. 21,6,3–8; 9,3 f.; 16,1 f.; 19,4 f.; 19,10; 28,39,1–21. Zu den Ereignissen Seibert 1993b, 55–61, 72 f., 86 f.; 1993a, 125–129, 137–146. Freilich ließen nicht Gleichgültigkeit oder gar Kalkül die Römer säumen, sondern die Überraschung durch Hannibals aggressives Vorgehen, die behäbigen militärpolitischen Strukturen, die keine schnelle Mobilisierung erlaubten, und die Schwierigkeiten eines Kriegs in Übersee. Vgl. Welwei 1977; Rich 1996, 24–33. Polyb. 2,8,12 f. Vgl. Vollmer 1990, 48–53; Pohl 1993, 58–70. Die Ermordung von Gesandten war ein Verstoß gegen das rudimentäre Völkerrecht, das die Antike kannte, ein Frevel gegen die Götter und damit ein legitimer Kriegsgrund (s. etwa Cic. Manil. 11 f.). Caesar bot eine Verletzung des Gesandtschaftsrechts einen willkommenen Anlaß, sich wiederum als vorbildlichen Feldherrn darzustellen: Das bloße Zurückhalten einiger römischer Emissäre hielt er für so verabscheuungswürdig, daß die führenden Politiker der Veneter und ihrer Verbündeten hingerichtet, die Bevölkerung in die Sklaverei verkauft wurde (Caes. Gall. 3,8,2 f.; 9,3; 10,2; 16,4). Liv. 31,6,1: ob iniurias armaque inlata sociis populi Romani.

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das römische Volk über die res publica und über den zu beginnenden neuen Krieg im Sinn hätten, diese Sache möge für das römische Volk, die Bundesgenossen und die Latiner gut und glücklich ausgehen.“ Das Opfer wurde ordnungsgemäß durchgeführt, die Haruspices (die etruskischen Eingeweidebeschauer) meldeten, die Götter hätten das Gebet angenommen, die Eingeweide der Opfertiere seien glückverheißend, eine Erweiterung des Gebiets, Sieg und Triumph seien in Aussicht. Gleichzeitig waren alarmierende Nachrichten aus dem Osten eingetroffen, dazu eine hilfesuchende Gesandtschaft aus Athen. Der Senat bestimmte nun Makedonien – was nichts anderes hieß als den Krieg gegen Makedonien – zum konsularischen Aufgabenbereich. Galba, der ihn erlost hatte, brachte den Kriegsbeschluß mit der oben zitierten Begründung vor die Volksversammlung. Nach der Verabschiedung setzten GLH.RQVXOQGUHLWlJLJH%LWWSUR]HVVLRQHQDQLQGHQHQGLH*|WWHUDQJHÁHKWZXUGHQ der Krieg, den das Volk angeordnet habe, möge gut und glücklich ausgehen. Galba befragte das Priesterkollegium der Fetialen, ob der Krieg Philipp in Person erklärt werden müsse oder ob eine Überstellung an die nächstgelegene makedonische Truppeneinheit genüge. Die Fetialen erklärten beide Möglichkeiten für zulässig. Der Senat autorisierte daraufhin den Konsul, ein Nichtmitglied des Senats zum Gesandten zu ernennen und mit der Kriegserklärung zu beauftragen.23 Während die Aushebungen schon in vollem Gange waren, befahl die Bürgerschaft Galba, dem Jupiter Spiele und ein Geschenk für den glücklichen Ausgang des Krieges zu geloben. Der Pontifex maximus Publius Licinius Crassus weigerte sich aber, dem Konsul die Formel für das öffentliche Gelübde vorzusprechen: Es dürfe nicht für einen unbestimmten Betrag geleistet werden, statt dessen müsse eine für die Spiele festgelegte Summe sofort beiseite gelegt werden, eine Vermischung mit anderem Geld verhindere die Einlösung des Gelübdes. Der Senat ließ Galba die )UDJHGHP.ROOHJLXPGHU3RQWLÀFHVYRUOHJHQ'LHVHHQWVFKLHGHQHLQ*HOEGHIU einen unbestimmten Betrag sei möglich und sogar korrekter. Crassus beugte sich und sprach eine veränderte Formel vor, Galba gelobte Spiele und Geschenk für einen unbestimmten, vom Senat festzusetzenden Betrag.24 Die Vorbereitungen liefen weiter, aber dem Senat war eine ganze Reihe von unglücklichen Vorzeichen, sog. Prodigien, gemeldet worden, vor allem Tempelraub, ungewöhnliche Himmelserscheinungen und Mißgeburten. Das Priesterkollegium der Dezemvirn wurde beauftragt, die Sibyllinischen Bücher zu befragen. Zur Entsühnung sangen dreimal neun Jungfrauen einen Hymnus, der Juno wurde ein *HVFKHQNGDUJHEUDFKW1DFKGHU.OlUXQJHLQLJHUÀQDQ]LHOOHU3UREOHPH²GLH6WDDWV-

23

24

Liv. 30,26,2–4; 42,1–11; 31,1,6–2,4; 3,1–6; 5,1–6,1; 8,1–4: quod senatus populusque Romanus de re publica deque ineundo novo bello in animo haberet, ea res uti populo Romano sociisque ac nomini Latino bene ac feliciter eveniret (31,5,4). Ich stütze mich für den Ablauf der Ereignisse auf Warrior 1996, bes. 61–73, die Livius’ oft bezweifelte Darstellung als im wesentlichen stimmig erwiesen hat. Zu den Gründen für den Ausbruch des Krieges vgl. Pfeilschifter 2005, 77–82. Liv. 31,9,5–10. Lundgreen 2011, 167–169, hat mit Recht darauf hingewiesen, daß dieser KonÁLNW ]ZDU HLQH 9HUlQGHUXQJ GHU VDNUDOHQ 5LWHQ DEHU QLFKW HLQH 6FKZlFKXQJ GHU UHOLJL|VHQ Ehrfurcht an sich markierte: Diese ist „in der formalen oder prozeduralen Bitte um ein GutachWHQXQGQLFKWLQPDWHULHOORGHUSRVLWLYÀ[LHUWHQ*UXQGVlW]HQ]XVHKHQ´ $QP 

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Rene Pfeilschifter

kasse brauchte alle Ressourcen für den Krieg und konnte ihre Gläubiger nicht befriedigen – brach Galba endlich nach Osten auf.25 ‘Endlich’ deswegen, weil seit dem Amtsantritt der Konsuln bereits gut neun Monate verstrichen waren. Erst im Spätherbst kam Galba auf dem Balkan an, das Feldzugsjahr war im wesentlichen schon vorbei. Der zentrale Grund für die Verzögerung lag in dem intensiven Bemühen, jede Störung des Einklangs mit den Göttern und damit eine Gefährdung des Kriegserfolgs zu vermeiden. In den verschiedenen Befragungen, Diskussionen und Sühnemaßnahmen haben einige Forscher Manöver von Kriegsgegnern im Senat sehen wollen.26 Doch so viel Opposition innerhalb der Elite gab es gar nicht, ganz im Gegenteil, sie war sich in ihrer Unterstützung für den Krieg recht einig – dazu gleich mehr. Und selbst wenn solche Motive mitspielten, sind die religiösen Bedenken und Vorsichtsmaßnahmen deshalb nicht als Schein entlarvt. Sie hätten kaum zu einer solchen Verzögerung geführt, wären sie nur vorgeschoben gewesen, und ohnehin können Gründe verschieGHQVWHU$UWLQGLHVHOEH5LFKWXQJZLUNHQ'HVKDOELVWDXFKGLHRIÀ]LHOOH.ULHJVEHgründung keine Heuchelei. Sie spricht nur von den Übergriffen auf die Verbündeten, nicht von dem eigenen, tiefsitzenden Revanchewunsch gegen Makedonien. In den Mittelpunkt nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch der eigenen Überlegungen schieben Menschen (und Staaten) aber gern die hellen Motive, diejenigen, die nicht nur vor den anderen, sondern auch vor einem selbst gut aussehen. Das gilt für die römische Republik genauso wie für heutige Mächte. War Rom also ein Land wie jedes andere, noch dazu eines, das sich durch große religiöse Skrupel vor dem Einsatz von Waffen auszeichnete? Nun, nicht ganz, die römische Republik war ein expandierendes Gemeinwesen, dessen Aggressionsschwelle recht niedrig lag und das sich fast jedes Jahr in schweren kriegerischen Verwicklungen befand. Das hat viel mit der Orientierung der Eliten auf den Dienst an der res publica zu tun, mit dem ausgeprägten Streben nach Ruhm und, wie schon gezeigt, der Überzeugung von der eigenen Überlegenheit. Dennoch war die Republik keine Militärmaschinerie, deren Existenzsinn einzig im Kriegführen und Erobern lag. Für die Römer wie für alle übrigen Menschen war der Frieden der Normalzustand, und zwar der ersehnte Normalzustand, der Krieg dagegen die normative Ausnahme, die begründet werden mußte, vor den anderen und vor sich selbst.27 :HLOVLHDEHUQXQVHKUKlXÀJ.ULHJIKUWHQPX‰WHQGLH5HFKWIHUWLJXQJVPHFKDQLVmen besonders effektive und überzeugende sein. Auch deshalb, nicht nur wegen der besonderen Bedeutung des Götterfriedens für die soziopolitische Stabilität, erscheinen die Römer als besonders religiöses, gottesfürchtiges Volk, das sich nach einem JXWHQ *UXQG IU HLQH EHZDIIQHWH$XVHLQDQGHUVHW]XQJ XP]XVHKHQ SÁHJWH 'LHVHU Wunsch konnte in eine Sorge um Äußerlichkeiten münden, die uns aufgesetzt erscheint. Die Debatte um den bestimmten oder unbestimmten Betrag für Galbas Gelübde ist nur ein Beispiel. Am augenfälligsten im außenpolitischen Bereich ist 25 26 27

Liv. 31,12,1–14,1. Etwa Scullard 1973, 86–88; Briscoe 1973, 80 f.; Eckstein 2008, 257–259. Zu den aggressiven Grundstrukturen der Gesellschaft und zur niedrigen Hemmschwelle vgl. Harris 1991 (grundlegend); North 1981; Bleicken 1999, 171 f.; Pfeilschifter 2005, 15 f. Zum Frieden als Normalzustand vgl. nur die präzisen Bemerkungen von Harris 2000, 561 f.

Eroberung und Debatte

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die Rolle der oben kurz erwähnten Fetialen, die den sakralen Rechtsverkehr zu anderen Völkern besorgten und in elaborierten, teilweise sehr alten Formen – etwa der ritualisierten Forderung nach materieller Genugtuung für das römische Volk – die religiöse Korrektheit des römischen Handelns bei der Kriegseröffnung zu garantieren suchten. Diese Formen waren eben keine Formalitäten, sondern sicherten die überlegene römische Moral.28 Und bei Formen blieb man auch gar nicht stehen. Es kam genauso auf die inneren, im engeren Sinne sittlichen Gründe für einen Krieg an. Dieses Streben äußerte sich darin, daß römische Geschichtsschreiber den Vorfahren gern bessere, ethischere Kriegsmotive unterstellten, als sie gehabt haben mochten, aber auch in der allgemeinen Lehre vom gerechten Krieg, dem bellum iustum.29 Und die Diskurse? Ja, es gab sie, sogar bei der Kriegserklärung von 200. Die Billigung durch die Volksversammlung gestaltete sich komplizierter, als ich oben DQJHGHXWHWKDEH%HLGHUHUVWHQ$EVWLPPXQJÀHOGHU$QWUDJQlPOLFKJODWWGXUFK Wenige Monate nach dem Ende des Hannibalkrieges, den die Römer nach fast zwei Jahrzehnten nur mit größter Mühe gewonnen hatten, waren die Menschen der Gefahren und Mühen überdrüssig. Hinzu kam die Agitation des Volkstribunen Quintus Baebius, der eine aus den Ständekämpfen vertraute Argumentation benutzte: Die Senatoren würden Krieg an Krieg reihen, damit die Plebs niemals den Frieden genießen könne. Im Senat war der Ärger groß, Baebius wurde in Stücke gerissen (nur im übertragenen Sinne), alle forderten Galba auf, den Antrag erneut vors Volk zu bringen, diesem davor aber die schlimmen, noch dazu entehrenden Konsequenzen einer Verzögerung des Krieges klarzumachen. Der Konsul hielt daraufhin eine längere Rede vor dem Volk, die auf ein einziges Argument setzte: Krieg würde es ohnehin geben, die Römer hätten nur die Wahl, ob sie ihn in Makedonien oder, falls sie säumten, im eigenen Land führen wollten, dann aber gegen einen starken Gegner, mit vom Krieg erschöpften Ressourcen und mit dem Risiko des Abfalls der italischen Bundesgenossen. Deshalb sollten die Bürger nun mit der Hilfe der Götter abstimmen und den Vorschlag des Senats annehmen. Dies sei nicht nur die Meinung des Konsuls, sondern auch die der unsterblichen Götter, welche die Opfer und das Gebet für den Krieg ja günstig beschieden hätten. Nun wurde der Antrag ohne weiteres gebilligt.30 Zunächst zum Diskurs innerhalb der senatorischen Elite. Meinungsverschiedenheiten über die Außenpolitik gab es natürlich immer wieder, sie endeten aber für gewöhnlich ohne eine Zuspitzung zum Äußersten. Man fügte sich der Mehrheitsmeinung und erlitt keine Schädigung der eigenen Karriere. Diese Disposition zum Nachgeben war unabdingbar für die Herstellung eines aristokratischen Konsenses, P|JOLFKZXUGHVLHGXUFKGDV:LVVHQGD‰PDQEHLPQlFKVWHQ.RQÁLNWJHQDXVRJXW obsiegen konnte – feste Gruppierungen mit bestimmten politischen Zielen gab es in

28 29 30

Cic. rep. 2,31; 3,35 (= 3,25 Powell); off. 1,36. Vgl. Harris 1991, 166–171, Albert 1980, 12–16, und jetzt vor allem den großen Überblicksartikel von Rich 2011. Cic. rep. 3,34 f. (= 3,24 f. Powell); off. 1,34–40; 2,26 f. Zum bellum iustum vgl. Harris 1991, 171–175; Albert 1980, 17–36; Girardet 2007, 4–22. Liv. 31,6,3–8,1.

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Rene Pfeilschifter

der römischen Politik nicht.31 So bekam Baebius in der Senatssitzung nach der ersten Abstimmung einiges zu hören. Dem erklärten Willen seiner Standesgenossen fügte er sich offenbar. Seine Agitation, die er als Volkstribun ohne weiteres fortsetzen hätte können, hörte auf.32 In außenpolitischen Fragen wurde der Konsens nicht nur durch die grundsätzlichen Verhaltensmuster der Elite befördert. Eine gewichtige Rolle spielte auch die Chance auf den eigenen Anteil an Ruhm und Ehre. Jeder Senator hatte die Hoffnung, selbst einmal Prätor oder Konsul zu werden und dann Sieg und Triumph zu erringen. Zumindest aber bot sich die Aussicht, schon in den gerade zu beschließenGHQ)HOG]XJDOVKRKHU2IÀ]LHUPLW]LHKHQ]XGUIHQ'LHVEHI|UGHUWHGHQ.RQVHQV – einen Konsens zum Kriegführen. Am ehesten konnten sich noch Konsulare, die schon alles erreicht hatten, dem Drang zu den Waffen entziehen, und tatsächlich war es wohl vor allem ihrer Autorität zu verdanken, wenn der Senat einem kriegsOVWHUQHQ.RQVXODXFKHLQPDOLQGHQ$UPÀHO33 Doch das waren Ausnahmen. Eher stritt man sich um die Art der Kriegsführung, so wie es der alte Quintus Fabius Maximus und der neue Stern am römischen Himmel, Publius Cornelius Scipio, gegen Ende des Zweiten Punischen Krieges taten: Sollten die Römer zunächst Hannibal aus Italien vertreiben oder diesen ignorieren und den Krieg nach Afrika tragen?34 Zu grundsätzlichen Debatten über Sinn oder Unsinn eines Krieges oder gar der Expansion an sich kam es allerdings nie. Dazu bestand auch kein Anlaß: Rom gewann ja immer. Nun zum Diskurs zwischen den Eliten und dem Volk. Der Senat hatte Galba empfohlen, dem Volk vor Augen zu führen, wie unehrenhaft ein Nein zum Krieg sei, das heißt, welche Schande eine Verweigerung von Hilfe für Verbündete darstelle. Galba ignorierte diesen Rat und konzentrierte sich ganz auf die konkreten Folgen für die Römer selbst, nämlich die Invasion Italiens durch Philipp. Wenn Livius den Grundgedanken der Rede richtig widergibt, erwies sich Galba damit als guter Psychologe. Gegen die Stimmung im Volk, die sich gegen jeden neuen Krieg richtete, wäre ein Vortrag über das ethisch Gebotene wahrscheinlich nicht angekommen. Auch für die Römer kam im Zweifelsfall die eigene Sicherheit vor der Moral. Indem Galba den Bürgern aber erklärte, daß diese Sicherheit ohnehin kompromittiert, der Krieg gegen Philipp unabwendbar sei, akzeptierte er geschickt die verbreitete Unlust und machte gleichzeitig klar, daß man ihr nicht nachgeben dürfe. Der makedonische Einmarsch war freilich eine rhetorische Chimäre, welche nicht im geringsten der politisch-militärischen Lage des Jahres 200 entsprach, son-

31

32 33

34

Disposition zum Nachgeben: Flaig 2003, 99–110, 201–212; Lundgreen 2011, 277–285. Keine politischen Gruppierungen: Meier 1980, XXXII–XLIII, 162–190; Hölkeskamp 2011, 41–61, 310 f. Meier, 168, hat auch bereits konstatiert, daß „die Einheit der Außenpolitik trotz mancher Differenzen im Ganzen immer gewahrt“ wurde. Über sein weiteres Schicksal wissen wir nichts, zu höheren Ämtern gelangte er nicht. Aber das berechtigt nicht zu vermuten, er habe 200 einen Karriereknick erlitten. Etwa dem Konsul Gaius Cassius Longinus, der 171 auf eigene Faust nach Makedonien marschieren wollte und vom zunächst ahnungslosen Senat mittels einer Gesandtschaft aus drei Senatoren zurückbeordert werden mußte (Liv. 43,1,4–12; 5,1–10). Vgl. Seibert 1993b, 413–416.

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dern die Angst vor einer Wiederholung des Hannibalzugs aufnahm.35 Vielleicht glaubte Galba selbst daran, entscheidend ist aber, daß es zu einer allgemeinen Debatte um die Richtigkeit seines Arguments nicht kam, ja nicht kommen konnte. Formal nicht, weil Aussprachen in römischen Volksversammlungen nicht vorgesehen waren, weder in der vorbereitenden contio – Magistrate und Senatoren hielten Reden und stritten gelegentlich miteinander, das Volk aber blieb zum Zuhören verdammt, da die Kommunikation hierarchisch organisiert war – noch in den späteren comitia, in denen abgestimmt wurde, aber auch nur abgestimmt wurde, ohne Aussprache. Der einzige, der in der contio das Wort gegen Galba hätte ergreifen können, wäre also Baebius gewesen, der aber war schon in der Senatssitzung in den Konsens der Elite zurückgezwungen worden. Das heißt nun nicht, daß viele Bürger sich nur zu gern zu Wort gemeldet hätten, wäre es ihnen bloß erlaubt gewesen. Der formalen Hierarchie entsprach nämlich die allgemeine Orientierung der Gesellschaft an der Autorität eines Sprechers, ganz egal, was er sagte. Dem Konsul öffentlich zu widersprechen war nur für wenige denkbar, und diese wenigen waren allesamt Angehörige der Senatsaristokratie. Egon Flaig hat das schön auf den Punkt gebracht: „Ob die Zuhörer sich nun überzeugen ließen oder nicht, hing weniger von ihrer Einsicht in die Sachlage ab, als vielmehr davon, ob sie dem Consul – und der gesamten Oligarchie – glaubten oder nicht glaubten.“36 In aller Regel glaubte das Volk den Senatoren, und das galt ganz besonders für außenpolitische Fragen. Zunächst lag dies natürlich an dem, verglichen mit Angelegenheiten Italiens, wesentlich größeren Informationsvorsprung der Elite. Was wußten die einfachen Besucher der Volksversammlung schon von den Schwierigkeiten Athens oder von den Absichten östlicher Könige? Dazu kommt ein tieferer *UXQG%DHELXVά6WlQGHNDPSIDUJXPHQWVROOWHGLH(ULQQHUXQJDQGHQDOWHQ.RQÁLNW zwischen Patriziern und Plebejern, zwischen oben und unten wecken, aber dennoch war es schlecht gewählt. In den Ständekämpfen war es um die Machtlagerung im *HPHLQZHVHQJHJDQJHQHVKDWWHVLFKXPHLQHQLQQHUHQ.RQÁLNWJHKDQGHOWDXFK wenn der durchaus Auswirkungen auf die äußere Schlagkraft gehabt haben mochte. Im Jahr 200 ging es dem Senat aber um die Abwehr des gemeinsamen Feindes aller, heute würde man sagen: des Landesfeindes. So formulierten es aber nicht die Römer. Philipp V. war nicht der Gegner des römischen Staates oder des römischen Landes, in einer solchen verbalen Gegenüberstellung wurde der Begriff res publica nicht gebraucht. Der König war vielmehr der Gegner des römischen Volkes. Der Krieg wurde erklärt „wegen der Ungerechtigkeiten und der bewaffneten Übergriffe auf Verbündete des römischen Volkes“. Die Römer waren in der Antike nicht die einzigen, die dem Personalverband den Vorrang vor dem Staatsgebiet gaben: Athen ZDU QXU GHU 1DPH HLQHU 6WDGW ZlKUHQG GDV *HPHLQZHVHQ DOV ¶GLH$WKHQHU· ÀUmierte (unter Einbezug der Einwohner Attikas), Korinth trat als ‘die Korinther’ auf, und so fort. Populus Romanus war aber noch eindeutiger als die griechischen Entsprechungen. Kein vages Romani, sondern eben das Volk, in modernen Wiedergaben gern und mit gutem Grund das Staatsvolk genannt: weil populus eben nicht die 35 36

Vgl. dazu Seibert 1995, 242 f. Flaig 2003, 182. Zum Fehlen von Debatten in den contiones vgl. Mouritsen 2001, 46–57; Morstein-Marx 2004, 160–203.

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Inhaber des Bürgerrechts, die cives, meint, auch nicht die unteren Schichten, die plebs, und schon gar nicht die gesamte Bevölkerung, sondern vielmehr die öffentlich wirksamen, das Gemeinwesen gestaltenden Römer, dasjenige Volk, das zur Versammlung gerufen war, das über den Krieg abstimmte und ihn führte. Dauernd ist in den einschlägigen Kapiteln bei Livius die Rede vom populus Romanus, und nicht nur bei ihm. Scipio Aemilianus spricht von Gedeihen und Macht des römischen Volkes, Cicero führt es dauernd im Munde, und im ersten Buch des Gallischen Krieges kommt es gefühlte einhundertmal vor.37 Wie sollte sich der Besucher der Volksversammlung davon distanzieren? Wie sollte er einen Gegensatz entdecken zwischen seinen Interessen, denen seiner Verwandten, Freunde und Nachbarn auf der einen Seite und denen der Allgemeinheit, des Kollektivs, der Politik, des Staates auf der anderen? Der einzelne Schmied war Teil des populus Romanus nicht weniger als der Konsul, ein geringerer Teil zwar, aber ein Teil nichtsdestotrotz. Die unmittelbare Mitwirkung an den Geschicken des Gemeinwesens in der Volksversammlung entsprach eben weniger der heutigen Beteiligung an Land- und Bundestagswahlen, sondern eher (bezogen nur auf die Integrationskraft!) der Mitgliedschaft in einem Verein. Nicht jeder Römer nahm regelmäßig oder auch nur sporadisch an der Volksversammlung teil, aber wer nicht erschien, zählte nicht. Die Versammelten bildeten den populus Romanus in seiner Gesamtheit.38 Auf der anderen Seite blieben behördliche Eingriffe in das Leben des einzelnen, die so viele heutige Menschen dem Staat entfremden, auf einem niedrigen Niveau. Der Grund dafür ist denkbar simpel: Abgesehen von den Magistraten und ihrer Handvoll Amtsdiener gab es keine Bürokratie. Die Erfahrung der Gängelung blieb also gering, die der Mitwirkung konnte dafür jeder Einwohner der Stadt machen, der Lust hatte und ein wenig Zeit. Das waren bei weitem nicht alle, aber, wie gesagt, nur auf die Anwesenden kam es an. Eine Differenzierung der eigenen Interessen und derjenigen der Gemeinschaft, des Gemeinwesens war unter diesen Umständen fast unmöglich. Sondergemeinschaften, etwa auf religiöser Basis, waren den Römern suspekt und wurden unterdrückt.39 Der einzelne aber konnte sich von der Gemeinschaft des römischen Volkes nicht lossagen oder auch nur gegen deren Überzeugungen opponieren, wollte er nicht seine soziale Identität verlieren. Debatten über die politische Richtung des Gemeinwesens waren dadurch natürlich nicht ausgeschlossen, aber sie konnten nur innerhalb bestimmter Grenzen verlaufen: Sie durften keinen grundsätzlichen Umbau der res publica fordern oder sie gar negieren.40 In außenpolitischer Hinsicht 37 38 39 40

Zu Caesar vgl. Rambaud 1966, 272 f. Integrationskraft von Volksversammlungen: Jehne 2003. Beteiligung: Mouritsen 2001, 32–37; Jehne 2006, 234. Vgl. dazu grundlegend Linke 2000, 272–274, 289–293. Diese Fixierung meinte Meier 1980, XXXf., XLIII–LVII, 201–205, als er für das letzte Jahrhundert der Republik die Formel von der Krise ohne Alternative prägte. Publizistische Debatten, im Sinne eines politischen Wirkungsstrebens einer veröffentlichten Meinung, fanden in Rom übrigens nicht statt: Die grundsätzliche Öffentlichkeit der Politik in den Institutionen und das Erfordernis der persönlichen Anwesenheit standen dem entgegen, selbst ein Werk wie Ciceros StaatEOLHE/LWHUDWXUXQGEHHLQÁX‰WHGHQSROLWLVFKHQ'LVNXUVQLFKW=XGLHVHPZLFKWLJHQ Punkt ist grundlegend Eich 2000, bes. 143–154.

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waren die Möglichkeiten zum ‘Widerstand’ besonders gering, denn ein Zweifeln an der Expansion hätte die Grundlagen des Götterfriedens berührt und damit die Gemeinschaft selbst in Frage gestellt. Hier anders zu denken wäre einem Verrat gleichgekommen, einem Verrat an sich selbst. Trotz alledem, eine große Debatte über den rechten Weg des Gemeinwesens gab es doch. Ich habe bereits oben darauf hingewiesen: den Diskurs über den Sittenverfall. III Sallust beschreibt zu Anfang seiner Verschwörung Catilinas das Umfeld, in dem Catilina aufwuchs, und skizziert dafür in aller Kürze die Geschichte Roms, wie es vom schönsten und besten zum schlechtesten und unmoralischsten Gemeinwesen wurde, unter dem bezeichnenden Stichwort „Sitten der Bürgerschaft“: Rom wurde schnell groß dank der individuellen Tüchtigkeit seiner Bürger, schon in der Königszeit – bereits damals brachte es seinen Verbündeten und Freunden Hilfe –, erst recht nach der Errichtung der Republik. Mut im Krieg und Gerechtigkeit im errungenen Frieden zeichneten die Römer lange aus. Nach der Zerstörung Karthagos 146 wandelten sich die Dinge zum Schlechteren. Die Gier nach Geld und Herrschaft wuchs, das bislang gerechte Regiment wurde zu einem grausamen und unerträglichen. Mit Sulla kam der entscheidende Sprung: Es gab keine Grenzen mehr in der moralischen Schlechtigkeit, noch dazu hatte Sulla das Heer in Asien an Luxus und Zügellosigkeit gewöhnt. Im abschließenden Panorama des Sittenverfalls spricht Sallust auch vom Schicksal der Besiegten: Die Vorfahren hatten den Besiegten nichts genommen, außer der Möglichkeit zum Unrecht. Aber nun nahmen die feigsten und verbrecherischsten Menschen den Verbündeten all das, was die tapfersten Männer ihnen als Sieger gelassen hatten – als ob Unrecht die Herrschaft ausmache.41 Andere Autoren setzen die Wende zum Schlechteren früher an: Bei Livius ist es das im Triumph aus Kleinasien heimkehrende Heer, das 187 den „Anfang der ausländischen Verschwendung“ in die Stadt einschleppt. Den einfüßigen Tischen und wertvollen Teppichen folgen bald Musikerinnen zur Abendunterhaltung, prächtige Mahlzeiten und die Hochschätzung von Köchen.42 Eine weitere, ebenfalls von Livius erwähnte Etappe bezeichnet die berühmte Senatsdebatte von 171: Der Gesandte Quintus Marcius Philippus rühmt sich, König Perseus von Makedonien durch die trügerische Hoffnung auf Frieden zu einem Waffenstillstand verleitet und 41

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Sall. Catil. 5,9–13,5: moribus civitatis […] ex pulcherruma SHVVXPDDFÁDJLtiosissuma [sc. res publica] (5,9); sociis atque amicis auxilia portabant (6,5); duabus his artibus, audacia in bello, ubi pax evenerat aequitate, seque remque publicam curabant (9,3); imperium ex iustissumo atque optumo crudele intolerandumque factum (10,6); hi contra, ignavissumi homines, per summum scelus omnia ea sociis adimere quae fortissumi viri victores reliquerant, proinde quasi iniuriam facere, id demum esset imperio uti (12,5). Die beste Interpretation der Passage gibt Schütrumpf 1998. Die nächste Parallele, mit Sulla als Wendepunkt und GHU%HWRQXQJGHV6FKLFNVDOVGHU8QWHUWDQHQÀQGHWVLFKEHL&LFRII²&LFHURKHEWGLH Folgen des Niedergangs für die Beherrschten oft hervor (s. die Stellen bei Vogt 1935, 47 f.). Liv. 39,6,6–9: luxuriae enim peregrinae origo ab exercitu Asiatico invecta in urbem est (7).

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so wertvolle Zeit für die römischen Rüstungen gewonnen zu haben. Einer Minderheit älterer Senatoren, die an den alten Sitten hängt, gefällt diese nova sapientia wenig. Die Vorfahren hätten nicht mit Hinterlist und Durchtriebenheit, sondern mit Rechtschaffenheit und wahrer Tüchtigkeit ihre Siege errungen, in frommen und gerechten Kriegen; dies sei römisches Wesen. Die Senatsmajorität zieht aber das Nützliche dem Anständigen vor und billigt Philippus’ Handlungsweise.43 Am wichtigsten wurde für die antike Analyse allerdings tatsächlich die Zerstörung Karthagos. Was Sallust im Catilina nur andeutet, macht er im Krieg gegen Jugurtha deutlicher: „Aus Furcht vor dem Feind hielt die Bürgerschaft an ihren guten Eigenschaften fest.“44 Andere Autoren geben mehr Details. Nach ihnen war dem letzten Krieg gegen Karthago eine heftige Auseinandersetzung im Senat vorangegangen. Während Cato der Ältere auf die Vernichtung des alten Feindes drängte, riet der zweimalige Konsul Publius Cornelius Scipio Nasica zur Mäßigung: Karthago müsse erhalten bleiben, damit die Römer, in Furcht vor dem letzten formidablen Gegner, wachsam blieben und sich nicht zu Übergriffen gegen die Unterworfenen hinreißen ließen. Ansonsten würden sie sich vollends der moralischen Dekadenz hingeben, in inneren Auseinandersetzungen versinken und von den Untertanen wegen ihrer ungerechten Herrschaft gehaßt werden.45 Führte die Krise der römischen Republik also zu einer Neubewertung der römischen Expansion, aus der dann ein Diskurs über künftiges außenpolitisches Handeln erwachsen konnte? Zunächst fällt auf, daß die antiken Autoren, trotz ihrer Verknüpfung von äußeren Ereignissen und innerer Verfaßtheit, den in der Forschung seit Montesquieu populärsten Grund für den Untergang der Republik nirgends erwähnen: die Überforderung der städtischen Strukturen des Gemeinwesens durch die Herrschaft über die Mittelmeerwelt. Statt dessen bleibt die antike Analyse wieder, und wenig überraschend, dem Moralischem, dem Versagen des Individuums verhaftet.46 Doch nicht einmal in dieser Perspektive werden die Eroberungen in Frage gestellt. Marcius Philippus erfüllt in den Augen einiger die Normen der Vorfahren nicht mehr. Diese Wahrnehmung rührt aber allein von der wachsenden ethischen $XÁDGXQJGHU9lWHUVLWWHKHU47 mit einem Drang zu einer anderen Außenpolitik hat sie nichts zu tun, im Gegenteil: Die Väter hatten ja die halbe Welt besiegt. Es geht also um die Einstellung, vielleicht noch um Verfahrensfragen, nicht um eine Neubewertung der Eroberungspolitik. Auch das aus Asien heimkehrende Heer löst nicht deshalb den Verfall aus, weil der Kontakt mit Orientalen die altrömische Sittsamkeit erschüttert hat (auf dieser Basis hätte sich gut für einen Rückzug aus dem Osten plädieren lassen). Vielmehr hat der Feldherr Gnaeus Manlius Vulso die strenge militärische Disziplin nicht gewahrt, und so verlottert das Heer. Hier geht es 43 44 45 46 47

Liv. 42,47,1–9. Zum historischen Hintergrund Briscoe 1964. Sall. Iug. 41,1–10: metus hostilis in bonis artibus civitatem retinebat (2); s. auch hist. I frg. 12. Diod. 34/35,33,3–5; App. Lib. 315; Plut. Cato mai. 27,2–4; Liv. per. 48,4 f.; 48,15; 48,24; 49,2; Oros. hist. 4,23,9. Zur Chronologie vgl. Gelzer 1931, 39–43; Astin 1967, 270–272. Zu dieser Fixierung des antiken Denkens vgl. die klaren Ausführungen von Wolff 1993, 173– 176. Vgl. dazu Hampl 1966.

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also, ganz wie bei Sallusts Sulla, um die Führungsfähigkeit der Elite, nicht um die Folgen des immer weiteren Vordringens in die Welt.48 Karthago schließlich soll nicht deshalb weiterexistieren, weil die bisherige, recht rustikale Politik im westlichen Mittelmeer ein Fehler gewesen ist. Seine Fortdauer soll die fortgesetzte Wachsamkeit sichern, dem ethischen Schlendrian Einhalt gebieten, kurzum: dafür sorgen, daß die Römer in Zukunft ebensogut losschlagen können wie die Vorfahren.49 Die Debatte um den Sittenverfall geht also darum, wie die alte, gerade auch militärische Spannkraft wiederherzustellen sei. Manchmal berührt sie die Eroberungen, aber nur weil sich an ihnen und ihren Folgen der moralische Wandel besonders gut ablesen läßt, nicht weil sie diesen Wandel verursacht haben. Nicht das dauernde Kriegführen, sondern im Gegenteil sein Ausbleiben, das Fehlen ebenbürtiger Gegner für das weltbeherrschende Rom ist das Problem. So entsteht die Dekadenz mitten in Rom, aus den Römern selbst heraus – für Sallust bringt das Schicksal den Umschlag50 –, dem Gemeinwesen geht es nicht gut, aber die Krankheit frißt von innen an seinem Leib.51 Natürlich spiegelt sich in den Debatten der Autoren, im Klagen über den Krieg gegen Jugurtha, der die sittliche Verrottung der Oberschicht offenbarte, in den Reden eines Critognatus und Mithradates Unzufriedenheit mit dem Zustand der Herrschaft wider. Aber diese rührt allein daher, daß nach der scheinbar unendlichen Eroberungsphase Mitte des zweiten Jahrhunderts eine gewisse Stagnation eingetreten war. Es gab schlicht nicht mehr viel zu erobern, und in dem, was schon erobert war, regte sich immer öfter der Widerstand. Die Kriege wurden weniger, dafür mühsamer und ruhmloser. Für einen vornehmen Römer, der mit den Helden der Pyrrhosund Hannibalzeit wetteifern wollte, waren das schlechte Voraussetzungen. Ein Grund, an der Sinnhaftigkeit der Eroberungen zu zweifeln, war es aber nicht, im Gegenteil. Wenn sich die Gelegenheit bot, schlugen die Römer zu wie Jahrhunderte 48 49

50 51

Liv. 39,6,5. Gelzer 1931, 62 f., 71 f., hat an „ein tiefgreifendes politisches Programm, das […] der römischen Geschichte eine andere Wendung gegeben hätte“ (62), geglaubt. Hoffmann 1966, 218– 229, hat demgegenüber überzeugend gezeigt, daß die Nasica zugeschriebenen Motive eine Fiktion der Quellen sind. Nach ihm wurde der Pontifex (und bald Pontifex Maximus) Nasica durch sakrale Überlegungen – der Götterfriede! – zu seinem Widerspruch bewegt, der nur die Form der Eröffnung des Krieges betraf, nicht dessen Ziel. Kienast 1979, 130–133, und Astin 1967, 276–280, sind zurückhaltender, gestehen aber dem Gegengewichtsargument, falls Nasica es überhaupt bemühte, lediglich eine kleinere, ‘rhetorische’ Rolle zu. Doch nicht nur der historische Nasica hatte nichts gegen Eroberungen einzuwenden, auch die vom Dekadenzdiskurs verformte literarische Figur äußert nirgends grundsätzliche Vorbehalte gegen die römische Expansion. Bei Diod. 34/35,33,5 ist sogar ausdrücklich von einer Ausweitung der Herrschaft die Rede. Sall. Catil. 10,1: saevire fortuna ac miscere omnia coepit. Vgl. Heldmann 1993, 108–110. Vgl. schon kurz Lintott 1972, 627. Wertvoll sind die Bemerkungen von Walter 2004, 322: „Die mit der Weltherrschaft beginnende Wende der römischen Geschichte ist durch den Wandel der mores verursacht, den die Weltherrschaft nach sich zog. Dieser Wandel jedoch ist zwar selbstverantwortet, und er läßt sich auch analysieren und gedanklich nachvollziehen, er ist aber in Wahrheit doch nicht restlos zu erklären. Chiffre dafür ist der Auftritt der fortuna.“ Ich stimme nicht mit Bringmann 1977 überein, nach dem das spätrepublikanische Denken aufgrund der Weltherrschaft den Beginn des inneren Verfalls gekommen sah.

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zuvor. Das beste Beispiel haben wir bereits kennengelernt: Caesar. Der Eroberer Galliens wurde zu Hause dafür gefeiert, selbst von seinen Gegnern (was ja ein wesentlicher Grund für die Eroberung war). Gelegentliche Kritik war aus innenpolitischen Motiven gespeist, nicht aus Ablehnung in der Sache. Der jüngere Cato forderte im Jahr 55 die Auslieferung Caesars an die Usipeter und Tenkterer: Der Prokonsul hatte diese Völker zwar besiegt, im Vorfeld die Auseinandersetzung aber provoziert und die führenden Männer der Germanen, obwohl sie als Gesandte gekommen waren, kurzerhand festgenommen. Caesar wurde in Rom trotzdem bejubelt und mit einem Dankfest geehrt, Cato plädierte als einziger dafür, ihn nach historischem Vorbild den Feinden zu übergeben und so den Zorn der Götter von der Armee und vom römischen Volk abzulenken. Daß der prinzipienfeste Cato dies ehrlich meinte, muß man nicht bezweifeln. Eine grundsätzliche Kritik an der Eroberung Galliens oder eine Forderung nach ihrer Einstellung verband er mit seinem Plädoyer aber nicht. Er zielte allein auf die Person seines Gegners: Nicht die Söhne der Britannier und Kelten seien zu fürchten, sondern Caesar selbst.52 Der Grund für die Unangefochtenheit römischer Eroberungspolitik ist simpel: Selbst in den letzten Jahren der sterbenden Republik waren die Römer ungeheuer erfolgreich. Die Herrschaft, das Reich blieben trotz gelegentlicher Niederlagen ungefährdet, immer noch wurde hier und da erobert, am entschlossensten natürlich in Gallien. Der gefährlichste Gegner im ersten Jahrhundert v. Chr., Mithradates von Pontos, war stets ein zäher, niemals ein ebenbürtiger Feind, vergleichbar einem Pyrrhos oder Hannibal. Die Römer konnten es sich leisten, sich in drei blutigen Bürgerkriegen die Köpfe einzuschlagen, während und weil ihr Imperium ungeschmälert weiterbestand. Ein solches Volk mußte von den Göttern begünstigt sein. Zu diskutieren und zu zweifeln gab es auch jetzt nichts. Ganz unabhängig davon, ob man das Gemeinwesen der Römer nun Staat nennen mag oder nicht, Diskurse über die Außenpolitik behandelten in dieser Gesellschaft lediglich Verfahrensfragen, nicht den Wert und den Zweck der Eroberungen. Berechtigung und Sinn standen außer Zweifel. Grundsätzliche Skepsis trieb die Römer nicht um. Sie hätte ihrem Aufstieg auch nicht gutgetan. Doch was ist nun mit dem neuen Lustralgebet von 141? War Scipio Aemilianus die eine große Ausnahme, der einsame Staatsmann, der sah, was not tat, aber bei seinen unverständigen Zeitgenossen nicht durchdrang? Die Wahrheit ist prosaisch. Wir wissen aus einer Stelle bei Cicero, daß nicht Scipio das Opfer vollzog, sondern sein Amtskollege Lucius Mummius. Scipio bot sich also gar keine Gelegenheit, die Formel des Gelübdes zu ändern. Unser Gewährsmann Valerius Maximus hat die Anekdote erfunden: Scipio Aemilianus, der Eroberer Karthagos, eignete sich aufs 52

Plut. Cato min. 51,1–5; Caes. 22,1–4; Suet. Iul. 24,3. Die Vorgänge in Gallien: Caes. Gall. 4,5–15 (in der Interpretation von Rambaud 1966, 118–122). Vgl. Gelzer 1961. Gleiches gilt für den Partherfeldzug des Marcus Licinius Crassus. Opposition erhob sich vor allem gegen den potentiellen Machtgewinn von Caesars Triumviratskollegen, weniger gegen die durchaus wünschenswerte Kampagne (Cass. Dio 39,33,2 f.; 39,1–7; Plut. Cato min. 43,1–8; Crass. 16; 18,1; comp. Nic. Crass. 2,3; App. civ. 2,65 f.). Daß Crassus in der Überlieferung um so vieles schlechter dasteht als Caesar, hat einen simplen Grund: Er scheiterte (so schon Plut. comp. Nic. Crass. 4). Vgl. Timpe 1962, 106–108; Marshall 1976, 143–151; Ward 1977, 273–287.

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beste als eindrucksvoller Mahner, er sprach aber nicht wie ein Römer des zweiten Jahrhunderts v. Chr., sondern wie ein Zeitgenosse des Valerius Maximus und des Kaisers Tiberius.53 Denn jetzt war die Expansion tatsächlich zu einem gewissen Stillstand gekommen. Nun war fast alles, was erobernswert war, unterworfen, das Reich hatte sichere Grenzen erreicht, der aristokratischen Konkurrenz, welche die Expansion stets vorangetrieben hatte, war durch das militärische Monopol des Kaisers Einhalt geboten. Einer grundsätzlichen Debatte oder einem neuen gesellschaftlichen Konsens verdankte sich diese außenpolitische Kursänderung aber nicht. Sie war Ergebnis des Machtspruchs eines einzelnen Mannes. Doch das ist eine andere Epoche und ein anderes Problem. BIBLIOGRAPHIE Albert, S. (1980): Bellum iustum. Die Theorie des „gerechten Krieges“ und ihre praktische Bedeutung für die auswärtigen Auseinandersetzungen Roms in republikanischer Zeit (Frankfurter Althistorische Studien 10), Kallmünz, Opf. Astin, A. E. (1967): Scipio Aemilianus, Oxford. Baltrusch, E. (2011): „Kriege für die Freiheit der Anderen“: Roms imperiale Mission im 2. Jahrhundert v. Chr., Gymnasium 118, 43–56. Bernstein, F. (2010): Das Imperium Romanum – ein ‚Reich‘?, Gymnasium 117, 49–66. Bleicken, J. (51999): Geschichte der römischen Republik (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 2), München. Botermann, H. (2002): Gallia pacata – perpetua pax. Die Eroberung Galliens und der „gerechte Krieg“, in: J. Spielvogel (Hg.), Res publica reperta. Zur Verfassung und Gesellschaft der römischen Republik und des frühen Prinzipats. FS für Jochen Bleicken zum 75. Geburtstag, Stuttgart, 279–296. Bringmann, K. (1977): Weltherrschaft und innere Krise Roms im Spiegel der Geschichtsschreibung des zweiten und ersten Jahrhunderts v. Chr., A&A 23, 28–49. Briscoe, J. (1964): Q. Marcius Philippus and nova sapientia, JRS 54, 66–77. – (1973), A Commentary on Livy. Books XXXI–XXXIII, Oxford. Collins, J. H. (1972): Caesar as Political Propagandist, in: H. Temporini (Hg.), Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Bd. I 1, Berlin u. a., 922–966. Eckstein, A. M. (2008): Rome enters the Greek East. From Anarchy to Hierarchy in the Hellenistic Mediteranean, 230–170 BC, Malden, MA u. a. Eich, A. (2000): Politische Literatur in der römischen Gesellschaft. Studien zum Verhältnis von politischer und literarischer Öffentlichkeit in der späten Republik und frühen Kaiserzeit (Passauer historische Forschungen 11), Köln u. a. Flaig, E. (2003): Ritualisierte Politik. Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom (Historische Semantik 1), Göttingen. Fuchs, H. (1938): Der geistige Widerstand gegen Rom in der antiken Welt, Berlin. Gelzer, M. (1931): Nasicas Widerspruch gegen die Zerstörung Karthagos, in: ders., Kleine Schriften, Bd. 2, Wiesbaden 1963, 39–72 [erstmals: Philologus 86 (1931), 261–299]. 53

Cic. de orat. 2,268. Vgl. Marx 1884, 65–68; Astin 1967, 325–331 (mit Lit.).

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RES PUBLICA, PROVINCIAE UND IMPERIUM ROMANUM: DIE KOMMUNIKATION ZWISCHEN DEN RÖMERN UND DEN STÄDTEN DES OSTENS1 Michael Snowdon Du führst nicht die Verwaltung eines Reichsteiles (pars rei publicae), in dem man nur Glück zu haben braucht, sondern wo es vor allen Dingen auf klug berechnende Umsicht ankommt. Ja wärest Du dabei, einen schweren, gefahrvollen Krieg zu führen, und ich sähe deshalb Dein Kommando (imperium) verlängert, dann würde ich erbeben bei dem Gedanken, daß damit gleichzeitig auch dem Zufall seine Macht über uns verlängert wäre. Nun ist Dir aber der Teil unseres Staates (pars rei publicae) anvertraut, wo so gut wie nichts vom Zufall bestimmt wird und alles offensichtlich nur von Deiner Tüchtigkeit und Selbstbeherrschung abhängt […]. Denn in Deiner Provinz (provincia ÀQGHQVLFK]XPHUVWHQ%QGQHUGLHGLHJHELOGHWVWHQGHU ganzen Welt sind, zum andern Bürger, die entweder als Staatspächter in ganz engen BeziehunJHQ]XXQVVWHKHQRGHUDOVHUIROJUHLFKH.DXÁHXWHGDYRQGXUFKGUXQJHQVLQGGD‰VLHHVPHLQHP Konsulat zu verdanken haben, wenn sie in ihrem Hab und Gut unversehrt geblieben sind.2 Cicero, ad Quintem fratrem 1,1,4–6, Üb. v. H. Kasten

Cicero, der an seinen Bruder Quintus als den damaligen Prokonsul von Asia schreibt, spricht von provinciae als pars res publicae. Provinzen erscheinen hier somit eher als Verwaltungseinheiten denn als eigenständige Basis für magistratische Kriegsführung und weitere Eroberungen. Dennoch deutet Ciceros Zufriedenheit, dass sein Bruder keinen „schweren und gefahrvollen Krieg“ führt, bereits darauf hin, dass es sich bei provinciae nicht unbedingt und nicht immer um bloß administrative partes rei publicae handeln musste, sondern auch anderes möglich war. Damit sind schon in diesem kleinen Ausschnitt eines Staatsdiskurses Hinweise darauf enthalten, dass komplexe Vorstellungen von provinciae innerhalb und außerhalb der res publica existierten. Das Ziel des Aufsatzes ist es, diesem Konzept von provinciae genauer nachzugehen, dabei Merkmale wie Entwicklungslinien aufzuzeigen. Weiter erscheint im Brief von Cicero der Begriff provincia eng verzahnt mit 1

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I would like to thank Christoph Lundgreen for translating the text of this paper into German, and for his many helpful comments. I would also like to acknowledge the support of the Social Science and Humanities Resource Council of Canada, who provided funding for the project from which this paper is drawn. Neque enim eiusmodi partem rei publicae geris, in qua fortuna dominetur, sed in qua plurimum ratio possit et diligentia. Quod si tibi bellum aliquod magnum et periculosum administranti prorogatum imperium viderem, tremerem animo, quod eodem tempore esse intelligerem etiam fortunae potestatem in nos prorogatam: nunc vero ea pars tibi rei publicae commissa est, in qua aut nullam aut perexiguam partem fortuna tenet et quae mihi tota in tua virtute ac moderatione animi posita esse videatur… constat enim ea provincia primum ex eo genere sociorum, quod est ex hominum omni genere humanissimum, deinde ex eo genere civium, qui aut, quod publicani sunt, nos summa necessitudine attingunt aut, quod ita negotiantur, ut locupletes sint, QRVWULFRQVXODWXVEHQHÀFLRVHLQFROXPHVIRUWXQDVKDEHUHDUELWUDQWXU

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dem vom imperium. Das erste entspricht dem Gebiet eines römischen Magistraten, der dafür das zweite, die Befehlsgewalt, vom römischen Volk erhalten hatte, dessen eigene Macht wiederum – imperium populi Romani – später Bezeichnung für den ganzen Herrschaftsbereich der Römer – Imperium – werden sollte. Im Ausdruck provincia haben wir weiter eine Verbindung eben von der res publica res populi und dem imperium Romanum, daher soll sich, Ciceros Hinweis folgend, meine Untersuchung nicht nur mit der res publica in Rom, sondern auch mit dem entstehenden römischen Reich, dem imperium Romanum befassen. So kann auch der Frage des Bandes nachgegangen werden, ob und inwieweit die Provinzen für die Römer selbst zu einem gemeinsamen Verständnis von Staatlichkeit beigetragen haben. 1 BEGRIFFE Inwieweit man ein Imperium als Staat auffassen will, hängt von der eigenen StaatsGHÀQLWLRQDE$XFKZHQQPRGHUQH'HÀQLWLRQHQXQG.RQ]HSWHKLHUQLFKWLP0LWWHOpunkt stehen sollen, ist doch darauf hinzuweisen, dass in vielen theoretischen Ansätzen Stadtstaaten und Imperien schlicht als zwei Pole einer Skala erscheinen: Beide verfügen über legitime Durchsetzungsmacht und Zwangsgewalt für ein bestimmtes Gebiet, welches sie zentral, mit einem differenzierten System bürokratischer Institutionen regieren.3 Der Begriff imperium wird darüber hinaus in vielen Publikationen diskutiert, letztlich aber in allen Varianten von „republikanischem Reich,“ „imperiale Republik“ oder „Reichsstaat“ gebraucht.4 Auch wenn man sich – in der umgekehrten Perspektive – im Ergebnis nicht Focaults radikaler Verneinung des Staates oder den starken Zweifeln Bourdieus anschließen will, so ist doch im Auge zu behalten, dass diese beiden Autoren durch ihre Ansätze gezeigt haben, welche verschiedenen und z. T. diffusen Formen von Macht in Interaktion und Konsens liegen, die eine Untersuchung von Staatlichkeit nicht übersehen darf und die neben klassische institutionelle Strukturen wie Wirtschaft, Recht, Administration usw. treten.5 In der Alten Geschichte hat Eder hierauf reagiert, indem er es vermied, von ‚Staat‘ in seinen historisch immer kontingenten Varianten zu sprechen, und stattdessen eine breitere Untersuchung von Staatlichkeit als ein „vielgliedriges System von Beziehungen“ vornahm.6 John Ma und Clifford Ando 3

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Vgl. u. a. Mann 1986, 112; Doyle 1986, 19–50 oder Tilly 1992, 1–2. Siehe auch Morris 2009, 128–132, für den die Unterscheidung zwischen Staat und Imperium in der Unvertrautheit zwischen Peripherie und Zentrum liegt, wobei dies in der vorliegenden Untersuchung zumindest hinsichtlich des Konsenses bestritten wird (siehe Punkt 4). Zum Beispiel: Meyer 1964, 8–9 und 224–5; Eder 1990; Burton 2004 („Roman imperial state“); (LFK DQG (LFK  NULWLVFK JHJHQEHU GHU 9RUVWHOOXQJ HLQHV 5HLFKVVWDDW  5DDÁDXE  („imperial city-states“) und 2011; Richardson 2008; Arnason 2011. Vgl. Foucault 2004, 114: „Nun, ich werde Ihnen antworten, daß ich auf eine Staatstheorie verzichte, verzichten will und muß, wie man auf eine schwer verdauliche Speise verzichten kann und muß“ sowie Bourdieu 1994, 1: „To endeavour to think the state is to take the risk of taking over (or being taken over by) a thought of the state.“ Eder 1990, 21: „Der Begriff ‚Staatlichkeit‘ […] könnte eine vorsichtige und historisch-genetiVFKH$QQlKHUXQJDQGHQ6WDDWVEHJULIIHUOHLFKWHUQZHQQPDQGLH7UHQQXQJYRQGHÀQLWRULVFKHP

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können als weitere Beispiele angeführt werden, wie fruchtbar solche Ansätze sind. Obwohl keiner von ihnen direkt die Frage nach Staat oder Staatlichkeit adressiert, haben beide durch die sorgfältige Untersuchung des Diskurses zwischen Zentrum und Peripherie große Fortschritte bei einer Rekonstruktion von konzeptionell wie praktisch komplexen Machtbeziehungen erreicht, Ma für das Königreich der Seleukiden von Antiochos III, Ando für das Römische Reich der hohen Kaiserzeit.7 Diskurs in diesem Sinne meint als halb-technischer Ausdruck ein Arrangement von Ideen, Normen und Werten innerhalb eines von einer größeren sozialen oder politischen Gruppe geteilten Begriffsfelds. Mit und in diesen Diskursen einer Gruppe lassen sich deren Vorstellungen über und Einstellungen zur Welt nachzeichnen, welche ihrerseits Handlungen in der Welt prägen und auslösen. Ein solcher Ansatz führt vor allem dazu, dass sich die folgende Untersuchung nicht nur mit Diskursen über Provinzen, sondern auch mit Diskursen mit Provinzen beschäftigt. Gerade wenn es um Staatsdiskurse unter der Überschrift „Außenkommunikation“ geht, muss immer beachtet werden, wie sowohl die Römer als auch ihre „Untertanen“ Staatlichkeit konzeptionalisierten und diskutierten, und so erst eine gemeinsame Vorstellung davon entwickelten. Für diesen Ansatz sind besonders epigraphische Dokumente von Interesse. Die überlieferten Inschriften bieten ein reichhaltiges Material direkt aus der Sicht der damals handelnden Akteure, ohne MHGHVSlWHUH,QWHUSUHWDWLRQYRQDQWLNHQ+LVWRULNHUQ,QRIÀ]LHOOHQ'RNXPHQWHQZLH U|PLVFKHQ 6HQDWVEHVFKOVVHQ RGHU (QWVFKHLGXQJHQ JULHFKLVFKHU 6WDGWVWDDWHQ ÀQden wir nicht nur, dass verschiedene Mitglieder mit einer Stimme und stellvertretend für die ganze Gemeinschaft sprechen, sondern vor allem auch ein gemeinsam geteiltes Vokabular und semantisches Feld, um die Beziehungen zu- und miteinander zu fassen und auszudrücken.8 Semantik und die hier zu fassende Leistung römischer Herrschaft zeigen in diesen Dokumenten aus dem 2. Jahrhundert schon eine ungefähre Idee von Staatsdiskursen und Staatlichkeit, was später in den Staatsdiskursen des römischen Reiches im 1. Jahrhundert klarer zu fassen ist, gerade mit dem Konzept von provincia.

