Sprachnorm und Sprachnormierung in Frankreich: Einführung in die begrifflichen, historischen und materiellen Grundlagen 9783110964677, 9783484540309


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German Pages 148 Year 1995

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Table of contents :
1. Einleitung
1.1. Elemente des Nonribegriffs
1.2. Implizite und Explizite Normen
1.3. Empirische und Interpretative Auseinandersetzung mit Normen
1.4. Eln alltagssprachlicher Definitionsversuch
1.5. Bezugsbereiche sprachlicher und konnunlkativer Normen
2. Sprachnormen in der Sprachwissenschaft
2.1. Strukturalistische Ansätze
2.2. Zur Genese des metasprachlichen Disburses und seiner sozialen Inplikationen
2.3. Ein soziologisch orientierter Begriff von Sprachnorm
3. Zur Geschidvbe von Sprachnorm und Sprachnormierung in Frankreich
3.1. Die Grundlegung der Sprachnormierung in Frankreich
3.1.1. Anfange und Grundlagen der Sprachnormierung in Frankreich
3.1.2. Die Etablierung des BON USAGE
3.1.3. Praktiken des sprachnormativen Diskurses. Exemplarische Analysen
3.2. Erfolgsbedingungen des hofischen Sprachnonrikcnzepts
3.2.1. Die Etablierung des literarischen Feldes
3.2.2. Erweiterung von Wissensvermittlung und Publikum. Auf dem Weg zur einheitlichen Unterrichtssprache
3.2.3. Die “Langue Nationale” als Zielnorm für alle Franzosen und die Abwertung der “Patois”
3.2.4. Die vielfache Institutionalisierung des Kampfes für das Französische
3.2.5. Personen - Medien - Publikumserfolge. Formen und Verflechtungen des aktuellen sprachnormativen Diskurses
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Sprachnorm und Sprachnormierung in Frankreich: Einführung in die begrifflichen, historischen und materiellen Grundlagen
 9783110964677, 9783484540309

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Romanistische Arbeitshefte

30

Herausgegeben von Gustav Ineichen und Bernd Kielhöfer

Wolfgang Settekorn

Sprachnorm und Sprachnormierung in Frankreich Einführung in die begrifflichen, historischen und materiellen Grundlagen

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1988

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Settekorn, Wolfgang: Sprachnorm und Sprachnormierung in Frankreich : Einf. in d. begriff!., histor. u. materiellen Grundlagen / Wolfgang Settekorn. - Tübingen : Niemeyer, 1988 (Romanistische Arbeitshefte ; 30) NE: GT ISBN 3-484-54030-3

ISSN 0344-676-x

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1988 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt.

INHALTSVERZEICHNIS

1.

Einleitung

1

1.1. Elemente des Noxmibegriffs

3

1.2. Irrplizite und Explizite Ncamen

9

1.3. Enpirische und interpretative Auseinandersetzung mit Nonnen

10

1.4. Ein alltagsgsrachlicher Definitionsversuch

12

1.5. Bezugsbereiche ^radilicher und kamunikativer Nonnen

14

2.

19

Sprachnormen in der Sprachwissenschaft

2.1. Strukturalistische Ansätze

19

2.2. Zur Genese des metasprachlichen Diskurses und seiner sozialen Inplikationen

23

2.3. Ein soziologisch orientierter Begriff vcn Sprachnorm

29

3.

38

Zur Geschichte von Sprachnorm und Sprachnonnierung in Frankreich .

3.1. Die Grundlegung der Sprachnonnierung in Frankreich 3.1.1. 3.1.2. 3.1.2.1. 3.1.2.2.

Anfänge und Grundlagen der Sprachnormierung in Frankreich Die Etablierung des BON USAGE Gesellschaftliche Bedingungen des sprachnormativen Diskurses im 17. Jahrhundert Frankreichs Anpassung des Sprachkonzepts an die Gesellschaftsstruktur. Vaugelas' "Remarques sur la langue Fran9oise" (1647) und die Konzeption des BON USAGE 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

3.1.3. 3.1.3.1. 3.1.3.2. 3.1.3.3. 3.1.3.4.

Ein höfisches Sprachkonzept und sein Autor Usage und BON USAGE La Cour et la Ville Les Gens s9auants en la langue et les femmes Verunsicherung, Selbst- und Fremdkontrolle Frequentation de la Cour Sprachwandel und Geltung normativer Aussagen Form und Funktion der Vertextung

Praktiken des sprachnormativen Diskurses. Exemplarische Analysen Herausgeber, Kommentatoren, Beteiligte PREIGNE pour PRENNE, VIEIGNE pour VIENNE NAVIGER, NAVIGUER NU-PIEDS

39 39 46 46

52 53 54 56 57 58 60 61 62 64 64 66 73 76

VI 3.2. Erfolgsbedingungen des höfischen SprachnontikcnzQjts 3.2.1. 3.2.1.1.

Die Etablierung des literarischen Feldes Die Erweiterung des Literaturbetriebs auf normativer Grundlage 3.2.1.2. Die Doppelfunktion von Beispielsätzen: Verdeutlichung und Kanonbildung 3.2.2. Erweiterung von Wissensvermittlung und Publikum. Auf dem Weg zur einheitlichen Unterrichtssprache 3.2.3. Die "Langue Nationale" als Zielnorm für alle Franzosen und die Abwertung der "Patois" 3.2.4. Die vielfache Institutionalisierung des Kampfes für das Französische 3.2.4.1. Wege der Institutionalisierung. Ein Beispiel 3.2.4.2. Die Krise(n) des Französischen als Rechtfertigung sprachnormerischer Maßnahmen 3.2.4.2.1. Allgemeine Bedingungen öffentlichen, politisch-institutionellen Handelns 3.2.4.2.2. Die (weit)politische Situation als Bedingungsfaktor ... 3.2.5. Personen - Medien - Publikumserfolge. Formen und Verflechtungen des aktuellen sprachnormativen Diskurses .. 3.2.5.1. Erste Erfolge im Schul- und Wörterbuchsektor (Hachette, Larousse): Schriftsprache der Klassiker als 'le frcinyais tout court' 3.2.5.2. Zum unaufhaltsamen Erfolg von "Le bon usage" des Maurice Grevisse: Ein Konzept wird vermarktet 3.2.5.3. Der sprachnormative Diskurs im Medienverbund: zur Sprachpflege von Bernard Pivot (Championnats de France d'Orthographe von 1985 und 1986)

Bibliograi^e

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112 114

124 135

1.

EINLEITUNG

"Les Fran9ais sont fous du fran9ais" stellte der Nouvel Observateur im Januar 1987 (N° 1159) fest und sprach damit einen Sac±iverhalt an, den die einen als Binsenwei^eit und die anderen als Vorurteil bezeichnen. Schon Ende 1986 hatte die gleiche Zeitschrift die von Bemard Pivot durchgeführten "Chairpionnats de France d'Orthograjiie" zum Anlaß genatinen, sich mit dem Verhältnis der Franzosen zu ihrer Sprache auseinanderzusetzen. Im ersten ^^rilheft des Jahres 1987 machte die Rundfunkzeitschrift Televama mit einem Bild von Bemard Pivot auf und wies in einem "Exklusi\±iericht" darauf hin, daß er am Erscheinungstag des Heftes van Ministerrat offiziell zum "Monsieur Langue" bestimmt und mit der tfcerwachung der französischen Sprache betraut werde. Dieser i^rilscherz konnte gelingen, weil der in ihm angesprochene Sachverhalt inmerhin für denkbar und möglich gehalten werden kann. Aus deutscher Sicht mag dieses Verhältnis befremden und unverständlich erscheinen. Es ruft häufig auch bei Roroanistikstudenten Achselzucken und Kopfschütteln hervor. Natürlich sind auch in Deutschland sprachpflegerische und sprachnormative Bestrebungen bekannt, selbstverständlich kennt man die Auseinandersetzungen um die Groß- oder die manchmal gemäßigte Kleinschreibung ebenso wie Klagen über mangelnde Sprach- und Rechtschreibkenntnisse. Das Sprach- und das Sprachnorroenbewußtsein ist hier jedoch weit weniger stark ausgeprägt, es spielt - auch im Alltag der Ausbildungsinstitutionen - nicht die gleiche Rolle wie in Frankreich. Man kann dies durch eine ganze Reihe von Hinweisen belegen: auf die Acad§mie fran9aise, auf die Sprachgesetzgetung, auf die Vielzahl von Artikeln, Diskussionen und Gesprächen zu dieser Frage in den Massenmedien oder auf dem Buchmarkt: Auch wenn man noch mehr Beispiele anführte, könnte dies die Besonderheiten des französischen Sprachbewußtseins nur unterstreichen, ohne sie zu erklären. Weshalb spielt in Frankreich das Französische eine derartige Rolle? Weher rührt dies? Seit wann ist das so? Wie wird dies vermittelt? Diesen und weiteren Fragen soll die Beschäftigung mit Sprachnorm und Sprachnormierung in Frankreich nachgehen und erklärende Hinweise anbieten. Voraussetzung dazu ist aller-

dings die Erarbeitung allgemeiner begrifflicher Grundlagen: was soll unter Sprachnorm, was unter Sprachnormierung verstanden werden, welche Rolle spielen sie in einer Gesellschaft? Bei der Behandlung des genannten Fragebereichs gdit die vorliegende Arbeit von der Grundannahme aus, daß Sprache und Sprechen als soziale Faktoren aufzufassen sind. Ihre Regeln und Strukturen sind Ergebnisse spezifischer historischer Entwicklungen der Gesellschaften, in deren Lebenspraxis sie eine doj^lte Rolle spielen: sie werden durch sie bestimmt und bestinmen sie zugleich mit. Aus dieser Grundannahme ergeben sich Konsequenzen für die Konzeption und Zielsetzung der vorliegenden Einführung in die Problematik von Sprachnorm und Sprachnormierung in Frankreich: - es gilt zunächst, einen Begriff von Norm und Sprachnorm einzuführen, bei dem der Handlungscharakter des Sprechens ebenso hervortritt wie die Tatsache, daß gesellschaftliche Erwartungen an Formen des Sprechens bestehen, die in Abhängigkeit von unterschiedlichen Sprechsituationen gewählt werden; - es ist zu zeigen, daß Sprecher einer Sprache um diese Anforderungen wissen; sie haben ein Bewußtsein von ihrer Sprache und von den für sie gültigen Normen, wobei Wissen um Normen und Möglichkeit ihrer Befolgung divergieren können; - der historische Charakter von Sprachnormen einer Gesellschaft wird deutlich, wenn man zeigt, unter welchen historischen Umständen Normen entstanden und/ oder ausdrücklich formuliert worden sind, welche spezifischen Normen entwickelt, welche Funktional ihnen zugeschrieben wurden und werden, bzw. welche Funktionen sie erfüll(t)en; - schließlich gilt es, zumindest ansatzweise, die angenaimenen Zusaitinenhänge aipirisch durch exeitplarische Einzelanalysen nachzuweisen. Als Vorbereitung auf die folgende Darstellung sollten Sie sich zxmächst selbständig mit dem Normbegriff auseinandersetzen und sich Rechenschaft über Ihr eigenes Normverständnis und das Ihnen bekannter Personen geben. Dazu könnten folgende Schritte dienlich sein: a) Halten Sie für sich stichwortartig schriftlich fest, was Sie unter "Norm" und unter "Sprachnorm" verstdien; b) stellen Sie anderen die Frage, was sie unter diesen Begriffen verstdien und halten Sie die Ergebnisse fest; c) vergleichen Sie die Ergetnisse von a) und b), halten Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede fest; d) achten Sie darauf, wann in Ihrem Alltag Fragen von sprachlicher Korrektheit und Norm eine Rolle spielen und in welcher Vfeise sie behandelt werden;

e) Fragen Sie Ihre Gesprächspartner, wedialb man Nonnen befolgen soll oder miß. Darüber hinaus könnten Sie versuchen, a)-e) mit Franzosen, vielleicht sogar in Frankreich durchzuführen und die Ergebnisse im Sinn von c) mit den Einschätzungen vcn deutschen Muttersprachlern zu vergleichen. Da dies nicht ohne weiteres itßglich sein dürfte, schlage ich Ihnen ersatzweise folgendes Vor^ gehen vor. Lesen Sie sich ausführlich den folgenden Ausschnitt aus einem Gespräch durch, in dem sich Französinnen (mit "W1", "W2" usw. als Sprechermarkierung) und Franzosen (mit "Ml", "M2" usw. als Sprechemaricierung) mit einem deutschen Studenten (mit "A" als Sprechermarkierung) über Fragen von Sprachnorm und Sprachnormierung unterhalten. Dieses Nonnengespräch dauerte insgesamt etwa siebzig Minuten und war streckenweise sehr leWiaft. Der folgende Ausschnitt ist der Lesbarkeit halber in vereinfachter Form wiedergegd^en, bei der zahlreiche Elemente des Gesprochenen (Wiederholungen, Parallelsprechen, Pausenmarkierung usw.) getilgt sind. Analysieren Sie diesen Ausschnitt unter den Gesichtspunkten a)-e). Auf Teile dieser Passage werden wir noch zurückkönnen. 1.1.

ELEMENTE DES NORMBEGRIFFS

Zu Fragen von Sprachnorm und Sprachnormierung gibt es inzwischen eine fast unübersehbare Fülle von Literatur, in der sdir vinterschiedliche und teilweise kontroverse Auffassungen zum Normenbegriff vertreten werden. Einhelligkeit besteht allerdings fast durchgängig in einem Punkt: 'Norme' est un des tennes las p l u s ambigus et les plus polysemiques des sciences d u langage. (Helgorsky 1982a, 1)

Trotz dieser Vieldeutigkeit des Nonnbegriffs gibt es in der Diskussion um Sprachnormen einige durahgängige Merkmalei die linguistische Nontauffassungen mit denen anderer Disziplinen der Sozialwissenschaften teilen; sie betreffen den Handlungsbezug, den Anspruch auf umfassende Geltung und die Bindung an Sanktionen. Normen sind auf Handlungen bezogen, was sie von Naturgesetzen unterscheidet. Sie regulieren Abläufe von Interaktionen, da sie für die wechselseitigen Erwartungen der Interaktanten konstitutiv sind. In diesem Sinn sind Nonnen sozial. Normen sind nicht mit Merkmalen wie 'individuell' oder 'partikular' zu charakterisieren. Vielmehr wird für sie ein Anspruch auf eine mehr oder weniger große Allgemeingültigkeit und Verbindlichkeit erhoben. Mit diesem Anspruch hängt ein weiteres Merkmal zusainnen: Normen haben Gebotscharakter. Vfer gegen sie verstößt, muß mit Sanktionen rechnen. Betrachten wir diese allgemeinen

1

MI

Chaque fois que tu interviens tu rfeutilises le terme nonte.

