199 51 12MB
German Pages 349 [352] Year 2003
Linguistische Arbeiten
204
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Heins Jürgen Heringer, Ingo Plag, Beatrice Primus und Richard Wiese
Edda Weigand
Sprache als Dialog Sprechakttaxonomie und kommunikative Grammatik 2., neu bearbeitete Auflage
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2003
For
Doris
and the open
mind
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-30204-6
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag G m b H , Tübingen 2003 http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck und Einband: Digital PS Druck AG, Birkach
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
Symbole und Abkürzungen EINLEITUNG
IX
xm 1
Erstes Kapitel GRUNDLAGEN UND VORBEREITUNG
7
1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.4.1. 1.4.2.
Das Problem einer allgemeinen Bedeutungstheorie Sprachbegriff Bedeutung Sprechakt und Sprechaktsequenz Das dialogische Prinzip Wissenschaftsgeschichtlicher Hintergrund Problemfälle
7 7 16 24 29 29 35
2. 2.1. 2.2. 2.2.1.
Das Problem einer Sprechakttaxonomie Problemstellung Forschungssituation : Empirische Taxonomien 2.2.1.1. Sprechaktverbtaxonomien 2.2.1.2. Satztypen und Modalität Sprechakttaxonomien 2.2.2.1. Vorläufer 2.2.2.2. Taxonomien von Einzelsprechakten 2.2.2.3. Dialogisch orientierte Sprechakttaxonomien
39 39 40 42 42 45 45 46 47 53
Das Problem der Zuordnung von Grammatik und Pragmatik oder das Problem einer kommunikativen Grammatik Problemstellung Forschungssituation Generative Semantik Additionsmodelle: Trennung von Semantik und Pragmatik Einheit von Semantik und Pragmatik Funktionale Grammatik Diskursbasierte Grammatiken Korpusbasierte Grammatiken
56 56 59 60 60 66 67 69 70
2.2.2.
3. 3.1. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4. 3.2.5. 3.2.6.
VI Zweites Kapitel SPRECHAKTTAXONOMŒ
72
1. 1.1. 1.2.
Vorüberlegungen Form und Funktion einer Taxonomie Klassen und Kriterien
72 72 75
2.
Fundamentale Funktionsklassen
81
3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4.
Abgeleitete Funktionsklassen Deklarative Explorative Handlungsspiele Direktive Handlungsspiele Repräsentative Handlungsspiele
98 98 99 105 108
4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.4.1. 4.4.2.
Untermuster Deklarative Untermuster Explorative Untermuster Direktive Untermuster Repräsentative Untermuster Untermuster des einfachen Wahrheitsanspruchs Untermuster des modalen Wahrheitsanspruchs
122 124 131 135 143 144 156
5.
Zusammenfassung
165
Exkurs: Verständigungsdiskurs
167
Drittes Kapitel KOMMUNIKATIVE GRAMMATIK DES DEUTSCHEN
172
1.
Vorüberlegungen
172
2. 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.1.4. 2.2. 2.2.1. 2.2.2.
Zuordnungstypen Direkte Sprechakte Lexikalisch ausgedrückte direkte Sprechakte Grammatisch ausgedrückte direkte Sprechakte Situativ ausgedrückte direkte Sprechakte Zusammenfassung Indirekte Sprechakte Definition Beschreibung in zwei Schritten 2.2.2.1. Das Prinzip der Relevanz und die Wirkung der Phraseologisierung 2.2.2.2. Konzepte der Vermittlung Erklärung der Vermittlung Sprechaktindikatoren in indirekten Sprechakten Idiomatische Sprechakte
174 178 181 197 208 209 211 211 213 214 217 233 243 245
2.2.3. 2.2.4. 2.3.
VII 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.3.1.
3.3.3. 3.4.
Sprechaktbericht Taxonomische Einordnung Performativ und prädikativ Die Zuordnung im Sprechaktbericht Referenz auf einen direkten Sprechakt 3.3.1.1. Lexikalisch ausgedrückt 3.3.1.2. Grammatisch ausgedrückt 3.3.1.3. Situativ ausgedrückt Referenz auf einen indirekten Sprechakt 3.3.2.1. Illokutiv 3.3.2.2. Perlokutiv Referenz auf einen idiomatischen Sprechakt Sprechaktindikatoren im Sprechaktbericht
254 256 258 260 262 262 264 268 268 268 270 271 274
4.
Ambiguität der kommunikativen Funktion
277
5.
Die Einheit des Sprechakts
280
3.3.2.
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
288
SUMMARY AND FUTURE DEVELOPMENTS
290
LITERATUR
293
Personenregister
317
Sachregister
322
VORWORT
Seit dem ersten Erscheinen des Buches "Sprache als Dialog" sind vierzehn Jahre vergangen. Die zentralen Fragestellungen und Grundannahmen sind im Kern gleichgeblieben und heute so aktuell wie damals. Dennoch sind diese vierzehn Jahre für mich mit einer entscheidenden methodologischen Weiterentwicklung verbunden, so dass eine Neuauflage diesen Überlegungen und Veränderungen meines Denkens Rechnung tragen sollte. Bereits in der Erstauflage deutete sich diese Weiterentwicklung mit dem Hinweis auf "Bereiche der Unscharfe" (S. 327) an, die in den folgenden Jahren zu einer grundsätzlichen Änderung der methodologischen Konzeption geführt haben. Es kann nicht angehen, Probleme der Beschreibung "grauen Zonen der Vagheit" zuzuweisen und damit von der Beschreibung auszuschließen, anstatt sie aufzuschlüsseln und Schlussfolgerungen für die Beschreibung zu ziehen. Zusammenfassend lässt sich die Wandlung meines Denkens dadurch fassen, dass ich es heute als methodologischen Irrtum ansehe, von dem Konzept der Regel als vorgegebenem Postulat auszugehen, anstatt die Unversehrtheit des Gegenstands an den Anfang zu stellen. Dabei ist diese Einsicht keineswegs neu; sie entspricht dem von keinem Modell verstellten Empfinden, wie es u.a. Martinet (1975: 10) zum Ausdruck gebracht hat, "that the scientific treatment of an object requires, first and foremost, that the object's integrity should not be sacrificed to methodological exigencies". Diese Einsicht ist nun nicht von der Art, dass sie die in der Erstauflage zugrundegelegte Modellbildung und Beschreibung völlig umstürzte. Wohl aber führt sie zu anderen Grundannahmen, die eine Erweiterung der Modellbildung und Beschreibung nach sich ziehen. Die zweite Auflage stellt daher eine völlig überarbeitete Neufassung dar, die die Version der Erstauflage weiterführt und im Grunde erst zum Abschluss bringt. Literatur, die seit der Erstauflage erschienen ist, habe ich, soweit sie mir wesentlich erschien, eingearbeitet. Die Wandlung meines Denkens, die sich in den vierzehn Jahren seit der Erstauflage vollzogen hat, wurde durch verschiedene Anstöße und Anregungen bewirkt, für die ich Kolleginnen und Freundinnen zu Dank verpflichtet bin. Ein erstes methodologisches Nachdenken setzte bei mir ein, als Kirsten Adamzik (1995) in einer kritischen Würdigung meines dialogischen Ansatzes zwar einerseits den Fortschritt gegenüber der orthodoxen Sprechakttheorie hervorhob, andererseits aber darauf hinwies, dass Dialog doch wohl mehr bedeute als nur eine Verdoppelung der Sprecherseite. In der Tat beruht die Erstauflage auf einem Modell, das für den Sprecher wie für den Kommunikationspartner die gleichen Möglichkeiten vorsieht, oder um es auf den Punkt zu bringen, das Verstehen voraussetzt. In die gleiche Kerbe stieß - wohl ohne es zu wissen - Marcelo Dascal, als er mich aufforderte, für ein Sonderheft von "Journal of Pragmatics" einen Aufsatz zu Missverständnissen zu schreiben. Zunächst versetzte mich diese Bitte in den Zustand des Unverstehens: Was sollte ich, die ich Verstehen voraussetzte, zu Missverständnissen sagen? Aus diesen beiden Anstößen erwuchs dann in mir ein neuer Blick auf dialogische Zusammenhänge, der mich langsam aber sicher von der Modellbildung der orthodoxen Dialoggrammatik wegführte und Probleme des Verstehens, wie überhaupt die grundsätzliche Verschiedenheit von Sprecher- und
χ Hörerwelt als konstitutive Komponenten sprachlichen Handelns auäiehmen ließ. Hinzu kamen vielfältige Anregungen von verschiedenen Seiten, die ich nicht alle im Einzelnen aufzählen kann. Neben den zahlreichen Rezensionen (z.B. Näf 1991, Fritz 1993, Hensel 1991, Sayatz 1992) waren es vor allem Anregungen, die sich in der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen im Rahmen der "International Association for Dialogue Analysis" ergaben, wie generell Anregungen, die ich im Ausland aus verschiedenen Blickrichtungen erhielt. Sie lehrten mich, nicht so sehr kritisch Modell gegen Modell zu stellen, sondern die spezifischen positiven Akzente der verschiedenen Ansätze zu sehen und den Versuch zu wagen, sie in ein komplexes, jedoch einheitlich-konsistentes Bild zusammenzufügen (Weigand 2000a). Last not least gilt auch für die Zweitauflage mein Dank dem Max Niemeyer Verlag und dessen umsichtiger verlegerischer Betreuung vor allem durch Frau Birgitta Zeller und Frau Carmen Luna. Frau Stefanie Schnöring und Herrn Andreas Kurschat sei herzlich gedankt für die formale Erstellung der Druckvorlage sowie Herrn Jörn Bollow für die Überarbeitung der Register. Ähnlich wie in der Erstauflage möchte ich auch jetzt den Leser schon im Vorwort darauf vorbereiten, dass ich gewisse Erwartungen, die sich auf eine ungebrochene Weiterführung traditionell linguistischen Denkens richten mögen, nicht erfüllen kann. Waren es damals Erwartungen, die sich an eine Fortsetzung systemlinguistischer Vorgehensweise in der Pragmatik knüpften, so sind es heute Erwartungen, die sich auf eine Fortführung traditionell abendländischen Denkens richten. Zu Beginn eines neuen Jahrtausends, denke ich, ist es an der Zeit, eine neue Blickrichtung, die sich in meinen Augen als evident erwiesen hat, zu wagen und gewisse Grenzen, die bisher unangetastet blieben, progressiv zu überschreiten. Wenn wir es im Rahmen der Dialoggrammatik damals als Fortschritt ansahen, generative Prinzipien in der Pragmatik weiterfuhren zu können, so betrachte ich dies heute als entscheidendes Hindernis, das es zu überwinden gilt. Die Zeit der generativen Grammatik, d.h. einer Linguistik nach dem Vorbild der klassischen Naturwissenschaften, ist vorbei. Damit muss auch eine Modellbildung, die sich ausschließlich auf das methodologische Konzept der Regel gründet, in Frage gestellt werden. "Erklären" darf nicht automatisch mit "Rückführen auf eine Regel" identifiziert werden. Das Problem liegt nicht mehr in der Relation zwischen regelgeleiteter Kompetenz und die Regel überschreitender, chaotischer Performanz, sondern bezieht sich auf einen komplexen Zusammenhang von Ordnung und Chaos, auf Kompetenz-in-der-Performanz. Dies ist unser Gegenstand. Hier trifft sich die Linguistik mit anderen Disziplinen, darunter auch der modernen Physik (Gell-Mann 1994). Es gilt, sich der Komplexität zu stellen, anstatt von ihr zu abstrahieren. Orthodoxes methodologisches Denken ist zu überprüfen und gegebenenfalls aufzugeben. Selbst die Physik musste erkennen, dass es keine absoluten Naturgesetze gibt, dass nichts mit perfekter Genauigkeit gemessen werden kann, sondern dass neben die Regel die Wahrscheinlichkeit und der Zufall tritt und neben generalisierbaren Zusammenhängen das Phänomen der Individualität einzubeziehen ist. So stellt sich möglicherweise auch unsere über zwei Jahrtausende alte Sicht auf Sprache und unser auf Aristoteles begründetes methodologisches Denken als ein Mythos heraus (Harris 1981). Der Zusammenhang wird nicht durch die Regel gestiftet, son-
XI dem durch den interagierenden Menschen. Der Mensch kann prinzipiell nicht hinter seine eigenen Fähigkeiten zurücktreten. Auf diesen Grundannahmen gilt es, die Herausforderung des neuen Jahrtausends anzunehmen und eine néue Linguistik als Humanlinguistik aufzubauen (Weigand demn.b, auch Danës demn.).
Münster, im April 2003
Edda Weigand
Symbole und Abkürzungen
/
Kapitälchen kursiv ' (vor dem betreffenden Wort)
Anpassungsrichtung Sprache zur Welt Anpassungsrichtung Welt zur Sprache Zusammenfall der Anpassungsrichtungen Relation der Interdependenz entspricht entspricht nicht Begriff Untermuster, Handlungsmuster (S. 77) Illokutions-, Funktionsklasse (S. 75fif.) objektsprachliche Belege Akzent
t t i oder
(«
/
»
AKZ
AKZEPTIEREN
Ass
ASSERTIV
Äuß
Äußerung
Bed. bez. d.
Bedeutung bezüglich der
"dass... könnte" "dass... sollte"
"dass es so sein könnte" "dass es so sein sollte"
DELIB
DELIBERATIV
DESID
DESIDERATIV
expl. perf.
explizit performativ
EXPR
EXPRESSIV
F. F(p)
-
Festl.
-
Funktion Symbolisierung der inhaltlichen Struktur eines Sprechakts, bestehend aus kommunikativer Funktion und Proposition (S. 18f.) Festlegung
gramm.
-
grammatisch
IDENT
-
IDENTIFIKATIV
ill. 111·.
-
illokutiv Illokution
XIV kommunikativ
komm.
-
KOMMENT
-
KOMMENTIEREN
KONSTAT
-
KONSTATIEREN
KP Konstrukt.
—
Kommunikationspartner Konstruktion(en)
lex.
-
lexikalisch
modif. mSubj
-
_ -
NORM
modifiziert menschliches Subjekt NORMATIV
NP
-
Nominalphrase
NUNTIAT
-
NUNTIATTV
Paraphr. perf. perl. Prop.
_
-
Paraphrase(n) performativ perlokutiv Proposition
Ration.
_
Rationalität
REPR
-
REPRÄSENTATIV
Repr.
-
repräsentativ
-
SA SAV Sp.
—
Sprechakt Sprechaktverb Sprecher
wörtl.
-
wörtlich
Zus.fall v.Ill.u.Perl.
— -
Zusammenfall von Illokution und Perlokution
Komplex
ist die
Realität,
aber einfach sind ihre
Prinzipien.
Manfred Eigen (Darwin und die Molekularbiologie. Angewandte Chemie 93. 1981. 224)
EINLEITUNG
Das Problem einer Sprechakttaxonomie beinhaltet die Frage, welche Handlungen wir mit Sprache vollziehen können und wie diese Handlungen zueinander in Beziehung stehen. Einerseits ist es ein relativ junges Problem, aufgeworfen durch die analytische Sprachphilosophie Mitte des 20. Jahrhunderts, andererseits - man vernimmt es mit gewisser Verwunderung - uralt. So hat z.B. schon der Sophist Protagoras eine Vierfunktionenlehre der Sprache entwickelt. Darüber hinaus ist es ein fundamentales Problem der Beschreibung der Sprachverwendung. Allein aus Alter und Bedeutung dieses Problems ist zu schließen, dass es wohl auch einige Tücken für die Bearbeitung enthält. Unter den ersten, relativ zahlreichen und insgesamt wohl kaum gelungenen Einteilungsversuchen kommt Searles Taxonomie (1975a) besondere Bedeutung zu. Dennoch ist nicht zu verkennen, dass die heutige Forschung zum Sprachgebrauch nur vereinzelt sich auf Searle beruft. Zwar ist die Kritik an Searles Sprechakttheorie von linguistischer Seite berechtigt, dennoch sollte sie nicht dazu führen, die Handlungstheorie generell abzulehnen. Searle hat wesentliche begriffliche und typologische Unterscheidungen eingeführt, die modifiziert und geändert werden können, so dass sie linguistisch nutzbar werden. Ich will im Rahmen dieser Arbeit einen neuen Versuch wagen, nach funktionalen Kriterien eine universelle Sprechakttaxonomie deduktiv abzuleiten, die die Grundlage für eine linguistische Beschreibung des Sprachgebrauchs sein kann. Wenn ich diese Sprechakttaxonomie universell nenne, so ist dies in den funktionalen, nicht an eine Einzelsprache gebundenen Kriterien begründet, die ich für die Ableitung verwende. Ich intendiere nicht Universalität im strengen Sinn; zur Exemplifizierung werden vorwiegend Beispiele aus dem Deutschen herangezogen, vereinzelt auch aus anderen mir bekannten Sprachen. Eine Sprechakttaxonomie steht oder sollte in Zusammenhang stehen mit dem gegenwärtig viel diskutierten Versuch einer "kommunikativen Grammatik". Die Forderung nach Integration von Grammatik und Kommunikation wird seit einigen Jahren verstärkt erhoben, wobei nur in wenigen Fällen erkannt wird, dass Grundlage einer kommunikativen Grammatik eine Sprechakttaxonomie sein müsste. Ohne eine systematische Begründung der funktionalen Möglichkeiten sprachlichen Handelns kann es auch keine systematische Behandlung ihrer Realisierung in einer Einzelsprache geben. In Kapitel III wird eine kommunikative Grammatik in ihren theoretischen Grundlagen, die vermutlich universell sind, entwickelt und auf der Basis der in Kapitel II erarbeiteten universellen Sprechakttaxonomie in systematischer Weise am Deutschen exemplifiziert. Aufgrund des prinzipiell dialogischen Charakters der Sprachverwendung, der in der Sprechakttaxonomie begründet wird, muss eine kommunikative Grammatik eine dialogische Grammatik sein. "Sprache als Dialog" könnte damit ein neues Paradigma der Linguistik beinhalten. Im Vordergrund der kommunikativen Grammatik, die ich hier vorschlage, steht die Frage, wie die Handlungsfunktionen dialogisch ausgerichteter Sprechakte im Deutschen realisiert werden. Träger der Handlung ist die dialogisch orientierte Äußerung; die kommunikative Grammatik ist somit eine Äußerungsgrammatik. Ich gehe nicht systematisch auf phonologische, morphologische, syntaktische und im engeren Sinn semantische Probleme ein. Diese Einschränkung im Blick auf ein Gesamtmodell des Sprachgebrauchs ist dadurch
2 bedingt, dass nicht alle Schritte auf einmal getan werden können. Erst muss der Rahmen abgesteckt und die grundsätzliche Struktur herausgearbeitet werden, die das Funktionieren gewährleistet; sodann können die Teilbereiche, die analytisch zunächst als durchaus selbständige Untersuchungsbereiche gelten können, in diesen Zusammenhang eingebaut werden, jedoch nicht als autonome Teile, sondern als Module, die ineinander greifen, und zwar in einer strikteren und theoretisch verbindlicheren Weise, als dies bisher nach dem tektonischen Prinzip des Strukturalismus denkbar schien. Eine grundlegende Prämisse der Erstauflage der Arbeit war die Annahme, dass es auch im Bereich der Sprachverwendung zunächst um eine Beschreibung der Kompetenz gehen müsse. Diese Prämisse beruht nach meiner heutigen Auffassung auf einer doppelten Fehleinschätzung. Zum einen wird ein Gegenstand postuliert, den es in dieser Form nicht gibt. Was heißt "kommunikative Kompetenz als regelgeleitetes System, das der Performanz zugrundeliegt"? Es bedeutet nichts anderes als die pragmatische Fortführung der Annahme, dass die "langue" der "parole" zugrundeliege. Dabei haben wir inzwischen erkannt, dass die "langue" als Zeichensystem ein hypothetisches Konstrukt darstellt. Nicht anders verhält es sich mit der Kompetenz, selbst wenn wir uns nun bemühen, von kommunikativer Kompetenz zu sprechen. Das Phänomen "kommunikative Kompetenz", das der Performanz gegenübergestellt wird, bleibt ein rätselhaftes Konstrukt. Wie weit greift es? Mit welcher Berechtigung grenzen wir es unter Bezug auf Regeln und Konventionen ab, wenn diese Regeln und Konventionen doch nicht ausreichen, um das Verhalten des Menschen in dialogischer Interaktion zu erklären? Einschätzungen zu treffen bezüglich der Individualität des anderen in der einmaligen Situation, Vermutungen anzustellen bezüglich der Wahrscheinlichkeit von Zusammenhängen und Werturteilen, bezüglich der Gültigkeit von Präferenzen und Lebensgewohnheiten - gehören sie nicht zur Kompetenz des handelnden Menschen? Wird damit nicht die Aufteilung in den regelhaften Bereich der Kompetenz und den "chaotischen" Bereich der Performanz hinfällig? Eines ist klar: Wir versuchen komplexe Zusammenhänge zu verstehen, indem wir in ihnen Regularitäten aufzufinden suchen. Doch sind diese Regularitäten nur ein Teil des komplexen Zusammenhangs. Selbst wenn wir eine eigene Ebene der "regelgeleiteten Kompetenz" als der Performanz zugrundeliegend annehmen, handelt es sich um ein methodologisches Konstrukt, das die menschliche Kompetenz auf regelhaftes Verhalten reduziert. Damit aber - und dies ist die andere Seite der "doppelten Fehleinschätzung" - erliegen wir einem, wie ich heute meine, grundlegenden methodologischen Irrtum, wenn wir glauben, wir könnten mit der Methodologie beginnen und den eigentlichen Gegenstand, den interagierenden Menschen, danach zurechtschneiden. Ein solches methodologisches Denken hat leider die abendländische Tradition über mehr als zwei Jahrtausende bestimmt. Wir gehen davon aus, dass das, was wir suchen, eine Regel ist, und nehmen ohne jede Problematisierung an, dass einen Gegenstand beschreiben und erklären nichts anderes heißen kann, als ihn auf ein regelhaftes System zurückführen. Dabei hat die Physik, die hier vielleicht in ihrer klassischen Form Vorbild war, diese irrtümliche Einschränkung längst erkannt und mit dem Unbestimmtheitsprinzip der Quantenphysik hinter sich gelassen. Es geht mit Bezug auf das Universum nicht an, komplexe Erscheinungsformen auf zugrundeliegende Regeln zurückzuführen. Das Phänomen ist komplex, und die Erklärung des Phänomens kann nicht eine absolute Regel sein. Das Konzept der Regel als ausschließliches Erklärungskonzept ist aufzugeben.
3
Das Postulat, dass es zunächst um die Beschreibung der regelgeleiteten Kompetenz gehen müsse, hat Voraussetzungen und Folgeannahmen. Die Voraussetzungen gründen in der Systemlinguistik, und hier vor allem in der Schule der generativen Grammatik. Selbst wenn sich die generative Grammatik bemüht, auch in der Pragmatik Fuß zu fassen, bleibt dieser Versuch doch auf einen künstlichen Sprachbegriff bezogen, für den Konzepte wie Regelhaftigkeit, Explizitheit und Generativität konstitutiv sind, die pragmatischen Phänomenen nicht gerecht werden. Die Folgeannahmen des Postulats, dass die Kompetenz unser vorrangiger Gegenstand sei, haben zur Kontroverse zwischen einem theoretischen versus empirischen Zugang zu Problemen der Pragmatik geführt, die die Literatur vor allem der 80er Jahre durchzieht (vgl. Hundsnurscher 1980, Weigand 1992a). Nachdem sich heute die Korpuslinguistik als eigene Schule etabliert hat und wir die Grenzen der Introspektion des kompetenten Sprechers erfahren haben, mutet die Auffassung des generativ-sprachtheoretischen Konzepts, die ich in der Erstauflage vertreten habe (S. 2), schon bizarr an, wonach dem authentischen Text nur illustrativer Status zukommt. Der authentische Text ist zwar nicht mit unserem Gegenstand "sprachliche Interaktion im Handlungsspiel" gleichzusetzen - auch der authentische Text hat seine Grenzen - , aber dennoch als entscheidende Komponente dieses Gegenstands zu begreifen (vgl. Weigand 2000a). Indem wir die strikte Gegenüberstellung von Performanz und Kompetenz aufgeben und Kompetenz-in-der-Performanz als unseren Gegenstand begreifen (Weigand 2001c), hat auch die Kontroverse von Theorie versus Empirie ihre argumentative Schlagkraft verloren. Unser Ausgangspunkt kann nur die Empirie des Gegenstand sein, selbst wenn es empirische Evidenz an und für sich nicht gibt. Evidenz stellt sich in Wechselwirkung zwischen Theorie und Empirie ein, indem die Empirie unter dem Filter theoretischer Überlegungen betrachtet wird. Selbst die Erkenntnis eines empirischen Phänomens als Gegenstand setzt schon theoretische Überlegungen voraus. In diesem Sinn ist unser Gegenstand ein Performanzgegenstand, eine komplexe Fähigkeit des Menschen, die verschiedene Fähigkeiten "integriert" (vgl. Harris 1998), im wesentlichen die Fähigkeiten zu sprechen, wahrzunehmen und zu denken. Dieser Performanzgegenstand ist die einzige natürliche Form, in der Sprache fassbar wird, und er ist Orientierungspunkt für die zu entwickelnde Methodologie, nicht umgekehrt. Durch ausgedehnte pragmatische Untersuchungen der letzten Jahre ist evident geworden, dass Konventionen nicht durch Introspektion zu begründen sind, da die Introspektion der "native speaker" in problematischen Fällen nur zu Konfusion und widersprüchlichen Einschätzungen führt. Eine Entscheidung in diesen Fällen kann allein die Frequenz im Korpus bringen. Zwar mag man die Frage aufwerfen, wie denn das Korpus aussehen sollte, da es ja unbegrenzt sein müsse; doch diese Frage ist nur für den Elfenbeinturm theoretischer Überheblichkeit von Relevanz. Es bedarf keines unbegrenzten Korpus, das es unter Bezug auf einen bestimmten Zeitpunkt gar nicht geben kann; sondern es bedarf repräsentativer Korpora, über die wir in der Zwischenzeit für verschiedene Sprachen durchaus verfügen. Nach der Simulation von Beispielen durch die generative Grammatik hat die Konversationsanalyse sehr zu Recht auf die Bedeutung des authentischen Texts und damit der realen und individuellen Sprachverwendung hingewiesen. Diesen Schritt gilt es zu übernehmen. Gleichzeitig aber sind wir heute soweit, auch die Grenzen der Korpuslinguistik zu erkennen, die in der Annahme liegen, Sprache erschöpfe sich in einem Korpus empirisch registrierbarer Signale (Weigand demn.a). Indem Korpora die mentale Ebene ausschließen, können
4 sie nicht unseren Gegenstand "sprachliche Interaktion" repräsentieren. Sofern man sich nicht nur auf einfachste, rein sprachlich verhandelte Beispiele beschränken will, können die Prinzipien sprachlicher Interaktion letztlich nur von den Interagierenden selbst erkannt werden. Kognitive Mittel wie Annahmen, Vermutungen, Präferenzen wären gegebenenfalls in eine differenzierte Situationsbeschreibung aufzunehmen und dem authentischen Text beizugeben. Allerdings bereitete es für eine die verschiedenen Handlungsfunktionen abdeckende Untersuchung wie die vorliegende erhebliche Schwierigkeiten, ausschließlich authentische Beispiele verwenden zu wollen. Daher werden auch in der Neuauflage die Beispiele der Erstauflage übernommen. Der Bezug auf den handelnden Menschen, der die Fähigkeiten zu sprechen, wahrzunehmen und zu denken als kommunikative Mittel gleichzeitig anwendet, ändert auch grundlegend die Sicht auf ein weiteres wesentliches Phänomen der Sprachverwendung, das Phänomen der Kohärenz. Auch hier sehen wir heute klarer, indem wir nicht mehr glauben, die Kohärenz im Text selbst finden zu müssen. Kohärenz ist keine Eigenschaft des Textes, sondern wird von den Kommunikationsteilnehmern in ihrem kognitiven Bestreben gestiftet, empirische Signale soweit möglich als sinnvoll und zusammenhängend zu verstehen (Weigand 2000b, Givón 1993a). Damit sind wir bei dem entscheidenden Punkt angelangt, der letztlich meine Abkehr von der Dialoggrammatik begründet hat, bei der Notwendigkeit, Linguistik nicht länger auf eine Wissenschaft von der Sprache zu reduzieren, sondern sie als Wissenschaft von dem mit Sprache handelnden, und d.h. interagierenden Menschen zu verstehen. Zwar mag man als Dialoggrammatiker einwenden, dass es ja nicht nur um "Äußerungsformen" gehe, sondern auch die "Bedingungen der Kommunikation" zu berücksichtigen seien (Hundsnurscher 1989); doch bleibt dieser Einwand aus meiner heutigen Sicht ein rein theoretischer. Der Zusammenhang zwischen "Äußerungsform", situativen "Handlungsbedingungen" und "Handlungszweck" ist bisher nicht systematisch aufgezeigt worden und lässt sich prinzipiell auch nicht regelhaft erfassen (Weigand 1993a). Für ein Verständnis von Linguistik als Humanwissenschaft sind die Bereiche von Sprache, Wahrnehmung und Kognition nicht zu trennen. In dieser Annahme treffe ich mich mit verschiedenen Richtungen der letzten Jahre, die kompositionelle Modelle und deren Sprachbegriff als Mythos erkannt haben (z.B. Baker/ Hacker 1984, Harris 1981). Probleme des Verstehens sind konstitutiver Bestandteil unseres Gegenstands, wenn wir es mit der Annahme ernst meinen, dass wir immer und prinzipiell als unterschiedliche Menschen, mit unterschiedlichen kognitiven Hintergründen und persönlichen Erfahrungen, schlicht mit unterschiedlichen kognitiven Welten in das Handlungsspiel eintreten und miteinander unsere Positionen aushandeln. Damit hat sich die Pragmatik nicht länger strikt von der Hermeneutik abzugrenzen und sich auf die sog. "normalen" Wege der Verständigung zu beschränken. Was sind "normale" Mittel der Verständigung? Sie können nicht per defmitionem mit konventionellen Mitteln gleichgesetzt werden. Normal ist es für den Menschen, alle seine Fähigkeiten einzusetzen. Selbst wenn er wollte, kann er die Fähigkeit zu denken nicht ausschließen. Verständigung auf der Basis absoluten Verstehens kann es nicht geben. Menschen nähern sich einander und verhandeln im Handlungsspiel ihre Positionen auf der Basis von Prinzipien, die sich auf Wahrscheinlichkeiten gründen und den Zufall, individuelles Verhalten und die konkrete Situation einschließen. Eine Äußerung ist nicht fest qua Regel einer Funktion zugeordnet.
5 Mitunter weiß allein der Sprecher selbst, welche Handlung er mit seiner Äußerung vollzogen hat. Wir sprechen manchmal von Konventionen, nicht von Regeln, vielleicht um diesem Unbestimmtheitsprinzip sprachlicher Interaktion Rechnung zu tragen; denn die Gültigkeit von Konventionen ist letztlich keine absolute, sondern bezieht sich auf bestimmte Sprechergruppen, die nicht genau abzugrenzen sind. Dennoch geht die prinzipielle Offenheit des Dialogs weiter und schließt individuelle Erwartungen und Annahmen ein sowie die individuelle Freiheit des Sprechers, sich über Konventionen hinwegzusetzen. Dascal (1994) hat auf diese "open-endedness", die nicht durch Regeln oder Konventionen zu schließen ist, bereits vor Jahren hingewiesen und versucht, Searles konventionelles System mit Grice' nicht-konventionellen Schlussfolgerungen zu verbinden. Dialogische Interaktion ist weder ausschließlich auf Konventionen, noch auf Grice' Prämisse 'Wir meinen mehr, als wir sagen.' zu begründen. Auch denke ich nicht, dass zwei verschiedene Modelle zu kombinieren sind, sondern dass das Unbestimmtheitsprinzip konstitutiv ist für ein Modell sprachlicher Interaktion, nach dem Meinen und Verstehen nicht vorgegeben sind, sondern im Prozess des Dialogs ausgehandelt werden (Weigand 2001a). Regularitäten wie individuelle Zuordnungen sind dafür gleichermaßen konstitutiv. Auch das fundamentale "Dialogische Prinzip", die Sicht von Sprache als Dialog, ist nicht als absolute Regel oder feste Konvention, sondern als Prinzip der Erwartung auf der Basis von Wahrscheinlichkeiten zu verstehen. Seltsamerweise hat gerade die Sprechakttheorie orthodoxer Prägung die Annahme eines generellen dialogischen Prinzips geleugnet. So zielen nach Searle nur einige Sprechakte auf einen bestimmten Folgesprechakt (1969: 46 u. 71, 1975a: 345f., 1992: 10). Austin (1962: 117) geht zwar einerseits von einem gewissen dialogischen Grundprinzip aus, wonach der Sprechakt die 'Aufhahme'/"uptake" durch den Kommunikationspartner einschließt; andererseits aber versucht er, sich mit der Unterscheidung normal/parasitär aus vermeintlichen Schwierigkeiten zu retten, und gliedert poetische Texte als parasitär aus (S. 104). Auch Kasher (1989) unterscheidet Sprechakte, die sich explizit auf Sprecher und Kommunikationspartner beziehen wie 'versprechen' von solchen, die keinen Kommunikationspartner involvierten wie 'behaupten'. Dagegen gibt es in der europäischen Wissenschaftstradition durchaus einzelne Stimmen, die schon früh auf das dialogische Grundprinzip der Sprachverwendung hingewiesen haben, so z.B. besonders deutlich Wilhelm von Humboldt (1963: 138): "Es liegt aber in dem ursprünglichen Wesen der Sprache ein unabänderlicher Dualismus, und die Möglichkeit des Sprechens selbst wird durch Anrede und Erwiederung bedingt." Das dialogische Prinzip von "Anrede und Erwiederung" stiftet das minimale Handlungsspiel. Der Dialogbegriff wird in der Literatur in unterschiedlicher Weise verwendet. Wenn ich Sprache als Dialog verstehe und die generelle Gültigkeit des Dialogischen Prinzips postuliere, so meine ich nicht die traditionelle methodologische Unterscheidung zwischen Dialog und Monolog, die sich auf die Äußerungsseite und den situativen Sprecherwechsel bezieht, sondern ich meine wie Wilhelm von Humboldt einen konstitutiven Zug nicht nur der Sprachverwendung, sondern von Sprache selbst (vgl. auch Stati 1982 und demn.). Mit "dialogisch" in diesem Sinn ist nicht das äußere, situative Merkmal der Präsenz oder unmittelbaren Reaktion eines Kommunikationspartners gemeint. Ein solches Merkmal bezöge sich auf die Realisierung der kommunikativen Funktion, und die Realisierung unterscheidet sich, wie nicht zu leugnen ist, nach vielfältigen situativen Bedingungen, unter denen eine wesentliche die Präsenz des Kommunikationspartners beinhaltet. "Dialogisch" im Sinn
6 eines generellen dialogischen Prinzips meint ein inhaltliches Phänomen, das immer gegeben ist, sei es in einer Kommunikationssituation mit Anwesenheit oder Abwesenheit des Kommunikationspartners. Ich nehme also aus heuristisch-methodologischen Gründen zwei Ebenen des Dialogischen an und unterscheide damit auch zwei Dialogbegriffe: den in der Gegenüberstellung zum Monolog bestimmten, traditionellen Dialogbegriff, der sich auf die Ebene der Realisierung bezieht, und einen Dialogbegriff, der auf der Inhaltsebene zu begründen ist (vgl. auch Weigand 1986). Es wird eine wesentliche Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein darzulegen, wie dieses inhaltliche Phänomen theoretisch in der Definition von Sprechakt und Sprechaktsequenz bzw. Handlungsspiel zu fassen ist. In erster Annäherung kann es als "Gerichtetsein" umschrieben werden, wenngleich dieser Begriff sogleich zu präzisieren ist. Sprache in der Sprachverwendung ist immer an einen Kommunikationspartner gerichtet, ob dieser nun anwesend ist bzw. sprachlich reagiert oder nicht. Der Sprecher kann sich auch selbst oder einen fiktiven anderen zum Kommunikationspartner nehmen, doch immer, in Gebrauchstexten wie in literarischen Texten, ist Sprache in diesem Sinn gerichtet. Diese Erscheinung, die wir in jeder Äußerung erfahren, mag trivial anmuten, solange man sie nur oberflächlich als "Gerichtetsein" versteht und nicht zum Ausgangspunkt einer tieferen Erschließung des Gegenstands macht. Es gilt, "Gerichtetsein" als funktionales, inhaltliches Phänomen zu explizieren. Unter Bezug auf dieses inhaltliche Phänomen eröffnen sich analytisch neue Wege des Erklärens, und Sprache als kommunikative Sprachverwendung wird unter ihrem eigentlichen, dialogischen Prinzip verstehbar. Nur so ist eine einheitliche Theorie der Sprachverwendung möglich. Nach meiner Auffassung wurde die Sprache entwickelt, damit Menschen als soziale Wesen sich in ihren Positionen aufeinander abstimmen können. Wir handeln, indem wir in initiativen Sprechakten pragmatische Ansprüche stellen und in reaktiven Sprechakten auf diese Ansprüche eingehen. Die Sequenz aus Anspruch-Stellen und Anspruch-Erfiillen ist Grundlage des Handlungsspiels, der minimalen kommunikativ autonomen Einheit. Sprache als Dialog ist letztlich darin begründet, dass es keinen kommunikativ autonomen einzelnen Sprechakt gibt. Sprache wird nicht primär zum Ausdruck der Gedanken verwendet, wie Generativisten und kognitive Linguisten annehmen. Sprache dient primär der Kommunikation, und Kommunikation ist immer dialogisch (Weigand 1991a). Die minimale kommunikativ autonome Einheit muss eine dialogische sein. Sprache als Dialog beruht auf der Interdependenz zwischen initiativem und reaktivem Sprechakt, die als Wahrscheinlichkeitsprinzip zu verstehen ist. Ähnlich wie die moderne Physik das Unbestimmtheitsprinzip der Quantenphysik nicht immer explizit berücksichtigt, können wir uns, denke ich, auch in der Beschreibung und Erklärung dialogischer Interaktion aus Ökonomiegründen ein Stück weit auf Konventionen verlassen, solange wir uns immer der Offenheit dieser Konventionen und ihrer Abhängigkeit von individuellen Faktoren und einmaligen Konstellationen bewusst sind. Die folgende Neubearbeitung verfährt in diesem Sinn, indem sich die Genauigkeit der Beschreibung an Gesichtspunkten des Zwecks orientiert. Nicht immer wird explizit vermerkt, dass die angenommenen Konventionen keine festen Zuordnungen sind, sondern letztlich Erwartungen, die sich auf Wahrscheinlichkeiten gründen.
Erstes Kapitel GRUNDLAGEN UND VORBEREITUNG
1. Das Problem einer allgemeinen Bedeutungstheorie
1.1. Sprachbegriff Entscheidend für jede sprachwissenschaftliche Arbeit ist der zugrunde gelegte Sprachbegriff. Er bestimmt Gegenstand und Ziel der Untersuchung. Für die moderne Linguistik bedeutete wissenschaftliches Vorgehen im Bereich Sprache lange Zeit in Anlehnung an naturwissenschaftliche Verfahren Reduktion der Komplexität des Gegenstands, Beschränkung auf durch Abstraktion gewonnene Teilbereiche. Sprache als natürliches soziales Phänomen wurde zerlegt in Konstrukte wie Sprachsystem oder Syntax und Semantik. Zwar war es Ziel der Beschreibung, das Funktionieren von Sprache zu erklären; dieses Ziel glaubte man aber nur erreichen zu können, indem man das Funktionieren von Teilbereichen erklärte. Die Beschreibungen der Teilbereiche sollten dann zu einer Gesamtbeschreibung integriert werden. Hinter diesem Vorgehen stand die Prämisse, dass sich Sprache in autonome Teilbereiche gliedern und das komplexe Ganze stückweise aus diesen Teilen aufbauen lasse. Diese Prämisse ist jedoch nicht haltbar. Zwar lassen sich Teilbereiche von Sprache ausgrenzen und unter Abstraktion anderer Bereiche beschreiben, und es lassen sich daraus auch wertvolle Erkenntnisse für das Funktionieren natürlicher Sprache gewinnen. Aber streng genommen sind dies nur Erkenntnisse für die Teilbereiche, aus denen sie gewonnen wurden. So ist eine generativ-syntaktische Beschreibung einer Einzelsprache keine Beschreibung der natürlichen Syntax dieser Sprache, sondern eine Beschreibung syntaktischer Gesetzmäßigkeiten nach der Theorie der generativen Grammatik. Eine Beschreibung der natürlichen Syntax setzte voraus, dass Syntax immer in Wechselwirkung zu allen anderen Bereichen, also auch der Pragmatik, gesehen wird (vgl. auch Searle 1974: 16). Sprache als natürliches Phänomen, d.h. Sprache in der Verwendung, lässt sich offensichtlich nicht adäquat in autonome Teile gliedern und aus diesen Teilen wieder zusammensetzen. Man muss sich entscheiden, was man beschreiben und erklären will, Teilbereiche eines Konstrukts Sprache oder Sprache als natürliches Phänomen. Zwar kann man qua Abstraktion von natürlicher Sprache zu einem Konstrukt Sprache gelangen, aber der umgekehrte Weg ist nicht möglich; aus Konstrukten lassen sich nur Konstrukte wiederaufbauen. Eine Sprachuntersuchung, die sich einem natürlichen Sprachbegriff verpflichtet weiß, darf den Zugang zu ihrem Gegenstand nicht durch Reduktion gewinnen, sondern muss von der Komplexität des Ganzen ausgehen.1 Für sie ist die Frage nach der generellen Funktion von Sprache grundlegend. Diese Frage wurde seit Jahrtausenden wiederholt gestellt und
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Vgl. Austin (1962: 147), der den 'totalen Sprechakt' zum Gegenstand der Untersuchung erklärt: "The total speech act in the total speech situation is the only actual phenomenon which, in the last resort, we are engaged in elucidating." Gegenstand ist heute nicht mehr der 'totale Sprechakt', sondern das "totale Handlungsspiel".
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verschieden beantwortet. So wie das Wesen der Sprache durch die Funktion bestimmt wird, so ist die Funktion abzuleiten aus den Bedürfnissen des Menschen; denn Sprache ist ein Mittel, das sich nach den Bedürfnissen des Menschen im Rahmen vorgegebener Bedingungen entwickelt hat. Die Bedingungen liegen in den Fähigkeiten des Menschen und in der Konstellation, dass Menschen miteinander in der Welt leben. Dabei ist von dem Bedürfiiis des Menschen auszugehen, Uber die Welt handelnd zu verfügen, sich die Welt aktiv anzueignen. Eine einfache Form, über die Welt handelnd zu verfügen, ist materielles Handeln, eine komplexere Form sprachliches Handeln. Dieses wird notwendig, wenn es gilt, in Gemeinschaft mit anderen zu handeln, erwächst also aus der Notwendigkeit, sich mit anderen zu verständigen. Wäre der Mensch allein, bedürfte es keiner Sprache. Sprache wurde nicht entwickelt, um den Gedanken Ausdruck zu verleihen. Die Fähigkeit zu denken - wobei noch zu klären wäre, was sie beinhaltet (vgl. Weigand 1991a) - war den Menschen wohl schon vorher zu eigen. Sprache wurde entwickelt, weil die Menschen als soziale Wesen mit Sprache besser überleben konnten. Kommunikation ist die primäre Sprachverwendung, und Verständigung ist ihre generelle Funktion. Ein natürlicher Sprachbegriff ist somit immer auch ein dialogischer. Verständigung meint nicht "sich verständlich machen", wie der Begriff häufig in der Literatur verstanden wird.2 Als generelles Ziel der Kommunikation heißt Verständigung, sich über die gegenseitige Stellung klar werden, Meinen und Verstehen aushandeln und sich über gemeinsames Vorgehen einigen, in positivem wie in negativem Sinn, im Sinn eines Konsenses wie eines Dissenses. Auch eine Absage beinhaltet Verständigung: Beide Kommunikationspartner sind sich Uber ihre nicht zur Deckung zu bringenden Positionen klar geworden. Verständigung in diesem Sinn ist keine Funktion an sich, sondern auf Objekte gerichtet, über die man sich verständigt. Objekt der Verständigung sind die Möglichkeiten,
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Diese Art der Verständigung im Sinn des Sich-verständlich-Machens zielt eigentlich nur auf Verstehen. In diesem Sinn wird Verständigung verwendet z.B. im Titel der Jahrestagung 1982 des Instituts für deutsche Sprache "Wortschatz und Verständigungsprobleme" (vgl. Henne/Mentrup 1983). Ein Beispiel für einen nicht explizierten Verständigungsbegriff bietet Ungeheuer (1974). "Verständigung" wird hier in nicht definiertem, komplexem Sinn verwendet, ohne klare Unterscheidung gegenüber Verstehen und Verständnis; vgl. z.B. (S. 7f.): "Ich spreche, um mich zu verständigen; ich möchte, wenn ich spreche, von dem anderen, mit dem ich spreche, verstanden werden. Und offensichtlich ist dieses Moment der gegenseitigen Verständigung beim Sprechen... dass, wenn man spricht, man durchaus nicht immer Verständigung, Verständnis oder Verstehen beabsichtigt." Wir wollen jedoch nicht nur verstanden werden, sondern uns über unser Handeln verständigen. Zu einer Differenzierung der Begriffe "Verstehen" und "Verständigung" vgl. Harras (1980), die sich beim Begriff der Verständigung auf Habermas bezieht. Habermas (1976: 176f.) unterscheidet eine Minimalbedeutung von Verständigung, "dass zwei Subjekte einen sprachlichen Ausdruck identisch verstehen", und eine "Maximalbedeutung, dass zwischen beiden Übereinstimmung besteht Uber die Richtigkeit einer Äußerung in bezug auf einen gemeinsam anerkannten normativen Hintergrund". Im Prinzip verstehe ich Verständigung im Sinn von Habermas' Maximalbedeutung und Kommunikation wie er als verständigungsorientiertes Handeln (vgl. auch Habermas 1981.1: 128 u. 367ff., bes. 387). Im Unterschied zu Habermas ist für mich jedoch die erstrebte Verständigung frei von Kriterien der Richtigkeit und Normativität wie auch frei von einer positiven Festlegung, d.h., meint nicht nur Übereinstimmung/Konsens, sondern ebenso die Feststellung eines nicht zu behebenden Dissenses.
9 Uber die Welt, zu der auch der Mensch selbst gehört, gemeinsam handelnd zu verfügen, materiell und sprachlich. Geht es um materielles Handeln, so setzt dies Absprache, Handlungsinitiierung und Handlungszuweisung voraus. Geht es um sprachlich-kognitives Handeln, wollen sich die Kommunikationspartner "ein Bild von der Welt machen", so bedarf es der Verständigung über gegenseitige Auffassungen, und d.h. der gegenseitigen Absicherung und Festigung der Auffassungen. Die Sprechakttheorie hat sprachliches Handeln unter einer einzigen Handlungsfunktion, der Illokution, beschrieben. Mit der illokutiven Funktion glaubte man, die Verwendungsfunktion von Sprache schlechthin gefunden zu haben, ohne sie jedoch befriedigend klären und definieren zu können. Was heißt es schon, das Phänomen des Handelns auf genereller Ebene als "das, was beim Sprechen geschieht" zu fassen? Die Festlegung eines einzigen Typs der Handlungsfunktion, nämlich der Illokution, geht auf die Betrachtung des Sprechakts als isolierter Einheit zurück. So wie man heute diese sequenzabstrahierende Betrachtungsweise überwindet, so muss man auch über die Gleichsetzung von Illokution und Sprechakt hinauskommen, indem man erkennt, dass nicht jeder Sprechakt von der gleichen illokutiven Art ist. Zwar lassen sich neben dem konventionellen illokutiven Zweck, der mit einer Äußerung verbunden ist, nichtkonventionelle Wirkungen unterscheiden, die man "perlokutiv" nannte. Doch nicht alles, was in sprechakttheoretischer Literatur bisher unter Illokution eingereiht war, ist die Funktion eines sequenzunabhängigen, isolierbaren Sprechakts, und nicht alles, was man perlokutiv nannte, ist nichtkonventionell.3 Nicht der einzelne Sprechakt ist die Einheit der Kommunikation. Wie könnte er es auch sein, ist doch Kommunikation Sprachverwendung zwischen mindestens zwei Kommunikationspartnern. Ebensowenig ist die illokutive Funktion eine autonome Funktion. Kommunikative Minimaleinheit ist eine Zweiersequenz, in der einem Sprechakt des einen Kommunikationspartners ein anderer Sprechakt des zweiten Kommunikationspartners zugeordnet ist. Die Zweiersequenz stiftet das minimale Handlungsspiel. Erst die initiative und reaktive Funktion zweier aufeinanderfolgender Sprechakte machen die kommunikative Funktion der Verständigung möglich, die immer eine interaktive Funktion auf der Ebene des Handlungsspiels ist. Zwar erkennt Hundsnurscher (z.B. 1980: 92 u. 1981: 346), dass der minimale kommunikative Rahmen die Zweiersequenz ist, betrachtet aber nach wie vor den Sprechakt als autonome Einheit. Die Zweiersequenz, dies sei noch einmal betont, stellt die kommunikative Minimalsequenz dar; sie wird durch Sequenzprinzipien verschiedener Art zu längeren Dialogen erweitert (s.u.). Nicht immer muss die hörerseitige Funktion durch einen Sprechakt realisiert sein; sie kann in einzelnen Fällen, z.B. nach einer Aufforderung zu einer hic et nunc durchführbaren
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Von den zahlreichen Beispielen zur vermeintlich illokutiven Funktion sequenzabhängiger Sprechakte kann ich nur einige nennen: Austins Klasse der "behabitives", die 'Reaktionen' bezeichnen (1962: 159), oder die Klasse der "expositives", für die Sequenzrelationen maßgeblich sind (S. 151: "... how our utterances fit into the course of an argument or conversation ..."), Searles 'illokutive' Funktion von reply, object (1975a: 348), the act of answering bei Fraser (1975a: 189, auch 1974: 142), answer, reply, object etc. bei Ballmer/Brennenstuhl (1981: 22), accept bei Hancher (1979: 7) und den Sprechakttyp "acknowledgement" bei Stiles (1981) sowie die Sprechakttypen "sequencer" und "positioner" bei Ohmann (1972: 120). Auch Grewendorf (1982) erkennt in seiner Abhandlung Uber "Behaupten und Zustimmen" nicht die perlokutive Besonderheit der Zustimmenshandlung. Zu konventionellen perlokutiven Akten vgl. Davis (1980: 47), T.Cohen (1973).
10 Handlung, durch die materielle Handlung selbst substituiert sein oder, situativ bedingt, z.B. bei einer Ansprache, nur als mentale Reaktion vorliegen (vgl. Kap. 11,4.). 4 Das Gleiche gilt auch fUr die initiative Handlung, die z.B. allein durch eine Geste realisiert sein kann. Die Zweiersequenz als Sequenz zweier Sprechakte ist in diesen Fällen nur potentiell angelegt. Die kommunikative Grundeinheit bleibt in allen Fällen die Zuordnung von Aktion und Reaktion: (Fig. 1)
Kommunikative Grundeinheit Aktion
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Reaktion
Zu Recht übte man lange Zeit an der zu stark sprecherseitig orientierten Sprechakttheorie Kritik, ohne daraus theoretische Konsequenzen zu ziehen. Nur scheinbar hat Hörmann (1978) mit seinen beiden psychischen Akten Meinen und Verstehen dieses Problem überwunden, denn letztlich beziehen sich Meinen und Verstehen nur auf zwei verschiedene Seiten ein und derselben Äußerung.5 Die sprachliche Reaktion des Kommunikationspartners wird damit nicht erfasst. Das Problem ist auch nicht gelöst, indem man, wie z.B. Dittmann (1981: 152) oder die sog. erweiterte Sprechakttheorie (z.B. Hundsnurscher 1980, Franke 1990, Hindelang 1994), sequenzunabhängige und sequenzabhängige Sprechakte unterscheidet, die aber offenbar alle illokutiv seien. Die sprecherseitige Funktion der Illokution zielt konventionell auf eine Reaktion des Kommunikationspartners;6 dieser soll auf die Illokution eingehen, sie akzeptieren oder verwerfen, Stellung beziehen. Dieser reagierende Sprechakt des Kommunikationspartners ist selbst nicht illokutiv; dies wird deutlich, sobald man das Phänomen der Illokution funktional zu fassen sucht (s. I 1.2.; vgl. auch Weigand 1984b). 7 4
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Ähnlich hebt Wilhelm von Humboldt (1827/1963: 138f.) hervor, dass bereits das Denken kommunikativ orientiert sei: "Schon das Denken ist wesentlich von Neigung zu gesellschaftlichem Daseyn begleitet... der Begriff scheint ihm erst seine Bestimmtheit und Gewissheit durch das Zurückstrahlen aus einer fremden Denkkraft zu erreichen ... zwischen Denkkraft und Denkkraft aber giebt es keine andere Vermittlerin, als die Sprache." Damit erfasst er den Typ repräsentativbehauptender Sprechakte, die ebenso wie Direktive auf eine Reaktion zielen, hier auf einen positiven oder negativen Bescheid des AKZEPTIERENS. Hörmann steht hier in der Nachfolge Btlhlers (1927: 38ff.), der den Ursprung der Semantik in der Gemeinschaft, in der Korrelation von Kundgabe und Kundnahme eines Zeichengebers und Zeichenempfängers sieht. Das "Verstehen" als hörerseitige Interpretation stellt Burkhardt (1986) bei seinem hörerbezogenen Ansatz in den Vordergrund und geht sogar so weit zu behaupten, dass der Handlungsvollzug nicht beim Sprecher, sondern in der Klassifikation des Hörers liege (S. 354). Austin scheint dies mit seiner Formulierung "that many illocutionary acts invite by convention a response or sequel" erfasst zu haben (1962: 116). Einen ersten Schritt in diese Richtung gehen auch Mötsch (1978: 27), wenn er Sprechhandlungen grundsätzlich als Partnerhandlungen versteht, oder Davison (1975: 160), wenn sie die Möglichkeiten der Reaktion auf Fragen oder Bitten als begrenzt ansieht. Deutlicher sieht den Zusammenhang Habermas (1981.1: z.B. 158): "Schon in die bloße Beschreibung, in die semantische Explikation einer Sprechhandlung muss nämlich ansatzweise jene Ja/Nein-Stellungnahme des Interpreten eingehen, durch die sich, wie wir gesehen haben, die rationalen Deutungen idealtypisch vereinfachter Handlungsabläufe auszeichnen." Obgleich Habermas den Gesichtspunkt der Verständigung als intersubjektive Anerkennung von Geltungsansprüchen betont, gelangt er doch nicht über das Konzept der Illokution hinaus (vgl. z.B. 1981.1: 433).
11 Beide Funktionen, die Illokution und die Funktion des reagierenden Sprechakts, definieren sich gegenseitig, da ihre Verkettung auf dem Prinzip der Interdependenz beruht, die sich als rationale wie konventionelle Erwartung aus dem illokutiven Sprechakt ergibt: Eine bestimmte Illokution zielt nicht auf eine beliebige, sondern auf eine spezifische Reaktion, die zwar nicht immer eintritt, aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit rational wie konventionell zu erwarten ist. Zu Uberlegen ist, mit welchem Terminus man die reaktive Funktion der Verständigung benennen sollte. Ich habe (1984b) den Terminus der perlokutiven Funktion gewählt und sie als Funktion eines reagierenden Sprechakts definiert, der konventionell auf einen illokutiven Sprechakt folgt, d.h. auf den der illokutive Sprechakt konventionellerweise zielt. Ich unterscheide also nicht nur zwei Typen der Handlungsfunktion, die Illokution und die Perlokution, die gemeinsam Verständigung ermöglichen, sondern ich unterscheide dementsprechend auch zwei fundamentale Sprechakttypen, einen illokutiven, initiativen und einen perlokutiven, reaktiven Sprechakt.8 Damit ist die Perlokution nicht mehr ein angehängter nichtkonventioneller Aspekt des illokutiven Sprechakts, sondern konventionelle Funktion eines eigenen Sprechakts. Mit diesen beiden Typen sind jedoch, wie sich zeigen wird, noch nicht alle Funktions- bzw. Sprechakttypen erfasst. Wenn ich die perlokutive Funktion als konventionelle Folge eines illokutiven Sprechakts definiert habe, so bleiben all die Wirkungen draußen, die ursprünglich zur Einführung des Terminus Perlokution geführt haben, nämlich nichtkonventionelle, kausale (z.B. emotionale) Folgeerscheinungen, die man zur Unterscheidung von perlokutiver Funktion und perlokutivem Sprechakt perlokutive Effekte nennen könnte. Entgegen Searle (1969: 46 u. 1975a: 345f.) u.a. wird die Perlokution also in spezifischer Weise verstanden als Funktion eines Sprechakts, der konventionell auf einen illokutiven Sprechakt antwortet, wobei sich die Konventionalität letztlich auf rationale Erwartbarkeit gründet. In diesem Sinn zielt jede Illokution auf eine Perlokution, ist die Perlokution im illokutiven Sprechakt rational mitbegründet. Um ein Beispiel zu geben: Jeder direktive Sprechakt (z.B. eine Aufforderung) zielt - rational wie konventionell - auf eine Reaktion des Kommunikationspartners, die anzeigt, ob der Anspruch des direktiven Sprechakts vom Kommunikationspartner übernommen wird oder nicht. Diese Reaktion kann bereits die materielle Handlung sein, sofem diese in der Sprechsituation ausgeführt werden kann; der perlokutive Sprechakt ist dann nur potentiell im illokutiven angelegt. Vielfach aber wird der Kommunikationspartner seine Reaktion durch einen sequenzabhängigen perlokutiven Sprechakt angeben, der konventionell mit dem illokutiven initiierenden verbunden ist: (1)
Komm doch mit zum Schlossgartenfest! - Gut, ich komme mit/werde - Ich habe keine Lust.
mitkommen.
Losgelöst aus der Sequenz wäre der reaktive Sprechakt als repräsentativ-feststellender zu beschreiben: konstatiert wird die Absicht zu einer Handlung, was nicht mit einem Versprechen gleichgesetzt werden darf. Eingebettet in die Sequenz jedoch hat er die perlokutive '
Initiative Sprechakte können wie reaktive sequenzabhängig sein, wie z.B. Präzisierungsfragen. Allerdings ist die Sequenzabhängigkeit bei initiativen Sprechakten von anderer Art als bei reaktiven perlokutiven Sprechakten (vgl. Weigand 1984b, 2000a). Jeder reaktive Sprechakt, sofern er nicht der letzte in der Sequenz ist, weist primär zurück auf den vorausgehenden Sprechakt und sekundär initiativ voraus auf den folgenden Sprechakt.
12 Funktion der Handlungszusage, in positiver oder negativer Form, die über der repräsentativen Funktion dominiert. Was Austin und Searle mit dem perlokutiven Akt erfasst haben, ist zwar verwandt, aber nicht identisch mit dem, was ich unter Perlokution verstehe. Das Problem, Illokution und Perlokution zu unterscheiden, durchzieht die sprechakttheoretische Literatur von Anfang an.9 Erschwerend und letztlich Ursache dafür ist, dass theoretisch nicht geklärt wurde, was unter Illokution eigentlich und generell zu verstehen sei. Offensichtlich erkannte man, dass sich mit der Illokution nicht alle Funktionen sprachlichen Handelns abdecken lassen, so dass man ähnlich wie bei Chomskys Unterscheidung von Kompetenz und Performanz einen "Papierkorb" der Perlokution bereithielt. Zur Perlokution rechnete man meist alle Funktionen, die sich mit dem Sprecher nur locker, dafür umso fester mit dem Hörer verbanden. Dies ist auch charakteristisch fur meinen Begriff der Perlokution. Darüber hinaus aber verstanden Austin und Searle Perlokution als nichtsprachliche und in der Regel nichtkonventionelle Folgewirkungen eines iliokutiven Akts beim Hörer. Durch diese Definition wurde von vornherein die für die kommunikative Verwendung von Sprache grundlegende Einsicht verhindert, dass das sprachliche Handeln des Sprechers auf ein sprachliches Handeln des Kommunikationspartners zielt, das mit dem des Sprechers konventionell, genauer über Wahrscheinlichkeitsprinzipien, verknüpft ist; anderenfalls wäre Verständigung nicht möglich. Das sprachliche Handeln des Kommunikationspartners kann zwar durch perlokutive Effekte beeinflusst werden, lässt sich jedoch nicht daraus ableiten. Ob und wie z.B. eine Drohung den Kommunikationspartner beeinflusst, ist letztlich psychisch bedingt. Auch wenn sie ihre Wirkung nicht verfehlt, muss der so eingeschüchterte Kommunikationspartner deshalb noch nicht der mit der Drohung verbundenen Aufforderung nachkommen. Die Beschreibung perlokutiver Effekte gehört in den Bereich der Psycholinguistik, die Beschrei-
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Zur Diskussion des Begriffs der Perlokution vgl. z.B. folgende Arbeiten, die allerdings alle Perlokution wie Illokution als Teilaspekte eines einzigen Sprechakts sehen: T. Cohen (1973), Schlieben-Lange (1974), (1976), Gaines (1979), Holly (1979), Davis (1980), Rolf (1982). Dabei verweise ich besonders auf Gaines, der perlokutive Akte in Austins Sinn klar und folgerichtig beschreibt und nach Typen einteilt. Seine Modifizierung der Position Austins jedoch überzeugt nicht: Nach Gaines wären perlokutive Akte immer beabsichtigt. Auch Holly versucht Perlokution als (fast) immer intentional und konventionell zu definieren, als Ziel eines perlokutiven Versuchs des Sprechers, und versteht dabei Illokutionen als Versuche von Perlokutionen (S. 10). Die Unterscheidung Illokution/Perlokution wird dabei verwischt. So versucht Holly z.B. die Illokution des Befehlens durch die Perlokution "den Hörer 'veranlassen', etwas zu tun" oder umgekehrt zu erklären (S.7), was die Zirkularität dieses Verfahrens deutlich macht. Auch Habermas (1981.1: 390ff.) versteht perlokutive Effekte als vom Sprecher beabsichtigt. Wunderlich (1974: 335) will "keine strikte Unterscheidung zwischen 'illokutionär' und 'perlokutionär' vornehmen, aufgrund des Umstands, dass Konventionen nicht immer genau bestimmt sind". Auch Lanigan (1977: 74) verzichtet darauf. Römer (1977: 402) schließlich schlägt vor, den perlokutionären Akt als Akt des Hörers aufzufassen, versteht darunter jedoch die üblichen traditionellerweise als perlokutiv gefassten Wirkungen wie "sich überzeugen, demütigen lassen" etc. Bei Sornig (1981: 51 Of.) findet sich eine Auffassung von Perlokution, die mit meiner vergleichbar ist. Doch wenn er auch die "zweiten Schritte in Kommunikationshandlungen perlokutive Reaktionen" nennt, scheint er Perlokution nicht als Gegenpart zu Illokution zu verstehen. Deutlich beziehen auch Charniak/McDermott (1985: 582) die Perlokution auf eine Handlung des Kommunikationspartners: "So in saying something, one does not oneself perform the perlocutionary act."
