206 40 49MB
German Pages 208 Year 1980
Linguistische Arbeiten
92
Herausgegeben von Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner
Sprachvariation und Sprachwandel Probleme der Inter- und Intralinguistik Akten des 3. Symposions über Sprachkontakt in Europa, Mannheim 1979 Herausgegeben von P. Sture Ureland
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1980
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Sprachvariation und Sprachwandel : Probleme d. Inter- u. Intralinguistik ; Akten d. 3. Symposions über Sprachkontakt in Europa, Mannheim 1979 / hrsg. von P. Sture Ureland. - Tübingen : Niemeyer, 1980. (Linguistische Arbeiten ; 92) ISBN 3-484-10408-2 NE: Ureland, Per Sture [Hrsg.]; Symposion über Sprachkontakt in Europa
ISBN 3-484-10408-2 / ISSN 0344-67 Max Niemeyer Verlag Tübingen 1980 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: Becht-Druck, 7403 Ammerbuch 2
INHALTSVERZEICHNIS
VORBEMERKUNGEN
VII
VORWORT
IX
LEOPOLD AUBURGER:
Sprachvariation in der Entwicklung der makedonischen Standardsprache (mit besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Akzentstruktur)
1
CHARLES-JAMES N. BAILEY:
Yroe'thian Linguistics and the Marvelous Mirage of Minilectal Methodology WERNER HEFNER und
39
PER STURE URELAND:
Areale und soziolinguistische Variation: die p-/pf-Iso-
glosse im Raum Rhein-Neckar-Main
51
ANDRES M. KRISTOL:
4OO Jahre Mehrsprachigkeit in Bivio. Konstanz und Wandel einer plurilingualen Sprachsituation KLAUS J.
95
MATTHEIER:
Sprachveränderungen im Rheinland. Zum Problem der kontextuellen und situativen Steuerung sprachlicher Veränderungsprozesse
121
PETER MÜHLHÄUSLER: Warum sind Pidginsprachen keine gemischten Sprachen?
. . . . 139
JOHAN TAELDEMAN:
Morphologischer Wandel durch Variation: Die Pluralbildung in den flämischen Mundarten
MITARB3ITERVERZEICHNIS
161
193
VORBEMERKUNGEN
Im Dezember 1979 hatte der Linguistische Arbeitskreis Mannheim wieder die Ehre, ein drittes Symposium über Sprachkontakt in Europa zu veranstalten. Der vorliegende Band ist ein Ergebnis der Vorträge dieses Symposiums und eine Fortsetzung der Reihe von Veröffentlichungen über europäische Interlinguistik, die ihren Anfang mit dem Band "Sprachkontakte im Nordseegebiet" ( 1 9 7 8 ) , dem Band "Standardsprache und Dialekte in mehrsprachigen Gebieten Europas" ( 1 9 7 9 ) sowie der Herausgabe der Artikel der Brüsseler Tagung "Sprachkontakt und Sprachkonflikt" durch P. Neide 198O gefunden hat. Im Dezember 1980 wird ein fünftes Symposium über Sprachkontakt in Europa stattfinden unter dem Thema "Sprachliche kulturelle Minderheiten in Europa". Die Beiträge werden im Anschluß an die Symposien und Tagungen veröffentlicht. Linguistischer Arbeitskreis Mannheim Forschungsstelle für Mehrsprachigkeit Brüssel
VORWORT
Der Titel des vorliegenden Bandes beinhaltet eine kleine Verschiebung unseres Interesses zur Problematik der Variation und des Wandels durch Sprachkontakt. Wir sind der Meinung, daß Sprachvariation und Sprachwandel in hohem Grade durch Sprach- und Dialektkontakte entstehen und daß beide Begriffe zwei verschiedene Perspektiven der Sprachentwicklung darstellen: Variation als Ausdruck des Sprachwandels - die synchrone Perspektive - und Sprachwandel als Erzeuger von Variation - die historische Perspektive. Es ist die Aufgabe der Interlinguistik, die Ergebnisse des Kontaktes zwischen verschiedenen Sprachsystemen zu beschreiben, während die Intralinguistik primär die Konsequenzen des Kontaktes zwischen Dialekten beschreibt. Beide Typen von Kontakt werden in diesem Sammelband von Vertretern der Inter- und Intralinguistik behandelt. P. Mühlhäusler, A. Kristol und L. Auburger wenden sich primär den interlinguistischen Aspekten der Variation und des Sprachwandels