A

Oui, bien sär.

MI

9a veut dlre chaque fois qu tu l'utilises il some trös haut. C'est parce qu'on peut pas le d^finir. S1 tu me disals norme ggale un plus deux plus trols et c'est 9a, cn

5

en parlerait beauccup plus nim. A

10

Non nels t'as ralscn, cul bloi sQr.

MI

Parce que ce terme-lä en fait il veut dire quelque chose sans rien dire.

A

Oui mals quand ir£me taut le monde oonprend de quoi il s'agit.

MI

Oui mais dSs que tu le lances cn se sent c±)ligfe de devenir plus abstrait que concret.

A

Non mals c'est pas nteessairanent la pelne je trouve.

W1

D'ailleurs la preuve c'est qu'cn a trouvfe des exenples tout ä fait ooncrets d'utilisation de

W2

Oui nais la norme c'est le Code, c'est c'qui te permet de toucher un maxlnum de gens. Si noii

la notme ou d'cbfeissance ä la norme. je me mets A parier dans le patois qu'on utilise chez moi ou si j'roe mets ä parier argot, 15

bcn j'sais pas parier l'argot, nais c'est pas forc6 que taut le msnde me cotprendra. C'est cottne si tu denandais ä un mathämaticien, qu'est-ce que vous pensez du systäne d&cinal etceteia. Bon le systäne d&;iinal celui qu'il utilisait tout le temps, si lui il comnence ä roettre en daute ce genre de choses, lui il va plus arriver ä faire dans le dcroalne ce qui l'intferesse. lA aussi c'est une norme. C'est ce qui t'permet d'acquferir le naxinum de prfecision par

20

rapport ä un langage. W1

Oui c'est 9a. Tu recherches une certaine universalitfe parce qu'en fait tu ne peux pas arriver ä faire passer un ccntenu si tu fais totalement abstraction de la forme. Parce que lä cn fait une dichotomie entre le contenu et la forme. Bon, c'est vrai, ce scnt deux choses diffferentes seulement tu peux dire aussi que la fomie est un peu au Service du contenu pour pouvoir le

25

faire passer aux autres pour pouvoir le ccmuniquer. Si tu utilises ta propre norme qui ne serait prc^e qu'ä toi, par exetiple, ccnment veux-tu que les autres te ccmprennent, MI

aii ce qui est dfejä Ijipossible, c'est tcujours par rapport ä plusieures personnes, y a pas une nonre personnelle. Quand vous avez dit une norme c'est euh de s'adresser au itaxiitum de gens possible et quand j'avais dit j'&tais pas d'accord parce que la norme l'une des

30

plus parfaltes, bcn un exenple qui est assez Mddent pour tout le nonde c'est le langage de Marcel Proust. Marcel Proust quard il 6crit, bcn d'aprds les t&toignages, c'est un suniium de l'utilisaticn du langage fran9ais et ce langage-lä n'est pas ä la portfee de tout le mande et pourtant il est presque l'incamaticn d'une certaine norme d'utilisation du langage.

35

40

W1

(Mais) tu as dit d'une certaine norme tu n'as pas dit de la norme.

H4

CXii c'est une norme litt&raire quand m ^ .

MI

Non Rais de la norme euh du

H3

acadintie fren9alse

MI

la norme

M4

reconnue, voilä, et 9a c'est une norme, pas la norme.

W1

Voill.

Merkmale anhand eines sehr einfachen Beispiels, um dann weitere Differenzierungen einzuführen. Wenn ich einen Bekannten auf der anderen Seite der Straße durch Schwenken eines Arms grüße, setzt dies meine Kenntnis der Muster voraus, nach denen man grüßt. Gleiches gilt für ihn: wenn er mein Armschwenken als Gruß interpretiert und danach seinen Arm schwankt, dann muß er nicht nur wissen, daß dies eine Art des Grüßens ist, sondern auch davon ausgehen, daß ich ihn grüßen vrollte und nicht etwa ein heftiges Zucken meinen Arm nach oben schnellen ließ. Von beiden Beteiligten wird das Armschwenken als Gruß, d.h. als Mittel zum Vollzug einer bestininten Handlung aufgefaßt. Für ein mehrmaliges Kreisen eines Arms trifft dies nicht zu. Falls zwei Beteiligte nacheinander ihre Arme kreisen ließen, würde dies wohl eher als Vollzug gymnastischer Übungen aufgefaßt. Vtorin liegt nun der Unterschied beim Grüßen durch Armeschwenken? Von Wright (1974, 137) weist darauf hin, daß Mannen für den Vollzug von Handlungen einen doppelt regulativen Charakter haben: zum einen gdaen sie an, "cbß gewisse Dinge getan werden sollten oder getan werden dürfen"; dies betrifft in unserem Fall das Wissen damn, wann wir jenanden grüßen und wann wir von jemandem erwarten, daß er uns grüßt. Zum anderen geben Normen an, "wie gewisse Handlungen vollzogen werden"; dies betrifft unser Wissen darum, daß das Schwenken eines Arms als eine Art des Grüßens gilt, das Kreisen eines Arms dagegen nicht. Darüber hinaus gehen wir aufgrund unseres Wissens davon aus, daß es hier nicht um eine zufällige, sondern um eine koordinierte Abfolge von zwei Handlungen geht, die unter Bezug aufeinander als Gruß und Gegengruß gelten und eine geordnete interaktive Sequenz bilden. Schon dieses sehr einfache Bei^iel zeigt, daß durch Normen der zielgerichtete Vollzug von Handlungen reguliert und damit deren sozialer Sinn gesichert wird. Mit der Orientierung an Nörmen entheben wir uns der Notvrendigkeit, mit jeden Handlungsvollzug dessen soziale Verbindlichkeit und Bedeutung neu zu etablieren. Nur so können wir darauf vertrauen, daß unsere Interaktionspartner den Sinn unserer Handlungen ebenso verstehen wie wir den ihrer Handlungen. Normen haben demnach eine handlungsleitende und -entlastende Funktion, sie sichern soziales Verstehen und haben grundlegenden Anteil an der Gestaltung koordinierten und kooperativen Handelns. Dies setzt ein mehr oder weniger großes Maß an Verbindlichkeit und Allgemeingültigkeit auf mindestens drei Ebenen voraus: Aktional betreffen Normen nicht nur eine einzige Handlung, sondern beanspruchen Geltung für alle Handlungen, die nach einem Muster vollzogen werden. Sozial erstrecken sie sich nicht auf Einzelpersonen, sondern auf alle Mitglie-

der einer Gruppe im Geltungsbereich der entsprechenden Norm(en). Temporal haben Nonnen einen überzeitlichen Charakter, d.h. für sie wird eine unbegrenzte oder zumindest längere Gültigkeit beansprucht. Die Verbindlichkeit und Allgemeingültigkeit von Nonten und deren Anerkennung wird nicht nur mit ihrer Einführung und Befolgung, sondern auch durch Sanktionen etabliert. Der Begriff "Sanktion" ist eng mit der Norm verbunden und hat zwei Lesarten. Allgemein lassen sich Sanktionen als soziale Handlungen bestiitmen, die zumindest zvrei Beteiligte voraussetzen: einen Beteiligten, der eine Handlung vollzieht und einen zweiten Beteiligten, der a\if die vorangehende Handlung gezielt reagiert. Die erste Handlung kann nun normgerecht sein oder einen Normverstoß darstellen. Ist sie nontgerecht, wird im Anschluß an sie normal weiter gehandelt oder der norngerechte Vollzug ausdrücklich gelobt werden. In diesem Fall sprechen einige von positiven Sanktionen (vgl. Heringer et al. 1977, 56f). Positive Sanktionen spielen gerade bei der Einführung von Normen im Prozeß der Sozialisation eine wichtige Rolle (von Wright 1977, 136f) und zielen auf Normankonformität ab (Brandt/Köhler 1972). Stellt dagegen die erste Handlung einen Norroverstoß dar, bzw. wird sie als ein solcher aufgefaßt, können negative Sanktionen, d.h. solche Handlungen oder auch lÄiterlassungen von Handlungen erfolgen, die den ersten Beteiligten in negativer Weise betreffen (vgl. Glpy 1975, 45ff). Durch negative Sanktionen wird axif den Sanktionierten Konformitätsdruck ausgeübt und der Versuch unternatmen, ihn zu einen normgerechten Handeln zu bewegen. Der Begriff "Sanktion" wird in vielen Fällen ausschließlich im negativen Sinn gebraucht. Ich folge dieser Verwendungsweise und kennzeichne die andere Lesart ausdrücklich als positiv. Es wurde oben darauf hingewiesen, daß unsere Kenntnis von Normen dazu beiträgt, die Handlungen anderer zu verstehen, d.h. wir können die Frage, vras einer gerade tut oder getan hat, mit dem Hinweis auf die Normen beantworten, die seiner Handlung zugrundeliegen. Wir gehen dann davon aus, daß Handelnde häufig unter einem normativen Druck (von Wright 1974, 134; 1976, 135ff) stehen. Dabei kctimen zwei zentrale Bereiche ins Spiel, wie das folgende Beispiel zeigt: Wenn wir wissen, daß von 1.8.1984 ab in der Bundesrepublik das Nichtanlegen von Sicherheitsgurten mit Bußgeld bestraft wird, dann lassen sich auf die Frage "Warum legte Herr X am 2.8.1984 seinen Sicherheitsgurt an?" die folgenden zwei Antworten geben. Sie sind miteinander verbindbar. Erstens kann man darauf verweisen, Herr X wollte die Zahlung eines Bußgeldes, d.h. eine Sanktion vermeiden, zweitens aber auch darauf, daß er das Anlegen von Gurten aus Sicheriieitsgründen für wichtig halte. Der normative Druck besteht in diesem Fall aus der

Angst vor Sankticnen und/oder "dem Bestreben, die Realisierung der Ziele zu gewährleisten, für die die Nonnen instrumenteile Funktionen besitzen sollen" (vcn Wright 1975, 135). In unserem Fall liegt die instrumentelle Funktion in der Vermeidung oder Minderung bestijtimter ünfallfolgen. Am Beispiel der Anschnallpflicht lassen sich zmi weitere allgemeine Merkmale von Normen zeigen: ihre Historizität und relative Arbitrarität. Bekanntlich gab es eine längere Diskussien darüber, ob und vrann die Anschnallpflicht eingeführt und damit der vorangehende Ehpfehlungscharakter aufgehoben werden sollte. Prinzipiell hätte die Anschnallpflicht früher oder später eingeführt werden können, praktisch war sie jedoch aufgrund von Statistiken und der allgemeinen Didcussionsrichtung 'um diese Zeit herum' geboten. Normen, so läßt sich verallgemeinernd feststellen, sind nicht naturwüchsig, sondern werden in historischen Kontexten zu angetbaren Zwecken eingeführt. In Bezug auf diese Zwecke sind die jeweiligen Normen dann relativ arisiträr, wenn alternative Mittel zu ihrer Verfolgung gegeben sind. So stellt der Sicherheitsgurt lediglich eine Möglichkeit unter anderen zur Vermeidung und Minderung bestimmter ünfallfolgen dar, imd die Wahl hätte auch auf ein anderes System fallen können. Ein weiteres Beispiel dafür, daß sich aus einem konkreten Nontiierungsbedarf nicht die Notwendigkeit zur Wahl einer bestimmten Normierung ergibt, ist die unterschiedliche Festlegiaig der Fahrseite im Links- und Rechtsverkehr. Es ist wichtig, sich die relative Arbitrarität von Nonnen vor Augen zu halten, da in der Auseinandersetzung um Normen iitmer wieder versucht wird, die Wahl einer spezifischen Nonn aus der allgemeinen Notwendigkeit von Normen oder aus einem Normierungsbedarf abziiLeiten und damit die Wahl einer bestimnten Norm zu begründen oder zu rechtfertigen. Wie noch zu zeigen ist, spielen derlei tflaerlegimgen im sprachnormativen Diskurs eine wichtige Rolle. Die Auseinandersetzung um Orthographiereformen in Deutschland und Frankreich zeigt dies beispielhaft. Wir können nun die bisherigen Überlegungen zusarnnenfassen und die von Härtung (1977, 11) vorgeschlagene allgemeine Normendefinition unter zusätzlichem Hinweis auf den historischen und partiell arbiträren Charakter von Nonnen übemdimen: In einem hinreichend allgemeinen Sinn können wir soziale Normen - und die Normen der sprachlich-kommunikativen Tätigkeit sind ein spezieller Fall sozialer Normen - als gedankliche Festsetzungen verstehen, die sich auf menschliche Handlungen beziehen und kollektive Verbindlichkeit besitzen, die vom Handelnden also eine bestimmte, wiederkehrende Art des Handelns fordern und so auf eine Regulation sozialen Verhaltens hinzielen. Insoweit sich soziale Normen auf Handlungen beziehen und kollektive Verbindlichkeit besitzen, sichern sie sowohl einzelne Handlungsvollzüge, als auch deren Verständnis.