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bung perlokutiver Sprechakte dagegen folgt bestimmten konventionellen Erwartungen im Rahmen einer Sprechaktsequenztheorie. In diesem Sinn wäre mit einer Drohung ein perlokutiver Sprechakt verbunden, der in positiver oder negativer Form eine HandlungsZUSAGE gibt, z.B.: (2)
Wenn du um 22 Uhr nicht zu Hause bist, kannst du was erleben! - Ich werde da sein. - Ich denke nicht daran, um 22 Uhr zu Hause zu sein.
Perlokution in meinem Sinn ist also zu beschränken auf die konventionell wie rational mit der Illokution des vorausgehenden Sprechakts verbundene Sequenzfunktion. Nicht berücksichtigt sind kausale Folgen, perlokutive Effekte. Wenn der Begriff der Konvention für die Relation der Interdependenz zwischen illokutivem und perlokutivem Sprechakt gelten soll, so ist er anders zu verstehen als der Konventionsbegriff des Sprachsystems.10 Während z.B. die konventionelle Zuordnung von Ausdruck und Inhalt eines sprachlichen Zeichens willkürlich, qua Festlegung erfolgt, gründet sich der Konventionsbegriff bei Handlungsfolgen auf rationale Erwartbarkeit (vgl. Weigand 1986: 117f.), letztlich also - wie in der Einleitung betont - auf Wahrscheinlichkeiten. Damit hängt zusammen, dass der pragmatische Konventionsbegriff Wahlmöglichkeiten einschließt (vgl. Lewis 1969). Es scheint mir nicht angebracht, anstelle von Perlokution einen neuen Begriff, z.B. Relokution, einzuführen, da der Begriff Perlokution, so wie er bisher nicht nur von Austin verwendet wurde, kein klares, einheitliches Phänomen bezeichnet und in jedem Fall gereinigt werden müsste. Unter den Aspekt des Hörerbezugs, der den heterogenen Fällen, die bisher unter Perlokution zusammengefasst wurden, gemeinsam ist, fällt auch die konventionell intendierte sprachliche Handlung des Kommunikationspartners, der perlokutive Akt in meinem Sinn. Wie ich (1984b) gezeigt habe, handelt es sich bei dem Phänomen, das Austin als Perlokution fasst, weder um einen sprachlichen noch um einen materiellen Akt; somit wäre der Begriff des "perlokutiven Akts" frei. Nichtkonventionelle, nichtsprachliche Wirkungen beim Hörer werden mit dem Terminus des "perlokutiven Effekts" benannt. Mit dieser Erweiterung der Sprechakttheorie um einen zweiten Typ der Handlungsfunktion, der in der Interdependenz zur Illokution zu konstituieren ist, wird es möglich, die Verkettung von Sprechaktsequenzen auf einheitlich sprechakttheoretischer Basis zu erklären, allerdings nun einer dialogisch orientierten sprechakttheoretischen Basis. Es ist daher keineswegs notwendig, auf konversationsanalytische Verfahren auszuweichen, wie dies z.B. Franck (1980) vorschlägt. Ein solches Ausweichen beschreibt sequenzabhängige Sprechakte als Züge, abhängig von der Position in der Sequenz, ohne die unterschiedliche Handlungsfunktion dieser Züge und das Prinzip ihrer Verkettung zu erkennen. In gleicher Weise verfährt auch die sog. erweiterte Sprechakttheorie (z.B. Franke 1990, vgl. dazu Weigand 1994, 1995a). Auch das sog. Fortsetzungsraster, "das wichtigste verbindende Moment" (Franck 10
Zur Konventionalität von Perlokutionen weist Sornig (1981: 511) daraufhin, dass hier eine andere Art von Konvention vorliege, "nicht nach grammatisch-linguistischen Regeln, sondern nach denen einer Interaktionsgrammatik, d.h. rhetorisch-argumentativ, also etwa nach Art einer Spieltheorie oder Spiel-Grammatik ..." Sornig bezieht sich damit auf die Reaktionsmöglichkeiten generell, für die Regeln einer "Spiel-Grammatik" gelten. Davon muss man die spezifische Reaktionsmöglichkeit unterscheiden, auf die ein spezifischer illokutiver Sprechakt konventionellerweise zielt.
14 1980: 64), hilft hier nicht weiter, da es weitgehend unverbindlich bleibt, "ein mehr oder weniger offenes Raster an Fortsetzungsmöglichkeiten fur den Adressaten" (S. 52), das den inneren Zusammenhang der Beiträge nicht klärt. Als Grundprinzip der Sprachverwendung ergibt sich damit das Funktionieren der Kommunikation in einer Zweiersequenz, die sich aufbaut aus der Interdependenz zwischen einem initiativen illokutiven Sprechakt und einem perlokutiven Sprechakt, der die konventionell intendierte Reaktion, in positiver oder negativer Form, beinhaltet (vgl. Beispiel 1). Die Kohärenz sprachlicher Kommunikation wird somit vor allem durch das dialogische Grundprinzip der Interdependenz gestiftet. Erst Illokution und Perlokution zusammen ermöglichen Verständigung, machen damit die dialogische Funktion von Sprache aus. (Fig. 2)
Dialogisches
Grundprinzip
dialogische Funktion der Verständigung
Illokution initiativer SA
·
Perlokution reagierender SA des KP
Einheit der Kommunikation SA: Sprechakt, KP: Kommunikationspartner
Illokution und Perlokution sind jede fllr sich kommunikative Funktionen und begründen zusammen die kommunikative Funktion von Sprache. Ich verwende also den Begriff "kommunikativ" sowohl im definierten Sinn der kommunikativen Funktion der Verständigung, die eine kommunikativ-interaktive oder dialogische Funktion ist, wie für jedes Element der Kommunikation. Illokution verstehe ich dabei nicht in Searles Sinn als "illocutionary act", der "illocutionary force" und "proposition" umfasst (1969: 31), sondern im Sinn der illokutiven Funktion. Entsprechend bezeichnet Perlokution die perlokutive Funktion. Es bleibt die Frage offen, ob es neben illokutiven und perlokutiven Sprechakten noch einen weiteren Handlungstyp gibt. Auch in dieser Frage wird deutlich, dass wir in den zehn Jahren seit der Erstauflage dieser Schrift nicht auf der Stelle getreten sind. War es damals schon ein großer Fortschritt, gegenüber der orthodoxen Sprechakttheorie den Kommunikationspartner und seine Reaktion einzubeziehen, so haben wir in der Zwischenzeit die Grenzen der Minimalsequenz ganz selbstverständlich überschritten. Reaktive Sprechakte sind nicht nur perlokutive Sprechakte im Sinn einer definitiven Stellungnahme.11 Reaktive Sprechakte sind all die Sprechakte, in denen die Positionen erst ausgehandelt werden. Gegenstand dieser Arbeit ist es, das Prinzip der Interdependenz von Aktion und Reaktion in der Minimalsequenz zu begründen. Zur Strukturierung längerer Sequenzen verweise ich auf die Ar-
11
"Definitiv" bezieht sich zunächst einmal nur auf den vorgebrachten Sprechakt, auf einen klar ausgedrückten positiven oder negativen Bescheid. Dennoch kann diese definitive Stellungnahme in einem folgenden Diskurs modifiziert oder zurückgenommen werden.
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beiten, die ich in der Zeit nach der Erstauflage veröffentlicht habe (z.B. Weigand 1989b, 1999b, 2001a und b). Hier ist vor allem das Sequenzierungsprinzip zu bedenken, nach dem reaktive Sprechakte sekundär als initiativ gelten können (z.B. Weigand 2000a). Offensichtlich gibt es einen weiteren Handlungstyp, der nicht problemlos im Sinn von Illokution und Perlokution der Minimalsequenz bzw. im Sinn des diskursiven Aushandelns zu verstehen ist. Ich meine damit Äußerungen wie (3)
Ich beginne meinen Vortrag mit einer Bemerkung zu... Ich komme nun zum zweiten Punkt meiner Ausführungen. Dieser Punkt leitet über zu einem weiteren ... Ich nehme die eingangs gestellte Frage wieder auf...
Sprechakte dieser Art haben textstrukturierende Funktion, allerdings häufig sekundär kombiniert mit einer kommunikativen illokutiven, perlokutiven oder diskursiv-aushandelnden Funktion. Sprechakte dieses Typs habe ich in der Erstauflage "kommunikativ-struktureir genannt.12 Man könnte auch daran denken, sie "metakommunikativ" zu nennen. Der Bereich textstrukturierender Mittel reicht offenbar von ganzen Äußerungen mit kommunikativstruktureller Funktion bis zu einzelnen sprachlichen Einheiten wie Diskursstrukturverben (McCawley 1977: 21) oder sog. Diskursmarkern, die in den letzten Jahren verstärkt das Forschungsinteresse auf sich gezogen haben (vgl. z.B. Schiñrin 1987, Fraser 1990, Aijmer 1996). Austins und Searles Gleichsetzung von Illokution und Sprechakt ist auf der Ebene dialogischer Interaktion durch die Unterscheidung einer initiativen und einer reaktiven Handlungsfunktion zu Uberwinden, zu denen auf metakommunikativer Ebene eine kommunikativ-strukturelle Funktion hinzukommt. Die kommunikativ-strukturelle Handlungsfunktion ist nicht Gegenstand dieser Arbeit, in der es vor allem darum geht, im Prinzip der Interdepen-
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Kommunikativ-strukturelle Sprechakte umfassen Habermas' Klassen der Kommunikative, der redeorganisierenden Sprechakte, und einen Teil der Operative (1981.1 436). Auch hier zeigt sich, dass Habermas, obgleich er wichtige Unterscheidungen trifft, nicht über das Konzept der Illokution hinauskommt. Auch die Konversationsanalyse unterscheidet einen eigenen Sprechakttyp, den Henne/Rehbock (2001: 21 f.) "gesprächsstrukturierend" nennen, doch ist dieser Typ nicht mit kommunikativstrukturellen Sprechakten gleichzusetzen. Er ist handlungstheoretisch nicht klar definiert und umfasst sowohl illokutive {ich spreche jetzt) wie perlokutive (richtig) und kommunikativ-strukturelle Sprechakte (das ist das eine). Sprechakte, die sich auf die Position in der Sequenz beziehen und der Strukturierung des Diskurses dienen, unterscheidet Kreckel (1981: 61 ff.) unter dem Terminus der textuellen Funktion (nach Halliday, z.B. 1973: 99). Franck (1980: 17) subsumiert verschiedene Bedeutungsaspekte, darunter auch kommunikativstrukturelle und perlokutive, unter einen breit gefassten Illokutionsbegriff, der in dieser Komplexität mit Illokution im herkömmlichen Sinn nichts mehr zu tun hat. Sie verweist auf Halliday (1973), der kommunikativ-strukturelle Funktionen als textuelle von illokutiven Funktionen als interpersonalen trennt. Diskursiv-aushandelnde Funktionen werden als illokutive gefasst z.B. bei Fraser (1975a: 190ff., confirm, insist), Katz (1977: 218, insist) oder Searle (1975a: 348 u. 354f., deduce, conclude, insist).
16 denz von Aktion und Reaktion im minimalen Handlungsspiel ein dialogisches Grundprinzip sprachlicher Kommunikation aufzuzeigen.
1.2. Bedeutung Die Frage, was Bedeutung ist und wie sie beschrieben werden kann, ist nicht für sich, sondern nur auf der Grundlage des gewählten Sprachbegriffs zu klären. Für eine Sprachauffassung, die sich nicht oder nicht systematisch auf den Handlungsbegriff gründet, wurde Bedeutung im wesentlichen entweder in einer Vorstellungstheorie als mentales Bild der Dinge oder in einer Referenztheorie als das Objekt selbst oder in einer Wahrheitstheorie über Wahrheitsbedingungen erklärt.13 Geht man dagegen von einem handlungstheoretischen Sprachbegriff aus, so ist sprachliche Bedeutung als das zu fassen, was man mit sprachlichen Ausdrücken tun, WOFÜR man sprachliche Ausdrücke verwenden kann. Indem Bedeutung auf diese Weise in der Dreierkonstellation von Ausdrücken, Gebrauch und Funktion des Gebrauchs begründet wird, habe ich die einfache Version einer Gebrauchstheorie der Bedeutung, d.h. die Gleichsetzung von Bedeutung und Gebrauch, wie ich sie in der Erstauflage vertreten habe, hinter mir gelassen. Damals war mir die ganze Problematik der Bedeutungsdiskussion nicht völlig klar. Ich war von Wittgensteins Diktum (1958/1977: 41) überzeugt und glaubte, es zur Grundlage der linguistischen Analyse machen zu können, z.B. in Anlehnung an Hundsnurscher/Splett (1982). Einwände, die bereits damals gegen die bloße Gleichsetzung vorgebracht wurden, so z.B. von J.D. Fodor (1977) oder von Heibig (1983), habe ich nicht ernst genommen.14 Heute weiß ich, aufgrund der Erfahrung, die ich bei eigenen semantischen Analysen gemacht habe, dass sie ernst zu nehmen sind bzw. dass die These der Gleichsetzung von Bedeutung und Gebrauch durch die Anwendung selbst in der Beschreibung widerlegt wird. Was nun beinhalten die Einwände? Sie beziehen sich generell darauf, dass unklar bleibt, wie "Gebrauch" eigentlich zu verstehen sei. Hier bringt uns auch Hundsnurscher/Spletts (1982: 12) Paraphrase von "Bedeutung als einem Geflecht von Verwendungsweisen" nicht weiter. Was heißt "Verwendungsweise"? In der einfachen Gleichsetzung von Bedeutung und Gebrauch bzw. Geflecht von Verwendungsweisen wird Bedeutung mit Ausdrücken gleichgesetzt. Dies ist genau der Punkt, aus dem Wittgensteins Bedeutungskonzept seine Faszination schöpft, der aber in der Anwendung notwendig eine "crux" bleibt, wie die Arbeiten von Hundsnurscher und Splett zeigen. Man mag zwar theoretisch behaupten, Bedeutung sei der Gebrauch, doch kommt man in der Beschreibung nicht ohne Repräsentation bzw. Klassifizierung der Bedeutung aus, wie z.B. Hundsnurscher/Spletts Lesartenklassifizierungen oder die Einteilung der Adjektive in "Perzeptionsadjektive", "raumbezogene" bzw. "zeitbezogene Adjektive" etc. zeigen (dazu Weigand 1997a: 137). Auch in anderer 13
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Ich kann hier nicht auf die verschiedenen Bedeutungstheorien eingehen. Einen guten Überblick gibt J.D. Fodor (1977), vor allem Kap. 2. Vgl. auch meinen eigenen Überblick über semantische Methodologien (Weigand 1992b), dessen Sicht allerdings dem Erscheinungsjahr entspricht. Zu Recht übt J.D. Fodor (1977: 20) Kritik an einer Gebrauchsdefinition der Bedeutung, indem sie daraufhinweist, dass der Begriff "Gebrauch" zu breit sei, um nützlich zu sein. Heibig (1983: 249) spricht unter Bezug auf Hundsnurscher/Splett (1982) von der Vermischung zweier Ebenen, der Ebene des Ausdrucks und der Ebene der Bedeutung.
17 Hinsicht bleibt die vermeintliche Gleichsetzung der Bedeutung mit dem Gebrauch unbefriedigend. Mit dem "Geflecht von Gebrauchsweisen" werden nur scheinbar Mehrwortausdrücke in den Blick genommen; die lexikalische Einheit bleibt nach wie vor das Einzelwort, z.B. das Adjektiv bei Hundsnurscher/Splett (1982). Die Gebrauchssicht der Bedeutung bezieht sich zum einen auf die Ebene des Worts und zum anderen auf die Ebene der Äußerung und ist auf diesen beiden Ebenen zu Überprüfen. Gerade auf der Ebene der Äußerung zeigt sich sehr schnell, dass eine Gleichsetzung nicht weiterführt. Die Bedeutung einer Äußerung wie Komm mit! ist nicht ihre Verwendung, sondern das, wozu sie verwendet werden kann. Sie wird für Handlungsfunktionen verwendet, die nicht schon der Gebrauch sind, sondern angeben, WOZU die Äußerung gebraucht wird (Weigand 1995b: 700). Entsprechend ist die Bedeutung der Wörter nicht bereits ihr Gebrauch, sondern das, wozu sie gebraucht werden. Damit stehen wir in der Diskussion einer pragmatischen lexikalischen Semantik, auf die ich hier nicht im Detail eingehen kann, da sie nicht Gegenstand dieser Arbeit ist. Auch in der Frage der Wortbedeutung sehen wir heute klarer als vor zehn Jahren (vgl. Weigand 1996a, 1998a, 1998b, demn.c, demn.d). So machen es sich die Pragmatiker zu einfach, wenn sie der Auffassung sind, das Einzelwort brauche sie nicht zu interessieren (Weigand 2002c, Weigand 2001b). Die Frage nach der Rolle der Wörter in der Äußerung hat dazu geführt, dass die Frage nach der lexikalischen Einheit neu gestellt werden muss (vgl. auch Sinclair 1998). Gerade syntaktische Gebrauchsweisen, die ich in der Erstauflage - um Wittgenstein treu zu bleiben - ausgeschlossen habe, sind für die Frage der Mehrworteinheit oder Kollokation von entscheidender Bedeutung. Syntax und Lexikon sind nicht zu trennen. Die lexikalische Einheit im Gebrauch ist die Mehrworteinheit, deren Bedeutung nicht schon der Gebrauch selbst ist, sondern die prädizierende Funktion, die sie in der Äußerung erfüllt. Eine meiner Definition ähnliche Bedeutungsdefinition gibt Heringer (1974: 9), indem er Wittgensteins Diktum modifiziert und den Inhalt eines sprachlichen Zeichens als das fasst, "was man in der Kommunikation mit ihm erreichen kann". Die vielzitierte Bedeutungsbestimmung von Grice (1957/1971: 58) dagegen, die Bedeutung über die Relation "intention - recognition" zu fassen sucht, bleibt ein psychologisierender Versuch, der sprachwissenschaftlich als Annäherung an das Problem gelten kann. J.D. Fodor (1977: 22f.) ordnet ihn als perlokutionären Versuch einer Bedeutungsdefinition ein. Indem ich heute Bedeutung als das verstehe, wozu wir Ausdrücke verwenden, stellt sich mir auch nicht das Problem, wie Bedeutung als Gebrauchs- oder Handlungskonzept mit Bedeutung als kognitivem Konzept zusammenhängt. Handlungen sind Handlungen von Menschen, d.h., sie wurzeln in intentionaler Kognition. Darüber hinaus beruht die kommunikative Handlung auf einer komplexen menschlichen Fähigkeit, nicht nur auf der Fähigkeit zu sprechen. Wenn ich heute zurückdenke, so mutet es schon seltsam an, dass wir offenbar nicht berücksichtigt haben, dass der Mensch, selbst wenn er es wollte, die verschiedenen Fähigkeiten, auf denen kommunikatives Handeln beruht, nicht trennen kann, die Fähigkeiten zu sprechen, wahrzunehmen und zu denken. Von daher ist die Kognition immer schon im Handlungskonzept mit enthalten. Eine andere Frage ist es, wie sich Gehirnstrukturen und kommunikative Strukturen zueinander verhalten. Eines ist, denke ich, so klar wie das andere: Menschliche Fähigkeiten sind abhängig von der Funktionsweise des menschlichen Gehirns. Dennoch können menschliche Fähigkeiten wie die Fähigkeit, kommunikativ zu handeln, nicht direkt mit
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Gehirnstrukturen korreliert werden. Kein Klaviervirtuose wird filr die Technik der Fingerübungen auf neurologische Erkenntnisse der dabei auftretenden Gehimprozesse zurückgreifen. Ebensowenig ist kommunikatives Handeln als Abbild der Funktionsweise des Gehirns zu begreifen. Zwar sind wir auch in dieser Frage heute nach der Entdeckung sog. Mirrorneuronen ein gutes Stück vorangekommen (vgl. Rizzolatti/Arbib 1998, Weigand 2002d, Li/Hombert 2002), doch wissen wir insgesamt noch zu wenig, als dass unsere Beschreibung menschlicher Interaktion ihren Anfang bei Gehirnstrukturen nehmen könnte. Wir sollten von dem ausgehen, was wir beobachten können, dem dialogischen Sprachgebrauch. Wie Lurija (1982: 217) dargelegt hat, gehen die Psychologen "oft von der falschen Annahme aus, dass der Gedanke ein gewisses fertiges Gebilde ist, das in der sprachlichen Form nur zum Ausdruck kommt. In Wirklichkeit ist der Übergang des Gedankens in die Sprache (wie bereits Wygotski feststellte) eine sehr komplizierte Erscheinung: Der Gedanke wird nicht in der Sprache verkörpert, sondern durchläuft eine Reihe von Etappen, er entwickelt sich oder vollzieht sich in der Sprache." Ein Kommunikationsbegriff, der das Ziel in der Veränderung des Bewusstseins des Hörers sieht (so Hörmann 1978: 500f.), ist ein psychologischer und greift ftlr kommunikative Interaktion zu kurz. Die Veränderung des Bewusstseins des Hörers ist Voraussetzung für die sprachliche Reaktion, aber sie gibt keine Beschreibung dieser Reaktion. Mit Meinen und Verstehen wird ein einziger Sprechakt, der Sprechakt des Sprechers, aus der kognitiven Perspektive von Sprecher und Hörer erfasst; die eigentliche Funktion sprachlicher Kommunikation, die interaktive Funktion der Verständigung, die sich erst in einer Sequenz aus einer Handlung des Sprechers und einer Reaktion des Hörers/Kommunikationspartners ergibt, wird nicht in den Blick genommen. Eine konsistente Theorie der Sprechakte ist auf einer allgemeinen Bedeutungstheorie zu begründen, die das generelle Konzept der Bedeutung nach kommunikativ relevanten Bedeutungstypen zu gliedern vermag. Dabei hat Searle (1969: 31) mit seiner Formel F(p) bereits die wesentlichen Bedeutungstypen unterschieden und zugleich den Zusammenhang dieser Bedeutungstypen angegeben. Mit der Formel F(p) wird die funktionale Struktur eines jeden Sprechakts repräsentiert, auf der Basis der Annahme, dass Sprechen Handeln ist, dass mit jeder Äußerung ein Sprechakt vollzogen wird. Das heißt, in jeder Äußerung steckt eine Handlungsfunktion F, die sich auf einen Weltausschnitt, eine Proposition p, bezieht. Eine Aussage über die Welt machen, heißt nach Aristoteles referieren und prädizieren. In diesem Sinn ist auch Searles propositionale Funktion nach der Funktion des Referierens und des Prädizierens aufzuteilen. Damit können wir von drei fundamentalen Bedeutungs- oder Funktionstypen ausgehen: der Handlungsfunktion, der referentiellen und der prädikativen Funktion. Indem wir Austins und Searles Gleichsetzung von Handlungsfunktion und Illokution überwunden haben und unter F auf der Ebene der Kommunikation eine initiative bzw. eine reaktive Handlungsfunktion unterscheiden, repräsentiert F(p) nicht mehr eine für sich autonome Einheit, wie Aristoteles die Einzelhandlung gesehen hat. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die kommunikative Handlung z.B. von einer praktischen Handlung. F ist eine dialogisch orientierte Funktion, sei sie initiativ oder reaktiv. Damit repräsentiert F(p) zwar die heuristische Einheit eines Einzelsprechakts, stellt aber noch keine kommunikativ autonome Einheit dar. Selbst die Sequenz aus initiativer und reaktiver Äußerung, die ich früher als kommunikativ autonome Minimaleinheit betrachtet habe, ist streng genommen nicht kommunikativ autonom. Äußerungen, Sprechakte, sind Sprechakte von Menschen, und
19 Menschen handeln in Abhängigkeit von kulturellen Zusammenhängen. Daher stellt erst das dialogische Handlungsspiel die minimale, kommunikativ autonome Einheit dar (Weigand 1997b, Weigand 2000a). Searle (1969: 47) betrachtet den Sprechakt noch zu sehr unter der Perspektive des Verstehens und erkennt nicht, dass das eigentliche Ziel eine Handlung des Kommunikationspartners ist. Searles intentionale Sprechakttheorie ist in diesem Sinn zu einer interaktiven, dialogischen weiterzuentwickeln (vgl. auch Habermas 1991). Es bleibt die Frage, ob Semantik und Pragmatik, wörtliche und pragmatische Bedeutung zu trennen sind.15 Pragmatische Untersuchungen sind gegenwärtig in der Mehrzahl dem Prinzip Descartes' und Freges verpflichtet, das die Komplexität eines Phänomens durch Aufgliederung in Teile, Beschreibung der isolierten Teile und Synthese in Form einer Addition der Teilbeschreibungen zu fassen glaubt. Für die Beschreibung der Sprachverwendung folgte daraus, dass man die Äußerung aufteilen könnte in pragmatische und traditionell semantische Einheiten. So versuchte man auch, mit sog. illokutiven Indikatoren die Pragmatik in der Grammatik zu lokalisieren. Dabei überschätzt die Bezeichnung "illokutive Indikatoren" diese Sprachmittel bei weitem. Illokutionen werden durch sie nicht begründet; sie geben nur fallweise Andeutungen, die vielen Missdeutungen ausgesetzt sind, wie man selbst am Beispiel des von Searle behandelten 'sichersten' Indikators Ipromise/ich verspreche zeigen könnte. Während hier versucht wird, Semantik und Pragmatik als gleichberechtigte Teilbereiche zu trennen, ist, folgt man Searles Formel F(p), davon auszugehen, dass die pragmatische Handlungsfunktion als übergeordnetes Prädikat anzusehen ist. Träger der Handlung ist die ganze Äußerung, nicht ein isolierbarer Indikator. Die Äußerung ist nicht mit der Äußerungsform gleichzusetzen, sondern als Äußerung von Menschen im Handlungsspiel zu verstehen, die auf der Integration sprachlicher, perzeptiver und kognitiver Mittel beruht. Die propositionale Bedeutung ließe sich der Semantik zurechnen, sofern man bereit ist, die Referenz als Referenzsemantik zu verstehen; doch ist die propositionale Bedeutung immer von der Handlungsfunktion abhängig. Die wörtliche Satzbedeutung hat nur heuristische Funktion. Mit dem Aufkommen der Pragmatik wird das Konzept der wörtlichen Bedeutung, mit dem man jahrtausendelang problemlos arbeiten konnte, auf einmal schwer fassbar (vgl. Weigand 1992d). Wir müssen uns klar werden, dass dieses Konzept der Repräsentation von Bedeutung angehört und nicht als Objekt der Außenwelt vorgegeben ist. Das heißt, wir müssen dieses Konzept definieren, seine Grenzen festlegen. Versuche, wörtliche Bedeutung mit Hilfe eines Nullkontexts zu fassen (z.B. Katz 1977, Bierwisch 1979, Motsch/Pasch 1987), scheitern m.E. daran, dass es einerseits in der Realität der Sprachverwendung keinen Nullkontext gibt und dass sich andererseits auch keine überzeugenden methodologischen Argumente für ein solches Konzept finden lassen. Wörtliche Bedeutung ist m.E. als situationsunabhängige Sa/zbedeutung zu definieren, die sich aus der Bedeutung der Wörter und der syntaktischen Konstruktion ergibt; einzubeziehen ist auch der Wortakzent und die Intonation als Terminale. Dieses so definierte Konzept der wörtlichen Bedeutung ist somit ein kognitives Konstrukt, das jedoch für die Unterscheidung der verschiedenen Äußerungsbzw. Zuordnungstypen eine entscheidende heuristische Rolle spielt (vgl. III 2.). Besonders 19
Ich verstehe die Termini Bedeutung oder Inhalt ganz allgemein und noch undifferenziert nach einer möglichen Zugehörigkeit zu Semantik oder Pragmatik; auch pragmatische Funktionen gehören zur Bedeutung in einem weiten Sinn. Bezogen auf einen natürlichen Sprachbegriff ergibt sich, dass die Bedeutung einer Äußerung immer pragmatisch ist.
20 deutlich wird diese heuristische Funktion beim direkten Sprechakt. Im Unterschied zum indirekten und idiomatischen Sprechakt (s. Kap. III) wird im direkten Sprechakt die Handlungsfunktion in einer Weise realisiert, die mit der wörtlichen Bedeutung des Satzes, der geäußert wird, in Einklang steht, oder mit Searles Worten (1979e: 80): Die Sprecherbedeutung fällt mit der Satzbedeutung zusammen. Doch müssen wir uns bewusst bleiben, dass die Satzbedeutung oder wörtliche Bedeutung nicht die Bedeutung des direkten Sprechakts ist.16 Der direkte Sprechakt auf der Ebene der Äußerung ist das pragmatische Korrelat der wörtlichen Satzbedeutung. Indem auf diese Weise pragmatische und wörtliche Bedeutung auf verschiedenen Ebenen anzusetzen, aber beide für die Beschreibung der Zuordnung von Äußerungsform und Äußerungsbedeutung notwendig sind, lassen sich Semantik und Pragmatik nicht als zwei gleichberechtigte Bereiche nebeneinanderstellen und getrennt voneinander beschreiben.17 Die Frage, wie sich Bedeutungen beschreiben lassen, ist zugleich die Frage nach der konkreten Bedeutung: Welche konkreten Bedeutungstypen sind zu unterscheiden, und wie hängen sie zusammen? Bedeutungen bzw. Bedeutungstypen sind nicht messbar; allein von der Äußerungsseite her ist keine Theorie der Bedeutung zu entwickeln. Nötig ist ein strukturierender Zugriff zur funktionalen Seite, der Bedeutung auf der generellen Funktion der Sprachverwendung begründet und aus ihr die relevanten Bedeutungstypen ableitet. Der illokutive Sprechakt ist der Bedeutung nach analysierbar als Komplex aus illokutiver Funktion und Proposition. Das Problem angeblicher Ausnahmen, die keine Proposition enthalten, will ich hier nicht diskutieren. M.E. gibt es solche Ausnahmen nicht; auch z.B. ach als Ausdruck der Verwunderung ist als Äußerung zu beschreiben, die Illokution (Gefühlskundgabe) und Proposition (Spezifizierung des Gefühls als Verwunderung) verbindet. Die Proposition
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17
Wenn Searle (1979b), (1980) und (1983: 145ff.) zeigen will, dass auch die 'wörtliche Bedeutung' von Hintergrundannahmen abhängig ist, so geht er von der inkonsequenten Annahme aus, dass man die wörtliche Bedeutung pragmatisieren könnte. Im Grunde wird damit nur gezeigt, dass es in der Realität der Sprachverwendung keine wörtliche Bedeutung gibt, sondern dass bereits die sog. wörtliche Bedeutung, wenn man sie auf Äußerungsebtne projiziert, eine pragmatische ist. Man vergleiche dazu auch Fritz (1978: 374). "Es ist ja nicht so, dass es eine 'wörtliche bedeutung' eines satzes gibt, die von den regeln seines gebrauche abgelöst werden könnte." Auch Fritz' "wörtliche" Bedeutung, die nicht von den Regeln des Gebrauchs abgelöst werden könnte, ist somit die pragmatische Äußerungsbedeutung. Auch bei Bierwischs Versuch (1979), den Stellenwert der wörtlichen Bedeutung in der Interaktion zu bestimmen, müsste man berücksichtigen, dass es eine wörtliche Bedeutung nicht in der Realität der Sprachverwendung, sondern nur als heuristische Bedeutung gibt. Die heuristische Funktion des Konstrukts der wörtlichen Bedeutung betont auch Dascal (1987), wenngleich er sich für eine - m.E. prototypische - Definition dieses Konstrukts ausspricht, die auch gewisse Kontextfaktoren einschließt. Auch Levinsons Versuch (1983), Semantik und Pragmatik als unterschiedliche Bedeutungskomponenten zu trennen, wobei er Semantik als Wahrheitssemantik versteht und alle anderen Bedeutungsaspekte der Pragmatik zuweist, führt, wie er selbst darlegt, nicht zum Erfolg. Denn auch eine Wahrheitssemantik ist abhängig von Pragmatik, da die Wahrheitsbedingungen für Äußerungen, nicht für Sätze gelten. Eine Wahrheitsbedingungensemantik natürlicher Sprache ist, wie Kasher (1989) bemerkt, mit grundlegenden Fakten der Sprach Verwendung unvereinbar (vgl. auch Kasher 1988).
21 setzt sich aus referentiellen und prädikativen Elementen zusammen. Was aber ist die Illokution? Worauf ist sie zu begründen, und w i e ist die Relation zwischen Illokution und Perlokution zu beschreiben? Geht man w i e Searle (z.B. 1969: 3 1 ) davon aus, dass ein illokutiver Sprechakt die Struktur 'Illokution (Proposition)' 1 8 hat und die Proposition sich auf einen Weltausschnitt bezieht, s o ist die Illokution allgemein und noch w e n i g aussagekräftig als Präsentationsform von Welt zu fassen. Mit seiner Sprache will der M e n s c h handelnd und in Gemeinschaft mit anderen über die Welt verfügen. U m dieses Handeln zu ermöglichen, bedarf es einer dialogischen Präsentationsform von Welt: Der Sprecher stellt initiativ mit seiner Äußerung einen kommunikativen Anspruch, auf den der Kommunikationspartner eingehen soll. In diesem allgemeinen Sinn ist die Illokution als Anspruch-Stellen und die Perlokution als Eingehen auf denselben Anspruch, als Anspruch-Erfüllen, in positivem w i e negativem Sinn, zu definieren (vgl. auch Weigand 1984b). 1 9 Beide Akte, der Anspruch stellende und der Anspruch erfüllende, gehören rational w i e konventionell zusammen, geht e s doch in beiden um denselben dialogischen Anspruch. In diesem Sinn gibt es keine Illokution ohne Perlokution und keine Perlokution ohne Illokution. Mit dieser funktionalen Definition des Anspruch-Stellens und Anspruch-ErfÜllens erweisen sich die Handlungsfunktionen des initiativen und des reagierenden Sprechakts des minimalen Handlungsspiels als unterschiedlich, weshalb ich
" 19
Ich verstehe Illokution als illokutive Funktion; vgl. den Text zu Figur 2. Habermas (1976: 246f.) scheint Vergleichbares im Sinn zu haben, wenn er den illokutiven Akt als Angebot versteht, das angenommen oder zurückgewiesen werden kann, wobei ihn der Fall der Zurückweisung allerdings nicht interessiert. Deutlicher formuliert er diesen Zusammenhang zweier aufeinander bezogener Sprechakte in seiner Theorie des kommunikativen Handelns ( 1981.1: 387). Hier schlägt er auch vor, die illokutionäre Rolle "als diejenige Komponente zu begreifen, die spezifiziert, welchen Geltungsanspruch ein Sprecher mit seiner Äußerung erhebt" (S. 375f.). Geltungsansprüche sind für ihn die Ansprüche der Wahrheit (im Sinn einer absoluten Wahrheit), Richtigkeit und Wahrhaftigkeit. Wenngleich also im Kern in gewisser Hinsicht Übereinstimmung zwischen Habermas und mir besteht, gelangt Habermas aufgrund seines eher philosophischsoziologischen Interesses zu einer anderen Beschreibung. Auch Dascal (1979: 159) erkennt in seinem Bemühen, das Grice'sche Relevanzprinzip zu präzisieren, eine Eigenschaft initiativer Sprechakte, die er "conversational demand" nennt und die wohl dem Kriterium des Anspruch-Stellens entspricht, wenngleich ihre fundamentale strukturierende Rolle noch im Unklaren bleibt. In einem späteren Aufsatz differenziert Dascal (1989) diese Eigenschaft hinsichtlich initiativer und reaktiver Sprechakte als "demand-establishing" und "demandmeeting contributions". Ähnliche Begriffe (Anspruch und Erfüllung) verwendet auch Schwab (1980); sein Ansatz jedoch ist dessen ungeachtet von gänzlich anderer Art. Schwab nennt ihn institutionell. Die Ausdrücke "Anspruch stellen" und "Anspruch erfüllen" erinnern vielleicht auch an Husserls bedeutungsverleihende und bedeutungserfüllende Akte (1913: 38). Die Assoziation ist jedoch nur oberflächlich, da Husserls Begriffe ganz andere Bedeutung haben. Der perlokutive Sprechakt ist als ein Eingehen auf die Illokution im Sinn des Anspruch-ErfÜllens zu definieren. Auch Franke (1983: 77) unterteilt Sprechakte des zweiten Zuges in solche, die auf den ersten Zug eingehen, und in solche, die nicht auf ihn eingehen, präzisiert jedoch den Begriff des Eingehens nicht weiter. Daher gehören für ihn auch Nachfragen zu den Sprechakten, die auf den ersten Zug eingehen. Nachfragen gehen jedoch nicht auf die Illokution des vorausgehenden Sprechakts ein in der Weise, dass sie deren Anspruch erfüllten. Daher gehören Nachfragen auch nicht zu den perlokutiven Sprechakten.
22 für beide verschiedene Termini, Illokution und Perlokution, für angebracht halte. Auf die Verwendung dieser technischen Termini ließe sich verzichten, wenn man "Illokution" durch "Funktion des initiativen Sprechakts" und Perlokution durch "Funktion des definitiven reaktiven Sprechakts" ersetzt. Die Termini sequenzunabhängig/sequenzabhängig charakterisieren den Sprechakt formal, wobei ich die Annahme, dass der initiative Sprechakt sequenzunabhängig sei, nicht übernehmen möchte. Indem ich den Terminus perlokutiv für die definitive Anspruch-erfÜllende Funktion verwende, ist der Terminus reaktiv allgemeiner zu verstehen im Sinn des Auf-einen-Anspruch-Eingehens, was im minimalen Handlungsspiel definitiv-abschließend, perlokutiv sein kann, im komplexeren Handlungsspiel aber im Sinn des Anspruch-Aushandelns bzw. Klärens zu verstehen ist. Reaktive Sprechakte in der Sequenz können selbst wieder initiativ sein, wie z.B. Präzisierungsfragen. Welcher Art ist dieser kommunikative Anspruch? Es handelt sich um einen Wahrheitsoder Wollensanspruch hinsichtlich eines in der Proposition ausgedrückten Weltausschnittes. Wahrheits- und Wollensanspruch scheinen zwei fundamentale Verhaltensweisen des Menschen zu charakterisieren, die den kognitiven Basiszuständen von Glauben (BELIEF) und Wünschen (DESIRE) entsprechen (vgl. Weigand 1991a). In dieser Begründung der Handlungskonzepte in kognitiven Zuständen wird in einem wesentlichen Teilbereich evident, wie die lang gesuchte Verbindung zwischen Handeln und Kognition aussehen kann. Die Ermittlung bestimmter Gehirnareale und -strukturen spielt dabei keine Rolle. Um ein Beispiel für beide Ansprüche zu geben: Der Illokutionstyp der Aufforderung ist als kommunikativer Wollensanspruch zu fassen: der Sprecher will, dass der Kommunikationspartner eine bestimmte Handlung ausführt oder ein bestimmtes Verhalten zeigt. Der Illokutionstyp der Behauptung ist demgegenüber als kommunikativer Wahrheitsanspruch zu definieren. In diesem Sinn sind aus der allgemeinen Bestimmung der Illokution als Stellen eines kommunikativen Anspruchs die Illokutionstypen abzuleiten. Eine Sprechakttaxonomie hat hier ihren Ausgang zu nehmen. Searles Versuch, die Illokution durch seine wesentliche Regel oder das Kriterium des "illocutionary point" zu definieren, setzt bereits bei konkreten Illokutionstypen an und erlaubt keine Generalisierung (vgl. Searle 1969: 60 u. 1975a: 345). Searle arbeitet mit bestimmten Illokutionstypen, ohne Illokution als Phänomen generell definiert zu haben. Illokution als "das, was bei der Lokution geschieht", kann nur als zirkuläre Umschreibung gelten (Weigand 1984b). 20 Wenn ich von einem kommunikativen Wahrheitsanspruch spreche, so ist damit das Problem der Wahrheit angesprochen, auf das ich noch eigens eingehen werde (s. I 1.4.2.). Geht man von einem natürlichen Sprachbegriff aus, so gibt es Wahrheit nur als pragmatische Wahrheit, aus der Sicht des Sprechers. Das, was einen Aussagesatz zur Äußerung macht, ist der kommunikative Wahrheitsanspruch, den der Sprecher mit der Äußerung dieses Satzes verbindet. Er definiert Illokution und Perlokution und in seiner Differenzierung die verschiedenen Typen dieser Funktionen. Der kommunikative Wahrheitsanspruch korreliert mit dem Begriff der Verständigung: Wir verständigen uns über den im illokutiven Sprechakt ge20
Kritik am "metaphorischen" Begriff der Illokution übt Rolf (1983: 3f.). Doch anstatt den "metaphorischen" Begriff zu klären, verzichtet er in Nachfolge Meggies (1981) darauf und bestimmt den Sprechakt, hier sprachliche Informationshandlungen, unter einem perlokutiven Aspekt, der propositionalen Einstellung des Hörers. Vgl. zu diesem "kommunikationstheoretischen" Ansatz die Taxonomie der Repräsentative (Kap. II 3.4.).
23 stellten kommunikativen Wahrheitsanspruch. Verstehen dagegen ist eine kognitive Fähigkeit, noch kein kommunikatives Handeln. Mit der Struktur (Fig. 3)
Minimales
Handlungsspiel
Wahrheits- oder Wollensanspruch
stellen
"*=—^
Illokution (Proposition)
erfüllen (positiv oder negativ) Perlokution (Proposition)
dialogische Funktion der Verständigung
haben wir die Grundstruktur sprachlicher Bedeutung in der Kommunikation ausgemacht. Sprachliche Bedeutung ist nicht als eine einheitliche Wesenheit zu definieren, sondern auf verschiedenen Bedeutungstypen zu begründen. Für komplexere Handlungsspiele, für längere Sequenzen also, wäre die Struktur zu verallgemeinern: Auf den initiativen (illokutiven) Sprechakt folgt eine Sequenz aus reaktiven Sprechakten, die den Anspruch des initiativen Sprechakts aushandeln, um ihn schließlich perlokutiv, positiv bzw. negativ, zu erfüllen: (Fig. 4) initiativer illokutiver SA -> reaktive aushandelnde Sprechakte -> reaktiver perlokutiver SA
t
Î
In der Literatur wird vielfach ein weiterer Bedeutungstyp unterschieden, den ich bisher nicht erwähnt habe, der Typ der "propositional attitude". M.E. wird damit ein Problem der Philosophie, vor allem der epistemischen Logik, in die Sprachbeschreibung übernommen, das hier nur eine untergeordnete Rolle spielt. Ich gehe mit Austin und Searle davon aus, dass jede Äußerung, die nicht nur dem Artikulieren selbst dient, einen Sprechakt konstituiert. Daher bleibt mir unklar, wieso z.B. Rosengren (1979: 202ff.) und Koch/Rosengren/ Schonebohm (1981: 162) meinen, zwischen Sprechakten und dem Ausdruck propositionaler Einstellungen unterscheiden zu müssen. Auch Äußerungen, die propositionale Einstellungen ausdrücken, wie (4)
Es könnte sein, dass Hans kommt. Ich glaube, dass Hans kommt. Ich möchte, dass Hans kommt.
sind Sprechakte, und zwar in der Regel repräsentative.21 Die Komponente "Äußern" kommt durch die Äußerung selbst hinzu. Ich werde auf diese Problematik in meiner Taxonomie bei der Differenzierung der Repräsentative und auch in Kapitel III eingehen. 21
Vgl. zu Typen propositionaler Einstellungen Wunderlich (1976a: 73f.) und Mötsch (1979: 173ff.).
24 1.3. Sprechakt und Sprechaktsequenz Auch die Einheit der Sprachbeschreibung hängt ab vom zugrunde gelegten SprachbegrifT. Eine sprachsystemorientierte Linguistik betrachtet Sprache als Konstrukt, unter Abstraktion von ihrer Verwendung, und beschreibt sie als zweidimensionales Zuordnungssystem, das Ausdrucksseite und Inhaltsseite aufeinander bezieht. Beschreibungseinheit ist hier das sprachliche Zeichen als konventionelle Zuordnung eines sprachlichen Ausdrucks zu einem sprachlichen Inhalt. Für eine handlungsorientierte Linguistik ist der Sprechakt eine heuristische Beschreibungseinheit, wie das sprachliche Zeichen eine Einheit der Zuordnimg, für die der einzelsprachliche Ausdruck ebenso konstitutiv ist wie die Funktion. Sprechakte sind Handlungen von Menschen und sind so zu definieren, dass sie einerseits als spezifische sprachlich-kommunikative Handlungen fassbar werden wie andererseits dem generellen Phänomen Handlung entsprechen. Wir stehen damit vor der Frage, wie wir das Phänomen Handlung verstehen wollen, zu dem z.B. praktische, mentale oder sprachlichkommunikative Handlungen gehören. Menschen verfolgen mit jeder Handlung einen Zweck und wenden nur Erreichung dieses Zwecks spezifische Mittel an. Für die praktische Handlung des Anstreichens sucht man sich Farbe und Pinsel, für die kommunikative Handlung setzt man kommunikative Mittel ein. In dieser Hinsicht entspricht die kommunikative Handlung dem generellen Handlungskonzept. Das Spezifische der kommunikativen Handlung liegt zum einen in den spezifischen kommunikativen Zwecken wie Mitteln, und zum anderen darin, dass die kommunikative Handlung keine autonome Einzelhandlung darstellt, sondern immer dialogisch gerichtet ist. Kommunikative Zwecke, seien sie initiativ oder reaktiv, machen allein noch keinen Sprechakt aus. Wir vollziehen mit einer Äußerung nicht nur eine BITTE, BEHAUPTUNG oder FRAGE, sondern wir bitten immer um etwas, behaupten etwas oder fragen nach etwas. Der Handlungszweck ist also auf einen bestimmten Weltausschnitt gerichtet, wie es Searle (1969: 31) mit seiner Formel F(p) festgehalten hat. Kommunikative Handlungen werden nicht nur mit sprachlichen Mitteln vollzogen. Wir handeln im Dialog, indem wir unsere Fähigkeiten zu sprechen, zu denken und wahrzunehmen als kommunikative Mittel einsetzen. In diesem Sinn lässt sich der Sprechakt als kommunikative Handlung wie folgt definieren: (Fig. 5)
Sprechakt als kommunikative kommunikativer Zweck (Weltausschnitt)
Handlung
— k o m m u n i k a t i v e Mittel (sprachlich, perzeptiv, kognitiv)
Während ich in der Erstauflage unter dem Einfluss der Dialoggrammatik von einem dreidimensionalen Zuordnungsprozess aus Äußerungsform, Handlungszweck und Handlungsbedingungen ausgegangen bin, ist mit dem Handlungsprinzip in Figur 5 die alte Frage der Zuordnung von Inhalt und Ausdruck auch fllr kommunikatives Handeln als zweidimensionale Zuordnung von Zwecken und Mitteln wieder aufgenommen, wenn auch wesentlich komplexer. Die Annahme einer eigenen, gleichberechtigten Komponente "Handlungsbedingungen" ist analytisch nicht hilfreich und versperrt nur den Zugang zu dem, was im sprachlichen Handeln geschieht (vgl. Weigand 1993a). Handlungsbedingungen sind immer gegeben; in vielfältiger Art bilden sie den kulturellen Rahmen des Handlungsspiels. Sie gehen ein in die Zwecke (z.B. als Sanktion bei BEFEHLEN) wie in die Mittel (z.B. kognitive
25 Voraussetzungen, Wissen der Kommunikationspartner). Sie stellen keine eigene Komponente neben den Zwecken und den sprachlichen Mitteln der Äußerungsform dar, sondern sind von Anfang an konstitutiv für die kulturelle Einheit des Handlungsspiels, in dem dialogisches Handeln sich abspielt. Auf diese Weise manifestiert sich der integrative Zusammenhang von Sprache und Kultur. Die zweidimensionale Zuordnung von Zwecken und Mitteln stellt zwar eine Fortführung des Gedankens dar, dass es im Zusammenhang mit Sprache immer um eine Zuordnung von Inhalt und Ausdruck gehe; doch ist das Zusammenspiel der Variablen im Handlungsspiel ungleich komplexer. Der Pfeil in Figur 5 ist im strengen Sinn nicht mehr als feste, konventionelle Zuordnung zu lesen, so wie wir Konvention bei der Zuordnung von Ausdruck und Inhalt des sprachlichen Zeichens verstanden haben. Auch ein Konventionsbegriff, der Wahlmöglichkeiten zulässt (z.B. nach Lewis 1969), wird der Zuordnung in Figur 5 nicht gerecht, da sich diese nicht auf ausschließlich generalisierbare, unter bestimmten Bedingungen immer geltende Zusammenhänge gründet, sondern sich an Wahrscheinlichkeitsprinzipien orientiert, die individuelle Performanzfaktoren zu berücksichtigen haben. Ausgehend von einer bestimmten Äußerungsform folgt daraus noch nicht zwingend, welche Handlungsfunktion mit dieser Äußerungsform im Handlungsspiel vollzogen wird. Es werden bestimmte Erwartungen nahegelegt, auf die man sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit verlässt, aber letztlich weiß in Zweifelsfällen allein der Sprecher, welche Handlung er vollzogen hat. In diesem Sinn verstehe ich heute die Zuordnung nicht nur in komplexen Diskursen, sondern bereits bei der einzelnen Handlung als Aushandlungsprozess, in den verschiedene Variablen eingehen: Rationalität und Konvention, also generalisierbare Zusammenhänge, aber auch individuelle Vermutungen und die Kenntnis der einmaligen, konkreten Situation (vgl. Weigand 2000a). Welche Handlungsfunktion z.B. mit einer Äußerung wie (5)
Du spielst schon wieder Klavier.
verfolgt wird, ist nicht konventionell und generalisierbar festgelegt, sondern nur unter Einbezug der konkreten, individuellen Situation mit gewisser Wahrscheinlichkeit anzugeben. Intonation, Mimik und Gestik geben meist keine eindeutigen Hinweise. Letztlich weiß allein der Sprecher, ob er eine bloße Feststellung zum Ausdruck bringen wollte oder erfreute Überraschung oder Kritik und Verärgerung. Dieses Beispiel macht auch deutlich, dass wir Verstehen nicht voraussetzen können (vgl. auch Moore/Carling 1982), wie dies im Rahmen der orthodoxen Dialoggrammatik geschieht, vor allem wenn wir kommunikative Mittel nicht mehr auf sprachliche einschränken wollen. Meinen und Verstehen werden im Handlungsspiel ausgehandelt (Weigand/Dascal 2001). Für die Sprachphilosophie sind Sprechakte vor allem unter universeller Perspektive interessant, weniger unter der Perspektive der einzelsprachlichen Äußerungsformen. Die Frage lautete: Wann zählt eine Äußerung als eine bestimmte Handlung? Sie war jedoch nicht auf Kriterien der Äußerungsform, sondern auf funktionale Kriterien gerichtet. Unter dieser funktionalen, quasi-universeilen Perspektive hat Searle (1969: 39) den Sprechakt generell mit der Formel F(p) gefasst, die der linken Seite der Figur 5 entspricht: Jeder Sprechakt vollzieht eine kommunikative Funktion F, die sich auf eine bestimmte Proposition p, d.h. auf einen bestimmten Weltausschnitt bezieht. Sprechakte in diesem Sinn sind funktionale Einheiten, deren jeweilige Realisierung nicht primär zur Diskussion steht.
26 Für die Linguistik nun ist neben der Frage nach dem WOZU sprachlichen Handelns die Frage nach dem WIE von gleichberechtigtem Interesse. Dabei kommt der Frage nach dem WOZU in theoretischer Hinsicht Priorität zu, da eine Klassifizierung sprachlicher Handlungen von den Mitteln ausgehend nicht möglich ist. Mittel werden zu Mitteln erst durch ihren Einsatz illr bestimmte Zwecke. Sobald man kognitive Mittel einschließt, ist die Menge der kommunikativen Mittel prinzipiell offen und unbegrenzt. Die Frage nach dem WIE richtet den Fokus auf sprachliche Äußerungen. Für die einzelne Handlung und damit für ihre dialogisch ausgerichtete Handlungsfunktion F stehen verschiedene Äußerungen zur Verfügung: (Fig. 6)
Sprechakt als F(p)
·-
Äußerungsmenge {Äußerungen}
Den Begriff der Äußerung verstehe ich, wie oben angegeben, im Sinn kommunikativer Mittel, d.h. nicht nur als sprachliches Mittel oder Äußerungsform, sondern als integrierten Komplex aus sprachlichen, kognitiven und perzeptiven Mitteln. Indem eine Äußerung immer einem kommunikativen Zweck zugeordnet ist, schließe ich Lallmonologe eines Babies oder andere Äußerungsakte, die nur dem Artikulieren oder Rezitieren dienen, aus. Gesten sind kommunikative perzeptive, nicht sprachliche Mittel. Zu Zeiten der Erstauflage wurde wiederholt die Frage nach der Abgrenzung der Äußerung gestellt. Schon damals zeichnete sich ab, dass ein Vorgehen von der Äußerungsseite her durch die Vielfalt der Realisierungsmöglichkeiten für einen Sprechakt problematisch ist. So wies z.B. Grewendorf (1981a) auf die syntaktischen Schwierigkeiten hin, eine Einheit, der eine kommunikative Funktion entspricht, abzutrennen. Indem ich heute noch einen Schritt weiter gehe und die Menge der Äußerungsformen nicht nur als vielfältig, sondern als prinzipiell offen betrachte, ist die Frage nach der Abgrenzung der Äußerung klar und eindeutig zu beantworten. Äußerungen sind nicht formal-empirisch, sondern allein durch ihre kommunikative Funktion abzugrenzen. Definierendes Kriterium für Sprechakte ist die kommunikative Funktion22, die in einer quasi-universellen Taxonomie abzuleiten ist.23 Die Funk-
22
23
Auch Searles Versuch, Sprechakte durch Angabe einer wesentlichen Regel oder des Kriteriums des "illocutionary point" zu definieren, ist ein funktionaler Versuch (1969: 60 u. 1975a: 345), doch gelingt es ihm nicht, dieses Kriterium so zu bestimmen, dass es in einer deduktiven Hierarchie aus einer generellen Illokutionsdefinition abgeleitet wäre. Die Kategorie der Funktion oder des Zwecks ("function or purpose") ist auch für Kasher (1979: 38ff.) entscheidend. Ziel der Pragmatik ist es für ihn, die Regeln zu spezifizieren, nach denen sprachliche Mittel fur gewisse Zwecke verwendet werden, denn (S. 40): "The pragmatic competence is that of using linguistic means for certain purposes. Linguistic means are utterances of sentences." In diesem allgemeinen Sinn stützt sich auch Kasher auf eine Sprechaktdefinition, wie sie oben in Figur 5 veranschaulicht ist, wenngleich er die Integration der Mittel nicht berücksichtigt. Wenn im Zusammenhang der Universalität von Sprechakten darauf hingewiesen wird, dass es kulturell bedingte Formen von Sprechakten gebe bzw. dass bestimmte Sprechakte in bestimmten Sprachen fehlten (z.B. "versprechen" bei einem Volksstamm auf den Philippinen, so Rosaldo 1982), so wäre zu überprüfen, ob es sich dabei um einzelsprachliche Untertypen handelt, die durchaus zu einer quasi-universellen globalen Funktion gehören könnten.
27 tion stiftet die Einheit des Sprechakts und erlaubt, die Seite der Mittel und damit auch der Äußerungsformen zu strukturieren und abzugrenzen. Erst wenn der Sprechakt durch die kommunikative Funktion intensional und quasi-universell definiert ist, lässt sich die Frage stellen, ob er auch über die Menge der Äußerungsvarianten einzelsprachlich grammatisch definiert werden kann. Die Dialoggrammatik geht davon aus, dass die Menge der Äußerungsformen begrenzt ist, so dass die einzelnen Varianten extensional aufgezählt werden könnten und somit den Sprechakt einzelsprachlich grammatisch definierten (vgl. Weigand 1984a, 1993b). Indem ich heute Sprechakte als Komponenten im Handlungsspiel betrachte, die auf der Integration der Mittel, darunter auch kognitiver, beruhen und sich auf Wahrscheinlichkeitsprinzipien gründen, folgt daraus, dass die Menge der Äußerungsvarianten nicht begrenzt ist. Eine einzelsprachliche grammatische Definition des Sprechakts ist daher nur annäherungsweise möglich. Die Äußerungsformen, die zur Realisierung einer Handlungsfunktion in einer Einzelsprache zur Verfügung stehen, können hinsichtlich dieser Handlungsfunktion als funktional äquivalent betrachtet werden. Der Begriff der Äquivalenz ist dabei jedoch ein sehr grober, denn zwischen den einzelnen Varianten der Äußerungsform bestehen streng genommen durchaus funktionale Unterschiede (vgl. Weigand 1992c).24 Die Äußerungen unterscheiden sich u.a. hinsichtlich der Art und Weise des Umgangs, der Höflichkeit, der Intensität und Dringlichkeit, mit der ein Anliegen vorgebracht wird. Dies sind Unterschiede, die im konkreten Handlungsspiel die Wahl einer Äußerung bestimmen. Die Frage ist, wie diese Unterschiede in der Beschreibung berücksichtigt werden können.25 Auch in dieser Hinsicht hat es sich die Dialoggrammatik zu einfach gemacht, indem sie Faktoren wie Höflichkeit aus der Grammatik ausgegliedert und einer pragmatischen Stilistik oder Rhetorik zugeordnet hat (z.B. Hindelang 1978). Versteht man jedoch sprachliches Handeln als Handeln von Menschen im Handlungsspiel, so ist Beschreibung und Rhetorik nicht mehr zu trennen, da das Aushandeln der Positionen natürlicherweise dem rhetorischen Prinzip effektiven Handelns folgen wird. Zu den drei Basisprinzipien des Handlungsspiels - dem Handlungsprinzip (vgl. Figur 5), dem Dialogischen Prinzip (Figur 2) und dem Kohärenzprinzip, das auf der Integration verschiedener kommunikativer Mittel zu begründen ist - treten begleitende Prinzipien, darunter rhetorische Prinzipien und das Prinzip der Höflichkeit (vgl. Weigand 2000a, 2001c). Dabei mögen rhetorische Prinzipien und Höflichkeitsprinzipien als einander entgegengerichtet verstanden werden, indem rhetorische Prinzipien sich auf die Durchsetzung der eigenen Interessen beziehen, während Höflichkeitsprinzipien auf dem Respekt dem anderen gegenüber zu begründen sind. Anders als Brown/Levinson (1987: 1) sehe ich im Prinzip der Höflichkeit primär ein positives Prinzip und möchte es nicht auf die Unterdrückung immer vorhandener Aggressivität zurückführen. Verhaltensforscher mögen menschliches Verhalten in der Gruppe primär unter dem Aspekt der Konfliktvermeidung sehen. Für Sprachwissenschaftler ist sprachlich-kommunikatives Verhalten als Interaktion und damit als Aushandeln und eventuelles Angleichen der jeweiligen Positionen zu begreifen. Miteinander interagieren kann mitunter zu Konflikten führen, doch ist kommunikatives 24
25
Ein wesentlicher Unterschied besteht z.B. darin, dass indirekte Sprechakte gegenüber direkten eine weitere kommunikative Funktion realisieren. Vgl. Mach deine Schularbeiten! gegenüber Ich würde mich freuen, wenn du deine Schularbeiten machtest, (s. dazu Kap. III). Vgl. dazu z.B. Dittmann (1981), Ferguson (1976), Fraser/Nolen (1981), House/ Kasper (1981), R. Lakoff (1973), (1977), Leech (1980), (1983), Brown/Levinson (1987).