7 8

Kernbereich und formbildenden Akzidentien akzeptiert. Da nämlich der Staat ein vielgliedriges System sozialer, ökonomischer, rechtlicher, ideologischer und politischer Beziehungen darstellt […] kann sich Staatlichkeit als Summe dieser Komponenten […] allmählich verdichten“. Vgl. auch die Einleitung von Lundgreen in diesem Band. Um Missverständnisse mit modernen VR]LRORJLVFKHQ 'HÀQLWLRQHQ ]X YHUPHLGHQ VROO LP )ROJHQGHQ GLH7HUPLQRORJLH$QZHQGXQJ ÀQGHQGLHYRQ5|PHUQXQG*ULHFKHQVHOEHUEHQXW]WZXUGHres publica, imperium, polis, hegemonia etc. Dennoch folge ich, wie oben gesehen, dem Ansatz von Eder und damit einem breiten Verständnis von Staatlichkeit und keinem engen, institutionellen Konzept von Staat, wobei dies nicht bedeutet, den den Begriff ganz aufzugeben, da er z. B. als Gegensatz zu Reich weiter sinnvoll zu benutzen ist. Ma 1999, 18–21; Ando 2000, 19–48 und 73–78. Einzelne römische Magistrate verwenden z. B. fast ausnahmslos die erste Person Plural in ihrer Kommunikation mit fremden Gebieten; vgl. die gesammelten Inschriften bei Sherk 1969, Nr. 33–70). Von einer griechischen polis dagegen, die ja auch aus einzelnen Bürgern zusammengeVHW]WZDUZXUGHQ%HVFKOVVHLPPHULP6LQJXODUJHIDVVWPLWGHU6WLPPHGHV9RONHVћƣƮƭƤ (vgl. nur Rhodes 1997).

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2IÀ]LHOOH'RNXPHQWHDXVGHP]ZHLWHQ-DKUKXQGHUW]HLJHQGDJHJHQGDVVGLH frühe Form römischer Herrschaft noch ganz ohne das Konzept von provinciae ausgekommen ist – obwohl der Begriff schon Mitte des dritten Jahrhunderts in unseren Quellen auftaucht.9 Polybios zum Beispiel, dessen Historien sich ja gerade mit den *UQGHQXQG8UVDFKHQGHV$XIVWLHJV5RPV]XUDOOHVEHKHUUVFKHQGHQ0DFKW чƯƵҰ  im Mittelmeer befassen, der sein ganzes sechstes Buch der sozio-politischen Ordnung Roms widmet und der zu seinen Lebzeiten die Einrichtung der Provinzen Siziliens, Sardiniens und der zwei Spaniens miterlebt, nimmt an keiner Stelle hierauf RGHUEHUKDXSWDXIGLH3URYLQ]HQ ї›ƠƯƵƤҲƠ %H]XJ10 Man mag dieses Schweigen mit der unvollständigen Überlieferung seines Werkes oder auch seiner genuin hellenistischen Weltsicht erklären, vor allem aber entspricht es jenen zeitgenössischen Inschriften, die ebenfalls eine Vorstellung von römischer Herrschaft vermitteln ohne dabei auf Provinzen zu rekurrieren. So zeigt beispielsweise die lex de provinciis praetoriis aus dem Jahr 100, welche sich mit der Zuteilung der Provinzen zu den Prätoren befasst, dass Kilikien provincia geworden war, um sicherzustellen, dass „römische Bürger, Verbündete, Latiner und alle Völker, die Freunde des römischen Volkes seien, in Sicherheit zur See fahren können und ihr Recht bekommen.“11 Hier haben wir eine umfassende Aufzählung von Gruppen, die von den Römern vor der allgegenwärtigen Piraterie beschützt werden sollten und die als Gemeinschaft das gerade entstehende römische Reich konstituieren – ohne, dass der Begriff von provincia fällt. Genauso ist es noch dreissig Jahre später in Ciceros Unterstützung für die lex Gabinia, Pompeius’ Kommando gegen die Seeräuber. Beides zeigt, dass selbst in der späten Republik Vorstellungen einer Staatlichkeit des Reiches nicht unbedingt mit Provinzen zusammenhängen mussten.12

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Für diese frühe Verwendung von provincia vgl. Plaut. Capt. 156, 158; Cato bei Gell. 6,3,16 (ORF 8,164); C. Gracchus, ORF 48,26; siehe hierzu weiter Richardson 2008, 49–62. 10 'LHHLQ]LJHQ$XVQDKPHQÀQGHQVLFK EH]JOLFKHLQHVJDOOLVFKHQ5DXE]XJVLPQ|UGOLchen Latium im dritten Jahrhundert) und 3,27,4 (bezüglich der Beendigung des ersten puniVFKHQ.ULHJHV DEHUDQEHLGHQ6WHOOHQZLUGї›ƠƯƵƤҲƠLPWUDGLWLRQHOOHQ6LQQHLQHVNRQWUROOLHUten Gebietes benutzt, wie es Polybios auch anderswo hinsichtlich karthagischen oder syrakusanischen Hoheitsgebiets auf Sizilien tut (1,15,10; 1,17,5; 1,38,7; 3,22,10; 3,29,10; 7,4,2) und was keine Konnotation einer administrativen Verwaltung aufweist, vgl. Richardson 1979. SigQLÀNDQWLVWGHU8QWHUVFKLHG]ZLVFKHQ3RO\ELRV·6LFKW0LWWHGHV]ZHLWHQ-DKUKXQGHUWVXQGGHU Auffassung von Strabon aus Augusteischer Zeit (siehe nur Strab. 17,3,25). – Für die griechische Wiedergabe von provincia durch ї›ƠƯƵƤҲƠ vgl. nur Mason 1974, 135–138. 11 &UDZIRUG1U.QLGRV,,²ƮѸƲƤ›ƮƪԃƲƠƨԕƷƫƠҲƷƬƮѸƲƤƱҶƫƫƠƵƮƨ҃ƬҴƫƠƲƮư ƒƠƲҲƬƮƳ҄ƫƮҲƷưƲƤƲԙƬїƧƬԙƬƮѸƲƨƬƤưїƬƴƨƪҲƠƨƲƮԏƣҰƫƮƳԕƷƫƠҲƷƬƤѳƱҲƬ҈›ƷưƫƤƲ· ч>Ʊ@ƴ>Ơ@ƪƤҲƠư›ƪƮҲƥƤƱƧƠƨƣҶƬƷƬƲƠƨƩƠұƲԙ>Ƭ@ƣ>ƨ@ƩƠҲƷƬƲƳƬƵҬƬƷƱƨƬYJO,,,² 12 Cic. Manil. 6: agitur salus sociorum atque amicorum, pro qua multa maiores vestri magna et gravia bella gesserunt. – „Es geht um das Heil der Bundesgenossen und Freunde, für das eure Vorfahren zahlreiche und große Kriege geführt haben (Übersetzung: M. Fuhrmann).

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2 RÖMER ALS FREUNDE UND WOHLTÄTER Gerade im Feld der Außenkommunikation zeigt sich an Hand der frühen Staatsdiskurse, dass römische Herrschaft ohne Provinzen auskam und ohne deren EinrichWXQJZDKUJHQRPPHQZXUGH-HGHQIDOOVWDXFKWLQGHQRIÀ]LHOOHQ'RNXPHQWHQYRU dem ersten Mithridatischen Krieg, der hierfür einen Wendepunkt markiert, der Begriff provincia RGHUї›ƠƯƵƤҲƠ QXUVSlUOLFKDXI13 Kommunikation und Verhandlungen zwischen Staaten beruhte stattdessen auf einem Reziprozitätsverhältnis, geprägt vom Ethos und der Idee städtischer Automonie. Die Schlüsselwörter für diese frühe Phase lauten Freundschaft (amicitia ƴƨƪҲƠ  %QGQLV societas; ƱƳƫƫƠƵҲƠ  :RKOIDKUW salus ƤғƬƮƨƠ  :RKOWDWHQ EHQHÀFLD ƤҏƤƯƢƤƱҲƠ ƴƨƪҬƬƧƯƷ›Ơ  XQG VRJDU )UHLKHLW libertas їƪƤƳƧƤƯҲƠ ƠҏƲƮƬƮƫҲƠ  VLH SUlJHQ die Staatsdiskurse und damit auch die beginnende Staatlichkeit des römischen Reichs. Eine der frühesten römischen Verhandlungen mit östlichen poleis zeigt eindringlich diese reziproke Form von Herrschaft: 193 schreibt der Praetor M. Valerius Messala an das Volk von Teos, um ihnen mitzuteilen, dass man sie unbehelligt von römischer Besteuerung lasse. Dabei führt er aus: „wir wollen versuchen, die Ehren IU'LRQ\VLRVXQG*XQVWEH]HXJXQJHQ ƴƨƪҬƬƧƯƷ›Ơ IU(XFK]XVWHLJHUQVRLKU GHQQDXFKXQVJHJHQEHULQGHU=XNXQIW:RKOZROOHQ ƤғƬƮƨƠ ]HLJW´14 Die Bedeutung der teischen Gesandtschaft nach Rom und Messalas Antwort liegt darin, dass die Römer sehr wohl Steuern hätten erheben können, so sie es denn gewollt hätten, die Art und Weise der Kommunikation insgesamt aber komplett in einem Diskurs der Reziprozität verläuft.15 Im weiteren Verlauf dieses Staatsdiskurses werden solche expliziten Formulierungen seltener, doch die reziproke Grundidee wird beibehalten: So lange sich griechische poleis gutwillig und loyal verhalten, sind römische Wohltaten zu erwarten. Umgekehrt gilt, dass wenn die Römer die Griechen gut und zuvorkommend behandeln, diese ihnen die Gunst ihrerseits wiederum mit Wohltaten und Loyalität vergelten.16 Zum Ende der Republik wird Cicero nostalDie Ausnahmen sind: SIG3 700, Z. 31–36 (Lete, 117); SIG3 683, Z. 63–66 (Olympia, 140); Sherk 1969, Nr. 44 (Theben, 112); Roberts 1989, Menippos I.39–40, II.4–5 (Kolophon, ca. 110); Crawford 1996, Nr. 12 (siehe Anm. 37 unten, Delphi und Knidos, 101). Für Beispiele aus späterer Zeit siehe unten die Anm. 73–76. 14 6KHUN  1U  = ² ƲҬ ƲƤ Ƥѳư ƲҳƬ ƧƤҳƬ ƲҲƫƨƠ ƩƠұ Ʋҫ Ƥѳư ҐƫӮư ƴƨƪҬƬƧƯƷ›Ơ ›ƤƨƯƠƱҴƫƤƧƠƱƳƬƤ›ƠҶƭƤƨƬƣƨƠƲƦƯƮҶƬƲƷƬҐƫԙƬƩƠұƤѳưƲҳƫƤƲҫƲƠԏƲƠƲүƬ›ƯҳưѤƫӮư ƤғƬƮƨƠƬYJO6KHUN1U=²² 15 Sherk 1969, 215 f. zu Folge handelt es sich um ein „simple statement recognizing the city’s immunity and freedom without any implication of Roman authority in the area.“ Dagegen hat Ma 1999, 101 bezüglich der Passage zurecht einige Fragen aufgeworfen: „Are the Roman authorities exempting the Teians from tribute, as if they had any right or claim to levy tribute from a community within the Seleukid empire – hence assuming a discursive position normally reserved for the ruling power? Or is the meaning that the Teians can be asyloi and free from tribute with the consent of the Roman people?“ In beiden Fällen nehmen die Römer die Gesandtschaft zum Anlass, ihre Autorität zu betonen und freundlich aber bestimmt auf die Möglichkeit hinzuweisen, sich in teiische Steuerfragen einmischen zu können, so sie es denn wollten. 16 Siehe hierfür z. B. den von verschiedenen Städten und Königen im zweiten und frühen ersten Jahrhundert immer wieder aufgestellten Text der Kapitolinischen Inschrift (vgl. IGUR Nr. 5–20; siehe dazu den Kommentar von Kallet-Marx 1995, 228).

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gisch an diese ursprüngliche Form römischer Herrschaft erinnern, die man ihm zu Folge auch nicht als imperium, sondern besser als patrocinium (Vertretung, Schutz) aufzufassen habe.17 Patrocinum ist für Cicero insoweit auch ein besserer Begriff, als sich römische Herrschaft ihm zufolge auf Wohltaten (EHQHÀFLD) gründete, was, wie sich zeigt, auch nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Das römische Volk wurde, ebenso wie GLH3HUVRQLÀNDWLRQRomaMHGHQIDOOVKlXÀJDOV:RKOWlWHU їƳƤƯƢҮƲƦư JHSULHVHQ18 Als dann die Macht der Römer wuchs, wurde der populus Romanus bald nicht mehr QXUDOVHLQ:RKOWlWHUXQWHUPHKUHUHQVRQGHUQDOVGHUXQLYHUVDOH:RKOWlWHU ƩƮƨƬҳư їƳƤƯƢҮƲƦư VFKOHFKWKLQDQJHVHKHQ19 'LHVHV(SLWKHWRQLVWVLJQLÀNDQWIUGDV9HUhältnis zwischen Römern und den griechischen Städten: Es bleibt von der Anlage her reziprok, ist dabei aber klar asymmetrisch. Das Volk von Magnesia hat sich beispielsweise gerühmt, „alles von den Römer als universale Wohltäter GeschrieEHQH ƢƯƠƴƮƫҮƬƠ EHIROJW]XKDEHQ´20 Wie Erskine angemerkt hat, ist das Epitheton zwar grammatikalisch belanglos, spielt aber eine wichtige Rolle für die Möglichkeit, die römische Macht im lokalen Kontext zu verorten und den Gehorsam gegenüber der römischen Autorität entweder zu verdecken oder aber zu rechtIHUWLJHQ'LHƢƯƠƴƮƫҮƬƠGHU5|PHUYHUVWDQGHQDOVLKUH9RUVFKULIWHQHUVFKHLQHQ so im Kontext von Zugeständnissen und als Teil des großen Bildes von Rom als Wohltäter und internationalem Mittler.21

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Cic. off. 2,26 f.: 9HUXPWDPHQTXDPGLXLPSHULXPSRSXOL5RPDQLEHQHÀFLLVWHQHEDWXUQRQLQiuriis, bella aut pro sociis aut de imperio gerebantur […] itaque illud patrocinium orbis terrae verius quam imperium poterat nominari – „Aber solange die Herrschaft des römischen Volkes auf Wohltaten und nicht auf Untaten beruhte, wurden die Kriege entweder für unsere Verbündeten oder zur Sicherung unseres Reiches geführt; […] Deshalb könnte man dies mit größerer Berechtigung ‚Schirmherrschaft über den Erdkreis‘ nennen statt ‚Vorherrschaft‘“ [Übersetzung: R. Nickel]. Vgl. Sall. Iug. 102,6; Diod. 32,4,4–5; siehe dazu: Badian 1984; Ferrary 1988, bes. 131. 18 Vgl. nur IG X.2.1.4; I.Delos 1778; OGIS 441, Z.135; Balland, F. Xanthos VII 18–19; I.Assos 20. Siehe allgemein Mellor 1975, 107–109 und Price 1984, 40–47. Für die griechische Tradition des Euergetismus siehe Gauthier 1985, 39–53 und Veyne 1990, 70–200; vgl. dazu Arist. Pol. 1285b12, 1286b11, 1310b35–36; Diod. 6,1,2. 19 SIG3 630, 685, 702, 704f; IG XII.9.899; IG XII Suppl. 692; CIG 5131; I.Iasos 152; I.Metrop. (Hauptseite); SEG XXXIV.1198; I.Mylasa 111; Sherk 1969, Nr. 15; I.Ephesos. 8; Habicht, AM 72 (1957), 67; Robert 1969, 52–53; vgl. ebenfalls Ios. ant. Iud. 14,257; Diod. 27,18,2; siehe allgemein Erskine 1994. 20 SIG3 685, Z. 21–22; vgl. Erskine 1994, S. 77–79. Siehe hierzu die Bemerkung von L. Robert ÅWKHH[SUHVVLRQ>ƩƮƨƬҳưƤҏƤƯƢҮƲƦư@LVQHLWKHUHPSW\QRUERPEDVWLFQRUGLVJUDFHful: it is well due to one who brings about or returns liberty“. Als Beleg sei auf I.Metrop (Hauptseite) verwiesen. Man muss aber sehen, dass die griechischen Städte durch die Rede von den 5|PHUQ DOV XQLYHUVDOHQ :RKOWlWHUQ GLHVH EHU DOOH DQGHUHQ VWlGWLVFKHQ ƤҏƤƯƢҮƲƠƨ VWHOOWHQ auch über hellenistische Könige (siehe u. a. SIG3 630, Z. 16–18). 21 6LHKH]%,,DVRV,*;,,'LH,GHQWLÀNDWLRQGHU5|PHUDOVXQLYHUVDOHU:RKOWlWHU erlaubt es umgekehrt der Stadt, ihre Ausführung römischer Wünsche als freie Entscheidung GDU]XVWHOOHQZHOFKHQXUDXI*UXQGPRUDOLVFKHU9HUSÁLFKWXQJHQJHJHQEHUGHPDOOHQ*ULHFKHQ wohlgesonnen römischen Reich getroffen wurden.

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Zentrales Element für diese im Osten entstehenden Staatsdiskurse ist neben dem Begriff Euergetismus vor allem der Begriff der Freundschaft.22 Unzählige 6WlGWHZHUGHQLQGHURIÀ]LHOOHQ$X‰HQNRPPXQLNDWLRQDOVÄ)UHXQG¶ amicusƴƨƪҴư bezeichnet, und aus den Quellen geht hervor, dass es zum Standardrepertoire von Gesandtschaften gehörte, bei Anhörungen vor dem Senat als erstes die Freundschaftsbekundungen zum römischen Volk zu erneuern, was wiederum vom Senat gegenüber der Gesandtschaft erwidert wurde.23 Im Idealfall war dies Ausdruck eiQHU IUHLZLOOLJHQ %H]LHKXQJ XQDEKlQJLJHU 6WDDWHQ GLH HLQH PRUDOLVFKH 9HUSÁLFKtung gegenseitiger Unterstützung nach sich zog. Nach Livius sollen die Römer noch im Jahr 198 die Ansicht vertreten haben, dass ihre amici frei seien, dem römischen Volk aus eigenem Entschluss Hilfe zu gewähren oder zu versagen und auch römische Anfragen in dieser Hinsicht anzunehmen oder auch abzulehnen.24 In dem Maß, wie die römische Herrschaft immer mächtiger wurde, veränderte sich ein solches Verständnis, wobei es interessant ist, zu beobachten, dass noch in der Zeit des ersten Mithridatischen Krieges (89–84) Q. Oppius das Volk von Aphrodisias explizit als amicus lobt, ihm während seiner Belagerung in Laodicea zu Hilfe gekommen zu sein und die Aphrodisier dies ebenfalls als freiwillige Handlung beschreiben.25 In diesem Sinn bezeichnet die Rede von „Wohltäter“ oder „Freund“ in den griechisch-römischen Staatsdiskursen des zweiten Jahrhunderts gerade keine Formen von Unterordnung zwischen Herrscher und Beherrschten. Dennoch bleibt es offensichtlich, dass diese Diskurse asymmetrisch ver- und damit auf eine römische Vorherrschaft hinaus laufen – alles noch ganz ohne provinciae.26 Als im Lauf der Zeit die römische Vorherrschaft immer weniger in Frage gestellt werden konnte, wurden auch die gegenseitigen Beziehungen klarer unter dem 22 $OVZHLWHUHU7HLOGLHVHUJHJHQVHLWLJHQ9HUSÁLFKWXQJHQXQG9HUELQGXQJHQLVWDXFK3DWURQDJH]X nennen, wobei sich hier aber der Fokus verschiebt: Der populus Romanus tritt an keiner Stelle als städtischer Patron auf, es bleibt einzelnen, individuellen Römern überlassen, Patron einer Stadt zu werden, meist nachdem die Stadt darum gebeten hatte und sich ihnen (oder den Römern allgemein) besonders verbunden erwiesen hatte. Vgl. Reynolds 1982, Nr. 2–3 oder Eilers 2002, bes. 23–27. 23 So u. a. Sherk 1969, Nr. 10a, 12, 15, 16, 18, 20d, 21i, 26; ISE Nr. 155; vgl. auch Liv. 40,58,9; 44,14,4; Polyb. 28,1; 31,3,1; 32,10,3; 33,18,1–4; Ios. ant. Iud. 13,5,8. 24 Liv. 32,8,14: semper populum Romanum alienis rebus arbitrio alieno usum; et principium et ÀQHPLQSRWHVWDWHPLSVRUXPTXLRSHVXDYHOLQWDGLXWRV5RPDQRVHVVH. – „Immer habe das römische Volk, von dem, was Fremden gehöre, nur nach deren Gutdünken Gebrauch gemacht; sowohl der Anfang wie das Ende liege in der Hand derer, die mit ihrer Macht die Römer unterstützen wollten“ (Übersetzung: H. J. Hillen). Im Gegensatz dazu bat Rhodos den Senat um eiQHQIRUPDOHQ9HUWUDJ 3RO\E² XPQDFKLKUHP.RQÁLNWPLW5RPQXQGLHDEVROXWH Sicherheit römischer Unterstützung zu haben. Für den Gebrauch von Freundschaft in zwischenstaatlichen Beziehungen hellenistischer Gemeinwesen, siehe Konstan 1998 oder L. Mitchell 2009. 25 5H\QROGV1U EHV=²ї›ҮơƠƪƪƤƬƱƳƫƫ>Ҭ@ƵƮƨưчƢƠƧƮԃưƩƠұƴҲƪƮƨưƣҰƫƮƳ ԕƷƫƠҲƷƬ›ƮƨӸƱƠƨ XQG1U ћƩƯƤƨƬƤƬƤѸƪƠƲƮ>=@ƣƤƣҴƵƧƠƨƲԚƣҰƫԗјƪҮƱƧƠƨ>=@ ƤѴƪҬƫƤƧƠ>=@XQG›ƯƮƠƨƯƮҶƫƤƧƠ>=@ YJODXFKGLH%HUXIXQJGHU5|PHUDXIamicita im Vorfeld des Krieges gegen Perseus: SIG3 613b (siehe dazu Bousquet, BCH 105 [1981], 407–416); Sherk 1969, Nr. 22; ISE 42; Liv. 42.37.2–7. 26 Siehe nur Sherk 1969, Nr. 10, Z. 14–19; Nr. 35, Z. 10–12; I.Iasos 152, Z. 4–7; Polyb. 21,32,2; 24,9–13; Liv. 35,16,2–4; 39,37,14; Cato bei Gell. 6,3,16.

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Vorzeichen einer Staatlichkeit des Reiches gefasst. Die Rede von amicitia zum Beispiel bekam auch juristische Implikationen: Mitte des zweiten Jahrhunderts verfasste der Senat eine Schiedsformel, nach der er umstrittenes Land zuteilen konnte an „wen auch immer, der es zum Zeitpunkt seiner Freundschaft mit Rom besessen KDWWH´DEY&KUKDWHVGD]XLQ5RPHLQH$UWRIÀ]LHOOHV5HJLVWHUGHU)UHXQGH Roms gegeben (formula amicorum).27 Allgemein gesprochen hatten diejenigen, die von den Römern solcherart als Freunde angesehen wurden, entsprechende Belohnungen zu erwarten, was z. T. zu außergewöhnlichen Formen von Treueschwüren führte. So im Fall der Thasier, die versprachen, eher sich selbst, ihre Frauen und Kinder umzubringen, als die Freundschaft zu den Römern zu verraten (und sich mit Mithridates zu verbünden)!28 Noch eindrücklicher sind die Beispiele, in denen die Freundschaft zu Rom gleichsam als politischer Lackmustest in rein griechischen Staatsdiskursen auftaucht, wie im Versprechen der Delphischen Amphiktonie von 182, allen wohlgesonnen zu sein, „deren Könige die Freundschaft zu Rom, dem universalen Wohltäter, bewahren und dadurch für die Griechen Gutes bewirken.“29 Hier wird die amicitia populi Romani von der delphischen Amphiktonie als etwas Unhintergehbares betrachtet, dem alle internationalen Akteure unterworfen sind. Eine solche Sicht ist auch nicht völlig falsch, stellt man auf das römische Gefühl HLQHU 9HUSÁLFKWXQJ JHJHQEHU LKUHQ )UHXQGHQ XQG 9HUEQGHWHQ DE ZLH VLH VLFK z. B. beim oben erwähnten Vorgehen gegen Piraten gezeigt hat.30 Am Ende resultierte aus dieser Entwicklung aber, dass aus der Rede von amicitia de facto ein Anspruch auf Loyalität gegenüber dem römischen imperium wurde, der entweder PLW:RKOWDWHQEHORKQWZXUGHRGHUDEHULP.RQÁLNWIDOO]XJHJHQVHLWLJHQ%HVFKXOdigungen führte.31 Auch libertas wurde zwar immer wieder gerühmt und für die *ULHFKHQDOVQDWXUJHJHEHQDQHUNDQQWHQWZLFNHOWHVLFKDEHU]XHLQHPVSH]LÀVFKHQ Rechtsstatus innerhalb des Reiches: Der Status einer „freien Stadt“ (civitias libera) 27

Sherk 1969, Nr. 7 und 9; Ager 1996, 27. Für die formula amicorum siehe Sherk 1969, Nr. 22, Z. 12 (lateinisch) und 24–26 (griechisch), Liv. 43,6,10; 44,16,7, sowie Snowdon 2014. 28 6KHUN1UIUJ&=²ƱƳƬƮƫҴ>ƱƠƱ@ƧƠƨјƠƳƲƮҵưƲҮƩƬƠƱƳƬơҲƮƳưчƬƤƪƤԃƬƩƠұ ƲƠԃư ƲԙƬ ›ƮƪƤƫҲƷ>Ƭ@ ƣƳƬҬƫƤƱƨƬ ›ƠƯƠƲҬƭƠƱƧƠƨ ƩƠѳ Ʋҫ ›ƬƤҶƫƠƲƠ Ґ›ҭƯ ƲԙƬ ƣƦƫƮƱҲƷƬ ›ƯƠƢƫҬƲƷƬ ѤƫƤƲҮƯƷƬ їƬ ƲӸƨ ƵƯƤҲƠƨ ч›ƮơƠƪƤԃƬ ƫҬƪƪƮƬ ѥ ћƬ ƲƨƬƨ ƩƠƨƯԙƨ ч›ҳ ƲӸư ƲƮԏ ƣҰƫƮƳƲƮԏԕƷƫƠҲƷƬƴƨƪҲƠưч›ƤƱƲƠƲƦƩҮƬƠƨƣҴƭƷƱƨƬ 29 SIG3  = ² >ƮѴ яƫ@ƴƨƩƲҲƮƬƤư ƴƠҲƬƷƬƲƠƨ ї›ƠƩƮƪƮƳƧƮԏƬƲƤư ƲƮ>ԃư@ чƭƨƮƳƫҮƬƮƨư >ƩƠұƲƨƫԙƬƲƤưƲ@ԙƬơƠƱƨƪҮƷƬ҈ƱƮƨƣƨƠƲƦƯƮԏƬƲƤưƲүƬ›ƯҳưԕƷƫ>ƠҲ@ƮƳưƲƮҵưƩƮƨƬƮҵư >ƤҏƤƯƢҮƲƠư ƴƨƪҲƠ@Ƭ чƤҲ ƲƨƬƮư чƢƠƧƮԏ ›ƠƯƠҲƲƨƮƨ ƢҲƬƮƬƲƠƨ Ʋ>Ʈԃư@ ѢƪƪƦƱƨƬ YJO ,263( I.402 (ein Eid zwischen Pharnakes und Chersonesos, sich gegenseitig zu verteidigen, so lange Freundschaft sowohl untereinander als auch zu den Römern bestand); Reynolds 1982, Nr. 1, Z. 10–20; SIG3 675, Z. 8–12 und 20–22. 30 Siehe dazu oben die Anm. 11–12; vgl. die lex de repetundis (Crawford 1996, Nr. 1), Z. 1: [Quoi socium no]minisve Latini exterarumve nationum, quoive in arbitratu dicione potestate amicitiav[e populi Romani]. Noch ganz am Ende der hier untersuchten Zeit wollen Augustus und der römischen Senat die Gesetze gegen Provinzausbeutung verbessern, und zwar „zur SiFKHUKHLW GHU9HUEQGHWHQ GHV U|PLVFKHQ9RONHV´ чƬӸƩƮƬ ƣҭ Ƥѳư ƲүƬ ƲԙƬ ƲƮԏ ƣҰƫƮƳ ƲƮԏ ԕƷƫƠҲƷƬƱƳƫƫҬƵƷƬчƱƴҬƪƦƠƬ ZRPLWVLHNRQNUHWGLH6WlGWHYRQ.\UHQHPHLQHQ 6KHUN 1969, Nr. 31, Z. 76–77, 88–89). 31 Polyb. 18,46,14; I.Metrop. (Hauptseite); ILLRP 176; Snowdon 2008; contra Dmitriev 2011, demzufolge libertas nur ein politischer Slogan gewesen sei.

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bildete so eine Art Belohnung und bedeutete, dass die Stadt rechtlich wie eine „Stadt außerhalb der Provinz“ aufgefasst wurde.32 Die Außenkommunikation im zweiten und frühen ersten Jahrhundert konzentrierte sich somit auf städtische Autonomie und reziproke Beziehungen, ausgedrückt in Diskursen von Euergetimus und Freundschaft. Dieser Grundgedanke der Reziprozität bildete die Struktur der entVWHKHQGHQXQGVLFKZHFKVHOVHLWLJEHHLQÁXVVHQGHQ6WDDWOLFKNHLWXQGNDQQVRPLWDOV frühe Phase von Staatsdiskursen gelesen werden – noch vor der Entstehung reichsweiter Institutionen wie der Einrichtung von provinciae. Auf der einen Seite leuchtet sofort ein, dass die Griechen mit dieser frühen Form der Staatsdiskurse gut leben konnten. Auf der anderen Seite ist es aber noch wichtiger, zu betonen, dass diese Form der Kommunikation auch den tatsächlichen Herrschaftsmöglichkeiten bzw. -limitierungen der Römer und ihres Stadtstaates entsprach. Die res publica war nicht dafür geschaffen, ein riesiges Imperium mit vielen anderen Stadtstaaten darin effektiv zu kontrollieren und zu verwalten; und vor Augustus gab es auch kein Interesse der Römer, ihre sozio-politische Ordnung derart (und d. h. radikal) zu verändern, um den Voraussetzungen einer reichsweiten Herrschaft Genüge zu tun.33 Der letzte Aspekt zeigt sich besonders deutlich, wenn jetzt im nächsten Punkt die Staatsdiskurse bezüglich der Provinzen untersucht werden. 3 PROVINCIAE UND IMPERIUM Unter provincia wurde traditionell zunächst eine temporäre, meist militärische Aufgabe oder schlicht der einem römischen Magistraten aufgegebene Verantwortungsbereich verstanden. So wurde beispielsweise „die Flotte“ oder – dem eingangs zitierten Brief Ciceros an Quintus folgend – ein bestimmter Krieg einem Praetor oder Konsul als provincia zugelost.34 Andersherum betrachtet: Während Makedonien zum ersten Mal 211, eben für den ersten Makedonischen Krieg, und dann noch zweimal bei den Kämpfen gegen Philip und dessen Sohn Perseus als provinica bezeichnet wurde, war das Gebiet in der Zeit zwischen den Kriegen (204–201, 194– 172 und 166–150) gerade keine provincia.35 Cicero selbst benutzt provincia in dieVHPXQVSH]LÀVFKHQ6LQQQRFKLQGHUVSlWHQ5HSXEOLN9HOOHLXV3DWHUFXOXVGHU]X 32

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Vgl. Bernhardt 1985; Snowdon 2008. Die Formulierung „außerhalb der Provinz“ stammt aus dem Beschluss der Kolophonier für Menippos (Robert 1989, II.4), dazu später mehr. Die Bedeutung von civitas libera DOVVSH]LHOOHU6WDWXVÀQGHWVLFKGHXWOLFKLQGHU*HRJUDSKLHGHV5HLches von Plinius (n. h. III–VI passim). Vgl. Lintott 1993 und Kallet-Marx 1995. Siehe aber auch die provokanten Bemerkungen von Runicman 1990, demzufolge der antike Stadt-Staat „doomed to extinction“ gewesen sei, worauf sowohl Morris 2009 als auch der vorliegende Aufsatz eine Art Antwort darstellen. Vgl. generell Lintott 1981 und 1993 sowie Richardson 2008. Für die zweifelhafte Etymologie siehe Festus p. 283 Lindsay; Donatus comm. Ter. (Phorm.) 22–24; Isid. orig. 14,5,19; Bertrand 1982. Für den ersten makedonischen Krieg: Liv. 26,22,1; 26,28,9; 27,7,15; 27,22,10; 29,12,1–2; für den zweiten: Liv. 31,6,1; 32,1,2; 32,8,4; 32,28,9; 33,25,1; 33,43,6; für den dritten: Liv. 42,32,5; 43,15,3; 44,17,10; 45,16,2; vgl. auch Richardson 2008, 24 f.

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einer Zeit schreibt, als provincia eigentlich schon die klare und feste Bedeutung als ein ‚Teil des Reiches‘ angenommen hatte, bezeichnet noch die Gebiete der Aetolier, Galater, Illyrer und Skordisker als redacta in formulam provinciae.36 Die semantische Bandbreite des Wortes und des Konzepts wird besonders in der oben bereits erwähnten lex de provinciis praetoriis deutlich, wenn unter provincia ї›ƠƯƵƤҲƠ  nicht nur die regulär festgesetzten Provinzen Makedonien und Kleinasien, sondern auch kleine Gebiete innerhalb dieser – wie die thrakische Chersonesos, Kainike und Lykaonien – sowie schlicht das einem Magistraten zugesprochene Gebiet verstanden werden.37'LHVHXQVSH]LÀVFKH$XIIDVVXQJHUNOlUWDXFKZDUXPHVVRVFKZLHULJ ist, den genauen Inhalt dieses Gesetzes zu verstehen, das Kilikien zur einer prätoriVFKHQ3URYLQ] ї›ƠƯƵƤҲƠƱƲƯƠƲƦƢƨƩҰ HUNOlUWH38 Im zweiten Jahrhundert waren ganz selbstverständlich jedes Jahr die gleichen provinciae festgelegt worden, Sizilien, Sardinien und die beiden Spanien, doch selbst diese galten in der überwiegenden Zeit der römischen Republik nicht als Y|OOLJ NODU GHÀQLHUW *HELHWH GHU res publica. Es gibt keine Hinweise, dass diese feststehenden Provinzen mit einer provinzialen Satzung (wie einer lex provinciae) ausgestattet gewesen wären. Im Gegenteil, die Magistrate in der Provinz waren noch bis in die späte Republik hinein selbstverantwortlich für rechtliche Maßnahmen: Durch ihr jährliches edictum provinciale suchten sie die Fälle, die sie anhören wollten, ebenso aus, wie die Gesetze, nach denen sie entscheiden wollten – vergleichbar den Prätoren in Rom, in der provincia urbana.39 Ciceros eigenes Edikt zeigt den Umfang wie auch die Begrenzung römischer Macht in diesen provinciae: $XIGHUHLQHQ6HLWHZHUGHQHLQH9LHO]DKOYRQORNDOHQ0DWHULHQZLH6WDGWÀQDQ]HQ Schulden, Zinssätze, Verträge, Steuern und Besitzrechte berührt. Auf der anderen Seite wird, schon aus Praktikabilitätserwägungen heraus, den Städten für den größten Teil alltäglicher lokaler Rechtsprechung und Verwaltung Autonomie ƠҏƲƮƬƮƫҲƠ JHZlKUW40 In der römischen Verfassungswirklichkeit, in der militärische gloria als kostbarste soziale und politische Währung galt, konnte sich auch kein gesonderter administrativer Apparat in den Provinzen entwickeln, der die Machtposition eines Magistraten geschwächt oder zumindest eingeschränkt hätte. Man muss hier nur an die Verbindung von ambitus-Gesetzgebung und die Erhö36

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Cic. Verr. 2,1,104; Mur. 41; Vat. 12; Scaur. 23; Vell. Pat. 2,38–39. Für weitere Beispiele aus der späten Republik siehe Richardson 2008, 79–81 (Cicero), 94 (Caesar), 100 (Sallust) und 101 (Varro und Nepos). Für Text, Kommentar, Bibliographie und eine (englische) Übersetzung der lex de provinciis praetoriis siehe Crawford 1996, Nr. 12 (231–270): Knidos col. II, l.16 und IV l.12 und l.25 (Makedonien); col. III, l. 23 (Kleinasien); col. III, l. 25–27 (Lykaoinien, wozu Crawford anPHUNW Å7KH FODXVH VHHPV WR UHÁHFW WKH DPELJXLW\ ZKLFK KDV HPHUJHG LQ /DWLQ E\ WKLV GDWH between the original sense of provincia as a sphere of activity and the later territorial sense“); col. IV, l. 10 (Chersonesos, Kainike); col. III, ll. 6–7 (in einem allgemeinen Sinn). Für die Wiedergabe von provinciaGXUFKї›ƠƯƵƤҲƠVLHKH0DVRQ² Knidos III, Z. 31–37. Vgl. die verschiedenen Diskussionen von Hassall/Crawford/Reynolds 1974, 211; Ferrary 1977, 637–45; Harris 1979, 153; Sherwin-White 1984, 99; Kallet-Marx 1995, 233–5 und Crawford 1996, 261 f. Vgl. Lintott 1993, Kallet-Marx 1995, 18–21 oder Hoyos 1973. Vgl. z. B. Cic. Att. 6,1,15 oder die lex de provinciis praetoriis, Knidos col. IV, Z. 32–37.

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hung der jährlich zu besetzenden Prätorenstellen denken.41 Wenn es dementsprechend bei dem Modell blieb, dass ein einzelner, jährlich gewählter Imperiumsträger mit – so keine Kampagne anstand – nicht mehr als einem Dutzend Männer in seine provincia aufbrach, um dort nach dem Rechten zu sehen und sich um das Wohlergehen und die Sicherheit der Bewohner der Provinzen zu kümmern, ist klar, dass GHVVHQ(LQÁXVV]HLWOLFKXQGUlXPOLFKOLPLWLHUWEOLHEXQGHLQ(LQPLVFKHQLQGLH$Qgelegenheiten der meisten Städte unterblieb, so es nicht ausdrücklich gewünscht war.42 Bei solchen institutionellen Einschränken ist es demnach nicht völlig überraschend, den Status einer „freien Stadt“ (civitas libera), d. h. einer Stadt nominell außerhalb der Provinz und damit außerhalb der Rechtssphäre des Magistraten, zu ÀQGHQ43 Aber auch die Städte ‚in‘ einer Provinz konnten sich durchaus eines großen Maßes an rechtlicher, administrativer und sogar militärischer Unabhängigkeit erfreuen, was sich auch in ihrer Bezeichnung niederschlägt, denn sie wurden nicht als unfreie oder abhängige Städte, nicht einmal als „Provinzstädte“ bezeichnet, sondern schlicht als Steuerzahlende (stipendariae).44 Dass es auf der einen Seite keine klaren Provinzstädte und auf der anderen Seite aber noch Gebiete freier Städte und sogar autonomer Königreiche gab, die eine römische provincia durchziehen und sogar aufteilen konnten, bedeutete, dass die geographische Landkarte der Provinz genauso unzusammenhängend blieb wie die administrative und mentale.45 Während einige Gesetze, wie die lex Porcia, welche Magistraten untersagte, ihre Armee außerhalb der Grenzen ihrer Provinz zu führen (außer rei publicae causa), offenVLFKWOLFK9RUVWHOOXQJHQJHQDXHU*UHQ]HQLPSOL]LHUHQXQG3URYLQ]HQDOVGHÀQLHUWH Gebiete auffassen, spiegelt eine Äußerung Ciceros zweifelsohne eine von römi-

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Die ohnehin große Konkurrenz um das Konsulat wurde durch die Erhöhung der Prätorenstellen XQGGDPLWGHU$Q]DKOTXDOLÀ]LHUWHU.DQGLGDWHQIUGDV2EHUDPWQRFKYHUVFKlUIWGDKHUVLQG gerade in solchen Jahren immer wieder Hinweise auf Gerichtsverfahren gegen Bestechungen (ambitus ]XÀQGHQ9JO+DUULV%UHQQDQRGHU%HFNEHV²]XGHQNHQ ist z. B. an die (nur kurze Zeit geltende) lex Baebia von 180, welche die Anzahl der jährlich zu wählenden Prätoren auf abwechselnd vier und sechs festlegte und damit wohl den Konkurrenzkampf um gloria entschärfen und gleichzeitig den Bedarf der wachsenden provinciae bedienen wollte, so Brennan 2000, 169–173; siehe auch unten Anm. 47. 42 Vgl. Marshall 1966. 43 5REHUW0HQLSSRVFRO,,O ƲӸưї›ƠƯƵƤҲƠưћƩƲƮư YJO,² ƲӸưї›ƠƯƵƤҲƠưч›ҳ ƲӸưƠҏƲƮƬƮƫҲƠưƵƷƯƨƱƧƤҲƱƦư  44 Vgl. Ferrary 1999, 71–76. Für die civitates stipendariae siehe Crawford 1996, Nr. 2, Z. 76–80; Plin. n.h. III–VI passim; Jones 1939 (110: „It may be noted that no satisfactory term for the QRQIUHHFLWLHVZDVHYHUHYROYHG²LWZRXOGEHGLIÀFXOWLQGHHGWRÀQGRQHZKLFKZDVQRWLQYLdious.“); Jones 1971, bes. 520–521. Am nächsten kommen einer Sprache der Unterordnung in UHSXEOLNDQLVFKHU=HLWQRFK)RUPXOLHUXQJHQLQELODWHUDOHQ9HUWUlJHQZLH҄ƣӸƫƮưԕƷƫƠҲƷƬ ƩƠұƮѴҐ›·ƠҏƲƮҵưƲƠƱƱƮƫҮƬƮƨ 6(*/,,, 6LHKHIUGLHDXJXVWHLVFKH=HLW6KHUN Nr. 31, Z. 81; interessanter ist aber der Kontrast zu den Athenern, die abhängige Städte ganz QRUPDODOVDOVҐ›ҰƩƮƮƨEH]FLKQHWKDEHQ ]%7KXN  45 In der frühen provincia Asia war beispielsweise das Gebiet von Lycaonia vom Rest der Provinz durch das von kappadokischen Königen kontrollierte Pamphlien getrennt (Iust. 37,1,2; Crawford 1996, Nr. 12). Das Königtum Kappadokien trennte weiter auch Kilikien, was z. B. bedeutete, dass der Prokonsul Cicero, um den Ostteil seiner Provinz zu verwalten, durch das Königtum hindurch reisen musste (Cic. fam. 15,2).

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schen Beamten vielfach geteilte Meinung wieder, nämlich, dass eine provincia „nur soweit reicht, wie unsere Schwerter und Speere.“46 Für einen großen Teil der Republik war eine provincia damit zwar Teil der Staatlichkeit Roms, aber nur verstanden als Aufgabenbereich eines magistratischen imperium, nicht im Sinne eines territorial abgegrenzten Bereichs, in dem das römische Volk permanent Kontrolle ausübte. Doch führte die Praxis der fortwährenden jährlichen Zuordnung der gleichen provinciae letztlich in die Richtung von stabilen, administrativen Einheiten des Staates. Und die Entscheidungen 228 und 197, die Anzahl der jährlich zu wählenden Praetoren zu erhöhen, gerade um jedes Jahr genügend Magistrate nach Sizilien, Sardinien und die beiden Spanien schicken zu können, war ein weiterer Schritt hin zu den Provinzen als partes rei publicae. Brennan sieht dann hierin auch einen Beleg für eine neue Vorstellung eines standardisierten ordo provinciarum.47 Demgegenüber meine ich, in der Folge von Richardson, dass doch erst Sullas Neuorganisation im Jahre 80 den wirklich entscheidenden Schritt hin zu einem eindeutigen Konzept von provinciae als feste und strukturelle Elemente des imperium Romanum dargestellt hat.48 Dessen Entscheidung, die Anzahl der Praetoren auf acht zu erhöhen und damit genau den neuen Aufgabenbereiche anzupassen bedeutete, dass es (mit den Konsuln gerechnet) immer genau so viele jährlich gewählte Imperiumsträger wie reguläre Provinzen gab, die als Konsequenz seitdem auch immer von Prokonsuln (oder Proprätoren) ex magistratu verwaltet wurden.49 Diese Institutionalisierung der Promagistratur setzte voraus, dass die provinciae auch vor und ohne Magistrate existierten, nicht immer neu kreiert und zugeschnitten wurden, sondern – umgekehrt – nunmehr für die feststehenden Teile des Reiches jedes Jahr eine genügend große Gruppe von Magistraten gefunden werden mussten, um jene zu verwalten.50 Diese Entwicklung ist gut in Ciceros Klage wiederzuerkennen, dass als Resultat von Curios Machenschaften mit dem Senat während dessen Zeit als Volkstribun im Jahr 50 einige provinciae ohne jemanden mit Herrschaftsgewalt (sine imperio) geblieben seien.51 Für Cicero 46

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Cic. Pis. 16,38: Tantam vero provinciam cum tanto exercitu, Macedoniam praesertim, quam WDQWDHEDUEDURUXPJHQWHVDWWLQJXQWXWVHPSHU0DFHGRQLFLVLPSHUDWRULEXVLGHPÀQHVSURYLQciae fuerint qui gladiorum atque pilorum. Für die lex Porcia siehe Crawford 1996, Nr. 12 and Nr. 19. Für Belege und eine Diskussion zur steigenden Anzahl der Prätorenstellen siehe Brennan 2000, 91–93 (Erhöhung auf vier in 228), 163–169 (Erhöhung auf sechs in 197), 394–398 (Erhöhung auf acht in 80), 390 (Erhöhung auf 16 unter Caesar); vgl. auch 187–190 für den ordo provinciarum, wo allerdings eine gewisse Skepsis angebracht ist, so Richardson 2008, 17–25. Der IUKVWH]HLWJHQ|VVLVFKH+LQZHLVIUHLQRIÀ]LHOOHV9HUIDKUHQHLQHUMlKUOLFKHQ=XZHLVXQJGHU gleichen provincia ist die lex de provinciis praetoriis, Knidos IV.17–20 aus dem Jahre 100. Vgl. Richardson 2008, 107–109. Cic. Verr. 1,37,47–49; 2,2,77; Cluent. 55; Vell. Pat. 2,32,3; Tac. ann. 11,22. Für eine detaillierte Diskussion siehe Brennan 2000, 394–398. Ganz deutlich zeigt sich dies an der Gesetzgebung des Pompeius 52, die ein Intervall von fünf Jahren zwischen einer Magistratur und der anschließenden Promagistratur in einer Provinz festlegte (Caes. civ. 1,85; Cass. Dio 40,56). So Cic. Att. 7,7,5: VHQDWXP ERQXP SXWDV SHU TXHP VLQH LPSHULR SURYLQFLDH VXQW QXPTXDP HQLP&XULRVXVWLQXLVVHWVLFXPHRDJLFRHSWXPHVVHW ; siehe dazu Richardson 2008, 63–116 (bes. 79–85).