8 Van Normen, verstanden als gec3ankliche Festsetzungen, d.h. als Abstraktionen, sind Normiertheit oder Normgemäßheit zu unterscheiden (Härtung 1977, 20): sie betreffen Eigenschaften und Merkmale von Handlungen und erlauben eine Beurteilung, ob und in welchem Maß beim Handlungsvollzug einer Norm oder mehreren Normen gefolgt wurde. Die Normiertheit und Nont^enäßheit von Handlungen sichern, daß diese aufgrund ihrer Beschaffenheit in einer gegebenen Kommunikationsgemeinschaft in annähernd gleicher Weise erkannt und interpretiert werden können. (Härtung 1977, 20)

Wenn wir anhand wahrnehmbarer Merkmale von Handlungen deren Normgenäßheit beurteilen, beziehen wir uns auf Nconen als gedankliche Festsetzungen, die uns einen Bewertungsnaßstab liefern. Wir göien dabei davcn aus, daß die Beteiligten die ent^rechenden Normen kennen, sie befolgen und auch wissen, daß die anderen diese Kenntnis bei ihnen voraussetzen. So gesehen sind Nonnen Teil eines individuellen und kollektiven Normenbewußtseins. Was für Normen allgemein gilt, läßt sich auf Sprachnormen übertragen: Sprachnormen sind Teil des individuellen und kollektiven Sprachbewußtseins, das uns bei unseren Beiträgen zur Interaktion leitet. Dies heißt aber nicht, daß wir die einzelnen Normen auch immer benennen oder präzise angeben könnten. Das wird in der Interaktionspraxis normale:^ weise auch nicht verlangt. Betrachten wir dazu folgendes Bei^iel: auch ver auf eine langjährige Praxis als Autofahrer ohne Unfall und Strafmandat zurückblicken kann, vermag in aller Regel die Verkehrsbestiinnungen im einzelnen nicht anzugeben, die er offensichtlich erfolgreich befolgt. ISid dies in einem Fall, der, verglichen mit der Bdierrschung einer Sprache, in mehrfacher Hinsicht sehr einfach ist: die Menge der Bestiitmungen und der Tätigkeiten, die sie regulieren, ist sehr begrenzt, und sie ist außerdem explizit eingeführt worden. Die einer Sprache zugrunde liegenden Regulierungen dagegen sind sehr viel katplexer und kcnplizierter, und sie werden nur in Teilen explizit eingeführt. Aus dieser Beobachtung ergeben sich begriffliche und msthodische Konsequenzen für die Befassung mit Nonnen und für die uns zentral interessierenden Sprachnonnen; begrifflich gilt es hinsichtlich ihrer Repräsentation zwischen impliziten und expliziten Nonnen zu unterscheiden; methodisch ist zu fragen, auf welchen Wegen man sich Normen nähern und mit ihnen erfolgversprechend auseinandersetzen kann.

1.2.

Iirplizite und explizite Normen

Härtung (1977) und offensichtlich unabhängig davon Alfeong (1983) unterscheiden inplizite und explizite Normen. Unter expliziten Nonnen versteht Alfeong Cet ensemble de formes linguistiques ayant fait l'objet d'une tradition d'elaboration, de codification et de prescription. Elle se constitue selon des Processus socio-historiques [...]. Codifiee et consacree dans un appareil de rfeferences, cette norme est socialement dominante en ce sens qu'elle s'impose comme 1'ideal ä respecter dans les circonstances qui appellent un usage reflechi ou contröle de la langue, c'est-ä-dire dans les usages officiels, dans la presse ecrite et audio-visuelle, dans le systeme d'enseignement et dans 1'administration pijblique. (Alfeong 1983, 261)

Wenn Alfeong inplizite Normen als "les usages concrets par lesquels l'individu se presente dans sa socifetfe imiMiate" (261 f) auffaßt, verweist er allgemein auf einen Hintergrund, vor dem Interaktanten sich präsentieren bzw. bewertet werden. Härtung dagegen betont die handlungsleitende und Erwartungen konstituierende Funktion iitpliziter Normen für den sprachlichen Bereich: Implizite Normen sind Erfahrungen, die der Produktion und Rezeption sprachlicher Äußerungen zugrunde gelegt werden. Beim Rezipienten führen sie zur Entwicklung bestimmter Erwartungen. Das Wissen vom Vorhandensein solcher Erwartungen veranlaßt den Sprecher, sich ein Bild von den Hörererwartungen zu machen und sich davon bei der Gestaltung der Äußerungen leiten zu lassen und Handlungen zu gestalten und Erwartungen zu lenken, sind zwei Seiten in der Funktion von Normen. [...] In beiden Fällen, bei der Produktion und bei der Rezeption erfolgt eine Überprüfung an impliziten Normen (Härtung 1977, 16)

Die genannten Merkmale zur Unterscheidung von iinpliziten und expliziten Normen tauchen in der Normen^ und Sprachnormendidcussion immer wieder auf und werden mit unterschiedlichen Begriffspaaren belegt wie "subsistent/statuiert", "primär/sekundär". Dajaei spielen unterschiedliche Blic)crichtLingen eine Rolle: Zum einen erfolgt die ISiterscheidung nach der Zugänglichkeit und Beobachtbarkeit von Handlungen unter nornativen Gesichtspunkten. Häufig unter Anlehnung an naturwissenschaftliche Begriffe (vgl. Schröder 1974, 1061 ff) werden inplizite Normen auch als statistisch erfaßbare Regelmäßigkeiten (vgl. von Polenz 1972; Rey 1972; Glqy 1975, 25ff, 79ff; Alfeong 1983) aufgefaßt und im Sinne eines mittleren Vfertes als das Normale konzipiert. Damit einher göit häufig eine Charakterisierung dieser Normen als deskriptiv. Auf der anderen Seite Vierden

häufig explizite Normen als normativ und präskriptiv im Sinn kodifi-

zierter Vorschriften aufgefaßt. Daß bei einer Nortrauffassung, die den Handlungsbezug von Normen als zentral ansieht, die Rede von dedcriptiven Normen zumindest problematisch, wenn nicht göir unzutreffend erscheint, wird von Glqy (loc.cit.) und Härtung (1977, 18-20) ausdrücklich betont:

10 Wenn wir davon ausgehen, daß sich Nonnen auf die Ausführung von Handlungen beziehen, dann sind sie in Bezug auf diese Handlungen inmer präskriptiv; in diesem Sinn kann es gar keine deskriptiven Normen geben. 'Beschreibend' ist dagegen die Art, in der etwa die Wissenschaft am das Phänomen der Normen herangeht; aber dieses Herangehen konstituiert keine besondere Norm. Allenfalls könnte man sagen, daß es sich um verschiedene Analyseebenen ein und derselben Norm handelt.

Halten wir uns vor Augen, daß die Auseinandersetzung mit Normen und Sprachnormen grundsätzlich an meta^achliche Interaktionen gebunden ist. Wir können dann analog zu den beiden Analysedaenen zwischen zwei Grv^jpen normbezogener Diskurse unterscheiden: - Diskurse, die Nonnen präskriptiv, d.h. mit der Absicht behandeln, sie als vori3ildlich einzuführen, durchzusetzen, aufrecht zu erhalten usw., sollen als normative Diskurse (discours normatifs) bezeichnet werden. Bei Sprachnormen soll in diesem Fall von spraohnormativen Diskurs (discours linguistique normatif) die Pede sein. - Vfenn es darum geht. Normen und Nonnenbestände zu erfassen und zu benennen, Auskünfte über ihre Genese und Funktion zu erhalten, ohne daß damit die Absicht verbunden ist, die entsprechenden Nonnen durchzusetzen, aufrecht zu erhalten usw., rede ich van Diskurs über Dörmen (discours sur les normes) und in Ent^rechung dazu vom Diskurs über Sprachnormen (discours sur les normes linguistiques), wenn es um Sprachnonten geht. 1.3.

Elrpirische und interpretative Auseinandersetzung mit Normen

Ob nun eine Hede, in der von Sprachnormen gehandelt wird, als sprachnonnativer Diskurs oder als Didcurs über Sprachnormen gelten und anerkannt werden soll, läßt sich anhand ihrer strukturellen und direkt wahmehnbaren Merkmale allein ebenso wenig bestimmen wie durch reinen Bezug auf die in ihnen formulierten Anbrüche. Dies hängt vielmehr wesentlich von den dbjdctiven sozialen Gegebenheiten ab, in denen der entsprechende Diskurs produziert und rezipiert wird. So ist es z.B. spätestens seit Vaugelas in Frankreich durchgängiges Merkmal des sprachnormativen Diskurses, daß er präskriptive Absichten leugnet und sich als Diskurs über Sprachnormen präsentiert; dieses Zusammenspiel von deskriptivem Anbruch und präskriptiver Wirkung kann durch eine diskursinteme Analyse allein nicht aufgedeckt werden, sondern tritt erst bei Einbezug der objektiven historischen und sozialen Bedingungen hervor. Aus einer Verallgemeinerung dieser Feststellungen läßt sich ein methodisches Prinzip für die Auseinandersetzung mit Sprachnormen ableiten: wenn wir uns mit Sprachnormen einigermaßen erfolgversprechend befassen wollen, bedarf es über formale und

11 quantitative Ansätze hinaus eines interpretativen Zugangs, der die umfassenderen Bedingungen und Funktionen von Sprachnormen und sprachnornativen Diskursen zu rekonstruieren sucht. Die Sprachnormen einer Gesellschaft sind uns nur indirekt zugänglich. Dies gilt nicht nur für iitplizite Nomen, sondern auch für explizite, die nur teilweise in Form selbständiger Listen und Codices vorliegen. Zwei Wege bieten sich an, um enpirische Aufschlüsse über Sprachnormen und Normenbestände zu erhalten: zum einen kann man versuchen, über Beobachtungen des Sprachgebrauchs Häufigkeitsverteilungen sprachlicher Strukturen zu ermitteln, um zu erschließen, was angesichts der beobachteten Daten als das Normale gelten kann. Dieser Weg führt zu quantitativen, statistisch behandelbaren Ergebnissen und hat einen Normbegriff im Sinne einer Normalverteilung oder eines mittleren Wertes hervorgebracht. Der statistisch-quantitative Normbegriff deckt jedoch nur einen Teil der sprachnormativen Phänomene. Der andere Weg führt zur Interpretation metakonmunikativer und metasprachlicher Tätigkeiten, da in ihnen, wie wir annehmen. Normen nicht nur befolgt, scndem nanchmal auch thematisiert und ausdrücklich benannt werden. Dies ist z.B. der Fall, wenn Äußerungen bewertet, kritisiert, korrigiert oder gelebt werden. Diese Art meta^rachlicher Tätigkeit kann sehr \mifangreich ausfallen und Sprachglossen sowie ganze Kcrtpendien hervorbringen. Sie findet in Alltagsgesprächen ebenso statt wie in institutionellen Situationen, sei es im Schulunterricht, an Akademien, in Sprachgesetzen oder in eigenen Radio- oder Fernsehsendungen. Wenn es, wie bei unserer Fragestellung, darum geht, sich mit Fragen von Sprachnorm und Sprachnormierung in Frankreich zu befassen, bietet sich der zweite Weg an, da so eine Reihe von Eigenschaften des individuellen und kollektiven Sprach- und Sprachnormenbewußtseins in Frankreich herausgearbeitet werden kann. Dazu haben Gueunier/Genouvrier/Khomsi (1978) und Scherfer (1983) Vorarbeiten auf der Grundlage empirischer Erhebungen geleistet, während Schwarze (1977) sich mit einer Reihe von Sprachchroniken befaßt, um so Auskünfte über "bestimnte geschichtlich gegebene und sich reproduzierende Steuerungsfaktoren von Einstellungen" (Schwarze 1977, 6) zu erhalten. Auf diese Weise kann man eine Reihe von Funktionen nachweisen, die der sprachnormative Diskurs in Frankreich (vgl. Berrendonner 1982, 52ff) für sich in Anspruch niimtt und die er streckenweise mit seinem deutschen Pendant teilt (vgl. Gloy 1975, 61ff; Sandig 1982). Wenn man der Auffassung ist, daß Sprachnormen als Teilmenge der sozialen Normen im individuellen und kollektiven Normenbewußtsein präsent sind, dann

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ist der Frage nachzugehen, in welcher Weise sich dieses Sprachbewußtsein nanifestiert. Gleiches gilt für die Auseinandersetzung mit sprachnormerischen Eingriffen und Vorschlägen, sofern diese nicht als bloße Spielereien hartnäckiger Sprachfanatiker oder gutmeinender Sprachverbesserer gelten sollen, deren Bemühungen an der Realität des sprachlichen Alltags vorbeigehen und keinen Einfluß auf das Sprachbewußtsein haben.

1.4.

Ein alltagssprachlicher Definitionsversuch

Daß und in welcher Weise Sprecher des Französischen ihr Sprachbewußtsein manifestieren, läßt die oben wiedergegebene Gesprächspassage ansatzweise erkennen. In Entsprechung zur linguistischen Auseinandersetzung mit Sprachnormen konstatiert einer der Teilnehmer: Ml: Ce terme-lä, en fait il veut dire quelque chose sans rien dire (7).

Der Gesprächskontext zeigt, daß diese Feststellung als Kritik fonnuliert und aufgencmnen wird: MI moniert am bisherigen Gesprächsverlauf die mangelnde begriffliche Klarheit, und A entgegnet, daß dieser Begriff allen Teilndiinem durchaus verständlich gewesen sei. Der Beitrag von MI kann als Einwand, Kritik, Rüge usw., der von A als deren Zurückweisung gelten. Betrachten wir nun etvgas näher, wie MI seinen kritischen Beitrag einbringt und auf welcher Grundlage er ihn fonnuliert. MI begibt sich auf eine metaspraohliahe Ebene, indem er die Verwendung des Begriffs "Sprachnorm" thematisiert und dessen mangelnde Präzision kritisiert. Die damit vorgenonnene sprachliche Bewertung hat eine allgemeine Grundlage, die weit über den vorliegenden Fall hinausgeht und die von allen Gesprächsteilnehmem anerkannt wird. Wenn MI auf fehlende begriffliche Klarheit verweist, kann dies als Hinweis auf einen Verstoß gegen die Modalitätanaxime gewertet Verden, die Grice (1979) als eines der grundlegenden Gebote kooperativer Karmunikation einführt. Wenn A hingegen meint, der soweit verwendete Normbegriff sei verständlich, dann nimmt er für die vorangehenden Beiträge in Anspruch, daß sie dem allgemein anerkannten Klarheitsgebot entsprochen haben. Das Gebot wird anericannt, strittig ist hier, ob ihm die vorliegende Begriffsverwendung entspricht oder nicht. Den von MI monierten Mangel versucht W2 zu beheben, indem sie eine Definition des Normbegriffs vorschlägt: W2: mais la norme c'est le code c'est ce qui te permet de toucher un maximum de gens (13) .

