Staat, Gesellschaft und Nation in Hispanoamerika: Problemskizzierung, Ergebnisse und Forschungsstrategien ; ausgewählte Aufsätze 9783964567666

Der Band fasst wichtige Aufsätze der Hamburger Lateinamerika-Historikerin Buisson zusammen, die bisher nur verstreut pub

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German Pages 234 Year 2019

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
I. Zu Verwaltungsfragen: Kolonialspanisches Amerika
II. Staatsbildung
III. Auf dem Wege zur Nation
Verzeichnis der Erstveröffentlichungen
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Staat, Gesellschaft und Nation in Hispanoamerika: Problemskizzierung, Ergebnisse und Forschungsstrategien ; ausgewählte Aufsätze
 9783964567666

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Inge Buisson-Wolff S t a a t , Gesellschaft und Nation in Hispanoanierika

aDuOQEPtoaDDa Herausgeber: Karl Kohut und Hans-Joachim König Publikationen des Zentralinstituts für LateinamerikaStudien der Katholischen Universität Eichstätt Serie B: Monographien, Studien, Essays, 10 Publicaciones del Centro de Estudios Latinoamericanos de la Universidad Católica de Eichstätt Serie B: Monografías, Estudios, Ensayos, 10 Publica?óes do Centro de Estudos Latino-Americanos da Universidade Católica de Eichstätt Série B: Monografías, Estudos, Ensaios, 10

Inge Buisson-Wolff

Staat, Gesellschaft und Nation in Hispanoamerika Problemskizzierung, Ergebnisse und Forschungsstrategien Ausgewählte Aufsätze Herausgegeben und eingeleitet von Hans-Joachim König

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 1999

Typoskript: Redaktion:

Karin Schieibinger Elisabeth Arndt

Gedruckt mit Unterstützung der Katholischen Universität Eichstätt

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Buisson-Wolff, Inge: Staat, Gesellschaft und Nation in Hispanoamerika : Problemskizzierung, Ergebnisse und Forschungsstrategien ; ausgewählte Aufsätze / Inge Buisson-Wolff. Hrsg. und eingeleitet von Hans-Joachim König. - Frankfurt am Main : Vervuert, 1999 (Americana Eystettensia : Ser. B, Monografías, estudios, ensayos ; ISBN 3-89354-961-7 © Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1999 Alle Rechte vorbehalten Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigen Papier Printed in Germany: Rosch-Buch, Scheßlitz

INHALT Einleitung

I

7

Zu Verwaltungsfragen: Kolonialspanisches Amerika Zur Geschichte der Ausländer im spanischen Amerika. Die Stellung des extranjero in der Stadt Potosí vom 16. bis 18. Jahrhundert

25

Negersklaverei und Negerhandel in Hochperu 1545-1640

49

El juez comisario en el Alto Perú (Siglos XVI y XVII)

75

II

Staatsbildung

Desintegration und Staatenbildung in Hispanoamerika, 1810-1840

85

Probleme der Staatenbildung im spanischen Südamerika, 1810-1830

99

Chilenische Opposition gegen die Wirtschaftspolitik des Vizekönigreiches Peru, 1778-1810

109

El "Ejército Libertador" y la formación del Estado Boliviano,

1825-1828

III

129

Auf dem Wege zur Nation

Die "Grenze" in Hispano-Amerika

145

Caminos, fines y resultados de la política liberal de desarrollo durante la Reforma en México

153

Die mexikanische Hacienda im Spiegel deutschsprachiger Veröffentlichungen des 19. Jahrhunderts

171

Frauen in Hispanoamerika in Reiseberichten von Europäerinnen, 1830-1853

185

Geschichtsverständnis und Nationalismus in der bolivianischen Revolution

211

Verzeichnis der Erstveröffentlichungen

229

Einleitung Sich heutzutage mit Fragen der Staats- und Nationbildung oder mit Nationalbewußtsein und Nationalismus zu beschäftigen, hat seit der Auflösung der Sowjetunion bzw. des Ostblocks und vor allem auch nach der "Wende" in Deutschland wieder Konjunktur. Das trifft auch auf Untersuchungen in und zu Lateinamerika zu. Dort haben einerseits die überregionale Politik der neuen politischen und ökonomischen Blockbildung und andererseits die ungelösten innergesellschaftlichen Probleme erneut den Blick für die historischen Bedingungen und Hypotheken der Entwicklung von ethnisch und kulturell heterogenen Gesellschaften zu nationalen Einheiten geschärft. Vor dreißig Jahren war es dagegen durchaus nicht selbstverständlich, sich solchen Fragen der lateinamerikanischen Geschichte zu widmen. Zum einen galten Nationalstaat, Nationalbewußtsein und Nationalismus als durch die jüngere deutsche Geschichte diskreditierte Themenkomplexe, zum anderen war die in ¡Deutschland mit Lateinamerika befaßte Geschichtswissenschaft — ohnehin erst seit den fünfziger Jahren an ganz wenigen Universitäten betrieben — durch den Doyen der deutschen Lateinamerikanistik Richard Konetzke in Köln und seine Schüler im wesentlichen auf die Analyse der kolonialen Epoche Lateinamerikas, d.h. auf die Zeit von 1492 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, ausgerichtet. Entdeckung und Eroberung sowie Aufbau, Verwaltung und wirtschaftliche Nutzung des Kolonialreiches standen im Zentrum der wissenschaftlichen Arbeiten. Es ist das große Verdienst von Inge Buisson-Wolff, der ehemaligen Professorin an der Universität Hamburg, die Beschäftigung mit der lateinamerikanischen Geschichte besonders des 19. und 20. Jahrhunderts angeregt und selbst vorangetrieben zu haben, ohne dabei die koloniale Zeit zu vernachlässigen, wie zahlreiche Arbeiten belegen. Zeugnisse dieser Beschäftigung sind u.a. die 1970 veröffentlichte herausragende, auf intensiven Archivstudien beruhende Untersuchung über Regierung und Verwaltung der Kolonialspanischen Städte in Hochperu 1538-16501 und einige wichtige, hier in Teil I zugänglich gemachte erhellende Aufsätze wie z.B. der "Zur Geschichte der Ausländer im spanischen Amerika. Die Stellung des extranjero in der Stadt Potosi vom 16. bis 18. Jahrhundert", 1961 in der Festschrift für Egmont Zechlin erschienen; ferner der über "Negersklaverei und Negerhandel in Hochperu 1545-1640", 1964 in Band 1 des Jahrbuchs für Geschichte von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft Lateinamerikas erschienen; oder der über "El juez comisario en el Alto Peru (Siglos XVI y XVII)", 1984 im Anuario de Estudios Americanos veröffentlicht. Diese weitgehend mit Verwaltungsfragen befaßten Untersuchungen zeigen alle

'inge WolfF. Regierung und Verwaltung der kolonialspanischen Städte in Hochperu 1538-1650. (Beihefte zum Jahrbuch filr Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas 2). Köln/Wien 1970.

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die sorgfältig recherchierende und abwägende Historikerin. Doch glaube ich mit Recht sagen zu dürfen, daß die eigentlich weiterführenden Fragen, Uberlegungen und Ansätze eben wegen der in Hamburg erfolgten Konzentration auf das 19. und 20. Jahrhundert in den Aufsätzen von Inge Buisson-Wolff zur Problematik der Staats- und Nationbildung in Hispanoamerika und zu den vielfältigen Aspekten der gesellschaftlichen Entwicklung enthalten sind, die mit diesem bis heute nicht abgeschlossenen Prozeß zusammenhängen. Die Staatsbildung in Lateinamerika in den Jahren 1808 bis 1826 ist ein langfristiger Prozeß gewesen, dessen Ursachen weit in die vorhergehende Kolonialzeit zurückreichen. Demgegenüber ist der damals begonnene Prozeß der Nationbildung bis heute noch nicht abgeschlossen. Denn die Gesellschaften der lateinamerikanischen Staaten weisen noch keineswegs die Merkmale auf, die eine Nation ausmachen: Nach neuerer Forschung nämlich wird eine Nation nicht allein durch staatliche Grenzen und bestimmte Merkmale außerpolitischer Art wie Sprache, Kultur, gemeinsame ethnische Kriterien oder durch den Willen der Regierenden und einzelnen Bürger konstituiert; vielmehr spricht man von Nation, wenn der überwiegende Teil der Bevölkerung eines modernen Staates eine deutlich erkennbare soziale Einheit bildet und der Staat als Niederschlag des Gesamtwillens seiner Bevölkerung empfunden wird. Wie stellt sich dieser Problemkomplex der Staats- und Nationbildung in Hispanoamerika nun im einzelnen dar? Wie ordnen sich Inge Buisson-Wolffs Aufsätze, die in diesem Band in den Teilen II und III herausgegeben werden, in seine Untersuchung ein?

Die Staatsbildung Mit Recht hat Inge Buisson-Wolff immer wieder darauf hingewiesen, daß zwischen langfristigen Faktoren der Staatsbildung und dem Anlaß der Separation der Kolonien vom Mutterland zu unterscheiden sei. Langfristige Faktoren waren zum einen die merkantile Kolonialpolitik der Bourbonen, zum anderen die Reaktionen der Amerika-Spanier auf die sogenannte zweite Konquista und das dabei wirkende Selbst- und Eigenbewußtsein bzw. der Optimismus der wirtschaftlich führenden Schichten in die Entwicklungsmöglichkeiten ihrer jeweiligen Regionen, der sogenannten patria chica. Im Zuge der bourbonischen Reformpolitik für das spanische Imperium im 18. Jahrhundert hat es für Amerika eine Reihe von Maßnahmen gegeben, die für sein Verhältnis zum Mutterland entscheidend geworden sind; es waren Maßnahmen, die besonders seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine zunehmende Entfremdung der kreolischen Oberschicht gegenüber Spanien und ein Bewußtwerden der amerikanischen Identität ebenso wie der eigenen Interessen und Möglichkeiten hervorgerufen und zu Autonomie- und Separationsbestrebungen geführt haben. Die Reformbemühungen der Bourbonen — das Ziel war, Spaniens Position in Europa wieder herzustellen — wiesen den amerikanischen Gebieten eine

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besondere Rolle zu. Durch eine stärkere und effektivere wirtschaftliche Ausbeutung Amerikas sollten die für die Reformen notwendigen Einkünfte Spaniens erhöht werden. Damit diese Neuauflage des merkantilistischen Prinzips funktionieren konnte, war ein Reihe von Veränderungen notwendig. Zu ihnen gehörten Verwaltungs- und Handelsreformen nach gründlicher vorheriger Prüfung der Verhältnisse an Ort und Stelle durch Generalvisitationen, Verbesserung der Kommunikation, Einrichtung des Intendantensystems zur besseren Finanzverwaltung und Steuererhebung, Schaffung von steuerlich lukrativen Staatsmonopolen und Erlaubnis des freien Handels innerhalb des spanischen Imperiums. Mit den hier nur skizzierten Maßnahmen zur Vereinheitlichung und Kontrolle der inneren Organisation des spanischen Imperiums, aber auch mit wirtschaftlichen Maßnahmen wie der schrittweisen Aufhebung des spanischen Handelsmonopols zwischen 1765 und 1778 und der Lockerung von Beschränkungen im interkolonialen Handelsverkehr wurde die Bildung eines großen und ertragreichen Wirtschaftsraums angestrebt, ja sogar die Bildung eines einheitlichen Staates geplant, der die Teile des spanischen Imperiums zu einem Nationalstaat verschmelzen sollte. Die Ergebnisse dieser Politik blieben jedoch hinter den Erwartungen zurück: Bekanntlich hat sich in Amerika kein Loyalitäts- und Identitätsgefühl herausgebildet, das auf einen spanischen Großstaat bezogen war. Vielmehr wurde immer deutlicher, daß sich bei den Kreolen bzw. bei den wirtschaftlich führenden Schichten ein erkennbares Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer amerikanischen Heimat entwickelt hatte und weiter entwickelte. Die bourbonische Reformpolitik, mit der die amerikanischen Provinzen deutlicher als zuvor als abhängige Kolonien erachtet und behandelt wurden, machte es den Amerika-Spaniern immer schwerer, sich mit dem Mutterland Spanien zu identifizieren und gegenüber dem spanischen Staat loyal zu bleiben. Nicht nur die stärkere Ausbeutung des wirtschaftlichen Reichtums Amerikas zum Nutzen Spaniens, neue Monopole sowie die höhere und effektivere Besteuerung, sondern vor allem auch die neue Praxis der Beamtenemennung, für hohe Posten wieder vornehmlich Spanier und nicht mehr, wie es noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts möglich gewesen war, auch Amerika-Spanier, d.h. Einheimische zu berücksichtigen, führte bei den Amerika-Spaniern zunehmend zur Diskussion über die Legitimität der spanischen Herrschaft. Die von den Amerikanern als Diskriminierung empfundene Benachteiligung bei der Ämterbesetzung trug einerseits zur Entfremdung und Interessendivergenz zwischen Europa-Spaniern und Amerika-Spaniern bei und förderte andererseits eine immer stärker werdende Bindung an die eigene Region bzw. an Amerika. In ihren diesbezüglichen Argumentationen gingen die Kreolen von der Gleichberechtigung zwischen Spaniern und Amerikanern aus, die unter dem gemeinsamen König gleiche Rechte haben, so daß auch die Amerikaner Anspruch auf Teilhabe an der politischen Macht und auf Berücksichtigung bei der Amtervergabe besitzen. Gleichzeitig aber schränkten die Kreolen die Geltung des Gleichheitsprinzips für die Spanier wieder ein, betonten im Gegenteil die Überlegenheit der Einheimischen, eine Argumentation, die auch in der Phase

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der Unabhängigkeitsbewegung weiter verwendet wurde. Im Grunde beruht diese Argumentation auf der Überzeugung von einer unüberbrückbaren Interessendivergenz zwischen Amerika-Spaniern und Europa-Spaniern; das bedeutete im Endeffekt, daß auf der einen Seite die Amerikaner nicht mehr nur Spanier waren, zumindest nicht im Sinne von abhängigen Untertanen des bourbonischen Einheitsstaates, und daß umgekehrt die Europa-Spanier in Amerika nur Fremde waren, die keine persönliche und tiefere Beziehung zu Amerika besaßen und deshalb an dessen Interessen vorbei regierten. Logischerweise impliziert die Betonung der Andersartigkeit auch die Betonung der Eigenart, so daß die politischen Forderungen, die sich aus den Klagen ergaben, und ihre Begründung ohne Zweifel das gewachsene Bewußtsein einer eigenen amerikanischen Identität widerspiegeln, einer Identität, die sich langfristig nur in politischer Selbstbestimmung innerhalb eines eigenen Territoriums erfüllen konnte. Obwohl immer wieder von Amerika und von den Amerikanern die Rede war, und obwohl man sich einer gemeinsamen allgemeinen amerikanischen Interessenlage gegenüber Spanien bewußt war, bezog sich die Identifizierung doch auf den engeren Bereich der jeweiligen Audiencia, die zunehmend als Bereich des Vaterlandes, der Patria gedacht wurde. Die Kreolen fühlten sich als Einheimische in bezug auf die Wahrnehmung amerikanischer Interessen den Spaniern überlegen und leiteten daraus den Anspruch auf Selbstbestimmung für Amerika ab. Allerdings gewann das Kriterium, Amerikaner zu sein, nur in dieser gemeinsamen Abgrenzung nach außen gegen Spanien eine kontinentale Dimension. Denn als eine vorgegebene staatlich-politische Einheit wurde Amerika nicht gesehen. Die Kreolen begriffen sich in Opposition zu den Europa-Spaniern zwar als Amerikaner, sie verstanden sich aber ebenfalls als Einwohner einer engeren, erfahrbaren und erlebten Heimat. In ihren Arbeiten hat Inge Buisson-Wolff immer wieder daraufhingewiesen, daß das spanische Kolonialreich in Amerika trotz gewisser homogener Züge — wie der Existenz einer einheitlichen weißen Herrschaftsschicht spanischen Ursprungs, der Gemeinsamkeit des katholischen Glaubens und einer dreihundertjährigen Regierung und Verwaltung durch zentrale Organe des Mutterlands ("Desintegration und Staatenbildung in Hispanoamerika, 1810-1840"; "Probleme der Staatenbildung im spanischen Südamerika, 1810-1830") — weder in politischer noch in wirtschaftlicher Hinsicht eine Einheit dargestellt hatte. Es war vor allem durch die Verwaltungsbezirke der Audiencias — der Appellationsgerichtshöfe, die wegen ihrer judikativen und politischen Entscheidungsbefugnisse für die Bewohner ihres Einzugsbereichs von großer administrativer Bedeutung waren, — räumlich gegliedert gewesen. Gerade innerhalb der Grenzen der Audiencias hatte sich bei der jeweils führenden Schicht der Kreolen ein Bewußtsein regionaler Eigenart und der Zugehörigkeit zur Region und ihrer Gesellschaft entwickelt. In dem Maße, wie die Amerika-Spanier aufklärerische Ideen mit dem Glauben an die Vernunft und dem optimistischen Vertrauen in die Wissenschaften, vornehmlich die Naturund Erfahrungswissenschaften übernahmen und ihre jeweiligen Regionen auf

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die naturgeographischen Ressourcen hin zu erforschen begannen, verstärkte sich auch das Selbstbewußtsein. Mit der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Möglichkeiten und Reichtümer ihrer jeweiligen Region stieß bei den AmerikaSpaniern ein Konzept immer mehr auf Ablehnung, das die wirtschaftliche Entwicklung der Kolonien in Abhängigkeit zu Spanien fördern wollte. So wurde der von Spanien geplante Entwicklungsprozeß auf das eigene Land bezogen, das nun zunehmend den Mittelpunkt der wirtschaftlichen und politischen Uberlegungen darstellte. Belebung von Wirtschaft und Wohlstand implizierte für die Kreolen eine völlige Veränderung der von Spanien praktizierten Wirtschaftspolitik. Die Verbesserungsvorschläge betrafen alle Bereiche des wirtschaftlichen Lebens. Neben dem Binnenhandel galt das besondere Interesse dem Außenhandel, einem Handel ohne Beschränkungen, der wirklich den Namen "Freihandel" verdiente, der als Grundlage für Reichtum und Wohlstand, als Motor für Gewerbe und Landwirtschaft galt. Die Landwirtschaft mit der Bereitstellung von Exportprodukten spielte entsprechend den damals vorherrschenden physiokratischen Vorstellungen natürlich eine wichtige Rolle. Die Vorschläge zur Intensivierung von Landwirtschaft, Handel und Gewerbe lassen erkennen, wie sehr die Ökonomen und die wirtschaftlich aktiven Gruppen ihre Region jeweils wegen ihrer wirtschaftlichen Besonderheiten und Vielfältigkeiten als lebensfähige Einheiten verstanden. Darin waren auch immer gewisse Vorstellungen von der Eigenständigkeit des eigenen Landes enthalten, so daß die Wirtschaftskritiker nicht nur eine Abgrenzung gegenüber Spanien, sondern gleichzeitig gegenüber den anderen amerikanischen Regionen vornahmen. Damit erhielten diese Regionen, die durch das Beziehungsgefüge der alten Audiencias hinsichtlich Verwaltungs-, Wirtschafts-, Finanz- und Rechtsfragen gebildet wurden, zusätzlich neue Konturen. Insgesamt vollzog sich eine Abgrenzung auf zwei Ebenen: einerseits gegenüber dem Mutterland, andererseits gegenüber den anderen Regionen; mit dem Separationsprozeß ging ein Desintegrationsprozeß einher. Schon 1956 hat Inge Buisson diesen Tatbestand der doppelten Autonomiebestrebungen am Beispiel der Auseinandersetzungen zwischen dem spanientreuen Vizekönigreich Peru und dem von Lima ursprünglich abhängigen Generalkapitanat Chile in einem Aufsatz über die "Chilenische Opposition gegen die Wirtschaftspolitik des Vizekönigreichs Peru, 1778-1810", herausgearbeitet, der in Band 43, Heft 2 der Vierteljahrschrifi für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte erschienen ist.

Probleme der Staatsbildung — Einheit oder Vielfalt, Zentralismus oder Föderalismus, Monarchie oder Republik Angesichts der Krise der spanischen Monarchie sowie der militärischen und politischen Ereignisse in Europa ab 1808, durch die Spanien in den Strudel der napoleonischen Kriege geraten war, wodurch wiederum ein aktives Eingreifen Spaniens in seinen Kolonien nicht gestattet war, sahen sich die Kreolen vor die

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Möglichkeit — in gewissem Sinn auch vor die Notwendigkeit — gestellt, über ihre Zukunft selbst zu entscheiden. In den meisten hispanoamerikanischen Kolonien begannen nun ab 1810 die Unabhängigkeitskriege, ein Befreiungsprozeß, der keineswegs geradlinig verlief. Zunächst konnten sich nach Erklärung der Unabhängigkeit sogar die Anhänger Spaniens nochmals durchsetzen und besonders nach 1814, d.h. nach der Rückkehr Ferdinands VII. auf den spanischen Thron, Amerika erneut in ihre Gewalt bringen. Am Ende stand jedoch um 182S die Befreiung aller größeren hispanoamerikanischen Gebiete von der spanischen Herrschaft, lediglich Kuba und Puerto Rico blieben spanisch. Inge Buisson hat diesen parallelverlaufenden Separations- und Desintegrationsprozeß nicht nur in seinem ereignisgeschichtlichen Ablauf z.B. in der 1980 erschienenen Teilveröffentlichung zum Handbuch der lateinamerikanischen Geschichte dargestellt 2 , sondern in den Aufsätzen von 1969 "Desintegration und Staatenbildung in Hispanoamerika, 1810-1840" und von 1991 "Probleme der Staatenbildung im spanischen Südamerika, 1810-1830" die bei diesem Prozeß auftretenden vielfältigen Probleme diskutiert, vor die sich die Amerika-Spanier mit der Gründung eigener Staaten gestellt sahen. Sollten sich die einzelnen Regionen zu einer größeren Einheit zusammenschließen? Wie sollten die neuen Gebilde aussehen, sollten sie zentralistisch oder im Gegensatz zu der bisherigen Praxis eher föderalistisch konstituiert werden? Zahlreiche südamerikanische Patrioten wollten das nordamerikanische Verfassungsmodell übernehmen, das in den USA mit Erfolg praktiziert wurde und u.a. auch deshalb Vorbildcharakter genoß, weil die ehemaligen 13 englischen Kolonien sich in einer ähnlichen Unabhängigkeitsrevolution von der Kolonialmacht England gelöst hatten. Bald wurde deutlich, daß dieses Modell nicht für einen föderativen Gesamtstaat des ehemaligen spanischen Kolonialreichs gelten konnte. Gemeinsame "amerikanische" Anstrengungen über die eigenen regionalen Interessen hinaus — sei es als größerer staatlicher Zusammenschluß wie Großkolumbien, sei es als gemeinsames Befreiungsheer — gab es nur, solange der gemeinsame Gegner, das spanische Mutterland, noch nicht besiegt war. Als dies der Fall war, dominierten wieder die regionalen Interessen, machten sich Animositäten und Rivalitäten der einzelnen Staaten untereinander bemerkbar. Auch wenn dieses Modell nur für die jeweilige innere Organisation der neuen Staaten herangezogen werden sollte, so übersahen die Verfechter des föderativen Prinzips nach der Einschätzung von Inge Buisson, die sich dabei u.a. auch auf die Analyse des Zeitgenossen Simón Bolívar bezieht, die unterschiedlichen Ausgangssituationen in den englischen und hispanoamerikanischen Kolonien zur Zeit der Staatsgründungsphase hinsichtlich ihrer historischen Entwicklung, ihrer politischen Struktur bzw. Erfahrungen

2 Inge Buisson. Herbert Schottelius. Die Unabhängigkeitsbewegungen in Lateinamerika, Stuttgart 1980, (Handbuch der lateinamerikanischen Geschichte: Teilveröffentlichung).

1788-1826.

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sowie ihrer Bevölkerungszusammensetzung. Nicht allein die andere Größenordnung — die 13 englischen Kolonien waren überschaubare Territorien —, sondern auch spezielle hispanoamerikanische Bedingungen sprachen eigentlich gegen die Annahme eines komplizierten und politische Reife voraussetzenden Systems wie des Förderalismus: Eine koloniale Herrschaftsform, aus der wegen der verweigerten Beteiligung der Kolonialbevölkerung an politischen Entscheidungsprozessen eine mangelhafte politische Erfahrung resultierte; fehlende und unzureichende Ausbildung und Bildung der Bevölkerung; eine dadurch bedingte allgemeine politische Unreife des Volkes; große soziale und wirtschaftliche Unterschiede mit daraus sich ergebenden Gruppenegoismen und Spannungen; ferner eine ethnische Heterogenität und damit verbundene unterschiedliche kulturelle Wertvorstellungen, die wegen der ursprünglich positiv gedachten spanischen Rassentrennungspolitik bzw. Indianerschutzgesetzgebung nicht hatten überbrückt oder harmonisiert werden können. Tatsächlich haben sich Bolivars Befürchtungen bewahrheitet. In den meisten Ländern kam es seit Beginn der Staatsgründungen zu blutigen Auseinandersetzungen darüber, wie die Verantwortlichkeiten zwischen Regierung und den Provinzen aussehen sollten. Im allgemeinen beruhten die föderalistischen Bestrebungen weniger auf staatstheoretischen Überlegungen als vielmehr auf unterschiedlichen Regional- oder Gruppeninteressen. Die Erinnerung an die zentrale Kolonialverwaltung machte die Provinzen mit untereinander politisch und wirtschaftlich rivalisierenden Städten wie z.B. Cumana und Caracas in Venezuela, Buenos Aires und Montevideo im La-Plata-Gebiet, Cartagena de Indias, Santa Marta und Bogotá in Neu-Granada (Kolumbien) oder Guayaquil und Quito in Ecuador mißtrauisch gegenüber Zentralisierungsbestrebungen und Führungsansprüchen ehemaliger Verwaltungshauptstädte. Im La-Plata-Gebiet entzogen sich deshalb die Provinz Paraguay (1813) sowie die Banda Oriental, das heutige Uruguay, mit Montevideo (1814) der Kontrolle von Buenos Aires. Die Herrschaftsform des Föderalismus war darüberhinaus geeignet, persönliche Machtansprüche einzelner lokaler politischer oder militärischer Führer zu befriedigen, indem sie ihnen Bewegungsfreiheit gegenüber jeder Staatsgewalt verschaffen konnte. Diesem Machtanspruch standen Versuche wie z.B. von Simón Bolívar gegenüber, zentralistisch organisierte Staaten mit einer starken Exekutive und einer begrenzten Volksvertretung zu schaffen sowie Stabilität durch Ordnung als dem Gegenteil von Tyrannei zu gewährleisten (Bolivianische Verfassung von 1826). In diesen Auseinandersetzungen um Föderalismus oder Zentralismus verschwendeten die Patrioten unnötigerweise ihre Kräfte und erleichterten so zeitweilige — z.B. im nordandinen Raum — spanische Rückeroberungserfolge. Sie schwächten damit eine stabile Bewegung für ein eigenes politisches System. Gleichzeitig sind die Auseinandersetzungen jedoch auch Ausdruck eines noch nicht entwickelten allgemeinen Staatsbewußtseins, eines fehlenden politischen Konsenses, der die bestehenden Gruppen- und Regionalinteressen institutionell hätte relativieren oder einbinden können. So blieb bzw. entstand in dieser politischen Instabilität Raum für die Machtausübung der für

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Lateinamerika so typischen Caudillos. Beispielhaft hat Inge Buisson-Wolff diese Problematik der unterschiedlichen Staatsauffassungen in ihrem Aufsatz "El 'Ejército Libertador* y la formación del Estado Boliviano, 1825-1828" über die Gründe für die Auflösung des Befreiungsheeres und über die Staatsbildung Boliviens analysiert. Dieser Aufsatz, erschienen 1984 in einem Sammelband über die Probleme der Staats- und Nationbildung in Lateinamerika, der die Ergebnisse eines internationalen Symposiums in Hamburg und Köln anläßlich des 200. Geburtstags von Simón Bolívar enthält, zeigt auch sehr eindrucksvoll, wie nach dem Wegfall des gemeinsamen Gegners Spanien die verschiedenen "nationalen" Zugehörigkeiten an Sprengkraft gewannen und den Desintegrationsprozess förderten. Ungeachtet dieser Auseinandersetzungen aber stimmten die Kreolen, gleich ob sie föderalistisch oder zentralistisch gesinnt waren, dafür, einen Wechsel des Regierungssystems vorzunehmen und die Legitimitätsquelle staatlicher Herrschaft nicht mehr im dynastischen Prinzip und im Gottesgnadentum des Absolutismus, sondern nun im Prinzip der Volkssouveränität zu sehen. Sie vertraten dieses neue Prinzip nicht nur in der politischen Publizistik, sondern verankerten es auch in den Verfassungen. Damit war trotz der Auseinandersetzungen um Zentralismus oder Föderalismus immerhin eine gemeinsame Basis für eine zu schaffende staatliche Einheit gegeben. Es wäre jedoch verfehlt, diesen Wechsel von der monarchischen zur republikanischen Staatsform als Ergebnis eines längeren Demokratisierungsprozesses oder als Äußerung profunder demokratischer Überzeugung erklären zu wollen. Das taktische Kalkül in der Übernahme des Prinzips der Volkssouveränität ist nicht zu übersehen, ließ sich doch durch dieses Prinzip, welches das Volk als souverän sah, der Anspruch auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit gegenüber der Kolonialmacht rechtlich begründen. Hinzu kommt, daß allein schon der Tatbestand der Separation es nicht gestattete, daß die politische Führung zur Legitimierung ihrer Herrschaft auf das bisherige Legitimitätsprinzip, die Monarchie, zurückgriff. Eine neue Politik in einem neuen System, das mit Spanien brach, verlangte auch andere Begründungen von Herrschaft. Die Führer der Unabhängigkeitsbewegung in Amerika kamen dieser Notwendigkeit in der Weise nach, daß sie die Herkunft politischer Herrschaft — die Volkssouveränität — angaben und ihre Ausübung durch positives Recht und ein System festgesetzter Normen vor allem hinsichtlich abgegrenzter Kompetenzen, d.h. der Gewaltenteilung und der Repräsentation, der Träger der neuen Legitimitätsquelle, regelten. Die zahlreichen Verfassungen in der Staatsgründungsphase sind Ausdruck dieses Begründungszwanges. Diese Legitimität der Herrschaft ließe sich nach Max Weber als "legale Herrschaft" charakterisieren, insofern Herrschaft durch positive Rechtssetzungen legalisiert war; das bedeutete jedoch nicht, daß sie notwendigerweise auch demokratisch sein mußte. Zwangsläufig ergaben sich aus dem Wechsel des Regierungssystems und aus der andersartigen Legitimierung der Herrschaft ernsthafte Konsequenzen für die Beziehung des einzelnen zum neuen politischen System und damit für dessen

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Stabilität. Hatte das traditionale System die persönliche Beziehung zum Monarchen, die Loyalität zur Person des Königs als Herrschaftsausübenden gefördert und gefordert, so war nun die Loyalität gegenüber der gesetzmäßig geregelten Ordnung, d.h. gegenüber einer abstrakten Staatsauffassung, gefordert. Wie schwierig es war, den Staat zum neuen Bezugspunkt der persönlichen Loyalität aufzubauen, zeigt die weitere Entwicklung, denn auch in den folgenden Jahrzehnten blieb die Beziehung zu Personen das Loyalitätsprinzip in den neuen Staaten. An die Stelle des Monarchen traten nun häufig Persönlichkeiten aus den Unabhängigkeitskriegen, militärische Führer, Caudillos, die auf Grund ihrer politischen Macht und Verfügungsgewalt über ökonomische Ressourcen fürsorgerisch wirken konnten, als Objekt der Loyalität und erhielten dafür mehr Gehorsam als der abstrakte Staat. Autoritätsfixierung und hierarchisches Denken blieben auch nach der politischen Unabhängigkeit schwere Hypotheken für die neuen Staaten. Inge Buisson-Wolff hat zwar die Zeit der Unabhängigkeitskriege als eine wichtige Zäsur bezeichnet, zugleich aber immer wieder betont, daß die neuen Staaten mit dem Schritt zur politischen Emanzipation jedoch erst am Beginn eines längerfristigen und eigentlich bis heute noch dauernden Prozesses der Nationwerdung standen. Mit den Staatsgründungen hatte sich nur ein partieller politischer Wandel vollzogen; ansonsten war das koloniale Wirtschafts- und Gesellschaftssystem bestehen geblieben. Die Staatsgründungen waren die erste und unbedingte Voraussetzung, um das Ringen um soziale und ökonomische Integration auf höherer Stufe fortzuführen. Einer der wesentlichsten Faktoren, warum der politischen Befreiung keine Revolutionierung der sozio-ökonomischen Strukuren folgte, warum die koloniale ökonomische und soziale Struktur erhalten blieb, ist darin zu sehen, daß die Unabhängigkeit aus einer Rebellion der herrschenden kreolischen Eliten gegen das spanische Mutterland und seine Repräsentanten und nicht aus einem Aufstand der Eingeborenen- oder Mischlingsbevölkerung gegen die Kolonisten, d.h. gegen die kreolische Oberschicht, herrührte. Die politischen Ambitionen der Kreolen zielten auf Selbstbestimmung, Gleichheit und Gleichberechtigung mit den Spaniern für sich selbst, die Kreolen, die in Lateinamerika geborenen Spanier, nicht jedoch für Indios, afrikanische Sklaven oder die Mischlingsbevölkerung, die zusammen 4/5 der Gesamtbevölkerung ausmachten. Zwar bezogen die Kreolen die Indios in ihre Argumentation der Befreiungsbewegung von Spanien mit ein, indem sie zur Besinnung auf die Geschichte der vorkolonialen Zeit, der Konquista und ihrer Konsequenzen für die Indios aufriefen und die autochthone Bevölkerung in Wort und Bild geradezu verherrlichten. Doch läßt die Art und Weise, wie die Kreolen sich selbst in die dreihundert Jahre dauernde Unterdrückung der Indios einbezogen und eine "gemeinsame" Geschichte als Eroberte und Unterdrückte konstruierten, deutlich erkennen, daß die Kreolen das Vorhandensein der Indios lediglich zu Propagandazwecken nutzten und sich deren Schicksal bedienten, um den eigenen Herrschaftsanspruch — eben auch als Amerikaner — gegenüber Spanien zu legitimieren

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und die Überwindung von Unfreiheit als Ziel der Bewegung angeben zu können. Die Hinwendung zur indianischen Geschichte bedeutete weder die Übernahme indianischer Inhalte bei der beabsichtigten Staatsbildung noch eine Wiedergutmachung an den Indios. Diese Form der Instrumentalisierung der indianischen Geschichte findet sich auch später wieder. Ebensowenig wie in den Unabhängigkeitskriegen von "demokratischen" Bewegungen die Rede sein kann, lassen sie sich als große "Volksbewegungen" bezeichnen. Denn die tributpflichtigen indianischen Bauern, die rechtlosen schwarzen Sklaven, die unterdrückten Mestizen und Mulatten, deren soziale Proteste im 18. Jahrhundert nicht zuletzt wegen der fehlenden Unterstützung von seiten der Kreolen fehlgeschlagen waren, hielten sich gewöhnlich fern von den Kämpfen. An den Schlachten, die doch nur ihre Herren betrafen, nahmen sie meistens nur zwangsweise rekrutiert teil, und es machte ihnen wenig aus, ob sie auf kreolischer oder spanischer Seite kämpften. Mit der Erlangung der Unabhängigkeit nach 20jährigen blutigen und für die Wirtschaft verheerenden Kämpfen waren im ehemaligen spanischen Kolonialreich souveräne Staaten entstanden. Für sie hatten die jeweiligen kreolischen Führungsschichten auch das Hauptkriterium der neuen Nationen entworfen, das in besonderer Weise den ehemaligen kolonialen Status widerspiegelte: die Idee von politischer Freiheit und Selbstbestimmung. Die Feststellung, daß die Kreolen ihre Staaten als Republiken über staatsbürgerlichen Gleichheitsrechten errichteten, bedeutete jedoch nicht, daß nun tatsächlich Nationen von Staatsbürgern entstanden waren. Da die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte wie des aktiven und passiven Wahlrechts an bestimmte wirtschaftliche und soziale Voraussetzungen gebunden war, fiel die politische Macht in die Hände der kreolischen Eliten aus Grundbesitzern, Kaufleuten und Beamten sowie der sich herausbildenden Gruppe von Militärs. Indios, Schwarze und Mestizen blieben weiterhin von politischer oder sozial-ökonomischer Beteiligung ausgeschlossen. Da in diesem primär politisch fundierten Entwurf von Nation keine besonderen ethnischen und kulturellen Merkmale oder Kriterien formuliert wurden, welche die gesellschaftliche Situation und die heterogene ethnische Struktur berücksichtigt hätten, begannen die neuen Staaten ihren Eintritt in die internationale Staatenwelt zusätzlich mit schweren Defiziten. Es war weder geklärt, wie die Gesellschaften strukturiert und wie die bestehende soziale Ungleichheit überwunden, noch wie der ethnischen Heterogenität Rechnung getragen werden sollten. Überdies fehlte den neuen Staaten eine gesellschaftsweite Verständigung: die Zustimmung besonders der nichtprivilegierten Bevölkerungsgruppen. Trotz eines vorhandenen kreolischen Selbstbewußtseins in den ehemaligen Verwaltungseinheiten waren die Staatsgründungen in Lateinamerika anders als in Europa nicht die Erfüllung oder das Ergebnis von Nationalbewegungen, sondern vielmehr erst der Beginn solcher Bewegungen und Entwicklungen. Chronologisch gesehen gingen in Lateinamerika die "Staaten" den "Nationen" voraus. Gerade wenn man wie die moderne Nationalismus- und Nationenforschung Integration als unabdingbares Kriterium für das Vorhandensein von

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Nation ansieht, dann ist festzuhalten, daß mit den Staatsgründungen in den neuen Staaten nationale Integration weder in politischer noch in sozialer Hinsicht erfolgt war. Nationale Integration in politischer wie in sozialer Hinsicht mußte sich erst noch entwickeln bzw. gefördert werden; in politischer Hinsicht, weil innerhalb der neuen Staatsgrenzen lokale Interessen fortbestanden, die u.a. durch die widrige Topographie bedingt waren; in sozialer Hinsicht, weil die Gesellschaft immer noch hierarchisch gegliedert und durch eine ungerechte und ungleiche Besitzstruktur, besonders hinsichtlich der Verfügbarkeit über Grund und Boden, gekennzeichnet war. Nach der Staatsbildung waren die lateinamerikanischen Gesellschaften jeweils auf dem schwierigen Weg zur Nation.

Probleme der Nationbildung — Nationalismus Seit der Mitte des 19. Jahrhundert übernahm in fast allen lateinamerikanischen Staaten ein sich konsolidierendes Handels- und Bildungsbürgertum die Staatsgewalt und ging zu politisch-administrativer und wirtschaftlicher Modernisierung über, um nationale Entwicklung voranzutreiben. Nationale Entwickung, formuliert in nationalen Projekten, die die Realisierung der Staatsbürgernation, also gesamtgesellschaftlichen Wandel und die Vollendung des eingeleiteten Nationbildungsprozesses versprachen, wurde zum Schlagwort dieser dynamischen Gruppen, die mit der Errichtung eines souveränen Staates weder allgemeines Wachstum verwirklicht noch ihre eigenen ökonomischen und politischen Interessen erfüllt sahen. Die neuen Führungsschichten — besonders die Liberalen — vollzogen einen radikalen Bruch mit der iberischen Vergangenheit; zumindest bemühten sie sich darum. Besonders die katholische Kirche als Stütze der Kolonialmächte geriet ins Schußfeld; in einem oft überzogenen Antiklerikalismus versuchten die Liberalen, sie ihrer materiellen Güter, aber auch ihres Einflusses in Politik und Bildung zu berauben, womit jedoch angesichts einer katholisch geprägten Bevölkerung die innergesellschaftlichen Spannungen auch in den religiösen Bereich getragen wurden. Auch hinsichtlich Politik und Wirtschaft erfolgte eine Abkehr vom iberischen Erbe. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts begannen die neuen Eliten, sich vor allem an England und Frankreich als Modellen für politisches und wirtschaftliches Handeln zu orientieren und westeuropäische Ideen und Vorstellungen wie Utilitarismus und wirtschaftlichen Liberalismus im Sinne eines unkontrollierten Laissez-faire und Freihandels sowie Positivismus mechanisch zu übernehmen, ohne einerseits die jeweiligen gesellschaftlich-historischen Grundlagen überprüft und andererseits die Konsequenzen z.B. der Integration in die internationalen Wirtschaftsbeziehungen — nämlich neue Abhängigkeit und einseitige sozialökonomische Entwicklung — ausreichend analysiert zu haben. Die politische und ökonomische Elite nahm vielmehr eine bewußte Eingliederung in die westlich-europäische Zivilisation zu Lasten und auf Kosten der eigenen indianischen oder Mischlingsbevölkerung vor, die sie für Zivilisa-

IS tion und Fortschritt als untauglich und ungeeignet erachtete. Zahlreiche Regierungen propagierten deshalb die europäische Einwanderung, weil sie sich von einer "Aufweißung" Modernisierung und Entwicklung versprachen. Die Führungsschichten der neuen Staaten wollten westlich-europäisch werden und materiell möglichst schnell auf das Niveau europäischer Staaten gelangen. Dabei übersahen sie aber die kulturellen und ethnischen Strukturen, ließen diese unberücksichtigt, ja fügten mit der Einwanderung neue soziale und kulturelle Elemente hinzu, wodurch die Nationbildung zusätzlich erschwert wurde. Indem die eigenen kulturellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen vernachlässigt wurden, reduzierten die Eliten die angestrebte Entwicklung nur auf einen Teil der Gesellschaft. Zwar fand Wirtschaftswachstum besonders im Agrarbereich statt. Doch da die Eliten das eingeleitete wirtschaftliche Wachstum nicht an die Gesamtgesellschaft weitergaben, bewirkten sie keine gesellschaftliche Integration, eher eine Verstärkung der sozialen Abgrenzung. In ihrem 1988 erschienenen Aufsatz "Caminos, fines y resultados de la política liberal de desarrollo durante la Reforma en México" hat Inge Buisson-Wolff am Beispiel der Entwicklungspolitik der mexikanischen Reform-Ära für die Zeit 1855-1861 diese für die Nationbildung ambivalente Politik der Liberalen sorgfältig analysiert. Der ebenfalls 1988 in Band 25 des Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas publizierte Aufsatz über "Die mexikanische Hacienda im Spiegel deutschsprachiger Veröffentlichungen des 19. Jahrhunderts" ist insofern eine Ergänzung dieser wichtigen Untersuchung, als er Einblicke in die Situation auf dem Land, in die Veränderungen der landwirtschaftlichen Produktionsweisen der Großbetriebe, aber auch in das Verhalten gegenüber den Campesinos bzw. Indios vermittelt. Darüberhinaus besteht die Bedeutung dieses Aufsatzes darin, daß Inge Buisson-Wolff hier demonstriert hat, wie eher als Sekundärliteratur zu bezeichnendes Material für die Erhellung der Gesamtproblematik der Nationbildung fruchtbar gemacht werden kann. Dasselbe gilt für das Material, das sie im 1990 in Band 27 des Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas erschienenen Aufsatz "Frauen in Hispanoamerika in Reiseberichten von Europäerinnen, 1830-1853" ausbreitet. Die nationalen Projekte — Entwicklung, Fortschritt, Beteiligung an Wirtschaft und Politik — verwirklichten sich nur für die von der neuen Wirtschaftspolitik profitierenden Gruppen und Regionen. Der für die Nationbildung erforderliche Schritt, nach der Staatsgründung größere Bevölkerungskreise durch die Ausweitung aktiver Beteiligung und die dafür notwendige ökonomische Absicherung in das neue System einzubeziehen, wurde von den liberalen Führungsgruppen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht oder nur halbherzig unternommen. Die Modernisierungsmaßnahmen der Liberalen wurden zu einer Ideologie der gesellschaftlich etablierten Schichten, mit der sie ihren sozialen und ökonomischen Status legitimierten und gegenüber den Ansprüchen unterer Schichten verteidigten. Statt zur gesellschaftlichen Integration führten sie eher zur sozialen Abgrenzung, verschärften sogar die soziale

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Desintegration. Von Nationen konnte am Ende des 19. Jahrhunderts keine Rede sein. Besonders im 20. Jahrhundert und bis in unsere Gegenwart hinein hat es in Lateinamerika nicht an entwicklungsorientierter Politik gefehlt, um die Gesamtbevölkerung und nicht nur eine Minderheit von materiellen und sozialen Zwängen zu befreien und durch Hebung des allgemeinen materiellen Lebensstandards, durch Abbau von Ungleich Verteilung und sozialer Diskriminierung sozialen Wandel zu initiieren, also Nationen zu bilden, und den ökonomischen und sozialen Abstand zu den industriell fortgeschrittenen Ländern, mit denen Lateinamerika nach der Loslösung von den iberischen Kolonialreichen konfrontiert war, zu verringern. Dabei bedienten sich die politischen Gruppen durchaus des Nationalismus als Aktivierungs- und Mobilisierungsinstrument. Bei diesen Bemühungen kehren besonders zwei Forderungen und Maßnahmen als Angelpunkte zur Erreichung dieser Ziele — zwar unterschiedlich betont und bewertet — immer wieder: die Veränderung der Sozialstruktur und die Überwindung des ausgeprägten ökonomischen "Imperialismus", d.h. der Abhängigkeit, der wirtschaftlichen und politischen Fremdbestimmung von außen. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert und vor allem im 20. Jahrhundert sahen Intellektuelle, eine sich langsam herausbildende Mittelschicht und ganz allgemein die Bevölkerungsgruppen, die durch die Probleme des ungleichen Wirtschaftswachstums seit den zwanziger Jahren fortschreitend politisch mobilisiert waren, immer deutlicher die Abhängigkeit ihrer Staaten; eine ökonomische Abhängigkeit, die sich innerhalb dieser Staaten als Unterentwicklung und soziale Ungerechtigkeit fortsetzte, aber auch eine kulturelle Abhängigkeit, die sich in der Überbewertung europäischer — nicht-spanischer, nicht-portugiesischer — und nordamerikanischer kultureller Vorstellungen und der gleichzeitigen Ablehnung eigener kultureller Werte und Eigenheiten ihrer Bevölkerungen manifestierte. In der Analyse dieser abhängigen Situation, die den Staaten auch durch äußere Einflüsse wie die Interventionen der USA in der lateinamerikanischen Hemisphäre und durch wirtschaftliche Krisen im Gefolge der Weltwirtschaftskrise von 1929/30 oder der beiden Weltkriege immer wieder vor Augen geführt wurde, entstand eine politische Strömung, ein Nationalismus, der nun zunehmend die Funktion einer Strategie gegen die wirtschaftliche und politische Abhängigkeit und gegen den Imperialismus besonders der USA erhielt. Dieser ökonomisch motivierte antiimperialistische Nationalismus richtete sich, ohne aggressiv zu sein, nach außen gegen den Einfluß der ausländischen Unternehmen und der Industrienationen. Er führte in den einzelnen Staaten zur "Nationalisierung" der jeweiligen, von ausländischen Unternehmen abgebauten oder verarbeiteten Bodenschätze wie z.B. des Öls (1937 in Bolivien, 1938 in Mexiko) oder aller Erzvorkommen und Naturressourcen (1971 in Chile unter Allende); er förderte auch ganz allgemein das Bemühen um nationale Kontrolle über die wichtigsten Industrien, zumindest um eine größere nationale Beteiii-

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gung an diesen, durch die Beschränkung ausländischen Kapitals wie z.B. in Brasilien unter Getulio Vargas (1930-1945). Diese Form des Nationalismus konnte durchaus auch von den traditionellen nationalen Eliten und den sich langsam in sie integrierenden Mittelschichten praktiziert werden, bedeutete seine Anwendung doch nicht unbedingt eine Gefährdung ihrer sozialen und politischen Stellung. Er konnte andererseits aber den Effekt haben, die unteren Bevölkerungsschichten durch eine wenn auch geringe Beteiligung am wirtschaftlichen Wachstum und mit dem Hinweis auf den äußeren Feind, den "Imperialismus", zu beruhigen. So wichtig dieser Nationalismus auch war, er wirkte nur beschränkt "nationbildend". Eine stärker auf die Veränderung auch der internen Strukturen ausgerichtete Funktion hatte der sozial motivierte bzw. ökonomisch-sozial motivierte Entwicklungsnationalismus, der mit dem antiimperialistischen Nationalismus rivalisierte. Er sollte über die Abwehr des Imperialismus und das Aufbrechen der Abhängigkeit hinaus auch dazu dienen, die Unterentwicklung zu überwinden. Insofern war er zugleich nach außen und nach innen gerichtet. Es ist das Merkmal dieses Entwicklungsnationalismus, daß er die Abhängigkeit und die bestehenden internen Konflikte und Gegensätze bewußt machte, statt mit einer rhetorischen Verherrlichung der Nation soziale Konflikte und Gegensätze zu verschleiern. Seine Träger, linksorientierte Intellektuelle, Mittelschichten, die wachsende Arbeiterschaft, zum Teil auch Gruppen jüngerer Militärs, gingen nicht, wie es die traditionellen herrschenden Schichten taten, davon aus, daß die "Nation" schon verwirklicht worden sei. Sie betonten vielmehr die Defizite der lateinamerikanischen Gesellschaften und ihre externen und internen Gründe. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die kulturelle und ethnische Heterogenität der lateinamerikanischen Gesellschaft gerichtet. Nationalismus wurde beschworen im Sinne nationaler Unabhängigkeit und Freiheit von Fremdbestimmung; das sollte nicht nur Selbstbestimmung auf kulturellem, wirtschaftlichen und politischem Gebiet sowie Wirtschaftswachstum überhaupt bedeuten, sondern auch die Selbstverwirklichung des Einzelnen in der Nation durch die dafür notwendigen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Umstrukturierungen, inklusive der Annahme der eigenen kulturellen Werte und ethnischen Besonderheiten. Inge Buisson-Wolff hat diese Art des Nationalismus 1967 in ihrem Aufsatz "Geschichtsverständnis und Nationalismus in der bolivianischen Revolution", der in Band 4 des Jahrbuchs für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas erschienen ist, in einer akribischen Analyse der Geschichtsbetrachtung dieser Zeit dargestellt und so wesentlich zu einer differenzierten Betrachtsweise des Begriffs Nationalismus beigetragen. Es ist nicht zu übersehen, daß gerade der ökonomisch-sozial motivierte Nationalismus in zahlreichen Staaten Lateinamerikas wichtige Entwicklungsschübe gebracht hat und ein bedeutendes und unerläßliches Instrument zur notwendigen Einigung aller für wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit und soziale Veränderung eintretenden Kräfte darstellen kann, sozusagen als Motor

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des sozialen Wandels. Ein solcher Motor aber ist notwendig, denn noch ist der Prozeß der Nationbildung in Lateinamerika nicht abgeschlossen. Die Staaten sind immer noch auf dem Wege zur Nation. Inge Buisson-Wolff hat mit ihren Schriften nicht nur zur Erhellung dieses komplexen Problembereichs beigetragen, sondern immer wieder auch Ansätze, Forschungsfragen und Material aufgezeigt, mit denen er angegangen werden kann. Sie hat die genannte Problematik nicht nur in ihren eigenen Arbeiten zu Ergebnissen und Strategien geführt, sondern auch andere zu entsprechenden Untersuchungen angeregt und angeleitet. Der Herausgeber möchte mit der Zusammenstellung ihrer bisher nur verstreut in unterschiedlichen Publikationsorganen erschienenen Aufsätze diese zugänglich machen, die Forschungsleistung ihrer Verfasserin dokumentieren und zugleich als ihr Schüler seinen Dank abstatten.

Hans-Joachim König Katholische Universität Eichstätt

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ZU VERWALTUNGSFRAGEN: KOLONIALSPANISCHES AMERIKA

Zur Geschichte der Ausländer im spanischen Amerika. Die Stellung des extranjero in der Stadt Potosi vom 16. bis 18. Jahrhundert* Die Stellung des Fremden, der in den Bereich andersartiger Gemeinschaften eintritt, ist zeitlich und räumlich ein universalhistorisches Problem. Für die Geschichte fast aller großen Expansionsbewegungen besitzt es zentrale Bedeutung, soweit darunter das Verhältnis des Eindringenden zur autochthonen Bevölkerung verstanden wird. Das gilt auch für die spanische Ausbreitung auf dem amerikanischen Doppelkontinent, für die Beziehungen der spanischen Eroberer und Bewohner der Neuen Welt zu den von ihnen unterworfenen und beherrschten Indianern. In anderer Gestalt erhebt sich das Problem des Fremden in der spanischamerikanischen Kolonialgeschichte mit der Frage nach der Beteiligung von Angehörigen weiterer europäischer Nationen an der Erschließung des spanischen Überseereiches und ihrer Position innerhalb einer Gesellschaft, deren weißer Komponente sie ethnisch zugehörten, für die sie gleichzeitig jedoch als Nichtspanier ein fremdes Element darstellten. Die Gesetzgeber, Krone und Indienrat, haben die Öffnung des spanischen Herrschaftsgebietes in Amerika für Ausländer weitgehend abgelehnt. Eine umfangreiche Gesetzgebung, die schon kurz nach der Entdeckung der Neuen Welt eingeleitet wurde, spiegelt die Bestrebungen, dem extranjero, dem nicht auf dem Boden der spanischen Königreiche Geborenen, die Einwanderung und das Seßhaftwerden zu verwehren oder stark zu erschweren. Bis zum Ende der Kolonialzeit hat diese Grundtendenz wenig Änderungen und nur einmal, unter Karl V., eine kurze Unterbrechung erfahren (Konetzke 1945; Ots Capdequi 1940; Domínguez Compañy 1955). Im einzelnen ist die Ausländergesetzgebung für das spanische Amerika allerdings nicht einheitlich und konsequent gewesen. Generelle Einwanderungsverbote und Ausweisungsbefehle wechselten mit Teil verboten, die die Ausübung bestimmter Tätigkeiten, insbesondere Beteiligung am Handel, ferner den Aufenthalt in Häfen und Küstenzonen, Einwanderung und Aufenthalt von Angehörigen feindlicher Nationen untersagten1. Aufgelockert wurden die zahlreichen Prohibitivbestimmungen dadurch, daß sich die Krone seit der Zeit der Katholischen Könige das Recht vorbehielt,

*In: Otto Brunner, Dietrich Gerhard (Hrsg.). 1961. Europa und Übersee. Festschriftßir Egmont ZechUn. Hamburg: Hans-Bredow-Institut, 78-108. 'Recopilación, Libro9, Tit. 27: "Délos Extranjeros [...]"; Encinas 1945,440-462; Colección de documentos inéditos (DIA) relativos al descubrimiento, conquista y organización de las antiguas posesiones de América y Oceanía. 42 Bde. Madrid 1864-1884, 31, 21 und DIA 32, 82.

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durch besondere Lizenzen dem Fremden im Einzelfall den legalen Weg in das spanische Amerika zu öffnen, vorausgesetzt, daß er den Nachweis religiöser und politischer Zuverlässigkeit erbrachte. Das Recht zu dauerndem Aufenthalt und die Möglichkeit, Handel zu treiben, konnte der in den Indien lebende Ausländer durch Naturalisierung erwerben, auch wenn die Einwanderung illegal erfolgt war. Sie wurde davon abhängig gemacht, ob der Fremde im hispanischen Bereich schon so weit verwurzelt war, daß diese neuen Bindungen ein Äquivalent gegenüber denen der Abstammung boten. Zehn-, später zwanzigjähriger Aufenthalt in Spanien und seinen Kolonien, Haus- und Grundbesitz sowie Heirat mit einer Spanierin wurden im allgemeinen als ausreichende Vorbedingungen angesehen2. Die Kinder der extranjeros galten, wenn sie in Spanien oder seinen Kolonien geboren waren, iure soli als Spanier und unterlagen daher nicht mehr, wie ihre Väter, Verboten und Beschränkungen. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts eröffnete die Finanznot der spanischen Krone mit der composición die Möglichkeit für den Ausländer im spanischen Amerika, durch Zahlung einer bestimmten Summe an den Fiskus die Erlaubnis zu weiterem Verbleib in den Indien zu erkaufen. Auch dieser Ausweg zur Legalisierung verbotenen Aufenthaltes war an zahlreiche, im Laufe der Zeit wechselnde Bedingungen gebunden und die Entscheidung über seine Zulässigkeit der Krone und der Casa de Contratación in Sevilla vorbehalten (Recopilación, Leyes 12, 24, 28). Vollkommene rechtliche Gleichstellung mit der Bevölkerung spanischer Herkunft garantierte dem Fremden weder die Naturalisierung noch die composición. Im ganzen gesehen herrschte so für die Ausländer im spanischen Amerika während der Kolonialzeit kasuistisches Recht mit unverkennbaren Ausschlußtendenzen von Seiten des Gesetzgebers (Konetzke 1959, 95). Drei Gründe waren es vor allem, die Krone und Indienrat zu dieser Haltung bestimmten. Einmal die allgemeine militärische und politische Sicherung der überseeischen Besitzungen gegen ausländischen Zugriff. Zum andern die Abschirmung der Kolonien gegen das Eindringen von Andersgläubigen. So erklären sich die scharfen Einwanderungsbeschränkungen für Neuchristen und Personen, die mit der Inquisition in Konflikt gekommen waren, sowie für deren Nachkommen, gleichgültig ob spanischer oder nichtspanischer Herkunft. Da die Nachprüfung der Glaubenszugehörigkeit und -Zuverlässigkeit bei Ausländern auf besondere Schwierigkeiten stieß, sah man in ihnen eine potentielle Bedrohung der religiösen Einheit des spanischen Amerika. Nicht zuletzt befürchtete man durch sie die Gefährdung der Indianermission3, für deren Durchführung die spanische Krone für die Indien die Verantwortung übernommen hatte. Drittens

^Cédula vom 21.1.1562 (Encinas 1945,449) nennt zehnjährigen Aufenthalt mit Haus- und Grundbesitz, die Recopilación, Libro 9, Tit. 27, Ley 31 für die Zeit ab 1608 zwanzigjährigen Aufenthalt mit "casa y bienes raíces" als Bedingung. 3 Rccopilación, Libro 9, Tit. 27, Ley 9 begründet in dieser Kombination den Ausweisungsbefehl von 1602 für sämtliche in den Indien lebenden Ausländer.

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fand in der Ausländergesetzgebung das Bestreben des werdenden neuzeitlichen Staates Ausdruck, den Reichtum der Kolonien nicht mit anderen Nationen zu teilen, ihn vielmehr den eigenen finanziellen Bedürfhissen und Machtinteressen nutzbar zu machen. Dieser Reichtum der Neuen Welt wurde fast ausschließlich an den Edelmetallen gemessen, und man versuchte daher, deren Abfluß aus den Kolonien ins Ausland mit allen Mitteln zu verhindern und ihren Strom ins Mutterland zu leiten. Umgekehrt war der Wunsch, gerade an diesen Reichtümern teilzuhaben, der entscheidende Impuls für die Versuche von Ausländern, sich Eingang in das spanische Amerika zu verschaffen. Besondere Anziehungskraft übten diejenigen Gebiete aus, die den günstigsten Zugang zu den Edelmetallen eröffneten: Hafenstädte und Handelsplätze, die die Möglichkeit zum (illegalen) Tausch von Waren gegen Gold und Silber boten und, noch unmittelbarer, die Bergwerksorte an den Fundstätten der Edelmetalle selbst, so daß hier Schnittpunkte stark gegensätzlicher Tendenzen entstanden. Auf die Frage, zu welchen Formen und Ergebnissen ihr Zusammentreffen geführt hat, soll die folgende Darstellung der Rolle der Ausländer in der Geschichte der Bergwerksstadt Potosí eine Antwort versuchen, die allerdings nicht als pars pro toto gewertet werden darf, da Potosí unter den kolonialspanischen Städten in vieler Hinsicht eine Sonderstellung einnahm. Potosí in Hochperu (heute Bolivien) war im 16. und 17. Jahrhundert unbestrittenes Zentrum der Silberproduktion des spanischen Amerika. Im Andenhochland, viertausend Meter über dem Meeresspiegel, inmitten eines Gebietes, das bis dahin wegen der Unfruchtbarkeit des Bodens und aus klimatischen Gründen als nahezu unbewohnbar galt, war nach der Entdeckung von Silbervorkommen im Jahre 1S4S eine Stadt emporgeschossen, die ein Vierteljahrhundert später schon 120.000 Bewohner4 und nach einem Zensus von 1611 rund 150.000 Einwohner besaß3. Hinter diesen Größenordnungen blieben alle übrigen Städte des spanischen Kolonialreiches zurück. Im 18. Jahrhundert, als die Ergiebigkeit der Silbervorkommen schwand, schrumpfte die Einwohnerschaft auf 35.000 zusammen (Cañete y Domínguez 1952, 314), eine Zahl, die ungefähr dem Stand der Gegenwart entspricht. Der Besucher des heutigen Potosí kann die einstige Größe nur noch an einzelnen sichtbaren Überresten ermessen. Die schriftlichen Zeugnisse jedoch, die in großer Zahl in den Archiven Europas und Amerikas liegen, geben plastische Vorstellungen einer glänzenden Vergangenheit. Uber die Bevölkerungsstruktur dieser hektisch gewachsenen und rasch wieder aus der Reihe der größten Städte der Erde ausgeschiedenen Villa Imperial de 4

Die Bevölkerungszahlen Potosis bedürfen noch genauer Nachprüfung, ehe sie als gesichert gelten können. Vgl. Capoche 1959, 55, Anm. 57. Für die obige Angabe Martínez Arzanz y Vela 1945, 35-36; (Teilveröffentlichung einer Chronik aus der 1. Hälfte des 18. Jh., Verfassername wahrscheinlich Orsúa y Vela). Der Chronist ist in seinen Zahlenangaben unzuverlässig, bezieht sich hier jedoch auf einen häufiger genannten Zensus, der auf Anordnung Francisco de Toledos durchgeführt wurde. 'Unter Anführung älterer Chroniken: Cañete y Domínguez 1952, 36.

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Potosí ist im einzelnen wenig bekannt. Für ihre ethnische Zusammensetzung steht fest, daß das indianische Element von Anfang an stark überwog. Es war dies weitgehend das Ergebnis von Zwangsmaßnahmen, mit denen indianische Arbeitskräfte zur Silbergewinnung herangezogen wurden. Zunächst schickten spanische encomenderos, verdiente Konquistadoren und Siedler, denen die Krone die Indianertribute eines bestimmten Bezirks abgetreten hatte, ihre Indianer in die Bergwerke von Potosí, auf diese Weise die Tribute in persönliche Dienstleistungen umwandelnd (Helmer 1952, 235ff.)6. Seit 1572 unterlag dann durch das System der mita, das der Vizekönig Francisco de Toledo in Anlehnung an inkaische Vorbilder in Peru eingeführt hatte, jeweils der siebente Teil der männlichen indianischen Bevölkerung des Hochlandes zwischen 18 und 50 Jahren für zwölf Monate der Arbeitsverpflichtung in den Bergwerken und Erzmühlen der Stadt. Zahlreiche mitayos blieben auch nach Ablauf dieser Zeit in Potosí. Teils hatten sie zur Bestreitung der Reise, die sie in der Regel mit ihren Familien und häufig über große Entfernungen antraten, ihre bewegliche Habe verkauft, Getreide und Viehbestände als Wegzehrung verbraucht oder ihr Land in der Zwischenzeit an Spanier verloren, so daß eine Rückkehr in die alte Existenz unmöglich war. Andere hatten in Potosí Schulden gemacht, die abgedeckt werden mußten. Wieder andere blieben, weil sich ihnen als freie Arbeiter in der Silbergewinnung, im Kleinhandel und im Handwerk relativ günstige Verdienstmöglichkeiten boten, wie sich aus diesen Gründen insgesamt eine gewisse Anziehungskraft der Bergwerksstadt auf die indianische Bevölkerung der kargen agrarischen Gebiete des Hochplateaus geltend machte. Trotz hoher Sterblichkeit infolge der mörderischen Arbeitsbedingungen in den Bergwerken und für den Preis ständigen Rückganges des indianischen Elementes im Altiplano blieb Potosí daher Konzentrationspunkt der Hochlandindianer. Für 1577 wird ihre Zahl (ohne Frauen und Kinder) mit 20.0007, für das 17. Jahrhundert mit rund 50.000 angegeben (Cañete y Domínguez 1952, 35)8. Die weiße Bevölkerung wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf zwei- bis dreitausend9, im Jahre 1604 auf mehr als viertausend vecinos10

«Eine Monographie über die mita steht noch aus, ist jedoch nach spanischen und südamerikanischen Archivbeständen von der genannten französischen Forscherin zu erwarten, der ich an dieser Stelle zugleich für wertvolle Ratschläge und die kritische Durchsicht des Manuskriptes danke. 7 Matienzo/König, Potosí 23.12.1577 (Levillier 1918-1922, Bd. I, 456). 8 Auch für die indianischen Bewohner sind die vorhandenen Zahlenangaben schwankend und teilweise widersprüchlich. ®Matienzo/König, Potosí 23.12.1577; Aud. de Charcas I, 456. Francisco de Toledo/ König, Los Reyes 12.12.1577 (Levillier 1921-1926, Bd. VI, 10). '"Bericht des Corregidor Pedro de Lodeña, Potosí, April 1604; Archivo General de Indias (AI) Charcas 46. Ein Jahr zuvor hatte derselbe ihre Stärke mit nur 3.000 beziffert; Potosí 16.4.1603, ebd. Für den Beginn des 18. Jh. nennt Martínez Arzanz y Vela 1945, 35/36,

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geschätzt, die mit Haus und Familie, viele von ihnen als Bergwerksbesitzer, Eigentümer von Erzmühlen und als Kaufleute in der Stadt ansässig waren. Zu diesen Bürgern im engeren Sinne kamen die zahlenmäßig schwer erfaßbaren AKfeißen, die ohne casa poblada in Potosí wohnten. Eine besondere Gruppe unter ihnen bildeten die sogenannten soldados, die ohne Besitz, teilweise ohne feste Tätigkeit in der Stadt lebten und vielfach in den Stollen des Cerro, des Erzberges, der die Stadt spitzkegelförmig überragt, schnellen Reichtum suchten. Für 1604 wurde ihre Zahl auf dreitausend geschätzt". Sie bildeten ein unstetes und zu Gewalttätigkeiten neigendes Element innerhalb der weißen Bevölkerung und im 16. und 17. Jahrhundert ein ständiges Problem für die königlichen Beamten und die Audiencia von Los Charcas in der Nachbarstadt La Plata. Die relativ große Zahl dieser nichtseßhaften soldados weist bereits auf das für eine Bergwerksstadt typische Fluktuieren der Bevölkerung hin. Auf der einen Seite erfolgte starker Zustrom, andererseits bestand die Bereitschaft, die Stadt schnell wieder zu verlassen, sobald Krisen im Bergbau eintraten oder an anderer Stelle gewinnversprechendere Fundstätten entdeckt wurden. Im 16., aber auch noch im 17. Jahrhundert herrschte somit ständiger und unkontrollierbarer Wechsel auch innerhalb der weißen Bevölkerung und damit eine Situation, die gesetzlich verbotener Zuwanderung günstig war. Für die Ausländer, die unmittelbar nach 1S4S auf die Nachricht von der Entdeckung der Silbervorkommen nach Potosí kamen, wird man annehmen dürfen, daß sie, wie im Einzelfall nachweisbar ist12, gleich den spanischen Erstbewohnern in der Mehrzahl ehemalige Teilnehmer an Konquistazügen waren. Ortsbezeichnungen aus der Frühzeit der Stadt wie veta de los flamencos für eine der reichsten Erzadern des Cerro oder agua de los flamencos für eine Quelle im Gebiet des Cerro deuten darauf hin, daß eine Anzahl dieser Ausländer aus den niederländischen Besitzungen Karls V. stammte, so daß hier eine Nachwirkung der kurzen Zeitspanne von 1526 bis 1538 zu verzeichnen ist, in der die Zuwanderung und das Seßhaftwerden in Amerika den nichtspanischen Untertanen des Kaisers zu gleichen Bedingungen wie den Spaniern gestattet wurde. Für 1553 werden Portugiesen genannt13, die 1564 bereits eine eigene Straße bewohnten (Martínez Arzanz y Vela 1945, 385). Seit den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts verdichteten sich die Nachrichten über die Anwesenheit und den ständigen Zustrom zahlreicher Ausländer verschiedenster Herkunft, die der

knapp 3.000 vecinos. "Pedro de Lodeña/Kónig, Potosí, April 1604, AI Charcas 46. I2 Z.B. für den Florentiner Nicolas del Albenino, der um 1534 nach Peru gekommen und vor 1550 in Potosí ansässig geworden war. Biographische Angaben im Vorwort von J. T. Medina (Albenino 1930, 8-11). ,3 Ynformacion general de lo sucedido en Potosí sobre la rebelión y tiranía de Don Sebastian de Castilla y Egas de Guzman. Año de 1553. fols. 5v, 14v, 15, 17v, 25v, AI Justicia 487.

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fest legendäre Reichtum der Stadt angelockt hatte14. Ausländerlisten, die zu Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts aufgestellt wurden, lassen erkennen, daß es sich dabei in der Mehrzahl um illegal Eingewanderte handelte13. An diesem Anwachsen des ausländischen Bevölkerungselementes änderten auch die zahlreichen königlichen Anordnungen nichts, die für die Indien insgesamt oder speziell für das Gebiet der Audiencia von Los Charcas und die Stadt Potosí die Ausweisung aller unerlaubt dort lebenden Ausländer anordnete. Die örtlichen Vertreter des Königs stellten in der Regel die Befolgung dieser Bestimmungen in Aussicht und meldeten gelegentlich sogar ihre Ausführung16. Mehrfach fanden auch, allerdings sehr fragmentarische, Registrierungen statt. Tatsächlich aber wurde eine zwangsweise Entfernung nur in Ausnahmefallen vorgenommen. Für diese Unterlassungen in der Durchführung der Ausweisungsbestimmungen waren für die lokalen Behörden weniger Zweckmäßigkeitsüberlegungen maßgebend. In den Erörterungen zum Ausländerproblem in der Korrespondenz der Audiencia und der Corregidores überwiegen mit den Argumenten der bedrohten Sicherheit, der Abschöpfung des Reichtums durch Nichtspanier und der Infiltration von Irrlehren die Gründe, die gegen den Verbleib von Ausländern sprachen. In der Praxis jedoch war es unmöglich, die Ausweisungsbestimmungen zu verwirklichen; wurden doch durch sie nicht nur extranjeros betroffen, sondern auch Andersgläubige und Neuchristen gleich welcher Herkunft, Zigeuner und Vagabunden, Spanier, die ohne Genehmigung eingewandert waren und solche, die ihre Frauen nicht innerhalb bestimmter Fristen aus der Alten Welt nachgeholt hatten17. Zuzug und Verbleib der Personen, die kein Aufenthaltsrecht besaßen oder es verwirkt hatten, im einzelnen festzustellen und ihren Abtransport nach Spanien zu sichern, überstieg das Vermögen der zuständigen Stellen. Das waren Schwierigkeiten, die sich überall in den Indien auftürmten, die für Potosí aber angesichts besonders unübersichtlicher Bevölkerungsverhältnisse noch erhöht waren und zur Resignation der Behörden vor diesem Problem führen mußten.

'^Petición contra los extranjeros dado por el ffactor del nueuo rreyno de Toledo [...], Potosí 18.7.1577 (auf der Rückseite irrtümlich 1579), AI Charcas 35. ls Los estrangeros que ay en Potosí, Potosí 1584, AI Charcas 41. Hier werden 53 Personen genannt, von denen 31 nach eigenen Angaben ohne, 17 mit Lizenzen eingewandert waren; in 5 Fällen fehlen Angaben. Relación de los Estrangeros que ay en el Distrito de los Charcas, Potosí 19.2.16.10, AI Charcas 18 nennt 144 Auslinder, von denen nur 34 angaben, mit Lizenz eingewandert zu sein, 77 gaben illegale Einwanderung zu, für die übrigen fehlen Angaben (im Text selbst werden diese Zahlen auf Potosí "und Umgebung" bezogen). l6 Pedro Zores de Ulloa/König, Potosí 25.3.1590, AI Charcas 43; Audiencia de Charcas/ König, La Plata 17.2.1595 (Levillier 1918-1922, Bd. III, 252). ''Recopilación, Libro 9, Tit. 26; Libro 7, Tit. 3 und 4. Ferner Fiscal de Charcas/König, La Plata 11.5.1563 (Levillier 1918-1922, Bd. I, 99); Instrucción al Presidente Pedro Ramirez de Quiñones, Madrid 16.8.1563 (Levillier 1918-1922, Bd. I, 581).

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Das wirksamste Mittel zur Reduzierung der Ausländer erblickte die Audiencia in vorbeugenden Maßnahmen, in schärferer Überwachung der Häfen, die die Einfallstore für die ausländische Einwanderung bildeten18: Nombre de Dios als Endpunkt des vorgeschriebenen Weges, den die Schiffe aus Sevilla jährlich einbis zweimal zur Landenge von Panamä nahmen; die venezolanischen Häfen und schließlich Buenos Aires, das vor 1610 bereits der häufigste Durchgangshafen auf dem illegalen Weg nach Fotosi geworden war". Die Eingliederung dieser Ausländer in die Arbeitsprozesse der Silberproduktion läßt sich an generellen Urteilen von Zeitgenossen wie an Einzelschicksalen in großen Umrissen verfolgen. "Ich habe erfahren, daß hauptsächlich sie (die Ausländer) es sind, die sich der Suche und der Gewinnung von Edelmetallen widmen", faßte 1574 der Vizekönig Francisco de Toledo seine Erfahrungen nach einer Inspektionsreise durch die Provinz von Los Charcas zusammen, die vor allem Fotosi gegolten hatte20. Ähnliches berichtete ein halbes Jahrhundert später der Portugiese Lorengo de Mendo?a über die Verdienste seiner Landsleute um das Berg- und Hüttenwesen der Stadt (Mendoga 1630, 35ff.). Namen von Ausländern tauchen unter denjenigen auf, die in den Schächten und Stollen des Cerro auf der Suche und beim Abbau der Silbererze tätig waren21. Aus Ausländerlisten geht hervor, daß ein nicht geringer Prozentsatz in den Erzmühlen, den ingeniös, arbeitete22, die anfangs durch Pferde und Maultiere, später größtenteils durch das Wasser eines kleinen Flusses getrieben wurden, der die Stadt durchlief und in der monatelangen Trockenperiode durch ein System von Stauseen gespeist wurde. Aus der besitzlosen Ausgangsstellung des soldado, der im Cerro nach Silber suchte, und aus der abhängigen Arbeit für die Besitzer von Bergwerken und Erzmühlen gelang einem Teil der Ausländer der Aufstieg in den Kreis derjenigen, die selbst Anteil an den Minen des Silberberges besaßen. Das galt schon für die ersten Jahrzehnte in der Geschichte der Stadt, als die Gesetze Ausländern die Inbesitznahme von Bergwerken noch verweigerten. Da die Sicherung des Besitztitels erst durch Registrierung bei den zuständigen Behörden erfolgte, war Voraussetzung, daß sich diese, in der Regel der Corregidor der Stadt, zugunsten

'^Audiencia de Charcas/König, La Plata 17.2.1584 (Levillier 1918-1922, Bd. II, 108-109). ''Relación de los Estrangeros que ay en el Distrito de los Charcas, Potosí 19.2.1610, AI Charcas 18. ^Ordenanzas del Virrey Don Fr° de Toledo acerca de los descubridores y estacas de las minas. La Plata 7.2.1574 (Levillier 1921-1926, Bd. VIII, 154). 2l Bericht über den im Cerro verunglückten Londoner Enrique Sandí (vor 1585) (Capoche, 1959, 106). Vgl. die im einzelnen wenig glaubhafte, unter Bezug auf ältere Chroniken überlieferte Erzählung über den Türken Georgio Zapata (um 1561) bei Martínez Arzanz y Vela, 360-368. S. auch Lebenslauf des Portugiesen Gonzalo Díaz Montero für die 1. Hälfte des 17. Jh. (s. Anm. 26). 22 Los estrangeros que ay en Potosí, Potosí 1584, AI Charcas 41. Unter 53 Ausländem werden 8 für diese Tätigkeit genannt.