zu. Mühlhäusler zeigt anhand von Beispielen aus Tok Pisin, einer Pidginsprache im pazifischen Raum, wie völlig neue morphologische Kategorien durch Sprachkontakt entstehen können. A. Kristol aus Zürich behandelt in einem detaillierten Beitrag die soziolinguistische Situation des mehrsprachigen Dorfes Bivio in Graubünden, Schweiz, während der letzten 40O Jahre. In dieser gekonnten Auseinandersetzung mit den soziohistorischen Prozessen im Raum und in der Zeit ist es jedem Leser auffallend, wie viel man eigentlich von dem sozialen und historischen Hintergrund wissen muß, um den Sprachwandel in einem kleinen Gebiet wie z.B. diesem rätoromanischen Dorf an der Grenze zum italienischen Sprachraum im Süden zu verstehen. Vor der linguistischen Untersuchung selber ist fast eine Soziologie der Sprache notwendig. Die ständig wechselnden Kontakte mit dem Schweizer-deutschen und dem italienischen Sprachraum haben das Bivianische völlig umgeformt, so daß der Forscher zu einem richtigen Sprachdetektiv werden muß, um den Ursprung der Erneuerungsquelle zu entdecken. L. Auburger, Mannheim, bietet ein Thema an, das hochaktuell für die sprachliche Situation in Mazedonien und die dortige
Sprachplanung ist.
Vielehe Mundart (en) soll(en) als Norm für eine
Standardisierung gewählt werden, um eine überregionale Schriftsprache herzustellen? Makedonische Dialekte werden zur Zeit in vier verschiedenen Ländern auf dem Balkan in zahlreichen mundartlichen Varianten gesprochen: in Bulgarien, Jugoslavien, Griechenland und Albanien. Mit vielen Beispielen aus der Akzentologie, Phonologie, Morphologie und Lexik weist Auburger die große Variationsbreite zwischen den Mundarten nach, was die Aussprache, die Formenlehre und die lexikalische Wahl b e t r i f f t .
Mit Sprach-
planung und Sprachnormierung kann man die wilde Variation bändigen und dadurch ein überregionales Kommunikationsmedium schaffen. K. Mattheier, Bonn und J.
Taeldeman, Gent, gehen auf ein
für
die Leser bekannteres Thema ein: die Variationsbreite der phonologischen und morphologischen Formen im Rheinland und in Westflandern. Beide Artikel sind linguistisch orientiert, wobei die sozialen und arealen Dimensionen zusammen mit den historischen eine entscheidende Rolle spielen. Die Autoren - beide Mitarbeiter an Dialektarchiven in Bonn und Gent - zeigen mit Deutlichkeit, was eine lebendige moderne Dialektologie leisten kann. Besonders Mattheier hebt in seinem Artikel die Steuerung der Wahl zwischen kleinräumigen Mundartformen und überregionalen Standardformen durch soziolinguistische und situative Faktoren hervor, während Taeldeman die areal und historisch bedingte Wahl zwischen westlichen s-Formen für den Plural im Flämischen beschreibt ( z . B . westfläm. mans für standardniederländisch mannen). Danach liefert er eine soziolinguistische Beschreibung dieser beiden Pluralformen. Eine soziolinguistische Beschreibung ist
erst dann sinnvoll,
wenn der Forscher schon einen Überblick über die areale Distribution der Formen hat. Sonst tappt er im Dunkeln, wenn unbekannte Fernen in unterschiedlichen sozialen Schichten auftauchen. Ihre areale Zugehörigkeit ist
etwas Wertvolles bei der sozialen Klas-
sifizierung. Eine Isolierung der Soziolinguistik von der Areallinguistik (der Dialektologie) ist
zum Schaden der Linguistik.
Als lokales Kolorit bieten Hefner, Mannheim, und Ureland, Mannheim, einen Artikel über die p/p/-Isoglosse im Raum RheinNeckar-Main an, wobei der Leser die Grenzziehung aufgrund des eingesammelten Materials von Wenker (1888) auf einer Karte miterleben kann. Das Pun(d)-Gebiet
um Mannheim und Ludwigshafen herum
XI
sowie im nördlichen Odenwald um die Stadt Buchen herum
wird vor-
gestellt, darüberhinaus das Eppel-Gebiet. C.-J.