Wenn hier "norme" als "code" aufgefaßt wird, dann geht es um Norm nicht im Sinn einer einzelnen Handlungsanweisung, sondern im eine Sairmlung von An-

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vreisungen. Nun hat das Lexem "code" zwei Lesarten; so wird in "Lexis" oode zum einen definiert als: I. 1 Recueil de lois ou de reglements; volume constitue par ce recueil [...] 2 Ensemble de Conventions en usage dans un domaine determine

[...]

Für die zweite Lesart wird angegeben: II. 1 Systeme de signes, de signaux, ou de symboles permettant de representer et de transmettre une Information entre un emetteur et un recepteur.

Bei ihrem Definiticnsversuch unterstreicht W2 die kcmnunikative, verständnissichemde Funktion von Sprachnormen. Dabei scheint ihr die zweite Lesart des Code-Begriffes vorzuschweben, auch wenn die andere (1.2) im unmittelbaren Anschluß an3tlingt. Dort stellt sie den Patois der Norm gegenüber, der keine allgemeine Verständlichkeit sicherstellt: W2 si moi je me mets ä parier dans le patois qu'on utilise chez moi [...] c'est pas forcfe que tout le monde me comprendra (13ff).

Hier deutet sich eine für viele Konzeptionen von Sprachnorm feststellbare Ambivalenz an, von der auch linguistische Nöntauffassungen nicht frei sind: zum einen wird die allgemeine konnunikative Funkticn von Normen für eine möglichst große Gruppe von Sprechern (z.B. die Franzosen oder die Angehörigen der Francophonie) ohne weitere Differenzierung in Anbruch genommen. Sprachliche Unterschiede Innerhalb der Grujpe treten dabei ebensovraiig in Erscheinung wie die oft erhebliche Kluft zwischen normativem Anspruch und sprachlicher Wirklichkeit. Daß dennoch Verständigung möglich ist, wird dann zumeist nicht etwa damit erklärt, daß die entsprechenden sprachlichen Teilsysteme selbst die für die Nonn als "code" angenortrnenen Bedingungen erfüllen und ihre Sprecher über die erforderlichen ^rachlichen Fähigkeiten verfügen. Vielmehr gilt häufig allein die für die allgemeinen Normen reJtlamierte konnunikative Funkticn als entscheidend. So kann der Eindruck erweckt vrerden, als sei eine Interkcmnunikation zwischen Sprechern unterschiedlicher sprachlicher Varietäten nur möglich, weil sie auch über Kenntnisse des Normstandards verfügen. Daß dies eine, aber auch nur eine, unter anderen Möglichkeiten ist, wird dabei wohlweislich verschwiegen. Zum anderen liegt dieser Normauffassung iitmer auch ein häufig nicht explizierter Bewertungsmaßstab zugrunde, anhand dessen dem normgerechten Sprachverhalten vor anderen Sprachstandards ein besonderer Wert zugesprochen wird. Dies zeigt sich überdeutlich in der Unterscheidung zwischen dem "boi usage" - als der Norm schlechthin - imd dem "mauvais

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usage", die seit dem 17. Jahrhundert den sprachnormativen Diskurs in Frankreich wie ein roter Faden durchzieht. Greifen wir die von W2 vorgeschlagene Definition des Nonribegriffs als "code" noch einmal auf, so erhalten wir einen Hinweis darauf, daß "code" in der ersten Lesart auch als "ensemble de ccnventicns en usage dans un dcmaine dfetenninfe" verstanden werden kann. Dies führt zu einer weiteren Frage: welches sind Bereiche, aiof die sich kamunikative und ^rachliche Normen beziehen?

1.5.

Bezugsbereiche sprachlicher und kcninunikativer Normen

In einem "Rathgeber für unerfahrene und schüchterne junge Leute beiderlei Geschlechts" aus dem Jahr 1863 findet sich ein schönes Bei^iel dafür, daß in Lehr- und Lemsituaticnen häufig Normen eine wichtige Rolle spielen. Ebensosehr aber wie eine Anweisung zum Briefschreiben, ist auch eine Anweisung zur Führung, ganz besonders jedoch zur Einleitung von Gesprächen, ein Bedürfnis für junge und unerfahrene Leute, die in ungewohnten Situationen des Lebens sich gar leicht linkisch und unbeholfen benehmen und sich dadurch wesentliche Nachteile zuziehen würden, käme ihnen nicht ein Rathgeber wie unsere Salongespräche, zu Hülfe. Denn durch ihn erhalten sie wichtige Fingerzeige, deren Beachtung ihnen zur Erreichung ihrer verschiedenartigen Ziele von großem Nutzen sein muß. (Von Reinbeck 1863, 7)

In dieser Passage werden zwei Bereiche sprachlicher und kanmunikativer Normen unterschieden, auf die Härtung (1977, 26ff) hinweist: Wenn sich die jungen Leute "in ungewdinten Situatioien" nicht "linkisch und unbdiolfen bendmen" sollen, setzt dies voraus, daß es Normen zur Regelung der Rahmenbedingungen sprachlicher Interaktionen gibt, während die "Anweisung zum Briefschreiben" und die "Einleitung von Gesprächen" Normen der Beschaffenheit von Äußerungen betreffen. Betrachten wir beide Bereiche etwas näher. Daß Normen nicht irgendwie, sondern mit jeweils spezifischem Situaticnsbezug gelten, zeigt ein Blick in das Inhaltsverzeichnis eines "Savoir-vivre" (Silvin/de Premont 1980, 350ff), in dem für folgende Situationen des Alltags besondere Rahmenbedingungen angegeben werden: "en famille, ä la maiscn, dans la nie, au travail, ä l'fecole, en visite". Bei den situaticnsbezogenen Normen lassen sich solche unterscheiden, die spezifische situative Erwartungen konstituieren (Härtung 1977, 35f), solche, die die Äußerungsqualität betreffen, d.h. ct> "sich jemand klar, gewählt, geschwollen, gelehrt, höflich, taktvoll, sehr allgemein, verschwcmmen ausdrückt" (a.a.O., 27) und solche Nomen, die auf die mündliche oder schriftliche Realisationsart von Sprache bezogen sind. Darüber hinaus gibt es Normen für den parasprachlichen Bereich

15

und für suprasegmentale Elemente. Sie betreffen Intonation, Sprechgeschwindigkeit, TonhcSie, Lautstärke usw. Wenn wir eine Äußerung unter Bezug auf die einzelnen situationsbezogenen Normen beurteilen, tun wir dies unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit. Ziehen wir dagegen granmatisah-semantische Normen heran, urteilen wir unter dem Gesichtspunkt der sprachlichen Richtigkeit (vgl. Härtung 1977, 27f). In der Kaimunikaticnspraxis sind beide Normenbereiche miteinander verbunden und aufeinander bezogen. Allerdings nehmen grammatisch-semantische Normen eine Vorrangstellung ein, denn die Wahl situatioisent^rechender Äußerungsformen setzt die Fähigkeit zu derai "richtiger" Bildung im Sinne iitpliziter Normen voraus. Hartungs "Annahme, [...] daß die situativen Normen auf der Grundlage von grammatisch-semantischen operieren" (Härtung 1977, 40), findet in der Praxis imterschiedlicher Ratgeber eine deutliche Bestätigung: so wird in der eben angeführten Passage des Konversationsbuches vorausgesetzt, daß sein Zielpublikum korrekt und richtig sprechen kann, ihm jedoch die Mittel fehlen, sich in speziellen Situationen angemessen auszudrücken. Für den Schriftverkehr gibt ein neuerer französischer Ratgeber (Lange 1977) bezeichnenderweise zunächst unter don Titel "Connaissons mieux le fran9ais" vor allem orthographische Hinweise, lan dann zur Behandlung situationsbezogener Korrespondenz überzugehen. Katgeber der genannten Art weisen darauf hin, daß die von ihnen behandelten Bereiche problematisch sind und setzen bei ihren Benutzem ein entsprechendes Problembewußtsein voraus, dessen Zustandekonmen sich grob umreißen läßt: im Prozeß des Spracherwerbs und während der primären Sozialisation lernen wir, unsere Beiträge an den inpliziten grammatisch-semantischen und situativen Nonnen auszurichten. Zugleich müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß es wsiterreichende normativ bestimmte Erwartungen für beide Bereiche gibt, die uns eine größere Differenzierung unserer Äußerungen abverlangen. Wir lernen in aller Regel, daß zwischen dem, was wir als normal im Sinn impliziter Normen erfahren und dem, was uns normativ im Sinn expliziter Normen beigebracht wird, eine mehr oder weniger große Kluft besteht. Das Wissen um einen anerkannten und geforderten, lons aber unbekannten und mehr oder weniger unzugänglichen Bereich expliziter Normen, prägt unser Sprachbewußtsein. Die Ratgeber stellen in Aussicht, zijmindest einen Teil expliziter Normen für unterschiedliche Bereiche anzugeben. Wir können nun festhalten, daß bei der Aaseinandersetzung mit Sprachnormen von einem differenzierten Inventar inpliziter und expliziter situativer und grammatisch-semantischer Normen mit je spezifischem Geltungsbereich auszugehen ist. Betrachten wir dazu das folgende Beispiel: Wer am Fahrkartenschalter eines französischen Bahnhofs zum Kauf einer Fahrkarte den Satz

16 1) Une fois Paris aller-retour

deuxieme

äußert, entspricht cäamit sowohl allgemeinen Grundvoraussetzungen von Koiirnunikation (er handelt nach dem Kooperationsprinzip und in Entsprechung zur Maxime der Quantität) als auch impliziten situativen und granmatisch-semantischen Normen. Es besteht so gute Aussicht, daß er sein Interaktionsziel erreicht. Zweifel an einem solchen Erfolg sind bei der Verwendung der Äußerung: 2) Un fois venir Paris

nicht nur wegen mangelnder grairmatischer (fehlende Genuskonkordanz, nicht regelhafte Wortstellung) und semantisch-referentieller (nach Paris oder von Paris?) Korrektheit, sondern auch deshalb angebracht, weil noch notwendige semantisch-referentielle Angaben fehlen (wie der Hinweis auf die Wagenklasse), die nicht aus der Kenntnis der Situation erschlossen werden können. Dies war im ersten Beispiel der Fall, wo konventionellerweise geschlossen werden kann, daß der Sprecher eine Fahrkarte wünscht, auch wenn er dies nicht ausdrückt. Während 1) inpliziten gramnatischen und situativen Nonnen entspricht, kann der Satz aus normativer Sicht mit dem Hinweis ] ziä:iungsstile und -Inhalte zum Ausdruck, dem Rabelais seinen Protagcjnisten im 1534 erschienenen Gargantua unterwirft. Rabelais itarkiert deutlich den t&ergang von Mittelalter zur Renaissance, wenn er der ver^xDtteten scholastischen Erziehung eine humanistische Bildui^ gegenüberstellt, die, dem antiken Ideal des mens sana in corpore sano folgend, den ganzen Menschen umfaßt und auf eine erpirisch-kritische Uberprüfung der tradierten Inhalte ausgerichtet ist. Eigene Beobachtung der Menschen, ihres Verhaltens und Produzierens, der Natur und der Gestirne wird zum Bestandteil einer vollständigen Erzidiung. Diese neue Form der Weltaneignung (vgl. Weimann 1977) zeigt sich auch in anderen humanistischen Bildungs- und Erziäiungsprograitmen, die über den Erwerb der überprüften klassischen Inhalte hinaus Fähigkeiten und Fertigkeiten anzielten, die in Technik, Vervaltung und Handel einsetzbar sein sollten (vgl. Garin 1966). In ihrer kritischen und praktischen Stoßrichtung unterscheiden sich die literarisch präsentierten Bildungsziele der Renaissance von denen des Mittelalters und lassen die Wissens- und Bildungsbedürfnisse des erstarkenden Handelsbürgertums erkennen, das nicht zuletzt auch ein spezifisches Interesse an Sprache und Sprachen hatte. Mit der Ausweitung und Intensivierung internationaler Handelsverbindungen wurden sprachliche Grenzen und Iftiterschiede als deutliches Hertmnis erfahren. So kam es zur Entstehung eines Marktes für Sprachführer, mehrsprachige Wörterbücher und fremdsprachige Graitiiiatiken, aber auch zur Befassung mit der eigenen Sprache. Neben diesen praktischen Bedürfnissen sind als weitere Gründe für die im 16. Jahrtiundert einsetzende starke Befassung mit dem Französischen zu nennen: - die textkritischen Zielsetzungen der Humanisten, die, um die Wiederherstellung der ursprünglichen Textfassungen von Autoren des klassischen Bildungskanons bemüht, ein Latein offenlegten, das von dem zeitgenössischen gesprochenen und geschriebenen Gebrauch des Lateins deutlich unterschieden war. In der Verwendung des Französischen - auch in den bisher dem Latein reservierten Bereichen - sah man eine Möglichkeit, die Kluft zwischen dem praktizierten Latein und dem der Bezugsautoritäten zu überwinden. - Gepaart mit dem Bemühen um möglichst weite Verbreitung von Wissen aus schon erschlossenen und immer mehr neuen Gebieten sowie von Texten des klassischen Bildungskanons, führten die humanistischen Bestrebungen zu zahlreichen Übersetzungen ins Französische {Rickard 1968, 6ff.). Schon die freie Zugänglichkeit von Texten beeinträchtigte die von der Theologie dominierte universitäre Wissensvermittlung. Die Übersetzung der heiligen Schrift in die Volkssprache jedoch sahen die römisch-katholische Kirche und die Theologie als fimdamentalen Angriff an: das in eineinhalbtausend Jahren auf- und ausgebaute Monopol der exklusiven Vermittlung und Ausdeutung der Bibel, die sie mit feinsten Tech-

42 niken der Exegese (vgl. Ohly 1977) betrieb, war bedroht, und der Erfolg der Reformation in Deutschland bewies ihr das Ausmaß dieser Bedrohung. Unter Einsatz ihrer Macht reagierte sie mit dem Versuch, durch Zensur und Häretikerprozesse die Zirkulation theologischer Inhalte in ihrem Sinn zu kontrollieren. - Mit Herausbildung der Nationalstaaten und deren wechselseitiger Abgrenzung erhielt die Sprachenfrage eine ideologisch-politische Dimension: Nach innen konnte sie angesichts zahlreicher sprachlicher Unterschiede in einem Herrschaftsbereich als einigender und vereinheitlichender Faktor angesehen werden. Nach außen unterstrich die Behauptung des - wie auch immer begründeten Wertes der eigenen Sprache (Rickard a.a.O., 14ff.) den Ausdruck des eigenen staatlichen Wertes, und schon früh wies Claude de Seyssel als Kanzler des französischen Königs auf den Nutzen einer guten Sprache für die Förderung der Kolonialisierung hin (vgl. Brunot 1967).