28 Handeln nicht generell auf konfliktvermeidendes Handeln zurückzuführen (vgl. auch Daneä demn.). Wie bereits dargelegt, ist der einzelne Sprechakt entgegen der orthodoxen Sprechakttheorie keine autonome Einheit der Kommunikation; wohl aber kann er als heuristische Einheit, als Einheit der Sprachbeschreibung gelten. 26 Sprechakte weisen voraus und zurück, verlangen nach Ergänzung in der Sequenz, die nach dem Zweierprinzip aus Aktion und Reaktion zu strukturieren ist.27 Initiative Sprechakte mit illokutiver Funktion sind auf Ergänzung durch einen reagierenden Sprechakt mit perlokutiver Funktion angelegt; und sie sind auch nicht auf die erste Position in der Sequenz beschränkt. Auch reagierende Sprechakte können illokutive Funktion haben, z.B. Präzisierungsfragen, und Ausgangspunkt fllr eine neue Zweiersequenz sein. Die gleiche Äußerung kann je nach ihrer Stellung in der Sequenz unterschiedliche Funktion erfüllen. So kann z.B. der bekannte Slogan Do it yourself, einerseits die illokutive Funktion einer Aufforderung haben, andererseits kann er z.B. nach einer vorausgegangenen Aufforderung Hilf mir beim Korrigieren! als reagierender Sprechakt die perlokutive Funktion der Ablehnung erfüllen.28 26
27
28
Ähnlich scheinen Henne/Rehbock (1982: 18) den Sprechakt als "Analysekategorie" zu verstehen, wenngleich sie dann aber widersprüchlich "Sprechakte als kleinste kommunikative Handlungseinheiten" beschreiben (S. 25). Für ihre Gesprächsanalyse bleibt es ohnehin ohne Konsequenzen. Mitunter wird von einer Dreiersequenz als Minimalsequenz ausgegangen (vgl. z.B. Wunderlich 1976a: 352, Sornig 1981: 516, Clark 1996; dazu Weigand 2000a). Äußerungsfolgen, wie Wunderlich sie als Beispiel für Dreiersequenzen angibt (z.B. 1976a: 352 u. 355), bestehen jedoch in Wirklichkeit aus Zweiersequenzen. Das Beispiel auf S. 355 wäre wie folgt zu strukturieren: I— S: äh, ich bin hier also neu, ne, und fang hier an und wollt mal fragen, ob ich da irgendwie Informationsmaterial haben kann Ρ Β: für was brauchen wir's S: Romanistik Ρ Β: für Romanistik L S: hm — B: haben wir, und zwar (...) Die erste Äußerung Romanistik antwortet auf die Fragehandlung von B, schließt somit eine Zweiersequenz. Die Wiederholung der Antwort durch Β initiiert eine neue Zweiersequenz und wird durch hm bestätigt. Auch bei der Analyse von Unterrichtsgesprächen gehen sowohl Didaktiker wie Linguisten häufig von einer Dreiersequenz aus und behaupten, das Grundschema bestehe aus "Lehrerfrage + Schülerantwort + Lehrerbestätigung" oder wie Coulthard (1977: 104) aus "elicit + reply + feedback". Diese scheinbare Dreiersequenz ist jedoch aufgrund des Doppelcharakters sequenzabhängiger Äußerungen, die sowohl zurück- wie vorausweisen, als zweifache Zweiersequenz aufzulösen (s.o. Anm. 8): Lehrerfrage + Schülerantwort + Lehrerbestätigung Die reagierende Antworthandlung des Schülers ist gleichzeitig initiativ, sekundär illokutiv, im Hinblick auf die bestätigende Bemerkung des Lehrers. Dieser Doppelcharakter sequenzabhängiger Äußerungen wäre bei der Analyse längerer Diskurse, die nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind, zu beachten (vgl. den Exkurs nach Kapitel II). Vgl. auch Sinclair/Coulthard (1975) sowie Sinclair (1992). Den textologisch anderen Status sequenzabhängiger Sprechakte berücksichtigt auch Harweg (1979a), wenn er Sekundär- und Tertiärsprechakte etabliert, d.h. Sprechakte, die andere Sprechakte notwendigerweise voraussetzen.
29 Das Sequenzproblem stellt sich nicht nur als Problem der Verkettung von Sprechakten in dialogischen Texten; es ist auch das Problem zusammenhängender Äußerungssequenzen eines Sprechers. Die Strukturierung komplexerer Beiträge eines Sprechers ist jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit. Ein formal monologischer Text, der aus Äußerungssequenzen eines einzelnen Sprechers besteht, ist filr sich noch nicht kommunikativ autonom. Entsprechende perlokutive Sprechakte bzw. ihnen zugrunde liegende gedankliche Reaktionen oder die materielle Handlung, die dem Sprechakt entspricht, wären zu ergänzen. Eine Zustimmung kann mitunter, vor allem bei abgeschwächtem pragmatischen Anspruch, auch schweigend gegeben werden. Das funktionale Prinzip der Interdependenz aus Aktion und Reaktion ist jedoch für jeden Text konstitutiv, gleichgültig ob die Reaktion sprachlich oder nichtsprachlich realisiert wird. Allerdings kann zwischen Aktion und sprachlicher Reaktion eine so große zeitliche Distanz liegen (z.B. in der Korrespondenz), dass bereits ein Teil dieser kommunikativen Einheit, die Aktion oder die Reaktion für sich, als nahezu selbständiger, jedoch dialogisch gerichteter Text erscheint (vgl. zu diesem Problem der Textdefinition Weigand 1986 und die Diskussion der Problemfälle in 11.4.2.). In Abhängigkeit von den verschiedenen Illokutionstypen ergeben sich spezifische perlokutive Funktionstypen. Auf dem dialogischen Grundprinzip der Interdependenz von Illokution und Perlokution baut die Verkettung von Sprechakten in dialogischen Texten auf. Das Modell der Dialoggrammatik, wie es von Hundsnurscher (1980) und (1981) programmatisch entwickelt wurde, und in gleicher Weise das darauf aufbauende Modell einer "Erweiterten Sprechakttheorie" von Franke (1990) halten im Prinzip an Searles monologischen Sprechaktklassen fest und entfalten die Sequenz nur an der Oberfläche Zug fllr Zug durch das formale Merkmal [isequenzabhängig], ohne die funktionale innere Interdependenz zwischen initiierendem und reagierendem Sprechakt als konstitutive Relation zu sehen. Auf diese Weise trennt Hundsnurscher strikt zwischen Sprechakttheorie und Dialoganalyse. Demgegenüber geht im Konzept des dialogisch orientierten Sprechakts die Sprechakttheorie in die Dialoganalyse über. Im Rahmen eines dialoggrammatischen Modells unterscheidet Franke (1983) innerhalb der sequenzabhängigen Sprechakte spezifische und nichtspezifische Reaktionshandlungen. Die spezifischen Reaktionen definiert er als Handlungen, bei denen sich der Hörer definitiv im Sinn eines positiven oder negativen Bescheids festlegt; die nichtspezifischen umfassen Möglichkeiten wie "nachfragen" oder "ausweichen", also Sprechakte, die nicht speziell auf die Illokution des vorausgehenden Sprechakts reagieren (S. 76f.). Franke erkennt nicht, dass diese beiden Reaktionstypen einerseits in ihrer kommunikativen Funktion untereinander und andererseits von illokutiven Sprechakten zu unterscheiden sind. Der spezifische Reaktionstyp entspricht perlokutiven Sprechakten, der nichtspezifische Sprechakten der Aushandlungssequenz.
1.4. Das dialogische Prinzip 1.4.1. Wissenschaftsgeschichtlicher Hintergrund Austins und Searles Sprechakttheorie hat unser Verständnis von Sprache grundsätzlich verändert und die Einsicht, dass Sprachverwendung sprachliches Handeln ist, auf eine systematische Grundlage gestellt; doch blieb sie, aus welchen Gründen auch immer, beim ein-
30 zelnen Sprechakt stehen.29 Wenn auch die Linguistik diese Beschränkung immer wieder kritisierte, gelang es ihr doch lange Zeit nicht, sie an entscheidender Stelle aufzubrechen. Sequenzen wurden vor allem als Sequenz eines Sprechers unter der Annahme einer Hierarchie illokutiver Funktionen untersucht (vgl. z.B. Brandt/Koch/Motsch/Rosengren/Viehweger 1983). Die Konversationsanalyse beschreibt zwar dialogische Sequenzen, ohne jedoch ihre Analyse auf einem generellen dialogischen Sprachbegriff zu begründen. Verschiedentlich finden sich Hinweise auf den grundsätzlichen Paarcharakter der Sprache, so bei Henne/Rehbock (1982: 18) und abgeschwächt bei Goffman (1981: 13), doch wird aus ihnen kein systematisches Analysemerkmal gewonnen. Die Dialogizität wird von den meisten letztlich doch nur als Methode gefasst, die man zur Beschreibung dialogischer Texte auf der Basis einer nach wie vor monologischen Sprachauffassung wählen kann. So wären nach Viehweger (1983:382f.) dialogische Texte auf der Folie monologischer Texte zu erklären. Demgegenüber ist Hundsnurschers Modell der Dialoggrammatik (1980) und (1981) schon deutlicher auf der Zweiersequenz begründet (vgl. auch Hundsnurscher 1984: 77f.). Dennoch nehmen Vertreter der orthodoxen Dialoggrammatik und "Erweiterten Sprechakttheorie" (Franke 1990) die Zweiersequenz nur in Bezug auf das formale Merkmal der Sequenzabhängigkeit oder Zugfolge in den Blick und tasten die monologische Natur der Searle'schen Sprechaktklassen nicht an. Fritz (1982) verwendet ein dialogisches Verfahren zur Beschreibung alltäglicher, auch sog. monologischer Kommunikationsformen. Auch Weinrich (1976: 11) spricht sich daftlr aus, dass "die Linguistik ihre Überlegungen nie bei einem einzigen Individuum beginnen lassen kann", "sondern allenfalls bei zwei Individuen, die man sich dann sofort nach den Kommunikationsrollen des Sprechers und des Hörers (oder des Schreibers und des Lesers) differenziert vorstellen muss". Stellungnahmen für eine dialogische Sprachauffassung fmden sich auch bei anderen Autoren, doch bleibt es im wesentlichen bei kurzen Ausführungen, ohne dass Konsequenzen für den Aufbau einer dialogischen Grammatik gezogen wurden. So erkennt Jespersen (1933: 17) wie in vielen anderen Aspekten auch in dieser Frage die richtige Perspektive: "What is called the life of language consists in oral intercourse with its continual give-and-take between speaker and hearer." Auch Sornig (1981: 515) bekennt sich explizit zu einer dialogischen Sprachauffassung: "Der Text zu zweit ist der Regelfall der Sprachverwendung. Er sollte auch das Modell der Sprachbeschreibung sein. Denn Sprachkompetenz ist schlechthin dialogische Textkompetenz." Innerhalb eines tagmemischen Modells weist Klammer (1973: 49) mit Bezug auf Pike auf die prinzipiell kommunikativ-dialogische Natur von Sprache hin. Auf die Probleme erster dialogischer Ansätze geht Schwitalla (1979a) ein. Insgesamt zeigt die Linguistik zwar ein uneinheitliches Bild, doch hält sie aufs Ganze gesehen Anfang der 90er Jahre noch an einer monologischen Sprachauffassung fest (vgl. auch Henne 1984: lf.). In den letzten Jahren nun scheint sich die Linguistik doch stärker der Sicht von der Dialogizität der Sprache zu öffnen. So geht auch Dik (1997.1: 5) im Rahmen seines funktionalen Paradigmas von einem dialogischen Sprachbegriff aus. Grundlegend seien interaktive Formen des Sprachgebrauchs, aus denen monologische Formen abgeleitet werden könnten. Verstärkt werden dialogisch orientierte Sprechaktklassen angenommen, allerdings noch ohne systematische Entwicklung einer dialogischen Sprechakttheorie (vgl. I 2.2.2.3.). 29
Einen ersten Schritt vom isolierten Sprechakt zur Sequenz vollziehen Searle/Vanderveken (1985: 11) in theoretischen Überlegungen, die jedoch für die empirische Analyse ohne Auswirkungen bleiben.
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Auch die Verstehensproblematik wird thematisiert, wodurch der Hörer als eigener und anderer Kommunikationspartner in den Vordergrund tritt (z.B. Brown 1995, Weigand 1999). Gegenüber dem zögerlichen Verhalten in der Linguistik ist nicht zu verkennen, dass die Literaturwissenschaft eine deutliche Wende zu einem dialogischen Vorgehen vollzogen hat. Schon früh wies Stierle (1975: 8f.) in seiner systematischen Literaturwissenschaft auf die Notwendigkeit hin, nicht nur einzelne Äußerungen, sondern Texte als Handlungen zu beschreiben, wobei er sich allerdings nicht auf die Sprechakttheorie der Philosophie der normalen Sprache, sondern auf Schütz' soziologische Handlungstheorie stützen will. Die Ausrichtung auf den Leser/Hörer und damit den ersten Schritt zu einer dialogischen Konzeption vollzog die Rezeptionsästhetik.30 In der von Bachtin und Kristeva ausgehenden Intertextualitätsforschung wurde schließlich die kommunikative Funktion als dialogische verstanden, ohne jedoch das sprechakttheoretische Funktionsprinzip präzisieren zu können. Bachtins Theorie der Dialogizität (z.B. 1929/1971: 202ff.) wurzelt in dem Gefühl, dass Wörter und Texte auf andere Wörter und Texte anderer Sprecher verweisen und nur in dieser Verweisung ihre volle Bedeutung entfalten. Nun handelt es sich hierbei sicher nicht um das Prinzip der Interdependenz zwischen illokutivem und perlokutivem Sprechakt in einer Zweiersequenz, als welches das dialogische Prinzip zu konkretisieren ist, nur ganz vermittelt könnte man dieses Prinzip, wenn überhaupt, bei Bachtin wiederfinden, aber das generelle Gerichtetsein, das dem dialogischen Prinzip zugrunde liegt, wird durch Bachtins These der Bezogenheit von Wort und Text erkannt.31 Wenn Kristeva (1969) dann mit ihrem Prinzip der Intertextualität ideologisierend Texte von ihrem produzierenden Subjekt befreit, so ist dies nicht mehr im Sinn einer linguistischen Sprechakttheorie zu verstehen (vgl. auch Stierle 1984: 142f.). Wichtig scheint jedoch nach Lachmann (1982a: 61), dass Kristeva im Unterschied zu Bachtin die poetische Sprache generell, auch die lyrische, als dialogisch versteht.32 Besonders Kloepfer hat sich in verschiedenen Aufsätzen für das dialogische Prinzip eingesetzt; doch kann ich nicht nachvollziehen, was er unter Dialog und Dialogischem versteht, wenn er das Dialogische als ein Mehr an Dialog mit Kriterien zu fassen sucht, die sich linguistischer Begrifflichkeit entziehen (1981: 328 u. 1982: 367)." So kann man feststellen, dass die Literaturwissenschaft in den Richtungen, die man ohne strenge konzeptuelle Klarheit als Intertextualitätsforschung zusammenfassen kann (vgl. Schmid/ Stempel 1983: 5), die generelle Bedeutung des Dialogischen zwar erkannt hat, sie jedoch aus linguistischer Sicht theoretisch nicht zu präzisieren vermag.
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Zur Rezeptionsforschung und vor allem zur aktiven Rolle des Lesers als "alter poeta", als Mitschöpfer vgl. Maurer (1977). Zu Bachtin vgl. die Arbeiten von Lachmann (1982c u. 1983) und Günther (1981). In diesen Zusammenhang einer dialogischen Poetik versucht Lachmann (1982b) auch Jakobsons Theorie der poetischen Sprache einzuordnen. Vgl. z.B. Kloepfer ( 1982: 367): "Das Dialogische ist ( 1.) die Entfaltung des Zwischen im Alternieren der Handelnden, ist (2.) die zunehmende Erweiterung in der Einbeziehung der Kommunikationssituation, ist (3.) die Entfaltung der Welt'sichten' und schließlich (4.) die gemeinsame Entwicklung von 'Sprachen ' (ich setze die Anfuhrungszeichen, wenn ich alle möglichen Zeichensysteme und nicht nur die Sprache meine). Das Dialogische ist vor allem das gemeinsame, bedeutungsvolle Handeln, in dem gleichzeitig die Beziehung aus einer historischen Situation mit der Erschließung von Wirklichkeit durch den Entwurf von 'Sprachen' entwickelt wird."
32 Die Problematik des Konzepts der Intertextualität bemerkt auch Stierle (1984: 146) und glaubt ihr durch hermeneutische Interpretation begegnen zu können;34 doch sieht Stierle auch das Positive, das in diesem Konzept steckt und das er als kommunikative Dimension hervorhebt (S. 150). Das prinzipiell Dialogische auch der literarischen Texte fasst Stierle (1981: 31 lf.) schon ziemlich deutlich, wenn er "das Werk als Applikation anderer Werke" und "Applikation als implizite Dialogizität" versteht.35 Damit wird im Grunde ein Teil des bei literarischen Texten besonders komplizierten dialogischen Prozesses benannt, der in sprechakttheoretischer Perspektive vielleicht als eine besondere Weise der indirekten Reaktion eines Autors auf einen vorausgehenden Text zu klassifizieren wäre. Davon unberührt bleibt die Möglichkeit, dass sich ein Autor direkt auf einen vorausgehenden Text bezieht. Der andere Teil des dialogischen Prozesses, in dem literarische Texte stehen, wird in der dialogischen Reaktion zwischen Autor und Leser konstituiert. Grundlage auch dieser beiden Prozesse ist das dialogische Prinzip der Zweiersequenz, das in der Interdependenz von initiativer Handlung und Replik zu fassen ist. Im ersten Fall, bei der Reaktion des Autors auf einen vorausgehenden Text, bildet dieser vorausgehende Text die initiative Handlung, für die der zu analysierende Text Replik wäre. Im zweiten Fall, beim Dialog zwischen Autor und Leser, stellt der zu analysierende Text die initiative Handlung dar, die auf eine Replik des Lesers zielt. So wäre der literarische Text gleichzeitig initiative Handlung wie indirekt (und manchmal auch direkt) Replik und zeichnete sich gegenüber alltagssprachlicher Kommunikation durch diese Duplizität des dialogischen Prozesses aus. Während Stierle sich selbst immer wieder in die Tradition der Hermeneutik einbindet, wendet sich Kloepfer (1981: 319) mit seiner Auffassung des Dialogischen explizit gegen hermeneutische Traditionen. Nun ist nicht zu übersehen, dass sich die Hermeneutik in besonderer Weise mit dem Gespräch befasst hat, und in Schleiermachers Dialektik mag man sogar gewisse Vorstellungen wiederfinden, die nicht nur dem einfachen positiven oder negativen Bescheid der Dialoggrammatik entsprechen, sondern darüber hinaus die prinzipielle Verschiedenheit der interagierenden Menschen in den Blick nehmen, die dann zu einem wesentlichen Impuls für meine Weiterentwicklung der Dialoggrammatik in Richtung "Dialogisches Handlungsspiel" wurde (Weigand 2000a). So bildet für Schleiermacher (1822/1942: 48) den "Ausgangspunkt eines Gesprächs" eine "Verschiedenheit der Vorstellungen", die im Gespräch zu "zwei Endpunkten" geführt wird: Entweder vereinigen sich beide Redende den streitigen Punkt ihrer Meinung, oder sie überzeugen sich, dass sie nie dieselbe Vorstellung in dieser Hinsicht bekommen können.
Auch für Gadamer (1972: 422) ist die Sprache "ihrem Wesen nach die Sprache des Gesprächs". Neben Hermeneutik und Intertextualitätsforschung ließen sich Verbindungslinien aufzeigen zu einer Philosophie und Poetik des Dialogs, die sich jedoch von dem sprachlichen Kern dessen, was ich als das dialogische Prinzip der Zweiersequenz verstehe, so weit entfernen, dass ich sie hier nicht im einzelnen nachzuzeichnen brauche (vgl. z.B. Hirzel 1895 und Bauer 1969). "Am Anfang europäischer Philosophie war das Gespräch", wie Henne/ 34
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Zur Kritik an der Theorie der Intertextualität aus der Sicht der literarischen Hermeneutik vgl. auch Jauß (1981: 479f.). Eine besondere Form der dialogischen Applikation stellt filr Maurer (1976) die literarische Übersetzung dar, die er dem Genus "fremdbestimmter Rede" zuordnet.
33 Rehbock (1982: 8) mit Bezug auf den platonischen Dialog bemerken, und im Verlauf der europäischen Wissenschaftsgeschichte ließen sich verschiedene Stimmen anführen, die eine dialogische Sprachauffassung zum Ausdruck bringen. Sehr schön hat Wilhelm von Humboldt, auf den ich bereits in der Einleitung hingewiesen habe, das Wesen der Sprache in der Wechselrede begründet (1827/1963: 137): Alles Sprechen ruht auf der Wechselrede, in der, auch unter Mehreren, der Redende die Angeredeten immer sich als Einheit gegenüberstellt.
Humboldts Auffassung von der dialogischen Grundnatur der Sprache ist in die Beschreibung der Kategorie des Duals eingebettet, in der er die begriffliche und generelle Bedeutung der Zweiheit hervorhebt und auch an der Sprachverwendung belegt, die in ihrem ursprünglichen Wesen auf der dialogischen Zweiheit von "Anrede und Erwiederung" beruhe (s. Einleitung). Dabei geht er deutlich über das bloße Hören/Verstehen, bei dem die Sprachpsychologie heute stehenbleibt, hinaus und schließt die "Erwiederung" als konstitutiven Teil minimaler Sprachverwendung ein (S. 139): ... das Wort gleicht, allein im Einzelnen geboren, so sehr einem blossen Scheinobject, die Sprache kann auch nicht vom Einzelnen, sie kann nur gesellschaftlich, nur indem an einen gewagten Versuch ein neuer sich anknüpft, zur Wirklichkeit gebracht werden. Das Wort muss also Wesenheit, die Sprache Erweiterung in einem Hörenden und Erwiedernden gewinnen.
In der Pronominalisierung von ich/du versus er anstelle eines bloßen ich versus er sieht er einen grammatikalisierten Reflex für den "Urtypus" der Wechselrede, die für ihn bereits im Denken verankert ist (s.o. Anm. 4). Angesichts so deutlicher Stellungnahme ist es besonders verwunderlich, dass gerade die orthodoxe Sprechakttheorie Searle'scher Prägung die generelle Gültigkeit des dialogischen Prinzips bzw. der Zweiersequenz geleugnet hat, so dass man hier wohl von einer verschütteten Tradition sprechen kann. Betrachtet man die Forschungssituation heute, so ist man erstaunt, rings um Sprechakttheorie und Linguistik herum bereits früh eine breite Ausrichtung der Forschung auf die Dialogizität von Sprache zu entdecken, während die Linguistik selbst und auch die Konversationsanalyse Anfang der 90er Jahre im wesentlichen noch an einer monologischen Sprachauffassung festhalten. Nicht nur in Literaturwissenschaft und Philosophie, auch in Semiotik und Didaktik wird das dialogische Prinzip betont, jedoch auch hier nicht konkret sprachwissenschaftlich gefasst, sondern nur allgemein als Gerichtetsein verstanden. Dabei scheint in der Semiotik wie in der Sprachpsychologie nicht das eigentliche dialogische Prinzip von Aktion und Reaktion im Mittelpunkt zu stehen, sondern ein vorausgehendes Hilfsprinzip, das jedoch nur einen Akt in Aktion und Rezeption erfasst (vgl. z.B. Baer 1982: 63ff., auch Figge 1981: 167). Deutlich dialogisch dagegen als Handlung und Replik versteht MüllerMichaels das dialogische Prinzip, das er als generelles literaturwissenschaftliches und vor allem didaktisches Prinzip, das Verstehen ermöglicht, hervorhebt. Der Dialog entfaltet sich zwischen dem Text, und d.h. dem agierenden Autor, und dem rezipierenden und reagierenden Leser bzw. Schüler, wobei in einem im Prinzip unabschließbaren Prozess "eine Auseinandersetzung stattfindet, in deren Verlauf beide Horizonte sich aneinander abarbeitend verändern", d.h. die Rollen von Agierendem und Reagierendem sich vertauschen (1983: 22). In diesem Sinn hat Müller-Michaels seine Theorie der Rezeptionspragmatik entwickelt, nach der das Verstehen des Schülers sich erst im aktiven Umgehen mit literarischen Texten, z.B. in den Handlungen des Kommentierens, Redigierens, Rezensierens etc., dartut (1978a
34 u. 1978b). Dieses "Sich-aneinander-abarbeitend-Verändern" korreliert im Grunde mit dem methodologischen Prinzip des Aushandelns von Meinen und Verstehen, das Grundlage der Interaktion in einem offenen Modell des Handlungsspiels ist. Wie ich bereits in der Einleitung betont habe, muss man zwischen einem formalen, situativen und einem inhaltlichen Begriff des Dialogischen unterscheiden (vgl. zu diesen zwei Ebenen des Dialogischen Weigand 1986). Die traditionelle Unterscheidung zwischen Monolog und Dialog ist auf der formalen, situativen Ebene angesiedelt.36 Formal ist Sprachverwendung nur dann als dialogisch zu bezeichnen, wenn der Kommunikationspartner sprachlich reagiert, wenn also "turn-taking" stattfindet. Doch auch in den sog. monologischen Fällen, in denen der Kommunikationspartner nicht präsent ist bzw. keine sprachliche Reaktion von ihm erwartet wird, also von schriftlicher Kommunikation bis zum Vortrag, ist Sprachverwendung inhaltlich dialogisch: Sie ist immer gerichtet an einen Kommunikationspartner, sei es einen realen oder fiktiven anderen oder sei es an den Sprecher selbst. Eine andere Möglichkeit scheidet aus, da es keinen kommunikativ autonomen Sprechakt gibt. Jeder Sprechakt zielt auf einen folgenden oder verweist als ein reagierender zurück auf einen vorausgehenden. In der Erkenntnis, dass der einzelne Sprechakt keine autonome kommunikative, sondern nur eine heuristische Einheit darstellt, ist das generelle dialogische Prinzip der Zweiersequenz begründet, auf dem eine Taxonomie der Sprechakte aufbauen muss. Hundsnurscher (z.B. 1980, 1981, 1992) hat zwar auf die Zweiersequenz als kleinsten kommunikativen Rahmen hingewiesen, doch hat er sie allein auf der Abfolge der Züge begründet und die Autonomie des einzelnen Sprechakts nicht angetastet. In klaren einfachen Fällen wie Frage-Antwort-Sequenzen erkennt auch Searle (1992) die konventionelle Bezogenheit zweier Sprechakte aufeinander an, und auch die Konversationsanalyse hebt bestimmte Paare benachbarter Sprechakte ("adjacency pairs") hervor, doch wird das Dialogische hier nur als Einzelaspekt im Rahmen einer prinzipiell monologischen Sprachverwendung gesehen. Entscheidend ist, dass man die konventionell erwartbare Bezogenheit der Sprechakte aufeinander als generelles Prinzip erkennt. Die Dialogizität ist keine Methode, die man wählen könnte, sondern ein konstitutives Prinzip jeder Sprachverwendung. Dieses konstitutive inhaltliche Prinzip wird nur unterschiedlich deutlich realisiert. Sprache ist so durch Bezug auf ihre inhaltliche Struktur unter einem einheitlichen Grundprinzip in einer einheitlichen Theorie erklärbar.37
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Zur Definition von Monolog und Dialog unter textlinguistischer Perspektive vgl. Canisius (1986). Harweg ( 1 9 7 1 ) unterscheidet neben der numerischen Definitionsform eine direzionale, die sich auf die Richtung des Geäußerten bezieht, jedoch nicht mit meiner inhaltlichen Dialogdefinition gleichzusetzen ist. Für Koch (1971: 260ff.) stehen Dialoge als Bitexteme auf einer hierarchisch höheren Stufe als Monologe. Canisius selbst beschreibt Dialoge als sprachliche Gemeinschaftshandlungen, die Monologen als sprachlichen Solitärhandlungen gegenüberstehen. Zu einer gegenteiligen Auffassung, nach der eine natürliche Sprache nicht durch ein einheitliches System beschrieben werden kann, vgl. Schnelle (1976).
35 1.4.2. Problemfälle Ich will das prinzipiell Dialogische der Sprachverwendung an einigen Beispielen fortschreitender Kompliziertheit erläutern. Einfach sind die Fälle, in denen die Sprachverwendung nicht nur inhaltlich, sondern auch formal dialogisch verläuft. Wir haben hier den Bereich, der schon immer als dialogisch bezeichnet wurde. Äußerungen eines Sprechers sind an einen Kommunikationspaitner gerichtet, der selbst sprachlich reagiert. Dabei muss der Sprechort für Sprecher und Kommunikationspartner nicht der gleiche sein; nicht nur "face-to-face interaction", auch Telefongespräche gehören hierher. Entscheidend ist also die Reaktion zur Sprechzeit. Nach Hundsnurscher (1980: 94) und bereits Wilhelm von Humboldt (1827/1963: 137; s.o.) sind auch Mehrpersonengespräche letztlich auf das Zweierprinzip zurückzuführen, eine Sicht, die unter dem Gesichtspunkt des gemeinsamen Aushandelns von Meinen und Verstehen zu differenzieren wäre. Schwieriger wird es schon, wenn nicht nur der Sprechort, sondern auch die Sprechzeit für Sprecher und Kommunikationspartner unterschiedlich ist. Hierher gehören alle Fälle schriftlicher Kommunikation, in Gebrauchstexten wie Briefen und in literarischen Texten wie Romanen. Da hier keine Reaktion des Kommunikationspartners zur Sprechzeit gegeben ist, werden diese Texte gewöhnlich als monologisch bezeichnet. Versteht man die Unterscheidung dialogisch/monologisch als formale Unterscheidung bezüglich der Reaktion zur Sprechzeit, so hat sie ihre Berechtigung bei der Unterscheidung von Kommunikationstypen nach Merkmalen der Realisierung. Doch auch diese sog. monologische Kommunikation ist inhaltlich dialogisch, auch sie ist gerichtet an einen Kommunikationspartner, von dem man nur zur Sprechzeit keine Reaktion erwartet. Briefe zielen auf eine Antwort,38 auch literarische Texte zielen auf eine Reaktion beim Kommunikationspartner, die sich nicht allein im Lesen und Verstehen erschöpft, sondern ebenso wie in mündlicher Kommunikation letztlich auf Verständigung im bereits definierten Sinn zielt. Auch Reden, Vorträge, Vorlesungen gehören hierher, sofern eine sprachliche Reaktion der Kommunikationspartner zunächst ausgeschlossen ist. Doch sollen die Kommunikationspaitner sehr wohl auf das Vorgetragene reagieren, entweder gedanklich oder zu einem späteren Zeitpunkt auch sprachlich. In gleicher Weise existieren wissenschaftliche Werke nicht nur für sich, um ihrer selbst willen, sondern sie stehen zur Diskussion, zielen auf Verständigung mit anderen Wissenschaftlern als Kommunikationspartnern. Auch innere Monologe sind nur hinsichtlich der Realisierung Monologe. Inhaltlich sind auch sie an einen Kommunikationspartner gerichtet, der als fiktiver oder realer anderer oder als der Sprecher selbst zu denken ist.39 Eine - an sich selbstverständliche - Bemerkung will ich noch anfügen: In Texten, für die nicht unmittelbar eine Reaktion zu erwarten ist, werden natürlich verschiedene Sprechakte eines Sprechers mit unterschiedlichen kommunikativen Funktionen, die evtl. hierarchisch zu glie-
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Durch die Anrede an den Briefpartner könnte man Briefe auch formal als dialogisch bezeichnen (vgl. Weigand 1986). Wie Schnitzlers berühmter innerer Monolog des "Leutnant Gusti" zeigt, können dabei die Kommunikationspartner durchaus wechseln. So spricht Leutnant Gusti zwar fast durchgehend mit sich selbst, redet sich mit "Gusti" an, fällt aber zwischendurch immer wieder in eine kurze Wechselrede mit verschiedenen Personen seiner Lebenswelt. Vgl. zum inneren Monolog auch Wilhelm von Humboldt (1827/1963: 137f.): "Der Mensch spricht, sogar in Gedanken, nur mit einem Andren, oder mit sich, wie mit einem Andren . . . "
36 dem sind, aneinandergereiht, die alle auf einen entsprechenden reagierenden Sprechakt zielen (vgl. auch Hundsnurscher 1984). In einem Brief werden z.B. verschiedene Fragen gestellt, die alle beantwortet sein wollen. Zusätzlich können auch Aufforderungen erteilt werden, die alle befolgt werden wollen. Schwieriger sind eigentlich nur die Fälle, die auch inhaltlich nicht dialogisch zu sein scheinen. Ftir diejenigen, die das dialogische Prinzip als kühn beurteilen, stellen sie die Fälle dar, an denen es sich zu bewähren habe. Hierher gehört die Sprachverwendung in der Lyrik, die Strukturellsten unter dem Gesichtspunkt der Formadäquatheit sehen, und die Sprachverwendung in naturwissenschaftlichen Texten, bei denen der Wahrheitsanspruch des Sprechers nicht immer zur Diskussion zu stehen scheint, die, so wird argumentiert, nur unter dem Gesichtspunkt der Sachadäquatheit stünden. Nun ist dieses letzte Argument kein Argument gegen eine kommunikativ-dialogische Sprachtheorie. Alle repräsentativen Sprechakte stehen unter dem Gesichtspunkt der Sachadäquatheit, wenn auch unter der subjektiven Perspektive des Sprechers und nicht im Sinn einer objektiven Wahrheit. Sie präsentieren Welt unter dem subjektiven Wahrheitsanspruch des Sprechers und stellen diese Sicht zur Diskussion, d.h., auch sie zielen letztlich, entgegen Searle (1992), auf einen bestimmten Folgesprechakt, auf einen positiven oder negativen Bescheid des Akzeptierens. Wie ich bereits in I 1.2., bei meinen Ausführungen zur Bedeutung, festgestellt habe, gibt es für eine Sprachverwendungstheorie der natürlichen Sprache Wahrheit nur als pragmatische Wahrheit, aus der Sicht des Sprechers. Alle Äußerungen sind Äußerungen eines Sprechers und stehen unter dessen subjektivem Wahrheits- oder Wollensanspruch. Sätze sind nicht Gegenstand einer Sprachverwendungstheorie. Schwierigkeit machen hier Äußerungen, die empirisch messbare Gegebenheiten oder logisch-mathematische Gesetzmäßigkeiten zum Ausdruck bringen. Folgt man Austin (1962: 139ff.), so gibt es auch bei empirisch messbaren Größen keine objektiv gültige, semantische Wahrheit, da sich die Messung in Abhängigkeit von ihrem Ziel nach unterschiedlichen Graden der Genauigkeit richten kann.40 Der tiefere Grund dieser pragmatischen Wahrheit ist, dass wir uns mit Austin auf Äußerungen, nicht auf das Konstrukt des Satzes beziehen. Und auch Äußerungen, die auf mathematischen Gesetzen beruhen wie 1 m hat 100 cm oder alle Materie unterliegt der Schwerkraft bleiben im natürlichsprachlichen Verwendungskontext Äußerungen und stehen damit unter dem Wahrheitsanspruch des Sprechers, der in diesem Fall die mathematische Wahrheit übernimmt. Mathematische Sätze in einer mathematischen Theorie sind Sätze einer Kunstsprache und interessieren für die Beschreibung natürlichsprachlicher Kommunikation nicht. Man könnte diese Sätze, die absolut wahr sind, nach Katz (1977: 187) auch als ungeeignet/'unfähig' ansehen, eine Behauptung auszudrücken. Absolute Wahrheit gibt es in natürlichsprachlicher Kommunikation nicht (vgl. auch Leech 1980: 6 u. 58); die Wahrheit hängt vom Wissen ab (vgl. Weigand 2001b).
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Ich kann hier Habermas' Kritik nicht zustimmen (1976: 242), der bei Austin eine Aufweichung des Wahrheitsbegriffs und eine Verwechslung des Geltungsanspruchs der Wahrheit mit dem Geltungsanspruch der normativen Richtigkeit sieht. Wenn bei Kamlah/Lorenzen (1977: 121) die "Wahrheit einer Aussage" durch Homologie erwiesen wird, so kann es sich nur um relative Wahrheit handeln. Kamlah/Lorenzen machen auch keinen Versuch, "wahr/falsch" in Relation zur Wirklichkeit zu definieren. Doch wer entscheidet, ob eine Nachprüfung geeignet ist?
37 Die Wahrheit von Sätzen bzw. Propositionen, die Gegenstand von Wahrheitstheorien sein mag (vgl. z.B. Schnelle 1973: 175ff.), und der Wahrheitsanspruch, den ein Sprecher mit seiner Äußerung verbindet, werden bisher in der Literatur nicht klar auseinandergehalten. Man versucht, die Wahrheit von Sätzen auch auf Äußerungen zu beziehen. So mag man einem Aussagesatz einen objektiven Wahrheitswert zuordnen; einen Sprechakt der Feststellung oder Behauptung vollziehen heißt dagegen keineswegs, dass der Sprecher sich zu einer objektiv feststellbaren Wahrheit verpflichtet, sondern nur, dass er einen (subjektiven) Wahrheitsam/wKcA übernimmt. Dies sind zwei grundsätzlich verschiedene Dinge, die nicht wie bei J.D. Fodor (1977: 27, auch 212) miteinander identifiziert werden dürfen. Aus der Identifikation einer objektiven Wahrheit von Sätzen mit dem subjektiven Wahrheitsanspruch von Äußerungen entstehen die Probleme mit dem Wahrheitsbegriff, wenn er auf Sprechakte bezogen wird. Diese Probleme werden nicht gelöst, indem man den Wahrheitsbegriff weiter präzisiert als notwendige oder analytische Wahrheit, sondern allein, indem man für Äußerungen auf den pragmatischen Wahrheitsanspruch rekurriert. Interessant ist es, dass gerade die moderne Physik zu der Erkenntnis geführt hat, dass es selbst für die in einer mathematischen Kunstsprache formulierten physikalischen Gesetze eine absolute Wahrheit offenbar nicht gibt. Sehr schön hat Heisenberg (1959) in einer Vorlesung über "Sprache und Wirklichkeit in der modernen Physik" darauf hingewiesen, dass die moderne Physik durch hochkomplizierte technische Apparate in Bereiche vorgestoßen ist, in denen die natürliche Sprache sich nicht gebildet hat und auch nicht brauchbar ist. Die physikalischen Gesetze sind präzise nur in einer mathematischen Kunstsprache anzugeben. Zwar müssen die Physiker in natürlicher Sprache über ihre Experimente reden, um das, was sie mathematisch formulieren, verstehen zu können, da unser Verständnis offenbar einer gewissen Anschaulichkeit bedarf.41 Doch ist natürliche Sprache gegenwärtig nur als Annäherung an die physikalische Wahrheit, als bildhafte Analogie anzusehen. Die naturwissenschaftliche Wahrheit erfordert nicht nur eine neue Sprache, sondern auch ein neues Denken. Ob dem Menschen Uber die mathematische Kunstsprache hinaus ein solches neues Verständnis in einem neuen Denken möglich sein wird, steht, vor allem im Hinblick auf die Quantentheorie, dahin. Damit bleibt als letzter Problemfall die Sprachverwendung in der Lyrik, die für die Strukturellsten unter dem Gesichtspunkt der Formadäquatheit zu analysieren ist. Nun spielen in lyrischen Texten sicherlich formale Gesichtspunkte eine besondere Rolle, weshalb sie im Grunde auch nicht zu übersetzen sind; doch erschöpft sich Poetizität nicht allein in formalen Gesichtspunkten. Das Ungenügen einer strukturell-linguistischen Analyse, die aufgrund bestimmter methodologischer Vorgaben Poetizität allein formal erklären wollte, wie z.B. Jakobson/Lévi-Strauss (1962), ist schon bald erkannt worden. Zunächst versuchte man ihr durch Rezeptionsanalyse (Riffaterre 1966, Posner 1971), heute durch die Einbeziehung der Dialogizität auch lyrischer Texte zu begegnen. Aus hermeneutischer Sicht kann nach Jauß (1981: 473) das, "was der poetische Text vorgängig ... verstehen lässt", "aus einer Beschreibung seiner fertigen Struktur als 'Artefakt' ... nicht direkt abgeleitet werden". "Mit
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Zum Begriff der Anschauung, auch unter naturwissenschaftlichem Gesichtspunkt, vgl. Schnelle (1980: 54f.).
38 der formalen Analyse eines ästhetischen Textes ist das 'eigentliche Verstehen' lediglich vorbereitet, aber noch nicht vollzogen"(Jauß 1981: 470). 42 Indem man so glaubt, die formale Analyse durch die Einbeziehung inhaltlicher Gesichtspunkte erweitern zu müssen, bringt man - wenn auch nicht immer deutlich - im Grunde nur zum Ausdruck, dass auch jeder lyrische Text eine kommunikativ-dialogische Funktion hat. Sprachverwendung in lyrischen Texten geschieht nicht prinzipiell, nur graduell anders als in der Alltagssprache; 43 beide Formen sind als kommunikativ-dialogisches Sprachhandeln, als Aushandeln von Meinen und Verstehen mit dem Ziel der Verständigung zu beschreiben. Während einige Formen der Lyrik, wie die antike Lyrik (z.B. Horaz), die Trobadourlyrik, die Balladen Villons, explizit dialogisch verfasst sind, stellt sich die Frage der inhaltlichen Dialogizität vor allem für die moderne Lyrik. Doch auch hermetische Lyrik richtet sich an ein zeitgenössisches Publikum, und sei es mit der Funktion, dieses Publikum zu ignorieren und den Kreis der Jünger zu stärken (vgl. Müller-Michaels 1978b: 31), und auch konkrete Poesie, wie z.B. das bekannte Gedicht "Schweigen" von Gomringer, das sprachliche und graphisch-perzeptive Form integriert, hat eine Aussage und damit eine kommunikative Funktion. Bestreitet man dies, so handelte es sich tatsächlich nicht mehr um kommunikative Sprachverwendung, da Sprache nur als Form, ohne Funktion verwendet würde. Eine in dieser Weise abstrahierte Sprache ist aber keine natürliche Sprache mehr. Dieses Spiel mit der Form ist dann ein Spiel mit künstlich geschaffenen Elementen. Doch wird Sprache m.E. selbst in dadaistischen Gedichten nicht auf diese Weise verwendet. Hier wird der Sprache nicht die kommunikative Funktion genommen, sondern gerade ihre Form, ihre grammatische Struktur zerstört, sei es, um gewisse Empfindungen zum Ausdruck zu bringen, wie die Sinnlosigkeit der Sprachverwendung oder die Isoliertheit des Sprechers, oder sei es, um den Normalleser durch Verweigerung von Normalkommunikation zu provozieren. Als Weiterfiihrung eines im Grunde dadaistischen Zugriffs auf Sprache könnte man z.B. Ernst Jandls Gedichte ansehen. Auch er will provozieren, auch er nimmt somit der Sprache nicht ihre kommunikative Funktion, im Gegenteil, er will ihre Funktion stärken, indem er ihre überkommenen Formen aufbricht. Allerdings muss man dieses Aufbrechen als ein Zerstören der Konventionen, der ausgetretenen Pfade der natürlichen Sprache ansehen; die so neu geschaffene Sprache ist im eigentlichen Sinn "Kunstsprache, eine neue subtilere Form für eine intendierte intensivere kommunikative Funktion.
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Zu Jakobsons Poetik vgl. Holenstein (1979). Zu einer Kritik aus semiotischer Sicht vgl. Koch (1981:30fr.). Auch Stierle (z.B. 1975: 8f.) spricht sich für eine einheitliche Handlungstheorie für alltagssprachliche und literarische Kommunikation aus. Zu fiktionalen Texten auf sprechakttheoretischer Grundlage vgl. Searle (1979d). Zu einem ersten Beschreibungsversuch vgl. Pratt (1977).
39 2. Das Problem einer Sprechakttaxonomie
2.1. Problemstellung Wir wissen intuitiv und von Fall zu Fall mit mehr oder weniger Sicherheit, welche sprachliche Handlung wir mit welcher Äußerung ausführen. Aber wir wissen nicht oder zumindest nicht begründet, welche sprachlichen Handlungen wir insgesamt ausführen können und wie die einzelnen Handlungen zueinander in Beziehung stehen. Wittgenstein hielt es für unmöglich, in den Bereich sprachlichen Handelns Grenzziehungen zu legen, so dass sich ein System sprachlicher Handlungen ergäbe. Für ihn gibt es "unzählige verschiedene Arten der Verwendung alles dessen, was wir 'Zeichen', 'Worte', 'Sätze' nennen" (1958/1977: 28). Anders als Wittgenstein geht Searle (1975a: 369) davon aus, dass sich solche Grenzziehungen finden lassen. Seine Taxonomie von Sprechakten ist ein erster entscheidender Schritt auf diesem Weg. Sie zeigt, dass es eine 'begrenzte Zahl grundlegender Dinge' gibt, 'die wir mit Sprache tun können'. Der Unterschied zwischen Wittgensteins und Searles Auffassung ist vermutlich nur in der unterschiedlichen Perspektive zu sehen: Wittgensteins Blick gilt der Realität, während Searle die ihr zugrundeliegenden Prinzipien zu erkennen sucht. Grundlage dieser Prinzipien, Ausgangspunkt fur alle weiteren Überlegungen ist die Gliederung sprachlichen Handelns in einem System von Sprechaktklassen, das alle Arten, mit Sprache zu handeln, erfasst und zueinander in Beziehung setzt. Diese Arten, mit Sprache zu handeln, sind begründet durch die kommunikativen Funktionen, die Sprechakte erfüllen. Die kommunikativen Funktionen sind quasi-universell, ihre Realisierung in Sprechakten einzelsprachlich.44 Die Funktion stiftet die Einheit des Sprechakts, indem verschiedene Äußerungen nach Maßgabe ihrer kommunikativen Funktion als ein bestimmter Sprechakt klassifiziert werden. Auf dieser Funktion sind auch die Sprechaktklassen zu begründen. Das Problem einer Sprechakttaxonomie ist das Problem einer Taxonomie der kommunikativen Funktion, d.h. der illokutiven und perlokutiven Funktion. Eine auf diese Weise funktional begründete Taxonomie ist universell. Ich verwende den Terminus universell nicht im strengen Sinn, sondern im Sinn von quasi-universell. Metakommunikative oder kommunikativstrukturelle Funktionen folgen anderen Gesetzen; sie sind insgesamt funktional als ein Sprechakttyp zu fassen, der wie bereits erwähnt nach zwei Subtypen in rein textstrukturierende und kombinierte Sprechakte aufgeteilt werden kann (vgl. Kap. I 1.1.). Hier müsste eine eigene Taxonomie ansetzen. Die Taxonomie der Perlokution hängt von der Taxonomie der Illokution ab; denn die spezifischen Perlokutionen sind aus den verschiedenen Illokutionstypen abzuleiten. Grund44
"Der Status des Sprechaktes bezüglich seiner Einzelsprachlichkeit ist" keineswegs, wie Weydt (1981: 253) behauptet, "völlig ungeklärt". Sprechakte als Einheiten der Zuordnung von Äußerungsmenge und kommunikativer Funktion sind immer einzelsprachlich, kommunikative Funktionen sollten dagegen quasi-universell definiert sein. Sprechakte können unter universeller Perspektive betrachtet werden, wenn man sich allein oder vor allem auf ihre kommunikative Funktion bezieht (vgl. auch das nächste Kapitel I 2.2.). Zwar mag es einzelsprachliche funktionale Differenzierungen geben, z.B. bestimmte Ausprägungen deklarativer Sprechakte; die fundamentale Sprechaktklasse, denen sie zugehören, eben die Klasse der Deklarative, ist jedoch quasi-universell. Vgl. auch Rosaldo (1982).
40 problem ist somit die Taxonomie der Illokution. Ist dieses Problem nicht gelöst, bewegen sich alle weiteren Untersuchungen auf unsicherem Boden. Die Lösung hängt davon ab, begründete Kriterien zur Unterscheidung von Illokutionsklassen zu finden. Im zweiten Kapitel dieser Arbeit wird es darum gehen, das System der Illokution mit relevanten Kriterien zu erarbeiten und in Abhängigkeit davon eine Taxonomie der Perlokution zu entwickeln.45 Erst beide Taxonomien zusammen beinhalten eine Taxonomie der kommunikativ-dialogischen Funktion der Sprache.
2.2. Forschungssituation Die Versuche, Sprachfiinktionen zu klassifizieren, reichen zurück bis in die Antike. Dabei wurden Sprachfunktionen nicht immer als Handlungsfunktionen verstanden. Eine systematische Begründung von Handlungsfunktionen auf der Basis eines handlungstheoretischen Sprachbegriffs beginnt erst mit der Sprechakttheorie. Ich werde mich im folgenden bei der Skizzierung des Forschungshintergrunds im wesentlichen auf die Versuche innerhalb der Sprechakttheorie bzw. von ihr beeinflusster Arbeiten beschränken, jedoch zwei bekannte und immer wieder zitierte Klassifikationen von Sprachfunktionen, die vor dem Beginn der Sprechakttheorie liegen, nämlich Bühler (1934/1982) und Jakobson (1960), hinzunehmen. Unter systematischem, sprechakttheoretischem Gesichtspunkt zählt von diesen zahlreichen Versuchen im Grunde nur Searles Taxonomie (1975a), da sie bis zu einem gewissen Grad durch Kriterien begründet ist und andere Autoren auf ihr aufbauen.46 Die vorgelegten Taxonomien sind unter den Begriffen "empirisch versus funktional" in zwei Gruppen aufteilbar: Die Empiriker versuchen eine Sprechakttaxonomie Uber sprachliche Mittel aufzustellen, vor allem Sprechaktverben, aber auch Satztypen und Modalität, die andere Gruppe wählt ein Vorgehen mit im wesentlichen abstrakten, d.h. funktionalen Kriterien. Hier werden zu Recht Sprechakte qua Sprechaktkriterien klassifiziert, denn eine Sprechakttaxonomie ist nicht über Ausdruckseinheiten zu gewinnen, wie auch Searle (1975a: 345) betont hat (vgl. auch Wunderlich 1976a: 304 und Leech 1983: 174ff.). Ich verwende in dieser Skizze der Forschungssituation den Begriff der Taxonomie noch ohne genauere Präzisierung sowohl für Sprechakte wie für Sprechaktverben, wenngleich ich ihn wie ich im zweiten Kapitel (I 1.1.) darlegen werde - im Grunde nur für Sprechakte für angemessen halte. 45
Mit einer Taxonomie der Illokution und Perlokution, zu der eine Taxonomie der kommunikativstrukturellen Funktion treten müsste, sind nicht alle Taxonomieprobleme im Bereich sprachlichen Handelns gelöst. Hinzu kommt das Problem der Textfunktion längerer Sequenzen. Handelt es sich um Sequenzen eines Sprechers, so wären die Funktionen der einzelnen Äußerungen evtl. in einer dominierenden Funktion zusammenzufassen (vgl. z.B. Motsch/Viehweger 1981 und Brandt/Koch/ Motsch/Rosengren/Viehweger 1983). Dialogische Texte sind nicht auf die Summe von Minimaleinheiten zu reduzieren. Ihre Textfiinktion kann aus der Sicht des Sprechers betrachtet werden, der z.B. die Funktion des Überredens verfolgt, oder aus der Sicht des Hörers, der z.B. nicht nachgeben will, oder sie kann die Struktur der Interaktion, das Ineinandergreifen gegenläufiger Strategien reflektieren, z.B. als Funktion des Aushandelns oder miteinander Streitens.
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Weydts generelle Kritik an der Sprechakttheorie, die "noch nicht klar zum Ausdruck gebracht" habe, "welcher Art die Unterteilungen in Einzelsprechakte... sein soll [sie]", ist angesichts der Forschungssituation unbegründet (1981: 254).
41 Eine Taxonomie von Sprechaktverben ist und bleibt eine Taxonomie von Sprechaktverben, die nur heuristische Hinweise auf eine Taxonomie von Sprechakten geben kann. Wird sie dennoch mit dem Ziel einer Sprechakttaxonomie angegangen, so kann dies nur als Ausflucht vor dem Problem einer Taxonomie funktionaler Einheiten angesehen werden. Sprechakte und Sprechaktverben sind zwei grundsätzlich verschiedene Gegenstände. Sprechaktverben sind Ausdrücke, Sprechakte Handlungen, primär funktional konstituierte Konzepte; zwischen beiden besteht keine l:l-Entsprechung. 47 Besonderheiten der einzelsprachlichen Realisierung dürfen nicht als Eigenschaften der Handlungsstruktur gedeutet werden. So sind Sprechaktverben häufig kommunikativ unbestimmt, können nicht nur eine, sondern verschiedene kommunikative Funktionen bezeichnen (z.B. meinen, to ask), oder sie sind zum einen Ausdruck für die kommunikative Funktion allein, wie fragen, behaupten, zum anderen Ausdruck fìir kommunikative Funktion und Proposition zusammen, wie einladen, das die Illokution der Bitte wie die propositionale Bedeutung des Besuchens und zusätzlich wohl noch einen gewissen sozialen Faktor der Art und Weise ausdrückt. Da die Zuordnungsregeln zwischen Ausdrücken und kommunikativen Funktionen, wie diese Beispiele verdeutlichen, äußerst kompliziert und von Einzelsprache zu Einzelsprache verschieden sind, können Ausdrücke universelle kommunikative Funktionen prinzipiell nicht systematisch begründen; kommunikative Funktionen sind als universelle Funktionen nach internen, funktionalen Kriterien zu konstituieren.48 Erst dann, in einem zweiten Schritt, können einzelsprachliche Sprechaktverben nach den bereits definierten, im wesentlichen universalpragmatischen Funktionen analysiert werden. Auf diese Weise werden die Zuordnungsregeln erfasst, die zwischen universellen Funktionen und einzelsprachlichen Sprechaktverben vermitteln und die semantisch-pragmatische Beschreibung der Sprechaktverben einer Einzelsprache auf der Basis einer universellen Sprechakttaxonomie bilden. Die einzelsprachliche Spezifität kann ja erst vor universellem oder sprachvergleichendem Hintergrund sichtbar werden. Ganz entschieden ist hier Verschueren (1983: 167 u. 174) zu widersprechen, nach dem theoretische Taxonomieversuche 'zum Konkurs führen' müssen, da es unbegrenzt viele Möglichkeiten gebe. Die Möglichkeiten sind nur solange unbegrenzt, als das zu taxonomisierende Objekt nicht definiert ist. Eine Sprechakttaxonomie ist aus der generellen kommunikativen Funktion von Sprache abzuleiten, und die Kriterien der Ableitung können nicht beliebig sein, sondern müssen einer inneren Ordnung folgen. Außerdem bleibt unklar, wie sich eine Sprechaktverbtaxonomie aus ihrer Einzelsprachlichkeit befreien könnte. Entweder man leugnet die Möglichkeit einer universellen Taxonomie, oder man verfolgt das höchst unökonomische Ziel, möglichst viele einzelsprachliche Sprechaktverbtaxonomien zu erstel-
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Darauf weist z.B. auch Franke (1983: 84) am Beispiel des Sequenzmusters "insistieren" hin, "dass die Möglichkeiten des Redens über INSISTŒREN-Sequenzen ungleich vielfältiger sind als die Anzahl der konstruierbaren Untermuster". Verschuerens Behauptung, dass man über Sprechakte nur mittels einzelsprachlicher Sprechaktausdrücke denken und reden könne, trifft daher keineswegs zu (1980: 35). Auch Strecker (1984) bezieht sich in seiner Stellungnahme zu Ballmer/Brennenstuhl (1981), auf die ich sogleich zu sprechen komme (I 2.2.1.), auf dieses Argument. Als Prämisse liegt dieses Argument auch Burkhardt (1986) zugrunde. Sprechakte werden jedoch über ihre kommunikative Funktion definiert, die nicht über Sprechaktverben, sondern mittels funktionaler Kriterien zu fassen ist. Sprechaktverben drücken nicht nur die kommunikative Funktion aus, und schon gar nicht 1:1.
42 len und daraus eine universelle Taxonomie zu extrahieren. Jedoch auch dies ergäbe keine adäquate Taxonomie von Handlungseinheiten, da jede einzelsprachliche Taxonomie eine Taxonomie von Handlungen, die aus Verben gewonnen sind, also eine Taxonomie von Verben darstellt.
2.2.1. Empirische Taxonomien 2.2.1.1. Sprechaktverbtaxonomien Die Reihe von Sprechakttaxonomien, die im Zusammenhang mit der Sprechakttheorie stehen, beginnt Austin (1962, 147ff.) mit einer Taxonomie von Sprechaktverben. Ihm scheint, als entsprächen sich illokutiver Akt und performative Äußerung, so dass eine Sprechakttaxonomie aus einer Liste performativer Verben zu gewinnen wäre (1963/1971: 16, 1962: 131). Wie er selbst betont, handelt es sich um einen ersten, in jeder Hinsicht vorläufigen Versuch, und in diesem Licht ist auch die Kritik zu sehen, die daran geübt wurde (z.B. Searle 1975a: 350ff.). Sie ist darin zusammenzufassen, dass Austin über kein konsistentes Prinzip der Einteilung verfügt und seine Klassen intuitiv gesetzt sind. Zur Charakterisierung dienen Gesichtspunkte der Illokution und propositionalen Einstellung, der Diskursrelation, des Status von Sprecher und Hörer und der Institutionalität von Sprechakten. Wie die meisten späteren Taxonomen unterscheidet er nicht nach der Sequenzabhängigkeit von Sprechakten; es gibt nur eine kommunikative Funktion, die Illokution, in Sprechakten des Fragens wie des Antwortens, des Behauptens wie des Akzeptierens. Ergebnis der Einteilung sind von Überschneidungen und Heterogenität geprägte Klassen von Sprechaktverben. Die meisten folgenden Sprechaktverbtaxonomien bauen auf Austin auf; ich gehe nur auf die wichtigsten ein. Vendler (1972) versucht eine Korrektur Austins durch syntaktische Kriterien (Objekt und Tempus). Auch er ist der Ansicht, dass sich aus der Liste der performativen Verben eine Liste der illokutiven Kräfte ergibt (S. 8). Ohmann (1972) entwickelt Austins und Vendlers Ansatz weiter, jedoch ohne zu begründeten Ergebnissen zu gelangen. Campbell (1975) wiederum versucht eine Synthese aus Ohmann und Searle. Dementsprechend beruht auch seine Taxonomie auf einer Kombination aus syntaktischen und semantischen Kriterien, die jedoch ebensowenig in einem System begründet sind. Auch McCawley (1977) baut auf Austin und Vendler auf und gibt mit syntaktischen Kriterien eine Einteilung der performativen Verben, die eine Klassifizierung der illokutiven Kraft beinhalten soll. Fraser (1974) versucht eine Taxonomie performativer Verben ohne syntaktische Kriterien. Performativität sei eine Sache der Bedeutung. Einteilungskriterium ist für ihn der Zweck oder die Intention des Sprechers, ein Kriterium, das er intuitiv paraphrasierend als Charakteristik von Verbgruppen einsetzt. Er beschränkt sich auf eine Klassifizierung der sog. "vernacular verbs", d.h. der in nichtinstitutionellen Kontexten gebrauchten Verben. Indem er von der Annahme einer Vielzahl illokutiver Akte ausgeht, weist er sich als einer aus, der illokutive Akte aufspaltet ("splitter"): Es gebe mehr Akte als performative Verben (S. 153; zur Unterscheidung "splitter" versus "lumper" vgl. Verschueren 1979: 10 u. 1983: 168). Eine zusätzliche Untersuchung des Verb-Komplements der einzelnen Verbklassen ergibt keine Korrelation dieses syntaktischen Kriteriums mit der semantischen Einteilung nach der Intention des Sprechers und kann diese daher auch nicht begründen.
43 Katz (1977: 195ff.) hält an der durch Austin überwundenen Unterscheidung von "constatives" und "performatives" fest. Auch er wendet sich gegen ein syntaktisches Klassifikationsprinzip und sieht in einem semantischen Kriterium u.a. den Vorteil der Universalität. Als semantisches Kriterium seiner Taxonomie, die wiederum auf einer semantischen Analyse von Verben beruht, will er den Zweck der Handlung ("purpose"), nicht die Intention des Sprechers verwenden (S. 140). Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Handlungstypen werden durch Unterschiede in der semantischen Repräsentation von Verbtypen (Typen performativer Propositionen) wiedergegeben, die sich durch unterschiedliche Spezifizierung des Zwecks ("purpose") ergeben. Auf diese Weise sind jedoch Katz' performative Typen nichts anderes als semantische Typen von Verbstrukturen. Der Zweck ist kein illokutiv-pragmatischer der Handlung, sondern ein semantisch-lexikalischer des performativen Verbs. Die Aufstellung der einzelnen Typen bleibt willkürlich. Verbklassen werden semantisch beschrieben, aber es wird nicht begründet, warum sich gerade die vorgelegte Gruppierung von Verben ergibt; auch erhebt Katz keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Eine weitere Sprechaktverbtaxonomie ist zu erwähnen, die mit dem Anspruch einer Sprechakttaxonomie vorgebracht wird: Ballmer/Brennenstuhl (1981). Ballmer/Brennenstuhl untersuchen nicht nur performative Verben, sondern generell Sprechaktverben, Verben, die irgendeinen Aspekt sprachlichen Verhaltens bezeichnen, da es kein genaues Kriterium zur Bestimmung performativer Verben gebe (S. 3f.). Die semantische Analyse der Verben basiert im wesentlichen auf den beiden Relationen der Ähnlichkeit ("meaning similarity") und Voraussetzung ("presupposition" in einem allgemeinen Sinn). Zugrunde liegt ein dynamischer Bedeutungsbegriff: Sprachliche Ausdrücke werden aufgrund ihrer Bedeutung als Mittel der Kontextveränderung verstanden. Das Ergebnis der semantischen Typologie von Sprechaktverben reflektiere die ontologische und konzeptuelle Struktur des Sprachverhaltens. Daher kann es offenbar Ziel des Buches sein, Sprechakte über Sprechaktverben zu klassifizieren (S. 15). Die etwa 600 "Kategorien" weisen auch Ballmer/Brennenstuhl als "splitter" aus. Ballmer/Brennenstuhls Buch ist von Meibauer (1982) und Verschueren (1983) einer ausführlichen, in beiden Fällen - wenn auch aus unterschiedlichen Gesichtspunkten - ablehnenden Kritik unterzogen worden. Die Stellungnahme Meibauers hat Ballmer/Brennenstuhl (1984) zu einer Antwort veranlasst, in der die beiden Autoren noch einmal ihren dezidiert empirischen Standpunkt begründen. Zusammen mit Strecker (1984) und Dietrich (1984) ist damit die Diskussion einer abstrakten Sprechakttaxonomie versus einer empirischen Sprechaktverbtaxonomie erneut entbrannt. Ich will hier nur den Hauptpunkt von Ballmer/Brennenstuhls Antwort herausgreifen, da sich an ihm das Kernproblem dieser Kontroverse deutlich machen lässt. Es stehen sich folgende Thesen gegenüber (Ballmer/Brennenstuhl 1984: 250): Ballmer/Brennenstuhl: Ein besonders fruchtbarer Weg, Sprechakte zu klassifizieren, führt über die Klassifikation von Verben, genauer Verben des sprachlichen Handelns und dessen Aspekte. Meibauer: Die semantische Analyse von Sprechaktverben und die Klassifikation von Sprechakten (illokutionären Akten) sind prinzipiell unabhängig voneinander.