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konnten damit, wie wohl für alle Römer nach 80, provinciae gut auch ohne einen zugeteilten Magistrat existieren und waren als Aufgabenbereiche des Staates nicht mehr zu unterscheiden von der provincia urbana oder peregrina in Rom. Es wird zweifelsohne in diesem Sinne gemeint gewesen sein, wenn Cicero in seiner Anklage gegen Verres behauptete, dass Sizilien als erstes als Provinz bezeichnet worden sei.52 In ähnlichem Stil wird, am Ende unseres Betrachtungszeitraums, Caesar erklären, dass er „Gallien in die Form einer Provinz zurückgeführt“ habe (in provinciam redacta), was der frühste Beleg einer Sprachregelung ist, die im Prinzipat dann zur gängigen Formel wird.53 Diese semi-technische Sprache zeigt aber auch, wie unter provincia abstrakt eine durch reguläre rechtliche und administrative Normen und Institutionen beherrschte Verwaltungseinheit verstanden wurde. Dieser Aspekt von provincia hatte sich in der späten Republik solchermaßen festgesetzt, dass Provinzen nun sogar explizit aus dem imperium Romanum herausgelöst werden konnten, wie Zypern, welches später von Marcus Antonius Kleopatra gewährt werden sollte.54 Es lohnt sich, an dieser Stelle noch einmal genauer hinzusehen. In Ciceros berühmter Formulierung „res publica res populi“ erscheint das Gemeinwesen als Sache des Volkes.55 Daraus folgt, dass eine Provinz, die Teil des Gemeinwesens war, ebenfalls zum Besitz des Volkes zu rechnen war. Ähnlich drückt sich Cicero demHQWVSUHFKHQGDXFKDQDQGHUHQ6WHOOHQDXVZHQQHUPLWRIÀ]LHOOHP XQGRIÀ]L|VHP  Tonfall bei seiner Anklage gegen Verres die Verbrechen des praetor in provincia populi Romani aufzählt (2,5,136) und die nicht zu stillende Gier kritisiert, welchen diesen dazu gebracht habe, dem römischen Volk nur die Hälfte von dem zu übergeben, was er aus dessen eigener Provinz herausgepresst hatte (2,3,49), ein Verhalten was weder vom populus Romanus noch von den nationes externae ertragen werden konnte (2,1,78).56 Cicero ging also in den Verrinen davon aus, dass die provincia Sicilia selbstverständlich Teil einer römischen Staatlichkeit war, ihre Einkünfte Eigentum des römischen Staates und das Gebiet (als Teil des römischen Staates) von anderen Staaten unterschieden werden konnte. Dies ist der Kontext für die eingangs zitierte Formulierung Ciceros, dass Quintus einen Teil des Reiches (pars rei publicae) kontrolliere.57 Im gleichen Brief preist er noch überschwänglich das Glück, welches Asien habe, die höchste Gewalt in den Händen eines solchen Mannes ho52 53

54 55 56 57

Cic. Verr. 2,2,2: prima omnium, id quod ornamentum imperi est, provincia est appellata. Caes. Gall. 1,45,2; 7,77,16; vgl. Bell. Afr. 97,1 (provincia facta). Für spätere Beispiele der Formulierung in formulam provinciae redacta, vgl. u. a. Liv. per. 45 u. 134; Vell. Pat. 2,97,4; Tac. Agr. 14; Suet. Iul. 25,1; Aug. 18,2; Tib. 37,4; ILS 5834. Es ist aber anzumerken, dass diese spätere Formel nicht immer so eindeutig ist wie bei Vell. Pat. 2,38, wo die Skordisker und Aetolier genannt werden als in formulam provinciae redacta (vgl. oben Anm. 36). Vgl. Strab. 14,6,6. Vgl. Cic. rep. 1,39; siehe auch Anm. 88. Für ähnliche Formulierungen siehe ebenfalls Cic. Verr. 2,4,67; Phil. 3,11; Pis. 19. Cic, Q.fr. 1,1,4 und 5 (Zitat oben in Anm. 2); vgl. 1,1,43: mihi casus urbanam in magistratibus administrationem rei publicae, tibi provincialem dedit. Shuckburgh 1908 und Williams 1953 (Loeb-Ausgabe) übersetzen beide pars rei publicae mit „department of state“, Kasten 1965 (Tusculum) übersetzt es mit „Reichsteil.“ Vgl. auch Constans 1960, der die Passage mit „fonctions publicques“ und „la sorte d’intérêts publics“ umschreibt.

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her Gesinnung wie Quintus zu haben, „was vielleicht von Zeit zu Zeit für den gesamten Staat (universa res publica nostra) zutrifft, jetzt aber wirklich für diese provincia gilt.“58 Hier sieht es so aus, als fasse Cicero die Provinzen als etwas außerhalb der Republik auf, denn sie erscheinen nicht als Teil der res publica, sondern als Teil der universa res publica, was auch weit besser zur römischen Ausdehnung des Imperium passte; entsprechend fährt Cicero fort, wie gut es sei, über Kleinasien Herrschaft auszuüben: $VLD« LQ KRFLPSHULRWHQHUHWXU.59 Dies ist vielleicht auch die Konnotation, die Cicero im Kopf hatte, als er von den Provinzen als ornamentum imperii sprach, was eben nicht nur ‚Zierde des Reiches‘, sondern ebenso ‚Mittel der Macht‘ bedeuten kann.60 Die frühesten Verwendungen von imperium im Sinne von Reich entstammen den sozial und politisch aufgewühlten Zeiten der 80er Jahre. In der ungefähr in dieser Zeit entstandenen Rhetorica ad Herrennium spricht dessen Autor von nostrum imperiumZDVPHKUPHLQWDOVQXUU|PLVFKHÄ0DFKW·XQGlKQOLFKHVÀQGHQ wir auch bei Cicero, der einige Jahre später von denjenigen schreibt, deren Tätigkeiten beides verstärkt habe, die res publica wie das imperium populi Romani.61 Eine Generation später haben wir bei Sallust die erste Verwendung von imperium Romanum, was später, als auch die Provinzen davon ununterscheidbar sind, die bekannteste abstrakte Formel für das römische Reich werden wird.62 Folgerichtig nimmt Augustus für sich in Anspruch, die Grenzen der provinciae populi Romani durch die Aufnahme noch neuer Völker in das imperium Romanum erweitert zu haben;63 und Strabo konstatiert, das „ganze von Römern beherrschte Land“ (d. h. das imperium Romanum HQWVSUlFKHї›ƠƯƵƤҲƠƨ.64 Die Provinzen erscheinen in diesen Beispielen als Teil des römischen Reiches oder sind mit diesem deckungsgleich 58

Cic. Q.fr. 1,1,29: quod fortasse aliquando universae rei publicae nostrae, nunc quidem profecto isti provinciae contigit, ut is in eam summam potestatem haberet, cui in doctrina, cui in virtute atque humanitate percipienda plurimum a pueritia studii fuisset et temporis. 59 Cic. Q.fr. 1,1,34: Simul et illud Asia cogitet, nullam ab se neque belli externi neque domesticarum discordiarum calamitatem afuturam fuisse, si hoc imperio non teneretur. 60 Cic. Verr. 2,2,2 (vgl. Anm. 52 oben). 61 Rhet. ad Herr. 4,13; Cic. S. Rosc. 50: quibus rebus et agris et urbibus et nationibus rem publicam atque hoc imperium et populi Romani nomen auxerunt – „so haben sie durch Land und Städte und Völker den Staat und das Reich und den Ruhm des römischen Volkes vergrößert“ (Übersetzung: M. Fuhrmann), vgl. auch 131. Für eine ausführliche Diskussion siehe Richardson 2008, 57–60. 62 Sall. Cat. 10,1 (Carthago aemula imperi Romani); vgl. hist. 2 frg. 70 und 3 frg. 2; Richardson 2008, 99–100. 63 Vgl. Aug. R. G. 26,1: RPQLXP SURYLQFLDUXP SRSXOL 5RPDQL TXLEXV ÀQLWLPDH IXHUXQW JHQWHV TXDHQRQSDUHUHQWLPSHULRQRVWURÀQHVDX[L 64 6WUDEƲƠхƲƦưƣҭƲӸưƱƳƫ›нƱƦưƵцƯƠưƲӸưҐ›ҳԕƷƫƠрƮƨưѦƫҭƬơƠƱƨƪƤхƤƲƠƨѦƬ ƣ·ћƵƮƳƱƨƬƠҏƲƮұƩƠƪоƱƠƬƲƤưї›ƠƯƵрƠƬƩƠұ›оƫ›ƮƳƱƨƬѤƢƤƫфƬƠưƩƠұƴƮƯƮƪфƢƮƳư,QGHU JOHLFKHQ6WHOOHKHLVVWHVQRFKÅGRUWVLQGDXFKIUHLH6WlGWH їƪƤҶƧƤƯƠƨ›ҴƪƤƨư YRQGHQHQHLQLJHYRQ$QIDQJDQDOV)UHXQGH]XGHQ5|PHUQJHNRPPHQZDUHQ їƭчƯƵӸưƩƠƲҫƴƨƪҲƠƬ  XQGDQGHUHZHOFKHGLH)UHLKHLWJHUDGHDOV=HLFKHQGHU(KUH ƩƠƲҫƲƨƫҰƬ HUKDOWHQKDWWHQ´ +LHUÀQGHQZLUGHQLP7H[WGLVNXWLHUHQ'LVNXUVEHU)UHXQGVFKDIWXQG)UHLKHLWZLHGHULQGHP sich beide Begriffe von klaren Konzepten hin zu bloßer Rhetorik und angeblichen Privilegien innerhalb des Reiches entwickeln.

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– eine Idee, die man, wir gesehen haben, bis ins frühe erste Jahrhundert zurückverfolgen kann. Die skizzierte Entwicklung der römischen Staatsdiskurse in dieser Zeit spiegelt sich auch in der Außenkommunikation. Während im zweiten Jahrhundert die Schlagworte der außenpolitischen Staatsdiskurse ‚städtische Autonomie‘ und ‚Reziprozität‘ gelautet hatten, was auch die Vorstellung imperialer Institutionen wie provinciae vermieden hatte, setze sich im ersten Jahrhundert immer mehr eine offene Anerkennung der römischen Herrschaft durch. Ein Beispiel dafür ist das Dekret der Epheser von 85, in dem die Bürger Mithridates den Krieg erklärten, und zwar zur Erhaltung der griechischen Freiheit und der römischen Herrschaft ѤƢƤƫƮƬҲƠԕƷƫƠҲƷƬ 65 Dabei verwenden die Epheser hier zur Beschreibung der römischen Herrschaft ganz im Einklang mit den klassischen Staatsdiskursen ѤƢƤƫƮƬҲƠZDVIUHLQHQ)KUXQJVDQVSUXFKXQGQXUVFKZDFKHGLUHNWH+HUUVFKDIW VWHKWVLHVSUHFKHQDOVRQLFKWYRQчƯƵҰ ZLHEHL3RO\ELRV RGHUƣƳƬƠƱƲƤҲƠ GHP Terminus für die Herrschaft der hellenistischen Könige), was später unter den römischen Kaisern die gängigen griechischen Termini für imperium sein werden.66 Aber auch diese später in der Außenkommunikation nicht mehr benutzte Rede von bloßer ‚Hegemonie der Römer‘ enthält eine klare Anerkennung von Roms Macht und Überlegenheit. Hinzu kommt die Vorstellung von Dauer und Stabilität der römischen Herrschaft, also die Erwartung, dass die Römer in der griechischen Welt präVHQWEOLHEHQXQGLKU5HLFK²ZHQQJOHLFKQRFKLP3UR]HVVEHÀQGOLFK²HLQHIHVWH Größe war. Zur Zeit des ersten Mithridatischen Krieges erkannten neben den Ephesiern DXFKLPPHUZHLWHUHIUHPGH6WlGWHGLHU|PLVFKHѤƢƤƫƮƬҲƠDQ67 Die Aphrodisier behaupteten gegenüber Q. Oppius, dass ihr ganzes Gemeinwesen bereit sei, für röPLVFKH,QWHUHVVHQ]XNlPSIHQXQGVLHOLHEHUGHQ7RGÀQGHQZROOWHQDOVHLQ/HEHQ RKQH GLH U|PLVFKH ѤƢƤƫƮƬҲƠ ]X IKUHQ68 Oben habe ich diese Stelle bereits als Beispiel der reziproken Beziehungen zwischen Herrscher und Beherrschten angeführt, doch es ist ebenso klar, dass die Aphrodisier hier ganz offen die römische Herrschaft anerkennen, sich selbst und ihre Interessen damit verknüpfen, ja sich Wohlstand und sogar ihre Existenz ohne die römische Herrschaft kaum noch vorstellen können.69bKQOLFKH)RUPXOLHUXQJHQÀQGHQZLUDEHUDXFKLQU|PLVFKHQ'Rkumenten. So schreibt Sulla in einem Brief an das Volk von Stratonicea, dass er die VHLWGHQ9RUIDKUHQEHVWHKHQGHODQJH7UDGLWLRQYRQ5HFKWVFKDIIHQKHLW ƣҲƩƠƨƠ XQG 65 ,(SKHVRV=²Ґ›ƤƯƲƤƲӸưԕƷƫƠҲƷƬѤƢƤƫƮƬҲƠưƩƠұƲӸưƩƮƨƬӸưїƪƤƳƧƤƯҲƠư 66 Imperium ist ein komplexes römisches Konzept, das mit verschiedenen griechischen Begriffen ZLHGHUJHJHEHQ ZHUGHQ NDQQ DEKlQJLJ GDYRQ RE +HUUVFKDIW чƯƵҰ ї›ƨƩƯƠƲƤҲƠ  0DFKW їƭƮƳƱҲƠ %HIHKO ›ƯҴƱƲƠƢƫƠ )KUXQJ ѤƢƤƫƮƬҲƠ RGHUOHJLWLPH*HZDOW ƮѴԎҬơƣƮƨ JHmeint ist, vgl. hierzu Domingo 1979. 67 Siehe nur SIG3 656, 704h und 748; I.Ephesos 8; Reynolds 1982, Nr. 2, 5, 7, 8; Sherk 1969, Nr. 18, 23, 26b; IG XII 2,35; 3,7; SEG XXXIX 1290; F. Delphes III 4,438; Sardis VII 1,8; I.Olympia 53; vgl. auch SEG LIII 659. 68 5H\QROGV1U=²ƵƷƯұưƲӸưԕƷƫƠҲƷƬѤƢƤƫƮƬҲƠưƮҏƣҭƥӸƬ›ƯƮƠƨƯƮҶƫƤƧƠ 69 bKQOLFKVWHOOHQGLH(SKHVHU ,(SKHVRV GHQ.DPSIIUGLHѤƢƤƫƮƬҲƠGHU5|PHUDOVHWZDV Gutes und Beschützendswertes dar, als etwas, woran sie gebunden seien und was in ihrem InWHUHVVHOLHJH ƲƮԃưƩƮƨƬƮԃư›ƯҬƢƫƠƱƨƬ= 

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9HUWUDXHQ ›ҲƱƲƨư GHU6WDGWJHJHQEHUGHUU|PLVFKHQ+HUUVFKDIW ѤƢƤƫƮƬҲƠ VHKU wohl kenne.70 Dabei ist bemerkenswert, wie es Sulla gelingt, das semantische Feld YRQѤƢƤƫƮƬҲƠ]XYHUVFKLHEHQXQGDXI]XODGHQLQGHPHUGLHVH]XQlFKVWPLW7UHXH ›ҲƱƲƨư LP6LQQHYRQ5HFKWVFKDIIHQKHLW ƣҲƩƠƨƠ YHUNQSIWXQGGLHVHGDQQZLHderum zusammen mit imperiumXQGѤƢƤƫƮƬҲƠLQGHUJUDXHQ9RU]HLWYHURUWHWXQGVR in der Geschichte der Stadt fest verankert. Im gleichen Text lesen wir dann noch von der Bitte der Stratonicaer an den Senat, ihnen zu erlauben, auf dem Capitol ein Dankesopfer darzubringen: für den Sieg der Römer über Mithridates und ihre HerrVFKDIW Ґ›ҭƯƲӸưƬҲƩƦưƩƠұƲӸưѤƢƤƫƮƬҲƠư 71 Dies wird später von den Oropern nachgeahmt, die ihre berühmten Spiele für Amphiaraos mit dem Sieg der römiVFKHQѤƢƤƫƮƬҲƠEHU0LWKULGDWHV]XVDPPHQOHJHQXQGVRGLH)HLHUGHUU|PLVFKHQ Herrschaft in ihren städtischen Kult integrieren.72 Die Einbindung sowohl des Sieges über Mithridates als auch der damit verbundenen römischen Hegemonie in solche städtische Feste spiegelt schön die komplexe Motivationslage auf Seiten der Römer wider, die zwischen Einsatz für die griechische Freiheit, gemeinsamen Interessen (bei den Epheser und anderen) und nicht zuletzt einer Demonstration überlegener militärischer Ressourcen sowie der Bereitschaft, diese auch einzusetzen, changierte. Genauso wichtig ist in unserem Zusammenhang, dass durch den Versuch griechischer Stadtstaaten, die römische Herrschaft ѤƢƤƫƮƬҲƠԕƷƫƠҲƷƬ ]XEHJUHLIHQ und sich darin zu verorten, provincia XQGї›ƠƯƵƤҲƠ ]XJlQJLJHQ%HJULIIHQGHU Außenkommunikation im römischen Reich werden. So sprechen die Pergamener von „allen in der Provinz lebenden;“73 die kleinasiatische koinon versucht mit Hilfe des Senats die provincia vor habgierigen Steuereintreibern zu beschützen,74 ein Teil der republikanischen lex portoria Asiae nimmt Bezug auf die Grenzen der Provinz75 XQGVFKOLH‰OLFKÀQGHQZLUMHGH0HQJH+LQZHLVHDXI5|PHUGLHHLQHprovincia „hatten“ oder „dafür verantwortlich waren“.76 Die ebenso stark wie plötzlich ansteigende Verwendung von provincia in der Außenkommunikation entspricht JHQDXGHU(QWZLFNOXQJYRQѤƢƤƫƮƬҲƠXQGEHLGHKDEHQGLHJOHLFKH.RQQRWDWLRQ 70 6KHUN1U=²>ƮҏƩчƢƬƮƮԏƫƤƬҐƫӮư@ƣƨҫ›ƯƮ>Ƣ@ҴƬƷƬ›ҬƬƲƠƲҫƣҲƩƠƨƠ>›Ưҳư ƲүƬѤƫƤƲҮƯƠ@ƬѤƢƤƫ>ƮƬ@ҲƠƬ›Ƥ›ƮƨƦƩҴƲƠưƩƠұїƬ>›ƠƬƲұƩƠƨƯԙƨƲүƬ›ƯҳưѤ@ƫӮư›Ҳ>Ʊ@ƲƨƬ ƤѳƪƨƩƯƨƬԙưƲƤƲƦƯƦƩҴƲƠư 71 6KHUN1U=²>ƧƳƱҲƠƬƲƤїƬƲԙƨƑƠ›ƤƲƷƪҲƷƨ҈›Ʒư@›ƮƨӸƱƠƨїƭӸƨҐ›ҭƯƲӸư Ƭ>ҲƩ@Ʀư>ƩƠұƲӸưѤƢƤƫƮƬҲƠưƲƮԏƣҰƫƮƳƲƮԏ@ԕƷƫƠҲƷƬ EHUXKWDXIGHU5HNRQVWUXNWLRQYRQ Sherk 1969, Nr. 23, vgl. die nächste Anm.) 72 6KHUN1U=²ƲƮҵưчƢԙƬƠưƩƠұƲҫưƧƳƱҲƠưъưңƯҸ›ƨƮƨƱƳƬƲƤƪƮԏƱƨƬƧƤԚ яƫƴƨƠƯҬƷƨ ҄ƫƮҲƷư ƣҭ ƩƠұ ъư щƬ ƫƤƲҫ ƲƠԏƲƠ Ґ›ҭƯ ƲӸư ƬҲƩƦư ƩƠұ ƲӸư ѤƢƤƫƮƬҲƠư ƲƮԏ ƣҰƫƮƳƲƮԏԕƷƫƠҲƷƬƱƳƬƲƤƪҮƱƮƳƱƨƬ 73 ,*53,9=²>«›ӮƱƨƬ@ƲƮԃưƲүƬї›ƠƯƵƤҲƠƬƩƠƲƮƨƩƮԏƱƨƬYJO6KHUN1U 58, 61. 74 5H\QROGV1U=>ƩƠұƠҏƲ@ƮҵưчƭƨҸƱƮƬƲƠưчƬƲƨƪƠơҮƱƧƠƨƲӸưї›ƠƯƵҰƠưYJO Sherk 1969, Nr. 31, 65. 75 &RWWLHUHWDO=²ƩƠұ›ƤƯұƲƮҵưїƪƤƳƧҮƯƮƳư҈ƯƮƳưƲӸưї›ƠƯƵƤҲƠưїҫƬơƮҶƪƷƬDž >ƲƠƨ@VLHKHIUHLQH'LVNXVVLRQGD]X60LWFKHOO² 76 6LHKHQXU&UDZIRUG1U.QLGRVƐƐƐ=²ƱƲƯƠƲƦƢҳưчƬƧҶ›ƠƲҴưƲƤ҄^ư`ƲүƬ яƱҲƠƬ ї›ƠƯƵƤҲƠƬ ƣƨƠƩƠƲҮƵƷƬ ,9 = ² ƮҖƲ>Ʈ@ư ҄ ƱƲƯƠƲƦƢҳư Ңƨ ƲӸư яƱҲƠư ƓƠƩƤƣƮƬҲƠưƲƤї›ƠƯ>Ƶ@ƤҲƠїƢҮƬƤƲƮYJO6KHUN1U5H\QROGV1U

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von legitimer und geordneter römischer Herrschaft im Reich. Das Entstehen der regulär verwalteten Provinzen ist für die Entwicklung einer solchen „provinzialen“ Sprache ein wichtiger Aspekt, doch ist die Entwicklung insgesamt noch komplizierter. Bertrand hat darauf aufmerksam gemacht, dass der griechische Terminus ї›ƠƯƵƤҲƠVFKRQYRUXQGXQDEKlQJLJYRQGHQ5|PHUH[LVWLHUWKDWXQGKlXÀJHLQ Gebiet bezeichnete, was von einer politischen Macht kontrolliert wurde, die dann LP*HQLWLYGD]XDQJHJHEHQZXUGH ѤƲƮԏƣƤԃƬƮưї›ƠƯƵƤҲƠ 77 Unter den Römern EOLHEї›ƠƯƵƤҲƠGHU$XVGUXFNIUHLQNRQWUROOLHUWHV*HELHWGRFKHUNRQQWHVHLWGHP ersten Jahrhundert auch allein auftreten und bedeutete dann ohne Zusatz „römische Provinz.“78 Noch interessanter ist, dass wenn dann doch im imperium Romanum ein =XVDW] ]X ї›ƠƯƵƤҲƠ LP *HQLWLY HUVFKLHQ GDPLW QLFKW PHKU GLH NRQWUROOLHUHQGH 0DFKW VRQGHUQ GDV NRQWUROOLHUWH *HELHW EH]HLFKQHW ZXUGH Ѥ ƓƠƩƤƣƮƬҲƠư ї›ƠƯƵƤҲƠPHLQWDOVRGLHprovincia Macedonia und nicht die Provinz der Makedonen.79 Im weiteren Verlauf der Staatsdiskurse ließ man schließlich zur Bezeichnung eines römischen Gebiets die Genitivkonstruktion ganz weg und sprach – damit dem ODWHLQLVFKHQ*HEUDXFKYRQ3UlGLNDWVQRPHQLP1RPLQDWLYIROJHQG²VFKOLFKWYRQѤ ƓƠƩƤƣƮƬҲƠ ї›ƠƯƵƤҲƠ RGHU Ѥ яƱҲƠ ї›ƠƯƵƤҲƠ80 Diese dann mehrheitlich gebrauchte Verwendung von provincia XQG ї›ƠƯƵƤҲƠ ]HLJW QLFKW QXU LQ ZHOFKHP 0D‰HGLH5|PHUGLHDGPLQLVWUDWLYH6SUDFKHGHU*ULHFKHQXPGHÀQLHUWHQXQGDXI sich zuschnitten, sondern verstärkte ihrerseits die Idee einer dauerhaften und stabilen römischen Herrschaft, die es den beherrschten Gebieten aber erlaubte, ihre Identität innerhalb des römischen Reiches auszudrücken.81 Es gibt also, wie wir gesehen haben, in diesen neuen Staatsdiskursen im römischen Reich ein wachsendes Gefühl einer provinzialen Identität. Die Städte der provincia Asia zum Beispiel sprechen mit einer Stimme im formalen ZusammenVFKOXVVHLQHU)|GHUDWLRQGHU*ULHFKHQLQ.OHLQDVLHQ ƲҳƩƮƨƬҳƬƲԙƬї›ұƲӸưяƱҲƠư ўƪƪҰƬƷƬ 'LHVH9HUHLQLJXQJDJLHUWGDEHLDOVSURYLQ]LDOHU5DWIUDOOHV0|JOLFKH richtete stellvertretend für die Städte in der Provinz die Mucischen Spiele zu Ehren von Q. Mucius Scaevola ein, schickte Gesandtschaften nach Rom oder reorganisierte den Kalender der Provinz.82 Anhand dieses koinon können wir damit die Entstehung einer Institution zur Zusammenarbeit mit den Römern innerhalb der römischen Provinzen beobachten. Aber das Konzept einer solchen überregionalen „Provinz-Identität“ verläuft, wenig überraschend, weder gradlinig noch gleichförmig. So taucht zum Beispiel in den spätrepublikanischen Schriften für Unternehmungen in Provinzen das Adjektiv provincialis auf, was aber nie zur Statusbeschreibung 77 78

79 80 81 82

Vgl. Bertrand 1982, 167–169; siehe z. B. Polyb. 1,15,10, 3,22,5–10. Vgl. u. a. Sherk 1969, Nr. 20g, Z. 10; Nr. 31, Z. 77 und 95; Nr. 58, Z. 68; Nr. 61, Z. 4; Nr. 65a, Z. 26 und frg. d, Z. 44; lex portoria Asiae (Cottier et al. 2008), Z. 32–33, 39–40, 43; Reynolds 1982, Nr. 8, Z. 68. Crawford 1996 Nr. 12, Knidos II.15. Crawford 1996, Nr. 12, Delphi frg. c, Z. 8; Sherk 1969, Nr. 18, Z. 76–78; Nr. 22, Z. 29; Nr. 58, Z. 48. Vgl. Bertrand 1982, 173. OGIS 438 (mit Sherk 1969, Nr. 47); Reynolds 1982, Nr. 5; Sardis VII 1,8; Sherk 1969, Nr. 65.

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einer Stadt benutzt wird, für die in literarischen wie dokumentarischen Quellen weiter entweder libera oder stipendaria auftaucht.83 Auch ist zu beachten, dass, wenn die Städte der provincia Asia von einer kleinasiatischen Föderation sprechen, sie explizit – und wohl auch sehr bewusst – die traditionelle hellenistische Wendung von koinon beibehalten. Da weiter die gebräuchlichen Abkürzungen wie ‚Griechen Kleinasiens‘, ‚Männer in Kleinasien‘ oder schlicht ‚Kleinasien‘ sich immer auf die provincia Asia beziehen, wird eine Kontinuitätslinie in die vor-römische Vergangenheit gezogen.84 Allen diesen komplexen Ausformungen zum Trotz kann aber festgehalten werden, dass eine Institution wie die kleinasiatische Föderation (koinon) diskursiv wie praktisch eine wichtige Rolle innerhalb des römischen Imperium spielte, sich mit den neuen Gegebenheiten nicht nur arrangierte, sondern zusammen mit und durch Einrichtungen des Reiches wirkte und so schließlich auch zu einer neuen, wenn auch noch unvollkommenen, Form reichsweiter Identität entscheidend beitrug.85 4 KONSENS Mit dem zuletzt ausgeführten Aspekt hängt weiter die Frage eines Konsenses zusammen, mit der ich meine Ausführungen schließen möchte. Auf einer analytischen Ebene setzen die dargestellten Diskurse der Außenkommunikation zwischen den Römern und den Städten des griechischen Ostens klar ein Mindestmaß an Konsens voraus. Denn ein Diskurs funktioniert, wie jeder kommunikative Akt, nur dann, wenn die Teilnehmer ein gemeinsames Verständnis von Normen und Bedeutungen teilen, dass diesen durchdringt und strukturiert.86 Die Kernbegriffe des diskursiven Feldes, wie etwa Freundschaft, Euergetismus, Freiheit und Herrschaft, wurden in der zwischenstaatliche Kommunikation einvernehmlich gebraucht und verstanden, die genaue Bedeutung und konkreten Folgen aber immer wieder neu verhandelt XQG PRGLÀ]LHUW 'LH GHVNULSWLYHQ 7HUPLQL PLW GHQHQ EHLGH 6HLWHQ LKUH MHZHLOLJH Beziehungen bezeichneten führten weiter dazu, dass sich eine wechselseitige Form von Staatlichkeit des römischen Reich schon vor und außerhalb von provinciae entwickelte. Man kann sogar behaupten, dass diese frühen Staatsdiskurse letztlich

83

Siehe dazu Richardson 2008. Das Adjektiv provincialis taucht bei Cicero 24 Mal auf, meistens als Kürzel von in provincia (so z. B. Sest. 7, 13; fam. 2,7,4; 15,15; 15,20,2), manchmal aber auch mit einer administrativen Konnotation (so beim edictum provinciale: Verr. 2,1,112 und 118; Att. 6,1,15; vgl. Q. fr. 1,1,20; fam. 16,4,3). Caesar (Gall. 7,7,4), Augustus (R. G. 16) und Livius (28,21,10; 39,31,15; 40,31,1; 40,32,4) benutzen es alle für das Land, die Bevölkerung RGHU7UXSSHQHLQHU3URYLQ]6HOEVWEHLNDLVHU]HLWOLFKH$XWRUHQÀQGHWPDQDQNHLQHU6WHOOHHLQH Formel wie civitas provincialis (siehe nur Plin. n.h. 8,135; 17,43; 29,22; 36,116). 84 ƮѴї›ұƲӸưяƱҲƠưѢƪƪƦƬƤư6KHUN1U=XQG6DUGLV9,,= 2*,6=ƮѴїƬƲӹяƱҲӬ2*,6=²5H\QROGV1U =²ƮѴѢƪƪƦƬƤư6DUGLV9,,=ѤяƱҲƠ6KHUN Nr. 65d, Z. 26, 41, 59, 62, 66, 81. 85 Zur Entwicklung dieser Identität siehe Ando 2000. 86 Siehe dazu Habermas 1981.

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ein Resultat dessen waren, dass die römische Republik schlicht keinen klassischen imperialen Apparat einrichtete. Wie wir gesehen haben, entwickelte sich in der späten Republik, nicht zuletzt durch die schwierigen Umstände der 80er Jahre mit dem Bundesgenossenkrieg, dem Kampf gegen Mithridates und der Diktatur Sullas, eine gemeinsame Vorstellung von stabiler römischer Herrschaft – imperium Romanum RGHU ѤƢƤƫƮƬҲƠ ԕƷƫƠҲƷƬ²GLHPDQ]7QRFKJHQDXHUGHÀQLHUHQZROOWHRGHULQGHUPDQVLFK]X verorten versuchte. Die frühen Staatsdiskurse des römischen Reiches hatten, bei aller Gegenseitigkeit, auf die Allgegenwart der römischen Überlegenheit, z. B. als universaler Wohltäter, bereits hingedeutet. Im letzten Drittel des zweiten JahrhunGHUWVKDWWH3RO\ELXVGLHU|PLVFKH+HUUVFKDIW чƯƵҰ DOVJOHLFKEHGHXWHQGPLWGHU +HUUVFKDIWEHUGLHJHVDPWHEHNDQQWH:HOWGHÀQLHUW,PHUVWHQ-DKUKXQGHUWKDWWHQ Griechen wie Römer dann begonnen, schlicht von römischer Herrschaft und Provinzen zu sprechen; und dem Autor der Rhetorica ad Herrenium zu Folge, hatte jeder der Herrschaft des römischen Volkes, dem imperium populi Romani letztlich zugestimmt (consensuere), sei dies nun erst durch Gewalt erzwungen oder aber gleich freiwillig geschehen.87 Man kann dies wohl mit Ciceros Ausführungen zu res publica res populi vergleichen: Der Staat besteht aus dem Volk, aber dieser populus meint nicht eine zufällige Ansammlung, sondern eine Vereinigung vieler Menschen verbunden durch Übereinstimmung, was richtig, und durch gemeinsame Vorstellungen, was nützlich ist.88 Um den wachsenden Konsens für ein römisches Reich zu illustrieren, und um auch einen kleinen Ausblick auf die nächste Stufe dieser Entwicklung unter Augustus zu geben, soll abschließend ein Blick auf die Formulierungen des sog. Kalender-Beschlusses von 9 v.Chr. geworfen werden. Dabei geht es um die gemeinsamen Versuche der Föderation der Griechen in Kleinasien wie des Prokonsuls der Provinz Fabius Maximus, Augustus durch die Umwidmung des provinzialen Neujahrs auf dessen Geburtstag (28. September) zu ehren. Hier lassen sich zwar noch die traditionellen Dichotomien von ‚uns und sie‘, von ‚Griechen und Römer‘, von Ä+HUUVFKHUQ XQG %HKHUUVFKWHQ¶ ÀQGHQ DEHU GD]X JLEW HV RIIHQVLFKWOLFK DXFK HLQ kollektives Verständnis von ‚wir‘. Nicht nur benutzen beide Seiten die erste Person plural bei den Personalpronomen, was ein gemeinsames Interesse unterstreicht, sondern beide Seite nehmen in ihrer Begründung der Entscheidung auch in einer Art und Weise Bezug auf den princeps, die sie sowohl mit diesem als auch untereinander in Verbindung bringt.89 Unter Augustus veränderten sich überhaupt die Rahmenbedingungen, insofern als die Beschränkungen des republikanischen Systems aufgehoben waren. Einige Pro87 88 89

So Rhet. ad Herr. 4,13 (vgl. für den Text auch Anm. 61 oben). Cic. rep. 1,39: res publica res populi, populus autem non omnis hominum coetus quoquo modo congregatus, sed coetus multitudinis iuris consensu et utilitatis communione sociatus. Für Fabius Maximus war der Geburtstag von Augustus „der Anfang aller Dinge“ und ein „gemeinsames Glück der Menschheit“, da dieser große Taten für die „ganze weltweite Ordnung“ vollbracht habe (Sherk 1969, Nr. 65a, Z. 4–9). Für die kleinasiatische koinon, bildet Augustus’ Geburtstag ebenfalls „den Anfang einer guten Ordnung in der Welt“ und „Segen für die Menschheit“ (Sherk 1969, Nr. 65d, Z. 32–41).

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vinzen wurden provinciae Caesaris, andere blieben provinciae populi Romani, Augustus selbst übernahm die Stelle der obersten Autorität für Römer wie für Provinziale.90 Aber diese neue Entwicklung hatte ihre Vorläufer in den Staatsdiskursen seit dem zweiten Jahrhundert. Zunächst tritt in den Beziehungen zwischen Rom und fremden Gebieten eine Vorstellung von Staatlichkeit auf, in der die Rede von römischer Herrschaft vermieden, letztere aber gerade dadurch legitimiert wird. Dann entwickelt sich im ersten Jahrhundert mit der offenen Rede von römischer Herrschaft und den Provinzen als institutionellen wie ideologischen Elementen die Vorstellung eines auf Konsens gründenden Imperium Romanum als Staat. BIBLIOGRAPHIE Ager, S. (1996): Interstate Arbitrations in the Greek World, 337–90 BCE, Berkeley. Ando, C. (2000): Imperial Ideology and Provincial Loyalty in the Roman Empire, Berkeley. $UQDVRQ -  7KH 5RPDQ 3KHQRPHQRQ 6WDWH (PSLUH &LYLOL]DWLRQ LQ GHUV . 5DDÁDXE (Hgg.), The Roman Empire in Context: Historical and Comparative Perspectives, New York, 353–386. Badian, E. (21984): Foreign Clientelae (264–70 B. C.), Oxford. Beck, H. (1997): Polis und Koinon, Stuttgart. – (2005): Karriere und Hierarchie. Die römische Aristokratie und die Anfänge des cursus honorum in der mittleren Republik, Berlin. %HUWUDQG-0  /DQJXHJUHFTXHHWDGPLQLVWUDWLRQURPDLQHGHO·ї›ƠƯƵƤҲƠƲԙƬԕƷƫƠҲƷƬj O·ї›ƠƯƵƤҲƠƲԙƬƏƯӭƩƷƬ.WHPD² – (1989): À propos du mot provincia: étude sur les modes d’élaboration du langage politique, Journal des Savants, 191–215. Bourdieu, P. (1994): Rethinking the State: Genesis and Structure of the Bureaucratic Field, in Sociological Theory 12, 1–18. Brennan, T. C. (2000): The Praetorship in the Roman Republic, 2 Bde., Oxford. Burton, G. (2004): The Roman Imperial State, Provincial Governors and the Public Finances of Provincial Cities, 27 B. C.–A. D. 235, Historia 53, 311–342. Constans, L.-A. (51960): Ciceron Correspondance, Paris. Cottier, M. / et al. (2008): The Customs Law of Asia, Oxford. Crawford, M. H. (1996): (Hg.), Roman Statutes, 2 Bde., London. Dmetriev, S. (2011): The Greek Slogan of Freedom and Early Roman Politics in Greece, Oxford. 'RPLQJR(  /DWLQLVPRVHQOD.RLQp HQORVGRFXPHQWRVHSLJUiÀFRVGHVGHHOD-& hasta el 14 d. J. C.), Burgos. Doyle, M. (1986): Empires, Ithaca – New York. Eder, W. (1990): Der Bürger und sein Staat – Der Staat und seine Bürger: Eine Einführung zum Thema Staat und Staatlichkeit in der frühen römischen Republik, in ders., (Hg.) Staat und Staatlichkeit in der frühen römischen Republik, Stuttgart, 12–32. Eich, A. / Eich, P. (2005): War and State-Building in Roman Republican Times, SCI 24, 1–33. Eilers, C. (2002): Roman Patrons of Greek Cities, Oxford. Erskine, A. (1994): The Romans as Common Benefactors, Historia 43, 70–87.

90

Vgl. Strab. 17,3,25; Cass. Dio 53,15,5; 55,28,2; Gai. Inst. 1,1,6.

Res Publica, Provinciae und Imperium Romanum

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AUFGABEN DES STAATES

DIE DEBATTE UM DIE REGELUNG DER GETREIDEVERSORGUNG ALS DISKURS ÜBER STAATLICHKEIT IN DER SPÄTEN RÖMISCHEN REPUBLIK? Claudia Tiersch I Catherine Virlouvet hat in einer Studie über Hungerunruhen im antiken Rom auf einen starken Kontrast aufmerksam gemacht: Während es im Verlauf der RömiVFKHQ 5HSXEOLN VHKU KlXÀJ ]X +XQJHUNULVHQ PLW GHPRQVWUDWLYHQ 3URWHVWHQ NDP insbesondere in der Anfangsphase sowie im letzten Jahrhundert der Republik, sind für die Kaiserzeit öffentliche Unruhen mit dieser Ursache trotz guter Quellenlage vor dem 4. Jh. n. Chr. nahezu nicht nachweisbar.1 Der Befund ist umso bemerkenswerter, als sich die agrarisch geprägte Wirtschaftsstruktur Roms mit entsprechend geringer landwirtschaftlicher Überschußproduktion und starker Abhängigkeit von saisonalen Schwankungen sowie klimatischen Zufällen in diesem Zeitraum nicht grundlegend verändert hat.2 Zudem trugen zwar die römischen Provinzen in der Kaiserzeit erheblich zur Getreideversorgung der Stadt Rom bei. Mit Ausnahme Ägyptens gehörten diese Regionen jedoch bereits in der späten Republik zu Rom. Hinzu kommt eine gegenüber der Republik stark angewachsene Einwohnerzahl der römischen Metropole.3 All das deutet darauf hin, daß die Erklärung für das auch im längeren historischen Vergleich ungewöhnliche Ausbleiben von Hungerunruhen innerhalb Roms nicht in veränderten Produktionsbedingungen, sondern in stabileren Distributionsmechanismen beruht, die durch die gezielte Intervention staatlicher Behörden einem größeren Bevölkerungskreis die hinreichende Teilhabe am Getreideaufkommen ermöglichten. Die Anwendbarkeit des Staatlichkeitsbegriffs auf die Übergangszeit zwischen Römischer Republik und Principat erscheint erklärungsbedürftig, wird doch die Entstehung des europäischen Staates mit der Frühen Neuzeit verbunden, der Staat selbst als Verbindung von Staatsterritorium, einheitlichem Staatsvolk sowie souveräner Staatsgewalt gefaßt.4 Zudem verweist gerade die Getreideversorgung im rö1 2 3 

Virlouvet 1985, 119 f. Vgl. etwa die diachronen Zusammenstellungen von Ursachen für Versorgungskrisen in Garnsey 1988, 172–174; 205; 227 f. Man nimmt für Rom zur Zeit des C. Gracchus, also 123 v. Chr. ungefähr 375.000 Einwohner an, für die Augusteische Ära eine Million Einwohner; Brunt 1987, 383 ff. 9JOKLHU]X5HLQKDUGGHUVLFKDXIGLH6WDDWVGHÀQLWLRQYRQ*HRUJ-HOOLQHN Ä$OOJHPHLQH Staatslehre‘) bezieht. Untersuchungen von Reinhard selbst aber auch von Rudolf Schlögl sowie Hillard von Thiessen haben jedoch aufs deutlichste gezeigt, wie nachhaltig staatliche Geltungs-

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mischen Principat auf deutliche Unterschiede zum frühneuzeitlichen Territorialstaat, denn sie unterstützte die Versorgung einer engen privilegierten Statusgruppe, der sogenannten plebs frumentariaPLWGXUFKDXVHIÀ]LHQWHQEURNUDWLVFKHQ0LWWHOQ und hohem Aufwand, während die übrige Reichsbevölkerung daran nicht partizipieren konnte.5 Damit wurden traditionale Beziehungen, wie der frühere Stadtstaatscharakter Roms und patronale Sozialbeziehungen zwischen Volk und Magistrat in die politische Kultur der Kaiserzeit hinein verlängert. Dennoch bietet sich die Frage der Getreideversorgung für eine Analyse von Staatlichkeit an. Denn erklärungsbedürftig ist, wie es innerhalb Roms zu einer verbindlichen Entscheidung über eine Politisierung und dauerhaft nicht-privaten Lösung dieser Problematik kam, wie diese legitimiert wurde und welche organisatorischen Mechanismen hierfür zu ergreifen und zu koordinieren waren.6 Gerade der Vergleich mit zeitlich jüngeren Gemeinschaften zeigt, daß die öffentliche Getreideversorgung keineswegs einen Automatismus, oder die politische Konsequenz einer bestimmten historischen Entwicklungsetappe darstellt, sondern von zahlreichen kulturellen Kontingenzen abhängig war. Dies spricht auch gegen einen zuweilen konstatierten angeblichen ‚Drang zum Staat‘, da dieser PartikulaULQWHUHVVHQYLHOIDFKVW|UHQGHQWJHJHQVWHKWXQGKlXÀJHUVWHUNlPSIWZHUGHQPX‰7 So zählten zwar Hungerunruhen, wie George Rudé anhand von Protestaktionen in England bzw. Frankreich zwischen 1730 und 1848 gezeigt hat, mit zu den primären Anlässen für Aufstände und damit für Angriffe auf die politische und soziale Ordnung.8 Wie man staatlicherseits auf dieses Problem reagierte, war jedoch höchst unterschiedlich. Man konnte Forderungen nach bezahlbaren Nahrungsmitteln als politisch berechtigt anerkennen (z. B. innerhalb der Französischen Revolution) oder DEHUGHUDUWLJH8QUXKHQHLQIDFKDOV6W|UXQJGHU|IIHQWOLFKHQ2UGQXQJDETXDOLÀ]LHren und die Aufständischen niederkartätschen lassen (Frankreich 1817). Ebenso unterschiedlich waren die administrativen Regelungsstrukturen: Sie konnten die strikte staatliche Regelung der gesamten Getreideversorgung mit Festlegung von Höchstpreisen, Anlegen von Getreidespeichern oder staatlichen Aufkäufen großer Getreidemengen betreffen, doch ebenso auch die Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Lebensmittelmarktes (z. B. durch den Ausbau von Verkehrswegen, die AbVFKDIIXQJOLPLWLHUHQGHU%HVWLPPXQJHQRGHUGLHÀQDQ]LHOOH6WlUNXQJGHV%lFNHUJHwerbes, so etwa in England).9 Interessanterweise besaß hierbei das Beispiel der römischen Antike bis in die Neuzeit hinein eine gewisse Strahlkraft. So war die Stadt, welche im 17. und 18. Jahrhundert die intensivsten Anstrengungen zur administrativen Abmilderung von

5 6 7 8 9

bereiche selbst der Frühen Neuzeit begrenzt waren bzw. durch klienteläre Strukturen mediatisiert wurden, so z. B. Reinhard 1974; Schlögl 2005; Thiessen 2010; Thiesen/Windler 2005. Ungern-Sternberg 1991, 27. Diese Ausführungen folgen der Staatlichkeitsbeschreibung von Genschel/Zangl 2008. So die Überschrift zum fünften Kapitel des Buches von Roth 2003. Rudé 1977. Die Unterschiede zwischen den stärker auf dirigistische Maßnahmen der Marktkontrolle setzenden französischen Behörden des Ancien Régime und den stärker auf die Aktivierung von Marktmechanismen setzenden Londoner Behörden untersucht Keller 1983 in unterschiedlichen kulturellen Traditionen, naturräumlichen Voraussetzungen und Konsequenzen.

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Getreideteuerungen unternahm, nicht etwa das wirtschaftlich prosperierende London, sondern das päpstliche Rom. Die Päpste sahen sich zu ihrem letztlich geradezu ruinösen Engagement v. a. deshalb gezwungen, weil die römische Bevölkerung klar konturierte Erwartungshaltungen hegte. Man berief sich hier sowohl auf das historische Beispiel Papst Gregors des Großen, der die Stadt einstmals vor Hunger bewahrt habe, als auch allgemein auf die großen römischen Traditionen.10 Ähnlich starke Erwartungshaltungen machten die Menschen etwa im zeitgenössischen London keineswegs geltend. Demzufolge, so die These dieses Aufsatzes, läßt sich die Frage nach der Getreideversorgung sowohl als Fokus für eine Analyse grundlegender Wertvorstellungen nutzen als auch für eine Beantwortung der Frage, welchen 5FNVFKOX‰ DXI GLH 6SH]LÀND HLQHU SROLWLVFKHQ 2UGQXQJ GHUHQ 8PJDQJ PLW GHU Getreidefrage ermöglicht. Ich folge mit meinen Überlegungen zur Bedeutung der Getreideversorgung als Thema von Staatlichkeitsdiskursen auch Anregungen der neueren Politikwissenschaft. So haben gerade deren Vertreter, z. B. Gunnar Folke Schuppert, explizit vor einem zu eingeengten, vom europäischen Staat der Moderne geprägten Staatlichkeitsverständnis gewarnt.11 Dies unterschätze nicht nur Transformationen von Staatlichkeit, sondern auch Formen von Staatlichkeit, die anderen kulturellen Mustern folgten und doch Organisationskapazitäten bargen, die nicht nur auf Familie oder gentilizische Strukturen rekurrierten. Diese Anregungen wurden auch innerhalb der Alten Geschichte rezipiert, so z. B. jüngst von Peter Eich und Hans-Ulrich Wiemer, die dafür plädierten, Verstaatlichungsprozesse in historisch vergleichender Perspektive zu untersuchen und als historisch kontingenten Prozeß kommunikativer Aushandlungs- und Interessenwahrungsprozesse ernstzunehmen.12 Auch Uwe Walter hat die Fruchtbarkeit einer Frage nach Institutionalisierungsprozessen in der Antike, d. h. einer Versachlichung und Verstetigung von Gemeinschaftsaufgaben unterstrichen, gerade weil sie Rückschlüsse auf höchst unterschiedliche Grade und Formen von Staatlichkeit ermöglicht.13 Diesen Impulsen werden die Überlegungen zum Problem der Getreideversorgung in Rom folgen. 10

11 12 13

Zu Besonderheiten der römischen Getreideversorgung vgl. Reinhard 1991, der sie als Mischung aus Marktangebot und öffentlicher Intervention bestimmt, die sich aus staatlicher Vorratshaltung speiste. Er weist hier nach, daß die Sicherung der Brotpreisstabilität absolute PrioULWlWEHVD‰XQWHUGLHVLFKDOOHDQGHUHQ,QWHUHVVHQZLHGLHDQGHUQRUWVSULRULVLHUWHQ*U|‰HQ3URÀW oder Rentabilität unterordnen mußten. Diese Gewährleistung eines weitgehend stabilen Brotpreises wurde geradezu zum Tabu und Mythos. Reinhardt macht als Ursachen dieses europäischen Sonderwegs eine entsprechende Anspruchshaltung der Verbraucher aus, welche den regierenden Pontifex an rigide Normen band, die auch in altverwurzelten caritativen Traditionen ruhten (465). Zur Berufung auf Gregor den Großen siehe Reinhardt 1991, 50. Schuppert 2010, hier 128 f., 163 f. Wiemer 2006; Eich/Schmidt-Hofner/Wieland, 2011, 26 f. Vgl. jetzt auch die nuancierte Einleitung von Christoph Lundgreen zu diesem Band. Walter 1998. Vgl. auch die differenzierten Überlegungen von Eder 1990, v. a. 17 ff. Er verweist durchaus auf Differenzen römischer Staatlichkeit zu modernen Staatlichkeitsformen, geradezu ‚gegenstaatliche Institutionen‘ wie die patria potestasGHU*HIROJVFKDIWVSÁLFKWYRQ.OLHQWHQ gegenüber ihrem Patron oder dem Militäreid, doch ebenso auf Gemeinsamkeiten, wie z. B. das territorialstaatliche Verständnis des ager Romanus bzw. die Verwaltung sowie der Schutz bürgerlicher Rechte durch Prätor und Volkstribune u. a. m.

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Klärungsbedürftig ist vor allem der Entstehungsprozeß dieser Form der Getreideversorgung. Woraus erwuchs deren gesellschaftliche Notwendigkeit? Welche Argumente und Gegenargumente formten diesen Diskurs? Wie setzten sich derartige Ansprüche schließlich durch? Welche Widerstände mußten überwunden werden? Welchen Grad an zentraler Organisation erreichte die Getreideversorgung? Es wird im Folgenden also der Genese dieses Organisationsprozesses und des ihn begleitenden Diskurses nachzugehen sein, der in das letzte Jahrhundert der Römischen Republik sowie in den Beginn des Principats zu datieren ist.

II Im Jahre 123 v. Chr. kam es in Rom zum spektakulären Gesetz des Volkstribunen Gaius Gracchus. Nach diesem Gesetz hatte künftig jeder römische Bürger ab vierzehn Jahren unabhängig von seinem Privatvermögen das Recht, fünf modii Getreide, also ca. 35 kg Weizen, zum Preis von 6 1/3 As pro Modius zu kaufen.14 Dieser Preis lag deutlich unter dem üblichen Marktniveau. Außerdem veranlaßte Gaius den Bau von Getreidespeichern, die eine Vorratshaltung ermöglichten.15 Bemerkenswert ist die Begründung, mit welcher Gaius seinen Antrag versah: Er motivierte ihn, wie der römische Historiker Florus überliefert, mit der berechtigten Teilhabe des römischen Volkes am Staatsschatz: „Was kann es Gerechteres geben als wenn das bedürftige Volk von seinen Erträgen lebt?“16 Diese Begründung erwies sich als überzeugend und die Volksversammlung nahm seinen Gesetzesvorschlag an. Wie feindlich senatorische Kreise dem Projekt jedoch gegenüberstanden, spiegeln die Quellen aufs deutlichste.17 So warfen Cicero und andere Autoren dem 9RONVWULEXQYRUGD‰HUGXUFKVFKLPSÁLFKHXQGPD‰ORVH$XIZHQGXQJHQXQG6FKHQkungen den Staatsschatz verschleudert und dadurch geradezu die Nervenstränge des Gemeinwesens ruiniert habe.18 Andere Autoren monierten, er habe sich die Gunst des Volkes durch exzessive, zuvor nie dagewesene Bestechungen und Versprechungen erkauft und dieses gegen den Senat aufgehetzt.19 Dadurch habe er den Staat zerstört. Velleius Paterculus faßte dies zu einem vernichtenden Generalurteil über Gaius Gracchus zusammen: „Er ließ nichts unbewegt, nichts ruhig, nichts still und letztendlich nichts in seinem bisherigen Zustand.“20 Die Vorwürfe fokussieren vor allem darauf, C. Gracchus gefährde ohne jegliche Notwendigkeit die Finanzreserven der res publica und bedrohe aus eigensüchtigem Machtinteresse durch neue, 14

15 16 17 18 19 20

Liv. per. 60; Schol. Bob. p. 132 u. 135 Stangl; App. b.c. 1,21; Plut. C. Gracch. 5; Cic. Tusc. 3,20,48; Sall. Hist. 3, 48 M; vgl. Gran. Lic. 36, p. 34; vgl. Garnsey/Rathbone 1985; Erdkamp 2000; zu republikanischen Frumentargesetzen generell vgl. Virlouvet 1994. Festus p. 392 L; Plut. C. Gracch. 6; Rickman 1980, 22. Flor. epit. 2,1: Quid tam aequum quam inopem populum vivere ex aerario suo? Vgl. hierzu Erdkamp 2000, 51; Ungern-Sternberg 1991, 31. Cic. off. 2,72; Flor. epit. 2,1,7. Oros. hist. 5,12; App. b.c. 1,21. Vell. Pat. 2,6,3.