Zu diesen Faktoren tritt ein weiterer, den Brunot als "raison d'ordre feconanique" (Brunot 1967, III) bezeidinete, als er auf die Polle des Druckereigewerbes für die Durchsetzung und Verbreitung des Französischen im 16. Jahrhundert hinwies (vgl. Settekom 1979). Die Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern, seine technischen, ökoncmischen und kulturellen Bedingungen, seine rasche Ausbreitung und der Erfolg seiner Produkte gab einen entscheidenden Anstoß zur Beschäftigung mit Sprache und machte deutlich, daß Normierungen fdilten. Vfeitaus klarer als in den bisher angesprochenen Bereichen zeigt sich hier der enge Zusaimenhang sprachlicher Normierung mit technischen, ökoncmischen, politischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen. Angesichts der umfassenden Änderungen in allen Bereichen boten die vorfindlichen Normierungen keine hinreichenden Leitlinien mehr, und es bedurfte der Schaffung völlig neuer Handlxmgsorientierungen oder der Ersetzung bzw. Veränderung alter. Am deutlichsten machte sich dies in neuen ökoncmischen Bereichen bemerkbar. So erwiesen sich in der Druckerei als einem der fortgeschrittensten und fortschrittlichsten Gewerbe die alten Zimftcsrdnungen als brüchig und ungeeignet zur Handhabung qualitativ neuer Konflikte. Neue Formen der Investition, Produktion und Vermarktung hatten in diesem Gewerbe zu Interessengegensätzen zwischen den Besitzern der Offizinen und ihren Gesellen geführt, die durch einen Streik für ihre Ziele eintraten. Er wurde 1539 in Lyon begannen, zwsi Jahre später griff er auf Paris über, und er wurde erst 1572 engültig mit einem Ergebnis beigelegt, das den Offizinenbesitzem entgegenkam. Angesichts sehr hoher Kapitalinvestitionen bei Einrichtung und Betrieb einer Offizin - die Papierkosten waren gemessen an den Lohnkosten immens - sowie einer starken Inflationsrate strebten die Drucker eine Beschleunigung und Erhöhung der Produktion durch die Einführung von Arbeitszeiten an, die sich an der Auftragslage und nicht an den Zunftregelungen orientierte. Zur Senkung der Produktionskosten stellten sie verstärkt Lehrlinge ein, deren Ausbildung sie zusehends den Gesellen entzogen und die sie Arbeiten verrichten ließen.

43 die bisher allein den besser entlohnten Gesellen vorbehalten waren. Außerdem versuchten sie, eine reine Geldentlohnung an die Stelle der üblichen Teilentlohnung durch Verpflegung und Unterkunft zu setzen und die Korporationsrechte der Gesellen (z.B. das Tragen von Waffen und die Versammlungsfreiheit) einzuschränken.

Von Datum her mag es ein Zufall sein, historisch jedoch war es erforderlich, daß gleichzeitig mit der Ordonnance de Villers-Cotter^ts der König mit einer ersten Ordnungstaßnahme zugunsten der Drucker in den Streik eingriff. In weiteren Erlassen wurde eine noch heute in den Grundzügen gültige Ariaeits- und Ausbildungsregulierung herbeigeführt (reine Lohnarbeit - dreijährige Ausbildung der Lehrlinge in Meisterfiand). Damit wurde ein Prozeß ausgelöst, der zur Auflösung der alten Zunftordnungen und zu einer Ar^ssung an die aufkonmenden kapitalistischen Produktions- und Sozialformen führte. Daß gerade die Drucker sich mit Sprache befaßten, hat auch ökononisciie Grüiide: die Herstellui^ der leicht verschlissenen Lettern war kost^ielig, und es galt Formen zu finden, die sowohl einfach herzustellen als auch bei der Lektüre gut vrahrzunehmen waren. Tory, der sich 1529 in seinem "Oiaitpfleury" für die Verwendung und Reglementierung des Französischen ausspricht, plädiert unter anderem mit dam Argument der besseren Wahmehmbarkeit für die Antiquabuchstaben und für bestimmte Formatierung der bedruckten Seiten. Wenn er dies mit traditionellen argumentativen Verfahren von Allegorie und Allegorese tut, wird deutlich, wie in dieser Zeit des Übergangs das Neue mit den traditionellen Mitteln böiandelt wurde. Neu an der Befassung mit Sprache vrar nicht nur das Interesse an der technisch formalen Seite der Textproduktion und -rezeption. Sprache wurde im wahrsten Sinne des Wortes als Material anfaßbar und erfahrbar: die Einheit von signifiant und signifife wurde erst aus dem Grundrepertoire der in den Setzkästen verteilten Lettern hergestellt, die als kleinste technische Einheiten wiederverwaidbar waren. Wurden auf der einen Seite Worte und Texte als materiell gestaltete Einheiten erfahrbar, so waren auf der anderen Seite der Herstellung von Verständnis sowohl durch die geistesgeschichtliche Orientierung des Humanismus als auch durch eine veränderte Textwahmdurung neue >föglichkeiten gegeben: daß Textaneignung einen aktiven Leser erfordert, thematisiert Rabelais im Prolog zum Gargantua und liefert im 20. Kapitel dieses Buches von der Textform her ein Beispiel für nahezu unbegrenzte Lektüremöglichkeiten, die sich einem aktiven Leser bieten: der Dialog der Trunkenen kann in beliebiger Richtung gelesen werden, und es bleibt dem Leser überlassen, wie und über welchen Elementen er zu einem der vielen möglichai Verständnisse gelangt. Der potentiell unbegrenzten Vervielfältigung eines Textes wird hier die unbegrenzte Möglichkeit zur Sinnfindung an die Seite gestellt, wie sie später in

44 avantgardistischen Texten (vgl. Bürger 1974) - man könnte fast sagen - wiederentdeckt wurde. Was das neue Medium entöglichte, zeigt diese Passage: eine potentiell unbegrenzte Zirkulation von Inhalten, die allerdings einen iin Sinn des humanistischen Ideals gebildeten und mündigen Leser voraussetzte. Diese Ambivalenz zwischen neuen, der Tendenz nach unbegrenzten Möglichkeiten und der zugleich erforderlichen Begrenzung und Standardisierung durchziöit auch den sprachnornativen Diskurs. Als erster entwirft der Drucker Tory die Grundzüge zu einer Entwicklung des Französischen durch normativ-regulativen Eingriff und setzt sich, wie nach ihm viele andere, von regionalen und sozialen Jargons ab, hält ein bereinigtes Französisch zum Einsatz auch in den Bereichen der Wissenschaft und Kunst für geeignet, führt dies in seiner eigenen Schrift vor und tritt für die verbreitete Benutzung des Französischen ein. Bei Tory zeigt sich schon, was bei seinen praninenten Berufskollegen, der Druckerdynastie Estienne, noch deutlicher hervortreten wird: die Einheit von beruflich-ökonanischen, sowie sprachlich-kulturellen humanistischen Interessen. Der sprachnormative Diskurs des 16. Jahriiunderts hat eine Besonderheit: seine Betreiber waren von den gebotenen Möglichkeiten des Erwerbs und der Verbreitung von Wissensbeständen beeindruckt und machten selbst davon Gebrauch. Die führenden Drucker genossen eine relative ökononische, soziale und kulturelle Freiheit (Eisenstein 1982, 565ff), und der Erfolg ihres neuen Berufs hatte ihnen eine schnelle Integration in die oberen Schichten der städtischen Gesellschaften erlaubt. Ihr sprachnormativer Diskurs erfolgte in einer monarchistischen Staatsform, die von zunehmender Zentralisierung geprägt war und richtete sich an ein Publikum, das den staatlichen und gesellschaftlichen Wandel begrüßte. Daß und in welchem Maße gesellschaftlicher Aufstieg an Bildung und Sprachbdierrschung gebunden wurde und welche Bedeutung dabei dem gedruckten Text als preisgünstigem Vermittler kulturellen Kapitals zukam, betont Jean Bouchet (vgl. seine "E^sistre XI", in: Catach 1968, 275): sozialer Aufstieg ist für ihn an Wissenserwerb und dieser an die Verwendung einer normgerechten gedruckten Sprache gebunden. Bouchet spricht damit kurz den kcmplexen Zusarmenhang zwischen Bildungserwerb, Befolgung einer offiziellen Norm und sozialer Stellung an, den Bourdieu mehrfach differenziert aus soziologischer Sicht beschreibt (Bourdieu/Boltanski 1975; Bourdieu 1979; 1982). Wie die Untersuchungen von Catach (1968) zeigen, wurden Fragen von Sprachnorm und Sprachnormierung im Frankreich des 16. Jahrhunderts auf einem freien Markt ausgehandelt, bei dem allerdings die finanzkräftigsten und einflußreichsten Protagonisten, z.B. die Familie Estienne, einen stark regulierenden

45 Einfluß ausübten. Zwar bezog sich ein Teil der Auseinandersetzung auf Institutionen gerade auch der Bildung und Ausbildung, doch hatte man sie noch nicht institutionalisiert, und die unmittelbaren Folgen der Ordonnance de VillersCotterSts als sprachpolitischer Maßnahme waren weitaus geringer als deren artikulierte Zielsetzung angibt. Zugleich war die Auseinandersetzimg noch weitgehend offen und ist in gewisser Weise vergleichbar mit der aktuellen Diskussion um Normierung und Standardisierung von Betriebssystemen und Prograitinsprachen im Bereich der Ccrputerindustrie, doch tendierte man zusehends zur Alweisung grundsätzlicher Alternativen. Meigret's Versuch, eine weitgehend phonetisch orientierte Orthographie einzuführen, scheiterte vor der Praxis einer etablierten Textproduktion und Rezeption, in der sich die Verwendung korplizierter Formen eingeschliffen hatte. Hausmann (1980, 77ff) dokumentiert Meigret's "histoire d'un fechec", hinter der, unausgesprochen, auch ökoncmische Interessen von Druckern standen, für die eine tfcemahme der reformierten Orthographie erhebliche Investitionen und Umstellungen erfordert hätte. Bouchet (a.a.O.) benennt ausdrücklich auch den ökononischen Aspekt der Textherstellmg, wenn er sich wie folgt an die Drucker wendet: Ayez tousiours de bons compositeurs Lettrez assez, & de bons correcteurs, N'y espargnez argent, quoy qu'S vo trouble Vous y aurez a la fin gaing au double.

Er bringt damit einen Realianus zum Ausdruck, der den sprachnormativen Diskurs im Frankreich des 16. Jahrhunderts durchzog und in dem die vielfältigen Zusammenhänge sprachlicher Normierung mit anderen gesellschaftlichen Bereichen noch benannt wurden. Im 17. Jahrhundert dagegen verliert er diese Transparenz, die ökonomischen Bedingungen und Zusaninenhänge werden ausgeblendet und an ihrer Stelle viel stärker als zuvor die sozial distinktiven Funktionen eines höfischen Sprachstandards als feste Bestandteile in das offizielle und kollektive Sprachbewußtsein der Franzosen eingeführt. Im 17. Jahrhundert erhält der sprachnormative Diskurs in Frankreich in mdirerer Hinsicht für seine Geschichte und das aktuelle Sprachbewußtsein entscheidende Prägungen: der offizielle Sprachstandard bekommt einen Namen, er heißt fortan BON USAGE; der spraahnormative Diskurs erhält mit der Aoadtmie fran^aise eine staatliche Institution', Vaugelas wird als privilegierter Protagonist zum Vorbild, das dem sprachnormativen Diskurs mit den "Remarques sur la Langue Fran9oise" eine zweakspezifische Textform verliehen und zugleich inhaltlich die zentralen Bezugsbereiohe spraahnormativer Tätigkeit in Frankreich

46 abgesteckt hat. Will man verstehen und erklären, wie dies so erfolgreich geschrien kcainte, müssen einige Grundlinien der gesellschaftlichen Voraussetzungen angegeben werden, unter denen die Bemühungen um die Normierung des Französischen im 17. Jahrhundert stattfanden. 3.1.2.