Bailey entwickelt eine neue Konzeption mit seinem Arti-
kel über Entwicklungslinguistik, wobei er die Vorstellung von der Sprache als
homogenem System im Sinne Saussures und Chomskys an-
greift. Auch wenn uns Bailey mit seiner Entwicklungslinguistik nicht direkt eine neue Art von "Bindestrichlinguistik" geben möchte, hebt er jedoch die Notwendigkeit hervor, die historische Entwicklung sowie die Variationsdimensionen in jede linguistische Beschreibung einzubauen. Die alten Sprachhistoriker sollen hierbei jedoch nicht glauben, daß Hermann Pauls Junggrammatik vom hundertjährigen Schlaf auferstanden ist.
Die neue Variationslin-
guistik, die solche Richtungen wie Soziolinguistik, Kreolistik, Kontaktlinguistik, Areallinguistik usw. umfaßt, ist viel komplizierter und enthält viel mehr Dimensionen als die Junggrammatik der Leipziger Philologen und Sprachhistoriker vor 100 Jahren, um 1880 herum. Unsere heutige Lage in der Linguistik läßt sich gut mit der Situation der deutschen Sprachwissenschaft vor einhundert Jahren vergleichen. Eine historiographische Perspektive unseres Symposiums kann uns über unser Unternehmen belehren. Wir erleben heute eine Dominanz, aber auch gleichzeitig den Niedergang des generativen Paradigmas, das uns seit 20 Jahren oder mehr in seinem Bann oder auch - wenn man so will - in seiner "Zwangsjacke" hält bzw. fesselt. Bailey hat in einer Reihe von Arbeiten die Entstehung eines neuen, viel dynamischeren Paradigmas vorausgesagt, das die Zeitdimension und den Entwicklungsfaktor viel mehr berücksichtigt als das alte TG-Paradigma: das evolutiv-variationslinguistische Paradigma (vgl. Bailey 1 9 7 1 ) . Dieses neue Paradigma ist nicht nur als eine Modellversion innerhalb der generativen Grammatik anzusehen, sondern stellt eine völlige Neuorientierung
dar. Das TG-Paradigma war synchron, schichtenspezifisch, registermäßig und stilistisch eindimensional (monoleatal in Baileys Sinne) . Es kam in den Beschreibungen, die während dieser TG-Epoche entstanden darauf an, die kommunikative Kompetenz eines idealisierten Native Speaker zu erfassen und die
zugrundeliegenden Re-
geln aufzudecken, ohne auf eine größere empirische Datenbasis
XII
zurückzugreifen. Heute in den Tagen der Variationslinguistik, Kreolistik, Soziolinguistik und Sprachkontaktforschung sind Variation und Sprachwandel wieder zu Ehrenbegriffen der Linguistik geworden, genau wie vor 1OO Jahren, als Georg Wenker 1879 seine ersten Fragebögen an die Volksschullehrer der 3O.OOO Orte im nördlichen Teil des Deutschen Reiches verschickte. Ich sehe nämlich hier eine Parallele zwischen Wenkers Suchen nach Dialektgrenzen, die mit Hilfe von Varianten gezogen werden mußten, und unserem Streben, soziolinguistische Domänen zu finden, die auch mit Hilfe von Varianten ermittelt werden müssen. Sein Sprachatlas von Nord- und Mitteldeutschland aus dem Jahre 1881 entlarvte vor den Augen der erstaunten Junggrammatiker die Variationsbreite der phonologischen und morphologischen Strukturen der deutschen Dialekte in ihrem ganzen Umfang. Mit dieser Variationsbreite wurden weder Vienker selbst noch die Junggrammatiker fertig. Auf der 38. Philologenversammlung in Gießen 1885 (vgl. Wenker 1886) hörten Befürworter der junggrammatisehen Doktrinen über die Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze wie Braune, Paul, Kluge und Behagel Wenkers Vortrag über die Mannigfaltigkeit der räumlichen Variation der Strukturen, die er mit seinen 4O Sätzen hervorgelockt hatte. Diese Männer der Leipziger Schule waren Vertreter einer deduktiven Art von Sprachwissenschaft, was die Gesetze der Lautverschiebungen b e t r i f f t . Vienker hingegen würden wir wohl heute mehr als einen empirisch-positivistischen "field worker" bezeichnen, der "dem Volk aufs Maul" schaute und danach gewisse theoretische Schlußfolgerungen aus dem reichen empirischen Material zu ziehen versuchte. Der Praktiker und Empiriker Wenker