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der Ausländer über die bestehenden Verbote hinwegsetzten. Die Bergwerksordonnanzen, die Francisco de Toledo nach seinem Aufenthalt in Potosí und nach Beratung mit den erfahrensten Bewohnern der Stadt erließ23, legalisierten 1574 diesen Zustand, indem sie Ausländern im Vizekönigreich Peru das Recht zuerkannten, unter gleichen Bedingungen, mit denselben Pflichten und Privilegien wie die Spanier, Bergwerke in Besitz zu nehmen und auszubeuten24. >\fenn hier die im Widerspruch zu den Gesetzen entstandene Lage zurückwirkte und eine Modifizierung der Gesetzgebung veranlaßte, dann liegt die Erklärung dafür in dem starken Interesse, das der Fiskus an der Förderung der Silberproduktion besaß. Die Nutzung der Silbervorkommen lag zwar in privater Hand, aber der fünfte Teil des Silbers, der quinto, stand der Krone zu und stellte im 15. und 16. Jahrhundert ihre Haupteinnahmequelle in den Kolonien, die kostbare Fracht der nach Spanien zurückkehrenden Schiffe und die finanzielle Basis für die militärischen Unternehmungen der spanischen Herrscher dar. So sind die Konzessionen verständlich, die für die Entdeckung von Silbervorkommen, aber auch für die Ausbeutung bereits bekannter Fundstätten, den Ausländern und damit einem Personenkreis gemacht wurden, der sich als besonders erfolgreich im Bergbau bewährt hatte. Spätere Kommentatoren haben versucht, diese Bestimmung mit der allgemeinen Ausländergesetzgebung in Einklang zu bringen und sie dahingehend zu interpretieren, daß sie nur für naturalisierte Ausländer Gültigkeit beanspruchen könnte (Cañete y Domínguez 1952, 636). Praktisch spielte diese Frage jedoch eine geringe Rolle, denn es war möglich, ohne daß die Voraussetzungen der Naturalisierung geprüft, vor allem ohne daß der formale Akt durch Ausstellung einer carta de naturalización vollzogen worden war, in den großen und heterogenen Kreis der Bergwerksbesitzer einzutreten, der Spanier und Indianer, Frauen und Geistliche, Einzelpersonen und Kompagnien, Klöster und Laienbruderschaften, Bewohner der Stadt und Auswärtige umfaßte. Als Besitzer von Bergwerken und Erzmühlen wurden Ausländer in Potosí auch bei der Zuteilung von mitayos durch die dafür zuständigen Vertreter des Königs berücksichtigt25. Sie erhielten damit die begehrten billigen Arbeitskräfte, deren Entlohnung weit niedriger lag als diejenige der freien indianischen Arbeiter. Gleichzeitig kamen sie auf diese Weise in den Genuß eines hochverzinslichen Kapitals, denn nach einer verbotenen, aber unausrottbaren Praxis wurden

^Ordenanzas del Virrey Don Fr° de Toledo acerca de los descubridores y estacas de las minas, La Plata 7.2.1574 (Levillier 1921-1926, Bd. VIII, 149). ^Ordenanza VI: Que los extrangeros gocen del derecho y privilegios de descubridores, y puedan pedir estacas y demasías sin distinción de los demás (Levillier 1921-1926, Bd. VIII, 154). ^Capoche 1959, 82 (Tomás de Cheo), 96 (Pedro Panus, flamenco); Apuntamientos de los indios que el Licenciado Esteban Marañón y Don Pedro Zores de Ulloa y Diego Bravo señalan para las minas y para los ingenios y beneficios [...], Potosí 15.11.1591 pass., AI Lima 272.

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die mitayos, wenn man ihre Arbeit nicht selbst beanspruchte, weitelgegeben und die Differenz zwischen der "Miete" und dem Entgelt, das den mitayos tatsächlich gezahlt wurde, als Gewinn einbehalten. Nicht immer blieb die Stellung von Ausländern als dueños de minas e ingenios, als Besitzer von Berg- und Hüttenwerken, unbestritten. So beantragte der Fiscal der Audiencia von Los Charcas beim Indienrat die Enteignung eines Portugiesen, dem im Gebiet von Chocaya südwestlich von Potosí die reichsten Bergwerke gehörten. 1638 wurde die Audiencia daraufhin zur Stellungnahme über die rechtlichen Voraussetzungen für Zwangsmaßnahmen aufgefordert. Der Präsident der Audiencia berief sich in seiner Antwort auf die Ordonnanzen von 1574 als gesetzliche Grundlage für den Besitz von Bergwerken und führte weiterhin zur Verteidigung des Portugiesen dessen langjährigen Aufenthalt in den Indien sowie die Tatsache an, daß er durch Zahlung großer Beträge des quinto und durch Schenkungen der Krone nützlich gewesen sei. Das waren rechtliche und praktische Argumente, die die im Bergbau zu Reichtum gelangten Ausländer häufig für sich in Anspruch nehmen konnten, und so blieb es schließlich auch hier beim Ausweg der composición26. Eine allgemeine Tatsache, die auch bei der Besetzung von Ämtern mit extranjeros festzustellen sein wird, tritt hier in Erscheinung: Wo sich Ausländer in exponierten Stellungen befänden, wie in diesem Fall als Besitzer besonders ergiebiger Bergwerke, lag die Gefahr nahe, daß ihre Position angefochten wurde, und daß dann Fragen der Legalität von Einwanderung, Aufenthalt und Tätigkeit größere praktische Bedeutung als für den durchschnittlichen Nichtspanier erlangten. Neben dem Bergbau war der Handel ein kaum weniger einträgliches Betätigungsfeld. Die Versorgung von Potosí erfolgte über weite Distanzen, da die nähere Umgebung der Stadt unfruchtbar und unproduktiv war. Aus der Gegend des Titicacasees kamen chuño (getrocknete Kartoffeln) und charqui (Dörrfleisch) als Grundnahrung für die indianische Bevölkerung; aus dem Gebiet von Cuzco Coca als Stimulanz namentlich für die schwere Arbeit in den Bergwerken und Erzmühlen; aus den Tälern des Hochlandes und der Anden Getreide, Vidi, Obst, Wein und Geflügel. Maultiere und Holz lieferte das benachbarte Tucumán; Chile Getreide, Pferde, W&chs für die Kerzen, die in großer Zahl beim Untertagebau im Cerro gebraucht wurden sowie Rindsleder, das anstelle des knappen Holzes für die Leitern verwandt wurde, die in die Bergwerke hinabführten. Aus Europa kamen Gebrauchsgüter, Luxusartikel, aber auch Materialien und Gerät-

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Der Lebenslauf dieses Gon;alo Diaz Montero ist aufschlußreich für die wirtschaftlichsozialen Aufstiegsmöglichkeiten der Ausländer: als Soldat für die Araukanerkriege angeworben, in Buenos Aires gelandet und statt nach Chile in die Bergwerke Hochperus abgewandert, in Potosi bei der Arbeit im Cerro verstümmelt, durch Entdeckung einer Erzader in Chocaya reich, dann Besitzer einer Erzmühle geworden. Consulta en que el Presidente de La Plata responde en una Cedula Real [...] sobre los Portugueses que ay en su distrito, Potosi 1.3.1638, AI Charcas 21.

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Schäften für den Abbau und die Verhüttung des Silbers: aus Spanien Stoffe, Eisen, Kupfer, Hämmer und Spitzhacken; Tuche aus Flandern und England; Glas aus Venedig. Auf dem Wege über die Philippinen und den Pazifik wurden chinesische Porzellane, Seiden und indische Gewürze, von der Guineaküste Negersklaven eingeführt (Cobb 1949; Helmer 1953; Martínez Arzanz y Vela 1945). Die Transportkosten waren hoch, aber sie allein erklären nicht die Preise, die in Potosí verlangt und bezahlt wurden. Vielmehr war die Kaufkraft der Bewohner infolge des Silberreichtums des Cerro so stark, daß sie Gewinnspannen erlaubte, die im Handel im übrigen spanischen Amerika im 16. und 17. Jahrhundert niigends erzielt wurden. Daher die Anziehungskraft, die er auf alle sozialen und ethnischen Gruppen der Bevölkerung ausübte, so daß sich an ihm verbotenerweise auch hohe königliche Beamte, Angehörige der Geistlichkeit und nicht zuletzt extranjeros beteiligten27, obwohl ihnen Lizenzen nur in Ausnahmefällen erteilt28 wurden, da in der Regel erst mit der Naturalisation die Erlaubnis für Betätigung im Handel verbunden war. Im 16. Jahrhundert überwogen unter den handeltreibenden Ausländern in Potosí Einwanderer von der europäischen Mittelmeerküste. Korsen traten besonders hervor, eine Erscheinung, die Parallelen in anderen Gebieten des Vizekönigreiches Peru gehabt hat29. Auf einer frühen Ausländerliste des Jahres 1577 werden daneben Griechen, Dalmatiner und Genuesen als Krämer genannt30. Einer der ersten asientos für die Versorgung mit Quecksilber aus den Minen von Huancavelica, die nach der Einführung des Amalgamationsverfahrens zum unentbehrlichen Korrelat der Bergwerke Potosis geworden waren, wurde von der Krone mit einem Bewohner korsischer Herkunft geschlossen31. Zu Ende des 16. Jahrhunderts schoben sich die Portugiesen in den Vordergrund. Zwei Ereignisse, die zeitlich zusammenfielen, schufen die Voraussetzungen: Die 1580 vollzogene Personalunion zwischen Spanien und Portugal führte zwar nicht zur Aufhebung des Ausländerstatus der Portugiesen im hispanischen Bereich, erleichterte und verstärkte aber praktisch die portugiesische Einwanderung in die spanisch-amerikanischen Kolonien. Im gleichen Jahr 1580 wurde Buenos Aires wiedergegründet und damit ein Tor für die portugiesische Immigration aus Brasilien in das La Plata-Gebiet und weiter nach Hochperu aufgestoßen. Ein Zensus des Jahres 1610 spiegelt die Konsequenzen: Von 144 in Potosí und Umgebung registrierten Ausländern waren fast die Hälfte Portugiesen.

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Lic° Cepeda/König, La Plata 27.12.1582 (Levillier 1918-1922, Bd. II, 39). Als ein Beispiel die vom Indienrat erteilte Lizenz für den in Potosí ansässigen Paris Ballon Corso, Madrid 26.10.1581, AI Charcas 40. ^ l S ö l trafen Beschwerden bei der Krone ein, daß Korsen den Weinhandel in Peru zu monopolisieren drohten. Lic° Matienzo/König, Lima 13.4.1591 (Levillier 1918-1922, Bd. I, 12). ^Petición contra los extrangeros [...] Potosí 18.7.1577, AI Charcas 35. 3, Carlos Cor?o zusammen mit mehreren Spaniern. Lic° Alonso de Carvajal/König, Los Reyes 9.4.1580 (Levillier 1921-1926, Bd. VII, 456-457). (Erwähnungen von Carlos Cor?o u.a. in Levillier 1921-1926, Bd. II u. III, pass.). 28

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Berufsbezeichnungen fehlen, doch deutet die Tatsache, daß in einer Reihe von Fällen das Vermögen in Form von Schuldforderungen angegeben wurde, darauf hin, daß es sich hier um Kaufleute handelte32, die ihre AAbren auf Kredit verkauft hatten. Solche amtlichen Zahlen geben allerdings nur ein sehr unvollständiges Bild. Der portugiesische Anteil am Handel mit und in Potosí beruhte weitgehend auf dem illegalen Austausch von Silber gegen Konterbande wie Zucker, europäische ^kren, Negersklaven, die aus Brasilien über Buenos Aires eingeführt wurde. Dieser illegale Handel, für den das Interesse auf Seiten der spanischen Kolonisten um so größer war, als der Hafen von Buenos Aires dem direkten Schiffsverkehr mit dem Mutterland, von einer kurzen Unterbrechung abgesehen, bis ins 18. Jahrhundert verschlossen blieb, lag weitgehend in den Händen von portugiesischen Kaufleuten, die aus Brasilien in das La Plata-Gebiet einwanderten und sich von dort Zugang in die inneren Provinzen und das andine Hochland verschafften (Boxer 1952, Kap. III; Helmer 1953)33. Endpunkt und Ziel des Handels, der zugleich eine der Grundlagen für den wirtschaftlichen Aufstieg der La Plata-Region bildete, war Potosí34. Die Stellung und die Zahl dieser Portugiesen in der Stadt selbst ist allerdings schwer zu erfassen, weil es sich vielfach um reisende Kaufleute handelte, die nicht in Potosí ansässig waren, und weil sich der Umfang des Konterbandehandels genaueren Feststellungen entzieht. Soweit die Versorgung der Stadt mit europäischen Gütern auf legalem Wege mit dsn "Flotten und Galeonen" auf der festgelegten Route über Sevilla/Cádiz und den Isthmus von Panamá erfolgte, war der Zwischenhandel hier wie im übrigen Peru eine Domäne der Handelsherren in Lima. Auf der Messe in Portobelo kauften sie nach der Ankunft der Schiffe aus Spanien die V&ren auf, transportierten sie über Callao/Lima nach Potosí und verkauften sie dort mit hohem Gewinn. Im Jahre 1638 versuchte die Gilde der Bergwerks- und Erzmühlenbesitzir Potosis, eine Institution, die an Bedeutung und Einfluß zeitweise den Rat der Stadt übertraf, das Limenser Zwischenhandelsmonopol durch ausländische Kaufleute zu brechen. Ihre Deputierten schlugen dem König vor, Venezianern zugleich mit den Quecksilberzufuhren aus Europa, die diejenigen aus Huancavelica ergänzten, die Einfuhr von drei- bis viertausend quintales Eisen 3 sowie von Stoffen und Tuchen im Werte von einer Million Pesos zu gestatter. Als Begründung für den Plan, diesen Handel den Spaniern zu entziehen und un Ausländern zu übertragen, wurden die besseren Verbindungen der

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felacion de los Estrangeros que ay en el Distrito de los Charcas, Potosí 19.2.1610, AI Charcas 18. 33 Fir den illegalen Handel zwischen Brasilien und dem Rio de la Plata war mir nicht zugänglich: Canabrava 1944. 34 Audiencia de Charcas/König, La Plata 15.5.1599 (Levillier 1918-1922, Bd. III, 395). 35 1 quintal = 100 Pfund.

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Venezianer zu Deutschland genannt, das (aus Idria in Krain) die notwendigen Quecksilbermengen liefern sollte. Die Einfuhren waren nicht über den Isthmus von Panamá, sondern über den Hafen von Buenos Aires vorgesehen, um sie so vor dem Zugriff der Limenser Kaufleute zu sichern, gleichzeitig den Transportweg zu verkürzen und auf diese Weise die Waren zu verbilligen36. Der Vorschlag fand allerdings nicht die Zustimmung der Krone, die sonst immer wieder geneigt war, Rücksicht auf die Bergwerksbesitzer in Potosí zu nehmen. Bis ins 18. Jahrhundert hinein verteidigten die Kaufleute der "Stadt der Könige" erfolgreich ihr Zwischenhandelsmonopol. In der günstigsten rechtlichen Position unter den Ausländern befanden sich die Handwerker, da von Einwanderungsverboten und Ausweisungsbefehlen immer wieder diejenigen ausgenommen wurden, die oficios mecánicos und damit Berufe ausübten, an denen in den Indien ständiger Mangel herrschte. Für Potosí machte sich dieser Mangel besonders bemerkbar, da es zu den wenigen spanisch-amerikanischen Städten gehörte, in denen Handwerker über den Bedarf einer zahlmäßig starken Bevölkerung hinaus im größeren Umfang für die Erfordernisse einer exportierenden Wirtschaft gebraucht wurden. Vornehmlich auf diesem zweiten Gebiet, in der Arbeit für die Bergwerke und Erzmühlen, waren auch die nach Potosí eingewanderten ausländischen Handwerker verschiedenster Herkunft tätig. Die Zünfte der Stadt besaßen keine festen Zunftordnungen (Cañete y Domínguez 19S2, 51 OfF.). Damit fehlte ein Instrument, mit dessen Hilfe in anderen kolonialspanischen Städten der Versuch gemacht wurde, Nicht-Spanier aus den angesehenen Zünften und von der Stellung des Meisters auszuschließen37. Regelungen und Prüfungen des Ausbildungsganges bestanden ebensowenig, so daß es möglich war, ein Handwerk auszuüben, ohne dafür qualifiziert zu sein — ein allgemeiner Mißbrauch, an dem sich Spanier und Ausländer, Weiße und Farbige beteiligten. Ferner wurde die rechtliche Sicherung, die die Ausübung eines Handwerks dem Ausländer gab, benutzt, um unter ihrem Schutz der verbotenen Betätigung im Handel nachzugehen. Ein Prozeß, der 1618 in der Casa de Contratación um den Nachlaß eines Matrosen aus Nizza geführt wurde, der als Zimmermann und Hüttenverwalter in einer Erzmühle arbeitete, gleichzeitig im Handel Vermögen erworben hatte und unter seine Schuldner den Besitzer der Erzmühle selbst zählte, demonstriert diese Probleme am Einzelschicksal und zeigt gleichzeitig eine Skala von Möglichkeiten, die sich dem Ausländer in einer Gesellschaft ohne feste ständische Ordnung und Gliederung boten38.

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Gremio de Azogueros/Kónig, Potosí 12.3.1638, AI Charcas 117. "Ordenanzas de Doradores y Pintores, México 30.4.1557 (Konetzke 1953, Bd. I, 361, No. 247); Ordenanzas de Batihojas, México 12.6.1598 (Konetzke 1953, Bd. II, 50, No. 26). Vgl. Konetzke 1947, 441. 38 Autos sobre bienes de Antonio Reyalte (1618), AI Contratación 334 A — 1 — 18.

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Die von Ausländern erworbenen Vermögen verfielen nach den Gesetzen noch zu Lebzeiten dem Fiskus, wenn sie während illegalen Aufenthaltes oder durch verbotene Tätigkeiten erworben waren. Praktisch machte der Staat von diesen Bestimmungen keinen strengen Gebrauch und ließ es bei gelegentlichen composiciones bewenden, die in Potosí zwar im Einzelfall mit großer Härte durchgeführt wurden, im Ganzen aber nur geringe Beträge einbrachten (Mendoza 1630, 14). Konfiskationen größeren Ausmaßes trafen 1640 die Portugiesen der Stadt: Von den spanischen Behörden wurden sechzig portugiesische Einwohner registriert, zwanzig als reich befunden und vier Millionen Pesos beschlagnahmt, darunter allein zwei Millionen von einem einzelnen Portugiesen, der sein Vermögen dem Bergbau verdankte39. Das waren jedoch Maßnahmen, die einer speziellen Situation, dem Eintritt des Kriegszustandes zwischen Spanien und Portugal, entstammten. In der Regel konnten Vermögen nicht nur erworben und erhalten, sondern auch vererbt werden, solange sich die Erben in den Indien befanden. Da die Ausländer aber Einwanderer in erster Generation waren, die fast immer nahe Verwandte in ihrer Heimat zurückließen, besaß für sie auch die Frage nach den Möglichkeiten der Vererbung ihres Besitzes über die Grenzen Spaniens hinaus Bedeutung. Der vorgeschriebene Gang führte über die verschiedenen Instanzen des juzgado de bienes de difuntos in Amerika zur Casa de Contratación nach Sevilla. Die Fälle, in denen Vermögen oder Vermögensteile in Potosí verstorbener Ausländer diesen Weg nahmen, zeigen, daß solche Erbschaften tatsächlich gefährdet waren: Die Casa prüfte vor der Freigabe mit den Rechtsansprüchen der Erben, Portugiesen, Genuesen, Korsen, auch den Status des Erblassers und verfügte teilweise Einziehung, wenn als bewiesen angesehen wurde, daß die Verstorbenen sich ohne Lizenz in den Indien aufgehalten oder ihr Vermögen im Handel erworben hatten40. Die Spanier, für die bei Erbschaften ins Mutterland der gleiche Instanzenweg vorgeschrieben war, wiesen allerdings selbst die Mittel zur Ausschaltung der staatlichen Intervention: Aus Furcht vor der notorischen Korruption innerhalb des juzgado de bienes de difuntos und dem manchmal jahrzehntelangen Zeitverlust, der mit den bürokratischen Vorgängen verbunden war, wurden fingierte Erben eingesetzt, denen unter der Hand die Weiterleitung der Vermögen an die Erben in der alten Heimat anvertraut wurde41. In der Benutzung solcher Kanäle durch die in Potosí ansässigen Ausländer für die

39 Nach dem Manuskript der Orsúa y Vela Chronik (s. Anm. 4), die in ihren Zahlenangaben allerdings zu starken Übertreibungen neigt, zit. bei Hanke 1961, 21. 40 Autos sobre bienes de Manuel Alvarez, natural de Lisboa (1612), AI Contratación 309—1—4; sobre bienes de Franc" Corzo Lambertini, natural de la ciudad de Calvi [...] (1612, Antrag des Fiscal auf Vermögenseinzug; das Urteil fehlt) ebd., 309—1—16; sobre bienes de Antonio Reynalte, natural de Villafranca de Niza (1618), ebd., 334—A—1—18. Ferner AI Contratación 490—2—2 (4); 521—1—3 u. 529—7. 4 'Cabildo von La Plata/König, La Plata 12.2.1615, AI Charcas 31. Vgl. Gutiérrez Alviz 1942, 95/97.

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Übermittlung von Erbschaften, Legaten und Stiftungen in das Ursprungsland dürfte auch die Erklärung für den auffälligen Unterschied zwischen der Anwesenheit zahlreicher vermögender Ausländer in Potosí und der verschwindend kleinen Zahl wie der Geringfügigkeit von Hinterlassenschaften liegen, die als bienes de difuntos der Casa de Contratación zugingen. Wieweit haben Ausländer, ihrer wirtschaftlich-sozialen Position entsprechend, Eingang in den Cabildo, den Rat der Stadt, gefunden, der sich in der Mehrzahl aus Bergwerks- und Erzmühlenbesitzern, zum geringeren Teil aus den wohlhabenden Kaufleuten der Stadt zusammensetzte? Die rechtlichen Voraussetzungen waren fragwürdig: Wohl wurden im spanischen Amerika auch nichtnaturalisierte Ausländer als vecinos bezeichnet, wenn sie mit Haus und Familie ansässig waren42, und im fuero von Potosí wurde den vecinos die Ratsfähigkeit zuerkannt, ohne daß Ausnahmen genannt wurden43. Mit den allgemeinen Gesetzen, die Einwanderung und Aufenthalt von NichtSpaniern untersagten, war jedoch der Eintritt in den Cabildo, wie allgemein die Besetzung von Amtern mit Ausländern, kaum vereinbar (Cañete y Domínguez 1952, 547). Trotzdem wurde 1565, drei Jahre nach der Gründung des Cabildo, der Florentiner Nicolas del Albenino, ein Verwandter der Medici, Grubenbesitzer und einer der ältesten Bewohner Potosis, von den Mitgliedern dieser Institution zum regidor, d.h. zum Rat gewählt44. Das war allerdings noch zu einer Zeit, in der die Amtszeit der regidores nur ein Jahr betrug, eine Situation, die sich zu Ende des Jahrhunderts änderte, als die Ratsstellen durch Kauf auf Lebenszeit erworben wurden. Damit wurde einerseits ein direkter Zusammenhang zwischen der Wirtschaftskraft des Einzelnen, die zumindesten unter den Korsen und Portugiesen in Potosí erheblich war, und dem Eintritt in den Cabildo geschaffen. Andererseits gewann die Übernahme einer Ratsstelle damit größere Tragweite als bei einjähriger Amtszeit und entsprechend wurde ihr durch den Cabildo selbst wie durch die für die Bestätigung zuständigen Instanzen über den Vizekönig bis zum Indienrat erhöhte Aufmerksamkeit zugewandt. So erhoben Mitglieder des Rates wie auch die Audiencia von Charcas Einspruch, als der Corregidor der Stadt einen Korsen, "einen der einflußreichsten vecinos" in den Cabildo eingeführt hatte. Im voigeschriebenen Untersuchungsverfahren über die abgelaufene Amtsperiode wurde der Corregidor von seinem Nachfolger wegen dieser Handlung mit einer Geldstrafe belegt. Der Indienrat hob zwar das Urteil wegen mangelnder Beweise auf, doch wurde der rechtliche Ausgangspunkt, die

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Beispiele für das 17. u. 18. Jh. in: AI Indiferente General 1536 u. 1537 pass. La capitulación con conde (sie) y comisarios de la villa [...] y exención della, fol. 12v 21.11.1561, AI Charcas 32. "Extractos de los libros del illustrísimo cabildo de esta imperial fídelíssima Villa de Potosí [...], (Eintragung vom 1.1.1565). Das Manuskript ist in privater Hand, eine Mikrofilmkopie stellte Lewis Hanke, Columbia University, freundlicherweise zur Verfügung. 43

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Ratsunfähigkeit von Ausländern, nicht bestritten45. Inzwischen hatte der Korse die Ratsstelle jahrelang innegehabt und sie schließlich in aller Form weiterverkauft 40 . In einem anderen Fall erhob der Cabildo beim Indienrat Protest gegen den Vizekönig, der einen portugiesischen Bergwerksbesitzer für qualifiziert erklärt hatte, Alcalde (Stadtrichter) zu werden und damit in den Cabildo einzuziehen. In ihrem Einspruch beriefen sich die Mitglieder des Rates auf die Tradition, nach der seit der Gründung des Cabildo von Potosí diesem kein Portugiese angehört hätte47. Über Einzelheiten hinaus werden hier allgemeine Probleme deutlich, denen sich der Ausländer gegenüber sah: Sobald ein Amt mit weitreichenden Befugnissen oder mit sozialem Prestige verbunden war, mußte mit Widerspruch aus den Kreisen der Mitbürger und zumindesten einzelner Stellen innerhalb der kolonialen Beamtenhierarchie, die die Zulässigkeit der Amtsbesetzung zu prüfen hatten, gerechnet werden. Andererseits bot gerade das komplizierte Einsetzungsund Bestätigungsverfähren die Möglichkeit, im Mit- und Gegeneinander der kolonialen Behörden Instanzen zu finden, die, nicht zuletzt aus Rücksicht auf Zahlungen des Ausländers in die königlichen Kassen oder in die eigene Tasche, bereit waren, ihre Zustimmung zu geben. Bis der endgültige Entscheid des Indienrates vorlag, vergingen Jahre, in denen am bestehenden Zustand häufig nichts geändert wurde. Ähnlich waren die Möglichkeiten für den Zugang zu den Ämtern innerhalb der Kolonialbehörden. Um 1630 wurde von portugiesischer Seite festgestellt, daß Korsen in der Stadt solche Ämter besetzten, auch wenn sie mit Gerichtsbarkeit verbunden seien, "die diejenigen sind, mit deren Hilfe man in Peru zu Silber und zu Geld kommt", — mit einem Seitenblick darauf, daß dies den Portugiesen bisher nicht gelungen wäre (Mendoza 1630, fol. 4 u. 14v). Die Orsúa y Vela Chronik vermerkt dagegen, daß im 16. Jahrhundert ein Corregidor, als Vertreter des Königs die justicia mayor der Stadt — portugiesischer Herkunft gewesen sei48. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts übte ein Pörtugiese das Amt des leitenden Beamten der königlichen Finanzverwaltung in Potosí aus, obwohl der Indienrat Kenntnis von seiner Nationalität besaß49.

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Residcncia (sentencia) Bartolomé Astete de Ulloa, Madrid 19.3.1636, AI Escribanía de Cámara 1188. 46 Akten über Geronimo Corzo in AI Charcas 67 und (unter den Papieren von Juan de Villafuerte) Charcas 68. Hier ist kein Widerspruch des Indienrates gegen diese Besetzung der Ratsstelle ersichtlich. 47 Juan Rodríguez Pizarro por la Villa Imperial de Potosí, o. D. (im Indienrat 15.11.1653), AI Charcas 32. 48 Nach dem Manuskript der Chronik (Hanke i960, 35). 49 Augustin de Tixera trat dieses Amt 1705 an, 1708 war der Indienrat von seiner portugiesischen Herkunft unterrichtet, trotzdem blieb er bis zu seinem Tode 1716 im Amt. Dafür: Copia del Indice [...] que llegó a esta villa de Potosí a principios de Julio de este año de 1709, No. 5, AI Charcas 201; Deudas que resultaron en el tanteo que hisso de la Rl. Caja

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Im Ganzen aber blieben dies Einzelerscheinungen. Die Rechtsunsicherheit im Status des Ausländers wirkte sich soweit aus, daß für die Ämterbesetzung keine Parallele zur Bedeutung der Ausländer im Wirtschaftsleben der Stadt, in Bergbau und Handel, gezogen werden kann. Die Erhaltung der Glaubenseinheit, in der einzelne Forscher das Hauptmotiv der ausländerfeindlichen Gesetzgebung für die spanischen Kolonien gesehen haben (Domínguez Compañy 1955, 114 u. 117), tritt als Argument in der zeitgenössischen Diskussion des Ausländerproblems in Potosí vor den Erörterungen wirtschaftlicher Aspekte zurück. Aus der Tätigkeit der Inquisition geht jedoch hervor, daß Fragen der Glaubenszugehörigkeit unmittelbare Konsequenzen für die in der Stadt lebenden Ausländer gehabt haben. Gemessen an der Tatsache, daß sich unter den Einwanderern Holländer, Engländer, Niederdeutsche und Skandinavier befanden, bei denen vom Ursprungsland auf Zugehörigkeit zum Protestantismus geschlossen werden kann, war ihr Einschreiten allerdings selten. Der chilenische Historiker J. T. Medina, der die Inquisitionsprozesse im spanischen Amerika zwar nicht lückenlos, aber doch sehr weitgehend registriert hat, nennt in seiner Geschichte des für Potosí zuständigen Limenser Inquisitionstribunales nur einen solchen Fall, den eines flämischen Kaufmannes, der als Lutheraner angeklagt, jedoch ad cautelam freigesprochen wurde (Medina 1956, Bd. I, 308). Stärker gefährdet waren die Portugiesen, die im 16. und 17. Jahrhundert im spanischen Amerika allgemein auf Grund ihrer Herkunft der geheimen Zugehörigkeit zum jüdischen Glauben verdächtigt wurden. Angehörige dieser Nation stellten auch für Potosí einen hohen Anteil, fast ein Drittel, an der Gesamtheit der Prozesse, die gegen Einwohner oder in der Stadt begüterten Personen geführt wurden30. Die Zahl der von der Inquisition belangten portugiesischen Potosinos lag allerdings unter derjenigen ihrer Landsleute in Lima, obwohl Potosí in einem portugiesischen Urteil um 1630 als der Ort in Peru bezeichnet wird, in dem sich die meisten Portugiesen aufhielten (Mendoça 1630, 14). Die Erklärung für diesen Unterschied liegt weitgehend in administrativen Gründen, in der Anwesenheit des Tribunals der Inquisition in Lima, der Residenz der Vizekönige, während sich in Potosí nur ihre Kommissare befanden. Insbesondere blieben die Portugiesen Potosis von den Verfolgungswellen verschont, denen in den blutigsten Autodafés der spanisch-amerikanischen Inquisition von 1635-39 zahlreiche portugiesische Bewohner der "Stadt der Könige" zum Opfer fielen. Für Potosí lag der Höhepunkt bereits um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Nach der Jahrhundertmitte kamen nur noch vereinzelte Fälle vor. Wieweit

de la Villa de Potosí el Señor Don Pedro Vázquez de Velaszco [...], No. 721, 770, AI Charcas 273. ^Unter insgesamt 40 Prozessen entfielen 15 auf Portugiesen (Medina 1956,1 u. II, unter Hinzuziehung von Hanke 1961, Anm. 40, Angaben nach dem Catálogo Corbacho, Biblioteca Nacional, Sucre).

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sich in diesen Prozessen religiöse Motive mit denen der wirtschaftlichen Rivalität verbanden, könnte erst durch sorgfältige Analyse der Prozeßakten, durch Prüfung der wirtschaftlichen und sozialen Position der Angeklagten wie auch der Herkunft der Zeugen geklärt werden. Für Potosí wie für Lima, zwei Städte, in denen die wirtschaftlichen Erfolge der Portugiesen besonders sichtbar waren, liegt eine solche Motivverbindung jedenfalls nahe. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden die Audiencia von Charcas und der Indienrat durch vier in Potosí lebende Engländer vor die Frage gestellt, wieweit die Konversion den Status des Ausländers beeinflussen könnte. Unter Berufung auf ihre Bekehrung zum Katholizismus forderten sie Befreiung von einer Cédula, die 1736 einmal mehr die Ausweisung sämtlicher Nichtspanier befahl, die ohne Naturalisation oder besondere königliche Lizenz in den Indien lebten. Sie machten geltend, daß sie durch Verbannung und Abschiebung in ihr Ursprungsland Verfolgungen ausgesetzt würden, da sie fest entschlossen seien, eher im katholischen Glauben zu sterben "als zu den Irrlehren zurückzukehren, in denen wir in England ursprünglich erzogen wurden". Ein Grundsatz spanischer Kolonisation, der Schutz und die Verbreitung des katholischen Glaubens, wurde damit angerufen. Die Audiencia erteilte daraufhin provisorisch die erbetene Befreiung und Aufenthaltserlaubnis im Gesamtbereich ihrer Jurisdiktion. Der Indienrat hob die Exemtion jedoch wieder auf, belegte die Audiencia wegen Ungehorsams mit einer Geldstrafe und befahl die Einschiffung der Engländer nach Spanien, um dort über ihren weiteren Verbleib im spanischen Herrschaftsbereich zu entscheiden. Es ist fraglich, ob dieser Beschluß noch praktische Folgen für die Betroffenen hatte, nachdem ihr Fall erst drei Jahre nach dem allgemeinen Ausweisungsbefehl verhandelt wurde und die örtlichen Gewalten ihren Verbleib in Potosí begünstigten. Der Versuch aber, mit konfessionellen Begründungen die rechtliche Sicherung einer Gruppe von extranjeros zu erreichen, war fehlgeschlagen, da der Indienrat nicht zu einer Entscheidung bereit war, die ausländischen Einwanderern gerade aus den protestantischen Ländern den Verbleib im spanischen Amerika erleichtern konnte31. In den großen politischen und militärischen Krisen der Stadt sind ihre ausländischen Einwohner nicht als unruhiges Element in Erscheinung getreten. Das gilt für die Zeit der peruanischen Bürgerkriege, die in den Aufständen von Gonzalo Pizarra (1545 bis 1548) und Sebastián de Castilla (1553) Potosí stark in Mitleidenschaft zogen, weil das Silber des Cerro und die Bestände der königlichen Kassen, in denen der quinto auf den Abtransport nach Spanien wartete, begehrtes Ziel aller Parteien waren. Es trifft auch auf die Vicuña-Kriege zu, in denen sich in Potosí von 1622 bis 1625 die spanischen Einwohner verschiedener regionaler Herkunft in bewaffnetem Konflikt gegenübertraten.

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La Audiencia de Charcas da quenta en testimonio de la providencia que tomó en el recurso hecho por Dn Alexandro Serismour Dn Alexandro Blacut Dn Jorge Palpheri y Dn Juan Nihes naturales del Reyno de Inglaterra [...] La Plata 21.4.1738, AI Charcas 206.

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Dieser Tatbestand schloß jedoch nicht aus, daß die ausländischen Bewohner, namentlich in Zeiten der Gefährdung von außen, als potentielle Bedrohung für Frieden und Sicherheit der Stadt angesehen wurden. Solche Befürchtungen entstanden sofort, als englische und französische Korsaren im Südpazifik erschienen52. Der nachhaltige Eindruck, den die englischen Unternehmungen, insbesondere das Auftauchen von Drake auf der "Golden Hind" vor der peruanischen und chilenischen Küste (1578) hervorgerufen hatten, spiegelt sich noch in einer 1599 aufgedeckten Verschwörung: In La Plata und Potosí planten Spanier eine Erhebung gegen die Audiencia und den Corregidor und den Raub der königlichen Kassen, wobei sie auf die Landung von zweitausend Engländern in Buenos Aires zur Unterstützung des Aufstandes rechneten. Die Audiencia nahm das Komplott zum Anlaß, um warnend darauf hinzuweisen, daß die zahlreichen Portugiesen in ihrem Bereich ausländischen Angreifern den Weg nach Potosí ebnen könnten53. Die Reaktion der Audiencia ist kennzeichnend für das geringe Vertrauen, das die für die Sicherheit der Stadt verantwortlichen Behörden der Loyalität der portugiesischen Einwanderer entgegenbrachten, eine Einstellung, die auch die spanischen Mitbürger teilten und die vom späten 16. Jahrhundert an eine verhältnismäßig kontinuierliche Erscheinung gewesen ist. Interne und externe Faktoren wirkten hier zusammen: Die Portugiesen waren die stärkste Ausländergruppe in der Stadt, die überdies einen äußerlich sichtbaren Zusammenhalt dadurch wahrte, daß sie in einem geschlossenen Wohngebiet lebte (Hanke 1960, 15). Vor allem aber rückte die Nähe Brasiliens gewaltsames portugiesisches Eindringen in den Bereich des Möglichen. Realen Hintergrund erhielten diese Befürchtungen schon in der Zeit der Personalunion zwischen Spanien und Portugal, als die Paulistaner Bandeirantes auf ihren Streifzügen um 1639 bis in die Nähe von Santa Cruz de la Sierra am Fuße der Anden, im Vorfeld von Potosí, gelangten (Boxer 1952, 172; Taunay 1951, 67). Den Höhepunkt erreichte die Sorge vor portugiesischen Aggressionen, nachdem 1640 der Kriegszustand zwischen beiden Reichen eingetreten war. Die Audiencia, der Cabildo der Stadt La Plata und die Leiter der königlichen Finanzverwaltung in Potosí stellten 1641 dem Vizekönig diese Gefahr zugleich mit der Notwendigkeit vor, einen Visitator der Audiencia abzuberufen, der durch die Wiederaufnahme von alten Prozessen aus den Vicuña-Kriegen den inneren Frieden im Gebiet von Los Charcas in einer Zeit der Bedrohung von außen in Frage stellte54. In diesem Zusammenhang erscheint die Beschwörung der portugiesischen Gefahr allerdings gleichzeitig als Instrument, mit dessen

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U.a. Juan Lorano Machuca/König, o. D. (1577/78), AI Charcas 35. Audiencia de Charcas/König, La Plata 12.10.1599 und 28.4.1600 (Levillier 1918-1922, Bd. HI, 406 u. 450/51). M Hanke 1961, 22. Informe fecho por mandato del Exmo. Sr. Marques de Mansera, Virrey destos Reynos [...); und ders./König, Lima 26.7.1641. Beides AI Charcas 117. 53

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Hilfe die lokalen Gewalten sich der Kontrolle und der Beschneidung ihrer Funktionen durch einen unbequemen Visitator zu erwehren suchten, und damit als ein Kapitel mehr aus der langen Geschichte der Kompetenzstreitigkeiten in der Regierung und Verwaltung der spanischen Kolonien55. Nachträgliche Rechtfertigung erhielt das Argument der gefährdeten Sicherheit, das beim Vizekönig und beim Indienrat seine Wirkung tat und zur Abberufung des Visitators führte, durch einen Plan, der 1643 im portugiesischen Überseerat erwogen wurde. Salvador de Sá, ehemaliger Gouverneur von Rio de Janeiro, schlug einen kombinierten Angriff von See und mit Unterstützung der bandeirantes von der Landseite auf das wenig geschützte Buenos Aires vor und glaubte, aus eigener Erfahrung versichern zu können, daß nach dem Fall der Hafenstadt der Weg nach Potosí offenstünde. Der Überseerat lehnte das Projekt jedoch ab. Eine Expansion in Südamerika überschritt die Möglichkeiten Portugals zu einer Zeit, in der es alle Kräfte brauchte, um seinen kolonialen Besitz in drei Erdteilen, in Amerika, Asien und Afrika, gegen Spanier und Holländer zu behaupten (Boxer 1952, 170ff.). Für die in Potosí lebenden Portugiesen hatte die tatsächliche oder vermeintliche Bedrohung der Sicherheit der Stadt spürbare Folgen: Schon für die Zeit vor 1630 wurde von portugiesischer Seite Beschwerde geführt, daß Landsleute die Gefängnisse füllten und als Spione angesehen und behandelt würden (Mendo9a 1630, 7). Der Cabildo lehnte um 1653 den Eintritt von Portugiesen in den Rat ab, da hier "Angelegenheiten verhandelt werden könnten, die im Dienste Eurer Majestät sich gegen die Portugiesen richten " (Mendo\feise ging bis 1595 der Sklavenimport in das spanische Amerika vor sich, soweit er sich in legalen Bahnen bewegte. Zu den Lizenzträgern gehörten auch Bewohner von Los Charcas. Der gleiche Gerónimo de Soria, der 1554 das Memorandum gegen die Verwendung von Negern im Bergbau verfaßte, befand sich zu jener Zeit in Spanien, um dort die Erlaubnis für die Einfuhr von Negern zu erwirken (Mellafe 1959, 64). Hernán Pizarra, Bruder des Eroberers von Peru und wie Soria Bergwerksbesitzer und encomendero in Los Charcas, berichtete zur gleichen Zeit, daß er 120 Neger in Sevilla angekauft habe, von denen in zwei Transporten nur wenig über 30 ihren Bestimmungsort erreichten, da die übrigen in Folge schlechter Behandlung bereits in Sevilla und auf der Seereise gestorben, andere in den Zwischenhäfen und auf der Landenge von Panama geflohen wären. Pizairo zog aus dieser Bilanz den Schluß, daß es günstiger sei, Neger für den eigenen Bedarf erst an Ort und Stelle zu kaufen, trotz der Verdienstspanne, die man an den Zwischenhandel zahlen müßte23. Angesichts der hohen Zahl der von ihm erworbenen Sklaven liegt allerdings die Vermutung nahe, daß Pizarro ursprünglich beabsichtigt hatte, die Neger weiterzuverkaufen, um selbst am Sklavenhandel zu verdienen. Die Einfuhr von Negersklaven aus Übersee nach Hochperu folgte bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts der Route, die durch das spanische Handelssystem für las Indias festgelegt war. Die Sklaven wurden von der iberischen Halbinsel oder aus Afrika direkt nach Nombre de Dios, dem Ankunftshafen an der atlantischen Seite der Landenge von Panama, gebracht. Von dort wurde der Isthmus überquert. Panama war Ausgangspunkt der Pazifikfährt über Callao nach Arica, dem Hafen für die Versorgung Hochperus. Über die Küstenkordillere wurden die Sklaven schließlich ins Hochland transportiert. Dieser mühevolle und lange Weg wurde in Kauf genommen, solange er nicht nur der offiziell vorgeschriebene, sondern tatsächlich auch der einzig mögliche nach Hochperu war. Mit der Erschließung von Tucumán, die von Los Charcas ausging, und mit dem Vorrücken der spanischen Siedlungen von Paraguay ins La-Plata-Gebiet — eine Bewegung, die 1580 zur Wiedelgründung von Buenos Aires von Norden her führte — war jedoch eine Alternative gegeben. Es gab 22

o. S.

Hemán Pizarro/Indienrat, Medina del Campo 3.5.1554. ANS Archivo Gay Morlat, t. 120,

60 jetzt eine gangbare Verkehrsverbindung vom Atlantik zu den hochperuanischen Minengebieten. Für den Negerhandel bot dieser Weg erhebliche Vorteile. Die Seereise, die die größten Verluste während des Transportes verursachte, wurde verkürzt, insbesondere dann, wenn die Neger aus Brasilien oder aus Afrika ohne den Umweg über Sevilla kamen. Der verbleibende Landweg war zwar länger als der von der Wfestküste ausgehende, er hatte jedoch den Vorzug, daß er über lange Strecken durch Tiefebenen führte und die flacher ansteigenden Ostkordilleren leichter zu überwinden waren als die steile Küstenkordillere. Jetzt aber tauchte für Hochperu die Problematik einer vom Mutterland gesteuerten Wirtschaftspolitik auf, die den Bedürfnissen und Wünschen der einzelnen Kolonien nicht oder nur ungenügend Rechnung trug; denn aus Rücksicht auf schon bestehende, festbegründete Interessen hielt die Krone an den alten Handelsrouten fest. Diese Rücksichtnahme galt zwei mächtigen kommerziellen Gruppen: den Sevillaner Kaufleuten, die durch das Konvoi-System der "Flotten und Galeonen" die Messe auf der Landenge von Panama mit Waren überseeischen Ursprungs belieferten; und den Handelsherren in Lima, die die auf der Messe mit den Galeonen eintreffenden W&ren aufkauften und sie über die Pazifikroute weiterverteilten. Auch das La-Plata-Gebiet sollte in dieses Handelsschema eingefügt werden, d.h. seine Versorgung sollte von Westen her, auf transandinem Weg erfolgen und insbesondere der aufnahmefähige und zahlungskräftige hochperuanische Markt eine Domäne der Limenser Kaufleute bleiben. Der Hafen von Buenos Aires wurde daher weder für die Einfuhr von Waren noch von Sklaven freigegeben; nur in Ausnahmefällen wurden entsprechende Lizenzen erteilt (Canabrava 1944; Studer 1958). Dennoch war der Handel über Buenos Aires nach Hochperu, der für die Hafenstadt am La Plata eine Lebensfrage, für Hochperu eine Erleichterung seiner Versorgung bedeuten mußte, auf die Dauer nicht auszuschließen. Die Initiative für seine Eröffnung hat Francisco de Vitoria, Bischof von Tucumän, ergriffen (Canabrava 1944, 60-66; Helmer 1953). Er war eine eigenwillige Persönlichkeit, wovon seine Auseinandersetzungen mit den Vertretern der weltlichen und der geistlichen Obrigkeit Zeugnis ablegen. Aber darüber hinaus war er zeittypisch in mehrfacher Beziehung; einmal in der Begierde, teilzuhaben an dem Silber von Potosf, die wie ein Sog die Menschen erfaßt und auch vor der Geistlichkeit nicht haltgemacht hatte; zum andern in der Ausnutzung der kommerziellen Möglichkeiten, die sich für die Portugiesen nach 1580 im La-Plata-Gebiet und seinem Hinterland bis hinauf nach Hochperu und in das Kerngebiet von Peru ergaben. Denn Francisco de Vitoria war portugiesischer Kaufmann gewesen, der seine Heimat verlassen hatte und in ein Handelshaus in Lima eingetreten war. Später wurde er dort Dominikanermönch und schließlich Bevollmächtigter seines Ordens in Rom und in Madrid. Nach der Vereinigung der Kronen von Spanien und Portugal, durch die die Situation der Portugiesen im spanischen Herrschaftsbereich erheblich gebessert wurde, gelang ihm unter Ausnutzung seiner Beziehungen zum spanischen Hof und zur Kurie

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der Aufstieg zum Bischof von Tucumän. Seine Diözese war ein weites Gebiet, das heutige Nordwestaigentinien, aber sie war arm und zählte nur ein knappes halbes Dutzend städtischer Siedlungen. Dafür bildete Tucumän die Brücke zwischen der La-Plata-Region und dem silberreichen Hochperu, und der geschäftskundige Bischof erkannte die Vorteile, die sich aus dieser Situation ergaben. Auf der Reise zum 3. Kirchenkonzil von Lima (1583) hielt er sich zunächst längere Zeit im hochperuanischen Minengebiet auf. Auf der Rückreise, ein Jahr später, beantragte er in der Stadt La Plata bei der Audiencia von Los Charcas, die damals sowohl für Hochperu wie für Tucumän, Paraguay und das La-PlataGebiet zuständig war, sie möge ihm die Einfuhr von Negersklaven aus Brasilien über Buenos Aires für seinen persönlichen Dienst gestatten. Die Begründung des Antrages verband geschickt Hinweise auf die Würde des geistlichen Standes und auf die Respektierung der Indianerschutzbestimmungen durch den Bischof. Er habe seine Reise nach Lima ohne Bedienstete und daher unter großen Entbehrungen auf sich nehmen müssen, weil die Mitführung von Indianern aus einer Provinz und aus einer Klimazone in die andere verboten sei. Negersklaven könnten Ersatz bieten, doch stieße ihre Beschaffung auf Hindernisse [...] por ser pocos e caros los que en ellos [estos reynos] ay en comer tanto peligro traerlos por Nombre de Dios y Panama y por tan largos caminos y bariedad de temples como son los del Callao a estas partes donde la mitad de los pocos que entran se mueren antes de seruirse dellos23. Tatsächlich gab die Audiencia dieser Bitte statt und erlaubte Vitoria die gebührenfreie Einfuhr von Negersklaven aus Brasilien über Buenos Aires nach Tucumän24. Doch wurde daran die Bedingung geknüpft, daß die Neger nachweislich mit Lizenz der spanischen Krone in Brasilien eingeführt und die dafür fälligen Abgaben ordnungsgemäß bezahlt worden seien. Der Bischof entsandte daraufhin ein Schiff, das vor allem Silber mitführte, nach Brasilien, wo er durch Agenten und Freunde den Boden für seine Transaktionen schon hatte vorbereiten lassen. 1587 kehrte das Schiff mit 150 Negersklaven25 und Waren zurück, wurde aber in der La-Plata-Mündung von englischen Korsaren aufgebracht und geplündert. Nur ein Teil der Neger erreichte zusammen mit der Mannschaft den Hafen von Buenos Aires. Francisco de Vitoria ließ diese Gruppe, die mindestens

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Audiencia de La Plata/Vizekönig, La Plata 13.1. 1588 (Levillier 1918-1922, Bd. II, 319). ^Die entsprechende Anordnung der Audiencia aus dem Jahre 1584 ist verzeichnet in: Ministerio de Relaciones Exteriores y Culto (Hrsg.). Catálogo de Documentos del Archivo de Indias en Sevilla referentes a la Historia de la República Argentina, 1514-1810, Bd. I, Buenos Aires 1902, 76. Unter der dort angegebenen Signatur befindet sich das Dokument jedoch nicht im AGI. ^Audiencia de La Plata/Vizekönig, La Plata 13.1.1588 ( Levillier 1918-1922, Bd. II, 320). Dagegen spricht der Gouverneur von Tucumán von nur 80 bis 90 Negern. Juan Ramírez de Velasco/König, San Antonio de Tucumán 6.4.1587 (Levillier 1920, Bd. I, la, 195).

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40 bis 60 Sklaven zählte, sofort nach Tucumán bringen, offenbar in der Absicht, sie nach Hochperu weiterzuverkaufen. Durch die Intervention der Engländer hatte das Unternehmen des Bischofs jedoch eine unerwünschte Publizität gewonnen und die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich gelenkt. Die Audiencia leitete noch im gleichen Jahr eine Untersuchung ein, ob für das ausgeführte Silber der der Krone zustehende fünfte Teil entrichtet worden und ob der Edelmetallexport überhaupt statthaft gewesen sei; ferner sollte festgestellt werden, ob die Sklaven in Brasilien den Bestimmungen der Lizenz entsprechend eiworben worden seien. Beides erschien nach den bei der Audiencia und im Iadiinrat eingetroffenen Informationen mehr als zweifelhaft. Nähere Auskunft über den Weg der Sklaven geben mehrere an den Indienrat gerichtete Schreiber des Gouverneurs von Tucumán, eines persönlichen Feindes des Bischofs. Mit unverkennbarer Schadenfreude, die seinen Berichten mehr Farbe verleiht, als sie den amtlichen Dokumenten dieser Zeit sonst eigen ist, schilderte er, wie die Neger von einem Kommissar der Audiencia in Tucumán beschlagnahmt und nach Hochperu in Bewegung gesetzt wurden. Der Bischof sei ihnen in fliegender Hast gefolgt, um für sich zu retten, was noch zu retten wäre; allerdings nictt, ohne noch eine große Viehherde voranzuschicken, für die er in den Mineistádten Hochperus ebenfalls einen aufnahmefähigen Markt erwartete26. Die Neger wurden zunächst in Potosí festgehalten; über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Mit ihnen aber war die neue Handelsroute eröffnet worden, auf der von nun an Neger und Waren aus Brasilien und Übersse über Buenos Aires nach Hochperu einströmten und auf der in umgekehrter Fichtung Silber aus den hochperuanischen Minen über die Hafenstadt am La Pata das spanische Amerika verließ. Von dieser Entwicklung hat auch ihr Initiator, Francisco de Vitoria, noch für kurze Zeit profitiert. Nicht immer ging dieser Handelsverkehr auf illegalem Wege vor sch. Die Krone selbst sah sich gezwungen, aus Rücksicht auf die Lebensfähigceit der wiedergegründeten Hafenstadt am La Plata die Handelssperren wenigstens zeitweise aufzulockern. Für den Negerhandel geschah das vor allem dunh zwei Verträge, die um die Wfende vom 16. zum 17. Jahrhundert geschlossen vurden. Der erste von ihnen war der Vertrag mit Gómez Reynel (1595-1601), nit dem die Krone zur Praxis der großen asientos in der Sklaveneinfuhr üSerging. Reynel verpflichtete sich, jährlich 3.500 Neger aus Sevilla, Lissabon (der aus Afrika über die Kanarischen Inseln in das spanische Amerika zu bringen. Als besonderes Zugeständnis wurde ihm innerhalb dieser Quote die Alleiiversorgung von Buenos Aires mit jährlich 600 Sklaven übertragen (Veitia Linage 1945, 386ff.). Zur Frage, ob es dem Asentisten erlaubt sei, die Neger iber die Küstenzone hinaus ins Binnenland zu transportieren und sie dort zu verkaufen, sagten die Bestimmungen des Vertrages nichts. Sie wurden aber in diesen Sinne

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Juan Ramírez de Velasco/König, Santiago de Tucumán 29.7.1587 und 1010.1587 (Levillier 1920, Bd. 1, la, 215 u. 221 ff.).

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interpretiert, denn Reynel setzte in Potosí einen angesehenen Börger als Agenten ein, der vor dem Stadtschreiber offiziell als Bevollmächtigter für den Verkauf von Sklaven auf Rechnung des Asentisten urkundete. Ein Auftrag Reynels, der 1601 in den Notariatsprotokollen von Potosí erscheint, lautete auf den Verkauf von 50 Sklaven aus Buenos Aires27. Die Sterblichkeit dieser Neger lag mit 6 % verhältnismäßig niedrig und sprach nicht zuletzt für den Vorteil des Landweges vom Rio de La Plata gegenüber der alten Route über die pazifische Küste nach Hochperu. 1602 wurde der Erlös aus diesen Verkäufen zur Verfügung Reynels von Potosí nach Lima gesandt: 11.000 Pesos in Silberbarren28. Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein neuer asiento in Kraft, der dem Portugiesen Juan Rodríguez Coutinho, Generalkapitän von Angola, die Alleinversoigung der Neuen Welt mit Negern übertrug (1601 bis 1604), und der ebenfalls die Einfuhr von jährlich 600 Sklaven nach Buenos Aires erlaubte (Scelle 1906, Bd. I, 384). Ein Bruder von Coutinho, der von Cartagena aus als Generalagent die Interessen des Asentisten in Amerika wahrnahm, setzte für Lima und Potosí je einen Bevollmächtigten ein und trug damit der Tatsache Rechnung, daß die Silberstadt mittlerweile ein großer und einträglicher Sklavenmarkt geworden war29. Auf 450 wurde im Jahre 1603 die Anzahl der jährlich allein aus Brasilien über Buenos Aires eingeführten und in Potosí verkauften Neger veranschlagt30, eine Schätzung, die Sklaven einbeziehen dürfte, die über den Schmuggelhandel nach Hochperu gelangten; denn dieser ging auch während der Laufzeit der asientos weiter, stellte er doch höhere Gewinne in Aussicht als die durch zahlreiche Abgaben belastete Einfuhr auf legalem Wege. Im Jahre 1618 wurden die gesetzlichen Beschränkungen für den Negerhandel wieder für kurze Zeit und in begrenztem Umfang erneut gelockert. In Ergänzung des asiento, den die Krone 1615 mit dem Portugiesen Delvas geschlossen hatte, wurde diesem das Recht zugestanden, 450 Sklaven innerhalb von drei Jahren nach Buenos Aires einzuführen und ihm ausdrücklich erlaubt, diese im Binnenland bis nach Peru weiterzuverkaufen (Scelle 1906, Bd. I, 445; Studer 1958, 93). Das auffallend hohe Angebot von Negersklaven, das ab 1618 in Hochperu einsetzte, war jedoch das Ergebnis ganz anderer Transaktionen, nämlich der engen Zusammenarbeit zwischen Schmuggelhändlern und Behörden vom Rio de La Plata bis nach Los Charcas (Canabrava 1944, Teil II; Sierra 1957, Bd. II, Kap. VIII). Einblick in die Praxis dieses illegalen Negerhandels gibt eine Anzahl von Prozessen, die zwischen 1619 und 1622 vor der Audiencia von La Plata um Sklaven geführt wurden, die teils auf dem Wege nach Hochperu in Tucumán,

" M N P Escrit. notar. Leg. 32 (año 1601), fol. 2.161v. 28 Ebd., Leg. 33 (año 1602), fol. 463. W MNP Escrit. notar. Leg. 35 (año de 1603), fol. 1.179. 30 Descripción de la Villa y Minas de Potosí, año de 1603 (Jiménez de la Espada 188S, 131).

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teils in Potosí beschlagnahmt worden waren31. Die Neger stammten in der Mehrzahl von dem Schiff "La Concepción", das aus Angola kommend ohne Lizenz in Buenos Aires mit dem üblichen Vorwand der Konterbandeschiffe eingelaufen war, widrige Umstände — Proviantmangel und Reparaturbedürftigkeit — hätten es zum Anlegen gezwungen32. Die Sklaven solcher Schiffe verfielen der Beschlagnahmung und wurden von den Leitern der königlichen Finanzverwaltung in Buenos Aires zu einem Festpreis, der mit 170 Pesos außerordentlich niedrig angesetzt war, zugunsten des Fiskus verkauft. Wer die Käufer waren geht aus den Prozeßakten hervor: "Los que los [negros] nabegan son los mismos que los sacan y compran33." Diejenigen also, die die Sklaven unter dem Vorwand der Notlandung nach Buenos Aires brachten, hatten dort bereits mit den Beamten der Krone Absprache über den Rückkauf getroffen. Auch wenn sich die Unkosten der Sklavenhändler auf diese Weise um den Rückkaufswert von 170 Pesos erhöhten, muß das Geschäft für sie immer noch lohnend gewesen sein, betrug doch der tatsächliche Handelswert eines Sklaven im freien Verkauf in Buenos Aires schon über 300 und in Hochperu zur gleichen Zeit sogar 500 Pesos. Die Beamten der königlichen Finanzverwaltung in Buenos Aires waren auch bei der Überwindung der Hindernisse behilflich, die die Gesetze für den Weiterverkauf der Sklaven ins Inland errichtet hatten. Obwohl der Negerhandel vom Rio de la Plata nach Los Charcas außerhalb des laufenden asiento verboten war, stellten sie Genehmigungen aus und gaben damit dem Schmuggel eine amtliche Sanktionierung, deren Gültigkeit allerdings recht fragwürdig war. In anderen Fällen begnügten sich die Sklavenhändler damit, als Begleitpapiere für die zum Weitertransport bestimmten Neger Dokumente zu beschaffen, die den rechtmäßigen Ankauf bescheinigten. Da diese Zertifikate aber häufig aus ganz anderen Sklavenkäufen stammten, stimmten sie nicht mehr mit dem Brandzeichen der Neger, dem wichtigsten Kontrollmittel für die Behörden, überein. Solche Unstimmigkeiten versuchte man vereinzelt durch erneutes Brennen der Sklaven zu korrigieren. Derartige Betrügereien waren allerdings recht durchsichtig und hätten wenig Aussicht auf Erfolge gehabt, wenn nicht die Sklavenhändler mit dem Wohlwollen der Behörden auch außerhalb von Buenos Aires hätten rechnen können. Selbst die Audiencia von La Plata, die im Namen des Königs über das Schicksal der beschlagnahmten Sklaven zu entscheiden hatte, machte in dieser Haltung keine Ausnahme. Gegen Stellung einer Kaution ließ sie sämtliche beschlagnahmten Sklaven mit der Auflage zurückgeben, sie innerhalb einer bestimmten Frist in der Stadt La Plata vor der Audiencia zu präsentieren. Damit gab sie den

•"Prozesse des Fiscal der Audiencia gegen Antonio del Pino, Simón de Acosta, Melchor Rodríguez, Martín de Viscarra. AGI Escribanía de Cámara, Leg. 848 A. 32 Das Schiff, das am 22.2.1619 in Buenos Aires anlegte, führte 136 Sklaven mit. 33 Prozeß Melchor Rodríguez, a.a.O., fol. 19v.

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Sklavenhändlern die Möglichkeit, in der Zwischenzeit neue und bessere Begleitpapiere und falsche Zeugen zu beschaffen, die den Tod von Sklaven testierten, die in Wahrheit unter der Hand weiterverkauft worden waren. Vor allem aber ignorierte auch die Audiencia die gesetzlichen Verbote des Negerhandels nach Hochperu, die ipse facto die Konfiszierung sämtlicher Sklaven bedingten14. Daß dieses Verhalten der höchsten richterlichen Instanz in Hochperu schon eine Tradition besaß, geht aus einem Tadel der Krone hervor, den sie der Audiencia für frühere Entscheidungen erteilte: [...] de muchas personas que de aquel Puerto yban a esas prouincias [Los Charcas] con mercadurías de contrabando y esclauos, se secuestro mucha cantidad de los dichos generös por algunos de los comisarios que salieron al camino, y debiéndolo condenar todo por perdido conforme a las ordenan9as, entregastes los esclavos a sus dueños en fiado y una gran partida de ropa a otro por ser criado de uno de los oydores de esa audiencia con que desapareció todo en gran daño de mi hazienda [...] 3S . Die Richter der Audiencia ließen sich dadurch jedoch nicht abhalten, auch in den laufenden Prozessen Urteile zu fällen, durch die nur ein geringer Teil36 der beschlagnahmten Sklaven zugunsten des Fiskus eingezogen wurde. Auch über die Persönlichkeiten, die am Sklavenhandel nach Hochperu beteiligt waren, geben die Prozeßakten Auskunft. Im wesentlichen waren es drei Gruppen: die in Buenos Aires etablierten, wohloiganisierten und kapitalkräftigen Schmuggelhändler, deren Beziehungen nach Brasilien, Europa und Afrika reichten37. Mit ihnen liiert war der Gouverneur von Buenos Aires, Diego de Göngora, der selbst am Sklavenhandel nach Los Charcas teilnahm und dessen Begünstigungen maßgeblich dazu beitrugen, daß der illegale Verkehr nach Hochperu gerade in seiner Amtsperiode (1618-23) eine Blütezeit erreichte.

^Verbote des Handels zwischen Buenos Aires und dem Binnenland ergingen durch den Gouverneur Hemandarias 1604, bestätigt durch die Krone 1606(Canabrava 1944,74/75). Die Ordonnanz 49 des Visitators Alfaro von 1611 untersagte ausdrücklich den Weitertransport nach Peru von Sklaven und Waren, die auf Schiffen "de arribada forzosa" nach Buenos Aires gekommen, dort beschlagnahmt und von den Beamten der königlichen Finanzverwaltung verkauft worden waren. Die Anordnungen von Alfaro wurden bestätigt durch Ordenanzas de Gobierno des Vizekönigs Montesclaros vom Jahre 1615. 35 R1. Cédula, Madrid 7.6.1621. Prozeß Antonio del Pino, a.a.O., fol. 242v. 36 Im einzelnen verfielen nach den Urteilen der Audiencia der Konfiszierung: im Prozeß Pino ein Sklave von 31, im Prozeß Rodríguez fünf von zwölf Sklaven. Für den Prozeß Acosta fehlt das Urteil. Im Prozeß Viscarra (der Cédula zeitlich vorangehend) blieben sechs Fälle der 19 beschlagnahmten Neger noch unentschieden, alle übrigen wurden freigegeben. 37 Vor allem tauchen die Namen der Portugiesen Diego de Vega und von Juan de Vergara, Mitglied des Rates der Stadt Buenos Aires (Torre Revello 1958).

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Die Verkäufe von Sklaven portensischer Sklavenhändler wurden vermittelt durch die peruleiros, Kaufleute, die, wie ihr Name sagt, Handel mit Peru trieben (Canabrava 1944, Teil II; Boxer 1952, Kap. III). Der Herkunft nach häufig Portugiesen, lebten sie als Besitzer von Läden und Krämereien in den Ortschaften am Wege von Santa Fé nach Tucumán. Sie wohnten auch als Geschäftsleute in Potosí oder gaben sich den Behörden gegenüber als Handwerker aus, um ihre wirkliche Tätigkeit zu tarnen. Sie waren nicht eigentlich seßhaft, sondern befanden sich einen Teil des Jahres auf Reisen, auf- und absteigend zwischen den Tiefebenen der La-Plata-Region und dem Andenhochland. Sie traten dabei nicht nur als Vermittler von Sklaven- und Warenverkäufen auf, sondern kauften und verkauften auch auf eigene Rechnung. Über einen dieser peruleiros, Simón de Acosta, geben die Prozeßakten nähere Aulschlüsse. Er war Portugiese von Geburt, hatte seinen Wohnsitz in Potosí und wird als Agent und Teilhaber des Gouverneurs Góngora bezeichnet. Am Rio de La Plata hatte er aktiv in die Auseinandersetzungen zwischen den Konterbandisten und dem ehemaligen Gouverneur Hernandarias, dem rigorosen Bekämpfer des illegalen Handels, eingegriffen. Einem von Hernandarias eingesetzten Untersuchungskommissar, der sich mit Berichten über die Zustände im Hafen von Buenos Aires auf dem Wege zur Audiencia nach Hochperu befand, hatte er im Einverständnis mit führenden portensischen Schmuggelhändlern das Belastungsmaterial gewaltsam abgenommen und ihn als Gefangenen dem Nachfolger des Hernandarias, eben jenem Diego de Góngora, überliefert38. Verwandte von Simón de Acosta saßen in Buenos Aires, Tucumán und Lima und beteiligten sich wie er am Schmuggelhandel, von dem der Negerhandel wiederum nur ein Teil, vermutlich allerdings der lukrativste, war. An einer einzigen Familie läßt sich so die Kette der Handelsgeschäfte vom Rio de la Plata über Hochperu in das Zentrum des Vizekönigreiches verfolgen. Zu den Sklavenhändlern zählten schließlich auch seßhafte Bürger der Städte von Los Charcas. Sie gaben den peruleiros das in den Minen gewonnene Silber mit nach Buenos Aires, um es dort in Schmuggelware, vorzüglich in Negern, anzulegen. Zu diesen Auftraggebern, die ihrerseits dann die Sklaven einzeln weiterverkauften, gehörten in Potosí von 1619-1622 allein drei der in dieser Zeit amtierenden acht Alcaldes (Stadtrichter). Für die Angehörigen dieser Gruppe war die Beteiligung am Sklavenhandel im allgemeinen nur eine einträgliche Nebenbeschäftigung, aber auch sie trugen, wie die Konterbandisten in Buenos Aires und die peruleiros, zu der großen transkontinentalen Bewegung bei, die afrikanische Sklaven von der atlantischen Küste zur pazifischen Seite Südamerikas führte. Angesichts des überhandnehmenden Schmuggels mit Sklaven und Wären und des Schadens, den dadurch der Handel über Panama erlitt, entschloß sich die Krone zu Gegenmaßnahmen. 1623 wurde in Córdoba, dem Ein-

38 Prozeß Acosta, a.a.O., fol. 74ff. Bericht von Diego Pacheco, Alguacil Mayor von Buenos Aires.

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gangstor vom Rio de La Plata nach Tucumán, eine Zollgrenze errichtet. Sie sollte die in dieser Richtung passierenden Wiren mit 50% igen Abgaben belegen und darüber hinaus den gesamten Handel von und nach Hochperu und Peru kontrollieren. Vorausgegangen waren Anordnungen, die in deutlichem Zusammenhang miteinander standen: 1622 wurde noch einmal ausdrücklich jeglicher Sklaventransport aus den Provinzen Rio de la Plata und Paraguay nach Peru untersagt (Canabrava 1944, 56) und im gleichen Jahre der Export von Silber aus Ratosf in die La-Plata-Region verboten39. Der Sklavenhandel wurde damit reduziert, aber nicht unterbunden. Um die Wirksamkeit der neuen Zollschranke zu prüfen, schickte einer der einflußreichsten Schmuggelhändler der Stadt Buenos Aires mit Genehmigung des neuen Gouverneurs und der Leiter der königlichen Finanzverwaltung eine Gruppe von fünf Negern auf den Weg nach Potosí. Sie wurden in Córdoba sequestriert, aber auf den Protest ihres Eigentümers hin wurde die Angelegenheit vor den Gouverneur von Tucumán gebracht und von ihm entschieden, daß die Neger nach Entrichtung des Zolles passieren dürften40. Damit war ein Präzedenzfall geschaffen, der am Rande des Gesetzes die Möglichkeit bot, den Sklavenhandel nach Los Charcas fortzuführen. Wieweit dieser Weg tatsächlich beschritten wurde oder wieweit die Sklaventransporte nach Hochperu die Zollgrenze umgingen, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Die Notariatsurkunden von Potosí zeigen jedenfalls durch den Vermerk recién llegado de Buenos Aires bei Sklavenverkäufen an, daß auch weiterhin Neger vom Rio de la Plata eintrafen. In den Verkaufsurkunden der Negersklaven, die in das spanische Amerika gebracht wurden, werden im allgemeinen Angaben über Ursprungsgebiet oder Stammeszugehörigkeit gemacht. Die Auskünfte sind jedoch unzuverlässig, denn die geographischen und ethnologischen Kenntnisse der Sklavenhändler waren gering, und wenn ein Sklave auf den Zwischenstationen des Transportes den Besitzer wechselte, wurden die ursprünglichen Informationen weiter korrumpiert. Mit diesen Vorbehalten ist auch das Bild zu sehen, das Notariatsurkunden und Prozeßakten von der Herkunft der in Hochperu und vor allem in Potosí verkauften Neger geben. Solange der Weg der Sklaven über den Isthmus von Panama und die W^tküste führte, haben sie das abgelegene Gebiet von Los Charcas vielfach nicht mehr in erster Generation erreicht. Bis in die neunziger Jahre des 16. Jahrhunderts sind daher in Hochperu die criollos, die bereits in der Neuen Welt geborenen Neger, stark vertreten. Das änderte sich nach der Erschließung des Landweges über Buenos Aires. Jetzt traten am hochperuanischen Sklavenmarkt

39

R1. Cédula, Madrid 7.2.1622. AGI Charcas 123. ^Sierra 1957, Bd. I, 154. Eine Jahreszahl wird nicht genannt; es handelt sich um den Beginn der Amtspenode des Gouverneurs Céspedes (1624?). Die nach Potosí entsandten Sklaven gehörten Diego de Vega (vgl. Anm. 37).

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die criollos zurück hinter den bozales, den noch in Afrika Geborenen, die entweder über Brasilien oder unmittelbar aus Afrika kamen. Zur gleichen Zeit fand auch eine Umschichtung unter den in Hochperu verkauften bozales statt. In den ersten Jahrzehnten nach der Konquista überwogen die jélofes, d.h. die Wolofc aus dem Gebiet südlich des Senegal; daneben gab es Neger von der Küste und dem Hinterland des Golfes von Biafra. Nach 1594 tauchten Neger aus Angola in Los Charcas auf, die spätestens ab 1600 eindeutig den ersten Platz einnahmen. Der für den portugiesischen Sklavenhandel in der Versorgung Brasiliens festgestellte "Angolazyklus", der im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts einsetzte und hier etwa ein Jahrhundert über andauerte (Viana Filho 1940), tritt also auch in Hochperu in Erscheinung, jedenfalls bis 1640, solange die Belieferung des La-Plata-Gebietes mit Sklaven aus Afrika und Brasilien eine Domäne der Portugiesen war. Die Einzelpreise der Sklaven differierten in Los Charcas wie im gesamten spanischen Amerika nach Alter, physischem Zustand und besonderen Fähigkeiten, zu denen außer handwerklicher Ausbildung auch die Beherrschung der spanischen Sprache zählte. Solche Qualifikationen wurden jeweils auf den Verkaufsurkunden vermerkt. Umgekehrt war der Verkäufer verpflichtet, die körperlichen und moralischen Defekte des Sklaven anzugeben. Mit großer Regelmäßigkeit wurden dabei die Attribute huidor, borracho, ladrón verwandt, ohne daß dadurch der Preis des Negers beeinträchtigt wurde. Es kann sich also kaum um eine individuelle Kennzeichnung des betreffenden Sklaven, sondern nur mehr um eine Formel gehandelt haben, die den Verkäufer vor Regreßansprüchen schützen sollte. Für die generelle Einstufung der afrikanischen Sklaven ist sie allerdings bezeichnend.

Die Neger als Sicherheitsproblem Die Behörden sahen sich durch die Neger vor die Aufgabe gestellt, ein neues Bevölkerungselement, das als unruhig und aufsässig galt, in das Sozialgefüge der Kolonien einzuordnen. Für sie wurde damit, unter Einschränkung von Überlegungen der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit, die Anwesenheit der Neger auch zu einem Problem der öffentlichen Sicherheit. Unter diesem Gesichtspunkt wurden bereits 1548 vom ersten Corregidor von Los Charcas Bedenken gegen eine Verstärkung des afrikanischen Bevölkerungsanteils in den Minenstädten erhoben, eine Warnung, die in der Folgezeit häufig wiederholt wurde. Die Bergwerksorte bildeten an sich schon ständige Unruheherde. Sie waren schnell empoigeschossen, nicht organisch gewachsen, sie hatten eine stark fluktuierende Bevölkerung und zogen zahlreiche Abenteurer an. Die Aufrechterhaltung von geordneten Zuständen war daher im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein schwieriges und nie ganz gelöstes Problem, und der Zuzug weiterer unruhiger Elemente erschien unter solchen Umständen gefährlich.

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Insgesamt beruhte die Furcht vor einer Gefährdung der Sicherheit durch die Neger allerdings weniger auf den spezifischen Verhältnissen in Hochperu als auf Erfahrungen in anderen Teilen Amerikas, vor allem im karibischen Raum. Hier entzogen sich Neger in großer Zahl der Sklaverei durch die Flucht und wurden dann in ihren Rückzugsgebieten oder als Vagabunden zu einer akuten Bedrohung der Bevölkerung. Im kalten, vegetationsarmen Hochperu waren die natürlichen Voraussetzungen für solche Erscheinungen viel weniger gegeben als in den tropischen Landschaften. Aber der Eindruck dieser Vorgänge war so nachhaltig, daß die Sorge vor Parallelentwickungen auch die vom Indienrat für den Bereich von Los Charcas erlassenen Gesetze beeinflußt hat. In den Ordonnanzen, die der Vizekönig Francisco de Toledo der Stadt La Plata gab41, ist ein erheblicher Teil den Negern gewidmet, und unter diesen Anordnungen wiederum standen Sicherheitsbestimmungen eindeutig im Vordergrund. So wurden Strafen für Flucht und Fluchtversuche von Negersklaven entsprechend der Dauer ihrer Abwesenheit und die Bestrafungen für Beihilfe zur Flucht festgelegt. Der Gebrauch von Pferden, der die Flucht erleichtern konnte, wurde den Sklaven verboten, das Waffentragen für freie wie unfreie Neger unter Strafe gestellt. Eine Ausnahme wurde nur für die Sklaven des Präsidenten der Audiencia und anderer Beamter mit richterlichen Befugnissen gemacht, die bewaffnet sein durften, wenn sie ihre Herren begleiteten. Ferner wurde den Negern untersagt, sich an der Gründung von Laienbruderschaften zu beteiligen, die für sie in anderen Städten eine der wenigen Möglichkeiten des Zusammenschlusses darstellten, gerade deshalb aber von den Behörden mit Mißtrauen betrachtet wurden. Ein weiterer Schwerpunkt der Negeigesetze lag für Los Charcas, ebenso wie für Chile und für andere Provinzen des Vizekönigreiches Peru, in der Regelung der Beziehungen zwischen Indianern und Negern. Die autochthone Bevölkerung, fügsamer und weniger zu Gewalttätigkeiten neigend, galt als schutzbedürftig gegenüber den Negern, und die Gesetze trugen dieser Einstellung Rechnung. So untersagten sie den Negern das Betreten indianischer Märkte42, da sich die Neger mit Gewalt der dort angebotenen Waren bemächtigten. Vor allem aber verboten sie, daß Neger unter den Indianern lebten porque demas de que los tratan mal y se sirven dellos, les hacen muchas molestias y les quitan lo que tienen, y las mujeres y hijas, sin que puedan ni se atreuan a resistirlos [...] 43 .

4l

L a Plata 5.5.1574. Nach den Regesten in: Boletín y Catálogo del Archivo Nacional [Sucre), Bd. I., No. 36, 279f. 42 Ebd., 279f. 43 R1. Cédula an die Audiencia von La Plata. Badajoz 3.9.1580. DIA 18, 136.