Nun ist in der Tat keiner dieser Thesen zuzustimmen. Die semantische Analyse von Sprechaktverben und die Klassifikation von Sprechakten sind zwar, wie ich bereits dargelegt habe,
44 zwei unterschiedliche Gegenstände, aber sie sind nicht prinzipiell unabhängig voneinander. Doch ist ihre Beziehung kompliziert und kann nicht von der Äußerungsseite, von den Verben her, angegangen werden. Auf der Äußerungsseite fehlt uns, wie Strecker mit Recht bemerkt (S. 264), der Überblick über die Mittel. Die Klassifikation von Verben liefert eine semantische, einzelsprachliche Beschreibung von Lexikoneinheiten, keine universelle Handlungstaxonomie. Die Beziehung zwischen Verben und Handlungen wird durch Zuordnungsregeln gestiftet, die für jede Einzelsprache universelle Handlungskonzepte zu einzelsprachlichen Verben (und anderen Ausdrucksmitteln) in Beziehung setzen. An erster Stelle jedoch ist eine universelle Sprechakttaxonomie funktional und mit abstrakten Kriterien zu begründen; sie allein ermöglicht den Zugang zu den Zuordnungsregeln der Einzelsprache, sie allein kann uns einen annähernden Überblick über die vorhandenen Mittel verschaffen. Dabei folgt die Zuordnung von Handlungskonzepten und Verben der in Figur 6 wiedergegebenen Formel: F(p)
{Äußerungen}
Die funktionalen Handlungskonzepte F und die Verben als Ausdruckskomponenten von Äußerungen stehen dabei auf unterschiedlichen Seiten. Unterschiede zwischen F und Sprechaktverben resultieren im wesentlichen aus folgenden Komplikationen der Zuordnung: -
-
Sprechaktverben können mehrdeutig oder unbestimmt sein, z.B. ask oder meinen. Aus Höflichkeitsgründen kann ein Sprechaktverb verwendet werden, das zwar der gleichen fundamentalen Klasse angehört, aber illokutiv abgeschwächt ist, z.B. bitten in einer dienstlichen Handlungsanweisung. Sprechaktverben können auf eine Weise verwendet werden, die das Handlungskonzept ins Gegenteil verkehrt: ich verspreche dir ein paar Ohrfeigen, falls...
Dies sind vor allem die Gründe, weshalb die Zuordnung von Handlungskonzepten und Verben nicht 1:1 erfolgt. Handlungskonzepte F sind Konzepte der Repräsentation von Bedeutung, und als solche eindeutig, Verben dagegen sind einzelsprachliche Ausdruckselemente, und als solche den Eigenschaften sprachlicher Ausdrücke, wie Mehrdeutigkeit, Unbestimmtheit, unterworfen. Neben den erwähnten Arbeiten gibt es verschiedene andere Versuche bzw. Forderungen, Sprechaktverben als Ausgangspunkt für die Konstituierung von Sprechakttypen zu nehmen, auf die ich nicht einzeln einzugehen brauche (vgl. z.B. J.L. Cohen 1974: 200, Meyer-Hermann 1978a, Verschueren 1979: 17f., 1980: 34f., 1983: 174, Burkhardt 1986). Auch neuere Veröffentlichungen bringen im Grunde nur Neuauflagen orthodoxer Positionen. So präsentiert z.B. Aiston (1994) orthodoxe Sprechakttheorie in Reinform, identifiziert Sprechakte mit Sprechaktverben und eine Sprechakttaxonomie mit einer Taxonomie von Sprechaktverben. Auch Vanparys (1994: 325) spricht sich nach einem kritischen Überblick über Sprechakttaxonomien für den Zugang über illokutive Verben aus.
45 2.2.1.2. Satztypen und Modalität Nicht nur Sprechaktverben sind es, über die der Zugang zu den Handlungsfunktionen versucht wird. Auch andere empirische Mittel dienen als Einstieg, darunter vor allem die Kategorien von Satztyp und Modalität. Im Rahmen seiner Funktionalen Grammatik weist Dik (1997.1/2) der illokutiven Kraft, soweit sie an sprachliche Ausdrücke gebunden ist, eine primäre Rolle zu (s.u. I 3.2.4.). In fast allen Sprachen fände man die Satztypen des Aussage-, Frage-, Aufforderungs- und Ausrufesatzes, die Ausdruck von Basisillokutionen seien (Dik 1997.1: 301, 2: 228ff.). Das Phänomen, das hier als Illokution behandelt wird, ist nicht eigentlich ein Phänomen auf Handlungsebene, sondern nach Maßgabe sprachlicher Ausdrücke konstruiert, deren pragmatische Interpretation einer noch zu entwickelnden Theorie der Interaktion vorbehalten bleibt. Wie ich im Rahmen meiner kommunikativen Grammatik (Kap. III) zeigen werde, kommt Satztypen in der Tat eine besondere Rolle beim Ausdruck der Handlungsfunktion zu, doch sind sie keineswegs 1:1 Illokutionen zuzuordnen, noch lassen sich aus ihnen Illokutionen herleiten. Dik und andere gehen - obgleich sie von Integration sprechen - von einem engen "linguistic point of view" aus (Dik 1997.2: 237), ohne zu erkennen, dass in diesem engen sprachlichen Bereich das Phänomen der Illokution nicht beheimatet ist. Diks Schlussfolgerung, Illokution als grammatische Kategorie zu verstehen, steht generativ-semantischen Annahmen nahe, verkennt jedoch völlig das Phänomen. Handlungskonzepte sind nicht zu grammatikalisieren. Auch für die Arbeiten, die in Verbindung mit Rosengrens (1992) Ansatz stehen (z.B. Rehbock 1992), spielt die Kategorie Satztyp sowie Modalität eine entscheidende Rolle. Der Versuch, Handlungsfunktionen ausgehend von empirischen Mitteln aufzufinden, führt hier jedoch geradezu ins Absurde, wenn nach einigen Stufen der Ableitung festgestellt werden muss, dass sich die Kategorie Satztyp verflüchtigt hat und in Chomskys Rektions- und Bindungstheorie wiederzufinden sei. Nicht nur die Kategorien von Satztyp und Modalität, selbst das generelle Konzept Pragmatik verliert an Gestalt, so dass es späteren Untersuchungen vorbehalten bleibt zu klären, was Pragmatik heißt (Brandt/Reis/Rosengren/Zimmermann 1992: 3-6; vgl. die Kontroverse Weigand 1992c/Rehbock 1993/Weigand 1993b, sowie Weigand 1994b). Auch einige Beiträge in Tsohatzidis (1994) gehen ohne jede Diskussion davon aus, dass Sprechakttypen von Satztypen abzuleiten seien. So sind nach Croft (1994) Sprechakttypen grammatisch an Satztypen gebunden; auch Sadock (1994) hofft, illokutive Akte in Korrespondenz mit Satztypen aufstellen zu können.
2.2.2. Sprechakttaxonomien Neben diesen relativ zahlreichen empirischen Taxonomien liegen nur wenige Sprechakttaxonomien vor, die ihrem Gegenstand entsprechend funktionale Kriterien verwenden.
46 2.2.2.1. Vorläufer Als Vorläufer der Versuche, die im Zusammenhang mit der Sprechakttheorie stehen, sind vor allem Bühler (1934/1982) und Jakobson (1960) zu nennen. BUhlers Organon-Modell beruht auf Piatons Darstellung der Sprache als Mittel, mit dem einer dem anderen etwas Uber die Dinge mitteilen kann. Die drei Bezugspunkte dieses Sprachbegriffs, Sender ("einer"), Empfänger ("dem anderen") und Dinge, Sachverhalte, eröffnen nach BUhler unterschiedliche Relationen zum "Organon". Auf diese Weise begründet Bühler die drei Sprachfunktionen Darstellung, Ausdruck und Appell. Nun wird es so zwar möglich, im Modell eine Funktionenlehre der Sprache zu entwickeln, doch ist das Modell in sich nach heutiger Erkenntnis nicht konsistent. So unterscheiden sich Ausdruck und Appell nicht durch ihre Gebundenheit einmal an den Sender, einmal an den Empfänger, sondern beide Funktionen gehen vom Sender aus und sind an den Empfänger gerichtet, nur ist der Empfängerbezug unterschiedlich deutlich ausgeprägt. Die Darstellungsfunktion schließlich kann nicht als Funktion der Schallgebilde angesehen werden; Zeichen haben Funktion nur in der Verwendung durch einen Sprecher. So wäre auch die Darstellungsfunktion eine Funktion, die der Sprecher mit seiner Äußerung verfolgt und die an den Empfänger gerichtet ist. Eine solche Uminterpretation des Bühler*sehen Systems beruht jedoch auf Prämissen der Sprechakttheorie, die Bühlers Denkweise noch fern lagen, auch wenn er Sprechen als Handlung bestimmt hat (S. 28). Jakobson geht im Prinzip wie Bühler vor. Auch er benennt zunächst Faktoren der Kommunikation und ordnet ihnen dann Funktionen zu. Im Unterschied zu Bühler unterscheidet er zwei weitere Faktoren, "contact" und "code", die jedoch im Grunde bereits als Voraussetzungen in "message" enthalten sind. Indem man so "message", "contact" und "code" zu einem Faktor vereinigt, erhält man Bühlers Kommunikationsmodell. Die Inkonsistenz von Jakobsons Modell beruht ebenso wie bei Bühler darauf, dass er einzelnen Faktoren des Kommunikationsmodells Funktionen zuordnet, während doch allein der Sprecher in der Sprachverwendung mit seiner Äußerung Handlungsfunktionen erfüllt. Durch die Differenzierung weiterer Kommunikationsfaktoren ergeben sich fur Jakobson drei weitere Sprachfunktionen, die jedoch, verglichen mit den bereits bei Bühler unterschiedenen, von Jakobson emotiv, referentiell und konativ genannten Funktionen, einen anderen Status haben und nicht mehr als kommunikative Funktionen anzusehen sind. 'Die Einstellung auf die Nachricht (message) als solche' ergibt die poetische Funktion der Sprache. Eine solche Reduktion der Poetizität auf formale Aspekte darf heute wohl als überwunden gelten (s.o. I 1.4.). Durch besondere inhaltliche, offenbar propositionale Aspekte wird die phatische Funktion unterschieden, die sich auf das Kontaktmedium ("contact") bezieht. Durch diese propositionalen Aspekte wird jedoch über die Handlungsfunktion der Äußerung selbst nichts ausgesagt. Nicht von ungefähr erscheinen bei Jakobson hier als Beispiele Fragehandlungen neben Aufforderungshandlungen und repräsentativen Sprechakten. Ähnlich verhält es sich mit der metasprachlichen Funktion, die Jakobson dem Kode zuordnet. Auch hier wird ein propositionales Merkmal, der Bezug auf die Sprache selbst, zur Definition der Funktion verwendet.49 So ergibt sich bei Jakobson eine Liste heterogener Funktionen, die nur teilweise als kommunikative Handlungsfunktionen zu verstehen sind.
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Zum Problem der Metakommunikation vgl. Kap. II 4.1.
47 2.2.2.2. Taxonomien von Einzelsprechakten Im Rahmen der Sprechakttheorie ist vor allem Searles Taxonomie (1975a) hervorzuheben, die einzige, die versucht, mit verschiedenen Kriterien das Phänomen der Iliokution zu ergründen.50 Searle nennt zwölf Kriterien, nach denen sich illokutive Akte unterscheiden. Die ersten drei stellen Hauptkriterien dar, die weiteren sollen zusätzliche relevante Unterscheidungen beinhalten. Unter den drei Hauptkriterien ist das erste Kriterium des "illocutionary point" das wichtigste. Searles Sprechaktklassen werden im Grunde allein durch dieses Kriterium bestimmt. Doch was besagt es, wie ist es zu definieren? Hier wird sogleich die Crux von Searles Taxonomie offenbar: Er vermag keine generelle Definition seines "illocutionary point" zu geben, sondern verweist nur darauf, dass dieses Kriterium seiner "essential condition" von 1969 entspricht, und geht sogleich dazu über, es durch Beispiele zu erläutern. So wird - und dies ist nicht nur eine Crux seiner Taxonomie, sondern die Crux der ganzen Sprechakttheorie - nicht geklärt, was unter dem Phänomen Iliokution eigentlich zu verstehen sei (vgl. auch Weigand 1984b: 8). Nur auf der Ebene konkreter Sprechaktklassen wird der "illocutionary point" definiert. Auf diese Weise können jedoch die einzelnen Sprechaktklassen nicht aus dem generellen Phänomen Iliokution hergeleitet werden, sondern stellen intuitive Festsetzungen dar. Als nächstes Kriterium führt er das Kriterium "direction of fit" an, die Anpassungsrichtung zwischen Sprache und Welt, zweifellos ein fundamentales Kriterium, das mit der Iliokution in Beziehung steht, nach Searle vielleicht ein Kriterium, auf dem allein sich eine Taxonomie der Iliokution begründen ließe. Allerdings sei es ihm nicht möglich gewesen, das Kriterium der Anpassungsrichtung als alleinige Basis zu verwenden. Eine Begründung gibt er nicht; sie ist jedoch aus seiner Taxonomie zu entnehmen, wenn er darauf hinweist, dass es ihm nicht gelungen sei, Kommissive und Direktive, die sich hinsichtlich der Anpassungsrichtung nicht unterscheiden, zu einer Klasse zu assimilieren. Im Epilog zu seiner Sprechakttaxonomie (Searle 1990: 412) differenziert er daher die Anpassungsrichtung Welt zu Sprache in eine hörerbezogene Variante für Direktive und eine sprecherbezogene Variante für Kommissive. Mit dem dritten Hauptkriterium: "expressed psychological state", das der "sincerity condition" von 1969 entspricht, ist das Problem der "propositional attitudes" und ihres Verhältnisses zur Iliokution angesprochen. Vergleicht man in Searles Taxonomie die einzelnen Sprechaktklassen nach ihrer Charakterisierung hinsichtlich "illocutionary point" und "expressed psychological state", so ergibt sich, dass das Kriterium "expressed psychological state" offensichtlich fest mit der jeweiligen Iliokution korreliert und daher nur zusätzliche, charakterisierende, für die Taxonomie jedoch redundante Funktion hat. Die Sache, um die es geht, ist bereits durch den "illocutionary point" umschrieben; "expressed psychological state" kann nur paralleles Kriterium sein. Die weiteren neun Kriterien sind von Searle als weniger wichtige, aber offensichtlich für die Iliokution doch relevante Kriterien beschrieben. Hier nennt er als erstes das Kriterium der Stärke ("strength"), mit der der "illocutionary point" vorgebracht wird. Offenbar bezieht sich dieses Kriterium auf den Grad der Verpflichtung. Eine solche graduelle Einteilung kann keine fundamentalen, höchstens abgeleitete Illokutionsklassen oder Untermuster unter50
Ich kann Leechs Kritik nicht folgen, der auch in Searle (1975a) eine Sprechaktverbtaxonomie sieht (1983: 175ff.).
48 scheiden. Hier müssten jedoch konkrete Einteilungskriterien gegeben werden. Das Sprechaktverb insist, das Searle als Beispiel verwendet, bezeichnet eine Funktion, die sich aus der Position in der Sequenz ergibt und sich auf verschiedene Handlungsfunktionen beziehen kann. Ein weiteres Kriterium ist der Status von Sprecher und Hörer, ein situatives Kriterium, das er 1969 unter den "preparatory conditions" erfasst hat. Hier ist das Problem angesprochen, ob abgeleitete Illokutionsklassen bzw. Untermuster qua Situation konstituiert werden. Für Searle unterscheiden sich offenbar z.B. direktive Untertypen auf diese Weise. M.E. sind situative Stile hier nicht konstitutiv, nur begleitend. Es muss in diesen Fällen parallele illokutive Kriterien geben. Relevant sind situative Kriterien für eine pragmatische Stilistik, für die situativ-funktionale Unterscheidung von Äußerungsvarianten eines Sprechakts. Ein weiteres Kriterium des Typs der "preparatory condition" bringt Searle mit dem Interesse von Sprecher und Hörer, das z.B. bei Sprechakten der Gratulation und Kondolenz relevant werde. Auch die Relation zum Kontext wird aufgeführt. Hier haben wir explizit das Kriterium, das die Einzelhandlung in die Sequenz einordnet, jedoch ohne dass Searle theoretische Schlussfolgerungen daraus zieht. Searles Kriterium des "prepositional content" kann nur dann als illokutives Kriterium gelten, wenn man wie Searle Illokution als illokutiven Akt versteht, der auch die Proposition fasst. Das Kriterium, dass manche Handlungen auch ohne Sprache, also nicht als Sprechakte ausgeführt werden können, hat keine Relevanz für eine Sprechakttaxonomie. Institutionalität ist als situatives begleitendes Kriterium einzustufen, das zwar obligatorischer, aber nicht illokutiv-konstitutiver Gesichtspunkt sein kann. So wird Searles Klasse der Deklarative, die sich durch Institutionalität von den anderen Sprechaktklassen unterscheidet, durch dieses Kriterium zwar charakterisiert, jedoch nicht definiert. Deklarative, wie z.B. taufen, setzen eine Institution voraus, doch ist damit ihre Illokution nicht definiert.51 Die beiden letzten Kriterien schließlich weichen Searles Vorhaben einer Sprechakttaxonomie in Richtung Sprechaktverbtaxonomie auf. So ist das Kriterium der performativen Verwendbarkeit mancher Sprechaktverben ein Kriterium, das primär nicht für die Handlung, sondern für die Analyse des Sprechaktverbs relevant ist. Ebenso differenziert das Kriterium des Stils zunächst Sprechaktverben; Sprechakte kann es nur sekundär als zusätzliches Merkmal charakterisieren, nicht illokutiv modifizieren. Nur die ersten drei dieser zahlreichen Kriterien hängen direkt mit der Illokution zusammen. Dies spiegelt sich auch in der Korrelation mit der "essential" und "sincerity condition" von Sprechakten. Jedoch die Illokution selbst als generelles Phänomen, das Kriterium des "illocutionary point", ist nicht definiert. Für Searle bleibt das Konzept, auf dem seine Theorie begründet ist, die Illokution, ein Undefinierter, nur tautologisch als 'das, was bei der Lokution geschieht' aufgeschlüsselter Begriff. Daher muss auch die innere Logik seiner Taxonomie der Illokution unklar bleiben. Die einzelnen illokutiven Typen werden letztlich intuitiv aufgestellt. Die sekundären neun weiteren Kriterien stellen heterogene Punkte einer induktiven Liste dar, die offensichtlich aus dem Bestreben resultieren, nichts Relevantes auszulassen. Z.T. gehören sie zum Typ der "preparatory condition"; auch Unterschiede im propositionalen Gehalt werden erfasst. Einige Kriterien beziehen sich nicht auf die Illokution, sondern auf 51
Es besteht daher auch kein konstitutiver Grund fllr Fraser (1974), Bach/Harnish (1979) oder an dere, institutionelle Sprechakte aus der Taxonomie zunächst auszuschließen.
49 die sequenzabhängige Funktion perlokutiver und textstrukturierender Sprechakte (das Kriterium der Relation zum Kontext) sowie auf eine Analyse der Sprechaktverben (das Kriterium der performativen Verwendbarkeit und des Stils). Das Kriterium der nichtsprachlichen Realisierbarkeit der Handlung ist Uberflüssig. Bereits jetzt, bevor wir uns Searles Aufstellung von Sprechaktklassen zuwenden, lässt sich sagen, dass auch Searles Taxonomie nicht auf einem konsistenten deduktiven Prinzip beruhen kann, ein Kritikpunkt, den Searle gegenüber Austins Taxonomie anführt. Searle selbst bezeichnet sein Vorgehen als empirisch; die Deduktion aus der Natur des Geistes stehe noch aus (1979a: viii). Sie wird (1983) durch sein Buch über Intentionalität nachgeliefert. Doch ist hervorzuheben, dass Rationalität eine graduelle Sache ist und Searles Kriterienliste gegenüber anderen Versuchen einer Sprechakttaxonomie einen entscheidenden Schritt nach vorn darstellt. Sie bietet sich zur Diskussion an, fördert Diskussion und bereitet den Boden für neue Versuche, die rationales Durchdringen ein Stück weiter voranbringen. Welche Sprechaktklassen unterscheidet nun Searle nach diesen Kriterien? Er führt fünf Klassen an, deren "illocutionary point" er wie folgt umschreibt (1975a: 354ff.): -
-
Representatives: The point or purpose of the members of the representative class is to commit the speaker (in varying degrees) to something's being the case, to the truth of the expressed proposition. Directives: The illocutionary point of these consists in the fact that they are attempts (of varying degrees,... ) by the speaker to get the hearer to do something. Commissives: Commissives then are those illocutionary acts whose point is to commit the speaker (again in varying degrees) to some future course of action. Expressives: The illocutionary point of this class is to express the psychological state specified in the sincerity condition about a state of affairs specified in the propositional content. Declaratives: It is the defining characteristic of this class that the successful performance of one of its members brings about the correspondence between the propositional content and reality.
Diesen Klassen wird jeweils eine Handlungsbeschreibung gegeben, die als "illocutionary point" bezeichnet wird. Auf diese Weise wird der "illocutionary point" auf der Ebene konkreter Klassen charakterisiert, jedoch nicht generell definiert. Auch die Formeln, die für die einzelnen Klassen verwendet werden, decken das Problem des "illocutionary point" mit einem Symbol nur zu (z.B. für Direktive !). Zusätzlich kommen "direction of fit", "expressed psychological state" (z.B. für Direktive W = want) und "propositional content" hinzu, so dass sich z.B. für Direktive folgende Formel ergibt: \t W (H does A). Die Charakteristik des "illocutionary point" ist komplex und beinhaltet nicht nur einen Gesichtspunkt. So sind z.B. im "illocutionary point" der Repräsentative zumindest zwei heterogene Komponenten verknüpft: die Verpflichtung des Sprechers und die Wahrheit der ausgedrückten Proposition. Die Komponente der Verpflichtung verbindet Repräsentative und Kommissive; und die andere Komponente der Kommissive, die künftige Handlung, verbindet Kommissive mit Direktiven. Doch fundamental unterschieden sind Kommissive und Direktive durch einen Gesichtspunkt, den Searle nicht erkannt hat, die Sequenzabhängigkeit der meisten Kommissive , die deren Funktion als perlokutiv ausweist. Problematisch sind Searles Expressive. Die Heterogenität dieser Klasse fällt auf. Soll es hier um den Ausdruck von Gefühlen im Sinn von Bühlers Kundgabe gehen (1934/1982: 28), so böte sich an, diesen Typ als abgeleitete Illokution der Repräsentative zu behandeln, als Typ der Innenwelt kundgebenden Sprechakte, oder evtl. eine eigene fundamentale Klasse zu eröffnen.
50 Orientiert man sich dagegen an Searles expressiven Beispielen wie congratulate, condole etc., so wäre mit den Expressiven eine Klasse routinemäßiger Sprechakte des täglichen Umgangs geschaffen, die zu den Deklarativen gehört. Problematisch und hier nicht in Kürze zu diskutieren ist die Einordnung der Fragehandlungen unter die direktiven Sprechakte. Ich werde auf diese Kritik an Searles Illokutionstypen im Rahmen der Taxonomie noch einmal zurückkommen (Kap. II). Durch diese Bemerkungen ist jedenfalls deutlich geworden, dass Searles Kriterium des "illocutionary point" auseinanderzunehmen und zu klären ist. Vielleicht ergibt sich dann eine Korrespondenz mit dem Kriterium der Anpassungsrichtung, das allerdings kein genuin illokutives Kriterium, sondern allenfalls ontologisches Korrelat der Illokution sein kann. Auffallend an Searles Taxonomie (wie auch an allen anderen vorliegenden Taxonomien) ist die Form. Es wird keine Hierarchie von Sprechaktklassen entwickelt, sondern auf einer ersten und einzigen Ebene werden fünf Klassen entfaltet. Sicherlich ist dieses Vorgehen nicht optimal, da auf diese Weise keine Relationen zwischen den Klassen aufgezeigt und keine Unterklassen unterschieden werden. Fragen, die an eine Taxonomie zu stellen sind, z.B. nach Vollständigkeit und Homogenität, können nicht beantwortet werden, da der Gegenstand der Taxonomie, die Illokution, nicht definiert ist. Es bleibt eine bloße Liste induktiv und intuitiv gesetzter Sprechaktklassen. Ein zentraler Mangel, der mit der fehlenden Definition der Illokution zusammenhängt, ist die Gleichsetzung von Sprechakt und Illokution. Dadurch wird es nicht möglich, zu homogenen Klassen zu gelangen. Nach so massiver Kritik könnte der Eindruck entstehen, als hielte ich Searles Taxonomie für nicht brauchbar. Deshalb will ich noch einmal betonen, dass Searle versucht hat, eine Taxonomie auf rationalen Kriterien zu begründen. Erreicht wurde eine Taxonomie, mit der man arbeiten kann, wenn man sich der Schwächen bewusst ist.52 1985 hat Searle zusammen mit Vanderveken im Rahmen einer Formalisierung der Sprechakttheorie versucht, seine Sprechakttaxonomie von 1975 zu differenzieren. Dies geschieht über die sog. Konstruierbarkeitshypothese, mit deren Hilfe auf formale Weise durch Operationen des Hinzufügens bzw. Einschränkens von Bedingungen aus den fünf fundamentalen Sprechaktklassen von 1975 weitere Sprechaktklassen rekursiv abgeleitet werden. Damit wird zwar der Nachteil einer bloßen Liste von Sprechaktklassen z.T. behoben, aber
52
Ballmers Kritik an Searle, dem sich Harras (1983: 208ff.) anschließt, kann ich nicht generell zustimmen (Ballmer 1979). Ich will hier nur auf einige entscheidende Punkte eingehen. M.E. verkennt Ballmer die Intention von Searles Taxonomie, erste grobe Einteilungen im Bereich sprachlicher Handlungen zu geben. Searle geht es nicht um eine Klassifizierung empirischer Einheiten, sondern um eine Taxonomie funktionaler Einheiten (zu den Begriffen "Klassifizierung" und "Taxonomie" s.u. II 1.1.). Dabei darf man keineswegs wie Ballmer und Harras Searles Kriterien als untereinander gleichberechtigte Merkmale ansehen und daraus folgern, dass sie Sprechakttypen nicht differenzieren könnten, da sie als Menge für einen Sprechakttyp nicht delimitierend seien. Searles Kriterien haben unterschiedlichen Status, der bei der Konstituierung der Sprechakttypen zu berücksichtigen ist. Bei dem Einwand bezüglich des propositionalen Gehalts könnte man glauben, dass Ballmer (S. 263) und Harras (S. 211) von einer SprechaktaufFassung ausgehen, die nur explizit performative Wendungen kennt. Man muss differenzieren, ob sagen sich auf die Lokution oder Illokution bezieht. Der Vorschlag zur Umformulierung von Searles Illokutionstypen schließlich (Ballmer S. 249ff., Harras S. 209) läuft darauf hinaus, dass anstelle der Illokution die Perlokution im herkömmlichen Sinn angegeben wird (s. dazu u. II 3.4.).
51
im Prinzip stellt die Taxonomie von 1985 nur eine modifizierte Form der Taxonomie von 1975 dar. Die Grundannahmen bleiben im wesentlichen unverändert (vgl. auch Rolf 1986). Vanderveken (1994) nimmt Prinzipien von Searle/Vanderveken (1985) wieder auf und präsentiert sie als 'neue Logik illokutiver Akte'. Anstatt die Grenzen orthodoxer und formaler Modelle anzuerkennen, glaubt er, sie überwinden zu können, indem er gleich zu Beginn seinen Ansatz rechtfertigt mit der Hypothese, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen formalen und natürlichen Sprachen gebe. Hypothesen dieser Art können nur aufgestellt werden von einem Logiker, der sich noch nie Gedanken über das Phänomen natürlicher Sprachen und deren Komplexität gemacht hat. Hancher (1979) setzt mit seiner Klassifikation kooperativer illokutiver Akte an einem Punkt bei Searle an, der sicher der Kritik bedarf. Er erkennt, dass Searle komplexe Sprechakte, die eine Interaktion zwischen Sprecher und Hörer bedingen, einseitig unter der Sprecherperspektive beschreibt, wie z.B. offer, bet. Doch auch Hanchers vermeintlichem Verbesserungsvorschlag gelingt es nicht, diesen Typ komplexer Sprechakte adäquat, nämlich als Sprechaktsequenzen zu beschreiben. Er schlägt statt dessen kooperative Sprechakttypen vor, die verschiedene Illokutionen (von Sprecher und Hörer) kombinieren. So gehört offer für ihn zu einem Typ "commissive directive", bet zu einem Typ "cooperative commissive". Damit werden Sequenzen fälschlich wiederum als ein Akt betrachtet und das Sequenzproblem nicht vorangebracht. Neben Searle sind nur wenige Sprechakttaxonomien nach funktionalen Kriterien aufgestellt worden. Unmittelbar auf Searle baut Hindelang (1978b) auf. Er übernimmt im wesentlichen Searles Kriterien, kommt jedoch u.a. aufgrund seines Begriffs der Elementarität eines Sprechakts zu einer modifizierten Einteilung. Die Beschränkung der Taxonomie auf sog. elementare Sprechakte führt zum Ausschluss sequenzabhängiger und institutioneller Sprechakte; sequenzabhängige Sprechakte machen bei Searle keine eigene Klasse aus, institutionelle sind die Deklarative. Die vier verbleibenden Searle'schen Sprechaktklassen erweitert Hindelang auf sechs, indem er aus den Direktiven die Fragehandlungen und aus den Repräsentativen die Bewertungen herausnimmt. Im Unterschied zu seinen Aussagen (Repräsentativen), die nach wahr/falsch zu beurteilen seien, orientierten sich Bewertungen nach einer Norm. Wie ich bereits dargelegt habe, darf man bei einer konsequent pragmatischen Sprachauffassung die Unterscheidung wahr/falsch nicht absolut nehmen, sondern muss in ihr wie im Normbegriff eine Annahme des Sprechers sehen. Doch auch Äußerungen, die sich an einer Norm orientieren, unterliegen dem Wahrheitsanspruch. Wunderlich (1976a: 75ff.) und (1976b) versucht eine semantisch-logische Charakterisierung von Sprechakttypen unter Einschluss sequenzabhängiger Sprechakte. Der Gesichtspunkt der Sequenzabhängigkeit wird durch das Kriterium initiativ versus reaktiv berücksichtigt. Die Sprechakttypen werden nicht deduktiv abgeleitet, sondern als induktive Liste intuitiv gesetzt. Kriterium der Unterscheidung ist für ihn die Handlungsbedingung. Sprechakte fuhren Handlungsbedingungen ein, erfüllen sie oder löschen sie. Doch lässt sich mit diesem Kriterium keine differenzierte Taxonomie erstellen. So kommt es, dass einzelne Sprechakte mehreren Typen zugleich zuzuordnen sind, was man nicht wie Wunderlich mit dem Stichwort "komplexer Sprechakt" rechtfertigen kann. Durch das Nebeneinander sequenzabhängiger und nicht sequenzabhängiger Sprechakte ergibt sich eine Liste heterogener Typen. Auch Wunderlich gibt keine Definition der Illokution; vielleicht soll die Bemerkung "Die illokutive Kraft ist etwas, das neue Interaktionsbedingungen (...) einführt..." ein An-
52 satz zu einer Definition sein (1976a: 57). Wunderlich ist mit seiner Taxonomie offenbar selbst nicht zufrieden und sieht als Ausweg die empirische Lösung (1976b: 462; auch 1981a: 117). Auch Bach/Harnish (1979) legen eine Taxonomie nach funktionalen Kriterien vor. Hier wird der Sprechakt definiert als Akt, der eine "attitude" ausdrückt. "Attitudes" sind Intentionen, Glauben, Gefühle. Kommunikation verstehen Bach/Hamish im Unterschied zur orthodoxen Sprechakttheorie nicht als konventionellen Prozess, sondern als Schlussfolgerungsprozess. Dementsprechend charakterisieren sie ihren Ansatz als "intention-and-inference-approach". Wie bei Hindelang werden institutionelle Sprechakte abgetrennt, hier mit der Begründung, dass institutionelle Sprechakte nichtkommunikative, konventionelle Sprechakte seien (im wesentlichen Searles Deklarative). Die kommunikativen illokutiven Akte werden nach dem Kriterium der "expressed attitude" unterteilt, wobei sich vier Klassen ergeben, die mit Searles Sprechaktklassen korrelieren. Der Gesichtspunkt der Sequenzabhängigkeit wird nicht eigens berücksichtigt. Unterklassen werden additiv, z.T. in Form von performativen Verben aufgelistet. Hinzuweisen wäre z.B. noch auf Stiles (1981) und van der Auwera (1980), auf die Verschueren in seiner Sammelbesprechung (1983) eingeht. Van der Auwera repräsentiert dabei in extremer Weise die "lumper"-Position, indem er nach dem Kriterium des ausgedrückten psychischen Zustands nur drei Basissprechakttypen unterscheiden möchte, die den syntaktischen Formen des Aussage-, Frage- und Aufforderungs- (einschließlich Wunsch-)satzes entsprechen. Ein generelles Klassifikationsschema 'metapragmatischer Kategorien' stellt Kreckel (1981: 187) auf, mit Klassifikationsprinzipien wie 'Zeit' und 'Kommunikationsteilnehmer'. Eine Differenzierung der kommunikativen Funktion nach fünf Grundfunktionen findet sich auch bei Jachnow (1981: 17f.). Einen Vorschlag sui generis zu einer "systematischen Grobklassifizierung von Sprachhandlungstypen" macht von Polenz (1985), "bei der nach Vorbild der Prädikatenlogik, Valenz- und Tiefenkasustheorie Zahl und Art der in einem Handlungstyp enthaltenen Bezugsstellen und die Arten der eingebetteten Propositionen/Prädikationen berücksichtigt werden" (S. 206). Auch in den letzten zehn Jahren sind weitere Versuche einer Sprechakttaxonomie vorgelegt worden, die jedoch die Forschung nicht vorangebracht haben. So hat z.B. Ulkan (1992) eine "grundlagentheoretische Studie" zur "Klassifikation von Sprechakten" vorgelegt, die jedoch eher einen Rückschritt als einen Fortschritt darstellt, indem sie wesentliche Unterscheidungen der orthodoxen Sprechakttheorie im Rahmen einer "kommunikationstheoretischen Entsprechung" nach Meggle (1981) wieder rückgängig machen will. In gleicher Weise enttäuscht Tsohatzidis (1994) die Erwartungen, die man an ein Buch mit dem Titel "Foundations of speech act theory" stellt (vgl. Weigand 1996b). Die Sprechakttheorie wird auf eine Theorie der Satzbedeutung reduziert und degeneriert zu einer Form von "l'art pour l'art". Das grundlegende Problem einer funktionalen Sprechakttaxonomie wird nicht als solches anerkannt; statt dessen wird versucht, Typen von Sprechakten anhand von Ausdruckskriterien (Satztypen und Sprechaktverben) zu unterscheiden (s. I 2.2.1.). Auch die Aufsätze in Vanderveken/Kubo (2002) sind im Grunde nicht über den Stand früherer Veröffentlichungen hinausgekommen (z.B. Searle/Vanderveken 1985 oder Vanderveken 1990/ 1991). Verhindert haben einen Fortschritt vor allem Thesen derart, dass es zwischen natürlichen und formalen Sprachen keine wesentlichen theoretischen Unterschiede gebe (so Vanderveken/Kubo 2002: 10). Bei solchen Ausgangsthesen ist es nicht verwunderlich, dass diese Form der Sprechakttheorie wieder zum logischen Zweig der Sprachphilosophie zu-
53 rückkehrt, sich mit Sätzen und Wahrheitstheorien befasst und für die Beschreibung des Sprachgebrauchs ohne Relevanz bleibt.
2.2.2.3. Dialogisch orientierte Sprechakttaxonomien Stati entwickelt schon früh in seinem Buch "Il dialogo" (1982) Gedanken zum Dialog und zu den Handlungsfunktionen auf einer dezidiert dialogischen Basis (vgl. auch Stati 1990). Er geht wie ich von einer generellen Dialogizität des Sprachgebrauchs aus, wonach jede Äußerung auf einen Partner gerichtet ist. In Anlehnung an Searle entwickelt er dann eine Sprechakttypologie mit Klassen wie Direktive, Fragehandlungen, Assertive etc., wobei er jedoch mit dem Partnerbezug über Searle hinausgeht und systematisch mögliche reaktive Sprechakte einbezieht. Materialgrundlage sind vorwiegend literarische Dialogtexte aus Komödien. Wie in der klassischen Dialoggrammatik bezieht sich die Beschreibung ausschließlich auf sprachliche Mittel in regelhafter Verwendung. Sofern sich kommunikative Intentionen nicht sprachlich manifestieren, also z.B. durch kognitive Mittel wie Schlussfolgerungen ausgedrückt werden, oder nicht durch Regeln bzw. Konventionen beschreibbar sind, bleiben sie unberücksichtigt. Im Verlauf des letzten Jahrzehnts sind vereinzelt Sprechakttaxonomien entwickelt worden, die den Gesichtspunkt der Dialogizität sprachlichen Handelns einbeziehen. Searle selbst ist sich der Fragestellung des Zusammenhangs der Sprechakte in der Sequenz bewusst, gelangt aber nicht zu einer zufriedenstellenden Beschreibung, da er sich zu sehr an seiner regelhaften Beschreibung der Einzelsprechakte orientiert und dann notgedrungen feststellen muss, dass "conversation" nicht dieser Regelbeschreibung folgt (vgl. Searle 1992). Nicht nachvollziehbar ist die Schlussfolgerung, dass "conversation" keinen kommunikativen Zweck habe, da die Beispiele, die er anführt, durchaus deutliche kommunikative Zwecke verfolgen. Offenbar unterscheidet er nicht klar zwischen "conversation" und "small talk" und ordnet "small talk" aufgrund wechselnder Themen keinen Zweck zu. Auch ist er nicht bereit, eine generelle Dialogizität der Sprachverwendung anzuerkennen. So gebe es zwar einige "adjacency pairs" wie Frage/Antwort, Gruß/Gegengruß, die aufeinander bezogen seien, assertive Sprechakte jedoch beschränkten nicht den Folgesprechakt. Sein Versuch, "conversation" als "collective behaviour" zu fassen, ist zwar ein erster Schritt in die richtige Richtung, dem sich auch Vanderveken/Kubo (2002: 14) anschließen, aber keineswegs ausreichend, da mit "collective behaviour" noch nicht das spezifisch Dialogische erfasst ist (vgl. Weigand 1995a). Eine im Ansatz interaktionale Taxonomie gibt Rosengren (1979a), da sie den Empfänger miteinbezieht. Ihre Sprechakttypen entsprechen jedoch zum großen Teil Searles Klassen, wenn sie auch mit anderen Namen und anderer Charakteristik versehen sind. Im einzelnen bringt Rosengren manch interessante Beobachtung. Auch sie betont, dass man von Faktoren ausgehen müsse, die die Bedeutung des Sprechakts determinieren. Dabei charakterisiert sie ihre Typen z.T. unter Bezug auf propositionale Einstellungen; generell spielen propositionale Einstellungen bei ihr eine große Rolle, die m.E. nicht begründet ist. Ihrer Unterscheidung von Sprechakten und zum Ausdruck gebrachten propositionalen Einstellungen kann ich nicht folgen (S. 189 u. 202ff.; vgl. o. 11.2.). Wie Katz hält sich auch Rosengren weiterhin an die Unterscheidung performativ/konstativ. Da auch ihre Taxonomie von keiner generellen Definition der Illokution ausgeht, bleibt sie letztlich wie die anderen Taxono-
54 mieversuche eine relativ beliebige Zusammenstellung und Charakterisierung von Sprechakten. Mötsch (1994) versucht Illokutionstypen in Anlehnung an Grice (1969, 1975) und Meggle (1981) zu unterscheiden und betont in Absetzung zu Rosengren (1992) zu Recht, dass Illokutionen nicht über sprachliche Kategorien wie Satzmodus determiniert sind. In die Beschreibung der Illokutionstypen gehen Annahmen über intentionale Zustände des Hörers ein. Dabei geht Mötsch jedoch von einer "idealtypischen Beschreibung aus, die durch rationales Verhalten der Partner geprägt ist", und ist sich bewusst, dass damit nicht "die je besonderen Aktivitäten von individuellen Sprechern und Hörern in konkreten Situationen" beschrieben werden (S. 5). Die linguistische Relevanz der Typologie bleibt daher fragwürdig; auch kann das Hypothetische der Konstruktion nicht empirisch verifiziert werden. Ein deutlich dialogisch-interaktionales Handlungskonzept liegt Sbisàs Sprechakttaxonomie zugrunde (1989), die als Kombination eines philosophischen mit einem semiotischen Ansatz zu charakterisieren ist. Sbisà kehrt zu Austins Position zurück, wonach die Rezeption ("uptake") durch den Kommunikationspartner Bestandteil der Sprechaktbeschreibung sei. Sie übernimmt im wesentlichen Austins Klassen und beschreibt sie mit modal-deontischen Prädikaten, wie sie sie in Greimas' narrativ-semiotischem Modell findet. Dabei unterscheidet sie initiative und reaktive Sprechakte, ohne jedoch die Schlussfolgerung zu ziehen, dass damit zwei funktional unterschiedliche Basishandlungen anzunehmen sind. Den Schwierigkeiten der Beschreibung, mit denen sie sich konfrontiert sieht, weicht sie aus, indem sie den Anspruch ihrer Taxonomie zurücknimmt und ihr nur eingeschränkte Relevanz zugesteht (vgl. Weigand 1993c). Clarks Buch "Using language" (1996) hat das Ziel, Prinzipien für den Sprachgebrauch als 'gemeinsamer Handlung' ("joint action") aufzustellen (S. 4). Es enthält durchaus interessante Aspekte, kann aber die Vielfalt der einzelnen Aspekte nicht in ein stimmiges Gesamtmodell einfügen. Einerseits wird betont, dass wir Menschen als Individuen handeln, andererseits wird Sprachgebrauch immer wieder mit dem Schachspiel verglichen, das beiden Seiten im Prinzip die gleichen Möglichkeiten zugesteht. Auch Clark nimmt komplexe kommunikative Einheiten an, die er "ensembles" nennt und die unseren Handlungsspielen entsprechen. Wesentlich ist bei ihm, dass es im Sprachgebrauch um "accumulation of common ground" (S. 43) gehe; Kommunikation habe das Ziel, "to make a piece of information common, to add it to the common ground" (S. 153). Mit dem "common ground" rückt der kognitive Bereich, das Wissen, in den Vordergrund. Sprechakte vermehren gemeinsames Wissen, "increment common ground" (S. 39). Handeln wird so letztlich immer auf Wissen, auf Information, auf Verstehen gegründet, nicht eigentlich auf Aktion und Reaktion und Verständigung. Die Beschreibung besteht in der Auflistung einzelner, auch heterogener Faktoren, nicht auf einer Strukturerfassung, da ein Schlüssel, der Zugang sein und die einzelnen Teilchen zu einem Mosaik zusammenfügen könnte, fehlt. Das dialogische Moment beruht im wesentlichen auf der Annahme, dass kommunikative Akte gemeinsame Akte sind: "communicative acts are joint acts" (S. 153) und illokutive Akte Teile gemeinsamer Handlungen, "parts of joint actions", wobei sich auch Clark auf Austin beruft. Solange "joint action" jedoch nicht aufgeschlüsselt wird und der initiative und reaktive Sprechakt nicht als unterschiedliche, jedoch funktional aufeinander bezogene Handlungen verstanden werden, bleibt der Begriff, ähnlich wie Searles Begriff des "collective behaviour" leer und analytisch wenig hilfreich.
55 Auch Moeschier (2002) versucht, die Sprechakttheorie und die Konversationsanalyse zusammenzubringen. Allerdings liegt hier die crux bereits im ersten entscheidenden Schritt. Es kann nicht darum gehen, die Sprechakttheorie in ihrer bestehenden Form in eine Diskurstheorie einzubetten. Die orthodoxe Sprechakttheorie muss verändert werden, muss zu einer dialogischen Sprechakttheorie werden, anderenfalls bleibt bereits der Ausgangspunkt, die Basis der Beschreibung inkonsistent. "Grade kotextueller Angemessenheit" (S. 247) können die dialogische Sequenzierung nicht erklären, solange das grundlegende dialogische Prinzip aus Aktion und Reaktion nicht erkannt ist. Richtig ist, dass ein Unterschied zu machen ist zwischen initiativen und reaktiven Sprechakten, den die orthodoxe Sprechakttheorie nicht berücksichtigt. Doch berücksichtigt auch Moeschier nicht, dass dieser Unterschied zu einer funktionalen Veränderung der Sprechaktbeschreibung führen müsste und nicht nur additiv einbezogen werden darf. Vergleichbar mit Moeschier geht auch van Rees (1992) vor, wenn sie - van Eemeren/Grootendorst (1984) folgend - vorschlägt, neben dem kommunikativen Akt additiv einen interaktionalen Akt einzuführen. Geis' Buch über "Speech acts and conversational interaction" (1995) verspricht vom Titel her eine dialogische Orientierung, beginnt auch mit dem Anspruch, 'eine neue Theorie der Sprechakte aufzustellen' (S. xi), die in eine 'generelle Theorie der Gesprächskompetenz' einzubetten sei. Sehr schnell wird jedoch klar, dass diese neue "Theorie" der Sprechakte nichts anderes ist als ein Mix bestehender heterogener Ansätze. Man wundert sich, wie bedenkenlos völlig unterschiedliche Ansätze, darunter Konversationsanalyse und künstliche Intelligenz, miteinander kombiniert werden und wie leichtfertig ständig von "Theorien" die Rede ist. Vorgeschlagen wird eine 'dynamische Sprechakttheorie', wobei die Mischung heterogener Ansätze als 'Synthese' ausgegeben wird (S. xi). 'Konversation' wird auf Verstehen und nicht auf Aktion und Reaktion begründet ("produce and understand utterances", S. xi). Eine signifikante Abkehr von der Sprechakttheorie wird darin gesehen, dass zwischen linguistischen und sozialen Handlungen unterschieden wird. Einerseits sollen natürliche konversationeile Sequenzen Gegenstand der Untersuchung sein, andererseits soll die Beschreibung explizit sein. So wenig wie linguistische Sprechakte von sozialen zu trennen sind, so wenig ist natürlicher Sprachgebrauch explizit zu beschreiben, selbst wenn Geis eine weitere "Theorie", die "Discourse Representation Theory", als Garant für derartige Annahmen bemüht (S. xiii). Ein Ansatz ist noch zu erwähnen und zugleich hervorzuheben, da er in seinen Grundannahmen mit meinem eigenen theoretischen Vorgehen in gewisser Weise vergleichbar ist. Ich meine Habermas' universalpragmatischen Ansatz (1981.1: 369ff.), selbst wenn er aufgrund eines eher philosophisch-soziologischen, weniger linguistischen Kontextes und Interesses zu einer ganz anderen Beschreibung und Einteilung der Sprechakttypen gelangt (vgl. auch 1976 u. 1971b). Habermas begründet wie ich die Illokution auf dem Geltungsanspruch des Sprechers, unterscheidet jedoch die Ansprüche der Wahrheit (im Sinn einer absoluten Wahrheit), Richtigkeit und Wahrhaftigkeit und baut auf diesen Ansprüchen seine Klassifizierung der Sprechakttypen auf (S. 439). In einem späteren Aufsatz vertritt er in expliziter Auseinandersetzung mit Searles intentionaler Sprechakttheorie den Ansatz einer interaktiven Sprechakttheorie (Habermas 1991, Weigand 1995a). Zusammenfassend ist auch mehr als zehn Jahre nach dem Erscheinen der Erstauflage zum Forschungsstand in der Sprechakttheorie zu sagen, was ich bereits zu Beginn dieses Kapitels erwähnte: Auseinandersetzen muss man sich vor allem mit Searles Taxonomie, da sie
56 erklärende Kriterien bereithält, wenngleich diese keine konsistente und schon gar keine dialogische Systematisierung erlauben. Deutlich wurde, dass das Problem einer Sprechakttaxonomie zum Problem der Kriterien wird, die sprachliches Handeln systematisieren können. Diese Kriterien sind aus einer Definition der kommunikativen Funktion von Sprache abzuleiten. Homogenität der Taxonomie ist nur zu erreichen, wenn man erkennt, dass Sprechakt und Illokution nicht gleichgesetzt werden dürfen, sondern sequenzabhängige Sprechakte eine funktionale Unterscheidung der generellen kommunikativen Funktion bedingen. Auch muss man dazu kommen, die Taxonomie nicht nur als Liste von Sprechaktklassen, sondern als Hierarchie aufzubauen. Ich bin bisher nur auf Taxonomien eingegangen, die fundamentale Sprechaktklassen unterscheiden. Damit wurde das Problem der Subklassen nur am Rande diskutiert. Dieses Problem hängt u.a. mit der Frage nach der Relevanz situativer Kriterien zusammen. Ich werde auf Literatur, die einzelne fundamentale Sprechaktklassen nach Subklassen aufteilt, in meiner Taxonomie im zweiten Kapitel eingehen (II 3. und 4.).
3. Das Problem der Zuordnung von Grammatik und Pragmatik oder das Problem einer kommunikativen Grammatik
3.1. Problemstellung Diese Arbeit hat ein zweifaches Ziel: Zunächst soll sprachliche Kommunikation universell auf einer Sprechakttaxonomie begründet werden. Sodann soll diese Sprechakttaxonomie Grundlage für eine kommunikativ-dialogische Grammatik des Deutschen sein. Dieses zweite Problem, die Erstellung einer kommunikativen Grammatik einer Einzelsprache, ist im wesentlichen ein Problem der Zuordnung und ein genuin linguistisches Problem, handelt es sich doch um die einzelsprachliche Beschreibung von Sprechakten als Einheiten der Zuordnung von Äußerungsmenge und kommunikativer Funktion. Eine kommunikative Grammatik ist daher eine Äußerungsgrammatik. Geht man wie diese Arbeit von einem natürlichen Sprachbegriff, von Sprache in der Verwendung, aus, so kann Zuordnung nur den Komplex der Zuordnung situativer Äußerungen zu funktionalen Strukturen meinen, wie er in der Formel des Handlungsprinzips festgehalten ist (s.o. Fig. 5 und 6): F(p) < — { Ä u ß e r u n g e n }
Wie bereits in I 1.3. ausgeführt, sind es vor allem zwei Gesichtspunkte, die die Zuordnung kompliziert gestalten: zum einen die Integration verschiedener kommunikativer Mittel, die hinter dem Terminus Äußerung steht, und zum andern, daraus folgend, die prinzipielle Offenheit der Zuordnung. Eine kommunikative Grammatik kann daher keinen festen Code der Zuordnung, sondern lediglich gewisse Erwartbarkeiten beinhalten, "soweit die Konventionen tragen". Einen Code der Zuordnung von sprachlichen Mitteln bzw. Äußerungsformen und kommunikativen Funktionen kann es nicht geben, da wir nicht mit sprachlichen Mitteln allein handeln. Dennoch richtet eine kommunikative Grammatik ihren Blick schwerpunktmäßig auf sprachliche Strukturen, die bis zu einem gewissen Grad konventionell für be-
57 stimmte Handlungsfunktionen verwendet werden können. Hinter der Einschränkung steht der Vorbehalt, dass Konventionen keine absolute Gültigkeit haben. Als methodische Techniken werden sie von Menschen verwendet, die versuchen mit ihnen die Komplexität des kommunikativen Geschehens zu strukturieren und intersubjektiv verfügbar zu machen. Wie bereits hervorgehoben, weiß in problematischen Fällen letztlich der Sprecher allein, was er mit seiner Äußerung meinte. Das Problem einer kommunikativen Grammatik wird in der Literatur in der Regel unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses von Semantik und Pragmatik diskutiert (vgl. I 3.2.). Für eine Theorie des Sprachgebrauchs kann es wie bereits erwähnt keine Trennung von Semantik und Pragmatik geben. Es gibt in der Sprachverwendung nur eine Bedeutung, die pragmatische. Die Semantik hat nur Hilfsfìinktion bei der Zuordnung von Äußerung und pragmatischer Bedeutung. Die (pragmatische) Bedeutung einer Äußerung umfasst illokutive bzw. perlokutive und propositionale Bedeutung. Im Unterschied zur Handlungsfunktion von Illokution und Perlokution könnte man die propositionale Bedeutung als semantisch charakterisieren. In der Sprachverwendung ist jedoch auch die propositionale Bedeutung Teil der pragmatischen Bedeutung von Äußerungen, dominiert von der Handlungsfunktion. Aufgrund der Interdependenz von kommunikativer Funktion und Proposition kann es nicht sinnvoll sein, hier eine Semantik der Proposition isolieren zu wollen. Es gibt keine grammatische Beschreibung, die von pragmatischen Faktoren beeinflusst wird, und daher auch keine Pragmatik in der Grammatik, sondern nur eine pragmatische Grammatik. Sätze werden nicht in der Situation zu Äußerungen. Äußerungen sind ein anderer Gegenstand. Eine Äußerungsgrammatik konstituiert sich daher nicht unter Bezug auf eine abstrakte Satzgrammatik. Die Zuordnung der funktionalen Strukturen zu Strukturen situativer Äußerungen ist im wesentlichen ein Problem der Zuordnungstypen. Zunächst ist jedoch nach den beiden Sprechakttypen des illokutiven und perlokijtiven Typs zu unterscheiden, die auf das dialogische Prinzip jeder Sprachverwendung zurückzuführen sind. Die Zuordnung von sequenzabhängiger Äußerung und perlokutiver Funktion setzt die Kenntnis der vorausgehenden Äußerung voraus und ist auf der Grundlage der Interdependenz von Illokution und Perlokution zweier aufeinanderfolgender Sprechakte zu erklären. Bei aller Verschiedenheit wird sich dennoch zeigen, dass die Zuordnung in beiden Sprechakttypen im Prinzip parallel verläuft. Die Frage der Zuordnungstypen wird in der Literatur unter den Stichworten "direkter versus indirekter Sprechakt" diskutiert. Hinzu kommt ein dritter Zuordnungstyp, der idiomatische. Auf diesen drei Zuordnungstypen ist eine Theorie der Zuordnung zu begründen, die im Kern vermutlich universell ist (vgl. Weigand 1991b). Unter der Voraussetzung der prinzipiellen Offenheit der Zuordnung sind fiir illokutive Akte sprachliche Konventionen und - im sog. indirekten Sprechakt - allgemeine Schlussfolgerungen maßgeblich. In perlokutiven Sprechakten spielt das formale Mittel der Sequenzabhängigkeit eine entscheidende Rolle. Sofern die perlokutive Funktion nicht explizit performativ ausgedrückt ist, stellt der perlokutive Sprechakt, wenn man von der Sequenzabhängigkeit abstrahiert, zunächst auch einen Sprechakt mit illokutiver Funktion dar (s.o. Beispiel 1). Aufgrund der Sequenzabhängigkeit wird ihm z.T. über Schlussfolgerungen eine perlokutive Funktion zugewiesen. Für die Zuordnung ist also keine Ebenentheorie maßgeblich, die von einer Trennung grammatischer und pragmatischer Bedeutung ausginge, sondern die generelle Erkenntnis der analytischen Sprachphilosophie, dass die Bedeutung sprachlicher Äußerungen sich im Gebrauch zeige. Dementsprechend besteht z.B. die Be-
58 deutung eines Imperativs darin, dass entsprechende Äußerungen als direktive Sprechakte verwendet werden können, oder die Bedeutung der Kategorie Futur bei Sequenzabhängigkeit besteht u.a. darin, dass mit ihr Handlungszusagen realisiert werden können (vgl. Beispiel 1). Die Bedeutung einzelner Ausdrücke ist ihr Beitrag, den sie zur Bedeutung der Äußerung leisten. Dieses Problem der Bedeutung einzelner Ausdrücke interessiert uns als Frage nach "illocutionary force indicating devices" oder Sprechaktindikatoren, der jedoch erst nachgegangen werden kann, wenn man auf der Basis einer allgemeinen Sprechakttaxonomie die kommunikative Grammatik einer Einzelsprache nach Zuordnungstypen strukturiert hat. In diesem Zusammenhang ist dann die prinzipielle Frage zu stellen, inwieweit sich die kommunikative Funktion an einzelnen sprachlichen Mitteln festmachen lässt. Zwar unterscheiden sich die Ausdrücke einer Einzelsprache offensichtlich hinsichtlich ihres Mitwirkens am Ausdruck der kommunikativen Funktion; doch im Einzelfall ist es nicht immer leicht, in einer Äußerung Ausdrücke zu isolieren, die die kommunikative Funktion bezeichneten. Kann es überhaupt sinnvoll sein, eine ausdrucksbezogene Systematik von Sprechaktindikatoren erstellen zu wollen? Diese Frage steht im Zusammenhang mit einer anderen Frage, die für mich vor zehn Jahren ganz entscheidend war, nämlich der Frage, ob sich für die Äußerungsmenge, mit der ein Sprechakt in einer Einzelsprache realisiert werden kann, ein grammatischer Nenner finden lässt, ob somit die Einheit des Sprechakts auch grammatisch zu definieren ist. Während ich in der Erstauflage davon ausging, dass die Menge der Äußerungsvarianten begrenzt und somit der Sprechakt auch grammatisch definierbar sei (vgl. Weigand 1984a), steht diese Frage heute nicht mehr zur Diskussion, da sie durch die prinzipielle Offenheit der Zuordnung gegenstandslos geworden ist. Auch auf eine andere in der Literatur vieldiskutierte Zuordnungsfrage wird in Kapitel III eingegangen werden, die Frage der Ambiguität der kommunikativen Funktion. Bereits hier soll jedoch ein damit zusammenhängendes Scheinproblem ausgeräumt werden. Bisweilen wird der Sprechakttheorie auch heute noch von Linguisten Skepsis entgegengebracht, die sich an den Vorwurf knüpft, die Linguistik drohe sich im Rahmen einer linguistischen Sprechakttheorie zu einer Humanwissenschaft auszuweiten, die Grenze, was noch bzw. was nicht mehr linguistisch relevant sei, werde verwischt. Dieser Vorwurf gründet sich im Zusammenhang vermeintlicher Ambiguität der kommunikativen Funktion darauf, dass mit einer Äußerung unterschiedliche Intentionen gleichzeitig ins Spiel gebracht werden könnten, ein Phänomen, das durch die "indem-Relation"53 beliebig fortsetzbar sei. Ein Sprecher stellt z.B. eine Frage mit der illokutiven Funktion, Wissen zu erlangen. Indem er diese Frage stellt, will er zugleich zeigen, dass er sich in der Materie auskennt. Indem er sich als sachkundig zeigt, will er zugleich auf sich aufmerksam machen und sich Vorteile bei einer Bewerbung verschaffen etc. Wo sei hier die Grenze zu ziehen, fragt man, zwischen linguistischen und humanwissenschaftlich relevanten Intentionen? Diese Frage ist klar zu beantworten, indem man den großen Bereich möglicher Intentionen nach sprechakttheoretisch relevanten und anderen Intentionen unterteilt. Welche Intentionen sprechakttheoretisch relevant sind, wird in einer Sprechakttaxonomie festgelegt. Allerdings gehören auch die anderen Intentionen nach meiner heutigen Auffassung zu dem komplexen Geschehen im
53
Zur "indem-Relation" vgl. Heringer (1974: 43ff.). Der Begriff der Intention wird hier offenbar mit kommunikativer Funktion gleichgesetzt.
59 Handlungspiel, weshalb wir in der Tat uns von einem engen Konzept der Disziplin Linguistik verabschieden sollten (vgl. Weigand demn.b). Seit Erscheinen der Erstauflage hat sich die linguistische Methodologie in der Frage der Material- oder Beispielgewinnung wesentlich verändert. Während es vor zehn Jahren noch selbstverständliche Praxis war, auch im Bereich der Pragmatik, also für den Sprachgebrauch, simulierte Beispiele zu verwenden, bedarf es heute einer Begründung, denn nicht nur der ideale Sprecher, auch die Introspektion des "native speaker" ist fragwürdig geworden. Nicht mehr die kommunikative Kompetenz des muttersprachlichen Sprechers entscheidet über sprachliche Konventionen, sondern die Frequenz im authentischen Sprachgebrauch. Die Problematisierung der Intuition des "native speaker" war in der Tat ein entscheidender Schritt in der linguistischen Entwicklung, der zur Aufstellung umfangreicher Textkorpora für die einzelnen Sprachen geführt hat. Damit trat die Korpuslinguistik ihren Weg in die Reihe der "mainstream"-Linguistiken an. So sehr diese Entwicklung zu begrüßen und so berechtigt es ist, authentische Beispiele zu verlangen, so darf man doch neben den Möglichkeiten, die die Korpuslinguistik eröffnet, ihre Grenzen nicht übersehen (vgl. Weigand demn.a). Diese Grenzen zeigen sich z.B. sehr schnell bei Fragestellungen, die von inhaltlichen bzw. funktionalen Konzepten, z.B. Höflichkeit oder bestimmten Handlungsfunktionen, ausgehen, sowie bei Arbeiten, die für einzelne funktionale Bereiche die Äußerungen möglichst systematisch auflisten wollen. Beide Fragestellungen werden in der vorliegenden Arbeit verfolgt. Ein streng korpuslinguistisches Vorgehen müsste von Ausdrücken und deren Frequenz im Korpus bzw. in bestimmten Texttypen ausgehen, wobei andere nicht-sprachliche kommunikative Mittel vernachlässigt werden. Der sprachliche Text allein ist jedoch in kommunikativer Hinsicht nicht autonom. Wenn wir der korpuslinguistischen Position "Trust the text" folgen (Sinclair 1994), bleiben wir im Rahmen der Möglichkeiten des sprachlichen Textes. Doch wissen wir, spätestens seit Grice (1975), dass wir mehr meinen, als wir sagen. Daher wurden die simulierten Beispiele der Erstauflage auch in der Zweitauflage belassen und nur vereinzelt durch authentische Beispiele ergänzt.