Die Debatte um die Regelung der Getreideversorgung

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bisher nie dagewesene Initiativen die innere Machtbalance, gefährde damit sogar das Staatswesen. Doch überstieg das Vorhaben des Volkstribunen tatsächlich bisherige Regelungsmechanismen der Getreideproblematik? 'LHVH)UDJHNDQQHLQGHXWLJEHMDKWZHUGHQ+XQJHUNULVHQJHK|UWHQDOVKlXÀJ auftretende Begleiterscheinung zur Geschichte der Römischen Republik, insbesondere zur Geschichte ihrer Anfänge. Ungeachtet der Problematik der annalistischen Überlieferung und ihrer Unzuverlässigkeit, wenn es um die Übermittlung präziser historischer Details geht, kann von einer generellen Verläßlichkeit ausgegangen werden, was das Phänomen von Versorgungskrisen als solches anbelangt.21 Insbesondere im 5. und 4. Jh. v. Chr., als Rom noch auf die Versorgung durch die unmittelbare Nachbarregionen angewiesen war und die Zufuhr ebenso durch Mißernten wie durch Kampfhandlungen unterbrochen wurde, verschärften Hungerkrisen die sozial ohnehin angespannte Lage, welche sich in den Ständekämpfen Bahn brach. Für die Jahrzehnte nach 500 v. Chr. bis zum Beginn des 3. Jh. v. Chr. berichten Livius und Dionysios von Halikarnassos wiederholt von schweren Störungen der Getreideversorgung, ja Hunger.22 Eine gewisse Entspannung trat erst ein, als Rom mit zunehmend erfolgreicher Expansion auf die Getreideressourcen Kampaniens und Etruriens zurückgreifen konnte. Eine weitere gravierende Verbesserung ergab sich nach dem Ende des 2. Punischen Krieges, durch den Rom langfristig Zugang zu den prosperierenden Getreidemärkten Sardiniens und Siziliens erhielt. Es war also die zunehmend erfolgreiche römische Expansion, die der res publica den Zugriff auf Getreideressourcen ermöglichte. Insbesondere seit der Eroberung Siziliens und Sardiniens (241 bzw. 238 v. Chr.) sowie deren Umwandlung in Provinzen gelang Rom der Anschluß an prosperierende Getreidemärkte.23 Daß die Situation innerhalb Roms dennoch weiterhin von stark schwankenden Preisen und auch Lieferengpässen geprägt war, beOHJWHLQHEHLOlXÀJH%HPHUNXQJ&DWRVGHVbOWHUHQ)ULKQJHK|UWHQSHULRGLVFKDXItretende Hungersnöte und Teuerungen genauso selbstverständlich zur Geschichte 5RPVZLH0RQGÀQVWHUQLVVHRGHUhEHUVFKZHPPXQJHQ,QVHLQHP*HVFKLFKWVZHUN den Origines, betonte er, diese seien so normal, daß sich deren besondere Erwähnung schlichtweg erübrige.24 Quellenberichte zeigen, daß durchaus die Erwartungshaltung existierte, wonach die Beseitigung solcher Notlagen dem Senat und seinen Magistraten oblag. Tatsächlich gab es Magistrate (anfänglich Konsuln, später Aedile), die sich bemühten, akute Notlagen zu lindern, indem sie Getreide in nicht näher bekannter Menge aus dem römischen Umland oder aus weiter entfernten Gebieten organisierten, sei es aus der Pontinischen Ebene in Latium, aus Kampanien, Sizilien oder Etrurien.25 21 22

23 24 25

Garnsey 1988, 167–172; Virlouvet 1985 differenziert insgesamt zu wenig nach Epochen und Ursachen. Z. B. für 505/04: Liv. 2,9–14; Dion. Hal. ant. 5,26; für 499 oder 496: Dion. Hal. ant. 6,17,3; für 492/1: Liv. 2,34 f.; Dion. Hal. ant. 7,1–12; 7,12–37; eine Zusammenstellung der Belege für diese Zeit bietet Virlouvet 1985, 11–13. Garnsey 1988, 182–186. Cato fr. 77 P = Gell. 2,28,6. Dion. Hal. ant. 7,20; 7,73,3; Liv. 2,34,7; Garnsey 1988, 178.

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Allerdings blieb die Zahl der überlieferten Hilfsaktionen gemessen an der Zahl der Versorgungskrisen gering. Es handelte sich hierbei immer um spontane, nicht berechenbare Einzelmaßnahmen.26 Daß es durchaus gute Gründe gegen eine magistratische Intervention gab, z. B. weil man Steuergetreide zugunsten der Staatskasse P|JOLFKVW SURÀWDEHO YHUNDXIHQ ZROOWH ]HLJW GHU 8PVWDQG GD‰ *HWUHLGHYHUNlXIH durch Aedile v. a. aus Zeiten des Überschusses und billiger Preise in den Jahren 203–196 v. Chr. überliefert werden.27 Doch selbst im gegenteiligen Fall waren die Aktionen auf die Behebung einer kurzfristigen Krise gerichtet, jedoch nie auf Dauer bzw. auf die Verhinderung zukünftiger Probleme angelegt. Den Magistraten fehlten Kompetenzen zum Getreidekauf ebenso wie stabile Geldmittel, dauerhafte Vereinbarungen mit Lieferanten und Produzenten, Speicher oder gut ausgebaute Häfen.28 Doch auch euergetische Maßnahmen werden in den Quellen sehr selten überliefert, trotz der damit verbundenen Möglichkeiten zum Popularitätsgewinn. Der Grund hierfür liegt in einem verglichen mit Griechenland stärker militärisch fokussierten Leistungsideal der Nobilität, während großangelegte Getreidespenden traditionell im Verdacht standen, deren Urheber wolle ungerechtfertigten politischen (LQÁX‰HUZHUEHQ+LHUYRQ]HXJHQQHJDWLY([HPSODZLHGDVGHV6SXULXV0DHOLXV dem unterstellt wurde, er habe 440/39 v. Chr. Getreidelager anlegen lassen und anläßlich einer Hungersnot Getreide zu niedrigen Preisen an die hungernde Bevölkerung verkauft, um auf diese gestützt das Konsulat anzustreben oder eine Monarchie zu errichten. Der Legende nach wurde er daraufhin angeklagt und getötet.29 Insofern erscheint es nahezu folgerichtig, daß die zwischenzeitliche Verbesserung der Versorgungslage in Rom nicht auf öffentliche Maßnahmen zurückzuführen ist, sondern auf die Erfolge der römischen Expansion. Diese ermöglichten die Kolonisierung eroberten Landes ebenso wie den bereits erwähnten Zugriff auf die prosperierenden Getreideregionen rund um das Mittelmeerbecken wie Sizilien, Sardinien und Afrika.30 Bestand dieser Zugang anfänglich in sporadischen Großspenden lokaler Könige wie Hieron und Massinissa, um sich die Gewogenheit Roms zu sichern,31 sicherte die direkte Provinzialisierung ein erhebliches Getreidesteueraufkommen ab dem Anfang des 2. Jh. v. Chr., welches römische Behörden nach Bedarf zu steigern trachteten. Hinzu kam Pachtgetreide von okkupiertem Staatsland v. a. in Kampanien und Sizilien.32 Deshalb erstaunt umso mehr, daß die Maßnahmen des C. Gracchus 123 v. Chr. in eine Zeit fallen, in der Rom die chronischen Versorgungsprobleme der Frühzeit auf Grund seiner militärischen Dominanz eigentlich überwunden hatte. Die Forschung geht denn auch davon aus, daß seine Initiativen nicht durch eine dauerhafte 26 27 28 29 30 31 32

So vermuten plausibel Garnsey/Rathbone 1985, 23. Liv. 31,50,1; 33,42,8 (2 Asse); 30,26,5 ff.; 31,4,6 (4 Asse). Veyne 1976, 446 nannte das Notfallmanagement des römischen Senats ‚dilettantisch‘. Zu den unzureichenden Speicherkapazitäten vgl. Rickman 1971, 149 f. Liv. 4,13–15; Dion. Hal. ant. 12,1–4; Cass. Dio 6,20. Dion. Hal. ant. 6,43; 7,12 f.; 9,25,1; Liv. 2,21,7; 31,4; 34,6; Garnsey 1988, 179–181; vgl. hierzu jetzt Sweetman 2011. Polyb. 1,18,4.11; 1,52,8; Diod. 24,1,4; 25,14; Eutrop. 3,1,3; Liv. 21,50,9 f.; 23,21,5 f.; 38,13; 24,21,9; 26,23,2; 31,19,4; 32,27,2; 36,4,8; 43,6,11; Garnsey 1988, 183–185. Garnsey/Rathbone 1985, 21.

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Versorgungskrise ausgelöst wurden.33 Waren sie also, wie seine Gegner behaupteten, tatsächlich nur dem politischen Ehrgeiz des jungen Volkstribunen geschuldet, eine für ihn wohlfeile, für die res publica jedoch teure und sinnlose Variante, aus der Alimentierung von Getreideempfängern politisches Kapital zu schlagen? Eine Klärung dieser Frage ist insofern aufschlußreich, als sie Rückschlüsse auf die Entstehungsgründe institutioneller Regelungsstrukturen in ihren Interessen, Gegeninteressen, Notwendigkeiten und Legitimationslogiken liefert. Sie verdeutlicht das Entstehen von Staatlichkeit als anwachsendes Regelungsinteresse auf verschiedenen Feldern in Verbindung mit der Entstehung kollektiver Interessen und der wachsenden Unzufriedenheit mit bisherigen Regelungsstrukturen, stellt insgesamt also ein eminent kulturelles Phänomen dar. Tatsächlich befand sich Rom seit dem 2. Jh. v. Chr. in einer bisher nicht dagewesenen günstigen Versorgungssituation. Dieser generelle Befund bedarf jedoch der Differenzierung. Zum einen hatte sich die Bevölkerungszahl und damit die Konsumentenzahl innerhalb der Stadt Rom immens erhöht. Sie betrug zur Zeit des C. Gracchus ca. 250.000, was die nachgefragte Getreidemenge auf ca. 7,5 Millionen Modii jährlich steigerte und damit auch Spekulationen lukrativer machte.34 Zudem kam es trotz des generell einfacheren Zugangs zu ertragreichen Getreidemärkten weiterhin zu schwankenden Getreidepreisen, sei es infolge von Mißernten etwa durch eine Heuschreckenplage in Afrika 125/4 v. Chr., witterungsbedingten Transportschwierigkeiten wie auch fehlenden Lagerkapazitäten oder einer für 142 v. Chr. berichteten Epidemie.35 Die stark schwankenden Preise wurden insbesonders für die Römer zum Problem, welche sich selbst in günstigen Zeiten durch sporadische Arbeitsgelegenheiten kaum zu ernähren vermochten. Und nicht zuletzt war der Hauptkonkurrent um verfügbares Getreide das römische Heer.36 Öffentliche Maßnahmen zielten primär auf die Gewährleistung von dessen Kampfkraft ab, war hieran doch das Prestigeinteresse der Nobilität gebunden. Das schloß eine bestmögliche Versorgung der Soldaten mit Nahrungsmitteln ein. Mußte die Heeresstärke auf Grund schwieriger Kampfhandlungen erhöht werden, wie es infolge der Spanienkriege seit der Mitte des 2. Jh. v. Chr. sowie in den Sizilischen Sklavenkriegen seit den dreißiger Jahren der Fall war, reduzierte sich die Quantität des nach Rom strömenden Steuergetreides erheblich. Unmittelbar vor dem Tribunat des C. Gracchus stieg die Zahl der römischen Legionen auf sieben im Jahre 125 v. Chr. sowie auf neun im Jahr darauf infolge der Kriege in der Gallia Transalpina sowie in Sardinien, was eine erhöhte Getreidezufuhr in diese Regionen erforderte und den Nachschub aus Sardinien unterband.37 Die Versorgung der stadtrömischen Bevölkerung oblag dann unberechenbaren Marktmechanismen.38 Krisenhafte Situationen erwuchsen somit nicht aus generellen Versorgungsproblemen, 33 34 35 36 37 38

Garnsey 1988, 195. Garnsey/Gallant/Rathbone 1984, 40 Anm. 42. Obseq. 22; Oros. hist. 5,4,8-i. Erdkamp 1998 und 1995. Vgl. Tab. XIII in Brunt 1987, 433. Zur wesentlichen Rolle privater Getreidetransporteure Liv. 30,38,5; 38,35,5; vgl. Garnsey 1983, 121 ff.

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sondern aus sozialen Differenzierungsprozessen, welche die bisherigen Versorgungsmechanismen unzureichend werden ließen.39 Wie problematisch die Situation mittlerweile geworden war, zeigt die ausdrückliche inschriftliche Ehrung für Q. Caecilius Metellus Balearicus, welcher Getreide von Verbündeten aus Thessalien beschafft hatte, „da die Situation in seinem Land eine der Hungersnot war.“40 Weiterhin macht die Inschrift deutlich, daß Caecilius Metellus für seine Aufgabe auf private Netzwerke zurückgriff: Er hatte sich auf Verdienste seiner Vorfahren berufen und auf dieser Basis um Getreidelieferungen gebeten. Damit verweist sie aber auf die personalisierte und wenig professionelle Natur dieser Maßnahmen, welche für einen improvisierten Umgang des römischen Senats mit Versorgungskrisen stehen. Es kam zu mehreren Hungerjahren in Folge und zwar bereits in den dreißiger -DKUHQGHV-KY&KU(LQHQHLQGUXFNVYROOHQ5HÁH[GDIUJLEWGHUEHL9DOHULXV Maximus überlieferte öffentliche Zusammenstoß zweier Magistrate. Anläßlich von Protestaktionen im Jahre 138 v. Chr. hatte der Volkstribun C. Curiatius eine Intervention des Senats für Getreideankäufe gefordert, war aber vom Konsul P. Cornelius Scipio Nasica mit der Zurückweisung beschieden worden: „Seid still, ich weiß besser als ihr, was gut für Euch ist.“ Der Überlieferung nach habe das Volk daraufhin seine Demonstration beendet und die Forderungen aufgehoben.41 Die Episode zeigt einerseits, daß man zu diesem Zeitpunkt die Geltungsbehauptungen eines Konsuls auf überlegene Deutung der Situation und der Frage des öffentlichen Nutzens gemäß alter Tradition seitens der Bürger noch zu akzeptieren bereit war. Zugleich empfand man die Situation mangelnder Versorgungs- und Preisstabilität jedoch zunehmend als unbefriedigend und verband damit die Erwartung nach einer magistratischen Initiative. Diese Erwartung mochte noch dadurch verstärkt werden, daß die Möglichkeit der Landverteilung durch Koloniegründungen in Italien weggefallen war, man zugleich aber um den prinzipiellen Zugang Roms zu ertragreichen Getreidemärkten XQGVHLQHJHZDFKVHQHQÀQDQ]LHOOHQ0|JOLFKNHLWHQZX‰WHDOVRHQWVSUHFKHQGH(Uwartungen ausbilden konnte. Zudem hatte man erlebt, daß eine öffentlich garantierte Versorgungs- und Preisstabilität im Bereich der Heeresversorgung durchaus funktionierte. So wurde den Soldaten ein fester Getreidepreis vom Lohn abgezogen, und unmittelbar in den Jahren vor der Initiative des Gracchus ist auch der Bau der ersten öffentlichen Getreidespeicher für die Heeresversorgung bezeugt.42 Insofern überrascht es keineswegs, daß C. Gracchus wenige Jahre später für seine Initiative erhebliche Unterstützung seitens der Bürger fand. Hierbei erwies sich als entscheidend, daß er den offenbar seit längerem virulenten Bedürfnissen 39

40 41 42

Cic. Verr. 2,3,163 zeigt in einer Angabe für das Jahr 70, daß der Jahresverbrauch der Stadt Rom von 123 v. Chr. allein aus dem Steueraufkommen Siziliens hätte gedeckt werden können, vgl. Garnsey/Rathbone 1985, 22. Vgl. hierzu Garnsey/Gallant/Rathbone 1984. Garnsey/Rathbone 1985, 25 datieren diese Inschrift jetzt auf 129 v. Chr. Val. Max. 3,7,3 führt die Episode unter der Rubrik 'H ÀGXFLD VXL; den Ausnahmecharakter dieser Episode betont aber auch Jehne 2010, 111 f. Polyb. 6,39,12–15; zu den Getreidespeichern Rickman 1971, 251 f.

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der Bürger Roms eine explizite Legitimation verschaffte, wenn er die Initiative dahingehend begründete, es handele sich bei der Sicherung des Existenzminimums keineswegs um Luxus.43 Zudem habe das Volk das Recht, aus seiner Kasse zu leben (vivere ex aerario suo), und es stünde ihm absolut zu, daraus den Getreidepreis zu subventionieren (non plus soluturos quam vellent).44 Die Rigorosität seiner Begründungslogiken erinnert an das Vorbild seines Bruders Tiberius bei der Rechtfertigung von dessen Ackergesetz zehn Jahre zuvor. C. Gracchus gelang es, die Volksversammlung zur Wahrnehmung ihrer Entscheidungskompetenz in dieser Angelegenheit zu motivieren, indem er die Berechtigung dieses Anliegens durch Rekurs auf den populus Romanus dartat, immerhin eines der am meisten strapazierten Sujets öffentlicher Reden. Zudem zeigte seine geschickte administrative Umsetzung der Beschlüsse, daß sich auch die nötige Organisationsmacht durchaus realisieren ließ. Er sorgte nicht nur für die Finanzierung aus der Attalidischen Beute, sondern auch für den Bau von Speichern sowie für eine Erhöhung des Getreideaufkommens durch das Projekt einer Neubesiedelung und Kolonisierung des ehemaligen Karthago.45 Die ungewöhnliche Größe der zu verpachtenden Grundstücke wird innerhalb der Forschung dahingehend gedeutet, daß es C. Gracchus nicht nur um die Selbstversorgung der Pächter gegangen sei, sondern auch um die Überschußproduktion für den römischen Markt.46 Die Motive des Senats gegen das Gesetzesprojekt lagen, wie bereits Jürgen von Ungern-Sternberg plausibel gemacht hat, keineswegs in einer Überforderung des Staatsschatzes, wie konservative Gegner behaupteten.47 Entscheidend war, daß der Senat das aerarium bereits exklusiv als seinen Besitzstand betrachtet habe, weshalb er jegliche Schmälerung, die nicht seinen genuinen Interessen entsprach, energisch abgewehrt habe. In dieser Hinsicht war es sehr wohl von Belang, wenn man jährlich eine erheblich Summe nicht für die Spesen senatorischer Beamter oder für die Unterstützung prestigefördernder Unternehmungen (seien es Spiele, Bauten oder Kriege) aufwenden konnte, sondern für die Subventionierung von Getreidepreisen, derer man selbst nicht bedurfte.48 Ein derartiges Verständnis wird auch durch eine Episode um den ehemaligen Konsul L. Calpurnius Piso Frugi in Reaktion auf den Erlaß des Gesetzes illustriert. Dieser erschien unerwartet beim subventionierten Getreideverkauf und verkündete dem verdutzten Volkstribun, er sei absolut dagegen, daß dieser jetzt seine Güter (mea bona) unter die Bürger Roms verteilen dürfe. Wenn dies nun jedoch geschähe, wolle er seinen Anteil davon haben.49 Genau diese Interessenstrukturen sprechen jedoch m. E. dagegen, den Widerstand des Senats primär auf den erbitterten persönlichen Gegensatz zwischen ihm 43 44 45 46 47 48 49

C. Gracch. ORF4 30, fr. 51; Plut. C. Gracch. 5. Flor. epit. 2,1,3; Nonius p. 728 L.; vgl. zum Folgenden Ungern-Sternberg 1991, 35 f. Festus, p. 392 L; Plut. C. Gracch. 6; Rickman 1980, 22; 42. App. b.c. 1,24; Pun. 136; Rickman 1980, 44. Cic. Sest. 103; off. 2,72; Tusc. 3,48. Ungern-Sternberg 1991, 35. Cic. Tusc. 3,48: Nolim inquit, mea bona, Gracche, tibi viritim dividere libeat, sed si facias, partem petam.

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und C. Gracchus sowie die Furcht vor dessen Machtgewinn zurückzuführen, auch wenn die gezielten Aktionen gegen die Person des Volkstribunen dies nahelegen. Eine Deutung muß die erbitterte Gegnerschaft vielmehr tatsächlich in einen Staatlichkeitsdiskurs einordnen, d. h. eine Kontroverse um politische Ziele und Mittel im Gemeinwesen, bei denen unterschiedliche Gruppeninteressen miteinander heftigst kollidierten. Denn die Verstetigung der Getreideversorgung hätte keineswegs zwingend zu einer monarchischen Machtstellung des C. Gracchus führen müssen, sofern sich der Senat sofort zum Fürsprecher dieser Maßnahme gemacht hätte und deren weitere Umsetzung aktiv begleitet hätte. Allerdings hätte dies den bereits thematisierten 0LWWHODEÁX‰LQ.DQlOHEHGHXWHWGLHGHQ6HQDWRUHQSULYDWNHLQHUOHL9RUWHLOHEUDFKten. Zudem wäre eine Thematik dauerhaft auf die administrative Agenda geraten, die im herkömmlichen Prestigespektrum der Nobilität im Gegensatz zur Kriegsführung nicht nur unzureichend verankert war, sondern von vielen Nobiles sehr wahrscheinlich als völlig unter ihrer Würde angesehen wurde. Die niedere Stellung der GDPLWEHWUDXWHQ%HDPWHQGHUHQEHJUHQ]WH.RPSHWHQ]HQVRZLHGLHIHKOHQGHÀQDQzielle und organisatorische Fundierung belegen die geringe Wertigkeit dieses Bereichs, der bestenfalls der Sphäre patronaler Fürsorge zugeordnet wurde.50 Und drittens hätte ein Erfolg dieser Maßnahme die grundsätzlich hierarchisch geprägte Natur der politischen Willensbildung in einem entscheidendem Feld verändert. Er hätte das erfolgreiche Eindringen von Interessen und damit die Politisierung eines Gegenstandsbereichs bedeutet, der für Gruppen außerhalb des Senats relevant war, für die Nobilität hingegen nicht. Wie eindrücklich sich gerade am öffentlichen Umgang mit der Getreideversorgung die politischen Funktionsweisen eines Gemeinwesens bestimmen lassen, zeigen die unterschiedlichen Umgangsweisen mit dieser Problematik in Rom und zahlreichen griechischen Poleis. Hier deuten die vielfach dokumentierten Anstrengungen zu Formen der Marktkontrolle und Sicherung der Getreideversorgung darDXIKLQGD‰PDQGLHVHQ%HUHLFKVHKUZRKODOV7KHPDGHUDOOJHPHLQHQ3ROLWLNGHÀnierte, eine Konsequenz der stärker bürgerschaftlich geprägten Organisation griechischer Poleis.51 Innerhalb der römischen Republik war die politische Willensbildung hingegen durch tiefe Hierarchien geprägt. Entscheidungskompetenzen der Volksversammlung waren durch Einschränkungen beim Antrags- und Rederecht faktisch marginalisiert, abweichende Meinungen somit nur durch Spaltungen innerhalb der Nobilität realisierbar. Diese fehlenden institutionellen Mechanismen für 50

51

Wie wenig prestigewürdig eine solche Aufgabe tatsächlich war, belegen noch mehr als einhundert Jahre später die Schwierigkeiten von Kaiser Augustus, die Aufgabe angemessen zu deleJLHUHQ'LH]XHUVWEHDXIWUDJWHQ3UlWRULHUXQG.RQVXODUHHUZLHVHQVLFKDOVLQHIÀ]LHQWZHVKDOE er die cura annonae an einen ritterlichen Amtsinhaber übertrug, Cass. Dio 55,26,3; vgl. Herz 1988, 68; Pavis d’Escurac 1976, 21 f. Vgl. z. B. jetzt Alston/Nijf 2008; Moreno 2007. Haensch 2012, 73–91 bietet das Beispiel eines Mannes namens P. Pomponius Aelianus, welcher seiner Heimatstadt Amantia nicht nur einen Getreidespeicher stiftete, sondern in einer Zeit des Getreidemangels dafür sorgte, daß Getreide zu einem festen Preis pro Modius erhältlich war, indem er einen Fonds hierfür einrichtete. Haensch deutet dies als eines von mehreren Beispielen der städtischen Bemühungen im Römischen Reich, Getreideversorgungsproblemen vorzubeugen (80–85).

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einen Interessenausgleich führten dazu, daß inhaltliche Differenzen primär als Gefahr für die innernobilitäre Machtbalance bewertet wurden, deren Initiator also als die eigentliche Bedrohung wahrgenommen wurde. Derartige Erwägungen bestimmten dann auch die weiteren Aktionen des Senats. Zwar vermochte er die Verabschiedung des Gesetzes vorerst nicht zu verhindern. Im Folgejahr gelang es ihm dann allerdings in einem ersten Schritt, die Popularität des Gaius Gracchus durch die Etablierung des senatstreuen M. Livius Drusus als Konkurrenten wirksam zu schwächen. Dieser übertrumpfte die Vorschläge des Gracchus einfach durch noch wohlklingendere Parolen, ohne jedoch die Absicht zu haben, diese jemals zu realisieren.52 Daraufhin wurde Gaius Gracchus für 121 v. Chr. nicht mehr zum Volkstribun gewählt. Als einer seiner Kollegen dann schließlich sogar formell die Aufhebung einiger Gesetze des Gracchus beantragte, kam es zu Unruhen. Daraufhin nutzte der Senat diese Störung der öffentlichen Ordnung zur Erklärung des Staatsnotstandes. C. Gracchus ließ sich schließlich durch einen Sklaven töten.53 Damit hatte sich der Senat seines gefährlichen Gegners erfolgreich entledigt. Ließ sich damit auch die drohende Verstetigung der Getreideversorgung abwenden? III Erstaunlicherweise erfolgte offenbar nach der Ermordung des C. Gracchus keine normative Rücknahme des Getreidegesetzes, ganz im Gegensatz zu anderen seiner Initiativen. Dieser Befund hat zu der weitgehend einhelligen Vermutung geführt, der Senat habe sich zur Beibehaltung des Gesetzes auf Grund des Drucks der Bürger gezwungen gesehen und habe auch die darauf basierende Getreideversorgung weitergeführt, bis die lex Sempronia in den 90er Jahren des 1. Jh. v. Chr. durch die in vielem rätselhafte, offenbar aber weniger aufwendige lex Octavia revidiert wurde.54 Diese Vermutung ist m. E. nicht zwingend. Auch wenn das Gesetz als solches formal beibehalten wurde, bedeutete das keineswegs, daß es auch umgesetzt wurde; beides hängt mitnichten zusammen. Die Vielzahl von Gesetzeswiederholungen zu anderen Sujets innerhalb der römischen Republik deutet darauf hin, daß die Einhaltung normativer Regularien von zahlreichen Faktoren abhing, viel mehr noch dann, wenn es hierzu eines kontinuierlichen politischen Willens und entsprechender organisatorischer Umsetzungen bedurfte. Gegen eine derartige Umsetzung spricht jedoch manches. Die Volksversammlung verfügte über keine eigenständige Organisationsmacht und wäre auf entsprechende Initiativen von Magistraten angewiesen gewesen. Insofern wäre eine explizite Aufhebung dieses Gesetzes nicht nur wegen dessen Popularität kontraproduk52 53 54

Plut. C. Gracch. 8 f. App. b.c. 1,266; Plut. C. Gracch. 16. So z. B. Ungern-Sternberg 1991, 39; Garnsey 1988, 198. Die möglicherweise in den neunziger Jahren erlassene lex Octavia wird durch Cicero als deutlich maßvoller gegenüber der lex Sempronia gepriesen, doch ist über deren Inhalt oder Umsetzung wenig bekannt; Cic. Brut. 222; off. 2,72.

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tiv gewesen, sie war zugleich völlig unnötig. Das mögliche Veto des späteren Konsuls C. Marius als Volkstribun 119 v. Chr. gegen ein nicht näher bekanntes populares Getreidegesetz deutet eher darauf hin, daß sich für einen erneuten Versuch ein neues Gesetz als normative Willensbekundung des Initiators anbot, daß der Senat jedoch stark genug war, derartige Versuche vorerst zu verhindern.55 In den Folgejahren konzentrierte man sich auf die Blockade aller erneuten Initiativen in dieser Richtung. So wurde L. Appuleius Saturninus, welcher 104 v. Chr. angesichts kriegsbedingter Versorgungsschwierigkeiten als quaestor Ostiensis Initiativen für eine Getreidebeschaffung unternahm, sofort abgesetzt und durch den gestandenen Consular M. Aemilius Scaurus ersetzt.56 Als das Volkstribunat Saturninus wenig später die Möglichkeit bot, seine Initiative durch ein eigenes Gesetz (entweder 103 oder 100 v. Chr.) zu untermauern, welches den Abgabepreis gegenüber der lex Sempronia noch weiter auf 5/6 as pro modius reduzierte, griff der Senat zu nackter Gewalt. Eine entschlossene Optimatengruppe unter Führung des quaestor urbanus Q. Servilius Caepio warf nicht nur die Stimmurnen um, sondern zerstörte sogar die Abstimmungsbrücken, um damit die Abstimmung über dieses Gesetz unmöglich zu machen.57 Wenig später feierte die Münzprägung von Servilius Caepio und seinem Kollegen L. Calpurnius Piso euphorisch deren Aktivitäten zur Verbesserung der Versorgungslage: „$')58 PHQWXP (08 QGXP (;6&“58

Abb. 8: Denar des L. Calpurnius Piso Caesonius und Q. Servilius Caepio, 100 v. Chr; RRC 330. Auf der Vorderseite Kopf des Saturn und Inschriften: PISO CAEPIO. Auf der Rückseite die beiden zwischen Ähren sitzenden Quästoren, darunter: AD · FRU · EMU · EX · S·C. British Museum, London.

Eine situative Aktion wurde hier als propagandistisches Äquivalent herausgestellt, da man eine systematische Regelung verweigerte. Auch in den mannigfachen Versorgungskrisen der Folgejahre, sei es wegen des Bundesgenossenkrieges 91–88 v. 55 56

57 58

Plut. Mar. 4,7. Die Begründung Ciceros, dies sei wegen Erfolglosigkeit und Mißmanagement geschehen, erscheint kaum glaubhaft, da Saturninus kurz darauf zum Volkstribunen gewählt wurde; vgl. Cic. har. resp. 43; Sest. 39; Diod. 36,12; Coarelli 1994. Im Kontext von Cic. har. resp. 43 wird anhand der exempla einiger Politiker behauptet, diese seien nur auf Grund narzisstischer Kränkungen Populare geworden, und versucht, die politische Substanz ihres Wirkens zu diskreditieren. Rhet. Her. 1,121. Crawford RRC, 330; „Aus Anlass des Getreideankaufs auf Senatsbeschluß“.

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Chr., der Auseinandersetzungen zwischen Optimaten und Popularen sowie der Belagerung Roms durch Sulla, blieb der Senat bei seiner Strategie der sporadischen Einzelmaßnahmen.59 91 v. Chr. wurde der durchaus konservativ gesonnene Volkstribun L. Drusus ermordet, sein Getreidegesetz zusammen mit weiteren Gesetzesvorhaben unverzüglich kassiert.60'HQYRUOlXÀJHQ(QGSXQNWELOGHWHGLHGHPRQVWrative gesetzliche Abschaffung jeglicher Getreideverteilungen durch L. Cornelius Sulla im Jahre 81 v. Chr.61 Dennoch hatten sich tiefgreifende Umbrüche vollzogen, welche es dem Senat mittelfristig unmöglich machten, die Politisierung der Getreidefrage zu verhindern. 2E]ZDUHVEHLDOOGLHVHQ.RQÁLNWHQXPZHLWPHKUJLQJDOVXPGLH1DKUXQJVPLWWHOversorgung Roms, und die Auseinandersetzungen der kommenden Jahre nicht auf die Stadt Rom beschränkt blieben, bekam die Bewältigung von Hungerkrisen im bevölkerungsreichen Zentrum des römischen Reiches innerhalb des Kampfes zwischen Optimaten und Popularen eine geradezu kardinale Bedeutung. Zur Disposition stand hierbei nicht nur die administrative Kompetenz des Senates, also seine funktionale Leistungsfähigkeit. Zu beachten ist auch eine symbolische Dimension, QlPOLFK GLH )UDJH RE GHU 6HQDW IU VHLQH 3DUWHLQDKPH EHL .RQÁLNWHQ LQ GLHVHP Problemfeld die Akzeptanz zu gewinnen vermochte und diese somit in seine HerrVFKDIW LQWHJULHUHQ NRQQWH 2E GLH %HZRKQHU 5RPV LQ HLQHP .RQÁLNW PLW EHUHLWV militärischen Austragsformen die Autorität des Senats akzeptierten, oder einen von dessen Herausforderern unterstützten, konnte sich deshalb auch an dieser Frage entscheiden. Die Erfahrung des politischen Kontrollverlusts machte der Senat z. B. im Jahre 87 v. Chr. anläßlich der Belagerung Roms durch einen aufständischen Politiker (L. &RUQHOLXV&LQQD *UR‰H7HLOHGHU%HY|ONHUXQJÁRKHQZHJHQGHUGURKHQGHQ+XQgersnot zum Herausforderer, obwohl dieser durch den Senat zum Staatsfeind (hostis publicus) erklärt worden war. Der Senat mußte kapitulieren.62 Das sensible System der Getreideversorgung der Großstadt Rom wurde somit gleichsam zum Spiegelbild der politischen Krise jener Jahre, und die Getreidefrage besaß enormes Machtpotential. Insofern überrascht es nicht, daß der Abschaffung der Getreidesubventionen durch den optimatischen General Sulla 81 v. Chr. keine lange Dauer beschieden war.63 In den Folgejahren verstärkt sich vielmehr der Eindruck, daß römische Bürger ihre Ansprüche auf eine funktionierende Getreideversorgung zunehmend aktiver anmeldeten, und daß ihre Mobilisierungsbereitschaft insgesamt stieg. So wurden im Jahre 75 v. Chr. anläßlich von akutem Getreidemangel die amtierenden Konsuln sowie ein designierter Prätor durch Hungernde auf der Via Sacra angegriffen, was in den Jahren 75 und 74 zu erhöhten Aktivitäten der Aedile bei der

59

60 61 62 63

So zu Recht Burckhardt 1988, 243 ff. Beispielhaft dafür ist das Lob Ciceros für individuelles Engagement während der Getreidekrise 75 v. Chr.; Cic. Verr. 2,3,215; Planc. 64; off. 2,58; vgl. auch Plin. nat. 18,16. Liv. per. 71. Sall. hist. 1,55,11 M. App. b.c. 1,67–70; Plut. Mar. 42; Garnsey 1988, 199. Sall. Hist. 1,55,11 M; 3,48,19 M; Rickman 1980, 165; Burckhardt 1988, 250.

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Getreideversorgung führte.64 Die politische Relevanz zeigte sich auch daran, daß es 78 bzw. 73 v. Chr. erstmals Konsuln waren, die Getreidegesetze einbrachten.65 Ebenfalls 73 v. Chr. ergingen Anweisungen an C. Verres, den sizilischen Statthalter, durch zusätzliche Getreidekäufe dort die Versorgungslage in der Hauptstadt zu stabilisieren.66 Die Quellen bezeugen, daß sich der einstmals widerstrebende Senat zu derartigen Zugeständnissen gezwungen sah, um weitergehende politische Forderungen (etwa die nach einer Wiederherstellung des durch Sulla entmachteten Volkstribunats) vorerst abzuwenden.67 Zugeständnisse in der Getreidefrage wurden somit zum politischen Kompensationsgeschäft. Am deutlichsten zeigt sich das in der Initiative von Cato d. J., einem entschiedenen Vertreter der optimatischen Senatsmehrheit, welcher 62 v. Chr. einen Senatsbeschluß durchsetzte, der in seinen Kosten beispiellos war, weil er den Empfängerkreis von subventioniertem Getreide auf 100.000 bis 120.000 Personen erweiterte.68 Allerdings überrascht seine Vorgehensweise weniger, wenn man den politischen Hintergrund jener Jahre in Rechnung stellt: Mit seinem Umsturzplan für das römische Gemeinwesen hatte Catilina im Jahr zuvor offenbar Unzufriedene unterschiedlichster Schichten anzusprechen vermocht, deren Probleme keineswegs gelöst waren. Tatsächlich wurde die Maßnahme ohne den geringsten Widerstand seitens des Senats verabschiedet. Wie aufgeheizt die politische Lage inzwischen war und wie stark grundsätzliche Differenzen Senat und römische Bevölkerung spalteten, zeigte sich exemplarisch an der öffentlichen Diskussion um die sogenannte lex Gabinia im Jahre 67 v. Chr. Piratenüberfälle im Mittelmeer waren zur Ursache einer bereits länger währenden Versorgungskrise geworden. Ursache dieser Piratenüberfälle war das allgemeine Machtvakuum im Mittelmeerraum, welches wiederum im Interesse des Senats wurzelte, magistratische Kompetenzen wegen allgemeiner nobilitärer Machtbalancen zu begrenzen. Folgerichtig drehte sich die heftige Debatte darum, ob die außergewöhnliche Gefahrenlage die Übertragung außergewöhnlicher Kommandobefugnisse an Cn. Pompeius, einen militärisch bewährten Consular, erlaube, wie der Volkstribun Aulus Gabinius anregte. Der Senat wehrte sich dagegen mit allen Kräften und dem Argument: Man sei eher bereit, alle Angriffe der Freibeuter zu ertragen, als einem Einzelnen derart große Macht zuzugestehen. Die Mehrzahl der Bürger sah dies jedoch völlig anders. Es kam zum gewaltsamen Aufruhr und der Senat mußte schließlich einlenken.69 Bemerkenswert bleibt dennoch, daß es weder Optimaten noch Popularen gelang, das Prestige für die Politisierung der Getreidefrage dauerhaft bei sich zu verankern, sondern die Bürger ihre Unterstützung dem erwiesen, dem sie die Lösung 64 65 66 67 68 69

Sall. hist. 2,45 M. Sall. hist. 3,48,19 M; Cic. Verr. 2,3,72; 163; 227. Zur lex frumentaria des M. Aemilius Lepidus 78 v. Chr. vgl. Gran. Lic. 36, p. 34; Sall. Hist. 1,55,1; 77,6; Duplá 2011, 287. Cic. Verr. 2,3,163; 5,52; Garnsey 1988, 200. Burckhardt 1988, 252 f. Plut. Cat. Min. 26,1; Plut. Caes. 8,4; Burckhardt 1988, 253 f.; Rickman 1980, 168 f. Plut. Pomp. 25; Vell. Pat. 2,31; App. Mithr. 94; Cass. Dio 36,34; Rickman1980, 51; Garnsey 1988, 207.

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dieses Problems zutrauten. Diese Erfahrung machte der populare Volkstribun P. Clodius, welcher 58 v. Chr. als Teil eines Maßnahmepakets, welches die Rechte der Bevölkerung so stark aufwertete wie niemals zuvor, auch die völlige Gratisvergabe von Getreide initiiert hatte.70 Weiterhin untersetzte er die Getreideverteilung durch administrative Maßnahmen, indem er für deren ordnungsgemäße Abwicklung und eine Finanzierung durch die Provinzialisierung Zyperns sorgte. All das verschaffte ihm zwar die Feindschaft einiger Optimaten, sorgte aber auch für seine erhebliche Popularität unter der Bevölkerung. So gelang es ihm 57 v. Chr. sogar, zahlreiche Anhänger zu Attacken gegen seinen frisch aus dem Exil zurückgekehrten Intimfeind Cicero zu lenken. Dieser sah sich plötzlich einer wütenden Menge gegenüber, die ihm in nächtlichen Demonstrationen vor seinem Haus die Schuld an der Teuerung zuwies und höchst nachdrücklich die Behebung der aktuellen Getreideteuerung von ihm verlangte,71 angesichts der wiederholt vorgetragenen Ansprüche Ciceros auf Rettung des Staates ein geschickt kalkulierter Coup.72 Zudem kam es am 6. und 7. September zu massiven Protesten der zu den ludi Romani im Theater versammelten Volksmenge. Schließlich zog man sogar zum Senat und drohte, seine Mitglieder zu erschlagen oder in ihrem Tagungsgebäude zu verbrennen, sollten keine wirksamen Gegenmaßnahmen gegen die Getreideknappheit unternommen werden.73 Genau an dieser Stelle endete aber interessanterweise ungeachtet seiner Popularität auch die Macht des Clodius. Denn als es darum ging, wem die Aufgabe der Getreideorganisation für 57 v. Chr. zu übertragen sei, war es Pompeius, der Sieger über die Seeräuber und Träger anderer militärischer Erfolge, dem auf Druck der Öffentlichkeit in Form der sogenannten cura annonae außerordentliche Befugnisse zur Organisation der Getreidebeschaffung mit einem prokonsularischen Oberbefehl für fünf Jahre übertragen wurde. Zudem bewilligte der Senat für den Getreideankauf 40 Millionen Sesterzen zusätzlich.74 Clodius hatte das Nachsehen. Dem Unterlegenen blieb nur noch die Möglichkeit, seine Gegner mit diffamierenden Nadelstichen zu attackieren, etwa, indem er die Kurzfristigkeit der Erfolge des Pompeius anprangerte Dies zeigt sehr klar, daß auch das einmal eingebrachte Getreidegesetz seinem Initiator keinesfalls einen dauerhaften Machtvorsprung garantierte. Die Debatte um die Getreideversorgung hatte mittlerweile seitens der Bevölkerung eine Eigendynamik erreicht, die durch Politiker nur noch schwer zu steuern, geschweige

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Cic. Sest. 55; Asc. p. 8 C; Schol. Bob. p. 132; Cic. Vatin. 17, Pis. 4,5; Cass. Dio 38,13 f.; 40,57; Nicolet 1980. Dazu zählten weiter z. B. die Wiederzulassung von Collegien sowie die stärkere rechtliche Normierung der Handlungsräume aristokratischer Magistrate; Cic. Sest. 25; p. red. in sen. 2; 5; dom. 10; Pis. 4; Mil. 12; 33; vgl. hierzu die umfassende Diskussion bei Tatum 1999, 117–135. Cic. dom. 14. Nippel 1988, 123 f.; und auch Cicero mußte einräumen, daß die Empörung keineswegs nur auf Manipulationen des Clodius basierte, sondern höchst reale Ursachen in der horrenden Teuerungswelle hatte. Diese beschrieb er als Folge von Wucher, Spekulation und Transportproblemen; Cic. dom. 10–12; 14–18; Q. fr. 2,5; har. resp. 31. Cic. Att. 4,1,6; dom. 13 f.; Cass. Dio 39,9,6; Nippel 1988, 124. &LFGRPI$WWI4IU5XIÀQJ

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denn zu manipulieren war. Sie wurde zum Thema der innenpolitischen Debatte und zum Gegenstand der politischen Legitimation gleichermaßen. Obgleich also Initiativen zur Getreideversorgung für einen Einzelpolitiker keinen dauerhaften Machtvorsprung garantierten und der Senat seine Abwehrhaltung LQGLHVHU)UDJHÁH[LELOLVLHUWHPX‰WHVLFKEHLGHQ%UJHUQ5RPVGHU(LQGUXFNYHUtiefen, daß Hilfe im Krisenfall eher von machtvollen Einzelpersonen als von der Körperschaft des Senats zu erwarten sei. Tatsächlich gehen administrative Neuansätze, welche bisherige Unzulänglichkeiten der Getreideversorgung behoben, eher auf das Konto von Politikern, die über die Senatsherrschaft klassischen Typs bereits hinauswiesen. So rationalisierte Clodius das System der Getreideverteilung, deren künftige Basis die Stadtbezirke (vici) bildeten. Zudem sorgte er für eine verstärkte Kontrolle des Getreidehandels, welche er seinem Adlatus Sex. Cloelius übertrug.75 Pompeius präzisierte nicht nur durch einen Zensus die Zahl der Empfangsberechtigten,76 er schloß zugleich langfristige Lieferkontrakte mit einzelnen Händlern ab und belohnte einige von diesen durch die Vergabe des römischen Bürgerrechts und Kolonistenstellen.77 Auch Caesar sorgte keineswegs nur für die Beschaffung von Getreide als er 48 v. Chr. aus Spanien zurückkam und den Getreidemangel in Rom erlebte. Seine Reduzierung der Berechtigtenzahl von 320.000 auf 150.000 verbesserte die Finanzierbarkeit des Systems, hatte jedoch nicht lange Bestand.78 Zudem erweiterte er 44 v. Chr. das Kollegium der Aedile um zwei aediles plebis Ceriales, deren Initiierung im Jahr darauf erfolgen sollte.79 Allerdings war bereits der Bürgerkrieg vor dem Einmarsch Caesars und viel mehr noch die dreizehnjährige Phase erbitterter Bürgerkriege nach dem Tod Caesars für die Getreideversorgung Roms ein Desaster: Das Problem lag sowohl in der Blockade der Transportwege durch die Rivalitäten der drei Triumvirn als auch darin, daß deren Kampf alle verfügbaren Kräfte und Mittel verschlang. Daß der Senat in dieser Situation 43 v. Chr. ein Gesetz erließ, keiner der Kontrahenten dürfe die cura annonae als Einzelmacht übernehmen, um nicht einen Machtvorsprung gegenüber seinen Kontrahenten zu erlangen, wirkt geradezu bizarr.80 Es macht deutlich, daß der Senat nach wie vor primär in den Kategorien des innernobilitären Kräftegleichgewichts dachte, mochten die wirklichen Probleme Roms auch außer Kontrolle geraten. Besonders bedrückend wurde die Lage in den Jahren zwischen 43 und 36 v. Chr., als Störmanöver des Sex. Pompeius jegliche Transportwege aus Sizilien blockierten und es daraufhin zu einer Hungerkatastrophe in Rom kam. Appian und Cassius Dio berichten daraufhin von blutigen Unruhen in Rom, in deren Verlauf Octavian, der spätere Kaiser Augustus, von wütenden Bürgern fast gesteinigt worden wäre.81 Eine Beruhigung der Lage gelang schließlich nur durch den massiven 75 76 77 78 79 80 81

Tatum 1999, 119–125. Cass. Dio 39,24,1; Nicolet 1976, 29 ff. Plut. Pomp. 50,1; Cic. Balb. 24; 41; Scaur. 43; fam. 13,75; 79; Herz 1988, 46–54. Suet. Iul. 41,3; 42,1. Cass. Dio 43,51,3. Cass. Dio 46,39,3. Cass. Dio 48,18,1; 48,31; App. b.c. 5,67 f.; Garnsey 1988, 202.

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Einsatz von Truppen, der zahlreiche Tote und Verwundete hinterließ und den Ruf Octavians vorerst nachhaltig desavouierte. Insofern steht am Ende der römischen Republik ein durchaus ambivalenter Befund. So hatte sich das dezidierte Bedürfnis nach einer stabilen Regelung der Getreideversorgung Roms als staatlicher Aufgabe herausgebildet und es waren durchaus auch erste Instrumentarien dafür entwickelt worden. Deren dauerhafter Wirkung stand jedoch nicht nur der innernobilitäre Machtkampf der späten Republik entgegen, der den Senat die Wahrnehmung einer solchen Aufgabe mehr als Bedrohung des Machtgleichgewichts, denn als funktional nötige Aufgabe ansehen ließ. Als mindestens ebenso nachteilig erwies sich, daß sich innerhalb der Republik nie ein administrativer Apparat zur Bewältigung dieses Problems etablierte. Initiativen zur Behebung von Versorgungskrisen waren immer an das Wirken von Einzelmagistraten gebunden und deren Agieren blieb zeitlich begrenzt. Das Erfordernis einer stabilen Getreideversorgung hatte sich also zum essentiellen Teil der politischen Agenda entwickelt, doch wurde sie innerhalb der Republik niemals zufriedenstellend bewältigt.

IV Durch seine Erlebnisse aus der Triumviratszeit gewann der künftige Kaiser Octavianus/Augustus genau diese Lektion über die Bedeutung einer gesicherten Getreideversorgung für die Stabilisierung der eigenen Herrschaft. Dennoch steht am Beginn des Principats eher eine Initiative im klassisch patronalen Gewand. So berichtet Cassius Dio für 28 v. Chr. lediglich knapp, daß Augustus Getreide verteilt habe. Ob Störungen der Getreideversorgung dem vorausgingen, oder die Aktion als Spende, also als largitio, zu bewerten ist, ist nicht zu ermitteln.82 Zumindest deutet diese Angabe noch nicht auf eine Verstetigung der Getreideversorgung Roms, wie sie für den Principat ausgemacht werden kann. Wie bildete sich diese heraus? Welche Rückschlüsse erlaubt sie auf institutionelle Verstetigungsprozesse, auf MachtbezieKXQJHQXQG9HUVWDDWOLFKXQJVVSH]LÀNDGHV3ULQFLSDWV" Kennzeichnend für den tatsächlichen Beginn der cura annonae ab dem Jahre 22 v. Chr. war offenbar nicht ein wie auch immer gearteter strategischer Gesamtplan des Princeps, sondern eine situative Problemeruption, die rasches Reagieren geradezu erzwang.83 Anscheinend führten Überschwemmungen und Stürme zur Unterbrechung der italischen Getreideproduktion.84 Ebenso bezeichnend sind auch die berichteten Interaktionsdynamiken. So schildert Cassius Dio, daß die plebs anläßlich dieser Krise Augustus die Dictatur angetragen habe, um durch eine ebenso unbefristete wie unumgrenzte Amtsgewalt ihres Trägers die Gewähr für eine dauerhafte Lösung des Problems zu bekommen, gleichsam eine Form institutionell ver-

82 83 84

Cass. Dio 53,2,1 f.; R. Gest. div. Aug. 18. R. Gest. div. Aug. 5, Kienast 1982, 92 f. R. Gest. div. Aug. 15; Vell. Pat. 2,94,3; Suet. Tib. 8; Cass. Dio 53,33,4 f. Eine Diskussion möglicher Ursachen bietet Garnsey 1988, 219 f.

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stetigter Patronage.85 Augustus war klug genug, die Ausnahmegewalt der Dictatur abzulehnen, um Verdachtsmomenten des Senats zu begegnen, doch kam er den Wünschen der plebs durch die Übernahme der cura annonae, also einer selektiveUHQ%HIXJQLVHQWJHJHQGLH]XJOHLFKGLHGDUDXIEDVLHUHQGHQ9HUSÁLFKWXQJHQDXVdrücklich anerkannte. Zudem delegierte er die Aufgabe an Konsulare und Prätorier, band also den Senat mit ein und verzichtete auf eine institutionelle Verankerung dieser Machtbefugnis. Stattdessen engagierte er sich in pragmatischer, z. T. sogar traditionell wirkender Form. So sorgte er für die Bereitstellung von Geld und Getreide,86 provinzialisierte das landwirtschaftlich fruchtbare Ägypten und intensivierte die Kontakte zu Händlern, um deren Kooperation für die Belieferung Roms zu gewinnen.87 In den Jahren darauf verstand er es die Beschaffung wie die Verteilung von Getreide als Teil seiner Legitimation zu institutionalisieren.88 Nach wenigen Jahren wurde jedoch erkennbar, daß diese pragmatische Regelung begrenzter Institutionalisierung aus mehreren Gründen nicht funktionierte sowohl wegen des ungebremsten Zustroms an Versorgungswilligen und den damit YHUEXQGHQHQÀQDQ]LHOOHQ%HODVWXQJHQGHU6WDDWVNDVVHDOVRIIHQEDUDXFKZHJHQGHV begrenzten Engagements der mit dieser Aufgabe betrauten Senatoren. Die Quellen berichten für die Jahre 5–9 n. Chr. von einer Hungerkrise heftigsten Ausmaßes, welche ihren Höhepunkt im Jahre 6 n. Chr. erreichte.89 Daraufhin sah sich der Princeps zu einer Neujustierung in zweierlei Hinsicht gezwungen. Die erste betraf die Professionalisierung und Bürokratisierung der annona-Verwaltung. Diese wurde nun auf einen ritterlichen praefectus annonae übertragen, um den sich allmählich ein eigenes Büro entwickelte.90 Zeitgleich wurde eine lex Iulia de annona gegen Getreidepreisspekulationen und Transportbehinderungen erlassen.91 Die zweite Veränderung galt der Reduktion der Zahl der Versorgungsberechtigten, die offenbar in zwei Schritten von anfänglich 320.000 auf 200.000 und dann auf 150.000 zurückgeführt wurde.92 Senatoren und Ritter wurden explizit von der Verteilung ausgenommen. Gerade weil diese Quantität die Zahl der Bedürftigen unterschritt, wurde die Zugehörigkeit zur plebs frumentaria geradezu statuskonstituierend.93 Für die wachsende Professionalisierung der Verteilung spricht auch, daß die Berechtigten in Listen erfaßt wurden, welche ihre Zugehörigkeit durch Verteilungsmarken (tesserae) nachzuweisen hatten.94 Fand die Verteilung der Rationen anfangs monatlich an 85 86 87 88 89 90

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Cass. Dio 54,1,1–4; R. Gest. div. Aug. 5. R. Gest. div. Aug. 18. Suet. Aug. 42,3; 98,2. Tac. ann. 1,2,1: … ubi … populum annona … pellexit. Cass. Dio 55,22,3; 26,1; Suet. Aug. 42,3; Euseb. Chron. ed. Schoene, II pp. 146 f. Sen. Brev. Vit. 18,3; 19,1 (Überwachung von Händlern); ILS 6987 (Arles); die Befugnisse des praefectus annonae sind nicht genau bekannt. Er verfügte jedoch über Unterbeamte in allen Regionen, aus denen Rom Getreide bezog; vgl. hierzu Pavis d’Escurac, 1976; Rickman 1980, 79 ff.; Garnsey 1988, 233. Herz 1988, 81 ff. Cass. Dio 55,10: 200.000 2 v. Chr.; Cass. Dio 55,25: 150.000 6 n. Chr.; Virlouvet 1991, 46 ff. So zutreffend bereits Berchem 1939, 55 ff. Vgl. hierzu jetzt Virlouvet 2009. Hierzu umfassend Virlouvet 1995.