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Die freien Neger Die spanische Kolonialpolitik hat weit stärkeren Nachdruck auf den Schutz der weißen und der indianischen Bevölkerung vor den Negern als auf den Schutz schwarzer Sklaven vor Übergriffen ihrer Herren gelegt. Sie begünstigte die Negersklaven jedoch in anderer Beziehung. Sie gab ihnen die Möglichkeit, sich freizukaufen. Wfenn ein Sklave die Summe zahlte, die seinem Preis am Sklavenmarkt entsprach, war der Eigentümer verpflichtet, ihn freizugeben. Auf welche Weise die Neger die notwendigen Mittel aufbrachten, läßt sich für Hochperu nur vermuten. Die Sklaven der Cosa de Moneda erhielten zwar Lohn44, doch reichte dieser auch auf Jahrzehnte gerechnet nicht aus, den Marktpreis zu erstellen. Sie hatten allerdings durch ihre Arbeit in der Münzstätte häufig Gelegenheit, sich illegal Silber anzueignen. Sklaven, die als Handwerker vor allem in der Außenarbeit beschäftigt waren, werden gelegentlich Eigenverdienst gehabt haben. Vielfach wird das notwendige Geld, soweit es rechtmäßig beschafft wurde, geborgt worden sein. Sichtbarer als der Weg, der zum Ziel führte, ist die Tatsache, daß es Sklaven gab, die die erforderliche Summe aufbrachten und die Freiheit erreichten45. Zusammen mit denjenigen, denen ihre Herren die Freiheit schenkten oder die bereits als Kinder freier Mütter geboren waren, bildeten sie die Gruppe der negros horros46. Die Position dieser freien Neger in der Wirtschaft und Gesellschaft Hochperus spiegelt sich in Anordnungen und Verboten, die als Reaktion auf unerwünschte Entwicklungen auf diesem Gebiet ergingen. Danach bestand eine starke Tendenz bei den Negern, sich außerhalb der Städte auf chacras niederzulassen, die abgelegen und damit der Kontrolle der Behörden und dem Einfluß der Kirche entzogen waren, auf denen also ein Leben in weitgehender Unabhängigkeit von der weltlichen und geistlichen Gewalt möglich war. Die chacras waren zum Teil Eigentum der Neger, und damit wurden, wie der Vizekönig Don Francisco de Toledo 1568 feststellte, gleich mehrfach frühere Verbote übertreten, nach denen Neger, Mulatten und zambahigos (Abkömmlinge von Negern und Indianern) weder chacras besitzen, noch allein ohne Aufsicht leben dürften 47 .

"Vgl. S. 58f. 45 Beispiele für Freikauf von Negersklaven: Alonso López de Barríales gab einem Neger vom Kap Verde gegen 500 Pesos in Form von zwei Silberbarren die Freiheit. MNP Escrit. notar. Leg. 8 (año 1577, registro 3° de ventas), o. S. Francisco de Oyanume, Mayordomo des Hospitales in Potosí, gab eine 30jährige Negerin "por enferma e imposibilitada de servir a los pobres del hospital" für 500 Pesos frei. Ebd., Leg. 52 (año 1619), fol. 2.054. ^Obwohl die Bezeichnung horro ursprünglich auf Freikauf hinweist, wurde sie für alle freien Neger im Gegensatz zu den Sklaven verwandt. 47 CéduIa de Don Francisco de Toledo. Los Reyes 10.7.1578, AGI Charcas 31.

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Die freien Neger waren gesetzlich gehalten, sich einen amo conocido, einen von den Behörden anerkannten Herrn zu suchen, der zwar nicht mehr ihr Eigentümer war, wohl aber eine gewisse Aufsicht ausüben und dafür verantwortlich sein sollte, daß der der Krone zustehende Tribut gezahlt würde48. Diese Bestimmung, die ein drastische Beschränkung des Zustandes der Freiheit hätte sein können, galt für alle Teile des spanischen Amerika, wurde aber in der Praxis verschieden gehandhabt (Petit Muñoz 1948). Für Los Charcas deutet vieles darauf hin, daß sie toter Buchstabe blieb. Ebenso wurden hier mindestens bis zum Ende des 16. Jahrhunderts keine Tributzahlungen entrichtet49. Auf ihren chacras beschäftigten die Neger neben freien Indianern auch yanaconas. Es war dies ein Verstoß gegen den Grundsatz spanischer Kolonialpolitik, daß Neger keine Indianer in ihren Diensten haben dürften — ein Prinzip, das auf der Sorge um den Schutz der autochthonen Bevölkerung, auf der Vorstellung, daß Neger und Negermischlinge auf der sozialen Stufenleiter unter den Indianern stünden und nicht zuletzt auf dem Bestreben beruhte, die billige indianische Arbeitskraft den Spaniern zu reservieren. Mehrfache Wiederholungen der Verbote lassen jedoch erkennen, daß die gesetzliche Regelungen weitgehend unwirksam blieben50. Auch unter den Negern selbst bildeten sich Abhängigkeiten und Ansätze zu einer Art Hierarchie, wie das Beispiel eines freien Kongonegers zeigt, der Sklavenbesitzer und zugleich alcalde de los negros war, d.h. richterliche Befugnisse zur Entscheidung geringfügiger Streitfälle unter den freien Negern besaß31. In den Städten waren die Neger nicht nur als Sklaven, sondern auch als Freigelassene im Handwerk tätig, und zwar im Beschäftigungsverhältnis wie in selbständiger Stellung. In einer Eingabe an die Audiencia forderten im Jahre 1S94 die Schuster der Stadt La Plata, daß Neger keine eigenen Werkstätten haben dürften. Die Audiencia kam zu keinem Entscheid52; offenbar zögerte sie, Restriktionen für Berufe auszusprechen, in denen akuter Mangel herrschte. Überdies war die Bildung von Besitz unter den freien Negern — trotz mancher Vorbehalte der Gesetzgeber, wie sie z.B. gegenüber dem Erwerb von chacras zum Ausdruck kamen — ein Mittel, die Seßhaftigkeit zu fördern und dem gefürchteten Vagabundieren der Neger entgegenzuwirken.

48 Ebd. und in den Ordonnanzen der Stadt La Plata, Boletín y Catálogo del Archivo Nacional, a.a.O., Bd. I, Nr. 36, 279. Für das spanische Amerika insgesamt Rl. Cédula vom 29.4.1577, Recopilación de Leyes de las Indias, Libro 7, Tit. 5, Ley 3. 49 Audiencia de Charcas/König, La Plata 22.3.1593 (Levillier 1918-1922, Bd. III, 192). Daraus geht hervor, daß freie Neger, Mulatten und zflmbahigos zukünftig Tribute zahlen sollten. ^Umgekehrt war es den Indianern erlaubt, Negersklaven zu halten. E. Harth -Terré hat solche Fälle seit Beginn des 17. Jahrhunderts für Lima und Umgebung nachgewiesen. Für Hochperu konnten derartige Beweise nicht beigebracht werden. 5I MNP Escrit. notar. Leg. 65 (año 1626), f. 3.329. 52 La Plata 10.3.1567. ANB Libros de Acuerdo de la Audiencia de Charcas, Bd. II, fol. 170.

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Eine solche Besitzbildung wurde dadurch begünstigt, daß Käufe ohne oder mit geringem Anfangskapital möglich waren. Bargeld war in Los Charcas trotz der Ergiebigkeit der Silberminen bei der Mehrheit auch der spanischen Bevölkerung knapp, daher waren Ratenzahlungen und Finanzierung durch hypothekarische Belastung üblich. Als Sklaven waren die Neger selbst häufig das Objekt eins derartigen Zahlungsmodus. Sie wurden auf Abschlagszahlung gekauft oder mit Hypotheken belegt. Als freie Neger haben sie aus diesen Finanzierungsmethoden nutzen ziehen können, vor allem, wenn es sich um den Erwerb von unbeweglichem Besitz handelte, der den Verkäufern Sicherheiten beließ. Dieser Wfeg ist am Einzelbeispiel nachweisbar33, in anderen Fällen tritt lediglich die Tatsache in Erscheinung, daß Neger Land-, Haus- und Bergwerksbesitzer waren54. Allerdings bezog sich das stets auf eine Minderheit. Nur sie hat in bescheidenem Umfang an der wirtschaftlichen Blüte Hochperus in der zweiten Hälfte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts teilgenommen.

Abkürzungsverzeichnis AGI ANB ANS DIA

= = = =

MNP

=

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Ein instruktives Beispiel ist der Verkauf einer chacra zwischen Potosí und La Plata an einen freien Neger im Jahre 1572. Der Wert der chacra betrug 2.452 Pesos, die innerhalb von zwei Jahren aus den Erträgen der Feldfrüchte und der Transporte der Lamaherden gezahlt werden sollten. MNP Escrit. notar. Leg. 4 (año 1572, registro 6° de Escrit. public.), fol. 12. 54 Pedro de Cabrera "de color moreno" verkaufte im Cerro Rico von Potosí ein Bergwerk für 60 Pesos. ANB Escrit. públicas, Aguila (año 1559), fol. 134. Eine freie Negerin beurkundete den Verkauf mehrerer Häuser in Potosí zum Preis von 600 Pesos. MNP Escrit. notar. Leg. 5 (año 1572, Registro 9° de Escrit. public, extraordinarias), fol. 34v.

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El juez comisario en el Alto Perú (Siglos XVI y XVII)* La institución del comisario como "órgano extraordinario del poder público a diferencia de los funcionarios ordinarios" fue desarrollada en Europa, donde desempeñó un papel primordial durante las reformas monárquicas de principios de la Edad Moderna (Hintze 1962, 272). El comisario, o sea el funcionario con encaigo revocabel, apareció cuando surgieron tareas nuevas y extraordinarias, para la resolución de las cuales no eran suficientes o adecuadas las instituciones existentes. Precisamente esta situación se repitió con frecuencia en la América española, donde el régimen colonial se vio enfrentado a nuevos y extraordinarios problemas, debidos a la amplitud del territorio y a la heterogenidad de la población sobre la que se dominaba. Por eso, en muchos casos, los funcionarios ordinarios no eran suficientemente competentes para dichas tareas o bien, estaban demasiado implicados en intereses locales y particulares para satisfacer sus obligaciones públicas. En otros casos, no estaban provistos de las atribuciones jurídicas necesarias para tomar a su caigo actividades suplementarias y extraordinarias. En estas circunstancias, el terreno se presentaba propicio para el trasplante del comisario del viejo mundo al nuevo continente. Como juez comisario provisto de poder judicial, cuyas tareas abarcaban sin embaído otras muchas esferas, se introdujo en el cual la Amércia española, donde se convirtió en un fenómeno muy extendido. El objetivo de la siguiente investigación es poner de manifiesto las actividades de este funcionario extraordinario y su importancia para el Alto Psrú (Los Charcas) en los siglos XVI y XVII. Se trata de un período en el Alto Pfcrú, que como consecuencia de los ricos yacimientos de plata, era el centro económico y uno de los centros claves de población en la América española (Wolff 1970).

1. El juez comisario como enviado de las instituciones centrales del virreinato En el Alto Pérú, que desde 1538 estaba bajo dominio español, los primeros jueces comisarios aparecieron poco después de la rebelión de Gonzalo Pizarro (1545-1548). Fueron enviados por las autoridades de Lima con encargos concernientes a los problemas más urgentes del gobierno y de la administración, esto es, el restablecimiento de la paz y del orden, la protección de los indios, el fomento de la minería y las cobranzas de la Real Hacienda. En 1549 y por orden del presidente La Gasea, llegó a La Paz y a La Plata (hoy Sucre) el contador de las cajas reales de Lima, como "juez comisario de reales haciendas". Desde un punto de vista fiscal, tuvo una actuación sumamente eficaz. Durante sus diez meses de permanencia en Potosí envió a Lima plata por valor de

*En: Anuario de Estudios Americanos 39 (1982), 37-46.

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557.191 pesos, para su transporte a España. La plata procedía de los quintos reales, de tributos de indios, de la cobranza de deudas, así en la jurisdicción del corregidor y de los alcaldes 1 . En 1551, la Audiencia gobernadora de Lima envió a Potosí otro comisario, para vigilar el cumplimiento de las leyes que prohibían a los encomenderos echar sus indios a las minas para sacar plata. Al mismo tiempo, fue comisionado a investigar si los encomenderos respetaban las provisiones que limitaban los tributos de sus encomiendas 2 . Aunque este control recaía en la competencia del corregidor y de los alcaldes, éstos siendo encomenderos ellos mismos habían dado numerosas pruebas de parcialidad, por lo que las autoridades de Lima se habían visto obligadas a intervenir. Este juez comisario seguía, durante los dos años de su estancia en el Alto Perú, una serie de causas criminales por incumplimiento de las leyes que prohibían el trabajo forzado de los indígenas e impuso multas a españoles por malos tratos de indios 3 , pero no consiguió cambios fundamentales en las condiciones reinantes. Tras las sublevaciones locales del año 1553, en las que soldados veteranos y aventureros intentaron apoderarse de la plata de las cajas reales de Potosí, la Audiencia gobernadora de Lima nombró juez comisario al mariscal Alonso de Alvarado para castigar a los rebeldes, encalco que llevó a cabo con gran dureza4. Así pues, la actividad de estos comisarios, nombrados por las más altas autoridades del virreinato durante la primera época del dominio español, consistía en hacer valer en Alto Perú, de la mejor manera posible, las leyes y normas establecidas por la Corona, y colaborar en la liquidación del "estado pionero", que dejaba al individuo, en la tierra recién conquistada, una amplia libertad frente a cualquier autoridad. La creación de la Audiencia de la Plata (Charcas) en 1559, o sea el establecimiento de una instancia intermedia entre las instituciones centrales del virreinato y las autoridades locales, causó otro cambio: a partir de esta fecha fueron pocos los jueces comisarios enviados desde Lima al Alto Perú. Así, en el período de 1586 a 1651, para la inspección del Cerro Rico de Potosí, la fuente de riqueza más productiva de toda la América española, no hubo más que un juez

'AGI, Lima, 118. Joan de Cáceres al Rey, Lima, 20-1-1551. La Audiencia de Lima al Consejo de Indias, Lima, 15-1-1551: también licenciado Fernández, fiscal de la Audiencia de Lima, al Consejo de Indias, Lima 11-III-1553 (Levillier 1922, 23 y 65-66). 3 Loren$o de Estupiñán figura como juez de comisión en los registros penales de los años 1552-53. Véase también carta de la audiencia de Lima al principe Felipe "[...] se embía[n] [...] dos testimonios de los autos que en el asiento de potosí el corregidor lorenflo de estupiñán juez de comisión hicieron sobre echar los yndios a las minas [...]", Lima, 23-IV1552 (Levillier 1922, 43). 4 AGI, Justicia, 487, fol. 1. Ynformación General de los sucedido en Potosí sobre la rebelión y tiranía de don Sevastián de Castilla y Egas de Guzmán, Año de 1553. 2

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comisario3. La destribución de los mitayos que trabajaban en las minas e ingenios de la Villa Imperial de Potosí era efectuada por el virrey, o bien — sobre el terreno — por jueces comisarios que el virrey o el Consejo de Indias autorizaban; pero esta asignación sólo tuvo lugar a intervalos muy distanciados. Por lo demás, los virreyes se limitaron a nombrar visitadores de las cajas reales, los cuales aparecieron muy esporádicamente en La Paz y Potosí6.

2. El comisario como encargado del corregidor y del cabildo Las autoridades locales, sobre todo los corregidores y los alcaldes — con menos frecuencia el cabildo entero — se apoderaron rápidamente de la institución del comisario e hicieron uso de ella. Enviaron jueces de comisión a los territorios urbanos, revestidos de amplias facultades para desempeñar funciones que ellos mismos no podían ejecutar con regularidad, debido a la gran extensión de los términos de las ciudades. "[...] es como si el Corregidor de Toledo hubiese de oír en justicia a los labradores del Reino de León", según caracterizó el gobernador García de Castro la situación con referencia a la ciudad de Cuzco, que tenía un territorio comparable al de la ciudad de La Plata (Levillier 19211926, vol. III, 260). Había, pues, una falta evidente de oñcios designados para el gobierno de tan vastos territorios, que abarcaron muchos pueblos de indios. Los comisarios debieron llenar esta laguna. Sus comisiones incluyeron no sólo la administración de justicia, la fijación de los precios y la inspección de los tambos, sino también tareas singulares como la demarcación de los términos de las ciudades7. Estos comisarios, que, por encargo de los funcionarios ordinarios locales, recorrieron el territorio urbano, provistos con la vara de justicia como signo de sus poderes judiciales, formaban parte de la vida cotidiana del Alto Perú en los primeros decenios de la época colonial. Sin embargo, no enfocaron su actividad a la realización de sus encargos, sino más bien a su propio enriquecimiento, tarea en la que también participaron sus mandatarios. Esta actuación perjudicó,

S

AGI, Charcas, 22. En 16S3 el corregidor de Potosí relata, que hacía más de setenta años que los virreyes no habían enviado comisarios para la inspección del Cerro Rico. El Consejo de Indias rectificó esta afirmación, diciendo que el virrey Conde de Monterrey, en los años 1606-08, había comisionado al presidente de la audiencia de Charcas con esta tarea. Francisco Sarmiento de Mendoza al Rey, 30-VII-1653; véase también parecer del fiscal del Consejo de Indias, 26-V-1653. 6 AGI, Charcas, 32. La única inspección de las cajas reales en el siglo XVII tuvo lugar cuando el contador del tribunal de cuentas de Lima, Martínez de Pastrana, actuaba como visitador y juez comisario en La Paz y Potosí, cuando el contador trató de excluir de la elección de alcaldes ordinarios a los regidores endeudados por la compra de sus oficios. Copiosa documentación. 7 Archivo Nacional de Bolivia (ANB), Minas, 125, Doc. núm. 2, fol. 1. Comisión otorgada por el sorregidor de Potosí, 28-111-1576.

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en primer lugar, a la población indígena 8 , pero igualmente se vieron afectados los españoles que se dedicaban al comercio fuera de las ciudades. Por eso, el virrey don Francisco de Toledo, durante su famosa visita al Alto Ifení, prohibió, en 1574, al corregidor de Potosí y La Plata el envío de comisarios 9 . El daño causado por los jueces comisarios contribuyó evidentemente, en el Alto Perú, a la introducción de corregidores de indios como funcionarios de la Corona, lo que separaba de hecho los territorios urbanos de la jurisdicción del corregidor y del cabildo de las villas y ciudades (Wolff 1970, 80ss.). No cesó con esto el envío de comisarios desde los centros urbanos, pero sí fue considerablemente reducido. Cuando ellos se presentaron en los pueblos de indios con sus títulos muy discutibles, chocaron ahora no sólo con los indígenas y los comerciantes españoles, sino también con el corregidor de indios, funcionario permanente, quien defendió sus atribuciones contra los intrusos. Sin embargo, hay que dudar, si este cambio favoreció a la población campesina, puesto que los corregidores de indios se convirtieron en un azote continua para los indígenas, mientras que la presencia de los comisarios era meramente temporal.

3. Los comisarios de la Audiencia de Charcas en las ciudades del Alto Perú Desde 1561, fecha de la fundación de la Audiencia de Charcas (La Plata), la jurisdicción de los corregidores y cabildos de las ciudades y villas del Alto Perú pasó a ser el campo de acción y el objeto de intervención de jueces comisarios despachados por la nueva audiencia. Las ordenanzas dadas por la Corona consideraban como deber que los oidores visitaran con regularidad el distrito de la Audiencia, de manera que siempre uno de ellos debía hallarse en viaje de inspección 10 . En cumplimiento de esta orden, el oidor Matienzo, poco después de la creación de la Audiencia de Charcas, se trasladó a los asientos de minas de Potosí y Porco. Iba dotado de poderes extraordinarios para implantar en las minas las disposiciones que él considerara oportunas, y provisto de plenos poderes

8 AGI, Charcas, 135. Véase carta del obispo de La Plata al Consejo de Indias: "Y lo que no puedo dejar de reprensentar a V. Majestad sin gran sentimiento es los muchos juezes que salen por momentos que en biéndose por acá con una vara, entre estos pobres Yndios, son peores que la langosta". La Plata, 6-IV-1567. 9 ANB, Libro de Reales Ordenanzas de este Ylustre Cabildo, Justicia y Regimiento de esta Ciudad de La Plata, Año 1579, fol. 15. "Y por quanto de imbiar los Corregidores Juezes Comisarios a visitar la tierra y provincias de su distrito a resultado grandes inconvenientes y daños así a los naturales, como a los españoles que por ellos andan en sus tratos y contrataciones [...] ordeno y mando que los Corregidores de aquí adelante no prouean ni envíen los dichos comisarios ni visitadores [...]". El virrey ordenó lo mismo respecto ajueces comisarios enviados por el cabildo de la ciudad. '"Ordenanzas dadas para el régimen y gobierno de la Audiencia de Charcas, Cap. 39. Monzón, 4-X-1563 (Levillier 1918-1922, vol. 1, 619-620).

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no sólo para iniciar pleitos civiles y criminales, sino también para atraer hacia sí las causas ya en curso, es decir, quitárselas a los jueces locales". El corregidor de los Charcas protestó enseguida ante el virrey contra las extensas comisiones del oidor, que limitaban su posición. Estos sucesos iniciaron toda una tradición, ya que los conflictos entre los funcionarios ordinarios de las ciudades y los jueces comisarios de la Audiencia volvían a aparecer con frecuencia. Sin embargo, no eran las visitas el punto de controversia, puesto que la Audiencia, por falta de personal, era incapaz de ejecutar con regularidad estos controles. El ya escaso número de cuatro oidores y un fiscal, que debieran constituir este cuerpo, quedó aún más reducido. Para ocupar esos puestos, el Consejo de Indias eligió, por lo general, a experimentados juristas con largos años de práctica, es decir, a personas de edad avanzada. Ellos tuvieron que asumir las fatigas de un largo y peligroso viaje hasta llegar al Alto Perú, así como la adaptación a otra zona climática y a nuevas condiciones de vida. En estas circunstancias, fueron frecuentes las bajas por enfermedad o muerte. A esto hay que añadir la repetida suspensión de oidores de la Audiencia de Charcas en el siglo XVI, por haber infringido las leyes para ellos vigentes12. Puesto que la Corona se reservaba el derecho de designar a los miembros de la Audiencia, y los virreyes no estaban autorizados a hacer nombramientos, fue imposible suplir estas faltas rápidamente. Resultaron pues largas vacancias. En tales circunstancias, la Audiencia se vio imposibilitada para enviar continuamente a uno de sus miembros en viaje de inspección13, por lo que las intervenciones de los oidores en los asuntos locales, por medio de controles rutinarios, continuaron siendo pocas. Sin embargo, existía otra posibilidad legal de intervención, que obtuvo un gran resultado práctico: la Audiencia estaba autorizada a designar jueces comisarios para investigar y castigar delitos o negligencias graves14. Así, los jueces de comisión, enviados por la Audiencia, aparecieron en situaciones críticas, como por ejemplo tras el descubrimiento de motines de mestizos en Potosí y La

" n Y agora nuevamente tengo carta de el corregidor de los charcas en que me escriue que aquella audiencia hauía proueído al licenciado matienzo por juez de comisión con salario para que viniesse a visitar los minas de potosí y porco y dar en ellas la orden que a él le pareciese y para conoscer de todos los pleitos ceuiles y criminales mobidos y por mober que antel vinieron y sentenciallos y executallos". El virrey Conde de Nieva al Rey. Lima, 3 l-VIII-1563 (Levillier 1921-1926. vol. IV, 1, 531). I2 E1 virrey Francisco de Toledo al Rey, Lima, 19-IV-1579 (Levillier 1921-26, vol. IV, 4, 131). l3 La Corona encargó a la audiencia de La Plata la visita anual de la Casa de Moneda y de las cajas reales de Potosí. La audiencia protestó esta medida, debido a la dificultad de prescindir de un miembro de la audiencia con regularidad cuatro meses por año. La Audiencia al Rey, La Plata, 24-XII-1579 (Levillier 1918-1922, vol. I, 499). l4 Ordenanzas dadas para el régimen y gobierno de la Audiencia de Charcas, Cap. 15, Monzón, 4-X-1563 (Levillier 1918-1922, vol. I, 614).

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Paz; después de la muerte violenta de un corregidor de La Paz; durante las luchas entre grupos regionales de la población española de Potosí, y tras las catastróficas roturas de los diques de la "ribera" de la Villa Imperial13. A Potosí fueron enviados, por lo general, miembros de la Audiencia como jueces comisarios, subrayando así la importancia de la Villa Imperial, mientras a La Paz, ciudad más alejada de la sede de la Audiencia y de menor importancia económica y política, fueron despachadas personas que no pertenecían a la Audiencia. Había, pues, dos tipos de comisarios, o sea el funcionario permanente, quien por una ampliación de sus competencias habituales se convirtió en comisario, y el otro tipo de comisario, que sólo transitoriamente formaba parte de la burocracia estatal, debido a su encargo temporal. Tan pronto como los jueces comisarios llegaban al lugar de destino, atraían hacia sí los pleitos pendientes, hacían las investigaciones y enviaban los resultados a la Audiencia, que emitía el fallo. Merece hacer resaltar que en los casos de importancia y de gravedad, los jueces comisarios no se vieron entorpecidos por los jueces ordinarios de las ciudades, que en tales asuntos reconocían plenamente la jurisdicción de la Audiencia. Zonas de fricción surgieron, más bien, donde la Audiencia no se limitó a intervenir por medio de los comisarios en las situaciones extraordinarias, sino que interferió en el trabajo rutinario de las autoridades locales, hecho frecuente desde finales del siglo XVI. Aparecían, por ejemplo, jueces comisarios con plenos poderes de la Audiencia para resolver cuestiones de herencias, para cobrar multas y para confiscar esclavos negros que, de forma ilegal, eran introducidos por el Río de la Plata. En estos casos, los jueces comisarios eran personas que gozaban de la confianza de la Audiencia sin ser funcionarios permanentes. Su presencia no sólo disminuyó sensiblemente las competencias y la jurisdicción de los funcionarios locales, sino que también causó gastos considerables a las villas y ciudades. En esas circunstancias se planteó el problema fundamental, de hasta qué punto la Audiencia estaba legalmente autorizada a intervenir en los asuntos locales. Por eso, los corregidores y cabildos recurrieron a los virreyes y al Consejo de Indias, argumentando la transgresión de facultades por parte de la Audiencia,

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AGI, Patronato, 1991, ramo 6. Las investigaciones sobre un motín de mestizos en el Alto Perú fueron conducidas por el oidor Lopidana como juez comisario. Información y Confesiones en el motín de los mestizos [...] Potosí, 1-1-1585. El mismo oidor conducía las investigaciones sobre la fuga de Ortiz de Leiva, corregidor de Potosí. Además tenía comisiones para apoderarse de cualquier caso de justicia ordinaria. ANB, Colección Rück, Libros de Acuerdos de la Villa Imperial de Potosí, t. V, fol. 337. Otros oidores figuraban como jueces comisarios durante las guerras civiles entre los españoles, habitantes de la villa. ANB, Guerras entre Vascongados y otras naciones en Potosí [1622-29], passim. La Audiencia, en sesión del 3-VIII-1585, acordó despachar un juez comisario para investigar las circunstancias de la muerte del corregidor de La Paz. En esta ocasión se originaron discusiones entre los miembros de la Audiencia, sobre si el caso justificaba de verdad la intervención en la justicia ordinaria. ANB, Libros de la Audiencia de Charcas, tomo VI, fol. 300v.

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el incremento de gastos que el numeroso envío de jueces comisarios suponía para la población16, y el modo de distribución de las comisiones, con que la Audiencia favoreció a sus familiares, amigos y clientela17. En estas confrontaciones, tanto el virrey como el Consejo de Indias se pusieron del lado de las autoridades locales, prohibiendo el envío de comisarios en casos de menor importancia y dando órdenes a la Audiencia para nombrar jueces comisarios sólo en casos urgentes18. Sin embargo, no tuvieron éxito, como se desprende de las continuas reclamaciones de las ciudades y de la repetición de la prohibición por varías cédulas reales. En el gobierno local existían bastantes insuficiencias, que ofrecían a la Audiencia motivos para su intervención, siendo en la práctica casi imposible de determinar un límite entre los casos "inexcusables", para los que la Audiencia estabe autorizada a enviar jueces comisarios, y aquellos casos de menor importancia, en los que no estaba justificada tal medida. Por estas razones, las actuaciones de los jueces comisarios, encargados por la Audiencia, no cesaron a lo laigo del siglo XVII. En definitiva, la importancia general del juez comisario radicó en que él, por su persona, aportaba un elemento flexible en la organización administrativa, facilitando así la adaptación de la misma a condiciones nuevas y criticas, que eran frecuentes en el ambiente bullicioso del Alto Perú. Pero, por otra parte, las interferencias de competencias que acompañaron a su actividad, condujeron a rivalidades e intricadas relaciones dentro del gobierno local. Además tomó parte en los abusos para cuya corrección había sido nombrado. En estas circunstancias el comisario en el Alto Fterú no figuraba como un instrumento eficaz para la

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ANB, Audiencia de Charcas, Cartas y Relaciones, I, núm. 3.967. El virrey Luis de Velasco refiere, que las ciudades del distrito de la Audiencia de Charcas se quejaron de esta práctica. Luis de Velasco a la Audiencia de Charcas, Lima, 3-X-1557. Las actas del cabildo de Potosí, con fecha de 20-X-1626, registran la protesta siguiente: "Christóual de Salto procurador general des ta villa digo que considerando su magestad los grandes agrauios costas y gastos que se an rrecrecido y rrecrezen a sus vasallos en enuiarse juezes comisarios de las rreales audiencias a las ciudades y villas para la execución de reales executorias, cobranzas de condenaciones, deudas y otros efectos se siruió de despachar su rreal cédula para que no se enuiasen los tales juezes sino que se rremitiese a las justicias ordinarias la execución de todo lo susodicho y aunque por algunos días se executó después acá se a pervertido esta orden enbiándose a esta uilla por los señores de la real y deudas lo qual es en grande rruina y destruición desta uilla". ANB Colección RQck, Libros de Acuerdos de la Villa Imperial de Potosí, tomo XVIII, fol. 70. I7

AGI, Charcas, 415, Libro 2.°, fol. 148v. y 191. Véase también reales cédulas del 6-III1604 y 25-1-1608, ordenando la revocación de las comisiones dadas a la clientela de un oidor de la Audiencia de La Plata. I8 AGI, Charcas, 415, Libro 2.°, fol. 121v. Real Cédula, dirigida a la Audiencia de La Plata, de 29-IX-1598. Francisco Sarmiento de Mendoza, corregidor de Potosí, cita varias cédulas prohibiendo a la Audiencia el envío de jueces comisarios a Potosí, Potosí, 31-VII1653, AGI, Charcas, 22.

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realización de reformas, ni tampoco como un "intermediario de la desciplina monárquica" (Hintze 1962, 272; Pietschmann 1980, 63ss.). Si éste era el papel del juez comisario de cualquier procedencia, no obstante, el comisario designado por la Audiencia poseía una importancia específica, que traspasaba el ámbito local y el período colonial. Su intervención en numerosas situaciones, tanto cotidianas como extraordinarias, demostró la presencia de la audiencia en la vida pública y llevó la autoridad de la audiencia, de forma visible y personificada, a las villas y ciudades del Alto Perú. Fortificó así la posición de la audiencia, contribuyendo a que la autoridad de este tribunal tuviera un carácter más consistente y de mayor actualidad que la de los lejanos virreyes. Por consiguiente y bajo una perspectiva más amplia, el comisario de este tipo contribuyó al proceso de regionalización, desarrollo que más tarde, en la época de la emancipación, favoreció la formación de los estados independientes, no dentro de los amplio límites de los antiguos virreinatos, sino dentro de los límites más estrechos de las audiencias.

Bibliografía Hintze, Otto. 2 1962. Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur Allgemeinen \ferfassungsgeschichte. Vol. I. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Levillier, Roberto (ed.). 1918-1922. La Audiencia de Charcas. Correspondencia de Presidentes e Oidores: Documentos del Archivo de Indias. 3 vols. Madrid: Pueyo. — (ed.). 1921-1926. Gobernantes del Perú, Cartas y Papeles. Siglo XVI. 14 vols. Madrid: Sucesores de Rivadeneyra. — (ed.). 1922. La Audiencia de Lima. Correspondencia de Presidentes e Oidores. Madrid: Pueyo. Pietschmann, Horst. 1980. Die staatliche Organisation des kolonialen Iberoamerika. Stuttgart: Klett-Cotta. Wolff, Inge. 1970. Regierung und Verwaltung der kolonialspanischen Städte in Hochperu 1538-1650 (Beihefte zum Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas 2). Köln/Wien: Böhlau.

II STAATSBILDUNG

Desintegration und Staatenbildung in Hispanoamerika, 1810-1840* Die spanisch-amerikanische Staatenwelt ist in nahezu der gleichen Zusammensetzung, die sie heute noch besitzt, innerhalb dreier Jahrzehnte, im Zeitraum zwischen 1810 und 1840, entstanden. Das Jahr 1810 setzte eine scharfe Zäsur in der spanisch-amerikanischen Geschichte, denn zu diesem Zeitpunkt begann die Emanzipation der Kolonien vom Mutterland. Die Anfinge dieser Bewegung standen in enger Verbindung mit den politischen und militärischen Ereignissen in Europa, durch die Spanien in den Strudel der napoleonischen Kriege geraten war. Der französische Kaiser hatte Auseinandersetzungen innerhalb des spanischen Königshauses als Vorwand benutzt, um zu intervenieren, die spanischen Bourbonen abzusetzen und seinen Bruder Joseph als neuen spanischen König zu inthronisieren. Die Pyrenäenhalbinsel wurde trotz des hartnäckigen Widerstandes der Bevölkerung fest vollständig durch französische Truppen besetzt. Diese Situation, in der im Mutterland die alten Gewalten zusammenbrachen, war der historische Moment für die Emanzipation der Kolonien. Sie stellte die Bewohner des spanischen Amerika vor die Frage, welche Autoritäten sie in Zukunft anerkennen sollten, und sie eröffnete zugleich einen weiten Spielraum für diese Entscheidung, da Spanien damals infolge der europäischen Kriege kaum Möglichkeiten der Einwirkung in Ubersee besaß. Die Forderungen, die von den Spanisch-Amerikanern in dieser Lage für eine Neuordnung der politischen Verhältnisse erhoben wurden, richteten sich anfänglich nur auf eine verstärkte Beiteiligung an der Regierung und Verwaltung des eigenen Landes. Sie radikalisierten sich aber im Verlauf der Auseinandersetzungen mit den spanischen Kolonialbehörden in Amerika und weiteten sich nach 1814 im Konflikt mit der restaurierten bourbonischen Dynastie zum eindeutigen Bestreben nach völliger Trennung vom Mutterland aus. Die Kämpfe um die Gewinnung der Unabhängigkeit dauerten von 1810 bis 1825. In diesen eineinhalb Jahrzehnten zerbrach die alte Kolonialherrschaft und begann zugleich die Gründung selbständiger Staaten. Als 1826 die spanische Flagge endgültig auf dem amerikanischen Festland niederging, waren hier acht Republiken als Nachfolgestaaten des spanischen Kolonialreiches entstanden: Großkolumbien, Peru, Bolivien, Chile, Paraguay, Argentinien, die zentralamerikanische Konföderation und Mexiko1. Einige von ihnen haben sich in der Folgezeit nicht behaupten können. Sie lösten sich auf und gaben durch ihren Zerfall den Weg frei für weitere Staatengründungen. So spaltete sich Groß-

*In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. Jg. 20 (1969), H. 10, 604-616. 'Uruguay stand damals noch im Kampf um seine Unabhängigkeit gegen den nördlichen Nachbarn Brasilien.

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kolumbien in die drei nördlichen Andenstaaten Venezuela, Kolumbien und Ekuador, und die zentralamerikanische Republik zerfiel in fünf Kleinstaaten. Schließlich wurde eine Vereinigung von Bolivien und Peru nach kurzer Dauer wieder aufgehoben. 1840, fünfzehn Jahre nach Beendigung der spanischen Herrschaft, war die Bildung der Staatengesellschaft jedoch im wesentlichen abgeschlossen. Das bedeutet nicht, daß die damaligen Staatsgrenzen erhalten geblieben sind. Vielmehr führten unsichere Demarkationen in den weiträumigen und vielfach unerschlossenen Gebieten Mittel- und Südamerikas zu Überschneidungen von Gebietsansprüchen und machten spätere Grenzregulierungen notwendig. Ferner hatten kriegerische Auseinandersetzungen der hispanoamerikanischen Staaten untereinander sowie Konflikte mit den USA und Brasilien seit der Mitte des 19. Jahrhunderts erhebliche Änderungen der Staatsräume zur Folge. Doch haben sich die hispanoamerikanischen Staaten seit 1840 als nahezu resistent sowohl gegen Zerfall wie gegen Vereinigung erwiesen; denn nach diesem Zeitpunkt erfolgte nur noch eine dauerhafte staatliche Neubildung im Bereich des ehemaligen spanischen Herrschaftsgebietes auf dem Kontinent: Im Jahre 1903 entstand Panama durch Sezession von Kolumbien. Diese außerordentliche Kontinuität der staatlichen Existenz, die ungleich größer ist als diejenige der europäischen, asiatischen und afrikanischen Staatenwelt, legt die Frage nach den geschichtlichen Bedingungen nahe, unter denen diese Staatengesellschaft entstanden ist. Die Staatenbildung in Hispanoamerika zeigt sich als die eines ehemals einheitlichen Herrschaftsgebietes, des spanischen Kolonialreiches, an dessen Stelle nun statt der politischen Einheit die Vielfalt trat. Der Vorgang der Desintegration erscheint jedoch keineswegs als eine selbstverständliche Entwicklung, da am Ende der Kolonialzeit, auf der Schwelle zur Unabhängigkeit, das spanische Amerika stark homogene Züge trug. Einheitliches Kennzeichen war insbesondere die Existenz einer weißen Herrschaftsschicht spanischen Ursprungs. Sie war einheitlich dadurch, daß die spanische Krone eine erfolgreiche Abschließungspolitik gegenüber der nicht-spanischen Welt betrieben und die Einwanderung von Ausländern nahezu unterbunden hatte. Außerdem bestand Gemeinsamkeit des Glaubens im Katholizismus, über dessen Einführung und Erhaltung als Staatsreligion die Krone mittels des königlichen Kirchenpatronats durch Ausschluß aller anderen Konfessionen streng gewacht hatte. Schließlich hatte eine dreihundertjährige Regierung und Verwaltung durch zentrale Organe des Mutterlandes im spanischen Amerika weitgehend einheitliches Recht und einheitliche Institutionen geschaffen. Es waren also ethnisch-kulturelle Gemeinsamkeiten und gemeinsame staatliche Traditionen vorhanden, die auf den ersten Blick als tragfähige Grundlagen für die Fortdauer politischen Zusammenhaltes erscheinen mögen. Andererseits erweist sich das Bild fester Geschlossenheit, wie es vom spanischen Kolonialreich häufig entworfen worden ist, bei einer näheren Prüfung als fragwürdig. Es treten dann Züge hervor, die auf die spätere Desinte-

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gration hindeuten, Ansätze zur Dezentralisation, die teils durch die geographischen Verhältnisse nahegelegt, teils aber auch durch die spanische Kolonialpolitik erst geschaffen oder verschärft wurden. Sie waren ausgeprägt sowohl in der Siedlungsgeographie als auch in der Administration wie in der Wirtschaft der Kolonialzeit. Die spanische Kolonisation erfolgte im wesentlichen städtisch, nicht ländlich, und stellte in diesem Sinne eine Punktkolonisation und keine Flächenkolonisation dar. Diese Siedlungsform wurde von der Krone bewußt gewählt und gefördert, weil sie die spanischen Bewohner in den weiten Räumen der Neuen Welt vor den Gefahren der Natur und feindlichen Angriffe besser schützte und zugleich den Behörden bessere Kontrollmöglichkeiten über die Einwohnerschaft bot als die flächenhafte ländliche Siedlung. Die spanischamerikanische Bevölkerung konzentrierte sich infolgedessen in einer Reihe größerer Städte, die siedlungsgeographisch begünstigt waren und die darüber hinaus als Sitz der Kolonialbehörden Bedeutung besaßen und Zuwanderer anzogen. Sie lagen in den Hochländern (Mexiko, Bogotá, Quito) oder in den Küstenzonen (Buenos Aires, Lima, Santiago, Caracas), seltener im Tiefland des Inneren (Asunción). Von diesen städtischen Zentren ausgehend wurde die Besiedlung zur Peripherie hin dünner oder hörte gänzlich auf, da entweder die relativ geringe Bevölkerungszahl in dem weiträumigen spanischen Herrschaftsgebiet eine gleichmäßige Streuung größerer Städte nicht zuließ oder Bodengestalt und Klima — Hochgebirgsketten, Stromsysteme, tropische Urwälder — das Entstehen von Niederlassungen überhaupt verhinderten. Auf diese Weise bildeten sich Bevölkerungsschwerpunkte, die untereinander weitgehend isoliert waren und die das spanische Kolonialreich so stark untetgliederten, daß hier Geiahren für den Fortbestand der Einheit dieses Gebietes lagen. Tendenzen zu künftiger Desintegration waren auch im kolonialspanischen Regierungs- und Verwaltungssystem angelegt, da dieses dualistischen Charakter hatte und neben starkem Zentralismus zugleich deutliche Kennzeichen der Dezentralisation aufwies. Zentralistisch ausgerichtet waren Regierung und Verwaltung durch die obersten Instanzen in Spanien, nämlich durch den Indienrat unter den Habsbuigern im 16. und 17. sowie durch Ministerien unter den bourbonischen Herrschern im 18. Jahrhundert. Aber diese Instanzen hatten ihren Sitz im Mutterland, das Zentrum der Regierung lag außerhalb der Neuen Welt. Im spanischen Amerika aber waren die großen Verwaltungseinheiten institutionell völlig unverbunden und unabhängig voneinander. Es waren dies die Vizekönigreiche Neu-Spanien (Mexiko) und Peru, deren Grenze zunächst am Isthmus von fónama lag. Im 18. Jahrhundert wurden durch Verkleinerung Perus zusätzlich Neu-Granada (im nördlichen Andenbereich) und Rio de La Plata gegründet. Für diese Vizekönigreiche gab es in der Neuen Welt keinerlei Einrichtungen der Koordination oder der Überordnung. In dieser Regelung wird ein Grundprinzip der spanischen Kolonialpolitik sichtbar: Den königlichen Amtsträgern

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in Amerika wurden keine Positionen und keine Befugnisse zugebilligt, die einen hohen Grad von Selbständigkeit einschlössen; denn im Hintergrund stand die Furcht, daß solche Stellungen zu Unabhängigkeitsbestrebungen verleiten könnten, die die Krone angesichts der großen Entfernungen zwischen Mutterland und überseeischem Besitz nur schwer zu verhindern oder zu ersticken in der Lage wäre. So blieb das politisch-administrative Nebeneinander der Teilgebiete bestehen — eine Situation, die auch den Zeitgenossen bewußt war. Sie fand ihren Ausdruck darin, daß während der Kolonialzeit das spanische Herrschaftsgebiet in Amerika nicht als Einheit, sondern als Mehrheit, als "las Indias", d.h. "die Indien" oder "die überseeischen Reiche" bezeichnet und bestenfalls als plurale Einheit, nämlich als "das Reich der Indien" charakterisiert wurde. Während der Kolonialzeit waren demnach innerhalb des spanischen Amerika keine Vorbilder für eine einheitliche politische Lenkung dieses Herrschaftsbereiches und damit auch keine Traditionen geschaffen worden, an denen sich die nachkoloniale Zeit hätte orientieren können. Parallelen zu dieser Dezentralisation im politisch-administrativen Bereich wies die koloniale Wirtschaftsstruktur auf. Denn auch die Wirtschaft war ausgerichtet auf ein Zentrum, das außerhalb Amerikas lag: auf die Bedürfnisse des spanischen Mutterlandes, während sich innerhalb des spanischen Amerikas wirtschaftliche Ergänzung und Güteraustausch nur in geringem Umfang entwickelten. Es entsprach den Grundsätzen der europäischen, nicht nur der spanischen, Kolonialpolitik vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, die Kolonien einerseits als Lieferanten für Edelmetalle, Rohstoffe und Genußmittel, andererseits als Abnehmer gewerblicher Erzeugnisse des Mutterlandes zu betrachten. Die koloniale Wirtschaft wurde nach Möglichkeit auf diese Anforderungen ausgerichtet. Das spanische Amerika lieferte vor allem Silber aus Mexiko und Peru, Zucker, Tabak, Kakao aus den an die Karibische See grenzenden Gebieten sowie aus den heißen Zonen an der pazifischen Küste. Umgekehrt wurden in das Kolonialreich alle diejenigen Güter aus Spanien oder auf dem Wege über Spanien eingeführt, die die spanischen Bewohner der Neuen Welt für die Aufrechterhaltung europäischer Lebensgewohnheiten brauchten: vor allem Kleidung, Hausrat und Gerätschaften. Der Aufbau entsprechender heimischer Gewerbe wurde verhindert, um die Kolonien als Aufnahmemarkt für europäische Güter zu erhalten. Überdies wurde der interkoloniale Handel durch Verbote und Zollschranken eingeengt, die erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts und damit zu spät abgebaut wurden, um noch während der kolonialen Ära ein wirtschaftliches Zusammenwachsen des spanischen Amerikas zu ermöglichen. Abhängigkeit der einzelnen Teilgebiete vom Mutterland und ihre Isolierung untereinander kennzeichneten also die wirtschaftliche Lage des spanischen Kolonialreiches. Damit blieb einer der wenigen Wege verschlossen, der die geographisch bedingte regionale Aufspaltung der Bevölkerung hätte überwinden oder wenigstens mildern können. Zugleich bedeutete der Mangel an wirt-

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schaftlichen Verflechtungen, daß in Hispanoamerika ein auch den staatlichpolitischen Zusammenhalt förderndes Element fehlte. Die partikularen Tendenzen, die in der siedlungsgeographischen, der politisch-administrativen und der wirtschaftlichen Struktur lagen, wurden zunächst noch Oberdeckt durch die Autorität der Krone. Die Bindung der Spanisch-Amerikaner an den Monarchen war seit der Zeit der Konquista die stärkste Klammer nicht nur für die Zugehörigkeit der Kolonien zum spanischen Weltreich, sondern auch für den inneren Zusammenhalt des spanischen Besitzes in Amerika. Diese Bindungen waren allerdings im Laufe des 18. Jahrhunderts schwächer geworden. Die Regierungs- und Verwaltungspraxis des bourbonischen Absolutismus mit ihrem Zug zur Reglementierung des kolonialen Lebens und zur Beschneidung alter Rechte und Freiheiten hatte das Verhältnis zwischen Monarch und Untertanen im spanischen Amerika stark belastet. Die Ideen der englischen und französischen Aufklärung, deren Eindringen die amtliche Zensur nicht hatte verhindern können, trugen mit den Lehren von der Volkssouveränität zur Kritik an der Monarchie bei. Diese Lockerungen traditioneller Bindungen hatten allerdings die monarchische Autorität noch nicht so weit zu untergraben vermocht, daß Erhebungen gegen die Krone vom spanischen Amerika selbst ihren Ausgang nahmen. Es bedurfte vielmehr der Einwirkung von außen, der Voigänge in Europa, um die Bindungen an die Krone zu lösen. Nachdem aber die Monarchie gestürzt worden war, wurde die Bewahrung der Einheit in einem künftig unabhängigen Hispanoamerika kaum noch diskutiert und allgemein als unmöglich angesehen. Bolivar bezeichnete in seinem berühmten Brief aus Jamaica vom 6. September 1815, in dem er zu Fragen der künftigen Staatenbildung Stellung nahm, die politische Einheit als ein schönes, aber unerreichbares Traumgebilde. "Es ist eine grandiose Idee", heißt es in diesem Dokument, "die Neue Welt (hier auf Hispanoamerika bezogen) als eine einzige Nation zu formen. [...] Aber es ist nicht möglich, denn unterschiedliches Klima, unterschiedliche Lage, entgegengesetzte Interessen und ungleiche Charaktere trennen uns." (Mendoza 1972, 42). Bolivar führte also geographische, materielle und psychologische Divergenzen als Begründung für seine Prognose an, daß die politische Zersplitterung Hispanoamerikas unvermeidbar sei. Vor ihm hatte der rioplatensische Staatsmann Mariano Moreno (1810) geäußert: "Es ist eine Chimäre zu versuchen, aus dem spanischen Amerika einen Staat zu formen. Wie sollten unsere Interessen mit denen Mexikos vereinbar sein?" (Belaünde 1959, 176). Nach seiner Ansicht bedingten sowohl die geographischen Verhältnisse als auch die unterschiedlichen wirtschaftlichen Belange den Zerfall der Einheit. Auch in diesen wenigen Fällen also, in denen die Errichtung eines einzigen Nachfolgestaates für die spanische Kolonialherrschaft noch erwogen wurde, fiel die Antwort negativ aus und wurde der Zwang zur Desintegration betont. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß mit der Unabhängigkeitsbewegung den alten, aus der Kolonialzeit herrührenden Desintegrationsfaktoren neue hinzugefügt wurden; denn diese Bewegung trug unter den besonderen

90 Bedingungen der Zeit und des Raumes von Beginn an heterogenen Charakter. Die Situation, die die Voraussetzungen für die Emanzipation schuf, entstand unerwartet außerhalb der Kolonien und verfrüht insofern, als Vorbereitungen, Absprachen und gemeinsame Planungen für eine Zusammenarbeit im größeren Rahmen noch nicht vorlagen. Die Unabhängigkeitsbewegung setzte daher unverbunden auf lokaler Ebene jeweils in den größeren Städten ein, und die weiten Entfernungen sowie die geographische Isolierung der Teilgebiete erschwerten jede Koordinierung der Aktionen. Zwar ist eine Ausweitung der militärischen Zusammenarbeit unter den Patrioten trotz dieser Hindernisse allmählich erfolgt. Der berühmte Zug von San Martin aus Argentinien über die Andenpässe brachte den chilenischen Patrioten Unterstützung und führte zur endgültigen Beseitigung der spanischen Herrschaft in Chile. Die Befreiung Perus und Hochperus (des heutigen Bolivien) wurde mit Hilfe kolumbianischer, argentinischer und chilenischer Truppen durchgeführt. Aber dieses Zusammenwirken beschränkte sich auf die späteren Phasen der Unabhängigkeitskämpfe, und eine Zusammenfassung aller Kräfte unter einem einheitlichen Oberbefehl hat es auch dann nie gegeben. Zwischen Mexiko und Südamerika bestand nicht einmal die loseste Verbindung der militärischen Operationen. Unterschiedlich war auch der Verlauf der Kämpfe innerhalb der Teilgebiete Hispanoamerikas. Die La-Plata-Region erreichte bereits im ersten Ansturm ihre Unabhängigkeit (1810). In Venezuela, Kolumbien, Chile wechselten sich in blutigen Auseinandersetzungen Royalisten und Patrioten mehrfach in der Herrschaft ab. In fcru schließlich hielten sich die Spanier kontinuierlich bis zur Schlacht von Ayacucho (1824). Diese zeitliche Stufung in der Erkämpfung der Unabhängigkeit hatte weitreichende politische Konsequenzen. Sie brachte mit sich, daß in den Teilgebieten zu verschiedenen Zeiten und zumeist isoliert voneinander Regierungen errichtet wurden, die die alten spanischen Behörden ersetzten. Mit der Entstehung selbständiger politischer Gewalten in den Teilgebieten aber wurden vollendete Tatsachen geschaffen, die nach dem Abschluß der Kämpfe gegen Spanien kaum noch rückgängig zu machen waren. Selbst eine lose Form des Zusammenschlusses erwies sich unter diesen Umständen am Ende der Unabhängigkeitskämpfe als nicht mehr durchführbar. Das war die Erfährung, die Bolivar machte, als er den Kongreß von Panama berief. Sein Ziel war eine lockere Konföderation der unabhängigen Staaten, die vornehmlich Zwecken der gemeinsamen Verteidigung dienen sollte. Dabei stand für ihn allerdings der Gedanke im Hintergrund, hier eine Ausgangsbasis für engere zwischenstaatliche Bindungen zu schaffen. Der Versuch schlug bekanntlich fehl; denn nur vier Staaten entsandten (1826) Vertreter für den Kongreß, und die Konföderationsvereinbarungen wurden lediglich von einem Staat, nämlich Großkolumbien — dem Staate Bolivars — ratifiziert. Man wird diesen Fehlschlag allerdings nicht nur aus den internen Verhältnissen des spanischen Amerika erklären können. Mitgewirkt haben auch Fragen der internationalen Politik, die über den hispanoamerikanischen Bereich hinausgingen: Die Konföderationspläne Bolivars konzentrierten sich auf die Möglich-

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keit der gemeinsamen Abwehr von äußeren Angriffen. Das spanische Amerika aber hatte nach 1825 kaum noch äußere Feinde zu fürchten, denn ein erneuter Versuch der erschöpften spanischen Monarchie zur Rückeroberung der ehemaligen Kolonialgebiete war damals bereits unwahrscheinlich geworden. Zur See stand Großbritannien als Gegner von Interventionen der konservativen europäischen Mächte bereit, und die USA hatten sich 1823 in der Monroe-Doktrin zur Abwehr europäischer Eingriffe in die Verhältnisse des amerikanischen Kontinents verpflichtet. Eben diesen geringen Spannungen in den Beziehungen Hispanoamerikas zur Außenwelt entsprach die geringe Resonanz, die die Konföderationspläne Bolivars fanden, und die mangelnde Bereitschaft der unabhängigen Staaten, auch nur in der Form eines losen Zusammenschlusses an die ehemalige Einheit anzuknüpfen. Die Desintegration erscheint so als ein verhältnismäßig gerader, schon in der Kolonialzeit angelegter, durch die Unabhängigkeitsbewegung erweiterter und endgültig festgelegter Weg. Umstritten war dagegen die Frage, in welchen Grenzen sich die neuen Staaten konstituieren sollten. Eben dieses Problem der Staatenbildung hat zu zahlreichen und zum Teil kriegerischen Konflikten innerhalb Hispanoamerikas im Zeitraum zwischen 1819 und 1840 geführt. Ein juristisches Prinzip wurde allerdings schon im frühen Stadium der Unabhängigkeitsbewegung aufgestellt und allgemein akzeptiert: Es war der Grundsatz, daß sich die neuen Staaten an die administrativen Grenzen halten sollten, die innerhalb des spanischen Kolonialreiches im Jahre 1810 bestanden hatten. Aber wie war dieses Prinzip des uti possedetis für die Staatenbildung zu interpretieren? Im Sinne der großen Verwaltungseinheiten des ehemaligen Kolonialreiches, d.h. der Vizekönigreiche, oder vielmehr in bezug auf kleinere administrative Einheiten, die diese Vizekönigreiche unterteilt hatten? Es stellte sich damit das Problem, ob wenige Großstaaten oder eine Vielzahl kleinerer Staaten die Nachfolge der spanischen Herrschaft antreten sollten. Der Versuch zur Großstaatenbildung ist, ausgehend von den Zentren der alten Vizekönigreiche, fast überall gemacht worden. Von Buenos Aires her wurden militärische Expeditionen entsandt, um die Gebiete des heutigen Bolivien, Uruguay und Paraguay in den unabhängigen La-Plata-Staat einzubeziehen und damit die Grenzen des ehemaligen Vizekönigreiches wieder zu erreichen. Die Versuche scheiterten teils an der Abwehr der Spanier, teils an dem Widerstand, den die Einwohner dieser Gebiete leisteten. Die zentralistische Republik, die sich noch aus dem alten Vizekönigreich Neuspanien gelöst hatte, konnte 1822 zur Wiedervereinigung mit dem inzwischen unabhängig gewordenen Mexiko bewogen werden. Sie trennte sich jedoch bereits im darauffolgenden Jahr und nunmehr endgültig vom mexikanischen Staat. Großkolumbien, die Schöpfung Simón Bolívars, erstand in den Grenzen des alten Vizekönigreiches Neu Granada, zerfiel jedoch bereits 1830. Ein Vorgang, der maßgeblich zu dem Entschluß des Libertador beitrug, sich aus dem politischen Leben zurückzu-

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ziehen und noch kurz vor seinem Tode den Plan zu fassen, Amerika zu verlassen und Refugium in der Alten Welt zu suchen. Die zentrifugalen Kräfte, die diese Großstaatenbildung verhindert oder zu einer nur flüchtigen Erscheinung gemacht haben, entstanden in erster Linie aus Rivalitäten, und zwar zunächst aus Rivalitäten der Städte. Die Großstaaten umfaßten oder beanspruchten jeweils mehrere größere Städte, die alten Kerngebiete der spanischen Besiedlung, die in der Kolonialzeit Sitz spanischer Behörden gewesen waren und die in ihren Ratskollegien, den Cabildos, kräftige Organe der lokalen Selbstverwaltung mit einer jahrhundertealten Tradition besaßen. In diesen Städten war die Bereitschaft gering, sich jetzt im Zeichen der staatlichen Unabhängigkeit mit zweitrangigen Positionen gegenüber einem neuen städtischen Zentrum der Landeshauptstadt zu begnügen, da man hierin einen Rückschritt gegenüber den Verhältnissen der Kolonialzeit sah, in der die Gleichordnung der Städte untereinander stärker respektiert worden war. Es handelte sich dabei in erster Linie um Fragen des Prestiges, aber gerade sie haben im politischen Leben des spanischen Amerikas von der Kolonialzeit an eine sehr reale Bedeutung besessen. So war z.B. die mangelnde Bereitschaft, "sich alter Dignitäten zu begeben", wie es zeitgenössisch hieß, im Verhältnis der Städte Caracas und Quito zu Bogotá, der Hauptstadt Großkolumbiens, einer der Gründe für das Auseinanderbrechen der bolivarianischen Staatsschöpfung. Die Rivalität der Städte konnte auch wirtschaftlicher Art sein. So beruhte der Antagonismus Montevideo — Buenos Aires primär auf der Konkurrenz der beiden Hafenstädte im Außenhandel. Die Weigerung Montevideos, sich einem rioplatensischen Großstaat anzuschließen, entsprang vor allem der Furcht vor der wirtschaftlichen Überlegenheit der Hauptstadt und ihrem Anspruch auf das Außenhandelsmonopol. Dieser wirtschaftlich begründete Widerstand trug dazu bei, daß der von Buenos Aires unternommene Versuch, die nördliche Grenze des alten Vizekönigreiches auch in der neuen Staatsbildung am La Plata zu wahren, zu einem Fehlschlag führte. Zur Rivalität der Städte kam die Frage der Repräsentation der Teilgebiete in den Gremien der Regierung und Verwaltung, die ihren Sitz in der Landeshauptstadt hatten. Die Weite des Raumes und unzureichende Verkehrsverbindungen brachten es mit sich, daß die peripheren Landesteile ihre Vertreter nur unregelmäßig und nicht vollzählig entsenden konnten und damit vor allem in den Repräsentativversammlungen, im Senat und Kongreß, nur ungenügend vertreten waren. Der Einfluß der Teilgebiete auf die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Entscheidungen der Zentralgewalt wurde dadurch verringert. Eben dies gehörte zu den ständigen Gravamina Ekuadors und Venezuelas gegenüber Neu-Granada, dem Zentralgebiet der Republik Großkolumbien. Schließlich waren es finanzielle Probleme, die zum Zerfall der Großstaaten beitrugen. Die Wirtschaftsstruktur Hispanoamerikas änderte sich nach der Emanzipation nicht. Wie in der Kolonialzeit blieb sie eingestellt auf die Lieferung von agrarischen Produkten, Rohstoffen und Edelmetallen einerseits und die Aufnahme gewerblicher Erzeugnisse andererseits. Der Unterschied bestand

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lediglich darin, daß an die Stelle Spaniens jetzt andere europäische Länder, England und Frankreich, außerdem die USA als Abnehmer und Lieferanten traten. Die Zölle, die aus diesem Außenhandel einkamen, stellten für die jungen Staaten die wichtigste, häufig die einzig nennenswerte Einkommensquelle dar. In den Großstaaten wurde die Verteilung dieser fiskalischen Einkünfte auf die Landesteile zu einer Streitfrage, in der Einigung nicht erzielt wurde, in der keine Seite zu Kompromissen bereit war. Handelte es sich hier doch um eine Lebensfrage, nämlich um das Problem, wann und in welchem Umfang in den einzelnen Gebieten der Wiederaufbau nach dem Chaos der Unabhängigkeitskriege erfolgen konnte. Die Divergenz der Interessen in allen diesen Bereichen wirkte sich gegen eine Konstituierung der hispanoamerikanischen Staatenwelt in der Form einiger weniger Großstaaten aus. Zugleich sprachen die Interessengegensätze für die Bildung einer Vielzahl kleinerer Staaten. Denn die strittigen Probleme, Rivalitäten der Städte, Repräsentation der Teilgebiete gegenüber dem Zentrum, Verteilung fiskalischer Einnahmen, ließen sich leichter in verkleinerten Staatsräumen lösen. Aber ist die partikulare Lösung, wie sie sich schließlich durchsetzte, nur aus diesen Gründen zu verstehen? Wäre es so, dann müßte man in der vielgestaltigen Formierung der spanisch-amerikanischen Staatenwelt das Ergebnis von Zweckmäßigkeitsüberlegungen vorwiegend materieller Art erblicken und sie zugleich als Ausdruck des Unvermögens ansehen, zu befriedigenden Kompromissen zu gelangen. Aber auch dann noch bliebe ungeklärt, warum der Zerfäll an den Grenzen administrativer Unteigliederungen des spanischen Kolonialreiches, wie den Audiencias und Gobernationen haltmachte, obwohl auch deren räumliche Dimensionen zum Teil noch beträchtlich waren. Es ist also zu fragen, welche Kräfte es waren, die hier auf politischen Zusammenhalt hingewirkt und damit das Bild der Staatengesellschaft geprägt haben. Geht man diesem Problem nach, wird man auf Einflüsse treffen, die auf die Staatenbildung von dem sich regional entwickelnden Nationalbewußtsein der Spanisch-Amerikaner ausgegangen sind. Die Betrachtung kann sich dabei auf die Bevölkerungsschicht der Kreolen beschränken. Mit diesem Namen wurden die in Amerika geborenen Weißen spanischer Abkunft bezeichnet. Nur die Angehörigen dieser ethnischen Gruppe, die zugleich die soziale Oberschicht bildeten, haben nach dem Sturz der Kolonialherrschaft Einfluß auf die Konstituierung der unabhängigen Staaten gehabt. Die Kreolen stellten innerhalb der Gesamtbevölkerung zwar nur eine Minderheit dar, aber die übrigen Bevölkerungskreise — Indianer und Mestizen, in den heißen Zonen auch Neger und Mulatten — waren in einer Gesellschaft, in der die ethnische Zugehörigkeit zugleich die soziale Einstufung bestimmte, von politischen Entscheidungen bis auf wenige Ausnahmen ausgeschlossen. Hatte diese spanisch-amerikanische Oberschicht Formen des Gemeinschaftsbewußtseins entwickelt, die die spätere territoriale Abgrenzung der Staaten vorbereiteten oder sie unmittelbar beeinflußten?

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Das Zusammengehörigkeitsbewußtsein, das auf der Schwelle der Unabhängigkeit die Kreolen verband, war ambivalent: Es trug sowohl partikulare als auch integrale Zöge. Der integrale Zug kam in dem Solidaritätsbewußtsein zum Ausdruck, das sich im Laufe der Kolonialzeit unter den Amerikaspaniern gegenüber den sogenannten Europaspaniern, d.h. gegenüber den spanischen Neueinwanderern in erster Generation, gebildet hatte. Der Gegensatz zwischen diesen beiden Gruppen der weißen Oberschicht, deren Unterscheidungsmerkmal allein die Geburt in der Alten oder Neuen Welt war, entzündete sich an den Rivalitäten des Alltags, an Fragen der Ämterbesetzung, am schnelleren wirtschaftlich-sozialen Aufstieg der Europaspanier im wirtschaftlichen und sozialen Gefüge der Kolonien. Darüber hinaus wird man sagen dürfen, daß die Amerikaspanier am Ende der Kolonialzeit als Folge eines jahrhundertelangen Prozesses unter andersartigen sozialen, kulturellen und geographisch-klimatischen Bedingungen andere Lebensformen entwickelt hatten als die Europaspanier und daß sich damit Entfremdung und Konflikte einstellten. Der Antagonismus ging so weit, daß um die Mitte des 18. Jahrhunderts zwei aus Spanien entsandte Beobachter berichteten, daß sich Europaspanier und Kreolen in Amerika wie zwei feindliche Nationen gegenüberständen (Juan/Ulloa 1953, 319). Ähnliche Erfahrungen machte zu Anfang des 19. Jahrhunderts Alexander von Humboldt, der in seinem "Versuch über den politischen Zustand des Königreiches NeuSpanien" über die Kreolen schrieb: "Man hört diese Eingeborenen mit Stolz oft die Worte aussprechen: "Ich bin kein Spanier, sondern ein Amerikaner [...]" (Humboldt 1809, Bd. I, Buch II, 162). Das kreolische Solidaritätsbewußtsein, das sich in diesen Auseinandersetzungen entwickelt hatte, besaß innerhalb des spanischen Amerika keine Grenzen. Seine räumliche Dimension war der Gesamtbereich. Es gab also ein Zusammengehörigkeitsbewußtsein pan-hispanoamerikanischer Prägung. Dieses entsprang nicht dem Geist der Hispanität, dem Gedanken der Gemeinsamkeit der spanischen Welt in Europa und Übersee; vielmehr empfing es seine Impulse gerade aus der Gegnerschaft zu den Europaspaniern, mit denen sich die Kreolen in Amerika konfrontiert sahen. Ebendies bedingte auch seine geringe politische Wirkung in der nachkolonialen Zeit; denn als sich die Niederlage Spaniens abzeichnete und sich die Spanier aus Amerika zurückzogen, büßte die Frontstellung "hie Amerikaspanier — hie Europaspanier" ihre Aktualität ein, und mit ihr verlor das kreolische Solidaritätsbewußtsein sein stärkstes Stimulans. Der Mißerfolg des Panama-Kongresses und die allgemeine Ablehnung, auf die Bolivars Konförderationspläne stießen, enthüllten die Schwäche des Gemeinschaftsbewußtseins im staatlichen Bereich mit aller Deutlichkeit. Infolge dieser Entwicklung gewann die andere Ausprägung des kreolischen Patriotismus, der Patriotismus partikularer Prägung, an Gewicht. Seine Ursprünge, die in die Anfinge der Kolonialzeit zurückreichen, lagen in der Bindung an die engere Heimat, an dasjenige Gebiet des spanischen Amerikas, in dem der Kreole jeweils geboren war. Dieser "bodenständige" Patriotismus fand vielfachen Ausdruck in Apotheosen, in überschwenglichen Beschreibungen der

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Schönheiten, der Reichtümer und Vorzüge, die diese engere Heimat auszeichneten, und zwar nicht nur verliehen mit der Alten Welt, sondern auch im Vergleich mit den übrigen Gebieten der Neuen Welt. Die Verherrlichungen stimmten häufig mit den Tatsachen nicht überein: Etwa wenn Chile, eine notorisch arme Kolonie, von Bewohnern der Stadt Santiago charakterisiert wurde als das "bekanntermaßen mächtigste, fruchtbarste und reichste Gebiet in ganz Amerika"2. Aber gerade in solchen Idealvorstellungen trat der Patriotismus regionaler Prägung besonders deutlich in Erscheinung. Dabei gesellte sich zu den Äußerungen der Verbundenheit mit der eigenen Heimat gelegentlich auch schon die Ablehnung des Fremden, der nicht dem Bereich der engeren Heimat zugehörte, selbst wenn auch er Hispanoamerikaner war. Der territoriale Bereich, auf den sich dieser Patriotismus erstreckte, ist aus der Nomenklatur ersichtlich, die von den Amerikaspaniern verwandt wurde. Sie bezeichneten sich nämlich als Chilenen, Paraguayer, Venezolaner, Peruaner, Hochperuaner usw. Das aber waren Namen, die besagten, daß man sich einem Gebiet zugehörig fühlte, das eine bestimmte administrative Einheit innerhalb des spanischen Kolonialreiches bildete. Es handelte sich dabei nicht um die großen Territorialbezirke, die Vizekönigreiche, sondern um die kleineren Distrikte, um die Bezirke der obersten königlichen Gerichtshöfe der Audiencias und der Gobernationen, die die Vizekönigreiche unterteilten. Diese Verwaltungsdistrikte entsprachen nicht notwendigerweise geschlossenen geographischen Räumen. Wohl aber waren sie siedlungsgeographisch dadurch profiliert, daß zu ihnen jeweils eine dominierende Stadt gehörte, die die anderen Städte dieses Gebietes nicht nur in der Größenordnung, sondern vor allem durch die administrative Bedeutung überragte, die ihr als Sitz der für den Gesamtbereich zuständigen Behörden zukam, d.h. als Sitz der Audiencia oder des Gouverneurs. Durch diese Instanzen fiel die Entscheidung darüber, wieweit Anordnungen der Krone oder der Vizekönige angesichts der besonderen regionalen Verhältnisse tatsächlich durchzuführen seien, und bei ihnen wurde von den Bewohnern Recht gesucht, durch sie Recht gesprochen. Auch lag bei den regionalen Behörden und Amtsträgern die militärische Befehlsgewalt, wenn in Konflikten mit der autochthonen Bevölkerung, im Grenzkampf mit anderen europäischen Kolonialmächten oder beim Küstenschutz gegen Piraten ad hoc Entscheidungen ohne Beteiligung weit entfernter überregionaler Instanzen zu treffen waren. Unter solchen Umständen war die regionale Regierung und Verwaltung für die Bewohner des spanischen Amerika eine ungleich stärkere Realität als die von den Vizekönigen aus großer räumlicher Distanz ausgeübte Herrschaft. Durch die koloniale Administration wurde so für diese Territorialbezirke eine

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"Informe [...] del Comercio de Santiago sobre las producciones y comercio del país." Archivo Nacional, Santiago de Chile, Medina Manuscritos, Bd. 273, No. 8.047.

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gemeinsame Tradition etatistischer Prägung begründet, die unter den ethnischkulturell homogenen Amerikaspaniern Differenzierungen schuf, welche die Bevölkerung jeweils innerhalb der administrativen Grenzen verbanden, vom übrigen Hispanoamerika jedoch absonderten. Politische Vorzeichen besaß der Regionalismus während der Kolonialzeit allerdings noch nicht. Er gewann sie jedoch sehr schnell, als mit der Emanzipation von Spanien die Probleme der staatlichen Neukonstituierung auftauchten. Hier hat sich der Regionalismus als Sprengkraft für die Einheit der alten Vizekönigreiche und für neue Großstaatenbildungen erwiesen. Die Geschichte dieser Epoche bietet dafür zahlreiche Beispiele. Als sich 1810 Truppen der Unabhängigkeitsbewegung aus Buenos Aires nach Paraguay in Bewegung setzten, um dort die spanische Herrschaft zu beseitigen, rief der spanische Gouverneur zum Widerstand auf mit den Worten: "Buenos Aires will Paraguay erobern! Das Vaterland ist in Gefahr!"3. Der Appell an den regionalen Patriotismus fand unter den Bewohnern des Landes volle Resonanz. Die Abwehr der Truppen aus Buenos Aires hat damals die Voraussetzung geschaffen für die Bildung eines aus den Grenzen des alten Vizekönigreiches La Plata gelösten unabhänigigen Staates Paraguay. Auch dort, wo im Kampf gegen Spanien militärische Hilfe akzeptiert wurde, wurden die Befreier, wenn sie die Grenzen ihrer eigenen Region überschritten, von den Einheimischen vielfach als Fremde angesehen, die hier kein Heimatrecht, keinen Anspruch auf dauernden Aufenthalt, auf Anteil an der Regierung und Verwaltung besaßen. Das war die Erfahrung, die Marschall Sucre bei der Befreiung Perus und Hochperus mit Hilfe kolumbianischer Truppen machte. Simón Bolívar mußte sich mit diesem Problem auseinandersetzen, als es sich in Venezuela als unmöglich erwies, Ämter mit Persönlichkeiten zu besetzen, die aus anderen Teilen der Republik Großkolumbien stammten, zu einer Zeit, in der Venzuela selbst noch diesem Großstaat angehörte. Wenn in diesem Zusammenhang die Frage gestellt wurde: "Wo ist das Vaterland?", dann wurde sie überwiegend im Sinne der engeren Heimat, der patria chica, des "kleinen Vaterlandes" beantwortet. Allerdings war dieser regionale Patriotismus nicht stark genug, um ausnahmslos die Formierung der neuen Staaten zu bestimmen. Im nördlichen Randgebiet des spanischen Herrschaftsbereiches, der sich weit in das heutige Staatsgebiet der USA erstreckte, kam es nicht zur Staatsbildung innerhalb der regionalen Abgrenzungen der Kolonialzeit. In diesem nur spärlich besiedelten Raum hat es eine wirksame Ausübung von Herrschaftsgewalt durch die zuständige, weit im Süden residierende Audiencia von Guadalajara nicht gegeben, so daß sich hier keine Tradition der gemeinsamen Regierung und Verwaltung bilden konnte, die stark genug gewesen wäre, auf regionaler Ebene ein akzentuiertes Zusammengehörigkeitsbewußtsein zu schaffen. Die Zugehörigkeit dieser

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E. Cardozo. El Federal del Dr. Francia, Buenos Aires, 1941, 6, zit. nach: Kahle 1962, 236.

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Gebiete zu Mexiko, dem ehemaligen Vizekönigreich Neuspanien, ist daher nicht durch derartige regionale Bindungen in Frage gestellt worden. Umgekehrt hat sich in Zentralamerika das Regionalbewußtsein in den Grenzen der alten Audiencia von Guatemala als zu schwach erwiesen, um den Nachfolgestaat, die Zentralamerikanische Konföderation, zusammenzuhalten. Er zerbrach am partikularen Interesse rivalisierender Städte, die nun ihrerseits zum Kristallisationskern verkleinerter Staatengründungen wurden. Von solchen Sondererscheinungen abgesehen, kann man jedoch feststellen, daß ein an den kleineren Territorialbezirken des spanischen Kolonialreiches orientierter Patriotismus ein konstitutives Element der Staatenbildung gewesen ist. Gerade unter dieser Perspektive erscheint die Staatenbildung primär als Ausdruck vorherrschender Tendenzen innerhalb des Kreolentums und nicht so sehr als ein Werk von Einzelpersönlichkeiten, wie es historiographisch häufig dargestellt worden ist. Aber auch dann ist zu fragen, welche Rolle die handelnde und gestaltende Persönlichkeit für diese Entwicklungen gespielt hat. Im Kampf gegen Spanien, als Folge des heterogenen Charakters der Unabhängigkeitsbewegung, waren in vielen Teilgebieten Hispanoamerikas Männer emporgekommen, die auf Grund ihrer militärischen Verdienste zu politischer Macht gelangten: Caudillos, die über eine ihnen unbedingt ergebene Anhängerschaft verfügten. Sie haben die kreolischen Gremien, die zu Fragen der Staatenbildung Stellung nahmen, vielfach im partikularen Sinne beeinflußt und Entscheidungen nicht selten auch aus eigener Machtvollkommenheit getroffen. Aber ihre Wirksamkeit war offenbar keine unbedingte Voraussetzung für den Erfolg des Ffcrtikularismus; denn auch dort, wo solche profilierten Persönlichkeiten fehlten, formierten sich Staaten nach dem gleichen regionalen Prinzip, d.h. in Anlehnung an die kleineren administrativen Einheiten des spanischen Kolonialreiches. Diese partikularen Lösungen standen überdies im Widerspruch zur Konzeption der überragenden Führer der Unabhängigkeitsbewegung; denn Bolívar, San Martin und Sucre traten sämtlich für großstaatliche Organisationen ein. Ihr hohes persönliches Prestige reichte dennoch nicht aus, um sich gegen die breiten regionalen Strömungen durchzusetzen. Sie machten vielmehr die Erfahrung, daß hier Grenzen ihres Einflusses lagen. Man wird daher die Wirksamkeit des Persönlichkeitsfaktors auf die Staatenbildung nicht überschätzen dürfen, auch wenn im nationalen Selbstverständnis der Hispanoamerikaner diese Epoche weitgehend als von der Einzelpersönlichkeit geprägt erscheint. Zusammenfassend sind als diejenigen Faktoren, die Desintegration und Staatenbildung maßgeblich beeinfluß haben, zu nennen: 1. Die geographischen Verhältnisse als der konstante Faktor, der den politischen Zusammenhalt in Hispanoamerika erschwert hat. Am Beispiel der Desintegration und Staatenbildung wird ein für Lateinamerika typisches, dem Europäer aus seiner eigenen Geschichte nicht im gleichen Maße bekanntes Phänomen sichtbar: der enge Zusammenhang zwischen geographischer Umwelt und geschichtlichen Entwicklungen.