wies indirekt auf seinen Karten die Unhaltbarkeit der junggrammatischen Doktrin über die Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze nach. In seiner theoretischen Naivität und Unterlegenheit gegenüber den Junggrammatikern sah er jedoch nicht ein, welche Sprengkraft seine Variationskarten für das ganze junggrammatische Establishment in Leipzig besaßen. In Unkenntnis von und völlig unbeeinflußt von Wenkers Arbeiten über die räumliche Variation im Rheinland (1877) sowie in Norddeutschland (1881) verwickelten sich Delbrück (188O und 1 8 8 5 ) , Brugmann ( 1 8 8 5 ) , Osthoff (1886) usw. in Kritik und Polemik gegenüber Curtius ( 1 8 6 2 und 1885) über Lautwandel in den indogermanischen Sprachen. Wenkers Ergebnisse über Variation in
XIII den deutschen Mundarten standen den generalisierenden Hypothesen der Junggrammatiker unversöhnlich gegenüber. Das theoretische Lager der deutschen Junggrammatiker sollte seine Funktion und Theoriebildung lange Zeit kaum modifizieren, obwohl Schuchardt 1885, Whitney 1882 und besonders Ascoli 1886 - der letzte auch aus dialektologischer Sicht - vor den junggrammatischen Thesen warnten. Heute erleben wir eine ähnliche Situation. Anstatt eines Leipzig haben wir ein Cambridge, Massachusetts, anstatt der Leipziger Junggrammatiker haben wir die MIT-Linguisten und anstatt eines Wenker haben wir eine Reihe datenorientierter Linguisten in der Soziolinguistik, Kreolistik, Black English Studies, soziolinguistisch ausgerichteten Dialektologie und last but not least in der Sprachkontaktforschung, der Interlinguistik Die Ergebnisse dieser ganzen Variationslinguistik stehen in scharfem Gegensatz zu den von den generativen Grammatikern formulierten Theorien über die Natur und Funktion der menschlichen Sprache. Es ist wieder zu einer K l u f t zwischen Theorie und Empirie gekommen, die uns allen Unlust und Unbehagen verursacht. Was die empirisch basierte Dialektologie in den Oder Jahren des vorigen Jahrhunderts für die Entwicklung einer Variationslinguistik hätte bedeuten können, bedeutet heute die empirisch basierte Variationslinguistik. Die Autoren dieses Saramelbandes sind alle Vertreter dieser letztgenannten Art von Linguistik, die sich gegenüber der sterilen und leeren Dogmenwelt der Hypertheoretiker einer naturwissenschaftlich-technologischen Orientierung wehren müssen. Wir wollen die menschliche Sprache in all ihrer Komplexität, Variation und in ihrem Wandel erfassen. Was für die Theoretiker der 8oer Jahre des 19. Jahrhunderts die Ausnahmelosigkeit der Lautgesetze war, ist heute der Glaube an den Kode-Charakter der menschlichen Sprache ohne Variation und Wandel. Möge unser Symposium, auf dem Variation und Sprachwandel im Zentrum standen, zu einem Baustein werden, der Teil einer Barrikade gegen die Dominanz einer einseitigen Systemlinguistik sein kann. (Wegen der hier im Vorwort gegebenen Literaturhinweise sei auf das Literaturverzeichnis bei Hefner und Ureland in diesem Band verwie-
sen) .
XIV
Für die finanzielle Unterstützung, die die Durchführung des Symposiums im Dezember 1979 möglich machte, danke ich dem Dekanat der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Mannheim. Ohne die Mitarbeit und Hilfsbereitschaft von Frau Hannelore Schreiner (Mannheim) wäre das Manuskript dieses Buches nie fertig geworden. Für ihren wertvollen Einsatz möchte ich mich hier bedanken. Herrn Dr. L. Auburger (Mannheim) verdanke ich gute Anregungen sowie Unterstützung in der Planung dieses Symposiums. (Die Orthographie entspricht nicht in allen Beiträgen der DudenKonvention. Wegen technischer Schwierigkeiten konnten gewisse Abweichungen nicht korrigiert werden.)
Per Sture Ureland
SPRACHVARIATION IN DER ENTWICKLUNG DER MAKEDONISCHEN STANDARDSPRACHE
(MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DER ENTWICKLUNG DER
AKZENTSTRUKTUR)
Leopold Auburger
Inhalt: 1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 3. 4. 5.