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wechselnden Stellen in Rom statt, wurde die Ausgabe seit Mitte des 1. Jh. n. Chr. auf die porticus Minucia konzentriert und verlief kontinuierlich, wobei mehrere Tore dafür sorgten, daß pro Tag künftig nur noch 150–200 Bedürftige abgefertigt werden mußten.95 Die privilegierte Versorgung einer bestimmten Statusgruppe, wenngleich in zuQHKPHQGSURIHVVLRQHOOHU:HLVHYHUZHLVWDXIVSH]LÀVFKH)RUPHQYRQ6WDDWOLFKNHLW im Principat: Sie verdeutlicht zum einen das Hineinwirken stadtstaatlicher Verhältnisse in den Territorialstaat des Römischen Reichs, sichtbar anhand der besonderen Bedeutung von Senat, plebs urbana und Heer für Legitimation und Akzeptanz des Princeps.96 Und sie ist auch ein Indiz für die zugleich patrimoniale wie patronale Struktur des Prinzipats. Die privilegierte Beziehung zwischen Kaiser und plebs frumentaria, welche funktional nur begrenzt zu rechtfertigen war, illustriert dies aufs deutlichste. Hier werden klare Unterschiede zum Territorialstaat der Frühen Neuzeit erkennbar. Allerdings sorgten die Kaiser darüber hinaus auch für eine hinreichende Getreideversorgung des Marktes der Millionenstadt Rom, was die Preise auch für nicht Versorgungsberechtigte im bezahlbaren Rahmen hielt.97 Die Organisation des Versorgungswesens wurde durch die folgenden Kaiser gezielt ausgebaut: So ließ Kaiser Claudius in Reaktion auf eine Hungerrevolte in Rom, der er nur durch den Einsatz der Prätorianer entkam, die Hafenanlagen in Ostia erweitern, um einen gefahrloseren Transport zu ermöglichen.98 Zudem sorgte er für eine Privilegierung von reichen Geschäftsleuten, die Schiffe großer Transportkapazität bauten und diese für Getreidetransporte zur Verfügung stellten.99 Sowohl bei ihm wie auch später bei Hadrian läßt sich ein äußerst differenziertes, z. T. in Gesetzesform gegossenes Bemühen fassen, durch nuancierte Regelungen einen Spagat zwischen nötigen Privilegien und geforderten Leistungen zu realisieren.100 Private Händler bildeten auf jeden Fall immer einen entscheidenden Bestandteil der Getreideversorgung Roms. Weitere Zeugnisse betreffen die straffere Organisation der Verwaltung der Getreidespeicher unter Trajan bzw. staatliche Zugriffe auf Bäcker.101 Später wurden die Verteilungen um Öl, z. T. Wein und Fleisch erweitert.102 Aktive Fürsorge für die annona, sei es durch systematische Regelungen oder durch Einzelmaßnahmen im Notfall, wird in den Quellen zu einem geradezu symptomhaften Kennzeichen für den guten Kaiser.103 Die Mißachtung dieser Verantwortlichkeit geriet nicht nur zum 95 96 97 98 99 100 101 102 103

Virlouvet 1995, 131–160. Dies zeigt Flaig 1992, passim. So zu Recht Garnsey 1988, 236. Cass. Dio 59,17,2. Tac. ann. 12,43; Suet. Claud. 18,2–4; 19; Oros. hist. 7,6,17; Gai. Inst. 1,32c (FIRA II, 14); Dig. 3,6 (Ulpian); Herz 1988, 90–102; Garnsey 1988, 233 f. Dig. 50,6,6,5; 6; 8; 9; 50,5,3. Eine Zusammenstellung der gesetzlichen Regelungen bietet Sirks 1991. Aur. Vict. caes. 13,5; Gai. Inst. 1,34 (FIRA II, 15); CIL VI 338; VI 30901; Herz 1988, 110–113; 115–117; Rickman 1971, 87–122 zu den römischen horrea. SHA Sev. 18,3; Aurel. 35,2; 48,1. Vgl. das Lob der Quellen für Tiberius Tac. ann. 2,87,1; 3,54,6; Vell. Pat. 2,126,3; Garnsey 1988, 222.

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Indiz für eine schlechte Herrschaft und fehlende Herrscherqualitäten. Sie war zugleich auch mit realen politischen Gefahren verbunden.104 Die Summe dieser Regelungen bildete die Basis für eine ungewöhnlich stabil IXQNWLRQLHUHQGH*HWUHLGHYHUVRUJXQJ5RPVWURW]KlXÀJDXIWUHWHQGHU0L‰HUQWHQXQG Transportprobleme, und trotz der Notwendigkeit der Versorgung eines stetig wachsenden Heeres. Erfolge in diesem Bereich wurden durch die Bürger Roms erwartet, bzw. wurden widrigenfalls durch Proteste (etwa anläßlich von Spielen) eingefordert.105 In diesem Sinne wurde die Getreideversorgung Roms zum Symbol für eine funktionierende Verwaltung, sowie für die reibungslose Beziehung zwischen Kaiser und der plebs urbana entsprechend ihres Selbstverständnisses als privilegierter Gruppe bis zur Spätantike und, wie das Beispiel des päpstlichen Rom zeigte, auch darüber hinaus. Wenn der Dichter Juvenal also in einer Satire das römische Volk dahingehend kritisiert, daß das römische Volk in der Zeit der Republik noch selbst die Macht an Feldherren verliehen und Beamte gewählt habe, jetzt aber sich ängstlich und entpolitisiert nur noch Brot und Spiele (panem et circenses) wünsche, spiegelt dies zweifelsfrei die senatorische Sichtweise, wird aber der politischen Realität Roms nur wenig gerecht.106 Die Sicherung der Getreideversorgung Roms privilegierte zwar eine bestimmte Bevölkerungsgruppe des Römischen Reichs, war aber unzweifelhaft zu einer staatlichen, also politischen Aufgabe geworden. ZUSAMMENFASSUNG Die Genese der Getreidefrage als Teil eines Staatlichkeitsdiskurses hängt mit tiefen Umbrüchen der res publica im 2. Jh. v. Chr. zusammen: Bis dahin war die traditionelle Erwartungshaltung der römischen Bürger auf Teilhabe an gemeinsam errungenen Ressourcen in ihrem Selbstverständnis als Beutegemeinschaft lange Zeit als Abprodukt erfolgreicher Expansion in Form von Landverteilungen bzw. Beuteaufteilung saturiert worden. Diese gleichsam vorpolitische Form der Mittelteilhabe geriet jedoch in eine Krise, als im 2. Jh. v. Chr. zahlreiche Römer aus diesem TeilKDEHV\VWHP KHUDXVÀHOHQ ZHLO VLH QDFK GHP9HUOXVW LKUHV /DQGEHVLW]HV QLFKW QXU ihre Erwerbsquelle einbüßten, sondern auch die Fähigkeit zur Selbstausrüstung und damit für den Dienst im römischen Milizheer mit den daraus resultierenden Versorgungsmechanismen nicht mehr in Frage kamen. Andererseits bedeutete auf der Einnahmenseite die wachsende Provinzialisierung der eroberten Territorien gegenüber der bisher weitgehend situativen Kriegsbeute eine zunehmende Verstetigung des 0LWWHO]XÁXVVHV EHU GHVVHQ 9HUZHQGXQJ GHU 6HQDW JHERW 'LH 3ROLWLVLHUXQJ GHU Getreidefrage hängt also mit Ausdifferenzierungsprozessen der res publica zusammen, welche im 2. Jh. v. Chr. zur Entstehung heterogener Gruppeninteressen und 104 Vgl. z. B. den Vorwurf der Unverantwortlichkeit an Caligula: Dieser habe durch sein Schiffsbrückenabenteuer den Getreidetransport behindert und dadurch eine Versorgungskrise ausgelöst; Sen. Brev. Vit. 18,5; Suet. Gai. 19; 26,5; 31; 39,1; Cass. Dio 59,17,2. Vgl. etwa Commodus: Herodian. 1,12,2–4; Cass. Dio 72,13,2; SHA Comm. 14,1–3; Garnsey 1988, 226. 105 Z. B. Tac. ann 3,54,6; 6,13 zu Aktionen unter Tiberius. 106 Juven. 10,81.

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zur Verstärkung hierarchisierter Verfügungsgewalten über gesellschaftliche Mittel führten. Selbstverständlich sind die seit den dreißiger Jahren des 2. Jh. v. Chr. nachweisbaren Forderungen, der Senat möge zugunsten einer Senkung der Getreidepreise intervenieren, auch auf kontingente Faktoren zurückzuführen. Hierzu gehören die essentielle Not einer wachsenden Bürgerzahl, die Erfahrung der durchaus vorhandenen Mittel sowie der administrativen Problemlösungskapazität im Bereich der Heeresversorgung und nicht zuletzt die Bereitschaft von Politikern wie C. Curiatius und C. Gracchus zur normativen Legitimation und Umsetzung dieser Forderungen. Für den Beginn eines Staatlichkeitsdiskurses in dieser Frage war aber vor allem die Selbsterfahrung unterschiedlicher Gruppeninteressen essentiell sowie der Eindruck, daß sich die Teilhabechancen der eigenen Gruppe an der praeda rei publicae verschlechtert hatten. Indem man vom Senat forderte, diese Angelegenheit politisch zu lösen und somit die erwartete ‚Beutegerechtigkeit‘ neu zu justieren, wandte man sich an genau die Institution, die sich innerhalb der res publica die Mittelkontrolle vorbehalten hatte. Die Weigerung des Senats, diesen Forderungen zu entsprechen und die Ermordung mehrerer Initiatoren von Getreidegesetzen blockierte somit nicht nur die konkrete Lösung der Versorgungsproblematik. Sie unterminierte auch das generelle Vertrauen zahlreicher Bürger in die Teilhabechancen der res publica und in die Problemlösungswilligkeit der Senatsnobilität, deren Vertreter in öffentlichen Reden immer wieder betont hatten, das allgemeine Gute anzustreben. Sie führte mittelfristig zur wachsenden Bereitschaft zahlreicher Römer, diese Teilhabe auch gewaltsam einzufordern, keineswegs als Forderung nach allgemeiner Neuverteilung aller Güter, sondern als Lösung konkreter Probleme wie der Getreideversorgung auf Basis der Teilhabe an gemeinsam errungenen Gütern. Obzwar sich der Senat langfristig auf Grund gewaltsamer Proteste gezwungen sah, seinen fundamentalen Widerstand DXI]XJHEHQHUZLHVHVVLFKGRFKDOVV\PSWRPDWLVFKIUQHXH7HQGHQ]HQHIÀ]LHQWHrer Machtorganisation in patrimonialer Form, daß es eher Einzelpolitiker wie Clodius, Pompeius oder Caesar waren, denen wegweisende Initiativen bei der Behebung der Versorgungsproblematik gelangen. Der Einsatz für die Getreideversorgung Roms zählte folgerichtig im Prinzipat zu den seitens der Stadtbevölkerung von allen Kaisern energisch eingeforderten Leistungen. =XJOHLFKYHUZHLVWGLH/|VXQJGHU9HUVRUJXQJVSUREOHPDWLNDXIGLHVSH]LÀVFKH Staatlichkeit des Prinzipats. Sie spiegelt insofern das Hineinwirken stadtstaatlicher und patronaler Traditionen in das Imperium Romanum, als die staatlich organisierte Getreideversorgung allein den Bürgern der Hauptstadt zugute kam und als Teil des patronalen Bands zwischen Princeps und plebs urbana galt, es also reichsweit unterschiedliche Qualitäten von Staatlichkeit gab. Dennoch verdeutlichen die intensiven und insgesamt erfolgreichen Bemühungen um die staatliche Regelung der Getreideversorgung die administrativen Potentiale des Prinzipats und gehören deshalb mit zu dessen Erfolgsgeschichte.

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INFRASTRUKTUR UND POLITISCHES SYSTEM IM IMPERIUM ROMANUM Helmuth Schneider I. In den Wirtschaftswissenschaften werden seit dem Zweiten Weltkrieg solche Anlagen, Einrichtungen und Bauwerke als Infrastruktur bezeichnet, die eine unabdingbare Voraussetzung für die Produktion und Verteilung von Gütern darstellen; der Zustand und der Ausbau der Infrastruktur haben damit erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung von Staaten. Daneben sind die Wohlfahrtseffekte der Infrastruktur zu nennen: so wird durch den Bau von Wasserleitungen und Brunnen die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser gesichert.1 Maßnahmen im Bereich der Infrastruktur fallen normalerweise in die EntscheiGXQJVNRPSHWHQ]YRQ6WDDWHQKlXÀJZHUGHQGLH(UULFKWXQJXQGGHU8QWHUKDOWYRQ $QODJHQXQG%DXZHUNHQGHU,QIUDVWUXNWXUPLW|IIHQWOLFKHQ*HOGHUQÀQDQ]LHUWGHQQ GLHKLHUIUEHQ|WLJWHQÀQDQ]LHOOHQ0LWWHOVLQGQRUPDOHUZHLVHVRKRFKGDVVVLHYRQ Privatleuten kaum aufgebracht werden können. Für die Nutzung der Infrastruktur kann hingegen ein Entgelt gefordert werden, so etwa eine Brücken- oder Straßenmaut oder ein Hafenzoll. In den modernen Industriegesellschaften haben neben der Verkehrsinfrastruktur die Versorgungsnetze, die der gewerblichen Wirtschaft ebenso wie den privaten Haushalten Wasser sowie Energie (Strom) liefern, und die Kommunikationsnetze, die der Übermittlung von Informationen dienen, an Bedeutung gewonnen. Wirtschaft und Gesellschaft sind in hohem Maße vom Funktionieren solcher Versorgungs- und Kommunikationsnetze abhängig, ihr Ausfall hätte gravierende Folgen nicht nur für die Güterproduktion, sondern auch für die gesamten Lebensverhältnisse der Bevölkerung. Da die Tendenz besteht, solche Versorgungsnetze, die in der technikhistorischen Forschung als ‚große technische Systeme‘ bezeichnet werden, ständig zu erweitern, kann von einem „expansiven Wachstum großer technischer Systeme“ gesprochen werden.2 Einzelne Bereiche der Infrastruktur werden gegenwärtig zunehmend privatisiert, große Aktiengesellschaften übernehmen etwa die Kontrolle über die Versorgungsnetze. Dabei bleibt aber die grundlegende Verantwortung der Staaten für die Infrastruktur bestehen; durch staatliche Agenturen und durch Gesetzgebung werden 1 2

Vgl. etwa Frey 1978; Klemmer 1987; Simonis 1977. Joerges/Braun 1994; wie sie zeigen, gibt es allerdings auch Ausnahmen: „Ein klassisches Beispiel dafür ist der mit dem Aufstieg des Automobils verbundene Niedergang der Eisenbahn in den USA“ (32).

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die Rahmenbedingungen für den Ausbau der Infrastruktur und für die Erhaltung der entsprechenden Anlagen und Bauten gesetzt. In nicht wenigen Fällen hat der Ausbau der Infrastruktur erhebliche ökologische Folgen. Dies gilt insbesondere für Maßnahmen im Bereich der Verkehrsinfrastruktur, die in der Öffentlichkeit oft intensiv und kontrovers diskutiert werden. Obwohl Infrastruktur ein moderner Begriff ist, der in den WirtschaftswissenVFKDIWHQHUVWVHLWZHQLJHQ-DKU]HKQWHQYHUZHQGHWZLUGÀQGHWVLFKHLQHDXVIKUOLche Analyse der Aufgaben, der Nutzung und der Finanzierung der Infrastruktur bereits bei Adam Smith in An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776); Smith analysiert in dem Abschnitt über die öffentlichen Ausgaben solche Anlagen und Einrichtungen, die der „Erleichterung von Handel und Verkehr in einem Lande“ dienen. Smith nennt in diesem Zusammenhang „gute Straßen, Brücken, schiffbare Kanäle und Häfen.“ Zwei elementare Merkmale der Infrastruktur sind an dieser Stelle benannt, nämlich der Nutzen für das Gemeinwesen und die |IIHQWOLFKH)LQDQ]LHUXQJ'DEHLHPSÀHKOWSmith, die Kosten für solche Anlagen und Bauten durch die Erhebung von Nutzungsgebühren zu decken.3 Wie das Beispiel von Smith zeigt, ist die Infrastruktur von der Sache her älter als der Begriff und die Diskussion über die Infrastruktur bereits im 18. Jahrhundert ein Element der ökonomischen Theorie. Zu den vorindustriellen Gesellschaften, in denen die Infrastruktur einerseits ein Bereich politischer Aktivität und andererseits ein Thema politischer Diskussionen sowie philosophischer und rhetorischer Diskurse war, zählt unzweifelhaft Rom im Zeitalter der Republik und des frühen Principats.4 Bei der Untersuchung der römischen Infrastruktur und ihrer politischen sowie kulturellen Kontexte erweist sich die Tatsache als hilfreich, dass die römische Terminologie zahlreiche Entsprechungen für den modernen Begriff der Infrastruktur aufweist. Dies gilt gerade für die Architekturtheorie des Vitruvius, der in de architectura (etwa 30 v. Chr.) zwischen öffentlichen Gebäuden und Privatgebäuden unterscheidet, wobei die öffentlichen Gebäude wiederum in Verteidigungsanlagen, in Bauten, die der Religion dienen, und in Nutzbauten unterteilt werden.5 Als Nutzbauten, die der Öffentlichkeit dienen,6 führt Vitruvius Häfen, Marktplätze, Säulenhallen, Badeanlagen, Theater und Wandelgänge auf.7 Diese systematische Einteilung hat Gültigkeit auch für die späteren Abschnitte der Schrift; im 5. Buch von de architectura werden die Anlage urbaner Plätze, die Architektur öffentlicher Gebäude und der Bau von Häfen beschrieben.8 Dem Wasser und den Wasserleitungen ist ein ganzes Buch der Schrift 3 4 5 6 7 8

Smith 1978, 612 f. Vgl. dazu Schneider 1986; 1992; 2011 und Walter 1998 Vitr. 1,3,1: Publicorum autem distributiones sunt tres, e quibus est una defensionis, altera religionis, tertia opportunitatis. Zu Vitruvius vgl. Knell 1985. Vitr. 1,3,1: ad usum publicum Vitr. 1,3,1: …uti portus, fora, porticus, balnea, theatra, inambulationes ceteraque, quae isdem rationibus in publicis locis designantur. Forum und Basilica: Vitr. 5,1; Theater: Vitr. 5,3–9; Bäder: Vitr. 5,10; Säulenhallen: Vitr. 5,11; Häfen: Vitr. 5,12. Vgl. die Bemerkung am Schluss des Buches (5,12,7): Quae necessaria ad utilitatem in civitatibus publicorum locorum succurrere mihi potuerunt, quemadmodum FRQVWLWXDQWXUHWSHUÀFLDQWXULQKRFYROXPLQHVFULSVL– „Was mir an öffentlichen Anlagen, die

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gewidmet.9 Da in der Architekturtheorie des Vitruvius die innerstädtischen Bauten im Zentrum stehen, bleiben allerdings die Straßen, die eine Verbindung zwischen den Städten und den Regionen herstellten, unberücksichtigt. Obgleich die Position GHV9LWUXYLXVQLFKWYROOVWlQGLJPLWGHU%HJULIÁLFKNHLWGHUPRGHUQHQ,QIUDVWUXNWXUtheorie übereinstimmt, ist mit dem Konzept der Nutzbauten, die dem allgemeinen Wohl dienen, ein Anhaltspunkt für eine Erörterung der Frage gegeben, welche Bedeutung die Infrastruktur in der römischen Politik besaß und wie in rhetorischen oder literarischen Texten solche Anlagen und Bauwerke, die zur römischen Infrastruktur gehörten, beschrieben und bewertet wurden. Wenn von römischer Infrastruktur gesprochen wird, sind vor allem zwei Bereiche gemeint, die Verkehrsinfrastruktur und die Wasserversorgung; ferner ist in diesem Zusammenhang auf die Regulierung von Flüssen zum Schutz vor Hochwasser hinzuweisen. Unbeachtet bleiben hier solche öffentlichen Bauwerke, die für das soziale und kulturelle Leben in den römischen Städten wichtig waren wie etwa das Theater, das Amphitheater, der Zirkus und die Thermen.10 Zur Verkehrsinfrastruktur gehörten neben den Straßen und Brücken auch Hafenbauten und Kanäle; die Anlagen für die Wasserversorgung stellten ein überaus komplexes System dar, das aus den Leitungen, die in vielen Fällen eine Länge von mehr als fünfzig Kilometern erreichten und deren Nivellierung und Bau eine hohe technische Kompetenz erforderten, aus den Verteilerbauwerken sowie dem Leitungsnetz in den Städten und schließlich aus den Laufbrunnen und den Zuleitungen für Privathäuser bestand. II. Seit der Censur des Senators Appius Claudius im Jahre 312 v. Chr. bestand in Rom ein enger Zusammenhang zwischen Politik und Infrastruktur. Zuvor existierte keine Notwendigkeit politischer Maßnahmen im Bereich öffentlicher Nutzbauten; wie Frontinus schreibt, reichte bis zum späten 4. Jahrhundert v. Chr. das Wasser aus dem Tiber, aus Schöpfbrunnen oder Quellen für den Bedarf der Bevölkerung aus,11 und das Wegenetz in der direkten Umgebung von Rom bedurfte keiner umfassenden Baumaßnahmen. Mit dem Wachstum der Bevölkerung der Stadt Rom einerseits und der politischen Intervention Roms in Süditalien andererseits ergaben sich völlig neue Anforderungen an die Wasserversorgung und an die Verkehrsverbindungen Roms. Die Censoren des Jahres 312 v. Chr., Ap. Claudius und C. Plautius, ergriffen in dieser Situation die Initiative und vergaben den Auftrag für den Bau einer Leitung, die das Wasser über eine Entfernung von 16 Kilometern von der Quellfassung

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11

der Allgemeinheit dienen, in den Städten als notwendig einfallen konnte und wie sie angelegt und ausgeführt werden, habe ich in diesem Buche schriftlich niedergelegt“ [Übersetzung: C. Fensterbusch]. Wasserleitungen: Vitr. 8,5–6. Auch Bauwerke, die der militärischen Verteidigung dienten (vgl. Vitr. 1,3,1: Defensionis est murorum turriumque et portarum ratio ad hostium impetus perpetuo repellendos excogitata), werden im folgenden nicht berücksichtigt. Frontin. aqu. 4.

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nach Rom führte, und einer Straße von Rom zu den Städten am Golf von Neapel, die zuvor in das römische Bündnissystem aufgenommen worden waren. Um in dieser von Rom entfernten Region schnell militärisch präsent sein zu können, war eine Straße notwendig, auf der die Legionen ungehindert nach Süden marschieren konnten.12 Wie Frontinus berichtet, gelang es Ap. Claudius, seinen Kollegen C. Plautius zu täuschen und zur Niederlegung der Censur zu veranlassen; auf diese Weise erreichte er es, dass die Straße und die Wasserleitung allein nach ihm aqua Appia und via Appia genannt wurden. Ob dies von vornherein die Intention des Ap. Claudius war, muss angesichts der Quellenlage ungewiss bleiben,13 aber sein Erfolg war unstrittig: Nach Livius blieb Claudius wegen des Baus der Straße und der Wasserleitung im Gedächtnis späterer Generationen, und Diodoros war der Ansicht, Ap. Claudius habe sich mit dieser Straße selbst ein unsterbliches Denkmal gesetzt.14 Die Censur des Ap. Claudius hatte für den Ausbau der römischen Infrastruktur und für die römische Politik weitreichende Konsequenzen; mit dem Bau der via Appia und der aqua Appia war ein Präzedenzfall dafür gegeben, dass ein hochrangiger Senator nicht nur durch militärische Erfolge, sondern auch durch Leistungen im zivilen Bereich ein hohes Ansehen erwerben konnte, das auch über seine eigene Lebenszeit hinaus von Dauer war. In der Republik und dann auch im Principat wurde daran festgehalten, eine Straße nach ihrem Erbauer zu benennen. So trugen wichtige Verkehrswege in Italien und auch in den Provinzen ihren Namen nach den Magistraten, die den Bau jeweils veranlasst hatten; exemplarisch sind hier für Italien nur die via Flaminia, die Rom mit Ariminum (h. Rimini) verband, oder die via Aemilia in Norditalien anzuführen, die einer ganzen Landschaft, der Emilia Romagna, ihren Namen gab, und für die Provinzen die via Egnatia in Griechenland oder die via Domitia, die in Gallia Transalpina eine Landverbindung zwischen Italien und den Provinzen auf der Iberischen Halbinsel herstellte. Im Fall der Wasserversorgung gibt es allerdings auch Beispiele dafür, dass neue Leitungen etwa nach dem Fluss benannt wurden, dessen Wasser nach Rom geleitet wurde (Anio vetus; im Principat der Anio novus15). Das Bestreben römischer Senatoren, ihre Leistungen im Bereich des Straßenbaus öffentlich zu dokumentieren, bezeugt sehr anschaulich die aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. stammende Inschrift von Polla;16 in dem Text rühmt sich ein Praetor, die Straße von Regium nach Capua gebaut und an dieser Straße alle Brücken errichtet sowie die Meilensteine aufgestellt zu haben. Es bleibt aber nicht bei dieser Feststellung, es folgt der Hinweis auf die Länge der einzelnen Teilstrecken und die 12 13

14 15 16

Zur Censur des Ap. Claudius Caecus vgl. Diod. 20,36; Liv. 9,29,5–11; Frontin. aqu. 5. Vgl. ferner das Elogium aus augusteischer Zeit ILS 54. Front. aqu. 5. Livius gibt hingegen als Grund für das Verhalten des Plautius dessen Erbitterung über die Aufstellung der umstrittenen Senatsliste durch Ap. Claudius an (Liv. 9,29,7); vgl. dazu auch Diod. 20,36,3. Liv. 9,29,6; Diod. 20,36,2. Frontin. aqu. 6. 15. ILS 23. Zum römischen Straßenbau vgl. Pekáry 1968, Chevallier 1976, Laurence 1999, Rathmann 2003.

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Gesamtlänge der Straße, nämlich 321 römische Meilen. Nach Bemerkungen über $NWLYLWlWHQJHJHQÁFKWLJH6NODYHQXQGEHUGLH8PZDQGOXQJYRQ:HLGHODQGLQ Ackerland erwähnt die Inschrift zum Schluss den Bau eines Forums und öffentlicher Gebäude in Forum Popillii. Welche Rolle der Straßenbau und die Instandhaltung der Straßen in den politischen Auseinandersetzungen der späten Republik spielte, zeigt das umfassende Straßenbauprogramm, das Plutarch dem Volkstribun C. Sempronius Gracchus zuschreibt; für diese Maßnahmen im Straßenbau hatte Gracchus ein Gesetz erlassen.17 Wahrscheinlich durch eine lex Visellia wurde die cura viarum geschaffen, ein Amt zur Beaufsichtigung der Straßen; es ist anzunehmen, dass für wichtige Straßen jeweils ein curator eingesetzt wurde.18 Die Aktivitäten Caesars als curator der via Appia belegen den Zusammenhang zwischen Straßenbau und politischem Ansehen; &DHVDUKDWWHIUVHLQH$PWVIKUXQJHUKHEOLFKHHLJHQHÀQDQ]LHOOH0LWWHODXIJHZHQdet und sich so die politische Unterstützung durch das Volk gesichert.19 Der curator viarum L. Fabricius ließ im Jahr 62 v. Chr. eine Tiberbrücke in Rom errichten, auf der mehrere Inschriften seinen Namen nennen.20 Im Jahr 50 v. Chr., unmittelbar vor dem Bürgerkrieg, den Caesar gegen die Republik führte, legte der Volkstribun C. Scribonius Curio ein umfassendes Gesetz über den Bau, die Erneuerung und die Nutzung von Straßen, die rogatio Scribonia viaria, vor; mit dem Gesetz sollten Curio außerordentliche Vollmachten für einen Zeitraum von fünf Jahren übertragen werden.21 Entscheidungen über die Wasserversorgung traf nach der Censur des Ap. Claudius allein schon wegen der mit dem Bau von Wasserleitungen verbundenen hohen Kosten der Senat.22 Der Anio vetus, der im Jahr 272 v. Chr. vom Censor M.’ Curius Dentatus begonnen worden war, wurde mit der Beute aus dem Krieg gegen Pyrrhus ÀQDQ]LHUW(VLVWEHPHUNHQVZHUWGDVV]ZHL-DKUHVSlWHUHLQ3UDHWRULP6HQDWEHU die Fertigstellung der Leitung berichtete und der Beschluss gefasst wurde, zwei Senatoren als duumviri aquae perducendae mit der Aufsicht über die Wasserversorgung zu beauftragen.23 Nach Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. übertrug der Senat dem Praetor Q. Marcius Rex die Aufgabe, die aqua Appia und den Anio vetus, die inzwischen baufällig waren und denen Privatleute unerlaubt Wasser entnahmen, zu reparieren und wiederherzustellen. Da die Bevölkerung der Stadt Rom seit dem Bau des Anio vetus gewachsen war, sollte außerdem unter der Aufsicht des Marcius eine weitere Leitung gebaut werden. Für die Bauarbeiten stellte der Senat die Summe von 180 Mio. Sesterzen bereit, ein Betrag, der weitaus höher war als der 17 18 19 20

21 22 23

Plut. C. Gracchus 6–7; App. civ. 1,23. Zur lex Visellia vgl. ILS 5800. Mommsen StR II, 668–669. Rotondi 1912, 367 mit Hinweis auf C. Visellius Varro (Cic. Brut. 264). Plut. Caes. 5,8–9. Strasburger 1938, 13; Gelzer 1960, 30–31. ILS 5892; Cass. Dio 37,45,3. Es ist bezeichnend, dass diese Brücke, die das Forum Boarium mit der Tiberinsel verbindet, nach ihrem Erbauer pons Fabricius genannt wurde, vgl. Hor. Sat. 2,3,36. Cic. fam. 8,6,5. Vgl. Cic. Att. 6,1,25; App. civ. 2,27. Zur Wasserversorgung in Rom und im Imperium Romanum vgl. Tölle-Kastenbein 1990; Hodge 1992; Wikander 2000. Frontin. aqu. 6.

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Sold eines Jahres für alle Soldaten der römischen Legionen.24 Daran wird deutlich, welche Bedeutung die politischen Eliten Roms der Wasserversorgung der Stadt beigemessen haben. Gleichwohl war die Trassenführung der neuen Leitung im Stadtgebiet von Rom über Jahre hinaus ein strittiges Thema der Politik. Es gab religiöse Bedenken dagegen, die Leitung zum Capitol zu führen, aber schließlich konnte Marcius Rex dies durchsetzen. Die neue Leitung, die eine Länge von insgesamt mehr als 90 Kilometern besaß und auf einer Bogenstrecke von über 9 Kilometern Länge zur Stadt geführt wurde, erhielt nach dem Praetor den Namen aqua Marcia.25 In den letzten Jahren der Republik war die Wasserversorgung wie die Aufsicht über die Straßen ein strittiges Thema der Politik; M. Caelius, ein Cicero nahestehender junger Senator, hielt wahrscheinlich im Jahr 50 v. Chr. eine noch von Frontinus lobend erwähnte Rede de aquis (Über die Wasserleitungen), in der die unerlaubte und missbräuchliche Ableitung von Wasser scharf kritisiert wurde.26 Diese Übersicht über den Straßenbau und die Wasserversorgung in der Zeit der Republik macht deutlich, dass über Maßnahmen zum Ausbau der Infrastruktur vom Senat, von den Magistraten oder den Volkstribunen entschieden wurde; wichtige Vorhaben wurden im Senat diskutiert und aufgrund eines Senatsbeschlusses oder eines Gesetzes verwirklicht. In vielen Fällen wurden Aufgaben im Bereich der Infrastruktur von den Censoren wahrgenommen oder an einzelne Amtsträger wie den Praetor Marcius Rex delegiert. Der Ausbau und die Verwaltung der Anlagen, die zur Infrastruktur gehörten, waren aus verschiedenen Gründen eine Aufgabe des Gemeinwesens; sicherlich sind hier zunächst die Kosten zu nennen, die nur von der Republik getragen werden konnten; die Planung von Fernstraßen (viae publicae) und Wasserleitungen erforderte nicht allein eine umfassende technische Kompetenz, sondern auch geographische Kenntnisse und einen Einblick in die politischen und rechtlichen Verhältnisse in den betroffenen Gebieten. Der Bau von Straßen und Wasserleitungen berührte überdies Eigentumsrechte an Grund und Boden, und damit hatten Planungen, die ]ZDQJVOlXÀJ%DXWHQDXISULYDWHP/DQGYRUVDKHQPLW:LGHUVWDQG]XUHFKQHQ6R scheiterte der von den beiden Censoren des Jahres 179 v. Chr. geplante Bau einer Wasserleitung am Einspruch des Senators M. Licinius Crassus, über dessen Ländereien die Trasse der Leitung verlaufen sollte.27 Die Komplexität der Aufgaben machte es auch notwendig, neue Ämter wie die cura viarum zu schaffen. Die Infrastruktur gehörte in der römischen Republik un24

25

26 27

Frontin. aqu. 7. Zum Sold der Soldaten im 2. Jh. v. Chr. vgl. Polyb. 6,39 (umgerechnet etwa 480 HS im Jahr). Bei einer Sollstärke der Legion von ca. 5000 Soldaten zu Fuß (vgl. Polyb. 6,20) betrug der Sold für eine Legion 2,4 Mio Sesterzen; im 2. Jh. v. Chr. standen im Jahr normalerweise zwischen 6 und 11 Legionen im Dienst, für den Sold aller Fußsoldaten musste die Republik in dieser Zeit demnach zwischen 14,4 und 26,4 Mio HS im Jahr aufbringen. Vgl. zur Zahl der Legionen im 2. Jh. v. Chr. Brunt 1971 426–434 mit der Tabelle XIII auf 432 f. Zu erwähnen ist ferner die aqua Tepula, deren Bau im Jahr 125 v. Chr. begonnen worden war, die aber für die Wasserversorgung Roms bis zu den Maßnahmen von M. Agrippa eine eher geringe Bedeutung hatte. Frontin. aqu. 76. Vgl. Cic. fam. 8,6,4. Liv. 40,51,7.

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zweifelhaft zu den wichtigen Themen der Politik, aber eine Verwaltung, die mit dem Bau und der Instandhaltung der Anlagen befasst war, gab es vor Augustus nicht einmal in Ansätzen. Es ist daher bezeichnend, dass Cicero in seiner politischen Theorie Fragen der Infrastruktur nicht im Zusammenhang mit den Aufgaben der Republik, sondern im Abschnitt über die Freigebigkeit thematisiert.28 Dem Aufwand einzelner Senatoren für die glanzvolle Ausrichtung von Spielen für das Volk werden Ausgaben gegenübergestellt, die dem Nutzen des Gemeinwesens dienen, so der Bau von Mauern, Schiffshäusern, Häfen oder Wasserleitungen.29 Der Gedanke Ciceros war keineswegs nur theoretischer Natur; bei dem Bau von Straßen und Wasserleitungen spielten private Stiftungen und Spenden eine nicht unerhebliche Rolle; belegt ist dies vor allem für die römischen Städte der Principatszeit. Während der Princeps sowohl LQ5RPDOVDXFKLQ,WDOLHQXQGLQGHQ3URYLQ]HQ3URMHNWHGHU,QIUDVWUXNWXUÀQDQzierte, haben Angehörige der munizipalen Oberschichten, darunter auch Frauen, in Nachahmung des Herrschers in ihren Heimatstädten die Kosten für den Bau von Wasserleitungen, Straßen und Brücken teilweise oder ganz übernommen; solche Stiftungen beruhten nicht selten auf einer testamentarischen Verfügung. Die Inschriften bieten für das Engagement der Oberschichten in diesem Bereich ein beeindruckendes Material.30 Ungeachtet solcher privaten Aktivitäten blieben Ausbau und Instandhaltung der Infrastruktur – ebenso wie in der Republik – auch im Principat vorrangig eine Aufgabe der politischen Institutionen. III. Mit der Entstehung des Principats war eine grundlegende politische Neuorientierung im Bau von Straßen und Wasserleitungen verbunden. Im Tatenbericht (Res gestae divi Augusti) betont Augustus neben seinen militärischen Erfolgen und neben seinen Wohltaten für die Soldaten und die Bevölkerung der Stadt Rom auch die Verbesserung der Wasserversorgung und die Instandhaltung der Straßen.31 Die Infrastruktur besaß unter Augustus demnach eine wichtige Funktion für die Legitimierung des neuen politischen Systems; Straßen, Wasserleitungen, selbst Abwas28 29

30 31

Der Abschnitt über die Freigebigkeit (EHQHÀFHQWLD und liberalitas): Cic. off. 2,52–71. Cic. off. 2,60: Atque etiam illae impensae meliores, muri, navalia, portus, aquarum ductus omniaque, quae ad usum rei publicae pertinent. Vgl. ferner Cic. off. 2,14: Cicero führt an dieser Stelle die Errungenschaften der Zivilisation auf die Arbeit der Menschen (vgl. 2,12: hominum opera) zurück und erwähnt in diesem Zusammenhang Wasserleitungen, die Ableitung von Flüssen, die Bewässerung von Feldern, Dämme und Häfen: Adde ductus DTXDUXPGHULYDWLRQHVÁXPLQXPDJURUXPLQULJDWLRQHVPROHVRSSRVLWDVÁXFWLEXVSRUWXV manu factos, quae unde sine hominum opere habere possemus? Wasserleitungen: ILS 111 (Ephesos); 5757 (Verona); 5758 (Sestinum); 5759 (Campania); 5761; 5762; 5764; 5771 (Viterbo). Straßen: ILS 5878; 5879; 5880; 5881; 6147 (Ostia). Wasserleitungen: R. Gest. div. Aug. 20,2: Rivos aquarum compluribus locis vetustate labentes refeci, et aquam quae Marcia appellatur duplicavi fonte novo in rivum eius inmisso. Straßen: R. Gest. div. Aug. 20,5: Consul septimum viam Flaminiam ab urbe Ariminum refeci pontesque omnes praeter Mulvium et Minucium.

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serleitungen sowie Maßnahmen zum Hochwasserschutz spielten in der Selbstdarstellung des Principats eine herausragende Rolle. Wichtige Impulse scheint in diesem Bereich M. Agrippa, ein enger Freund und später auch Schwiegersohn des Augustus, gegeben zu haben.32 Fast alle Initiativen zum Bau von Wasserleitungen und von Straßen gingen in der Zeit zwischen 40 und 12 v. Chr. von Agrippa aus; so führt Strabon das Straßennetz in den Provinzen Galliens auf Agrippa zurück,33 und Frontinus würdigt dessen Maßnahmen zur Sicherung der stadtrömischen Wasserversorgung.34 Welchen Stellenwert Straßen und Wasserleitungen in der Zeit nach 40 v. Chr. besaßen, geht allein schon aus der Tatsache hervor, dass Agrippa im Jahr 33 v. Chr. nach seinem Consulat noch einmal das Amt des Aedilen bekleidete, um die damit verbundene Kompetenz für die Erneuerung der stadtrömischen Infrastruktur zu nutzen.35 Demonstrativ fuhr Agrippa auf einem Schiff durch die Cloaca maxima, die er hatte reinigen lassen.36 Der Rang dieser Aufgabe wird noch dadurch unterstrichen, dass Agrippa eine Schrift über seine Maßnahmen verfasste.37 Agrippa ließ 33 v. Chr. die nach dem jüngeren Caesar und späteren Augustus Iulia benannte Leitung errichten, die aquae Appia, Anio und Marcia wieder in Betrieb nehmen und vierzehn Jahre später das Wasser von Quellen westlich von Rom in die Stadt leiten.38'LH,QVWDQGKDOWXQJGHU:DVVHUOHLWXQJHQÀQDQ]LHUWH$JULSSDPLW+LOIH seines eigenen Vermögens, und er unterhielt auch eine Abteilung von 240 Sklaven, die für die Aufsicht der Leitungen und alle notwendigen Reparaturarbeiten zuständig waren.39 Diesen Sklaventrupp hinterließ Agrippa, der 12 v. Chr. nach einem Aufenthalt in Pannonia gestorben war, durch Testament Augustus, der die Sklaven wiederum dem Gemeinwesen übergab. Mit diesem Akt war eine völlige Neuordnung der stadtrömischen Wasserversorgung durch mehrere Senatsbeschlüsse und durch Anordnungen des Princeps verbunden; vor allen wurde jetzt das Amt des curator aquarumJHVFKDIIHQGHVVHQ.RPSHWHQ]HQJHQDXGHÀQLHUWZXUGHQ'LH6HQDWVEHschlüsse des Jahres 11 v. Chr. sind in der Schrift des Frontinus zusammen mit einer Anordnung (mandatum) des Princeps überliefert.40 Finanziert wurde die Tätigkeit der curatores aquarum von dem aerarium, der öffentlichen Kasse, und die dafür

32 33 34 35 36 37 38 39 40

Zu Agrippa vgl. Roddaz 1984; Kienast 1996. Strab. 4,6,11. Frontin. aqu. 9–10. 98–99. Cass. Dio 49,43,1–4. Cass. Dio 49,43,1. Plin. nat. 36,121 (aedilitatis suae conmemoratione). Frontin. aqu. 9–10. Frontin. aqu. 98–99. 116. Senatsbeschlüsse: Frontin. aqu. 100–101 (Ausstattung der curatores aquarum); 104 (Laufbrunnen in Rom); 106 (Wasser für Privatleute); 108 (Zuleitung von Wasser auf private Grundstücke); 125 (Material für die Instandsetzung von Leitungen); 127 (Schutzzone an den Wasserleitungen). Vgl. dazu das Gesetz aus dem Jahr 9 v. Chr.: Frontin. aqu. 129 (Strafen für unerlaubte Ableitung von Wasser): Anordnung des Princeps: 111 (Auslaufwasser). Zu den mandata des Princeps vgl. Millar 1977, 314–317.

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zuständigen Praetoren wurden angewiesen, Lebensmittel zur Verfügung zu stellen und die Kosten zu übernehmen.41 9RUELOGIUHLQH5HJHOXQJGHU3ÁLFKWHQGHUcuratores aquarum war die betreffende Bestimmung über die Tätigkeit der curatores viarum;42 es kann daher angenommen werden, dass Aufgaben und Kompetenzen der cura viarum vor 11 v. Chr. ebenfalls durch Senatsbeschlüsse genau festgelegt worden sind. Der Straßenbau gehörte jedenfalls im frühen Principat zu den politischen Themen, die im Senat diskutiert worden sind. Cn. Domitius Corbulo hatte unter Tiberius den schlechten Zustand der Straßen kritisiert und die curatores viarum dafür verantwortlich gemacht. In der Folge kam es zu Gerichtsverfahren und zur Rückforderung von Beträgen, die für den Straßenbau bereitgestellt waren. Diese Frage war ein Politikum bis zur Regierungszeit des Claudius.43 Der Ausbau der Fernstraßen des Imperium Romanum wurde im frühen Principat entschieden vorangetrieben; sowohl in Italien als auch in den Provinzen wurden neue Straßenverbindungen geschaffen und dabei ganze Regionen erschlossen. Von großer Bedeutung für die Alpenregion war die YRQ&ODXGLXVYHUDQODVVWH3ÁDVWHUXQJGHUvia Claudia von Altinum in Norditalien bis zur Donau.44 In Italien verbesserte der Bau der Via Traiana von Beneventum nach Brundisium entscheidend die Verbindung zwischen Rom und Süditalien.45 Neben dem Bau von Wasserleitungen und Straßen hatte auch der Hafenbau einen hohen politischen Stellenwert; angesichts der großen Abhängigkeit der Stadt Rom von den Getreidelieferungen aus den Provinzen und angesichts der Unruhen, die eine Getreideknappheit in Rom ausgelöst hatte, traf Claudius die Entscheidung, einen Hafen an der Tibermündung anzulegen, ein Projekt, das nur mit einem unverJOHLFKOLFKHQ WHFKQLVFKHQ XQG ÀQDQ]LHOOHQ$XIZDQG UHDOLVLHUW ZHUGHQ NRQQWH GHU Hafen wurde schließlich unter Nero vollendet. Traianus hat dann Jahrzehnte später den bestehenden Anlagen ein zweites Hafenbecken hinzugefügt.46 An der Adria, die in der Zeit der Dakerkriege als Seeweg zu den Donauprovinzen stärker in den Blickpunkt geriet, erhielt Ancona eine große Hafenmole, und in Centumcellae ließ Traianus einen neuen Hafen bauen.47 Charakteristisch für die römische Einstellung den Bauwerken und Anlagen der Infrastruktur sind auch die Berichte über Planungen, die nicht realisiert wurden. In diesem Zusammenhang ist vor allem auf die Kanalbau-Projekte hinzuweisen, so auf den Plan, Saône und Mosel durch einen Kanal zu verbinden und auf diese Weise einen Schiffahrtsweg zwischen Mittelmeer und Atlantik zu schaffen, oder auf die später eingestellten Bauarbeiten am Isthmus von Korinth.48 Solche Planungen bezeugen den Willen, den Naturraum in massiver Weise zugunsten der Interessen der Menschen zu verändern. 41 42 43 44 45 46 47 48

Frontin. aqu. 100–101. Frontin. aqu. 101. Zur cura viarum vgl. Eck 1979, 25–87. Tac. ann. 3,31,5; Cass. Dio 59,15,3. ILS 208. ILS 291. Cass. Dio 60,11. Suet. Claud. 20,3. Vgl. Meiggs 1973, 149–171; 591–593. Ancona: ILS 298. Centumcellae: Pin. epist. 6, 31,15–17. Mosel-Saône: Tac. ann. 13,53. Korinth: Cass. Dio 62,16.

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IV. Die Principes nach Augustus haben die Öffentlichkeit mit großem Nachdruck auf ihre Leistungen im Bau von Straßen, Wasserleitungen und Häfen hingewiesen; eine Straße kann in ihrer ganzen Länge von einem Reisenden kaum wahrgenommen werden, und im Fall der Wasserversorgung sind zwar die städtischen Laufbrunnen für die Bevölkerung von erheblichem Nutzen, aber der technische Aufwand der großen Leitungen blieb den meisten Menschen verborgen. Unter diesen Bedingungen wählten die Principes zwei Mittel, um der Bevölkerung ihre Verdienste um die öffentliche Wohlfahrt zu vermitteln, die monumentale Inschrift und den Ehrenbogen, der ursprünglich mit dem Triumph verbunden war, im Principat aber auch zunehmend in Verbindung mit zivilen Leistungen errichtet wurde. Schon Augustus nutzte beide Möglichkeiten, um auf die Reparaturarbeiten an den Wasserleitungen der Stadt Rom und an der via Flaminia hinzuweisen. An den Endpunkten der via Flaminia, in Rom und in Ariminum, stand jeweils ein Ehrenbogen mit einer Statue des Augustus. Die Inschrift am Bogen in Ariminum erwähnt ausdrücklich, dass Augustus auch für die Befestigung der anderen Straßen Italiens gesorgt habe.49 Eine Inschrift an der Porta Tiburtina rühmt die Wiederherstellung der in der Zeit der Bürgerkriege verfallenen Wasserleitungen Roms.50 Eine zuvor unbekannte Monumentalität besitzt die Inschrift des Claudius an der Porta Maggiore, die nicht nur die Errichtung der beiden neuen Leitungen (aqua Claudia und Anio novus), sondern auch deren Länge genau verzeichnet.51 Mit dieser Inschrift ist auch ein weiteres Moment der Selbstdarstellung der Principes gegeben: Eine der beiden Leitungen erscheint auf der Inschrift als aqua Claudia, die das Wasser der Quellen Caeruleus und Curtius nach Rom führte. Claudius versuchte mit dieser Namensgebung die Leitung auch für die Zukunft mit seiner Person zu verbinden. Es ist beachtenswert, dass sowohl Vespasianus als auch Titus in ihren Inschriften an der Porta Maggiore diese Leitung nur als aquas Curtiam et Caeruleam bezeichneten und damit der Namensgebung durch Claudius demonstrativ nicht folgten;52 Plinius folgte dieser Sprachregelung und erwähnt dementsprechend in der unter Vespasianus verfassten Darstellung der stadtrömischen Wasserversorgung nur die Quellen Curtius und Caeruleus sowie den Anio novus, während Frontinus später wiederum die Leitung mit ihrem ursprünglichen Namen benennt.53 Diese Geschichte zeigt sehr deutlich, dass in Rom die Namensgebung von Bauten der Infrastruktur ein Politikum war. Auch Häfen sind eng mit der Person des Princeps verknüpft. Während der Hafen von Ostia auf einer Münze Neros portus Augusti genannt wird, womit nicht eine Verbindung zu einem bestimmten Princeps, sondern zu dem Princeps allgemein hergestellt wird,54UHÁHNWLHUW3OLQLXVLQGHP%ULHIEHU&HQWXPFHOODHEHUGHQNQI49 50 51 52 53 54

ILS 84; Cass. Dio 53,22,1–2. ILS 98. ILS 218. ILS 218. Plin. nat. 36,122. Frontin. aqu. 14. Münze Neros: RIC Nero 74; vgl. Meiggs 1973 pl. XVIII.

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tigen Namen des noch nicht vollendeten Hafens: „Dieser Hafen wird den Namen des Erbauers tragen und trägt ihn schon jetzt.“55 In ähnlicher Weise denkt Frontinus bei seiner Planung von Verbesserungen der Wasserversorgung bereits an die Inschrift, die dann Imperator Caesar Nerva Traianus Augustus als Urheber dieser Maßnahmen nennen soll.56 Zu den eindrucksvollsten Zeugnissen für das Bestreben der Principes, ihren Anteil an dem Ausbau der Infrastruktur zu betonen, gehören der Bogen von Beneventum und der Bogen auf der Hafenmole von Ancona. Beide Ehrenbögen wurden für Traianus errichtet; sie unterscheiden sich darin, dass die Inschrift von Beneventum keinen Bezug zu der via Traiana herstellt, während in Ancona die Ehrung des Princeps ausführlich mit dem Bau des Hafens begründet wird.57 (VLVWLPEULJHQEHPHUNHQVZHUWZLHKlXÀJDXIVROFKHQ,QVFKULIWHQPLW:HQdungen wie sua pecunia (mit seinem Geld) betont wird, dass der Princeps die Finanzierung der entsprechenden Bauwerke und Anlagen übernommen hat. So betonen alle drei Inschriften an der Porta Maggiore, dass der Bau der Wasserleitungen EH]LHKXQJVZHLVH GLH 5HSDUDWXUDUEHLWHQ YRP 3ULQFHSV VHOEVW ÀQDQ]LHUW ZXUGHQ58 Dabei ist nicht an das durchaus beträchtliche Privatvermögen der Principes zu denken, sondern an den ÀVFXV, die Kasse, die im Gegensatz zum aerarium dem Princeps unterstellt war.59 Die Übernahme der Kosten für Straßenbauten durch den Princeps wird vor allem in Inschriften von Vespasianus und Traianus hervorgehoben.60 Als Résumé kann hier festgehalten werden, dass im Principat die Errichtung von Bauten der Infrastruktur wesentlich eine politische Aufgabe war, da Planung, Finanzierung, Realisierung und Verwaltung komplexer Anlagen anders nicht möglich waren und auf Senatsbeschlüssen, Gesetzgebung und der Initiative des Princeps beruhten. Darüber hinaus wurde der enge Zusammenhang zwischen Principat und Ausbau von Straßen, Anlagen zur Wasserversorgung und Häfen dadurch betont, dass die Principes ihre Aktivitäten in diesem Bereich auf monumentalen Inschriften immer wieder in Erinnerung riefen, um so ihre Herrschaft durch Nachweis von Leistungen für die Gesellschaft zu legitimieren.