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2. Die Strukturen, die Kennzeichen der Dezentralisierung und des Regionalismus trugen. Die partikularen Züge der Siedlungs- und Wirtschaftsstrukturen, der politisch-administrativen wie der Denkstrukturen, waren in einem langfristigen Prozeß während der Kolonialzeit geformt und im Verlaufe der Unabhängigkeitskämpfe in voller Schärfe ausgeprägt worden. Sie haben den Wfeg zur Staatsbildung in der Pluralität anstelle der Einheit vorgezeichnet. 3. Das singulare historische Ereignis, das die Desintegration einleitete. Durch den Sturz der spanischen Monarchie in den Auseinandersetzungen der europäischen Mächte zur Zeit Napoleons wurden im spanischen Amerika die bis dahin nur latent vorhandenen Kräfte des Partikularismus freigesetzt. Die Vorgänge in der Alten Welt haben auf diese Weise nachhaltigen Einfluß auf die politische Gestaltung Hispanoamerikas ausgeübt.

Bibliographie Belaúnde, Victor Andres. 1959. Bolívar y el pensamiento político de la revolución hispanoamericana. Madrid: Ed. Cultura Hispánica. Humboldt, Alexander v. 1809. Ersuch über den politischen Zustand des Königreiches Neu-Spanien. Bd. I, Buch II. Tübingen: Cotta. Juan y Santacilia, Joige; Ulloa, Antonio de. 1953. Noticias secretas de América. Buenos Aires: Mar Océano. Kahle, Günter. 1962. Grundlagen und Anfänge des paraguayischen Nationalbewußtseins. Köln: Diss. Universität. Mendoza, Cristóbal Luis (Hrsg.). 1972. Simón Bolívar: Escritos del libertador, 1783-1830. Caracas: Sociedad Bolivariana de Venezuela.

Probleme der Staatenbildung im spanischen Südamerika, 1810-1830* Die spanisch-amerikanische Staatenwelt in Südamerika ist in nahezu der gleichen Gliederung, die sie auch heute noch aufweist, in den Jahren von 1810 bis 1830 entstanden. Das bedeutet nicht, daß die damaligen Staatsgrenzen erhalten geblieben sind. Unsichere Demarkationen in den weiträumigen und vielfach unerschlossenen Gebieten Südamerikas führten zu IJberschneidungen von Gebietsansprüchen und machten spätere Grenzregelungen notwendig. Kriegerische Auseinandersetzungen der hispanoamerikanischen Staaten untereinander hatten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ebenfalls Änderungen der Staatsräume zur Folge. Doch haben sich nach 1830 die südamerikanischen Staaten, die aus dem spanischen Kolonialreich hervorgegangen waren, als nahezu resistent sowohl gegen Zerfall als auch gegen Vereinigung erwiesen'. Die Staatenbildung in diesem Raum beruhte auf der Desintegration eines ehemals einheitlichen Herrschaftsgebietes. Der Zerfallsprozeß war jedoch kein selbstverständlicher Vorgang, da der Gesamtbereich auch nach dem Ende der spanischen Kolonialzeit noch stark homogene Züge aufwies. Zu ihnen gehörte die Existenz einer kulturell einheitlichen weißen Herrschaftsschicht spanischen Ursprungs, die Gemeinsamkeit des Glaubens im Katholizismus und eine dreihundertjährige Regierung und Verwaltung durch zentrale Organe des Mutterlandes. Es waren demnach Gemeinsamkeiten vorhanden, die als Grundlagen für den Fortbestand politischen Zusammenhaltes erscheinen können. Bereits in der Kolonialzeit gab es jedoch Verhältnisse und Entwicklungen, die auf die spätere Desintegration hindeuteten, Ansätze zur Dezentralisation, die teils durch die geographischen Verhältnisse nahegelegt, teils durch die spanische Kolonialpolitik geschaffen oder verschärft wurden. Sie waren sowohl in der Siedlungsgeographie als auch in der Administration und in der Wirtschaft der spanischen Kolonialzeit ausgeprägt. Die spanische Kolonisation war eine Punkt- und keine Flächenkolonisation, da sie nicht ländlich, sondern städtisch ausgerichtet war. Diese Siedlungsform wurde von der Krone für die Spanier in der Neuen Welt bewußt gewählt und gefördert, weil sie die spanischen Bewohner in den weiten Räumen Amerikas vor den Gefahren der Natur und vor feindlichen Angriffen besser schützte und zugleich den Behörden stärkere Kontrollmöglichkeiten bot als die flächenhafte ländliche Siedlung. Die spanische Bevölkerung konzentrierte sich infolgedessen

*In: Jürgen Elvert, Michael Salewski (Hrsg.). 1992. Staatenbildung in Übersee. Die Staatenwelt Lateinamerikas und Asiens. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 11-19. 'Eine Ausnahme war die Gründung der Republik Panama 1903 durch Abspaltung von Kolumbien.

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in einer Reihe größerer Städte, die siedlungsgeographisch begünstigt waren und die darüber hinaus als Sitz hoher Kolonialbehörden Bedeutung besaßen und Zuwanderer auch aus anderen Bevölkerungsgruppen anzogen. Sie lagen in den Hochländern (Bogotá, Quito) oder in den Küstenzonen (Buenos Aires, Lima, Santiago de Chile, Caracas), seltener im Tiefland des Inneren (Asunción). Von diesen städtischen Zentren ausgehend wurde die Besiedlung zur Peripherie hin dünner, da eine breite Streuung größerer Städte aus demographischen und geographischen Gründen nicht möglich war. Die Bevölkerungsschwerpunkte lagen daher weit voneinander entfernt und isoliert, so daß auf diese Weise eine Untergliederung des spanischen Kolonialgebietes erfolgte und partikulare Tendenzen angelegt waren. In der Administration schuf das Nebeneinander von Territorialbehörden ebenfalls Voraussetzungen für die spätere Desintegration. Zwar wurden Regierung und Verwaltung im spanischen Amerika durch zentrale Organe des Mutterlandes gelenkt, aber die großen kolonialen Territorialbezirke, d.h. die Vizekönigreiche (in Südamerika im 18. Jahrhundert die Vizekönigreiche Peru, NeuGranada und Rio-de-La-Plata), waren institutionell unverbunden und voneinander unabhängig. Etwas Ahnliches läßt sich auch für die koloniale Wirtschaftsstruktur sagen, denn auch hier waren die Teilbereiche auf ein Zentrum ausgerichtet, das außerhalb Amerikas lag, nämlich auf die Bedürfnisse des Mutterlandes, während sich innerhalb des spanischen Amerika wirtschaftliche Ergänzung und Güteraustausch nur in relativ geringem Umfang entwickelten. Selbst in der Reformzeit des aufgeklärten Absolutismus, die der Unabhängigkeitsepoche vorausging, war die Aktivierung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Mutterland und den Teilgebieten des spanischen Kolonialreiches stärker als die Belebung interkolonialer Handelsbeziehungen. Die partikularen Tendenzen, die in derartigen Strukturen lagen, wurden jedoch durch die Autorität der Krone überdeckt. Die Bindung der SpanischAmerikaner an den Monarchen bildete seit der Konquista die wohl stärkste Klammer zwischen Mutterland und Kolonien und damit auch für den Zusammenhalt des spanischen Besitzes in Amerika. Die traditionellen Bindungen waren auch im 18. Jahrhundert trotz steigender Unzufriedenheit mit Maßnahmen der Krone noch stark genug, um in den Kolonien Aufstandsbewegungen zu verhindern, deren Ziel die Trennung vom Mutterland war. Es bedurfte vielmehr der Einwirkung von außen, um die Bindungen an die Krone zu lösen. Dies geschah in den napoleonischen Kriegen, als 1808 die Dynastie der spanischen Bourbonen gestürzt und die iberische Halbinsel nahezu vollständig von französischen Truppen besetzt wurde. Erst der Zusammenbruch der alten Gewalten im Mutterland öffnete den Weg für die Emanzipation der Kolonie. Nachdem aber dieser Prozeß in Gang gekommen war, wurde die Bewahrung der Einheit in einem künftigen unabhängigen Hispanoamerika nur noch selten diskutiert und allgemein als unmöglich angesehen, wobei geographische Hindernisse, unterschied-

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liehe materielle Interessen und andersartige Mentalitäten als Begründung für eine zukünftige politische Aufgliederung genannt wurden. Bolívar verlieh in seinem Brief aus Jamaika vom 6. September 1815 dieser Ansicht mit den Worten Ausdruck: "Es ist eine grandiose Idee, die Neue Welt als eine einzige Nation zu formen [...], aber es ist unmöglich, denn unterschiedliches Klima, unterschiedliche Lage, entgegengesetzte Interessen und ungleiche Charaktere trennen Amerika [hier auf Hispano-Amerika bezogen]" (Mendoza 1972, 49). Mit den Unabhängigkeitsbewegungen kamen neue Desintegrationsiaktoren hinzu, denn diese Bewegung trug unter den besonderen Bedingungen der Zeit und des Raumes von Beginn an heterogenen Charakter. Die Situation, welche die Emanzipationsbewegungen auslöste, d.h. der Sturz der Monarchie, trat unerwartet und verfrüht insofern ein, als gemeinsame Planungen der Patrioten für eine Zusammenarbeit in größerem Rahmen nicht vorlagen. Die Unabhängigkeitsbewegungen in Südamerika setzten daher unverbunden, zumeist auf lokaler Ebene ein, und die geographische Isolierung der Teilgebiete erschwerte auch weiterhin jede Koordinierung der Aktionen. Entsprechend unterschiedlich war der Verlauf der Unabhängigkeitsepoche. Die La-Plata-Region erreichte 1810 ihre Unabhängigkeit; in Venezuela, Kolumbien und Chile wechselten sich Royalisten und Patrioten mehrfach in der Herrschaft ab, in Peru schließlich hielten sich die Royalisten kontinuierlich bis 1824, in Bolivien (damals Hochperu) sogar bis 1825. Die zeitliche Stufung in der Erkämpfung der Unabhängigkeit hatte weitreichende politische Folgen, denn sie brachte es mit sich, daß in den Teilgebieten zu verschiedenen Zeiten Regierungen errichtet und damit vollendete Tatsachen geschaffen wurden, die nach dem Abschluß der Kämpfe gegen Spanien kaum noch rückgängig zu machen waren. Das war die Erfahrung, die Bolívar 1826 mit dem ersten Panamerikanischen Kongreß machte, als sein Versuch fehlschlug, eine Konföderation der unabhängigen Staaten zu bilden. Nunmehr war nämlich keine der neuen Regierungen zur Aufgabe von Souveränitätsrechten oder zum Aufgehen in größeren politischen Einheiten bereit. So scheint die Desintegration ein verhältnismäßig gerader Weg gewesen zu sein, der in der Kolonialzeit angelegt und in der Unabhängigkeitsepoche endgültig festgelegt wurde. Es bleibt aber die Frage, in welchen Grenzen sich die neuen Staaten konstituierten. Eben diese Frage hat zu zahlreichen und zum Teil kriegerischen Konflikten in der Unabhängigkeitsepoche geführt. Zwar wurde allgemein der Grundsatz akzeptiert, daß sich die neuen Staaten an diejenigen administrativen Grenzen halten sollten, die innerhalb des spanischen Kolonialreiches im Jahr 1810 bestanden hatten. Aber wie war dieses Prinzip des uti possidentis für die Staatenbildung zu verstehen? Im Sinn der großen Territorialbezirke, d.h. der Vizekönigreiche, oder vielmehr im Sinn der kleineren territorialen Einheiten, welche die Vizekönigreiche unterteilt hatten? Damit stellte sich das Problem, ob wenige Großstaaten oder eine Vielzahl kleinerer Staaten die Nachfolge der spanischen Herrschaft antreten sollten.

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Obwohl der Versuch der Großstaatenbildung in den Grenzen der alten Vizekönigreiche überall gemacht wurde, fiel die endgültige Entscheidung zugunsten der Vielzahl aus. Die neuen Staatsräume entsprachen den Bezirken der ehemaligen Audiencias oder dem Gebiet der alten Gobemationen an den Grenzen des kolonialspanischen Herrschaftsbereiches. Die Gründe für diese Option lagen vor allem in den Rivalitäten der Städte. Die alten Vizekönigreiche bzw. die Versuche zu neuen Großstaatenbildungen umfaßten jeweils mehrere größere Städte, deren kreolische (d.h. spanischamerikanische) Führungsschicht wenig Neigung zeigte, sich im Zeichen der Unabhängigkeit mit zweitrangigen Positionen gegenüber einer neuen Metropole, der Landeshauptstadt, zu begnügen und sich, wie es zeitgenössisch hieß, "alter Dignitäten zu begeben". Hinter solchen Prestigefragen standen zumeist sehr reale wirtschaftliche und politische Interessen. So beruhte der Antagonismus Montevideo/Buenos Aires primär auf der Konkurrenz der beiden Hafenstädte im Außenhandel, auf dem Kampf um Im- und Exportzölle, die damals die einzigen fiskalischen Einnahmen bildeten. Ein weiterer Konfliktstoff war gegeben, wenn entfernt gelegene Städte bzw. Regionen bei Entscheidungsprozessen in der Hauptstadt nur schwach repräsentiert und damit im Nachteil waren, weil sie ihre Vertreter nicht rechtzeitig oder nicht in genügender Anzahl entsenden konnten. Hierdurch wurde zum Beispiel das Verhältnis der Städte Caracas und Quito zu Bogotá nachhaltig belastet, ein ungelöstes Problem, das zum Zerfall der bolivarianischen Staatenschöpfung Großkolumbien beitrug. Die vielfachen Interessengegensätze, die hier zutage traten, wirkten sich gegen eine Konstituierung der Staatenwelt in Form einiger weniger Großstaaten aus; sie sprachen vielmehr für die Bildung kleinerer Staaten, in denen die strittigen Problem leichter lösbar erschienen. \Nfarum aber machte die Desintegration an den Grenzen bestimmter Untergliederungen des spanischen Kolonialreiches — vor allem der Audiencias — halt, obwohl auch deren räumliche Dimensionen noch beträchtlich waren? Welche Kräfte waren es, die in diesem Rahmen auf politischen Zusammenhalt hingewirkt und einen weiteren Zerfäll verhindert haben? Hier kommt dem regionalen Eigenbewußtsein der Spanisch-Amerikaner zentrale Bedeutung zu. Bereits in der Zeit vor der Unabhängigkeitsbewegung hatte sich regionaler Patriotismus im Sinn einer Bindung an die engere Heimat entwickelt, an dasjenige Gebiet des spanischen Amerika, in dem man geboren war. Der Geltungsbereich dieses Patriotismus war nicht der Gesamtraum des spanischen Amerika oder eines Vizekönigreiches, sondern der kleinere Raum, der durch den Bezirk der Audiencia oder der Gobernación begrenzt wurde. Zu ihm gehörte jeweils eine dominierende Stadt, die Sitz der für den Territorialbezirk zuständigen obersten Behörden war. Die von hier ausgehende Regierung und Verwaltung war für die Bewohner des kolonialen spanischen Amerika eine ungleich stärkere Realität als die von den Vizekönigen aus großer räumlicher Distanz ausgeübte Herrschaft. Sie schuf für diese Territorialbezirke gemeinsame Traditionen, auch Interessengemeinschaften, welche innerhalb der ethnisch-

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kulturell weitgehend einheitlichen spanisch-amerikanischen Führungsschicht zu regionalen Differenzierungen führte. Politische Vorzeichen besaß der Regionalismus während der Kolonialzeit allerdings noch nicht. Er gewann sie aber sehr schnell, als mit der Emanzipation von Spanien die Frage staatlicher Neubildungen auftauchte. Hier hat sich der Regionalismus als Sprengkraft für die Einheit der ehemaligen Vizekönigreiche und für neue kurzlebige Großstaatenbildung erwiesen, wie er andererseits ein konstitutives Element für die Entstehung einer stark gegliederten Staatenwelt war. Die ersten Verfassungen, welche die innere Struktur der jungen Staaten bestimmen sollten, entstanden bereits vor Abschluß der Kämpfe gegen die Royalisten. Vollends nach der endgültigen Erreichung der Unabhängigkeit erfaßte eine wahre Verfassungseuphorie die Patrioten, namentlich die Juristen unter ihnen. Zahlreiche Verfassungen wurden entworfen, wieder verworfen und neue formuliert. Als Vorbild dienten sowohl die Verfassung der Vereinigten Staaten als auch die französischen Revolutionsverfassungen und die liberale Verfassung der spanischen Cortes von 1812. Trotz mancher Variationen, die sich schon aus der Übernahme der unterschiedlichen ausländischen Vorbilder ergaben, wiesen sie doch einen im Wechsel einheitlichen Grundzug auf: Die ersten Verfassungen sahen noch eine — mehr oder weniger ernst gemeinte — Treuhandschaft für den von Napoleon gefangengehaltenen Ferdinand VII. vor; nach 1814, d.h. nach der Restauration des Absolutismus in Spanien, wurde jedoch nur noch die republikanische Staatsform verfassungsmäßig verankert. Unumstritten war diese Entscheidung gegen die Monarchie nicht. Es gab in den Jahren von 1816 bis zum Anfang der 20er Jahre eine Reihe von Versuchen, erneut Monarchien zu errichten, welche allerdings nicht mehr die Form der absoluten, sondern die der konstitutionellen Monarchie haben sollten. Argentinische, chilenische und peruanische Emissäre suchten in Europa nach passenden Kronprätendenten; Bolivar wurde nahegelegt, sich als Monarch in Großkolumbien inthronisieren zu lassen. Der Grund für diese Pläne lag in den chaotischen Verhältnissen, die in den neuen Staaten zum Dauerzustand geworden waren. Die kreolische Oberschicht nämlich, die nach dem Abzug der Europaspanier die politische Führung übernommen hatte, war in sich vielfach zerstritten. Regionale Interessengegensätze innerhalb des gleichen Staates, divergierende Konzepte über föderalistischen bzw. unitarischen Staatsaufbau, unterschiedliche Auffassungen über das Verhältnis von Staat und Kirche und nicht zuletzt Rivalitäten zwischen großen Familienverbänden führten zu zahlreichen Konflikten, die häufig gewaltsam ausgetragen wurden. So war es nicht verwunderlich, daß die Frage aufgeworfen wurde, ob nicht unter der Autorität eines Monarchen stabilere Verhältnisse einkehren würden. Für diese Lösung sprach auch, daß eine offizielle Anerkennung der jungen Staaten durch die europäischen Mächte leichter zu erreichen sein würde, wenn man auf monarchischer Ebene verhandeln könnte, da im Europa der Heiligen Allianz die erbmonarchische Legitimität zum Kriterium für völkerrechtliche Anerkennung erklärt worden war. Schließlich gab der Blick auf Brasilien, wo unter der Monarchie weitaus stabilere Verhältnisse

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als in den spanisch-amerikanischen Republiken herrschten, den Befürwortern der monarchischen Staatsform zusätzliche Argumente. Der Fehlschlag dieser Bemühungen ist häufig darauf zurückgeführt worden, daß sich keine geeigneten Persönlichkeiten landen, die bereit waren, ein solches Amt zu übernehmen. Doch sind dies wohl Hindernisse vordergründiger Art gewesen. Das Haupthindernis war vielmehr, daß sich die Monarchie in den langjährigen Unabhängigkeitskriegen durch die rücksichtslose Verfolgung ihrer Gegner diskreditiert hatte, und daß die Liberalisierungsversprechen Ferdinands VII. nicht eingehalten wurden, sondern wieder in den Absolutismus einmündeten. Nicht nur infolge dieser negativen Erfahrungen, sondern auch angesichts des Beispiels der Vereinigten Staaten, in denen sich die republikanische Staatsform bereits bewährt hatte, setzte sich in der kreolischen Führungsschicht die Auffassung durch, daß die Volkssouveränität, mit der die Patrioten ihre Unabhängigkeitsbestrebungen legitimiert hatten, besser in republikanischen als in monarchischen Staaten zu verwirklichen sei. Weniger einheitlich fiel die Option für die unitarische bzw. föderalistische Organisationsform aus. Hier wechselten die in den Verfassungen festgelegten Prinzipien nicht nur von Staat zu Staat, sondern schon im Lauf zweier Jahrzehnte auch innerhalb des gleichen Staates. Für den Föderalismus sprach die Überlegung, daß durch ihn die einzelnen Regionen besser vertreten sein würden. Vom Unitarismus, der die Zentralgewalt stärker betont, erwarteten seine Anhänger, daß er namentlich in Zeiten der Bedrängnis die größere Effizienz in der Durchsetzung übergreifender Planungen und Maßnahmen erzielen würde. In der Wirklichkeit aber entstanden weder föderale noch unitarische Staatswesen, wie sie die Verfassungen vorsahen. Der Föderalismus zeigte sich in der praktischen Politik vielmehr als Wirtschaftsform lokaler oder regionaler Machthaber und führte, z.B. in Argentinien, bis an den Rand des staatlichen Zerfalls, während sich der Unitarismus zumeist als Diktatur, als die Herrschaft eines "starken Mannes", äußerte. Das Wahlrecht wurde in den Verfassungen an Alphabetismus und an wirtschaftliche Positionen, d.h. an Besitz oder Beruf, gebunden. Man hat in diesen Bestimmungen sicherlich mit Recht das Bestreben der Oberschicht gesehen, eigene Machtpositionen zu erhalten oder zu stärken. In der Praxis kann aber das Gewicht der Wählerstimmen auch in dieser selektiven Form nicht groß gewesen sein, wenn man es an der Frage mißt, ob durch \Abhlen politische Veränderungen bewirkt wurden. Zu Regierungswechseln nämlich haben die verfassungsmäßig vorgesehenen Wahlen, sofern sie überhaupt stattfanden, nicht geführt, vielmehr nur eine Bestätigung bestehender Verhältnisse gebracht. Machtwechsel erfolgten durch Putsch und Staatsstreich, nicht durch die Stimme der Wähler, ein unübersehbarer Unterschied zwischen den Buchstaben der Verfassungen und den Realitäten. Auch hier wieder zeigte sich, daß es nicht gelungen war, durch die Verfassungen Normen zu setzen, die in der praktischen Politik Gültigkeit besaßen.

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Entscheidungsträger im Prozeß der Staatsbildung und weit darüber hinaus war in vielen Fällen das Militär. Die Heere der damaligen Zeit waren keine Berufsarmeen mit geregelter Laufbahn und entsprechender Ausbildung. Vielmehr waren es zunächst die Streitkräfte der Patrioten, deren Offiziere, vielfach ehemalige Milizoffiziere, in den Unabhängigkeitskriegen militärische Erfahrungen gesammelt und militärisches Prestige erworben hatten. Unter ihnen stand die Masse der Soldaten, zumeist Farbige, in deren Reihen sich viele Zwangsrekrutierte mit entsprechender Neigung zum Desertieren befanden. Diese Armeen der Befreiungskriege gingen dann in die Armeen der unabhängigen Staaten über. Neben ihnen und häufig in Konkurrenz zu ihnen bestanden weiterhin, wie in der Kolonialzeit, Milizen und in unscharfen Übeigängen zu den offiziellen Institutionen auch private Armeen. Die Offiziere der Streitkräfte praktizierten bereits in der frühen Phase der Staatsbildung den militärischen Putsch und den Staatsstreich; sie setzten sich über die verfassungsmäßigen zivilen Institutionen hinweg und übernahmen damit eine entscheidende Rolle im politischen Leben der unabhängigen Staaten. Welches waren die Voraussetzungen für dieses Übergewicht der Militärs? Die jungen Staaten waren im Krieg entstanden, in dem verständlicherweise das Militär die Vorhand gegenüber den etwa gleichzeitig oder kurz danach entstehenden zivilen Gewalten besaß. So ist die Neigung der Militärs erklärlich, Eingriffe in das politische Leben vorzunehmen mit der Begründung, daß die militärische Lage über Sein oder Nichtsein der neuen Staaten entschiede. Bolivar selbst gab eines der frühen Beispiele für eine solche Haltung, als er als junger Offizier Miranda, der vom Kongreß der ersten venezolanischen Republik 1812 mit dem militärischen Oberkommando und zugleich mit Regierungsvollmachten versehen worden war, ohne Wissen und Auftrag des Kongresses gefangennahm und den Spaniern auslieferte. Die Entstehung der militärischen Tradition, sich in das politische Geschehen einzuschalten und sich über zivile Gewalten hinwegzusetzen, war jedoch nicht nur der Tatsache zuzuschreiben, daß die Staaten im Krieg ins Leben traten. Prägend war vielmehr auch, daß die Unabhängigkeitskriege Bürgerkriege und damit Auseinandersetzungen waren, in denen die Grenzen zwischen militärischen und politischen Kompetenzen noch stärker verschwimmen als im Krieg mit auswärtigen Gegnern. Schließlich ist aber ein derartiges Übergewicht der einen über die andere Gewalt, wie es in den jungen spanisch-amerikanischen Staaten in der Stellung der Militärs zutage trat, immer auch eine Frage des fehlenden Gegengewichtes. Und eben diese Schwäche der zivilen Institutionen ist eines der großen Probleme in der Zeit der Staatsbildung gewesen und weit darüber hinaus geblieben. Die Selbstregierung nämlich besaß im spanischen Amerika nur eine vergleichsweise schwache Tradition. In der Kolonialzeit hatte sie sich auf die Ratskollegien der Städte, also auf die lokale Ebene, beschränkt. Auf regionaler Ebene gab es jedoch keine entsprechenden Institutionen. Hier lag ein deutlicher Unterschied zum angelsächsischen Nordamerika, wo in den einzelnen Kolonien

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bereits gewählte legislative Versammlungen bestanden. Zwar hatten Deputierte aus dem spanischen Südamerika an den liberalen Cortes im Mutterland in den Jahren 1810-1814 und 1820-1824 teilgenommen, aber ihre Zahl war zu gering und die Zeit zu kurz, um eine wirkliche Tradition der Selbstregierung zu schaffen, an die man in den unabhängigen Staaten hätte anknüpfen können. Auch wurde den verfassungsmäßig voigesehenen Organen der Selbstregierung wenig Gelegenheit zur Konsolidierung gegeben. Wo Repräsentativversammlungen zusammentraten, wurden sie zumeist durch Putsch und Staatsstreich, durch militärische pronunciamientos, außer Funktion gesetzt, zu einem Schattendasein verurteilt oder zu gefügigen Werkzeugen gemacht. Offensichtlich war auch die Schwäche der staatlichen Bürokratie. Nach dem Zusammenbruch der spanischen Herrschaft wurden wichtige Ämter zunächst weitgehend mit Militärs besetzt, die sich Verdienste in der Unabhängigkeit erworben hatten, aber keine Erfahrung in der Verwaltung besaßen. In der Folgezeit wurden die Beamten, gleichgültig ob militärischer oder ziviler Provenienz, bei den zahlreichen Regierungswechseln ebenfalls ausgewechselt, so daß sie von vornherein nicht erwarten konnten, innerhalb der staatlichen Bürokratie festen Fuß zu fassen. Die Folge war, daß sie mit legalen oder illegalen Mitteln versuchten, sich anderweitig abzusichern. Ohnehin standen für den Aufbau oder die Erhaltung eines wirksamen Beamtenapparates nur ungenügende Mittel zur Verfügung. Dies war nicht nur eine Nachwirkung der Unabhängigkeitskriege, welche die Finanzen zerrüttet und ganze Wirtschaftszweige zerstört hatten; es war vielmehr auch eine Konsequenz des überhöhten Militärbudgets, das die Zivilliste selbst dann noch weit überwog, als die Unabhängigkeitskriege längst abgeschlossen und Bedrohungen von außen gering geworden waren. Obwohl immer wieder auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht wurde, hier Einsparungen vorzunehmen, unternahm letzten Endes keine Regierung wirksame Schritte, um Abhilfe zu schaffen — sei es, daß man nicht wagen konnte, sich die Armee zum Feinde zu machen, sei es, daß man die Armee als ein Instrument betrachtete, das zur Durchsetzung eigener Ziele benötigt wurde. So ist rückschauend auf die Jahrzehnte der Staatsgründungen eine Militarisierung der politischen Kultur und damit ein deutlicher Unterschied zur Kolonialzeit festzustellen, in der die Angehörigen der Streitkräfte zwar Sonderrechte in Form der eigenen Gerichtsbarkeit (des fuero militar) genossen, im politischen Leben jedoch keine ausschlaggebende Rolle gespielt hatten. Ein Potential für tiefgreifende soziale Veränderungen war das Militär dennoch nicht. Zwar ermöglichte die Armee den sozialen Aufstieg: In den Unabhängigkeitskriegen hatte die militärische Leistung, nicht so sehr die ethnische oder soziale Herkunft den Ausschlag gegeben, so daß auch Angehörige der farbigen Unterschichten in höhere und hohe militärische Ränge gelangt waren. Die soziale Mobilität innerhalb der Armee blieb auch nach dem Abschluß der Unabhängigkeitskriege, wenngleich in vermindertem Umfang, bestehen. Die Aufsteiger haben sich jedoch sehr schnell der kreolischen Oberschicht anzu-

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passen gesucht. In der Regel geschah dies durch Erwerb von Landbesitz auf legalen oder illegalen Wegen. Auf der anderen Seite war das Militär kein Element der politischen Stabilität. Die Streitkräfte bildeten keinen solidarischen Block, in welchem der Korpsgeist stark genug gewesen wäre, um Dissens zu überbrücken und einheitliches Handeln zu ermöglichen. Charakteristisch war vielmehr die Zersplitterung, das Bild der rivalisierenden und um die Macht kämpfenden Gruppen. Vergeblich wird man auch hier nach einer Einstellung suchen, die — nach den Worten Max Webers — dem Staat gegenüber beruht "auf der Dienstpflicht für einen sachlichen, unpersönlichen Zweck und der Obödienz gegenüber abstrakten Normen" (Weber 1956, 588). Eine zentrale Aufgabe der Staatsbildung war demnach nicht erfüllt worden: Es war nicht gelungen, an die Stelle der alten Autorität, der Autorität der spanischen Krone, eine allgemein anerkannt neue Autorität zu setzen. Eine solche stellten die jungen, durch eruptive Vorgänge entstandenen Staaten noch nicht dar. Zum Ersatz für die fehlende Bindung an Institutionen wurden jetzt die Bindungen an Persönlichkeiten, wobei nicht so sehr die gemeinsame politische Zielsetzung als vielmehr die persönliche Anziehungskraft des Anführers, die Hoffnung auf Belohnung oder alte und neue Abhängigkeitsverhältnisse die gegenseitigen Beziehungen bestimmten. Dieser vielberufene "Personalismus" konnte in Ausnahmefällen auf nationaler Ebene in der Form langjähriger Diktaturen zu relativ ruhigen und stabilen Verhältnissen führen, wie es in Chile und Paraguay der Fall war. Zumeist aber brachte er Fragmentierung und Instabilität mit sich, eine Erscheinung, welche die Jahrzehnte der Staatsbildung im spanischen Südamerika kennzeichnete. Auch hierin lag eine starke Veränderung gegenüber der Kolonialzeit. Zwar hatte der Personalismus auch Wurzeln in kolonialen Strukturen, vor allem in der Hacienda als einer Institution mit zahlreichen persönlichen Bindungen und Abhängigkeitsverhältnissen; als eine Form der politischen Herrschaft weit über den lokalen Rahmen hinaus trat er jedoch erst während und nach der Unabhängigkeitsepoche in Erscheinung. Die Gründungsväter der spanisch-südamerikanischen Staaten gebrauchten für das Staatsvolk ausgiebig das Wort "Nation" und implizierten damit, daß die jungen Republiken "Nationalstaaten" seien. Aber waren sie es wirklich? Der Begriff des Nationalstaates besagt, daß die Bevölkerung, die innerhalb der staatlichen Grenzen lebt, durch einigende Faktoren als Gemeinwesen, eben als Nation, konstituiert und zusammengehalten wird, sei es, daß die Gemeinsamkeiten kultureller Natur und damit gewissermaßen vorgegeben sind, sei es, daß auf Grund einer gemeinsamen politisch-institutionellen Tradition eine Willensgemeinschaft besteht, zu der sich der Einzelne bekennt. An beidem aber fehlte es im spanischen Amerika. Eine gemeinsame kulturelle Grundlage war angesichts der vielfältigen Unterschiede zwischen der indianischen Bevölkerung und den Nachkommen der europäischen und afrikanischen Einwanderer in keinem der neuen Staaten vorhanden. Eine gemeinsame politisch-institutionelle Prägung war zwar durch die jahrhundertelange spanische Kolonialherrschaft erfolgt, aber

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eine Willensgemeinschaft, in der sich der Einzelne der so geprägten Nation verpflichtet fühlt, bestand nicht. Die Mehrheit der Bevölkerung wurde zu Fragen der Staatsbildung nicht gehört, vielmehr wurden die Entscheidungen von einer schmalen Oberschicht getroffen, der auch weiterhin die Teilnahme am politischen Leben vorbehalten blieb. Im Blick auf das spanische Südamerika wird man daher sagen können, daß der Staat vor der Nation bestand, und daß der Weg noch weit und beschwerlich war.

Bibliographie Mendoza, Cristóbal Luis (Hrsg.). 1972. Simón Bolívar: Escritos del libertador, 1783-1830. Caracas: Sociedad Bolivariana de Venezuela. Weber, Max. 1956. Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen: Mohr.

Chilenische Opposition gegen die Wirtschaftspolitik des Vizekönigreiches Peru, 1778-1810* Ein allgemeines Kennzeichen des Wirtschaftslebens der spanisch-südamerikanischen Kolonien im 18. Jahrhundert ist das Erstarken von Zentrifugalkräften gegenüber dem alten Mittelpunkt Lima. Das Ausmaß dieses Prozesses war allerdings regional unterschiedlich. Buenos Aires hatte sich in der ausgehenden Kolonialzeit so weit zum erfolgreichen Rivalen der "Stadt der Könige" entwickelt, daß sich bereits die künftige Verlagerung des wirtschaftlichen Schwergewichtes von den pazifischen Randgebieten zur atlantischen Seite des spanischen Südamerika abzeichnete. Für Chile dagegen handelte es sich in der zweiten Hälfte des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Verhältnis zu seinem nördlichen Nachbarn, d.h. Lima im engeren, dem Vizekönigreich Peru im weiteren Sinne, noch immer darum, Abhängigkeiten zu beseitigen, deren Wurzeln weit in die koloniale Vergangenheit zurückreichten. Die Auseinandersetzungen, die sich aus dem Zusammenstoß dieser chilenischen Tendenzen mit dem Streben Limas nach Aufrechterhaltung alter Vormachtstellungen ergaben, beherrschen das Bild der Wirtschaftsbeziehungen des Generalkapitanats Chile1 zum Vizekönigreich Peru in den drei letzten Dekaden der kolonialen Ära. Die Gesamtsituation des Indienhandels in diesen Jahrzehnten wird bestimmt durch das System des "Freien Handels", mit dem Karl III., der reformfreudigste der spanischen Bourbonen, den Handelsverkehr zwischen dem Mutterland und seinen amerikanischen Besitzungen wie auch den interkolonialen Warenaustausch auf neue Grundlagen gestellt hatte. Bis ins 18. Jahrhundert hinein bestand das System der "Flotten und Galeonen", das die Handelsverbindungen zwischen Spanien und Südamerika auf den Weg beschränkte, den die Galeonen von Sevilla, später Cádiz, zum Isthmus von Panama nahmen. Nach dem spanischen Erbfolgekrieg traten Lockerungen durch die Registros Sueltos ein, Lizenzen, die in Einzelfällen spanischen Schiifen das Anlaufen amerikanischer Häfen außerhalb der Geleitzüge und ihrer festliegenden Routen gestatteten; Cádiz blieb jedoch Ausgangs- und Endpunkt auch dieser Fahrten. Die endgültige Abkehr von den "Flotten und Galeonen" brachte für den Südteil der Indien die Verordnung Karls III. vom 12. Oktober 1778, die dem Vizekönigreich Peru, dem (1776 gegründeten) Vizekönigreich La Plata und dem

*In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 43 (1956), H. 2, 146-168. 'Administrativ bildete das Generalkapitanat seit der Durchführung der IntendantenOrdonnanz (1785) eine selbständige Verwaltungseinheit innerhalb des spanischen Imperiums, die nur noch den zentralen Instanzen des Mutterlandes, nicht mehr dem Vizekönig in Lima unterstellt war. An der Spitze der chilenischen Kolonialverwaltung stand der Gouverneur und Präsident der Audiencia von Santiago (im folgenden als Präsident bezeichnet), der zugleich als Generalkapitän militärischer Befehlshaber war.

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Generalkapitanat Chile die zwölf wichtigsten spanischen Häfen zum direkten Verkehr öffnete und außerdem für diesen Handel eine Reduzierung der Abgaben für Wären spanischen oder spanisch-amerikanischen Ursprungs verfügte2. Bereits 1774 und 1776 waren die Beschränkungen für den Austausch von Landesprodukten zwischen den Teilgebieten des spanischen Amerika weitgehend aufgehoben worden3. Der Verkehr mit dem Ausland blieb zwar weiterhin an den Umweg über das Mutterland gebunden, doch erhielten die spanisch-amerikanischen Kolonien mit der Einführung dieser Reformen die Möglichkeit des direkten Handelsverkehrs sowohl mit dem Mutterland wie innerhalb der Indien selbst. Unter diesem System des Comercio Libre zeigte der chilenische Außenhandel, rekonstruiert nach den Ein- und Ausfuhrstatistiken des Generalkapitanates für das Jahr 18024, folgendes Bild: Der Wert der chilenischen Einfuhr betrug 1.963.857 Pesos, darunter als wichtigste Posten peruanischer Zucker (512.229 ps), V&ren aus Europa (469.378 ps, davon 70-75 % Textilien), Mate aus dem Vizekönigreich La Plata (413.342 ps) und 1ocuyos5 (179.818 ps) aus Cuenca, Arequipa und Cochabamba in Südamerika. In beträchtlichem Abstand folgte Indigo aus Peru (45.993 ps). In der Gesamtausfuhr im Werte von 751.357 ps standen an erster Stelle Getreide für Peru (185.328 ps), Kupfer (im Gesamtwert von 132.050 ps, davon für 108.411 ps nach Peru, für 23.639 ps in die angrenzenden Provinzen des Vizekönigreichs La Plata) und Talg für Peru (130.080 ps). Es folgten kleinere Posten, sämtlich unter 35.000 ps, für Häute, Dörrfleisch und Mandeln, die ebenfalls überwiegend nach Iferu weitergeführt wurden.

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"Reglamento y Aranceles para el Comercio Libre de España a Indias". Wiedergegeben bei Daniel Mariner, 1923, Bd. I, 67-85. In den Jahren 1765-1789 wurden diese Konzessionen sämtlichen Kolonien des spanischen Amerika gewährt. 3 Reales Cédulas vom 20.1.1774 und 10.7.1776. In: Facultad de Filosofía y Letras Buenos Aires (Hrsg.). 1915. Documentos para ¡a Historia Argentina. Bd. V. Buenos Aires, 306-310 und 373-374. Für die Handelsbeziehungen Chiles zu Peru stellten diese Anordnungen insofern keine Neuerung dar, als der peruanische Markt Chile schon vorher offengestanden hatte, wie umgekehrt auch Peru in Chile an- und verkaufen konnte. Zur geschichtlichen Erforschung und allgemeinen Problematik der Handelsbeziehungen zwischen den Teilgebieten des spanischen Amerika s. R. Konetzke, 75f. 4 "Estado General que manifiesta la internación y la exportación de efectos y frutos así de Europa como de América verificada en el año de 1802". AGI, Chile 444. Diese bisher unveröffentlichten Statistiken haben gegenüber der anderen für den chilenischen Außenhandel nach Einführung des Comercio Libre vorliegenden Aufstellung (verfaßt vom Sekretär des Konsulats von Santiago, 10.1.1796, veröffentlicht in Salas 1910, Bd. 1, 162-166) den Vorteil, nicht auf Schätzungen, sondern auf den Erhebungen der chilenischen Zollverwaltung zu beruhen. Allerdings leiden auch sie, wie allgemein die Statistiken der spanischen Kolonialzeit, an Unzulänglichkeiten. Ungenau sind vor allem die Angaben über das Ursprungsgebiet der aus dem Bereich des spanischen Amerika nach Chile eingeführten Waren. 5 Tocuyos = mittelgrobe Baumwollstoffe.

Ili Das Außenhandelsdefizit des Generalkapitanates wurde ausgeglichen durch den Abfluß von Edelmetallen. In der Zeit von 1789-1808 betrug der Jahresdurchschnitt des in Chile gewonnenen und in der Münze von Santiago geprägten Goldes 740.608 ps, der des Silbers 197.600 ps®. Ein Veigleich dieser Zahlen mit dem Außenhandelsdefizit von 1.389.686 ps im Jahre 1788 (Encina 1952, 339) und 1.212.485 ps für das Jahr 1802 bekräftigt die zeitgenössischen Aussagen, nach denen dieser Edelmetallexport so umfangreich war, daß sich der Binnenmarkt in ständiger Bargeldknappheit und Kapitalarmut befand (Salas, Bd. 1, 1910, 170). Für den peruanischen Anteil am Außenhandel des Generalkapitanats eigibt sich nach den Statistiken des Jahres 1802, daß rund 45 % der chilenischen Einfuhr peruanischen Ursprungs waren, während etwa 86 % der chilenischen Ausfuhr nach Peru gingen. Zur Erklärung der Tatsache, daß Peru den chilenischen Export fast vollständig aufnahm, ist zunächst zu berücksichtigen, daß die chilenische Wirtschaft, von Metallen abgesehen, ausschließlich agrarische Produkte der gemäßigten Zone und Erzeugnisse der Viehzucht zu bieten hatte. Das aber waren Güter, die in Spanien bzw. über Spanien auf anderen europäischen Märkten, belastet mit den hohen Transportkosten aus Übersee bei geringem spezifischen Wert, nicht auf Absatz rechnen konnten. An dieser Lage vermochte die Freigabe des unmittelbaren Handelsverkehrs mit dem Mutterlande nichts zu ändern. Auch auf den spanisch-amerikanischen Märkten waren die chilenischen Ausfuhrmöglichkeiten begrenzt durch Chiles verkehrsgeographisch ungünstige Lage innerhalb der Indien und vor allem durch den Mangel an Schiffsraum an der pazifischen Küste7. Das Zukunftsbild, das die chilenischen Kaufleute nach der Freigabe des Handels mit den Vizekönigreichen Neu Granada und Neu Spanien durch die königliche Anordnung des Jahres 1774 von Chile als dem Versoiger der pazifischen Küstenstädte bis nach Panama entworfen hatten8, verwirklichte sich daher nicht. Bis zum Ende der Kolonialzeit ist kein Vordringen des chilenischen Exportes nach Norden über die peruanischen Häfen hinaus festzustellen. Unter

Errechnet nach José Canga Arguelles 1833, 9, unter Korrektur der Verwechslung der Prägungsziffern von Gold und Silber, die noch Diego Barros Arana 1886, Bd. VII, übernimmt. (Zum Vergleich lagen u.a. die Angaben des Leiters der Casa de Moneda von Santiago für das Jahr 1809 vom 20.1.1810 vor. AGI, Chile 384). 7 Encina 1952, Bd. V, 349 nennt für die Schiffahrt an der pazifischen Küste für das Jahr 1871 die Gesamtzahl von 67 Handelsschiffen. '"Informe al Presidente de Chile a nombre del Comercio de Santiago sobre las producciones y comercio del País". Medina, Colección de Documentos Inéditos para la Historia de Chile. Manuscritos, Bd. 273, No. 8.047, Biblioteca Nacional, Santiago. Die Denkschrift ist anonym und undatiert, jedoch bald nach 1774 verfaßt, da auf die Freigabe des interkolonialen Handels als neuer Entwicklung Bezug genommen wird (abschriftlich zugänglich gemacht, ebenso wie die Dokumente des Archivo de la Capitanía, von Dr. Richard Krebs, Santiago).

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den Nachbargebieten waren die angrenzenden Provinzen des Vizekönigreiches La Plata nahezu Selbstversorger in bezug auf Agrarprodukte. Als Absatzmarkt blieb daher auch unter dem System des "Freien Handels" nur Peru, und der Export der chilenischen Erzeugnisse fand dort eine Grenze, wo die Aufnahmefähigkeit des peruanischen Marktes erschöpft war. Das galt vor allem für den Export von Weizen, der an der Spitze der chilenischen Ausfuhrgüter rangierte. Andererseits war Peru auf die chilenischen Getreidelieferungen angewiesen, seit das große Erdbeben von 1687 weite Gebiete in der Umgebung Limas unfruchtbar gemacht hatte, — ein Ereignis, das für die "Stadt der Könige" eine Katastrophe, für Chile aber die Grundlage zur Entwicklung seines Außenhandels bedeutete, wie der Sekretär des Konsulats der Kaufleute von Santiago um 1800 rückblickend feststellte9. Außerdem wurde die landwirtschaftliche Produktion des Vizekönigreiches durch den zunehmenden Mangel an Arbeitskräften gehemmt, der seinerseits eine Folge des Rückganges der eingeboren Bevölkerung bzw. ihres Abwanderns in den Bergbau war. Im Grunde bestand hier also eine für beide Teile günstige Ergänzung der peruanischen und der chilenischen Wirtschaft. Nachteile für Chile ergaben sich jedoch einmal aus der Tatsache, daß die Aufnahmekapazität Perus in Jahren normaler oder guter Ernte nicht an den Überschuß der chilenischen Getreideerzeugung heranreichte; zweitens dadurch, daß der Transport von Getreide sich beinahe ausschließlich auf den Schiffen der peruanischen Reeder abspielte, die gleichzeitig als alleinige Ankäufer des chilenischen Weizens auftraten10. Diese Vorteile gegenüber den chilenischen Getreideproduzenten wurden von den Limenser Reedern/Kaufleuten konsequent ausgenutzt. Entweder hielten sie ihre Schiffe im Hafen von Callao zurück, bis die chilenischen Hacendados, die bereits die Kosten für den Transport vom Landesinnern zur Küste und die Lagerungskosten im Exporthafen von Valparaiso bezahlt hatten, befürchten mußten, daß das Getreide nicht mehr abzusetzen sei, und sich deshalb zu Preissenkungen bereit fanden. Ober aber sie veranlaßten über ihre Agenten durch Ankaufsversprechungen, die später nicht eingehalten wurden, die chilenischen Hacendados zu zusätzlichen Getreidelieferungen nach Valparaiso, wodurch das dort schon vorhandene Überangebot noch gesteigert und die Preise weiter herabgedrückt wurden. Eine häufig geübte Methode war es, die Lagerverwalter in Valparaiso zu verleiten, das eingelagerte Getreide auf eigene Rechnung und zu entsprechend niedrigen Preisen heimlich abzugeben und sich dann den Eigentümern gegenüber damit zu entschuldigen, daß die fehlenden Getreidebestände vom Korawurm befallen und deshalb ins Meer geworfen worden seien. Selbst in Zeiten schlechter Ernte gelang es mitunter den peruanischen Kaufleuten, mit Hilfe der Lager-

®Memorandum von José de los Irribem, 29.2.1797. AGI, Chile 443. l0 Salas 1910, Bd. I, 159 berichtet, daß der Getreidetransport von 26 Schiffen durchgeführt wurde, von denen nur drei in chilenischem, die übrigen in peruanischem Besitz waren.

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Verwalter Überangebote vorzutäuschen und die hacendados zu übereilten Abschlüssen zu bewegen. Es gab Jahre, in denen das chilenische Getreide nach der Ernte in Valparaiso zu 7-8 Reales (rs) pro Fanegan nach Lima verkauft wurde — zu einem Unterpreis also, denn die Selbstkosten betrugen für den Getreideproduzenten rund 12 rs einschließlich Transport zur Küste und Lagerung in Valparaiso —, während in der Folgezeit in Chile selbst Getreideknappheit eintrat und die Hacendados beim Einkauf von Saatgetreide den drei- bis vierfachen Wert des von ihnen bei den Limenser Kaufleuten erzielten Verkaufspreises zahlten (Informe al Presidente, Encina 1952, 285-288; Gay 1848, 10-16). Der Kampf gegen diese Vorgänge im Getreideexport war alt. Bereits unter dem chilenischen Präsidenten Ortiz de Rozas (1745-1755) hatte ein Cabildo Abierto, d.h. eine nur bei wichtigen Anlässen übliche Zusammenkunft der Stadtvertretung unter Beteiligung der Bürgerschaft, in Santiago beschlossen: 1. Einen Festpreis von 2 ps pro Fanega für das Getreide zu bestimmen, der für die Käufer in guten und schlechten Zeiten verbindlich sein sollte12. 2. Die Zufuhren nach Valparaiso so zu regeln, daß Getreide aus dem Binnenlande jeweils nur in einem Umfange dorthin transportiert werden sollte, welcher der durchschnittlichen jährlichen Aufnahmefähigkeit des peruanischen Marktes (angesetzt mit 130.000 Fanegas) entsprach. 3. Einen staatlichen Aufseher für die Getreidelager in Valparaiso zu ernennen, um Täuschungsmanöver der von Lima bestochenen Lagerverwalter zu verhindern. Die Beschlüsse bedurften jedoch der Zustimmung des peruanischen Vizekönigs, da sie in einer Zeit gefaßt wurden, in der diesem noch Aufsichtsrechte über Chile zustanden. Die Beschwerden der Reeder und Kaufleute Limas, daß derartige Einschränkungen ungesetzlich seien, veranlaßten den zunächst schwankenden Vizekönig, die Maßnahmen der Stadtvertretung von Santiago, die vom chilenischen Präsidenten unterstützt wurden, zu verbieten. Der Streit wurde daraufhin dem Indienrat vorgelegt mit dem Erfolg, daß eine Real Cedula sowohl dem peruanischen Vizekönig wie dem chilenischen Präsidenten Amat (17551761) zuging, welche die Beschlüsse des Cabildo von Santiago sanktionierte und das Verbot des peruanischen Vizekönigs aufhob13. Der chilenische Präsident machte von den Möglichkeiten, die diese königliche Anordnung bot, keinen Gebrauch, "da er die despotische Jurisdiktion des Vizekönigreiches kannte und sie fürchtete [...]", wie die chilenischen Kaufleute und Getreideproduzenten beschwerdeführend feststellten. Aber auch nachdem das Generalkapitanat am Ausgang des 18. Jahrhunderts endgültig unabhängig vom Vizekönig in Lima geworden war, wurden die Vorschläge des Cabildo nicht verwirklicht, die

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Fanega = Hohlmaß, das mit Getreide gefüllt einem Gewicht von 156 Pfund entsprach. Ein Peso verhält sich zu einen Real wie 8:1. "Jahreszahlen werden in dem "Informe al Presidente de Chile a nombre del Comercio [...]" nicht genannt. l2

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Unterbewertung des Getreides dauerte bis zum Ende der Kolonialzeit an. In einer Beschwerdeschrift des Präsidenten Pino aus dem Jahre 1799 wird festgestellt, daß der chilenische Weizen von den peruanischen Kaufleuten für nur 6 rs pro Fanega erworben und in Lima für 32 rs weiterverkauft würde1*. Diese Zahlen geben allerdings die Verhältnisse eines Ausnahmejahres wieder. Immerhin vermitteln sie einen Eindruck von dem Reingewinn, der den Limenser Kaufleuten auch nach Abzug von 10 rs für die Transportkosten Valparaiso/Callao verblieb. Erneut flammte der Streit zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf, als 1804 die Weizenpest die Getreideproduktion in Chile verringerte und die Preise in Valparaiso anzogen. Sofort legte das Cabildo der Stadt Lima durch den Vizekönig beim chilenischen Präsidenten Protest gegen diese Preisbewegung ein und erhob den Vorwurf, daß es sich um einen chilenischen Versuch handle, die Preise künstlich in die Höhe zu treiben. Der Syndikus des Cabildo von Santiago antwortete daraufhin, daß nicht Peru, sondern Chile Grund zur Klage hätte, da Lima nach wie vor bestrebt sei, die chilenischen Weizenerzeuger in die Enge zu treiben, um dann das Getreide zu einem den Kaufleuten genehmen Preis anzukaufen, "was zu erheblichem Schaden und zum Ruin unseres wichtigsten Handelsgutes führt'" 5 . Zusammenfassend ist festzustellen, daß die begrenzte Aufnahmefähigkeit des peruanischen Marktes, die konkurrenzlose Stellung der Reeder/Kaufleute Limas im Ankauf wie im Transport des chilenischen Weizens und die Unterstützung, die jene durch ihren Vizekönig erhielten, die chilenischen Bemühungen um Verbesserung des Getreidepreises fehlschlagen ließen. Schließlich wird man auch das offensichtliche Unvermögen der chilenischen Getreideproduzenten, sich ein zutreffendes Bild über den jährlichen Stand von Angebot und Nachfrage und von den Vorgängen in Valparaiso zu verschaffen, zur Erklärung dieser Abhängigkeit von den Limenser Ankaufebedingungen heranziehen müssen. Während in der Ausfuhr der chilenischen Haupterzeugnisse auch nach der Durchführung der bourbonischen Handelsreform die Abhängigkeit vom peruanischen Markt bestehen blieb, brachte auf der Einfuhrseite der Comercio Ubre weitreichende und für das Generalkapitanat positive Änderungen der chilenischperuanischen Handelsbeziehungen mit sich. Durch den Abbau der "Flotten und Galeonen" war die beherrschende Stellung Limas als Verteilerin der europäischen Afören innerhalb Südamerikas ins Wanken geraten. Solange das alte System bestand, hatte die Limenser Kaufmannschaft, sobald sich die Schiffe aus Spanien dem Isthmus von Panama

l4

Präsident Joaquín del Pino an den peruanischen Vizekönig Ambrosio O'Higgins, 14.6.1799. Archivo de la Capitanía General (ACG), Bd. 636, No. 7.572, Archivo Nacional, Santiago. l3 Der Syndikus des Cabildo von Santiago, Pedro José Gonzáles Alamos an den Präsidenten Muñoz de Guzmán, 19.11.1804. ACG, Bd. 636, No. 7.572.

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näherten, nahezu ihr gesamtes Kapital, zumeist in Form von (gemünztem) Edelmetall, auf dem Seeweg zur Landenge von Panama transportiert, um dort auf der Messe von Portobelo sämtliche eintreffenden W&ren aufzukaufen. Sie wurden dann auf einer zweiten Messe in Lima an die Kaufleute des Inneren weitergegeben oder auch auf direktem Weg von Ffenama nach Guayaquil, Hochperu und Chile geliefert (Céspedes del Castillo 1947, 7ff.). Infolge dieser konkurrenzlosen Stellung im Zwischenhandel war die Kaufmannschaft der "Stadt der Könige" in der Lage, die Preise für europäische W&ren weitgehend zu bestimmen, und eben hier hatte für Chile wie für das übrige Südamerika, soweit es sich nicht um Randgebiete der Karibischen See handelte, die durch Abzweigungen der Flotten- und Galeonenwege direkt bedient wurden, ein Grund ständiger Kontroversen mit den Kaufleuten Limas gelegen16. Unter dem System des "Freien Handels", wenngleich nicht unmittelbar nach seiner Einführung, bietet sich ein völlig verändertes Bild: Der peruanische Vizekönig Gil de Taboada gibt im Rechenschaftsbericht über seine Amtstätigkeit den Wert der über Fsru nach Chile gelieferten europäischen Waren für die Jahre 1785 bis 1789 mit insgesamt 1.431.000 ps (Barros Arana 1886, 39S), d.h. mit einem Jahresdurchschnitt von 286.200 ps an. Die chilenische Außenhandelsstatistik des Jahres 1802 zeigt dagegen nur noch Importe europäischer Waren aus Peru im Werte von 13.982 ps 6 1/2 rs. Über Buenos Aires und die Kordilleren führte Chile im gleichen Jahr für 397.841 ps 6 1/2 rs, und auf dem Seeweg um das Kap Horn für 57.553 ps 3 rs europäische Wären ein17. Der Vergleich ist zwar nicht vollständig, da die Zahlen für 1785-1789 nicht erkennen lassen, ob und wie weit in Chile in diesen Jahren zusätzlich europäische Güter eingeführt wurden, die nicht über Peru kamen. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß die ersten Monate des Jahres 1802 in eine Zeit des Krieges mit England fallen, so daß die Einfuhr, ohne daß sichere Vergleichszahlen vorliegen, 1802 als reduziert gegenüber Friedensjahren gelten muß. Trotz dieser Einschränkungen läßt der Rückgang von 286.200 ps auf 13.982 ps einwandfrei erkennen, daß zwischen 1785 und 1802 das Generalkapitanat in der Versorgung mit europäischen V&ren von den Limenser Kaufleuten unabhängig geworden war. Die Einfuhr wurde jetzt durch die chilenischen Kaufleute selbst getätigt und durch den Fortfäll des peruanischen Zwischenhandels sowie durch das vermehrte Warenangebot als Folge des direkten Handelsverkehrs mit Spanien wesentlich verbilligt. Soweit europäische Güter über Buenos Aires nach Chile kamen, handelte es sich um reinen Durchgangsverkehr durch das Vizekönigreich La Plata, der wegen seines geringeren Risikos vor allem in Kriegszeiten dem

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Einen anschaulichen Bericht über die Lage Chiles unter dem alten Außenhandelssystem der "Flotten und Galeonen" und die Veränderungen im Laufe des 18. Jh.s enthält das Memorandum des Konsulatssekretärs José de los Irriberri, 29.2.1797. AGI, Chile 443. l7 "Estado General que manifiesta la internación y la exportación [...]", a.a.O.

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Transport zur See um das Kap Horn trotz höherer Frachtkosten vorgezogen wurde. Während sich die chilenische Kaufmannschaft in den Ausfuhrhandel nach Peru nicht einzuschalten vermochte, dieser vielmehr bis zum Ende der Kolonialzeit überwiegend in der Hand der Limenser Kaufleute blieb, brachte die Umleitung der europäischen reneinfuhr eine erhebliche Stärkung des chilenischen Handelsstandes und seiner Position gegenüber Lima mit sich. In den gleichen Prozeß ordnen sich die erfolgreichen Bemühungen der Kaufleute des Generalkapitanates ein, sich durch die Errichtung eines eigenen Konsulates aus dem Zuständigkeitsbereich des Konsulates der Stadt Lima zu lösen. Die Konsulate in den Indien, aufgebaut nach dem Vorbild der Consulados im Mutterland, waren berufsständische Vereinigungen der einheimischen Kaufleute. Sie unterlagen nur lockerer staatlicher Aufsicht, wenngleich ihre Beziehungen zu den kolonialen Behörden schon dadurch eng waren, daß sie diesen Vorschläge zur Förderung des Handels machen konnten, während sie umgekehrt mit der Durchführung staatlicher Maßnahmen auf dem Gebiete des Handels, der Geldwirtschaft und gelegentlich sogar der öffentlichen Arbeiten beauftragt wurden. Weiterhin fungierten sie als Handelsgerichte, deren Richter von den Angehörigen der Konsulate aus ihrer Mitte gewählt wurden. Fast zwei Jahrhunderte bestanden diese Einrichtungen nur in den beiden Zentren des Indienhandels in der Neuen Welt, den Städten Mexiko (seit 1592) und Lima (seit 1613). Erst die königlichen Anordnungen von 1778 zur Einfuhrung des Comercio Libre stellten in Artikel 53 mit der Eröffnung des direkten Handelsverkehrs zwischen Mutterland und Kolonien auch die Errichtung von neuen Konsulaten in den Indien in Aussicht (Martner 1923, 84). In Chile verstärkten sich darufhin die Bestrebungen, eine entsprechende Lizenz vom König zu erhalten. Sowohl die Kaufmannschaft als auch die Stadtvertretung Santiagos führten in ihren Eingaben aus, daß die Abhängigkeit von einem Gremium, in dem die chilenischen Kaufleute nicht vertreten seien, das sich vielmehr aus den Kaufherren der "Stadt der Könige" zusammensetzte, deren Interessen denen der chilenischen Wirtschaft nicht entsprächen, für das Generalkapitanat unhaltbar sei18. Ein Bevollmächtigter der Kaufmannschaft von Santiago versuchte in Madrid, diesen Standpunkt durchzusetzen, während umgekehrt das Konsulat der Stadt Lima durch einen Vertreter in Spanien zu verhindern suchte, daß sein Machtbereich durch die Errichtung eines eigenen chilenischen Konsulates beschränkt würde". Das Gutachten, das der Contador General de las Indias 1789 in Abwägung der chilenischen und peruanischen Wünsche gab, fiel zugunsten der chilenischen Kaufmannschaft aus. Es kam zu dem Schluß, daß auf

"Ausführliche Korrespondenz in: AGI, Chile286 ( u.a. Schreiben von Diego de Paniagua im Namen der chilenischen Kaufleute an den König, 9.4.178S) und Chile 441. "Schreiben des Bevollmächtigten des Konsulates der Stadt Lima an den König, 30.10.1785 und 17.1.1786. AGI, Chile 286.

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dem Gebiet der staatlichen Verwaltung und der militärischen Befehlsgewalt die Emanzipation Chiles von Peru nahezu vollständig sei, und daß man dieser Tendenz zur Lösung des Generalkapitanates vom Vizekönigreich auch durch Anerkennung des wachsenden wirtschaftlichen Eigenlebens in Chile Rechnung tragen sollte: [...] da es genügend Kaufleute in der chilenischen Hauptstadt selbst gibt, hinzugerechnet diejenigen, die sich innerhalb Chiles auf ihren Haciendas befinden [...], vermag der Contador General nicht einzusehen, welche Gründe nach Recht und Billigkeit vorliegen könnten, um jener Kaufmannschaft die Hilfe und den Schutz zu verweigern, der seinerzeit derjenigen Limas und Mexikos gegeben wurde20. Die endgültige Entscheidung ließ allerdings noch fest sechs Jahre auf sich warten. Mit der Real Cédula vom 26.2.1795 wurde schließlich die Errichtung eines Konsulates in Santiago, des dritten im südlichen Südamerika nach Lima und Buenos Aires (1794), gestattet21. Innerhalb der allgemeinen, auf verstärkte Dezentralisation des Indienhandels gerichteten Politik des Mutterlandes, läßt sich somit die Bereitschaft erkennen, auch die wirtschaftlichen Selbständigkeitsbestrebungen des Generalkapitanates gegenüber dem Vizekönigreich zu unterstützen. Andererseits trafen oder sanktionierten die zentralen Instanzen in Spanien jedoch Maßnahmen, die geeignet waren, die Bestrebungen der chilenischen Wirtschaft zu hemmen. Das galt vor allem für die staatliche Monopolpolitik, soweit sie die Versorgung Chiles mit Tabak und Quecksilber betraf. Das Bestreben, die öffentlichen Einnahmen zu erhöhen, hatte den Indienrat im Jahre 1747 veranlaßt, den Vizekönig in Lima zu ermächtigen, das Staatsmonopol für Tabak in Peru einzuführen. 17S2 wurde daraufhin der bis zu diesem Zeitpunkt freie An- und Verkauf in staatliche Regie genommen und im folgenden Jahr das neue Monopol auch auf Chile ausgedehnt. Die dort geschaffene Tabakverwaltung wurde zunächst derjenigen Limas unterstellt, 1786 jedoch insofern selbständig gemacht, als sie von jetzt ab nicht mehr der Aufsicht der peruanischen Monopolverwaltung unterlag. In der fundamentalen Frage der Versorgung aber blieb sie an Lima gebunden, da die gesamte Tabakeinfuhr Chiles, gleichgültig, ob sie aus peruanischer Produktion oder aus anderen Gebieten des spanischen Amerika stammte, weiterhin über die peruanische Tabakverwaltung bezogen werden mußte.

^Gutachten von Francisco Machado, 15.6.1789. AGI, Chile 441. Der Satz enthält einen interessanten Hinweis auf die Tatsache, dafl eine scharfe Trennung des Standes der Großgrundbesitzer (hacendados) von dem der Kaufleute nicht existierte. Beides trat häufig innerhalb der gleichen Familie auf, fiel sogar gelegentlich in der gleichen Person zusammen. 21 "Real Cédula de Erección del Consulado de Chile", 26.2.1795. AGI, Chile 441.

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Für die öffentlichen Finanzen des Generalkapitanates wurde das Tabakmonopol zum wichtigsten Einkommenszweig. Zwei vollständig vorliegende Bilanzen der Jahre 1788 und 1809 beziffern die Einnahmen der chilenischen Real Hacienda22 auf 592.178 ps (888.672 ps), die Ausgaben auf 654.278 ps (986.564 ps). Innerhalb dieser Bilanzen beliefen sich die Bruttoeinnahmen aus dem Tabakmonopol auf 237.600 ps (388.012 ps), der Reingewinn auf rund 138.483 ps (176.653 ps)23. Aus diesen Zahlen geht ferner hervor, daß die chilenische Renta de Tabacos mit hoher Verdienstspanne arbeitete, trotz der vielfachen Anklagen, die sie gegen die Limenser Monopolverwaltung wegen Schmälerung der Gewinne durch zu hohe Berechnung der Gestehungs- und Transportkosten für den nach Chile gelieferten Tabak erhob24. Wichtiger als diese fiskalischen Gesichtspunkte sind in unserem Zusammenhang die Auswirkungen des Tabakmonopols auf die chilenischen Konsumenten; gehörte doch das Generalkapitanat zu den Gebieten des spanischen Amerika, in denen der Tabakverbrauch allgemein verbreitet und nicht, wie in Peru, auf einzelne soziale oder ethnische Gruppen beschränkt war25. Die Bemühungen der chilenischen Tabakverwaltung, Erhöhungen der Verbraucherpreise unter allen Umständen zu vermeiden, sowie häufige Hinweise in der Korrespondenz der chilenischen Kolonialbehörden auf die Reaktion der Bevölkerung bei Verschlechterungen quantitativer oder qualitativer Art in der Belieferung lassen erkennen, daß die Tabakversoigung für die Einwohner Chiles mehr als sekundäre Bedeutung besaß26. Zunächst zeigen die Beträge für die von der chilenischen Renta de Tabacos verkaufte Wire, daß die Auslieferung von Tabaken im Generalkapitanat auch im Vergleich zur Bevölkerungszunahme gestiegen war. In den Jahren zwischen 1778 und 1810 hatte sich die Einwohnerzahl Chiles etwa verdoppelt; sie zählte

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Die Real Hacienda ist die Staatskasse mit der Gesamtheit der staatlichen Einnehmen und Ausgaben. ^Die Angaben für das Jahr 1788 aus einer Bilanz des Contador Mayor, Juan de Oyarzábal, wiedergegeben bei Barros Arana 1886, Bd. VII, 334-337. Die Zahlen für 1809, jeweils in Klammern, aus: "Estado de la Real Hacienda del Reyno de Chile en el año de 1809". AGI, Chile 374. M U.a. Präsident Muñoz de Guzmán an Miguel Cayetano Soler, Ministro de Indias. 12.6.1803 und 14.3.1804. AGI, Chile 373. 25 Mestizen und Indianer zogen in Peru Coca dem Tabak vor. Unter der weiften Bevölkerung waren die unteren Schichten die Hauptverbraucher. Vgl. Céspedes del Castillo 1955, 4. Demgegenüber findet sich für Chile u.a. die Aussage, daß der Verbrauch von Schnupftabak (der in der chilenischen Tabakeinfuhr wertmäßig an zweiter Stelle stand) "sich auf beide Geschlechter, alle Altersstufen und Schichten erstreckt". Bericht des Leiters der chilenischen Reñía de Tabacos, Manuel José de la Valle an Muñoz de Guzmán, 27.1.1803. AGI, Chile 373 26 U .a. Präsident Francisco García Carrasco an den Vizekönig von Buenos Aires, Santiago de Liniers, 26.5.1809. AGI, Chile 374 und Schreiben des Leiters der chilenischen Renta de Tabacos, Augustin de Navarrieta an Francisco Savedra, Superintendente General de la RI. Hacienda de España e Indias, 24.10.1809. AGI, Chile 374.

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am Ende der Kolonialzeit rund 800.000 Seelen27. Die Bruttoeinnahmen der Tabak Verwaltung betrugen von 1777 bis 1779 durchschnittlich 147.325 ps jährlich (Céspedes del Castillo 1947, 25); 1801 waren sie bei gleichbleibenden Verkaufspreisen auf 321.689 ps gestiegen28; 1809 beliefen sie sich auf 388.012 ps2®. Trotz dieser Aufwärtsentwicklung deckten die diesen Werten entsprechenden Mengen den Bedarf der chilenischen Bevölkerung nicht. Das gilt einmal für die Zufuhr von Rohtabak, der überwiegend aus Peru selbst stammte. Er wurde im Norden des Vizekönigreiches produziert, wo auch die großen staatlichen Faktoreien lagen, unter ihnen die von Lambayeque, die 1780 mit dem besonderen Zweck gegründet worden war, die Belieferung Chiles zu übernehmen. Mit großer Regelmäßigkeit wiederholen sich die Klagen der chilenischen Renta de Tabacos, daß ihre Anforderungen von Peru nicht befriedigt würden, und daß im Generalkapitanat Mangel an Rohtabaken herrschte30. So bat im Jahre 1803 der chilenische Präsident den Vizekönig um Intervention bei der peruanischen Tabakmonopolverwaltung und den Faktoreien, da im vorangegangenen Jahr das Generalkapitanat statt der benötigten 4.200 Ballen nur 1.334 erhalten habe31. Für diese Lage, so führte er aus, machte man in Chile die peruanischen Tabakanbauer verantwortlich, da diese ihren Tabak erst kurz vor der neuen Ernte der Faktorei übergäben, um dann bessere Verkaufsbedingungen zu erzielen, wobei auch der Leiter der Faktorei sie begünstigte, da er unter der Hand selbst Tabakproduzent sei. Die Frage, wie weit diese chilenischen Anschuldigungen zutrafen, wie weit die peruanischen Argumente, daß die ungenügenden Lieferungen auf Mißernten oder Mangel an Arbeitskräften zurückzuführen seien, stichhaltig waren, oder wie weit sich das Tabakmonopol allgemein, wie etwa in Mexiko, negativ auf die Produktion Perus auswirkte, kann nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung nicht beantwortet werden32. Wohl aber steht fest, daß durch die ungenügende Belieferung aus Peru und das Verbot, sich aus anderen Gebieten — etwa aus Guayquil — direkt zu versorgen, die Preisregulierungen der Renta de Tabacos in Chile durchbrochen wurden. Der legale Verbraucherpreis für das Mazo (Mazo = Bündel im Gewicht von 20-24

27

Encina 1952, Bd. V, 160-161 schätzt aufgrund der letzten Volkszählungen, die im kolonialen Chile getrennt nach Diözesen stattfanden, die Einwohnerzahl des Bistums Santiago im Jahre 1778 auf 234.500, die des Bistums Concepción im Jahre 1791 auf 150.000. 28 "Extracto de los Valores enteros de los Ramos de la Real Hacienda, Particulares y Agenos administrados en las Tesorerías y demás Rentas del Reyno de Chile en el año de 1801". AGI, Chile 421. ^"Estado de la Real Hacienda del Reyno de Chile en el año de 1809", a.a.O. 30 AGI, Chile 371-374. 3l Muñoz de Guzmán an den peruanischen Vizekönig, 26.5.1803. AGI, Chile 373. 32 Die kurze Studie von Céspedes del Castillo ist die einzige Veröffentlichung, die bisher zum Thema des staatlichen Tabakmonopols im kolonialen Südamerika vorliegt. Siehe dazu die Besprechung von Konetzke 1955.

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Unzen) Rohtabak war mit 4 Reales festgesetzt und blieb in dieser Höhe bis zum Ende der Kolonialzeit bestehen33. Infolge der dauernden Verknappung entwickelte sich jedoch ein regelrechter Handel mit dem zum Festpreis erworbenen Tabak, der zu Überpreisen weiterverkauft wurde. Der Leiter der chilenischen Renta de Tabacos berichtet über die Zustände in den Jahren 1809-1810, daß es sich bei diesem Wiederverkauf um einen langjährigen Gebrauch handele, der schon fast zum Gewohnheitsrecht geworden sei und nicht nur in der Provinz, sondern auch in der Landeshauptstadt in aller Öffentlichkeit betrieben würde, ganz abgesehen davon, daß auch die illegale Einfuhr beträchtliches Ausmaß besäße34. Der Vorteil, den das staatliche Monopol theoretisch für den Verbraucher dadurch bot, daß die Preise nicht mehr wie zur Zeit des freien An- und Verkaufs starken Schwankungen unterworfen waren, sondern auf angemessenem Niveau fixiert blieben, wurde auf diese Weise in der Praxis reduziert oder aufgehoben. Noch ungünstiger lagen die Verhältnisse in der Schnupftabakversorgung, von der die chilenische Tabakverwaltung im Jahre 1803 feststellte, daß noch in keinem Jahre die von Lima vorgenommenen Zuteilungen die Nachfrage der Verbraucher im Generalkapitanat befriedigt hätten35. Ein weiterer Bericht von 1809 besagt, daß man die Höhe des tatsächlichen Bedarfes für Chile nicht genau beziffern könnte, weil dieser noch nie gesättigt worden sei36. Immerhin hielt 1806 der Leiter der Renta de Tabacos 26.000 Pfund Schnupftabak für ausreichend, so daß sich hier ein Anhaltspunkt für das Ausmaß der Verknappung ergibt, wenn man an anderer Stelle erfährt, daß die Gesamteinfuhr im Jahre 1801 nur 8.000 Pfiind betrug37. Diese Lage erklärt sich vor allem aus den Umwegen, auf denen dieser Tabak aufgrund der Regelungen des staatlichen Tabakmonopols nach Chile kam. In Peru wurde kein Schnupftabak hergestellt, er wurde vielmehr aus den nördlichen Gebieten der Indien, in erster Linie aus Cuba, über Cartagena (im Vizekönigreich Neu-Granada) — Panamá — und Callao in das Vizekönigreich Peru eingeführt und dort von der Tabakmonopolverwaltung weiterverteilt. Diese war in erster Linie an der Versorgung Perus interessiert, und da bereits die Lieferungen aus Havanna nach Peru unregelmäßig und häufig unzureichend eintrafen, machten sich die Engpässe in Chile entsprechend stärker bemerkbar. Präsident Muñoz de Guzmán schlug deshalb 1803 vor, die Krone möge gestatten, daß Chile seinen gesamten Schnupftabak und eine kleinere Quantität Rohtabak

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Vgl. Manuel José de la Valle an Muñoz de Guzmán, 15.4.1803. AGI, Chile 373 und Agustín de Navarrieta in einem aus dem Exil in Lima rückblickend geschriebenen Bericht an Martin de Garay, Secretario de Estado y del despacho Universal de la Rl. Hacienda de España e Indias, 17.2.1818. AGI, Chile 374. ^Ebenda. 35 Manuel José de la Valle an Muñoz de Guzmán, 27.1.1803. AGI, Chile 373. 36 Agustín de Navarrieta an Francisco García Carrasco, 19.8.1809. AGI, Chile 374 " M a n u e l José de la Valle an Muñoz de Guzmán, 27.1.1803. AGI, Chile 373.