3.2. Forschungssituation Auch wenn ich prinzipiell für mich die Frage bereits entschieden habe, ob bei der Zuordnung von Äußerungs- und Inhaltsstrukturen Grammatik und Pragmatik zwei getrennte Bereiche darstellen können, soll hier kurz der Forschungshintergrund aufgezeigt werden. Basis der Beschreibung sprachlichen Handelns ist für mich die Sprechakttheorie. Auch für die Beschreibung sprachlichen Handelns in Sequenzen ist von dieser Basis auszugehen und sie entsprechend zu erweitern. Eine Kombination verschiedener Ansätze, sei es der Systemlinguistik und der Pragmatik oder der Sprechakttheorie und der Konversationsanalyse, wie dies in letzter Zeit verschiedentlich versucht wurde (z.B. Franck 1980, auch Dittmann 1981), kann nicht zu einer einheitlichen konsistenten Theorie führen. Im letzten Jahrzehnt nun hat sich die Fülle der Ansätze, die dem Problem einer kommunikativen Grammatik gelten, stark erweitert. Ich muss mich auf einige mir wesentlich erscheinende Positionen beschränken, wobei die Zuordnung einzelner Ansätze zu einer Position nicht immer leicht ist. Einerseits kombinieren die Ansätze oft vielfältige Faktoren, so dass bei der Festlegung auf eine Position Unterschiede verwischt werden, andererseits sind
60 die Ansätze selbst nicht immer stimmig und konsistent und daher nicht eindeutig einer Position zuzuweisen. Keiner dieser Ansätze hat bisher zu einer überzeugenden Erklärung der Zuordnung von kommunikativen Zwecken und Mitteln in dialogischer Interaktion geführt.
3.2.1. Generative Semantik Im Rahmen der generativen Semantik hat man bereits früh die Notwendigkeit erkannt, die durch Austin aufgeworfenen Fragen zu berücksichtigen. Zunächst versuchte man im Rahmen der performativen Analyse den Handlungscharakter tiefenstrukturell zu repräsentieren, im Grunde ein unhaltbarer Versuch, die Illokution syntaktisch zu bestimmen (man vergleiche den grundlegenden Aufsatz von Ross 1970, außerdem z.B. Lakoff 1970, 1975), und ging sehr früh auch daran, das Phänomen des indirekten Sprechakts einzugliedern (Gordon/ Lakoff 1971, Sadock 1974, Ross 1975a, Green 1975 etc.). Diese Arbeiten stehen in der Tradition der generativen Grammatik und sind durch deren theoretische Prinzipien, weniger durch Prinzipien der Sprachverwendung begründet. So übernehmen z.B. Gordon/Lakoff (1971) Grice' Konversationsmaximen auf eine Weise, die aus pragmatischen Maximen grammatisch formulierbare macht. Auch wenn wiederholt gefordert wird (z.B. von Ross 1975a), dass die Grammatik eine Komponente enthalten müsse, in der pragmatische, semantische und syntaktische Regeln miteinander verbunden operieren, wird damit nicht die Einheit von Grammatik und Pragmatik begründet, sondern die Pragmatik durch Semantisierung weitgehend eliminiert. Ergebnis ist eine Grammatik, die pragmatische Aspekte in grammatischer Form enthält (vgl. zu dieser Einschätzung z.B. Katz 1977: 255, Grewendorf 1972: 169, Leech 1983: 192). Ich möchte hier nicht näher auf Arbeiten der generativen Semantik eingehen, da sie auf die vorliegende Arbeit sprachtheoretisch kaum Einfluss hatten und in der Literatur bereits ausführlich diskutiert wurden (vgl. z.B. Grewendorf 1972, Searle 1979c u. 1976, Holdcroft 1978: 46ff. Gazdar 1979: 15ff.).
3.2.2. Additionsmodelle: Trennung von Semantik und Pragmatik Eine Reihe von sog. Additionsmodellen geht davon aus, semantische und pragmatische Beschreibung trennen zu können, und erklärt, eine pragmatische Grammatik ließe sich durch Addition von Systemlinguistik und Pragmatik aufbauen. Solange eine einheitliche Basis fehlt, müsse man eben die Teilbereiche addieren. Dabei wird nicht bedacht, dass Teile erst dann adäquat zu beschreiben sind, wenn das minimale Ganze, in dem sie funktionieren, bekannt ist. Außerdem wird übersehen, dass Sprache als System einerseits und Sprachgebrauch andererseits je eigene Gegenstände sind, die nicht ohne weiteres ineinander überführbar sind, ja prinzipiell nichts miteinander zu tun haben. In der Semantik geht es im Rahmen von Additionsmodellen um sprachliche Konventionen der wörtlichen Bedeutung, in der Pragmatik um pragmatische Regularitäten, für die vielfach der Terminus praktische Schlussprozesse verwendet wird. Über die Konventionalität dieser Regularitäten ist man sich nicht einig. So sieht Grice (1975 u. 1978) in seinen Konversationsimplikaturen nichtkonventionelle Prozesse, Wunderlich (1976a: 106) dagegen postuliert für seine praktischen Schlussfolgerungsprozesse auf der Ebene der Pragmatik (im Unterschied zur Performanzebene) Konventionen. Hier werden offenbar aus einem
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komplexen Feld der Inferenzen unterschiedliche Ausschnitte betrachtet, die sich auch in ihrer Konventionalität unterscheiden; möglicherweise wird auch auf unterschiedliche Begriffe der Konventionalität rekurriert. Generell sind Ansätze, die semantische und pragmatische Beschreibung trennen, als eine Art Notlösung einer komplizierten Problematik zu verstehen, auf die manche sich lieber einlassen, als die Komplexität des Ganzen in Angriff zu nehmen. Auch Heibig (1979) entscheidet sich in seiner Diskussion verschiedener Beschreibungsmöglichkeiten für eine '"kommunikativ-pragmatische Komponente' innerhalb der Grammatik" (S. 32) und gegen "eine 'Pragmatisierung' der Grammatik" (S. 16). Bei der Vielzahl und Heterogenität der Arbeiten, die hier einzuordnen wären, kann es nicht darum gehen, eine detaillierte, kritische Beschreibung der einzelnen Arbeiten geben zu wollen; einige Positionen und ihre Grundprinzipien sollen erfasst werden. An erster Stelle ist Grice (1975 u. 1978) zu nennen, der mit seiner Theorie der Konversationsimplikaturen die linguistische Forschung maßgeblich beeinflusst hat (zu seinem Bedeutungsbegriff vgl. 1957/1971). Dabei beschränkt sich Grice auf nichtkonventionelle Implikaturen und untersucht Beispiele, in denen pragmatische Inferenzen eine Rolle spielen, ohne dass es sich um indirekte Sprechakte handelte. Beeinflusst hat er vor allem Arbeiten zu indirekten Sprechakten, bei denen jedoch die Schlussfolgerungsprozesse zum großen Teil als konventionell zu gelten haben. Die wesentliche Aussage seiner Arbeiten, dass wir mehr meinen, als wir sagen, hebt in der Tat einen entscheidenden Aspekt dialogischer Interaktion hervor, der Eingang in die Theoriebildung finden muss. Dennoch darf dieser Aspekt nicht wie bei Grice isoliert werden im Sinn von pragmatischen Prinzipien, die den Weg von der Ebene des Sagens zu der des Meinens aufzeigen wollen. Dieser Weg ist nicht über Inferenzen allein zu beschreiben. Auch ist das Problem nicht gelöst, indem man wie Dascal (1994) zwei unterschiedliche Theorien miteinander verbindet: Grice und Searle. Es handelt sich nicht um zwei getrennte, nacheinander zu durchschreitende Ebenen, die semantische Ebene des Sagens und dann die pragmatische Ebene des Meinens. In dem (einheitlichen) Modell des dialogischen Handlungsspiels ergibt sich die Einsicht, dass wir mehr meinen, als wir sagen, zwangsläufig aus der Erkenntnis, dass der Mensch Ausgangspunkt aller Überlegungen zu sein hat und dass er ganz selbstverständlich immer auch seine kognitiven Fähigkeiten einsetzt. Aus der Integration verschiedener kommunikativer Mittel, sprachlich-perzeptiver wie kognitiver Mittel, ergibt sich im Prozess dialogischer Aushandlung die kommunikative Bedeutung, die nur z.T. sprachlich ausgedrückt wird. Während auf der einen Seite der Hinweis auf die Bedeutung kognitiver Mittel in der Tat einen entscheidenden Fortschritt darstellte, ist auf der anderen Seite schwer verständlich, dass Grice' Maximen als grundlegend für reale Interaktion angesehen werden. Es handelt sich nicht um eine Beschreibung authentischer Kommunikation, sondern um Maximen effektiven Handelns, d.h. um rhetorische Maximen, die nur vor einem bestimmten ideologischen Hintergrund im Rahmen eines Entwurfs idealer Zusammenhänge Geltung haben. In den letzten Jahren hat sich mit den Arbeiten von Levinson (1995 und 2000) eine Art Neo-Grice 'sehe Pragmatik entwickelt, die im Grunde nichts anderes als eine Fortführung strukturalistischer Methoden darstellt. Drei Ebenen der Bedeutung werden unterschieden, darunter eine kodierte Bedeutung oder Semantik und eine Type- sowie eine Token-Ebene der pragmatischen Bedeutung. Auf diese Weise entsteht in strukturalistischer Ebenentrennung ein kompliziertes artifizielles System, das nach wie vor an einer abstrakten Systemgrammatik festhält, die der Sprachbenutzer internalisiert habe und im Sprachgebrauch in Anwendung bringe.
62 In ähnlicher Weise versucht auch Verschueren (1999: 1 Of.), ein 'Verständnis' von Pragmatik zu entwickeln, das letztlich ein "Miss-verständnis" ist. Auch er beginnt mit einer Art Systemgrammatik, sprachlichen Mitteln, wie sie 'in den traditionellen Komponenten einer linguistischen Theorie' beschrieben werden, nämlich in der Phonetik, Phonologie, Morphologie, Syntax und Semantik, und glaubt, das Komponenten-Modell ("the component view") vermeiden zu können, indem er zu diesen sprachlichen Mitteln das vage Konzept einer 'pragmatischen Perspektive' addiert. Auch diese Art der Addition beruht letztlich auf methodologischer Reduktion und auf dem Unvermögen, die Komplexität des Gegenstands "Sprachgebrauch" in den Griff zu bekommen. Stark auf Grice beruft sich Liedtke (1998), der allerdings hinsichtlich der Frage eines Additionsmodells keine klare Position einnimmt. Einerseits wendet er sich entschieden gegen deterministische Ansätze, die zwischen Satztypen und Sprechakttypen eine festen, gewissermaßen kodierten Bezug annehmen, andererseits geht er aber doch von einem ZweiEbenen-Modell aus, das Semantik und Pragmatik trennt, wenngleich er an anderer Stelle betont, dass Pragmatik "immer im Spiel" ist (S. 10). Warum für die Beschreibung illokutionärer Indikatoren wiederum zwischen "Denotat" und "Korrelat", zwischen Semantik und Pragmatik unterschieden wird und z.B. explizit performativen Äußerungen wie ich bitte dich, zu gehen sowohl eine repräsentative wie direktive Interpretation zugeordnet wird, bleibt unklar. Auch scheint sich der Fokus von der Sprecherseite auf die Seite des Adressaten zu verschieben, wenn er sein Modell als "Interpretationsmodell" versteht und einen illokutionären Indikator auf "die Kenntnis des Adressaten" bezieht, wenn er "überhaupt für irgendetwas eine Ursache ist" (S. 14). Eine Reihe von Arbeiten beruft sich auf das Konzept der Relevanz, das auf Sperber/Wilsons sog. Relevanztheorie zurückgeht (Sperber/Wilson 1986). Ähnlich wie in Grice' Modell ist auch der Gegenstand der Relevanztheorie ein kognitiver. Während jedoch Inferenzen sowie die Grundthese, dass wir mehr meinen, als wir sagen, wesentliche Faktoren der Beschreibung dialogischer Interaktion darstellen, bleiben die Annahmen der sog. Relevanztheorie hypothetisch und nahezu irrelevant. Kommunikation ist nicht auf Informationsübertragung zu reduzieren, noch über ein Ökonomieprinzip des minimalen Aufwands bei maximalem Effekt, wie es im Prinzip schon Zipf (1943) vertreten hat, zu erklären. Man ist schon erstaunt, dass einfache Feststellungen wie "that communicated information comes with a guarantee of relevance" als 'fundamentale Idee' ausgegeben werden (S. vii). Auf die zahlreichen Arbeiten, die in der Nachfolge von Sperber/Wilson stehen, z.B. Blakemore (1992), kann hier nicht eingegangen werden. Blakemore macht es sich zu einfach, wenn sie glaubt, der Kritik, denen sich die Relevanztheorie gegenübersieht, mit der Unterscheidung von expliziter und impliziter Bedeutung begegnen zu können, wobei die Grundannahmen der Relevanztheorie unangetastet bleiben (S. 10 und 57). Eine Gruppe für sich stellen die Arbeiten der formalen Philosophie und Logik dar, die ich hier nur kurz erwähne, da sie die vorliegende Arbeit nicht beeinflusst haben. Einen guten Einblick gewährt Stalnaker (1972), der Semantik als Studium von Propositionen, Pragmatik als Studium von Sprechakten und Kontexten, in denen sie ausgeführt werden, definiert. Anzumerken wäre, dass es sich auch hier ähnlich wie bei den Arbeiten zur generativen Semantik um eine semantisierte Pragmatik handelt (vgl. Schnelle 1981). Formale Theorien der Künstlichen Intelligenz und Wahrheitsbedingungensemantik (z.B. Cohen/ Morgan/Pollack 1990, Chierchia/McConnell-Ginet 1990) bleiben letztlich Theorien der Satzbedeutung, also Theorien mit einem anderen Gegenstand als Theorien des Sprach-
63 gebrauche. Daher gibt es zwischen diesen beiden Typen von Theorien keine Verbindung, selbst wenn Vanderveken (1990a: 214, 1990b) versucht, Pragmatik in den Formalismus zu integrieren. Nach Kasher (1989: 79) ist Wahrheitsbedingungensemantik "incompatible with basic facts of language use". Die Trennung von Sprachsystem und Sprachgebrauch akzentuiert besonders deutlich Bierwisch (1980, auch 1979). Diese Trennung verwischt und die Sprechakttheorie als Weiterführung der Semantik aufgefasst zu haben, bezeichnet er als Erbsünde der Linguistik. Demzufolge stellt für ihn auch die Definition der illokutiven Kraft keine Aufgabe der Linguistik dar, sondern wird einer Theorie der sozialen Interaktion zugewiesen. In dieser Hinsicht erweist sich Bierwisch als Nachfolger von J.L. Cohen (1974: 193). Im Prinzip geht Katz (1977) denselben Weg, indem er seine grammatische Beschreibung auf einen Nullkontext bezieht. Für diesen Nullpunkt will er das illokutive Potential von Sätzen in Form von propositionalen Typen repräsentieren. Durch diese Reduktion der seiner Ansicht nach hybriden Sprechakttheorie auf eine formale semantische Theorie der Struktur von Propositionen und eine pragmatische Theorie à la Grice glaubt er, die Tradition der "ordinary language philosophy" und der generativen Grammatik verbinden zu können. Die semantische Theorie des illokutiven Potentials wird durch Bezug auf den Nullpunkt zwar unabhängig von pragmatischen Faktoren, und Pragmatik lässt sich als "performance theory at the semantic level" ausgrenzen (S. 15); doch ist zu fragen, was mit einer solchen Theorie erzielt werden soll. Eine illokutive Kraft im Nullpunkt gibt es nicht. Auch filr Wunderlich spielt der Nullkontext unter dem Begriff des "neutralen" Kontexts eine Rolle bei der Unterscheidung von Semantik und Pragmatik. Die Semantik untersucht die illokutiven Typen im neutralen Kontext, begründet hier die Haupttypen der Ulokution, die Pragmatik bezieht sich auf nichtneutrale Kontexte und differenziert die Subtypen (vgl. 1976a: 147 u. 1980: 303f.). Mit seiner Ebenentheorie von Syntax, Semantik, Pragmatik und Performanz versucht er grammatische und pragmatische Bedeutung zu integrieren, gelangt jedoch nur zu einer Auflistung und Klassifikation wesentlicher Faktoren (1976a, Kap. III). Anschließen ließe sich hier auch Posner (1980a) mit seiner Unterscheidung der wörtlichen, grammatisch determinierten Bedeutung und der pragmatisch determinierten Folgerung. Auch er betont die Dualität in der Beschreibung verbaler Kommunikation, die sich aus der Ebene der wörtlichen Bedeutung und der Ebene des Gebrauchs dieser wörtlichen Bedeutung ergebe. Leech (1980 u. 1983) versucht, ausgehend von einer Trennung von Semantik und Pragmatik, ein neues Paradigma für die Linguistik zu entwickeln. Er bezeichnet seinen Ansatz als Komplementarismus (1983: 6), da für ihn Semantik und Pragmatik zwar getrennte, aber komplementäre Bereiche innerhalb der Linguistik darstellen. Die Semantik umfasst die logische Form von Sätzen, für sie gelten konventionelle Regeln; Pragmatik wird definiert als Studium der Bedeutung in Relation zu Sprechsituationen. Die pragmatische Interpretation beruhe auf nichtkonventionellen konversationeilen Prinzipien à la Grice. Man mag derlei theoretische Forderungen aufstellen und ein neues Paradigma postulieren; die Angemessenheit und Leistungsfähigkeit dieser Forderungen bleibt jedoch aufgrund prinzipieller methodologischer Erwägungen problematisch und wäre erst noch in der Beschreibung der Sprachverwendung selbst aufzuzeigen. Ähnlich wie Leech unterscheidet die Richtung der "radikalen Pragmatik, wie sie in dem Sammelband von Cole u.a. (1981) mit den Arbeiten von Davison, Grice und Sadock vorge-
64 stellt wird, zwei Subsysteme: eine Semantik als den Bereich der konventionellen Bedeutung und eine Pragmatik als den Bereich nichtkonventioneller Bedeutung, die vor allem auf Grice' konversationeilen Implikaturen beruht. Das Adjektiv radikal bezieht sich dabei auf die Hypothese, dass sich immer mehr Phänomene, die man ursprünglich im Bereich der Semantik ansiedelte, als pragmatische erwiesen. Diese Tendenz sollte m.E. zu der naheliegenden Folgerung fUhren, dass es nicht einzelne pragmatische Elemente in der Grammatik gibt, sondern nur eine pragmatische Grammatik. Die Reihe der Autoren, die für eine Trennung von Semantik und Pragmatik eintreten, könnte leicht fortgesetzt werden. Deutlich geworden ist, dass es sich hier - trotz der Einigkeit in diesem Punkt - um eine Vielzahl heterogener Ansätze handelt, die die Komplexität der Sprachverwendung durch Addition aus Systemlinguistik und Pragmatik in zwei Schritten angehen wollen: dem Schritt der Semantik, der wörtlichen Bedeutung, und dem Schritt der Pragmatik, der Verwendung dieser wörtlichen Bedeutung. Unter dem Gesichtspunkt eines natürlichen Sprachbegriffs ist hervorzuheben, dass die wörtliche Bedeutung für sich in einem Nullkontext ein Konstrukt bleibt. Aus Konstrukten lässt sich additiv nur ein Konstrukt auftauen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Kehrtwendung des späten Searle ( 1986), die ebenso wenig wie gewisse seiner Thesen zum Dialog Uberzeugen kann (s.o. Kap. 12.2.2.3.). Während Searle ursprünglich von der Einheit von Semantik und Pragmatik ausging (s. Kap. I 3.2.3.), trennt er nun "the analysis of meaning in terms of representation" und "communication", wobei der Repräsentation Priorität zukomme (S. 212-218). Ähnlich irritierend ist seine Analyse explizit performativer Äußerungen (Searle 1989) unter Rückgriff auf den problematischen Begriff der 'wörtlichen Äußerung' (Weigand 1992d) und in Abkehr von Austins Annahmen, die die Sprechakttheorie einst begründet haben. Im letzten Jahrzehnt, seit Erscheinen der Erstauflage, sind auf der Linie einer Addition von Systemlinguistik und Pragmatik weitere Arbeiten und Grammatiken erschienen, auf die kurz eingegangen werden soll. Eine direkte Fortsetzung findet sich in dem Modell "Satz und Illokution", das z.B. von Rosengren (1992) und ihrem Kreis vertreten wird. Ausgehend vom Satz wird versucht, die "langue"-Grammatik in Beziehung zur Pragmatik zu setzen, wobei sowohl der Gegenstand Pragmatik wie die Beziehung zwischen Sprachsystem und Pragmatik unklar bleiben muss (vgl. Weigand 1994b). Eine entscheidende Rolle auf dem Weg vom Satz zur Illokution wird der Kategorie Satztyp zugewiesen. Doch müssen Rosengren und ihr Kreis erkennen, dass die Kategorie Satztyp sie in die Irre führt, wenn sie sie "nur mit Hilfe von oberflächenstrukturellen Eigenschaften definieren" (Brandt et al. 1992: 5f.). Daher wollen sie sie "auf einer tieferen Ebene suchen", nämlich in der Rektions- und Bindungstheorie. Auch bezüglich des Inhalts der Kategorie Satztyp, dem Satzmodus, ist man sich offenbar im Unklaren, was darunter zu verstehen sei. Rehbocks Vorschlag (1992: 95), Satzmodus als Referenztypspezifizierung zu verstehen, als "Modus der virtuellen Faktizität e, den die Proposition ρ beschreibt", demonstriert ein weiteres Mal das grammatische Labyrinth, in das man sich verstiegen hat (vgl. auch Meibauer 1987). Auf einer Addition von Systemlinguistik und Pragmatik beruhen letztlich auch einige neuere Grammatiken. Hierher gehört die "Grammatik der deutschen Sprache" des Instituts für deutsche Sprache, die kein einheitliches Konzept, keine pragmatische Basis hat, sondern auf der Kombination verschiedener Perspektiven aufgebaut ist und sich explizit als Modell der "Mehr- bzw. Doppelperspektivik" versteht (Zifonun/Hoñmann/Strecker et al. 1997: 7-10). Mit der sog. Doppelperspektivik verfolgt diese Grammatik den Zugang über "kom-
65 plementäre Alternativen" (S. 7), also nicht allein von den sprachlichen Ausdrücken her, wie die sog. Funktionale Grammatik (s.u.), sondern zugleich von den kommunikativen Funktionen her. Dabei spielt das sog. Kompositionalitätsprinzips eine besondere Rolle. Zwar ist das Bestreben, sprachliche Formen auf kommunikative Funktionen zu beziehen, legitim; doch lässt sich die Zuordnung nicht Uber das Kompositionalitätsprinzip beschreiben. Auf der Ebene der Äußerung hat das Kompositionalitätsprinzip keine Geltung, wie u.a. Baker/ Hacker (1984) in ihrer ebenso radikalen wie brillanten Abrechnung mit kompositionalen Modellen gezeigt haben (vgl. auch die Arbeiten der sog. "Integrational Linguistics", z.B. Harris 1981, 1996, 1998, Taylor/Cameron 1987,Toolan 1996). Mit dem Terminus der "Mehrperspektivik" wird die Mischung unterschiedlicher Ansätze beschönigt und dem ständigen Wechsel des theoretischen Standpunkts eine Scheinlegitimation verliehen. Diese Methodologie wird auf die Spitze getrieben, indem sogar die logische Semantik und die Montague-Grammatik einbezogen werden. Das Ergebnis ist eine Vielfalt heterogener Komponenten und Begrifflichkeiten, keine Grammatik. "Grammatik" wird als "Systematik der Formen und Mittel sprachlichen Handelns" verstanden (S. 3), in der Grammatik sei der Sprachgebrauch "kodifiziert" (S. 6). Spätestens hier wird deutlich, dass sich diese "Grammatik" noch nicht vom Kode der Systemlinguistik beireit hat und handgestrickt mit eigenen Termini eine Beschreibung liefert, die die unterschiedlichen Positionen der Verfasser widerspiegelt, aber Sprachgebrauch als einheitliches, komplexes Phänomen nicht in den Griff bekommt. Obgleich der Zugriff auf Korpora betont wird, handelt es sich nicht um eine korpusbasierte Grammatik. Aus den Korpora werden einzelne Beispiele entnommen, die hinsichtlich ihrer Frequenz und damit ihrer Konventionalität nicht ausgewertet und mit Beispielen aus der eigenen Sprecherkompetenz kombiniert werden. Man wird wohl notgedrungen zustimmen müssen, dass die "Authentizität kein Fetisch" sei (S. 13). Die beliebige Mischung der Methoden und Aspekte im Rahmen einer "Mehrperspektivik" sollte jedoch ebenso wenig zu einem Ersatzfetisch erhoben werden. Hinzuweisen wäre noch auf weitere "Grammatiken", die in den letzten Jahren erschienen sind, darunter die von Hentschel/Weydt (1994) und von Eisenberg (1998/1999 1/2). Hentschel/Weydt beanspruchen nicht, ein neues Grammatikmodell entwickelt zu haben. Sie wollen "über einen Grundbestand an Ergebnissen traditioneller und moderner Grammatikforschung unterrichten", wobei die traditionelle Grammatik "zur Grundlage der Darstellung gemacht" wird (S. v) und die pragmatische Fragestellung, "wie man mit Hilfe der deutschen Sprache interaktiv Handlungen ausführt", nur marginal behandelt wird (S. 10). Ähnliches gilt für Eisenberg. Seine zweibändige Grammatik als "Gebrauchsbuch" (2: 1) ist eine von der Systemlinguistik geprägte, im Aufbau traditionelle Grammatik. Sofern Sprachfunktionen berücksichtigt werden, geschieht dies primär nach Bühler (1934/1982), wobei betont wird, dass die Darstellungsfunktion grundlegend sei (2: 9). Damit kann dann die Strukturierung nach Wort- und Satzgrammatik als gerechtfertigt gelten. Kommunikative Grammatiken liegen somit weder mit Hentschel/Weydt noch mit Eisenberg vor. Erwähnt werden soll noch die Form einer Grammatik als Textgrammatik, wie sie Weinrich für das Französische und Deutsche entwickelt hat (vgl. Weinrich 1982 u. 1993). Die Textgrammatik "versteht die Phänomene der Sprache von Texten her, da eine natürliche Sprache nur in Texten gebraucht wird" (Weinrich 1993: 17), und bezieht daher auch die "Syntax des Dialogs" mit ein. So sinnvoll solche Grundannahmen auch sind, lösen sie dennoch gewisse Erwartungen, die man daran knüpft, nicht ein, da Weinrich strukturelle zei-
66 chentheoretische Prinzipien nicht verlässt und seine Grammatik aufgrund ihrer "Fundierung in semantischen Merkmalen" als "Merkmal-Grammatik" versteht.
з.2.3. Einheit von Semantik und Pragmatik Im Unterschied zu den sog. Additionsmodellen gibt es andere Versuche einer kommunikativen Grammatik, die von der Einheit von Semantik und Pragmatik ausgehen. So findet sich z.B. in der orthodoxen Sprechakttheorie keine eigene Theorie formaler Semantik in der Grammatik. Auch Kasher (1977: 225) tritt gegen eine Trennung von Semantik und Pragmatik ein und spricht in diesem Zusammenhang von einer Krankheit, die er "Pragmaticitis Separatosis" nennt. Semantik und Pragmatik zusammen gehen in der Sprechakttheorie auf, zu der für die Beschreibung der Zuordnung nur mehr eine syntaktische Komponente hinzukomme. Für Searle und die orthodoxe Sprechakttheorie gibt es nur eine Kompetenz, die er semantische Kompetenz nennt, die jedoch Semantik und Pragmatik umschließt: Dies ist die Kompetenz, Sprechakte auszuführen und zu verstehen (vgl. 1974: 28f.; auch 1969: 16ff. и. Katz 1977: 25ff.). Für die Beschreibung der einzelsprachlichen Realisierung dieser Kompetenz ist für Searle die Unterscheidung von Zuordnungstypen grundlegend. Er beschränkt sich im wesentlichen darauf, indirekte Sprechakte im Unterschied zu direkten zu charakterisieren, und erwähnt Sprechaktidiome nur am Rande. Die semantische Kompetenz umfasst neben den Regeln der Sprechakttheorie Prinzipien kooperativer Konversation, Hintergrundinformation und die Fähigkeit, Schlüsse zu ziehen (vgl. z.B. 1975b). An Searle anschließend und z.T. kontrovers zu ihm entwickelt sich eine Theorie indirekter Sprechakte, der es vor allem darum geht, den Mechanismus zu klären, der den zahlreichen sog. indirekten Realisierungsformen zugrunde liegt (vgl. z.B. Ehrich/Saile 1972, Davison 1975, MeyerHermann 1976, Zimmermann/Müller 1977, Metzing 1978, Morgan 1978, Sökeland 1979, 1980). Entgegen Searle versucht Hindelang (1978a: 154) in Anlehnung an Hundsnurscher (z.B. 1989) und Fritz (1978) die Realisierung nicht auf Unterschiede in der Zuordnung zurückzuführen; für ihn gibt es nur unterschiedliche Äußerungsformen, keine indirekten Sprechakte. Diese unterschiedlichen Äußerungsformen werden zunächst nach semantischen Mustern klassifiziert; erst dann werden syntaktische Unterschiede von Äußerungen betrachtet, die zum gleichen semantischen Muster gehören. Vorbild für diese vermittelnde Funktion der Semantik bei der Zuordnung ist Halliday (1973: 72fF.). Auch Dittmann (1981) kommt bei seiner Diskussion des Verhältnisses von Semantik und Pragmatik offenbar zur Annahme der Einheit dieser beiden Bereiche und sieht es als Aufgabe einer kommunikativen Grammatik an, Yuvkûonspotentiale einzelner Ausdrücke bzw. Ausdruckspotentiale einzelner Funktionen aufzustellen. Die "Verflechtung von grammatischen und kommunikativen Seiten einer Sprache" betont Mötsch (1978: 47), für den es daher auch keine strenge Grenzziehung zwischen grammatischer und sprechakttheoretischer Beschreibung gibt. Ähnlich urteilt Brinker (1985: 16), für den "eine bloß additive Erweiterung der sprachsystematisch ausgerichteten Textlinguistik um eine kommunikativ-pragmatische Komponente wohl kaum zu einem adäquaten textlinguistischen Beschreibungsmodell
67 führen wird". In neueren Arbeiten allerdings tritt Mötsch (1989) wiederum für "die klassische Annahme der Autonomie einer Theorie des Sprachsystems" ein.54 Geht man von einem natürlichen Sprachbegriff aus, so kann die Semantik nur Hilfsfunktion bei der Beschreibung der Zuordnung von Äußerung und (pragmatischer) Bedeutung haben. Zwar fehlt es, wie wir soeben gesehen haben, nicht an Stellungnahmen für eine solche Position und damit für eine einheitlich pragmatische Beschreibung, doch ist nicht zu übersehen, dass die Sprechakttheorie in den letzten Jahren in der Forschungsdiskussion in den Hintergrund getreten ist. Die Gründe dafür liegen zum einen in der berechtigten Kritik an Searles Modell, das für die linguistische Analyse zu abstrakt und daher wenig brauchbar erscheint. Zum anderen vermisst man Uberzeugende Weiterentwicklungen der Sprechakttheorie in Publikationen von Verlagen des englischen Sprachraums, die nun einmal international die Diskussion bestimmen. Gerade namhafte Vertreter der Sprechakttheorie sind in den letzten 50 Jahren auf der Stelle getreten, wie sich deutlich an den Sammelbänden von Tsohatzidis (1994) und Vanderveken/Kubo (2002) zeigen lässt. Zwar fehlt es nicht an Kritik an der zu starken Sprecherbezogenheit von Searles Theorie; dennoch werden erste konstruktive Neuansätze nicht ernsthaft in die Überlegungen einbezogen, noch wird Sprache als natürliches Phänomen zum Gegenstand genommen. Offenbar herrscht große Verwirrung bzw. völlige Unkenntnis in der Frage, was Sprache als natürlicher Gegenstand bedeutet. Einzelne Ausdrücke mögen zwar Elemente natürlicher Sprache sein, machen aber noch nicht Sprachverwendung aus. Auf diese Weise unterbleibt die dringend nötige Weiterentwicklung der monologischen, philosophischen Sprechakttheorie Searle'scher Prägung in eine dialogische, linguistische Sprechakttheorie, zumindest im englischsprachigen Raum. Statt dessen werden wie vor 50 Jahren die gleichen simpelsten Beispiele analysiert und großartige formale Überlegungen angestellt, die jedoch inhaltlich ohne Relevanz für die Analyse aktuellen Sprachgebrauchs bleiben (vgl. Weigand 1996b).
3.2.4. Funktionale Grammatik Im letzten Jahrzehnt, vor allem nach Erscheinen der Erstauflage, sind vermehrt Arbeiten erschienen, die dem Konzept der sog. "Funktionalen Grammatik" zuzuordnen sind. Hier sind verschiedene Varianten zu unterscheiden, darunter vor allem die Arbeiten, die sich auf Halliday (1994) beziehen (z.B. Thompson 1996), die Arbeiten, die Diks (1997.1/2) Funktionaler Grammatik folgen, und Givóns Modell (1995, 1993b). Ich will die Grundlinien dieser Modelle einer sog. Funktionalen Grammatik nachzeichnen und mit dem Konzept einer pragmatischen oder dialogischen Grammatik vergleichen, das ich heute im Rahmen des Handlungsspiels vertrete. Halliday folgt in seinen theoretischen Ausführungen weder einer strikten Trennung von Semantik und Pragmatik, noch lässt sich sein Modell dem integrativen Typ zuordnen. Zentral ist für ihn die Bedeutung, die in der Grammatik jedoch nur auf lexiko-grammati54
Unter dem Gesichtspunkt der Einheit von Semantik und Pragmatik wäre auch Sgall (1980) zu nennen, wenngleich filr ihn die Ebene der sprachlichen Bedeutung nicht sprechakttheoretisch, sondern wahrheitsfunktional zu beschreiben ist. Das heißt, es geht ihm um die pragmatische Erweiterung einer wahrheitsftinktionalen Semantik als Basis einer Theorie der sprachlichen Bedeutung (zur Einheit von Semantik und Pragmatik vgl. auch Sgall 1977 und All wood 1976: 231).
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scher Ebene beschrieben wird, während die pragmatische Bedeutung dem Gebrauch zugewiesen wird. Indem auf diese Weise dann in der Beschreibung dennoch zwischen Semantik und Pragmatik getrennt wird, erhält die Grammatik eine seltsam hybride Form, die bereits in dem hybriden hallidayschen Bedeutungskonzept begründet ist. Die crux dieses Modells liegt darin, dass lexiko-grammatische Erscheinungen Gegenstand und Ausgangspunkt der Beschreibung sind und "meaning-in-use" späteren Untersuchungen vorbehalten bleibt. Daraus resultiert eine Betrachtungsrichtung, die Thompson (1996: 224) wie folgt beschreibt: "... Functional Grammar is deliberately designed to look outwards from specific instances of linguistic choices to the socio-cultural - and, eventually, ideological - factors influencing their existence and use..." Eine solche Betrachtungsrichtung wäre im Prinzip nur dann in Erwägung zu ziehen, wenn die "linguistic choices" aufzählbar wären und in definiter Relation zu sozio-kulturellen Faktoren stünden, so wie ich es in der Erstauflage angenommen habe (vgl. auch Weigand 1984a). Ein Ergebnis linguistischen Fortschritts des letzten Jahrzehnts ist es jedoch, dass wir erkannt haben, dass die "linguistic choices", die Äußerungsvarianten letztlich "open-ended" sind. Da uns somit der Überblick über die Mittel fehlt, können wir nicht mit den Mitteln, und noch dazu mit den sprachlichen Mitteln allein, beginnen. Wir handeln, indem wir sprachliche, perzeptive und kognitive Mittel integrieren. Was als Mittel gilt, ist erst im Gesamt des Handlungsspiels zu erkennen. Ausgangspunkt muss somit die kulturelle Einheit des dialogischen Handlungsspiels sein, von der aus der Blick nach innen auf die Mittel zu richten ist. Hinzu kommt, dass kommunikatives Handeln immer dialogisches Handeln ist. Daher kann Hallidays Unterscheidung von zwei fundamentalen Bedeutungstypen (S. xiii), dem reflektiven und dem interpersonellen, nur als erste vorläufige Unterscheidung gelten. Auch der reflektive Typ ist als kommunikativ-dialogischer Handlungstyp zu verstehen. Hier hat die dialogische Sprechakttheorie entscheidende, theoretisch haltbarere Erkenntnisse geliefert, auf denen wir aufbauen sollten. Am Ende seiner Einführung gesteht Thompson (1996: 224), dass Vertreter der Funktionalen Grammatik oft "fuzzy cases" gegenüberstünden und sich 'im Dunkeln' fühlten. Diese "fuzzy cases" scheinen auch der Grund zu sein, weshalb Halliday (1994: xiii) seine Grammatik nur als "minute fragment of an account of English grammar" ansieht, das hundert mal umfangreicher sein müsste, wollte es in der Tat als Grammatik gelten. Diese Schwierigkeiten, denen sich die Funktionale Grammatik gegenübersieht, bestätigen, dass die "linguistic choices" in der Tat offen sind und nicht - wie Thompson beabsichtigt - in eine generalisierbare Ordnung zu bringen sind. Das methodologische Vorgehen der hallidayschen Grammatik prinzipiell ist zu ändern, um 'in das Dunkel Licht zu bringen'. Auch Diks Modell (1997.1/2) einer Funktionalen Grammatik basiert auf einer Blickrichtung nach außen, von einer "theory of linguistic expressions" zu den pragmatischen Gebrauchsregeln dieser Ausdrücke. Er betont zwar, dass Sprache ein integrierter Teil der kommunikativen Kompetenz sei, nimmt es mit der 'Integration' dann aber nicht allzu streng, wenn er das komplexe Ganze nach Modulen aufteilt, die zueinander in instrumentaler Relation stünden. So sei die Syntax instrumental für die Semantik und die Semantik instrumental für die Pragmatik (1:8). Seine Funktionale Grammatik stellt eine Theorie sprachlicher Ausdrücke dar, die instrumental sei für den Gebrauch dieser Ausdrücke. Der Gebrauch allerdings, also der pragmatische Teil, wird nur nach Maßgabe sprachlicher Ausdrücke behandelt, da Dik davon ausgeht, dass die Unterscheidung nach Satztypen Schlüssel für eine Sprechakttypologie sei (1: 300, 2: 236ff.). Obgleich Dik von einem dialogischen
69 Sprachbegriff ausgeht, ist sein Modell nicht wirklich interaktiv, sondern umfasst nur Meinen und Verstehen einer Äußerung (1:8). Seine Strukturierung der kommunikativen Kompetenz nach "capacities" müsste die Fähigkeiten aufschlüsseln, um die entscheidende Relation zwischen Zwecken und Mitteln zu erkennen, die sprachliches Handeln bestimmt. Hinzu kommt eine stark informationsbezogene Sicht (1:5), die Kommunikation letztlich als Informationsübermittlung versteht und mit einer handlungstheoretischen Sicht unvereinbar ist. Aufs Ganze gesehen, stellt Diks Funktionale Grammatik trotz der pragmatischen Ausrichtung des Gesamtrahmens ein Modell dar, das Sprache als (erweitertes) System regelgebunden vor allem syntaktisch-semantisch beschreibt. Zwar spricht er unter Bezug auf den Gesamtrahmen von Integration der Komponenten, geht dann aber nicht nach dem Prinzip der Integration, sondern der Trennung vor, indem er seine Funktionale Grammatik als Grammatik sprachlicher Ausdrücke versteht und von der pragmatischen Interpretation, die einer noch zu entwickelnden Theorie der verbalen Interaktion (2: 228) überlassen bleibt, trennt. Kommunikatives Handeln ist jedoch keine Sache einzelner Ausdrücke, die Illokution, entgegen Dik (2: 237), keine grammatische Kategorie. Diks funktionale Grammatik kann daher auch nicht als genuin kommunikative Grammatik gelten. Vergleichbar mit Diks Modell ist Givóns Konzeption von "Functionalism and Grammar" (1995), die auch seiner englischen Grammatik (1993b) zugrunde liegt. Die Funktion scheint in der Grammatik, in der Struktur, kodiert zu sein (1995: xvi): "functional organization need not be demonstrated independently, it simply falls out of structural organization". Es fällt schwer, die Mischung aus teilweise widersprüchlichen Annahmen zu verstehen. Ein konsistentes Gesamtkonzept will sich nicht einstellen. Einerseits argumentiert Givón gegen Reduktionismus: Grammatik soll variabel und "emergent" sein (vgl. Hopper 1987), andererseits stellt Grammatik für Givón wie filr Dik eine Grammatik von Ausdrucksmitteln dar, die kommunikative Funktionen kodieren. Die grundlegende crux liegt einerseits in Givóns kognitivem Verständnis der kommunikativen Funktionen: "the real arena where all communicative functions play their role - the mental arena of categories and operations", andererseits in der Annahme, der Weg zur Funktion gehe von der Form aus (1995:305f.). Solange Grammatik als "device for coding and communicating information" gesehen wird (1993b. 1:4), Satztypen demzufolge mit "devices for coding speech acts" gleichgesetzt werden (1993b.2: 239f.), hat man Schwierigkeiten, diese Grammatik als ein Modell zu verstehen, das entsprechend dem nichtreduktionistischen Ansatz - das Komplexe angehen will.
3.2.5. Diskursbasierte Grammatiken So schillernd der Begriff Diskurs verwendet wird, so vielfältig sind auch die Varianten einer diskursorientierten Grammatik. Ich muss mich darauf beschränken, einige wesentliche Punkte und Typen herauszuarbeiten. Eine diskursbasierte Grammatik ist in der Regel eine Grammatik, die dem Sprachgebrauch gilt, und zwar nicht nur dem schriftlichen, sondern vor allem dem mündlichen oder authentischen Sprachgebrauch. Die Beziehung zwischen Grammatik und Sprachgebrauch wird jedoch unterschiedlich gefasst. In der Additionsvariante erfährt die systemlinguistische Grammatik, die grammatische Konstruktion, im Diskurs, d.h. in der Verwendung, Veränderungen. Dennoch lasse sich der Diskurs nicht ohne Bezug auf eine abstrakte Grammatik der "langue" beschreiben (z.B. Traugott/Dasher 2002: 26 u. 48, Levinson 2000: 22). Mit
70 Bezug auf den Sprachgebrauch kommt das Kriterium der Frequenz ins Spiel (z.B. Bybee/Hopper 2001), das Veränderungen der grammatischen Konstruktion bewirke. Zwar ist mit der Betonung der Frequenz ein erster wichtiger Schritt getan, doch müsste dieser Schritt theoretisch vertieft werden. Welche Konsequenzen sind aus der Frequenz im mündlichen Sprachgebrauch zu ziehen (Weigand demn.a)? Wie ist die Frequenz festzustellen? Hier genügt letztlich nicht der Hinweis auf den Sprachgebrauch, den Diskurs; nötig wäre die Überprüfung in einem repräsentativen Korpus (s. Kap. I 3.2.6.). Einerseits öffnen sich diskursbasierte Grammatiken den vielfältigen, nicht regelkonformen Ausdrucksweisen mündlichen Sprachgebrauchs, andererseits jedoch verschließen sie sich dem Handlungscharakter des Sprachgebrauchs, da dieser in Searles Sprechakttheorie zu abstrakt und empirisch nicht anwendbar formuliert werde. Der Gesichtspunkt der Frequenz spielt auch in einer anderen Variante amerikanischer diskursbasierter Modelle eine wichtige Rolle, der Variante der "emergent grammar" (vgl. Hopper 1987). Hier gibt es nur den Diskurs, aus dem heraus sich grammatische Konstruktionen erst entwickeln, die dann natürlich ganz anders aussehen als die Konstruktionen von Satzgrammatiken. Vielfach handelt es sich nur um den Versuch, all den "repetitions, reformulations, and repairs" gerecht zu werden, die die Syntax gesprochener Sprache als "locally managed and dynamic" auszeichnen (so z.B. Ono/Thompson 1995: 216 und 258). Grammatik wird als Resultante des Diskurses verstanden, wobei es Grammatik eigentlich gar nicht gibt, nur Grammatisierung. Eine weitere Variante einer diskursbasierten Grammatik stellen Grammatiken der gesprochenen Sprache dar, wie z.B. Brazils "Grammar of Speech" (1995) (vgl. auch Weigand 2002b zu diskursgrammatischen Untersuchungen zur französischen Sprache). Brazil hebt kommunikative Zwecke hervor und möchte eine "purpose-driven grammar", eine "grammar of communication" entwickeln (S. 2-4). Dieser Anspruch wird jedoch in keinster Weise eingelöst. Sein Begriff von "purpose" meint auf der Ebene des Diskurses bzw. Textes primär nur "telling" versus "asking", und diese Funktionen wiederum nur soweit sie verbalgrammatisch ausgedrückt sind, ohne Berücksichtigung der "complexity of circumstances" (S. 27). Verschärft wird diese crux seines Ansatzes durch Thesen wie "if we know how people manage to tell, we know how they do all those other things they do by telling" (S. 27). Indem er seine Grammatik als lineare Grammatik, als "real-time grammar" charakterisiert, glaubt er sich über die unbequeme Frage des Handlungscharakters der Sprachverwendung hinwegsetzen zu können (S. 174): Although the attempt to isolate, identify, and describe the total set of speech acts is of importance in the world of philosophical inquiry in which it is made, it has no special interest for someone trying to discover how utterances are assembled in real time.
3.2.6. Korpusbasierte Grammatiken Korpusbasierte Grammatiken sind eng mit diskursbasierten verwandt, gehen jedoch im systematischen Anspruch darüber hinaus. Das zu beschreibende Material sind nicht beliebig herausgegriffene Diskurse, sondern im Grunde der Sprachgebrauch schlechthin, verstanden als mehr oder weniger repräsentatives Korpus einer Einzelsprache, das Texte jeglicher Art, mündliche wie schriftliche, Gebrauchstexte wie literarische Texte, enthält. Je mehr im Rah-
71 men pragmatischer Untersuchungen simulierte Beispiele und die Introspektion des "native Speaker" fragwürdig wurden, desto wichtiger wurde das Kriterium der Frequenz im authentischen Sprachgebrauch und die Einsicht, dass Konventionen letztlich nur durch die Frequenz begrtlndbar sind. Die Frequenz jedoch kann mit einiger Sicherheit nur in einem repräsentativen Korpus festgestellt werden. Ich kann hier nicht auf die vielfältigen korpusbasierten Untersuchungen zu grammatischen Fragen eingehen und möchte nur kurz exemplarisch auf die Arbeiten in der "Cobuild Grammar Pattern Series" (z.B. Francis/Hunston/ Manning 1996/1998) verweisen (auch Hunston/Francis 2000). "Pattern" ist hier nicht im Sinn eines festen Musters zu verstehen, sondern meint eine Art wiederkehrender Sequenzstruktur, die nicht klar abgegrenzt oder definiert werden kann. Dahinter steht die Methodologie der Korpuslinguistik Sinclair'scher Prägung, die sich nur formaler Methoden bedienen will und die Intuition des "native speaker" ausschließt. Selbst die Bedeutung soll automatisch und rein formal erfasst werden (Sinclair 1998), was dazu führt, dass im "Pattern"Ansatz die traditionelle Unterscheidung zwischen Lexis und Grammatik verwischt ist. Nach Sinclair (1991: 7) "there is ultimately no distinction between form and meaning". Die Grenzen eines solches Ansatzes, meine ich, sind offenkundig und reichen nicht über die vage Hoffnung hinaus, dass große Datenmengen "can inspire new theories" (so Stubbs 1996: 232; vgl. auch Weigand demn.a).
Zweites Kapitel SPRECHAKTTAXONOMIE
1. Vorüberlegungen
1.1. Form und Funktion einer Taxonomie Die vorgelegten Sprechakttaxonomien weisen alie die Form einer Liste von Sprechaktklassen auf. Die Beziehung zwischen den einzelnen Sprechaktklassen wird nicht deutlich gemacht. Nur vereinzelt werden Sprechaktklassen nach Untermustern aufgeteilt; die fundamentalen Sprechaktklassen jedoch werden nicht zueinander in Beziehung gesetzt. Auch Searle stellt seine fünf Sprechaktklassen nebeneinander auf eine Stufe, ohne die Relationen zwischen ihnen explizit zu machen. Daher scheint es mir notwendig, sich zunächst über Form und Funktion einer Taxonomie klar zu werden. Die Aufgabe der Unterscheidung von Sprechaktklassen lässt sich offenbar mit drei Termini bezeichnen: Taxonomie, Klassifikation und Typologie. Searle kann sich zwischen Taxonomie und Klassifikation nicht entscheiden, bzw. beide Begriffe werden von ihm gleichgesetzt, wie die wechselnden Titel seiner Taxonomie bzw. Klassifikation zeigen (vgl. Searle 1975a). Als Grundbedeutung der Begriffe Klassifikation bzw. Typologie kann man m.E. annehmen, dass eine Klassifikation bzw. Typologie die Funktion erfüllt, Klassen bzw. Typen zu bilden und auf diese Weise eine Vielzahl vorgegebener Einzelelemente zu ordnen und zusammenzufassen. 1 Eine Taxonomie dagegen hat die Funktion, ein komplexes Ganzes inhaltlich zu unterteilen.2 In beiden Fällen ergibt sich ein System von Einheiten, bei einer Klassifikation bzw. Typologie durch Abstraktion aus einer größeren Menge von Elementen, bei einer Taxonomie durch Differenzierung eines komplexen Ganzen. Empirische Daten werden nach gemeinsamen Merkmalen klassifiziert, typologisiert, so z.B. bei der Klassifikation grammatischer Ausdruckselemente unter dem Gesichtspunkt ihrer Bedeutung nach grammatischen Kategorien (vgl. Weigand 1978: 19). Komplexe Gegenstandsbereiche wie das sprachliche Handeln werden dagegen taxonomisiert, nach relevanten Kriterien in Klassen zerlegt. Bei einer Klassifikation bzw. Typologie müssen somit Kriterien gefunden werden, die für eine Menge von Einheiten gemeinsam sind (z.B. das Kriterium gleicher Bedeutung bei flexivischen Einheiten), bei einer Taxonomie dagegen müssen Kriterien gefiin1
2
Ich mache keinen Unterschied zwischen Klassifikation und Typologie. Vgl. jedoch Ballmer/Brennenstuhl (1981: 4), die diese Begriffe differenzieren. Dies kommt in gewisser Weise auch in der Verwendung des Begriffs Taxonomie für den amerikanischen Strukturalismus zum Ausdruck, von der ich hier absehe. Für den taxonomischen Strukturalismus wäre Klassifikation ein Prinzip, das nach der Segmentation wirksam werden kann (vgl. zum taxonomischen Strukturalismus z.B. Chomsky 1964: 11, 75, Bierwisch 1966: 85, Holenstein 1975:96ff.). Wieder auf andere Weise verwendet W.A. Koch (1971: 27) den Begriff der Taxonomie. Für ihn macht eine Taxonomie nur eine Stufe innerhalb eines umfassenderen Ordnungssystems, einer Taxologie, aus.
73 den werden, die die Einheiten eines komplexen Ganzen als distinkte Einheiten bestimmen (z.B. das Kriterium unterschiedlicher Realisierung, durch Flexive, Reihenfolge etc., für den Gesamtbereich der grammtischen Kategorien). Das heißt, das Vorhaben, Sprechaktklassen deduktiv zu unterscheiden, ist immer ein taxonomisches, während die Unterscheidung von Sprechaktklassen nach Sprechaktverben klassifizierend/typisierend vorgeht. Allerdings könnte man die Begriffe Klassifikation und Typologie auch im Sinn der Aufteilung eines komplexen Ganzen, also nicht im Gegensatz zu Taxonomie verstehen. Aus Gründen der Eindeutigkeit verwende ich daher den Begriff der Taxonomie, da er m.E. auf die inhaltliche Differenzierung eines komplexen Ganzen festgelegt werden kann und somit einen theoretischen Anspruch bezüglich des Wesens eines Phänomens stellt.3 Eine Taxonomie stellt somit einen theoretischen Anspruch bezüglich des Wesens eines Phänomens, oder mit Searles Worten: "A taxonomy is a theoretical claim about the nature of a domain" (Searle 1990: 417). Ziel der Taxonomie ist es, Sprechaktklassen zu unterscheiden. Sprechakte sind komplexe Einheiten, die nach dem grundlegenden Handlungsprinzip als Zuordnung kommunikativer Zwecke und Mittel zu verstehen sind (s.o. Figur 5). Definierendes Kriterium ist der Zweck oder die Handlungsfunktion. Ziel der Taxonomie ist es daher, Sprechaktklassen als quasiuniverselle Funktionsklassen zu unterscheiden. Dies muss man klar erkennen und bei der Ableitung der Taxonomie, bei der Wahl der Kriterien immer im Auge behalten, soll die Homogenität der Taxonomie gewahrt bleiben. Bei den bisher vorliegenden Taxonomien werden Kriterien unterschiedlicher Art, funktionale, propositionale, ausdrucksbezogene und situative, nebeneinander verwendet. Die dadurch gebildeten Klassen sind dementsprechend heterogen. Statt dessen sind Sprechaktklassen als Funktionsklassen aus der generellen Bestimmung der kommunikativen Funktion der Sprache abzuleiten. Aus der allgemeinen Definition der Illokution sind mittels funktional-illokutiver Kriterien Illokutionsklassen und in Abhängigkeit davon Perlokutionsklassen zu gewinnen. Kriterien der Taxonomie können nur Kriterien des Gegenstands sein. Erst nach Differenzierung der Funktionsklassen, d.h. nach Konstituierung fundamentaler und abgeleiteter Funktionsklassen, hat man sich zu fragen, wie Sprechaktklassen weiter differenziert werden können. Die Inhaltsstruktur von Sprechakten kombiniert die kommunikative Funktion mit einer Proposition. Dementsprechend können Sprechaktklassen durch propositionale Merkmale weiter differenziert werden. Auf diese Weise entstehen innerhalb der einzelnen Funktionsklassen Untermuster. Die Sprechakttaxonomie setzt sich also zusammen aus einer Taxonomie von Funktionsklassen und einer Taxonomie von Unterklassen innerhalb der einzelnen Funktionsklassen. Die Kriterien sind in jedem Fall inhaltliche, entweder Kriterien der Illokution oder Kriterien der Proposition. In den bisher vorliegenden Taxonomien werden vielfach situative Kriterien, das sind situative und soziale, verwendet, weil man offenbar glaubt, Sprechakte als Komplex aus Funktion, Äußerungsform und Äußerungskontext bestimmen zu müssen. Situative Faktoren sind zwar generell bei der Sprachverwendung immer präsent, korrelieren jedoch vielfach 3
Da eine solche Festlegung in der Literatur nicht reflektiert wird, habe ich auch im vorausgehenden diese Unterscheidung zwischen Taxonomie und Klassifikation nicht gemacht. Im naturwissenschaftlichen Bereich (z.B. bei Linné) wird "Taxonomie" allerdings so verwendet, wie ich es fllr "Klassifikation" beschrieben habe, nämlich bezogen auf konkrete, vorgegebene Objekte (vgl. zu diesem Verständnis Rosch 1978: 30).
74 mit Merkmalen des Inhalts oder Ausdrucks. Sie können auch unmittelbaren Einfluss auf die Realisierung der kommunikativen Funktion haben, wenn die Äußerungsform allein nicht eindeutig ist. Ich möchte jedoch hier nicht von disambiguierender Funktion des Kontexte sprechen, da Äußerungsform und Äußerungskontext nicht zu trennen sind (vgl. auch Weigand 1979a: 132). Nur für eine Sprachbeschreibung, die unter Abstraktion des Kontexts von Funktionspotentialen von Sätzen ausgeht, haben situative Faktoren disambiguierende Funktion. Als Form der Unterteilung von Komplexität sind prinzipiell zwei Möglichkeiten denkbar: Zum einen die induktive additive Unterscheidung relevanter Einheiten in Form einer offenen Liste, die etwa nach Wittgenstein durchaus unbegrenzte Möglichkeiten oder Überschneidungen zulässt (s.o. I 2.1.); zum anderen die durch explizite Kriterien begründete deduktive Unterscheidung der Einheiten, die von der Annahme ausgeht, dass die Zahl grundlegender quasi-universeller Funktionen begrenzt ist. Diese Annahme ist nach meinem Verständnis durchaus mit einer unbegrenzten individuellen Variation in der Wahrnehmung dieser Funktionen vereinbar, d.h., die unterschiedlichen Positionen von Wittgenstein und Searle beziehen sich auf unterschiedliche Sichtweisen, zugrundeliegende Funktionen versus Performanz des Handelns, und sind durchaus miteinander verträglich. Allein die zweite Möglichkeit der deduktiven Ableitung erfüllt die Anforderungen an eine Taxonomie im strengen Sinn. Aus der Funktion einer Taxonomie, Komplexität durch ein System von Einheiten zu unterteilen, folgen die Bedingungen, die an die Form einer Taxonomie zu stellen sind. Um ein System von Einheiten zu erhalten, müssen zumindest die Bedingungen der Vollständigkeit, der Homogenität und Distinktheit der Einheiten und der Transparenz ihrer Beziehungen erfüllt sein.4 Dies ist am klarsten gewährleistet, wenn die Taxonomie die Einheiten deduktiv aus dem Gesamt sprachlichen Handelns in einer möglichst binären Hierarchie ableitet. Die Bedingung der Homogenität ist erfüllt, wenn zur Ableitung einheitliche Kriterien verwendet werden. Durch die hierarchische Ableitung lässt sich der Anspruch nach möglichst einfacher Strukturierung mit dem Anspruch nach notwendiger Differenzierung verbinden. Die immer wieder gestellte Frage nach der Anzahl der unterschiedenen Einheiten, die scheinbar das Charakteristische einer Taxonomie ausmacht, wird somit irrelevant. Das entscheidende Problem und das eigentlich Charakteristische der Taxonomie ist die Wahl der Kriterien. Entsprechend der hierarchischen Anordnung der Einheiten muss auch die Wahl der Kriterien einer inneren Ordnung gehorchen.5 Eine Taxonomie dieser Form orientiert sich an Prinzipien, die für eine Kategorisierung nach klassischem Muster gelten. Nun versucht Lakoff (1982), diesen Typ der klassischen Kategorisierung durch die sog. natürliche Kategorisierung abzulösen, die mit Prototypen und idealisierten kognitiven Modellen arbeitet. Die Mitgliedschaft zu einer Kategorie ist hier wie schon bei Ross (z.B. 1975b) eine graduelle Sache; es gibt keine scharfen Grenzen. Lakoff übersieht dabei, dass es zwei verschiedene Dinge sind, ob man Empirie, Realität beschreiben will und zur Klassifizierung der Vielfalt empirischer Daten eine Kategorisierung braucht oder ob man grundlegende Funktionen, die empirisch nicht direkt fassbar sind, 4
5
Ballmers Forderungen an eine Klassifikation scheinen mir ebenso wie Habermas (1981.1: 428) etwas zu stark zu sein (Ballmer 1979: 253ff.). Gegen eine Klassifikation nach Art einer Baumstruktur (allerdings bezogen auf Sprechaktverben) argumentiert J.L. Cohen (1974:20 Iff.).
75 definieren und kategorisieren will. Für ihn gibt es offenbar nur die Frage, welche Art von Kategorisierung empirisch adäquat ist (S. 36). Für den ersten Typ der Kategorisierung empirischer Daten, also der Klassifikation im oben definierten Sinn, mag Lakoffs natürliche Kategorisierung mitunter angebracht sein; generell gilt sie auch hier nicht, wie die Kategorisierung grammatischer Ausdrucksmittel nach grammatischen Kategorien zeigt (vgl. Weigand 1978).6 Die lexikalische Semantik jedoch mag eine gewisse Evidenz fiir die natürliche Kategorisierung liefern (s. Lakoff 1982: 48; vgl. Weigand demn.e).7 Für eine Taxonomie funktionaler Einheiten dagegen, die sich nicht aus der Empirie ableiten lässt, gelten die oben genannten Forderungen nach klassischem Muster. Lakoffs Schluss, dass die Ergebnisse experimenteller Untersuchungen generell jede Theorie der Kategorisierung begrenzen (S. 19), greift zu weit; die experimentellen Untersuchungen - gemeint sind Roschs Arbeiten (z.B. Rosch/Mervis 1975, Rosch 1978) - haben ihren speziellen Geltungsbereich und sind nur über die These Lakoffs, dass sie unsere kognitive Struktur reflektieren, zu verallgemeinern. Eine solche These scheint mir jedoch wenig wahrscheinlich; zumindest wäre zwischen perzeptiver und kognitiver Struktur sowie zwischen "brain" und "mind" zu unterscheiden. Lakoff mag Recht haben, dass menschliche Erkenntnis in der Empirie sich an Prototypen orientiert; dies ist jedoch nur ein weiterer Faktor, der eine Sprechakttaxonomie von der Äußerungsseite her unmöglich macht.8 Für die Beschreibung der Äußerungsformen ist dieser Gesichtspunkt jedoch im Auge zu behalten. Er gibt eine Erklärung für ein Phänomen, das man auch Sprechaktsyndrom nennen könnte. Bei der Analyse der einzelnen Äußerungen sind nicht immer definitive Zuordnungen zu treffen, Sprechaktverben sind nicht 1:1 Handlungstypen zugeordnet, Zuordnungstypen für Sprechakte gehorchen nicht definitiven Plusminus-Entscheidungen. Unscharfe und Variation nehmen in der Sprachverwendung einen größeren Raum ein als bisher angenommen (vgl. Weigand 1984a). Dieses Oberflächensyndrom darf man jedoch nicht auf die Theorie schlechthin übertragen, wie dies, vergleichbar mit Lakoff, auch Leech (1983: 177f.) beabsichtigt, der gegen eine kategorische Sprechakttheorie argumentiert und, ausgehend von der Realität der Kommunikation, für ein Kontinuum von Illokutionen eintritt (vgl. zu diesem Problem sprachlicher Kategorisierung Weigand 1987).