1. 1.1.
Einleitung Variation in der Sprachentwicklung: Ausbauthese Grundzüge der Geschichte der makedonischen (makedoslavischen) Standardsprache Zur korpuslinguistischen Charakteristik des Standardmakedonischen Zur Terminologie: Spraohwandßl, Sprachenturi-eklung, Spraohausbau Variantenprobleme in der Entwicklung der standardmakedonischen Akzentstruktur Überblick über die Akzentstruktur des Standardmakedonischen Phonetische Akzentstellenvarianten im Standardmakedonischen Entwicklung der Akzentstruktur des Standardmakedonischen Lexikologische Varianten- und Entwicklungsprobleme Pronomenreduplikation und reduplikationslose Varianten in der makedonischen Kasussyntax Schluß: Fundierungsbeziehungen in der Sprachentwicklung
Einleitung Variation in der Sprachentwicklung: Ausbauthese
EINAR HAUGEN setzte als
"ideale Zielpunkte einer Standardsprache"
die ein geeignetes "Instrument für eine moderne Nation" abgeben will, 1. die Kodifizierung "als minimale Variation der Form" und 2. den Ausbau "als maximale Variation der Funktion" an (vgl. HAUGEN E. 1 9 7 6 , 1 6 4 ) . Als Begründung werden für die korpuslinguistische, d . h . die Sprache selbst betreffende U n i f i z i e r u n g das Ideal einer rationellen, ökonomischen Kommunikation mit einer in allen Bereichen der Phonologie, Grammatik und Lexikologie variantenarmen Sprache, für die funktionslinguistische Plurifizierung die Notwendigkeit einer adäquaten Leistungsfähigkeit in einer komplexen, multifunktionalen, ökonomisch technisch geprägten Sprachgemeinschaft angegeben.
Allgemein läßt sich, meine ich, behaupten, daß Sprachvariation und Sprachausbau sprachfunktional derart zusammenhängen, daß die Sprachvariation vom Sprachausbau eindeutig bestimmt wird. In der sprachgeschichtlichen Situation der "Höherentwicklung" sprachlicher Verhältnisse durch Ausbau einer Standardsprache ist im Rahmen gegebener kulturell-zivilisatorischer Werthaltungen eine Zunahme der Variation der Haupttypen intentionaler Funktionskomplexe und in Abhängigkeit davon eine Zunahme oder Abnahme der Variation bei den einzelnen sprachlichen Einheiten und deren Elementen zu beobachten(Zunahme: z . B . im Zuge der Entfaltung von Poesie und religiös-ethischer Literatur; Abnahme: z . B . im Zuge fachsprachlicher Standardisierungen). Eines der wichtigsten Mittel des Sprachausbaus ist während der Anfangsphasen der Entwicklung die Übersetzung, die freilich dann zugleich auch ihre deutlichen Transferenzspuren hinterlassen kann. 1.2.
Grundzüge der Geschichte der makedonischen (makedoslavischen) Standardsprache1
Die erste ausgebaute, makedoslavische und überhaupt slavische Standardsprache war das Altkirchenslavische, das sehr bald auch außerhalb des bulgarischen Reiches, nämlich in Serbien und Rußland, als Ausbausprache, wenn auch in je eigenen Varianten, Verwendung fand. Die Entwicklung der heutigen makedonischen Standardsprache beginnt im Zusammenhang mit dem Niedergang des Osmanischen Imperiums auf dem Balkan Anfang des vorigen Jahrhunderts, als mit dem Ausbau des Kloster-, Pfarr- und Privatschulwesens zu einem auch öffentlichen Schulwesen, insbesondere in der Westhälfte Makedoniens, die Frage nach der Sprache als Unterrichtsfach und als Unterrichtssprache an Aktualität gewann. Ab der 2. Hälfte des 19. Jhs. findet sich die Verwendung makedoslavischer Unterrichtssprachen auch in Mittelschulen. Die Diskussionen der in dieser Sache engagierten Pädagogen, Literaten, Publizisten, Sprachwissenschaftler und Politiker galten dem Problem der Verständlichkeit der Lehrmaterialien und der Frage einer akzeptablen makedoslavischen Nationalsprache. Mehr oder minder einhellig wandte man sich dabei gegen Hellenisierung und Serbisierung, so-