V. In dem großen, im Principat geführten Diskurs über Politik, Freiheit und Herrschaft spielt die Infrastruktur eine beachtenswerte Rolle; es gibt eine Reihe von Texten, in denen die Wasserversorgung und der Straßenbau thematisiert und in einen direkten 55 56 57 58 59

60

Plin. epist. 6,31,17: habebit hic portus et iam habet nomen auctoris. Frontin. aqu. 93 Beneventum: ILS 296. Ancona: ILS 298: quod accessum Italiae, hoc etiam addito ex pecunia sua portu, tutiorem navigantibus reddiderit. ILS 218: sua impensa Dabei ist zu bedenken, dass mit der Entwicklung des Principats immer weniger eine klare Unterscheidung beider Kassen möglich war, wie Cassius Dio, der sein Geschichtswerk im frühen 3. Jh. schrieb, anmerkt; vgl. Cass. Dio 53,22,3–4. Vgl etwa ILS 245 (Vespasianus, viae urbis) ; ILS 291 (Traianus, via Traiana); ILS 293 (Traianus, Brücke in der Provinz Africa); vgl. ferner ILS 298 (Traianus, Hafen von Ancona).

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Zusammenhang mit dem politischen System gebracht werden. Dabei dominieren bestimmte Argumente und Argumentationsmuster, die im folgenden untersucht werden sollen. Als Plinius unter Vespasianus über die Wasserleitungen Roms und andere römische Bauwerke schrieb,61 war die Wahrnehmung von Bauwerken und monumentalen Kunstwerken bereits durch den Katalog der Sieben Weltwunder bestimmt, zu denen Bauten Ägyptens und Mesopotamiens ebenso gehörten wie griechische Kunstwerke und Bauten im griechischen Mutterland und in Kleinasien.62 Römische Bauten waren in diesen Katalogen aus hellenistischer Zeit natürlich nicht berücksichtigt, und damit bestand für die Autoren seit der Zeit des Augustus die Schwierigkeit, einen klaren Maßstab für die Architektur Roms zu entwickeln. Aber schon im frühen Principat waren römische Bauwerke Thema der Dichtung: Zwei Epigramme rühmen die Mole von Puteoli, die in augusteischer Zeit gebaut worden ist, damit die großen Getreideschiffe den Hafen sicher anlaufen konnten. In beiden Epigrammen fehlt nicht die Anspielung auf den Mythos; Kyklopen und Giganten werden genannt, um eine Vorstellung von der Größe der Mole zu vermitteln; bezeichnend ist auch die Erwähnung der Brücke des Xerxes über den Hellespont, deren Bau als unvernünftig kritisiert wird und von der ausdrücklich gesagt wird, sie sei bald der Zerstörung durch die Zeit anheim gefallen. Als hervorstechendes Merkmal der Mole erscheint die Verwandlung des Meeres zu Festland. Darüber hinaus betont Antiphilos die Funktion der Mole mit dem Hinweis auf das nahegelegene Rom, das der Maßstab für den Hafen sei.63 Im Vergleich zu den älteren Bauten der Barbaren erweist sich das römische Bauwerk als überlegen, denn es überwindet mit der Zurückdrängung des Meeres die Natur im Interesse des Menschen und hat einen Nutzen, der mit der Erwähnung Roms angedeutet wird. Plinius folgt in mancher Hinsicht dem Argumentationsmuster der Epigramme.64 Die meisten der in früheren Zeiten errichteten monumentalen Bauten stoßen auf seine entschiedene Ablehnung. Er bezeichnet die Pyramiden in Ägypten als eine nutzlose und törichte Zuschaustellung der Reichtums der ägyptischen Könige,65 deren Motiv es gewesen sei, ihren Nachfolgern kein Geld zu hinterlassen und das niedere Volk daran zu hindern, untätig zu sein. In ähnlicher Weise beurteilt Plinius 61 Plin. nat. 36,121–123. 62 9JO]XGLHVHU'HQNÀJXU&OD\WRQ3ULFH%URGHUVHQXQG(QWVFKHLGHQGIUGLH römische Sicht der Architektur ist die Tatsache, dass der Katalog der Sieben Weltwunder in Rom präsent war und von Vitruvius erwähnt wird: Vitr. 2,8,11. 7 praef. 13. Vgl. auch Strab. 16,1,5. Älter ist das Epigramm von Antipatros von Sidon Anth. Gr. 9,58. Für Philon von Byzanz, der eine Schrift über die Sieben Weltwunder verfasst hat, ist die Datierung nicht gesichert; Brodersen 1996, 19 f. nimmt an, die Schrift sei in der Spätantike entstanden. Immerhin ist nicht auszuschließen, dass dieser Text von dem in Alexandria tätigen Mechaniker stammt und somit in das 3. oder frühe 2. Jh. v. Chr. gehört, vgl. Folkerts 2000; Brodersen 2000. 63 Anth. Gr. 7,379 (Antiphilos von Byzanz). 9,708 (Philippos). 64 Plin. nat. 36,64–125. Der Abschnitt beginnt mit den Obelisken in Ägypten und mit den Pyramiden, um dann griechische Tempel sowie Privathäuser und öffentliche Bauten Roms zu beschreiben. 65 Plin. nat. 36,75: regum pecuniae otiosa ac stulta ostentatio.

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die Labyrinthe, unter denen das im Fajum in der Antike besonders gerühmt wurde, als absurdeste Form menschlicher Verschwendung,66 während er sich über den Artemis-Tempel in Ephesos mit Bewunderung äußert.67 Den Abschnitt über die römischen Bauten leitet Plinius mit der Bemerkung ein, es sei indessen angemessen, zu den Wunderwerken (miracula) unserer Stadt überzugehen;68 die Terminologie des Satzes weist deutliche Ähnlichkeiten mit der Erwähnung der Sieben Weltwunder auf, die bei Vitruvius als spectacula bezeichnet werden.69 Auf diese Weise wird für die römischen Bauten die Dignität der Sieben Weltwunder postuliert, die in der Argumentation des Plinius stets präsent sind: Von Bauwerken wie der Basilica Aemilia, dem Forum Augusti und dem Templum Pacis des Vespasianus wird behauptet, sie seien die schönsten Bauten, die der Erdkreis je gesehen habe, und der Bewunderung der Pyramiden werden die Kosten für den Kauf des Bodens für das Forum Augusti gegenübergestellt.70 Die Ausführungen des Plinius über die römische Architektur sind keineswegs unkritisch; der Aufwand für die luxuriösen Privathäuser reicher Senatoren wird ebenso missbilligt wie der Bau der großen Theater in der Zeit der späten Republik;71 in einem kurzen Exkurs geht Plinius auf das Urteil der Alten (senes) ein, die den agger, die Substructionen des Capitols und schließlich die Abwasserkanäle (cloacas) bewunderten. Die Eloge auf die Cloaca maxima, auf eine Anlage, die in der Stadt nicht sichtbar ist, rühmt die Festigkeit der Gewölbe, über die schwere Lasten geschleppt werden; herabfallende Trümmer brennender Häuser und Erdbeben haben diese Gewölbe nicht zerstören können, wie Plinius betont.72 Nach seinen Ausführungen über die Theaterbauten erklärt Plinius, es solle nun über die miracula gesprochen werden, die eine wahre Wertschätzung verdienten.73 Damit sind vorrangig die Wasserleitungen gemeint. Plinius berichtet über die Bauten und Maßnahmen des Praetors Q. Marcius Rex sowie von M. Agrippa und geht dann auf die beiden von Claudius vollendeten Leitungen ein, deren Kosten 350 Mio. Sesterzen betrugen. Der Abschnitt endet mit einem Lobpreis der WasserverVRUJXQJ5RPVÅ:HQQPDQGHQhEHUÁXVVDQ:DVVHULQGHUgIIHQWOLFKNHLWLQ%l66

67 68 69 70

71 72 73

Plin. nat. 36,84: portentosissimum humani inpendii opus. Das Labyrinth im Fajum wurde schon von Herodot beschrieben (Hdt. 2,148), ein Text, auf den Plinius verweist (Plin. nat. 36,84); es handelt sich um den Totentempel des Pharaos Amenemhat III. (1853–1806 v. Chr.). Vgl. zu diesem Baukomplex Schlögl 2006, 174. Plin. nat. 36,95: *UDHFDHPDJQLÀFHQWLDHYHUDDGPLUDWLRH[WDWWHPSOXP(SKHVLDH'LDQDH. Plin. nat. 36,101: Verum et ad urbis nostrae miracula transire conveniat. Vitr. 2,8,11. 7 praef. 13. Plin. nat. 36,102: pulcherrima operum, quae umquam vidit orbis. Zu den Pyramiden vgl. Plin. nat. 36,103. Es ist bemerkenswert, dass mehrere der Sieben Weltwunder bei Plinius eine ausIKUOLFKH(UZlKQXQJÀQGHQVRGLH3\UDPLGHQ ² GHU3KDURVYRQ$OH[DQGULD   und der Artemis-Tempel in Ephesos (36,95–97; vgl. auch 16,213). In den Abschnitten zur Skulptur werden ferner der Zeus von Olympia (36,18) und das Mausoleum von Halikarnassos (36,30–31) erwähnt. Der Koloss von Rhodos schließlich ist in dem Abschnitt über den Bronzeguss aufgeführt (34,41). Ein hängender Garten (pensilis hortus) wird schließlich im ägyptischen Theben statt in Babylon lokalisiert (36,94). Plin. nat. 36,103. 36,109–120. Plin. ant. 36,104–108. Plin. nat. 36,121: Sed dicantur vera aestimatione invecta miracula.

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dern, Fischteichen, Kanälen, Häusern, Gärten und stadtnahen Landhäusern, die Wege, die das Wasser durchläuft, die errichteten Bögen, die durchgrabenen Berge und eingeebneten Täler sich genau vergegenwärtigt, wird man gestehen müssen, dass es auf der ganzen Erde nie etwas Bewundernswerteres gegeben hat.“74 Es existieren nach Plinius folglich zwei Gründe für die Hochschätzung der WasserleitunJHQ]XPHLQHQGLH7DWVDFKHGDVVGLH%HY|ONHUXQJYRQ5RP:DVVHULPhEHUÁXVV erhält, zum anderen die technische Leistung, die mit dem Bau der Leitungen verbunden ist, wobei der Umgestaltung der natürlichen Landschaft große Beachtung geschenkt wird. Neben den Wasserleitungen erwähnt Plinius nur kurz die Maßnahmen des Claudius zur Trockenlegung des Fuciner Sees, den Bau des Hafens von Ostia sowie den Bau von Straßen und Brücken, wobei wiederum die hohen Ausgaben für solche Bauten betont werden.75 Indem Plinius die Personen nennt, die für den Bau der Wasserleitungen verantwortlich waren, stellt er einen engen Zusammenhang zwischen Infrastruktur und politischem System her. Die Initiative zum Ausbau der Infrastruktur ergriff der Senat, ein Aedil oder der Princeps, und die mehrmals angeführten hohen Kosten der %DXWHQEHUVWLHJHQGLHÀQDQ]LHOOH/HLVWXQJVIlKLJNHLWYRQ3ULYDWSHUVRQHQRGHUHLQzelnen Senatoren. Die Infrastruktur war zweifelsfrei eine Aufgabe des Gemeinwesens. Eine Gegenüberstellung von römischer Architektur und den Sieben WeltwunGHUQÀQGHWVLFKIUGLH=HLWGHV'RPLWLDQXVLQGHQ(SLJUDPPHQ0DUWLDOVGHUYRP Flavischen Amphitheater, dem Kolosseum in Rom, behauptet, es übertreffe alle früheren Bauten, von denen die Pyramiden, die Bauten von Babylon, der Artemistempel, der Hörneraltar von Delos sowie das Mausoleum aufgeführt werden;76 an anderer Stelle meint Martial, die Pyramiden wirkten klein gegen den Palast des Domitianus auf dem Palatin.77 Diese Sicht Martials greift dann Frontinus in seiner Schrift über die Wasserleitungen Roms auf, wenn er nach seinem Überblick über die Leitungen zum Vergleich mit älteren, bewunderten Bauwerken auffordert: „Mit einer solchen Vielzahl von notwendigen und gewaltigen Wasserleitungsbauten verJOHLFKHPDQGLHJDQ]RIIHQVLFKWOLFKEHUÁVVLJHQ3\UDPLGHQRGHUDQGHUHQXW]ORVH aber berühmte Bauwerke der Griechen.“ Mit dieser dezidierten Formulierung behauptet Frontinus für einen Kernbereich der Infrastruktur, für die Wasserversorgung, die Überlegenheit der römischen Bauten über die ägyptische und griechische Architektur.78 Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die römischen Autoren sich vor allem auf die Bauten der Infrastruktur beziehen, wenn sie für den Bereich der Architektur den Vorrang Roms vor den älteren Kulturen demonstrieren wollen. Es 74

75 76 77 78

Plin. nat. 36,123 (Übersetzung nach R. König): quod si quis diligentius aestumaverit abundantiam aquarum in publico, balineis, piscinis, euripis, domibus, hortis, suburbanis villis, spatia aquae venientis, exstructos arcus, montes perfossos, convalles aequatas, fatebitur nil magis mirandum fuisse in toto orbe terrarum. Plin. nat. 36,124–125. Mart. spect. 1. Mart. spect. 8,36. Frontin. aqu. 16: Tot aquarum tam multis necessariis molibus pyramidas videlicet otiosas compares aut cetera inertia sed fama celebrata opera Graecorum.

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bleibt zu konstatieren, dass in der römischen Sicht der Architektur das Selbstbewusstsein der Eliten des Imperium Romanum zum Ausdruck gelangt. VI. In der Einleitung seiner Schrift de aquis urbis Romae nennt Frontinus drei Funktionen der Wasserversorgung, nämlich Nutzen (usus), Gesundheit (salubritas) und Sicherheit (securitas).79 Mit dem Begriff salubritas greift Frontinus auf ein älteres .RQ]HSWGHU$UFKLWHNWXUWKHRULH]XUFNEHUHLWV9LWUXYLXVUHÁHNWLHUWLQde architectura den Zusammenhang zwischen salubritas und der Wasserversorgung, und im Abschnitt über die Anlage einer Stadt wird auf die Folgen der Ausrichtung der Straßen auf die Gesundheit der Bewohner hingewiesen. Dabei erscheint neben dem Begriff salubritas auch das Adjektiv salubris. Wenn bei der Planung einer Stadt darauf geachtet wird, dass die Winde nicht ungehindert durch die Hauptstraßen wehen können, wird auf diese Weise für die Bevölkerung ein gesundes Wohngebiet geschaffen.80 Auch die Ausrichtung der Zimmer in Privathäusern soll die beiden Aspekte Gesundheit und Schönheit berücksichtigen.81 Vitruvius unterscheidet ferner der Gesundheit zuträgliches und ungesundes Wasser; dies ist bei der Erschließung von Wasservorkommen für die Trinkwasserversorgung zu berücksichtigen.82 Zusammenfassend fordert Vitruvius eine große Umsicht bei der Wahl des Wassers für die Trinkwasserversorgung: „Daher müssen mit großer Sorgfalt und Mühe die Quellen gesucht und ausgewählt werden im Hinblick auf die Gesundheit des menschlichen Lebens.“83 Selbst in der Dichtung der augusteischen Zeit wird Gesundheit als eine positive Folge der Stadtsanierung genannt: so stellt Horaz in einer seiner Satiren fest, der Esquilin sei ein gesundes Wohngebiet, seitdem der Armenfriedhof dort beseitigt worden sei.84 Salubritas und das Adjektiv salubris verwendet Plinius in der naturalis historia ähnlich wie Vitruvius zur Kennzeichnung der Wasserqualität,85 die schon längst zu einem Thema der Medizin geworden war.86 Unter dem Gesichtspunkt der salubritas wird vor allem das Wasser der aqua Marcia gerühmt, das in früheren Zeiten dem Gemeinwohl gedient hatte, in der Zeit des Plinius aber auf die Landgüter im Umland von Rom abgeleitet wurde.87

79 80 81 82 83 84 85 86 87

Frontin. aqu. 1: DTXDUXPLQLXQFWXPRIÀFLXPDGXVXPWXPDGVDOXEULWDWHPDWTXHHWLDP securitatem urbis pertinens. Zu der Stelle vgl. den Kommentar von Rodgers 2004, 125. Vitr. 1,6,3: locum salubrem. Vitr. 6,4,2. Vitr. 8,1,6–7. 8,2,1. Vitr. 8,3,28: Quare magna diligentia industriaque quaerendi sunt eligendi fontes ad humanae vitae salubritatem. Vgl. Vitr. 8,4,2. Hor. sat. 1,8,14–15: nunc licet Esquiliis habitare salubribus atque aggere in aprico spatiari. Salubris: Plin. nat. 31,35. 31,37. Salubritas: Plin. nat. 31,38–39. 31,41. Plin. nat. 31,31. Bereits in der hippokratischen Medizin wurde dem Wasser eine große Bedeutung für die Entstehung von Krankheiten beigemessen; vgl. Hippokr. Aër. 7–9. Plin. nat. 31,41–42.

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Bei Frontinus erscheint der Begriff salubritas – abgesehen von der kurzen Bemerkung zur Heilkraft von Quellen88 – in den Kapiteln seiner Schrift, in denen er auf die Maßnahmen des Traianus zur Verbesserung der Wasserversorgung Roms eingeht. Salubritas ist ein Ergebnis der Fürsorge des Princeps, der zahlreiche Bauwerke für die Wasserversorgung errichten ließ. Dabei kommt selbst dem Auslaufwasser eine positive Funktion zu: es reinigt die Stadt und auch die Luft und beseitigt so jene schädliche Atmosphäre, die Rom in früheren Zeiten in Verruf gebracht hat,89 und in einem von Frontinus zitierten Erlass des Traianus wird das Überlaufwasser der Verteilerbauwerke als notwendig für die Gesundheit der Stadt und für die Flutung der Abwasserkanäle bezeichnet.90 Die Wasserqualität ist ein wichtiges Thema der Schrift;91 Frontinus betont, dass das Wasser der verschiedenen Leitungen eine unterschiedliche Qualität hat, was seiner Meinung nach bei der Nutzung des Wassers berücksichtigt werden sollte: Die Planungen des Frontinus sahen vor, das Wasser der aqua Marcia für die Trinkwasserversorgung zu nutzen, während das als weniger gesund92 eingestufte Wasser des Anio vetus vor allem der Bewässerung und dem städtischen Gewerbe dienen sollte.93 Auch in der Diskussion über Baumaßnahmen in den Provinzen spielte salubritas eine nicht unwichtige Rolle; als Plinius der Jüngere, der Neffe des Verfassers der naturalis historia, in seiner Funktion als Statthalter der Provinz Bithynia Traianus den Bau einer Wasserleitung für die Stadt Sinope vorschlug, begründet er dies Vorhaben mit dem Argument, die Leitung werde für die Gesundheit ebenso wie die Schönheit der Stadt von Vorteil sein.94 In seiner Antwort genehmigt Traianus das Vorhaben, wobei er das Argument des Plinius aufgreift.95 Die Abdeckung eines GXUFK $EZlVVHU YHUVFKPXW]WHQ )OXVVHV LQ GHU 6WDGW $PDVWULV HPSÀHKOW 3OLQLXV ebenfalls mit Hinweis auf Gesundheit und Schönheit;96 der Vorschlag wird von Traianus gebilligt, wobei er jedoch allein die für die Gesundheit abträgliche Situation als Grund anführt.97 Mit dem Begriff salubritas wird in den antiken Texten ein Wohlfahrtseffekt der ,QIUDVWUXNWXUEHWRQWXQGGDPLWJOHLFK]HLWLJSRVWXOLHUWGHU3ULQFHSVKDEHGLH3ÁLFKW für die Gesundheit der Bevölkerung zu sorgen.

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91 92 93 94 95 96 97

Frontin. aqu. 4: Fontium memoria cum sanctitate adhuc exstat et colitur; salubritatem aegris corporibus afferre creduntur. Zur Heilkraft von Quellen vgl. auch Plin. nat. 31,3–12. Frontin. aqu. 88. Vgl. Rodgers 2004, 249–251. Frontin. aqu. 111 : QDPQHFHVVHHVWH[FDVWHOOLVDOLTXDPSDUWHPDTXDHHIÁXHUHFXPKRF pertineat non solum ad urbis nostrae salubritatem, sed etiam ad utilitatem cloacarum abluendarum. Vgl. Rodgers 2004, 294. Frontin. aqu. 89–93. Frontin. aqu. 92: minus salubris. Frontin. aqu. 91–92. Plin. epist. 10,90. Plin. epist. 10,91. Plin. epist. 10,98: Quibus ex causis non minus salubritatis quam decoris interest eam contegi. Plin. epist. 10,99: si intecta salubritati obest.

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VII. In seinem bei Antritt des Consulats im September 100 gehaltenen Panegyricus auf Traianus98 geht Plinius (d. J.) auf die Aktivitäten des Princeps beim Ausbau der Infrastruktur unter einem anderen Gesichtspunkt ein. Im Abschnitt über die Getreideversorgung der Stadt Rom werden Straßen und Häfen als eine Voraussetzung für ausreichende Getreidelieferungen aus den Provinzen bezeichnet.99 Der Bau von Verkehrswegen hat positive Wirkungen auf den Güteraustausch und Handel und sichert die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln. Dieser Gedanke wird ²LQPRGLÀ]LHUWHU)RUP²DXFKLP%ULHIZHFKVHOGHV3OLQLXVPLW7UDLDQXVIRUPXOLHUW In mehreren Briefen wird der Bau eines Kanals im Gebiet von Nicomedia in Kleinasien erörtert.100 Bemerkenswert ist die Beschreibung der zur Zeit des Plinius besteKHQGHQ7UDQVSRUWEHGLQJXQJHQLQGHU5HJLRQÅ,P*HELHWYRQ1LFRPHGLDEHÀQGHW sich ein großer See. Über ihn werden Marmorblöcke, Früchte, Bau und Brennholz PLWJHULQJHPÀQDQ]LHOOHQ$XIZDQGXQGJHULQJHU$UEHLWVEHODVWXQJDXI6FKLIIHQ]XU Straße und von dort mit großen Mühen und noch größeren Kosten auf Wagen zum Meer transportiert.“101 Es wird hier deutlich gesehen, dass ein enger Zusammenhang zwischen Verkehrsinfrastruktur und Transportkosten besteht, und aus dieser Einsicht resultiert ein Bauvorhaben, das die Kosten des Gütertransportes deutlich senken soll. Ein anderer Effekt des Straßenbaus, die Verkürzung der Reisezeit, wird in einem Gedicht von Statius auf die via Domitiana am Golf von Neapel hervorgehoben.102 In dem Brief über das Vorhaben, im Gebiet von Nicomedia einen Kanal zu bauen, nennt Plinius ein weiteres wichtiges Motiv für Initiativen und Aktivitäten im Bereich der Infrastruktur: Er leitet den Brief mit der prononcierten Feststellung ein, es komme ihm darauf an, solche Bauwerke vorzuschlagen, die sowohl dem Ruhm des Princeps als auch der Schönheit und dem Nutzen dienen werden.103 Der Gedanke des Ruhmes, der auch die Selbstdarstellung der Principes entscheidend geprägt hat, zeigt noch einmal mit aller Deutlichkeit, dass die Bautätigkeit des Princeps sein Prestige steigert; damit aber nützen die Aktivitäten im Bereich der Infrastruktur nicht nur der Gesellschaft, sondern vermittelt auch dem Herrscher; indem die Legitimation von Herrschaft wächst, wird gleichzeitig das politische System stabilisiert.

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Zu dieser Rede vgl. die wichtige Aussage von Plinius: Plin. epist. 3,18,1–3. Im Panegyricus wird ein politisches Programm formuliert, auf das Traianus und auch spätere Principes YHUSÁLFKWHWZHUGHQVROOWHQ9JOIHUQHU3OLQHSLVWXQG Plin. paneg. 29,2. Plin. epist. 10,41–42. 10,61–62. Plin. epist. 10,41,2. Stat. silv. 4,3,36–39. 4,3,103–104. Plin. epist. 10,41,1: …demonstrari opera non minus aeternitate tua quam gloria digna quantumque pulchritudinis tantum utilitatis habitura. Vgl. Plin. epist. 10,41,5.

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VIII. Die Frage nach dem Zusammenhang von Staat und Infrastruktur kann für die Antike deswegen nicht beantwortet werden, weil Staaten, die den Kriterien des in der Frühen Neuzeit entstandenen Staates entsprochen hätten, in der Antike nicht existierten. Grundlegendes Merkmal der Geschichte Griechenlands in archaischer und klassischer Zeit ist das Fehlen eines griechischen Staates; es waren die einzelnen Städte, die für sich Freiheit und Autonomie beanspruchten, und mit dem Zusammenschluss von Städten entstanden nicht Staaten, sondern eine Symmachie oder aber in hellenistischer Zeit ein Koinon, das kaum als Bundesstaat aufgefasst werden kann, sondern eher einen Städtebund darstellte. Das Imperium Romanum wiederum war ein Gebilde, das aus Italien einerseits und den Provinzen andererseits bestand, das auf der Selbstverwaltung der Städte beruhte und dessen Einwohner im 1. und 2. Jahrhundert keinen einheitlichen Rechtsstatus hatten, was selbst dann galt, wenn diese Einwohner als Soldaten in der römischen Armee dienten. Im Gegensatz zu den Nationalstaaten der Moderne fehlte den Gemeinwesen und Königreichen der Antike eine wirkliche Verwaltung; im wesentlichen nahmen einzelne Amtsträger und ihr Stab die Aufgaben der Verwaltung wahr. Aber selbst bei einer solchen Zurückhaltung gegenüber der Verwendung des Begriffs Staat für die Antike ist zu konstatieren, dass es in den griechischen Städten, in den hellenistischen Königreichen und im Imperium Romanum durchaus Ansätze einer Staatlichkeit gab, die in verschiedenen Bereichen unterschiedlich ausgeprägt waren. Zu nennen sind hier Bürgerrecht, Gesetzgebung und Gerichtswesen, Militärwesen und Gewaltmonopol. Unter diesen Voraussetzungen habe ich darauf verzichtet, in meinen Ausführungen von einem römischen Staat zu sprechen und den Begriff des politischen Systems verwendet. Bei einer Analyse der römischen Infrastruktur ist allerdings auf einen wichtigen Tatbestand hinzuweisen: Gerade im Bereich der Infrastruktur entstanden mit der cura viarum und insbesondere mit der cura aquarum Ämter, die den Kriterien einer modernen Verwaltung in mancher Hinsicht nahe kommen. Die Aufgabe, eine leistungsfähige Infrastruktur zu schaffen und zu erhalten, trug daher entscheidend zur Entwicklung der politischen Institutionen in Rom bei. BIBLIOGRAPHIE Brodersen, K. (1992): Reiseführer zu den Sieben Weltwundern. Philon von Byzanz und andere antike Texte, Frankfurt am Main. – (1996): Die Sieben Weltwunder. Legendäre Kunst- und Bauwerke der Antike, München. – (2000): s. v. Philon [17], DNP 9, 857. Brunt, P. A. (1971): Italian Manpower 225 B. C. – A. D. 14, Oxford. Chevallier, R. (1976): Roman Roads, London. Clayton, P. / Price, M. (1990): Die Sieben Weltwunder, Stuttgart. Eck, W. (1979): Die staatliche Organisation Italiens in der hohen Kaiserzeit, München.

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DAS RECHTSWESEN DER RÖMISCHEN REPUBLIK Detlef Liebs

6WDDW XQG 5HFKW KlQJHQ HQJ ]XVDPPHQ$XFK XQDEKlQJLJ YRQ GHU VSH]LÀVFKHQ Entstehung des modernen Staates im Mittelalter oder der noch heute vorherrschenden juristischen Ausbildung der meisten Politiker und Beamten, kann Recht generell sowohl als Ressource als auch als Aufgabe des Staates verstanden werden. Die /|VXQJYRQ,QWHUHVVHQNRQÁLNWHQGHU:HJYRP6WUHLW]XP5HFKWVVWUHLWLVWMHGHQfalls die Grundlage friedlichen Zusammenlebens und damit jeder Form institutionalisierter Gemeinschaften. Als „Staatsaufgabe“ darf „Recht“ als Kategorie demnach nicht fehlen, wobei im Folgenden für die römische Republik zwischen Rechtsetzung (1), Rechtsprechung (3) und Rechtsdurchsetzung (4) unterschieden und auch die Rolle der „nicht-staatlichen“ Fachjuristen (2) beleuchtet wird. Am Ende ergibt sich, dass zwar bei der Rechtsdurchsetzung in viel stärkerem Maße als heute auf private Initiative und individuelles Engagement gesetzt wurde, sich große Teile der Elite aber immer wieder mit Verbesserungen und Feinjustierung der Rechtsetzung und -sprechung beschäftigte. Prinzipien wie dieERQDÀGHV führten letztlich im ganzen Mittelmeerraum zu einer hohen Akzeptanz des römischen Rechts und auch – deswegen? – des römischen Staates. 1. RECHTSETZUNG a) Gesetzgebung aa) Persönliche Gesetzgeber Die ältesten Gesetze des Mittelmeerraums, insbesondere umfangreiche Gesetzgebungen wurden meist auf einzelne Persönlichkeiten zurückgeführt: Herrscher wie Hammurabi in Babylon und Lykurg in Sparta, oder von zerstrittenen Parteien eines Gemeinwesens zu Schiedsrichtern Bestimmte wie Drakon und Solon in Athen. Auf diese Weise scheint auch in Rom 451 v. Chr. die Kommission von zehn Männern (decemviri) mit außerordentlichen Vollmachten zustandegekommen zu sein, welche die zutage getretenen Spannungen zwischen Adel und Volk durch Aufstellung für alle gleichermaßen geltender Regeln schlichten sollte, indem sie ein befriedenGHV*HVHW]EXFKIRUPXOLHUWHQ'LHYRQGHQ'H]HPYLUQHQWZRUIHQH.RGLÀNDWLRQHUhielt 449 v. Chr. durch Volksbeschluss Gesetzesgeltung. Das Zwölftafelgesetz (Lex XII tabularum) ist eines der ältesten schriftlichen Dokumente Roms; es ist einigermaßen verlässlich bezeugt, wenn auch nur einzelne

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Bestimmungen in Zitaten und Berichten der Späteren auf uns gelangt sind. Zur befriedenden Wirkung gehörte es, dass die Gesetzestafeln nicht etwa im oder am Jupitertempel oben auf dem Kapitol aufgestellt wurden, der traditionelle Promulgationsort, sondern unten auf dem Forum, so dass es den in Alltagsgeschäfte Verstrickten jederzeit leicht zugänglich war.1 Zur selben Zeit wurden in Athen die schon älteren Gesetze Solons, seinerzeit ähnlich befriedend, von der Akropolis auf die Agora heruntergeholt. Durch das Zwölftafelgesetz erhielt z. B. der verschuldete Mitbürger mannigfache Verfahrensgarantien, auch wenn sein schließliches Schicksal weiterhin sehr hart war, sofern die mannigfachen Möglichkeiten, ihn davor zu bewahren, fruchtlos blieben. Oder: Kinder erbten zu gleichen Teilen, auch die weiblichen. Im Übrigen waren Familien- und Erbrecht jedoch weiterhin patriarchalisch geprägt. So erbten mangels Kindern sonstige Verwandte nur, wenn sie in rein männlicher Linie verwandt waren. Der Hausvater hatte über seine eheliche Nachkommenschaft väterliche Gewalt bis an sein Lebensende; alles gehörte rechtlich ihm, wenn er auch Teile seines Vermögens Söhnen, Enkeln usf. oder eigenen Sklaven zur freien Verfügung überlassen konnte.2 Verheiratete Frauen unterlagen der eheherrlichen Gewalt; unverheiratete, deren Vater, Großvater usf. nicht mehr lebte, bekamen, ob sie jung oder alt waren, einen Geschlechtsvormund; wichtige Geschäfte waren ohne seine Zustimmung unwirksam. Plebejer konnten mit Patriziern keine gültige Ehe schließen, woran allerdings ein Plebiszit bald rütteln sollte. bb) Volksgesetzgebung 'LH*HVHW]JHEXQJEOLHEEHLP9RONZHQQGHVVHQ(LQÁXVVDXFKEHJUHQ]WZDU'DV personale Element der römischen Gesetzgebung blieb bis in die Kaiserzeit insofern lebendig, als die Volksgesetze vom Volk zwar beschlossen werden mussten, aber nur von einem Magistrat eingebracht werden konnten, allenfalls einem Volkstribunen; die Initiative zur Setzung neuen Rechts lag also bei der Obrigkeit, allenfalls den Vertretern der plebs, weshalb die Gesetze auch nach ihrem Initiator benannt wurden und nicht immer auch nach ihrem Gegenstand. Ein Volkstribun konnte lediglich Plebiszite (plebis scita) initiieren, bei deren Zustandekommen Patrizier ausgeschlossen waren und die dennoch, seit dem frühen 3. Jahrhundert v. Chr. sogar RIÀ]LHOO GHQ *HVHW]HQ JOHLFKJHVWHOOW ZDUHQ ZHVKDOE VLH JOHLFKHUPD‰HQ DOV leges zitiert wurden; fortan ergingen nur noch selten formelle Gesetze (leges publicae) mit ihren umständlichen Abstimmungsregeln. Bei diesen eigentlichen Volksgeset]HQKDWWHQGLHZHQLJRGHUQLFKWV%HVLW]HQGHQNDXP(LQÁXVVZHLOGLHQDFK%HVLW] gegliederte große Volksversammlung (comitium centuriatum) diskussionslos abstimmte.3 'DV$EVWLPPXQJVHUJHEQLV EHHLQÁXVVHQ NRQQWHQ GLH HLQIDFKHQ %UJHU allerdings auch dadurch, dass vor Inkraftsetzen Für und Wider eines eingebrachten 1 2 3

Zu den Zwölf Tafeln siehe Wieacker 1988, 287–307, Bürge 1999, 63–72 und zusammenfassend Liebs 2002, 67–69 = § 110.3. Vgl. den Beitrag von B. Linke in diesem Band. Zu den Leges publicae Wieacker 1988, 388–428; zusammenfassend Liebs 2004, 17–26 sowie 2002, 69–72 = § 110.4.

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Vorschlags regelmäßig in formlosen Volksversammlungen (contiones) diskutiert wurde.4 Jedenfalls betrachtete die römische Republik es seit frühester Zeit als ihre Aufgabe, klar und genau schriftlich festzulegen, was als gleiches Recht für alle gelten sollte.

b) Honorarrecht Zur Erörterung spezieller, oft komplizierter Rechtsmaterien zumal des Privatrechts ließen sich größere Volksteile nur schwer mobilisieren. So wurde es im Laufe der Republik, vor allem in ihren letzten beiden Jahrhunderten immer selbstverständlicher, dass die im 4. Jahrhundert v. Chr. eigens für die Zivilrechtsprechung eingerichteten Magistrate, die Prätoren und bezüglich der Marktgerichtsbarkeit die kurulischen Ädilen, das allen Magistraten zustehende Recht, einseitig Anordnungen, sog. Edikte zu erlassen (ius edicendi), für ein sog. immerwährendes Edikt (edictum perpetuum) nutzten, worin sie die für ihre ganze einjährige Amtszeit geltenden Regeln bekanntgaben. Sie publizierten sie zu Beginn ihrer Amtszeit an ihrem Amtssitz nahe dem Forum auf weißen Holztafeln (album). Darin haben sie das Gesetzesrecht mannigfach präzisiert, ergänzt und auch korrigiert.5 So haben sie neben dem Volleigentum, dem sogenannten quiritischen Eigentum, ein nur kraft ihrer Gerichtsbarkeit geschütztes, sogenanntes bonitarisches Eigentum (von in bonis habere – ‚im Vermögen haben‘) mit im Ergebnis fast gleichen Wirkungen geschaffen. Das hatte große praktische Bedeutung, z. B. für den Sklaven- und Großviehkäufer, der auf das umständliche Übereignungszeremoniell verzichtet, das bei Grundstücken, Großvieh und Sklaven an sich erforderlich war, und sich mit Übergabe der Ware begnügt hatte. Ebenso schuf der Prätor ein prätorisches Erbrecht, genannt bonorum possessio (Vermögensbesitz), als das gesetzliche Erbrecht der Zwölf Tafeln, wonach allein in männlicher Linie Verwandte erbten und Emanzipierte vom gesetzlichen Erbrecht schlechthin ausgeschlossen waren, nicht mehr überzeugte. Im Deliktsrecht berücksichtigte er Fälle der Gefährdungshaftung, etwa wenn jemand den Straßenverkehr dadurch gefährdete, dass er etwas auf einem Wetterdach oder Vorbau stehen hatte (in suggrunda protectove positum), was auf einen öffentlich genutzten Weg hinunterfallen konnte. Besonders weit gingen die Neuerungen des Prätors im Vertragsrecht, wo er den Maßstab der ERQDÀGHV für die Frage einer Haftung aus den wichtigsten Rechtsgeschäften einführte: Kauf, Miete, Pacht, Dienst-, Werk-, Gesellschaftsvertrag und Auftrag. Dabei agierte der Prätor im Laufe der Zeit immer selbständiger, überwand immer wieder alteingewurzelten Formalismus. Die Summe seiner (und der Ädilen) schließlich zahlreichen Neuerungen fasste man unter dem Stichwort ius honorarium zusammen, weil es auf die Magistrate zurückging, die ein mit besonderer Ehre verbundenes Amt (honos) versahen. Es war schriftlich formuliert, aber weniger genau als das Gesetzesrecht, sollte es doch auch für unvorhergesehene Konstellationen Orientierung bieten. 4 5

Vgl. den Beitrag von M. Jehne in diesem Band. Zum Honorarrecht Wieacker 1988, 429–86; zusammenfassend Liebs 2004, 37–41.

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2. FACHJURISTEN MIT AUTORITÄT Eine Besonderheit des öffentlichen Lebens in Rom und später im ganzen Kaiserreich waren besonders ausgebildete und gesellschaftlich hoch geachtete Fachleute des Rechts (iuris periti, iuris prudentes, iuris consulti oder iuris studiosi)6 seit ältester Zeit, als Rom noch ein kleiner Stadtstaat war. Pomponius, juristischer Schriftsteller und Rechtslehrer, verfasste um 130 n. Chr. einen Abriss der Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, der wie folgt beginnt:7 Viele und bedeutende Männer haben die Wissenschaft vom Recht der Bürger gelehrt; und die unter ihnen, welche beim römischen Volk in besonders hohem Ansehen standen, sind im Folgenden festzuhalten, damit man sieht, von wem dieses Recht seinen Ursprung, wer es überliefert hat und was für Männer das waren. Und von allen, die Kennerschaft in diesem Fach erlangt hatten, habe, wie es heißt, vor Tiberius Coruncanius niemand es öffentlich gelehrt. Die anderen bis auf ihn waren nämlich sehr darauf bedacht, das Recht der Bürger im Verborgenen zu halten, und nahmen sich lieber Zeit für die, welche sie um Rat fragten, als sich Lernbegierigen zur Verfügung zu stellen.

Für den akademischen Juristen Pomponius war der Rechtsunterricht wichtig. Coruncanius hatte im frühen 3. Jahrhundert v. Chr. in seiner latinischen Vaterstadt zum Adel gehört, siedelte aber nach Rom über, obwohl er dort lediglich Plebejer war. Er brachte es immerhin bis zum Konsul und gelangte, nachdem die lex Ogulnia 300 v. Chr. das u. a. auf Rechtskunde im Privatrecht spezialisierte Kollegium der SRQWLÀFHV auch für Plebejer geöffnet hatte, in diese Priesterschaft; schließlich wurde er gar pontifex maximus, der erste plebejische. Anders als er sahen die anderen SRQWLÀFHV ihre Aufgabe lediglich darin, sich denjenigen zu widmen, die Rechtsrat in einem konkreten Fall benötigten. Das waren nicht nur Privatleute, sondern ebenso Magistrate. Rechtsberatung blieb die Hauptaufgabe der römischen Juristen. Seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. war Rechtswissenschaft somit auch Laien zugänglich, wenn die führenden Juristen auch noch lange zugleichSRQWLÀFHV waren. Und ein gründliches, langjähriges Studium blieb immer erforderlich, um in der Gesellschaft als einer der wenigen iuris consulti, periti usw. anerkannt zu sein; auch fachlich mittelmäßige Juristen hatten, Rechtskenner die auch sie waren, deren besondere Autorität.8 Das römische Volk verehrte sie alle, die sich den Rechtsuchenden im Prinzip uneigennützig zur Verfügung stellten. Pomponius berichtet weiter:9 6 7

8 9

Dazu Wieacker 1988, 519–675; Liebs 2004, 26–37. Das Folgende nach Liebs 2012, 69–72. Pomponius: Enchiridii liber singularis (Dig. 1, 2, 2 § 35): Iuris civilis scientiam plurimi et maximi viri professi sunt; sed qui eorum maximae dignationis apud populum Romanum fuerunt, eorum in praesentia mentio habenda est, ut appareat, a quibus et qualibus haec iura orta et tradita sunt. Et quidem ex omnibus, qui scientiam nancti sunt, ante Tiberium Coruncanium publice professum neminem traditur; ceteri autem ad hunc vel in latenti ius civile retinere cogitabant solumque consultatoribus vacare potius quam discere volentibus se praestabant. Augustin: De duabus animabus contra Manichaeos, § 5; ders.: Enarratio in Psalmum 145, § 4; u. dazu Liebs 1987, 102 f. Pomponius ebenda (Dig. 1, 2, 2 § 37): Fuit post eos maximae scientiae Sempronius, quem populus Romanus ƱƮƴҳƬ appellavit nec quisquam ante hunc aut post hunc hoc nomine cognominatus est. Gaius (sic) Scipio Nasica, qui Optimus a senatu appellatus est, cui etiam publice domus in via sacra data est, quo facilius consuli posset.

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Nach diesen (zwei Männer aus dem späten 4. Jahrhundert v. Chr.) war von größter Kennerschaft Sempronius, den das römische Volk ‚Le Sage‘ nannte; weder vor noch nach ihm hat jemand diesen Beinamen erhalten. Und Scipio Nasica, vom Senat mit dem Titel ‚der Beste‘ ausgezeichnet, erhielt sogar ein Haus an der Heiligen Straße auf Staatskosten, damit er für alle, die Rechtsrat suchten, leichter erreichbar war.

Vertraten Juristen jemanden vor Gericht, was an sich nicht ihre Aufgabe, sondern Sache der Rhetoren war, so konnte das freilich etwas kosten; auch nahmen sie freiwillige Leistungen entgegen, mochten sie auch erst im Testament des Beratenen bedacht werden. Dagegen wurde Rechtsunterricht später oft, wie sonstiger Unterricht auch, entgeltlich vereinbart, nur konnte ein Rechtslehrer ein zugesagtes Honorar nicht einklagen. 6HPSURQLXV ƱƮƴфư VWDPPWH DXV HLQHU HLQVW SDWUL]LVFKHQ )DPLOLH GLH LKUHQ Adel inzwischen eingebüßt hatte, zur plebs abgestiegen war. 304 v. Chr. war er Konsul und seit 300 pontifex. Seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. entwickelte sich eine schließlich rein weltliche Rechtswissenschaft, begleitet von juristischer Fachliteratur, die durch Anregungen der griechischen Fachwissenschaften mannigfach bereichert wurde. In freier, nunmehr oft literarischer Diskussion durchdrang sie nach und nach die ganze Rechtsordnung, die sie als Einheit frei von inneren Widersprüchen zu verstehen unternahm. Die einzelnen Rechtsfragen wurden im gemeinsamen Bemühen um die gerechteste Lösung öffentlich diskutiert. Die römische Rechtsliteratur wurde bis ins 20. Jahrhundert die schlechthin klassische genannt. Die vielen Meinungsverschiedenheiten unter den Juristen und ihre oft sehr subtilen Argumente konnten Außenstehende allerdings auch verwirren. Nicht alle fanden sich mit der Macht dieser Zunft ab; es gab auch entschieden ablehnende Bekundungen, bei einfachen Leuten und bei Intellektuellen.10 Das Selbstbewusstsein dieser weiterhin einigermaßen geschlossen auftretenden Gruppe, die grundsätzlich staatstreu eingestellt war und oft unbeugsam urteilte, wirkte auf nicht wenige provozierend; bei politischen Entscheidungen konnte ihr Festhalten an Rechtspositionen auch großen Schaden anrichten. So führte die strikte Erfassung der in Rom lebenden Italiker ohne römisches Bürgerrecht und ihre Ausweisung durch ein Gesetz, das der hochangesehene Jurist Quintus Mucius Skävola 95 v. Chr. eingebracht hatte, zum Bundesgenossenkrieg 91 bis 89 v. Chr. Nichtsdestoweniger hatten die Juristen in der römischen Gesellschaft von den Anfängen im 5. und 4. Jahrundert v. bis ins 6. Jahrhundert n. Chr. einen festen Platz. Das bezeugen Nichtjuristen aller Schichten bis in die Spätantike: Cicero,11 Horaz,12 die Kaiser Augustus und Vespasian,13 Juvenal,14 Plinius d. J.,15 Tacitus,16 Gellius,17 die Kaiser Hadrian, Sep10 11 12 13 14 15 16 17

Dazu etwa Nörr 1974 und Liebs 2006. Cic. Caec. 65–70; de or. 1,165–207 u. 3,135; orat. 142–44; off. 2,65; dazu Christes 1975, 142–50. Hor. sat. 1,1,9 f.; u. 2,1. Liebs 2010, 18–22 u. 26 f. Juven. 4,75–81; dazu Liebs 2010, 27–30. Plin. epit. 1,22; u. 8,14; sowie 7,24,8. Tac. ann. 1,76,1; 1,79; 3,70 u. 75; 4,58; 6,26; 12,11 f.; 13,30,2; 13, 41 u. 48; 14,42–45; 15,52; 16,7–9 u. 22. Gell. 1,12,1; 7,5,1; 13,10,1–3; u. 20,1.

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timius Severus, Alexander Severus und Diokletian,18 Junior, Aurelius Victor, Augustin, Eusebius von Nantes19 und die Kaiser Theodosius I., Theodosius II. und Justinian.20 Zur einheitlichen Anwendbarkeit des römischen Rechts im ganzen orbis Romanus hat nicht wenig beigetragen, dass die Juristen, sei es als Berater der Richter, als Schriftsteller oder Staatsmänner das römische Recht ständig verfeinerten und auf neue Herausforderungen abstimmten. Dass die Juristen Neuerungen gegenüber aufgeschlossen waren, ergab sich auch daraus, dass viele von unten oder YRQDX‰HQGD]XVWLH‰HQGLHGDQQRIWEHVRQGHUVHLQÁXVVUHLFKH9HUWUHWHUZXUGHQZLH Coruncanius oder Trebatius Testa bei Cäsar und Augustus.21 3. RECHTSPRECHUNG a) Magistrat Um einen Rechtsstreit zu beginnen, standen den römischen Bürgern mannigfache Magistrate zur Verfügung, im Laufe der Republik mehr und mehr, zunächst allerdings wohl nur die Konsuln.22 Zugänglich waren sie anfangs nur Begüterten, da wer klagen und auch wer sich gegen eine Klage verteidigen wollte, einst ein sacramentum in Höhe von später 50 Pfund Kupfer bzw., wenn der Streitwert 1000 Pfund Kupfer oder mehr ausmachte, 500 Pfund hinterlegen musste; nur der Sieger bekam sein sacramentum zurück. Das wurde später allerdings dahin entschärft, dass beide Parteien vor dem Prätor die Summe nur erst versprechen mussten und auch nur für den Fall ihres Unterliegens.23 Das Zwölftafelgesetz führte in der Mitte des 5. Jahrhunderts für bestimmte Streitigkeiten kostenloses Prozessieren ein, wenn es nämlich darum ging, ob ein Schuldversprechen gültig zustande gekommen und ob es schon, sei es auch nur formlos oder teilweise, beglichen worden ist; außerdem, wenn Miterben über die Verteilung des Erbes stritten.24 Bald kamen weitere Fälle hinzu. Am Ende der Republik war der Zugang zu Gericht meist kostenlos.25 An die Konsuln wandte man sich mittlerweile allerdings nur mehr ausnahmsweise. Vielmehr wurde, der Überlieferung nach 366 v. Chr., für Zivilprozesse (iudicia privata) ein eigener Magistrat eingerichtet, der Prätor, und für die Marktgerichtsbarkeit auf dem Sklaven- und dem Viehmarkt zwei kurulische Ädilen. 242 v. Chr. kam ein zweiter Prätor für Streitigkeiten mit und unter Nichtrömern hinzu, der praetor peregrinus, während der bisherige Prätor nur mehr für Streitigkeiten unter Bürgern zuständig war, der praetor urbanus. Im Verlauf des zweiten und ersten 18 19 20 21 22 23 24 25

Liebs 2010, 33–39, 51–59, 68–75 u. 81–87. Zu diesen vier (Junior verfasste die Expositio totius mundi und Euseb die Historia Augusta) Liebs 1987, 88–92 u. 101–119. Zu ihnen Liebs 2010, 103–106, 112–25 u. 134–52. Zum letztgenannten etwa Liebs 2010, 15–19. Zu ihrer Rechtsprechung in vorsullanischer Zeit Pina Polo 2011, 122–134. Zum Verfahren sacramento näher Kaser/Hackl 1996, 81–107 = §§ 12–14. Zu diesem Verfahren Kaser/Hackl 1996, 107–111 = § 15. Zu den Bußen für leichtfertiges Prozessieren Kaser/Hackl 1996, 283–85 = § 40.

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Jahrhunderts wurden weitere Prätoren und niedere Magistrate geschaffen, die den verschiedenen Strafgerichtshöfen zur Aburteilung schwerer Verbrechen vorstanden, welche die allzu aufwendigen Volksgerichte ablösten. Solche iudicia publica wurden eingerichtet für Erpressungen durch Beamte (repetundae), Unterschleif durch Beamte (peculatus et de residuis), Hoch- und Landesverrat (maiestas populi Romani), Tötungsdelikte (GHVLFDULLVHWYHQHÀFLV), Verwandtenmord (parricidium), Fälschungen (falsa), unlauteren Wahlkampf (ambitus) u. a.; zu urteilen hatten je rund 20 Geschworene (iudices). Anklagen wegen dieser Verbrechen waren bei diesen Prätoren etc. anzubringen.26 b) Iudex privatus In Zivilsachen wurden die Prozesse vor den Magistraten, den Prätoren und kurulischen Ädilen nur erst eingeleitet; Beweisaufnahme und Urteil oblagen in historischer Zeit Geschworenenrichtern.27 Der Magistrat klärte die Rechtslage, insbesondere, ob im konkreten Fall eine Klage überhaupt zulässig war, und sodann, nach welchen Kriterien wie zu entscheiden war. Meist waren aber die Tatsachen, die vorliegen mussten, damit eine Partei etwa zu einer Geldzahlung verurteilt werden konnte, unter den Parteien streitig. Die zeitaufwendige Arbeit, festzustellen, was genau vorgefallen war, übertrug der Prätor bzw. Ädil einem Privatmann (iudex privatus) aus den höheren Ständen; ursprünglich war das stets ein Senator, später wurden auch die Angehörigen des Ritterstands herangezogen; und weitere kamen hinzu. Meist urteilten sie als Einzelrichter (iudex unus); in besonders wichtigen Sachen wie Freiheitsprozessen und nach Ermessen zu verhängenden Bußen wegen Erpressungen durch Steuerpächter und gemeingefährliche Privatdelikte (Raub, schwere Körperverletzung und öffentliche Beleidigung) eine kleine Richterbank von meist drei recuperatores. Als iudex zu fungieren waren die Angehörigen der REHUHQ6FKLFKWHQYHUSÁLFKWHWVHOEVWZHQQVLHZHLWHQWIHUQWLQHLQHU3URYLQ]ZRKQten. Die Aufgabe war aber auch begehrt; in der späten Republik versuchten die Optimaten, sie wieder allein den Senatoren vorzubehalten, womit sie unter Sulla auch Erfolg hatten, allerdings mit einem aufgeblähten Senat und auch nur für wenige Jahre.