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jährlich unmittelbar aus Havanna über Buenos Aires unter Ausschaltung Limas einführen dürfte, da dieses erstens den Transport verbillige und zweitens, durch Trennung der für Peru und Chile bestimmten Lieferungen, das Generalkapitanat unabhängig von der "fremden Autorität", d.h. Perus, machen würde38. Die Krone gab diesem Antrag statt. Durch Real Orden vom 14. Juni 1806 wurde Chile der vorgeschlagene Einfiihrweg freigegeben und gleichzeitig mitgeteilt, daß die Faktorei in Havanna angewiesen sei, auf den nach Buenos Aires abgehenden Schiffen 26.000 Pfund Schnupftabak, 4.000 Pfiind Zigarrentabak und 200 Arrobas (1 Arroba = 25 Pfund) Rohtabak für Chile zu verfrachten39. Die Besetzung der La-Plata-Mündung durch englische Truppen in den Jahren 1806-1807 unterbrach jedoch die Verbindung über Buenos Aires, und da der Seekrieg sich noch bis 1808 hinzog und die maritimen Verkehrswege störte, wirkte sich die königliche Verfügung für Chile nicht mehr aus. Die Einfuhren blieben bis zum Ende der Kolonialzeit auf den Weg über Peru beschränkt, und der Bericht des Leiters der chilenischen Tabakverwaltung über die Lage im Jahre 1809, dem letzten der spanischen Herrschaft im Generalkapitanat, beginnt mit den Worten: Es ist ein dauerndes und beklagenswertes Unglück für die Staatsfinanzen wie für die Bewohner des Landes, daß die noch immer bestehende Abhängigkeit von Peru in der Tabakversorgung seit jeher unseren Interessen zuwiderlief f...] 40 . Ein ähnliches Bild bietet die Versorgung Chiles mit Quecksilber, dessen Anund Verkauf sich der Staat seit der Einführung des Amalgamationsverfähren im Silberbergbau der Indien vorbehalten hatte41. Das Generalkapitanat war hier zwar nicht, wie in der Tabak Versorgung, durch gesetzliche Regelung ausschließlich an Zufuhren aus oder über Peru gebunden, die Abhängigkeit von den peruanischen Lieferungen ergab sich jedoch praktisch aus der Tatsache, daß Quecksilber europäischen Ursprungs (aus den Minen von Almadén) vom Mutterland überwiegend in die mexikanischen Silberbergwerke geleitet und erst in zweiter Linie für den südamerikanischen Bergbau abgezweigt wurde; ferner dadurch, daß diese ohnehin knappen Lieferungen aus Europa in Kriegsjahren völlig unsicher wurden. In Südamerika aber waren die Minen von Huancavelica in Peru der einzige Ort, an dem Quecksilber in nennenswertem Umfange gewonnen wurde. In der bewegten Geschichte dieser Bergwerke von Huancavelica brachte das späte 18. und das beginnende 19. Jahrhundert die Zeit des endgültigen Verfalls. 38

Muñoz de Guzmán an Miguel Cayetano Soler, 11.2.1803. AGI, Chile 373. ^Inhalt der Real Orden vom 14.6.1806 resümiert im Bericht von Agustín de Navarrieta an Francisco García Carrasco, 19.8.1809. AGI, Chile 374. '"Ebenda. 4 'Recopilación de Leyes de las Indias, Libro 8, Tit. 23, Ley 1 (vgl. auch 2-12), datiert vom 4.3.1559.

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Zwischen 1772 und 1776 betrug die Jahresproduktion noch etwa 5.000 Quintales (1 Quintal = 100 Pfund) (Whitaker 1941, 56), Von 1782 bis 1795 ging sie auf 2.134 Quintales zurück, um dann nach einem sprunghaften Anstieg von kurzer Dauer auf 2.478 Quintales im Durchschnitt der Jahre 1806-1810 abzusinken42. Der Eigenbedarf des Vizekönigreichs Peru konnte mit diesen Quantitäten nicht mehr gedeckt werden; trotz Ergänzungen aus Almadén war Quecksilber im Produktionszentrum des spanischen Amerika selbst ein rarer Artikel (Céspedes del Castillo 1947, 165), und es ist unter diesen Umständen verständlich, daß die Zuteilungen der peruanischen Quecksilberverwaltung an diejenige des Generalkapitanates äußerst knapp bemessen und nicht geeignet waren, die Nachfrage des chilenischen Silberbergbaues auch nur annähernd zu befriedigen. Um sich aus dieser Notlage wenigstens teilweise zu befreien, waren in Chile, im Distrikt von Coquimbo, insbesondere in den Jahren 1785-1790 Versuche unternommen worden, Quecksilber im eigenen Lande zu gewinnen. Die mit großen Hoffnungen begonnenen, vom Staate finanzierten Unternehmungen erwiesen sich jedoch nach wenigen Jahren als Fehlschlag und mußten eingestellt werden. Zwar liegen noch aus dem beginnenden 19. Jahrhundert staatliche Anordnungen vor, die die Quecksilbergewinnung in Chile dadurch zu fördern suchten, daß die Entdecker von Quecksilbervorkommen diese auf ihren eigenen Namen, d.h. als ihren Besitz, eintragen lassen durften43. Nennenswerte Erfolge wurden jedoch nicht erzielt, so daß der alte Zustand der Abhängigkeit von auswärtigen Lieferungen und damit ständiger Quecksilbermangel bestehen blieb. Während die Bilanz der staatlichen Quecksilberverwaltung 1801 noch einen Posten von 28.088 ps für den Ankauf von Quecksilber aus Lima und Spanien und Verkaufswerte in gleicher Höhe aufwies44, berichtete der chilenische Präsident im Jahre 1803 nach Madrid, daß "Peru trotz aller Bitten, Argumente, und unter Mißachtung selbst königlicher Anordnungen die Quecksilberzufuhren verweigert [..,]" 45 . Für 1809 verzeichnete die chilenische Monopolstelle lediglich den Verkauf spanischen Quecksilbers im Werte von 13.439 ps; peruanisches Quecksilber wurde nicht abgegeben, und die Ankäufe dieses Jahres beschränkten sich auf spanisches Quecksilber im Werte von nur 9.958 ps4Ä.

42

Bericht des Contador General de Azogues, Nicolás del Castillo y Negreta an den Gouverneur von Huancavelica, Lázaro de Ribera, 9.9.1811. Veröffentlicht von Whitaker 1941, 97-100. 43 AGI, Chile 388. ""Extracto de los Valores enteros [...]". Der Verkaufspreis der staatlichen Monopolverwaltung für Quecksilber schwankte etwa zwischen 70-80 ps pro Quintal. Eine genaue Preisangabe für das Jahr 1801 lag nicht vor. 45 Muños de Guzmán an José Antonio Caballero, Februar 1803. AGI, Chile 421. ^"Estado de la Real Hacienda del Reyno de Chile en el año de 1809", a.a.O.

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Die Frage, wie weit die unsichere und stark wechselnde Quecksilber Versorgung tur die Schwankungen der chilenischen Silberproduktion47 verantwortlich ist, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Die illegale Einfuhr sorgte auch hier in begrenztem Umfange für Ergänzungen des legalen Importes. Für den Produzenten jedoch bedeutete der Rückgriff auf den Konterbandehandel, daß er überhöhte Preise für Quecksilber zahlen mußte4*, während andererseits der Preis für Silber, den er beim Umtausch in der staatlichen Münze erhielt, festlag. Die Besitzer bzw. Pächter der chilenischen Bergwerke waren daher die unmittelbar Betroffenen, doch ging das Interesse am Problem der Quecksilberversoigung über ihren Kreis hinaus angesichts der auch im Generalkapitanat Chile noch immer vorherrschenden Tendenz, die Wirtschaft eines Landes an ihrem Edelmetallreichtum zu messen. Ein weiteres Gebiet, auf dem die chilenische Versorgung von Peru abhängig blieb, war der Transport von Lebensmitteln in die Festung Valdivia, die südlich der am Bio-Bio Fluß verlaufenden Indianeigrenze isoliert im Land der freien Araukaner lag und als äußerster Vorposten für die Sicherheit des Generalkapitanats besondere Bedeutung besaß. Unter der Präsidentschaft Ambrosio O'Higgins' (1788-1796) waren zwar Anstrengungen unternommen worden, mit der Wiederbesiedelung des Hinterlandes, das in den großen Indianeraufständen um die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert verlorengegangen war, eine eigene Ernährungsbasis für die Stadt zu schaffen. Die Zeitspanne bis zum Ende der kolonialen Ära reichte jedoch nicht aus, um diesen Plan zu verwirklichen, die neuen Kolonisationsstätten zeigten nicht das erhoffte schnelle Wachstum, und Valdivia mußte weiterhin über See beliefert werden. Da das Generalkapitanat aus Mangel an Schiffsraum nicht in der Lage war, diese Versorgung selbst durchzuführen, war nach einer Regelung des Jahres 1782 der peruanische Vizekönig verpflichtet, unter den im Südpazifik verkehrenden, d.h. fast ausschließlich peruanischen Schiffen, der Reihe nach jährlich eines zu bestimmen, das im Oktober in Valparaiso Lebensmittel für die in Valdivia stationierten Truppen lud. Die Reeder aus Lima/Callao suchten sich dieser Aufgabe nach Möglichkeiten zu entziehen, handelte es sich doch für sie um ein reines Transportgeschäft, das geringen Profit abwarf, da der Einkauf der Lebensmittel durch den chilenischen Fiskus selbst getätigt wurde. Den Vizekönigen in Lima gelang es daher nicht immer, die peruanischen Reeder zur Einhaltung der Fahrt zu bewegen. Verspätung oder Ausbleiben des jährlichen Versorgungsschiffes bedeutete für Valdivia, daß die Rationen der Truppe unzureichend wurden und die Verpflegung der Garnison, zur Deckung des notwendigsten Bedarfes, am Ort

47

Bei einem Jahresdurchschnitt von 197.600 ps für die Zeit von 1789-1808 erreichten die Prägungsziffem für Silber in der staatl. Münze von Santiago den Höchststand mit 254.107 ps im Jahre 1793, den Tiefstand mit 127.500 ps im Jahre 1803 (Canga Argüelles 1833, Bd. I, 9). 48 Informe vom 10.7.1802 (Salas 1910, Bd. 1, 239).

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selbst eingekauft werden mußte49. Das wiederum hatte steigende Preise und Verknappung in der Versorgung der Bevölkerung zur Folge. Die Tatsache, daß um 1800 die Einwohnerschaft Valdivias etwa 3.000 Seelen (Encina 1952, 221), die Garnison rund 550 Mann30 zählte, erlaubt Rückschlüsse auf die gefährdete Ernährungslage, wenn die Zufuhren für die Truppe nicht rechtzeitig eintrafen. Der chilenischen Real Hacienda erwuchsen zusätzliche Belastungen nicht nur durch die erhöhten Einkaufspreise in Valdivia, sondern auch durch die Ersatzansprüche für verdorbene Lebensmittel, welche die Lieferanten in Valparaiso an sie als den Ankäufer stellten, wenn das Schilf aus Callao nicht zum festgesetzten Zeitpunkt zur Übernahme der Waren eintraf51. Eine solche Situation lag im Jahre 1799 vor, als der ehemalige chilenische Präsident O'Higgins, der 1796 Vizekönig in Lima geworden war, versäumt hatte, rechtzeitig das turnusmäßige Schiff zu bestimmen. Eine ähnliche Lage zeichnete sich, wie Präsident Pino nach Madrid berichtete, auch im folgenden Jahr ab52. Der Indienrat kommentierte dazu, daß diese [...] der Nachgiebigkeit des Vizekönigs zuzuschreiben ist, der den Vorstellungen der reichen Kaufleute der Stadt Lima Gehör schenkte, die diese Fahrt mit tausend Ausflüchten verweigern, wobei der eigentliche Grund ist, daß sie wenig Gewinn aus ihr schöpfen53. Die Versorgung Valdivias war allerdings ein Streitobjekt, das nicht mit gleicher Regelmäßigkeit die peruanisch-chilenischen Beziehungen belastete wie die Differenzen um den Getreideexport und um die Tabak- und Quecksilbereinfuhr des Generalkapitanates. Doch treten auch hier die beiden Kräfte in Erscheinung, die von Chile her gesehen die eigentlichen Gegner in diesen Auseinandersetzungen waren: Einmal die Limenser Reeder und Kaufleute, d.h. ein Kreis von Privatpersonen, zum anderen die Kolonialbehörden Perus, insbesondere die Vizekönige in Lima, welche die Interessen der peruanischen Wirtschaft und der peruanischen Staatskassen häufig recht unnachgiebig gegenüber Chile vertraten. Auch diejenigen Persönlichkeiten, die aus dem Amt des chilenischen Präsidenten in die Stellung des peruanischen Vizekönigs aufgerückt waren, machten in dieser Haltung keine Ausnahme. Die Beschlüsse der Stadtvertretung von Santiago zur Stabilisierung des Getreidepreises wurden vom Vizekönig Manso de Velasco durchkreuzt, der vorher (1733-1745) chilenischer Präsident war. Am auffälligsten war die Schwenkung des Präsidenten O'Hig-

49

Ambrosio O'Higgins an Joaquín del Pino, 17.2.1800 und Joaquín del Pino an Ambrosio O'Higgins, 26.4.1800. AGI, Chile 421. 50i

*

"Razón de los Sueldos y Gastos ordinarios y extraordinarios de Guerra del Reino de Chile". In: "Extracto de los Valores enteros [...]", a.a.O. 5, Joaquín del Pino an Ambrosio O'Higgins, 26.4.1800. AGI, Chile 421. 52 Joaquín del Pino an Miguel Cayetano Soler, 9.4.1800. AGI, Chile 421. 53 Informe vom 20.1.1801. AGI, Chile 421.

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gins, der als Vizekönig in den Streitigkeiten54 um den Getreideexport und um die Versorgung Valdivias zum Anwalt der Kaufleute Limas wurde. Schließlich nahm auch der ehemalige Präsident Avilés (1796-1799) in der Frage des Getreidehandels einen Frontwechsel vor33. Die stärkere Stellung der Vizekönige gegenüber den chilenischen Präsidenten, die ihrerseits als Vertreter der Belange des Generalkapitanates auftraten, findet ihre Erklärung nicht zuletzt darin, daß die chilenische Real Hacienda bis zum Ende der Kolonialzeit Kostgänger der peruanischen blieb, da das Vizekönigreich sich nach den vom Mutterland erlassenen Bestimmungen an der Deckung der chilenischen Militärausgaben zu beteiligen hatte. Die strategische Lage Chiles als Außenbastion Spanisch-Amerikas im Südpazifik und die ständig unsichere Araukanergrenze brachten es mit sich, daß das Generalkapitanat eine verhältnismäßig starke stehende Truppe und eine Anzahl fester Plätze unterhalten mußte. Im Jahre 1770 zählte die reguläre Truppe Chiles 1.894 Mann, die des Vizekönigreiches Peru (unter Ausschluß der La-Plata-Gebiete) dagegen nur I.362 Mann (Céspedes del Castillo 1947, 85). Die Ausgaben für militärische Zwecke wuchsen zu Beginn des Jahrhunderts auf mehr als die Hälfte der chilenischen öffentlichen Ausgaben an. Während sie 1788 in den Gesamtausgaben der Real Hacienda von 654.278 ps eine Summe von 277.938 ps ausmachten, waren sie in den Jahren 1801 und 1809 innerhalb der öffentlichen Ausgaben in Höhe von 877.104 ps (986.564 ps) auf 460.832 ps (534.669 ps) angestiegen56. Die Indiengesetze sahen für die Heereskosten Chiles eine peruanische Beihilfe von 212.000 Dukaten vor57. Durch königliche Anordnung von 1753 wurden diese Verpflichtungen auf 79.430 ps reduziert. Um 1800 betrugen die Beiträge Perus jährlich etwa 95.000 bis 100.000 ps, nicht eingeschlossen die Sonderbeihilfen, die das Vizekönigreich in Kriegszeiten für erhöhte Verteidigungskosten des Generalkapitanates beisteuerte. Mit der Real Orden vom 22. I I . 1804 wurde Chile zwar angewiesen, in Zukunft seine militärischen Ausgaben selbst zu bestreiten, doch erscheint in der Bilanz des Jahres 1809, der letzten der Kolonialzeit, ein erneuter peruanischer Beitrag von 100.000 ps für die Besatzung Valdivias, eine Summe, die den Fehlbetrag der Real Hacienda im gleichen Jahr auf 97.892 ps verringerte58.

M

Joaquín del Pino an Ambrosio O'Higgins, 14.6.1799. ACG, Bd. 636, No. 7.572. Muñoz de Guzmán an den Marqués de Avilés. November 1804. ACG, Bd. 636, No. 7.572. ^Angaben für das Jahr 1788 bei Barros Arana 1886, Bd. VII, 336; für das Jahr 1801 aus: "Extracto de los Valores enteros [...] a.a.O.; für 1809 —jeweils in Klammern — aus: "Estado de la Real Hacienda del Reyno de Chile en el año de 1809". 57 Recopilación de Leyes de las Indias, Libro 8, Título 30, Ley 11. 58 Muñoz de Guzmán an José Antonio Caballero, Februar 1803. AGI, Chile 421 und Agustín de Navarrieta an Martín de Garay, 16.2.1818. AGI, Chile 374. 55

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Die chilenische Staatskasse profitierte durch diese Zuschüsse in erheblichem Umfenge von der peruanischen. Für die Bevölkerung dagegen standen die negativen Seiten der peruanisch-chilenischen Beziehungen im Vordergrund, die durch die Unterbewertung des Getreides, dessen Erzeugung die Basis der chilenischen Wirtschaft, "den Hauptnerv des Landes"5® bildete, und durch die unzureichende Versorgung mit Gütern, die für die Produktion und den Konsum des Generalkapitanates schwer entbehrlich waren, unmittelbar im Wirtschaftsleben Chiles in Erscheinung traten. Hier liegt einer der Gründe für das tiefe Mißtrauen und die Ablehnung, welche die Haltung weiter Kreise der chilenischen Bevölkerung gegenüber Lima/Peru am Ende der Kolonialzeit kennzeichnete und die sich allgemein gegen in Lima lebende Spanier wie Kreolen, gegen Angehörige der Kolonialverwaltung wie gegen Privatpersonen richtete. Diese Abneigung ging so weit, daß sie von den Chilenen nicht auf sachliche Argumente oder Streitfragen beschränkt, vielmehr auf die Beurteilung von Charakter und Mentalität der Bewohner der "Stadt der Könige" schlechthin übertragen wurde*0. Die zeitgenössischen Dokumente vermitteln den Eindruck, daß in Chile die Gegensätze zu Peru die Kritik oder Opposition gegenüber dem Mutterland noch in den Jahrzehnten unmittelbar vor der Trennung von Spanien überwogen. Direkte Berührung mit der Bevölkerung des Vizekönigreiches kann für diese Einstellung nur bedingt verantwortlich gemacht werden. Die einzige Verbindungsmöglichkeit, der Verkehr auf dem Seeweg, brachte lediglich peruanische Schiffsmannschaften und vereinzelt peruanische Kaufleute nach Chile, wie umgekehrt verhältnismäßig wenig Chilenen auf dem gleichen Weg nach Peru gelangten. Wohl erklären die jahrhundertelange administrative Unterordnung Chiles unter Lima und die mit ihr verbundenen Kontroversen eine solche Haltung wenigstens teilweise; doch war dieses Abhängigkeitsverhältnis gegen Ende des 18. Jahrhunderts (tatsächlich seit 1785) beseitigt und stellte seitdem für die chilenisch-peruanischen Beziehungen kein unmittelbares Problem mehr dar. Dagegen hatten die chilenischen Bemühungen um die Stellung eines gleichberechtigten Partners im wirtschaftlichen Bereich nur zu Teilerfolgen geführt. Die Auseinandersetzungen auf diesem Gebiet dauerten an und belasteten das Verhältnis zum Vizekönigreich Peru bis zum Ende der Kolonialzeit. Das unterstreicht die Bedeutung der Wirtschaftsstreitigkeiten für Erhaltung und Ausprägung antiperuanischer Tendenzen, die ihrerseits auf den politischen Kurs Chiles

''"Informe al Presidente de Chile a nombre del Comercio [...]". "'U.a. in zahlreichen Varianten in: "Informe al Presidente de Chile a nombre del Comercio [...]"; auch Encina 1952, Bd. V, 350 weist auf diese Erscheinung hin. Vgl. die bei José Antonio Rojas 1810 aufgefundenen und von der Audiencia in Santiago als Anklagematerial gegen ihn benutzen Papiere. "Testimonio de la causa de Estado seguida contra D. José Antonio Rojas, D. Antonio Ovalle y D. Bernardo de Vera", Mai 1810. AGI, Chile 315.

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in der Zeit der beginnenden Emanzipation der Indien vom Mutterland eingewirkt haben. Man wird sich in diesem Zusammenhang die internen Gewichtsverlagerungen des spanischen Südamerika vergegenwärtigen müssen: Nach dem Sturz der spanischen Bourbonen im Jahre 1808 setzten in den Indien Autonomie-Bewegungen ein, welche die Übernahme der Befugnisse der Kolonialbehörden durch einheimische Organe der Selbstregierung (Juntas) erstrebten. Zentrum dieser Bewegung war im südlichen Südamerika Buenos Aires, Hochburg des Royalismus Lima, dessen Vizekönig Abascal es gelang, im Ausgriff über die peruanischen Grenzen die Unabhängigkeitsbewegung in La Paz und Quito (1809) zu zerschlagen und damit gleichzeitig den Machtbereich Perus, der im 18. Jahrhundert durch die Herauslösung der Vizekönigreiche Neu-Granada (1717, wiedergegründet 1739) und La Plata (1776) stark reduziert worden war, wieder nach Norden und Westen zu erweitern. Lima, der alte Mittelpunkt des spanischen Südamerika, schien im Begriff zu sein, seine Vormachtstellung im Südteil der Indien zurückzuerobern. Für Chile zeichnete sich die Gefähr eines erneuten Übeigewichts des Vizekönigtums und damit einer Entwicklung ab, die wohl die spanische Kolonialverwaltung in Chile61, nicht aber das Kreolentum als die führende Schicht innerhalb der Bevölkerung zu akzeptieren bereit war62. In dieser Situation fielen die regionalen Gegensätze zu Lima, deren eine Wurzel in den chilenisch-peruanischen Wirtschaftsstreitigkeiten lag, mit den in Chile bestehenden Autonomie-Bestrebungen gegenüber dem Mutterland zusammen und wirkten gemeinsam auf den Anschluß an die Junta-Bewegung hin, der am 18. September 1810 vollzogen wurde. Unter diesem Aspekt ordnet sich die Geschichte der interkolonialen Wirtschaftskämpfe mit Peru in die Voigeschichte der chilenischen Unabhängigkeit ein.

''Kennzeichnend für diese Kräfteverschiebung ist, daß sich der letzte spanische Präsident mit der Bitte um Rat und Unterstützung nach Lima wandte, im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die stets ihre Unabhängigkeit vom peruanischen Vizekönig betonten. Francisco García Carrasco an Abascal, Mai 1810. AGI, Chile 31S. 62 Die Tatsache, daß die Junta von Buenos Aires in ihrem Briefwechsel mit der Stadtvertretung von Santiago die gemeinsame Gegnerschaft zu Peru und seinem Vizekönig betonte, zeigt, daß man auch in der Rio-Platensischen Hauptstadt mit dieser Einstellung der chilenischen Kreolen rechnete und von hier aus die chilenische Stellungnahme gegen das spanische Kolonialregime zu beeinflussen suchte. Junta de Buenos Aires/Cabildo de Santiago, 30.8.1810. AGI, Chile 315.

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El "Ejército Libertador" y la formación del Estado Boliviano, 1825-1828* El último territorio del Imperio español en Sudamérica que consiguió su Independencia fue el Alto Perú, el territorio de la antigua Audiencia de Charcas. A principios del año de 1825, dos meses después de la victoria sobre el Virrey del Perú en la batalla de Ayacucho, Sucre atravesó el Desaguadero con su ejército, y en una campaña poco sangrienta aniquiló los restos de las tropas realistas, cuyo jefe, el General Olañeta, se había rebelado contra el partido constitucionalista del Virrey, y llevaba en el Alto Perú una lucha aislada por el restablecimiento del absolutismo español en América. Con su muerte en abril de 1825 cesó la última resistencia contra las fuerzas armadas de los patriotas. Al Ejército Libertador que entró en el Alto Perú en 1825 y permaneció hasta 1828, también se llamó "tropas auxiliares". Tal término induce a ciertos errores, puesto que no caracteriza con acierto la importancia del Ejército Libertador durante los primeros años de la Independencia de Bolivia. De las "Republiquetas", es decir, de las regiones dominadas por los guerrilleros, en donde se había mantenido la resistencia contra los realistas aún después de las derrotas y de la retirada de los ejércitos expedicionarios del Río de la Plata, en 1825 sólo existía la Republiqueta de Ayopaya. Aquí sobrevivían unos 500 que ocuparon la ciudad de La Paz antes de la entrada del Mariscal Sucre; pero ellos representaban solamente una fuerza armada pequeña en comparación con los 9.000 hombres con los que contaba en aquella época el Ejército Libertador. Terminados los combates, las formaciones guerrilleras se disolvieron; los guerrilleros optaron por incorporarse al Ejército Libertador o bien abandonaron las fuerzas armadas. Su jefe, Miguel Lanza, fue nombrado Prefecto de La Paz por Sucre y poco después fue elegido, como único ex-guerrillero, miembro de la Asamblea General (Arnade 1957, 186) que declaró en 1825 la Independencia del Alto Perú/Bolivia. Como Sucre desestimó las capacidades administrativas de Lanza1, este obtuvo más tarde un cargo relativamente inferior de Comandante de las tropas estacionadas en Chuquisaca — un puesto que, debido a la presencia del Mariscal Sucre en la ciudad, ofreció muy pocas posibilidades para acciones independientes2 (Lofstrom 1972, 86). Los guerrilleros del Alto Perú se vieron, pues, relegados a segundo plano en la posguerra. Sucre, por su parte, organizaba un ejército nacional boliviano, pero por razones financieras lo emprendía lentamente y sólo

*En: Problemas de la formación del estado y de la nación en Hispanoamérica. Ed. de Inge Buisson, Günter Kahle, Hans-Joachim Kónig, Horst Pietschmann. Kóln 1984, 499-512. 'Sucre/Bolívar, 29/1/1825, 25/V1/1825 y 28/VII/1825 (O'Leary 1919, 294-95, 356 y 380). Cfr. Lanza/Bolívar, 20/111/1824 (Lecuna 1924, vol. I, 135-37). 2 Lanza desempeñó al principio del año 1825 por corto tiempo el oficio de Prefecto del Departamento de Chuquisaca y fue muerto en defensa de Sucre en el motín del 18/IV/1828.

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en la medida en que los contingentes del Ejército Libertador se retiraron3. Incluso cuando en 1827 las fuerzas armadas bolivianas llegaron a ser más numerosas que el Ejército Libertador, este último siguió formando las tropas más potentes gracias al alto nivel de su instrucción, de su experiencia combativa. Es decir, el Ejército Libertador no constituía el único, pero sí el decisivo potencial militar en los primeros años de la Independencia de Bolivia. De ahí resulta su importancia en la época de la fundación de la joven república. No sólo en cuanto a la oficialidad, sino también con respecto a la tropa, este ejército se componía de gente oriunda de muchos países que ya habían logrado la Independencia — de ahí el nombre de "Ejército Unido". La mayoría de los hombres eran colombianos, es decir, neogranadinos y venezolanos. A la entrada en el Alto Perú el número de peruanos en el ejército había sido casi idéntico al de los colombianos, Sucre habla de 4.000 (O'Leary 1919, vol. I, 309; Lecuna 1924, vol. II, 224), pero ya en 1825 muchos peruanos se repatriaron, de modo que los colombianos llegaron a representar la mayoría del Ejército Libertador. No obstante, también militaban en él muchos rioplatenses y algunos chilenos, tanto como oficiales europeos. Además, las unidades del ejército no estaban formadas estrictamente según el origen regional de los hombres, sino que tenían un carácter integrante, ya que a pesar de la preponderancia de los soldados y oficiales de un solo país, incluían también militares de otra procedencia regional4. A primera vista, pues, parece que estas fuerzas encarnaban la idea de solidaridad hispanoamericana y de los vínculos supranacionales. En realidad, no fiie así. Después de la liberación del Alto Perú, el problema de la Independencia del país fue objeto de controversia. Tanto en el Río de la Plata como en el Perú se formularon pretensiones con respecto a este territorio, que en la época colonial formó parte del Virreinato del Perú hasta su transferencia al Virreinato del Río de la Plata en el año de 1776. Sucre anticipándose a las instrucciones de Bolívar sostenía el criterio de que el Alto Perú podría hacer uso del principio de autodeterminación. Por lo tanto, con decreto del 9 de febrero de 1825, convocó elecciones para la formación de una asamblea representativa que decidiera sobre la permanencia estatal del Alto Perú. En esta situación, un grupo de oficiales rioplatenses del Ejército Unido favoreció la integración del Alto Perú en las Provincias del Río de la Plata. En vista de ello, Sucre se vio precisado a intervenir, colocándose él mismo a la cabeza de la división en cuestión (Sucre/ Bolívar, 3/VI/1825, O'Leary 1919, 349f.).

3 Sucre/Bolívar, 12/111/1826 (O'Leary 1919, voi. I, 416). Barclay Pentland 1975, 143. Ultimo mensaje del General Sucre al Congreso de Bolivia, 2/VIII/1828 (Lecuna 1924, vol. II, 614). En abril de 1828 las tropas nacionales contaban con 3.200 hombres (Lecuna 1914, vol. 2, 313). 4 La correspondencia de Sucre contiene abundantes testimonios de este hecho, tal como Sucre/Bolívar, 28/VII/1825 (O'Leary 1919, voi. I, 376).

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En los años de 1827/28, en que se multiplicaron las sublevaciones en las unidades del Ejército Unido en Bolivia, se advertía la influencia peruana, que actuaba desde fuera sobre los elementos peruanos que permanecián en las filas del ejército, con el propósito de minar la influencia grancolombiana en Bolivia, representada ante todo por la persona de Sucre. Al respecto, fue típica la sublevación del batallón "Voltíjeros" — batallón de veteranos y de gran tradición — ocurrida en La Paz en 1827, y que se produjo como consecuencia de los contactos entre los rebeldes y el general peruano Gamarra, sublevación que comenzó con "¡Vivas!" a Perú, a las que los oficiales leales contestaron apelando a la conciencia grancolombiana, es decir, a los soldados y oficiales de la Gran Colombia, todo lo cual provocó luchas sangrientas en el seno de la tropa3. También en el motín del año 1828 se descubrieron vestigios de elementos peruanos del Ejército Unido. En el curso de la sublevación Sucre fue herido de gravedad, y se inició la caída del Mariscal y del partido bolivarista en Bolivia6. Por lo tanto, el Ejército Unido refleja las circunstancias que en aquel momento caracterizaron la formación de Estados en la Amércia hispana, es decir, las aspiraciones e intereses nacionales y una conciencia regional orientada hacia las naciones independientes habían pasado a primer plano, alcanzando tal relieve que incluso se estaba dispuesto a afrontar un conflicto armado. Si estas tendencias ya se notaron en el Ejército Unido, con lo cual hasta las fuerzas militares habían dejado de ser instrumento de confianza para lograr la integración, el ejemplo del Ejército Libertador en Bolivia pone en evidencia cuán poco estable era la base de la política de la agrupación supranacional, concebida por Bolívar y adoptada, aunque con bastante pesimismo, por Sucre. Esos signos de desintegración en el Ejército Libertador, sin embargo, no se debían exclusivamente ni siquiera principalmente al problema de las diferentes nacionalidades. Considerando que los disturbios, causados por elementos anticolombianos, hallaron eco entre los oficiales y soldados colombianos, y que otras rebeliones en el seno de las fuerzas armadas fueron iniciadas por los mismos colombianos, este fenómeno no se explica por confrontaciones nacionales. Fueron, al contrario, las profundas divergencias de opiniones sobre la organización interna de los nuevos Estados las que contribuyeron, de un modo creciente, al proceso de desintegración. Ya en la primera sublevación mayor que en noviembre de 1826 desembocó en la deserción de las tropas estacionadas en Cochabamba, en su mayoría compuestas de colombianos, los rebeldes indicaron como motivo de su actuación

^Gaceta de Colombia (sin fecha, Lecuna 1924, vol. II, 496). Las relaciones entre los rebeldes y el ejército peruano quedan patentes en una carta del Comandante del batallón "Voltíjeros"VGamarra, 26/XII/1827 (Lecuna 1924, vol. II, 503). 6 Jorge Mallo, "Adiciones al informe sobre el motín ocurido en Chuquisaca el 18 de abril de 1828" (Vicuña Mackenna 1918, 250-251).

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"que no querían estar sujetos a las órdenes de un gobierno vitalicio déspota" 7 . Esta posición se halla expresada aún con más claridad en el mensaje de despedida del cabecilla de esta sublevación. Aludiendo a la constitución establecida por Bolívar en Bolivia y Perú, que preveía la presidencia vitalicia, arguyo que el Ejército Libertador había salido para luchar por la libertad y no para imponer sistemas despóticos de gobierno a otros Estados 8 . Cierto es, que en este mensaje se dejan notar también gravámenes personales, pero el raciocinio político es evidente y coincide con opiniones que se escucharon por parte de los liberales en Colombia, es decir, de los partidarios de Santander. En los periódicos liberales de Bogotá, la sublevación fue aplaudida abiertamente de tal manera que el Ministro del Interior de Bolivia se vio precisado a quejarse ante el gobierno colombiano y a llamar la atención sobre las consecuencias catastróficas que la aprobación pública de la rebelión ejercería sobre la desciplina y la moral de las tropas auxiliares estacionadas en Bolivia 9 . Sucre atribuyó la creciente deslealtad de la tropa ante todo al hecho de que se le había retirado del mando supremo del Ejército Libertador. Reprochó a Bolívar que, al salir de Bolivia en 1826, no le hubiera confirmado claramente en el cargo de Jefe Supremo (Sucre/Bolívar, 27/XI/1826, O'Leary 1919, vol. II, 126). Pero, en primer lugar, Sucre dirigía cada vez más sus reproches al gobierno de Santander que, a principios de 1827, llegó incluso a prohibirle que se informara sobre el estado de la tropa (Sucre/Bolívar 4/VI/1827, O'Leary 1919, vol. II, 163). La destitución del mando de los auxiliares se podía justificar con argumentos constitucionales, diciendo que Sucre en calidad de presidente electo de Bolivia no podía seguir en el mando de un ejército que no fuera boliviano. Pero, evidentemente, hubo también motivos políticos, pues de este modo, el gobierno de Bogotá obtuvo la posibilidad de introducir cambios que fortalecieron el partido de los santanderistas y debilitaron el partido bolivarista en el seno de las fuerzas auxiliares. Así, un partidario de Santander fue nombrado sucesor de Sucre como Jefe Supremo. En seguida empezó a introducir los respectivos cambios en el cuerpo de oficiales (Sucre/Bolívar, 4/X/1827, 27/X/1827 y 27/1/11828, O'Leary 1919, vol. II, 197, 203ss., 230ss.). También aparecieron agentes de los santanderistas en el Ejército Libertador (Sucre/Bolívar, 4/X/1827, O'Leary 1919, vol. II, 197). Aunque Sucre no se

7 Sumario e información contra el Sr. Colonel Felipe Braun por haberse desertado escandalosamente una parte del Regimiento de su mando (Cochabamba 1827), fol. 18, Papeles de Philipp Otto Braun, Archivo del Estado de Hessen, Marburg (en adelante = Papeles de Braun). 'Despedida del Capitán Domingo L. Matute, Noviembre de 1826 (Lecuna 1924, vol. II, 287-288). 'infante/Secretario de Estado del Despacho de Relaciones Exteriores de Colombia, 19/VIII/1827, Lecuna, 450. Véase Sucre/Bolívar, 27/1/1828 (O'Leary 1919, vol. II, 231). Tanto Infante como Sucre se quejaron de que las gacetas oficiales de Colombia aplaudían a la insurrección.

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dejaba privar de su intervención directa en asuntos de los auxiliares, su autoridad y su influencia en el ejército disminuían visiblemente, como el mismo comunicaba a Bolívar en numerosas cartas. A la vista de esta situación y probablemente advertido por la rebelión de las tropas colombianas en el Perú a su regreso a Bogotá en septiembre de 1827, Bolívar reinstaló a Sucre en el mando del Ejército Libertador. Este, a su vez, empezó a destituir a los oficiales que pertenecían a la parte contraria10. De este modo, el conflicto entre los bolivaristas y santanderistas, que se agudizó en Colombia, se transmitió a las tropas estacionadas en Bolivia, limitándose no sólo a rivalidades personales, sino revelando también diferentes conceptos políticos y concepciones divergentes en cuestiones constitucionales, planteadas en primer término por la constitución bolivariana con la presidencia vitalicia. La división política del cuerpo de oficiales era tanto más peligrosa cuanto que se produjo en un clima de descontento general y de inclinación hacia una sublevación. Una de las causas de ese desarollo era el hecho de que los auxiliares, a miles de kilómetros distantes de su tierra, se encontraban inactivos en sus guarniciones sin que se cumplieran sus esperanzas de un próximo regreso o de nuevas empresas". En esta situación de espera inactiva en regiones lejanas — pues esto reprensentaba Bolivia para los auxiliares — resultaba casi inevitable que la disciplina y la moral de la tropa decayeran. En mayo de 1825, el primer congreso boliviano había acordado una gratificación de un millón de pesos para el Ejército Libertador sin que esta suma, debido a la desolada situación economica del país, fuera disponible. Para cubrir esta obligación y para evitar préstamos extranjeros, Bolívar y Sucre trataron de vender las minas del Estado — en primer lugar las minas de plata en Potosí (Contrato 20/IX/1825, Leeuna 1924, vol. I, 358ss.). Fracasado este intento, Sucre recurrió a otra solución: los auxiliares recibieron vales con un interés del 6 por ciento, que podían emplear en la compra de terrenos públicos o en el reembolso de deudas con el erario12. De ahí surgieron dos problemas: primero, solamente se emitieron vales por un valor total de 500.000 pesos, siendo ésto nada más que la mitad de la suma prometida; segundo, dichos vales tenían valor únicamente para los miembros del Ejército Libertador con intención de permanecer en el país y, por lo tanto, interesados en la compra de inmuebles. Pero esta situación correspondía solamente a la situación de algunos altos oficiales, mientras que la gran mayoría de los auxiliares, por el contrario, ofrecía los

10 Soublette/Sucre, 15/X/1827, Soublette/Figueredo, 8/XI/1827 y Infante/Braun, 12/111/1828, Papeles de Braun. "Una carta del General Córdoba a Sucre desde Cochabamba, 20/11/1826, refleja el descontento de los oficiales con la inactitud: "Vmd. me quiere tener aquí dos años de guarnición de la Nueva República [Bolivia]? Dígame la verdad, que sepultarme en los bellos días de mi vida, vale más morir físicamente (Moreno de Angel 1974, vol. II, 171). l2 Sucre empleó, con ésto, métodos de financiación semejantes a los ya practicados en Colombia (Bushnell 1954, 106, 276-279).

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vales a la venta. Cuando estos efectos aparecieron en el mercado en mayores cantidades, dentro de poco tiempo ya no encontraron compradores o se vendieron en condiciones desfavorables13 (Lofstrom 1972, S i l ) . En total, las esperanzas del ejército quedaron insatisfechas; más aún, los sueldos, a causa de las cajas públicas vacias, no eran pagados regularmente. Asf, los oficiales de los auxiliares en Bolivia no se vieron en condiciones de mantener el alto nivel de vida al que estaban acostumbrados anteriormente gracias a las gratificaciones repartidas por el Perú14. De igual manera, las exigencias de los soldados no se podían satisfacer. Sucre, al inspeccionar un batallón, considerado como una de las mejores unidades del Ejército Libertador, se encontró con un llamamiento público a la insubordinación para lograr el pago de gratificaciones y sueldos pendientes por la fuerza (Sucre/Bolívar, 25/1/1828, Lecuna 1924, vol. II, 525). Así, pues, la desintegración del Ejército Libertador se hacía cada vez más evidente. Al cabo de tres años de su presencia en Bolivia, Sucre llegó a un cambio total de su opinión sobre los auxiliares. Antes los había considerado como tropa brillante y como instrumento seguro para imponer los proyectos políticos de Bolívar, preocupándose incluso por el momento en que le faltara este apoyo (Sucre/Bolívar, 27/IX/1826, O'Leary 1919, vol. II, 115). Por el contrario, desde principios del año 1827 empezó a insistir en una retirada rápida, ya que el Ejército Libertador — en su mayoría colombianos — "ha perdido mucho, mucho en moral, en entusiasmo y hasta su espíritu nacional [...]" (Sucre/Bolívar, 11/111/1827, O'Leary 1919, vol. II, 149). Incluso llegó a prever que el ataque contra su posición y contra el partido bolivarista en Bolivia no provendría de los nativos, ni de los Estados vecinos, sino de los mismos auxiliares (Sucre/Bolívar, 12/111/1828, O'Leary 1919, vol. II, 243). Más tarde, resultaría que su sospecha había sido fundada, pues la derrota de los bolivaristas se inició el 18 de abril de 1828, con la rebelión de unidades del Ejército Libertador. Paralelamente a este proceso de decadencia se produjeron cambios en la actitud de la población boliviana frente al Ejército Libertador. Al entrar en las ciudades del Alto Perú, el ejército fue recibido con entusiasmo, aunque con ciertas diferencias regionales. En Potosí, por ejemplo, ciudad que se consideraba centro de los realistas, tuvo una acogida más fría. Pero, salvo esta excepción, los auxiliares fueron recibidos como libertadores, y la Asamblea General, que

l3

Sucre/Bolívar, 19/IX/1827 y Geraldino/Comandante Gl. de la División Auxiliar, 29/IX/1827 (Lecuna 1924, vol. II, 458 y 467). — Sobre vales, que no hallaron compradores, véase Sucre/Braun, 12/1/1828; Papeles de Braun. l4 Sucre/Bolívar, 4/X/1827 (O'Leary 1919, vol. II, 197). Braun, entonces joven Teniente Coronel del Ejército Libertador, da una idea del suntuoso estilo de vida, cuando escribe desde Cochabamba a sus padres en Alemania (5/XII/1825), que poseía 6 caballos "de los mejores", 12 muías, cubiertos de plata etc., todo lo cual suponía muchos gastos. Manuel Michaelis Braun, Otto Philipp Braun Grossmarschall von Montenegro (Suderode s.a.), 28.

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en 1825 votó por la Independencia del Alto Perú, se apresuró a conferir la ciudadanía de la nueva república a todos los veteranos del ejército. Decretó que "todo hombre que hubiese combatido por la libertad en Junín o Ayacucho se reputará natural y ciudadano de la república Bolívar" (ll/VIII/1825, Lecuna 1924, vol. I, 306). La misma asamblea solicitó al Gobierno de Colombia que permanecieran 2.000 hombres de su ejército en Bolivia para salvaguardar la Independencia del país y protegerlo asimismo contra la anarquía hasta cuando se hubiera creado un ejército boliviano propio (4/X/1825, Lecuna 1924, vol. I, 368). Sin embaigo, las manifestaciones de solidaridad disminuyeron, y dos años después, en 1827, al analizar las relaciones entre el Ejército Libertador y la población boliviana, Sucre llegó a la conclusión de que el abandono del país por el ejército era el deseo manifiesto (Sucre/Bolivar, 20/VIII/1827, O'Leary 1919, vol. II, 184). Un año después, en 1828, y con motivo de la rebelión contra Sucre que terminó con la caída del Mariscal como presidente de Bolivia y con la rápida retirada del Ejército Libertador, los antibolivarístas justificaron su actitud precisamente con la necesidad de eliminar a los extranjeros, o sea, a Sucre y a los auxiliares (Iturricha 1967, vol. I, 171). Así, pues, estos mismos auxiliares que en el pasado se recibieron como libertadores, se consideraron al final como extranjeros no gratos. Varías fueron las causas de este cambio producido en el lapso de tres años: entre ellas contaban los abusos de los militares, inevitables en la vida cotidiana de las guarniciones15 (Temple 1830, vol. I, 375ss.). Pero más graves eran las cargas financieras que causaba el Ejército Libertador a los bolivianos. Los sueldos, la alimentación y el armamento de los auxiliares representaban más o menos el 40 por ciento de los ingresos públicos en los años de 1825 a 182716, sin que esta cuota elevada pudiera satisfacer a las exigencias del Ejército Libertador. El Estado, que no estaba en condiciones de cumplir con sus múltiples obligaciones, se veía forzado a endeudarse fuertemente17 y, como los préstamos

^Representaciones de oficiales de los batallones "Ayacucho" y "Junín", 15/111/1826 y sin fecha, Lecuna 1924, vol. II, 74-75 y 77. l6 Basándose en la suma de 1.396.250 pesos, en que en 1833 fueron calculados los gastos completos para los auxiliares, y comparándolos con los gastos ordinarios totales del Estado boliviano en los tres años de 1825-1827, cuya suma alcanzaba 4.719.274 pesos, resulta que los gastos para el Ejército Libertador no consumían más que el 29,6 % de los gastos ordinarios de la república. La adición de los gastos, que los Departamentos registraron individualmente para los años de 1825-1826, muestra por el contrarío que el importe de los gastos militares representaba el procentaje más alto de los gastos ordinarios de Bolivia (Lofstrom 1972, 457-461, 608-609). Aunque no hay cifras disponibles de los Departamentos para 1827, no hay razón para suponer que hubiera una disminución de los gastos militares en este año. El número de auxiliares fue reducido, pero el costo de la repatriación era elevado. i7 A principios de 1828 la deuda interior sumaba unos 3.500.000 pesos y la deuda exterior 224.000 pesos. Ultimo mensaje del General Sucre, 2/VIII/1828 (Lecuna 1924, vol. II, 61 ls.).

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necesarios no estaban disponibles a tiempo, tuvo que establecer un orden de prioridades al efectuar los pagos del tesoro público. Estas prioridades favorecían a los auxiliares, porque Sucre ponía el acento en este sentido (Lofstrom 1972, 510). Otra preferencia consistía en que los vales que recibían los auxiliares como gratificación tenían tipos fijos de descuento, mientras que los billetes de crédito público con que los nativos eran indemnizados por el costo y las pérdidas sufridos por la guerra, no los tenían (Lofstrom 1972, 417). Todos estos problemas eran típicos de un ejército de ocupación, y por ello no es de extrañar que amplios sectores de la población boliviana opinaron que precisamente éste era el papel que desempeñaban los libertadores de antaño. Pero, sin embargo, el motivo más importante de la creciente actitud de rechazo frente a los auxiliares procedió del ámbito político. Una parte considerable del gobierno y de la administración se encontraba en manos de no-bolivianos, precisamente de oñciales del Ejército Libertador que ocupaban los puestos más altos de la joven república. Este era el caso de Sucre, el primer presidente de Bolivia que era al mismo tiempo Jefe Supremo de las fuerzas armadas del país. Lo mismo se puede decir de su Consejo de Ministros, donde el ministerio más importante, el Ministerio del Interior, lo ocupaba un español que se había afiliado al Ejército Libertador. El Ministerio de Guerra lo encabezaba un colombiano — con excepción de los últimos meses de la administración de Sucre —, mientras que el tercer ministerio, el de Hacienda, fue al principio dirigido por un no-boliviano 18 . De los veinte prefectos que desempeñaron sus funciones durante la presidencia de Sucre, por lo menos la mitad eran oficiales del Ejército Libertador, y ellos, a su vez nombraron los titulares de caicos importantes". Precisamente este ejercicio del poder público por no-bolivianos desencadenó la oposición boliviana contra Sucre y los auxiliares. "Había [en el gobierno de Sucre] ya sus rivalidades entre los hijos del país y los colombianos, y no estaban contentas las gentes de ser mandadas por un extraño" observó el general argentino Aráoz de la Madrid, que en 1827 se había refugiado en Bolivia (Aráoz 1947, vol. I, 321). No se trataba sólo de una reacción emocional contra "extranjerismo" ni de una manifestación de ambiciones políticas por parte de los bolivianos, que veían bloqueado el camino a los altos cargos públicos, sino que estaba implicada la discusión en tomo a la configuración constitucional de la República. La constitución que Bolívar había concebido para el Estado que llevaba su nombre, preveía un régimen presidencial que debía ser al mismo tiempo la base común

"Ministro del Interior: Facundo Infante; fue también Ministro de Hacienda de enero a marzo 1826. — Ministro de Guerra: Agustín Geraldino (Colombiano). "Lofstrom 1972, cap. 2 passim. - Miller (1861, 13) dice de sus competencias como Prefecto de Potosí en el año de 1826: "El Jeneral Sucre [...] confirió al Jeneral Miller facultades amplias para nombrar nuevos empleados, o confirmar a los que se hallaban sirviendo". Para nombramientos en la provincia de Tanja: Burdett O'Connor 1895, 123.

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de los Estados andinos, de manera que esta confederación posibilitara la existencia de un presidente vitalicio a la cabeza de la misma, y que los vicepresidentes actuaran como lugartenientes del jefe en los distintos países. Este modelo suponía que los Estados ya existentes renunciasen a derechos de soberanía y que al mismo tiempo aceptaran un presidente con una posición casi monárquica, que iba a ser un venezolano — Simón Bolívar. Fue esta forma de integración supranacional contra la cual se había formado la oposición con la que se encontraron Sucre y el Ejército Libertador en Bolivia. Hablando de una oposición boliviana contra el Ejército Libertador y los bolivaristas hay que preguntarse quienes formaban esta oposición. Se trataba en su mayoría de juristas formados en la Universidad de San Francisco Xavier de Chuquisaca a fines de la época colonial. Eran partidarios de la independencia de Bolivia tanto de Buenos Aires como de Lima, y en ésto estaban de acuerdo con Sucre. Luego, cuando se discutieron los problemas del ejercicio del poder público y del estado futuro de la joven república, estos elementos iban convirtiéndose en los antagonistas del partido bolivarista, reprensentado por Sucre y gran parte de los oficiales grancolombianos (y europeos) del Ejército Unido. La estructura social de este grupo, que tenía la mayoría en los congresos de los años 1825-1828, correspondía a un sector medio, o mejor dicho a los comienzos de la formación de una clase media. Desde luego, no había grandes barreras entre los llamados "doctores de Charcas" y la capa alta de los terratenientes semifeudales, puesto que existían conexiones familiares entre estos dos elementos de la población criolla. Pero ya los contemporáneos hacían ciertas distinciones al calificar a los líderes del grupo oposicional criollo de miembros del "pueblo medio" (Jorge Mallo, Vicuña Mackenna 1918, 256) en vez de atribuirlos a la clase alta en la jerarquía social. Estos intelectuales "burgueses" lograron movilizar a los cholos de Chuquisaca y La Paz, o sea a las clases bajas urbanas, contra los bolivaristas. La agitación que llamó a la población a la sublevación, unía hábilmente apelaciones a sentimientos y a sensibilidades nacionales con protestas contra medidas pasadas o planeadas del gobierno. Se argumentó, por ejemplo, que el "gobierno colombiano" (es decir, el gobierno de Sucre) solamente aspirara a remunerar a los "mulatos colombianos", aludiendo con ésto a las gratificaciones concedidas al Ejército Libertador, en cuyas filas había muchos mulatos. También mantenían que contra compatriotas bolivianos se procedía con una severidad extrema20 . Con referencia a las medidas de Sucre concernientes a la separación de Estado e Iglesia y a las tendencias laicistas del presidente, su gobierno fiie declarado "hereje y perseguidor [...] de la religión" (Jorge Mallo, Vicuña Mackenna 1918, 255). También se hablaba de que el gobierno "colombiano" intentara cargar al pueblo con nuevas contribuciones — un argumento que despertó el recuerdo del

^Informe verbal del canónigo den Juan Crisóstomo Flores sobre el motín del 18 de abril de 1828 en Chuquisaca (Vicuña Mackenna 1918, 256).

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intento de Sucre de introducir en Bolivia un sistema de contribución directa y de cobrar un impuesto por cabeza. Los cholos se habían opuesto a esta innovación porque les hacía a todos sujetos a contribución. Aparte de ésto, los cholos consideraban el impuesto por cabeza como una degradación social, a saber, una forma de tributo pagado hasta la fecha sólo por la población indígena con la cual no querían verse identificados (Sucre/Bolívar, 4/VIII/l 826, O'Leary 1919, vol. II, 74). Aunque el intento de establecer contribuciones directas había fracasado — una vez regresado el gobierno al antiguo sistema de impuestos — la población baja urbana, a la cual Sucre llamaba despectivamente "populacho" (O'Leary 1919, vol. II, 74), prestaba oído a una agitación que operaba con el peligro de nuevas caigas fiscales. La participación activa de los cholos de Chuquisaca en la revolución del 18 de abril de 1828, que daría inicio a la caída de Sucre como presidente de Bolivia y a la retirada apresurada del Ejército Libertador, fue el signo más evidente del éxito que logró esta argumentación, expuesta por los "doctores" (Jorge Mallo, Vicuña Mackenna 1918, 242-248, 255-258). La capa alta terrateniente, en cambio, abogaba por la permanencia del Ejército Libertador en Bolivia, y no se opuso al gobierno de Sucre cuando éste atravesó tiempos de crisis. El hecho como tal consta en numerosos testimonios contemporáneos 21 , pero sobre las causas de esta actitud de los "propietarios", no existen sino conjeturas. Es de suponer que por la presencia de los auxiliares se consideraban protegidos contra situaciones anárquicas; además, el gobierno de Sucre les ofrecía ventajas materiales — por lo menos después de haber anulado el sistema de la contribución directa que no sólo preveía el impuesto por cabeza sino también un impuesto sobre el capital y otro sobre la renta. Las ventajas se originaban de las gratificaciones que se habían repartido, en forma de vales, al Ejército Libertador sin que los militares los hubieran utilizado. Estos vales podían comprarse a cotización baja. El erario, no obstante, los honraba al valor nominal siempre que hubieran sido empleados para adquirir terrenos públicos o para devolver préstamos o hipotecas al Estado. Una parte considerable de estos efectos era comprada por bolivianos que aprovecharon los vales para ampliar sus terrenos, para descargarlos o para adquirir nuevos inmuebles. Eran ellos los beneficiarios, mientras que sólo algunos pocos oficiales del Ejército Libertador hacían uso de la posibilidad de adquirir tierras (Lofstrom 1972, 511). En los conflictos de bolivaristas y anti-bolivaristas no dejaba de desempeñar un papel el antagonismo entre civiles y militares. Los "doctores de Charcas" y sus partidarios eran paisanos que se oponían a un partido militar y su influencia política, pues formaban un partido militar los bolivaristas, siendo su núcleo el Mariscal Sucre y los oficiales grancolombianos y europeos del Ejército Liberta-

2l Sucre/Bolívar, 20/VIII/1827, 19/1X/1827, 20/XI/1827, 4/XII/1827, 20/XII/1827 y 18/IX/1828 (O'Leary 1919, vol. II, 184, 192, 213, 217, 220 y 252). Ultimo mensaje del General Sucre, 3/VIII/1828 (Lecuna 1924, vol. II, 602).

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dor. Pero, a su vez, la oposición civil no podía prescindir del apoyo militar mientras que agenciaba la caída de Sucre y la retirada de los auxiliares. Encontró este apoyo entre los abundantes elementos descontentos del Ejército Libertador, debido a los atrasos de sueldos, al encontrarse alejados desde hacía muchos años de su tierra natal, y debido al disenso político sobre la cuestión de la presidencia vitalicia. La oposición boliviana halló auxilio también en los militares peruanos, que por las tensiones entre la Gran Colombia y el Perú promovían la retirada del Ejército Libertador y la eliminación de la influencia colombiana en Bolivia. La entrada del ejército peruano bajo el mando de Gamarra, el 1 de mayo de 1828, siguió inmediatemente a la sublevación de la guarnición de Chuquisaca, de la cual se había aprovechado la oposición civil para hacer un llamamiento de lucha contra Sucre y sus partidarios. Finalmente se afiliaron a esta oposición partes del ejército nacional de Bolivia, levantado y oiganizado por el mismo Mariscal Sucre. Los bolivaristas no estaban en condiciones de hacer frente a esa coalición y menos, encontrándose Sucre gravemente herido, el Ejército Libertador ya muy reducido y siendo digno de poca confianza el resto de los auxiliares en Bolivia. Después de la derrota de los bolivaristas, sin embargo, resultó que los elementos civiles de esa coalición ya no podían librarse de aquellos que habían llamado para que les ayudaran: pocos meses después de la retirada de las últimas formaciones del Ejército Libertador hubo pruebas de fuerza entre el poder militar y el poder civil de Bolivia, cuando un golpe militar derribó al presidente instituido por el congreso. Este suceso comprobó que había sido el ejército quien se impuso, y no la autoridad civil22. La influencia de los militares en el sector político, resultado de las guerras de Independencia, y que junto con el partido bolivarista había formado el objetivo de la oposición civil en Bolivia, no se había visto anulada por la derrota e los bolivaristas, aunque los representantes de esta influencia ya no eran tropas extranjeras, sino las fuerzas armadas nacionales.

Conclusiones 1.

El Ejército Libertador no constituía un foco de aspiraciones supranacionales. En discusiones internas se reflejaba más bien el proceso de la ya avanzada diferenciación nacional del subcontinente. En Bolivia, la presencia del Ejército Libertador contribuyó al fortalecimiento de la conciencia nacional y a la oposición a la integración supranacional. Los intereses regionales que suigieron en el seno del Ejército Unido, y — en cuanto a los bolivianos — el deslinde frente a los Libertadores, demuestran cuan pocas perspectivas de éxito ofrecieron proyectos de confederación.

2.

22

Destitución y asesinato del presidente Blanco por medio del golpe militar del 31/XII/1828.

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3.

4.

No fue la aristocracia terrateniente criolla quien consiguió que los Libertadores extranjeros no lograran ocupar permanentemente posiciones dominantes en el Estado. Lo oposición contra Bolívar, Sucre y el Ejército Libertador partía, en lo esencial, de un elemento burgués, que de esta manera adoptaba una postura contraría a la alta clase terrateniente. Habría que estudiar más a fondo la cuestión de hasta qué punto se trata de un fenómeno atipico del conjunto hispanoamericano. En cuanto a la influencia de los militares en la política, que empezó con la entrada del Ejército Libertador y sobrevivía durante los años de la fundación de la república, Bolivia ciertamente ofrece un aspecto típico de la formación de Estados en Hispanoamérica.

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Vicuña Mackenna, Benjamín (ed.). 1918. El Wàshington del Sur. Cuadros de la vida del Mariscal Antonio José de Sucre. Madrid: Editorial América.

III AUF DEM WEGE ZUR NATION

Die "Grenze" in Hispano-Amerika* Frederick Jackson Türner hat im Jahre 1893 Strukturunterschiede zwischen der US-amerikanischen und der europäischen Gesellschaft aus dem Vorhandensein einer sich ständig nach Westen schiebenden Grenze im Gebiet der heutigen Vereinigten Staaten erklärt, die freies von bereits vergebenem Land, die die Wildnis von der Zivilisation trennte. Die Bewohner dieser Randzone mußten zunächst zwangsläufig europäische Traditionen, gewohnte Lebensformen und "Kultuigepäck" abwerfen, um sich unter den primitiven Bedingungen der neuen Umwelt zu behaupten. Im gleichen Rhythmus, in dem die Wfellen der Jäger, Hirten, Händler, Bergleute und Pionierfarmer von seßhaften Farmern und Städtern abgelöst wurden, begann für die Menschen des hinter der wandernden Grenze zurückbleibenden Gebietes der Rückweg in die Zivilisation. Die Gesellschaft aber, die diese Phase durchlaufen hatte, war nicht mehr die der europäischen Ausgangsländer oder des amerikanischen Ostens. Das Leben an der Grenze — von Turner vor allem als Kampf mit der Natur gesehen — hatte Individualismus, Initiative und Improvisationsfähigkeit verstärkt ausgebildet, das Fehlen politischer und wirtschaftlicher Kontrolle durch überlieferte Autoritäten die Entwicklung demokratischer Institutionen gefördert. Der ständige Neuanfang erwies sich als Regenerationskraft, die Existenz von freiem Land als Sicherheitsventil für Bevölkerungsüberdruck und soziale Spannungen in den rückwärtigen Gebieten. Das Pionierdasein an der "Frontier" hatte das Einschmelzen der Neueinwanderer ermöglicht. "Himers Schlußfolgerung war, daß der Prozeß der Amerikanisierung dem Einfluß der so verstandenen Grenze zuzuschreiben sei (Turner 1893). Diese These ist bis heute die meistdiskutierte Interpretation der US-amerikanischen Geschichte geblieben. Sie fand enthusiastische Aufnahme und langanhaltende, positive Resonanz. Massive Kritik setzte erst zu Beginn der dreißiger Jahre ein, als in der Zeit der Depression der optimistische Glaube an Grundwerte und Vorzüge der US-amerikanischen Gesellschaft, der auch die Turner-These sichtbar geprägt hatte, erschüttert wurde. Die starken Vereinfächungen, Einseitigkeiten und terminologischen Ungenauigkeiten Turners boten Angriffsflächen genug für diejenigen, die Differenzierungen und Einschränkungen verlangten oder die Gültigkeit der These überhaupt bestritten. Etwa gleichzeitig mit der Tendenz zu kritischer Überprüfung machte sich jedoch auch eine andere Richtung bemerkbar, die den Geltungsbereich der Türner-These über den Raum der US-amerikanischen Westbewegung hinaus auf ganz Amerika ausdehnen wollte: 1932 stellte H. E. Bolton in der traditionellen Jahresbotschaft des Präsidenten der American Historical Association die Forde-

*In: Jahrbuch JUr Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas 2 (1965), 429-438.

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rung auf, amerikanische Geschichte nicht mehr in nationaler Isolierung, sondern als Geschichte der Westlichen Hemisphäre zu schreiben. Anliegen einer solchen Geschichtsbetrachtung war es, Gemeinsamkeiten in der Geschichte der Neuen Wfelt herauszuarbeiten. Die Grenze schien Bolton eine der Möglichkeiten dafür zu bieten, denn: "Everywhere contact with frontier environment und native peoples tended to modify the Europeans and their institutions. This was quite true in the Latin as in the Saxon Colonies" (Bolton 1932/33, 453). Derartige Überlegungen und Postulate waren das Ergebnis langjähriger Beschäftigung Boltons und seiner Schule mit der Geschichte des US-amerikanischen Südwestens, der sowohl eine spanische als auch eine angelsächsische Vergangenheit besaß. Sie lassen sich aber auch nicht gänzlich vom zeitgeschichtlichen Hinteigrund lösen, von den in der ausgehenden republikanischen und der aufziehenden Roosevelt-Ära einsetzenden Revisionsbestrebungen im Verhältnis der USA zu Lateinamerika. Individuelle und zeittypische Momente wirkten daher zusammen, wenn damals unter gesamtamerikanischen Perspektiven die Grenzthese an die Geschichte Lateinamerikas herangetragen wurde. Der Gedanke, daß die Grenze eine gemeinsame Erfahrung der Bewohner der Neuen Welt darstelle und entsprechend zu werten sei, ist seither nie ganz aus den Diskussionen um die Geschichtsschreibung eines "Größeren Amerika" verschwunden (Brooks 1953, 80). Neue Impulse erhielt die Debatte um mögliche Ausweitungen der TurnerThese 1952 durch W. P. Webb. In einem vielumstrittenen Werk stark hypothetischen Charakters forderte er ihre Anwendung unter universalgeschichtlichen Gesichtspunkten. Geeignete Ansatzpunkte sah er vor allem dort, wo die europäische Ausbreitung über die Erde auf verhältnismäßig dünn bevölkerte Räume gestoßen war. Lateinamerika erschien in seiner Konzeption als Teil einer globalen "Great Frontier" (Webb 1952; 1957). Solche programmatischen Äußerungen gingen (und gehen) davon aus, daß tatsächlich ausreichende Parallelerscheinungen und -entwicklungen in den USA und Lateinamerika vorhanden sind, um eine Übertragung der Turner-These zu rechtfertigen. Wo aber ist diese Voraussetzung selbst, soweit sie sich auf Hispano-Amerika bezieht, geprüft worden? Den Anfang machte im Jahre 1923 der Peruaner Victor A. Belaünde (1923). Er nimmt Turners Frage nach der Existenz freien Landes in einer auf die geographischen Verhältnisse des spanischen Amerika abgestimmten Form auf: Wo gab es Land, das nicht nur frei verfügbar, sondern zugleich auch nach Bodenbeschaffenheit und Klima dem Europäer zugänglich war und von ihm nutzbar gemacht werden konnte? Seine Antwort lautet, daß dies nur in der argentinischen Pampa in größerem Umfang der Fall gewesen wäre. Dort aber seien dem Hirten und Viehzüchter, dem Gaucho, den Belaünde nicht als Pionier einer aus bereits besiedeltem Gebiet vorrückenden Zivilisation, sondern als "Produkt der Ebene selbst" bezeichnet, anders als in Nordamerika keine Wellen von Siedlern gefolgt. Vielmehr sei die Pampa durch den Bau von Eisenbahnen erschlossen und durch Regierungskonzessionen in Form von Großgrundbesitz verteilt worden. Eine "Grenze der Vielen" habe sich daher auch im La-Plata-Gebiet

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nicht entwickelt. Der Verfasser verneint also für das spanische Amerika das Vorhandensein einer in freies Land vorrückenden Siedlungsgrenze. Er argumentiert jedoch auf der Basis der Turnerschen Kombination von geographischem Determinismus und politischen Idealen, wenn er mit dem Fehlen dieser Grenze Unbeweglichkeit und Starrheit im Gesellschaftsgefiige Hispano-Amerikas erklärt. Nach langer Pause wurde das Thema von A. S. Aiton, einem Schüler Boltons, wieder aufgenommen (Aiton 1940). Wie Belaünde beschränkt er den Geltungsbereich der Turner-These zunächst auf wenige Gebiete Ibero-Amerikas — auf das Innere Brasiliens, die Pampa und Nordmexiko. Darüber hinaus wendet er jedoch einen erweiterten Grenzbegriff an, unter dem er den Vorgang der Eroberung und der (noch nicht beendeten) Erschließung Ibero-Amerikas zusammenfaßt. Im Charakter dieser als "movement of colonisation" verstandenen Grenze Ibero-Amerikas erblickt er zwei Hauptunterschiede gegenüber der US-amerikanischen Westexpansion: 1. Im ibero-amerikanischen Bereich erfolgte die Unterwerfung und Eingliederung der autochthonen Bevölkerung, nicht aber ihre Verdrängung durch die vorrückende Grenze. 2. Die ibero-amerikanische Grenze war stärkeren Interventionen durch Regierungs- und Verwaltungsorgane ausgesetzt, sobald das Anfangsstadium, die Zeit der Konquista, abgeschlossen war. Für die Auswirkungen der Grenze zieht der Verfasser Parallelen, die den Einfluß der Turnerschen Vorstellungen erkennen lassen: "Frontier conditions in Latin-America, as elsewhere, developed individualism, self-reliance, democracy, initiative, and a willingness to experiment despite closer controls" (Aiton 1940, 104). Unter den wenigen Studien, die sich mit der spanisch-amerikanischen Grenze als Gesamterscheinung befassen und sie in Beziehung zur Turner-These setzen, ist der Beitrag des mexikanischen Historikers S. Zavala der differenzierteste und zugleich derjenige, der sich am weitesten von Ttiraer entfernt (Zavala 1957). Innerhalb der Frontera in Hispano-Amerika unterscheidet der Autor zwei Haupttypen, geprägt durch die unterschiedlichen Siedlungsförmen der autochthonen Bevölkerung, gegen die die europäische Expansion voigetragen wurde: die Grenze gegenüber den seßhaften und diejenige gegenüber den vorwiegend als Nomaden lebenden Indianern. Die Letzteren — Chichimeken, Pampaindianer, Araukaner u.a. — konnten sich dem Zugriff der Eroberer lange entziehen. Hier endete der von den spanischen Konquistadoren eingeleitete Grenzprozeß erst im 19. Jahrhundert. Die seßhaften Indianer wurden dagegen in wenigen Jahren überrannt, so daß hier die Grenzphase nur kurz war, aber, so argumentiert Zavala, die Akkulturation von Europäern und Indianern, ein entscheidender Prozeß für die Formierung der Gesellschaft in großen Teilen Süd- und Mittelamerikas, hat gerade in denjenigen Gebieten stattgefunden, für die die Grenze nur eine flüchtige Erscheinung war. Zavala spezifiziert seine Zweifel am weitgehenden Einfluß der Grenze auf gesellschaftliche Entwicklungen, wie Turner ihn für die USA in Anspruch

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genommen hatte, in einer Erörterung über die Bedeutung der Grenze für die Herausbildung eines mexikanischen Nationaltypes. Sofern man sich überhaupt für das Vorhandensein "des Nationaltypes" an Stelle einer Pluralität entscheide, werde der in den Zentralprovinzen aus der Verschmelzung von seßhaften Indianern und Spaniern entstandene Typ als repräsentativ angesehen. Demnach hätten die Nordprovinzen trotz ihres langanhaltenden Grenzprozesses, der in den Zentralprovinzen fehlte, nur Abweichungen und soziale Besonderheiten gegenüber dem "eigentlichen" Mexikaner hervoigebracht. Auch Turners Leitgedanken vom Einfluß der Grenze auf die Entwicklung freiheitlicher Institutionen sieht Zavala mit Vorbehalt. Er demonstriert ebenfalls am Beispiel Mexikos, wie sehr ein solches Problem der Aufteilung in konkrete und begrenzte Fragestellungen bedarf (etwa unter dem Aspekt des Zentralismus bzw. Föderalismus) und wie stark die Antwort auch hier von Art und Ansatz der Fragestellung abhängt. Zavalas Studie läßt zugleich erkennen, warum die Turner-These wenig Resonanz in der Historiographie des spanischen Amerika gefunden und noch weniger zu greifbaren Ergebnissen geführt hat. Der Grund liegt einmal in den Schwächen der These selbst. Unschärfe und Vieldeutigkeit der von 1\irner verwandten Begriffe machen bereits den Ausgangspunkt unsicher. Eine feste Diskussionsgrundlage für "comparative studies" ist daher allgemein, nicht nur in der Anwendung auf Hispano-Amerika, schwer zu gewinnen. Die andere ungünstige Voraussetzung liegt im Gegenstand der Betrachtung, in den Verhältnissen des spanischen Amerika selbst. Unbestritten ist zwar die Tatsache, daß es dort wie im angelsächsischen Bereich der Neuen Welt Grenzen gab, die nicht politische Trennungslinien im Sinne des europäischen Sprachgebrauches, sondern Randzonen zwischen zwei verschiedenen Kulturen, Gesellschaften, Zivilisationen waren, von denen sich die eine — vorwiegend europäisch bestimmte — im Vormarsch gegenüber der indianischen befand. Aber die Unterschiede innerhalb der autochthonen Bevölkerung, die Uneinheitlichkeit der von Turner so hoch eingeschätzten geographischen Umwelt, die zeitliche Ausdehnung des Grenzprozesses über vier Jahrhunderte und die politische Desintegration zu Beginn des 19. Jahrhunderts machen es schwierig oder unmöglich, die Funktionen und Auswirkungen dieser Grenzen auf gemeinsame Nenner zu bringen, sofern man sich nicht mit Verallgemeinerungen begnügt, die wenig Spezifisches aussagen. Diese Heterogenität schon innerhalb des spanischen Teils IberoAmerikas macht es auch verständlich, daß das Thema der Grenze selbst dann, wenn es nicht in enger Anlehnung an Turner verstanden wurde, für eine gesamtamerikanische Geschichtsschreibung unter dem Aspekt der Gemeinsamkeiten und Parallelerscheinungen wenig fruchtbar gewesen ist1.

'Diesen Gesamteindruck vermittelt auch die aufschlußreiche, von Lewis Hanke editierte und eingeleitete Sammlung kontroverser Stellungnahmen zum Thema (Hanke 1964). In der Festschrift: Greater America, Essays in Honorof Herbert Eugen Bollen. Berkley/Los Angeles

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Die Vielfalt der Grenze in Hispano-Amerika verweist die Historiographie auf den Weg der Einzeluntersuchung mit empirischer Arbeitsweise und unter Verzicht auf Deduktionen von im voraus festgelegten Thesen. Als Beispiele dafür sind die (vorwiegend sozialgeschichtlichen) Untersuchungen zweier Chilenen zu nennen: A. Jara (Jara 1961) behandelt auf breiter Quellengrundlage die Wechselbeziehungen zwischen den Araukanerkriegen und der Gesellschaft in Chile bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts. Die indianischen Kriegsgefangenen wurden von den Spaniern versklavt und zur Verringerung des chronischen Mangels an Arbeitskräften in der kolonialen Wirtschaft eingesetzt. Angesichts der erfolgreichen Kriegführung der freien Araukaner, die die Grenze für die Spanier zum Teil rückläufig machte, sah sich die Krone 1612 veranlaßt, diese Praxis der Indianersklaverei zu legalisieren und damit eine Ausnahmeregelung für diesen Teil des spanischen Amerika zu treffen. Da private Mittel und Möglichkeiten für die Führung der Araukanerkriege nicht ausreichten, etablierte die Krone hier bereits zu Anfang des 17. Jahrhunderts als Träger des Grenzkampfes ein stehendes Heer, während diese Institution in Hispano-Amerika allgemein erst im 18. Jahrhundert zur Zeit des bourbonischen Absolutismus eingefühlt wurde. Das Heer wurde aus fiskalischen Mitteln des Vizekönigreiches Peru bezahlt und damit eine finanzielle Abhängigkeit des Generalkapitanates Chile begründet, die noch im 18. Jahrhundert andauerte. Begünstigung der Indianersklaverei, Entwicklung eines stehenden Heeres an Stelle von Milizen und privaten Unternehmungen sowie finanzielle Abhängigkeit als Folgeerscheinungen einer Grenze, die sich hier in Chile zur Militärgrenze entwickelte — das sind Ergebnisse, die sich kaum in klischeehafte Vorstellungen über Funktionen und Auswirkungen der "Frontier" einfügen lassen. M. Göngora (1962) untersucht im Rahmen einer Studie über die Konquistadorengruppen in Tierra Firme die Cabalgadas in den ersten Dekaden des 16. Jahrhunderts und vergleicht sie mit den Unternehmungen gleichen Namens in Spanien und Nordafrika sowie mit den Zügen der Paulistaner Bandeirantes2. Zwischen den Cabalgadas der spanischen Reconquista und denen der Konquista im karibischen Raum sieht der Verfasser keine weitreichenden Parallelen, wohl aber genetische Beziehungen: In den Kämpfen an der Frontera auf der Halbinsel, besonders in Andalusien, bildeten sich Formen der Kriegführung und soziale Situationen, die diejenige Generation prägten, die der der Konquistadoren unmittelbar vorausging. Bindeglied in der Tradition der Cabalgadas der

1945 (hrsg. von der Univ. of Berkley u.a). erwähnen einige Beiträge zur spanisch-amerikanischen Geschichte die Grenze, doch bleibt das Thema jeweils peripher. Eine einheitliche Linie ist nicht zu erkennen (vgl. Cobb 1945. Er bietet wertvolle Ausführungen zur frühen hochperuanischen Stadtgeschichte, Zusammenhänge mit der Grenze treten jedoch kaum in Erscheinung). 2 Góngora 1962. Das Werk wurde von Robert Ricard unter dem Gesichtspunkt "Entradas et Cabalgadas aux Origines de L'Amérique Espagnole" rezensiert (Ricard 1964). Die obigen Ausführungen beschränken sich daher auf den vergleichenden Teil.