wie gegen das Kirchenslavische als Grundlage des zukünftigen Standards. Strittig war jedoch, welche makedoslavischen Dialekte und insbesondere, ob und in welchem Maß auch ostmakedoslavische und bulgarische Dialekte berücksichtigt werden sollten. Ein besonderes Problem stellte die Orthographiefrage dar, da hier die traditionelle kirchenslavische, die junge bulgarische und die serbische und in den Anfängen auch griechische Orthographie miteinander konkurrierten. KONESKI B. 1961 verzeichnet z . B . für die Zeit von 1857-188O insgesamt 16 Textbücher zu schulischen oder autodidaktischen Zwecken, die in verschiedenen, z . T . ad hoc geschaffenen, makedoslavischen Varianten verfaßt sind. Einen starken Impuls erhielt die Entwicklung einer neuen makedoslavischen Standardsprache durch die Sammlung und Publikation makedoslavischer Volkslieder und Volkserzählungen durch die Brüder DIMITAR und KONSTANTIN MILADINOV (beide gest. 1 8 6 2 ) , die aus Struga, am Nordende des Ohridsees stammten (Bratja MILADINOVI, Bälgarski narodni pesni, 1. Auflage Agram (Zagreb) 1 8 6 1 ) . Für die Entwicklung einer makedoslavischen Standardsprache im 20. Jh. wichtig geworden ist dann zunächst KRSTE P. MISIRKOV ( 1 8 7 4 - 1 9 2 6 ) , der 1902 an der Historisch-Philologischen Fakultät der Petersburger Universität eine Diplomarbeit "Zur Frage der Nationalität und der Gründe der Popularität des makedonischen Königs Marko" verteidigte und dann 19O3, im Jahr des Ilinden-Aufstandes, in Sofija sein berühmtes Buch über die makedonischen Probleme herausbrachte: "Za makedonckite raboti". Die Auflage dieses Buches wurde von der damaligen bulgarischen Regierung so weit wie möglich aufgekauft und eingestampft. Das Buch enthält ein Programm einer neuen makedoslavischen Standardsprache und ist selbst auch bereits in einem Standardmakedonisch geschrieben. Als dialektale Basis für seine Standardisierungsvorschläge wählte MISIRKOV für Phonologie und Grammatik die zentralmakedonischen Dialekte des Gebiets Prilep-Bitola oder Veles-PrilepBitola (vgl. MISIRKOV K . P . 1 9 7 4 , 1 O 9 f . ; 1 4 5 ) ; für das Lexikon läßt MISIRKOV Wörter aus allen Dialekten zu (vgl. aaO., 1 4 5 ) . (Der heutigen Standardsprache liegen die stark homogenen Dialekte im Dreieck Veles-(Prilep)-Bitola-Kicevo zugrunde.) MISIRKOV schlug auch eine primär phonetisch orientierte Orthographie für die
neue makedoslavische Standardsprache vor (vgl. aaO., 1 4 5 ) . Die Entwicklung einer makedoslavischen Standardsprache
erfuhr
ab Ende des 19. Jhs. eine zunehmende Beeinträchtigung zunächst durch die wachsende Konkurrenz serbischer, bulgarischer, rumänischer und griechischer Schulen, sodann durch den verstärkten serbischen, bulgarischen und griechischen Assimilationsdruck nach dem 2. Balkankrieg ( 1 9 1 3 ) , der eine Teilung Makedoniens zwischen Serbien, Bulgarien und Griechenland auf Grund des Friedensvertrages von Bukarest 1913 zur Folge hatte. Das Entwicklungsprogramm von KRSTE MISIRKOV wurde in der Folgezeit, insbesondere dann in den 30-er Jahren, trotz der repressiven sprachenrechtlichen Situation durch Verwendung zentralmakedoslavischer Dialekte in der Dichtung weitergeführt. Die literarischen Aktivitäten in makedoslavischer Sprache verstärkten sich während des 2. Weltkrieges durch regelmäßige Produktion auch von Z i r k u l a r e n , Manifesten, A u f r u f e n , Liedern u . d g l . , d . h . von Sach-, Propaganda- und poetischer Literatur. Einen Abschluß fand dieses erste Stadium in der Entwicklung der makedonischen Standardsprache durch den Beschluß der ASNOM (Antifasiskoto sobranie na narodnoto osloboduene na Makedonija) vom 2 . 8 . 1 9 4 4 , wonach im zukünftigen makedonischen Staat die Amtssprache dieses Staatswesens makedoslavisch sein soll. Die betreffenden Beschlüsse und Protokolle waren hierbei selbst bereits in einem Makedoslavisch abgefaßt. Am 3 . 5 . 1 9 4 5 wurde hierauf von der Narodnata vladna na federalna Makedonija die Vereinheitlichung des Alphabets, und am 7 . 6 . 1 9 4 5 vom Ministertvoto za narodnata prosveta die Vereinheitlichung der Orthographie beschlossen (vgl. hierzu auch die Dokumente in:
Za makedonskiot j a z i k 1 9 7 8 ) . Ein
erstes orthographisches Handbuch der neuen makedoslavischen Standardsprache erschien 195O mit einem Inhalt von ca. 585O Wörtern (KONESKI B . , TOMEV K. 1 9 5 O ) . Heute ist die makedoslavische Standardsprache alleindominante Amtssprache der SR Makedonija. Alle Gesetze, die von der gesetzgebenden Versammlung Gesamtjugoslaviens (Savezna skupstina) und alle, die von der gesetzgebenden Versammlung der Republik Makedonien (Sobranieto na SR Makedonija) verabschiedet werden, müssen (für
die SFRJ: auch) in der makedonischen Standardsprache publi-
ziert werden.