26 27

Näher dazu Mommsen 1899, 186–221; u. Kunkel 1963, 720–783. Zum Folgenden näher Kaser/Hackl 1996, 37–60 = §§ 5–8 u. 172–201 = §§ 24–26.

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4. RECHTSDURCHSETZUNG a) Staatliche Vollstreckungsorgane 'LHJHOlXÀJVWHQU|PLVFKHQ9ROOVWUHFNXQJVEHDPWHQZDUHQGLH/LNWRUHQ28 Hilfsbeamte (apparitores) der höheren Magistrate. Sie waren oft Freigelassene, wurden jedenfalls aus den niederen Ständen rekrutiert und trugen ein Bündel (fasces) mit Ruten und außerhalb Roms auch mit Richtbeil. Den Konsuln und in den Provinzen den Prokonsuln gingen zwölf, den Prätoren und Proprätoren sechs und dem obersten Priester, dem ÁDPHQ'LDOLVein Liktor voran, und zwar bei allen Auftritten in der Öffentlichkeit, auch bei privaten wie Theater- oder Badbesuch. Ihre Ausstattung symbolisierte ihre sinnfälligste Aufgabe: die Exekution von Anordnungen der Magistrate, insbesondere Festnahmen und die Vollstreckung von Todesstrafen, wozu meist Geißelung hinzukam. Um 310 v. Chr. wurde eine neue Behörde geschaffen, die tres- oder triumviri nocturni, seit 290 allgemein tresviri capitales.29 Sie gehörten zu den – gleichfalls vom Volk gewählten – niederen Magistraten (magistratus minores), bekleideten Anfängerämter für angehende Senatoren. Hauptsächlich hatten sie Polizeiaufgaben in Rom, wozu auch Polizeijustiz über Sklaven und wohl auch niederes freies Volk gehörte; sie führten die Aufsicht über das Staatsgefängnis und leiteten die Vollstreckung der Todesstrafen: Enthauptung mit dem Beil oder Kreuzigung auf Anordnung eines Magistrats; war magistratische Vollstreckung aus irgendeinem Grund nicht möglich, dann wurde der Verurteilte vom Tarpejischen Felsen am Kapitol gestürzt, was ein Volkstribun leitete.30 Unmittelbar ausgeführt wurden die Hinrichtungen durch das staatliche Gefängnispersonal.31 Am Ende der Republik ließ man zum Tode Verurteilte aus den höheren Ständen in ein selbst gewähltes Exil entweichen, woraufhin ein Magistrat oder der Senat die aqua et igni interdictio verhängten, d. h. ein staatliches Organ entzog mit dem Verbot, dem verurteilten Verbrecher Wasser und Feuer zu gewähren, ihm die Möglichkeit, auf von Rom beherrschtem Gebiet zu leben. b) Einsatz der Bürger aa) Private Ankläger und Popularklagen Zur Einleitung eines Strafprozesses nach römischem Recht musste mangels Staatsanwalt ein römischer Bürger Anklage erheben, der auch die Ermittlungen zu führen hatte. Meldeten sich mehrere wegen derselben Sache beim Vorsitzenden des zu-

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Zu ihnen bes. Samter 1909, 2002–2006; Kübler 1926, 507–18; Kunkel/Wittmann 1995, 119– 23. Zu ihnen bes. Strasburger 1939, 518 f.; u. Kunkel/Wittmann 1995, 533–36. Schilling 2010, 42. Kunkel 1962, 71 u. Fn. 367.

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ständigen Gerichts, so leitete dieser ein Verfahren zur Findung des würdigsten ein.32 Eine Aufgabe, die wir seit der französischen Revolution als Staatsaufgabe ansehen, EHUQDKPHQDOVR3ULYDWOHXWHIUHLZLOOLJEHIHXHUWIUHLOLFKGXUFK$QUHL]HÀQDQ]LHOOHU Art: Beteiligung am für die res publica eingezogenen Vermögen des Verurteilten. Bei Misserfolg riskierte der Ankläger allerdings, seinerseits wegen mutwilligen Prozessierens angeklagt und bestraft zu werden. Bei mittelschweren Delikten wie Grabfrevel und Gefährdung des Straßenverkehrs dadurch, dass jemand aus einer Wohnung etwas auf die Straße warf oder goss, beides mit Geldbußen bedroht, konnte jeder Bürger, quivis ex populo das Delikt mit einer Popularklage (actio popularis LQHLQHP=LYLOSUR]HVVYHUIROJHQ'LH%X‰HÁRVVGHPHUIROJUHLFKHQ.OlJHU zu; unter mehreren Klägern entschied praktisch, wer zuerst kam; allenfalls bestimmte der Prätor den würdigeren.33 bb) In ius vocatio, manus iniectio und pignoris capio In Zivilprozessen hing jeder Schritt von der Initiative des einzelnen Bürgers ab. Wer berechtigt zu sein glaubte, von einem andern etwas verlangen zu können, musste seinen vermeintlichen Schuldner zur Zeit der Republik stets selbst vor Gericht bringen. Der Gläubiger sprach den Schuldner, sobald dieser sich in der Öffentlichkeit zeigte – in sein Haus durfte er nicht eindringen –, an und rief ihn vor Gericht (in ius vocare); notfalls, d. h. wenn der Geladene Schwierigkeiten machte, rief der Gläubiger die Umstehenden zu Zeugen auf und ergriff den Widerspenstigen mit Gewalt, um ihn vor den Gerichtsherrn, den Prätor zu führen (manus iniectio). Dieser bestimmte sodann das weitere Verfahren, wozu auch gehören konnte, dass er, wenn er den geltend gemachten Anspruch eindeutig ungerechtfertigt fand, sich weigerte, einen Zivilprozess einzuleiten (denegatio actionis). Der Gläubiger musste also zwar formalisiert, aber doch eigenmächtig handeln, freilich unter staatlicher Überwachung. War der Schuldner schließlich verurteilt worden, in Rom regelmäßig zur Zahlung einer bestimmten Summe Geldes, mochte der Gläubiger ursprünglich auch eine sonstige Leistung verlangt haben, dann oblag diesem auch die Vollstreckung. Der erfolgreiche Kläger musste den Verurteilten erneut vor den Prätor bringen, der die zur Vollstreckung notwendigen Formalitäten überprüfte, vor allem auch, ob die Schuld ziffernmäßig feststand und inzwischen womöglich bezahlt worden war, und sei es von dritter Seite; behauptete der Schuldner dergleichen und erwies sich das als unrichtig, dann verdoppelte sich seine Schuld. Am Ende sprach der Prätor den Verurteilten dem erfolgreichen Kläger als Schuldknecht zu (addictio), der ihn solange behielt, bis er die Schuld etwa abgearbeitet hatte; in älterer Zeit musste er ihn nach 60 Tagen Haft, in denen die Beteiligten über eine Ablösung der Schuld verhandeln und einen Vergleich schließen konnten (etwa eine Teilzahlung vereinbaren), an drei aufeinander folgenden Markttagen mit Angabe der Lösungssumme öffentlich ausbieten. Wenn er dann nicht ausgelöst wurde, verkaufte der 32 33

Siehe etwa Mommsen 1899, 343–47; u. Robinson 1995, 4 f. Zu den Popularklagen s. zumal Dig. 47, 23.

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Gläubiger ihn als Sklave, um aus dem Erlös sich und etwaige andere Gläubiger zu befriedigen; allerdings durfte er ihn nur ins Ausland verkaufen.34 Bei einigen wenigen bescheidenen Ansprüchen öffentlichen Rechts (wie zur Sicherung von Sold und Reiterausrüstung des einzelnen Soldaten) und sakraler Natur (wie beim Kaufpreis und Transport von Opfertieren) konnte der Berechtigte HLQ]HOQH 9HUP|JHQVJHJHQVWlQGH GHV 9HUSÁLFKWHWHQ LP :HUW GHV $QVSUXFKV DOV Pfand ergreifen (pignoris capio) und nach Ablauf einer Lösungsfrist verwerten oder auch schlicht behalten.35 cc) Missio in bona, venditio bonorum und distractio bonorum Auch als die Personalvollstreckung abkam, weil der Prätor mit Hilfe der Juristen eine Form der Vermögensvollstreckung entwickelt hatte, die nicht nur schneller war, sondern sich meist auch als ertragreicher erwies, blieb der private Gläubiger derjenige, welcher das Verfahren voranbringen musste. Wann immer ein verurteilter Schuldner nicht zahlte, konnte sich der Gläubiger vom Prätor in das Vermögen des Schuldners einweisen lassen (missio in bona), um es schließlich zu verwerten. Dies geschah nach öffentlichem Anschlag (proscriptio), um alle Gläubiger zu unterrichten, und nach Feststellung ihrer Berechtigung durch den von den Gläubigern mit Ermächtigung des Prätors aus ihrer Mitte gewählten Geschäftsführer (magister bonorum), und zwar auf dem Wege der öffentlichen Versteigerung des gesamten Vermögens möglichst in einem (venditio bonorum). Den Zuschlag erhielt, wer den Gläubigern den höchsten Bruchteil ihrer Forderungen bot (bonorum emptor).36 Allerdings sah man in einzelnen Fällen von Beschlagnahme und Versteigerung des gesamten Vermögens ab. Wenn ein Unmündiger die Schuld geerbt und keinen Vormund hatte, begrenzte man die Vollstreckung auf einzelne Stücke des geerbten Vermögens, bis der Gläubiger befriedigt war (distractio bonorum); ebenso beim wegen Geisteskrankheit oder Verschwendung Entmündigten. Und wenn der Schuldner zu einer senatorischen Familie gehörte, dann wurden gleichfalls nur einzelne Vermögensstücke veräußert; diese Vergünstigung beruhte auf Senatsbeschlüssen vermutlich erst der Kaiserzeit.37 dd) Interdicta Mit Hilfe der Juristen entwickelte der römische Prätor auch Möglichkeiten, sich gegen widerrechtliche Entziehung oder Störung von bloßen faktischen Machtbefugnissen zu wehren, insbesondere auch bloßen Besitz i. S. d. bürgerlichen Rechts, also eine lediglich tatsächliche Verfügungsgewalt verteidigen, etwa gegen gewalt34 35 36 37

Näher dazu Kaser/Hackl 1996, 131–45 = § 20. Näher dazu Jung 1982, 914–17; u. Kaser/Hackl 1996, 146–48 = § 21. Dazu Kaser/Hackl 1996, 388–401 = §§ 57 f. Dazu und zu weiteren Vergünstigungen meist erst der Kaiserzeit Kaser/Hackl 1996, 402–407 = §§ 59 II – 61.

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sames oder heimliches Ansichbringen oder auch nur Behinderung eines tatsächlich vorgefundenen Besitzstands.38 Auch dafür setzte man in Rom hauptsächlich auf Selbsthilfe des Betroffenen und beschränkten die staatlichen Organe sich darauf, ihn dazu zu ermutigen und ihm, wenn das eigene Bemühen nicht zum rechtlich gewünschten Ergebnis führen sollte, die Möglichkeit zu verheißen, am Ende mit seinem Gegner in Geld abzurechnen. Wer sich in seiner tatsächlichen Verfügungsgewalt über ihm bisher faktisch zugestandene Güter beeinträchtigt fühlte, wandte sich an den Prätor, der zunächst nichts weiter tat als ein Verbot (interdictum) zu verkünden, etwa des Inhalts: „Ich verbiete, dass Gewalt geschieht (mit dem Erfolg), dass jenem (dem Kläger) auf öffentlicher Straße oder öffentlichem Weg zu gehen oder (Vieh) zu treiben nicht gestattet wird!“, oder: „Wie ihr (Kläger und Beklagter) (jetzt) das Haus, um das es hier geht, weder durch Gewalt noch heimlich … der eine vom anderen besitzt, dass (mit dem Erfolg), dass ihr nicht mehr so besitzt, Gewalt geschieht, verbiete ich!“. Die umständliche Formulierung erlaubte dem, der gewaltsam oder heimlich (während einer Abwesenheit) seines Hauses entsetzt worden war, sich gewaltsam oder auch heimlich wieder seines Hauses zu bemächtigen; nur dem, der seinerseits Gewalt geübt hatte oder heimlich vorgegangen war, wurden Gewalt und heimliches Vorgehen verboten. Erst wenn dieser sich nicht daran hielt, indem er dem Kläger erneut gewalttätig oder heimlich entgegentrat, konnte dieser vom anderen Schadensersatz in solcher Höhe verlangen, dass der andere auf diese Drohung hin nachgeben würde; blieb er verstockt, kam es zur Verurteilung in Geld und drohte ihm, dass auf sein gesamtes Vermögen zugegriffen und es schließlich insgesamt versteigert wurde. ee) Missio in possessionem Um bestimmte zukünftige Ansprüche zu sichern, verhieß der Prätor den Berechtigten, sie auf Antrag (postulatio) in den faktischen Besitz bestimmter Vermögen einzuweisen (missio in possessionem).39 Wer in einem Testament mit einem Vermächtnis bedacht worden war, z. B. dass der Erbe ihm eine bestimmte Summe auszahlt, was aber noch nicht sofort geschehen sollte, sondern erst später fällig werden würde, möglicherweise gar noch von der Erfüllung einer Bedingung abhing, der konnte vom Erben verlangen, ihm Sicherheit dafür zu leisten, dass er bei Fälligkeit VHLQH3ÁLFKWHUIOOHQZUGHPLWÄ6LFKHUKHLW¶ZDUJHPHLQWGDVVGHU(UEHGHP9HUmächtnisnehmer etwa Bürgen stellte oder eine Hypothek an einem seiner Grundstücke einräumte. Leistete der Erbe die geforderte Sicherheit nicht, dann konnte der Berechtigte beim Prätor beantragen, ihn – nach Anhörung des Gegners – in den faktischen Besitz der gesamten Erbschaft einzuweisen (missio in possessionem legatorum servandorum causa). Der Berechtigte durfte sich daraufhin der gesamten Erbschaft bemächtigen und und sie solange behalten, bis sein Vermächtnis fällig würde oder sich herausstellte, dass die Bedingung ausfällt; dieses Druckmittel wird 38 39

Zum Folgenden näher Kaser 1971, 396–400 = § 96; u. Kaser/Hackl 1996, 408–21 = §§ 62 f. Zum Folgenden näher Kaser/Hackl 1996, 427–32 = § 65.

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UHJHOPl‰LJ JHZLUNW KDEHQ (EHQVR NRQQWH ZHU ]XP 3ÁHJHU HLQHV EHLP (UEIDOO zwar schon gezeugten, aber noch nicht geborenen Erben bestellt worden war, ein curator ventris, die Erbschaft bis zur Geburt in seinen faktischen Besitz bringen (missio in possessionem ventris nomine); kam das Kind lebend zur Welt, dann wurde für das Mündel mangels Vater – das war in der Regel der vorverstorbene Erblasser – ein Vormund bestellt, der die Erbschaft namens des Mündels antrat oder auch ausschlug, wenn sie nämlich nachteilig wäre, etwa überschuldet war. Drohte einem Grundeigentümer von einem Nachbargrundstück eine Gefahr durch Einsturz eines Nachbargebäudes oder sonstiger darauf errichteter Anlagen, dann konnte der gefährdete Nachbar vom Gefährder Sicherheit für Schadensersatz im Falle einer künftigen Schädigung (cautio damni infecti) verlangen; unterblieb die Sicherheitsleistung, dann konnte sich der Nachbar in den Besitz des gefährdenden Grundstücks einweisen lassen (missio in possessionem rei servandae causa). Widersetzte sich der Gefährder der Einweisung, dann haftete er auf Schadensersatz, wie wenn er Sicherheit geleistet hätte, d. h. die Kosten einer Sicherheitsleistung auf dem freien Markt, etwa durch Banken wurden hinzugerechnet.

5. VERTRAUEN DER BÜRGER UND SONSTIGEN RECHTSUNTERWORFENEN AUF RECHT UND GESETZ Gewiss waren in Rom viele mit der Rechtspraxis unzufrieden, was bis zu Hass reichen konnte.40 Dazu ist zunächst einmal festzuhalten, dass es kaum eine Rechtsgemeinschaft, zumal keine vormoderne gegeben haben dürfte, aus der nicht zahlreiche Fälle von Justizunrecht verzeichnet werden könnten. Auch die römische Rechtsgemeinschaft hat oft versagt.41 Aber wir kennen auch gegenteilige Bekundungen. So berichtet Valerius Maximus zwar von zahlreichen – aus unterschiedlichen Gründen – ungerechten Strafurteilen.42 Drei der vier dann angeführten Zivilrechtsurteile zeichnen sich demgegenüber dadurch aus, dass sie dem Einzelfall besonders gerecht wurden;43 und auch das vierte war keineswegs ungerecht, wenn auch streng, damit aber ganz im Sinne der republikanischen Juristen.44 Diese Bilanz wird kein Zufallsergebnis sein, konnten doch vor den Strafgerichtshöfen, wo eine große Zahl von Geschworenrichtern urteilte, geschickte Anwälte diese Richter emotional bewegen und auch lenken, was Valerius Maximus scharf beleuchtet; die Autorität der Juristen galt hier weniger, während sie im Zivilrecht um so größeren (LQÁXVVDXIGLH(UJHEQLVVHKDWWHQ Auch aus der einheimischen Bevölkerung in den Gebieten, die der römischen Herrschaft unterstanden, sind Äußerungen erhalten, welche Zufriedenheit mit der römischen Ordnung, insbesondere der römischen Rechtsprechung bekundeten. 6 v. 40 41 42 43 44

Nachw. o. Fn. 10. Zahlreiche Beispiele solchen Versagens bei Wengst 1986, 53–57. Val. Max. 8,1: 13 Freisprüche contra legem, acht Verurteilungen und zweimal unentschiedener Ausgang. Zu Val. Max. 8,2,1–3, s. Liebs 2007, 37–44, 65–78 u. 29–36. Zu Val. Max. 8,2,4 s. Gell. 6,15,1 und Gai. Inst. 3,196.

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Chr. wandte sich ein Ehepaar aus der griechischen Stadt Knidos hilfesuchend an Kaiser Augustus. Die Stadt war formell mit Rom verbündet und frei, hatte also ihre eigene Gerichtsbarkeit. Dem Paar war die Flucht aus seiner Heimatstadt gelungen, wo die Eheleute wegen Totschlags eines Mitbürgers verurteilt worden waren. Alsbald erschienen auch Gesandte der Stadt vor dem Kaiser, um die beiden nun vor ihm wegen besagten Totschlags anzuklagen. Augustus beauftragte den Prokonsul der benachbarten Provinz Asia, also des westlichen Kleinasien mit der Vernehmung der Tatzeugen. Dabei fand der Prokonsul heraus, dass der Bruder des Getöteten das Haus der Eheleute drei Nächte lang unrechtmäßig belagert hatte; dass die Belagerten versucht hatten, mit dem Angreifer ins Gespräch zu kommen, jedoch ohne Erfolg; und dass in der dritten Nacht der Belagerer seinen später getöteten Bruder hinzuzog. Sie waren schon im Begriff, in das Haus einzudringen, als die bedrängten Eheleute einem ihrer Sklaven befahlen, die Belagerer mit hinabgeworfenen Exkrementen zu vertreiben. Dabei traf ein Topf den Bruder und verletzte ihn so schwer, dass er an der Wunde starb; ob der Sklave den Topf absichtlich geworfen oder ob er ihn nur, wie er beharrlich aussagte, versehentlich hatte fallen lassen, ließ sich nicht mehr klären. Augustus hielt das auch für unerheblich und sprach die Angeklagten frei, weil sie in berechtigter Notwehr gehandelt hatten; die Justiz von Knidos tadelte er als voreingenommen, wenn auch in schonender Form, und befahl der Stadt, sein Urteil in ihren Akten festzuhalten, was bedeutete, es zu respektieren. Die Stadt ist dem zweifellos nachgekommen. Wir kennen den Fall durch eine griechische Inschrift, aber nur aus einer unweiten, gleichermaßen freien Stadt, der Heimatstadt der Frau.45 Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie sich aus Knidos dorthin zurückgezogen und hier wurde der für die Nachbarstadt wenig schmeichelhafte Bescheid öffentlich verewigt. Es gibt weitere Zeugnisse dafür, dass Rom in der Mittelmeerwelt geschätzt wurde, weil seine Repräsentanten Streitigkeiten auf friedliche Weise zu einem Ende zu bringen in der Lage und bereit waren. Wohl 189 v. Chr. entschied der Prokonsul des jenseitigen Spanien in einem Streit zwischen den Einwohnern von Lascuta bei Cadiz und der benachbarten Stadt Hasta.46 143 v. Chr. entschied der römische Senat einen Grenzstreit zwischen Magnesia am Mäander und Priene;47 und 117 v. Chr. ein vom Senat eingesetzter Schiedsrichter einen Grenzstreit zwischen Genua und den benachbarten Viturii Langenses, das heutige Langasco.48 Velleius Paterculus erklärte die günstige Resonanz der Rechtsprechung des Quinctilius Varus bei den Germanen zwischen Rhein und Elbe zwar für geheuchelt,49 doch muss man sich fragen, ob das keine nachträgliche Bewertung war, nachdem offenbar geworden 45

46 47 48 49

Astypalaia auf der gleichnamigen Insel ungefähr in der Mitte zwischen Knidos und der Insel Santorin nördlich von Kreta. Inschrift mit deutscher Übersetzung: Blümel 1992, 34–37 = Nr. 34; kommentiert von Wankerl 2009, 2–16. Die Entscheidung ist auf der Bronzeinschrift von Alcalà de los Gazules erhalten, jetzt im Louvre, vgl. FIRA I, 51 (Riccobono 1941, 305). Erhalten auf einem vor Ort gefundenen und dort verbliebenen Stein, u. a. in FIRA III, 162 (Arangio Ruiz 1943, 501–504). Erhalten auf einer vor Ort gefundenen und jetzt im Museum von Genua verwahrten Bronzeinschrift, FIRA III, 163 (Arangio Ruiz 1943, 504–509). Vell. Pat. 2,117,4–118,1; ähnlich Flor. epit. 2,30,31–33.

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war, dass erschreckend viele Germanen mit der römischen Herrschaft unzufrieden waren; denn diese Unzufriedenheit könnte nicht allgemein, sondern nur beim ehedem herrschenden Militäradel und dessen kriegslustigen Mannen verbreitet gewesen sein, das gemeine Volk dagegen wirklich den Segen einer geordneten RechtsSÁHJHGDQNEDUDQJHQRPPHQKDEHQ50 Zur Beurteilung der Frage, welche konkreten Verhaltensweisen in einem Vertragsverhältnis gerecht wären, juristisch gesprochen: welche genauen Rechte und 3ÁLFKWHQGLHEHWHLOLJWHQ9HUWUDJVSDUWQHUKDEHQZXUGH/HLWIDGHQGHUHQWZLFNHOWHQ römischen Rechtsordnung ein übergreifender, potentiell die Interessen aller berücksichtigender, gleichwohl fest in der römischen Sozialmoral verankerter Maßstab: die ÀGHV(bona), zu übersetzen am besten mit ‚Verlässlichkeit‘.51 Wenn ein traditionsbewusster Römer etwas auf seine ÀGHV genommen hatte, konnte man sicher sein, dass er es einhalten würde. Das galt sowohl bei Schutzzusagen, etwa bei Begründung eines Patronats gegenüber dem Klienten oder nach einem militärischen Sieg Roms gegenüber der sich in die ÀGHV des Siegers ergebenden Stadt,52 als auch bei schlichten Leistungszusagen unter Partnern eines Vertrags, unter Bürgern ebenso wie mit Nichtbürgern. Die ERQDÀGHV wurde zum rechtlichen Kriterium für GLH %HVWLPPXQJ VlPWOLFKHU 3ÁLFKWHQ DXV 9HUWUlJHQ GHU :LUWVFKDIWHQGHQ .DXI Dienst-, Werk-, Miet-, Pacht-, Gesellschaftsverträgen und vielen anderen, und zwar aufgrund geduldiger Detailarbeit von Juristen mit Autorität. Zu nennen ist insbesondere Quintus Mucius Skävola,53 um 100 v. Chr. pontifex und schließlich pontifex maximus, auch Politiker: 95 v. Chr. Konsul und 94/93 Statthalter der reichen Provinz Asia. Gegenbegriff der ERQDÀGHVwar dolus malus (Arglist); und Skävola hatte als oberster Richter der Provinz eingeführt, dass niemand Arglist hinzunehmen braucht. Er setzte das auch gegen römische Kapitalisten durch, die griechischen Städten gern Kredite zu Wucherzinsen und mit Verpfändung ihrer Schätze aufdrängten, nur um diese dann, in ein rechtliches Mäntelchen gekleidet, mit nach Hause nehmen zu können; oder sie missbrauchten die ihnen im Rahmen einer Steuerpacht übertragene Befugnis, die Steuern einzuziehen, und pressten mehr heraus, als nach den in dieser Provinz fortgeltenden Steuergesetzen zulässig war. Die Provinzialen verehrten Skävola sehr, in jenen Kreisen der römischen Bürgerschaft dagegen war er verhasst; der Senat indessen empfahl allen Statthaltern, seine Provinzverwaltung zum Vorbild zu nehmen.54

50 51 52 53 54

Vgl. für die mittlere Kaiserzeit Cotton 1993, 107. Hierzu gründlich Lombardi 1961 und dazu Wieacker 1962, 407–421. Dazu besonders Nörr 1991. Cic. off. 3,70; u. dazu etwa Behrends 1976, 263–304; u. Kaser 1993, 14–20. Kurz zu Person und Gesamtwerk dieses Skävola: Liebs 2002, 569–71 = § 195.1.

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ZUSAMMENFASSUNG Zusammenfasend kann festgehalten werden, dass Rom bzw. die römischen Eliten in besonderem Maße eine funktionierendes Rechtswesen als ihre öffentliche Aufgabe betrachteten,55 wie auch daran abzulesen ist, dass die römische Obrigkeit umsichtig darauf bedacht war, neu oder wieder gegründeten Städten ein – römisch geprägtes – Stadtrecht zu geben. Gewiss standen einer uneingeschränkten Herrschaft von Recht und Gesetz immer wieder private Interessen einzelner Römer entgegen, haben diese sich gar auch immer wieder durchgesetzt. Der Staatsapparat war zu Zeiten der Republik sparsam; man machte sich das persönliche Interesse derjenigen, die von Unrecht betroffen waren, in viel stärkerem Maße als etwa heute zunutze und baute darauf, dass diese die Initiative zur Bewältigung ihnen angetanen Unrechts am ehesten ergreifen würden. Hinzu kam, dass auch damals Einzelne sich durchaus uneigennützig für das Gemeinwohl engagierten, denn öffentliche Anerkennung konnte man dafür allemal erwarten und obendrein mochte die Aussicht auf materielle Prämien unterstützend wirken. Wann immer Gemeinwohlinteressen wahrzunehmen Privatleuten überlassen war, behielt die Obrigkeit indes die Aufsicht.

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Zuspitzend sagte der berühmte Anwalt L. Licinius Crassus in Ciceros Dialog De oratore (1,197): … quantum praestiterint nostri maiores prudentia ceteris gentibus, tum facillime intellegetis, si cum illorum Lycurgo et Dracone et Solone nostras leges conferre volueritis; incredibile est enim, quam sit omne ius civile praeter hoc nostrum inconditum ac paene ridiculum (… „in welchem Maße unsere Vorfahren die anderen Völker an Klugheit übertrafen, werdet ihr sehr leicht dann erkennen, wenn ihr mit deren Lykurg, Drakon und Solon unsere Gesetze vergleichen wolltet; es ist nämlich kaum zu glauben, wir wirr und nahezu lächerlich überall das Recht der Bürger neben unserem ist“). Eine Antwort darauf gab der spätere römische Provinzialjurist Gajus, der nichtrömisches Recht dem römischen gern zur Seite stellte, als er (Inst. 3,193) eine Rechtseinrichtung der Zwölf Tafeln eine res tota ridicula nannte; im Gegensatz zu Crassus hat er sein Urteil ausführlich begründet.

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GRUNDSATZKRITIK

„STAAT“ IN DER GRIECHISCH-RÖMISCHEN ANTIKE? Aloys Winterling 1. GEGENWÄRTIGE GEGENWARTSBEGRIFFE, VERGANGENE GEGENWARTSBEGRIFFE UND GEGENWÄRTIGE VERGANGENHEITS-, D. H. HISTORISCHE BEGRIFFE Jede Geschichtswissenschaft ist gegenwärtige Analyse, Deutung und Beschreibung vergangener6DFKYHUKDOWH6LHNDQQGDKHUQXULQJHJHQZlUWLJHU6SUDFKHVWDWWÀQden. Die Anwendung gegenwärtiger Sprache auf vergangene Phänomene wirft jeGRFKEHJULIÁLFKH3UREOHPHDXI%HQXW]WPDQ%HJULIIHGLHDQJHJHQZlUWLJHQ6DFKverhalten entwickelt sind, und wendet sie auf vergangene Zeiten an, droht das Verständnis der Gegenwart zum Missverständnis der Vergangenheit zu führen. Projektionen der Gegenwart in die Vergangenheit, anachronistische Fehldeutungen – und damit das Verpassen des historischen Gegenstandes durch die Aufhebung seiner Differenz zur Gegenwart können die Folge sein. Das Gegenprinzip, die Benutzung von Begriffen der Zeit selbst, die beschrieben werden soll, ist jedoch ebenfalls problematisch. Schilderungen der Vergangenheit in der Quellensprache sind keine „Geschichte“, sondern nur antiquarisches Nacherzählen der Quellen – oder aber die Quellensprache ist tatsächlich gar keine Quellensprache, sondern umgeformt zu einer von dieser differenten gegenwärtigen Wissenschaftssprache, was z. B. bei dem nachantiken Gelehrtenlatein der Fall war. Historische Begriffsbildung als Vermittlungsaufgabe erscheint als notwendige Konsequenz aus dieser Lage: die gegenwärtige Bildung von Begriffen für vergangene Sachverhalte. Historische Begriffe in diesem Sinne sind weder Begriffe der Selbstbeschreibung vergangener Zeiten (vergangene Begriffe, Quellenbegriffe), die in die Gegenwart importiert, noch sind sie Begriffe der Selbstbeschreibung der Gegenwart, die auf die Vergangenheit projiziert werden. Da sie jeweils gegenwärtig gebildet und auf die Vergangenheit angewandt werden, unterliegen sie – wie Vergangenheitsbeschreibungen insgesamt – ihrerseits der Historizität, was jede Geschichte der Geschichtswissenschaft zeigen kann. Die Bildung historischer Begriffe ist also eine immer wieder neu sich stellende Aufgabe der Geschichtsschreibung. Zwei Extremformen historischer Begriffsbildung lassen sich feststellen: Man kann Begriffe in einer solchen Allgemeinheit formulieren, dass sowohl gegenwärtige als auch vergangene Phänomene unter sie subsumiert werden. Es handelt sich dann um gegenwärtige Begriffe, die nicht nur von der Vergangenheit, sondern auch von der Gegenwart selbst abstrahieren. Sie haben das Ziel, durch die Konzentration auf Ähnlichkeiten Vergleichbarkeit zwischen gegenwärtigen und vergangenen Sachverhalten herauszustellen. Auf der anderen Seite besteht die Möglichkeit einer

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GLIIHUHQ]LHUWHQKLVWRULVFKHQ%HJULIÁLFKNHLWGLHDXIGLH%H]HLFKQXQJGHU%HVRQGHUheiten des jeweiligen vergangenen Sachverhaltes, auf seine historische Unvergleichlichkeit zielt. Beide methodischen Vorgehensweisen der Begriffsbildung sind zweifellos wahrheitsfähig und erkenntnisträchtig, es wird jedoch deutlich, dass sie jeweils unterschiedliche Fragestellungen verfolgen. Im ersten Fall geht es um Herstellung metahistorischer Vergleichbarkeit, im zweiten Fall um Ermittlung historischer Differenz. Dass sich beide Arten der Begriffsbildung nicht nur nicht widersprechen, sondern gegenseitig voraussetzen, ist ebenfalls erkennbar: Herstellung von Vergleichbarkeit und Abstraktion setzt Differentes, auf den ersten Blick nicht Vergleichbares voraus. Die Ermittlung von historischer Differenz kann ihren GegenVWDQGQXUJHJHQEHUGHPQLFKW'LIIHUHQWHQJOHLFK%OHLEHQGHQSURÀOLHUHQVHW]WDOVR das Allgemeine voraus. Für den Erkenntnisgewinn beider Arten von Begriffsbildung kann man Max Weber als Beispiel heranziehen: Seine universale Herrschaftssoziologie, die versuchte, politische Gebilde aller Zeiten und Weltgegenden mit einer metahistorischen Typologie von Befehl-Gehorsams-Verhältnissen, von herrschaftlichen Organisationsstrukturen und von Geltungsgründen von Herrschaft zu erfassen, ist beeindruckend in ihrer Ordnungsleistung, ihrem Erkenntnisgewinn und auch in dem Versuch, historischer Individualität durch den „idealtypischen“, ausdrücklich nicht empirischen Charakter der Begriffe entgegenzukommen. Sie zeigt jedoch zugleich GLH'HÀ]LWHHLQHVVROFKHQ9HUIDKUHQV=HQWUDOH&KDUDNWHULVWLNDPRGHUQHU3ROLWLN² das kann man jedenfalls 100 Jahre nach Weber sehen – lassen sich als Befehl-Gehorsams-Kommunikationen nicht erfassen (Warten auf den Befehl von oben bedeutet „Dienst nach Vorschrift“ und ist eine Form von Streik, die den politischen Betrieb zum Erlahmen bringt), und die antiken städtischen Gemeinwesen ließen sich schon damals in herrschaftssoziologischer Hinsicht nur ex negativo beschreiben: als „herrschaftsfremde Verbandsverwaltung“, so der entsprechende Typus in Webers Herrschaftssoziologie. 'HUVHOEH :HEHU KDW VFKOLH‰OLFK VSH]LÀVFK KLVWRULVFKH DQ GHU (UNHQQWQLV GHU Besonderheiten der Vergangenheit orientierte Verfahrensweisen von universalem, metahistorischem Erkenntnisstreben abgesetzt: Wenn man, so Weber, sich als HisWRULNHUQLFKWVHOEVWEHUÁVVLJPDFKHQZROOHGXUFKGHQ1DFKZHLVGDVVDOOHVVFKRQ einmal dagewesen sei – wofür sicher vieles spreche –, würde man das Hauptaugenmerk auf das legen, was an Besonderheit des jeweiligen Gegenstandes ermittelbar sei und sich nicht wiederhole. Dass Geschichtswissenschaft immer mit gegenwärtigen Begriffen für vergangene Sachverhalte arbeitet, die von gegenwärtigen Begriffen für gegenwärtige ebenso wie von vergangenen Begriffen für vergangene Phänomene (d. h. der Selbstbeschreibung vergangener Zeiten oder auch vergangener Historiographie) unterschieden sind, dürfte nicht zu leugnen sein. Das Gleiche dürfte für die Tatsache gelten, dass jede Begriffswahl auf einer Fragestellung beruht, die auch anders mögOLFKZlUH$OOHLQ²GLHVHJHVFKLFKWVWKHRUHWLVFKHQ%DQDOLWlWHQZHUGHQKlXÀJLJQRULHUW6RIHUQGLHVUHÁHNWLHUWXQGH[SOL]LWJHVFKLHKWEHWUHIIHQGLH$UJXPHQWHPHLVW die Relation von Begriff und bezeichnetem Sachverhalt. Das eine Argument besagt,

„Staat“ in der griechisch-römischen Antike?

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GDVVUHDOH3KlQRPHQH]XNRPSOH[VHLHQDOVGDVVVLHYRQNODUGHÀQLHUWHQ%HJULIIHQ HUIDVVWZHUGHQN|QQWHQ'DVDQGHUHODXWHWGDVVXQNODUHQLFKWGHÀQLHUWH%HJULIIH sich für historische Forschung gerade deshalb eigneten, weil man viel Unterschiedliches unter sie subsumieren könne. Beide Ansichten sind zweifellos richtig, sprechen jedoch nicht gegen eine klar GHÀQLHUWH%HJULIÁLFKNHLW,QGHU7DWNDQQGLHLQWXLWLYHGXUFKNHLQHEHJULIÁLFKH5HÁH[LRQ LUULWLHUWH $QDO\VH XQG %HVFKUHLEXQJ GHU 9HUJDQJHQKHLW DXIVFKOXVVUHLFKH Historiographie hervorbringen. Sie kann jedoch auch voll daneben liegen und anachronistischen Missverständnissen aufsitzen. Für beide Fälle ließen sich viele BeiVSLHOH ÀQGHQ 8QG LQ EHLGHQ )lOOHQ KDW GHU KLVWRULRJUDSKLVFKH$NWHXU GD HU GHU PHWKRGLVFKHQ 6HOEVWUHÁH[LRQ DXV GHP :HJ JHKW VHOEVW NHLQH .ULWHULHQ GLHV ]X beurteilen. Er muss es der Forschungsgeschichte überlassen, aus späterer Perspektive festzustellen, welche angemessenen oder unangemessenen Begriffe hinter den unscharfen Worten gestanden haben, die er zur Beschreibung der Vergangenheit verwandt hat. Wie verhält es sich nun in diesem Zusammenhang mit „Staat“ als historischem Begriff?

2. DER MODERNE UND DER GEGENWÄRTIGE STAATSBEGRIFF Bei allen Differenzen in der Bestimmung des Begriffs „Staat“ – zumindest vier Punkte dürften derzeit unumstritten sein: Zum Ersten zeigen begriffsgeschichtliche Untersuchungen, im deutschsprachigen Bereich ausführlich z. B. von Wolfgang Mager und Reinhart Koselleck, dass es sich um einen Begriff handelt, der sich in seiner Form und Bedeutung erst in der Frühen Neuzeit, endgültig im 18. Jahrhundert, zur Beschreibung politischer Einheiten durchgesetzt hat. In allen vorherigen Zeiten gab es keinen Begriff, der über ein vergleichbares Bedeutungsspektrum verfügt hätte. Zum Zweiten dürfte unumstritten sein, dass diese Begriffsentwicklung im Zusammenhang mit realhistorischen Veränderungen im Europa der Frühen Neuzeit stand, durch die eine neue, vorher nicht dagewesene Form von Politik etabliert wurde. Sie zeichnete sich unter anderem aus durch das Monopol auf legitime physische Gewalt und auf Steuererhebung, durch die exakte territoriale Abgrenzung politischer Einheiten, durch neue Formen politischer Organisation sowie im Ergebnis durch die Inklusion tendenziell der gesamten Bevölkerung in die Politik, für die sich dann der Begriff Demokratie einbürgerte. Zum Dritten wurde der Begriff trotz seiner historischen Singularität seit dem 19. Jahrhundert als historischer Begriff verwandt: zur Bezeichnung politischer Einheiten in der europäischen Antike, im europäischen Mittelalter oder in außereuropäischen, auch ethnologisch erforschten Kulturen. Zum Vierten lässt sich feststellen, dass der Begriff etwa seit der Mitte des 20. Jahrhunderts als angemessener Begriff zur Beschreibung der politischen Gegenwart in Frage gestellt wird. Er erfasst zu viele Phänomene des politischen Betriebs im Inneren nicht oder nur unzureichend, z. B. die Rolle von Parteien, lobbyistische (LQÁXVVVWUXNWXUHQ RGHU GLH ]HQWUDOH %HGHXWXQJ GHU 0HGLHQ DOV ÅYLHUWHU *HZDOW´

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Überdies erscheint er nicht anschlussfähig zur Konzeptualisierung globaler politischer Veränderungen, z. B. der zunehmenden Internationalisierung von wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Phänomenen bei gleichbleibender territorialer Segmentierung der politischen Einheiten einerseits, ihrer rechtssystematisch unklaren Integration in höhere politische Einheiten wie die Europäische Union andererseits. Neue „Staats“-Begriffe – wie sie Christoph Lundgreen in der Einleitung dieses Bandes vorgestellt hat – scheinen auf ältere Konzepte (Governance, Herrschaft) zurückzugreifen oder – wie er selbst – den Begriff des Staates durch eine Art substantivische Adjektivierung („Staatlichkeit“) gleichzeitig verabschieden und beibehalten zu wollen. Nimmt man sie ernst, so erscheinen hinter den alten Begriffen jedoch eher neuartige Konzepte, die die älteren Vorstellungen von „Staat“ durch IXQNWLRQDOH 3ROLWLNEHJULIIH ÅJHVHOOVFKDIWOLFK ELQGHQGH (QWVFKHLGXQJVÀQGXQJ´ „politische Organisationsstrukturen“) und durch die Berücksichtigung „nichtstaatlicher“ Akteure tatsächlich dementieren. Angesichts dieses Befundes wäre es dann aber naheliegend, einen Schritt weiter zu gehen und „Staat“ in den Zusammenhang mit der neuartigen gesellschaftlichen Ausdifferenzierung eines modernen politischen Systems in der europäischen Neuzeit zu bringen, wie dies von Talcott Parsons und Niklas Luhmann vorgeschlagen worden ist. „Staat“ wäre dann allerdings NHLQH]XWUHIIHQGH%HVFKUHLEXQJGLHVHV6DFKYHUKDOWHVVRQGHUQHLQHVLPSOLÀ]LHUHQGH Selbstbeschreibung moderner funktional ausdifferenzierter Politik – die gegenwärtig an Plausibilität verliert. Was ist der Begriff „Staat“ nun? Ein gegenwärtiger Gegenwartsbegriff, ein vergangener Gegenwartsbegriff oder ein gegenwärtiger historischer Begriff? OffenVLFKWOLFK DOOHV GUHL XQG GDPLW HLQ XQGHÀQLHUEDUHU +\EULGEHJULII$OV KLVWRULVFKHU Begriff, wie ihn das 19. Jahrhundert auch auf die Antike angewandt hat, ist er offensichtlich anachronistisch. Denn funktional ausdifferenzierte, „staatliche“ Politik, wie sie sich im 19. Jahrhundert etablierte, war ein welthistorisches Novum, das es in der Antike nicht gegeben hat. Ein vergangener Gegenwartsbegriff ist „Staat“ sicher, aber einer, der aus heutiger Sicht auch für die Zeit, in der er aufkam, keine zutreffende Beschreibung lieferte. Als gegenwärtiger Gegenwartsbegriff schließOLFK VFKHLQW HU DXIJUXQG YRQ 3ODXVLELOLWlWVYHUOXVWHQ ]XQHKPHQG XPGHÀQLHUW XQG damit in ursprünglich zentralen Hinsichten sinnentleert zu werden. (UVFKHLQWHV²VRLVWGDKHU]XIUDJHQ²DQJHPHVVHQHLQGHÀ]LWlUHV6HOEVWEHVFKUHLEXQJVV\QGURPVSH]LÀVFKPRGHUQHU3ROLWLN GLHHVKLVWRULVFKLQGLHVHU)RUP nie zuvor gegeben hat), das seine Plausibilität gegenwärtig verloren hat, als historischen Begriff zu revitalisieren? Natürlich bestünde die Möglichkeit einer methodisch korrekten, abstrakten metahistorischen Begriffsbildung im oben skizzierten 6LQQGLHGHQ%HJULIIXPGHÀQLHUWHXQGLKQGDPLWDXFKDXIDQWLNHSROLWLVFKH(LQKHLten anwendbar machte. Ob es tatsächlich möglich ist, die Überdeterminationen einer mehr als zweihundertjährigen Begriffsgeschichte und die damit verbundenen, meist impliziten, modernen anachronistischen Konnotationen abzustreifen, sei dahingestellt. Aber auch wenn dies möglich wäre, bliebe die mit jeder abstrakten Begriffsfassung verbundene Ausrichtung auf universale Vergleichbarkeit, der gegen-

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EHUVLFKKLVWRULVFKH,QGLYLGXDOLWlWHQQXUDOV$EZHLFKXQJHQXQG'HÀ]LWHGHVÅ1RUPDOIDOOV´SURÀOLHUHQOLH‰HQ Ich sehe keine Gründe für die Revitalisierung eines alten, unplausibel gewordenen modernen Konzepts als historischen Begriff, einige jedoch, die gegen die Verwendung des Staatsbegriffs für die Antike sprechen. Drei seien hervorgehoben: Einer bezieht sich auf soziale Differenzierung, einer auf interkulturellen Vergleich und einer auf Rezeption und Transformation der Antike in der Neuzeit. Alle drei laufen gemeinsam auf den Befund hinaus, dass zentrale Elemente, die die welthistorische Singularität der griechisch-römischen Antike betreffen, aus dem Blick geUDWHQZHQQPDQPLWHLQHPZLHDXFKLPPHUGHÀQLHUWHQ6WDDWVEHJULIIDQWLNH3ROLWLN analysiert und beschreibt. 3. ANTIKE POLITIK Anders als in der Frühen Neuzeit erfolgte die Ausdifferenzierung politischer Ämter, Institutionen und Verfahren in der Antike, in archaischer Zeit, nicht mit dem Ende, VRQGHUQ PLW GHP %HJLQQ HLQHU VWUDWLÀ]LHUWHQ *HVHOOVFKDIW GHUHQ REHUVWH 6FKLFKW sich durch Ehre und Rang von den übrigen Schichten abgrenzte. Mit der solonischen Timokratie und den römischen „Ständekämpfen“ und im Zuge ähnlich verlaufener Auseinandersetzungen in vielen anderen mittelmeerischen Stadtgemeinden formierten sich sodann Aristokratien, die zwar faktisch meist schnell erblich wurden, deren gesellschaftliche Stellung und innere Rangordnung jedoch unmittelbar an politische Funktionsausübung gebunden war. Matthias Gelzer hat es am Beispiel des republikanischen Rom gezeigt: Eine bestimmte gesellschaftliche Rangstellung, der Ritterstand, war Voraussetzung für die „Regimentsfähigkeit“, d. h. für die Wählbarkeit in politische Ämter. Im Gegenzug bestimmten die bekleideten Ämter die Ehre des einzelnen Aristokraten und – wie Gelzer am Beispiel von Konsulat und nobilitas gezeigt hat – längerfristig den Rang seiner Familie innerhalb der Oberschicht. Diese unmittelbare strukturelle Kopplung zwischen politischer Organisation XQGJHVHOOVFKDIWOLFKHU6WUDWLÀNDWLRQLVWDXFKEHLGHQQLFKWDULVWRNUDWLVFKHQ6FKLFKten beobachtbar: Teilnahme an der Volksversammlung war nicht ausschließlich, oft nicht einmal primär, eine politische Angelegenheit, sondern eine soziale Statusmanifestation des einfachen Bürgers gegenüber Nicht-Bürgern, Unfreien und Frauen. 'LHVHVSH]LÀVFKH)RUPGHU,QWHJUDWLRQPDFKWHGLHVWUDWLÀ]LHUWHQ6WDGWJHVHOOVFKDIWHQ der Antike zu politischen Gesellschaften, bei denen sich politische Kommunikation und soziale Rangmanifestation nur analytisch, nicht aber im konkreten Vollzug trennen lassen. Diesem Sachverhalt entsprach die Selbstbeschreibung der Gesellschaft: BeJULIIHZLHƲƨƫпXQGhonor bezeichneten Amt und Ehre zugleich. Es gab keine abstrakten Begriffe zur Bezeichnung der politischen Ordnung als solcher, sondern TerPLQLZLH›ƮƪƨƲƤрƠRGHUcivitas, die die Bürger und ihre politische Ordnung (und das Bürgerrecht) zugleich bezeichneten. Auch der lateinische Begriff res publica, oft für einen römischen „Staat“ in Anspruch genommen, wird in der bekannten Bestim-

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mung Ciceros als res populiGHÀQLHUWDOVRDQVHLQVR]LDOHV6XEVWUDW]XUFNJHEXQden. Das Volk wiederum wird als Bürgergesellschaft beschrieben, konstituiert v. a. durch ein gemeinsames Recht und damit durch seinen Bezug auf die res publica (de rep. 1, 25). Es liegt auf der Hand, dass diese besondere Form der politischen Integration GHUVWUDWLÀ]LHUWHQ6WDGWJHVHOOVFKDIWHQIU]HQWUDOH3KlQRPHQHGHU$QWLNHYRQIXQdamentaler Bedeutung war: Im Falle Roms für die Expansivität der Stadt, die sich aus der politischen Kanalisierung aristokratischer Rangrivalität erklärt; für die merkwürdige Bürgerrechtspolitik, für die Existenz von Städten römischen und indigenen Rechts auf dem Gebiet der Stadt Rom und für die damit verbundene außergewöhnliche Form der Reichsbildung, die jeweils aus der Beschränkung des Typs der „politischen Gesellschaft“ auf städtische Interaktionssysteme resultierte. Auch die politische Überforderung und Nicht-Reformierbarkeit der Gesellschaft und damit die Krise des Systems stehen in offensichtlichem Zusammenhang damit: Notwendige politische Maßnahmen konnten nicht durchgesetzt werden, da sie mit Ehrumverteilungen verbunden gewesen wären und die Rangordnung durcheinandergebracht hätten, was die Mehrheit der Aristokratie natürlicherweise zu verhindern trachtete. Schließlich erklärt sich nur so die römische Form der Monarchie, die – obwohl sachlich unausweichlich – die alten politischen Strukturen der res publica beibehalten musste, da sonst das Rangsystem der Gesellschaft und damit die soziale Ordnung insgesamt außer Kraft gesetzt worden wären, was zu merkwürdigen, paradoxen, die Kaiser delegitimierenden Bedingungen führte. Es liegt ebenso auf der Hand, dass die Applikation eines Staatsbegriffs, wenn dieser überhaupt noch mit irgendeinem Sinn angereichert ist, diese Phänomene nicht nur nicht angemessen erklären kann, sondern ihre Erkenntnis durch die Fokussierung auf ausdifferenzierte, von sozialen Bedingungen losgelöste Politik systematisch behindert. Gar nicht erst in den Blick kommt ein weiterer zentraler Sachverhalt. Hier kann man von der Beobachtung ausgehen, dass die „early-state“-Forschung der Ethnologie, die den Staatsbegriff auf außereuropäische, vom modernen Europa unbeeinÁXVVWHSROLWLVFKH(LQKHLWHQDQJHZDQGWKDWIUGLH$OWH*HVFKLFKWHVLHKWPDQYRQ der Deutung der quellenarmen Frühzeiten ab (Homerische Gesellschaft, Verwandtschaftssysteme im Frühen Rom), praktisch ohne Bedeutung geblieben ist. Dies scheint nicht mit der Ignoranz der Althistorie zu tun zu haben, sondern mit der Tatsache, dass die eben beschriebenen Grundstrukturen antiker politischer Stadtgesellschaften offensichtlich welthistorisch ohne Vergleich sind. Die Ausdifferenzierung komplexer politischer Organisationsstrukturen auf der Basis von Ämtern, Institutionen und Verfahren und die damit verbundene Trennung von Herrschaftsrollen und den sie jeweils temporär bekleidenden Personen sind im Kontext der sonstigen EHNDQQWHQVWUDWLÀ]LHUWHQDXI(KUXQG5DQJGLIIHUHQ]HQEDVLHUHQGHQ*HVHOOVFKDIWHQ der vormodernen Welt, d. h. komplexer, auf Schriftlichkeit und Rollendifferenzierungen basierender „Adels“-Gesellschaften, offensichtlich einmalige Phänomene. Es ist bezeichnend für die Forschungslage – und die dürfte nicht zuletzt auf der langen Tradition der Konzeptualisierung antiker politischer Gesellschaften als „Staaten“ beruhen –, dass solche grundlegenden Sachverhalte hier als reine Hypo-

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these formuliert werden müssen. Sie laufen darauf hinaus, dass eine so weitgehende Ausdifferenzierung von Politik LP5DKPHQHLQHUYRUPRGHUQHQVWUDWLÀ]LHUWHQ*Hsellschaft offensichtlich ohne Parallele ist und am ehesten noch mit einem Fall wie dem Alten Israel vergleichbar erscheint, wo ebenfalls ein Teilbereich gesellschaftlicher Kommunikation, aber ein anderer: die Religion, einen ähnlich zentralen Stellenwert einnahm. Die politischen Stadtgesellschaften der Antike wären damit eine historische Sonderentwicklung, die Phänomene hervorgebracht hat, die in Evolutionstheorien als preadaptive advances charakterisiert werden: Errungenschaften, die in späteren Zeiten als Lösungen für Probleme (hier: der Politik in modernen Gesellschaften) verwandt werden konnten, die es in der Antike selbst noch gar nicht gegeben hatte. Dies leitet über zum dritten zentralen historischen Sachverhalt, dessen Wahrnehmung durch die Anwendung eines Staatsbegriffs auf die Antike behindert wird. Denkt man an die politischen Organisationsstrukturen Europas im späten 18. und teilweise noch im frühen 19. Jahrhundert, an absolute Monarchie und Heiliges Römisches Reich, an Duodezabsolutismus und adlige Herrschaft, so ist es nicht verwunderlich, dass antike Politik als „neuzeitlich“ und vorbildlich erscheinen musste: Die Vergabe von Herrschaftsämtern durch Wahl unter der Beteiligung aller Bürger, die zeitliche Beschränkung der Ämter und ihre gegenseitige Kontrolle durch Interzessionsrechte, insgesamt also die Möglichkeit der Übermächtigung von Machthabern, musste als innovativ und – jedenfalls für die erblich von der Herrschaft und der Beteiligung daran Ausgeschlossenen – erstrebenswert erscheinen. 9HUVWlQGOLFKLVWDXFKGDVVGLHGDKLQWHUVWHKHQGHXQGGDPLWYHUEXQGHQH6WUDWLÀNDtion der antiken Gesellschaften übersehen oder auch – denkt man an die ständischen Qualitäten des Bürgertums – für einen selbstverständlichen Sachverhalt gehalten wurde. Schon in den Jahrhunderten zuvor war eine Rezeption der Antike angelaufen, die sich aus der Rückschau am besten mit der Kategorie „produktive Missverständnisse“ charakterisieren lässt. Die aristotelische Theorie der Polis wurde auf den IUKQHX]HLWOLFKHQ)UVWHQVWDDWDQJHZDQGWDXVGHU›ƮƪƨƲƤрƠZXUGHGLHpolizey, und politische Amtsträger im revolutionären Frankreich wurden als Konsuln bezeichnet. Kurzum: Antike Politik wurde aus ihren sozialen Bedingungen gelöst und als gegenwärtige Politik missverstanden. Denkt man an den politisch-sozialen Begriffswandel der Zeit, der – wie die Begriffe „politisch“ und „sozial“ – vielfach auf antiken Wortkörpern aufbaute, so ist es wohl nicht übertrieben zu vermuten, dass die Projektion der beginnenden modernen Verhältnisse auf die Antike – und die damit verbundene Transformation der Antike – einen wichtigen Überleitungsmechanismus bei der Ausdifferenzierung und Durchsetzung moderner, funktionsspe]LÀVFKHU3ROLWLNGDUVWHOOWH.ODUZLUGDEHUDXFKGDVVHLQHKHXWLJHZLVVHQVFKDIWOLFKH Beschäftigung mit der Antike nicht bei dieser Sachlage stehen bleiben kann, sondern ihre Aufgabe gerade in einer Dekonstruktion dieser Transformationen und in einer daran anschließenden Redeskription der antiken Vergangenheit zu sehen hat. Der Verzicht auf die Übertragung des Staatsbegriffs auf die Antike, so lässt sich festhalten, kann nicht nur die welthistorische Besonderheit der antiken politischen Stadtgesellschaften im interkulturellen Vergleich und ihre besondere Bedeutung für

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die Entwicklung des modernen Europa (und damit der gegenwärtigen Welt) klarer bestimmen, er kann zudem die Plausibilität der anachronistischen Übertragung des modernen Staatsbegriffs auf die Antike an der Schwelle zur modernen Gesellschaft erklären – und damit einen Hintergrund der langen Fixierung der Althistorie auf eben diesen Staatsbegriff. Nicht zu rechtfertigen ist dann aber seine Fortführung in einer Situation, in der die gesellschaftliche und politische Entwicklung Europas und der Welt den Anlass für solche Projektionen schon lange hinter sich gelassen hat.