Die Etablierung des BCW USAGE

3.1.2.1. Gesellschaftliche Bedingungen des sprachnormativen Diskurses im 17. Jahrhundert Frankreichs Norbert Elias (1983) hat eindringlich die Herausbildung der höfischen Gesellschaft in Frankreich mit ihren Strukturen beschrieben; er weist nach, wie der Schwertadel seine ursprünglichen Feudalrechte immer mäir verliert, an den Hof nach Paris gezogen wird und dort sein Prestige durch die Produktion symbolträchtigen Veriialtens ausdrückt. Die Zentralisierung des Känigtums, der absolute Machtanspruch des Ihroninhabers, werden in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zum Ausdruck gebracht: in Stadtanlagen und Bauformen, in der Zentralisierung des Heeres und der Bürokratie (Mumford 1979, 401 ff), in der Ausdifferenzierung und Reglementierung der Formen des gesellschaftlichen Verkehrs der höfischen Elite, in der Kctrplizierung von Etikette und Ritualen bei Hofe, deren Vollzug und Beachtung selbstzweckhaft erscheinen mag, für jene, die sich zur Elite zählten, jedoch unabdingbar war; nur so kennte der höfische Staat funktionieren. Um das Leben, d.h. den Verkehr der Menschen miteinander, berechenbar zu machen, bediente man sich [...] eines ganz analogen Mittels wie die Wirtschaftsgesellschaft, wenn sie einen Arbeitsgang berechenbar machen will: Man überließ ihn nicht dem Herkommen, nicht dem Zufall oder der Laune eines Einzelnen. Man machte ihn unabhängig von den wechselnden Individualitäten und den Schwankungen ihrer persönlichen Beziehungen; man organisierte ihn durch und gliederte ihn in Teilprozesse auf. Durch die Organisation wurde er übersehbar gemacht; da alles sich iinabhängig von den Schwankungen der Individualität in immer gleicher Weise vollzog, wurde das Ganze vorausberechenbar; und durch die Aufgliederung in Teilprozesse wurde es möglich, wie in der kapitalistischen Gesellschaft den Geldwert, so in der höfischen den Prestigewert jedes Schrittes genau festzulegen. Die intensive Durchformung der Etikette, des Zeremoniells, des Geschmacks, der Kleidung, der Haltung und selbst der Konversation hatte die gleiche Funktion. Jede Einzelheit war hier stets bereites Instrument im Prestigekampf und die Durchformung diente nicht nur der demonstrativen Repräsentation und der gegenseitigen Eroberung von Status und Macht, der Distanzierung nach außen, sondern ebenso der Abstufung der Distanz in Gedanken. [...] Die höfische Rationalität bildet sich aus dem Zwang der elitären gesellschaftlich-geselligen Verflechtung; mit ihr werden primär Menschen und Prestigechancen als Machtinstrumente berechenbar. (Elias 1983, 169f; Hervorhebg. W.S.)

47

Die Konversation als soziales Ereignis und als Form sprachlicher Symbolproduktion war ein zentraler Ort der Manifestation höfischen Ungangs, und die Kcnversationsfähigkeit galt als Grundvoraussetzung eines Höflings, der, so der Titel der Progranmschrift von Faret (1630), L'art de plaire ä la aourt, beherrscht: Schon im 17. Jahrhundert stand die zentrale Stellung der Konversation außer Frage: Wenn der Mensch für das Leben in der Gesellschaft geboren ist, dann ist [...] die Konversation für ihn notwendige Bedingung, ohne die ein gesellschaftliches Leben unmöglich ist. Alles kommt für ihn darauf an, die Konversation optimal zu gestalten. (Strosetzki 1978, 12)

Die zahlreichen Quellenbelege bei Strosetzki geben einen Einblick in das Gesellschaftsbild, das Konversationsbücher zeichnen, wenn sie ihrem Publikum Auskunft über das richtige Verhalten "in Gesellschaft" versprechen: der Mensch göiört den höheren und höchsten Schichten zu, für die oder aus denen heraus er geboren wird, chne jedoch damit allein schon in der Beherrschung der geeigneten sozialen Verköirsformen sicher sein zu können. Dazu bedarf es der permanenten Fremd- und Selbstkcxitrolle bei der Realisienjng distinktionsträchtigen Verhaltens. Da dem propagierten Anspruch dieser Schriften nach das Formeninventar in hohem Maße ausdifferenziert sowie imner wandelbar ist, und dazu der Verlust des Gesamtprestiges als mögliche Sanktion schon geringer Verstöße galt, war dem metakannunikativen Diskurs ein breiter Markt sicher. Er ordnete sich in die breiteren Zusammenhänge der Produktion und Vermarktung distinktionsträchtiger Güter und in ein sich herausbildendes zentralistisches Wirtschaf tsgefüge. Zur Lippe beschreibt den zugrundeliegenden Prozeß als Herausbildung einer 'nationalen Gesamtmanufaktur' (1981, 253-323), die sich ab dem 16. Jahrhundert in Frankreich beschleunigt: die Zentralisation von finanziellen Möglichkeiten und die gesellschaftliche Notwendigkeit von Ostentation am königlichen Hof gab diesem eine doppelt hervorragende Position. (Zur Lippe 1981, II, 272)

Durch den Verkauf von Äntem als sozialem Privileg und Gewinnquelle für die mit ihnen Betrauten hatte sich der Hof eine Finanzquelle geschaffen, die ihm die Haltung eines stehenden Heeres erlaubte und ihn von den Leistungen des Schwertadels zusehends unabhängig machte. Damit ging eine Umstrukturierung der Institutionen aller Bereiche einher (Ellul 1956), die der zunehmend zentralisierten und steigenden Macht des Königs geeignetere Lenkungsinstrumente verschaffte. Und dennoch: Die Zentralisierung aller gesellschaftlichen Prozesse bei der Krone war völlig formal. Das wird etwa darin deutlich, daß königliche Privilegien nicht nur den königlich beamteten Zunftoberen erteilt wurden, sondern

48 ebenso den neuen zunftfreien Gewerben wie Seidenfabrikation und Druckerei, sogar auch den ständig zahlreicher werdenden Handwerksbetrieben außerhalb der für sie zuständigen Zünfte. Das einheitliche Prinzip bestand lediglich darin, daß tendenziell alles und jedes durch die Krone legalisiert werden mußte, wenn es sichere Existenz haben sollte, und daß diese Sicherung immer gekauft werden mußte, (zur Lippe 1981/11 298f; Hervorhebg.: W.S.)

Zugleich bestand am Hof die Nachfrage für die in den königlichen Manufakturen produzierten Luxus- und Prestigegüter, deren Erwerb für viele Mitglieder des Altadels nur mit Geldern möglich vrar, die ihnen durch Hofämter zuflössen: Der einstige Schwertadel mußte das ganze Gepränge von Ritterehre und heraldischem Stolz auf eine ganz und gar nicht feudale Basis zu stellen suchen. Sein politischer Einfluß mußte sich in das vom König abhängige Ämtersystem des Hofes kanalisieren lassen, und seinen ökonomischen Grund fand er in Pensionen, auf deren Zahlung durch den König die meisten Familien ähnlich angewiesen waren wie die kleinen Landadligen, die nicht auf ansehnliche Chargen hoffen konnten, eines Postens in der Armee bedurften, (loc.cit.).

In einem "Bilan du rögne de Louis XIV" faßt quid (1985, 529c) die Darestizienmg des französischen Adels stichwortartig zusaitmen: II s'est veng& de la Fronde. Les nobles sont presque constamment mobilisfes (une des raisons des g. [guerres (W.S.)] afetfele d&sir d'envoyer les nobles au feu) sinon, ils sont gardes ä la Cour, dotes de riches pensions, mais contraints ä des depenses encore supferieures, rfeduits ainsi, ä la merci du roi; ce ne sont plus que des courtisans.

Die Kraft des Hofes, Gegensätze zwischen aufsteigendem Bürgertum, das sich in Änter und Titel einzukaufen vermochte, und dem zusehends dcmestizierten Schwertadel auszubalancieren und zu neutralisieren und so die zentrale Stellung des Königtums zu stärken, bestand in Teilen auch darin, daß, nach außen gerichtet, "deren gemeinsamen wie antagonistischen Interessen auf [dem...] Rücken" (zur Lißse, a.a.O., 314) der Arbeitenden ausgetragen wurden. Trotz aller Rivalität der unterschiedlichen Gruppen und Schichten bei Hofe besteht Einmütigkeit in der Abgrenzung gegenüber dem Volk. "Le pei;ple" taucht, wie noch zu zeigen ist, allenfalls als Negativinstanz bei der Entwicklung positiver höfischer Werte auf. 'Nach innen' förderte der potentielle und realisierbare Wandel von Formen prestigdiafter Güter und Manifestation die selbstreflexive Bindung des Hofes. Während der architektonische Raum eine feste und geordnete Bezugsgröße für die Repräsentation der Zentralmacht war und die entsprechenden Fonnen der Bewegung und Wahmäiraung forderte (vgl. zur Lippe 1981, II, 319f; Mumford 1979, 401ff),

49 fehlten der barocken Zeit die Dimensionen; sie war ein Continuum von Augenblick zu Augenblick. Die Zeit erschien nicht mehr kumulativ und dauernd, sondern als eine Menge von Sekunden und Minuten; sie hörte auf, Lebenszeit zu sein. Die gesellschaftliche Form der barocken Zeit ist die Mode, die alljährlich wechselt, und in der fashionablen W e l t erfand man eine neue Sünde: unmodern zu sein. (Mumford, a.a.O., 426)

"A la node" zu sein, den wechselnden Moden in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu folgen, gilt als unabdingbar, denn: "So söir wie die Modeerscheinungen sdivanken, kann nach Saint-Evremcnd das Ansehen dessen schwanken, der sich nicht nach ihnen richtet" (Strosetzki 1978, 115). Die modische Vielfalt gilt auch für die Inhalte vcn Konversationen. Die erforderlichen Noiigkeiten waren aus dem Klatsch und den Journalen zu gewinnen, in denen eine Gleichzeitigkeit von beliebigen und heterogenen Mitteilungen herrschte: Mumford siäit in den Zeitungen ein "praktisches Werkzeug" der zeitgestaltenden Mode, die von zerstreuten, logisch unzusammenhängenden Tagesereignissen handelt; sie haben keinen tieferen Zusammenhang als die Gleichzeitigkeit, (loc.cit.)

Diese Skizze eines weitaus umfassenderen, katplexeren und kcrplizierteren Bedingungsgefüges der höfischen Gesellschaft in Frankreich soll genügen, um Elemente des Rahmens zumindest anzudeuten, innerhalb dessen die Bemühungen um Sprachnorm und Sprachnonnierung in dieser Gesellschaft in spezifischer Weise artikuliert, durchgesetzt und anerkannt wurden. War im 16. das Bemühen um Sprachnormierung in Frankreich vor allem ein Unterfangen des Stadtbürgertums, so geriet es zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit der Person von Malherbe (1555-1628) an den Königdiof. Seine Stichvrortbiographie weist eine mustergültige höfische Karriere des Amtsadligen zum wcAilbestallten Hofpoeten und "trfesorier de France" aus. Biogr.: famille normande, noblesse de robe protestante (mais il reste catholique). Etudes ä BSle, puis ä Heidelberg. 1576 quitte sa famille et devient secrfetaire d'Henri d'Angouleme, gouverneur de Provence, ä Aix. 1581 fepouse Madeleine de Corioli, fille du prfesident du Parlement d'Aix. 1586 assassinat d'Henri d'Ang. 1587-95 se replie dans sa famille, ä Caen (felu echevin en 1594); il y connalt la gloire littferaire. 1595-98 et 1599-1605 sejours ä Aix-en-Provence; protegfe du cardinal Du Perron. 1605 nomme poete de la cour ä Paris; richement pensionne, vit entoure de jeunes poetes, ses disciples. 1620 nomme tresorier de France pai Richelieu. 1624 son fils est tue en duel. 1624-28 atteint d'idee fixe (faire executer le meurtrier de son fils), se brouille avec le roi e t Richelieu; mort de chagrin dans sa maison pres de Caen. {quid 1985, 252b; Hervorhebg. W.S.)

Malherbe wirkt als Sprachkritiker, der, wie Brunot zeigt, die "r&glementation de la langue" anstrebt und das Ziel einer "epuration du vooabulaire" verfolgt (vgl. Brunot 111,1). Dies soll durch Beschneidung der lexikalischen Vielfalt gelingen, die noch Im 16. Jahrhundert von Du Beilay als ein Mittel zur Be-

50 reicherung des Wortschatzes angesehai wurde. Wenn Malherbe Italianismen und Hispanismen sowie Dialektausdrüake, vor allem aber auch Gasaognismen aus dem Wortschatz des Französischen, d.h. der Hofsprache, verdrängen will, dann entspricht dies der umfassenderen Tendenz zur Nationalisierung unter Abhebung v m anderem Staaten und zur geographischen Zentralisierung Frankreichs, bei der die Regionen und ihre Sprachen zu peripheren Erscheinungen entwertet werden. Die Protagonistsi der höfischoi Sprachnonnierung stanmten zum Großteil aus nichtzentralen Regionen Frankreichs, von denen sie sich umso deutlicher abzugrenzen suchten, als ihnen das Zentrum sozialen Aufstieg und Anerkennung bieten konnte. So beginnt der Jesuit P&re Bouhours, der die Tradition der Sprachglossen von Vaugelas erfolgreich fortsetzte, seine "Doutes sur la Langue Fran9oise" von 1674 wie folgt: Messieurs, Vous ne devez pas trouver etranger qu'un homme nfe dans la Province s'adresse ä vous, pour s'eclaircir de quelques doutes qu'il a sur le langage.

Das Thema der provinziellen Herkunft ist seit dem 17. Jahrhundert fester Bestandteil der Bescheidenheitstqpik in Sprachsachen. In der Tilgung der termes teahniques spiegelt sich ein für die Konversation formuliertes Bildungsethos, das dem allgemein gebildeten und rundum konversablen "honn^te honme" den mit speziellem Faktenwissen versAenen oft besserwisserischen "pfedant" gegenüberstellt (Strosetzki 1978, 82ff): So gibt Morvan de Bellegarde den ganz allgameinen Rat, über gelehrte Themen nur mit Partnern zu sprechen, die sich nicht gern über Bagatellen unterhalten; versucht man es mit Personen, die für die Wissenschaft nichts übrig haben, und verwendet man zudem noch eine Sprache, die sie nicht verstehen, dann langweilt man und wirkt als Pedant. (a.a.O., 46).