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Alten und Neuen Welt waren die spanischen Unternehmungen an der nordafrikanischen Küste. Hier haben sie jedoch nicht wie in Amerika übergeleitet zu Besitzergreifung und Kolonisation. Die Züge der Paulistaner Bandeirantes im 17. Jahrhundert teilten mit den Cabalgadas in Tierra Firme den Charakter als Beute- und Entdeckungszüge sowie den Finanzierungsmodus durch Gesellschaftsverträge. Unterschiede lagen außer in der größeren Reichweite und längeren Dauer der Paulistanerzüge auch in der Art der Bewaffnung. Bei den Spaniern dominierten die Berittenen, bei den Bandeirantes das Fußvolk, mit allen Konsequenzen, die dies für Kriegführung und soziale Mentalität hatte. In der ethnischen Zusammensetzung spielte das Mestizentum in den Bandeiras die entscheidende, innerhalb der Konquistadorengruppen keine Rolle. Gemeinsames Kennzeichen der Unternehmungen in drei Kontinenten war, daß die Sklavenbeschaffung Motiv und Ergebnis bildete. Göngora erblickt darin ein Charakteristikum für Kriege an der Grenze zweier Kulturen, deren Angehörige keinen gemeinsamen juristischen Status anerkennen. In der Agraigeschichte ist das Echo auf Problemstellungen der Grenze schwach geblieben. Auf dem US-amerikanisch-mexikanischen Historikerkongreß des Jahres 1958 stand zwar das Rahmenthema "The Frontier and Ranching in the United States and Mexiko" zur Diskussion, aber nur ein einziger Beitrag befaßte sich mit Mexiko. Er stammt von einem hervorragenden Sachkenner, dem Franzosen F. Chevalier, der hier in Fortführung seiner Untersuchungen über das Entstehen des nordmexikanischen Großgrundbesitzes im 16. und 17. Jahrhundert (Chevalier 19S2) die Haciendas des 18. und 19. Jahrhunderts behandelt (Chevalier 1963) hat. Chevalier geht davon aus, daß die Haciendas in dieser späteren Zeit häufigen Angriffen von Indianerstämmen ausgesetzt waren, die vor der angelsächsischen Wfestbewegung nach Süden auswichen. Angesichts solcher Bedrohung unterhielten die Hacendados teilweise kleine Privatarmeen. Auf den isoliert gelegenen, in Verteidigung und Versorgung nahezu autarken Latifundien entstand bei den Besitzern die Tendenz, Gerichtsbefugnisse zu usurpieren, die ihnen das Gesetz versagte. Andererseits sind für die späte Kolonialzeit Bemühungen der königlichen Intendanten zu verzeichnen, die durch indianische Einfälle bedrohten Gebiete dichter zu besiedeln und zu diesem Zweck Ortschaften auf dem Boden der Latifundien anzulegen. Das sind Untersuchungseigebnisse, die Rückwirkungen der Indianergrenze auf die Entwicklung der nordmexikanischen Haciendas erkennen lassen. Allerdings nimmt der Verfasser selbst eine solche Deutung nicht "expressis verbis" vor. Auch in der Missionsgeschichte hat das Thema der Grenze wenig Anklang gefunden, obwohl die Missionen der Ordensgeistlichkeit in den Randzonen der spanischen Herrschaft schon durch ihre Lage Institutionen der Frontera waren. H. E. Bolton hat in einem Essay, für den der Verfasser Allgemeingültigkeit für das spanische Amerika beansprucht, dessen Aussagen sich jedoch auf Nordmexiko konzentrieren, den Grenzcharakter der Missionen vor allem darin erblickt, daß sie temporär und beweglich gewesen seien. W&r die Bekehrung der Indianer verwirklicht, wurde die geistliche Betreuung dem weltlichen Klerus

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übertragen und die Mission vorverlegt. Das Gesetz sah für Neuspanien eine Übeigabefrist von bis zu zehn Jahren vor, die in der Praxis für die Bekehrung der nomadischen Indianer an der Nordgrenze allerdings nicht ausreichte. Immer aber begann nach einiger Zeit der Kampf um die Säkularisierung, der auch eine Auseinandersetzung um den indianischen Landbesitz war, da dieser so lange vor Zugriffen geschützt blieb, wie er im Gebiet der Missionen lag (Bolton 1917/18). Bei den Schülern Boltons, die ebenfalls die Pioniertätigkeit der Orden, vor allem im Bereich des ehemals spanischen "Southwest" behandelt haben3 (Dünne 1944), rückt der Bezug auf die Grenze an die Peripherie der Betrachtung; er erschöpft sich in gelegentlicher Erwähnung des Wortes und in wenigen Hinweisen und bietet kein Unterscheidungsmerkmal gegenüber der sonstigen, verhältnismäßig umfangreichen Literatur zur frühen Missionsgeschichte dieser Gebiete. Das Beispiel der Missionsgeschichte führt zur allgemeinen Problematik einer Bestandsaufnahme, die den Titel "Die 'Grenze' in Hispano-Amerika" trägt: Im überwiegenden Teil der im ganzen spärlichen Veröffentlichungen, die sich ausdrücklich mit der Grenze befassen, erscheint diese nicht als Randzone zur Wildnis und zum freien Land, sondern primär als "Indianergrenze". Damit werden Art und Auswirkung des Zusammenstoßes zwischen spanisch-europäischer Ausbreitung und autochthoner, indianischer Bevölkerung zum Objekt der Betrachtung. Das aber ist auch das dominierende Thema der Historiographie zur Konquista und Kolonialzeit, jedenfalls soweit sie sozial-, wirtschafte- und institutionsgeschichtliche Gesichtspunkte behandelt. Im weiteren Sinne fällt diese Problemstellung mit der der Akkulturation zusammen, die heute in breiter Auffächerung über Natur- und Geisteswissenschaften Gegenstand der Forschung ist. Entsprechend können Darstellungen und Ergebnisse aus allen diesen Gebieten dem Komplex der Grenze zugeordnet werden. Aber gerade dann liegt auch der Gedanke nahe, daß die Grenze als Thema für Hispano-Amerika von anderer Seite überholt worden ist.

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Berkley/Los

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Caminos, fines y resultados de la política liberal de desarrollo durante la Reforma en México* La Reforma representa una de las épocas de la historia mexicana en la que amplias ideas sobre futuras transformaciones fueron concebidas y se tomaron medidas para cambiar no solamente las estructuras políticas, sino también la situación económica y social. Prevalecían, sin duda, los esfuerzos dirigidos al sector político, pero había también una serie considerable de proyectos, leyes y acciones, cuyo fin era la mejora de las condiciones materiales de la sociedad o de sectores de la misma. Describir y analizar esta "política de desarrollo" es el objetivo de este estudio, cuyo punto de partida son las concepciones teóricas de los liberales, que serán confrontadas después con los resultados prácticos de la Reforma. El acento cargará sobre los primeros años de la Reforma (1855-1858), ya que en este periodo los principios de la política liberal se manifestaron más claramente que en los años siguientes, cuando las presiones y las necesidades de la guerra civil (1858-1861) influyeron en la actitud de los partidos.

1. Libramiento de la tierra El programa de la Reforma, suigido bajo la impresión de la guerra perdida con los Estados Unidos y las desfavorables experiencias con la dictadura de Santa Ana, reanudó conceptos que los liberales de los años treinta del siglo XIX ya habían formulado, pero sin lograr ponerlos en práctica. En líneas generales, esos conceptos correspondían a los ideas del liberalismo europeo: los derechos individuales, sobre todo aquellos de la libertad de opinión y económica, deberían ser garantizados, así como los de propiedad protegidos por un Estado secularizado e igualitario, en el sentido que garantizara la igualdad de ciudadanía y la igualdad ante la ley. De estos principios emanó la legislación de la Reforma, que reducía, con la Ley Juárez' (1855), los fueros que el Ejército y la Iglesia gozaban desde la época colonial. La Ley Lerdo2 (1856) decretó la venta de los bienes raíces pertenecientes a corporaciones y la Constitución de 1857 (Tena Ramírez 1967, 609-629) reguló el orden político del Estado mexicano según principios federalistas. Las tendencias laicas hallaron expresión en una ley que suponía la separación de Iglesia y Estado y la nacionalización de

*En: Félix Becker y otros (eds.). 1988. América Latina en las letras y ciencias sociales alemanas. Caracas: Monte Avila, 173-197. 'Decreto del 23-XI-1855, aprobado por la Asamblea Constituyente, 15-IV-1856 (Zarco 1957, 98-110). Los artículos 42 y 43 abolieron los fueros militares y eclesiásticos en todos los negocios civiles. ^Decreto del 25-VI-1856, aprobado por la Asamblea Constituyente, 27-VI-1856 (Zarco 1957, 423-427).

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los bienes eclesiásticos (12-VII-1859, Tena Ramírez 1967, 638-641). Asi, la Reforma transformó las ideas y principios liberales en derecho positivo. Al mismo tiempo, los amplios debates en torno a estas leyes, sobre todo las discusiones en la Asamblea Constituyente de los años 18S6/7, permiten formarse una idea de los motivos, métodos y fines de la política reformista3. La parte esencial de esta política la constituyeron, en el campo socio-económico, las tentativas de cambiar las formas de propiedad de la tierra, problema íntimamente ligado con asuntos políticos. Esta combinación se manifestó sobre todo en los debates referentes a la Ley Lerdo, que prohibió a las corporaciones eclesiásticas y civiles la posesión y adquisición de bienes raíces. Lerdo de Tejada, ministro de Hacienda, presentó la ley que lleva su nombre, explicando los propósitos y las esperanzas de los legisladores. El primer argumento se refería claramente a una política de desarrollo, cuando decía que la Ley debería considerarse como una resolución que va a hacer aparecer uno de los errores económicos que más han contribuido a mantener entre nosotros estacionaría la propiedad e impedir el desarrollo de las artes e industria que de ella dependen (Zarco 19S7, 427). El gobierno, pues, esperaba que la venta de los bienes raíces de las manos muertas y su traspaso a la posesión individual estimularía la vida económica. Además de esta argumentación, correspondiente a las teorías generales de los liberales, se caracterizó la desamortización como una medida indispensable para allanar el principal obstáculo que hasta hoy se ha presentado para el establecimiento de un sistema tributario, uniforme y arreglado a los principios de la ciencia, movilizando la propiedad raíz, que es la base natural de todo buen sistema de impuestos (Zarco 1957, 427). Así, el gobierno liberal pretendió un sistema de impuestos uniformes dentro del territorio nacional, no existente en el pasado, y consideró el impuesto del 5 % sobre la traslación de dominios bajo la Ley Lerdo como un primer paso en esta dirección. En este punto convergieron las teorías del liberalismo con consideraciones pragmáticas: después de la guerra con los Estados Unidos y las continuas luchas internas, el gobierno, dada su penuria económica, se halló en la necesidad de abrir nuevas fuentes para el erario público, situación que no podía ser ignorada por ningún gobierno mexicano. De ahí la búsqueda de un sistema financiero que ofreciera unos ingresos adicionales. A largo plazo, Lerdo se proponía financiar con estos ingresos la

3 Las fuentes principales para las discusiones son las actas de las sesiones de la Asamblea Constituyente, publicadas por Francisco Zarco. La primera edición data de 1857.

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reducción de los impuestos indirectos, herencia de la época colonial, que perjudicaban la expansión del comercio (Zarco 1957, 428). Sin embargo, no sólo fueron los aspectos económicos y financieros los que condujeron a la Ley Lerdo, sino también jugaron un papel importante las razones políticas, fundadas en la actitud anticlerical de los liberales, actitud que constituía el signo más distintivo entre ellos y los conservadores. Aunque no se decía expresamente, en el texto de la ley, que la desamortización emanó, por lo menos en parte, de tal concepto, el anticlericalismo se manifestó con frecuencia en los debates de la Asamblea Constituyente y en el ambiente político mexicano, donde los liberales discutían el statu quo en las relaciones entre el Estado y la Iglesia, mientras los conservadores apoyaban la posición de esta última, y, por lo tanto, fueron favorecidos por ella en la lucha entre los partidos políticos. Es cierto que en el pasado los conservadores, en casos aislados, habían recurrido también a los bienes de la Iglesia, puesto que éstos eran los únicos fondos de consideración que fuera del sector privado existían en el país. En este sentido, la intervención en las propiedades de la Iglesia no era un rasgo exclusivo de los liberales. Sin embargo, la Ley Lerdo creaba una situación nueva, en la que los bienes raíces de la Iglesia con excepción de los edificios destinados directamente al culto fueron por completo disueltos, quedando prohibidos para el futuro por una ley con validez para todo el territorio nacional (Bazant 1971, 14-31). ¿Cuáles eran, pues, los motivos decisivos de la desamortización? ¿Predominaron los motivos de carácter económico, basados en las doctrinas de la libertad económica y los valores de la propiedad individual? ¿O, por el contrario, prevalecieron los motivos de carácter político, ya que los liberales intentaban aprovecharse de una situación favorable, como era la falta de una oposición conservadora en el parlamento, para debilitar, por medio de la desamortización, la base material de una institución que apoyó al adversario político? El hecho de que la desamortización, es decir, la venta forzosa de los bienes de las manos muertas, concernía no solamente a la Iglesia, sino también a las corporaciones civiles - comunidades y ciudades - indica que eran los motivos económicos los de primera importancia. La argumentación justificando la desamortización de corporaciones civiles era la misma que en el caso de la Iglesia: se invocaron los principios de la libertad económica, arguyendo que las propiedades estancadas impedieron el desarrollo del país, mencionando asimismo las ventajas fiscales del nuevo sistema. Puesto que las corporaciones civiles no eran adversarios de los liberales, no existieron en este caso los motivos políticos, apareciendo los motivos económicos como factores determinantes de esta legislación. La Ley Lerdo tenía como punto de partida el convencimiento de que la falta de libre circulación de gran parte de la propiedad de raíz era responsable del atraso del país, y que la libre permuta de los bienes raíces fomentaría el desarrollo y el progreso económico (Zarco 1957, 428). No obstante, tal concepto doctrinario no llegó a introducir las propiedades de las corporaciones en el

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círculo de la oferta y la demanda sin ciertas limitaciones. La ley adjudicó las fincas rústicas y urbanas de las corporaciones a los arrendatarios e inquilinos, que se convirtieron en poseedores de estos bienes, siempre que continuasen pagando a los anteriores dueños el valor correspondiente a la renta, considerado como interés hipotecario. No se fijó plazo para la redención, pudiendo los nuevos propietarios realizarla cuando quisieran4. Sólo en los casos en que los beneficiarios no hicieran uso de estos derechos, los bienes se adjudicarían en almoneda al mejor postor. El traspaso del sistema de arrendamiento al sistema de propiedad individual llevaría necesariamente según la creencia liberal al progreso económico, porque la propiedad particular impulsaría fuertemente el aumento y la mejora de la producción, sobre todo en el sector agrario. Sin embargo, las consideraciones de los liberales no se limitaron al aspecto económico, pues también tenían un componente social. Se esperaba, como consecuencia de la desamortización, una dispersión más amplia de propiedades, y con eso la formación de una capa social de pequeños propietarios, sustituyendo a los arrendatarios e inquilinos del pasado3, propietarios con mejores condiciones de vida que las ofrecidas por su anterior situación (Bazant 1971, 240). Hay que subrayar que los debates correspondientes se concentraron casi siempre en el sector agrario y campesino, aunque la mayoría de las propiedades de las manos muertas estaba formada por los bienes raíces urbanos, como resultó más tarde por lo menos en lo referente a los bienes eclesiásticos. Este hecho refleja la estructura de un país agrario, donde las condiciones rurales atraían la atención general, mientras que las ciudades no eran todavía objeto de un interés primordial. La ley comprendía, bajo el nombre de corporaciones, cualquier establecimiento de duración perpetua, y, con eso, las posesiones comunales, sobre todo los bienes de las comunidades indígenas6. Evidentemente, ni los artículos de la Ley Lerdo ni su incorporación en la Constitución provocaron mayores discusiones entre los dos agrupamientos de los liberales, los "moderados" y los "puros", ya que se trataba de una convicción básica, en que la privatización de la propiedad de las manos muertas suponía necesariamente el progreso económico y social. La Constitución del año 18S7 aún desistió de las disposiciones protectoras de la Ley Lerdo, bajo las cuales los ejidos de los pueblos eran exentos de la venta obligatoria. El motivo de los diputados para suprimir esta protección era la convicción de que los terrenos comunales habían sido desatendidos por los campesinos, porque tenían que entregar los frutos de su trabajo a la comunidad, que para ellos no significaba más que un "ser abstracto" (edición del 13-VIII-1853, Zea 1957, 503), como había formulado el periódico liberal

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La ley fijaba el precio de compra correspondiente a la anterior renta anual, calculada en un 6 % del valor total. ^Discurso del diputado Vallarta en la Constituyente, 28-VI-1856 (Zarco 1957, 435). 6 Ley Lerdo, Artículo 8; Constitución, Artículo 27.

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Siglo XIX ya en el año 1853. Por otra parte, los mismos indios trabajarían las tierras intensamente, si éstas fueran de su propiedad particular, puesto que, en este caso, ellos y sus familias se beneficiarían personalmente de su trabajo. Tal argumentación emanó visiblemente del criterio según el cual las propiedades colectivas rendirían resultados insuficientes por falta de estímulos, que sólo la propiedad particular y la libre competencia podrán suministrar. Así, pues, la política liberal de desarrollo preveía dos etapas: primera, la movilización de los bienes raíces pertenecientes a las manos muertas; segunda, la formación de una capa social más amplia de nuevos propietarios. Hay que preguntarse si la Reforma logró poner en práctica su programa. Por lo general, las investigaciones afirman que se logró la desamortización de los bienes raíces de la Iglesia. Las estadísticas indican que la Ley Lerdo y los artículos correspondientes de la Constitución se llevaron adelante con bastante regidez, ya en el breve período de paz que le restaba al gobierno liberal (1856-57) (Bazant 1971, 292-313; Bazant 1966/67, 193-212). El revés sufrido por las reacciones conservadoras subsiguientes fue más que equilibrado por la victoria de los liberales en la guerra civil: mientras los conservadores, llegados al gobierno por el golpe militar de 1858, ordenaron la restitución de los bienes eclesásticos enajenados, los liberales procedieron ya en 1859 a la nacionalización de todos los bienes eclesiásticos, sin conceder pagos de indemnización. Al mismo tiempo, el gobierno de Juárez aceleró la transmisión de estos bienes, ofreciendo condiciones altamente favorables a los compradores con el fin de conseguir dinero para financiar la guerra (Ley del 13-VII-1859, Dublán/Lozano 1877, t. 8, 683-688). Menos unánimes son las investigaciones relativas al libramiento de los bienes raíces comunales. Reyes Heroles, historiador del liberalismo mexicano, estima que las consecuencias de la desamortización en este sector eran de poca importancia, porque los fundamentos jurídicos para tales medidas no eran suficientemente claros. Por el contrario, investigaciones regionales más recientes llegan a la conclusión de que, por efecto de la desamortización, la propiedad comunal sufrió grandes cambios7. Hablan en favor de este argumento los muchos movimientos de protesta por parte de los campesinos, que resultarían inexplicables, si la desamortización no hubiese afectado a los terrenos comunales. Parece más convincente la interpretación que asigna mayor alcance a las medidas de la Reforma. Los liberales, pues, alcanzaron el fin de movilizar los bienes raíces de las manos muertas, pero no ocurrió lo mismo con el propósito de formar una capa amplia de pequeños o medianos propietarios. Fue más bien la clase de los

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Reyes Heroles 1961, t. 3, 633; Powell 1974, 82, 95, 153 y Berry 1969-70, 289 y 297 llegan a la conclusión de que los ejidos fueron vendidos, aunque en el distrito de Oaxaca esta clase de propiedad comunal fuese de poca importancia, y que la permuta fue aceptada sin propuestas por parte de la población indígena.

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hacendados la que se vio aumentada y fortalecida como consecuencia de la Reforma8. Los terrenos rurales de la Iglesia no consistían, por lo general, en parcelas sino en haciendas que, una vez enajenadas, fueron vendidas a los anteriores arrendatarios o a otros particulares, también en forma de latifundio. Otros terrenos, sobre todo los de las corporaciones civiles, servían para redondear y agrandar propiedades ya existentes, o para fundar nuevas haciendas. Los compradores de las tierras más valiosas y amplias eran - en este orden comerciantes, oficiales y hacendados (Bazant 1971, 134), figurando entre los nuevos terratenientes, también, prominentes políticos liberales (Fowell 1974, 74 s. y Apéndice, cuadro III). Es cierto que no sólo el número de los hacendados sino también el de los pequeños propietarios creció por la Reforma, puesto que muchos de los usufructarios de las parcelas repartidas por las comunidades se convirtieron en propietarios de estas tierras (Bazant 1971, 134). Sin embargo, la Reforma tuvo, en este campo, resultados muy distintos de los previstos por los liberales, quienes suponían que el cambio de propiedad combatiría la pobreza y fomentaría el espíritu de trabajo entre los campesinos. Cuatro clases de propiedades de tierra fueron asignadas a los pueblos en la época colonial: primera, el fundo legal que, partiendo de la plaza, se extendía 500 metros en todas las direcciones. Segunda, los ejidos, es decir, los terrenos utilizados en común por los habitantes; tercera, las propias, que fueron arrendadas, suministrando así dinero a la comunidad; cuarta, las tierras de común repartimiento, dadas en usufructo a las familias. Además, los pueblos tenían terrenos destinados a proveer la población con agua y madera (Fowell 1974, 43s.). Estas estructuras fueron destruidas o sensiblemente afectadas por la legislación de la Reforma. Con la venta forzosa de las propias, las comunidades perdieron sus recursos. Los ejidos, a los que la Ley no seguía protegiendo, fueron, por lo menos en parte, víctimas de la desamortización. Frente a esa situación, no era de mucha importancia el traslado de las tierras de común repartimiento a la propiedad individual, puesto que las parcelas no eran, en muchos casos, viables sin los ejidos. Por lo tanto, los habitantes más pobres de la comunidad se vieron obligados a buscar trabajo en las haciendas, bajando así al estado de peones. Además, no sólo se presentaron forasteros como compradores de las tierras enajenadas, sino habitantes acomodados de los mismos pueblos, aumentándose con esto la polarización dentro de la población rural. Para la mayoría del campesinado, pues, la Reforma no traía consigo un desarrollo económico y social, sino más bien un deterioro en sus condiciones de vida.

'Eso lo muestran en el cuadro nacional las estadísticas publicadas por el ministro de Hacienda, 10-11-1857, reproducidas por Bazant 1971, 197-209.

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¿Hasta qué punto preveían los mismos liberales que la formación de un amplio sector agrario, compuesto por propiedades pequeñas y medianas, sería impracticable por vía de la desamortización? Despierta dudas en la credibilidad de este propósito el hecho de que ni la Ley Lerdo ni la Constitución limitaron la «(tensión de los terrenos individuales puestos en venta. Solamente unos diputados aislados de los "puros", exigían que se vendiesen las tierras enajenadas como parcelas de limitada extensión9. Surge, pues, el problema de si el fin propuesto por los liberales no sería un disimulo de otros objetivos, es decir, de intereses propios y del deseo de aprovecharse de las ventas forzosas. Sin embargo, como sólo unos pocos - aunque prominentes - legisladores eran compradores de latifundios, no se puede suponer que éste fuera el verdadero motivo de la legislación. Se trataba más bien de la creencia, generalmente aceptada, de que la libre circulación de todos los bienes y la libre competencia serían el mejor camino hacia el progreso económico y social, y con esto, hacia el bien común. Los diputados del Congreso estaban dispuestos a hacer menores concesiones, como lo era el derecho de preferencia, que protegía a los anteriores usufructuarios y arrendatarios; pero no permitieron mayores digresiones de los principios del liberalismo económico, tal como la estricta limitación de las compras de tierras supondría10, y en verdad, tales restricciones no podían ser admitidas si se consideraban válidos los dogmas del liberalismo contemporáneo.

2. Colonización interior e inmigración europea La concepción de desarrollo de los liberales otoigaba a la colonización interior un papel destacado, al ser considerada unánimemente como el medio capaz de conseguir un crecimiento económico. De ella se esperaba no sólo un aumento de la producción sino también unos positivos efectos secundarios para el consumo, puesto que con la colonización se lograría un aumento de la población y, por tanto, del número de consumidores del mercado interior". Como posibles protagonistas de la explotación de nuevos territorios, no se pensaba tanto en los campesinos mexicanos, como en inmigrantes extranjeros12, a los que se atribuía al parecer más capacidad para llevar a cabo la colonización interior que a los nativos mismos. De esta forma, la colonización no podría colaborar en la

'Tres eran los diputados (Castillo Velasco, Arriaga y Olivera) que exigían estas restricciones. Texto de sus discursos en: Zarco 1987, 362-365, 387-404, 690-697. l0 Cuando más tarde se vendieron parte de las tierras baldías (terrenos pertenecientes al Estado), la ley del 20-X-1863 sólo fijaba un límite de 2.500 hectáreas (Dublán/Lozano 1877, t. 9, 637-640). "José María Lafragua: Memoria de la primera Secretaria de Estado [...] leída en el Soberano Congreso Constituyente en los días 14, 15 y 16 de diciembre de 1846, México, 1847 (Reyes 1961, 494). l2 Discurso del diputado Mata, 29-VI1-1856 (Zarco 1957, 563 y 648-649). Manifiesto del gobierno Juárez, 7-VII-1859 (Ocampo 1901, 136-137).

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formación de propiedad en el seno del campesinado, es decir, a afrontar la pobreza del mismo. ¿Cómo se explica esta evidente contradicción en los planteamientos liberales, según los cuales la escasez de propiedad privada y libremente accesible sería la causa de la miserable situación de la población campesina? Por qué ni se planificaba tan siquiera el empleo de los recursos que yacían en los territorios del Estado para mejorar las condiciones de vida de un grupo social cuya situación se lamentaba con frecuencia y para la cual se solicitaba todo tipo de mejoras? A este respecto tuvieron claramente sus efectos los prejuicios de los liberales sobre la población indianomestiza, considerada pasiva, poco inteligente y, en general, poco "progresista" en comparación con el inmigrante procedente de Europa13. El ejemplo de los EE.UU., colonizados por inmigración europea y que se habían presentado poco antes como un país militar y económicamente muy superior a México, también contribuyó a que dicha inmigración se recomendara como la forma más apropiada para el desarrollo de las fuerzas nacionales (Zarco 1957, 563 y 649). De ahí, la opción unánime por este grupo como protagonista de la futura colonización. Si reinaba conformidad en apoyar la inmigración europea como parte integrante de una política de desarrollo liberal, al mismo tiempo el ala radical de los liberales sacaba a colación aigumentos anticlericales. En la amplia discusión que tuvo lugar en la Asamblea Constituyente de 1857 acerca de la libertad de culto y de su garantía en la nueva Constitución, los "puros" solían insistir en que la concesión de la tolerancia religiosa era la condición imprescindible para posibilitar la inmigración extranjera. Sin ella, la inmigración de los países protestantes sería imposible. A título de ejemplo, se mencionó sobre todo una posible colonización alemana (Zarco 1957, 648 y 677, proyectos de Sartorius) y se volvió a insistir en el modelo de los EE.UU., donde no hubo prohibiciones confesionales que impidieran la inmigración europea en gran escala. Por otra parte, los liberales moderados veían que la razón de la falta de una inmigración europea para la colonización interior no radicaba hasta entonces en el grado de tolerancia religiosa sino en las desfavorables condiciones materiales. Según su opinión, la infraestructura defectuosa, el bandolerismo en el campo y la inestabilidad política eran responsables de que México fuera poco atractivo como país de inmigración14. De hecho, habrá que considerar estos motivos y los caracteres geográficos como los mayores obstáculos para la planificada colonización extranjera y como la causa de su fracaso. Si, frente a ello, los "puros" intentaron presentar la tolerancia religiosa como la condición previa de una política de desarrollo con éxito, es fácil reconocer en este aspecto una diferencia

''Artículos del diputado Iglesias en Sigb XIX, 30-XI-1856 y 14-XII-1856 (Reyes 1961, 615; Zea 1957, 502). l4 Discurso del ministro Lafragua en la Asamblea Constituyente, 1-VIII-1856 (Zarco 1957, 631-632). Intervención del diputado Excuerdo, 2-VIII-1856 (Zarco 1957, 656).

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en la estrategia de radicales y moderados. La práctica de la libertad de cultos, norma del liberalismo tanto en el Nuevo como en el Viejo Mundo, era una aspiración de ambos grupos. No obstante, los radicales trataron de conseguirla rápidamente y, de ser posible, sin concesiones. Al contrarío, los moderados que representaban la mayoría en la Asamblea Constituyente, eran partidarios de una política de pequeños pasos, es decir, de una reforma cuidadosa que eludiera conflictos. Querían evitar la confrontación abierta con la Iglesia y se satisfacían con los artículos de la Constitución que garantizaban únicamente el derecho de expresión y libre opinión dentro del Estado Mexicano15. No antes de que estallara con todo rigor el conflicto entre la Iglesia y el Estado y en tiempos de la Guerra Civil, el gobierno Juárez, cuyos miembros eran partidarios de la orientación radical dentro del liberalismo mexicano, promulgó la libertad de credo en el sentido de libre ejercicio de las prácticas religiosas16. La esperada gran afluencia de colonizadores europeos no llegó y, con ello, se confirmaba la tesis de aquellos que no consideraban la cuestión religiosa como la causa decisiva del desinterés de los emigrantes europeos por México.

3. La población india en la política de desarrollo del liberalismo A pesar de las distintas actitudes particulares, se puede observar una posición fundamental en los liberales de cara a la población autóctona: debía tener los mismos derechos y deberes que los otros ciudadanos mexicanos. Sin embatgo, por otra parte, no debía recibir ningún tipo de protección que le otoigara un status especial. Los liberales de la Reforma se dieron perfecta cuenta de la mala situación social y económica de la población indígena; asimismo sabían que la cuestión de la propiedad territorial era el problema más grave para este grupo social y que las reformas tenían que empezar por allí. Pero los proyectos de reforma y su realización se situaban en el marco de la idea según la cual la privatización de los bienes de manos muertas, en vista del mayor estímulo que debiera dar a la administración por cuenta propia, facilitaría de por sí una mejora de la situación socio-económica. Cierto que un diputado de la Asamblea Constituyente argumentaba que el derecho a la vida y al trabajo era un derecho de propiedad, que podría competir con el de la propiedad privada territorial y justificaría el reparto de latifundios17, pero sus propuestas no encontraron suficiente resonancia en la mayoría de los liberales. Por el contrarío, se contentaron con la prescripción de la Ley Lerdo que concedía a los arrendatarios el privilegio de compra y así también protegía a los arrendatarios menores, que mayoritariamente venían de la población indígena o mestiza. Pero no se les concedían ventajas especiales para la nueva adquisición de tierras. Aquí radicaba

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Artículos 6 y 7 de la Constitución de 1857. Ley sobre Libertad de Cultos, 4-XI1-1860 (Tena Ramírez 1967, t. 3, 660-664). ,7 Voto particular del diputado Arriaga en la Asamblea Constituyente, 23-VI-1856 (Zarco 1957, 384-404). l6

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el problema general de la política indígena del liberalismo de la Reforma: se aspiraba a un orden social y económico dentro del cual no la pertenencia a una capa étnica o social sino las facultades del individuo determinarán su posición en la sociedad; pero con ello, al someter al indio a la libre competencia y teniendo en cuenta la debilidad de sus instituciones tradicionales, se le daba de antemano el papel del más débil. Algunos liberales indicaron que, bajo estas circunstancias, sólo en casos excepcionales se podrían esperar mejoras del desarrollo del nivel de vida de la población indígena 18 . Si esta política de los liberales tenía por lo menos una lógica interna, dado que partía de postulados de igualdad opuestos a privilegios para determinados grupos sociales, se percibe, a pesar de ello, a través de un examen más profundo, que estos principios de igualdad estaban limitados por el menosprecio a las facultades de la población autóctona y su importancia para la sociedad. Miembros de la Asamblea Constituyente llegaron a decir que los indios eran el elemento paralizador del desarrollo de la población mexicana. Un diputado señaló que "la falta de necesidades y de goces de los indígenas" 19 sería la verdadera causa de la miseria en el campo. En otro lugar, el mismo diputado se refirió a la "degeneración de los indígenas" y que, según su opinión, constituía el mayor impedimento para el engrandecimiento de México 20 . Otros liberales de las filas de los "puros" negaron, sin embargo, que existieran tales diferencias de mentalidades y calidades entre las razas existentes en México y opinaban, muy al contrarío, que los indios tenían las mismas facultades que el resto de la población 2 '. No obstante, durante la discusión en torno a la colonización interior, se repetía con frecuencia entre los radicales la idea de que la nueva explotación de territorios no debía ser llevada a cabo por la propia población campesina, es decir, por los indígenas, sino por extranjeros, en lo que se observa, al menos indirectamente, una sobreestimación de la población blanca.

4. La libertad de trabajo Aquí como en Europa la libertad de trabajo era una de las exigencias centrales del liberalismo, que en el caso mexicano se consolidó en forma constitucional, relativamente muy temprano, en 185722. En la Constituyente la discusión partía de la consideración que el trabajo es un derecho del hombre y, en consecuencia, debería disfrutarlo al igual que el derecho a la propiedad. A pesar de ello, surgieron controversias sobre la ponderación de estos derechos entre los moderados y un pequeño grupo de radicales que, bajo la influencia de socialistas

'"Discurso del diputado Vallaría, 8-VIII-1856 (Zarco 1957, 707). "Artículo del diputado Iglesias en Siglo XIX, 30-XI-1856 (Reyes 1961, t. 3, 615). 20 Artículo del 14-XI1-1856 (Reyes 1961, t. 3, 615). 21 E1 diputado Castillo Velasco en la Asamblea Constituyente, 16-VI-1856 (Zarco 1957, 364). Para la opinión del diputado Zarco, véase Silva Herzog 1967, 215. 22 Artículos 4 y 5 de la Constitutción de 1857.

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franceses, eran partidarios de conceder una mayor importancia al trabajo humano frente a la propiedad material23. Según las ideas de desarrollo de los moderados, la supresión de los lazos que obstaculizaban la libertad de trabajo y, sobre todo, el libre cambio del puesto laboral, causaría necesariamente una mejora en el nivel de vida de los trabajadores dado que, en este caso, podrían elegir libremente las condiciones mejores. Estas ideas tan generales fueron por lo menos expresadas en una forma más concreta y vinculadas a la exigencia de desamortización de la propiedad del suelo por un diputado de la Constituyente. Solamente allí, dónde el suelo no estuviera monopolizado y fijado a un determinado tiempo, podría haber trabajo libre, ya que, en caso contrario, no habría competencia y los trabajadores no tendrían la posibilidad de cambiar de empleo. En este contexto, la desamortización se consideraba la condición previa para dar impulso a un proceso social de gran envergadura: mediante la desamortización de los bienes de manos muertas, muchos colonos ascenderían a la categoría de propietarios de tierras y muchos, hasta entonces peones, se convertirían en colonos. Como consecuencia del aumento del número de propietarios, que ahora estarían necesitados por su parte de peones, se formaría una demanda mayor de la mano de obra que haría subir los salarios. Puesto que esta tendencia al alza de los salarios atraería a su vez nueva mano de obra, se constituiría un equilibrio entre la oferta y la demanda que tendría un efecto estabilizador sobre la economía. No obstante, el diputado no aconsejaba fijar salarios, ya que sería de esperar que el juego libre de las fuerzas económicas lograría "la armonía en el conjunto para bien de todos y cada uno de las asociados"54. Otro punto de vista tenían aquellos radicales que hacían unas propuestas más amplias. Consideraban que el derecho al trabajo se extendía a todos los individuos y que, en función de esto, quienes no encontraran trabajo tendrían derecho a un reparto de tierras que garantizara su subsistencia25. Una solución al conflicto entre el trabajo humano como propiedad inalienable y el sistema de propiedad material, quiso ver uno de los radicales en una nueva distribución de la tierra, que debería llevarse a cabo mediante un mayor gravamen de la existente propiedad territorial y la prohibición de formar nuevos latifundios26. En este caso, la propiedad material desempeñaría sobre todo una función social. A pesar de ello, esta idea, que implicaba una amenaza a la propiedad privada, era para el grueso de los liberales la actitud de un secesionista. La Constitución no dejaba claro, sobre todo, la cuestión del peonaje, a pesar de que éste era el sistema que, más que nada, obstaculizaba la libertad del trabajo en México.

23 Discusiones en torno al artículo 17 del Proyecto de Constitución, 8-VIII-1856 - 11-VIII1856 (Zarco 1957, 705-713). "Díaz Barriga, citado por Reyes 1961, t. 3, 610. "Castillo Velasco, 16-VI-1856 (Zarco 1957, 365). 26 Arriaga: 23-VI-1856 (Zarco 1957, 387-404).

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Cierto que la Constitución anulaba todos los contratos que limitaban la movilidad del individuo, pero ignoraba que el peonaje no derivaba de esos contratos formales. Si precisamente este sistema, que en el México contemporáneo era de mayor importancia que las relaciones de servidumbre jurídicamente sancionadas, no fue suprimido expresamente por la Reforma, entonces se deduce lo que fue un resultado: la Reforma no consiguió mejorar la situación de los campesinos respecto a sus relaciones de dependencia.

5. Política aduanera e ideas sobre el desarrollo La política aduanera puso a los liberales ante decisiones difíciles. Según el credo de la política económica liberal desarrollada en la Europa occidental, el comercio libre representaba un medio de estímulo para el intercambio de mercancías y su abaratamiento, lo que era de especial interés para los consumidores, por facilitar un mayor consumo y contribuir con ello a la mejora del nivel de vida. Por otra parte, existían en México las realidades de un país "subdesarrollado" que lo obligaban a plantearse la pregunta dónde y en qué campos podría competir en el sistema de comercio mundial y si la introducción del libre comercio no significaría una renuncia al desarrollo social y económico en el futuro. Este dilema queda reflejado en la discusión de los liberales sobre cuestiones de política aduanera, en la que las distintas posiciones no coincidían, al igual que en el campo de la política agraria, con la línea divisoria entre liberales radicales y moderados. Los liberales todos rechazaban los impuestos aduaneros prohibitivos, tal como los pedían sobre todo las empresas textiles del país, oponiéndose con ello a los conservadores que habían introducido dichos impuestos y tarifas aduaneras altamente proteccionistas por beneficiar las empresas manufactureras y las exigencias de industrialización para el futuro. A diferencia de ellos, los liberales de la Reforma creían que la competencia era necesaria para impedir la formación de monopolios y con ello una depresión de la vida económica. Por ello se incluyó en la Constitución la disposición que prohibía los monopolios y las medidas prohibitivas proteccionistas27. No obstante, la discusión en la Constituyente mostró que la doctrina del libre comercio, tal como la postulaba el liberalismo de Manchester, tenía pocos partidarios28. La mayoría de los liberales de todas las tendencias políticas, tanto moderados como radicales, estaban a favor de un proteccionismo moderado (Reyes 1961, t. 3, 510-529). Uno de los "puros" prominentes, Vallarte, expuso en la Asamblea Constituyente, de la manera más clara, las causas de esta divergencia respecto a la ortodoxia del liberalismo económico:

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Artículo 28 de la Constitución de 1857. Discusiones del 8-VI1I y 14-VIII-1856 (Zarco 1957, 706-709). Una excepción fue el diputado Ramírez quien opinó a favor del comercio absolutamente libre (Silva Herzog 1967, 234). 28

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La libertad del comercio [...] la considero como la realización completa de la civilización humanitaria del género humano, como la aplicación más absoluta de la máxima económica de la necesidad de la división del trabajo; como una esperanza del gran día en que la humanidad será una sola familia compuesta de muchas naciones hermanas. Pero esa libertad del comercio exterior, por cuya realización suspiro y que alguna vez he defendido como filósofo, no la puedo aprobar como legislador mexicano ( Vallaría, 8-VIII-1856, Zarco 1957, 709). El orador continuó diciendo que el libre comercio no significaba tan sólo impedir la prohibición de importaciones, sino que también obligaría a la supresión de todas las barreras aduaneras y, consecuentemente, se destruirían las industrias nacientes, todavía no preparadas para competir con las extranjeras, y, además, arruinaría las finanzas del Estado. Tampoco se podría detener el colapso político, económico y mercantil consiguiente y, por todo ello, el comercio libre no parecía, por el momento, viable en México ( Vallaría, 8-VIII-1856, Zarco 1957, 709). Los liberales aceptaron por tanto un proteccionismo moderado como alternativa al libre comercio. Esta decisión la fundamentaron en el distinto estadio de desarrollo mexicano dentro de un contexto mundial, y a la vista de las circunstancias que condicionaban la inferioridad de México frente a la competencia extranjera, se vieron obligados a abandonar el modelo que teóricamente había sido considerado óptimo. En la importante cuestión de la política aduanera, los liberales de la Reforma diferenciaron bien entre lo deseable y lo posible y optaron por esto último, si bien consideraban el proteccionismo sólo como un período de transición o una etapa intermedia que conducía al libre comercio. La política práctica correspondió a esta planificación en la medida que, en la era de la Reforma, se realizó una lenta disminución de las medidas prohibitivas, manteniendo al mismo tiempo unas moderadas tarifas proteccionistas (Reyes 1961, t. 3, 526). No obstante la meta final, la introducción de un pleno comercio libre, se reveló como utópica.

6. Industrialización y capitales La industrialización no desempeñó dentro de las concepciones de desarrollo de la Reforma un papel tan importante como el sector agrario. A pesar de ello se mencionaba repetidas veces el deseo de industrializar a México e incluso fundamentaban en ocasiones la superioridad del vecino del norte en sus progresos en el campo industrial. Sin embargo, los liberales no concibieron planes concretos para la industrialización y, ni qué decir tiene, medidas prácticas para este fin, a no ser que se considere como tal el mantenimiento de moderadas tarifas proteccionistas. En el fomento de las industrias nacionales y en el intento

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de montar nuevos sectores industríales, los liberales se quedaron muy por detrás de los conservadores, que durante el gobierno de Lucas Alamán pusieron más atención a este problema29 y en el año 1830 fundaron el Banco de Avío, financiado por los aranceles de importación del algodón, para dar crédito a ciertos sectores de la industria, especialmente el textil (Reyes 1961, t. 3, 425-439). El Banco no pudo corresponder, sin embaigo, a las esperanzas que en él se pusieron, por un lado, porque el Estado sustrajo fondos para fines militares y, por otro, porque los acreedores no emplearon los créditos en los fines declarados, asf que en 1842 los conservadores mismos disolvieron el Banco. Desde un principio los liberales habían rechazado esta institución con el argumento de que era una forma indirecta de proteccionismo estatal, que obstaculizaba la libre competencia y sus impulsos sobre la economía (Reyes 1961, t. 3, 458; Hale 1968, 259). Asimismo, los liberales, sobre todo el ala radical, denunciaron que el Banco violaba el principio de igualdad al favorecer a las empresas ya firmemente establecidas, con lo que la gran mayoría quedaba perjudicada respecto a esta minoría (Reyes 1961, t. 3, 484). Cuando asumieron el poder en la era de la Reforma, los liberales apenas se ocuparon del problema de facilitar efectivamente el capital necesario para la industria, si se prescinde de las menciones ocasionales a la conveniencia de atraer capitales extranjeros30. Si, teniendo en cuenta que ya en el estado de la planificación se dio escasa consideración al fomento de las industrias y al suministro de capitales, se plantea la cuestión de si la Reforma dio o no un paso marcado hacia el capitalismo, o incluso hacia el capitalismo industrial, la respuesta sería negativa. Precisamente en este campo se confiaba en la capacidad de autorregulación de las relaciones económicas en el momento en que se liberara la economía de restricciones y limitaciones.

7. Resultado y problemas El muy marcado dogmatismo de los liberales de la Reforma y la relativamente escasa consideración al pragmatismo se explican - por lo menos en parte - por la composición social del poder legislativo y ejecutivo. Los juristas representaban en la Asamblea Constituyente de 1856/57, claramente, el porcentaje más alto de los miembros, seguidos por un grupo de militares, mientras el comercio y las industrias apenas estaban representados (Chevalier 1964, 464; Sinkin 1979, 36-54). Una imagen parecida dan los gobiernos de los años 18551858. En consecuencia, las experiencias prácticas en el campo económico eran tenidas en cuenta de una manera limitada. Sin embaigo, esto no explica por qué

^Ministro de Asuntos Exteriores, respectivamente Ministro del Interior en los gobiernos conservadores 1830-1832. 30 Así el gobierno de Juárez se quejó de que las conditiones poco seguras de México impedían la afluencia del capital extranjero, proclamación del 7-VII-1858 (Ocampo 1901, t. 2, 123).

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las mismas personalidades, diputados y miembros del gobierno, se ocuparon intensivamente del sector agrario y apenas del sector industrial. Al parecer, tuvieron una gran influencia las circunstancias económicas y sociales de un país agrario en estado pre-industrial, que trataba de iniciar reformas y transformaciones sobre todo en este sector. Por su posición profesional, los políticos liberales pertenecían a la "clase media" de la sociedad. En función de esto se podría afirmar que, en esta época de la historia mexicana, elementos burgueses lograron participar en el poder político, y que con ello se efectuaba un cambio frente al pasado, en que el latifundio era la base material de la clase dirigente en la política. No obstante, en México no se trataba — como sugiere la concepción europea - de una burguesía que logró asumir el poder, cuando ya dominaba económicamente. Durante el tiempo de la Reforma, la clase de los terratenientes disponía todavía del dominio económico y, a pesar de tener estrechos vínculos con la gente de negocios en algunas regiones de México, en general, tenía un tinte más aristocrático que los abogados, militares, mercaderes e industriales de la Constituyente y de los gobiernos liberales. Sin embargo, tanto entre los diputados de la Constituyente como entre los miembros de los gobiernos de la Reforma, se puede ver cómo muy pronto, por medio de la compra de tierras, intentaban entrar en el grupo de los hacendados y con ellos integrarse en la antigua y fuertemente aristocratizada clase alta — en otras palabras, evidentemente, reconocían todavía valores sociales tradicionales. La relación común que se hace entre el ocaso del liberalismo y una reorientación de los valores sociales hacia un mayor interés por el logro privado de ganancias en el comercio y la industria, no se puede aplicar sino de un modo limitado a la Reforma. ¿Desarrollo "hacia fuera" o "hacia dentro"? Esta pregunta de hoy día no se planteó el liberalismo. A pesar de ello, se puede responder implícitamente. Con la privatización de la tierra se pretendía aumentar la producción, pero no para intentar aumentar los exportaciones y participar con más intensidad en el mercado mundial. La política proteccionista de los liberales iba también en esa dirección. Tampoco se mostraba mucho interés en atraer capitales extranjeros hacia México, de tal forma que en esta época del liberalismo parecía aún muy débil la posibilidad de que el desarrollo se impulsara desde fuera. Sin duda, se esperaba cierto progreso económico, sobre todo en el sector agrario, de los colonizadores extranjeros, es decir de afuera, pero las esperanzas que se tenían de la inmigración europea se orientaban primordialmente en un fortalecimiento del mercado interno. En general, el desarrollo "hacia dentro" estaba en un primer plano. Esto es válido, sobre todo, si se tienen en cuenta las medidas que los liberales consideraban condicionantes del progreso socio-económico: la eliminación de las reliquias de la sociedad estamental a través de la nivelación de los privilegios de algunos grupos e instituciones, especialmente los de la Iglesia y de las Fuerzas Armadas. Estas consideraciones conducen al campo político, en el que se incluían las concepciones del desarrollo y al que los liberales daban una clara prioridad, tal

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como se desprende de las discusiones y las negociaciones en la Asamblea Constituyente y de las leyes de la Reforma. La democratización política, a través de la descentralización y de la igualdad de todos los mexicanos en sus deberes y derechos de ciudadanía, se consideraba la condición imprescindible para el desarrollo económico y social, y que así se podrían adoptar leyes por decisión mayoritaria y en el interés de todos, y no ya por una pequeña minoría. En este contexto, los liberales de la Reforma creían también en la fuerza transformadora de la ley y no del dominio de una sola persona - creencia común también de los liberales del Viejo Mundo, que allí como en México reaccionaron frente a formas de dominación del absolutismo. Si bien la cuestión de la viabilidad tenía una importancia secundaria para los liberales mexicanos frente a los dogmas de la autorregulación de relaciones sociales y económicas, existían, por lo menos en un campo tan importante como el de la política aduanera, divergencias de estos dogmas y adecuaciones a la situación concreta de México. Parcialmente, en el liberalismo de la Reforma se encuentran también componentes sociales. Estaban contenidos en las medidas legislativas para la protección de los arrendatarios en el momento de transformar la tierra arrendada en tierra en propiedad, en los intentos de ampliar el sector social de pequeños propietarios y, finalmente, en el mayor peso concedido al factor trabajo frente a los títulos de propiedad material. Tales tendencias a la consideración de las necesidades económicas y sociales, sobre todo de los campesinos, muestran a los liberales - por lo menos a su ala radical - como precursores de la Revolución Mexicana. Pero, por el énfasis dado a la libre competencia, sin tener en cuenta la escasa protección que tenían las partes más débiles de la población, así como por estimar inferior la capacidad de desarrollo de los indígenas mexicanos, la Reforma aparece como un antecedente del Porfiríato.

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Constituyente

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Die mexikanische Hacienda im Spiegel deutschsprachiger Veröffentlichungen des 19. Jahrhunderts* Hacendado kommt von Hacienda (Vermögen), welches in diesem Sinne am besten dem deutschen Begriffe 'Rittergut' entspricht, während Rancho sich etwa durch 'Bauernhof oder 'Richtgut' versinnbildlichen läßt. Eine Hacienda soll nach alten spanischen Bestimmungen 21.000 Morgen Feld haben, allein man nimmt es nicht so genau und nennt jedes größere Gut eine Hacienda, jeden kleinen Hof einen Rancho [...] Mit diesen Worten kennzeichnete der deutsche Naturforscher Baron von Müller in einem 1864 veröffentlichten Reise- und Forschungsbericht unterschiedliche Formen der Landhaltung, die er in Mexiko angetroffen hatte (Müller 1864, 116). Damit definierte der Verfasser die Hacienda durch Begriffe, die der deutschen Agrarverfassung entnommen waren, eine naheliegende Vorgehensweise, da er versuchen mußte, dem deutschen Leser die fremden Verhältnisse verständlich zu machen. Andererseits charakterisierte er die Hacienda durch einen Vergleich der ländlichen Besitzverhältnisse innerhalb Mexikos, indem er sie als Großgrundbesitz abgrenzte vom Rancho als der Form der Landhaltung in kleineren Einheiten. Auch in zahlreichen anderen Reiseberichten und landeskundlichen Veröffentlichungen, die im 19. Jahrhundert als Teil der anwachsenden deutschen Mexikoliteratur erschienen', wurde diese Gegenüberstellung von Hacienda und Rancho vorgenommen (Sartorius 1859, 274). Wenn die Vergleiche weitergeführt und Beobachtungen über den Anteil von Haciendas und Ranchos am privaten Bodenbesitz mitgeteilt wurden, hoben die Verfasser allerdings deutlich das Übergewicht der Haciendas hervor, zumal die Ranchos zum überwiegenden Teil aus Ländereien bestünden, welche die Rancheros von den Haciendas gepachtet hätten. "Kleines Grundeigentum für Landbau oder Viehzucht ist selten und findet sich nur ausnahmsweise in einzelnen Distrikten vorherrschend". Zu diesem Schluß kam Carl Christian Sartorius in seinem >\ferk "Mexiko. Landschaftsbilder und Skizzen aus dem Volksleben ", der wohl eindrucksvollsten und lebendigsten deutschen Schilderung mexikanischer Verhältnisse im 19. Jahrhundert (Sartorius 1859, 273). Sartorius war 1824 während der DemagogenVerfolgungen aus Deutschland geflüchtet und auf eigenem Grund und Boden in

*In: Jahrbuch filr Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas 25 (1988), 789-805. 'Der Arbeit liegen nur solche Veröffentlichungen des 19. Jahrhunderts zugrunde, deren Verfasser Mexiko aus eigener Anschauung kannten.

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Mexiko ansässig geworden; er kannte daher die Situation der Landwirtschaft aus eigener Erfahrung. Solche verallgemeinernden Feststellungen, wie sie sich in den Berichten des 19. Jahrhunderts häufig finden, wurden im Lauf der Darstellung allerdings zumeist differenziert. So griff ein deutscher Beobachter, der während des Porfiriates im Auftrag der mexikanischen Regierung das Land bereist und unterschiedliche Regionen kennengelernt hatte, zwar zunächst auf die Aussage von Sartorius zurück, räumte dann jedoch ein, daß es "in der Nähe der Städte und Dörfer kleine Bauernhöfe genug gibt, welche Eigentum der Besitzer sind" (Lemcke 1900, 106, 113). Insbesondere wurde der Staat Vera Cruz als dasjenige Gebiet hervorgehoben, in welchem der Rancho als Eigenbesitz erhebliche Verbreitung gefunden habe. Der preußische Ministerresident von Richthofen führte diese Entwicklung auf eine "Dismembration" von Haciendas zurück, die mittels gesetzlicher Bestimmungen in mehreren Einzelstaaten versucht worden sei, aber nur in Vera Cruz zu Erfolgen geführt habe (Richthofen 1854, 252). Der Altamerikanist Eduard Seier fand im Grenzgebiet der Staaten San Luis Potosí und Vera Cruz eine "Classe kleinerer Besitzer, die meist in einzelnen Ranchos verstreut leben und auf kleineren Klärungen Zuckerrohr und an den Berghängen Kaffee bauen" (Seier 1889, 151). Sogar vom Norden Mexikos, der als das typische Gebiet der großen Viehzuchthaciendas galt, wurde berichtet, daß "das ganze Land [...] in den Händen kleinerer oder grösserer Ländereibesitzer sich befindet" (Uhde 1861, 70). Karl Wilhelm Koppe, der erste preußische Geschäftsträger in Mexiko, betonte allerdings, daß an die Ausdehnung der Besitzungen andere Maßstäbe angelegt würden als in Deutschland, denn der Rancho sei "ein Gütchen mexikanischer Art, nach deutschem Muster aber oft schon ein höchst bedeutendes Gut" (Koppe 1837, 54). Auch dafür nannten die Berichte Beispiele. So traf ein Reisender an der Küste des Staates Vera Cruz auf einen Rancho, dessen Besitzer "Eigentümer grosser sumpfiger Weideflächen und Hunderter von Rindern" war (Wasche 1894, 289). Ähnliche Beobachtungen wurden auf dem Weg von Tehuantepec nach Oaxaca gemacht (Ratzel 1878, 268f.). Von größeren Ranchos in Nordmexiko hieß es, daß hier Landarbeiter beschäftigt seien, die wie auf den Haciendas in Schuldknechtschaft gegenüber dem Besitzer stünden (Uhde 1861, 69). Carl Christian Sartorius selbst bezeichnete die Rancheros, allerdings ohne zwischen Eigentümern und Pächtern zu unterscheiden, als eine "sehr achtbare Classe welche den gesunden Kern und Mittelstand des Landvolkes bildete" (Sartorius 1850, 50). Alle diese Beobachtungen weisen daraufhin, daß der Rancho eine Form des Landbesitzes war, die sich weder dem Großgrundbesitz noch dem Zwei£besitz zuordnen läßt, die vielmehr eine Mittelstellung einnimmt. Dies verdient festgehalten zu werden, da hier die zeitgenössischen Aussagen der deutschen Autoren im Widerspruch zur traditionellen Haciendaforschung stehen, die lange Zeit von der Vorstellung ausging, daß die Agrarstrukturen im spanischen Amerika seit der Kolonialzeit durch die Polarisierung Latifundium-Minifundium geprägt

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waren, einem dualen System also, in dem der Rancho keinen Platz hatte (Pietschmann 1979, 42f.). Wenn deutsche Autoren in dem Bestreben, eine adäquate Übersetzung für Hacienda zu finden, den aus der ostdeutschen Agrarverfassung übernommenen Begriff "Gut" bzw. "Rittergut" verwandten, dann lag darin allerdings ein Widerspruch: Charakteristisch für den Großgrundbesitzer in den ostelbischen Gebieten des deutschen Reiches war die Eigenwirtschaft. Gerade dies erscheint aber in den Veröffentlichungen der deutschen Mexikoreisenden keineswegs als Kennzeichnen der Haciendas. Vielmehr hoben sie hervor, daß die Haciendas häufig zu groß seien, um sie in Eigenwirtschaft zu nutzen, und daher Teile der zu den Haciendas gehörenden Ländereien verpachtet würden (Richthofen 1854, 251 ff.; Ratzel 1878, 41f.; Lemcke 1900, 106). Gelegentlich teilten die Autoren auch Beobachtungen über die Beschaffenheit der verpachteten Ländereien mit. So sprach der deutsche Agrarexperte Karl Kaerger davon, daß zwar "in der Regel" der Besitzer in Person oder durch einen Verwalter die Hacienda selbst bewirtschafte, daß aber auf den ausgedehnten Haciendas der Tierra Caliente und der Tierra Templada vielfach nur die Viehzucht in Eigenwirtschaft betrieben, dagegen das anbaufähige Land, d.h. der intensiv zu bewirtschaftende und daher Arbeitskräfte erfordernde Boden, an eine große Anzahl von Pächtern veigeben werde (Kaerger 1901, 635). Sartorius beschrieb anschaulich die Wirtschaftsweise eines Kleinpächters, der im Urwald nach Brandrodung Mais und Bananenstauden pflanzte, und stellte verallgemeinernd fest, daß die Böden, die diesen Rancheros im tropischen Mexiko zur Verfügung stünden, dort lägen, wo kein Pflug benutzt werden könnte (Sartorius 1859, 292, 306ff.). In einem anderen Bericht wurden gepachtete Ranchos als "Vorwerke" bezeichnet und ausdrücklich auf Pachtland an den Grenzen der Haciendas, also auf periphere Lage, hingewiesen (Lemcke 1900, 112ff.). Solche Einzelaussagen vermitteln kaleidoskopartig den Eindruck, daß vorzugsweise unzugängliche oder entfernt liegende Ländereien, Wildnis oder Böden verpachtet wurden, deren Bearbeitung einen relativ hohen Einsatz von Arbeitskräften erforderte. In allen Fällen aber war die Funktion der Verpachtungen für die Hacienda die gleiche: Es handelte sich um In-Wert-Setzung von Grund und Boden, der in Eigenwirtschaft nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten zu nutzen war. Die Beurteilung des Pachtsystems fiel in den deutschen Berichten durchweg negativ aus, auch wenn die Kritik in verschiedener Form und mit unterschiedlicher Schärfe vorgetragen wurde. Sartorius stellte fest, daß der von ihm als Kleinpächter vorgestellte Typ des Ranchero der Tierra Caliente viele Tage des Jahres in Müßigkeit verbringe, da er harter Arbeit abgeneigt sei und überdies die Natur auch ohne Arbeitsanstrengung das zum Leben Notwendige böte (Sartorius 1859, 309f.). Der preußische Ministerresident von Richthofen setzte gerade hier mit einer grundsätzlichen Kritik an. Er zitierte einen im Kongreß

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von Zacatecas eingebrachten Bericht2, in welchem die Ansicht vertreten wurde, daß die Pächter durch die Pachtverhältnisse zum Nichtstun verleitet würden, da jegliche Verbesserungen, die sie auf dem Pachtland vornähmen, den Grundbesitzer veranlaßten, den Pachtvertrag nicht zu verlängern und das Land zu höherem Zins an neue Pächter weiterzugeben. Richthofen schloß sich dieser Analyse an und beklagte, daß "dieses den Aufschwung der Landwirtschaft hindernde Übel noch fortbesteht" (Richthofen 1854, 252f.). Hier befand sich der Autor, dessen Amtszeit in Mexiko kurz vor Beginn der Reformära endete, in Ubereinstimmung mit den mexikanischen Liberalen, die 18S6 in der Ley Lerdo versuchten, die Umwandlung von Pachtland zu fördern, indem sie den Pächtern das Vorkaufsrecht für das zum Zwangsverkauf gestellte Land der "Toten Hand" einräumten. Zwei Jahrzehnte später konnte der Geograph Friedrich Ratzel jedoch noch immer keine Änderung der Verhältnisse feststellen. Er berichtete von der pazifischen Küstenzone, daß die Pächter von Haciendaland auf Mehrproduktion verzichteten, weil bereits das Anpflanzen einiger Kokospalmen oder Bananenstauden den Pachtzins erhöhe und, am Beispiel der Baumwolle berechnet, ohnehin nur ein minimaler Gewinn für die Pächter bliebe. Die Aussichten auf eine Besserung der Lage beurteilte der Autor, wohl auch angesichts der gescheiterten Reformversuche der Liberalen, sehr skeptisch. Vor allem vermißte er bei den Hacendados die Bereitschaft, Grund und Boden zu verkaufen und damit zu einer besseren Verteilung des Grundbesitzes beizutragen. Er maß jedoch auch den "Unbemittelten" Schuld zu, da sie kaum Anstrengungen unternähmen, sich durch Arbeit bessere Lebensbedingungen zu schaffen (Ratzel 1878, 42f.). Um die Jahrhundertwende bestätigte der landwirtschaftliche Sachverständige Heinrich Lemcke ausdrücklich das Fortbestehen des Pachtsystems und kritisierte, daß dieses System Fortschritte in der Landwirtschaft verhindere, da nur bei Eigentümern, nicht bei Pächtern, ein wirkliches Interesse an Verbesserungen bestünde. Im Gegensatz zu seinen Votgängern glaubte er jedoch, daß sich bei den Hacendados zunehmend die Einsicht durchsetze, daß sie mehr Land besäßen, als sie kultivieren oder nutzen könnten, und daß sie daher, anders als vor 25 Jahren, zum Verkauf bereit seien (Lemcke 1900, 104, 189). Die Prognose des Verfassers lautete, daß auf diesem Wege das Land nach und nach als Eigentum in die Hand von kleinen Landwirten und Kolonisationsgesellschaften gelangen werde, "wodurch eine bessere Entwicklung des Ackerbaus in Mexiko gewährleistet ist" (Lemcke 1900, 104). Dieser Optimismus hing nicht zuletzt mit der "gegenwärtigen rapiden volkswirtschaftlichen Entwicklung" zusammen, welche der Verfasser, im Einklang mit anderen deutschen Beobachtern, damals in Mexiko erblickte und als Verdienst des Präsidenten Porfirio Diaz, dem "Bismarck" Mexikos, ansah (Lemcke 1900, Vorwort). Allerdings erwies sich seine Erwartung, daß eine positive

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Ohne Datierung, um 1850.

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Entwicklung der ländlichen Besitzverhältnisse in Richtung auf eine Stärkung des Klein- und Mittelbesitzes durch Reduzierung der Haciendas bevorstünde, als eine krasse Fehleinschätzung sowohl der von der Regierung vertretenen Prinzipien als auch der Praxis: Im Rückblick stellt sich das Porfiriat gerade als diejenige Phase dar, in der die Konzentration des Bodenbesitzes in Mexiko den Höhepunkt erreichte. In diesem Zusammenhang wurde auch die Bedeutung der Haciendas für eine mögliche deutsche Einwanderung erörtert. Angesichts der anschwellenden deutschen Amerikaauswanderung war es eine Frage von hoher Aktualität, ob Mexiko als Aufnahmeland eine Alternative zu den Vereinigten Staaten, dem Hauptziel der deutschen Auswanderung, bieten könne. In einer Beziehung fiel der Vergleich eindeutig zu Gunsten Mexikos aus: Zahlreiche Autoren waren der Ansicht, daß es den Einwanderern in Mexiko besser als in den USA gelingen würde, ihr Deutschtum zu bewahren. Als Begründung wurde kulturelle und zivilisatorische, aber auch "rassische" Überlegenheit gegenüber der einheimischen Bevölkerung angeführt, die es dem Einwanderer in Mexiko erleichtern würde, sich der Assimilierung zu widersetzen (Sartorius 1850, 66f.; Mentz de Boege 197S, 491). Aber waren auch die Besitzverhältnisse, war die Tatsache, daß der Boden in weiten Teilen des Landes in der Hand von Großgrundbesitzern lag, für potentielle deutsche Ansiedler günstig? Frühe Stellungnahmen zu dieser Frage klangen optimistisch. So betrachtete Koppe in seinem Werk Die mexicanischen Zustände in den Jahren 1830-1832 die Hacienda als eine Chance für deutsche Kolonisten. In umständlichem Amtsdeutsch schrieb er: In allen, auch den bevölkertsten und fruchtbarsten Districten finden sich jene großen, ja ungeheuren Landgüter (Haciendas) von 20, 30 und mehreren Leguas im Umfange, deren Eigentümer aus Mangel an Menschenhänden nicht den zehnten, vielleicht nicht den zwanzigsten Theil in Cultur setzen können, und von den weiten, jetzt einzig als >told- und Weidegrund für wilde Pferde, Maulthiere und Rinder benutzten Strecken des fruchtbarsten Landes einem fleißigen Anbauer größere oder kleinere Parzellen auf billige Bedingungen zu überlassen gern geneigt sind (Koppe 1837, 54). Der Verfasser verwies auf das Kolonisationsunternehmen von Sartorius und dessen Besitzung El Mirador. Sartorius hatte am Ostabhang der Sierra Madre Oriental, zwischen den Städten Jalapa und Córdoba, Land im Umfang von vier "Quadratstunden" von einer Hacienda gekauft (Kruse 1923, XC.) und dort eine Pflanzung angelegt, die als Kristallisationskern für weitere deutsche Ansiedler diente. Allerdings sollte dies im 19. Jahrhundert das einzige Unternehmen von Gruppen deutscher Einwanderer bleiben, das erfolgreich verlief (Pferdekamp 1958, 153-173). Bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als der deutsche Auswandererstrom infolge der Verarmung ländlicher wie städtischer Unterschichten wieder anschwoll und die Diskussion über Auswanderungsmöglichkeiten erneut

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auflebte, wurde die Rolle der mexikanischen Hacienda skeptisch beurteilt. Der deutsch-amerikanische Arzt und Naturforscher Adolph Wislizenus, der auf USamerikanischer Seite an den Feldzügen gegen Mexiko teilgenommen und dabei vor allem den Norden des Landes kennengelernt hatte, kritisierte, daß die großen Haciendas die Entwicklung kleinerer Ansiedlungen behinderten. Demgegenüber rühmte er die Agrarverhältnisse in den USA, wo "die kleinen Farmers" den größten Teil des Bodens in Besitz hätten (Wislizenus 1850, 134). Ausführlich ging diesem Problem eine Denkschrift nach, die 1851 dem Berliner "Verein zur Centralisation deutscher Auswanderung und Colonisation" eingereicht wurde und wohl als Antwort auf die positiv gehaltene Werbeschrift von Sartorius über Mexico als Ziel deutscher Auswanderung gedacht war. Der Verfasser des Memorandums, das darauf abgestimmt war, hochgespannte Erwartungen zu dämpfen, war ein Dr. B. von Boguslawski, der seine Kenntnisse mexikanischer Verhältnisse in fünfjährigem Aufenthalt und auf Reisen im ganzen Land gesammelt hatte. Unter den Schwierigkeiten, die deutsche Ansiedler in Mexiko erwarteten, hob der Verfasser vor allem die mangelnde Bereitschaft der Großgrundbesitzer hervor, Ländereien zur Parzellierung abzugeben. Für diese Haltung machte Boguslawski das Finanzgebaren der Kirche verantwortlich, denn die [...] ländlichen Grundstücke würden sich gewiß, sobald sie zu groß gewesen und kleinere Ländereien anfingen, Werth zu erlangen, von selbst durch Veräußerungen und testamentarische Verfügungen getheilt haben, wenn nicht bedeutende auf dieselben geschriebene Hypotheken in den Händen des Clerus gewesen wären; aber dieser Umstand hat stets der Parcellierung entgegengestanden, weil der Clerus immer entgegen war, aus Furcht, das, was ihm bei einer vereinten Hypothek sicher schien, bei einer getheilten zu verlieren oder zu risquiren (v. Boguslawski 1851, 51). Auch im kirchlichen Grundbesitz erblickte der Verfasser, dessen Schrift stark antiklerikal geprägt war, ein Hindernis für Kolonisten, da dieser Besitz dem freien Umlauf, d.h. dem An- und Verkauf, entzogen wäre. Allerdings überschätzte er den Immobilienbesitz der Kirche, wenn er meinte, daß die besten und bedeutendsten Ländereien kirchliches Eigentum seien (Bazant 1971, 270). Die Ansichten von Boguslawski standen im Einklang mit den Auffassungen der mexikanischen Liberalen, die in der Reformära (1855-1872) den kirchlichen Grundbesitz enteigneten und gesetzlich festlegten, daß Grund und Boden auch dann in Parzellen verkauft werden dürfe, wenn der Gesamtbesitz hypothekarisch belastet sei und der Gläubiger einer Stückelung widerspräche3. Die Hindernisse, die nach Boguslawski der Parzellierung von Haciendas im Wege standen, wurden damit innerhalb zweier Jahrzehnte beseitigt. Die von ihm erwarteten

'Gesetz vom 6.2.1861, Artikel 6 (Dublän/Lozano 1867, Bd. 9, 63).

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Folgen traten jedoch nicht ein. Weder wurde die Aufteilung von Haciendas noch ein nennenswerter Zustrom von Einwanderern in Gang gesetzt. Dies geht mit aller Deutlichkeit aus Berichten hervor, die sich gegen Ende des Jahrhunderts wiederum mit der Korrelation von Hacienda und Einwanderung befaßten. "Leider befindet sich das meiste Land in Mexiko in den Händen von Großgrundbesitzern, wodurch der Besiedlung des Landes durch europäische Ackerbauer bislang ein großes Hindernis bereitet war", charakterisierte Lemcke die nach wie vor bestehenden Probleme (Lemcke 1900, 103). Unter den vielfältig gegliederten Arbeitsverhältnissen der Haciendas war es vor allem der Peonaje, die Verschuldung der Landarbeiter mit der rechtlichen Folge des Bleibezwanges, welcher die Aufmerksamkeit der deutschen Betrachter auf sich zog. In der funktionalen Interpretation des Peonaje stimmten sämtliche Berichte überein, wenn auch graduelle Unterschiede bestanden: Sartorius bezeichnete sie als das einzige Mittel, auf den Hochlandhaciendas die notwendigen Arbeitskräfte kontinuierlich zu halten, auch wenn dies mit erheblichen finanziellen Verlusten für die Hacendados verbunden sei, da durch den Peonaje erhebliche Kapitalien festgelegt seien, ohne Zinsen zu bringen (Sartorius 18S9, 121). Vorsichtiger formulierte 40 Jahre später der Staatswissenschaftler und Agronom Hermann Paasche, daß es nach Meinung der Hacendados "ohne zwingenden Vorschuß" fast keine Arbeiter geben würde. Der Verfasser bezog dies auf die getreideanbauenden Haciendas des Hochlandes, während er für die Kaffeepflanzungen im Gebiet von Orizaba und Córdoba feststellte, daß hier ohne Schuldknechtschaft "fleißig und im Akkord" gearbeitet würde (Riasche 1894, 280, 241). Kaerger wies nach, daß auch im Hochland Alternativen zur Peonaje bestanden. Er nannte drei Formen der Bindung, mit denen versucht würde, die Landarbeiter dauerhaft auf den Getreidehaciendas zu halten: durch Verschuldung, durch Überlassung einer Parzelle sowie durch Heigabe von Mais- und Bohnenland unter Halbpartkontrakt. Letzteres nannte er das verbreitetste, in den ackerbautreibenden Staaten Jalisco und Guanajuato das neben der Verschuldung allgemein übliche Mittel (Kaerger 1901, Bd. II, 637). In allen diesen Fällen wurde dem Peonaje eine Schlüsselrolle in der Beschaffung von Arbeitskräften für die Haciendas im zentralmexikanischen Hochland, einer verhältnismäßig dicht besiedelten Region, zugeschrieben. Zwar wurde Schuldknechtschaft auch bei den \hqueros auf den Viehhaciendas des Nordens (Uhde 1861, 71) sowie auf den Haciendas in anderen Landesteilen beobachtet4, jedoch ohne daß ihr die gleiche Bedeutung zugemessen wurde. Die deutschen Berichte des 19. Jahrhunderts zeigen damit in eine andere Richtung als Werke der jüngeren Haciendaforschung, die auf Zusammenhänge zwischen geringer Bevölkerungsdichte und Peonaje hinweisen, wenn sie anführen, daß in

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Für Haciendas der Tierra Templada im Staat Vera Cruz Heller 1853, 333. Von einem förmlichen Menschenhandel mit verschuldeten Peones auf der Landenge von Tehuantepec berichtete von Müller 1864, Bd. II, 415-417.