4. FALSCHE FRAGEN UND RICHTIGE ERGEBNISSE Auch falsche Fragen können zu richtigen Ergebnissen führen. Die Frage nach dem U|PLVFKHQÅ6WDDWVYRON´IKUWDXIGDV3KlQRPHQHLQHUSROLWLVFKHQ6WUDWLÀNDWLRQHLner Schichtung nach politischer Funktionsausübung und einer darauf basierenden politischen Integration der Gesellschaft. Die Frage nach dem „Staatsgebiet“ führt zu interessanten Differenzierungen zwischen dem ager Romanus, städtischen Territorien auf römischem Herrschaftsgebiet mit unterschiedlichen Rechtsstatus in Italien, Städten römischen Bürgerrechts, latinischen Rechts oder peregrinen Gemeinden jeweils mit eigenen Territorien in den Provinzen. Die mit der „Staatsgewalt“ verbundene Frage nach „Staatsaufgaben“ zeigt, dass weite Bereiche von Daseinssicherung und Infrastruktur im antiken Rom durch Euergetismus der politischen Aristokratie, durch innerfamiliale oder durch Patron-Klient-Beziehungen erfüllt wurden. Der Blick auf das Recht zeigt, dass es kein „Staatsrecht“ gab und dass „private“ Familienväter strafrechtliche Funktionen bis hin zum Tötungsrecht ausübten. Dies alles sind aufschlussreiche Abweichungen von dem, was man von einem „Staat“ – bei jeder nicht willkürlichen Fassung des Begriffs – erwarten würde. WaUXPDEHUVROOPDQEHLGHU)HVWVWHOOXQJYRQVWDDWOLFKHQ'HÀ]LWHQRGHUYRQ.RPSHQsationen von nicht vorhandener Staatlichkeit stehenbleiben? Die Alternative wäre, die nicht-staatlichen Besonderheiten Roms positiv zu bestimmen und in eine neue, auf den Staatsbegriff verzichtende Beschreibung römischer Politik und Gesellschaft zu bringen, wie dies oben in aller Kürze angedeutet wurde. Dann würden historische Begriffe wie „politische Einheit“, „politische Organisation“, „politische Integration“ und „politische Gesellschaft“ an die Stelle des „Staates“ treten. Ansetzen könnte man aber auch bei Theodor Mommsen, dem bedeutendsten Analytiker römischer Staatlichkeit, dem die hier beschriebenen Sachverhalte – wie man zeigen könnte – weitgehend klar waren. Er verzichtet in seinem „Römischen Staatsrecht“ merkwürdig oft auf den Begriff „Staat“ und beschreibt Rom stattdessen als „Gemeinwesen“ und „Bürgerschaft“, mit Begriffen also, die auf die Verbindung von politischen und sozialen Gegebenheiten zielen – und damit vom Staat wegführen, der in der Sicht des 19. Jahrhunderts der Gesellschaft gegenüberstand.

ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 1 Bronzeinschrift „Senatus Consultum de Bachanalibus“, 186 v. Chr. KHM Wien. © Kunsthistorisches Museum Wien Abb. 2 Italische Münze, 90 v. Chr; Rutter 427; Imagines Italicae, Italia 1, p.74, 428; British Museum, London. Ov: Kopf des bekränzten Bacchus; Inschrift: MUT ÍL·EMBRATUR (oskisch; Mutilus Imperator). 5Y6WLHUVW|‰W:|OÀQQLHGHUGDUXQWHU,QVFKULIW&Ã3$$3,Ã& RVNLVFK  © The Trustees of the British Museum Abb. 3 Römische Münze, 44 v. Chr.; Denar des Iulius Caesar und L. Aemilius Buca; RRC 480/6. British Museum, London. Ov: Kopf des umkränzten Caesar nach rechts; Inschrift: CAESAR · DICT · PERPETVO. Rv. Bacillum und caduceus gekreuzt, darunter Beil, l. umfasste Hände, darüber Weltkugel, r. Inschrift: L · BUCA. © The Trustees of the British Museum Abb. 4 Verwandtschaftsschema, von Bernhard Linke. Abb. 5 Übersicht zur römischen Ämterlaufbahn, von Uwe Walter. Abb. 6 Zensorenrelief vom sog. Altar des Domitius Ahenobarbus (2./1. Jahrhundert v. Chr.). Louvre, Paris. © Erich Lessing Culture and Fine Arts Archives Abb. 7 Karte zum römischen Imperium. Aus: H. Cancik und H. Schneider (Hgg.), Der Neue Pauly, Bd. 10, Stuttgart u. a. 2001, 1053 f. Mit freundlicher Genehmigung der J. B. Metzler’schen Verlagsbuchhandlung. Abb. 8 Römische Münze, 100 v. Chr.; Denar des L. Calpurnius Piso Caesonius und Q. Servilius Caepio; RRC 330. British Museum, London. Ov: Kopf des Saturn n. rechts; Inschrift: PISO CAEPIO. Rv: Die beiden zwischen Ähren sitzenden Quästoren (n.l.), Inschrift im unteren Abschnitt: AD · FRU · EMU · EX · S·C. © The Trustees of the British Museum

REGISTER QUELLENREGISTER nicht-literarische Quellen

VI 338 VI 30901

Papyri CPL 103

Cottier et al. 2008

Imagines Italicae Italia I, p.47, 448

Crawford 1996 I, 1 I, 2 I, 12

42

– Knidos-Version 220 (55)

RRC 13 15–24 330 480/6

117 (1) 117 (1) 198 39 (76), 48

Rutter 427 573–602

42 117 (1)

I, 14 I, 19 I, 37

Inschriften AE 1984, 495

178 (73), 179 (78)

CRAI 1969, 52–53 (Robert) 168 (19)

125 (34)

Münzen

RIC Nero 74

205 (101) 205 (101)

170 (30) 173 (44) 172 (37), 173 (45), 174 (46), 179 (80) 120 (12), 166 (11), 167 (13), 172 (38, 40), 174 (47), 179 (79) 178 (76) 174 (46) 126 (36)

FIRA I, 51 II, 14 II, 15 III, 162 III, 163

243 (46) 205 (99) 205 (101) 243 (47) 243 (48)

F. Delos III 4,438

177 (67)

F. Xanthos VII 18–19 168 (18)

120 (14)

168 (19)

I. Assos 20

168 (18)

BCH 105 (1981), 407–416 (Bousquet) 169 (25)

I. Delos 1778

168 (18)

CIG 5131

168 (19)

I. Ephesos 8

168 (19), 177 (65, 67, 69)

CIL I2 581

40 (82), 41

I. Iasos 152

168 (19, 21), 169 (26)

AM 72 (1957), 67 (Habicht)

260 I. Knidos 34

Register

243 (45)

I. Metropolis Hauptseite 168 (19, 20), 170 (31) I. Mylasa 111

168 (19)

I. Olympia 53

177 (67)

IG X, 2,1,4 XII, – 2,35 – 3,7 – 9,899 XII Suppl. 692

5771 5800 5834 5878 5879 5880 5881 5892 6147 6987

217 (30) 215 (18) 175 (53) 217 (30) 217 (30) 217 (30) 217 (30) 215 (20) 217 (30) 204 (90)

IOSPE I, 402

170 (29)

ISE 42 155

169 (25) 169 (23)

OGIS 438 441 470

179 (82), 180 (84) 168 (18) 180 (84)

168 (18) 177 (67) 177 (67) 168 (19, 21) 168 (19)

IGR IV, 292

178 (73)

IGUR 1–20

167 (16)

ILLRP2 176 511 514

170 (31) 40 (82), 41 120 (14)

ILS 1 15 18 23 54 84 98 111 208 218 245 291 293 296 298 5757 5758 5759 5761 5762 5764

102 120 (14) 40 (82), 41 214 (16) 214 (12) 220 (49) 220 (50) 217 (30) 219 (44) 220 (51, 52), 221 (58) 221 (60) 219 (45), 221 (60) 221 (60) 221 (57) 219 (47), 221 (57, 60) 217 (30) 217 (30) 217 (30) 217 (30) 217 (30) 217 (30)

Reynolds 1982 1 170 (29) 2–3 169 (22) 2 169 (25), 177 (67, 68) 5 177 (67), 179 (82), 180 (84) 7 177 (67) 8 177 (67), 178 (76), 179 (78) Robert 1989 col. I 167 (13), 173 (43) col. II 167 (13), 171 (32), 173 (43) Roman Statutes s. Crawford 1996 Sardis VII 1,8 SEG XXXIV, 1198 XXXIX, 1290 LIII, 658 LIII, 659 Sherk 1969 7 9 10 10a 12 15

177 (67), 179 (82), 180 (84)

168 (19) 177 (67) 173 (44) 177 (67)

170 (27) 170 (27) 169 (26) 169 (23) 169 (23) 168 (19), 169 (23)

261

Quellenregister Augustinus de duab. anim. §5 234 (8)

23 26 26b 31 33–70 33 34 35 44 47 52 58 61 65 65a 65d

169 (23) 120 (12), 169 (23), 177 (67), 178 (70, 71, 76), 179 (80) 170 (28), 178 (76) 169 (23) 179 (78) 169 (23) 169 (25), 170 (27), 178 (76), 179 (80) 177 (67), 178 (71, 72) 169 (23) 177 (67) 170 (30), 173 (44), 179 (78) 165 (8) 145 (13) 145 (14), 167 (14) 167 (14), 169 (26) 167 (13) 179 (82) 178 (73) 178 (73), 179 (78), 179 (80) 178 (73), 179 (78) 179 (82), 180 (84) 179 (78), 181 (89) 180 (84), 181 (89)

Appian Ann. 9,38–10,41 12,51–52 13,55

65 (1) 65 (2) 66 (5)

SIG3 613b 630 656 675 683 685 700 702 704–5 704h 748

169 (25) 168 (19, 20), 170 (29) 177 (67) 170 (29) 167 (13) 168 (19, 20) 167 (13) 168 (19) 168 (19) 177 (67) 177 (67)

EF¼FLY 1,4–9 1,21 1,23 1,24 1,67–70 1,266 2,27 2,65–66 5,67–68

110 (73) 190 (14, 19) 215 (17) 195 (46) 199 (62) 197 (53) 215 (21) 158 (52) 202 (81)

Lib. / Pun. 136 315

195 (46) 156 (45)

Mithr. 93 94 96 [445]

45 (95) 45 (96), 200 (69) 46 (97)

Aristoteles Pol. 1252b–1252a 1285b 1286b 1310b

18 (8) 168 (18) 168 (18) 168 (18)

16 18 20 20d 20g 21i 22

literarische Quellen Anth. Gr. 7,379 9,58 9,708

222 (63) 222 (62) 222 (63)

Auctor ad Herennium rhet. ad Herr. 1,121 198 (57) 4,13 176 (61), 181 (87)

in Ps. 145, §5

234 (8)

Augustus Res Gest. div. Aug. 5 203 (83), 204 (85) 15 203 (84) 16 180 (83) 18 203 (82), 204 (85) 20,2 217 (31) 20,5 217 (31) 26,1 176 (63) Aurelius Victor caes. 13,5 205 (101)

262

Register

Asconius (Clark) p. 8 201 (70) p. 31 127 (40) p. 94 124 (28) Caesar civ. 1,85

174 (50)

Gall. 1,7,4 1,7,5 1,8,3 1,10,2 1,11,6 1,12,5–7 1,14,1–3 1,14,3 1,14,6 1,20,5–6 1,33,1 1,33,2 1,33,3–4 1,33,5 1,35,2 1,35,3–4 1,35,3 1,43,4 1,43,6–9 1,43,6–8 1,43,9 1,45,1–3 1,45,1 1,45,2 2,1,2 2,14,5–15,1 2,32,1 2,35,1 3,7,1 3,8,2–3 3,9,3 3,10,2 3,16,4 4,5–15 7,7,4 7,77,2–16 7,77,16

143 (2) 143 (3) 143 (3, 6) 143 (3) 143 (4) 143 (2) 143 (2) 143 (3, 4) 143 (4) 145 (12) 143 (2) 143 (4) 143 (3) 143 (2) 143 (2) 143 (4) 143 (3) 143 (2) 143 (4) 143 (5) 143 (3) 143 (3) 143 (4) 175 (53) 143 (7) 145 (12) 145 (12) 143 (7) 143 (7) 148 (21) 148 (21) 148 (21) 148 (21) 158 (52) 180 (83) 147 (17) 175 (53)

Ps.-Caesar bell. Afr. 97,1

175 (53)

Cato ap. Gell. 6,3,16 fr. 77 P

166 (9), 169 (26) 191 (24)

Cicero Att. 4,1,6–7 4,1,16 6,1,15 6,1,25 7,7,5

201 (74) 201 (73) 172 (36), 180 (83) 215 (21) 174 (51)

Balb. 24 41

202 (77) 202 (77)

Brut. 222 264

197 (54) 215 (18)

Caec. 65–70

225 (11)

Cat. 2,26

38 (74)

Cluent. 55

174 (49)

de orat. 1,165–207 1,197 2,268 3,135

225 (11) 245 (55) 159 (53) 225 (11)

dom. 6–7 10–12 10 13–14 14–18 14 15

201 (74) 201 (72) 201 (70) 201 (73) 201 (72) 201 (71) 201 (74)

fam. 2,7,4 7,30,1 8,6,4 8,6,5 9,9 13,75 13,79 15,2

180 (83) 122 (24) 216 (26) 215 (21) 48 f. (106) 202 (77) 202 (77) 173 (45)

263

Quellenregister 15,15 15,20,2 16,4,3

180 (83) 180 (83) 180 (83)

ÀQ 2,60

84 (69)

har. resp. 19 31 43

146 (16) 201 (72) 198 (56)

leg. 3,11,44

80

leg. agr. 1,14 2,3 2,4 2,5 2,6 2,16 2,17 2,21–22 2,25 2,62 2,69 2,77 2,82 2,93 3,3 3,14

130 (67) 99 (32) 124 (28) 99 (32) 99 (32) 129 (59) 101 (39) 130 (67) 130 (65) 129 (59) 130 (67) 130 (65) 130 (65) 39 (75) 130 (67) 130 (67)

Manil. / imp. Pomp. 2 124 (28) 6 148 (19), 166 (12) 11–12 148 (21) 12–14 148 (19) 33 45 (95) 35 46 (97) 48 129 (58) 51 131 (70) 55 45 (95) 56 129 (58) 64 129 (58), 131 (71) Mil. 12 36

201 (70) 201 (70)

Mur. 16 41

99 (34) 172 (36)

nat. deor. 2,7–11 3,5

146 (16) 146 (16)

off. 1,34–40 1,36 1,124 2,12 2,14 2,26–29 2,26–27 2,52–71 2,58 2,59 2,60 2,65 2,72 3,70 3,112

151 (29) 151 (28) 101 (42) 217 (29) 217 (29) 155 (41) 148 (19), 151 (29), 151 (17) 217 (28) 199 (50) 124 (28) 217 (29) 225 (11) 190 (18), 197 (54) 244 (53) 83 (66)

orat. 142–144

225 (11)

p. red. in sen. 2 201 (70) 5 201 (70) Phil. 3,11

175 (56)

Planc. 64 66

199 (59) 97 (26)

Pis. 4 4,5 16,38 19

201 (70) 201 (70) 174 (46) 175 (56)

Q. fr. 1,1,4–6 1,1,20 1,1,29 1,1,34 1,1,43 2,3,4 2,5 2,6,1

163, 175 (57) 180 (83) 176 (58) 176 (59) 175 (57) 128 (47) 201 (72) 201 (74)

rep. 1,25

254

264

Register

1,31 1,39 2,31 2,36,61–37,63 2,39 2,40 3,24–25 Powell 3,25 Powell 3,26 Powell 3,34–35 3,35 4,2 Scaur. 23 43

108 (68) 119 (11), 175 (55), 181 (88) 151 (28) 80 (54) 122 (23) 122 (22) 151 (29) 151 (28) 148 (19) 151 (29) 148 (19), 151 (28) 93 (14)

172 (36) 202 (77)

2,3,163 2,3,215 2,3,227 2,4,67 2,5,52 2,5,136 2,72

194 (39), 200 (65, 66) 199 (59) 200 (65) 175 (56) 200 (66) 175 195 (47)

Schol. Bob. (Stangl) p. 132 201 (70) p. 132 190 (14) p. 135 190 (14) Codex Justinianus 4,8,6, pr. 67 (8) Codex Theodosianus 8,46,10 67 (8)

Sest. 7 13 25 55 86 93 103 109

180 (83) 180 (83) 201 (70) 201 (70) 113 (80) 198 (56) 195 (47) 126 (36)

S. Rosc. 50 131

176 (61) 176 (61)

Sull. 65

130 (68)

Tusc. 3,20,48 3,48

190 (14) 195 (47, 49)

Vat. 12 17

172 (36) 201 (70)

Verr. 1,37,47–49 2,1,35 2,1,78 2,1,104 2,1,112 2,1,118 2,2,2 2,2,77 2,3,49 2,3,72

174 (49) 99 (32) 175 172 (36) 180 (83) 180 (83) 175 (52), 176 (60) 174 (49) 175 200 (65)

Digesten 1,2,2,3–4 1,2,2,24 1,2,2,35 1,2,2,37 3,6 28,2,11 47,23 50,5,3 50,6,6,5 50,6,6,6 50,6,6,9 50,16,120 50,16,195,2

80 (54) 80 (54) 234 (7) 234 (9) 205 (99) 71 (17) 239 (33) 205 (100) 205 (100) 205 (100) 205 (100) 80 74 (29)

Cassius Dio 6,20 36,22,1–3 36,23,4 36,34 37,45,3 38,13–14 39,9,6 39,24,1 39,33,2–3 39,39,1–7 40,56 40,57 40,60,1 43,51,3 46,39,3 48,18,1 48,31 49,43,1–4

192 (29) 45 (95) 45 (95) 200 (69) 215 (20) 201 (70) 201 (73) 202 (76) 158 (52) 158 (52) 174 (50) 201 (70) 47 (102) 202 (79) 202 (80) 202 (81) 202 (81) 218 (35)

265

Quellenregister 49,43,1 53,2,1–2 53,15,55 53,22,1–2 53,22,3–4 53,33,4–5 54,1,1–4 55,10 55,22,3 55,25 55,26,1 55,26,3 55,28,2 frg. 57,19 59,15,3 59,17,2 60,11 62,16 72,13,2

218 (36) 203 (82) 182 (90) 220 (49) 221 (59) 203 (84) 204 (85) 204 (92) 204 (89) 204 (92) 204 (89) 195 (47) 182 (90) 66 (6) 219 (43) 205 (98), 206 (104) 219 (46) 219 (48) 206 (104)

Diodor 6,1,12 12,23–25 20,36 20,36,2 20,36,3 24,1,4 25,14 27,18,2 29,10 32,4,4–5 34/35,33,3–5 34/35,33,5 36,12

168 (18) 80 (54) 214 (12) 214 (14) 214 (13) 192 (31) 192 (31) 168 (19) 145 (12) 151 (17) 156 (45) 157 (49) 198 (56)

Dionysios v. Halikarnassos ant. 1,16 73 (26) 2,26,1–6 66 (7) 2,26,4 67 (8) 2,27,1 67 (8) 4,15,1–3 77 (39) 4,15,6 77 (40) 4,16,1–18,3 77 (41) 6,17,3 191 (22) 6,23–90 79 (51) 6,43 192 (30) 7,1–12 191 (22) 7,12–37 191 (22) 7,12–13 192 (30) 7,20 191 (25) 7,59,6 122 (22) 7,73,3 191 (25)

9,25,1 10,54–11,46 11,52,1–4 12,1–4 24,1,4 25,14

192 (30) 80 (54) 130 (61) 192 (29) 192 (31) 192 (31)

Donatus (Aelius Donatus) comm. Ter. 22–24 (Phorm.) 171 (34) Eusebios chron. (Schoene) II, pp. 146 f. Eutropius 3,1,3

204 (89)

192 (31)

Festus (Lindsay) p. 283 171 (34) p. 290 126 (39) p. 392 190 (15), 195 (45) p. 506 77 (39) Florus epit. 2,1 2,1,3 2,1,7 2,30,31–31

190 (15) 195 (44) 190 (18) 243 (49)

FRH 1 F 21 6 F 40 15 F 48 17 F 18

103 (50) 105 (57) 105 (56) 103 (50)

Frontinus aqu. 1 4 5 6 7 9–10 14 15 16 76 88 89–93 91–92 92

225 (79) 213 (11), 226 (88) 214 (12, 13) 214 (15), 215 (23) 216 (24) 218 (34, 38) 220 (53) 214 (15) 224 (78) 216 (26) 226 (89) 226 (91) 226 (93) 226 (92)

266 93 98–99 100–101 101 104 106 108 111 116 125 127 129

Register 221 (56) 218 (34, 39) 218 (40), 219 (41) 219 (42) 218 (40) 218 (40) 218 (40) 218 (40), 226 (90) 218 (39) 218 (40) 218 (40) 218 (40)

Horaz Sat. 1,1,9–10 1,8 2,1 2,3,36

225 (12) 225 (84) 225 (12) 215 (20)

Iosephus ant. Iud. 13,5,8 14,257

169 (23) 168 (19)

Isidor orig. 14,5,19

171 (34)

Iustinus 37,1,2

173 (45)

Iuvenal 4,75–81 10,81

225 (14) 206 (106)

Livius 1,42,10 1,43,1–13 1,43,13 1,44,1

122 (23) 77 (41) 77 (39) 77 (40)

Granius Licinianus (Flemisch) 36, p.34 190 (14), 200 (65)

2,9–14 2,21,7 2,23–33 2,31,4 2,34–35 2,34,6 2,34,7

191 (22) 192 (30) 79 (51) 192 (30) 191 (22) 192 (30) 191 (25)

Herodian 1,12,2–4

206 (104)

3,31,1–55,5 3,71,1–72,7

80 (54) 130 (61)

Herodot 2,148

223 (66)

4,8,2–7 4,13–15 4,30,15

81 (62) 192 (29) 82 (64)

7,3,8–5,9 7,4,1 7,5,7 7,10,1–14

82 (65) 83 (66) 83 (67) 83 (68)

8,7,1–22

84 (69)

9,29,5–11 9,29,6

214 (12) 214 (14)

Gaius inst. 1,1,6 1,32c 1,34 2,157 3,154a 3,169 3,193

182 (90) 205 (99) 205 (101) 71 (17) 70 (16) 242 (44) 245 (55)

Gellius (Aulus Gellius) 1,12,1 225 (17) 1,13,7 84 (69) 2,28,6 191 (24) 5,19,9 67 (8) 6,3,16 166 (9), 169 (26) 6,15,1 242 (44) 7,5,1 225 (17) 13,10,1–3 225 (17) 13,20,1 225 (17)

Hippokrates Aër. 7–9 225 (86) Homer Od. 3,71–4 9,252–255

43 (88) 43 (88)

267

Quellenregister 9,29,7

214 (13)

31,50,1

192 (27)

21,6,3–8 21,9,3–4 21,16,1–2 21,19,4–5 21,19,10 21,50,9–10

148 (20) 148 (20) 148 (20) 148 (20) 148 (20) 192 (31)

32,1,2 32,8,4 32,8,14 32,27,2 32,28,9

171 (35) 171 (35) 169 (24) 192 (31) 171 (35)

33,12,5–11 33,25,1 33,42,8 33,43,6

144 (11) 171 (35) 192 (27) 171 (35)

35,16,2–4

169 (26)

36,4,8

192 (31)

38,35,5

193 (35)

39,6,5 39,6,6–9 39,16,4 39,16,13 39,31,15 39,37,14

157 (48) 155 (42) 38 (74) 38 (74) 180 (83) 169 (26)

40,31,1 40,32,4 40,51,7 40,58,9

180 (83) 180 (83) 216 (27) 169 (23)

42,32,5 42,33,1–35,2 42,37,2–7 42,47,1–9

171 (35) 129 (60) 169 (25) 105 (53), 156 (43)

43,1,4–12 43,5,1–10 43,6,10 46,6,11 43,15,3

152 (33) 152 (33) 170 (27) 192 (31) 171 (35)

44,14,4 44,16,7 44,17,10

169 (23) 170 (27) 171 (35)

45,16,2

171 (35)

22,1–6 65 (1) 22,8,6–18,10 65 (2) 22,23,1–30,10 65 (2) 22,27,1–11 67 (3) 22,29,1–6 66 (4) 22,29,10–11 66 (5) 22,30,1–6 66 (6) 23,21,5–6 23,23,7 23,38,13

192 (31) 103 (45) 192 (31)

24,21,9

192 (31)

26,22,1 26,23,2 26,28,9

171 (35) 192 (31) 171 (35)

27,7,15 27,22,10

171 (35) 171 (35)

28,21,10 28,39,1–21

180 (83) 148 (20)

29,12,1–2 29,21,7

171 (35) 120 (14)

30,26,2–4 30,26,5 ff. 30,38,5 30,42,1–11

149 (23) 192 (27) 193 (38) 149 (23)

31,1,6–2,4 31,3,1–6 31,4,6 31,5,1–6,1 31,5,4 31,6,1 31,6,3–8,1 31,8,1–4 31,9,5–10 31,12,1–14,1 31,19,4

149 (23) 149 (23) 192 (27) 149 (23) 149 (23) 148 (22), 171 (35) 151 (30) 149 (23) 149 (24) 150 (25) 192 (31)

Livius periochae 45 175 (53) 48,4–5 156 (45) 48,15 156 (45) 48,24 156 (45)

268

Register

49,2 60 71 134

156 (45) 190 (14) 199 (60) 175 (53)

Lucretius 2,7–13

100 (37)

Macrobius Sat. 2,4,15

128 (50)

Martial spect. 1 77

224 (76) 224 (77)

Nonius p. 728 L

195 (44)

Obsequens (Iulius) 22 193 (35) ORF 8,164 30, 51 48,26 144,3

166 (9) 195 (43) 166 (9) 125 (35)

Orosius hist. 4,23,9 5,4,8–i 5,12 7,6,17

156 (45) 193 (35) 190 (19) 205 (99)

Plautus Capt. 156 158

166 (9) 166 (9)

Plinius (der Ältere) nat. / n.h. III–IV 171 (32), 173 (44) 7,139–140 102 (44) 8,135 180 (83) 16,213 223 (70) 17,43 180 (83) 18,16 199 (59) 29,22 180 (83) 31,3–12 226 (88) 31,31 225 (86) 31,35 225 (85)

31,37 31,38–39 31,41–42 31,41 34,41 36,18 36,30–31 36,64–125 36,75–82 36,75 36,83 36,84 36,94 36,95–97 36,95 36,101 36,102 36,103 36,104–108 36,109–120 36,116 36,121–123 36,121 36,122 36,123 36,124–125

225 (85) 225 (85) 225 (87) 225 (85) 223 (70) 223 (70) 223 (70) 222 (64) 223 (70) 222 (65) 223 (70) 223 (66) 223 (70) 223 (70) 223 (67) 223 (68) 223 (70) 223 (70, 71) 223 (72) 223 (71) 180 (83) 222 (61) 218 (37), 223 (73) 220 (53) 224 (74) 224 (75)

Plinius (der Jüngere) epist. 1,8,14 225 (15) 1,22 225 (15) 3,13 227 (98) 3,18,1–3 227 (98) 6,27 227 (98) 6,31,15–17 219 (47) 6,31,17 221 (55) 7,24,8 225 (15) 10,41–42 227 (100) 10,41,1 227 (103) 10,41,2 227 (101) 10,41,5 227 (103) 10,61–62 227 (100) 10,90 226 (94) 10,91 226 (95) 10,98 226 (96) 10,99 226 (97) paneg. 29,2

227 (99)

Plutarch Caes. 5,8–9

215 (19)

269

Quellenregister 8,4 22,1–4

200 (68) 158 (52)

Cat. mai. 27,2–4

156 (45)

Cat. min. 26,1 43,1–8 51,1–5

200 (68) 158 (52) 158 (52)

C. Gracch. 5 6–7 6 8–9 16

190 (14), 195 (43) 215 (17) 190 (15), 195 (45) 197 (52) 197 (53)

comp. Nic. Crass. 2,3 158 (52) 4 158 (52) Crass. 16 18,1

158 (52) 158 (52)

Fab. 8–13 13

65 (2) 66 (5)

Mar. 4,7 42

198 (55) 199 (62)

Pomp. 24 25 27–28 29 50,1

45 (95) 45 (96), 200 (69) 46 (97) 46 (97) 202 (77)

Polybios 1,15,10 1,17,5 1,18,4 1,18,11 1,38,7 1,52,8 2,8,12–13 2,19,2 3,22,5–10 3,22,10 3,27,4

166 (10), 179 (77) 166 (10) 192 (31) 192 (31) 166 (10) 192 (31) 148 (21) 166 (10) 179 (77) 166 (10) 166 (10)

3,29,10 3,101–105 6,13,4 6,20 6,39 6,39,12–15 7,4,2 15,17,3–7 18,37,1–10 18,46,14 21,4,10 21,11,3–11 21,17,1–2 21,32,2 24,9–13 27,8,8 28,1 30,31,1–20 31,3,1 32,9–10 32,10,3 33,18,1–4

166 (10) 65 (2) 40 (82) 216 (24) 216 (24) 194 (42) 166 (10) 145 (12) 144 (11) 170 (31) 145 (12) 145 (14) 145 (12) 169 (26) 169 (26) 145 (12) 169 (23) 169 (24) 169 (23) 100 (36) 169 (23) 169 (23)

Sallust Cat. 5,9–13,5 10,1 30,7 36,1–2

155 (41) 157 (50), 176 (62) 38 (74) 39 (77)

hist. 1 frg. 12 1,55,1 1,55,11 M 1,77,6 2 frg. 70 2,45 M 3 frg. 2 3,48 M 3,48,19 M 4,69

156 (44) 200 (65) 199 (61, 63) 200 (65) 176 (62) 200 (64) 176 (62) 190 (14) 199 (63), 200 (65) 147 (17)

Iug. 4,7 30,3 41,1–10 63,6 85 102,6 104,5

99 (32) 99 (32) 156 (44) 99 (32) 99 (32) 151 (17) 145 (12)

270 Seneca benef. 3,37,4 brev. vit. 18,3 18,5 19,1 Servius Aen. 6,609 SHA Aurel. 35,2 48,1

Register 31 39,1

206 (104) 206 (104)

204 (90) 206 (104) 204 (90)

Iul. 24,3 25,1 41,3 42,1

158 (52) 175 (53) 202 (78) 202 (78)

80

Tib. 8 37,4

203 (84) 175 (53)

Tacitus Agr. 14

175 (53)

ann. 1,2,1 1,76,1 1,79 2,87,1 3,27 3,31,5 3,54,6 3,70 3,75 4,58 6,13 6,26 11,22 11,27 11,48 12,11–12 12,43 13,30,2 13,41 13,48 13,53 14,42–45 15,52 16,7–9 16,22

204 (88) 225 (16) 225 (16) 205 (103) 80 (54) 219 (43) 205 (103), 206 (105) 225 (16) 225 (16) 225 (16) 206 (104) 225 (16) 174 (49) 81 (62) 98 (28) 225 (16) 205 (101) 225 (16) 225 (16) 225 (16) 219 (48) 225 (16) 225 (16) 225 (16) 225 (16)

hist. 1,4,3

119 (10)

82 (65), 83 (66)

205 (102) 205 (102)

Comm. 14,1–3

206 (104)

Sept. Sev. 18,3

205 (102)

Statius silv. 4,3,36–39 4,3,103–104

227 (102) 227 (102)

Strabon 4,6,11 5,4,12 6,1,6 14,6,6 16,1,5 17,3,24 17,3,25

218 (33) 73 (26) 73 (26) 175 (54) 222 (62) 176 (64) 166 (10), 182 (90)

Sueton Aug. 18,2 175 (53) 42,3 204 (87,89) 46 125 (34) 98,2 204 (87) Claud. 18,2–4 19 20,3

205 (99) 205 (99) 219 (46)

Gai. 19 26,5

206 (104) 206 (104)

Thukydides 1,5,1 43 (89) 7,57,3 173 (44) Valerius Maximus 3,7,3 107 (64), 194 (41)

271

Quellenregister 4,1,10 5,2,4 5,4,3 5,8,3 6,9,1 8,1 8,2,1-3 8,2,4

141 (1) 66 (5) 83 (66, 67) 84 (69) 83 (66) 242 (42) 242 (43) 242 (44)

Varro r.r. 3,16,29

73 (26)

Velleius Paterculus 2,6,3 190 (20) 2,31 200 (69) 2,32,3 174 (49) 2,38–39 172 (36) 2,38 175 (53) 2,94,3 203 (84) 2,97,4 175 (53) 2,117,4–118,1 243 (49) 2,126,3 205 (103)

Vitruvius 1,3,1 1,6,3 2,8,11 5,1 5,3–9 5,10 5,11 5,12 6,4,2 7 praef. 13 8,1,6–7 8,2,1 8,3,28 8,4,2 8,5–6

212 (5–7), 213 (10) 225 (80) 222 (62), 223 (69) 212 (8) 212 (8) 212 (8) 212 (8) 212 (8) 225 (81) 222 (62), 223 (69) 225 (82) 225 (82) 225 (83) 225 (83) 213 (9)

Zonaras 7,24 8,26,10–11

83 (66) 66 (6)

Zwölftafelgesetz (Flach) 5,3 80 8,10 80 9,1–2 80

272

Register

PERSONENREGISTER (AUSWAHL) Augustus / Oktavian 49, 91, 112, 118, 181 f., 202–204, 217 f. L. Appuleius Saturninus (tr. pl. 103) 108, 198 Q. Baebius (tr. pl. 200) 151–153 Ap. Claudius (cens. 312) 213 f. P. Clodius Pulcher (tr. pl. 59) 109, 127, 200–202, 205 L. Cornelius Sulla (dict. 82) 48, 100, 110 f., 119, 155, 174, 177 f., 181, 199, 200, 237 L. Cornelius Scipio Africanus (cos. 205) 105, 137, 141, 145, 152 P. Cornelius Scipio Aemilianus (cos. 147) 100, 141 f., 154, 158 f. P. Cornelius Scipio Nasica Serapio (cos. 138) 107 f., 156 f., 194, 235 Q. Fabius Maximus Verrucosus (cos. 233) 61, 66, 152 C. Iulius Caesar 21, 23, 45, 47 f. 91, 100, 109, 111 f., 122, 142–145, 147, 158, 175, 202, 207, 215 M. Livius Drusus (tr. pl. 91) 108, 110, 197, 199

L. Manlius Imperiosus (dict. 363) 82 f., T. Manlius Imperiosus Torquatus (cos. 340) 83–85 C. Marius (cos. 107) 93, 110, 198 M. Minucius Rufus (cos. 221) 65 f., 68 Q. Mucius Scaevola (Augur) (cos. 117) 96, Q. Mucius Scaevola (Pontifex) (cos. 95) 179, 235, 244 Cn. Pompeius (cos. 70) 45–48, 91, 109, 111 f., 130 f., 166, 174, 200–202, 207 Sex. Pompeius 46, 202 M. Porcius Cato Censorius (cos. 195) 92 f., 107, 112, 156, 158 M. Porcius Cato Uticensis (pr. 54) 158, 200 C. Sempronius Gracchus (tr. pl. 123) 108– 110, 190–197, 207, 215 Ti. Sempronius Gracchus (tr. pl. 133) 107– 110, 195 M. Tullius Cicero (cos. 63) 16, 39, 92 f., 96 f., 101, 130 f., 148, 163 f., 168, 171–176, 190, 201, 217

SACHREGISTER Administration / Bürokratie 23, 30, 35, 51, 154, 180 Aedile 95, 102, 106, 191 f., 199 f., 202, 218, 224, 236 f., 292 Aristokratie 77 f., 81 f., 86, 91–113, 153, 253 f., 254, auctoritas 104, 131, 134 Bacchanalien-Affäre 38–41, 104 f. Beute 24, 43, 45, 84, 86, 100, 103, 142, 195, 206 f., 215 Bundesgenossen (-krieg) 41, 93, 124, 145, 148 f., 151, 181, 199, 235 Bürger* (-krieg, -recht) 24, 46, 36–41, 46, 49 f., 67, 77–86, 90 f., 91 97 f., 101–104, 109–113, 117–127, 131–135, 141, 145, 149, 151–158 coertion extraction cycle 20, 30 contio(nes) 121, 127–135, 153, 233 cursus honorum 47, 94 f., 99, 105 f. Dictator / Dictatur 65 f., 68, 82 f., 96, 111, 118 Diskurs(e) 15–16, 31, 164 f. Erbe, Erbrecht, Erb* 66, 70f, 73 f., 236, 241 f.

Finanzen 31, 47, 95, 195, 218, 221 Freundschaft (mit Rom) 143, 167, 169–171, 180 Gemeinsinn*, -wohl 50, 107, 110, 112, 129 f., 132, 134, 217, 225, 245 Gerichtshöfe 107, 109, 128, 237, 242 Getreide* 45, 93, 95, 107, 187–207, 219, 222, 227 Governance 17, 22, 28 f., 33 f., 68, 85 f., 252 imperium 22, 26 f., 36, 38, 86, 91, 101, 103–105, 109–111, 158, 163 f. 168, 170–182, 207, 219, 225, 228 Infrastruktur 77–79, 82, 211–228, 265 Institutionalisierung 50, 91, 97, 100, 105, 108, 132, 174, 189, 204 Jellinek, Georg 17, 25 f., 29, 32, 35 f., 187 Klientelwesen / clientela 24, 72–74, 79 f., 110, 118, 127 Konsuln 66, 95 f., 98–102, 104 f., 108, 110, 131, 141, 148, 150, 153, 174, 191, 198, 200, 218, 227, 236, 238, 255 Kriegsführung 23 f., 30, 43, 82, 84, 94,

Sachregister 100–107, 142, 144, 146–157, 163, 171, 193, 195 f. lex / leges – de provinviis praetoriis 45, 120, 166, 172, 174 – Gabinia 45, 166, 200 – Hortensia 118 – Iulia de annona 204 – Liciniae/Sextiae 98 – Octavia 197 – Porcia 173 f. – portoria Asiae 178 – Sempronia frumentaria 190, 197 f. – Villa annalis 105 – Visellia 215 – ;,,WDEXODUXP s. Zwölftafelgesetz Liktoren 38 f., 238 Magistratur / Magistrate 35, 37–39, 80–86, 94 f., 101, 104, 107, 120, 127, 129, 131 f., 145, 153 f., 171–175, 191 f. 194, 198, 200 f. 214, 216, 232–283 pater familias / patria potestas 24, 36, 65–86, 96 f., 101, 189, 232 Partizipation 50, 81, 85, 117, 120, 124–127, 131, 133 Patron, Patronage 66, 72, 77, 80, 92, 96, 101, 127, 169, 188 f., 196, 203–205, 207, 244, 256 Piraten, Piraterie 17, 25, 28, 43–47, 131, 166, 170, 200 f. plebs 79, 111, 118 f., 151, 154, 203 f., 232, 235 – contionalis 127, 131–135 – frumentaria 188, 204 f. – rustica 119 – sordida 119 – urbana 107, 119, 205–207 Polizei 12, 23, 37 f., 95, 238 populus Romanus 37, 74, 101, 104, 117–120, 123, 125 f., 128–134, 153 f., 168 f., 175, 181, 195

273

Prätor 40, 95, 101 f., 106, 141, 145 f., 152, 166, 172–174, 200, 204 f., 233, 236–241 Ritter (equites) 93,106, 110, 112, 119, 121 f., 129, 196, 204, 237, 253 Senat 27, 35, 40, 47 f., 51, 92–96, 98–108, 110, 119 f., 128–134, 143, 148–153, 156, 169 f., 178, 190–207, 213–219 Selbsthilfe 37–39, 97, 241 Sicherheit 12, 29, 31, 38–40, 44, 51, 81, 104, 108, 111, 152, 166, 173, 225, 241 f. Sittenverfall 147, 155–157 Soldaten, Armee, Heer 30, 37, 45, 47, 65 f., 77, 84, 86, 93, 97, 101, 106, 109–111, 129, 141, 147, 155–158, 173, 193 f., 205–207, 216 f., 228, 240 Souveränitätsbegriff 33, 35 f., 42 f., 68 Staat, Staatlichkeit (Auswahl) 18–51, 100, 105, 110, 153, 164 f., 187–190, 228, 251–253, 256 tribus 77, 119, 121 f.,126, 132 f. Triumph 78, 94, 99, 102–104, 141, 149, 152, 155, 220 Verwaltung 159, 166, 172, 181, 204–206, 216 f., 221, 228, 244, 250 Volkstribune 37 f., 79, 82–85, 95, 107–111, 118, 121,129 f., 151 f., 174, 190–201, 215 f., 232, 238 Volksversammlung(en) 35, 37, 77, 80 f. 94, 105, 107–110, 112, 121, 129–126, 131–135, 149, 151, 153 f., 190, 197, 232 f., 253 – comitia curiata 121 – comitia centuriata 77, 81, 121–124 – comitia tributa 132 – concilium plebis 79, 118 f., 121, 132 Zensur / Zensus 67, 77, 81, 96, 124, 141 f., 213–216, 202 Zwölftafelgesetz 80 f., 231–233, 236, 245

AUTORENVERZEICHNIS Martin Jehne ist Professor für Alte Geschichte an der Technischen Universität Dresden. Er hat eine Reihe von einschlägigen Artikeln zu Fragen der Partizipation des Volkes, der rituellen Dimension von Versammlungen sowie der Rhetorik vor dem Volk veröffentlicht. Zu seinen Publikationen gehören neben den Sammelbänden „Demokratie in Rom? Die Rolle des Volkes in der Politik der römischen Republik“ 1995 und (zus. mit C. Lundgreen) „Gemeinwohl und Gemeinsinn in der römischen Antike“ 2013, „Der große Trend, der kleine Sachzwang und das handelnde Individuum. Caesars Entscheidungen“ 2009 sowie in der Reihe C. H. Beck Wissen „Die römische Republik“ 32013 und „Caesar“ 42008. Detlef Liebs ist Professor emeritus für Römisches Recht, Bürgerliches Recht und Neuere Privatsrechtsgeschichte der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Fellow der British Academy. Zu seinen Veröffentlichungen zählen die gelungene Einführung „Römisches Recht. Ein Studienbuch“ (UTB 465) 62004 sowie „Vor den Richtern Roms. Berühmte Prozesse der Antike“ 2007, „Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter“ 72007 und „Hofjuristen der römischen Kaiser bis Justinian“ 2010. Bernhard Linke ist Professor für Alte Geschichte an der Ruhr-Universität-Bochum. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört neben der Analyse religiöser Weltbilder und des Republikanismus in der Antike die Rolle des pater familias in der römischen Republik. An Veröffentlichungen ist u.a. zu nennen: „Von der Verwandtschaft zum Staat – Die Entstehung politischer Organisationsformen in der römischen Frühgeschichte“ 1995, „Die römische Republik von den Gracchen bis Sulla“ 22012 sowie „Antike Religion“ 2014. Christoph Lundgreen ist Assistent am Lehrstuhl für Alte Geschichte der Technischen Universität Dresden. Zu seinen Forschungsinteressen gehört insbesondere die Rechts- und Verfassungsgeschichte der Antike. Unter seinen Veröffentlichungen sind Å5HJHONRQÁLNWHLQGHUU|PLVFKHQ5HSXEOLN*HOWXQJXQG*HZLFKWXQJYRQ1RUPHQLQ politischen Entscheidungsprozessen“ 2011 sowie die Sammelbände „Gemeinwohl und Gemeinsinn in der römischen Antike“ (zus. mit M. Jehne) 2013 und „Jenseits der Geltung. Konkurrierende Transzendenzbehauptungen von der Antike bis zur Gegenwart“ (zus. mit. S. Dreischer, S. Scholz, D. Schulz) 2013. Rene Pfeilschifter ist Professor für Alte Geschichte an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen einerseits die Spätantike, andererseits die römische Republik und den Hellenismus mit Schwerpunkt auf römischer Außenpolitik. Zu seinen Publikationen gehören „Titus Quinctius Flamininus. Untersuchungen zur römischen Griechenlandpolitik“ 2005, „Der Kaiser und

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Autorenverzeichnis

.RQVWDQWLQRSHO .RPPXQLNDWLRQ XQG .RQÁLNWDXVWUDJ LQ HLQHU VSlWDQWLNHQ 0HWURpole“ 2013 und „Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher“ 2014. Helmuth Schneider ist pensionierter Professor für Alte Geschichte an der Universität Kassel. Sein besonderes Interesse in der Forschung gilt der antiken Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte. Zu seinen wichtigsten Publikationen gehören „Einführung in die antike Technikgeschichte“ 1992, „Geschichte der antiken Technik“ 22012 und (zus. mit H. Cancik, M. Landfester) die Herausgabe des Lexikons „Der Neue Pauly“ 1996–2002 sowie (zus. mit H.-J. Gehrke) des Studienbuches „Geschichte der Antike“ 42013. Michael Snowdon ist Lecturer am Department of Humanities der York University in Toronto. Er ist Autor mehrerer Artikel über die Beziehungen zwischen Rom und den griechischen Poleis; seine überarbeitete Dissertation „Greek Freedom and Roman Hegemony: the Transaction of Roman Rule in the Greek East (201 BCE – 14 CE)“ liegt zur Begutachtung bei Cambridge University Press vor. Sein momentanes Forschungsinteresse gilt der Konzeption, Perzeption und Rezeption der römischen Herrschaft im Osten. Claudia Tiersch ist Professorin für Alte Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen neben der athenischen Demokratie und der Spätantike die politische Kommunikation und semantische Dynamiken in der späten römischen Republik. Zu ihren Arbeiten gehören „Johannes Chrysostomus in Konstantinopel (398–404). Weltsicht und Wirken eines Bischofs in der Hauptstadt des Oströmischen Reiches“ 2002 sowie „Demokratie und Elite. Zur Rolle und Bedeutung der politischen Elite in der athenischen Demokratie (480–322 v. Chr.)“, Habil.-Schr., Dresden 2006. Uwe Walter ist Professor für Alte Geschichte an der Universität Bielefeld. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. die Geschichte und Kultur der römischen Republik und die antike Geschichtsschreibung. Veröffentlichungen sind u.a. „Memoria und res publica. Zur Geschichtskultur im republikanischen Rom“ 2004 sowie als Herausgeber „Die Macht der Wenigen. Aristokratische Herrschaftspraxis, Kommunikation und ‚edler‘ Lebensstil in Antike und Früher Neuzeit“ (zus. mit H. Beck, P. Scholz) 2008, „Fragmente römischer Memoiren. Von Gaius Gracchus bis Marcus Terentius Varro“ (zus. mit P. Scholz) 2013 und „Gesetzgebung und politische Kultur in der römischen Republik“ 2014. Aloys Winterling ist Professor für Alte Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zu seinen Interessenschwerpunkten gehören die Historische Anthropologie und antike Gesellschaftsgeschichte ebenso wie die Entstehung von Hof und Monarchie in Antike und Früher Neuzeit. Er ist Autor einer vielfach beachteten und übersetzten Biographie des Kaisers Caligula (32004); weiter sind zu nennen „Aula Caesaris. Studien zur Institutionalisierung des römischen Kaiserhofes in der Zeit von Augustus bis Commodus“ (31 v. Chr.–192 n. Chr.) 1999 sowie „Politics and Society in Imperial Rome“, Malden et al. 2009.

War die römische Republik ein Staat? Dieser Frage gehen zehn renommierte Autoren in ihren Beiträgen nach, in denen sie mögliche Träger von Staatlichkeit beleuchten, Kommunikationsstrukturen nachvollziehen und die Erfüllung spezifischer Staatsaufgaben untersuchen. Konkret werden die Rollen von Bürgern, Elite und Volk, die Themen von Eroberung und Beherrschung des Imperium Romanum sowie die Aspekte von Getreideversorgung, Infrastruktur und Rechtswesen be-

handelt. Hinzu kommen zwei Beiträge, die sich dezidiert mit dem Begriff des Staates und der Reichweite von Staatlichkeit als analytischer Kategorie befassen. Damit bietet der Band, inspiriert von zeitgenössischen Debatten in Rechts- und Politikwissenschaft, eine pointierte althistorische Fallstudie zu gegenwärtigen Fragen nach Staat, Staatlichkeit und Governance und einen aktuellen Überblick zum Forschungsstand zur römischen Republik.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-10710-5

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7835 1 5 1 07 1 05