Die makedonische Standardsprache ist im gesamten Bildungswesen, von der Grundschule bis zur Hochschule, als Unterrichtssprache in Gebrauch und für die nichtmakedoslavischen Bevölkerungsgruppen, wie z . B . die Albaner, obligatorische Sekundärspräche bereits ab der 3. Grundschulklasse. Außerhalb des zentralen makedoslavischen Sprachraums auf der Balkanhalbinsel wird Standardmakedonisch neben makedoslavischen Dialekten emigrationsbedingt vor allem in Nordamerika und in Australien gesprochen (insgesamt ca. 400.000 Makedonier als Emigranten oder Auswanderernachkommen seit dem Jahr des IlindenAufStandes 1903 in Übersee; vgl. hierzu den Bericht "Mazedonien: Rückkehr der Auswanderer" in: Osteuropa 11/1979, 726-729; für Australien vgl. HILL P. 1980; nach dem Zensus von 1976 sprachen 16.686 Australier mit vollendetem 5. Lebensjahr "regelmäßig" neben Englisch auch ein Makedoslavisch; die statistischen Angaben für das Bundesland Südaustralien sind allerdings noch nicht o f f i ziell; statistische Angaben nach CLYNE M. 1 9 8 0 ) . 1.3.
Zur korpuslinguistischen Charakteristik des Standardmakedonischen
Heute ist die makedonische Standardsprache in jedem der drei großen korpuslinguistischen Bereiche, nämlich der Phonologie, Grammatik und Lexikologie, bereits erheblich entwickelt und, relativ zur kurzen Entwicklungszeit und zu den schwierigen Entwicklungsbedingungen, auch bereits in einem beeindruckenden Grad kodifiziert und funktional ausgebaut. Ohne hier, selbstverständlich, auf sprachliche Details des Makedonischen eingehen zu können, seien doch wichtige Charakteristika, insbesondere aus Phonetik und Grammatik, übersichtsweise zusammengestellt und den Entsprechungen in den übrigen balkanologisch wichtigen Sprachen gegenübergestellt, da hier in der typologischen Literatur immer noch Unklarheiten und faktische Unstimmigkeiten, die heute eigentlich vom makedonistischen Forschungsstand her überholt sein müßten, anzutreffen sind.
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MITARBEITERVERZEICHNIS
Leopold Auburger Institut für deutsche Sprache Friedrich-Karl-Str. 12 68OO MANNHEIM 1 Charles-James N. Bailey Tu Berlin Institut für Kommunikationswissenschaften Englische und Allgemeine Linguistik Ernst-Reuter-Platz 7 1OOO BERLIN 7
Andres M. Kristol Regensbergstraße 67 0050 ZÜRICH SCHWEIZ Klaus J. Mattheier Institut für Landeskunde der Rheinlande Abt. Sprachforschung Hofgarten 22 53OO BONN Peter Mühlhäusler Linacre College OXFORD GROSSBRITANNIEN
Johan Taeldeman Seminarie voor Nederlandse Taalkunde en Vlaamse Dialektologie Blandijnberg 2 9OOO GENT BELGIEN Per Sture Ureland Seminar für Allgemeine Linguistik Universität Mannheim Schloß, EW 294 68OO MANNHEIM 1