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der Zeit des Forfiriates die Schuldknechtschaft hauptsächlich im dünn besiedelten Norden und Südosten Mexikos verbreitet war (Gonzäles Navarro 1957, 222; Mörner 1979, 33). W&rum aber konnte sich das System des Peonaje überhaupt so weitgehend und dauerhaft durchsetzen? Die Autoren reduzierten dieses Problem durchgehend auf die Frage, welche Gründe die Peones veranlaßten, immer wieder Verschuldung einzugehen, obgleich ihnen die Folgen — der Verlust der Freizügigkeit und das Absinken in einen Zustand der "Leibeigenschaft" oder der "faktischen Sklaverei" (Wislizenus 1850, 34) — bekannt waren. Die naheliegende Antwort, daß der Lohn zu niedrig sei, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, wurde nur ausnahmsweise gegeben (Wislizenus 1850, 34; Uhde 1861, 71). Im allgemeinen gingen die Verfasser davon aus, daß angesichts der Bedürfnislosigkeit der Landarbeiter sowie der Hergabe von Parzellen und der Zuteilung von Maisrationen durch die Hacienda die Entlohnung ausreichend sei, solange nicht weitere Belastungen hinzukämen. Als solche wurden die Abgaben für kirchliche Feierlichkeiten und die überhöhten Preise genannt, welche den Peones und ihren Familien in der Tienda, dem Kaufladen der Hacienda, abgenommen würden (Seier 1889, 82). Neben und vor diesen von außen auferlegten finanziellen Belastungen aber wurde die Trunksucht der Indianer, denn als solche wurden die Peones eingestuft, als Grund für die Verschuldung bezeichnet. Immerhin gingen einige Autoren weiter und fragten nach den eigentlichen Ursachen des "moralischen Darniederliegens der Eingeborenen" (Heller 1853, 334). Hier nun gingen die Antworten weit auseinander. Der österreichische Botaniker Carl Bartholomäus Heller erblickte sie in der "Vernachläßigung aller menschlichen Bildung"(Heller 1853, 334), d.h. in der Marginalisierung. Damit sah er die Schuld bei denjenigen, welche diese Bevölkerungsgruppe in eine trostlose Lage gedrängt hatten. Zu ähnlichen Schlüssen, wenn auch auf ganz anderen Wegen, gelangte Ratzel. Er glaubte nämlich, im Hochtal von Puebla Zusammenhänge zwischen der "reichen Cultur dieses Thaies" und dem "anerkannt schlechten Sittenzustand der hiesigen niederen Bevölkerung" feststellen zu können, da der lohnende Ackerbau einen Anreiz zur Konzentration des Bodens in der Hand von Großgrundbesitzern gegeben habe, was zu besonders starken Abhängigkeitsverhältnissen und "Gebundenheit" der Masse der Bevölkerung mit negativen Wirkungen auf deren Moral geführt habe (Ratzel 1878, 137f.). Der Verfasser versuchte also, Verbindungslinien zwischen den Bodenverhältnissen und den menschlichen Verhaltensweisen zu ziehen, eine Analyse, die bereits den anthropogeographischen Ansatz zeigt, von welchem Ratzel in seinen späteren wissenschaftlichen Werken ausging. Vorherrschend waren jedoch psychologisierende Erklärungsversuche, in denen bestimmte Charakterzüge und Eigenschaften der Indianer für das Absinken in die Schuldknechtschaft verantwortlich gemacht wurden. So sah der Naturforscher und Reisende von Müller die Schuldknechtschaft als eine "ganz natürliche Folge ihres leichtsinnigen und sorglosen Charakters" an und bescheinigte ihnen außerdem "angeborene Trägheit", die es verhindere, Schulden abzu-

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tragen (Müller 1864, Bd. II, 416). Sartorius bezeichnete die Unfähigkeit der indianischen Landarbeiter, für Notfälle Vorsoige zu treffen, als Grund der Verschuldung (Sartorius 1859, 121). Bei aller Verschiedenheit der Argumentation zeigen diese Aussagen doch Übereinstimmung in der Geringschätzung nicht nur einer sozialen Gruppe, der in Schuldknechtschaft verstrickten Haciendaarbeiter, sondern darüber hinaus auch der indianischen Bevölkerung des Landes, Vorstellungen, die eindeutig durch das Gefühl kultureller, zivilisatorischer und vor allem "rassischer" Überlegenheit geprägt waren (Hohenstein 1981, 214). Der Hacendado als sozialer Typ wurde in den deutschen Berichten zumeist mit dem Kennzeichen des Absentismus, der dauernden oder überwiegenden Abwesenheit von der Hacienda, versehen. So beschrieb Sartorius in dem Bemühen, dem deutschen Leser ein möglichst plastisches Bild der mexikanischen Verhältnisse zu geben, die Begegnung mit einem Hacendado, der sich in einer altertümlichen Karosse mit seiner Familie und seinem Tross auf dem Wege zwischen Stadt und Hacienda befand, wobei an der Stimmung der Reisenden zu erkennen sei, ob sie erleichtert in die Stadt zurückkehrten oder im Begriff seien, vorübergehend das ungeliebte Landleben auf sich zu nehmen (Sartorius 18S9, 275). Diese Schilderung wurde noch durch wenig schmeichelhafte Ausführungen über das Bemühen der Hacendados ergänzt, ihren sozialen Status hervorzuheben und sich von der übrigen Bevölkerung abzugrenzen (Lemcke 1900, 106f.). Grundsätzlich wurde immer wieder kritisiert, daß der Hacendado die Erträge seiner Hacienda für eine aufwendige Lebensführung in der Stadt verbrauche (Richthofen 1854, 252; Ratzel 1878, 41f.; Plaasche 1894, 281f., 219f.). Mit solchen Ausführungen über den Absentismus schlössen sich die deutschen Autoren einer im zeitgenössischen Mexiko üblichen Vorstellung an, die späterhin auch in die Haciendaforschung eingegangen ist (Pietschmann 1979, 41). Aber beruhten diese Aussagen auf eigener Erfahrung der Verfasser oder waren sie die Übernahme eines Klischees? In fast allen deutschen Reiseberichten wurden Besuche auf Haciendas geschildert; dabei wurde häufig auch vermerkt, ob der Eigentümer anwesend war oder aber der Verwalter als Gastgeber auftrat. Beides wurde beobachtet und hielt sich ungefähr die W&age, ein Hinweis darauf, daß der Absentismus zwar weit verbreitet war, daß er jedoch kein so allgemeines Kennzeichen darstellte, wie es die Typisierung des Hacendado als eines Mannes erscheinen läßt, der von Erträgen lebte, die andere erwirtschafteten, während er selbst von der Produktionsstätte abwesend war. "Der Eigentümer einer Hacienda [...] gilt gewöhnlich für einen reichen Mann", schrieb Sartorius (Sartorius 1859, 275) um die Mitte des Jahrhunderts. Aber war der Hacendado wirklich reich? Etwa gleichzeitig mit der Aussage von Sartorius vermittelte Boguslawski ein ganz anderes Bild. Er verwies auf die tiefe Verschuldung mexikanischer Haciendas, die er noch auf die Kolonialzeit zurückführte, in der es leicht gewesen sei, von der Kirche Hypotheken zu erhalten, welche dann für Verbesserungen auf der Hacienda oder für einen aufwendigen Lebensstil verwandt worden seien. Der Unabhängigkeitskrieg habe diese

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Verschuldung verstärkt, da trotz geringer Einnahmen die Zinsen auch weiterhin eingefordert worden seien. Infolge der Verschuldung hätten die Landgüter nach dem Krieg zwar oft den Besitzer gewechselt, doch wären die neuen Eigentümer ebenfalls nicht in der Lage gewesen, die Schulden abzutragen. Die kapitalkräftigen Kreise Mexikos hätten ihre Gelder selten in Grund und Boden, vielmehr in Finanzgeschäften angelegt. So kam der Verfasser zu dem Schluß, daß das Grundeigentum in Mexiko derart verschuldet sei, daß es sich "fast in einem allgemeinen Bankerott" befände (Boguslawski 1851, 51; Ratzel 1878, 377). Sowohl bei Sartorius als auch bei Boguslawksi handelte es sich um pauschale Aussagen. Konkrete und detaillierte Angaben machten erst die Sachverständigen, die gegen Ende des Jahrhunderts Mexiko bereisten. Vor allem Kaerger lieferte in seinem Werk eine Fülle von Daten zum Stand der einzelnen landwirtschaftlichen Produktionszweige Mexikos um die Jahrhundertwende. Für den Weizenanbau errechnete er eine erhebliche Verdienstspanne der Haciendas: Bei 6 bis 8 Reichsmark Gestehungskosten pro Doppelzentner würden 4 bis 6 Mark verdient (Kaei^er 1901, Bd. II, 674; Paasche 1894, 281; Lemcke 1900, 188). Die Produktionskosten für eine Tonne Zucker auf Haciendas im Staat Morelos beliefen sich nach seinen Angaben auf 205 Mark, die Verkaufspreise auf 340390 Mark; allerdings machte der Verfasser darauf aufmerksam, daß hier keine Verallgemeinerungen möglich wären, da die Gestehungskosten für Zucker in Mexiko sehr unterschiedlich seien (Kaerger 1901, Bd. II, 631). Von den Viehzuchthaciendas im Norden wurde berichtet, daß Jungvieh zum Preise von 15 Pesos pro Kopf an die USA verkauft würde, ohne daß hier Zahlen für die allgemein als sehr gering angesehenen Gestehungskosten genannt wurden. In der Huasteca, im Grenzgebiet der Staaten Tamaulipas, San Luis Po tosi und Vera Cruz kauften Viehzüchter für 8 bis 15 Pesos mageres Rindvieh von den Hochlandhaciendas, um es auf den eigenen Weiden zu mästen und nach vier Monaten für 20 bis 35 Pesos weiterzuverkaufen (Lemcke 1900, 152f.). Die Daten geben zwar keinen Aufschluß über den Stellenwert, den diese zum Teil beträchtlichen Gewinnspannen in den Bilanzen der Haciendas besaßen. Für solche weiterreichenden Informationen wären genaue Einblicke in die Buchführung erforderlich gewesen, die einem Fremden kaum gestattet wurden. Immerhin erlauben die fragmentarischen Angaben der deutschen Autoren den Schluß, daß die Einkünfte vieler Haciendas, allerdings ohne Schuldzinsen zu berücksichtigen, nicht so gering gewesen sein können, wie traditionelle Vorstellungen von der Hacienda als einer nicht auf Rentabilität, sondern auf Sozialprestige gerichteten Institution vermuten lassen. Zeichneten sich auf den mexikanischen Haciendas im Laufe des 19. Jahrhunderts Veränderungen der Wirtschaftsweisen ab? Auch hier geben die deutschen Berichte nur begrenzten Aufschluß, da sich die Verfasser, mit Ausnahme von Sartorius, zu kurz im Lande aufhielten, um langfristige Entwicklungen beobachten zu können. Für Vergleiche mit der Vergangenheit waren sie daher zumeist auf Aussagen aus zweiter Hand angewiesen. So wurden in einem Reisebericht, der gegen Ende des Jahrhunderts im New Yorker belletristischen Journal er-

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schien, Veränderungen im Staat Durango beschrieben. Hier sei auf Haciendas, die vor 50 Jahren noch extensive Viehzucht betrieben hätten, aufgrund künstlicher Bewässerung vor einer Generation mit dem Anpflanzen von Baumwolle begonnen worden, die heute in großem Stil angebaut werde (Hesse-\N&rtegg 1890, 54). Paasche, der als landwirtschaftlicher Experte Mexiko gegen Ende des Jahrhunderts bereiste, verglich Aussagen, die Friedrich Gerstäcker 25 Jahre zuvor über Haciendas nordöstlich von Puebla gemacht hatte, mit eigenen Erfahrungen. Durch Flußregulierungen sei dieses Gebiet, das Gerstäcker noch als wüst und unkultiviert bezeichnet hatte, heute ein "wohlangebautes Terrain" geworden, auf dem sich Weizen-, Mais- und Kleefelder in ununterbrochener Folge abwechselten (Paasche 1894, 270f.). Ein Vergleich der Berichte, die über die Haciendas des Sartorius-Kreises vorliegen, läßt erhebliche Veränderungen erkennen, die im Lauf eines halben Jahrhunderts stattfänden. Um die Mitte des Jahrhunderts beobachtete Heller hier hauptsächlich Arbeiten auf den Zuckerrohrfeldern (Heller 1853, 45; Boguslawski 1852, 293). Etwa 40 Jahre später fand Paasche, der als Beauftragter des Vereins für die Zuckerrübenindustrie des Deutschen Reiches die Entwicklungen dieses Wirtschaftszweiges besonders aufmerksam verfolgte, die Zuckerproduktion fast eingestellt und die Zuckerfabriken verfallen vor. Statt dessen war jetzt "hier wie in vielen Gebieten der tierra templada" die Produktion auf die lohnendere Kaffeekultur und Viehmast umgestellt worden (Paasche 1894, 250; Pferdekamp 1958, 169ff.). Neuerungen wurden gegen Ende des Jahrhunderts auch auf den Viehzuchthaciendas im Norden und an der atlantischen Seite Mexikos festgestellt. Ein Berichterstatter vermerkte, daß man dort dazu überginge, bessere Rinderrassen zu züchten und vor allem Mastvieh aufzuziehen, das auf dem englischen Markt höhere Preise erziele als das nach den USA exportierte Jungvieh. Überdies ermögliche der Einstrom von ausländischem Kapital Verbesserungen in der Viehwirtschaft, zum Beispiel das Einzäunen der Weiden. Der Ankauf von Land durch Ausländer wirke sich ebenfalls vorteilhaft aus, da diese — genannt wurden vor allem Deutsche und Schweizer — entsprechende Erfahrungen aus ihrer Heimat mitbrächten. Auf den Alltag des Reisenden bezogen, hieß es: "Man braucht jetzt nicht mehr als Gast eines mexikanischen Viehzüchters, der 3.000-4.000 Ochsen, Kühe und Kälber sein eigen nennt, den Kaffee schwarz zu trinken und auf Butter zu verzichten, denn neben der Massenviehzucht gönnt er auch heutzutage der Milchwirtschaft den ihr gebührenden Platz" (Lemcke 1900, 155). So vermitteln diese Berichte den Eindruck, daß Veränderungen in der Wirtschaftsweise der Haciendas zumindest in einzelnen Regionen stattfanden, sei es durch Intensivierung bestehender Produktionszweige, sei es durch Umstellung auf andere Erzeugnisse. Vor allem die Produktionsumstellungen zeigen, daß diese Haciendas durchaus marktorientiert arbeiteten und sich dabei zunehmend auf größere Märkte einstellten, sich also keineswegs auf Subsistenz oder auf einen engbegrenzten lokalen Markt beschränkten. Die positiven Berichte über Neuerungen auf den Haciendas erstreckten sich allerdings nicht auf die Technisierung der Landwirtschaft. In Deutschland hatten

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Landtechnik und Mechanisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erheblich zum Aufschwung der agrarischen Großbetriebe beigetragen. In Mexiko vermißten die deutschen Beobachter und Sachverständigen eine veigleichbare Entwicklung. Vor allem wurden die Methoden der Feldbestellung kritisiert, die vielerorts auf den Haciendas noch mit Holzpflug und Balkenegge erfolge, Gerätschaften, die "dem gebildeten Landwirt der Heimat [...] ein überlegenes Lächeln abzwingen [würden]" (Paasche 1894, 275). Für die Erntearbeiten wurde festgestellt, daß zwar das Hufedreschen auf den getreideanbauenden Haciendas vielfach durch Einsatz von Dreschmaschinen abgelöst worden sei, daß sich jedoch Mähmaschinen und Garbenbinder noch nicht eingebüigert hätten (Kaeiger 1901, Bd. II, 644ff.; Hesse-Wartegg 1890, 264f.), somit der größte Teil der Landarbeit noch von Mensch und Tier geleistet werde. Die Gründe für das Zurückbleiben in der Agrartechnik wurden unterschiedlich gesehen. Die Abneigung, traditionelle Einrichtungen aufzugeben (Hesse-Wirtegg 1890, 264f.), wurde ebenso angeführt wie die Unfähigkeit der indianischen Arbeiter, Maschinen zu bedienen (Paasche 1894, 274f.). Immerhin wurden auch ungünstige Bodenverhältnisse genannt, die den Einsatz von Landmaschinen erschwerten. Die überzeugendste Begründung war der Hinweis, daß die extrem niedrigen Löhne den Ankauf und die Instandhaltung kostspieliger Maschinen wenig attraktiv machten (Kaeiger 1901, Bd. II, 649f.). Übereinstimmend ging die Ansicht der Verfasser dahin, daß eine "nach unseren Begriffen rationelle Großwirtschaft" (Paasche 1894, 272) nicht vorhanden sei. So war es ein kritisches Bild, das die deutschen Reiseberichte und landeskundlichen Veröffentlichungen von der Hacienda als einer Form der Landhaltung zeichneten, die nach Größenordnung und Ausstattung, nach Arbeitsverhältnissen und Wirtschaftsweisen verbesserungsbedürftig und im ganzen rückständig sei. In den Ausführungen der Verfasser standen sachbezogene Feststellungen und Argumente neben sehr subjektiven Wertungen, die das Überlegenheitsgefühl der Europäer spiegelten, welche sich als Repräsentanten von Fortschritt und Modernisierung gegenüber einem "Entwicklungsland" empfanden. Trotz solcher Werturteile, die eher für den Standort der Autoren charakteristisch als für die Geschichte der Haciendas aufschlußreich sind, geben die Berichte insgesamt einen lebendigen Eindruck von der Vielfalt und der Unterschiedlichkeit der Haciendas im 19. Jahrhundert. Sie zeigen zugleich, wie problematisch es ist, für diesen Zeitraum von der mexikanischen Hacienda als einem einheitlichen Typ zu sprechen. Conclusión Las haciendas llamaron la atención de numerosos alemanes que, como viajeros o residentes, llegaron a conocer México durante el siglo XIX. No obstante, resultaba poco favorable la imagen que en sus relaciones delineaban de la hacienda mexicana. La criticaron frecuentemente como una forma de la tenencia de tierra, que tanto en el plan económico como en el plan social era atrasada y

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requería considerables reformas, aunque al ñnal del siglo se comprobaron cambios y ciertas innovaciones. Las publicaciones de los autores alemanes abarcan comentarios objetivos y razonados, pero incluyen también valoraciones altamente subjetivas, que reflejan la mentalidad de los europeos, que se consideraban representantes del progreso y de la modernización. Estos últimos juicios parecen más interesantes para el conocimiento de la posición del autor que para la historia de las haciendas. Las informaciones más importantes para el conocimiento de las condiciones agrarias del siglo pasado las facilitan las páginas descriptivas de las publicaciones, que dan una viva impresión de la variedad y de las diferencias regionales de las haciendas. Así se pone de manifiesto que es problemático, al menos para el siglo XIX, hablar de la hacienda mexicana como de un tipo homogéneo.

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Frauen in Hispanoamerika in Reiseberichten von Europäerinnen, 1830-1853* Reiseberichte von Ausländern über das spanische Amerika haben eine Tradition, die bereits mit den Berichten des Columbus über seine Entdeckungsfahrten begann. Diese Tradition brach auch in der Folgezeit nicht ab, als die spanischen Behörden eine Öffnung des spanischen Herrschaftsgebietes in Amerika generell ablehnten und Reisen auf Einzelfälle zu beschränken suchten. Zunächst waren es vor allem Missionare aus verschiedenen europäischen Ländern, die als Ordensangehörige Eingang in das spanische Amerika fanden und über ihre Erlebnisse und Erfahrungen berichteten. In der ausgehenden Kolonialzeit erhielten auch ausländische Wissenschaftler Aufenthaltsgenehmigungen, da sich die spanische Krone von ihrer Tätigkeit Aufklärung über das Vorhandensein und die Erschließung von Ressourcen in den Kolonien versprach. Viele dieser Forscher haben Reiseberichte veröffentlicht und damit zur Kenntnis des spanischen Amerika in der Alten Welt beigetragen, am nachhaltigsten Alexander von Humboldt mit Berichten über seine Forschungsreisen in Mittel- und Südamerika. In großer Zahl erschienen Reisende aus Europa und den USA jedoch erst im 19. Jahrhundert, nachdem die spanischen Kolonien ihre Unabhängigkeit erkämpft hatten und die Schranken gefallen waren, die den Ausländern den Eintritt in das spanische Amerika verwehrt oder erschwert hatten. Unter denen, die diese Möglichkeit nutzten, die neu entstandenen Staaten besuchten und über ihre Erfahrungen berichteten, befanden sich auch Frauen. Ihre Zahl war allerdings gering, denn das Reisen in Lateinamerika war strapaziös und risikoreich. Das galt schon für die wochenlange Anfahrt über See, mehr noch für die Wege in das Landesinnere. Diese Schwierigkeiten bewirkten auch eine Auswahl, denn nur Frauen mit Unternehmungsgeist und beträchtlichem Mut wagten derartige Reisen. In ihren Berichten findet sich vieles, was auch die weitaus zahlreicheren männlichen Reisenden beobachtet und beschrieben haben. Auf einem Gebiet sind ihre Reiseberichte jedoch ergiebiger: dort nämlich, wo sie von Frauen im spanischen Amerika handeln. Hierin kam das besondere Interesse zum Ausdruck, das die Autorinnen aus einer Art Solidaritätsgefühl dem Schicksal und der Lebensweise anderer Frauen entgegenbrachten. Auch hatten die Verfasserinnen Zugang zu Institutionen und Bereichen, die Männern nicht offenstanden, z.B. zu Nonnenklöstern, die auch noch nach dem Ende der Kolonialzeit eine wichtige Rolle in der spanisch-amerikanisehen Gesellschaft spielten, oder auf der Schattenseite des Lebens zu Frauengefängnissen und Waisenhäusern. Vor allem aber erhielten

*In: Jahrbuch filr Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas

(1J90), 227-257.

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sie Einblick in das Alltagsleben und in den privaten Bereich von Frauen der kreolischen Oberschicht, zu denen persönliche Kontakte meist schnell hergestellt waren. So bieten diese Reiseberichte, gleichgültig, ob sie als fortlaufende Erzählung oder in Form von Briefen oder Tagebüchern abgefaßt sind, die Möglichkeit, Aufschlüsse über besondere Aspekte der Sozialgeschichte Hispanoamerikas zu erhalten. "Ein Mensch nimmt sich mit, wenn er wandert", formulierte Ernst Bloch in seiner Tübinger Einleitung in die Philosophie (Bloch 1970, 49; Gewecke 1986, 273) und wies damit auf eine Erscheinung hin, die auch für den schriftlichen Niederschlag von "Wanderungen" charakteristisch ist: Reiseberichte enthalten nicht nur Beschreibungen dessen, was der Autor auf seiner Reise gesehen und an äußeren Eindrücken aufgenommen hat; vielmehr geben sie auch häufig untrennbar mit Beschreibungen verbunden Ansichten und Wertvorstellungen wieder, die dem Herkunftsland des Autors entstammen und das Bild beeinflussen, das sich dieser von seiner neuen Umgebung macht. Solchen Wechselwirkungen am konkreten Beispiel der Berichte von Europäerinnen über Frauen in Hispanoamerika nachzugehen und damit zugleich Fragen der Kulturbeziehungen zwischen Europa und Lateinamerika aufzugreifen, ist ein Ziel dieser Untersuchung. Drei Autorinnen bieten mit ihren Reiseberichten für das 19. Jahrhundert das weitaus ergiebigste Material: Flora Tristan, Fanny Calderón und Fredrika Bremer. Ihre Werke datieren aus den Jahren zwischen 1830 und 1851 und beziehen sich auf Peru und Mexiko, die ehemaligen Kerngebiete des spanischen Kolonialreiches, sowie auf Kuba, das neben Puerto Rico letzte in der Neuen Welt noch unter spanischer Herrschaft verbliebene Gebiet. Aus dieser Quellenlage ergibt sich die zeitliche und räumliche Begrenzung der Arbeit. Die bekannteste der drei Autorinnen, deren Werk sowohl in Europa als auch in Amerika erhebliches Aufsehen erregte, und überdies in jüngster Zeit eine Renaissance erlebte, war Flora Tristan. Ihren Bekanntheitsgrad verdankte sie allerdings nicht nur ihren Veröffentlichungen, sondern auch ihrem dramatischen Lebenslauf. Sie wurde 1803 in Paris als Tochter eines Offiziers geboren, der einer der führenden kreolischen Familien Perus angehörte und im Dienst der spanischen Krone stand; ihre Mutter war Französin, die während der Re\olution in Spanien Zuflucht gesucht hatte. Die Eltern hatten sich vor der Übersiedlung nach Frankreich nur kirchlich trauen lassen, was nach französischem Recht keine Gültigkeit besaß, und nach spanischem Recht fehlte die erforderliche Einwilligung des Königs, so daß die legale Basis der Ehe anfechtbar war. Nach dem frühen Tode des Vaters verarmte die Familie. Flora Tristan trat mit 15 Jahren als Gehilfin in das Atelier des Lithografen Chazal ein, den sie wenig später heiratete. Die Ehe erwies sich jedoch bald als ein Fehlschlag; da aber eine Scheidung nicht möglich war, blieb nur die Trennung. Die persönliche Erfahrung einer zwangsweise fortdauernden rechtlichen Bindung hat sicherlich dazu beigetragen, daß Flora Tristan in Frankreich zu einer Vorkämpferin für ein neues Ehe- und Scheidungsrecht wurde. Da sie mit ihrer Tochter nach der Tren-

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nung von ihrem Mann finanziell völlig ungesichert war, entschloß sie sich 1832 zu einet Reise nach Peru, um bei ihren dortigen Verwandten die väterliche Erbschaft einzufordern. Aus gesellschaftlichen Rücksichten und wohl auch, um erbrechtlicle Komplikationen zu vermeiden, verschwieg sie ihre gescheiterte Ehe und trat unter ihrem Mädchennamen als "Fräulein Flora Tristan" auf, was notwendigerweise zu zahlreichen Verwicklungen führte. Die Reise war vergeblich, denn ihr Onkel verweigerte unter Hinweis auf ihre uneheliche Abkunft die Herausgabe des Vermögens, so daß sie nach viermonatigem Aufenthalt in Arequipa und Lima enttäuscht nach Frankreich zurückkehrte. Ihre Eindrücke legte sie in einem Buch mit dem bezeichnenden Titel Pérégrinations d'une PARIA rieder, von dem einzelne Kapitel als Vorabdruck in der Revue de Paris erschieren und der Autorin Zugang zu feministischen Kreisen verschafften, bereits ehe 1838 das vollständige Werk veröffentlicht wurde (Tristan 1838). Im gleicher Jahr wurde Flora Tristan in Paris auf offener Straße von ihrem Mann überfallen und durch Schüsse schwer verletzt. Der Prozeß und die anschließende Deportaron von Chazal ermöglichten ihr jetzt die Scheidung. In der Folgezeit veröffentlichte sie eine Reihe sozialkritischer Schriften, stand dem Kreis um den Frühsozialisten Louis Blanc nahe und vertrat schließlich das Konzept einer vereinigen Arbeiterbewegung. Mit dem Ziel, für diese Idee zu werben, begann sie 1844 ehe Rundreise durch Frankreich; jedoch war sie deren Strapazen nicht gewachsen und starb noch im selben Jahr in Bordeaux (Puech 1925). Die starke Resonanz, die ihr Reisebericht über Peru fand, beruhte zum großen Teil aif der Art ihrer Darstellung: Emotionale Äußerungen wechseln sich mit geschichtsphilosophischen Betrachtungen und mit Situationsbeschreibungen ab, wobei Tragik und Komik oft eng beieinanderliegen. Zugleich war es der erste in fraizösischer Sprache verfaßte Reisebericht, in dem die Verhältnisse im unabhängigen Peru geschildert wurden, so daß die Pérégrinations in dieser Beziehung sine Pionierarbeit darstellten (Wolfzettel 1983, 25f.). Kaum veniger bewegt war der Lebenslauf von Francés (Fanny Erskine Inglis) Calderón de la Barca. Sie wurde 1804 in Edinburgh als Kind wohlhabender, jroßbürgerlicher Eltern geboren. Nach dem Tod des Vaters und dem Verlust des Vermögens wanderte die Familie 1831 in die Vereinigten Staaten aus und grindete zunächst in Boston, später in New York eine Mädchenschule, an der Famy als Lehrerin tätig war. 1838 heiratete sie den spanischen Diplomaten Angel Calderón de la Barca, der 1839 erster spanischer Gesandter im unabhängigen Mexiko wurde. Während ihres zweijährigen Aufenthaltes in Mexiko führte Famy Calderón ein Tagebuch, das ihr als Grundlage für zahlreiche Briefe diente, die ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren. Kein Geringerer al; William H. Prescott empfahl jedoch nachdrücklich deren Publikation, "fe:ling a regret that such rieh stories of instruction and amusement, from whiel I have profited so much myself, should be reserved for the eyes of

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a few friends only"1. 1843 erschien die Erstausgabe unter dem Titel Life in Mexico, der bis heute mehrere Neuauflagen gefolgt sind2. Nach neunjährigem Aufenthalt in den USA und der Rückkehr nach Europa wurde die berufliche Karriere Angel Calderóns mehrfach durch politische Veränderungen in Spanien unterbrochen und das Ehepaar vorübergehend gezwungen, nach Frankreich ins Exil zu gehen. Nach dem Tod ihres Gatten wurde Fanny als Erzieherin der ältesten Tochter Isabels II. an den Hof in Madrid gerufen und schließlich als Marquesa de Calderón in den Adelsstand erhoben. Fanny Calderón beherrschte die spanische Sprache bereits bei ihrer Ankunft in Mexiko. Anders als Flora Tristan, die das Spanische erst während des Aufenthaltes in Peru erlernte, war sie daher von Anfang an in der Lage, sich mit der einheimischen Bevölkerung direkt zu verständigen. Auch in der Art, wie die beiden Autorinnen die Neue Welt zur Kenntnis nahmen, bestehen mancherlei Unterschiede. Scharf ausgeprägte und nahezu doktrinäre Tendenzen, wie sie in den Pérégrinations hervortreten, wo der feministische Grundton dominiert, fehlen bei Fanny Calderón. Ihre Haltung wird man als liberal bezeichnen können, auch die Kritik an kirchlichen Institutionen teilt sie mit dem zeitgenössischen europäischen Liberalismus. Im Gegensatz zu Flora Tristan tritt in ihren Berichten die eigene Person hinter dem Objekt der Betrachtung zurück. Ihr Wferk enthält eine Fülle von Informationen über Sitten und Gebräuche der Bevölkerung der Hauptstadt und der angrenzenden Bundesstaaten, sowie über den Weg von der Küste zur Hauptstadt. Anders als vielen europäischen Reisenden, die über das Land berichteten, ohne es gründlich kennengelernt zu haben, gab ihr der mehrjährige Aufenthalt in Mexiko zusammen mit ihrer scharfen Beobachtungsgabe die Möglichkeit, mehr als nur oberflächliche Erscheinungen wahrzunehmen. So zählt Life in Mexico zu den klassischen Berichten über das unabhängige Land und braucht Vergleiche mit dem Werk des deutschen Emigranten Carl Christoph Sartorius (Sartorius 18S9) oder des amerikanischen Diplomaten und Reisenden Brantz Mayer (Brantz 1844) nicht zu scheuen. Wie Fanny Calderón stammte auch Fredrika Bremer aus dem Großbürgertum. Sie wurde 1801 in Finnland, das damals noch schwedische Provinz war, geboren, wuchs aber in der Nähe von Stockholm auf. Durch Lektüre und durch Reisen in Europa erwarb sie eine ungewöhnlich umfassende Bildung. Als sie 1849 eine Reise in die Vereinigten Staaten antrat, um sich dort über die Stellung der Frau zu informieren, war sie längst keine Unbekannte mehr. Sie hatte sich bereits als Verfasserin von Romanen, in denen familiäre Probleme

'Prcscott profitierte in der Tat von Fanny Calderóns Berichten, denn er übernahm Schilderungen des Landes, das er selbst nie betreten hat, in seine History of the Conquest of Mexico. Das Zitat ist dem Anhang der von Howard T. Fisher und Marion Hall Fisher kommentierten Ausgabe Life in Mexico. The letters of Fanny Calderón de la Barca entnommen (Calderón 1966, 629). 2 Für die vorliegende Arbeit wurde die Ausgabe von 1966 benutzt.

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und hier insbesondere die Position der Frau im Mittelpunkt standen, über die Grenzen Schwedens hinaus einen Namen gemacht. Der zweijährige Aufenthalt in den USA weckte ihr Interesse an der Sklavenfrage. Um diesem Problem weiter nachgehen zu können, entschloß sie sich zu einer anschließenden Reise nach Kuba, wo sie sich 1851 drei Monate lang aufhielt. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen schilderte sie in zahlreichen Briefen, die unter dem Titel Hemnen i den nya verlden veröffentlicht wurden und zugleich Zeugnis von der philanthropischen Haltung der Verfasserin ablegen3. Auch Fredrika Bremer wohnte und verkehrte im Milieu der weißen Oberschicht des Landes, als Gast auf den Plantagen oder in den Stadthäusern dieser Schicht. Im Gegensatz zu Fanny Calderón und Flora Tristan aber suchte sie, der Zielsetzung ihrer Reise entsprechend, in Kuba auch den Kontakt mit den Angehörigen anderer sozialer bzw. ethnischer Gruppen. Dabei kam ihr zugute, daß sie durch ihre früheren Reisen in Europa und Amerika, die sie allein unternommen hatte, Erfahrungen besaß, die es ihr ermöglichten, sich in einer fremden Umwelt freier und selbständiger zu bewegen, als dies bei Fanny Calderón oder Flora Tristan der Fall war. So besuchte sie, allein oder von einem Dolmetscher begleitet, die Sklavenquartiere und die Siedlungen der Freigelassenen, nahm an den Festen der Schwarzen teil und versuchte, Einblicke in deren Lebenswelt zu erhalten. Nicht zuletzt ist Fredrika Bremers Werk bedeutsam, weil die Verfasserin aufgrund eigener Anschauung die Verhältnisse in Kuba und den sklavenhaltenden Staaten der USA vergleicht, so daß ihre Berichte eine wertvolle, wenn auch bislang wenig beachtete Quelle für eine komparative Betrachtung der Spätzeit der Sklaverei in Amerika darstellen. Alle drei Autorinnen waren intellektuelle Frauen, die den Wert von Erziehung und Bildung hoch einschätzten. Wie sahen und beurteilten sie unter diesem Aspekt die Situation der Kreolinnen, also derjenigen Frauen im spanischen Amerika, in deren Alltagsleben sie am ehesten Einblick hatten? Übereinstimmend waren ihre Aussagen über den niedrigen Bildungsstand, der als Ergebnis der geringen Bildungsmöglichkeiten angesehen wurde, die den Töchtern der kreolischen Familien geboten wurden. Fanny Calderón, die als ehemalige Lehrerin besonderes Interesse an pädagogischen Fragen mitbrachte, berichtete aus Mexiko, daß dort Mädchen, die in gemischten Klassen unterrichtet wurden, spätestens im Alter von 10 Jahren (Calderón 1966, 287) die Schule verlassen müßten, da nach allgemeiner Ansicht Gemeinschaftserziehung von dieser Altersstufe an moralisch nicht mehr vertretbar sei. Danach erhielten sie allenfalls noch durch einen Hauslehrer, in seltenen Fällen auch durch die Eltern zusätzlichen Unterricht. Mit 14 Jahren gelte ihre Erziehung als abgeschlos-

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Bremer 1853-54, 1854-55, 1981. Angaben zum Lebenslauf in: Nordisk Familjebok Bd. 4 ( Stockholm 1905), und in der Einleitung zur spanischen Übersetzung der Briefe aus Kuba, die unter dem Titel Cartas desde Cuba (Bremer 1981) erschienen. Nach dieser Ausgabe wird in der vorliegenden Arbeit zitiert.

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sen. Von einigen Ausnahmen abgesehen, reduziere sich die Bildung der jungen Kreolin auf notdürftige Kenntnis des Lesens und Schreibens und gelegentlich auch des Musizierens; die eigene Lektüre beschränke sich auf das Lesen des Meßbuches an Feiertagen (Calderón 1966, 286ff.). Die Existenz von Klosterschulen, von denen Fanny Calderón berichtete, daß sie in Puebla die einzigen Schulen für Mädchen seien (Calderón 1966, 410), vermochte offenbar nicht, das Urteil der Verfasserin zu korrigieren, nach welchem das mexikanische Schulsystem die Mädchen auf den "blissful path of ignorance" weise ( Calderón 1966, 288). Noch schroffer fiel das Urteil von Flora Tristan aus, die nach ihrem Aufenthalt bei den vornehmsten Familien in Arequipa und Lima die lapidare Feststellung traf, daß die Frauen dort überhaupt keine Schulbildung genossen hätten (Tristan 1838, Bd. II, 382)4. Den Maßstab für solche Aussagen, die zwar tendenziell mit zeitgenössischer Selbstkritik im spanischen Amerika übereinstimmten (Arrom 1985, 18-21), in ihrer Schärfe jedoch übertrieben gewesen sein dürften, entnahmen die Europäerinnen den Verhältnissen ihrer Heimatländer. Fanny Calderón verglich die Erziehung der Mädchen im angelsächsischen Bereich, über den sie allzu positiv meinte, daß dort "the lowest of the lower classes can generally write and read" (Calderón 1966, 287), mit der Ausbildung der Mexikanerinnen und befand, daß hier die Bezeichnung "Kontrast" angemessen sei. Flora Tristan orientierte sich, wenn auch weniger explizit, an den Bildungsmöglichkeiten, welche die Frauen des gehobenen Bürgertums in Frankreich besaßen. Insgesamt liefen diese Betrachtungen darauf hinaus, die Rückständigkeit des Erziehungsund Bildungswesens in Mexiko und Peru zu tadeln. Dabei wurde zwar auch ein Ausbildungsdefizit für männliche Jugendliche vermerkt, aber kein Zweifel daran gelassen, daß die Mädchen stärker betroffen seien und hier ein besonderes Reformbedürfnis liege. Fanny Calderón machte aber nicht nur die Unzulänglichkeit von Schulen und Privatlehrern für den niedrigen Bildungsstandard der jungen Kreolinnen verantwortlich. Vielmehr sah sie auch Einflüsse des geographischen Milieus wirksam, wenn sie in ihren Briefen schrieb: In the first place, the climate inclines everyone to indolence, both physically and morally. One cannot pore over a book, when the blue sky is constantly smiling in at the open windows [...] I am convinced that it is impossible to take the same exercise with the mind or with the body in this country, as in Europe or in the northern states (Calderón 1966, 287, 450).

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Vgl. die Aussage des englischen Perureisenden Robert Proctor: "Their education is totally neglected and I found very few among the most respectable women who could read or write" (Proctor 1825, 221).

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Mit dieser Argumentation befand sich Fanny Calderón, bewußt oder unbewußt, in der langen Tradition der aristotelischen Klimatheorien, die in der europäischen Aufklärung erneut aufgelebt waren und dazu geführt hatten, daß den Bewohnern der Neuen AAfelt, soweit sie in tropischen Zonen lebten, die Fähigkeit abgesprochen wurde, schöpferische Tätigkeit in gleichem Maße wie die Bewohner der gemäßigten Zone zu entfalten. Fanny Calderón kam solchen Vorstellungen sehr nahe, wenn sie einen direkten Zusammenhang zwischen den Klimaeinflüssen und einer ausgeprägt passiven Haltung der Mexikanerinnen erblicken wollte, denen sie mangelnde Impulse für die eigene Weiterbildung und die Neigung zum Müßiggang zuschrieb. In Ansätzen ist bei der Autorin auch jene Tendenz zum Psychologisieren erkennbar, die im späteren 19. Jahrhundert und dann häufig mit pseudowissenschaftlichen Argumenten versehen ein Kennzeichen der europäischen Reiseberichte über die Bevölkerung des spanischen Amerika werden sollte. Die \\bhl, welche den jungen Kreolinnen für die Gestaltung ihres Lebens offenstand, wurde in den Reiseberichten mit deutlich bedauerndem Unterton als begrenzt bezeichnet. En los Estados Unidos no me daría miedo tener diez hijas; estaría segura de que todas, aunque fuesen pobres, podrían alcanzar su desarrollo humano completo, conseguir buena reputación e ingresos por el esfuerzo propio. Ftero en Cuba [...] que se puede hacer con cinco hijas? El matrimonio es el único modo de conseguir respecto y seguridad para ellas, urteilte Fredrika Bremer angesichts einer weißen Familie mit zahlreichen Töchtern, die ihr auf Kuba begegnete (Bremer 1981, 113). Ähnliches berichtete Fanny Calderón aus Mexiko (Calderón 1966, 2S8) und Flora Tristan aus Peru (Tristan, 1838, I, 283), wobei beide Autorinnen außer der Ehe auch die Klöster als Institutionen beschrieben, die für Frauen der kreolischen Oberschicht als angemessener Lebensrahmen angesehen wurden. So bestätigten die Europäerinnen, daß eine Tätigkeit der Frau zu Erwerbszwecken in der kreolischen Oberschicht im allgemeinen unerwünscht war und als sozial degradierend für die Familie angesehen wurde. Hier hatte offenbar die politische Emanzipation, die in Mexiko und Peru im Gegensatz zu Kuba bereits erreicht worden war, keine Rückwirkungen auf die Stellung der Frau. Noch in einer anderen Beziehung spiegeln die Reiseberichte die in ihren Grundzügen unveränderte Rolle der Frau in der Gesellschaft wider. Neue Forschungen haben gezeigt, daß die Zahl der unverheirateten Frauen, die nicht in ein Kloster eintraten, erheblich gewesen sein muß (Arrom 1985, Kap. III), wobei sicherlich der durch die Unabhängigkeitskriege und die nachfolgenden Bürgerkriege verursachte Menschenverlust dazu beitrug, deren Anteil zu erhöhen. Diese Frauen lebten weiterhin in den Großfamilien und waren dort häufig mit der Aufsicht über die Kinder und das Personal beschäftigt. In den

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Reiseberichten werden sie jedoch nicht erwähnt, obgleich die Berichterstatterinnen sämtlich als Gast in kreolischen Familien gelebt oder mit ihnen in ständiger Verbindung gestanden hatten. Dies läßt den Rückschluß zu, daß die unverheirateten Frauen weniger in Erscheinung traten, weniger angesehen waren und ihre Stellung mithin auch weniger erstrebenswert erschien als diejenige der verheirateten Frau, deren Leben in den Reiseberichten ausführlich beschrieben und kommentiert wird. Wie sah der Alltag der verheirateten Kreolin aus? Fanny Calderón faßte die ersten Beobachtungen, die sie in Mexiko machte, in einem Katalog zusammen, der den Eindruck einer nahezu vollständigen Passivität der Frauen der Oberschicht vermittelt: How do the Mexican ladies occupy their time? They do not read — they do not write — they do not go into society. For the most part they do no play — they do not draw — they do not go to the theatre — nor have they balls or parties, or concerts — nor do they lounge in the shops of [sie] a morning, or promenade in the streets — nor do they ride on horseback. What they do not do is clear, but what do they do? (Calderón 1966, 156). Obgleich die Verfasserin ihre Aussagen im weiteren Verlauf ihres Aufenthaltes in Mexiko im einzelnen modifizierte, stimmen sie doch generell mit anderen Reiseberichten dahingehend überein, daß der Alltag der Kreolin durch zwei Dinge gekennzeichnet war: Muße und Repräsentation. Der Tagesablauf der kreolischen Ehefrau sah in den größeren Städten sowohl Mexikos als auch Perus demnach folgendermaßen aus: Der Tag begann mit der Teilnahme an der Morgenmesse; gegen Mittag wurde gelegentlich Besuch empfangen, am Spätnachmittag folgte eine Ausfährt mit der Kutsche oder eine Promenade in der Stadt, wobei Gelegenheit war, Kleidung und Schmuck in der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen und damit zugleich die soziale Stellung der Familie zu demonstrieren. Das gleiche galt auch für den abendlichen Besuch öffentlicher Veranstaltungen, der die eigentliche Abwechslung im Tagesablauf bedeutete und entsprechend häufig wahlgenommen wurde 5 . Andere Wege, der Monotonie des Alltags zu entgehen, beobachtete Flora Tristan in Peru. Sie berichtete aus Arequipa, daß dort die Frauen jede Gelegenheit wahrnähmen, auf Reisen zu gehen. Die Bevorzugung von Ausländern als Ehepartner führte die Verfasserin auf den Wunsch der Kreolinnen zurück, auf diese Weise die Möglichkeit zu Auslandsreisen zu erhalten. Die Bereitschaft, Französisch zu lernen, erklärte Flora Tristan mit der Hoffnung der Frauen in

V g l . die Antwort einer Kreolin auf die Frage, ob es zuträfe, daß sie täglich ins Theater gehe: "How else could I possibly get through the evenings?" (Thomson 1846, 216). Siehe auch Tristan 1838, Bd. I, 302 u. 308.

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Arequipa, eines Tages auf Reisen von diesen Sprachkenntnissen Gebrauch machen zu können6. Eintöniger noch als in der Stadt erschien den Europäerinnen das Leben der Kreolinnen auf dem Lande, wo die räumliche Distanz zu den Nachbarn die Familien der Hacienda- und Plantagenbesitzer isolierte. Von den Zuckerplantagen in Kuba berichtete Fredrika Bremer: "La vida de las mujeres carece de alegría y es poco activa" (Bremer 1981, 121), wobei die Verfasserin der Struktur der Plantagen einen beträchtlichen Anteil an dieser Lebensform zumaß. Sie meinte, daß der Boden so weitgehend für den Anbau des Zuckerrohrs genutzt würde, daß kein Platz für die Anlage größerer Gärten bliebe, und daß auch die Furcht vor entlaufenen Sklaven die Frauen am Verlassen des Hauses hindere, so daß deren Bewegungsfreiheit gänzlich eingeengt sei. An anderer Stelle berichtete die Verfasserin auch, daß die Arbeiten innerhalb des Hauses vollständig dem Personal überlassen würden und Aktivitäten der Kreolinnen auf diesem Gebiet ebenfalls unterblieben7. Die Passivität war also nicht nur aus dem Zwang der äußeren Umstände zu erklären. Bei den europäischen Beobachterinnen stieß diese Lebensweise auf deutliche Ablehnung. Mit Erstaunen und Bedauern registrierten sie das Brachliegen von Fähigkeiten und die Untätigkeit der kreolischen Frauen. Für sie rangierten, wie es den Wertvorstellungen des europäischen Bürgertums entsprach, "nützliche Tätigkeiten" entschieden höher als Muße und Repräsentation8. Eine Lebensführung, in welcher das Nichtstun einen breiten Raum einnahm, fand daher bei ihnen wenig Verständnis, wurde vielmehr in die Nähe des Müßigganges gerückt. Auf die Frage, ob und wie weit die Kreolinnen selbst ein aktiveres, auch über den Rahmen von Haus und Familie hinausreichendes Leben den überlieferten Lebensformen vorziehen würden, gingen die Autorinnen nicht ein. Vielmehr setzten sie als selbstverständlich voraus, daß die Hinwendung zur vita activa den Frauen ein befriedigenderes Dasein bringen würde. Wenn sich Frauen im allgemeinen nicht außerhalb von Haus und Familie betätigten, so gab es doch Ausnahmen, die nicht nur Einzelpersonen, sondern auch ganze Gruppen betrafen. In Mexiko war der wohl erste organisatorische Zusammenschluß von Laien mit sozialer Zielsetzung die 1836 gegründete Junta de Señoras de la Casa de Cuna9 . Die Cuna war ein Haus für Findlingskinder,

relativiert die Verfasserin ihr Urteil über das niedrige Bildungsniveau der Peruanerinnen (Tristan 1838, Bd. 1, 372-373). 7 Bremer 1981, 43. Die Aussage bezieht sich allgemein auf die Frauen der Oberschicht in Kuba, d.h. auf ländliche und städtische Haushalte. 8 So empfiehlt z.B. Flora Tristan als Mittel für den Fortschritt "l'amour du travail et les vertues sociales qui en découlent" (Tristan 1838, Bd. I, ISO). In diesem Zusammenhang spricht die Verfasserin auch von "vertues civiques", also von "bürgerlichen Tugenden" (Tristan 1938, Bd. 1, 309). ®Arrom 1985, 43. Fisher gibt das Gründungsdatum schon mit 1766 an (Calderön 1966, Anmerkung 7, 788).

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das durch prívate Spenden und Kollekten finanziert wurde und dessen Verwaltung und Organisation die in der Junta organisierten Frauen übernahmen. Fanny Calderón schilderte diese Institution aus eigener Anschauung: An der Pforte wurden die Findlinge, für Fanny Calderón "offsprings of object poverty and guilt" (Calderón 1966, 519 u. 531f.) abgegeben, ohne daß die Mutter ihre Identität preisgeben mußte. Die Verantwortung für das Kind wurde dann von einem Mitglied der Junta übernommen. Zunächst wurde der Findling in die Obhut einer indianischen Amme in eines der umliegenden Dörfer gegeben, wobei jeweils am Ort eine Vertrauensperson bestellt wurde, die für das Verhalten der Amme und das Wohlergehen des Säuglings bürgte. Einmal im Monat erschienen die Ammen mit den Kindern und die Vertrauenspersonen in der Casa de Cuna, wo der Zustand der Pflegebefohlenen geprüft und die Ammen mit dem für die damaligen Verhältnisse nicht geringen Betrag von umgerechnet vier Dollar entlohnt wurden. Wenn die Kinder dem Säuglingsalter entwachsen waren, kehrten sie in die Casa de Cuna zurück, wo die für sie verantwortliche Kreolin der Junta eine rechtliche oder faktische Adoption vermittelte. Fanny Calderón berichtete, daß kaum je eines dieser Kinder in der Casa de Cuna zurückbliebe, daß sie vielmehr in respektablen Familien aufwüchsen, wo sie entweder an Kindes Statt angenommen würden oder später als Bedienstete in privilegierter Stellung blieben. Auf diese Weise seien bereits Tausende von elternlosen Kindern durch die Casa de Cuna versorgt worden (Calderón 1966, 519). In krassem Gegensatz zu diesem durch private Initiative gegründeten und unterhaltenen Eisenbaus stand das städtische Waisenhaus in Arequipa, das Flora Tristan besuchte. Die Autorin bescheinigte zunächst den sozialen Einrichtungen der Stadt, Krankenhaus, Irrenhaus und Waisenhaus für Findelkinder, daß sie sämtlich schlecht geführt seien, und beschrieb dann die Verhältnisse im Waisenhaus, wo die Kinder nackt, unterernährt und in bedauernswertem Zustand seien. Überdies erhielten sie keinerlei Ausbildung, so daß für die Überlebenden unter ihnen eine Existenz als Landstreicher voigezeichnet sei (Tristan 1838, Bd. I, 356). Das städtische Frauengefängnis in Mexiko, die Acordada, wurde von Fanny Calderón als ein Ort der Venvahrlosung und des Elends geschildert. "Dirty, ragged and miserable creatu res there were in these dismal vaults which looked like puigatory" berichtete sie von den gefangenen Frauen, die zu Hunderten in einer großen Galerie damit beschäftigt waren, Tortillas für die Mitgefangenen zu backen (Calderón 1966, 533). Die soziale Hierarchie der Außenwelt reichte ins Gefängnis hinein, denn soweit die Gefangenen einer angeseheneren Familie angehörten, brauchten sie nicht zu arbeiten, genossen mehr Freiheit und erhielten eine bessere Unterbringung als die Frauen der unteren Schichten, auch wenn sie Kapitalverbrechen begangen hatten. In den Zügen einer Gattenmörderin, die durch besonders ansprechendes Äußeres auffiel, erblickte die Besucherin eine Widerlegung der Theorie des Schweizer Philosophen Lavater, nach welcher sich die Seele des Menschen in der Physiognomie ausprägt (Lavater 1775-1778). In

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diesem Gefängnis war eine kleine Gruppe von Kreolinnen tätig, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, den Gefangenen eine Art Elementarunterricht zu geben, d.h. ihnen die Grundkenntnisse des Lesens zu vermitteln sowie religiöse Unterweisung zu erteilen. Für diejenigen Frauen, die sich karitativer Arbeit widmeten, und nur für diese, revidierte Fanny Calderón ihr anfängliches Urteil von der Passivität der Kreolinnen. Sie kam nämlich zu dem Schluß, daß in den Fällen, in denen soziale Arbeit zusätzlich zu den Aufgaben in Haus und Familie übernommen würde, das Leben der Mexikanerin nicht als müßig bezeichnet werden könnte "nor, in such cases, can it be considered a useless one" (Calderón 1966, 533). Allerdings kann es sich bei den Frauen, die karitative Arbeit leisteten, nur um eine sehr kleine Zahl gehandelt haben. Im Vergleich zu europäischen Staaten und den USA, wo um diese Zeit bereits weitreichende philanthropische Vereinigungen bestanden, in denen auch Frauen mitwirkten, war eine derartige Aktivierung von Frauen in Mexiko und Peru offensichtlich gering, obwohl hier ein weites Betätigungsfeld lag. Die Berichte der Europäerinnen lassen jedenfalls keinen Zweifel daran, daß die Einrichtungen der öffentlichen Hand nicht genügten, um die Aufgaben der sozialen Fürsorge adäquat zu erfüllen, wobei offensichtlich nicht so sehr die Anzahl der Institutionen, von denen viele noch aus der Kolonialzeit stammten, als vielmehr deren desolater Zustand zu beklagen war, von dem die Reiseberichte oftmals drastische Vorstellungen geben10. Offen bleibt allerdings die Frage, ob sich diese Verhältnisse grundlegend von der Situation im zeitgenössischen Europa, in diesem Falle England und Frankreich, unterschieden. In den Berichten der Europäerinnen war es jedoch nicht so sehr die karitative Tätigkeit, die das Allgemeinbild des im Wechsel von Muße und Repräsentation verlaufenden Alltags der kreolischen Frauen durchbrach. Vielmehr war es das Leben der Frauen in Lima, das sich nicht in diesen Rahmen fügte und geradezu als Gegenbild zu den üblichen Vorstellungen von der Monotonie des Alltags erscheinen mußte. In Lima war es Sitte, daß die Frauen eine besondere Kleidung anlegten, mit der sie ihre Identität buchstäblich verschleiern konnten, und die ihnen Freiheiten erlaubte, die anderen Frauen nicht gestattet war. Die Limanerin nämlich trug, wenn sie allein ausgehen wollte, den manto, eine Art langen Schal, der über den Kopf geworfen wurde und nur ein Auge frei ließ. Dazu kam der sayo, ein langer, enger Rock". In diesem Anzug war es der Limanerin möglich, bei ihren Ausgängen unerkannt zu bleiben, und in dieser Anonymität konnte sie ohne

l0 Calderón nennt allerdings auch Gegenbeispiele, nämlich das Irrenhaus für Männer (San Hipólito) und das Hospital de Jesús, beide in der Stadt México. (Calderón 1966, 531 u. S34). "Diese Kleidung war nicht auf eine gesellschaftliche Stufe — diejenige der Kreolin — beschränkt; sie war jedoch kostspielig und daher für die Frauen der unteren Schichten schwerer erreichbar.

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Begleitung die zahlreichen öffentlichen Schauspiele besuchen und Kontakte knüpfen, die sonst nicht möglich waren. Mit einem deutlichen Anflug von Bewunderung beschrieb Flora Tristan die Bewegungsfreiheit der Frau in Lima so: [...] a-t-elle envie de sortir, se tape, c'est à dire se cache la figure avec le manto, et sort pour aller où elle veut. [...] Si elles (les femmes de Lima) rencontrent quelques personnes avec lesquelles elles désirent causer, elles leur parlent; les quittent et restent libres et indépendantes, au milieu de la foule, bien plus que ne le sont les hommes, le visage découvert (Tristan 1838, Bd. II, 377f.). Diese Art, sich zu kleiden oder zu verkleiden, deren Ursprung teils auf südspanisch-arabische Vorbilder zurückgeführt (Martin 1983, 300f.), teils als originär peruanische Erscheinung bezeichnet wurde (Tristan 1838, Bd. II, 366), hatte eine lange und zugleich spannungsreiche Tradition. Schon bald nach der Eroberung Perus hatte sie Anstoß bei geistlichen und weltlichen Würderträgern erregt. Vor allem die Kirche hatte versucht, sie zu unterbinden; aber auch die Vizekönige, die Audiencia und der Rat der Stadt Lima hatten zahlreiche Verbote ausgesprochen, um die tapadas aus dem Straßenbild zu verbannen. Die Erfolglosigkeit der amtlichen Bemühungen wird aus einer Stellungnahme ersichtlich, mit der sich im Jahre 1613 der Vizekönig Montesclaros gegen den Vorwurf verteidigte, daß er zu wenig gegen die Unsitte der tapadas eingeschriten sei. "Da ich gesehen habe," schrieb er, "daß kein Ehemann seine eigene Frau kontrollieren kann, traue ich mir nicht zu, sie alle zusammen kontrollieren zu können"12. Jedenfalls behaupteten sich diese Kleidung und das ihr entsprechende Verhalten über die Kolonialzeit hinaus und waren nach der Unabhängigkeit in Lima allgemein akzeptiert (Tristan 1838, Bd. I, 376). Von den europäischen Besuchern der peruanischen Hauptstadt wurden die tapadas ausführlich beschrieben und kommentiert, zumal deren Art der Kleidung im christlichen Europa unbekannt war. Waren die Autoren der Feiseberichte Männer, bewegten sich ihre Aussagen zwischen Spott und mordischen Vorbehalten, wobei die Möglichkeit der Limanerin, sich durch ihre Kleidung in die Anonymität zu begeben, zumeist als Suche nach amourösen Abenteuern ausgelegt wurde (Praetor 1825, 223). Der Schweizer Reisende und Gelehrte Johann von Tschudi wollte sogar festgestellt haben, daß Ausländer, welche Limanerinnen heirateten, zuvor die Bedingung stellten, daß die Frauen ausdrücklich auf das Tragen von manto und sayo verzichteten (Tschudi 1846, Bd. I, 141). Ganz anders fielen die Betrachtungen von Flora Tristan aus, Jie vor allem die emanzipatorische Bedeutung dieser Kleidung rühmte und m dem euphorischen Schluß kam, daß es keinen Ort auf der Welt gäbe, wo die Frauen

12 Colección de las memorias y Relaciones que escribieron los Virreyes del Peiú. Bd. I (Madrid 1921), 172-173, zitiert nach Martin 1983, 303.

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freier seien und mehr Macht besäßen als in Lima (Tristan 1838, Bd. II, 364). Ihrer Ansicht nach hatte sich unter solchen Umständen auch eine andere Denkweise formen können als bei den Europäerinnen, die durch Gesetze, Sitten und Vorurteile eingeengt seien, während die Frauen in Lima mittels ihrer Tracht weit mehr Unabhängigkeit genössen und daher auch ein größeres Selbstbewußtsein entwickelt hätten (Tristan 1838, Bd. II, 379). Während die Verfasserin sonst geneigt war, Land und Leute in Peru kritisch zu beurteilen und die europäischen Verhältnisse vergleichsweise höher einzuschätzen, sah sie hier, unter feministischen Aspekten, einen deutlichen Vorsprung der Neuen Wfelt. Aber hatte die spezifische Kleidung wirklich eine so prägende und nachhaltige Wirkung, wie Flora Tristan annahm? Zwei Jahrzehnte später gehörte die tapada jedenfalls nicht mehr zum Straßenbild der peruanischen Hauptstadt, wie die österreichische Weltreisende Ida Pfeiffer im Jahre 1854 feststellte: "Jetzt ist diese Tracht wie verschwunden, man sieht sie kaum zuweilen in der Kirche oder bei Prozessionen" (Pfeiffer 1856, 110). Flora Tristan beschränkte sich nicht auf Reflexionen über die Bedeutung der Kleidung für die Mentalität der Limanerin. Sie ging einen Schritt weiter und bescheinigte den Kreolinnen, daß sie an Intelligenz den Männern der Stadt überlegen seien (Tristan 1838, Bd. I, 374). Hier trifft sich das Urteil der Verfasserin mit demjenigen europäischer Männer, die damals die peruanische Hauptstadt besuchten. So vermerkte Tschudi: "\^feit über den Männern, sowohl körperlich als geistig, stehen die Frauen von Lima" (Tschudi 1846, Bd. I, 137). Der Engländer Robert Praetor, der mehrere Jahre in Lima verbrachte, schrieb: "The Ladies of Lima are certainly a superior race of beings to the males", und über die kreolischen Männer in Lima befand er: "Never was there a people more unfit for active and useful employment" (Praetor 1825, 221 u. 235). Während diese Reisenden ihr positives Urteil über die Limanerin in erster Linie aus der Geringschätzung der männlichen Bevölkerung bezogen, suchte Flora Tristan nach weitergehenden Erklärungen. Sie ging davon aus, daß infolge des Mangels an Erziehungseinrichtungen für beide Geschlechter, der in Peru herrschte, sich der Verstand hier ohne Einwirkung von außen, nur aus seinen natürlichen Kräften heraus entwickle. Ihre Schlußfolgerung lautete: "la prééminence des femmes de Lima sur l'autre sexe [...] doit être attribuée a la supériorité d'intelligence que Dieu leur a départie" (Tristan 1838, Bd. II, 374). Als Vorbild ließ die Verfasserin die Limanerin jedoch nicht gelten. Sie warf ihr vielmehr vor, nur sinnlichen Vergnügungen zugänglich zu sein, statt ihren Verstand zu verfeinern und ihre Fähigkeiten für das Glück und die Vervollkommnung der anderen einzusetzen. Deutlich ist hier der Einfluß der SaintSimonisten erkennbar, mit denen Flora Tristan vor ihrer Perureise in persönlichen Kontakt getreten war, und deren Vorstellungen von der Führungsrolle der

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Frau für den Fortschritt und die Vervollkommnung der Menschheit hier anklingen13. Ihre besondere Aufmerksamkeit richteten die Europäerinnen auf die Nonnenklöster und auf jene Lebensform, die für die Frauen der kreolischen Oberschicht noch immer als einzig standesgemäße Alternative zur Ehe galt. Für diesen Bereich stellen die Berichte von Flora Tristan eine fast singulare Quelle dar, da die Verfasserin Gelegenheit hatte, das Leben in den Klöstern aus unmittelbarer Nähe kennenzulernen. Sie wohnte nämlich, wenn auch nur für kurze Zeit, in den beiden größten Nonnenklöstern von Arequipa, in welchen die Frauen der vornehmen kreolischen Familien Zuflucht suchten, als die Stadt während der Bürgerkriege zum Kampfplatz zu werden drohte. Mit Hilfe verwandtschaftlicher Beziehungen fand sie auch Zugang zu einem der ältesten und reichsten Nonnenklöster der Hauptstadt Lima, während Fanny Calderón es vor allem der amtlichen Stellung ihres Mannes zu verdanken hatte, daß sie in Mexiko mehrere Klöster besichtigen durfte und einen besseren Einblick in das Klosterleben gewinnen konnte, als es europäischen Besuchern üblicherweise möglich war. In allen diesen Fällen handelte es sich um Institutionen, die hohe Ansprüche an die Mitgift der Nonnen stellten, so daß sich hier in der Mehrzahl Frauen aus wohlhabenden Familien zusammenfänden. Beide Verfasserinnen berichteten mit einigem Befremden, daß die Nonnen über individuelle Bedienung verfügten. Im Karmeliterinnenkloster Santa Catalina in Arequipa unterhielten die einzelnen Nonnen bis zu acht Negersklavinnen, und selbst in Santa Rosa, einem Kloster des gleichen Ordens, jedoch strenger Observanz, hatten die Nonnen Sklavinnen zur persönlichen Bedienung sowie jeweils eine Sklavin außerhalb des Klosters, die Besorgungen erledigte und den Kontakt mit der Außenwelt aufrechthielt (Tristan 1838. Bd. II, 167 u. 150). In Mexiko, wo die Sklaverei aufgehoben war, hatten die Nonnen des Klosters La Encarnación ein bis zwei Dienerinnen, die, so wird man annehmen können, den farbigen Unterschichten angehörten14. Offensichtlich waren Sklavinnen oder Bedienstete für ihre Herrinnen zugleich ein Statuszeichen, denn soziale Unterschiede spielten auch im Kloster eine wichtige Rolle. Flora Tristan sah in der Klostergemeinschaft einen Spiegel der sozialen Hierarchie, wie sie außerhalb der Klostermauern bestand: "Là régnent, dans toute leur puissance, les hiérarchies de la naissance, des titres, des couleurs de la peau et des fortunes [...]" (Tristan 1838, Bd. II, 143). Zugleich stellten die Europäerinnen aber auch erhebliche Unterschiede in der Lebensweise der Nonnen in Klöstern strenger Observanz auf der einen und milderer Observanz auf der anderen Seite fest. In Santa Rosa in Arequipa, einem Karmeliterinnenkloster strenger Observanz, beobachtete Flora Tristan den Tagesablauf der Nonnen, der mit religiösen Verpflichtungen, die bereits vor Tagesablauf begannen,

l3

Vgl. Tristan, Bd. I, S. XXV und Einleitung zur dt. Ausgabe (Tristan 1983, 18). Calderón 1966, 207. Eine Ausnahme bildete das Kloster Santa Teresa, wo die Nonnen auf Bedienung verzichteten (Calderón 1966, 259). l4

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voll ausgefüllt war und nur den Spaziergang im Klostergarten als einzige Erholung erlaubte. Die Verfasserin berichtete von Selbstkasteiungen der Nonnen und beschrieb die Schlafstätten, die Gräbern glichen und entsprechend genannt wurden (Tristan 1838, Bd. II, 146-148). Dies alles wurde von Flora Tristan mit Ausdrücken des Unverständnisses und der Ablehnung kommentiert, zumal sie die psychologischen Folgen dieser Lebensweise für schädlich hielt und die Beschränkungen, die hier den Frauen auferlegt wurden, mitverantwortlich für die zahlreichen Intrigen und Eifersüchteleien im Zusammenleben der Nonnen machte. Als sie Santa Rosa verließ und sich die Pforte hinter ihr schloß, brachte sie ihre Erfahrungen mit dem Klosterleben in dem Ruf zum Ausdruck: "Dieu! Quel bonheur d'être en liberté!" (Tristan 1838, Bd. II, 154). Negativ fiel auch die Stellungnahme von Fanny Calderón aus, als sie in Santa Teresa in Mexiko, ebenfalls einem Kloster strenger Observanz, der Professe einer jungen Nonne beiwohnte und die glanzvolle Zeremonie in eklatantem Gegensatz zu dem Klosterleben fand, das der jungen Frau bevorstand: "Next to death I consider it the saddest event that can occur in this nether sphere", urteilte sie und sprach in diesem Zusammenhang, mit deutlicher Anspielung auf die vorspanische Vergangenheit des Landes, von "human sacrifices"13. Dagegen wird von den Klöstern milderer Observanz sowohl in Lima und Arequipa als auch in der Stadt Mexiko berichtet, daß das Leben der Nonnen komfortabel, ja nahezu luxuriös sei. In Santa Catalina in Arequipa16 lebten die Nonnen in einer Art kleiner Landhäuser, die jeweils eine vollständige Wohnung mit Schlaf- und Wohnraum sowie einen Patio umfaßten und reich und geschmackvoll ausgestattet waren. Auch das Essen war vorzüglich, so daß Flora Tristan hier, erst- und einmalig während ihres Aufenthaltes in Peru, die Wbhnund Eßkultur fand, die sie bei der kreolischen Oberschicht des Landes vermißte. Die Zeit, die durch religiöse Übungen beansprucht wurde, war verhältnismäßig begrenzt, und den Nonnen blieb reichlich Gelegenheit für andere Tätigkeiten, sei es, daß sie sich mit Nähen und Sticken beschäftigten, daß sie karitative Arbeiten verrichteten, junge Mädchen unterrichteten, sich gegenseitig besuchten oder Gäste empfingen. Noch weiter reichten die Freiheiten der Nonnen im Kloster La Encamación in Lima. Hier konnten die Frauen kommen und gehen, wann sie wollten. Sie waren nicht einmal gezwungen, Ordenskleidung zu tragen, sie nahmen Gäste in Pension und erzogen Kinder, kurz, sie taten, was ihnen beliebte (Tristan 1838, Bd. II, 164f. u. 349). Die lebenslange Bindung an das Kloster und den Zumindestens partiellen Verzicht auf individuelle Freiheit aber bedeutete das Leben als Nonne in jedem

''Calderón 1966, 258. Beide Formulierungen stammen aus der Zeit vor der Konversion der Verfasserin, die 1847 vom Protestantismus zum Katholizismus übertrat (vgl. Anmerkung 3 des Herausgebers, Calderón 1966, 723-724) l6 Das Kloster ist heute Nationaldenkmal und gibt ein eindrucksvolles Bild von der Größe dieser Anlage, die fast als ein Stadtviertel bezeichnet werden kann.

200 Fall. Wimm entschlossen sich junge Kreolinnen dennoch zu diesem Schritt? Fanny Calderón suchte die Erklärung vor allem in der Umgebung, in der die jungen Mexikanerinnen aufwuchsen, die nichts von der Welt kannten, denen keine Bildungsmöglichkeiten gegeben seien, die nicht mit Altersgenossinnen zusammenkämen, die ein weitgehend isoliertes Dasein führten und überdies stark unter dem Einfluß ihres Beichtvaters stünden. Im Kloster dagegen erwarte sie die Gesellschaft von Gleichaltrigen, die Fürsorge älterer Frauen, mit denen sie Gespräche über den eigenen Werdegang führen könnten, und zuvor eine Eingangszeremonie, die auf die empfänglichen Gemüter junger Menschen eine fast magische Anziehungskraft ausübe. So erscheine das Klosterleben keinesfalls abstoßend, zumal es den Insassen einen Weg böte, sich einen Platz im Himmel zu sichern. Der Eintritt ins Kloster fiele um so leichter, als das Leben, das die Mexikanerin in der Ehe erwarte, nicht besonders attraktiv sei (Calderón 1966, 258f.) — jedenfalls in der Sicht von Fanny Calderón, die den Alltag der kreolischen Ehefrau als wenig abwechslungsreich schilderte. Auch Flora Tristan suchte nach den Gründen für den Eintritt ins Kloster, jedoch setzte sie andere Akzente. Sie ließ anklingen, daß die Sicherheit, welche die Klöster lebenslang böten, eine wesentliche Rolle spielte, auch wenn in ihren Augen die Einbuße an Freiheit damit nicht aufgewogen würde. In ihre Erklärungen floß aber noch eine andere, fast konträre Überlegung ein. Angesichts der sehr liberalen Geborgenheiten im Kloster La Encarnación in Lima fragte sie sich nämlich, ob der Eintritt ins Kloster nicht auch deshalb gewählt und einem Leben in der Welt vorgezogen würde, weil sich den Nonnen ein vielfältigeres Betätigungsfeld eröffne und ihnen größere Unabhängigkeit geboten würde als außerhalb der Klostermauern (Tristan 1838, Bd. II, 349). Die Verfasserin hob hier aufgrund eigener Beobachtungen einen Aspekt hervor, der auch von der modernen Forschung zur Geschichte der Kolonialzeit herausgestellt wird. Diese kommt nämlich zu dem Schluß, daß in einer im wesentlichen von Männern bestimmten Gesellschaft die Frauen in den Klöstern, diesen "Islands of Women", bessere Entfaltungsmöglichkeiten und eine Art institutionelle Autonomie vorgefunden hätten, so daß hier eine Erklärung für die Bereitschaft der Kreolinnen zum Eintritt ins Kloster läge (Martin 1983, Kap. 7). Machten also Fanny Calderón und Flora Tristan unterschiedliche Motive für diesen Schritt geltend, so stimmten sie doch in einer Hinsicht überein: Sie setzten die religiöse Motivation gering an, erwähnten sie nur am Rande. Beide Autorinnen stammen aus dem westeuropäischen Bürgertum, in welchem die Säkularisierung des Denkens im Zuge und als Folge der Aufklärung weite Kreise erfaßt hatte. Sie brachten daher wenig Verständnis für Bereiche auf, in denen dieser Prozeß noch nicht in gleichem Maße stattgefunden hatte. Staatliche Maßnahmen und Gesetze, welche die Liberalisierung fördern sollten, gab es allerdings auch in Mexiko und Peru, nachdem in der Unabhängigkeitsepoche die traditionelle Allianz zwischen Staat und Kirche zerbrochen war und der Liberalismus an Einfluß gewonnen hatte. So war in Mexiko das Erziehungswesen säkularisiert worden, Ordensangehörigen wurde die Rückkehr

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in die Welt freigestellt, und auch in Peru war es nicht mehr möglich, Mönche und Nonnen, die das Kloster verlassen hatten, mit Hilfe des weltlichen Armes zur Rückkehr zu zwingen. Wie stark dennoch der Einfluß der Kirche innerhalb der kreolischen Oberschicht geblieben war, bezeugen nicht zuletzt die Reiseberichte der Europäerinnen, die sich mit den Nonnenklöstern befaßten. "Poor little entrapped things", bemerkte Fanny Calderón angesichts der jungen Novizinnen, die zwar noch keine Gelübde abgelegt hätten und vielleicht noch an eine selbständige Entscheidung über die eigene Zukunft glaubten, in Wirklichkeit jedoch keine andere W&hl hätten, als den Schleier zu nehmen (Calderón 1966, 207). Den gesellschaftlichen Boykott, der eine entlaufene Nonne erwartete, beschrieb Flora Tristan ausführlich und bewegt am Beispiel einer aus dem Kloster geflohenen Verwandten, die in Arequipa, von der Familie verstoßen und von ehemaligen Freunden gemieden, ein sozial völlig isoliertes Leben führte, aus dem die Emigration nach Europa als einziger Ausweg erschien. Flora Tristan kommentierte diesen Fall ganz im Sinn der Aufklärung: "tant les préjugés de la superstition ont conservé de puissance sur ce peuple ignorant et crédule" (Tristan 1838, Bd. II, 275). Aufklärung und Bildung waren nach Auffassung der Autorin die wichtigsten Voraussetzungen, um einen solchen Zustand zu überwinden. Dabei war Flora Tristan deutlich von den Stufentheorien beeinflußt, mit denen romantische Geschichtsphilosophien die Entwicklung der Völker in Parallele zum Lebenslauf des Individuums von der Kindheit zum Erwachsenen setzten (Tristan 1983, 37S). Mit dem Überlegenheitsgefühl der Europäerin ordnete sie das peruanische Volk der Kindheitsstufe der Menschheit zu. So bemängelte sie beim Besuch des natur- und völkerkundlichen Museums, das in Lima im Gebäude der ehemaligen Inquisition eingerichtet worden war, die geringe Qualität der dort ausgestellten Gemälde und knüpfte daran die Bemerkung: "Le gout pour les beaux-arts ne se produit que dans l'âge avancé des nations" (Tristan 1838, Bd. II, 353). Verständlicherweise wurde eine Publikation, die solche abfälligen Urteile enthielt, in Peru übel aufgenommen. Wenn der Onkel der Verfasserin das Buch öffentlich verbrennen ließ, geschah dies sicherlich nicht nur, weil die Autorin darin einen Familienzwist vor den Augen des Lesers ausgebreitet hatte, sondern auch, weil sie den Nationalstolz der Peruaner empfindlich verletzt hatte. Im Hinblick auf die Kreolinnen beschrieben die europäischen Autorinnen nicht nur äußere Erscheinungen, sondern berichteten auch über Mentalitäten, Verhaltensnormen und Wertvorstellungen. Hinsichtlich der Frauen der unteren Schichten, d.h. der farbigen Bevölkerung, waren solche Einblicke wegen sozialer und kultureller Barrieren allerdings schwerer zu gewinnen. Hier fielen daher die Berichte spärlicher aus. Soweit über die Negerbevölkerung berichtet wurde, stand die Sklaverei im Vordergrund der Betrachtungen, handelte es sich bei ihr doch um eine Institution, die nicht nur in Amerika, sondern auch im zeitgenössischen Europa heftig umstritten war. Als Flora Tristan ihre Perureise antrat, diskutierte das englische Parlament die Aufhebung der Sklaverei, und auch in Frankreich be-

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faßte sich die Öffentlichkeit in den zwanziger und dreißiger Jahren mit der Sklavenfrage, die in den Kolonien ein noch immer ungelöstes Problem darstellte. Flora Tristan und auch Fredrika Bremer waren daher bereits bei ihrer Ankunft in Kuba bzw. in Peru mit der Sklavenfrage bekannt, und beide waren grundsätzlich Gegner der Sklaverei17. Ihre Haltung begründeten sie allerdings unterschiedlich. Flora Tristan berief sich auf die Tradition der Aufklärung, die 1794 im Konvent zum Verbot der Sklaverei geführt hatte, ohne daß die gesetzliche Regelung späterhin im französischen Kolonialreich in die Praxis umgesetzt worden war. Die Verfasserin befürwortete jedoch keine radikale Lösung; sie trat vielmehr für eine stufenweise Aufhebung der Sklaverei ein, nach welcher die Sklaven jeweils vor Vollendung des 20. Lebensjahres freigelassen und handwerklich oder landwirtschaftlich ausgebildet werden sollten, ehe sie die volle Freiheit erhielten, um sie dann sinnvoll in die Gesellschaft eingliedern zu können (Tristan 1838, Bd. II, 412). Wieder kam hier der Gedanke einer stufenweisen Entwicklung durch Erziehung zum Ausdruck, während Fredrika Bremer uneingeschränkt die Beseitigung der Sklaverei als einer Institution forderte, die sie für unvereinbar mit der christlichen Lehre hielt (Bremer 1981, 190f.). Der kreolische Haushalt und die Plantage waren diejenigen Bereiche, in denen die Europäerinnen mit Sklavinnen zusammentrafen. Dabei fanden die Haussklavinnen weniger Beachtung, so daß angenommen werden kann, daß ihr Schicksal nicht als unerträglich angesehen wurde. Flora Tristan gewöhnte sich im Haus ihres Onkels in Arequipa offensichtlich sogar recht schnell an die persönlichen Dienstleistungen der Haussklavinnen. Vielmehr konzentrierte sich das Mitgefühl und das Interesse der Europäerinnen auf diejenigen Sklavinnen, die zur Plantagenarbeit herangezogen wurden. So beschrieb Fredrika Bremer die Frauenarbeit auf einer kubanischen Zuckerrohrplantage, wo die Sklavinnen in einem Rhythmus von sieben Stunden Arbeit und sechs Stunden Ruhe lebten. Hier wurden sie nicht zur Feldarbeit eingesetzt, sondern mußten, angetrieben von einem peitschenschwingenden Aufseher, das in der Zuckermühle zerquetschte Rohr zum Trocknen auf dem Boden ausbreiten und es dann zur Fabrik zurücktragen, wo es als Heizmaterial zum Sieden des Zuckers verwendet wurde. Die Erschöpfung der Sklavinnen erkannte Fredrika Bremer an den müden Schritten und an den Gesängen "que, al venir del trapiche, carectan de toda melodia y müsica" (Bremer 1981, 78). Flora Tristan stellte beim Aufenthalt auf einer der größten peruanischen Zuckerrohrplantagen in der Nähe von Lima zunächst allgemein fest, daß hier auch Frauen und Kinder arbeiteten. Sie ging zwar nicht näher auf die Art der Plantagenarbeit ein, wandte sich aber den verheerenden Folgen dieser Form der Sklaverei zu. Sie beschrieb einen Besuch in der Gefängniszelle der Plantage, in

l7 In Fanny Calderón« Berichten spielte dieses Problem dagegen keine Rolle, da in Mexiko die Sklaverei abgeschafft und überdies die Anzahl der Neger im zentral-mexikanischen Hochland, wo sich die Verfasserin aufhielt, gering war.