1.2. Klassen und Kriterien Den in einer hierarchisch geordneten Taxonomie abgeleiteten Funktionsklassen kommt unterschiedlicher Status zu entsprechend ihrer Stellung in der Hierarchie. Dabei muss diese innere Ordnung durch die Kriterien begründet sein, die die Funktionsklassen aus der allgemeinen kommunikativen Funktion der Verständigung ableiten; denn die innere Logik des Gegenstands ist das einzige Kriterium, das eine deduktive Taxonomie der Beliebigkeit entreißt. Aufgrund der Abhängigkeit der Perlokution von der Illokution ist das Problem einer 6
7
8
Man vergleiche hierzu auch Matthews (1979: 88), der zwischen "rules" und "tendencies" unterscheidet. Zur Frage der lexikalischen Bedeutungsrepräsentation vgl. auch Quasthoft/Hartmann (1982) und Weigand (1991c). Dies zeigt sich auch bei Verschueren (1980: 36), der ausgehend von einer Analyse von Sprechaktverben fälschlich zu dem Schluss kommt, Sprechakttypen formten ein Kontinuum.
76 Taxonomie primär das Problem der Ableitung von Illokutionsklassen. Illokutionsklassen sind aus der allgemeinen Definition der Illokution als pragmatischen Wahrheits- oder Wollensanspruchs abzuleiten (vgl. Weigand 1991a als Korrektur der Erstauflage). Mittels konstitutiver Kriterien werden fundamentale Illokutionsklassen begründet, die dann soweit möglich - mittels modifizierender Kriterien weiter abgeleitet werden. Konstitutive Kriterien beziehen sich auf einen bestimmten Wahrheits- oder Wollensanspruch, modifizierende Kriterien modifizieren den Anspruch. Fundamentale Illokutionsklassen sind also hierarchisch höherrangig, von größerer illokutiver Reichweite als modifizierte, abgeleitete. Soweit es nicht auf diese Unterscheidung der Illokutionsklassen nach ihrem Rang ankommt, wird der Begriff Illokutionsklasse als allgemeiner Begriff für beide verwendet. Die Unterscheidung zwischen fundamentalen und abgeleiteten Illokutionsklassen könnte man auf Searles Unterscheidung von "illocutionary point" und "illocutionary force" beziehen. Auf der Einheit des "illocutionary point" sind fundamentale Illokutionen begründet, durch Hinzunahme weiterer den "illocutionary point" modifizierender Komponenten zur komplexeren Einheit "illocutionary force" werden Illokutionsklassen aus fundamentalen Illokutionsklassen abgeleitet. Zum Kriterium des pragmatischen Wahrheits- oder Wollensanspruchs kommt das Kriterium der Interdependenz von Illokution und Perlokution hinzu. So wie jede Perlokution durch ihre Abhängigkeit von einer Illokution definiert ist, so ist auch jede Illokution durch eine spezifische Perlokution definiert. Direktive Sprechakte z.B. zielen auf eine Handlungszusage. Wann immer auf einen Sprechakt eine Handlungszusage folgen kann, liegt - direkt oder indirekt - ein direktiver Sprechakt vor. Der perlokutive Sprechakt ist dabei unter einer Funktion zu sehen, die positiv wie negativ ausgeprägt sein kann. Die Ablehnung, die negative Zusage, nach einem direktiven Sprechakt erfüllt in diesem Sinn den direktiven Sprechakt ebenso wie die positive Zusage. Kommunikative Funktionen sind keine freischwebenden Einheiten. Zu jeder kommunikativen Funktion gehört eine Proposition, von der sie zwar heuristisch-analytisch, jedoch nicht in der Sprachverwendung getrennt werden kann. Ich kann schwerlich der Ansicht zustimmen, dass es Sprechakte ohne Proposition gibt.9 Sprechakte des Grüßens z.B., die Bach/Harnish (1979: 286) und Ballmer/Brennenstuhl (1981: 60) als Sprechakte ohne Proposition bezeichnen, gehören m.E. zu den deklarativen Sprechakten. Mit dem Grüßen wird eine soziale Beziehung signalisiert/aufrechterhalten oder, wie Habermas (1981.1: 417f.) sich ausdrückt, ein sozialer Status bestätigt. Durch die deklarative Kraft wird diese soziale Beziehung hergestellt, der propositionale Gehalt dieses Sprechakts beinhaltet m.E. die Spezifizierung der sozialen Beziehung als Gruß. Nun sind deklarative Sprechakte für manche gerade die Sprechakte, bei denen Illokution und Proposition nicht getrennt werden können. Diese Beschreibung ist m.E. jedoch nur auf die Äußerungsform, auf die Verwendung deklarativer Sprechaktverben zu beziehen (vgl. z.B. McCawley 1977: 17). In ihrer Inhaltsstruktur sind deklarative Sprechakte wie alle anderen als Kombination von kommunikativer Funktion und Proposition zu repräsentieren. Als weiteres Beispiel eines Sprechakts ohne Proposition wird auch ach als Ausdruck der Überraschung vorgebracht. Doch ist dieses ach nur Äußerungsvariante für z.B. Bin ich jetzt überrascht!, und für diese Äußerung könnte man sich vorstellen, dass sie eine allgemeine expressive illokutive Funktion und eine Proposition 9
Auch Gaines (1979: 21 If.) zieht diese verbreitete Behauptung, dass es Sprechakte ohne Proposition gebe, in Zweifel.
77 enthält, die die allgemeine expressive Funktion als Überraschung spezifiziert. Ebenso sind in ach illokutive Funktion und Proposition verschmolzen. Aus dieser Kombination von kommunikativer Funktion und Proposition ergibt sich die weitere Differenzierung der Sprechaktklassen: Die einzelnen Funktionsklassen sind nach propositionalen Merkmalen in Untermuster zu differenzieren. Untermuster sind demnach bereits spezifische Sprechaktklassen aus Illokution urtd Proposition. Ich verwende den Terminus Untermuster im Unterschied zu Handlungsmuster, wenn es darauf ankommt, den Aspekt der Unterordnung bei der Ableitung mit zu bezeichnen. Handlungsmuster verstehe ich jedoch nicht wie z.B. Fritz (1982: 229) im Sinn von Sprechakten, unter Einbezug der Äußerungen, sondern Handlungsmuster sind wie Untermuster inhaltlich definierte Einheiten aus kommunikativer Funktion und Proposition. Fasst man propositionale Merkmale als semantische im Unterschied zu den pragmatischen Merkmalen der Illokution, so könnte man die Ableitung der Illokutionsklassen der Pragmatik, die Differenzierung der Untermuster der Semantik zuweisen, wenngleich Untermuster aufgrund ihrer Zuordnung zu einer Funktionsklasse Handlungseinheiten darstellen. Mit dieser Klassifikation der Illokution als pragmatisch und der Proposition als semantisch ist jedoch nicht mehr als eine terminologische Etikettierung zweier Bedeutungstypen erreicht, die immer zusammen vorkommen. Logisch gesehen könnte man ihre Verbindung als Prädikation beschreiben: Die Illokution stellte dann eine Prädikation über der Proposition dar. Entsprechend der Hierarchie aus Illokution und Proposition in der Ableitung der Sprechaktklassen bestimmt die Illokution, welche Propositionen sich mit ihr verbinden können. Allerdings sind die Beschränkungen filr die Verbindung einer Illokution mit möglichen Propositionen bei einigen Illokutionen so gering, dass eine systematische Differenzierung in Untermuster nicht sinnvoll erscheint (vgl. Kap. II 4. Untermuster). Für die Ableitung der Funktionsklassen und Untermuster ergibt sich damit folgendes Schema: (Fig. 1) kommunikative F. der Verständigung
Ableitung von F.-Kl. ill. Kriterien konstitutiv (Anspruch stellend)
fd. III.ι
modifizierend (Anspruch difT.)
III.,
Ableitung von UM prop. Kriterien
ill. UM,
>
perl. UM,
ill. UM Z < — >
perl. UM 2
F.: Funktion, Kl.: Klasse(n), fd.: fundamental, III.: Illokution, ill.: illokutiv, Perl.: Perlokution, perl.: perlokutiv, diff.: differenzierend, UM: Untermuster, prop.: propositional
Zur Veranschaulichung soll ein einfaches Beispiel dienen: Die fundamentale Illokution der Direktive wird durch einen pragmatischen Wollensanspruch konstituiert, dem das An-
78 passungskriterium f entspricht. Dieser Wollensanspruch zielt auf eine perlokutive Sprechhandlung der Handlungszusage. Er kann illokutiv differenziert werden, z.B. durch das Kriterium [±ErfÜllungsanspruch], das die Illokutionsklasse des Petitivs (Bitten) ausgrenzt als Funktionsklasse des Direktivs ohne Erfiillungsanspruch. Die petitive Illokution kann sich auf eine Proposition beziehen, die einen Besuch bezeichnet. Zum Ausdruck dieses Untermusters steht im Deutschen das Sprechaktverb einladen zur Verfügung, das nicht nur die kommunikative Funktion des Petitivs, sondern die gesamte Kombination aus kommunikativer Funktion und Proposition enthält. Dabei darf man nicht vergessen, dass Träger der Handlung immer die ganze Äußerung ist, während das Sprechaktverb nur prädiziert (vgl. Weigand 1993a). Das entsprechende perlokutive Untermuster wird im Deutschen durch eine Äußerung mit eine Einladung annehmen/absagen realisiert. An diesem Beispiel zeigt sich, dass Sprechaktverben wie alle sprachlichen Ausdrücke vielfach komplexe Inhalte bezeichnen. Sie können die gesamte Inhaltsstruktur eines Sprechakts aus Illokution und Proposition zusammenfassen (z.B. einladen) oder nur die Illokution bezeichnen (z.B. bitten). Dies muss man bei der Frage der Trennbarkeit von Proposition und Illokution und auch bei der Frage einer Sprechakttaxonomie, sofern man von Sprechaktverben ausgeht, beachten. Sprechaktklassen sind, wie obiges Schema zeigt, mittels inhaltlicher Kriterien abzuleiten. Ausdrucksbezogene Kriterien und Kriterien der Situation, d.h. situative und soziale, fehlen. Zusammen mit den sprachlichen Ausdrucksmerkmalen gehören situative Kriterien zur Realisierung von Sprechakten. In der Literatur jedoch werden Taxonomien von Untermustern in der Regel mit situativen Kriterien abgeleitet, da man offensichtlich glaubt, jede Art Kriterien, die mit Sprechakten zusammenhängen, zur Ableitung benutzen zu können, nicht nur situative Kriterien, auch Kriterien des Ausdrucks (vgl. z.B. Hindelang 1978a: 119). Auf diese Weise entsteht eine heterogene Taxonomie mit inhomogenen Klassen, die letztlich beliebig sind und durch Wahl anderer Kriterien ausgetauscht werden könnten. Statt dessen muss man erkennen, dass ausdrucksbezogene Kriterien einzelsprachlich arbiträr sind und nicht systematisch Grenzen von Sprechaktklassen reflektieren; und situative Kriterien sind, sofern sie sprachlich relevant sind, keine eigenständigen Kriterien, sondern korrelieren entweder mit ausdrucksbezogenen oder mit inhaltlichen Merkmalen. So ist in unserem Beispiel [± Erfüllungsanspruch] kein situatives, sondern ein illokutives Kriterium, für das durchaus begleitende Kriterien einer "Bittsituation" gefunden werden können, die jedoch nur parallel, charakterisierend, nicht Sprechaktklassen begründend angesetzt werden dürfen. Auch ist es keineswegs so, dass die Illokution gleich bleibt und sich nur die Situation ändert, wodurch unterschiedliche Handlungsmuster, sofern man sie als Komplex aus funktionalen, situativen und ausdrucksbezogenen Merkmalen versteht, entstünden. Wäre es so, so bedürfte es keiner differenzierten Sprechakttaxonomie; die unterschiedlichen Handlungsmuster wären unterschiedliche Realisierungen derselben Funktion. Doch wie sich zeigen wird, sind die fundamentalen Illokutionen sehr wohl illokutiv zu differenzieren. Die direktive Illokution z.B. wird nicht nur durch unterschiedliche Hierarchieverhältnisse differenziert. Auch die Illokution der Prüfungsfrage entsteht nicht durch situative Kriterien, sondern ist illokutiv abzuleiten: der Sprecher möchte wissen, ob der Angesprochene weiß. Aufschluss über Handlungstypen ist nicht über eine Typologie der Situation, sondern primär funktional zu gewinnen. Damit in Zusammenhang steht die Frage institutioneller Sprechakte. Es gibt m.E. keine eigenen institutionellen Funktionsklassen, nur institutionelle Sprechaktklassen, d.h., quasiuniverselle Illokutionen verbinden sich mit institutionell bedingten Sachverhalten. Institu-
79 tionell sind nicht die illokutiven, sondern die propositionalen Merkmale und die Merkmale der Realisierung (Ausdruck und Situation). Die Illokution der Prüftmgsfrage muss nicht immer in institutionellen Prtlfungssituationen eingesetzt werden; oder der Sprechakt "eine Sitzung eröffnen" bezieht sich zwar auf einen institutionell geprägten Weltausschnitt, illokutiv jedoch gehört er zu den deklarativen Sprechakten, die keineswegs nur institutionelle Sprechakte umfassen. Das heißt, Institutionalität betrifft die Ableitung von Untermustern, nicht die Ableitung von Funktionsklassen. Wunderlichs Beschreibung institutioneller Sprechakte müsste in dieser Hinsicht differenziert werden (z.B. 1976a: 313). Überhaupt kann man generell beobachten, dass in der Literatur zu wenig zwischen konstitutiven Merkmalen des Inhalts und Faktoren der Realisierung unterschieden wird. Auch Bierwischs Forderung nach einer Theorie der sozialen Interaktion mag für gewisse Fragen der Realisierung durchaus angebracht sein; die Ableitung einer Sprechakttaxonomie kann eine Theorie der sozialen Interaktion jedoch nicht übernehmen (1980: 25). Ich werde auf das Problem der Ableitung von Untermustern im entsprechenden Kapitel nochmals eingehen (s. II 4.). Mitunter werden abgeleitete Typen bzw. Untermuster auch über das Kriterium des Stärkegrades oder der Intensität bestimmt. So ordnet Searle (1975a: 348) das Kriterium der Stärke ("strength") unter die Kriterien ein, nach denen sich illokutive Akte unterscheiden. Verschueren (1979: 209) reiht direktive Sprechaktverben nach einer semantischen Dimension direktiver Stärke auf, wobei die relative Beliebigkeit der Anordnung auffällt. Das Kriterium der Intensität erhält seine Relevanz bei der Kategorisierung von Ausdrucksdaten; Sprechakttypen werden durch unterschiedliche Intensität nicht begründet. Zwar ist Searle bemüht, eine Taxonomie von Sprechakttypen zu geben, doch hält er diesen Gesichtspunkt bei der Auswahl seiner Kriterien nicht immer streng durch. Unterschiedliche Intensität kommt jedoch keineswegs nur durch verschiedene Lexeme zum Ausdruck, sondern hängt entscheidend mit dem Kriterium der Sequenzabhängigkeit zusammen. Auch Franke (1983: 21 f.), dem es vor allem um die Sequenzabhängigkeit bestimmter Sprechakte geht, kann im Stärkegrad kein generelles Untermuster differenzierendes Kriterium erkennen. Wie situative Kriterien gehören sprachliche, ausdrucksbezogene Kriterien zur Realisierung von Sprechakten. Sie sind für eine Taxonomie bedingt relevant, jedoch nicht im ersten Schritt bei der Ableitung, wie Hindelang (1978a: 119) fordert, sondern zur Überprüfung. Bei der Zuordnung in natürlichen Sprachen kann man von einem Grundprinzip ausgehen, das durch die sprachliche Ökonomie bedingt ist. Für einzelne Inhalte gibt es zwar immer verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten, jedoch ist nach den Prinzipien der Sprachökonomie anzunehmen, dass für fundamentale, häufig gebrauchte Inhalte kurze Ausdrücke zur Verfügung stehen (vgl. Weigand 1978: 199f.). Solch aufwandsparende Ausdrücke sind vor allem grammatische Ausdrücke, bei Sprechakten Ausdrücke der Kategorie des Modus. Das heißt, bei einer Sprechakttaxonomie kann man davon ausgehen, dass zumindest für die fundamentalen Illokutionsklassen grammatische Ausdrucksmöglichkeiten, modale Kategorien zur Verfügung stehen. In diesem Sinn können Merkmale der Äußerungsform zur Überprüfung der Taxonomie eingesetzt werden. Vergleicht man die Kriterien in Figur 1 mit Searles Regeltypen zur Bestimmung eines Sprechakts (z.B. 1969: 63), so entsprechen die illokutiven Kriterien der "essential rule", die propositionalen der "propositional content rule". "Preparatory rules", die sich auf situative Faktoren beziehen, fehlen; situative Faktoren sind zwar, wie Searle sagt (S. 60), Bedingungen "sine quibus non", jedoch filr die Taxonomie selbst sind sie nicht konstitutiv. Und es fehlt auch die "sincerity rule". Betrachtet man wie Searle die Bedingung der Aufrichtigkeit
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als konstitutiv für kommunikative Sprachverwendung, so kann sie innerhalb einer Taxonomie kommunikativer Sprechakttypen kein distinktives Merkmal darstellen. M.E. ist jedoch ein solch inhaltlich eingeschränkter Kommunikationsbegriff problematisch. Ich werde auf dieses Problem bei der Beschreibung der Repräsentative kurz eingehen (II 3.4.). In Routineformeln jedenfalls, wie z.B. Entschuldigung, Meine Gratulation!, hat die Bedingung der Aufrichtigkeit keine Gültigkeit. Searle (1975a) baut nicht mehr primär auf diesen Regeltypen auf, sondern verwendet eine Kriterienliste zur Ableitung seiner Taxonomie, setzt jedoch die einzelnen Kriterien zu seinen Regeltypen von 1969 in Beziehung (vgl. dazu auch Katz 1977: 197f.). Für die Ableitung der Illokutionstypen und Sprechaktklassen verwende ich eine Terminologie in Anlehnung an Searle, d.h., sofern die Klassen in etwa Searles Klassen entsprechen, übernehme ich seine Termini. Soll der Unterschied zu Searle eigens herausgearbeitet werden, werde ich dies besonders hervorheben. Müssen für neue Klassen neue Namen gefunden werden, so sollen sie einerseits Wissenschaftssprache, andererseits sprechende Namen sein und sich daher in Fortfuhrung von Searles Praxis soweit möglich am Lateinischen orientieren, auch um die Universalität dieser Klassen zu betonen.10 Perlokutive Funktionen allerdings, für die in der Literatur noch keine Termini geprägt wurden, bezeichne ich mit deutschen Namen. Will man auch hier die Universalität bereits im Terminus hervorheben, könnte man entsprechende lateinische Termini verwenden, für die ich jeweils einen Vorschlag mache. Untermuster bzw. Handlungsmuster verstehe ich wie schon erwähnt als inhaltlich definierte Einheiten aus kommunikativer Funktion und Proposition. Zusammen mit der Realisierung ergeben sie Sprechakte. Sprechakte können auch als universelle Inhaltsstruktur (aus kommunikativer Funktion und Proposition) betrachtet werden, wobei vom Aspekt der einzelsprachlichen Realisierung abgesehen wird. Soll der inhaltliche Aspekt bei Illokutionsklassen und Untermustern eigens markiert werden, so verwende ich für Illokutionsklassen Kapitälchen (z.B. DIREKTIVE), für Untermuster/Handlungmuster einfache Anführungszeichen (z.B. 'Vorschlag')· Auf einen Unterschied zur Terminologie in der Literatur, der sich aus meinen theoretischen Annahmen ergibt, muss ich noch hinweisen. Wie ich bereits in Kapitel I dargelegt habe (Figur 2), verstehe ich unter Illokution die illokutive Funktion, im Unterschied zu Searle (1969: 31), bei dem Illokution als illokutiver Akt illokutive Funktion und Proposition umfasst. Daher beziehen sich bei mir die Termini Direktive, Repräsentative etc. primär auf Klassen illokutiver Funktionen, bei Searle dagegen auf Klassen 'illokutiver Akte', die für mich Sprechaktklassen oder Handlungsmuster sind. Will ich den Unterschied zwischen Illokutionsklasse (im Sinn einer Klasse der illokutiven Funktion) und Sprechaktklasse eigens markieren, so unterscheide ich z.B. Repräsentative (Illokutionsklasse) von repräsentativen Sprechakten. Kommt es auf diese Unterscheidung nicht an, so wird Repräsentativ sowohl für eine Illokutions- wie Sprechaktklasse verwendet.
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Dabei ergibt sich, dass einige Termini, die ich für Funktionsklassen geprägt habe, bereits als grammatische Begriffe etabliert sind. Dies betrifft die Termini Iussiv, Expressiv, Deliberativ, Desiderativ, Konditional, deren etablierte grammatische Verwendungsweise z.B. bei Marouzeau (1951) nachzuschlagen ist. Diese Termini wurden bisher vor allem filr bestimmte Verbformen gebraucht, mit denen man bestimmte funktionale Qualitäten verband. Wenngleich man keine Sprechaktklassen unterschied, erkannte man doch z.T. an einzelnen Ausdrucksformen deren Funktion.
81 2. Fundamentale Funktionsklassen
Fundamentale Funktionsklassen sind Klassen der kommunikativen Funktion, die mittels konstitutiver Kriterien aus der Definition der kommunikativen Funktion abgeleitet werden. Der illokutive Sprechakt ist definiert durch das Stellen eines Anspruchs, der perlokutive Sprechakt ist definiert durch das Eingehen auf diesen Anspruch, in einem abstrakten Sinn durch das Erfüllen dieses Anspruchs." Anspruch stellen und Anspruch erfüllen definieren funktional die Grundeinheit der Kommunikation und ihre Funktion der Verständigung. Einzelne Illokutionsklassen fundamentaler Art sind als Stellen eines bestimmten Anspruchs abzuleiten; mit diesen korreliert eine bestimmte Art und Weise, auf diesen Anspruch einzugehen, eine bestimmte fundamentale Perlokutionsklasse. Der Zusammenhang zwischen Illokution und Perlokution ist nicht arbiträr, sondern beruht auf dem Prinzip der Interdependenz. Eine bestimmte Illokution zielt auf eine bestimmte Perlokution, und umgekehrt setzt eine bestimmte Perlokution eine bestimmte Illokution voraus. Insofern sind Illokutionsklassen auf zweifache Art definiert: durch das Stellen eines bestimmten Anspruchs und durch ihr Gerichtetsein auf eine bestimmte Perlokution. Das zentrale konstitutive Kriterium ist das Kriterium des Anspruchs; aus ihm primär sind die fundamentalen Funktionsklassen abzuleiten. Fundamentale Funktionsklassen sind definiert durch die Interdependenz von Illokution und Perlokution. Für eine Klasse allerdings nimmt diese Interdependenz eine extreme Form an: Illokution und Perlokution fallen zusammen. Dies sind mit Searles Terminus die DEKLARATtVE.12 Sie werden auf oberster Stufe der Hierarchie durch den Zusammenfall der beiden Funktionen definiert und von den übrigen Funktionsklassen getrennt. Deklarative sind weltschaffende Sprechakte: Sie schaffen einen Weltzustand, indem sie ihn sprachlich für existent erklären; allerdings können sie nur bestimmte Arten von Welt, z.B. soziale Beziehungen, schaffen. Ihre Illokution ist definiert durch einen Wollensanspruch, dass qua Äußerung Welt geschaffen wird. Im Unterschied zum Wollensanspruch der direktiven und explorativen Sprechakte richtet sich der Wollensanspruch bei Deklarativen auf die Handlung des Sprechers selbst. Gelingen sie, so ist mit der Äußerung der Anspruch gestellt und auch erfüllt. Ein Stück Welt ist qua Äußerung geschaffen und in der Regel schweigend vom Kommunikationspartner angenommen; man denke an das vielzitierte Beispiel (1)
Ich taufe dich auf den Namen ...
Katz' Befürchtung, dass eine so definierte Klasse der Deklarative zu weit gefasst sei, da sich im Grunde durch jeden Sprechakt ein Stück Welt ändere, ist nicht angebracht (1977: 220)." Deklarative sind durch den ihnen eigenen Wollensanspruch eindeutig von den ande" Abstrahiert wird von einer positiven bzw. negativen Ausrichtung des Anspruch-Erfllllens. 12 Ich übernehme Searles Terminus der Deklarative, wenngleich dieser Terminus nicht ganz glücklich erscheint, da er in Verbindung mit dem Terminus Deklarativsatz gewisse Ambiguitäten wecken könnte. 13 Eine ähnliche, ebenso unbegründete Befürchtung haben Ballmer/Brennenstuhl (1981: 56f.), die Deklarative als Sprechaktklasse ausschließen wollen. Vgl. dazu die Kritik Verschuerens (1983: 170).
82 ren Illokutionsklassen geschieden. Hancher (1979: 3) versucht die Besonderheit der Deklarative dadurch zu fassen, dass er sie als Sprechakte charakterisiert, die "affect the world immediately, not mediately". Damit trifft er den Deklarative definierenden Anspruch, dass etwas qua Äußerung geschaffen werden soll.14 Deklarative haben die perlokutive Funktion inkorporiert und können daher im Unterschied zu den anderen Illokutionsklassen auch nicht problematisiert werden. Ein Aushandeln von Meinen und Verstehen ist hier nicht möglich. In Einzelfällen allerdings finden sich perlokutive Restformen des BESTÄTIGENS ( A F F I R M A T I V E ) , dass ein Deklarativ stattgefunden hat. So wird z.B. der deklarative Sprechakt des Sich-Entschuldigens, der ein Stück sozialer Welt schaffen soll, vom Kommunikationspartner durch ein bitte angenommen, das die Erfüllung des Anspruchs der Äußerung Entschuldigung ausdrückt. Anspruch stellen und Anspruch erfüllen treten hier auseinander, wenn auch nur scheinbar, auf der Äußerungsseite; denn auch ohne reagierendes bitte realisiert ein Entschuldigung einen deklarativen Sprechakt. In der Regel zielen Deklarative nicht auf einen eigenen perlokutiven Sprechakt, sondern werden vom Hörer schweigend angenommen. Searle (1975a) beschreibt Deklarative durch den Zusammenfall der Anpassungsrichtungen Φ. Damit erfasst er den für Deklarative typischen Wollensanspruch, dass etwas hic et nunc qua Äußerung geschaffen werden soll. Sprache und Welt sind in Übereinstimmung, die Anpassungsrichtungen fallen zusammen, wenn mittels Sprache Welt geschaffen wird.15 Sequentielle Formen erwähnt Searle nicht. (Fig. 2)
DEKLARATIVE Φ
( ANTWORTEN (DEKLARATIV)
Wissen, um einen deklarativen Zustand zu schaffen bzw. zu bestätigen (Beispiel 37)
Explorative scheiden als Antwortsprechakte aus, sie können nur Erwiderungen sein; denn sie erfüllen nicht den mit dem vorausgehenden Explorativ gesteckten Wissensanspruch, sondern stellen einen neuen Wissensanspruch. Als Rückfragen können sie der Präzisierung dienen, aber auch andere Zwecke verfolgen, wie Zeit zum Antworten zu gewinnen oder einer Antwort auszuweichen.42 Zu repräsentativen Fragehandlungen gehören auch zwei Fälle, die ich in Figur 8 nicht eigens angegeben habe: (32)
Ich schreibe ihr einen Zettel, dass -wir heute keine Zeit haben. Könntest du das ren?
akzeptie-
(33)
Morgen machen wir einen kleinen Umtrunk Wirst du kommen? Du brauchst dich jetzt nicht festzulegen, ich will nur wissen, ob wir evtl. mit dir rechnen können.
Beide Fragetypen zielen auf Wissen um des Wissens willen. Zumindest die Antwort auf (32) ist kein repräsentativer, sondern ein akzeptierender Sprechakt. Bei (33) könnte man die Antwort durchaus als repräsentativen Sprechakt kategorisieren, da kein direktiver, auch kein indirekt direktiver Sprechakt vorausgeht. Fälle dieser Art sind jedoch selten. Ein Sprechakt des Akzeptierens folgt auf einen repräsentativen Sprechakt, er muss nicht eigens erfragt werden. Eine Zusage folgt auf einen direktiven oder indirekt direktiven Sprechakt; sie wird in der Regel nicht eigens thematisiert. Wird sie wie in (34) erfragt, so handelt es sich meist zugleich um einen indirekt direktiven Sprechakt (s. auch u. Beispiel 52): (34)
Morgen hat Hans Geburtstag. Wirst du kommen?
Daher halte ich es für gerechtfertigt, den Fragehandlungstyp, der auf Wissen um des Wissens willen zielt, als repräsentativ zu kategorisieren. Man könnte ihn auch epistemisch nen-
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Nur rhetorische Fragen, die funktional als repräsentative Sprechakte gelten, sind als Antworten möglich, wie das Beispiel aus Schmidt-Radefeldt (1977: 389) zeigt: - Do you speak of the lady? - Who else should I be talking of?! In einer solchen Beantwortung einer echten Frage mit einer rhetorischen Frage muss man nach Schmidt-Radefeldt einen "counter-attack against that question" sehen.
103 nen; doch da es in allen Fragehandlungen um Wissen geht und die eben besprochenen Fälle relativ selten sind, scheint mir "repräsentativ" geeigneter. Ich beginne mit Fragen, die auf einen deklarativen Sprechakt zielen. Dieser Typ ist in der Sprachverwendung alltäglich, in der theoretischen Beschreibung jedoch kaum berücksichtigt. Hundsnurscher (1975a: 12) bringt zwei Beispiele, die hier einzuordnen wären, eine Frage nach einer Bestätigung (bei der Passkontrolle): (3 5)
Sind Sie Deutscher?
und eine religiöse Frage nach einem Bekenntnis oder Gelöbnis: (36)
Widersagst du dem Satan?
Allerdings geht Hundsnurscher nicht darauf ein, dass die jeweiligen Antworten als deklarative Sprechakte erfolgen. Deutliche Beispiele solch deklarativer Fragehandlungen sind Äußerungen wie (37)
Nehmen Sie die Wahl an? - Ja, ich nehme sie an.
(38)
Erklären Sie sich bereit, die Bürgschaft zu übernehmen? - Ja, ich erkläre mich bereit.
(39)
Bekennen Sie sich zum Grundgesetz? - Ja, ich bekenne mich zum Grundgesetz.
Die Fragehandlung steht zwar auch unter einem Wissensanspruch, aber es ist ein Wissensanspruch besonderer Art: Das Wissen der Antwort schafft zugleich einen deklarativen Sprechakt, d.h., ein soziales oder religiöses Faktum oder eine entsprechende Beziehung wird geschaffen bzw. bestätigt wie in (35). Auch die folgende Äußerung ist als deklarative Fragehandlung aufzufassen: (40)
Kommst du auch ganz bestimmt? - Ich verspreche es.
Diese Fragehandlung zielt nicht auf eine Zusage, sondern auf das deklarative Element des Versprechens (vgl. auch Searle 1992: 9). Repräsentative Fragehandlungen sind gekennzeichnet durch einen Wissensanspruch um des Wissens willen. Hierher gehört die Informationsfrage, die man als zentralen Typ von Fragehandlungen ansehen kann. Sie zielt auf Information in Form von Fakten (41/42) oder Interpretation (43/44): (41)
Wie spät ist es?
(42)
Welche Telefonnummer hat Hans?
(43)
Bleibt das Wetter schön, was meinst du?
(44)
Wer hat wohl das Paket genommen? - Es muss jemand gewesen sein, der wusste, was darin ist.
Bei Fragen, die auf Interpretation zielen, muss Wissen durch Überlegen und Assoziieren und vielfach kooperativ erarbeitet werden. Zu den repräsentativen Fragehandlungen gehört auch der meist institutionell geprägte Typ der PrUfungsfrage. Hier geht es dem Prüfer nicht um das Wissen, das er erfragt, son-
104 dem um das Wissen, ob der Prüfling die Antwort weiß. Die Fragesätze sind verkürzte, ökonomische Frageformen; weggelassen bzw. der Situation überlassen ist jeweils: "ich möchte wissen, ob du die Antwort auf folgende Frage weißt". Auch ein Fragetyp der Alltagskonversation gehört hierher: (45)
Wie geht es Ihnen?
Fragen dieser Art sind, sofern sie nur aus Höflichkeitsgründen, nicht aus wirklichem Interesse geäußert werden, Konversationsroutinen, bei denen der Wissensanspruch abgeschwächt ist. Direktive Fragehandlungen sind Fragen, die auf Wissen um des Handelns willen zielen. Eigenes Handeln und Handeln des Kommunikationspartners ist hier zu unterscheiden: (46)
Wie mache ich das?
(47)
Was soll ich tun?
(48)
Was kann ich tun?
(49)
Was sollen/können wir tun?
(50)
Was rätst du mir?
(51)
Soll ich zu dir kommen?n
(52)
Mähst du den Rasen?
Generell zielen Fragen dieses Typs auf Orientierung für das eigene Handeln (46-51) oder auf Handlungszusagen, die das Handeln des Kommunikationspartners regeln (52). Der Antwortsprechakt wird als repräsentativer und meist indirekt direktiver oder als direktiver Sprechakt oder als Handlungszusage gegeben: (47)
Was soll ich tun?
- Du musst vor allem ruhig bleiben. (repräsentativ, indirekt direktiv) - Bleib vor allem ruhig! (direkt direktiv)
(51)
Soll ich zu dir kommen?
- Ja, komm und hilf mir! (direktiv)
(52)
Mähst du den Rasen?
— Ja, sofort. (Handlungszusage)
Fragehandlungen, die das Handeln des Kommunikationspartners betreffen, sind indirekt direktive Sprechakte, sofern sie auf eine Handlungszusage, nicht nur auf einen repräsentativen Sprechakt zielen (Beispiel 52; zu dem schwierigen und komplexen Phänomen des indirekten Sprechakts vgl. Kap. III). Fragehandlungen, die nach einer Entscheidung für das
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Vandeweghe (1977: 284) klassifiziert diesen Fragetyp als Angebot. Zunächst wäre zu klären, was den Sprechakttyp 'Angebot' ausmacht (vgl. dazu II 4.4.1.); zum anderen kann die Äußerungsform allein noch nicht die Handlungsfünktion festlegen. Fragen dieses Typs können explorativ nach einer Handlungsorientierung fragen oder möglicherweise ein 'Angebot' machen.
105 eigene Handeln fragen, zielen meist auf einen direktiven Sprechakt (vgl. auch Searle 1992: 9), der direkt oder indirekt gegeben werden kann (vgl. 46-51). So zielen Fragen wie (46) auf eine Handlungsanleitung, (48) auf einen Vorschlag, (50) auf einen Rat und damit auf Untermuster eines repräsentativen Sprechakts, die zugleich indirekt einen direktiven Sprechakt vermitteln (vgl. Kap. II 4.4.). Wie ich bereits dargelegt habe, unterscheiden sich repräsentative Antwortsprechakte von initiativen Repräsentativen nicht nur durch ihre Stellung in der Sequenz, sondern auch durch den Wahrheitsanspruch. Bei Antwortsprechakten tritt er in den Hintergrund, die perlokutive Funktion als Antwort, die eine Neuigkeit bringt, dominiert. Der Antwortende stellt nicht primär einen Wahrheitsanspruch, er will in erster Linie den Wissensanspruch des Fragenden erfüllen; ein Wahrheitsanspruch für die Neuigkeit wird vorausgesetzt. Ähnlich verhält es sich bei direktiven Antworten; auch hier wird der Wollensanspruch des direktiven Sprechakts von der Funktion der Anwort dominiert und dadurch abgeschwächt. Durch diese Abschwächung schließen direktive Antworten die Sequenz und zielen nicht mehr auf eine eigene Handlungszusage.
3.3. Direktive Handlungsspiele Direktive Handlungsspiele stehen unter einem pragmatischen Wollensanspruch, der sich auf eine künftige Handlung bzw. Verhaltensweise des Kommunikationspartners richtet. Dieser Anspruch entspricht der Anpassungsrichtung f. Er definiert den initiativen direktiven Sprechakt und zielt auf einen reaktiven perlokutiven Sprechakt der Handlungszusage oder unmittelbar auf die Ausführung der Handlung selbst. Zu fragen ist, ob dieses konstitutive Kriterium des pragmatischen Wollensanspruchs zu differenzieren ist, so dass sich abgeleitete Illokutionsklassen ergeben. Ein Wollensanspruch kann mit Bestimmtheit, d.h. mit Anspruch auf Erfüllung vorgebracht werden, und er kann vorgebracht werden, wobei die Erfüllung im Belieben des Kommunikationspartners steht, der Sprecher jedenfalls keinen Anspruch darauf hat. Durch dieses Kriterium des Erfüllungsanspruchs wird die Illokutionsklasse der bittenden Sprechakte, der PETITIVE, wie ich sie nennen will, differenziert.4'1 Die andere Illokutionsklasse, die im Unterschied zu den Petitiven bereits vom Sprecher aus mit einem Anspruch auf Erfüllung verbunden wird, ist weiter zu unterteilen: Hierher gehört die Illokution des Befehlens und die Illokution des Aufforderns, in meinen Termini des LUSSIVS45 und des MONITIVS. Beide sind zu differenzieren durch das Kriterium der Sanktion. Monitive Sprechakte werden zwar mit einem Anspruch auf Erfüllung vorgebracht, der sich jedoch auf allgemeine Kooperationsbedingungen, nicht auf Druckmittel gründet. Iussive Sprechakte dagegen beruhen auf einer gewissen Machtausübung des Befehlenden kraft seiner Position, die ihm bei Nichtausführung des Befehls Sanktionen erlaubt. Der Erfüllungsanspruch des iussiven Sprechakts kann sich daher auf erwartbare bzw. schon festge-
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Auch Rosengren (1979a: 193) grenzt Bitten auf diese Weise ein: Der Sender ist sich bewusst, "dass der Empfänger und nicht er selbst darüber entscheidet, ob die Handlung ausgeführt werden soll oder nicht". Vgl. auch Cohen/Morgan/Pollack (1990: 242). Zum Terminus Iussiv vgl. Anm. 10, Kap. II.
106 legte Sanktionen stützen. Das heißt, bei Sprechakten des Befehlens ist eine hierarchische Abstufung der Positionen der Kommunikationspartner vorauszusetzen. Dieser Differenzierung der fundamentalen direktiven Illokutionsklasse entspricht die Differenzierung der ihr zugeordneten perlokutiven Funktion. Generell korrespondieren direktive Sprechakte mit einer Handlungszusage. Damit sind alle Reaktionen erfasst, die auf einen direktiven Sprechakt eingehen. Verschiedene Möglichkeiten des Eingehens, der Verständigung gibt es vor allem bei monitiven Sprechakten: Sie beruhen auf der Kooperation gleichberechtigter Kommunikationspartner, die einen Verständigungsspielraum erlaubt. Der Begriff der HANDLUNGSZUSAGE (CONSENSIVE) ist hier in spezifischer Weise zutreffend. Im Unterschied dazu erlauben Iussive dem untergeordneten Kommunikationspartner kaum Verständigungsspielraum, seine Handlungsmöglichkeiten sind durch drohende Sanktionen eingeschränkt. Die iussive Illokution zielt in der Regel direkt auf die materielle Ausführung oder auf einen positiven Bescheid. Dem Kommunikationspartner bleibt im Grunde nur ein GEHORCHEN (OBOEDITTVE). Und petitive Sprechakte schließlich stellen das Erfüllen der Bitte in das Belieben des Kommunikationspartners, wenngleich auch Bitten in gewisser Weise auf Gegenseitigkeit beruhen. Man sagt eine Bitte nicht zu, sondern GEWÄHRT, erhört sie, auch ohne Eigeninteresse, dem Kommunikationspartner zuliebe oder in gnädiger Herablassung (SATISFAKTIVE).46 Damit ergibt sich für die Differenzierung direktiver Handlungsspiele folgendes Schema: (Fig. 9)
DIREKTIVE
—S-
ZUSAGEN
[Wollensanspruch] [+Erfüllungsanspruch] [+Sanktion]
/ Iussiv GEHORCHEN
[-Erfüllungsanspruch]
[-Sanktion]
PETITIVV GEWÄHREN
\ MONITIV ZUSAGEN
Beispiele: (53) (54)
Iussiv: Um 8 Uhr bist du zu Hause! -O.k. Monitiv: Bring mir bitte eine Milch mit. -Ja, gerne.
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Petitiv:
Würden Sie mir das Buch vielleicht reservieren? - Einen Tag, ja, aber nicht länger.
Die Differenzierung der Illokutionsklassen ist wie sprachliches Handeln generell von Faktoren des situativ-sozialen Kontexte begleitet, doch sind es nicht situative, sondern illokutive Merkmale, die die Illokution differenzieren. Wie ich bereits dargelegt habe, ist der Anspruch des Sprechers als illokutives Merkmal von situativen Merkmalen, das sind situative und soziale, zu unterscheiden (Kap. I 1.3.). Zwar sind für Iussiv und Monitiv vielfach unter-
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Dementsprechend ist der Sprecher bei Erfüllung seiner Bitte dankbar, wie McCawley (1977: 18) bemerkt. SATISFAKTIVE in meinem Sinn als perlokutive Sprechakte nach Petitiven entsprechen nicht Wunderlichs Satisfaktiven (1976a: 77).
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schiedliche situative Strukturen vorauszusetzen, doch die Unterscheidung der iussiven und monitiven Illokution ist vom Anspruch des Sprechers abhängig, für die Erfüllung Sanktionen geltend zu machen. Und die Unterscheidung des Monitivs und Petitivs beruht allein darauf, ob der Sprecher einen Anspruch auf Erfüllung geltend machen kann. Fragt man, ob für diesen Gesichtspunkt, der Monitiv und Petitiv unterscheidet, ein entsprechendes situatives Kriterium vorhanden sein muss, so kommt es darauf an, was man als situatives Kriterium ansieht. Bei gleicher äußerer Situation kann eine Frau ihren Mann einmal bitten, einmal auffordern, den Rasen zu mähen. Der Unterschied liegt hier allein im Weltbild der Frau, ob sie es als Gefälligkeit ihres Mannes ansieht, wenn er den Rasen mäht, oder ob sie diese Tätigkeit zu den ihm zukommenden Aufgaben rechnet. Der Situationsbegriff muss so weit gefasst werden, dass er auch Kriterien dieser Art, also der Beurteilung der Situation du rch den Kommunikationsteilnehmer, umfasst.47 Dann resultieren Petitiv und Monitiv zwar aus unterschiedlichen Situationen, sind jedoch nicht durch situative Kriterien zu definieren; unterschieden sind sie durch das illokutive Kriterium des Erfüllungsanspruchs. Für den Kommunikationspartner kann es im Einzelfall schwer sein zu erkennen, ob ein Petitiv oder Monitiv vorliegt, da direktive Sprechakte im Deutschen in der Äußerungsform vielfach nicht eindeutig nach Monitiv und Petitiv unterscheiden. Daher mag sich auch der Sprecher selbst dieser Unterscheidung nicht immer bewusst sein. Hier ist in der Praxis wohl vielfach ein gradueller Übergang, eine Zone der Unscharfe anzunehmen; doch der einzelsprachliche Gesichtspunkt darf bei der Differenzierung der Illokution nicht bestimmend sein. Der Wollensanspruch direktiver Sprechakte richtet sich nicht immer allein an den Kommunikationspartner, sondern der Sprecher kann sich mit einschließen. Dies ist nicht nur bei Monitiven möglich, die dafür eine eigene grammatische Kategorie, den Hortativ, zur Verfügung haben, sondern auch bei Petitiven und Iussiven (s. auch das Kapitel "Untermuster"): (56)
Gehen wir spazieren! /Lass uns Spazierengehen!
(57)
Lass uns bitte, bitte klettern gehen!
(58)
Nach dem Essen wird das Auto gepackt! / . . . packen wir das Auto!
Sprechakte des Vorschlagens erwägen die Ausführung einer Handlung und stellen daher repräsentative Sprechakte dar. Auch Sprechakte des Wünschens sind keine direktiven Sprechakte. Sie stehen nicht unter dem Anspruch, dass eine Handlung ausgeführt werden soll, sondern sind auf den guten Ausgang einer bereits beabsichtigten oder schon begonnenen Handlung gerichtet:
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(59)
Hoffentlich erreicht er das Ufer!
(60)
Wenn ich doch die Prüfung bestünde!
Nach Norrick (1981: 188f.), der sich u.a. auf Malinowski (z.B. 1923) stützt, müsste man zwischen dem Kontext der Situation und dem weiteren kulturellen Kontext unterscheiden. Einstellungen der Kommunikationsteilnehmer, ihre Beurteilung der Situationszusammenhänge gehören zum kulturellen Kontext.
108 Allerdings werden die Lexeme Wunsch bzw. wünschen mitunter in petitiver Verwendung gebraucht, z.B. einen Wunsch richten an im Sinn von eine Bitte richten an.At Bei einer Bitte oder einem Wunsch in diesem Sinn wünscht der Sprecher die Erfüllung und bringt dies dem Kommunikationspartner mit dem pragmatischen Wollensanspruch des Petitivs zum Ausdruck. Der Sprechakt des Wunsches dagegen, wie er in (59) und (60) realisiert wird, ist ein repräsentativer Sprechakt: Zum Ausdruck gebracht wird allein eine innere Einstellung (s. Kap. II 3.4.: Repräsentative Handlungsspiele). Die Differenzierung der fundamentalen Illokution der Direktive nach drei abgeleiteten Typen ist übersichtlich und unmittelbar einleuchtend; m.E. sind damit alle direktiven Typen erfasst. Institutionell geprägte Direktive z.B. machen keine eigenen Illokutionsklassen aus. Der Chef wird einen direktiven Sprechakt an seine Untergebenen als Iussiv vorbringen, die Kollegen werden sich untereinander mit einem Monitiv auffordern oder um Gefälligkeiten mit einem Petitiv bitten. Die Lexik stellt zwar für institutionell geprägte Sprechakte häufig eigene Lexeme zur Verfügung, wie z.B. anordnen, auftragen etc., doch funktional sind diese Sprechakte auf die drei abgeleiteten Illokutionstypen zurückzuführen; die Institutionalisierung bezieht sich auf die Realisierung. Es ist daher nicht angebracht, z.B. nach Hindelang (1978a) oder Mötsch (1978) Sprechakttypen der ANORDNUNG, des AUFTRAGS etc. als funktionale Typen zu unterscheiden, sondern vielmehr die entsprechenden Lexeme in einer pragmatischen Lexik zu differenzieren. Auch den Weltausschnitt, den propositionalen Gehalt, auf den sich die Illokution bezieht, könnte man in diesen Fällen in der Regel als institutionell klassifizieren. Doch ist auch dies kein Grund, entsprechende Typen von Funktionsklassen zu unterscheiden (zur Frage institutioneller Sprechakte s.o. Kap. II 1.2.). In der Literatur allerdings werden direktive Sprechakte nach heterogenen Kriterien in eine Vielzahl von Klassen aufgeteilt. Vor allem Hindelang (1978a) hat direktive Sprechakte im Deutschen eingehend untersucht und eine differenzierte Taxonomie vorgelegt. Dabei haben die einzelnen Klassen jedoch aufgrund heterogener Kriterien unterschiedlichen Status: Neben Untermustern, die durch propositionale Kriterien bestimmt sind, stehen Illokutionsklassen. Ich werde auf Hindelangs Taxonomie des Aufforderns nach der Differenzierung von Untermustern eingehen (Kap. II 4.3.).
3.4. Repräsentative Handlungsspiele Repräsentative Handlungsspiele aus initiativen repräsentativer Sprechakt und reagierendem perlokutivem Sprechakt des Akzeptierens stehen unter dem Wahrheitsanspruch des Fürwahr-Haltens. Der Sprecher präsentiert Welt, druckt Welt aus, so wie er sie fllr wahr hält, und stellt, sofern der Wahrheitsanspruch problematisch ist, diese Präsentationsform zur Diskussion bzw. erwartet Bestätigung, sofern die Wahrheit offen zutage liegt. Aus dieser Differenzierung des Wahrheitsanspruchs und der mit ihm korrespondierenden perlokutiven Funktion wird schon deutlich, dass die fundamentale Illokution der Repräsentative sicherlich nach abgeleiteten Typen differenziert werden kann. Im Unterschied zu den bisher behandelten fundamentalen Illokutionen gibt es hier zahlreiche Möglichkeiten. Das Problem ist, die relevanten Typen zu erfassen und möglichst ökonomisch abzuleiten. 41
In diesem Sinn versteht wohl auch Mötsch (1978: 46) wünschen, wenn er wünschen und bitten zusammen in eine Untergruppe einordnet.
109
Der pragmatische Wahrheitsanspruch des Für-wahr-Haltens ist m.E. an oberster Stelle zu differenzieren in einen einfachen Wahrheitsanspruch "dass es so ist" und in einen modalen Wahrheitsanspruch "dass es so sein würde/könnte/sollte". Ich beginne mit dem einfachen Wahrheitsanspruch. Hier ist primär zu unterscheiden, ob die Wahrheit offen zutage liegt bzw. auf Wunsch des Kommunikationspartners erst nachzuweisen wäre. Behauptende Sprechakte sind Sprechakte, bei denen ein Wahrheitsanspruch vorgebracht wird, der nicht unmittelbar einsichtig ist, der, sofern der Kommunikationspartner es wünscht, zu begründen wäre. Dieser Typ, den ich ASSERTIV nenne, gehört zu den zentralen Typen repräsentativer Sprechakte, ja vielfach werden Repräsentative vereinfachend und pauschal mit Assertiven gleichgesetzt.49 Der assertive Sprechakt zielt deutlich auf einen Sprechakt des AKZEPTIERENS; der Sprecher will seine Weltsicht vom Kommunikationspartner akzeptiert sehen. Der Kommunikationspartner akzeptiert dabei in der Regel nicht auf der Basis bloßen Glaubens, sondern er akzeptiert die Gründe fur den Wahrheitsanspruch, das heißt, u.U. muss derjenige, der die Behauptung vorbringt, erst die Gründe dafür in einem Verständigungsdiskurs (Argumentationsdiskurs) darlegen, bevor der Kommunikationspartner der Behauptung zustimmt (62):50 (61)
Mit unserer Wirtschaft geht es bergab. ASSERTIV
(62)
—>
- Da hast du leider recht. AKZEPTIEREN
Mit unserer Wirtschaft geht es bergab. - Wieso kannst du das behaupten? Ich sehe es nicht so. —=> Verständigungsdiskurs mit Begründung — > perlokutiver Sprechakt des Akzeptierens, bei Nichtakzeptieren u.U. Revision der initiativen Behauptung
Nicht immer kann sich jedoch eine Behauptung auf rationale Gründe stützen. Manchmal wird etwas behauptet, weil man die Wahrheit "im Gefühl hat". Dann muss der Kommunikationspartner dem Gefühl des anderen glauben: (63)
Doris brütet etwas aus. - Woher weißt du das? - Das fühle ich.
Manchmal beruft man sich bei einer Behauptung auch auf irrationale Mächte, z.B. bei religiösen Schwüren; hier wird die Behauptung mit einem deklarativen Element des Schwures abgesichert (vgl. die deklarativen Untermuster in II 4.). Auch Schwüren kann nur geglaubt werden:
49
50
Auch Searle verwendet die Begriffe "representative" und "assertive" offenbar in gleicher Bedeutung, ohne jedoch damit implizieren zu wollen, dass repräsentative Sprechakte nur behauptende seien. Man vergleiche die verschiedenen Ausgaben seines Aufsatzes (1975a), in denen einmal "representative" (z.B. 1975a), einmal "assertive" (z.B. 1979a) vorkommt. Allerdings scheint er letztlich "representative" durch "assertive" ersetzen zu wollen, da jeder Sprechakt mit einem propositionalen Gehalt in gewissem Sinn eine Repräsentation sei (1979a: viii). Hier wird jedoch der Begriff Repräsentation, soweit ich Searle richtig verstehe, als semantischer Begriff verwendet. Gründe einer Behauptung können u.U. auch mathematische oder logische Beweise sein, doch darf die Behauptungsäußerung nicht in einen Satz einer mathematischen Theorie übergehen, sondern muss als repräsentative Äußerung des Mathematikers verstanden werden können, der seinen pragmatischen Wahrheitsanspruch durch mathematische Gesetze absichert. Sätze einer mathematischen Theorie sind nach Katz (1977: 187) im Grunde 'unfähig', eine Behauptung auszudrücken (s. dazu o. Kap. I 1.4.).
110 (64)
Ich war nicht in der Disco. Das schwöre ich. - Na gut, wollen wir das einmal glauben/ annehmen.
Beschworen werden Wahrheitsansprüche, die sich auf eigene Erlebnisse beziehen. Für diese Erlebnisse kann eigentlich kein assertiver Anspruch übernommen werden, für den Sprecher sind sie offenkundig. Ein Assertiv wird daraus erst, wenn der Wahrheitsanspruch vom Kommunikationspartner angezweifelt wird. Damit aber wird in diesen Fällen die kooperative Grundbedingung der Wahrhaftigkeit/Aufrichtigkeit angezweifelt. Im Schwur soll nun die Wahrhaftigkeit durch einen irrationalen Garanten bekräftigt werden. Dies geschieht in der Regel durch die Anrufung eines Gottes: Ich schwöre bei Gott... Auf diese Weise stellt sich der Sprecher unter die Sanktionen, die in seinem Glauben für den Missbrauch des Namens Gottes verankert sind. Bei Schwüren vor Gericht treten an die Stelle religiöser Sanktionen die rechtlichen Folgen eines Meineids. Für Abstraktes müssen rationale Gründe angeführt werden, die Anrufung eines irrationalen Garanten wäre geradezu lächerlich, zumindest unpassend; hier geht es ja nicht um die Wahrhaftigkeit des Sprechers: (65)
*Der Geist ist unsterblich. Ich schwöre es.
Entgegen Searle (1975a: 354f.) u.a. betrachte ich Schwüre also nicht als repräsentative Sprechakte. Sie stehen nicht unter dem Anspruch des Für-wahr-Haltens, sondern unter dem deklarativen Anspruch, dass qua Äußerung (Schwur) etwas geschaffen werden soll (eine irrationale Garantie der Wahrhaftigkeit). Dies gilt auch für Schwüre, die die Verbindlichkeit einer Handlungsankündigung bekräftigen sollen (s.o. Beispiel 24). Von den Assertiven geschieden sind die Sprechakte, bei denen der Wahrheitsanspruch offenkundig ist bzw. bei denen der Gesichtspunkt des Nachweises nicht im Vordergrund steht. Sprechakte des letzteren Typs sind Sprechakte, bei denen ein anderer Gesichtspunkt dominiert, der Gesichtspunkt der Neuigkeit. Diese Sprechakte nenne ich informierende, mitteilende Sprechakte oder NUNTIAHVE. Sie teilen dem Kommunikationspartner etwas mit, das für ihn aus der Sicht des Sprechers neu ist bzw. das er, so vermutet der Sprecher, vergessen haben könnte: (66)
Am Samstag hat Harts Geburtstag.
Die Wahrheit des Mitgeteilten wird vom Sprecher als gegeben vorausgesetzt. Vom Kommunikationspartner wird sie in der Regel schweigend akzeptiert, geglaubt, doch kann er sie selbstverständlich auch in Frage stellen. Informierende Sprechakte haben zunächst den Zweck der Kenntnisnahme, wie auch explizit in Kurzbriefen vermerkt ist. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn es um Information geht, für die der Sprecher/Übermittler keine Stellungnahme des Kommunikationspartners erwartet: (67)
Anliegenden Erlass übersende ich mit der Bitte um Kenntnisnahme.
Nicht immer erschöpft sich jedoch ihr Zweck in bloßer Kenntnisnahme. Der Sprecher möchte mehr; er teilt dem Kommunikationspartner nicht nur eine Neuigkeit mit, damit dieser sie zur Kenntnis nehme und sein Handeln danach ausrichte. Der Sprecher selbst hat das
Ill Bedürfnis, dem Kommunikationspartner diese Neuigkeit mitzuteilen und möchte dessen Meinung dazu wissen in Form eines KOMMENTARS (KOMMENTATIVE):51 (68)
Hans hat wieder geheiratet. - Ach, das freut mich. NUNTIATIV
-t—»·
KOMMENTIEREN
Selbst hinter einer Reaktion wie Ich nehme es zur Kenntnis, stünde dann mehr als bloße Kenntnisnahme, stünde dann: "Ich enthalte mich eines Kommentars." Posner (1980b: 384) hat Kommentieren definiert als Information von Äußerungen des zweiten Zuges, die ein Stück Information des ersten Zuges wiederholen als Argument eines Satzoperators (vgl. auch Posner 1980c). Mit dieser Definition lassen sich auch Sprechakte des Kommentierens in meinem Sinn systematisieren, doch möchte ich sie primär als spezifische Reaktion auf einen Nuntiativ verstanden wissen." Auch ANTWORTEN sind informierende Sprechakte, durch den Gesichtspunkt der Neuigkeit definiert, jedoch von Nuntiativen durch ihre Sequenzabhängigkeit geschieden. Sie antworten auf einen vorausgehenden explorativen Sprechakt, erfüllen als perlokutive Sprechakte dessen Wissensanspruch und zielen daher auch nicht, zumindest nicht primär, auf eine Reaktion des Kommentierens. Wenn ich hier neben Antworten einen weiteren Sprechakttyp durch den Gesichtspunkt der Neuigkeit definiert habe, könnte man der Ansicht sein, als wollte ich die Unterscheidung von Thema/Rhema auf diese Sprechakte beschränken. Das Phänomen Thema/Rhema wurde untersucht, lange bevor die Diskussion um Sprechakttypen aktuell war. Sicherlich sind in allen Sprechakttypen Elemente auszumachen, die alt, bekannt oder vorgenannt sind, und solche, die neu sind, ohne dass dadurch der Sprechakttyp berührt wurde. Doch gibt es offenbar auch Sprechakttypen, die dadurch konstituiert werden, dass sie ein Stück Welt als Neuigkeit präsentieren, sei es nun initiativ oder reaktiv. Hier liegen zwei Erscheinungen von unterschiedlichem Status vor, zum einen Thema/Rhema im herkömmlichen Sinn und zum anderen Sprechakttypen, die durch den Gesichtspunkt der Neuigkeit definiert sind (zur Thema/Rhema-Diskussion vgl. auch Weigand 1979b).
51
52
Nun gibt es in spezifischer Weise informierende Texte wie Rundfiinknachrichten, die zwar mündlich vorgetragen werden, aber nicht unmittelbar auf eine konkrete sprachliche Reaktion zielen. Dies wäre aufgrund der besonderen Kommunikationssituation auch gar nicht möglich. Hier handelt es sich nicht um "face-to-face interaction", sondern die Rundfiinknachrichten richten sich an einen Kommunikationspartner, der nicht unmittelbar präsent und vor allem als Zuhörerkomplex zu verstehen ist. Diese Form der Kommunikation wäre als parasitär auf der Folie dialogischen Sprachgebrauchs zu beschreiben. Harweg (1968) weist Rundfiinknachrichten eine "texttypologische Zwischenstellung" zwischen mündlich und schriftlich konstituierten Texten zu. Im Epilog zu seiner Sprechakttaxonomie geht auch Searle (1990: 417) auf "Kommentare" ein: "Roughly speaking, to say of something that it was a comment or a remark is to specify how it fits into the discourse." Vgl. auch die Beispiele bei Hundsnurscher (1975b: 193), die z.T. als kommentierende Sprechakte zu beschreiben wären.
112 Auf Offenkundiges bezieht sich der Wahrheitsanspruch bei Sprechakten des Feststellens, die ich KONSTATJVE nenne. 53 Konstative können sich auf Innenweit und Außenwelt beziehen. Die Innenwelt des Sprechers ist allerdings nur für den Sprecher selbst offenkundig, der Kommunikationspartner muss sie letztlich glauben. Man könnte erwägen, diese sich auf Innenwelt beziehenden Repräsentative als Assertive einzustufen, da sie für den Kommunikationspartner nicht offensichtlich sind. Für die Bestimmung der Illokution sollte man jedoch primär von der Sprecherperspektive ausgehen, da der Sprecher den die Illokution definierenden Wahrheitsanspruch stellt.54 Da sich Konstative somit entweder auf rational nicht Nachweisbares, auf die Innenwelt des Sprechers beziehen oder auf offen zutage Liegendes, allgemein Wahrnehmbares, ist der Wahrheitsanspruch abgeschwächt und zielt daher auch nicht auf eine deutliche Funktion des Akzeptierens, sondern auf ein BESTÄTIGEN (AFFIRMATIVE) o d e r GLAUBEN (KREDITIVE):
(69)
Schau, der Baum da hat Knospen. - Ach ja, es wird Frühling. KoNSTATiv A u ß C N W E I T
(70)
Heute geht es mir nicht gut. KoNSTATivjnnenwe]t
—>
BESTÄTIGEN
- Das glaube ich dir, du siehst auch nicht gut aus. GLAUBEN
Vielfach wird der konstative Sprechakt infolge des abgeschwächten Wahrheitsanspruchs nur mit einem hm bestätigt oder schweigend zur Kenntnis genommen, d.h. seine Gültigkeit anerkannt; der Kommunikationspartner kann dann ähnlich wie nach einem Nuntiativ kommentierend fortfahren. Auch daran zeigt sich die Nähe der beiden Typen Nuntiativ und Konstativ in der realen Sprachverwendung. Die Unterscheidung "neu versus offenkundig", auf die ich die Unterscheidung der beiden Typen gegründet habe, kann natürlich in der Realität verwischt sein, Neues mag mehr oder weniger offenkundig sein und umgekehrt. Doch in der Theorie sind diese beiden Typen klar zu trennen. Auf offenkundige Sachverhalte bezieht sich ein weiterer Typ repräsentativer Sprechakte, der jedoch nicht zu den Konstativen zu rechnen, sondern als eigener Typ zu konstituieren ist. Ich meine den Sprechakt der Kundgabe von Gefühlen, wie Btlhler (1934/1982: 28) ihn nannte. Diesen Sprechakt nenne ich EXPRESSIV 55 , fasse darunter aber nicht die Beispiele, die Searle bei seiner Klasse der Expressive anführt. Wie bereits erwähnt, ist Searles Klasse der Expressive heterogen und umfasst zum großen Teil deklarative Sprechakte. 56 Als expressive Sprechakte verstehe ich solche, bei denen der Sprecher von einem Sachverhalt überwältigt ist und seinen Gefühlen freien Lauf lässt, z.B.