Malherbes Forderung, die "mots 'sales'" und die "termes plebes" zu vermeiden, zielt auf die soziale Ausgrenzung der Hof sprache, während die Verdamtung der "mots vieux" zur Verwendung eines stets aktuellen imd itodemen Wortschatzes verpflichtet. Mit seinem offiziellen Amt bei Hofe bedurfte er keiner eigenen schöpferischen Kraft: "il se bome ä suivre l'usage, et c'est lä son succ^s" (Brunot, a.a.O., 9). "Malherbe devenait le pfedagogue de la cour et des salons, le tyran, universellement reccnnu, des syllabes. Peu ä peu les libraires fecartent de leurs recueils les vers 'ä la vieille mode' pour faire place ä ceux de ses disciples" (a.a.O., 15). Damit zahlte sich der sprachnormative Einsatz für den höfischen Protagonisten des sprachnormativen Diskurses und für seine Adepten aus, auch wenn Malherbe noch die Institutionalisierung seiner Arbeit in größerem Rahmen fdilte. Sieben Jahre nach seinem Tod kam es zur

51 Gründung der Acadänie fran9aise (1635). Mit ihr nahm Richelieu die privaten Bemühungen um ^rachverbesserung eines Kreises vcn Privatleuten um Valentin Conrart, den oerole Conrart, unter höfische Kontrolle. Im Zuge der Zentralisierung und Naticaialisierung war die Befassung mit der Frage nach dem geeigneten Französisch soweit in Bewußtsein und Praxis des Hofes entwickelt, daß sie institutionelle Einbindung fand. Ihre Rolle im Gesamtgefüge der Institutionen bestimmt Ellul (1956, 107) wie folgt: Cette Acadfemie developpa le conformisme social et politique, lutta contre les formes baroques de l'art et de la littferature, et donna l'exemple de la nationalisation des arts. Le Roi cherchait par ce moyen ä maltriser et diriger le mouvement intellectuel. Diese Funktion erfüllte sie weniger durch die Ergebnisse ihrer Arbeit, die, verfolgt man die Geschichte dieser Einrichtung (vgl. Pellisson 1858, 7-54), eher spärlich flössen, als durch das Sprachnormenkcnzept und die Remarques sur la langue Franfoise vcn Vaugelas, dem bekanntesten ihrer Gründungsmitglieder (vgl. Settdcom 1981). Noch deutlidier als die Biographie von Malherbe zeigt die des Claude Favre, Baron de Pferoges, sieur de Vaugelas (1585-1650) die Wechselfälle und Abhängigkeiten eines Amtsadligen am französischen Hof auf. Alle Darstellungen betonen seine finanziellen Dauemöte, die in umgdcöirt proportionalem Veiiiältnis stehen zu seiner schon zu Lebzeiten anerkannten Bedeutung in Sprachfragen. Nach seinem Tod mußte die Acadknie fran9aise per Gerichtsbeschluß von seinen Gläubigem die Herausgabe einbehaltener Unterlagen zum Diotionnaire de l'Aoademie erzwingen. Chassang skizziert im Vorwort seiner Neuauflage der "Remarques sur la langue Fran9oise" den Lebenslauf von Vaugelas, der mit dieser Arbeit das Muster für den weiteren sprachnormativen Diskurs in Frankreich und für das offizielle Sprachbewußtsein gelegt hatte: A la suite d'une mission dont le President Favre [der Vater von Vaugelas] avait ete chargfe ä Paris en 1618, il avait obtenu du roi pour son fils une Pension de 2000 livres. Mais Vaugelas, s'fetant attachfe, en qualitfe de gentilhomme ordinaire ä Gaston d'Orleans, vit sa pension supprimfee par Richelieu; obligfe de suivre son maltre dans ses retraites frfequentes et involontaires hors du royaume, et mal paye par ce prince brouillon, il ne fit que contracter des dettes dont il demeura chargfe toute sa vie. (Chassang 1880, V) Pellisson (1868 I, 108) gibt eine Anekdote wieder, die ein Schlaglicht auf die Abhängigkeit des prominenten Akademikers von der Institution wirft: Plus tard, il est vrai, au moment od il fonda l'Acadfemie franijaise, dont Vaugelas fut un des premiers membres, Richelieu retablit sa pension. Comme il venait presenter ses remerciements, le Cardinal lui dit: "Eh bien, vous n'oublierez pas dans le Dictionnaire le mot de pension. - Non, Monseigneur, rfepondit Vaugelas, et moins encore celui de reconnaissance". (Chassang a.a.O.)

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Wenn Chassang diese Episode mit den Worten kommentiert "Malheureusement cette Pension fut toujours mal payfee", dann gibt er die Sicht eines Höflings wieder, den die höfische Machtinstanz konsequent mit ihrem eigenen Instrumentarium zurechtstutzt. Dem dependenten Höfling bleibt nur der Ausdruck dessen, was man von ihm erwartet: reconnaissance in des Wortes voller Bedeutung: als WiederErkennen des ihm zwischenzeitlich aberkannten königlichen Gunstbeweises, als ausdrückliche Anerkennung der sozialen Hierarchie und als Bekundung einer dankbaren Haltung. Als größten Dank mag man bei Hofe die Arbeiten von Vaugelas aufgenommen haben, in denen er den Strukturen der höfischen Gesellschaft ein passendes Sprachkonzept zuschneidet.

3,1.2.2. Anpassung des Sprachkonzepts an die Gesellschaftsstruktur. Vaugelas' "Ranarques sur la langue Fran9oise" (1647) und die Konzeption des BCN USAGE Die "Remarques sur la langue Fran90ise" erschienen 1647 und wurden 1659 und 1672 unverändert nachgedruckt. Ihr - zumeist nicht genannter - Untertitel "VTILES A CEVX QVI VEVLENT BIEN PARLER ET BIEN ESCRIRE" schreibt ihnen eine praktische Zielrichtung als Ratgeber in Sprachsachen zu. Neue Ausgaben mit weiteren Anmerkungen zu den Anmerkungen von Vaugelas besorgten Thomas Corneille (1687), die Academie fran9aise (1704) unter dem Titel "Observations de l'Academie fran9aise sur les Remarques de M. de Vaugelas". 1714 erschienen die "Observations sur les Remarques de Vaugelas" von Olivier Patru. Die regelmäßige Auseinandersetzung mit der Arbeit von Vaugelas durch die Acadfemie selbst, bzw. zwei ihrer Mitglieder zeigen, welche Bedeutung man ihr im Rahmen der offiziellen sprachnormativen Institution beilegte. Auch außerhalb dieser Institution wurden sie rasch zum Standardwerk und Vorbild von Nachahmungen, deren bekannteste Dominique (Pere) Bouhours mit den "Remarques nouvelles sur la langue fran9oise" (1675) liefert. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts sind Sprachkonzept und Vertextungsform der Remarques von Vaugelas fester Bestandteil des sprachnormativen Diskurses. So schreibt Bouhours im "Avertissement" zu den "Remarques nouvelles": le n'entreprens pas de faire une Preface dans les formes. Quand je voudrois en prendre la peine, mon travail seroit assez inutile apres la belle Preface de M. de Vaugelas. Comme eile donne les veritables idfees que nous devons avoir de nostre Langue, & qu'elle n'omet rien de ce qui peut se dire sur l'usage, eile peut servir pour ces Remarques, en ce qui regarde les principes generaux. Daß eine der Referenzgrammatiken des heutigen Französisch, "der" Grevisse, den Titel "Le Bon Usage" trägt, ist mehr als eine bloße Etikettierung. Der Untertitel "Grammaire franfaise avec des remarques sur la langue fran9aise d'aujourd'hui" bringt deren Traditionsverständnis ein weiteres Mal zum Ausdruck. Das Vaugelassche Sprachkonzept erfreut sich ungebrochener Beliebtheit (Settekorn 1987). Die folgenden Ausführungen zur Prfeface, die Vaugelas seinen "Remarques" voranstellte, sollen Sie in acht Schritten näher mit seinem Konz^t des

USMJE,

den historischen Bedingungen und Bezügen seines Entstdiens sowie mit einigai seiner Funktionen vertraut machen und die Form ihrer Vertextung als Muster der zählebigen Sprachchroniken vorstellen.

53 1) Ein höfisches Sprachkonz^t und sein Autor In der Prfeface umreißt Vaugelas seine Sprachkonzeption, ohne Zweifel an deren höfisch-elitärer Ausrichtung zu lassen. Der erste Satz lautet: Ce ne sont pas icy des Loix que ie fais pour nostre langue de mon authorite priufee; je serois temeraire, pour ne pas dire insensfe; car ä quel titre et de quel front pretendre vn pouuoir qui n'appartient qu'ä l'Vsage, que chacun reconnoist pour le Maistre et le Souuerain des Langues viuantes? (Ed. Chassang I, 11)

Seit die Behandlung von Sprachfragen in eine staatliche Institution verlagert wurde, kann niemand mehr, und zumal kein Mitglied der Acad&nie, für sich das Recht auf eigene Entscheidung in Anspruch nehmen. Vermessen und töricht wäre eine derartige Forderung in der Tat für eine Person, deren private Lebensgrundlage aus der Mitgliedschaft in einer öffentlichen Einrichtung resultiert. In dieser höfischen Konstellation kamt es dem abhängigen Höfling Vaugelas nicht zu, eigenmächtige Vorschläge in dem ihm zuerkannten Kcnpetenzbereich zu machen. Entscheidungen zu fällen ist nicht seine, sondern Sache der Institution innerhalb derer er vorbereitende Arbeit leistet. Dem Bürger und Handwerker Tory (vgl. 3.1.1.) dagegen schien zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein freier und gestalterischer Zugriff auf Sprache selbstverständlich. Er hoffte: Pleust a Dieu que quelque Noble cueur semployast a mettre & ordSher par Reigle nostre Lagage Francoise! Ce seroit moyen que maints Milliers dhommes se euerturoient a souuent vser les heiles & bonnes paroles! Sil ny est mys & ordonne/ on trouuera que de Cinquante Ans en Cinquante Ans la langue Francoise, pour la plus grande part, sera changee & peuertie. (Tory, 1529, Champfleury, Aux Lecteurs)

Der Höfling Vaugelas dagegen zieht sich mit allem Nachdruck auf die bei Hof in allen Bereichen vertraute Beobachterposition zurück: Et tant s'en faut que j'entreprenne de me constituer luge des differens de la langue, que ie ne pretens passer que pour vn simple tesmoin, qui depose ce qu'il a veu et oüi, ou pour vn homme qui auroit faut vn Recueil d'arrestes qu'il donneroit au piablic. C'est pourquoy ce petit Ouurage a le nom de Remarques, et ne s'est pas chargfe du frontispice fastueux de Decisions, ou de Loix, ou de autre semblable; car encore que ce soient en effet des Loix d'vn Souuerain, qui est l'Vsage, si est-ce qu'outre l'auersion que j'ay ä ces titres ambitieux, i'ay deu esloigner de moy tout soupyon de vouloir establir ce que ie ne fais que rapporter. (Ed. Chassang I, llf)

Die Einstellung von Vaugelas ist durch finanzielle, institutionelle und allgemeine soziale Einbindung in die höfische Gesellschaft geprägt. Wenn auch heute noch das von ihm propagierte Vorgehen als empirisch und rein deskriptiv gekennzeichnet wird (vgl. Chonsky 1971, 72), dann geht dies nicht nur an den historischen Gegebenheiten vorbei. Vielmehr wird dann auch

54 unbesehen der "point de vue" vcn Vaugelas übemcranen und das mit ihm konstituierte besondere "c±ijet" metasprachlicher Befassung. Es tritt uns in Form eines Sprachbegriffs entgegen, dessen allgemeine Grundlagen Vaugelas zunächst umreißt. Im Anschluß an die Definition des BCN USAGE erläutert er dessen Bestiimungselesnente. 2) Usage und BCN USAGE Das Kernstück der Begriffsbestimrtung findet sich im zweiten Kapitel der Pr&face; die zentralen Bestiimtungselemente werden besonders in den Kapiteln VII-IX in leichter Variation thematisiert. Das umfassendste Verständnis des Begriffs Usage fiährt Vaugelas durch die Verwendung von "on" in einem ersten Anlauf als Element eines allganeinen Wissensbestandes ein: il est necessaire d'expliquer ce que c'est que cet Vsage dont on parle tant, et que tout le monde appelle le Roy, ou le Tyran, l'arbitre, ou le maistre des langues; (a.a.O., 12)

Vaugelas setzt voraus, daß der metasprachliche Diskurs um den USAGE dDenso veibreitet sei wie die zentralen Ausdrücke zu seiner Bestinmung: die in ihnen ausgedrückte Dominanzrelation zwischen dem USAGE und den LANGUES wird unter Bezug auf zeitgenössische staatliche Institutionen sogar unter der Hand als Iftiiversalie eingeführt, während die Trennung zwischen dem BCN USAGE und dem MAUVAIS USAGE explizit erfolgt und (an anderer Stelle noch deutlicher (vgl. a.a.O., 98)) den Charakter einer axiomatischen Setzung erhält: Ii y a sans doute deux sortes ä'Vsages, vn bon et vn mauuais. Le mauuais se forme du plus grand nombre des personnes, qui presque en toutes choses n'est pas le meilleur, et le bon au contraire est composfe non pas de la pluralite, mais de l'elite des voix, et c'est veritablement celuy qu'il faut suiure pour bien parier, et pour bien escrire en toutes sortes de stiles, si vous en exceptez le satyrique, le comique, en sa propre et ancienne signification, et le burlesque, qui sont d'aussi peu estendue que peu de gens s'y adonnent. (a.a.O., 12f)

Grundsätzlich kannte Vaugelas sich mit seiner Konzeption auf die lange Tradition der antiken und mittelalterlichen Stillehre berufen, die den drei grundsätzlichen Stilarten (genera dicendi: genus tenue, subtile oder humile; genus medium, mediocre oder floridum; genus sublime oder grande) nicht nur Gattungen und spezifische Redesituationen, sondern auch Berufsstände zuordnete (vgl. Quadlbauer 1962; Faral 1924) und über den Zusaitmenhang von Sprechweisen, Situationstypen und Klassen ein Gesellschaftsmodell mit drei hierarchisch geordneten Schichten artikulierte. Vaugelas' Modell dagegen ist auf eine grundlegende Zweiteilung der Gesellschaft reduziert, der mittlere Bereich entfällt. Diese qualitative Spaltung wird vcn einer quantitativen Auf-

55 teilung begleitet imd der positiv bewertete Sprachgebrauch einer gesellschaftlichen Elite zugesprochen, während der MAUVAIS USÄGE der Masse des "übrigen" Volkes verbleibt. Der Masse des Volkes steht die Klasse der oberen Gesellschaftsschicht entgegen, auf die der Begriff des BON USÄGE zurechtdefiniert vörd (a.a.O., 13): Voicy donc comme on definit le bon Vsage. C'est la faipon de parier de 2a plus saine partie de la Cour, conformäment ä la fa kennung bedarf. Veröffentlichungen der untersuchten Art tragen dazu bei, diese Manifestationen nach außen zu dokumentieren und damit zugleich die Distanz zwischen Redegegenstand und Adressaten auszudrücken und damit zur Abgrenzung der Gruppe beizutragen, von der die Rede ist. Schließlich steigt als Resultat der Manifestation wechselseitiger Bestätigmg vind als das ihrer öffentlichen Darstellung der Zugewinn an sozialem Kapital mit dem Ansöien, das den beteiligten Personen zuerkannt wird: Le rendement de ce travail d'accumulation et d'entretien du capital social est d'autant plus grand que ce capital est plus important, la limite etant representee par les detenteurs d'un capital social herite, symbolise par un grand nom, qui n'ont pas ä "faire la connaissance" de toutes leurs "connaissances", qui sont connus de plus de gens qu'ils n'en connaissent (a.a.O., 3).