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der zwei Negerinnen eingeschlossen waren, die ihre Kinder hatten verhungern lassen, um ihnen das Schicksal der Sklaverei zu ersparen. Flora Tristan enthielt sich eines moralischen Urteils über diese Handlungsweise und sah hier eher den Ausdruck ungebrochenen Freiheitswillens in einer sonst ausweglosen Situation: "Sous cette peau noire, il se rencontre des âmes grandes et fiéres [...] il s'en trouve d'indomptables" (Tristan 1838, Bd. II, 418). In Kuba interessierte sich Fredrika Bremer besonders für das Familienleben der Sklaven. Die Familienbande auf den Plantagen fand sie locker und wenig haltbar: "Los hombres y las mujeres se juntan y se separan según su gusto y capricho. Cuando una pareja ha vivido junto un tiempo y se cansan el uno del otro, uno de ellos le da al otro motivo de descontento y entonces se separan" (Bremer 1981, 104). Die Frage, ob dieses Verhalten mit dem Aufbrechen der alten Stammes- und Familienbindungen in Zusammenhang stünde, wurde von ihr nicht gestellt. Sie fällte aber auch kein moralisches Urteil, obwohl sie unverkennbar vom Ideal der christlichen Einehe ausging. Wo sie dieses Ideal verwirklicht fand, wie bei einem alten Sklavenehepaar, das bereits lange Zeit zusammenlebte, schilderte sie diese Bindung in romantischer Verklärung als eine Insel des Friedens und der Harmonie "en medio del desorden salvaje del barracón" (Bremer 1981, 105). Über persönliche Eindrücke hinausgehend, enthalten die Reiseberichte Zahlenangaben, die Aufschluß über den Anteil von Frauen an der Sklavenbevölkerung geben und, in einem allgemeineren Rahmen, auch Rückschlüsse auf die Bedeutung des Sklavenhandels für die Plantagen in Peru und auf Kuba erlauben. Flora Tristan erfuhr bei ihrem Besuch auf der Zuckerrohrplantage in der Nähe von Lima, daß hier nach Auskunft des Plantagenbesitzers 300 Frauen, 400 Männer und 200 "jämmerliche Kinder" lebten. Den drastischen Rückgang von früher 1.500 auf nunmehr 900 Sklaven führte der Eigentümer auf Abtreibungen und auf die hohe Kindersterblichkeit zurück, der dreiviertel aller Kinder unter zwölf Jahren zum Opfer fielen. Die Kindersterblichkeit versuchte der Sklavenbesitzer mit der Trägheit und der mangelnden Fürsorge der Eltern zu erklären, während die Besucherin die schlechten Lebensbedingungen der Sklaven dafür verantwortlich machte, daß kein Gleichgewicht zwischen Todesfällen und Geburten erreicht wurde (Tristan 1838, Bd. II, 403f.). Aus Kuba berichtete Fredrika Bremer von einer radikalen Anwendung des "Buy-not-breed"-Systems. Sie schrieb, daß es auf der Insel Plantagen gäbe, auf denen nur männliche Sklaven, also keine Frauen und Kinder, lebten. Die Besitzer kalkulierten, daß ein Sklave bereits dann gewinnbringend sei, wenn er sieben Jahre auf der Plantage gearbeitet hätte, und daß die durch Tod entstehenden Lücken leicht durch den Ankauf von neuen Sklaven aus Afrika gefüllt werden könnten (Bremer 1981, 102). So demonstrieren die Reiseberichte, daß die Plantagenbesitzer auf den Sklavenhandel angewiesen waren, wenn sie die Zahl ihrer Sklaven halten wollten. In beiden Ländern, dem noch unter spanischer Herrschaft stehenden Kuba und der unabhängigen Republik Peru, war jedoch in dieser Spätzeit der Sklaverei der Sklavenhandel bereits offiziell verboten. Die Wirkung des

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Verbotes war allerdings unterschiedlich, wie die Reiseberichte bezeugen. Flora Tristan erfuhr in Peru im Jahre 1831 von erheblichen Behinderungen des Sklavenhandels. "L'impossibilité de se procurer de nouveaux nègres est désespérante" (Tristan 1838, Bd. II, 403), kommentierte der Plantagenbesitzer den Rückgang der Sklavenbevölkerung. Ganz andere Beobachtungen machte Fredrika Bremer, die 1851 auf Kuba einen letzten Aufschwung des Sklavenhandels erlebte (Corwin 1967, 104ff.). Sie berichtete, wie mit Duldung der bestochenen Behörden illegal Hunderte von Negern in Havanna an Land gebracht und, wenn auch nicht mehr auf einem öffentlichen Sklavenmarkt, so doch privat, verkauft würden (Bremer 1981, 75). Durch den ständigen Zustrom werde der Preis relativ niedrig gehalten und der Ankauf neuer Sklaven durch die Plantagenbesitzer ermöglicht (Bremer 1981, 102). In einem Veigleich zwischen der Sklaverei auf Kuba und in den USA hob Fredrika Bremer hervor, daß die gesetzlichen Bestimmungen für den Freikauf auf Kuba günstiger seien als in den Vereinigten Staaten. Als einen der Wege in die Freiheit nannte sie die Möglichkeit, daß Sklavinnen ihre ungeborenen Kinder freikaufen könnten, wenn sie 15 Dollar aufbrächten, die Hälfte des Preises, der für ein neugeborenes Kind zu bezahlen war. Die Verfasserin räumte jedoch ein, daß auf den Plantagen nur selten das nötige Geld für Freikäufe zusammenkäme, während dies in den Städten häufiger der Fall sei (Bremer 1981, 74ff.). Der Appell, den Fredrika Bremer beim Verlassen der Insel im Blick auf die Sklavinnen an die Weißen richtete, lautete: "La obligación de éste (del hombre blanco) es de liberarlas" (Bremer 1981, 190). Die Distanz der Europäerinnen gegenüber den Indianerinnen war größer als der Abstand gegenüber den Frauen afrikanischer Herkunft. Die Schwarzen waren durch ihren Status als Sklavinnen an die Wohnstätten der Weißen, an deren Wohnhäuser und Plantagen gebunden, so daß sich auf diesem Raum ein wenn auch erzwungenes Zusammenleben ergab, das den europäischen Berichterstatterinnen als Gästen der weißen Oberschicht die Möglichkeit zu eingehenderen Beobachtungen, gelegentlich auch zu Gesprächen mit den Sklavinnen gab. Eine solche Nähe bestand zu den Frauen der autochthonen Bevölkerung nicht. Auch fehlte den Autorinnen eine aktuelle Motivation, wie sie für die Beschäftigung mit der schwarzen Bevölkerung dadurch vorlag, daß die Institution der Sklaverei zeitgenössisch heftig umkämpft war. Im Hinblick auf die Frauen der indianischen Bevölkerung, die sowohl in Mexiko als auch in Peru die Mehrheit des Staatsvolkes bildete, sind die Werke von Fanny Calderón und Flora Tristan daher wenig ergiebig. Eine Ausnahme ist der Bericht von Flora Tristan über die Indianerinnen, welche die peruanischen Bürgerkriegsarmeen begleiteten. Flora Tristan konnte diese sogenannten rabonas aus nächster Nähe beobachten, als die Truppen des Generals Nieto in der Nähe von Arequipa kampierten (Tristan 1838, Bd. II, 120ff. u. 229). Die Verfasserin berichtete, daß jeder indianische Soldat eine oder mehrere Frauen mitnähme, die ihn während des Feldzuges versorgten. Diese rabonas eilten der Armee jeweils mehrere Stunden voraus, um den Lagerplatz vorzubereiten,

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Brennholz zu sammeln, durch Drohungen oder Raub Nahrungsmittel aus den umliegenden Dörfern zu beschaffen und die Mahlzeiten zu kochen. Sie wuschen die Wäsche der Soldaten, pflegten die Verwundeten und versteckten nach verlorener Schlacht die Geflohenen (Tristan 1838, Bd. II, 236). Auf dem Rücken oder mit Hilfe eines Maultieres transportierten sie nicht nur Zelte und Haushaltsgeräte, sondern häufig auch die Gewehre der Soldaten. Die Versorgung der Armee lag auf diese Weise zum großen Teil in den Händen der rabonas. Versuche der Armeeführer, diesen Troß abzuschaffen, waren am Widerstand der Soldaten gescheitert, die kein Vertrauen in eine ausreichende Versorgung durch die Militärverwaltung setzten. Das Erscheinungsbild der rabonas wurde von Flora Tristan wenig schmeichelhaft gezeichnet. Ihre Züge seien durch die Entbehrungen der Feldzüge geprägt, die Augenlider ausgefranst, die Haut durch die Sonne des Hochlandes versengt und durch die Kälte der Kordilleren gegerbt, die dürftige Kleidung bestünde aus einem kurzen Wollrock und einer Art Poncho aus Schaffell. Die rabonas bedienten sich der Indianersprachen, sie benutzten kein spanisches Wart, sie verehrten die Sonne, beachteten jedoch keinerlei religiöse Riten, sie seien nicht verheiratet und folgten demjenigen, der sie haben wolle. "Ce sont des créatures en dehors de tout" (Tristan 1838, Bd. II, 122). Das Thema der rabonas nahm Flora Tristan zum Anlaß für einen anthropologischen Exkurs. Sie führte an, daß die Indianerinnen im Gegensatz zu den indianischen Soldaten die Entbehrungen und Gefahren der Feldzüge freiwillig auf sich nähmen und damit größeren Mut bewiesen als die Männer. Die Verfasserin wertete dies wiederum als Beweis für die Überlegenheit der Frau in der Kindheitsstufe der Menschheit und schloß daran die Frage, ob nicht diese ursprüngliche, natürliche Überlegenheit auch bei den zivilisatorisch fortgeschrittenen Völkern wieder in Erscheinung treten würde, wenn beiden Geschlechtern die gleiche Erziehung zuteil würde. Damit mündete die Argumentation von Flora Tristan in ein Plädoyer für die Gleichberechtigung der Frau". Derartige Überlegungen, die von Evolutionstheorien und Vorstellungen des frühen Feminismus ausgingen, machen die europäische Perspektive, das europäische "Reisegepäck" der Verfasserin sichtbar. Daneben aber enthält der Bericht über die rabonas auch konkrete Angaben, die, eigänzt durch andere Reiseberichte, Einblick in die Verhältnisse des von Bürgerkriegen heimgesuchten Peru geben. Die Autorin beobachtete nämlich, daß jeder Soldat ein bis vier Frauen mitführte. Drei Jahre später (1835) bezifferte der Schweizer Johann von Tschudi

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Zu einem ganz anderen Urteil gelangt Tschudi, der Untertänigkeit und Unterwürfigkeit gegenüber den Soldaten als Charakteristikum der rabonas bezeichnet (Tschudi 1846, Bd. I, 86-87).

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beim Einzug der Truppen des Generals Santa Cruz in Lima die kämpfende Truppe auf 7.000 Soldaten und die rabonas auf 6.000". Überdies zitierte er die Äußerung eines peruanischen Generals, der in Peru um keinen Preis einen Feldzug unternehmen wollte, "wenn bei seinen Truppen nicht ebensoviele Weiber als Männer wären" (Tschudi 1846, Bd. I, 86). Übereinstimmend bezeugen diese Aussagen, daß Frauen indianischer Herkunft ein fester und zahlenmäßig großer Bestandteil der peruanischen Bürgerkriegsarmeen waren. In Mexiko stand diese Entwicklung erst am Anfang. Zwar erblickte Fanny Calderón 1851 anläßlich eines pronunciamiento im Troß ebenfalls Indianerinnen, die Ausrüstungsgegenstände der Soldaten transportierten, sowie einige bewaffnete Frauen bei der kämpfenden Truppe, doch handelte es sich in beiden Fällen nur um eine geringe Anzahl (Calderón 1966, Sil). Hier sollte die Teilnahme von Frauen an den Feldzügen erst in der Revolution von 1911-1917 einen Höhepunkt erreichen. Schließlich sind die Berichte über die rabonas auch bevölkerungsgeschichtlich aufschlußreich. Die Zahlenangaben, zusammen mit dem Hinweis, daß die rabonas Kinder jeglichen Alters mitführten (Tristan 1838, Bd. II, 121), lassen darauf schließen, daß hier beträchtliche Gruppen der indianischen Bevölkerung in Bewegung gerieten. Eine Rückkehr in die Heimatorte dürfte wegen der Entfremdung von früheren Lebensgewohnheiten und der oftmals großen Entfernungen gerade für Frauen schwierig gewesen sein, so daß die Annahme naheliegt, daß diese Form der Mobilisierung weitreichende Entwurzelungen und Verschiebungen innerhalb der indianischen Bevölkerung zur Folge hatte. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse wird mit der Feststellung beginnen müssen, daß die Reiseberichte kein umfassendes Bild von der Lebenswelt der Frauen, sei es in Peru, Mexiko oder Kuba, vermitteln. Schon in der Auswahl, die von den Autorinnen getroffen wurde, lag eine starke Begrenzung, denn über die Frauen der unteren Schichten, die zumeist nach ethnischer Abkunft klassifiziert wurden, erfahrt der Leser relativ wenig. Sie wurden vor allem dann in die Betrachtungen einbezogen, wenn sie etwas "Absonderliches", für die Europäerinnen Ungewohntes darstellten. Bei den Negerinnen war es der Status der Sklaverei, der das Interesse und das Mitgefühl der Autorinnen weckte; bei den Indianerinnen zogen die rabonas, der bizarre Troß der peruanischen Armeen, die Aufmerksamkeit der Reisenden auf sich. Die große Gruppe der Mestizinnen fand kaum Beachtung. Vielmehr konzentrierten sich die Betrachtungen auf die Frauen der kreolischen Oberschicht, d.h. auf das soziale Milieu, das den Verfasserinnen im spanischen Amerika am ehesten zugänglich war. Hier fielen die Beobachtungen nahezu einheitlich, ohne regionale Unterschiede aus. Die Kreolinnen wurden als Frauen geschildert, deren Lebensform weitgehend traditionell bestimmt sei, die

"Tschudi 1846, Bd. I, 85. Noch im späten 19. Jahrhundert berichtete der US-Amerikaner George Squier, daß jeder peruanische Soldat von einer rabona begleitet würde (Squier 1877, 46).

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als Ehefrauen und Mütter geschätzt würden, die an Haus und Familie gebunden und in dieser Stellung zugleich beschützt und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeengt seien. Zwar werde dieser Rahmen in Lima durch die tapadas gesprengt, doch stelle diese Abweichung keine Neuerung, vielmehr eine jahrhundertelange Gewohnheit dar. Erwerbstätigkeit von Frauen dieser Schicht sei zwar nicht unmöglich, aber ungewöhnlich und im Ganzen unerwünscht. Der Eintritt ins Kloster gelte als standesgemäße Alternative zur Ehe, wie überhaupt die religiösen Bindungen und damit der Einfluß der Kirche auf die Frauen stark geblieben seien. Ganz andere Vorstellungen von der Rolle, die der Frau in der Gesellschaft zukommt, brachten die Europäerinnen in das spanische Amerika mit. Sie plädierten für die Übernahme von Aufgaben auch außerhalb von Haus und Familie durch karitative Arbeit oder Berufstätigkeit, und vor allem für den Erwerb von Bildung als einem Weg zu größerer Eigenständigkeit der Frau. Aus dieser Konzeption ergab sich ihre Kritik an der Stellung der Kreolinnen, die sie durch mangelnde Selbständigkeit und ungenügende Möglichkeiten, aber auch durch fehlende eigene Impulse in der Entfaltung der Persönlichkeit eingeschränkt sahen. Allerdings unterschätzten die Europäerinnen dabei die Bedeutung der Familie in der spanisch-amerikanischen Gesellschaft, die sich weit in ökonomische und politische Bereiche erstreckte und damit auch der Frau als Mittelpunkt der Familie Einflußmöglichkeiten öffnete, die über den privaten Bereich hinausgingen (Lavrin 1978, 6 u. IS). Auch vergaßen die Autorinnen nicht selten, daß die von ihnen aufgestellten Forderungen in der eigenen Heimat und in einem veigleichbar sozialen Milieu noch keineswegs erfüllt waren. Sie akzentuierten daher die Andersartigkeit der Verhältnisse zu scharf. Als Tatsache wird man den Reiseberichten jedoch entnehmen können, daß die Stellung der Kreolin in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch weitgehend durch überkommene Wertvorstellungen und Verhaltensweisen geprägt und durch Kontinuität, nicht durch Wandel, gekennzeichnet war.

Resumen Las relaciones de viajeras europeas durante la primera mitad del siglo XIX, que se refieren a la situación de las mujeres en países hispanoamericanos — Perú, México y Cuba —, tratan sobre todo de la mujer criolla, perteneciente a la capa alta de la sociedad. Las mujeres de las capas bajas, es decir de la población de color, figuran en segundo lugar, despertando mayor interés sólo cuando ofrecen algo excepcional y extraño para las europeas, tal como las esclavas negras en Cuba o las "rabonas" indianas, compañeras de los soldados peruanos. En los relatos de viaje, las criollas — con excepción de las "tapadas" limeñas — aparecen como mujeres cuya forma de vida era condicionada por tradiciones: eran considerados como esposa y madre, limitadas a las tareas de casa y de familia, estando en esta posición tanto protegidas como restringidas en sus actividades. Sólo el convento les ofrecía según las pautas de la sociedad criolla una alternativa equivalente al matrimonio.

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Las autoras — todas ellas mujeres intelectuales provenientes de la burguesía europea — tenían otras nociones del papel que la mujer debería cumplir. Abogaban por una vida más activa, por la participación en la vida pública y sobre todo por la mejora de la educación feminina como camino de la emancipación. Opinaban que a la mujer criolla no sólo le faltaban las ocasiones, sino también los impulsos propios para desarrollar su personalidad. Las europeas, cuando esbozaron la imagen de la criolla como mujer pasiva y de muy reducido radio de acción, ignoraban la importancia de la familia, que en la sociedad hispanoamericana llegaba hasta los terrenos económicos y políticos, ofreciendo también a las mujeres la posibilidad de ejercer influencia fuera de la zona privada. Además, las viajeras europeas olvidaron a menudo que las exigencias que formularon respecto a las mujeres hispanoamericanas aún no se habían realizado en sus propios países.

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Geschichtsverständnis und Nationalismus in der bolivianischen Revolution* 1. Der "Movimiento Nacionalista Revolucionario" Revolutionen, die zum Sturz der politischen Gewalten führten, sind in Lateinamerika seit dem Beginn der nationalen Epoche so häufig gewesen, daß sie als typisch tur diese Staatenwelt gelten können. Das Bild ändert sich jedoch, sobald über den gewaltsamen Regierungswechsel hinaus Veränderungen der Wirtschafts- und Sozialstruktur als notwendiges Kriterium revolutionärer Vorgänge angesehen werden. Unter einer solchen Perspektive reduziert sich die Zahl der lateinamerikanischen Revolutionen auf ein sehr geringes Maß. Im 20. Jahrhundert verdienen dann nur noch die mexikanische, die kubanische und die zeitlich zwischen ihnen liegende bolivianische Revolution von 1952-1964 diese Bezeichnung. Die Tatsache, daß die bolivianische Revolution einen der wenigen wirklichen Brüche mit alten Ordnungen in Lateinamerika darstellt, macht sie zu einem wichtigen Ereignis der Zeitgeschichte. Die Distanz zu ihr ist noch gering, doch läßt sich ihr Ablauf bereits übersehen, da sie 1964 mit dem Zerfall des Movimiento Nacional Revolucionario, derjenigen Partei, die Träger der Revolution war, und mit dem Sturz des Präsidenten und Parteiführers Paz Estenssoro zu einem zumindest vorläufigen Abschluß kam. Die Vorgeschichte dieser Revolution geht in direkter Linie zurück zum Chacokrieg der Jahre 1932-1935. Die unerwarteten militärischen Niederlagen im Kampf gegen Paraguay und der Verlust des umstrittenen Gebietes führten in politischen Kreisen wie in den Reihen der jüngeren Offiziere Boliviens zu gründlicher Desillusionierung und zur Forderung nach Reformen, die sich nicht auf einen personellen Wechsel in der Führung des Staates und der Armee beschränken, vielmehr das Wirtschaft- und Sozialgefüge des Landes umgestalten und die staatsbürgerlichen Rechte auf alle Teile der Bevölkerung ausdehnen sollten. Die alten Parteien, die zudem mit dem Odium des verlorenen Krieges behaftet waren, erschienen ungeeignet zur Verwirklichung solcher Pläne. So kam es in den Jahren nach dem Chacokrieg zur Bildung neuer Parteien mit sozialistischen, indigenistischen und nationalistischen Tendenzen verschiedener Prägung (Alexander 1958; Klein 1965). Eine dieser Gründungen war der Movimiento Nacionalista Revolucionario, der 1942 von einer Gruppe jüngerer Politiker, Advokaten, Professoren, Publizisten ins Leben gerufen wurde. 1943-1946 war die Partei bereits an einer Regierung beteiligt, die die für die Jahre nach dem Chacokrieg typische Verbindung zwischen reformbereiten Offizieren der

*In: Jahrbuch filr Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas (1967), 726-746.

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Generación del Chaco und Vertretern der neuen Parteien aufwies. Diese Phase endete 1946 mit dem Sturz und der Ermordnung des Präsidenten Villaroel. Es folgte eine politische Restauration, in der die traditionellen liberalrepublikanischen Parteien und ihnen nahestehende Militärs wieder die Staatsgewalt übernahmen. In den regulären W&hlen des Jahres 19S1 setzte sich der M.N.R., nach einem mißglückten Versuch, auf dem Wege des gewaltsamen Umsturzes zur Regierung zu gelangen, mit dem Stimmzettel durch. Die Partei gewann die Wahlen gewissermaßen aus dem Exil, da sich ihre führenden Persönlichkeiten als Flüchtlinge im Ausland befanden. Als die herrschende Militärjunta dem gewählten Präsidenten Paz Estenssoro die Rückkehr und den Amtsantritt verweigerte, wurde sie durch einen Aufstand gestürzt. Im April 1952 übernahm Paz Estenssoro das Amt des Präsidenten. Zugleich wurde der M.N.R. Träger einer Ein-Parteien-Regierung (Céspedes 1956, 218-252; Peñaloza Cordero 1963; Héctor 1964, 135-148). In schneller Folge wurde das Wahlprogramm verwirklicht: Noch 1952 wurde das allgemeine, gleiche W&hlrecht eingeführt und damit die indianische Bevölkerung — rund 80 % der Gesamtbevölkerung — qualifiziert, die bis zu diesem Zeitpunkt durch die Bindung der Stimmberechtigung an Lese- und Schreibfähigkeit und an ein Mindesteinkommen praktisch ausgeschlossen war. Im gleichen Jahr wurde mit den drei großen bolivianischen Zinnbergbaugesellschaften Patiño, Hochschild und Aramayo der einzige große Industriezweig des Landes verstaatlicht. 1953 folgte die Enteignung des Großgrundbesitzes, der im Hochland und seinen Randgebieten die vorherrschende Form der Landhaltung war. Anschließend begann die Neuverteilung des Bodens, der teils als Privatbesitz an die indianischen Landarbeiter, teils als Kollektivbesitz an indianische Dorfgemeinden überging. Die Sozialstruktur des Landes wurde durch diese Maßnahme weitgehend umgestaltet. Die bisherige Oberschicht, die sich auf Bergwerks- und Großgrundbesitz gestützt hatte, verlor ihre dominierende Stellung. Die Masse der Landbevölkerung stieg aus dem Status des halbfreien Arbeiters zu dem des Grundbesitzers oder Nutznießers des enteigneten Bodens auf. In den verstaatlichten Minenbetrieben gewannen die Bergarbeiter durch ihre Syndikate nicht nur Mitspracherecht, sondern den entscheidenden Einfluß auf die Gestaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Durch die von der Revolution stoßweise und ohne ausreichende Vorbereitung durchgeführten Veränderungen entstanden sofort neue Probleme: Die Zinnproduktion sank und wurde nahezu unrentabel; die landwirtschaftliche Erzeugung ging soweit zurück, daß die Einfuhr von Grundnahrungsmitteln in größerem Umfang notwendig wurde; inflatorische Tendenzen wuchsen lawinenartig. Wohl spricht manches dafür, daß es sich zumindest beim Absinken der Produktion um Übergangserscheinungen handelte. In jedem Fall aber hat die Regierung diese Fehlentwicklungen nicht schnell und wirksam genug korrigieren können. Angesichts des wirtschaftlichen Rückganges wurde es zunehmend schwieriger, die heterogenen Elemente zusammenzuhalten, die sich im

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M.N.R. verbunden hatten. Die Bergarbeitei^ewerkschaften unter Führung von Juan Lechin, die von Anfang an mehr in einem Verhältnis der Kooperation als der Zugehörigkeit zur Partei gestanden hatten, verfochten radikalere Tendenzen auf dem Gebiet der Wirtschafte- und Sozialpolitik als die gemäßigtere Führungsgruppe der Partei um Paz Estenssoro und Siles Zuaso1. Unstimmigkeiten zwischen beiden Richtungen über den außenpolitischen Kurs, vor allem über das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, sowie persönliche Zerwürfnisse zwischen dem Präsidenten Paz Estenssoro und dem Vizepräsidenten Lechín wegen der Kandidatur für die heranrückenden Präsidentschaftwahlen führten 1963/64 zum Bruch und zu offenen Kämpfen in den Bergbaugebieten. Im städtischen Mittelstand, dessen untere Schichten den Kern der M.N.R.-Gefolgschaft gebildet hatten, verlor die Partei Boden wegen der negativen wirtschaftlichen Entwicklung, vor allem wegen der zunehmenden Inflation. Die Masse der indianischen Landbevölkerung, die positiv zum Regime stand, war politisch noch zu wenig aktiv, um ein wirksames Gegengewicht zu den in die Opposition drängenden Kräften zu bilden. Unter diesen Umständen sah sich der M.N.R. genötigt, sich immer stärker auf die Armee zu stützen, die in den ersten Jahren der Revolution völlig aus dem politischen Leben ausgeschaltet worden war. Als auch diese sich als unzuverlässig erwies, ging die Zeit des M.N.R. zu Ende. Im November 1964 wurde Präsident Paz Estenssoro gestürzt und die Staatsgewalt von Angehörigen der Streitkräfte übernommen. Die Partei, die zwölf Jahre hindurch Träger dieser Revolution war, ist nicht mit einer festgefügten Ideologie hervorgetreten. Es ist jedoch selbstverständlich, daß die weitreichenden Maßnahmen zur Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft, die nicht nur als Programm aufgestellt, sondern tatsächlich verwirklicht wurden, ihren ideologischen Hinteigrund hatten und nicht ohne theoretische Begründungen erfolgten. Bereits der Name des Movimiento Nacionalista Revolucionario deutet auf die ideologische Komponente hin und spezifiziert sie dahingehend, daß die Partei den Nationalismus als eine Haupttriebkraft ihres Handelns ansah. Nationaler Enthusiasmus als Positivum und als unbedingtes Erfordernis, mangelnder Nationalismus dagegen als moralischer Defekt — so etwa wird man die Haltung der bolivianischen Revolution charakterisieren können. Skepsis und "Kritik an den Krankheitssymptomen des Nationalismus" (Schieder 1966, 59), wie sie sich im zeitgenössischen Europa ausgebreitet haben, fehlten in dieser Gedankenwelt. Im folgenden soll der Nationalismus der bolivianischen Revolution unter der Frage nach seinem Geschichtsbild untersucht werden. Die Problemstellung liegt für den Historiker nahe, ist aber auch dem Gegenstand angemessen; gehört es doch zu den typischen Erscheinungen des Nationalismus, daß er sich an Entwicklungen der nationalen Geschichte, an ihren Höhe- und Tiefpunkten, orien-

'Hernán Siles Zuaso, bolivianischer Staatspräsident von 1956-1960 zwischen den Amtsperioden von Paz Estenssoro.

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tiert. In der bolivianischen Revolution war die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit so stark, daß ein ausländischer Beobachter dieses Phänomen mit den Warten kennzeichnete: "History is the key to the modern Bolivian Revolution" (Arnade 1962, 334). Schwierigkeiten für die Untersuchung eigaben sich aus der Tatsache, daß dieses Geschichtsverständnis der Revolution nicht uniform war. Da der M.N.R. keine geschlossene Partei, sondern eine Sammelbewegung heterogener Elemente darstellte, und da sich unter seinen führenden Persönlichkeiten kein Theoretiker befand, der den Versuch einer Systematisierung des politischen Denkens und einer Vereinheitlichung auf ideologischer Ebene unternommen hätte, gab es auch kein verbindliches und homogenes Geschichtsbild. Gleichwohl lassen sich einheitliche Grundzüge in der Interpretation der Vergangenheit durch die Revolution feststellen.

2. Indigenistische Geschichtsbetrachtung und ihre Funktionen innerhalb des Nationalismus Eines der Kennzeichen dieses Geschichtsbildes ist der Indianismus. Er reicht in Bolivien in die Anfange unseres Jahrhunderts zurück und gewann in den 20er Jahren deutliche Konturen2. Die Zeit nach dem Chacokrieg brachte frische Impulse, nicht zuletzt angesichts der Tatsache, daß der indianische Soldat die Hauptlast des Kampfes gegen Paraguay getragen hatte, und die Einbeziehung indigenistischer Tendenzen in die Programme und Vorstellungen neu entstehender Parteien, unter ihnen des M.N.R. Soweit sich dieser Indigenismus der Vergangenheit zuwendet, ist ihm der Indio Schlüsselfigur und Protagonist der Geschichte. Allerdings beschränkt sich die Betrachtung im bolivianischen Bereich auf den Hochlandindianer. Der Tieflandindianer wird fast völlig übergangen, sei es, daß dies unter dem Eindruck der zahlenmäßigen Überlegenheit des Hochlandindianers oder unter der Vorstellung geschieht, daß die Schöpfer der andinen Hochkulturen und ihre Nachkommen ein lohnenderes Betrachtungsobjekt sind als die Angehörigen "primitiverer" Kulturen im östlichen Tiefland. Jedenfalls sind es die Hochlandindianer, die in diesem Indigenismus als pars pro toto gesetzt, deren Leistungen und Institutionen in Form der Apotheose dargestellt und für deren Kulturen und Reiche Alter und Authentizität in Anspruch genommen werden. So fordert Fernando Diez de Medina, 1948 Gründer einer indigenistischen Partei, später

Begründer und Vertreter des modernen Indigenismus in Bolivien sind Franz Tamayo 1910 (1944 unter der Regierung Villaroel neu herausgegeben); Tristän Maroff (Pseudonym für Adolfo Navarro) 1926; Jaime Mendoza 1925 und 193S. Selbständige Studien über den Indianismus in Bolivien fehlen. Er wird behandelt bei Fancovich 19S6, 114-126, sowie in dem ausgezeichneten Überblick Gber die bolivianische Geschichtsschreibung von Arnade 1962, 353-375.

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Mitglied des M.N.R. und 1956/57 bolivianischer Erziehungsminister3, eine stärkere Berücksichtigung der indianisch geprägten Phasen der Vergangenheit im modernen Geschichtsbild und tadelt Soziologen und Historiker wegen Vernachlässigung dieses Aspektes: Su visión corta comienza en la República ignorando que antes fueron la Colonia, el Incario, los Imperios Kollas, la Gesta Andina, núcleos vivos, centros de irradiación espiritual que atestiguan nuestra antigüedad [...] (Diez de Medina 1956, 36). Vorbilder für stabile wirtschaftliche, politische und soziale Ordnungen sind ihm nicht europäische Modelle, sondern indianische Organisationsförmen: Ese sentimiento de orden, esas instituciones permanentes, esa hierarquía de valores políticos no hay que buscarlos [...] en los Castillos de Normandía ni en los Jardines de Le Nôtre, sino en Palenque, Cuczco, Tiahunanku donde se levantaron los imperios autóctonos más regulares del pasado. Un sólo botón de muestra: mil años antes que Pizarra descubriera el Gran Perú, los kollas o aimaras del Ande Boliviano se regían por instituciones agrarias organizando sabiamente sociedad y economía" (Diez de Medina 1958, 74). Roberto Prudencio, in der Oppositionsphase des M.N.R. eine der führenden im Lande verbliebenen Persönlichkeiten der Partei, Herausgeber der Zeitschrift Kollasuyo, die von 1939 bis 1951 ein Forum für die Diskussion indigenistischer Themen war, verlegt den Schwerpunkt des indianischen Geschichtsbildes in die Kolonialzeit. Unter den patriarchalischen Herrschaftsformen der spanischen Krone und unter dem Schutz der Kirche seien die Eigenarten des Indio nicht nur bewahrt, sondern weiter entwickelt worden, während er Protektion und Förderung in der Zeit der Republik verloren hätte''. Solche in der Bewertung der einzelnen Phasen der bolivianischen Geschichte unterschiedlichen, in der Revalorisation des Indianers jedoch übereinstimmenden Geschichtsvorstellungen waren (und sind) weit über den M.N.R. hinaus in der Vorstellungswelt der bolivianischen "Intelligenz" verbreitet. Mit Diez de Medina und Prudencio schlössen sich zwei der prominentesten Vertreter dieses kulturellen Indigenismus zumindest vorübergehend der Partei an. Andere, kaum weniger bekannte Vertreter des Indianismus gingen keine Verbindung mit ihr ein, haben aber als Interpreten der Bedeutung des Indianers für Bolivien in

'Diez de Medina trat 195S dem M.N.R. bei. 1960 wurde er wegen "Abweichungen von der Parteilinie" ausgeschlossen (Diez de Medina 1962, 217-250). 4 Die Veröffentlichungen von Prudencio finden sich verstreut in der Zeitschrift Kollasuyo. Vgl. in diesem Zusammenhang Prudencio 1939. Prudencio schied 1946aus dem M.N.R. aus. 1961 wird er als Mitglied der "Falanje Socialista Boliviana" bezeichnet.

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Vergangenheit und Gegenwart die Vorstellungen der Revolution deutlich beeinflußt5. Die Tendenz, den Indio als repräsentativ für die eigene Vergangenheit anzusehen, gibt der indigenistischen Geschichtsbetrachtung ihren Platz im Nationalismus: Der Rückgriff auf "Indoamerika" bietet die beste Möglichkeit zur Betonung eigenständiger Entwicklungen und damit zur Differenzierung gegenüber der Alten Welt, zur Einschränkung der europäischen Komponente im Vferdegang der Nation. Die historische Analyse ist hier Teil einer geistigen Absetzbewegung und Unabhängigkeitserklärung gegenüber Europa6. In ihrer indianistischen Prägung ist diese Geschichtsdeutung eine spezifische Ausdrucksform des kulturellen Nationalismus der Neuen Welt. Als eine mehr an Wunschbildern denn an Tatsachen orientierte Rückbesinnung auf vergangene Blütezeiten, als Suche nach Unterscheidungsmerkmalen gegenüber anderen Völkern gerade in "primitiven, uralten Tiefen und Eigentümlichkeiten" ist sie zugleich eine generelle, über sämtliche Kontinente verbreitete Erscheinung des Nationalismus jüngeren und älteren Datums7. Es klingen jedoch bei diesem im wesentlichen kulturellen Indigenismus auch Motive an, die erkennen lassen, daß die indianistische Deutung der Vergangenheit noch eine andere Funktion für den Nationalismus besitzt: Si sostenemos un indianismo estético que resuma nuestros ideales nacionalistas, no es para volver al Incanato ni a formas sepultadas. Es para sacudir y despertar Ma vieja raza estupefacta' [...], levantándola al plano humano, de convivencia social, de progreso técnico y científico que hoy buscan todos los pueblos del mundo 8 ,

s

Zu ihnen gehört der Dichter, Schriftsteller und Kritiker Jesús Lara. In seinem Werk über Quechua-Dichtung geht er ausführlich auf die "Realitäten des Inkareiches" ein. Die Vorstellung, daß das Inkareich despotisch regiert und verwaltet wurde, ist nach Laras Meinung eine von spanischen Chronisten (Cieza de León, Gómara u.a.) begründete Geschichtslegende. In Wirklichkeit seien die besiegten Völker mit gleichen Rechten und Pflichten wie sie das Eroberervolk der Quechua selbst besessen hätte, dem Inkareich eingegliedert worden. Durch Organisation in kleinen, lokalen Einheiten mit einer Art Selbstverwaltung seien Exzesse der Staatsgewalt verhindert worden. Innerhalb des Imperiums hätte es zwar die privilegierte Schicht der Inka gegeben, doch hätte diese ihre genau festgelegten Pflichten und Betätigungen innerhalb des Imperiums besessen und im Gegensatz zu den privilegierten Ständen der Alten Welt kein Drohnendasein geführt (Lara 1947, 21-45). ®Zu diesem Problem allgemein Grossmann 19S9. Über indianistische Tendenzen während der Kolonialzeit und ihre Bedeutung für die Entwicklung frühen Nationalbewußtseins in Iberoamerika: Konetzke 1960, 282-283. 7 Kohn 1950, 449 nennt als Beispiel die nationalen Bewegungen Ost- und Mitteleuropas im 19. Jahrhundert. Behrendt 1965, 362-365 gibt analoge Beispiele aus dem heutigen Nationalismus in Asien und Afrika. 8 Diez de Medina 1958, 123 in einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Werk von Francovich 1965.

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hieß es in einem während der Revolution geschriebenen Essay von Diez de Medina, in dem sich der Verfasser nachdrücklich mit dem M.N.R. und seiner Politik indentifízierte. Das indianistische Geschichts- und Kulturverständnis wird hier als Mittel gesehen, die Bestrebungen zur Einbeziehung des Indio in die moderne Gesellschaft zu unterstützen und damit das Hereinwachsen eines bisher abseits stehenden Bevölkerungsanteiles in die Nation zu fördern. Die Aufwertung der indianischen Vergangenheit und die Betonung der indianischen Einflüsse auf die Entwicklung Boliviens wird auf diese Weise in den Dienst der sozialen Integration gestellt. Es besteht kein Zweifel, daß innerhalb des M.N.R. als einer Massenpartei mit betont sozialer Zielsetzung diese neue Funktion die traditionelle Aufgabe des Indianismus als geistiger Absetzbewegung gegenüber der Außenwelt — als solche immer nur das Anliegen einer kleinen Intelligenzschicht — an Bedeutung weit übertraf. Das tritt vor allem beim Thema der Agrarreform in Erscheinung. Hier gehörte die Bezugnahme auf autochthone Vorbilder zum festen Bestandteil der Argumentation der M.N.R.-Politiker. In diesem Falle gab es auch eine offizielle Version, die in der historischen Einleitung zu den Agrargesetzen vom 2. August 19S3 niedergelegt war9 und der in der Folgezeit einheitlich das Geschichtsbild des M.N.R. entsprach. Sie nennt die Inkazeit als einzige Epoche der nationalen Vergangenheit, in der der Indio, in Form des Kollektivbesitzes, selbst Herr des Bodens war. Die spanische Ära wie die Republik seien dagegen Zeiten des Verfalles gewesen, da in ihnen der Indianer dieses Besitzes beraubt und in den Zustand der Unfreiheit herabgedrückt worden wäre. Die Maßnahmen zur Neuverteilung des Bodens und zur Aufhebung von Dienstleistungen an die bisherigen Grundbesitzer werden als Fortführung inkaischer Traditionen bezeichnet (Rodrigo 1955, 308f.). In dieser Apotheose der indianischen Vergangenheit, in der indianistischen Sicht der Entwicklung der Agrarverhältnisse, wird jedoch der Name indio nicht mehr verwandt. Er wird als ein durch die Zustände der Kolonialzeit und der Republik zu stark mit der Vorstellung sozialer Degradierung belasteter Begriff durch die Bezeichnung campesino ersetzt. Der neue Name, der in der Sprache der Revolution konsequent eingehalten wurde, sagt nichts mehr über die ethnisch-kulturelle Bindung aus, er kennzeichnet vielmehr den sozialen Standort und die berufliche Tätigkeit des Indianers. Ein solcher Wechsel in der Terminologie ist aber nur dort möglich, wo der Indigenismus nicht mehr in erster Linie Spiegel und Förderer kulturellen Autonomiestrebens, sondern primär Ausdruck sozialer Integrationsbemühungen ist.

®Dec reto-Ley No. 03464. Revista Jurídica XVII (Cochabamba 1953), 455-459.

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3. Das Geschichtsbild der nationalen Epoche. Die Antithese Kolonialismus — Nationalismus Im Jahre 1943 veröffentlichte Carlos Montenegro, Mitbegründer und bis zu seinem Tode 1953 eine der führenden Persönlichkeiten des M.N.R., unter dem Titel Nacionalismo y Coloniaje ein Werk, das als Geschichte der bolivianischen Presse deklariert, tatsächlich eine Interpretation der nationalen Periode war und das Geschichtsbild der Revolution nachhaltig beeinflussen sollte (Montenegro 1943). Mit der eigentlichen Kolonialzeit beschäftigt sich der Autor nur kurz. Sie gewinnt Konturen lediglich durch Parallelen, die aus der Epoche der Unabhängigkeitsbewegung und der Republik zur spanischen Ära gezogen werden. Denn unter Coloniaje versteht Montenegro ungebrochene Traditionen, die die Verhältnisse in Bolivien bis in die Gegenwart, d.h. bis in die vorrevolutionäre Zeit hinein bestimmten. In der Unabhängigkeitsbewegung sei mit der Trennung von der spanischen Krone nur eine äußere Bindung gefallen. Die innerstaatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zustände seien die gleichen geblieben, da die Angehörigen der kreolischen Oberschicht, d.h. die in Amerika geborenen Weißen spanischen Ursprungs, aus egoistischen Beweggründen auf die notwendigen Reformen verzichtet oder sie verhindert hätten: El ejercicio del poder identificó en absoluto a los criollos y los realistas en cuanto a sus relaciones con la masa [...] El criollaje ejercía el mando con el mismo sentido colonial que las autoridades chapetonas. Es la independencia de usufructar ellos [los criollos] sólos de la nación que todavía su feudo (Montenegro 1943, 31, 50). Die Unabhängigkeitsbewegung ist in dieser Sicht keineswegs mehr geschichtlicher Höhepunkt, obwohl sie den völkerrechtlich souveränen Staat Bolivien schuf. In der Begrenzung auf die staatsrechtliche Sphäre wird sie zwar positiv gewertet, wegen der Aufrechterhaltung kolonialer Strukturen jedoch negativ beurteilt. Der Verfasser läßt keinen Zweifel daran, daß das letztere in seiner Werteskala das entscheidende Kritierium für die Bemessung der Unabhängigkeitsbewegung darstellt. In der schon beim Indianismus festgestellten Wendung nach innen, von den Beziehungen zur Außenwelt zu internen Problemen, büßt hier die Emanzipation von Spanien an Bedeutung und an Interesse ein. Unter dieser Perspektive verliert der Kreole seinen Platz als Protagonist eines nationalen Befreiungskampfes gegenüber dem Europaspanier, den ein herkömmliches Geschichtsbild in Iberoamerika ihm auch heute noch überwiegend zuweist. Diese Linie wird von Montenegro für die Zeit der Republik weiterverfolgt und hinausgeführt über den innenpolitischen Wechsel von 1898/99, mit dem die Regierung von den Konservativen auf die Liberalen überging und in dessen Gefolge sich die wirtschaftliche Basis der Führungsschicht vom Landbesitz auf den Bergbau verlagerte. In der konservativen Ära erblickt der Verfasser sozialen Rückschritt gegenüber der spanischen Epoche in der Tatsache, daß die

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Grundbesitzer jetzt Gerichtsbarkeiten über die Landbevölkerung ausübten, die ihnen vordem die spanische Krone verwehrt hatte. Strengste Kritik übt der Autor an der liberalen Ära, in der der Staat seine Aufsichtsfunktionen aufgegeben, den Schutz der schwächeren Teile der Gesellschaft vernachlässigt und unter dem Einfluß liberaler Wirtschaftsprinzipien die Ausbeutung weiter Kreise der Bevölkerung durch die großen Bergwerksgesellschaften zugelassen hätte. In beiden Phasen der neueren bolivianischen Geschichte sieht Montenegro letzten Endes die Wirksamkeit fremder Vorbilder auf die Führungsschicht des Landes, den Einfluß spanischer Ideen und Institutionen bei den Konservativen, das Eindringen angelsächsischer und französischer Konzeptionen bei den Liberalen. Aus der Orientierung an ausländischen Modellen leitet er das Unverständnis der kreolischen Oberschicht für die Lage der Indios und Mestizen ab, ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem "malestar de los nativos" (Montenegro 1943, 203). Auch hier wird die für die Geschichtsinterpretation der Revolution charakteristische Wendung nach innen vollzogen: Ausdrücklich will Montenegro seine Ausfuhrungen nicht als Verurteilung des Konservatismus oder Liberalismus an sich verstanden wissen, sondern nur als Kritik an der Übernahme für Bolivien ungeeigneter Modelle, für deren Einführung er die alten Führungsschichten des Landes, d.h. Angehörige der eigenen Nation, verantwortlich macht. Kolonialismus bedeutet in diesem Geschichtsbild demnach die Aufrechterhaltung oder Weiterbildung ursprünglich kolonialer Zustände im Sinne einer Zweiteilung der Nation in Herrscher und Beherrschte, in Nutznießer und Ausgebeutete. Die Antithese, der Nationalismus, bleibt dagegen im Schatten, soweit er nicht als Negation des Kolonialismus hingestellt wird. Immerhin erlauben einige positive Urteile über bolivianische Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts Rückschlüsse auf die Vorstellungen, die der Verfasser mit dem Begriff des Nationalismus verbindet. Den Präsidenten Santa Cruz und Ballivián wird zuerkannt, daß sie dem Land vorübergehend zu Wahlstand, sozialem Fortschritt und internationaler Stellung verholfen hätten. Ihre Bedeutung wird mit den Wirten charakterisiert: La nación se hizo real y viviente con ellos, definiéndose como entidad geográfica y política autónoma, capaz de crear su propio régimen exento de todo ligamen con el orden social anterior y sin anuencia de teorías o sistemas políticos ajenos (Montenegro 1943, 94/95). Für die spätere Zeit sieht Montenegro die nationalen Tendenzen in der bolivianischen Geschichte nur noch in der Gestalt des Präsidenten Belzü und der von ihm geführten Aufstände gegen die Oligarchie zum Ausdruck kommen. Aus solchen Interpretationen, die hier nicht auf ihre sachliche Richtigkeit untersucht, sondern nur festgestellt werden sollen, ergibt sich, daß für Montenegro Nationalismus in erster Linie das Streben nach einer neuen, von fremden Vorbildern freien Sozialordnung bedeutet, in der die dominierende Stellung der alten Oligarchie beseitigt und damit die Trennung der Nation in eine dünne, privile-

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gierte und reiche Oberschicht auf der einen, die Masse der recht- und mittellosen Bevölkerung auf der anderen Seite aufgehoben ist. In der Vergangenheit sieht er wenig Versuche und noch weniger Erfolge auf diesem Gebiet. So ist es eine weitgehende negative Bilanz, die er aus der bolivianischen Geschichte zieht, und aus der er die Notwendigkeit revolutionärer Umgestaltung ableitet.

4. Historiographie und Nationalismus: Die Kontroverse Céspedes — Diez de Medina um die Interpretation der bolivianischen Zeitgeschichte Ein ähnliches Bild, konzentriert auf vierzig Jahre bolivianischer Geschichte vom Beginn der liberalen Ära bis zum Tode des Präsidenten Busch, entwirft Augusto Céspedes, wie Montenegro Mitbegründer und streitbarer Parteigänger des M.N.R., in seinem 1956 veröffentlichten Werk El Dictador Suicida10. Seine Interpretation des Zeitraumes von 1889-1939 steht gänzlich im Zeichen der Auseinandersetzung mit der bergwerkbesitzenden Oberschicht, der Rosca, die er zur Bezeichnung ihrer ethnischen Zugehörigkeit gelegentlich abwertend casta blancoida nennt. Ihr wird die Einstellung Boliviens auf die Zinnmonoproduktion, die Zahlung von Hungerlöhnen im Bergbau, rücksichtsloses Profitstreben und Desinteresse an den Belangen der nationalen Wirtschaft und Gesellschaft zum Vorwurf gemacht. Die Gruppe der Zinnmagnaten beherrschte, nach Céspedes, in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts das politische Leben Boliviens vollständig und in allen seinen Zweigen. Entsprechend erscheinen die führenden Persönlichkeiten des Staates, der Armee und der politischen Parteien entweder selbst als Angehörige der Oligarchie oder als Marionetten, die von ihr bewegt werden. Nur Germán Busch, der während seiner Amtszeit von 1936 bis 1939 Ansätze zur Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und der Zentralbank sowie zur staatlichen Devisenkontrolle gemacht hatte, ehe er auf mysteriöse Vfeise ums Leben kam, entgeht dem pauschalen Verdammungsurteil. Er allein ist ein schmaler Lichtblick in einer dunklen Zeit, die mit den Attributen der anti-nación, der anti-cultura und der anti-bolivianidad bedacht wird. Das hier entworfene Geschichtsbild führte zu einer heftigen Kontroverse über Erfordernisse und Grenzen nationalistischer Geschichtsschreibung, die 1956/57 in der Zeitung El Diario vor der Öffentlichkeit ausgefochten wurde". Fernando Diez de Medina, der wie Céspedes bereits vor der Revolution als Gegner der Gran Mineria im politischen Kampf aufgetreten war, griff den

,0

Céspedes 1956. Der Untertitel 40 años de Historia de Bolivia korrigiert den Haupttitel El Dictador Suicida. Tatsächlich sind die Ausführungen von A. Céspedes nur zum geringeren Teil der Persönlichkeit des Präsidenten gewidmet. "Die Ausführungen der beiden Kontrahenten sind zusammenhängend veröffentlicht und eingeleitet von Ovando-Sanz 1957 (Zitate nach dieser Ausgabe).

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Autor des Dictador Suicida gerade auf diesem Feld an. Eine Interpretation, die vier Jahrzehnte bolivianischer Geschichte lediglich als Ausdruck einer bestimmten Wirtschaftsform, der Zinnmonoproduktion, und als Abhängigkeitsverhältnis von den Bergwerksgesellschaften auffasse, überschätze den Einfluß ökonomischer Faktoren auf das Leben der Nation. Sie ignoriere die Leistungen, die auf kulturellem Gebiet, in der Literatur und im Erziehungswesen, in der liberalen Ära bzw. unter den seit den 20er Jahren regierenden republikanischen Parteien hervorgebracht worden seien. Diez de Medina macht Céspedes den Vorwurf, daß gerade unter nationalen Gesichtspunkten eine Konzeption unangemessen sei, die mit der Kollektivverurteilung sämtlicher politischer Parteien und fast aller führenden Persönlichkeiten Boliviens eine Disqualiñzierung weiter Kreise der Nation ausspräche. Mit einer derartigen Sicht der Vergangenheit begäbe man sich in den Bereich pessimistischer Auffassungen von den Fähigkeiten und Kräften des eigenen Landes und in gefährliche Nähe derjenigen, die die Bolivianer als ein krankes Volk, als pueblo enfermo einschätzten12. Con todas sus limitaciones y sus errores, esos gobiernos hicieron patria, formaron la nacionalidad y constituyen hitos imprescendibles del acontecimiento boliviano. Juzgarlos es un deber, pero juzgarlos con equidad no es menos imperioso (Ovando-Sanz 1957, 10). So bewertet Diez de Medina die von Céspedes abgelehnte liberale und republikanische Ära. Zugleich setzte Diez de Medina hier mit methodischer Kritik an: Parteien und Persönlichkeiten einer Zeit, für die Positivismus, Fortschrittsglauben und Individualismus Leitideen gewesen seien, könnten nicht ausschließlich an den Forderungen der Revolution, an dem Programm und den Maßnahmen des M.N.R. gemessen, politische Vorstellungen und Zielsetzungen der Gegenwart nicht zum alleinigen Wertmaßstab der Vergangenheit erhoben werden. Diez de Medina fordert daher die Trennung von politischer Polemik und geschichtlicher Darstellung: Los hombres de la revolución nacional queremos remodelar Bolivia. Es natural. Política, polémica y propagandísticamente es lógico que muchos se sientan superiores a los hombres que pasaron. En el plano histórico no es admisible esa fulminación jupiteriana, esa

n

Puebto enfermo ist der Titel eines Werkes von Alcides Argüedas (1910), in der die indianische Bevölkerung Boliviens als psychisch und physisch krank, passiv und wenig leistungsfähig diagnostiziert wird. Fürden modernen Indianismus und Nationalismus istdieses Werk und sein Verfasser ständiges Angriffsobjekt. "No podemos seguir aceptando aquella vieja fábula del mendige dormido en un lecho de oro, con que se representaba a Bolivia: [...] somos un pueblo trabajador. Todas estas historias de Argüedades y de los sociólogos e historiadores de la oligarquía, eran para deprimir este pueblo, para hazerlo perder la confianza en sí." (Paz Estenssoro 1964, 67).

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negación dialéctica total e irrevocable del pasado, que equivale a desconocer cuando vive en tiempo y espacio (Ovando-Sanz 1957, 29). Gegenüber solcher an historístische Argumentation angelehnten Kritik bekannte sich Céspedes nachdrücklich zu einer Geschichtsschreibung, die von vornherein ihre Funktion darin erblickt, als Wiffe im politischen Kampf mit nationalistischen Zielen eingesetzt zu werden. Sie wird von ihm bezeichnet als un arma a la batalla nacionalista. Actualmente escribir la historia no es un deporte intelectual. Es como fundir y templar un arma con la seguridad de que tiene que ser empleada en el combate (OvandoSanz 1957, 18). Damit war die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Politik und Geschichtsschreibung gestellt und unterschiedlich beantwortet worden, nicht in akademischer Diskussion, denn eine institutionalisierte historische Fachwissenschaft gab es in Bolivien noch nicht, wohl aber durch Politiker, die an der Geschichtsschreibung als Spiegel und Förderer nationaler Anliegen interessiert und beteiligt waren. Zum Nationalismus als politischer Haltung bekannten sich sowohl Diez de Medina als auch Céspedes. Aber während der eine zumindest in der Theorie bereit war, der Historiographie einen von der Politik unabhängigen Platz insofern zuzugestehen, als nicht aus dem parteipolitischen Standort der Gegenwart das Urteil über die Vergangenheit hergeleitet werden sollte, ordnete der andere die Geschichtsschreibung ausdrücklich dem Primat der Politik unter. Allerdings erblickte Céspedes hier auch keine Konfliktsituation: Politisches Anliegen und Objektivität des von ihm gezeichneten Geschichtsbildes schienen ihm keineswegs auseinanderzufallen. Er beharrte darauf, daß die beherrschende Stellung der Gran Mineria die negative Wertung der bolivianischen Verhältnisse im 20. Jahrhundert rechtfertige, daß die gegenwärtige Revolution die Bildung einer Nation überhaupt erst ermöglicht habe und die Revolution daher die Antithese zur vorhergehenden Zeit der anti-nación darstelle. Mit Recht konnte Céspedes dabei in Anspruch nehmen, daß seine Konzeption in Einklang mit dem in der Partei vorherrschenden Geschichtsbild stünde13.

l3

Vgl. hierzu Paz Estenssoro 1953, 132-149 (geschrieben im Exil zwischen 1947 und 1952). Céspedes (1956) selbst führt als weiteren Zeugen das Programm des M.N.R. von 1942 an. Vgl. die historischen Einleitungen zu den Gesetzen zur Agrar- und Armeereform (Anmerkungen 15 und 28) und als späteres Beispiel die von Peñaloso Cordero 1963 geschriebene Historia del Movimiento Nacionalista Revolucionario, 11 bis 19. Sie alle bewegen sich auf der gleichen Linie wie Céspedes bzw. Montenegro, dessen Einfluß wiederum auf das Geschichtsbild des Verfassers des Dictador Suicida unverkennbar ist.

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5. Boliviens Beziehungen zur Außenwelt im Geschichtsbild der Revolution Im späten 19. und im 20. Jahrhundert büßte Bolivien durch Auseinandersetzungen mit benachbarten Staaten einen großen Teil seines nationalen Territoriums ein. Im Pazifischen Krieg, der um die Salpetergebiete der Atacama-Wüste geführt wurde, verlor es seinen Küstenstreifen an Chile und wurde zum Binnenstaat. 1903 verzichtete Bolivien unter militärischem Druck zugunsten Brasiliens auf das durch Kautschukgewinnung wichtig gewordene Aere-Gebiet im Norden des Landes. Schließlich unterlag es 1932-1935 gegen Paraguay im Kampf um den Chaco. Es ist naheliegend, daß sich die Revolution mit diesen einschneidenden Ereignissen der nationalen Geschichte auseinandergesetzt und die Frage nach den Ursachen der Niederlagen gestellt hat. Antwort gibt die historische Einleitung des Gesetzes zur Reorganisation der Streitkräfte vom 24. Juli 19S3 im Rahmen eines ausführlichen Rückblickes auf die Entwicklung der Armee. Der Kern des bolivianischen Offizierskorps, hieß es darin, bestand aus kreolischen Offizieren der alten spanischen Armee, die zwar in Amerika geboren und aufgewachsen, aber doch von den feudalen Traditionen der Monarchie geprägt waren. In den Unabhängigkeitskriegen wechselten die Offiziere von der Seite der Krone zur Partei der Patrioten. Unverändert aber blieb ihre enge Verbindung oder Identifizierung mit der landbesitzenden Oberschicht und damit ihr Interesse an der Aufrechterhaltung der bestehenden Wirtschafts- und Sozialordnung, insbesondere des Abhängigkeitsverhältnisses der indianischen Landbevölkerung vom Großgrundbesitzer. Andererseits war die Oberschicht selbst wohl homogen in ihrer Zusammensetzung, aus persönlichem Ehrgeiz und individuellem Machtstreben und mangels positiver, einigender Ideen jedoch ständig in interne Kämpfe verwickelt, in denen die einzelnen Gruppen die Unterstützung der Militärs suchten. Daraus resultierte die starke Stellung der Armee im politischen Leben und der für Bolivien im 19. Jahrhundert typische militärische Caudillismo. Politik wurde das wichtigste Betätigungsfeld für das Offizierskorps, das darüber seine eigentlichen Pflichten, die Aufgaben der Landesverteidigung, vernachlässigte. Die militärische Niederlage im Pazifikkrieg wird als notwendige Folge dieser Entwicklung während der konservativen Ära angesehen. In der liberalen Ära wurde, in der Sicht des M.N.R., das Eigengewicht der Armee als politischer Faktor verringert, dafür aber sank das Heer jetzt zu einem willigen Instrument in der Hand der allmächtigen Rosca herab. Gerade unter diesen Umständen blieb seine Hauptfunktion weiterhin die Erhaltung des Status quo im Innern. Die neue liberal-bürgerliche Führungsschicht leitete zwar Heeres reib rm en ein, aber sie vertraute ihre Durchführung weitgehend ausländischen Militärmissionen an, die von europäischen Vorstellungen ausgehend nicht die spezifisch bolivianischen Gegebenheiten und Erfordernisse für die Reorganisation der Streitkräfte kannten. Im Chacokrieg brach die Illusion vom

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Vorhandensein einer schlagkräftigen bolivianischen Armee zusammen14. Nur ein hoher Ausbildungs- und Ausrüstungsstand aber wäre überhaupt in der Lage gewesen, den grundlegenden Mangel zu überdecken, der darin lag, daß das Gros der Soldaten, Hochlandindianer, aus einer Schicht kam, die außerhalb der Nation stand. Wie aber konnte man, fragte Raz Estenssoro im Rückblick auf den Chacokrieg, unter diesen Umständen nationalen Enthusiasmus und Einsatzfreundigkeit erwarten, cuando para la inmensa masa de los habitantes de Bolivia — los campesinos — la Patria no era una madre acogedora y benevolente, sino una madrastra que les exigía todo pero no les daba nada (Paz Estenssoro 1964, 13; Céspedes 1956, 125f.). In dieser Analyse der Niederlage vereinigen sich wieder die bekannten Argumente der Übernahme fremder Modelle durch die herrschende Oligarchie und der mangelnden sozialen Integration als Grund allen Übels. Für den europäischen Betrachter ist jedoch überraschend, daß in der Interpretation von militärischen Niederlagen mit nachfolgender drastischer Reduzierung des Staatsgebietes das Verhältnis zum Kriegsgegner eine geringe Rolle spielt. Die Forderung nach Revision der durch diese Kriege geschaffenen Veränderungen, insbesondere der Ruf nach "Rückkehr ans Meer"15, wurde zwar in den Programmen und Äußerungen des M.N.R. ständig erhoben, aber in der Betrachtung der Voigänge, die zu diesen Gebietsverlusten geführt haben, richtete sich das Augenmerk in erster Linie auf die politische und sozialwirtschaftliche Struktur des eigenen Landes, und die Anklage wandte sich gegen diejenigen, die die notwendige Umgestaltung der internen Verhältnisse Boliviens unterlassen hatten. Das Bild des Nachbarn als "Feindstaat" oder als "Erbfeind", das die Entwicklung des Nationalismus in Europa heftig stimuliert hat, tritt in diesem Geschichtsverständnis weit gegenüber dem des "Feindes im eigenen Haus" zurück. Dagegen spielte der Imperialismus, verstanden als Ausbeutung wirtschaftlich schwacher Länder durch kapitalkräftige, industrialisierte Staaten und als Einschränkung politischer Souveränität durch wirtschaftliche Abhängigkeit, zeitweise eine erhebliche Rolle in den Vorstellungen des M.N.R. Die Argumentation konzentrierte sich darauf, daß Bolivien durch seine auf Monoproduktion eingestellte Wirtschaft stark von den USA abhängig geworden sei, die ihre Stellung als Hauptabnehmer bolivianischen Zinnes zur Niedrighaltung der Preise und zur Beeinflussung politischer Entscheidungen benutzt hätten. Dieses

'Zusammenfassende Wiedergabe der historischen Einleitung zum Gesetz vom 24.7.19S3 bei Alexander 1958, 142-144; vgl. auch Rodrigo 1955, 302 (Leitartikel in der Zeitung La Nación vom 29.7.1953). Die Interpretationen entsprechen den von Montenegro 1943,passim ausgeführten Gedanken. ,s Die Forderung des retorno al mar ist weniger ein Anspruch auf Wiederherstellung des alten territorialen Besitzstandes als auf wirtschaftlichen Zugang zum Meer durch einen Hafen bzw. durch verbesserte Eisenbahnverbindungen zwischen Bolivien und der Pazifikküste.

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Bild von der Gefährdung Boliviens durch imperialistische Mächte auf Grund seiner einseitig auf dem Bergbau basierenden Wirtschaft war in erster Linie eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Die Vergangenheit wurde jedoch insofern mit einbezogen, als die bolivianischen Verhältnisse im 20. Jahrhundert bis zur Revolution als Einheit, die Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft als gleichbleibend angesehen wurden. Konkreter wird Auftreten und Wirksamkeit des Imperialismus in der bolivianischen Geschichte an zwei anderen Vorgängen, am Erwerb der Eisenbahnbaukonzessionen durch eine englische Finanzgruppe (1903) und am Ausbruch des Chacokrieges, erläutert. Der Chacokrieg wird als typisches Beispiel für Auseinandersetzungen imperialistischer Mächte genannt, da in ihm die Rivalität zweier großer ausländischer Gesellschaften um die im Vorland der Anden vermuteten Erdölvorkommen ausgetragen worden sei: Der nordamerikanischen Standard Oil, die das Ausbeutungsrecht auf bolivianischem Staatsgebiet, und der Royal Dutch Shell, die die Konzession für das paraguayische Territorium besaß (Fellmann Velarde/Paz Estenssoro 1954, 47-65; Céspedes 1956, 121ff.). In der Darstellung solcher Einbrüche des Imperialismus in Bolivien im 20. Jahrhundert erscheinen vor allem nordamerikanische Interessengruppen als Repräsentanten imperialistischer Herrschaftsformen. Das antinordamerikanische Element, das dem modernen Nationalismus in Lateinamerika so starke Impulse gab und gibt, hatte auch in der Vorstellungswelt des M.N.R. seinen Platz. Es ist allerdings keineswegs konstant geblieben, soweit öffentliche Aussagen einen Maßstab liefern. Sichtbarsten Ausdruck fand diese Haltung in der Zeit von der Gründung der Partei im Jahre 1941/42 bis in die Anfänge der 50er Jahre. Montenegro und Céspedes verwandten den Begriff des Imperialismo yanqui freigebig, und er gehörte damals ebenfalls, wenn auch zurückhaltender in der Form, zur Argumentation der Parteiführer und der Träger hoher Staatsämter. Danach blieb zwar das grundsätzliche Bekenntnis gegen den Imperialismus weiterhin fester Bestandteil nahezu aller Äußerungen von Mitgliedern des M.N.R. zu Fragen der internationalen Beziehungen. Jedoch findet sich in der späteren Phase der Revolution die spezielle Bezugnahme auf die USA als imperialistische Macht nur noch vereinzelt und abgeschwächt, soweit es sich nicht um Stellungnahmen von radikaleren, sich von der M.N.R. und ihrer Politik immer mehr distanzierenden Gruppen handelte. Man wird hier die Zeichen der sich wandelnden Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem M.N.R. erblicken, die über starke Spannungen während der ersten Beteiligung der Partei an der Regierung Villaroel von 1943-1946 und während der Phase als Oppositions- und Exilpartei von 1946 bis 1952 zur langsam sich entwickelnden Zusammenarbeit unter den Präsidentschaften von Paz Estenssoro und Siles Zuaso führten. Unverändert blieb dagegen in der anti-imperialistischen Argumentation die Rangordnung: Nicht die ausländische, sondern die inländische Komponente des Imperialismus steht im Mittelpunkt der Betrachtung und im Zentrum der Angriffe. In erster Linie ist es die bolivianische Oberschicht, die für die Ein-

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Stellung der Wirtschaft auf die Zinnmonoproduktion und damit für das Verharren im kolonialen Status eines Rohstofflieferanten sowie für die Vergabe von Eisenbahn- und Erdölkonzessionen an ausländische Gesellschaften verantwortlich gemacht wird. Die Herrschaft der liberalen und republikanischen Parteien gilt als demo-entreguismo, als "Liquidationsdemokratie", die nationale Interessen preisgegeben habe. Konkret wird unter diesem Vorwurf die Vernachlässigung der Belange der unteren Schichten der bolivianischen Bevölkerung zugunsten materieller Interessen der Oligarchie verstanden. So fehlt zwar in dieser historischen Analyse des Imperialismus durch die Revolution keineswegs die Abwehrhaltung nach außen; aber die Frontstellung dieses Nationalismus verläuft doch weniger an den nationalen Grenzen als innerhalb der nationalen Gesellschaft. In diesem Zusammenhang liegt die Frage nach dem Verhältnis der Geschichtsvorstellungen des M.N.R. zur marxistischen Geschichtsauffassung nahe. Einflüsse des historischen Materialismus und Berührungspunkte sind unverkennbar. Die dialektische Interpretation dominiert im Geschichtsverständnis der bolivianischen Revolution, die sich selbst als Antithese zu den in der Kolonialzeit und der Republik vorherrschenden Tendenzen sieht. Der Verlauf der bolivianischen Geschichte wird weitgehend in Abhängigkeit von sozial-ökonomischen Faktoren verstanden, Protagonist in den Darstellungen der Veigangenheit ist nicht die Einzelpersönlichkeit, sondern das Kollektiv, sind die unteren sozialen Schichten, abgesetzt von der Oberschicht des Landes. Jedoch ist die Betrachtung gesellschaftlicher Entwicklungen auf Bolivien beschränkt, es fehlt ihre Einreihung in übernationale Zusammenhänge, aus der Interessengleicheit und Solidarität der unterdrückten Schichten auf internationaler Basis abgeleitet werden könnten. Es fehlt vor allem die Deutung der Geschichte als determinierte Stufenfolge, als zielgerichteter Prozeß im Sinne des Klassenkampfes. Entsprechend haben auch der "Feudalismus" der Kolonialzeit und der konservativen Ära sowie der nachfolgende "Kapitalismus" der liberalen Zeit nicht den Charakter und die Funktionen eines notwendigen Durchgangsstadiums zur klassenlosen Gesellschaft, noch wird der Imperialismus als letzte Etappe auf diesem >\fege angesehen. Vor allem: Die Errichtung der klassenlosen Gesellschaft als Endziel fehlt im Ideenbestand des M.N.R. Solche grundsätzlichen Unterschiede machen es unmöglich, die bolivianische Revolution als eine Anpassung marxistisch-leninistischer Lehren an lateinamerikanische Gegebenheiten anzusehen. Zusammenfassend lassen sich folgende allgemeine Feststellungen treffen: 1. In der negativen Beurteilung der bolivianischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts spiegelt sich ein Nationalismus, der sich in Auseinandersetzung, nicht in Übereinstimmung mit den bestehenden Ordnungen und den herrschenden Gewalten des eigenen Landes geformt hat. 2. Der Indianismus als Bestandteil historischer Analysen erhält eine neue Funktion: Neben und vor seiner traditionellen Aufgabe als geistiger

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Absetzbewegung gegenüber Europa wird er jetzt zum Spiegel und Förderer sozialer Integrationsbestrebungen. 3. Die anti-kreolische Prägung der Geschichtsvorstellungen weist deutlich darauf hin, daß Träger dieses Nationalismus nicht die alte, zahlenmäßig geringe, vorwiegend weiße Oberschicht ist. Der zur Bezeichnung des lateinamerikanischen Nationalismus im 20. Jahrhundert noch häufig verwandte Begriff eines "kreolischen" Nationalismus ist daher hier nicht mehr adäquat. 4. Charakteristisch für die Interpretation der Vergangenheit ist die enge Verbindung, ja Identifizierung von sozialer und nationaler Frage. In der Verschmelzung beider Elemente ist das Geschichtsbild der bolivianischen Revolution zugleich charakteristisch für den zeitgenössischen Nationalismus junger Staaten in der außereuropäischen Welt.

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boliviana.

—. 1935. El macizo boliviano. La Paz: Impr. Arnó. Montenegro, Carlos. 1943. Nacionalismo y Coloniaje. Su expresión histórica en la prensa de Bolivia. La Paz: Ed. Autonomía. Ovando-Sanz, Guillermo. 1957. Una polémica entre Fernando Diez de Medina y Augusto Céspedes en torno a 40 años de historia de Bolivia. Potosí: Universidad Tomas Frías. Paz Estenssoro, Víctor. 1964. La Revolución Boliviana. La Paz: Dirección Nacional de Informaciones. —. 1947-1952. Discursos y Mensajes. Buenos Aires: Ed. Meridiano. Peñaloza Cordero, Luis. 1963. Historia el Movimiento Nacionalista Revolucionario 1941-1952. La Pfcz: Ed. Juventud. Prudencio, Roberto. 1939. Reflexiones sobre la colonia. In: Kollasuyo Nr .5, 3-17. Rodrigo, Saturnino. 1955. Diario de la Revolución. La Paz: Ed. Juventud. Schieder, Thomas. 1966. Typologie und Erscheinungsformen des Nationalismus in Europa. In: HZ 202, 58-81. Tamayo, Franz. 1910. Creación de la pedagogía nacional; editoriales de " El Diario". La Paz.

Verzeichnis der Erstveröffentlichungen:

Wolff, Inge. 1956. Chilenische Opposition gegen die Wirtschaftspolitik des Vizekönigreiches Peru, 1778-1810. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 43, H. 2, 146-168. Wolff, Inge. 1961. Zur Geschichte der Ausländer im spanischen Amerika. Die Stellung des extranjero in der Stadt Potosí vom 16. bis 18. Jahrhundert. In: Otto Brunner, Dietrich Gerhard (Hrsg.). Europa und Übersee. Festschrift für Egmont Zechlin. Hamburg: Hans-BredowInstitut, 78-108. Wolff, Inge. 1964. Negersklaverei und Negerhandel in Hochperu 15451640. In: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas 1, 157-186. Wolff, Inge. 1965. Die "Grenze" in Hispano-Amerika. In: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas 2, 429-438. Wolff, Inge. 1967. Geschichtsverständnis und Nationalismus in der bolivianischen Revolution. In: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas 4, 726-746. Wolff, Inge. 1969. Desintegration und Staatenbildung in Hispanoamerika, 1810-1840. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Jg. 20, H. 10, 604-616. Buisson-Wolff, Inge. 1982. El juez comisario en el Alto Perú (Siglos XVI y XVII). In: Anuario de Estudios Americanos 39, 37-46. Buisson, Inge. 1984. El "Ejército Libertador" y la formación del Estado Boliviano, 1825-1828. In: Problemas de la formación del estado y de la nación en Hispanoamérica., hrsg. von: Inge Buisson, Günter Kahle, Hans-Joachim König, Horst Pietschmann. Köln: Böhlau, 499-512. Buisson-Wolff, Inge. 1988. Caminos, fines y resultados de la política liberal de desarrollo durante la Reforma en México. In: Felix Becker y otros (eds.). América Latina en las letras y ciencias sociales alemanas. Caracas: Monte Avila, 173-197.

230

Buisson, Inge. 1988. Die mexikanische Hacienda im Spiegel deutschsprachiger Veröffentlichungen des 19. Jahrhunderts. In: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas 25, 789-805. Buisson, Inge. 1990. Frauen in Hispanoamerika in Reiseberichten von Europäerinnen, 1830-1853. In: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas 27, 227-257. Buisson, Inge. 1992. Probleme der Staatenbildung im spanischen Südamerika, 1810-1830. In: Jürgen Elvert, Michael Salewski (Hrsg.). Staatenbildung in Übersee. Die Staatenwelt Lateinamerikas und Asiens. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 11-19.

americana eystettensia Publikationen des Zentralinstituts für Lateinamerika-Studien der Katholischen Universität Eichstätt

A. AKTEN 1.

D. Benecke; K. Kohut; G. Mertins; J. Schneider; A. Schräder (eds.): Desarrollo demográfico, migraciones y urbanización en América Latina. 1986 (erschienen im F. Pustet-Verlag Regensburg als Bd. 17 der Eichstätter Beiträge)

2.

Karl Kohut (Hrsg.): Die Metropolen in Lateinamerika — Hoffnung und Bedrohung für den Menschen. 1986 (erschienen im F. Pustet-Verlag Regensburg als Bd. 18 der Eichstätter Beiträge)

3.

Jürgen Wilke/Siegfried Quandt (Hrsg.): Deutschland und Lateinamerika. Imagebildung und Informationslage. 1987

4.

Karl Kohut/Albert Meyers (ed.): Religiosidad popular en América Latina. 1988

5.

Karl Kohut (Hrsg.): Rasse, Klasse und Kultur in der Karibik. 1989

6.

Karl Kohut/Andrea Pagni (eds.): Literatura argentina hoy. De la dictadura a la democracia. 1989. 2a ed. 1993

7.

Karl Kohut (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit Jürgen Bahr, Ernesto Garzón Valdés, Sabine Horl Groenewold und Horst Pietschmann: Der eroberte Kontinent. Historische Realität, Rechtfertigung und literarische Darstellung der Kolonisation Amerikas. 1991

7a. Karl Kohut (ed.) en colaboración con Jürgen Bähr, Ernesto Garzón Valdés, Sabine Horl Groenewold y Horst Pietschmann: De conquistadores y conquistados. Realidad, justificación, representación. 1992 8.

Karl Kohut (ed.): Palavra e poder. brasileira. 1991

Os intelectuais na sociedade

9.

Karl Kohut (ed.): Literatura mexicana hoy. Del 68 al ocaso de la revolución. 1991. 2a ed. 1995

10. Karl Kohut (ed.): Literatura mexicana hoy II. Los de fin de siglo. 1993 11. Wilfried Floeck/Karl Kohut (Hrsg.): Das moderne Theater Lateinamerikas. 1993 12. Karl Kohut/Patrik von zur Mühlen (Hrsg.): Alternative Lateinamerika. Das deutsche Exil in der Zeit des Nationalsozialismus. 1994 13. Karl Kohut (ed.): Literatura colombiana hoy. Imaginación y barbarie. 1994 14. Karl Kohut (Hrsg.): Von der Weltkarte zum Kuriositätenkabinett. Amerika im deutschen Humanismus und Barock. 1995

15. Karl Kohut (ed.): Literaturas del Río de la Plata hoy. De las utopías al desencanto. 1996 16. Karl Kohut (ed.): La invención del pasado. La novela histórica en el marco de la posmodernidad. 1997 17. Karl Kohut/José Morales Saravia/Sonia V. Rose (eds.): Literatura peruana hoy. Crisis y creación. 1998 18. Hans-Joachim König (ed.) en colaboración con Christian Gros, Karl Kohut y France-Marie Renard-Casevitz: El indio como sujeto y objeto de la historia latinoamericana. Pasado y presente. 1998 19. Barbara Potthorst, Karl Kohut, Gerd Kohlhepp (eds.): El espacio interior de América del Sur. Geografía, historia, política, cultura. 1999

B. MONOGRAPHIEN, STUDIEN, ESSAYS 1.

Karl Kohut: Un universo cargado de violencia. Presentación, aproximación y documentación de la obra de Mempo Giardinelli. 1990

2.

Jürgen Wilke (Hrsg.): Massenmedien in Lateinamerika. Erster Band: Argentinien — Brasilien — Guatemala — Kolumbien — Mexiko. 1991

3.

Ottmar Ette (ed.): La escritura de la memoria. Reinaldo Arenas: Textos, estudios y documentación. 1992. 2a ed. 1995

4.

José Morales Saravia (Hrsg.): Die schwierige Modernität Lateinamerikas. Beiträge der Berliner Gruppe zur Sozialgeschichte lateinamerikanischer Literatur. 1993

5.

Jürgen Wilke (Hrsg.): Massenmedien in Lateinamerika. Zweiter Band: Chile — Costa Rica — Ecuador — Paraguay. 1994

6.

Michael Riekenberg: Nationbildung, Sozialer Wandel und Geschichtsbewußtsein am Rio de la Plata (1810-1916). 1995

7.

Karl Kohut/Dietrich Briesemeister/Gustav Siebenmann (Hrsg.): Deutsche in Lateinamerika — Lateinamerika in Deutschland. 1996

8.

Jürgen Wilke (Hrsg.): Massenmedien in Lateinamerika. Dritter Band: Bolivien — Nicaragua — Peru — Uruguay — Venezuela. 1996

9.

Christiano German: Politik und Kirche in Lateinamerika. Zur Rolle der Bischofskonferenzen im Demokratisierungsprozeß Brasiliens und Chiles. 1999

10. Inge Buisson-Wolff: Staat, Gesellschaft und Nation in Hispanoamerika. Problemskizzierung, Ergebnisse und Forschungsstrategien. Ausgewählte Aufsätze. Herausgegeben und eingeleitet von Hans-Joachim König. 1999

C. TEXTE 1.

José Morales Saravia: La luna escarlata. Berlin Weddingplatz. 1991

2.

Carl Richard: Briefe aus Columbien von einem hannoverischen Offxcier an seine Freunde. Neu herausgegeben und kommentiert von Hans-Joachim König. 1992

3.

Sebastian Englert, O.F.M.Cap: Das erste christliche Jahrhundert Osterinsel 1864-1964. Herausgegeben von Karl Kohut. 1996

der

3a. Sebastian Englert, O.F.M.Cap: Primer siglo cristiano de la Isla de Pascua. 1864-1964. Herausgegeben von Karl Kohut. 1996

D. LYRIK 1.

Emilio Adolfo Westphalen: "Abschaffung des Todes" und andere frühe Gedichte. Edición de José Morales Saravia. 1995

2.

Yolanda Pantin: Enemiga mía. Selección poética (1981-1997). Vorwort von Verónica Jaffé. 1998