53
54
55
56
Ähnlich werden Feststellungen von Behauptungen unterschieden bei Grewendorf (1982: 136), der Feststellungen als resultativ, Behauptungen als provokativ charakterisiert. Vgl. zur Unterscheidung von Feststellungen und Behauptungen auch Motsch/Viehweger ( 1981: 147). Im Unterschied zu Assertiven, die sich auf eigene Erlebnisse beziehen und durch Schwüre abgesichert werden können (Beispiel 64), sind Konstative, die sich auf Innenwelt beziehen, prinzipiell nicht nachweisbar. Daher habe ich beide Fälle verschiedenen abgeleiteten Illokutionstypen zugewiesen. Zum Terminus Expressiv vgl. Anm. 10, Kap. II. Man könnte diesen Sprechakttyp auch Emotiv nennen (vgl. Jakobson 1960: 354). Auf expressive Sprechakte in Searles Sinn bezieht sich Norrick (1978).
113 (71 )
Wie herrlich ist es hier!
Sprechakte dieses Typs sind auch weitausdruckende Sprechakte, keine eigene fundamentale Funktionsklasse wie bei BUhler, und in der Regel drucken sie offenkundige Sachverhalte aus. Aber entscheidend ist hier die emotionale Ergriffenheit, die auch die Äußerungsform bestimmt und Expressive grundsätzlich von den emotional neutralen Konstativen trennt. Typische Äußerungsform ist der Ausrufesatz.57 Der Wahrheitsanspruch ist noch mehr als bei Konstativen abgeschwächt, die Wahrheit wird vorausgesetzt. Der akzeptierende perlokutive Sprechakt ist daher auch zu modifizieren: Expressive zielen auf Anteilnahme, auf ein Mitfühlen und Teilhaben des Kommunikationspartners (KOMMOTIVE): (72)
Hat man hier eine herrliche Aussicht! - Ja, EXPRESSIV
wunderschön.
— M I T F Ü H L E N
Expressive sind nicht immer sprecherbezogen, geben nicht nur Gefühle des Sprechers bezüglich der Welt kund. Sie sind auch partnerbezogen und geben Gefühlen des Sprechers dem Kommunikationspartner gegenüber Ausdruck,58 in Sprechakten des Schimpfens, Ärger und Urmut Ablassens: (73)
Du Idiot!
(74)
Verschwinde hier, ich kann dich nicht mehr sehen!
Der Wahrheitsanspruch ist hier gänzlich abgeschwächt; es spricht das Gefühl. Sprechakte dieser Art zielen vielfach darauf, beim Kommunikationspartner perlokutive Wirkungen traditioneller, d.h. psychischer Art hervorzurufen, die dann auch zu einer entsprechenden sprachlichen Äußerung führen. Allerdings handelt es sich hier nicht mehr um eine Reaktion der Empatie; daher habe ich auch den Terminus Kommotive gewählt, der lediglich das gleichzeitige Vorhandensein von Gefühlen bezeichnen soll. Auch diese Sprechakte zeigen deutliche formale Kennzeichen der emotionalen Ergriffenheit. Sie bringen gefühlsbedingte Übertreibungen zum Ausdruck und sind meist nicht wörtlich zu verstehen. Ist die emotionale Erregung vorüber, wird der Sprecher sie zurücknehmen: So habe ich das doch nicht gemeint. Die Unterscheidung nach Sprecher- versus partnerbezogenen Expressiven stellt bereits eine Differenzierung nach Untermustern dar (vgl. Kap. II 4.4.1.).
57
Die Duden-Grammatik (1973: 476) rechnet den Ausrufesatz zum Aussagesatz im weiteren Sinn; Gründe werden nicht angegeben. Neuauflage (1995: 591) unterscheidet Aussage-, Frage-, Aufforderungs-, Wunsch- und Ausrufesatz. Vgl. auch Näf (1987). Zum Problem expressiver Sprechakte vgl. auch die Literatur, die sich auf die Bedeutung von Ausrufesätzen bezieht, so z.B. Mantell-Oomen (1979), die daraufhinweist, dass sich "exclamatory sentences" nicht nur auf die Situation, sondern auch auf eine vorausgehende Äußerung beziehen können. Mit "exclamatory sentences" in ihrem Sinn werden jedoch vielfach nur Fälle erfasst, die einzelne Konstituenten besonders hervorheben, aber keine expressiven Sprechakte darstellen.
58
Ich unterscheide Sprecher- und partnerbezogene Expressive, auch wenn man einwenden kann, dass der Kommunikationspartner zur Welt gehört. Sobald sich die Gefühle auf den Kommunikationspartner richten, fuhrt dies gleichzeitig zu einer emotionalen Bewertung des Kommunikationspartners oder des Verhältnisses zu ihm, so dass man diese Äußerungen als partnerbezogen klassifizieren kann.
114
Neben Sprecher- und partnerbezogenen Expressiven ist ein weiterer Typ zu unterscheiden, der jedoch den engeren Bereich kommunikativ-dialogischer Äußerungen überschreitet. Für meine Auffassung von "Sprache als Dialog" sind zwei Grundannahmen entscheidend (vgl. Weigand 1991a): -
Sprache dient primär der Kommunikation. Kommunikation ist immer dialogisch.
Neben der primären Verwendung von Sprache in der Kommunikation verwenden wir Sprache auch, um Gefühle abzureagieren, z.B. in Flüchen: (75)
So ein Mist!
Mit Äußerungen dieser Art machen wir unseren Gefühlen Luft. Wir reden und fühlen uns hinterher freier, erleichtert. Wir teilen nichts mit, keinem Kommunikationspartner und auch uns selbst nicht. Wir verwenden Sprache somit nicht nur mit kommunikativer Funktion, sondern auch, um unserer Gefühle Herr zu werden. Im Unterschied zur Erstauflage möchte ich bei Repräsentativen des einfachen Wahrheitsanspruchs einen weiteren Typ unterscheiden, der sich weder auf Rationalität gründet wie die Assertive noch "Offenkundiges" bzw. "Neues" zum Ausdruck bringt, sondern sich auf eine Festlegung oder Wissen bezieht. Dies sind Sprechakte, die den Dingen einen Namen geben, nicht im Sinn deklarativer Namenschöpfung, sondern im Sinn der Identifizierung (vgl. auch Weigand 2002a: 74): (76)
Was ist das für ein Kraut? - Das ist Johanniskraut. Was ist das für ein Baum, der so wunderbar duftet? - Das ist eine Linde.
Diese Sprechakte, die ich IDENTIFIKATIVE nenne, werden in der Regel geglaubt. Nur wenn die Kompetenz des Sprechers/Kommunikationspartners angezweifelt wird, fühlt dieser sich verpflichtet, seine Identifizierung zu begründen, z.B. durch eine Erklärung, oder nachzuweisen, z.B. durch den Verweis auf eine wissenschaftliche Abhandlung. In den Beispielen (76) erscheinen Identifikative in reaktiver Position, nach einer Frage, die auf Wissen zielt. Identifikative haben ihren Platz auch quasi-initiativ, in einführenden Beschreibungen, die Wissen vermitteln wollen. In dieser didaktischen Position setzten sie einen entsprechenden explorativen Sprechakt voraus (vgl. Weigand 1989b). Neben diesen Illokutionstypen des ASSERTIVS, NUNTIATIVS, KONSTATTVS, EXPRESSIVS und IDENTIFIKATIVS die alle mehr oder weniger deutlich mit einem einfachen Wahrheitsanspruch "dass es so ist" verbunden sind, ist ein weiterer Zweig repräsentativer Illokutionstypen zu unterscheiden, der unter einem modalen Wahrheitsanspruch steht. Hierher gehören Sprechakte, bei denen der Wahrheitsanspruch an eine Bedingung geknüpft und damit abhängig ist von einem anderen, nicht bestehenden Weltzustand; ich nenne diesen Illokutionstyp KONDITIONAL.59 Konditionale Sprechakte stehen unter dem Anspruch "dass es so sein würde, wenn..." und zielen auf einen Sprechakt des AKZEPTIERENS, der, sofern sie sich auf Innenwelt beziehen, zu einem Sprechakt des GLAUBENS abgeschwächt sein kann: 59
Zum Terminus Konditional vgl. Anm. 10, Kap. II.
115 (77)
Wenn wir eine andere Regierung hätten, ginge es uns besser. - Da hast du recht. KONDITIONALE
(78)
< — >
AKZEPTIEREN
Wenn wir eine andere Regierung hätten, könnte ich es hier nicht aushalten. - Das ich dir. KONDITIONALE
— >
glaube
GLAUBEN
Ich verstehe Konditionale also nicht im Sinn von Wunderlichs konditionalen Sprechakten (1976a: 272ff.; s.u. Untermuster II 4.4.2.).60 Wieder anders verwendet Hancher (1979: 5) den Begriff im Anschluss an Ohmann (1972). Die Besonderheit konditionaler Sprechakte machen Brandt/Koch/Motsch/Rosengren/Viehweger (1983: 124) klar, wenn sie betonen, dass hier "die Bedingungsbeziehung selbst assertiert" werde. Daher realisieren konditionale Äußerungen nur eine Illokution im Unterschied z.B. zu Äußerungen, die eine konzessive oder kausale Beziehung beinhalten.61 Nicht immer wird der Wahrheitsanspruch mit definitiver Bestimmtheit vorgebracht; vielfach wird er relativiert: "dass es so sein könnte". Damit sind Sprechakte erfasst, die die Möglichkeit eines Sachverhalts ausdrücken, auf die in der Regel mit Sprechaktverben wie vermuten, glauben, erwägen etc. referiert wird. Diese Sprechakte nenne ich DELIBERATIVE: 62 (79)
Es kann sein, dass Hans kommt./Hans kommt vermutlich. - Nein, das kann nicht glaube ich nicht. DELIBERATIV
2.
Zug ZUSAGE als Handlungsankündigung, grammatisch ausgedruckt
3. Zug reminder —>
4. Zug ZUSAGE als Versicherung, lexikalisch ausgedrückt
5. Zug reminder —>
6. Zug ZUSAGE als Versprechen, lexikalisch ausgedrückt (Zusage + deklaratives Element der Verpflichtung)
Deutlich wird die Steigerung von der grammatisch zur lexikalisch ausgedrückten Zusage bis zum Versprechen. Anstelle der lexikalisch ausgedrückten Zusage kann auch schon im 4. Zug ein Versprechen gegeben werden. Damit zeigt sich, dass explizit performative Wendungen in der Alltagssprache meist nur in problematisierten Kontexten verwendet werden.
207 Und es zeigt sich auch, dass grammatisch ausgedrückte Zusagen wie ich werde kommen, entgegen Searle (1969: 68), Austin (1962: 33) u.a., noch kein Versprechen ausdrücken. Ein klares Versprechen verlangt zumindest im Deutschen ein performatives Verb." Hier zeigt sich offenbar ein funktionaler Unterschied in der Verwendung der Kategorie Futur im Deutschen und Englischen. Auf das Problem der "Kommissive" bin ich bereits an verschiedenen Stellen der Arbeit eingegangen (z.B. Kap. II 2.), so dass hier ein kurzer Hinweis genügt. Searles Kommissive sind Sprechakte der Zusage, sofern sie sequenzabhängig sind, vereinzelt können sie auch initiative und dann repräsentative Handlungsankündigungen sein, jedoch stellen sie keine einheitliche Illokutionsklasse dar. Sprechakte des AKZEPTIERENS können im engeren Sinn grammatisch nur in beschränktem Umfang ausgedrückt werden, nämlich nur, sofern der Wahrheitsanspruch mit einem Modalverb modifiziert ist: (124.1) Franz wird zu Hause sein. - Das könnte sein. - Das kann nicht sein.
Im weiteren Sinn kann man grammatisch-lexikalische Mischformen unterscheiden wie ( 124.2) Franz wird zu Hause sein. - Das wäre eine Möglichkeit.
Hier wird mit dem Konjunktiv der deliberative Anspruch bestätigt, das Prädikat ist jedoch nicht beliebig. Allerdings ist der Konjunktiv im Grunde redundant; ohne ihn hätten wir eine lexikalische Variante. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Möglichkeiten, auf einen repräsentativen Sprechakt einzugehen, ohne dass man die perlokutive Funktion des Akzeptierens an einem grammatischen Morphem festmachen könnte. Ich werde diese Möglichkeiten unter dem indirekten Zuordnungstyp behandeln. Sprechakte des Akzeptierens nach einem konstativen Sprechakt zielen vielfach nicht auf ein direktes Eingehen auf den Wahrheitsanspruch, da Konstative nur einen abgeschwächten Wahrheitsanspruch aufweisen: Die Wahrheit liegt gewissermaßen zutage. Statt dessen werden weiterführende, z.B. emotionale Reaktionen zum Ausdruck gebracht, die man als KOMMENTAR beschreiben könnte: ( 125)
Es regnet. - Schon wieder?
Diese Reaktionsform rückt Konstative in die Nähe von Nuntiativen. Auch bei Konstativen, die sich auf die Innenwelt beziehen, wird der Wahrheitsanspruch vielfach nicht thematisiert; statt dessen können z.B. Gründe für den als evident angenommenen Wahrheitsanspruch gegeben werden, die wiederum als Kommentar anzusehen sind: ( 126)
Es geht mir immer noch nicht besser. - Bei dem Unfall!
Ebenso wie Zusagen zeigen auch Sprechakte des Akzeptierens Quasi-Ambiguität mit Antworten. (127)
33
Franz wird zu Hause sein. - Das könnte sein.
Vgl. Anm. 28, Kap. II.
208 ( 128)
Ist Franz zu Hause? - Das könnte sein.
Auch hier ist die Sequenzabhängigkeit entscheidendes Ausdrucksmerkmal der perlokutiven Funktion. Perlokutive Sprechakte des ANTWORTENS sind definiert als Eingehen auf einen explorativen Sprechakt. FUr dieses Eingehen in positiver Form bedarf es in der Alltagssprache keines eigenen Ausdrucks: Es geschieht durch die Äußerung, die als Antwort zählt. Ausdruck der perlokutiven Funktion des Antwortens ist damit in mündlicher Kommunikation das Äußern selbst in Verbindung mit der Sequenzabhängigkeit der Äußerung, in schriftlicher Kommunikation die bloße Sequenzabhängigkeit. Das Eingehen auf eine Frage in negativer Form, also die Verweigerung der Antwort, muss in direkter Zuordnung lexikalisch durch eine entsprechende Verbalphrase ausgedrückt werden (129.1); ebenso wird in schriftlicher Kommunikation die Antwort vielfach lexikalisch eingeleitet (129.2): (129.1) Darauf antworte ich nicht/möchte ich nicht eingehen. (129.2) Auf Deine Frage hin möchte ich Dir nur mitteilen,
dass...
Indem in mündlicher Kommunikation das Äußern selbst als Ausdruck der perlokutiven Funktion genützt wird, haben wir ein deutliches Beispiel für die ökonomische Ausnutzung der Ausdruckmittel in natürlichen Sprachen.34 Die Äußerung, die als Antwort zählt, ist, wie bereits gezeigt, entweder ein sequenzabhängiger repräsentativer Sprechakt, der die gewünschte Neuigkeit enthält, oder ein direktiver oder deklarativer Sprechakt (vgl. III 3.2.). Damit haben sich auch für perlokutive Sprechakte einige Möglichkeiten des grammatischen Ausdrucks ergeben. Als besondere Schwierigkeit kam hier hinzu, dass diese Sprechakte sekundär, vor allem unter Abstraktion von der Sequenzabhängigkeit, auch einen illokutiven Sprechakt, in der Regel einen repräsentativen, darstellen. Eine Handlungszusage wird realisiert, wenn die Proposition eine zukünftige Handlung bezeichnet, die der Sprecher wünscht; ein Sprechakt des Akzeptierens wird realisiert, wenn die Proposition die gleiche ist, zu der der Sprecher sich in Form eines Repräsentativs geäußert hat, und eine Antwort wird realisiert, sofern die Proposition das vom Sprecher gewünschte Neue beinhaltet. Auch bei perlokutiven Sprechakten zeigt sich somit eine Interdependenz zwischen kommunikativer Funktion und Proposition.
2.1.3. Situativ ausgedrückte direkte Sprechakte Um direkte Sprechakte zu vollziehen, bedarf es nicht unbedingt eines sprachlichen Ausdrucks der kommunikativen Funktion. Menschliche Kommunikationspartner nützen verschiedene Fähigkeiten als kommunikative Mittel, die Fähigkeiten zu sprechen, zu denken und wahrzunehmen. Dementsprechend können auch situative Merkmale im Einzelfall rele34
Man filhlt sich, was den minimalen Aufwand auf der Äußerungsseite betrifft, an das grammatische Beispiel des Zeromorphems oder der Wortstellung erinnert (vgl. Weigand 1978: 142 u. 152). Auch Sprechakte des Sprechaktberichts nutzen das Ausdrucksmittel des Äußerns selbst (vgl. Kap. III 3.).
209 vanter Ausdruck der kommunikativen Funktion sein, wie in Austins bekanntem Beispiel (1963/1971: 16), bei dem das Wort dog, angebracht auf einem Schild an der Pforte, ein Sprechakt der Warnung ist. In anderem Kontext, z.B. unter ein Photo geschrieben, hat das gleiche Wort beschreibende Funktion. Welche sprachliche Handlung jedoch im Einzelfall vorliegt, ob Warnung oder repräsentative Beschreibung, entscheidet hier bei völligem Fehlen eines sprachlichen Ausdrucks für die kommunikative Funktion der situative Kontext. Im Unterschied zu diesem Beispiel, das einen Sprechakt darstellt, können auch situative Merkmale allein kommunikative Funktion haben. Dies zeigt sich besonders deutlich daran, dass die perlokutiven Funktionen durch Gestik, wie Nicken und Kopfschütteln, realisiert werden können. Diese Gestik allein, die den sprachlichen Kürzeln ja/nein entspricht, stellt jedoch keinen Sprechakt dar. Es handelt sich um perzeptiv eingesetzte kommunikative Mittel. Auch könnte man bei Austins Beispiel Bedenken haben, in der situativen Realisierung der kommunikativen Funktion eine direkte Realisierung zu erkennen. Was soll es heißen, situative Faktoren drückten die Funktion direkt aus? Eine wörtliche Bedeutung ist hier ja nicht beteiligt, die Realisierung erfolgt Uber Schlussfolgerungen. Doch kann man deshalb m.E. noch nicht von indirekter Realisierung sprechen, da keineswegs zwei Funktionen zugleich realisiert werden. Man könnte Fälle wie Austins Beispiel vielleicht als Ellipsen beschreiben. Der sprachliche Ausdruck der kommunikativen Funktion ist weggelassen, da sie über perzeptive und kognitive Mittel zum Ausdruck gebracht wird. Ein ähnliches Beispiel wäre der Ausruf Ein Auto!, der auch situationsbedingt eine Warnung sein kann. Die Kommunikationspartner verlassen sich hier nicht nur auf ihre sprachlichen, sondern in gleicher Weise auf ihre perzeptiven und kognitiven Fähigkeiten.
2.1.4. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Bereich direkter Sprechakte keineswegs einheitlich, d.h. von einem einzigen Zuordnungstyp, repräsentiert ist. Zwar kann man explizit performative Wendungen in Reinform, also Äußerungen mit einem performativen Verb in der syntaktischen Konstruktion von 1. Person Singular Präsens Aktiv Indikativ, als Prototyp des direkten Sprechakts ansehen, doch machen diese nur einen Teilbereich lexikalisch ausgedrückter direkter Sprechakte aus und diese wiederum nur einen Teilbereich der direkten Sprechakte. Direkter Ausdruck der kommunikativen Funktion ist lexikalisch wie grammatisch und u.U. perzeptiv möglich. Auch der Bereich der grammatisch ausgedrückten direkten Sprechakte ist vielgestaltiger, als man zunächst annehmen möchte. Zu den Kategorien des Modus, dem grammatischen Pendant der performativen Verben, treten verschiedene spezielle Konstruktionen für einzelne kommunikative Funktionen. Insgesamt ergibt sich ein breites Spektrum an Möglichkeiten, direkte Sprechakte zu vollziehen, wie aus folgender Übersicht Uber die Typen eines direkten Sprechakts noch einmal deutlich wird:
210 (Fig. 4)
direkte Sprechakte
lexikalisch
einfach perf.
grammatisch
modif. perf.
(vgl. die Difierenzierung der einfach perf. Wendungen in F'g· 3) j ich fordere dich auf mitzumachen
¡ ι ¡ j ich möchte dich auffordern mitzumachen
Modus ! ι ¡ j mach miti
Intonation ! ι ¡ j du machst jetzt deine Schularbeiten!
perzeptiv
spezielle Konstrukt. ! ι ! j du sollst mitmachen!
! ι 1
j dog
perf.: performativ, modif.: modifiziert, Konstrukt.: Konstruktionen
Seitdem sich die Linguistik der Sprechakttheorie genähert hat, war es eines ihrer Hauptanliegen, Sprechakte an einzelnen Elementen der Äußerung festzumachen. Man begab sich auf die Suche nach Ausdrücken, die Hinweise auf die illokutive Rolle der Äußerung geben könnten. Diese Ausdrücke, Sprechaktindikatoren oder "illocutionary force indicating devices (ifids)" genannt, schienen das Bindeglied zwischen Grammatik und Pragmatik zu sein. Ausgangspunkt waren besonders klare Fälle wie performative Verben. Je intensiver man jedoch die Ausdrucksseite einer Einzelsprache nach Hinweisen auf die kommunikative Funktion untersuchte, desto komplizierter wurde die Analyse. Immer mehr Elemente kamen in Betracht, vor allem grammatische Kategorien wie Modus, Tempus etc., aber auch Ausdruckselemente, die ihre Funktion nur im Kontext erfüllen und sich daher nicht isolieren lassen, wie z.B. Partikeln. Hinzu kommt, dass Menschen nicht nur mit sprachlichen Mitteln kommunizieren, sondern in gleicher Weise ihre kognitiven und perzeptiven Fähigkeiten integrieren. Auf Äußerungsseite fehlt uns somit der Überblick über die kommunikativen Mittel. So breitete sich in der linguistischen Pragmatik nach anfänglicher Euphorie eine gewisse Ratlosigkeit aus. Hat es überhaupt Sinn, von Sprechaktindikatoren zu sprechen? Eines sollte man daher klar sehen: Die Fragestellung der Sprechaktindikatoren kann nur eine heuristische sein. Sprechaktindikatoren sind immer Komponenten, die nur im komplexen Zusammenspiel des Handlungsspiels adäquat beschrieben werden können. Träger der Handlungsfunktion ist die ganze Äußerung als Äußerung handelnder Menschen und damit der integrierte Komplex aus sprachlichen, kognitiven und perzeptiven Mitteln. Man sollte nicht wieder in den Fehler verfallen zu glauben, man könnte Sprache aus ihren Teilen aufbauen, ohne vorher die Gesamtgrundlage geklärt zu haben. Andererseits ist aber auch deutlich, dass bestimmte Ausdrücke, wie z.B. die performativen Verben, in besonderem Maße an der Realisierung der kommunikativen Funktion beteiligt sind. Hier lassen sich Unterscheidungen treffen, auf die ich nach der Besprechung des indirekten Sprechakts zurückkommen werde.
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2.2. Indirekte Sprechakte 2.2.1. Definition Das Problem des indirekten Sprechakts ist in der Literatur schon früh erkannt und seitdem immer wieder diskutiert worden. Verschiedentlich wird von einer Theorie des indirekten Sprechakts gesprochen, doch hat diese Theorie keine allgemein anerkannte Form erlangt. Entscheidendes hat Searle (1975b) gesagt, doch konnte er sich nicht generell durchsetzen. Für manche, wie z.B. Hindelang (1978a), gibt es keine indirekten Sprechakte, und andere interpretieren das Phänomen auf immer neue Weise (vgl. bereits Kap. III 2.). Bei der Definition des indirekten Sprechakts muss man sich an dem allgemeinen Phänomen des indirekt Ausdrückens orientieren. Etwas indirekt ausdrücken heißt, sich so zu verhalten, dass derjenige, an den das Verhalten gerichtet ist, Schlussfolgerungen zieht; oder: etwas indirekt ausdrücken wollen heißt, es Uber etwas anderes sagen. Beim indirekt Ausdrücken sind somit immer zwei Bedeutungen, eine direkte und eine indirekte, an einen Ausdruck gebunden, wobei die direkte Bedeutung dieses Ausdrucks die indirekte Schlussfolgerungen vermittelt. Schlussfolgerungen sind damit konstitutives Element des indirekt Ausdrückens. Die indirekte Zuordnung ist von Ambiguität zu unterscheiden: Bei der indirekten Zuordnung gelten beide Bedeutungen gleichzeitig, bei Ambiguität ist immer nur eine Bedeutung intendiert, die herausgefunden werden soll, desambiguiert werden muss, es sei denn, es handelte sich um absichtlich ambige Sprechweise. Die indirekte Zuordnung ist auch nicht vage, sondern beide Bedeutungen sind deutlich zu unterscheiden. Bezogen auf Sprechakte heißt dies: Eine Äußerung ist Träger zweier kommunikativer Funktionen. Ich vollziehe mit der Äußerung entsprechend ihrer wörtlichen Bedeutung einen direkten Sprechakt und darüber hinaus qua Schlussfolgerungen zugleich einen indirekten. So ist z.B. die Äußerung (130)
Können Sie mir Geld wechseln?
zunächst eine Fragehandlung, aber zugleich eine Aufforderung für den Fall, dass die Antwort positiv ausfällt. Dabei kann der mit beiden kommunikativen Funktionen verbundene propositionale Gehalt durchaus verschieden sein wie bei der Äußerung (131)
Ich erwarte einen Brief.,
die den Sprechakt ( 13 Γ) Bitte holen Sie die Post! indirekt vermitteln kann. Zu fragen ist, welche Faktoren diese Vermittlung leiten und welche Rolle hierbei Schlussfolgerungsprozesse spielen. Wir werden wieder zuerst indirekte illokutive Sprechakte untersuchen und anschließend die Zuordnung in perlokutiven Sprechakten betrachten. Generell sind indirekte Sprechakte zu definieren als Sprechakte, bei denen Uber den direkten Sprechakt ein indirekter qua Schlussfolgerungen ausgedrückt wird. Im Prinzip definiert auch Searle (1975b) indirekte Sprechakte auf diese Weise, wenngleich er manche Fälle als indirekt ansieht, die für mich idiomatische Sprechakte, also Sprechakte mit nur einer Illokution, sind (vgl. III 2.). Diese Diskrepanz hängt einmal zusammen mit Searles Begriff des Sprechaktidioms. Für Searle spielen Sprechaktidiome eine
212 untergeordnete Rolle. Als Beispiel nennt er Äußerungen mit how about... ? für einen Vorschlag (1975b: 68). Inwiefern er diese Äußerungen als Sprechaktidiome einstuft, bleibt mir unklar. M.E. handelt es sich um direkte Sprechakte. Hier wird keine wörtliche Bedeutung ausgeschaltet, es gibt nur eine Bedeutung, die der wörtlichen entspricht. Zum anderen hängt die Diskrepanz aber auch zusammen mit dem Problem der wörtlichen Bedeutung und der Frage: Wann hat eine Äußerung noch ihre wörtliche Bedeutung? Diese Frage ist offenbar abhängig von der individuellen kommunikativen Intuition, wenngleich bei Searle die einmal aufgestellte Theorie, in diesem Fall das enge Verständnis des Sprechaktidioms, zweifellos die Intuition lenkt. Aus dem gleichen Grund gelangt umgekehrt Hindelang (1978a) zu einer Einteilung, die viele Fälle als direkte Sprechakte einstuft, die m.E. indirekte sind; doch ftlr Hindelang gibt es nur direkte Sprechakte. Auch hier mag die zugrunde gelegte Theorie der semantischen Muster leitend gewesen sein. Semantische Muster werden durch Abstraktion aus der Äußerungsmenge gewonnen, die einer Illokution direkt zugeordnet wird, sind somit nichts anderes als heuristische Konstrukte für die Zuordnung von Äußerung und Illokution. Ein solches empirisches Vorgehen, das Äußerungen sammelt und generell als direkte Sprechakte klassifiziert, lässt keine rationale Vermittlung über Schlussfolgerungsprozesse zu. Was bleibt, sind Lernvorgänge, zusätzliche sprachliche Konventionen zur Realisierung von Sprechakten, mit denen die Beschreibung der Äußerungsmöglichkeiten zu einem immensen Spektrum erweitert und auf einfache rationale Prinzipien verzichtet wird. Auf einen Gesichtspunkt ist hinzuweisen, den Searle in die Diskussion gebracht hat und den ich für die Definition des indirekten Sprechakts nicht generell Ubernehmen möchte. Für Searle (1975b: 59 u. 70) sind offensichtlich bei indirekten Sprechakten beide Illokutionen nicht gleichgerichtet, sondern die indirekte ist primär, dominant (vgl. auch Davison 1975: 178). Dies kann man in Beziehung setzen zu der Auffassung anderer Autoren, in indirekten Sprechakten sei die wörtliche Bedeutung defekt. Searle weist jedoch diese Auffassung mit Recht zurück. Sobald die wörtliche Bedeutung defekt ist, kann sie nicht mehr Träger eines indirekten Sprechakts sein. Allerdings kam man auch nicht generell von einer Dominanz der indirekten Illokution sprechen, wie die Analyse der Beispiele zeigen wird. Je mehr man sich in das Phänomen des indirekten Sprechakts vertieft, je mehr Beispiele man betrachtet, desto schwieriger scheint es zu werden. Dies hängt mit der Natur der Sprachverwendung zusammen. Hier gelten nicht immer exakte definitive Regeln - auch sie wären noch von der Übernahme durch den Sprecher abhängig - , sondern vielfach Wahrscheinlichkeitsprinzipien, die die komplexe Realität bis zu einem gewissen Grad strukturieren. Zum Wesen von Prinzipien gehört es, dass sie gewisse Dinge unentschieden, variabel lassen. Bei der Analyse des indirekten Sprechakts wird sich zeigen, dass Unscharfe und Variation einen größeren Raum einnehmen als gemeinhin angenommen. Daher ist es m.E. besonders wichtig, die Kategorie des indirekten Sprechakts als Beschreibungskategorie zu verstehen und für ihre Abgrenzung operationale Kriterien zur Hand zu haben, die eine Entscheidung im Einzelfall von Subjektivität befreien. Subjektivität ist eine Eigenschaft der Performanz, wohingegen die Kategorie des indirekten Sprechakts der Ebene der Kategorie und damit der Repräsentation oder Beschreibung von Performanzphänomenen angehört. Mit operationalen Kriterien meine ich Tests zur Identifizierung des Phänomens indirekter Sprechakt. Searle hat bereits zwei Tests vorgeschlagen (S. 70): Zum einen sieht er ein Indiz für das Vorliegen eines indirekten Sprechakts darin, dass die wörtliche Bedeutung erhalten bleibt und im Sprechaktbericht nicht nur auf die indirekte, sondern ebenso auf die wörtliche Bedeutung referiert werden kann. Allerdings muss man hier bedenken, dass man in man-
213 chen Fällen offenbar verschiedener Ansicht sein kann, wann eine wörtliche Bedeutung noch gegeben ist und wann nicht. Zum anderen besteht eine Testmöglichkeit darin, auf einen indirekten Sprechakt in zweifacher Weise zu reagieren, einmal auf die direkt ausgedrückte IIlokution, einmal auf die indirekt Ubermittelte: (132)
Könntest du mir nicht etwas mitbringen? - Ja, gerne. - Nein, ich glaube nicht, ich muss mich sehr beeilen.
Der positive Bescheid stellt hier, deutlich durch das Adverb gerne, eine Handlungszusage dar, während der negative Bescheid auf eine Fragehandlung reagiert. Als erschwerend, aber nicht als prinzipieller Einwand kommt fur diesen Test hinzu, dass im Fall eines positiven Bescheids aufgrund der Quasi-Ambiguität vielfach nicht zwischen Handlungszusage und Antwort unterschieden werden kann (s.o. die Beispiele 120/121). Beide Tests indizieren das Phänomen des indirekten Sprechakts im konkreten Einzelfall, vermögen aber nicht, eine Erklärung für den Vermittlungsmechanismus zu geben. Sie setzen das Phänomen voraus und haben daher auch keine wirkliche Ausschlusskraft. Z.B. könnte es durchaus sein, dass der Bereich, der mit diesen Tests indiziert wird, größer ist als der Bereich, der begründetermaßen auf kategorieller Ebene als indirekter Sprechakt gelten kann. Auf der Ebene der Performanz wird sich keine exakte Grenze ziehen lassen. Auf kategorieller Ebene fehlt ein Test, der auf dem Vermittlungsmechanismus selbst beruht und damit genau die Fälle indiziert, die den Vermittlungsmechanismus erfüllen. Ich werde einen solchen Test, der eine Erklärung der Kategorie des indirekten Sprechakts gibt, nach der Beschreibung des Phänomens vorstellen. Mit ihm wird es möglich sein, Anspielungen von indirekten Sprechakten zu trennen. Zu bedenken ist jedoch auch hier, dass die Frage, ob ein indirekter Sprechakt vorliegt, meist nicht definitiv entschieden werden kann, da dies dem Wesen des Indirekten als Wahrscheinlichkeitsschluss widerspräche. Letztlich weiß dies allein der Sprecher selbst. Ein Test kann eine Äußerung als Kandidaten für einen indirekten Sprechakt einstufen, aber in der Regel nicht definitiv entscheiden, ob im Einzelfall ein indirekter Sprechakt vorliegt.
2.2.2. Beschreibung in zwei Schritten Ein wesentlicher Grund, weshalb die Sprechakttheorie für viele Linguisten lange Zeit ein wenig einladendes Forschungsgebiet war, ist wohl auch in der Vielfalt der Äußerungsmöglichkeiten zu sehen, mit denen indirekte Sprechakte vollzogen werden können. Hinzu kommt, dass der Schluss vom direkten auf den indirekten Sprechakt meist nicht zwingend ist. Wäre er es, würde die Qualität des Indirekten abgeschwächt. Es bleibt in der Regel ein Wahrscheinlichkeitsschluss, und letztlich weiß im Einzelfall der Sprecher allein, wie er seinen Sprechakt intendiert hat (vgl. auch Searle 1975b: 63f.). Die Vermittlung des indirekten Sprechakts über den direkten geschieht in zwei Schritten (vgl. auch Searle 1975b: 64). Damit ist nicht impliziert, dass Sprecher und Hörer in der Performanz indirekte Sprechakte tatsächlich in zwei Schritten vollziehen und verstehen. Aufgrund einer gewissen Konventionalisierung indirekter Sprechakte ist der Mechanismus der Vermittlung in der Regel automatisiert, für die Beschreibung dagegen lassen sich zwei Schritte erkennen. Diese Beschreibung ist abhängig davon, welche Perspektive man ein-
214 nimmt, die des Sprechers oder die des Hörers. Für den Sprecher stellt sich das Problem des indirekten Sprechakts als ein Problem der Realisierung. Der erste Schritt besteht im Entschluss, eine bestimmte Sprechhandlung zu vollziehen, der zweite Schritt im Entschluss, diese indirekt zu vollziehen. Für den Hörer dagegen stellt sich das Problem des indirekten Sprechakts als ein Problem des Verstehens. Der erste Schritt liegt im Erkennen, dass es sich um einen indirekten Sprechakt handeln könnte, dass also nicht nur die wörtliche Bedeutung gemeint ist, und der zweite Schritt im Erkennen, welcher indirekte Sprechakt vorliegt. Der Sprecher hat den Inhalt, den er kommunizieren will, und sucht eine bestimmte Form der Realisierung. Für den Hörer ist die Form gegeben; er sucht den damit vermittelten Inhalt. Beide Perspektiven müssen letztlich ineinander Uberñihrbar sein, beschreiben sie doch nur die beiden Seiten einer einzigen Medaille. Für eine erste Durchdringung des Zusammenhangs ist die Hörerperspektive m.E. besser geeignet, da es ihr Ziel ist, die indirekt vermittelte Funktion aufzufinden. Die einmal gewählte Perspektive der Beschreibung sollte durchgehalten und nicht von einem Schritt zum anderen gewechselt werden wie bei Searle, der für den ersten Schritt die Hörerperspektive einnimmt, den zweiten Schritt aber aus der Sprecherperspektive beschreibt.
2.2.2.1. Das Prinzip der Relevanz und die Wirkung der Phraseologisierung Aus der Hörerperspektive stellt sich für den ersten Schritt die Frage: Wie kann der Hörer erkennen, dass die Äußerung nicht als direkter Sprechakt gemeint ist, dass sie nicht nur die kommunikative Funktion ausdrückt, die ihrer wörtlichen Bedeutung entspricht? Soll eine Äußerung mehr bedeuten, als ihre wörtliche Bedeutung angibt, so darf die wörtliche Bedeutung dem gegebenen Kontext, und d.h. vor allem der gegebenen Situation nicht voll angemessen sein, könnte man meinen. Die Äußerung, verstanden als direkter Sprechakt, müsste kommunikativ unzulänglich sein. Diese Prämisse macht Searle (1975b: 63), und er fasst die Diskrepanz zwischen Äußerung und Kontext nach Grice (1975) als konversationeile Maxime der Relevanz, die einem Grundprinzip der Kommunikation entspricht: Soll Kommunikation gelingen, muss die Äußerung relevant sein (vgl. z.B. auch Dascal 1983: 130, Brandt/Koch/Motsch/Rosengren/Viehweger 1983: 111 oder bereits Wunderlich 1972a: 34). Bei voller Entsprechung zwischen Äußerung und Kontext dürfte sich die Relevanzfrage nicht stellen. So aber muss sich der Hörer fragen: Was soll diese Äußerung in dieser Situation? Beruhte die Diskrepanz auf einer tatsächlichen Irrelevanz, so stellte sie eine Verletzung eines Grundprinzips der Kommunikation dar; Kommunikation wäre dann nicht möglich. Da der Hörer jedoch zunächst einmal annehmen muss, dass die Äußerung als kommunikative intendiert ist, sucht er nach einem Ausgleich fllr die scheinbare kommunikative Unzulänglichkeit in der indirekten Interpretation. Eine solche Erklärung des ersten Anstoßes, über die wörtliche Bedeutung hinaus eine weitere indirekte zu suchen, klingt einleuchtend, entspricht jedoch nicht voll der Realität. Die kommunikative Unzulänglichkeit, die hier vorausgesetzt wird, ist oft nur eine hypothetische; allein der direkte Sprechakt wäre bereits für sich relevant. So lässt sich z.B. einer Äußerung wie (133)
Wolltest du nicht nach Nürnberg fahren?
215 nur hypothetisch kommunikative Unzulänglichkeit untersteilen; sie kann durchaus in dieser Form allein als Fragehandlung kommunikativ relevant sein. Die Diskrepanz zwischen Äußerung und Kontext bzw. das Relevanzprinzip ist als graduelle Angelegenheit zu sehen und variiert von fast adäquat bis fast inadäquat. Nur die Endpole, voll adäquat bzw. inadäquat, dürfen nicht erreicht werden. Im Fall der vollen Adäquatheit läge ein direkter Sprechakt, im Fall der vollen Inadäquatheit ein kommunikativ mißglückter vor. Soll ein indirekter Sprechakt vorliegen, so schöpft die wörtliche Bedeutung allein noch nicht die volle Adäquatheit von Äußerung und Kontext aus. Die Äußerung in ihrer wörtlichen Bedeutung kann zwar durchaus adäquat bzw. relevant erscheinen, lässt aber noch Spielraum für eine weitere Funktion; d.h., das Relevanzprinzip ist nicht in seiner einfachen Form wie bei Searle zu verwenden, sondern zu präzisieren in der Weise, dass ein indirekter Sprechakt mit seiner wörtlichen Bedeutung allein noch nicht voll relevant ist. Je adäquater eine Äußerung bereits in ihrer wörtlichen Bedeutung ist, desto schwieriger ist es, ihren indirekten Charakter zu erkennen; oft bleibt nur das Bewusstsein, die Äußerung könne mehr bedeuten. Den Grad der Diskrepanz kann man mit dem Verhältnis der beiden Illokutionen korrelieren: Je größer die Diskrepanz, desto mehr gewinnt die indirekte Illokution die Oberhand, so dass in diesen Fällen Searles Feststellung zutrifft, die indirekte Illokution sei primär. Auch wird eine mögliche kommunikative Unzulänglichkeit vielfach erst bei spezieller Kenntnis der individuellen Situation erkannt. So wird in folgendem Beispiel der indirekte Charakter der Äußerung nur dem mit der individuellen Situation Vertrauten klar werden: ( 134)
Hast du dein Auto repariert?
Nur er wird erkennen, dass etwa folgende Antwort erwartet wird: (134') Ja, du kannst es haben. Das heißt, während die Äußerung (134) für den Außenstehenden ein direkter Sprechakt der Frage ist, kann der mit der Situation Vertraute die eigentliche 'Sprecherbedeutung' (Dascal 1983: 34) erkennen, nämlich dass die Äußerung zugleich im Fall der positiven Antwort als Bitte bzw. Einlösen einer Zusage intendiert ist. Das Erkennen und Konkretisieren des indirekten Sprechakts ist hier von der individuellen Situation abhängig. Dagegen sind für die Äußerung (135) keine individuellen Situationskenntnisse nötig, um sie als indirekten Sprechakt der Aufforderung bzw. des Befehls zu verstehen: (135)
Ich erwarte einen Brief.
Für denjenigen, der sonst mit den Briefen des Sprechers nichts zu tun hat, stellt diese Äußerung eine bloße Mitteilung, einen direkten nuntiativen Sprechakt dar. Derjenige jedoch, in dessen Aufgabenbereich die Briefe des Sprechers gehören, muss sich fragen, ob diese Äußerung für sich allein bereits voll relevant sei. Er wird erkennen, dass sie ihre eigentliche Relevanz für ihn erst erhält, wenn er sie als indirekte Aufforderung bzw. als verkleideten Befehl, nach der Post zu sehen, versteht. Diese Interpretation als indirekter Sprechakt ist jedoch nicht von einer individuellen Situation abhängig wie in (134), sondern für alle Situationen generalisierbar, in denen die Briefe des Sprechers zum Aufgabenbereich des Angesprochenen gehören.
216 Das Prinzip der Relevanz ist jedoch, wie schon erwähnt, keineswegs in jedem Fall geeignet, einen indirekten Sprechakt eindeutig erkennen zu lassen; bereits der direkte mag relevant sein. Wie dieser funktionale Gesichtspunkt der Relevanz ist auch eine formale Besonderheit nicht generell für jeden indirekten Sprechakt charakteristisch: Ich meine das Prinzip der Konventionalisierung eigener Formen oder der Phraseologisierung, wie ich es nennen will. Den Terminus Phraseologisierung verwende ich, um den Unterschied zur Idiomatisierung bezeichnen zu können. Eine idiomatische Äußerung hat nur eine, die idiomatische Bedeutung, die nicht der wörtlichen Bedeutung entspricht und auch nicht aus ihr abgeleitet werden kann. Durch Idiomatisierung wird die wörtliche Bedeutung und damit auch eine eventuelle indirekte Interpretation blockiert. Eine phraseologisierte Äußerung weist gewisse Besonderheiten des Ausdrucks auf, die die Gültigkeit der wörtlichen Bedeutung unangetastet lassen. Im Fall des indirekten Sprechakts legen sie jedoch zugleich über die wörtliche Bedeutung hinaus eine indirekte Interpretation nahe; oder anders ausgedrückt: Sobald eine Phraseologisierung des Ausdrucks vorliegt, "funktioniert" diese Äußerung besser als indirekter Sprechakt, tritt die indirekte Illokution in den Vordergrund, wird primär. In den oben behandelten Beispielen (130), (134) und (135) liegt keine Phraseologisierung vor. Die Beispiele (132) und (133) dagegen sind z.B. durch die Negationspartikel nicht als phraseologisierte Äußerung gekennzeichnet und "funktionieren" durch diese Phraseologisierung besser als indirekter Sprechakt. Versteht man Konventionalisierung nur in diesem Sinn der Phraseologisierung, so wäre sie für indirekte Sprechakte nicht generell anzusetzen. M.E. sind jedoch auch Äußerungen wie (130) als konventionelle Form für einen indirekten Sprechakt zu betrachten, da sie in ihrer wörtlichen Bedeutung situativ nicht ganz angemessen sind. Das Phänomen der Konventionalisierung beruht letztlich auf der Häufigkeit des Gebrauchs und nicht nur auf speziellen sprachlichen Besonderheiten dieses Gebrauchs. Zu diesen Besonderheiten gehört nicht nur die Negationspartikel, sondern auch der Konjunktiv in Beispiel (132). Wie lässt sich diese Phraseologisierung des Ausdrucks linguistisch fassen? Folgt daraus, dass z.B. die Negationspartikel nicht als Sprechaktindikator zu beschreiben ist? Zwar liefert die Negationspartikel einen wesentlichen Hinweis auf die indirekte Interpretation und ist daher in diesem allgemeinen Sinn Sprechaktindikator; doch ist deutlich, dass sie nicht als einzelner Ausdruck für sich betrachtet werden darf. Isoliert funktioniert dieser Ausdruck nicht als Indikator. Sein Beitrag zur kommunikativen Funktion besteht in der Phraseologisierung der Äußerung, die dadurch als Ganze besser befähigt ist, zwei kommunikative Funktionen zum Ausdruck zu bringen.35 Es sind also zumindest zwei Typen von Sprechaktindikatoren zu unterscheiden: Ausdrücke, die segmentierbar sind wie die performativen Verben, und Ausdrücke, die nur im Verband der gesamten Äußerung an deren kommunikativer Kraft mitwirken. Ausdrücke des ersten Typs sind Sprechaktindikatoren in direkten Sprechakten, sie weisen auf eine bestimmte kommunikative Funktion hin; Ausdrücke des zweiten Typs können Sprechaktindikatoren in indirekten Sprechakten sein, wenn sie eine Äußerung so konturieren, dass sie als indirekter Sprechakt besser funktioniert als die gleiche Äußerung ohne den Indikator. Aber auch in direkten Sprechakten gibt es Ausdrücke, die nicht isolierbar sind und nur im Kontext der ganzen Äußerung am Ausdruck der kom35
Diesen phraseologisierenden Ausdrücken, zu denen auch Modalpartikeln gehören, könnte man mit Franck (1980: 133) strategische Funktion zusprechen: "sie lösen bestimmte Interpretationsoperationen aus".
217 munikativen Funktion mitwirken, wie die Partikeln. Gäbe es nur Ausdrücke des ersten Typs, so ließe sich die Pragmatisierung des Sprachsystems auf einzelne Ausdrücke beschränken. Durch Ausdrücke des zweiten Typs jedoch unterläuft die Pragmatisierung das gesamte Sprachsystem, so dass man sich auch von dieser Seite, also von einer schrittweisen Integration der Pragmatik her, der Einsicht nähert, dass Semantik und Pragmatik nicht zu trennen sind. Zwei Gesichtspunkte, ein funktionaler und ein ausdrucksbezogener, sind es also, die den Hörer erkennen lassen können, dass die Äußerung nicht als direkter Sprechakt gemeint ist: eine gewisse kommunikative Unzulänglichkeit und die Phraseologisierung. Beide können, aber müssen nicht gleichzeitig zutreffen; eine Äußerung kann unzulänglich sein, wie z.B. (135), oder sie kann phraseologisiert sein, wie z.B. (133). Welche Fähigkeiten werden beim Hörer als Voraussetzung für diese Erkenntnis verlangt? Er muss die sprachlichen Konventionen beherrschen, die der Phraseologisierung zugrunde liegen, und er muss die nichtsprachlichen Grundprinzipien der Kommunikation beherrschen, wie das Prinzip der Relevanz, das der Erkenntnis der kommunikativen Unzulänglichkeit einer Äußerung zugrunde liegt. Da jedoch weder kommunikative Unzulänglichkeit noch Phraseologisierung fllr indirekte Sprechakte obligatorisch sind, bleiben in vielen Fällen allein weitere partikuläre Besonderheiten der Situation, an denen das Vorliegen eines indirekten Sprechakts zu erkennen ist (z.B. in 134). Damit wird das Prinzip des Wahrscheinlichkeitsschlusses als oberstes Prinzip eines indirekten Sprechakts gewahrt.
2.2.2.2. Konzepte der Vermittlung Hat der Hörer erkannt, dass ein indirekter Sprechakt vorliegt, muss er sich im zweiten Schritt fragen, welcher indirekte Sprechakt dies sein könnte. Gegeben ist ihm die Struktur des direkten Sprechakts, seine Äußerungsform und seine wörtliche Bedeutung sowie der Verwendungskontext. Um auf dieser Basis den indirekten Sprechakt verstehen zu können, müssen gewisse Zusammenhänge zwischen wörtlicher und indirekter Bedeutung bestehen, die rationaler Natur sein müssen, soll die Vermittlung operationalisierbar sein. Die entscheidende Frage bei der Beschreibung des indirekten Sprechakts ist es zu klären, welcher Art diese Zusammenhänge sind. Searle geht bei seiner Beschreibung von der indirekten Bedeutung aus, nimmt also beim zweiten Schritt die Sprecherperspektive ein und fragt: Welche Möglichkeiten habe ich, eine gewünschte Illokution indirekt auszudrücken? Für den Linguisten, der die Sprecherperspektive einnimmt, ist nur die indirekte Illokution gegeben, er sucht Ausdruck und Inhalt aller möglichen direkten Sprechakte, die diese Illokution indirekt vermitteln können. Aus der Hörerperspektive heraus ist Ausdruck und Inhalt eines direkten Sprechakts gegeben, gesucht wird ein weiterer, indirekt vermittelter Inhalt dieses Sprechakts. Um einen Perspektivenwechsel zu vermeiden, will ich im Unterschied zu Searle zunächst von der Hörerperspektive ausgehen und dann die Sprecherperspektive untersuchen. Aus der Hörerperspektive stellt sich das Problem wie folgt: Gegeben ist ein direkter Sprechakt und in vielen Fällen eine gewisse situative Diskrepanz; gesucht ist ein indirekter Sprechakt, der diese situative Diskrepanz beseitigt. Um die Prinzipien zu erkennen, die der Vermittlung des indirekten Sprechakts über den direkten zugrunde liegen, will ich Beispiele
218 sammeln und in einer Übersicht nach Typen zusammenstellen. Diese Übersicht ist sicherlich nicht vollständig, aber umfassend genug, um die relevanten Prinzipien auffinden zu können. Ich gehe dabei jeweils von einer fundamentalen kommunikativen Funktion aus, die ich als kommunikative Funktion des direkten Sprechakts ansetze, und frage: Welche kommunikative Funktion kann dieser direkte Sprechakt indirekt vermitteln, und wie ist dabei der Zusammenhang zwischen direkter und indirekter Funktion zu beschreiben? Dabei ist für illokutive Sprechakte - der Einheitlichkeit wegen und um zusätzliche Probleme auszuschalten - generell von initiativen Äußerungen auszugehen. Zunächst einmal abstrahiere ich also von Besonderheiten des Ausdrucks wie der Phraseologisierung, da sie nicht notwendige Voraussetzung dafür sind, dass ein Sprechakt als indirekter funktioniert, und beschreibe den direkten Sprechakt nach seiner wörtlichen Bedeutung; denn der Vermittlungsmechanismus zwischen direktem und indirektem Sprechakt muss auf einem rationalen Zusammenhang von wörtlicher und indirekter Bedeutung beruhen. Besonderheiten des Ausdrucks können die Vermittlung erleichtern, aber nicht begründen; auch situative Diskrepanz ist sekundär, da sie nicht immer gegeben ist. Auf der Basis dieser Übersicht kann man dann eine zweite gewinnen, die die Sprecherperspektive widerspiegelt und die für eine indirekt auszudrückende kommunikative Funktion jeweils Realisierungsmöglichkeiten zusammenstellt. Beginnen wir also mit der fundamentalen Illokution des DEKLARATIVS. Kann ein deklarativer Sprechakt Vermittler eines indirekten Sprechakts sein? Soll eine Vermittlung möglich sein, muss eine gewisse situative Diskrepanz zumindest vorstellbar sein. Ein deklarativer Sprechakt lässt jedoch keine situative Diskrepanz zu. Soll er gelingen, setzt er volle situative Angemessenheit voraus; die Relevanzfrage darf sich für ihn nicht stellen. Dies hängt mit der Besonderheit der deklarativen Illokution zusammen, dass der pragmatische Wollensanspruch des Sprechers im deklarativen Sprechakt selbst bereits erfüllt wird. Ein deklarativer Sprechakt scheidet somit als Vermittler eines indirekten aus. Auch ein DIREKTTV eignet sich anscheinend nicht als Träger eines indirekten illokutiven Sprechakts. Offensichtlich ist hier die Interrelation von Illokution und ihr korrespondierender Perlokution zu ausgeprägt, um daneben eine andere Illokution zu dulden. Denkbar wäre, dass eine Aufforderung zu einer unmöglichen Handlung die Assertion der Unmöglichkeit implizierte, wobei die Diskrepanz in der Verletzung einer Regel des propositionalen Gehalts läge: (136)
Nennen Sie mir einen guten Arzt am Ort!
Hat der Sprecher die vorgefasste Meinung, dass es keinen guten Arzt am Ort gibt, so verwendet er diesen im Grunde rhetorischen Imperativ, um die Behauptung auszudrücken: Es gibt keinen guten Arzt am Ort. Dieser Fall des rhetorischen Imperativs, wie ich ihn nenne will, stellt jedoch - der rhetorischen Frage vergleichbar - keinen indirekten Sprechakt dar. Es liegt hier keine Aufforderung vor. Rhetorischen Imperativ und rhetorische Frage werde ich als idiomatische Sprechakte beschreiben. Vielfach werden Aufforderungen zu einer sprachlichen Handlung als direkte und auch indirekte (so Sökeland 1980: 113) Fragehandlungen betrachtet: (137)
Sag mir, wann ich dich telefonisch erreichen kann.
219 Wie ich bereits in Kapitel II 2. dargelegt habe, sind Aufforderungen dieses Typs m.E. keine Fragehandlungen, weder direkt noch indirekt; sie bleiben direktive Sprechakte. Auch ein direktiver Sprechakt scheidet somit als Vermittler eines indirekten illokutiven Sprechakts aus. Bleiben als Kandidaten fiir die Vermittlung eines indirekten illokutiven Sprechakts die repräsentative und die explorative Illokution. Und sie sind es auch, die in vielfältiger Weise indirekte Sprechakte vermitteln. Bei REPRÄSENTATiVEn sind folgende Typen möglich: (Fig. 5)
direkte Illokution REPRÄSENTATIV
indirekte Illokution — »
DIREKTIV
1. Konzept des Grundes für die gewünschte Handlung36 (138)
Ich erwarte einen Brief.
(139)
Sie dürfen hier nicht parken.
(140)
Es zieht.
2. Konzept der Handlung, zu der indirekt aufgefordert wird, unter Gesichtspunkten, die die Ausführung dieser Handlung nahelegen: Notwendigkeit, Norm, Zweckmäßigkeit (141)
Die Küche muss gewischt werden.
(142)
Die Küche sollte gewischt werden.
(143)
Die Küche könnte gewischt werden.
3. Konzept des Hörers, der die Handlung ausführen soll (bei Kooperation Konzept von Hörer und Sprecher), unter den Gesichtspunkten von Notwendigkeit, Norm, Zweckmäßigkeit, Möglichkeit, Wunsch, Fähigkeit
36
( 144)
Du musstjetzt ins Bett gehen.
( 145)
Wir müssen jetzt ins Bett gehen.
(146)
Du solltest deine Eltern öfter besuchen.
(147)
Wir sollten deine Eltern öfter besuchen.
(148)
Du könntest mich anrufen.
( 149)
Du kannst das Fenster schließen.
(150)
Du wolltest doch nach Nürnberg fahren.
(151)
Du kannst doch schon mit Messer und Gabel essen!
Die hier unterschiedenen Konzepte sind nicht mit Hindelangs semantischen Mustern vergleichbar (1978a). Hindelangs semantische Muster sind Klassifikationen von Äußerungsformen, die generell als direkte Sprechakte betrachtet werden; die semantischen Muster haben bei ihm Hilfsfunktion für die direkte Zuordnung von Äußerungsform und Illokution. Den Typ des indirekten Sprechakts kennt Hindelang nicht.
220 4. Konzept des Sprechers unter den Gesichtspunkten von Wunsch oder Bedeutung der Handlung (152) Ich möchte, dass du gehst. (153) Ich warte darauf, dass du gehst. ( 154) Ich würde mich freuen, wenn Sie vorbeikämen. (155) Ich brauche mehr Taschengeld. (156) Ich hoffe, du bleibst nicht zu lange weg. 5. Konzept eines Dritten als Autorität oder Vorbild (157) Dein Vater wäre traurig, wenn du nicht kämst. (158) Hans wird lachen, wenn er dich so sieht. Ich möchte den Kommentar zu diesem Schema und den folgenden zunächst möglichst knapp halten und nur auf spezielle Punkte kurz eingehen; Generelleres werde ich im nächsten Kapitel diskutieren (III 2.2.3.). Zunächst ist der Einwand zu bedenken, die Konzepte seien nicht delimitierend, da auch die Konzepte 2-5 wie Konzept 1 einen Grund für die gewünschte Handlung ausdrückten. Generell betrachtet trifft es zu, dass alle Äußerungsformen einen Grund für die Handlung angeben; doch hilft eine solch generalisierende Betrachtungsweise bei der Strukturierung der zahlreichen Äußerungsmöglichkeiten nicht weiter. Hier kommt es nicht in erster Linie darauf an zu generalisieren, sondern zu differenzieren; und dann zeigt sich Konzept 1 durchaus als Grund besonderer Art. Hier ist allein die Relation "Grund für die gewünschte Handlung" ausgedrückt, während in den Konzepten 2-5 der Grund spezifiziert werden kann, wie in den Konzepten angegeben. Das heißt, die Konzepte sind durchaus delimitierend. In Einzelfällen könnte man überlegen, ob eine Äußerung direkter oder indirekter Sprechakt ist. So rückt z.B. der Ausdruck eines Wunsches (Beispiel 152) in die Nähe direktiver Sprechakte (s.o. Kap. III 2.1.). Auch eine Feststellung der Notwendigkeit einer Handlung (Beispiel 144) steht der direktiven Illokution nahe, so dass man erwägen könnte, ob hier nicht bereits die direktive Illokution direkt ausgedrückt sei. Doch ist bei diesem Beispiel m.E. der Gesichtspunkt des Konstatierens nicht zu leugnen, so dass ich Äußerungen dieses Typs als indirekt direktiv einordne. Schwieriger dagegen ist die Entscheidung bei Äußerungen mit modalem Infinitiv: (159)
Die Küche ist zu wischen.
Hier ist die Interpretation m.E. von der Betonung abhängig: Wird die Kopula betont, so erhält die Äußerung insistierenden Charakter und stellt dann einen sequenzabhängigen direkten iussiven Sprechakt dar: (159') Zum letztenmal: Die Küche 'ist zu wischen. Satzakzent und Intonation spielen - wie wir gesehen haben (s.o. III 2.1.2.) - eine entscheidende Rolle bei der Interpretation einer Äußerung. Wie bereits bei modifiziert performativen Wendungen muss auch bei indirekten Sprechakten das Modalverb unbetont sein (vgl. auch Panther 1981:297). Wird es betont, so liegt meist auf Grund der Dominanz der Betonung ein direkter Sprechakt vor:
221 ( 160)
Willst du nicht die 'Küche wischen?
(indirekt)
(161)
'Willst du wohl die'Küche wischen?
(idiomatisch)
Das Konzept des Hörers unter dem Gesichtspunkt der Fähigkeit ist nur eingeschränkt gültig, vielfach nur bei Fähigkeiten, die in der gegebenen Situation etwas Neues, Besonderes darstellen wie in Beispiel (151). Häufig allerdings ist dabei das Modalverb betont, was dann gegen eine indirekte Verwendung spricht: ( 162)
Du kannst die Küche wischen,
(indirekt, Möglichkeit)
(163)
Du'kannst die Küche wischen,
(direkt, Fähigkeit)
Dieses Beispielpaar zeigt, dass das Konzept der Fähigkeit stark situationsabhängig und entgegen Searle (1975b: 65) nicht generell verwendbar ist.37 Entgegen Searle (1975b: 72), dem sich Rosengren (1980:465) anschließt, ist auch das Konzept des Hörers unter dem Gesichtspunkt des Wunsches durchaus konstatierbar, wie Beispiel (150) zeigt, sofern dieses Konzept erinnernde, anregende Funktion erfüllt, was meist eine Phraseologisierung der Äußerung voraussetzt (hier die Partikel doch). Die zahlreichen Konzepte dieses Schemas weisen bereits darauf hin, dass repräsentative Trägersprechakte vor allem zur Übermittlung eines indirekten Direktivs verwendet werden. Allerdings ist dies nicht die einzige Verwendungsmöglichkeit. Repräsentative Trägersprechakte können auch die anderen Sprechakttypen indirekt vermitteln: Explorative, Repräsentative und Deklarative, wenn man zunächst einmal von sequenzabhängigen repräsentativen Trägersprechakten zur indirekten Übermittlung perlokutiver Funktionen absieht. Während jedoch die indirekte Vermittlung des Direktivs relativ leicht durch Konzepte präzisierbar ist, sind die anderen Schemata schwieriger zu spezifizieren. (Fig. 6)
direkte Illokution REPRÄSENTATIV
indirekte Illokution — ^
EXPLORATIV
1. Konzept des Sprechers und seines Wissensdefizits (164)
Ich möchte wissen, was du denkst.
( 165)
Ich weiß Edis Telefonnummer nicht.
(166)
Ich weiß nicht, ob ich richtig verbunden bin (am Telefon).