Wir können nun allgemein festhalten, daß Texte der untersuchten Art soziales Wissen über Zusamnenhänge des sprachnormativen Diskurses öffentlich vermitteln, ohne sie den Adressaten transparait zu machen. Auch wenn derlei Darstellungen auf den ersten (sprachwissenschaftlichen) Blick trivial erscheinen, - besonders dann, wenn sie Zusamnenhänge nicht explizit thematisieren, sondern in aatu vor- bzw. durchführen, wie dies in den eben genannten Sendungen vcn Radio und Femsehen der Fall ist -, sind sie für die Befassung mit Sprachnormen von Bedeutung als ein Faktor bei der Gestaltung des kollektiven und individuellen Sprachbewaßtseins, das so im Alltagswissen als Element des capital social bestätigt wird und die handlungsleitende individuelle wie kollektive Selbst- und Fremdeinschätzung beeinflußt. Die enge Verzahnung von Medien, Medienvertretem, vcn Einschätzung der Funktion öffentlicher Präsentation und von bürgerlicher Familienvorstellung

123 mit dem ^rachnormativen Diskurs und der Sorge um die Reinhaltung des Französischen, bringt die Werb^roschüre zum Ausdruck. Da sie nach dem Muster der Biographie aufgdaaut ist, unifassen die Schlußkapitel den Ldsensabend des Protagonisten und behandeln "die Frage nach der Fortsetzung seiner Arbeit, die, wie wir wissen, in der Familie bleibt. Wie wird dieser ttoergang nun präsentiert? Eine wichtige Rolle spielt dabei Bemard Pivot, der mit Grevisse noch kurz vor dessen Tod ein Femsehinterview führte und dort seine Besorgnis um die Zukunft des bort usage

zum Ausdruck brachte. Die Broschüre zitiert gleich

zweijtal - einmal als Begleittext zu einem Photo, das "Elnmanuel Brutsaert, directeur littferaire chez Duculot, Bemcird Pivot et Maurice Grevisse chez lui ä Bruxelles en 1980" zeigt, und ein weiteres Mal im Haipttext - folgaide Passage aus diesem Interview: Bernard Pivot:

Monsieur Grevisse... quand vous serez mort, l'usage de la langue franyaise va continuer ä changer et vous ne serez plus lä pour le constater. Qu'adviendrat-il de votre livre?

Maurice Grevisse: Ah... Je compte pour ma succession sur mon gendre, Andrfe Goosse, professeur de Philologie roraane ä l'Universite de Louvain. II s'interesse tout particulierement aussi ä la morphologie et ä la syntaxe et il est tout indique, puisqu'il est mon gendre, qu'il s'occupe de continuer ä veiller ä la diffusion de mon Bon usage. A cet egard-lä, je suis donc tranquille. J'ai un successeur, j'ai un dauphin qui est lä et qui fera, je crois, trös tres bien, son travail de succession pour mon livre... Bemard Pivot:

II en fera un bon usage...

Maurice Grevisse: SOrement, sQrement. Diesan Interviewausschnitt ist in der Broschüre ein Zitat von Goosse vorangestellt, in dem er, aus der Innenperspektive der Familie, nicht nur die Einstellung von Grevisse zu diesem Interview zum Ausdruck bringt, scaidem zugleich auf den offiziellen Charakter hinweist, den die öffentliche Verkündung seinem Status des legitimen Nachfolgers ("daufiiin") verlieh: Sur son lit de clinique, Maurice Grevisse s'inquietait de la date oü serait diffusee 1'interview que Bernard Pivot avait prise ä Uccle quelques mois plus tot. L'emission eut lieu juste sept semaines apres la mort du grammairien (...) J'avais des raisons personnelles d'Stre emu. Maurice Grevisse ne nous avait pas dit qu'il me designait explicitement comme son continuateur, lorsqu'ä la fin de l'emission Pivot l'interrogeait sur l'avenir du Bon usage apres la disparition de son auteur. Grevisse m'avait dejä presentfe comme "son dauphin" ä plusieurs reprises, mais le caractdre public, la date oü 1'Emission avaitfetfeenregistree, Celle oü eile fetait diffusee, tout cela donnait ä cette conclusion une solennite particulidre, la valeur d'un testament. (Andre Goosse, "Reflexions d'un rfeviseur", mai 1983)

124

Der hier nanifestierte Anspruch auf Legitimität und die Form, in der die Proklamation erfolgt (vgl. Bourdieu 1982, 121-133) wären mit ihrer, auf feudale Arten der Nachfolgeregelungen verweisenden Diktion einer eigenai Analyse wert. In unserem Zusaitmenhang soll jedoch nur darauf hingewiesen werden, daß der hier angemeldete offizielle Anspruch nicht allein durch die Tatsache seiner Manifestation in den Massenmedien eriicben werdoi kann (eine Kinder^, Hausfrauen- oder Landwirtschaftssendung käme schwerlich in Frage). Es hat außerdem zur Voraussetzung, daß der Rahmen der öffentlichen Proklamation, d.h. der Typ der Sendung und ihr auf dem Bildschirm wirkender Hauptaktant, eine soziale und kulturelle Wertschätzung genießt, die der Höhe des Anspruchs gemäß ist und ihr auch der Sache nach entspricht. Daß dem so ist, soll im Folgenden nachgewiesen und die Rolle von Bemard Pivot für den aktuellen sprachnormativen Diskurs vor dem Hintergrund seiner spezifischen Tätigkeit und Stellung im kulturellen Ldsen Frankreichs zumindest ansatzweise umrissen werden. 3.2.5.3. Der sprachnormative Diskurs im Medienverbund: zur Sprachpflege von Bemard Pivot (Champicsuiats de France d'Orthograj^ie von 1985 und 1986) Daß Sprachbewußtsein ebenso wie Sprachnormenbewußtsein und sprachnormativer Diskurs in Frankreich medial geprägt sind, brachte der Nouvel Observateur im Januar 1987 (No. 1159, 23.-29. janvier, 40-49) zum Ausdruck. Ihter dem Balkentitel "Langage: syntaxe, priez pour nous. VIVE LE FBAN^AIS LIBRE!" sind eine Reihe vcn Beiträgen versamnelt, die sich mit der aktuellen Diskussien um Sprachnormen und mit dem Zustand des Französischen befassen. Einleitend wird festgestellt: Les Fran^ais sont fous du fran9ais. II parält autant de livres sur ce Sujet que sur la cuisine. Sans parier des emissions ou des expos (en fevrier ä Beaubourg). Voir le succes des "Chiffres et des Lettres" ou de la "Dictee de Pivot". (a.a.O., 40)

Und in dem Hauptartikel lesen wir: 11 a suffi qu'un Bernard Pivot levat sa "croisade dfemocratique contre le relächement de l'ecriture" pour que, toute ebaubie et toute soulagfee, la Nation, malgre qu'elle en eut, marchät ä la Dictee comme on marche au supplice en riant: "Ouil Encorel Bemard, fais-moi mall Coquemai! Ouiiiil Pampille violaceel Ah!" (loc.cit.)

Das im Februar 1985 vcn Pivot lancierte Championnat de France d'Orthographe hat mit seiner Neuauflage des Jahres 1986 offensichtlich eine deutliche Wirkung hinterlassen und für ein breiteres öffentliches Aufsehen in Fragen

125 Sprachnorm imd Orthographie des Französischen in Frankreich gesorgt. [)aß dies nicht aus heiterem Hirtinel geschah, sondern in einer langen historischen Tradition steht, sollte durch die Vorgängerkapitel deutlich geworfen sein. Allerdings reicht dieser Hinweis nicht dazu aus, den besonderen Erfolg dieses WettbeweriDS zu erläutern oder gar die Spezifik von Pivots Beitrag zur Sprachnormendiskussicn in Frankreich zu verstehen. Dazu bedarf es einiger Hinweise zu der in den Medien Ende 1984 einsetzenden verstärkten Diskussien um Sprachfragen im Zusartmenhang der Erörterung iäbergreifender bildungspolitischer Erörterungen. Sie lieferte den Resonanzbodai für die in einem regelrechten Medienveriound inszenierten Bemühungen vcn Pivot. Das Gehör, das er fand, war nicht zuletzt deshalb beachtlich, weil er sich cils weithin gekannte und geachtete Persönlichkeit der medialen Kulturvermittlung ins Spiel brachte. Es wird zu zeigen sein, daß die "Modernisierung" des sprachnormativen Diskurses in Frankreich durch Pivot in einer Konzentration unterschiedlicher Medien, Institutionen und Interessen axif eine groß angelegte nationale Kanpagne und in derenraediengerechterInszenierung besteht, bei der an die traditionellen Werttopoi des sprachnomativen Diskurses in Frankreich ebenso angdereitet hatte. Mit der Sendung erfuhr es eine weitere Legitimation. Wie wir gesöien hatten, stützt sich der sprachnormative Diskurs auf Autoren, zu deren Kancnisierung er beiträgt (vgl. 3.2.1.). Auch Pivots Rechtschreibwettbewerb macht hier keine Ausnahme, wenn bei der Preisverleihung des Finales von 5. 12. 1986 proninenten Teilnehmern wesentlich mehr Raum gewidmet wird als den persönlich unbekannten Gewinnern, die weniger Fehler gemacht hatten als ihre proninentai Mitstreiter. Dies entspricht den Traditionen des sprachnormativen Diskurses ebenso wie den Erfordernissen einer femsdigerechten Inszenierung. Dies zeigt aber auch, daß es dabei weniger um eine Verbreitung der aonnaissanoe als um die der reconnaissanae der langue legitime, ihrer Instituticxien und Vertreter geht. Cb der Rechtschreibwettbewerb zu einer Verbreitung der Pechtschreibkenntnisse in Frankreich beiträgt, ist fraglich. Daß er das offizielle Sprachnormenbanoßtsein und die langue legitime durch seine massenmediale Inszenierung stärkt, steht außer Zweifel. Dabei bleibt die soziale Struktur seines Funktionierens unangetastet. Die Distanz zwischen dem individuell Gewußten und den Feinheiten und Schwierigkeiten der französischen Sprache wird deutlich gemacht. Auf diese Art wird der Markt für Personen, Instituticxien und Produkte offen gehalten, die sich in den Dienst der Sprache stellen und mit ihr symbolischen sowie nateriellen Gewinn erringen können. Fassen wir zusanmen: Mit dem auf die Person von B e m a r d Pivot ausgerichteten Championnat de France d'Orthographe wird der sprachnormative Diskurs nach Vorbereitung in einem Printmedium in die elesktroiischen Medien überführt und erhält eine mediengerechte Inszenierung. Bekannte schulische Prüfungsformen werden in der öffentlichen Aufführung mit Elementen anderer Medienereignisse (Sportwettkärrpfe) versehen und erhalten so einen Uiterhaltungswert, der jedoch die Anerkennung der Bezugsnormen und die Pflicht zu ihrer Befolgung nicht aufhebt, sondern sie durch die Verlängerung aus dem schulischen Bereich in den des Femsehpublikums unterstreicht und verstärkt.

134 Der Erfolg dieses Unterfangens ist nicht nur durch die mediale Inszenierung allein, sondern gerade auch durch die Person ihres Betreibers zu er^ klären. Bemard Pivot nimnt mit seiner wöchentlichen Literatursendung

"Pipo-

strophes" und seiner Mcnatszeitung "Lire" eine zentrale Stelle in der publikumswirksamen Literaturvermittlung Frankreichs ein. Er genießt das Ansehen einer in Kulturdingen entscheidenden Persönlichkeit. Dieses Ansehen verbindet er, ganz in der Tradition des sprachnormativen Diskurses, mit dem Eintreten für die Wahrung der französischen Sprache. lÄiausgesprochen ist dies allein die langue legitime. Während er in seinen Literatursendungen Buchautoren vorstellt, von denen die Verwendung der korrdcten Sprache erwartet wird und zxm Erfolg ihrer Produkte beiträgt, nacht er mit dan Rechtschreitwettbewerb deutlich, daß auch sie nicht alle Feinheiten des zu verteidigenden Französisch beherrschen. Das für den sprachnormativen Diskurs grundlegende Prinzip der wechselseitigen Kaitrolle und (ftjerwachung wird in dessen massenmedialer Inszenierung - zumindest der Möglichkeit und dem Anspruch nach - für alle Femsöiteilnehmer zugleich erfahrbar und scheint durch die Fehlerhaftigkeit auch der Besten eine Bestätigung zu erfahren. Auf diese Weise erscheint der sprachnormative Diskurs einmal mehr als notwendige Daueraufgabe. Er hebt in seinen Auffühnmgen iitmer wieder die langue legitime über alle sprachlichen Entwicklungen, über historische, politische, soziale und kulturelle Wandlungen hinweg in die Sphäre unbegrenzter Gültigkeit und verleiht ihr die beikannten, anzuerkennenden und anerkannten Wferte, aus denen sich die historisch gewachsene nationale Identität speist.

BIBLIOGRAPHIE

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