( 167)
Ich suche meine Brille.
2. Konzept eines Sachverhalts, der geeignet ist, den Hörer zu einer Stellungnahme zu verleiten
37
(168)
Ich sehe schon, du willst mir nicht sagen, wo du warst.
(169)
Sie sindja vieljünger als ich.
( 170)
Maja ist nicht da.
In Weigand (1984a: 78) habe ich noch angenommen, dass das Konzept der Fähigkeit generell nicht indirekt verwendbar sei. Wie Beispiel (151) zeigt, ist diese Annahme jedoch nicht aufrechtzuerhalten.
222 Beim 1. Konzept stellt sich das Problem: was zählt als direkter, was als indirekter Sprechakt? Explorative sind durch den Wissensanspruch definiert, und auf den ersten Blick könnte man meinen, diese Beispiele seien direkter Ausdruck eines Wissensanspruchs. Folgendes Beispiel zeigt jedoch, dass sie keine direkten Explorative sind: (171)
Ich möchte wissen, was du denkst, aber ich frage dich nicht.
Hier wird deutlich, dass der Ausdruck eines Wunsches nach Wissen streng genommen noch keinen Anspruch auf Wissen darstellt. Jeder explorative Sprechakt beinhaltet einen Wunsch nach Wissen, jedoch nicht als Feststellung, sondern verbunden mit dem interaktiven Element, diesen Wunsch als Fragehandlung, und d.h. als spezifischen Wollensanspruch, an den Kommunikationspartner, heranzutragen. Erst der auf Wissen gerichtete WollensansprwcA konstituiert den explorativen Sprechakt. Wird allein der Wunsch ausgedrückt oder das Nichtwissen konstatiert, so kann erwartet werden, dass eine Schlussfolgerung auf den Anspruch gezogen wird; insofern sind Beispiele wie (164-167) indirekte Explorative. Wie generell zu indirekten Sprechakten, so kann man auch zu indirekten Fragehandlungen in der Literatur manches finden, das einer Prüfling auf Konsistenz nicht standhält. So kommt Sökeland (1980) innerhalb seiner Arbeit die "Indirektheit von Sprechhandlungen" mitunter zu einer Beschreibung, deren theoretische Grundlage wenig überzeugt und manche Ungereimtheiten aufweist. Wenn er z.B. Fälle wie ( 172)
Du wirst ja bald eine steile Karriere machen.
( 173)
Ich sehe, Sie haben im Ausland studiert.
als indirekte Fragehandlungen beschreibt (S. 140f.), so muss man fragen, wie die indirekte Frage lauten sollte. Beispiele dieses Typs sind zu wenig präzisiert, um dem Mechanismus eines indirekten Sprechakts zu genügen. Will man hinter ihnen eine Fragehandlung erkennen, so ist diese nur über lose Assoziationen mit der Äußerung verbunden. Ein Sachverhalt wird thematisiert, in der Hofthung, der Kommunikationspartner möge Näheres darüber sagen. Auf diesen Typ der Anspielung werde ich noch zurückkommen. Im Unterschied dazu präzisieren m.E. die Beispiele (168-170) den Frageinhalt deutlicher: Hier ist in jedem Fall klar, was erfragt wird; daher gibt es hier, wie ich noch zeigen werde, auch einen Ansatz für eine regelhafte Beschreibung der Zuordnung von Äußerung und indirekter Frageillokution (s.u. Kap. III 2.2.3.). Die Beispiele (172/173) könnte man jedoch auch als Konstatieren eines naheliegenden bzw. offenkundigen Sachverhalts verstehen, das auf ein Bestätigen und dann u.U. per Assoziation auf eine nähere Beschreibung des Sachverhalts zielt. (172/173) wären in diesem Sinn eine Art "tag-question", wobei die Frageformel (nicht wahr? o.ä.) nicht eigens morphologisch, wohl aber meist intonatorisch ausgedrückt ist. Auch bei anderen Autoren finden sich Beispielbeschreibungen, die ich nicht übernehmen kann. So ist für mich nicht einsichtig, inwiefern ( 174)
Über die Ostpolitik kann man geteilter Meinung sein.
eine indirekte Frage sein sollte (so Ehrich/Saile 1972:284). Auch hier kann es sich nur um die Thematisierung eines Sachverhalts handeln, zu dem dann der Kommunikationspartner vielleicht seine Meinung äußert. Versteht man die Kategorie des indirekten Sprechakts
223 jedoch restriktiver im Sinn einer operationalen Zuordnung, so wird mit Beispiel (174) noch kein indirekter Sprechakt konstituiert (s. das nächste Kapitel 2.2.3.). Repräsentative Trägersprechakte werden auch zur Vermittlung indirekter Repräsentative verwendet. M.E. ist das hier geltende Schema jedoch auf einen Typ zu beschränken: Der direkte repräsentative Sprechakt drückt die Bewertung eines Umstands aus, aus der dann Folgerungen gezogen werden können, so dass sich spezifische repräsentative Untermuster ergeben: (Fig. 7)
direkte Illokution REPRÄSENTATIV
indirekte Illokution — *
REPRÄSENTATIV
Konzept der Bewertung einer Handlungsbedingung (175)
Das Eis ist dünn.
—
(176)
Die Zeit ist günstig.
—>
I
c
h
warne dich, aufs Eis zu gehen.
Ich rate dir mitzumachen.
Aus der Prädikation kann die Gefährlichkeit bzw. Zweckmäßigkeit einer Handlung gefolgert werden, so dass mit der Prädikation indirekt eine Warnung bzw. ein Rat vollzogen wird.38 Hinzu kommt ein weiterer Typ eines repräsentativen Trägersprechakts, der jedoch nur in speziellen Fällen und nur in alltäglicher Kommunikation gilt. Es handelt sich um die Fälle, in denen Gefühlsbekundungen in der Alltagssprache als Deklarativ eingesetzt werden. So kann die Äußerung (177) als Entschuldigung gelten, die Äußerung (178) einen expliziten Deklarativ des Dankes überflüssig machen: (177)
Es tut mir leid.
( 178)
Ich bin dir so dankbar.
Hier ersetzt also das konstative Untermuster des Gefühlsausdrucks einen Deklarativ: (Fig. 8)
direkte Illokution REPRÄSENTATIV
indirekte Illokution —*•
DEKLARATIV / in alltäglicher Kommunikation
Auch Searle (1975b: 79f.) weist auf diesen Fall hin, beschreibt ihn jedoch nach anderen Kategorien, da für ihn Sprechakte der Entschuldigung und des Dankes expressive Sprechakte sind." Als Vermittlungsprinzip setzt er eine seiner "generalizations" an, wonach ein Sprechakt indirekt ausgedrückt werden kann, indem man seine "sincerity condition" verbalisiert. Deklarative jedoch kennen keine "sincerity condition". So gilt ein Urteilsspruch, wenn
38
39
Nach Grice (1957/1971:58) wären diese Beispiele als "decisions 'that'" zu beschreiben, die "decisions 'to'" implizieren. Auch Rosengren (1979a: 204f.) geht auf diesen Fall ein, beschreibt ihn jedoch als Beispiel einer zum Ausdruck gebrachten evaluativen Einstellung, die "die Funktion der entsprechenden Sprechhandlungen übernehmen" kann. Die entsprechende Sprechhandlung nennt Rosengren deklarativ, versteht darunter aber Searles expressive Sprechakte. Der Ausdruck einer Einstellung ist nach Rosengren jedoch von einer Sprechhandlung zu unterscheiden (S. 202ff.).
224 er unter Beachtung der in den Rechtsvorschriften festgelegten Form gefällt wurde, gleichgültig, ob ihn der Richter für gerecht hält oder nicht. Deklarative gelingen also, wenn der Form Genüge getan ist. Auch sind Searles Beispiele nicht immer Uberzeugend und manchmal offensichtlich erst durch seine "generalizations" angeregt; so kann man z.B. mit einer Äußerung wie (179) m.E. keine Gratulation aussprechen: ( 179)
I am so glad that you won.
Werden deklarative Sprechakte in institutioneller Kommunikation verwendet, so müssen sie die Illokution explizit ausdrücken; denn im Unterschied zu den anderen fundamentalen Sprechakttypen kann die deklarative Illokution nicht problematisiert, nicht hinterfragt werden, da bei ihr Illokution und Perlokution zusammenfallen. In institutioneller Kommunikation sind Deklarative nur als direkte Sprechakte möglich; denn hier muss die Form eindeutig sein, sollen doch im Konfliktfall aus ihr Sanktionen abgeleitet werden. Dieses Erfordernis einer expliziten direkten Ausdrucksweise bedingt eine gewisse Emphase auf der Form. Mit Emphase auf der Form geht vielfach eine Inhaltsentleerung einher (vgl. Katz 1977: 190), zwei Erscheinungen, die für institutionelle Kommunikation typisch und keineswegs störend sind, kommt es hier doch vor allem darauf an, dass die Form erfüllt ist. In alltäglicher Kommunikation dagegen ist man bemüht, Emphase auf der Form zu vermeiden, und verwendet daher z.B. statt des formellen Entschuldigung vielleicht lieber eine Äußerung wie (177).40 Solange diese Äußerung aufrichtig gemeint ist, wird mit ihr ein konstativer Sprechakt vollzogen, der in alltäglicher Kommunikation einen deklarativen nicht nur ersetzen, sondern auch funktional modifizieren kann. Direkte Deklarative, die sich auf den Bereich der Verhaltensregeln beziehen, sind nahezu leere Formeln. Will man nun nicht nur eine bestimmte Form einhalten, so hat man mit dem Typ der Gefühlsbekundung (z.B. 177) die Möglichkeit, sowohl die Form zu wahren wie zugleich zu verstehen zu geben, dass man es ehrlich meint. Sobald Äußerungen dieser Art jedoch routinemäßige Floskeln werden, sind sie als idiomatische deklarative Sprechakte zu betrachten.
40
Auf diesen Unterschied zwischen alltäglicher und institutioneller Kommunikation beziehen sich auch Lang/Steinitz (1978: 74) bei ihrem Versuch, ihre Unterscheidung zwischen Ausdrücken, die propositionale Einstellungen beschreiben, und solchen, die propositionale Einstellungen bezeugen, aufrechtzuerhalten. Ich kann hier auf den Ansatz von Lang/Steinitz nicht näher eingehen; er ist durch die Annahme eines Gegensatzes zwischen performativen und konstativen Sätzen charakterisiert. Nach Lang/Steinitz würden in Äußerungen wie (177) und (178) propositionale Einstellungen beschrieben, die in alltäglicher Kommunikation als Bezeugungen gelten können. Soweit kann ich Lang/Steinitz folgen und die Unterschiede auf terminologische zurückführen (abgesehen von der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen konstativen und performativen Sätzen). Allerdings bringen Lang/Steinitz Beispiele, die sich nicht auf Gefühlsbekundungen, sondern auf kognitive Einstellungen beziehen. Hier bin ich jedoch nicht der Ansicht, dass etwa ich bin sicher in der Umgangssprache indirekt einen Sprechakt der Versicherung realisieren kann; zumindest hätte dieser Sprechakt dann mit dem institutionellen ich versichere kaum etwas gemein. Ich bin sicher, dass Hans kommt, ist als konstativer Sprechakt zu beschreiben, der eine kognitive Einstellung zum Ausdruck bringt, während ich versichere, dass... einen deklarativen Sprechakt realisiert, der Verbindlichkeit schafft.
225 Auch ein E X P L O R A T I V kann Träger eines indirekten Sprechakts sein, jedoch in der Regel nur für einen Direktiv. Die Konzepte weisen weitgehend Parallelität mit der in Figur 5 dargestellten Vermittlung eines Direktivs über einen Repräsentativ auf: (Fig. 9)
direkte Illokution EXPLORATIV
indirekte Illokution — >
DIREKTIV
1. Konzept des Grundes für die gewünschte Handlung ( 180)
Ist der Rasen nicht ziemlich lang?
2. Konzept der Handlung, zu der indirekt aufgefordert wird, unter Gesichtspunkten, die die Ausführung dieser Handlung nahelegen: Notwendigkeit, Norm, Zweckmäßigkeit (181)
Muss die Küche nicht gewischt werden?
( 182)
Sollte die Küche nicht gewischt werden?
( 183)
Könnte die Küche nicht gewischt werden?
3. Konzept des Hörers, der die Handlung ausfahren soll (bei Kooperation Konzept von Hörer und Sprecher), -
-
entweder absolut oder umschrieben ( 184)
Bringst du mir etwas aus der Stadt mit?
(185)
Würdest du mir etwas aus der Stadt mitbringen?
(186)
Du kommst heute doch früher nach Hause, nicht?
oder unter den Gesichtspunkten von Notwendigkeit, Norm, Zweckmäßigkeit, Möglichkeit, Wunsch, Fähigkeit (187)
Musst du nicht gehen?
( 188)
Musst du soviel Krach machen?
( 189)
Müsstest du nicht jetzt ins Bett gehen?
( 190)
Solltest du nicht deine Eltern öfter besuchen?
(191)
Sollten wir nicht leiser sein?
( 192)
Könnten wir nicht Jalousien kaufen?
(193)
Kannst du schnell vorbeikommen?
( 194)
Willst du nicht nach Nürnberg fahren?
(195)
Willst du mitfahren?
( 196)
Kannst du nicht schon mit Messer und Gabel essen?
auch lexikalisch, und zwar modifiziert performativ, ausgedrückt: (197) Ich wollte fragen, ob die Bücher bis morgen liegenbleiben könnten.
226 -
-
oder als Frage nach entgegenstehenden Gründen ( 198)
Warum kommst du nicht?
(199)
Warum hältst du hier? / Warum fährst du nicht weiter?
(200)
Warum lässt du dich so gehen? / Warum nimmst du dich nicht zusammen?
oder als Frage nach dem Zeitpunkt der Ausführung (201)
Wann machst du bloß/endlich deine Schularbeiten?
Wie bei dem entsprechenden Typ in Figur 5 ist auch hier das Konzept des Hörers unter dem Gesichtspunkt der Fähigkeit nur in speziellen Kontexten gültig. Manche Fragen enthalten eine Vorwurfskomponente, wie (188) oder wari/m-Fragen wie (200). Falls keine triftigen Gründe vorliegen, kann zugleich mit dem Schluss auf den indirekt ausgedrückten Direktiv eine normative Bewertung "so sollte es nicht sein" impliziert sein. Nur vereinzelt kann ein explorativer Sprechakt indirekt auch einen repräsentativen vennitteln: (Fig. 10)
direkte Illokution EXPLORATIV
(202)
indirekte Illokution —REPRÄSENTATIV
Haben Sie nicht vor einer Woche das Gegenteil behauptet?
Nur wenn hinter der Äußerung Ungewissheit des Sprechers steht, handelt es sich um eine direkt ausgedrückte Fragehandlung, die indirekt einen Vorwurf vermitteln kann. Vielfach werden jedoch Äußerungen dieses Typs auch eingesetzt, wenn und gerade weil der Sprecher die Antwort schon weiß. Dann handelt es sich m.E. um Sprechakte, die gegen die Bedingung der Aufrichtigkeit verstoßen und daher nicht mehr kooperativ sind. Fragehandlungen können Vorwurfskomponenten enthalten, wie (203)
Wie konntest du nur unseren Hochzeitstag vergessen?
M.E. sind Äußerungen dieses Typs nicht nur als Vorwürfe zu beschreiben; auch stellen sie keine indirekten Vorwürfe dar. Diese Äußerungen bleiben Fragehandlungen, die mit einer Vorwurfskomponente kombiniert sind; das heißt, hier liegt ein Fall von "force multiplicity" vor (vgl. Grewendorf 1972: 166f.). Nach Sökeland (1980: 125ff.) kann man mit Fragesätzen auch indirekte Fragehandlungen ausdrücken. Dabei geht Sökeland allerdings von einer anderen Auffassung des indirekten Sprechakts aus: Für ihn realisieren indirekte Sprechakte nur eine Illokution, die indirekte (S. 44). Danach würde (204)
Weißt du, wie man "parallel" schreibt?
nur die Frage Wie schreibt man "parallel"? indirekt ausdrücken. Hier muss man jedoch fragen, was bei dieser Beschreibung indirekt heißen soll. Auch m.E. wird mit (204) in der Regel nur die Frage Wie schreibt man "parallel"? ausgedruckt, aber nicht indirekt, sondern
227 idiomatisch. Weißt du...? ist dabei eine idiomatische Einleitungsformel nahezu ohne eigene Bedeutung. 41 Auch andere Beispiele Sökelands, die mittels Fragesatz eine indirekte Fragehandlung vollziehen sollen, kann ich nicht dem indirekten Typ zuordnen: (205)
Werden Sie aus dieser Wahlniederlage Konsequenzen ziehen?
Hier wird ein direkter Explorativ vollzogen, bei dem zu erwarten ist, dass der Kommunikationspartner Uber ein bloßes ja/nein hinaus bei einem positiven Bescheid eine nähere Spezifizierung (Welche Konsequenzen?), bei einem negativen Bescheid eine Begründung gibt. Ebenso ist (206)
Nimmst du Rum für den Teig? (wobei der Sprecher sieht, dass der Kommunikationspartner Rum in den Teig gibt)
als direkter Sprechakt zu beschreiben. Hier wird entweder elliptisch oder durch die Intonation ausgedrückt eine Begründung erfragt: (206') Nimmst du Rum für den Teig? Ich bin erstaunt. Warum? Die Begründungsfrage ist jedenfalls nicht Uber den Mechanismus der indirekten Zuordnung herzuleiten; dieser Mechanismus musste die Begründungsfrage als Schlussfolgerung implizieren, wofür hier kein Anlass besteht. Nur über eine lose Assoziation wäre (206) mit einer Begründungsfrage zu verbinden. Damit haben sich ausgehend von der Hörerperspektive für die Vermittlung eines indirekten Sprechakts folgende Typen ergeben: direkte Illokution REPRÄSENTATIV
indirekte Illokution (Fig. 5)
—
>
DIREKTIV
—
>
EXPLORATIV
^
REPRÄSENTATIV
>
DEKLARATIV
—
—
EXPLORATIV
(Fig. 6) (Rat/Warnung)
(Fig. 9)
DIREKTIV —
»
(Fig. 7)
(in alltäglicher Kommunikation) (Fig. 8)
REPRÄSENTATIV
(Vorwurf)
(Fig.
10)
Als Trägersprechakte fungieren Repräsentative und Explorative. Explorative vermitteln im wesentlichen indirekte Direktive, Repräsentative dagegen können im Prinzip jeden Sprechakttyp indirekt vermitteln, wenngleich auch bei ihnen die Vermittlung eines indirekten Direktivs den Schwerpunkt bildet. Der Verstehensprozess des Hörers muss die Zuordnung auf eine dieser Möglichkeiten zurückführen. Für den Sprecher stellt sich der zweite Schritt der Realisierung eines indirekten Sprechakts als Frage nach einem geeigneten Trägersprechakt für die Illokution, die er im ersten Schritt
41
Denkbar ist natürlich auch eine Situation, in der es nicht um die Frage, wie man parallel schreibt, sondern tatsächlich um das Wissen des Kommunikationspartners geht. (204) wäre dann ein direkter Sprechakt, bei dem in der Regel wohl du betont wäre.
228 als indirekt zu vermittelnde ausgewählt hat. Unter seiner Perspektive ist Figur 11 in Figur 12 überfllhrbar: (Fig. 12)
indirekte Illokution DIREKTIV
direkte lllokution wird realisiert über
>
REPRÄSENTATIV
—>
EXPLORATIV
EXPLORATIV
—>
REPRÄSENTATIV
REPRÄSENTATIV ( R a t / W a r n u n g )
—>
REPRÄSENTATIV
—>
EXPLORATIV
(Vorwurf) DEKLARATIV (in a l l t ä g l i c h e r K o m m u n i k a t i o n )
—REPRÄSENTATIV
Indirekt ausgedrückt werden vor allem direktive und explorative Sprechakte. In Einzelfällen sind auch die deklarative und repräsentative Illokution indirekt realisierbar. Dabei machen Direktive, wie die vielfältigen Möglichkeiten der Zuordnung gezeigt haben, die eigentliche Domäne des indirekten Sprechakts aus. Die Zuordnung, die ich hier zum großen Teil zwischen den fundamentalen Sprechakttypen untersucht habe, wäre für abgeleitete Sprechakttypen bzw. Untermuster zu differenzieren. Ein Beispiel für einen monitiven Sprechakt habe ich in Weigand (1984a) gegeben; allerdings zeigt dieses Beispiel, dass für Monitive die gleichen Konzepte gelten wie für Direktive generell. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da von den anderen direktiven Illokutionstypen der Iussiv in der Regel nicht indirekt ausgedrückt wird (vgl. III 5.) und zwischen Monitiv und Petitiv in der Realisierung vielfach nur schwer Unterschiede auszumachen sind. Unterschiede in der Äußerungsform zeigen sich vor allem zwischen Monitiven und Iussiven bei direkten und idiomatischen Sprechakten. Ich habe bisher die indirekte Vermittlung eines initiativen illokutiven Sprechakts Uber einen anderen illokutiven Sprechakt beschrieben. Zu fragen ist nun, ob und wie sequenzabhängige perlokutive Sprechakte indirekt ausgedrückt werden können. Keineswegs werden alle perlokutiven Sprechakte als direkte Sprechakte realisiert; denn nicht immer wird eine Zusage über eine Handlungsankündigung oder eine Bestätigung des Wahrheitsanspruchs ausgedrückt. Vielfach bringt der reaktive Sprechakt andere Konzepte zum Ausdruck, aus denen ein positiver oder negativer Bescheid geschlossen werden kann und in Verbindung mit dem vorausgehenden illokutiven Sprechakt die spezifische perlokutive Funktion zu folgern ist: (207)
Geh mit zum Faschingsball! - Das ist eine fabelhafte Idee.
Hier lässt sich aus dem sequenzabhängigen repräsentativen Sprechakt ein positiver Bescheid entnehmen und aus der Kombination mit dem vorausgehenden direktiven Sprechakt folgt, dass die reaktive Äußerung als ZUSAGE gedacht ist. Diese perlokutive Funktion ist also erst Uber eine Schlussfolgerung aus der Bewertung als "fabelhafte Idee" zu entnehmen (vgl. auch Zillig 1982: 301). Die reaktive Äußerung in (207) stellt damit einen indirekten Sprechakt der Zusage dar. Die bei indirekten illokutiven Sprechakten erwähnten Tests lassen sich hier z.T. anwenden. Searles Test der zweifachen Referenz ist in gleicher Weise anwendbar wie bei illokutiven Sprechakten; dagegen ist der Test der zweifachen Reaktion nicht möglich, denn perlokutive Sprechakte sind bereits reaktive Sprechakte; die hier wirksamen Schlussfolgerungen beziehen sich zurück auf den initiativen Sprechakt.
229 Im Unterschied zu indirekten illokutiven Sprechakten werden nicht zwei Illokutionen, sondern eine Illokution und eine Perlokution gleichzeitig realisiert. Als Trägersprechakt wird in der Regel ein repräsentativer Sprechakt verwendet, der die sequenzabhängige Illokution direkt und die Perlokution indirekt ausdruckt. Während bei direkten perlokutiven Sprechakten die sequenzabhängige Illokution durch die Dominanz der Perlokution nicht zum Tragen kommt, hat bei indirekten perlokutiven Sprechakten die sequenzabhängige Illokution Eigengewicht. In Verbindung mit dein vorausgehenden Sprechakt ist sie Basis für die Schlussfolgerung auf eine perlokutive Funktion. Dabei lassen sich für jeden indirekt ausgedrückten perlokutiven Funktionstyp bestimmte Konzepte unterscheiden, so dass die Zuordnung in indirekten perlokutiven Sprechakten im wesentlichen nach den gleichen Prinzipien wie in indirekten illokutiven Sprechakten erfolgt. Als Basis für eine indirekte ZUSAGE dienen repräsentative Sprechakte, die folgende Konzepte zum Ausdruck bringen: (Fig. 13)
direkte sequenzabhängige Illokution REPRÄSENTATIV
indirekte Perlokution —=*"
ZUSAGE
1. Bewertung der Handlung (positiv und negativ) (208)
Geh mit zum Faschingsball! - Das ist eine fabelhafte Idee. - Ach, das finde ich langweilig.
(209)
Mäh den Rasen! - Wird mir eine Freude sein.
2. Konzept des Grundes (negativ) (210)
Fahr doch mit! - Ich muss mich auf mein Examen vorbereiten.
(211)
Fahr doch mit! - Mir wird vom Omnibusfahren schlecht,n
Die einzelnen Konzepte sind z.T. einem positiven bzw. negativen Bescheid zuzuordnen. Beispiel (210) entspricht Searles Beispiel (1975b: 61) / have to study for an exam, das Searle zu Unrecht als rein illokutiven Sprechakt behandelt. Bei diesen Beispielen beruht die indirekte Vermittlung der ZUSAGE auf einer Schlussfolgerung, die letztlich nur mit gewisser Wahrscheinlichkeit einen positiven oder negativen Bescheid darstellt (z.B. 'Wenn du lernen musst, dann wirst du wahrscheinlich nicht mitfahren.'). Nun gibt es aber auch Fälle, bei denen die Zusage zwar nicht direkt ausgedrückt wird, also auch eine Art Schlussfolgerung im Spiel ist, die aber dennoch keinen Raum für einen Wahrscheinlichkeitsschluss geben. Hier wird die Abgrenzung zu direkten Sprechakten schwierig:
42
Man könnte auch an die Angabe einer Folge denken, die dann eine zusage in positiver Form implizierte: - Fahr doch mit! - Mir wird vom Omnibusfahren schlecht werden. Doch scheint mir eine Reaktionsäußerung nach diesem Typ keine selbständige Zusage darzustellen; hier müßte wohl die Zusage noch eigens ausgedruckt werden: Mir wird vom Omnibusfahren schlecht werden; aber ich fahre mit.
230 (Fig. 13/Fortsetzung) 2. Konzept des Grundes (negativ) (212)
Fahr doch mit! - Ich habe keine Zeit. - Ich bin am Samstag nicht da.
3. Vorbereitende Handlungen (positiv) (213)
Geh mit schwimmen! - Ich muss nur noch meine Sachen packen.
4. Kompetenz des Sprechers (negativ) (214)
Mäh den Rasen! - Du hast mir nichts zu befehlen.
Aufgrund der Tatsache, dass man hier zwischen sequenzabhängigem repräsentativem Sprechakt und Zusage eine Schlussfolgerung ansetzen kann, wären auch diese Äußerungen als indirekte Sprechakte zu beschreiben. Allerdings müsste man hier die generelle Bestimmung des indirekten Sprechakts, dass die indirekte kommunikative Funktion nur mit gewisser Wahrscheinlichkeit realisiert wird, abschwächen. Die negative Form der ZUSAGE kann auch über einen sequenzabhängigen direktiven Sprechakt realisiert werden: (Fig. 14)
direkte sequenzabhängige Illokution DIREKTIV
indirekte Perlokution —>
ZUSAGE (negativ)
Konzept der Gegenhandlung (215)
Schau mal die Arbeit nach Druckfehlern durch! - Do it yourself! - Lass mir meine Ruhe!
(216)
Jetzt kannst du zeigen, was du kannst! - Zeig doch du erst einmal, was du kannst.
Der gleichen Schwierigkeit begegnet man bei Sprechakten des AKZEPTIERENS. Auch hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, über einen sequenzabhängigen repräsentativen Sprechakt indirekt einen perlokutiven Sprechakt des Akzeptierens auszudrücken. Indirekt heißt auch hier: qua Schlussfolgerung, lässt jedoch kaum Raum für einen Wahrscheinlichkeitsschluss. (Fig. 15)
direkte sequenzabhängige Illokution REPRÄSENTATIV
indirekte Perlokution —*•
AKZEPTIEREN
1. Bewertung der Handlung (positiv und negativ) (217)
Wir könnten auf den Faschingsball gehen. - Das ist eine fabelhafte Idee. - Das ist mir zu langweilig. (- Quatsch/Blödsinn s.o. III 2.1.1.)
2. Kompetenz des Sprechers (218)
Das kann nur am Motor liegen. - Du kennst dich aber gut aus. - Du hast aber überhaupt keine Ahnung.
231 3. Paraphrasierung (219)
Die Italiener waren besser. - Sie gaben den Ton an.
4. Modifizierung Du kennst dich aber gut aus. - Auch nur ein wenig,43
(220)
5. Gegenbehauptung (negativ) (221 )
Franz wird im Kino sein. - Franz ist bei seinen Eltern.
Auch diese Möglichkeiten stehen im Grunde zwischen direkter und indirekter Realisierung. Ich möchte auch hier dafür plädieren, sie zu den indirekten Sprechakten zu rechnen und das Phänomen des Wahrscheinlichkeitsschlusses hier einzuschränken. Für das Akzeptieren eines Wahrheitsanspruchs ist die Kenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge völlig unerheblich; dies wird an Beispiel (218) deutlich. Kommunikativ zählt allein die pragmatische, subjektive, nicht die semantische, objektive Wahrheit. Schließlich ist zu fragen, ob ANTWORTsprechakte indirekt ausgedrückt werden können. Hier muss man zwischen der perlokutiven Funktion des Antwortens und dem propositionalen Gehalt der Antwort unterscheiden. Die erfragte Information, die die Antwort in ihrem propositionalen Gehalt liefern soll, kann durchaus 'indirekt' ausgedrückt sein (vgl. Poggi/ Castelfranchi/Parisi 1981: 582ff.): (222)
Wann werde ich gesund sein? - In einer Woche kannst du wieder aufstehen.
Die perlokutive Funktion des Antwortens selbst, definiert als Eingehen auf einen explorativen Sprechakt, ist jedoch in positiver Form m.E. direkt durch die reaktive Äußerung selbst ausgedrückt. Nur für die Verweigerung der Antwort bedarf es eines eigenen morphologisch-syntaktischen Ausdrucks: (223)
Was hat sie denn gesagt? - Ich möchte darauf nicht eingehen.
Diese Verweigerung der Antwort, die hier direkt ausgedrückt ist, kann dann auch indirekt realisiert werden: (224)
Was hat sie denn gesagt? - Du bist zu neugierig. - Frag sie doch selbst! - Musst du alles wissen?
Wie dieses Beispiel zeigt, werden bei der indirekten Verweigerung der Antwort nicht nur sequenzabhängige repräsentative Sprechakte verwendet:
43
Zu bewertenden Sprechakten dieser Art und zu den Reaktionen darauf im Kontext von Komplimenten vgl. Pomerantz(1978).
232 (Fig. 16)
direkte sequenzabhängige Illokution
indirekte Perlokution
REPRÄSENTATIV DIREKTIV
>·
EXPLORATIV
J
—>
ANTWORT als V e r w e i g e r u n g
Die reaktiven Äußerungen in (224) stellen keine Antworten, sondern Erwiderungen, Ausweichmanöver dar, die indirekt die ANTWORT, als Verweigerung, realisieren. Damit haben sich auch bei perlokutiven Sprechakten Möglichkeiten des indirekten Sprechens ergeben, die entscheidend auf der sequenzabängigen, in der Regel repräsentativen Illokution beruhen. Mit dieser sequenzabhängigen Illokution wird offenbar ein Prinzip der Textkohärenz erfasst, das nicht nur für Zweiersequenzen und nicht nur für indirekte Sprechakte gilt: (225)
Beim Anfahren ist ein Geräusch - Das kann nur am Motor liegen. zu hören. Woran mag das liegen? EXPLORATIV
(226)
Das kann nur am Motor liegen. REPRÄSENTATIV
(227)
—>
—>
Du kennst dich aber gut aus. REPRÄSENTATIV
—>
ANTWORTEN (REPRÄSENTATIV) direkt
- Du kennst dich aber gut aus. AKZEPTIEREN (REPRÄSENTATIV) indirekt
- Auch nur ein wenig. AKZEPTIEREN (REPRÄSENTATIV) indirekt
Indem reaktive Sprechakte, vor allem die indirekten, zugleich sequenzabhängige Illokution und Perlokution erfüllen, können sie zugleich Reaktion wie sequenzabhängiger Beginn einer neuen Minimalsequenz sein. Wie bei der Beschreibung indirekter illokutiver Sprechakte müsste man auch bei indirekten perlokutiven Sprechakten nach abgeleiteten Funktionen bzw. Untermustern differenzieren. Speziellen illokutiven Mustern entsprechen vielfach spezielle perlokutive Sprechakte, so z.B. bei der VorwurfTRechtfertigungs-Interaktion. Hier böte sich ein weites Feld der Beschreibung und Präzisierung von Interaktion (vgl. z.B. Fritz/Hundsnurscher 1975). Wie wir gesehen haben, spielen beim indirekten Zusagen und Akzeptieren sequenzabhängige Repräsentative eine besondere Rolle. Sie spezifizieren die Äußerung als positiven oder negativen Bescheid; aus der Sequenzabhängigkeit folgt dann die jeweilige perlokutive Funktion. Allerdings muss man vielfach eine entscheidende Einschränkung machen: Nicht immer handelt es sich um einen Wahrscheinlichkeitsschluss. Daher ist es in vielen Fällen schwierig, die Grenze zu den direkten Sprechakten zu ziehen. Doch ließen sich aufgrund von Beispielen des Typs (208) oder (210) keineswegs alle Fälle zu den direkten Sprechakten rechnen. Wir haben es hier m.E. wieder mit einem Problem zu tun, das wohl am besten z.T. kommunikativer Vagheit zuzuschreiben ist. Eine klare Grenze ist mitunter nicht zu ziehen. Den Terminus der kommunikativen Vagheit, den ich bereits in der Erstauflage eingeführt habe, verstehe ich heute als Prinzip der Unbestimmtheit (vgl. Weigand 2002a). Bei der Vielzahl der aufgestellten Typen der Zuordnung und den dabei aufgetretenen Problemen der Klassifikation nach direkt, indirekt und idiomatisch ist die Frage nicht abzuweisen, ob diese vermeintliche Präzision der Beschreibung nötig, ja angemessen ist. Es handelt sich um Ty-
233 pen, die auf der Ebene der kommunikativen Kompetenz angenommen werden können, sofern man diese Kompetenz als regelgeleitetes oder konventionelles System versteht. Unsere Kompetenz im Sprachgebrauch ist jedoch eine andere. Die Kompetenz-in-der-Performanz orientiert sich stärker an einem gewissen Prinzip der Unbestimmtheit und Routinen des Gebrauchs, nicht nur im lexikalischen Bereich (vgl. Weigand demn.e). Zuordnungen bzw. Klassifizierungen nach festen Typen oder Mustern mögen Orientierungen sein, die ein Stück weit tragen, bevor die Komplexität des Sprachgebrauchs andere Techniken verlangt.
2.2.3. Erklärung der Vermittlung Anhand der Beschreibung der Typen der Vermittlung für illokutive Sprechakte, zusammengefasst in Figur 11 und 12, ist nach einer Erklärung dieser Zusammenhänge zu suchen. Zwei Fragen sind zu stellen: Warum sind es gerade Direktive und Explorative, die indirekt ausdrückbar sind? Und warum eignen sich gerade Repräsentative und Explorative als Trägersprechakte? Für perlokutive Sprechakte könnte man die Frage anschließen, warum vor allem negative Bescheide indirekt realisiert werden. Die erste Frage ist relativ einfach zu beantworten. Die Erklärung liegt in der besonderen Qualität der indirekten Ausdrucksweise und ihrer Affinität zu eben diesen kommunikativen Funktionen. Etwas indirekt ausdrücken bedeutet, etwas vorsichtig ausdrücken, so dass man sich selbst und auch dem Hörer einen größeren Spielraum der Verständigung lässt als bei direkter Ausdrucksweise. Dieser größere Spielraum ist angezeigt bei Sprechakten, die den Hörer unmittelbar tangieren, die in seine persönliche Sphäre, in seinen Handlungsspielraum eindringen, wie dies bei Explorativen und Direktiven der Fall ist bzw. umgekehrt bei perlokutiven Sprechakten, die einen negativen Bescheid geben. Explorative und Direktive zielen auf einen perlokutiven Sprechakt, der dem Hörer eine gewisse über den initiativen Sprechakt hinausgehende Leistung abverlangt. Im Unterschied dazu lassen sich Repräsentative durch bloßes Akzeptieren kommunikativ erledigen. Auch in partnerschaftlicher Kommunikation kann bei direkten direktiven und explorativen Sprechakten leicht der Eindruck eines gewissen Herrschaftsverhältnisses entstehen, der den Hörer von vornherein in Abwehrstellung bringen mag. Auch sind ihm bei seiner Reaktion gewissermaßen die Hände gebunden, da ein negativer Bescheid vielfach eine Zurückweisung des Sprechers bedeuten würde. Die indirekte Ausdrucksweise schafft hier Distanz zwischen Sprecher und Hörer, vermeidet den Eindruck des Bevormundens und gibt dem Kommunikationspartner die Möglichkeit, einen negativen Bescheid so vorzubringen, dass er fur den Sprecher keine Zurückweisung bedeutet. Diese Distanz ist eine Eigenschaft der Höflichkeit, und Höflichkeit, sofern sie nicht nur Floskel bleibt, ist eine Form der Kommunikation, die bestrebt ist, den anderen nicht zu verletzen.44 Indirekte Sprechakte sind in besonderer Weise geeignet, die Höflichkeit zu wahren, und unterscheiden sich darin funktional von direkten Sprechakten (Weigand 1992c). Höflichkeit ist jedoch nicht nur ein Erfordernis humaner Kommunikation. Sie muss auch und gerade von dem beachtet werden, der erfolgreich kommunizieren will, der seine Absichten kommunikativ erreichen will. Denn eine direkte Aufforderung oder Frage zu äußern, wäre in vielen Fällen höchst ungeschickt und wenig erfolgversprechend. Höflichkeit und Diplo44
Vgl. zur Höflichkeit Weinrich (1986); zur besonderen Form der Höflichkeit im indirekten Sprechen Werlen (1983).
234 matie können daher leicht in Manipulation umschlagen. Jedenfalls ist eine aufwandsparende direkte Äußerung nicht von vornherein generell ökonomisch; denn sprachliche Ökonomie stellt ein komplexes Balancespiel zwischen Aufwand und differenziertem Funktionsbegriff dar. Das komplexe Zusammenspiel von Prinzipien der Höflichkeit und rhetorischen Prinzipien effektiver Kommunikation zu beschreiben, ist Aufgabe einer Theorie des dialogischen Handlungsspiels (vgl. Weigand 2001c). So wie es begründet ist, dass gerade Direktive und Explorative und auch negative reaktive Sprechakte indirekt ausdrückbar sind, so ist es auch begründet, dass gerade Repräsentative und Explorative als Trägersprechakte fungieren können. Eine entscheidende Rolle spielt hier die mit der Illokution korrespondierende perlokutive Funktion. Bei Deklarativen fällt die perlokutive Funktion mit der Illokution zusammen, die perlokutive Funktion kann hier nicht Vermittler sein. Bei Direktiven hat auf die perlokutive Funktion der Handlungszusage eine Handlung zu erfolgen; auch hier kann die perlokutive Funktion eigentlich nicht Vermittler einer weiteren Illokution sein. Repräsentative jedoch zielen auf die perlokutive Funktion des Akzeptierens und diese kann Grundlage für weitere Schlussfolgerungen sein. Sie steht einer indirekten Interpretation nicht im Wege, sondern fördert sie. Auch bei Explorativen wird der mit ihnen korrespondierende perlokutive Sprechakt der Antwort als Vermittler für weitere Schlussfolgerungen eingesetzt. Dabei muss die perlokutive Funktion in einer bestimmten Ausprägung vorliegen - meist ist es der positive Bescheid - , damit der Schluss auf die indirekte Illokution möglich wird. So ist z.B. die Äußerung Können Sie mir Geldwechseln? nur dann eine indirekte Aufforderung, wenn die Antwort auf die direkt ausgedrückte Frage positiv ausfällt. In initiativen Äußerungen beruht der Vermittlungsmechanismus der indirekten Zuordnung somit darauf, dass eine interaktive Dreiersequenz kurzgeschlossen ist. Der perlokutive Sprechakt wird vorausgesetzt, und zwar meist in positiver Ausprägung, und der aus ihm folgende zweite illokutive Sprechakt als indirekter dem ersten illokutiven Sprechakt unterlegt: (Fig. 17)
ill.SA — » direkt ausgedrückt
(perl.SA, — i l l . S A 2
—»•) per!.SA2
indirekt ausgedrückt
ill.: illokutiv(er), perl.: perlokutiv(er), SA: Sprechakt
(228) Können Sie mir Geld wechseln, und zwar... ? - (Ja, das kann ich. - Also dann bitte wechseln Sie mir! -) Hier bitte. In sequenzabhängigen perlokutiven Äußerungen kann die Vermittlung nicht auf diese Weise erklärt werden, da perlokutive Äußerungen sich zurückbeziehen, die Sequenz abschließen und nicht in Gang bringen. Daher ist es hier auch mitunter besonders schwierig zu entscheiden, ob ein indirekter Sprechakt vorliegt. Bisher habe ich nur Beispiele eines indirekten Sprechakts gebracht, bei dem als Trägersprechakt ein grammatisch realisierter direkter Sprechakt dient. In einigen Fällen können auch explizit performative Wendungen Trägersprechakte sein, nämlich dann, wenn das performative Verb ein Handlungsmuster ausdrückt, das die indirekte Interpretation gewissermaßen inhärent enthält, wie vorschlagen, raten und warnen. Auch in diesen Fällen kann die indirekte Interpretation als Sequenz erklärt werden:
235 (229)
Ich schlage vor, wir gehen ins Kino. - (Den Vorschlag nehme ich an- Also dann gehen wir! -) Ja, gehen wir!
(230)
Ich rate dir, zum Arzt zu gehen. - (Das wird wohl das beste sein. - Also dann geh! -) Gut, ich gehe.
Dieser Vermittlungsmechanismus gilt jedoch nicht für Beispiele des Typs, den z.B. Franck (1980: 91) und Rosengren (1980:467) als indirekt charakterisieren. Wenn (231)
Ich verspreche dir, wenn du das nochmal machst, dann kannst du was erleben.
eine Drohung realisiert, so gehört dies zur "direkten" Bedeutung von versprechen. Im Unterschied zu diesem Beispiel könnte man jedoch die Verwendung von fragen als indirekten Sprechakt der Bitte ansehen, wenn sich die Frage auf eine Handlung des Kommunikationspartners bezieht (vgl. Weydt 1983: 270, von dem auch das Beispiel stammt) (232)
Ich wollte nur mal fragen, ob Sie mir nicht vielleicht ein bisschen Salz leihen könnten.
Hier ist der Zusammenhang zwischen Explorativ und Petitiv nach dem für indirekte illokutive Sprechakte konstitutiven Prinzip einer kurzgeschlossenen Dreiersequenz zu erklären. Die Äußerung (232) ist Fragehandlung und Bitte zugleich. Wie bereits bei der Definition des indirektei Sprechakts dargelegt, versucht man mit Hilfe von Tests das Vorliegen eines indirekten Sprechakts nachzuweisen. Searle verwendet den Sprechaktbericht als Test; damit vergleichbar ist die Möglichkeit, auf zweifache Art und Weise auf einen indirekten Sprechakt zu reagieren. Beide Tests sagen jedoch nichts über den Vermittlungsmechanismus aus. Das Prinzip der Vermittlung, das Figur 17 zugrunde liegt, kann jedoch auch als Test für das Vorliegen eines indirekten Sprechakts eingesetzt werden. Damit werden im Unterschied zu den beiden anderen Tests genau die Fälle erfasst, die diesem Vermittlungsprinzip genügen, die also indirekte Sprechakte sind, während die beiden anderen Tests auch Fälle einschließen, die, wie ich noch zeigen werde, nicht als indirekte Sprechakte zu betrachten sind. Entgegen Wunderlich (1976a: 47f.) stellen indirekte Sprechakte also, gemäß Figur 17, einfache, klar strukturierte Schlussfolgerungsprozesse dar und sind nicht als komplexe Schlussfolgerungsketten zu beschreiben (vgl. auch Rosengren 1979a: 209f.).45 Eine Äußerung ist dann ein indirekter Sprechakt, wenn die in Figur 17 dargestellte Sequenz entfaltet werden kann, d.h., wenn der mit der wörtlich ausgedrückten Illokution korrespondierende perlokutive Sprechakt kurzgeschlossen und der aus ihm folgende illokutive Sprechakt als indirekter der Äußerung unterlegt werden kann. Dann besteht die Möglichkeit, dass auf die Äußerung auf zweifache Weise, mit zwei verschiedenen perlokutiven Funktionen reagiert wird. Kann der perlokutive Sprechakt, der auf die wörtlich ausgedrückte Ulokution reagiert, nicht kurzgeschlossen werden, ist eine indirekte Interpretation ausgeschlossen. Kann die obige Sequenz entfaltet und kurzgeschlossen werden, besteht zumindest die Möglichkeit, dass ein indirekter Sprechakt vorliegt. Ob er im Einzelfall tatsächlich vorliegt, weiß letztlich der Sprecher allein. Und auch er kann sich für den Fall, dass die indirekt ausgedrückte Illo45
Geringfügige Komplikationen können auftreten, so z.B. wenn der Grund für die gewünschte Handlung selbst nicht direkt ausgedrückt ist (Konzept 1 von Figur 5): - Im Rasen könnte man Ostereier verstecken. —> Der Rasen ist lang. (Grund für die Handlung des Rasenmähens)
236 kution vom Kommunikationspartner nicht angenommen wird, in der Regel auf die direkte Bedeutung zurückziehen, indem er z.B. nach einer als Fragesatz formulierten Aufforderung äußert: Ich habe dich ja nur gefragt.46 Das indirekte illokutive Sprechakte definierende Prinzip der Vermittlung soll an einigen Beispielen verdeutlicht werden: REPRÄSENTATIVE
DIREKTIVE
(233)
Sie dürfen hier nicht parken. - Ja, das stimmt. - Also fahren Sie weg!
(234)
Die Küche muss gewischt werden. - Ja, das stimmt. - Also tu 's!
(235)
Ich möchte, dass du gehst. - Das glaube ich dir. - Also geh!
(236)
Dein Vater wäre traurig, wenn du nicht kämst. - Ja, das stimmt. - Also dann komm!
REPRÄSENTATIVE
—>•
EXPLORATIVE
(237)
Ich möchte wissen, was du denkst. - Das glaube ich dir. - Also, was denkst du?
(238)
Ich sehe schon, du willst mir nicht sagen, wo du warst. - Nein, das stimmt nicht. - Also, wo warst du?
(239)
Sie werden eines Tages nach Deutschland gehen. - Ja, das kann schon sein. - Wann? Nächstes Jahr.
REPRÄSENTATIVE
(240)
(241 )
—REPRÄSENTATIVE
Das Eis ist dünn. - Das sieht man. - Also geh nicht drauf, ich warne dich.
REPRÄSENTATIVE
— >
DEKLARATIVE
Es tut mir leid. - Das glaube ich dir. - Also entschuldige bitte.
EXPLORATIVE
46
—*•
— >
DIREKTIVE
(242)
Ist der Rasen nicht zu lang? - Ja, das stimmt. - Also dann mäh ihn!
(243)
Bringst du mir etwas aus der Stadt mit? - Ja, das könnte ich tun. Also dann bring mir Briefmarken mit!
(244)
Musst du soviel Krach machen? - Nein, es geht auch leiser. - Also dann hör auf damit!
(245)
Könnten wir nicht Jalousien kaufen? - Ja, das könnten wir. - Also dann tun wir 's!
Auch Zimmermann/Müller (1977:248) betrachten indirekte Sprechakte als verkürzte Sequenz, jedoch in ganz anderem Sinne, nämlich als Sequenz eines Sprechers. Mit einer solchen Sequenz, die z.B. - Ich hoffe, du hast ein Bier im Kühlschrank entfaltet zu - Ich hoffe, du hast ein Bier im Kühlschrank Denn ich habe (nämlich) Durst. Deshalb bringe es mir bitte., lassen sich indirekte Sprechakte jedoch nicht erklären. Eine bloße Begründung, die fllr jeden Sprechakt zu geben wäre, erklärt noch nicht den indirekten Sprechakt.
237 (246)
Warum föhrsl du nicht weiter? - Man kann die Straße so schlecht einsehen. - Aber es kommt doch nichts. Also fahr weiter!
(247)
Wann machst du bloß deine Schularbeiten? - Wenn ich hier fertig bin. Also halt dich ran!
EXPLORATIVE
(248)
—*•
REPRÄSENTATIVE
Haben Sie nicht vorige Woche das Gegenteil behauptet? - Ja, das kann sein. - Das sollte aber nicht vorkommen.
Wie diese Beispiele zeigen, gilt das Vermittlungsprinzip für indirekte illokutive Sprechakte generell, wenngleich es von Fall zu Fall mehr oder weniger interaktiv begründet sein mag. Damit lässt sich das beschreibende Schema von Figur 11 in ein erklärendes umwandeln: (Fig. 18)
DIREKTIV REPRÄSENTATIV
— >
EXPLORATIV
(AKZEPTIEREN
1
REPRÄSENTATIV
DEKLARATIV
EXPLORATIV
— >
(ANTWORTEN
— >
)
Γ DIREKTIV
"1
L REPRÄSENTATIV J
Indirekte perlokutive Sprechakte jedoch lassen sich nach diesem eine Sequenz entfaltenden Schema nicht erklären, da ihre Funktion sich nicht voraus-, sondern zurückbezieht. Hier sind bereits zwei aufeinander bezogene Sprechakte gegeben, aus denen die konkrete perlokutive Funktion mit Hilfe des Prinzips der Interdependenz von Illokution und Perlokution zu folgern ist. Die reaktive Äußerung muss eine positive oder negative Spezifizierung zu erkennen geben, und auch wenn diese definitiv ist, kann die perlokutive Funktion in Abhängigkeit zum initiativen Sprechakt in ihrer positiven bzw. negativen Ausprägung nicht immer definitiv gefolgert werden: (249)
Geh mit zum Faschingsball! - Das ist eine fabelhafte Idee, aber ich kann nicht.
Im Unterschied zu indirekten illokutiven Sprechakten handelt es sich hier jedoch dann vielfach nicht um Wahrscheinlichkeitsschlüsse (z.B. Beispiel 213). Das Phänomen des indirekten Sprechakts wird dann auf das Mitwirken einer rationalen Schlussfolgerung bei der Zuordnung reduziert. Mit dem in Figur 18 dargestellten Vermittlungsprinzip werden die konstitutiven Elemente genannt, die für die Möglichkeit eines initiativen indirekten Sprechakts gegeben sein müssen; insofern hat das Prinzip - im Unterschied zu den beiden anderen Tests - Ausschlusskraft. Mit ihnen lassen sich z.B. Äußerungen wie (250)
Manche mähen ihren Rasen nie.
ausschließen, da sie keine geregelte Sequenz entfalten können. Äußerungen dieses Typs, die um den Kern herumreden, so dass der Kommunikationspartner irgendwie zusätzlich zur wörtlichen Bedeutung Assoziationen knüpfen kann, nenne ich Anspielungen. Anspielungen dieser Art sind keine indirekten Sprechakte. Indirekte Sprechakte im definierten Sinn unter-
238 liegen einem geregelten Mechanismus, die Zuordnung in Anspielungen dagegen ist beliebig.47 Dementsprechend wären Äußerungen wie (251)
Das ist aber eine schöne, friedliche Gegend.,
die Zimmermann/Müller (1977: 239) als indirekten Wunsch, hier Urlaub zu machen, beschreiben, höchstens Anspielungen, da ihnen kein Prinzip zugrunde liegt. Auch Wunderlichs "Prozeduren des bloßen Nahelegens" machen noch keine indirekten Sprechakte aus (1972a: 32ff.).48 Andeutungen jedoch, wie Hindelang (1978a: 114f.) nach Ervin-Tripp (1976) Äußerungen nennt, zu deren Interpretation man individuelle Situationskenntnisse brauche, sind entgegen Hindelang m.E. nicht auszuschließen. Zwar kennt Hindelang nicht die Kategorie des indirekten Sprechakts, Andeutungen wären für ihn wie alle anderen Äußerungen direkte Sprechakte, doch schließt er sie unter Hinweis auf die individuelle Situation aus. Eine solche Argumentationsweise entspricht dem Modell der Dialoggrammatik, das nur generelle konventionelle Muster zulässt. Damit jedoch kann Sprachgebrauch als Performanzphänomen nicht beschrieben werden. Individuelle Faktoren und Eigenschaften der partikulären Situation sind als konstitutive Elemente unserer Kompetenz-in-der-Performanz in die Beschreibung des dialogischen Handlungsspiels einzubeziehen. Zu unserer Kompetenz-in-derPerformanz gehört es, konventionelle Verfahren zu erkennen, sie anzuwenden, soweit sie reichen, und dabei individuelle Besonderheiten zu berücksichtigen. So wäre z.B. ErvinTripps und Hindelangs Beispiel (252)
direkt (husband to wife): There's a wine tasting tomorrow night. indirekt: Serve dinner early, pick up au pair at night school.
dem konventionellen Typ des Grundes zuzuordnen (Fig. 6.1.), wenngleich zur Konkretisierung individuelle Kenntnisse nötig sind. Davon zu unterscheiden wären rein individuelle Zuordnungsprozesse, die nur in "individuellen" Gruppen verstanden werden und im Extremfall eine Privatsprache darstellten. Searles Beschreibung des indirekten Sprechakts (1975b) weist - wie sollte es auch anders sein - auf der Ebene der Beschreibung Parallelen mit unserer Darstellung auf, wenngleich seine Typen eines indirekten Direktivs nicht mit meinen Konzepten übereinstimmen. Einzelsprachliche Unterschiede scheinen mir dafiir nur am Rande verantwortlich. Vereinfacht lässt sich Searles Beschreibung dahingehend zusammenfassen, dass ein Sprechakt 47
48
Ich verwende den Begriff Anspielung nicht im definierten Sinn von Römer (1977) und auch nicht im Sinn von Wilss (1980). Auch Weydts Beispiel (1981:252) Kuck morgen in den Briefkasten! kann nicht als indirektes Versprechen, einen Brief zu schreiben, interpretiert werden. Wenn Weydt davon ausgeht, dass damit ein Versprechen Ich werde dir einen Brief schreiben, indirekt realisiert ist, so wäre dafür ein entsprechender Prätext vorauszusetzen. Doch auch dann kann man nur in ganz allgemeinem Sinn von indirekter Realisierung sprechen, da die Zuordnung nicht nach dem Mechanismus indirekter Sprechakte erfolgt. Für längere Sequenzen ist es nach Brandt/Koch/Motsch/Rosengren/Viehweger (1983: 113) auch möglich, dass die indirekte Illokution nicht nur über eine, sondern über mehrere direkt ausgedrückte Illokutionen realisiert wird: Der Rasen ist schon ziemlich lang. Man kann schon Ostereier darin verstecken. Willst du den Garten zum Urwald werden lassen?
239 indirekt ausgedrückt werden kann, indem seine Voraussetzungen thematisiert, und d.h. ausgedrückt oder erfragt werden. Dies entspricht unserem Ergebnis, dass vor allem Repräsentative und Explorative als Trägersprechakte fungieren. Doch kann Searle diesen Befund der Beschreibung nicht regelhaft erklären, sondern nur in "generalizations" fassen. Er versucht eine Erklärung, indem er die direkte und indirekte Interpretation, das Ausdrücken bzw. Erfragen von Voraussetzungen und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen, z.T. auf seine Regeltypen eines Sprechakts bezieht. Dies jedoch bleibt wiederum Beschreibung, gibt keine Erklärung; und die Beschreibung bleibt außerdem Searles Fassung des Sprechakts als autonomer Einheit verhaftet. Aber nicht nur generell, auch im besonderen trifft Searles vermeintliche Erklärung nicht zu. Hauptpfeiler seiner "Erklärung" ist die Behauptung, dass man durch Ausdrücken der "sincerity condition" generell die "essential condition" implizieren könne (S. 79). Dies gilt jedoch nur in einem Fall, der unserem Konzept des Sprechers entspricht: Ich kann einen Direktiv indirekt ausdrucken, indem ich meinen Wunsch ausdrücke (Konzept 4 von Figur 5). Für Deklarative gilt diese Zuordnung qua "sincerity condition" nicht, da Deklarative keine "sincerity condition" kennen. Explorative gehören für Searle zu den Direktiven, so dass sie hier nicht eigens aufzufahren sind, und für Repräsentative und Searles Kommissive gilt diese Zuordnung entgegen Searle nicht: Der Ausdruck des Glaubens, ein deliberativer Sprechakt also, kann keine Behauptung, keinen Assertiv implizieren, somit auch nicht Träger einer indirekten Behauptung sein. Aus (253)
Ich glaube, dass er im Zimmer nebenan ist.
folgt nicht (254)
Ich behaupte, dass er im Zimmer nebenan ist. ;
im Gegenteil, die Umkehrung gilt (zu dem Beispiel vgl. Searle 1975b: 79). Ebenso verhält es sich mit dem Ausdruck einer Absicht, also mit Searles Kommissiven; dadurch kann entgegen Searle (S. 80) im Deutschen m.E. kein Versprechen impliziert werden.49 Nur die Umkehrung gilt: Ein Versprechen schließt die Absicht ein. Von dem Vermittlungsprinzip wird ein Typ nicht ausgeschlossen, den Rosengren (1979a: 21 lf.) und (1980: 466) nicht zu den indirekten Sprechakten rechnen will:50 Ich meine den Typ des Grundes bei der indirekten Vermittlung eines direktiven Sprechakts über einen repräsentativen (Figur 4.1.). Hierher gehören Äußerungen wie (255)
Ich erwarte einen Brief.
(256)
Sie dürfen hier nicht parken.
(257)
Es zieht.
Auch der Hinweis Rosengrens, dass diese Äußerungen nicht mit ja/nein beantwortet werden können, ist m.E. kein schlagkräftiger Grund, diese Äußerungen von den indirekten Sprechakten auszuschließen. Wenn auch nicht mit bloßem ja/nein, so sind sie doch mit Handlungszusagen beantwortbar, z.B.
49 50
Vgl. Anm. 28, Kap. II. Brandt/Koch/Motsch/Rosengren/Viehweger (1983: 111) dagegen betrachten diesen Typ offenbar auch als indirekten Zuordnungstyp.
240 (258)
Es zieht. - Ich mach das Fenster zu.
Allerdings ist bei diesem Typ die Bedingung zu stellen, dass klar ist, um welche Handlung es geht. Der Grund muss soweit spezifiziert sein, sprachlich oder situativ, dass daraus die konkrete Handlung, die ausgeführt werden soll, zu entnehmen ist. So ist in (258) sprachlich determiniert, dass es um eine Handlung geht, die den Luftzug abstellt. Auch der Situationskontext kann die Handlung festlegen: (259)
Am Samstag hat Hans Geburtstag. —> direkt
Also überleg dir, was wir schenken könnten! indirekt
Das Grund-Folge-Verhältnis kann auch chronologisch im Ablauf einer Handlungssequenz bestimmt sein: (260)
Ich bin jetzt fertig mit dem Wickeln. - Mach du weiter mit der Babypflege, d.h., gib ihm jetzt das Fläschchen!
oder als Voraussetzungsrelation zu interpretieren sein wie bei Beispiel (134). Äußerungen wie (261 )
Morgen wird es regnen.
sind jedoch zu unspezifisch, um daraus ohne weiteren Kontext eine konkrete Handlung folgern zu können. Das Problem bei diesem Zuordnungstyp ist es also zu erkennen, wann ein Grund vorliegt, da es dafür grammatisch meist keine Hinweise gibt. Definitiv kann auch das Prinzip der Vermittlung nicht vorhersagen, wann im Einzelfall ein indirekter illokutiver Sprechakt vorliegt; dies würde das Prinzip des Indirekten, das vor allem bei illokutiven Sprechakten auf einem Wahrscheinlichkeitsschluss beruht, negieren.51 Ob ein Sprechakt im Einzelfall als indirekter intendiert ist, weiß letztlich allein der Sprecher: (262)
Ich erwarte einen Brief. - Ich schau gleich nach der Post. - Nein, so habe ich es nicht gemeint, ich gehe selbst.
Bei perlokutiven Sprechakten dagegen gilt das Prinzip des Wahrscheinlichkeitsschlusses nicht durchgängig. Hier kann die perlokutive Funktion aufgrund des Prinzips der Interdependenz vielfach definitiv gefolgert werden. Manche illokutiven Äußerungen funktionieren als indirekte Sprechakte zweifelsohne besser als andere, der Kurzschluss des mit der direkten Illokution korrespondierenden perlokutiven Sprechakts und der Schluss auf die indirekte Interpretation fällt bei ihnen leichter. Dies kann kontextuell bedingt sein, die indirekte Interpretation liegt gewissermaßen "in the air"; vielfach ist es jedoch ein Effekt der indirekten Sprechakten häufig zu beobachtenden Phraseologisierung. Auch Ross (1975a: 239 u. 241) weist daraufhin, dass der Mechanismus in indirekten Sprechakten nicht nur von der wörtlichen Bedeutung, sondern auch von der Wahl des Ausdrucks (z.B. eines bestimmten Modalverbs) abhängt. Die Wahl eines phraseologisierten Ausdrucks lässt eine bestimmte Ausprägung der perlokutiven Funktion, meist die positive, erwarten, aus der dann die indirekte Interpretation als naheliegende Schlussfol51
Vgl. auch Leech (1983: 195), nach dem die Unterscheidung direkter/indirekter Sprechakt eine graduelle Sache ist.
241 gerung hervorgeht. Hier sei nur auf die auffallend häufige Verwendung der Partikel nicht in Explorativen hingewiesen, die auf eine positive Antwort zielt, die dann ihrerseits die Basis für die indirekte Interpretation abgibt. Entscheidend ist jedoch die Konventionalität, die Häufigkeit der Verwendung eines bestimmten Äußerungstyps fllr einen indirekten Sprechakt. Auch Morgan (1978) erklärt die Konventionalität indirekter Sprechakte in diesem Sinn unter Hinweis auf die Frequenz in der Performanz. Bestimmte Äußerungstypen sind für indirekte Sprechakte üblich; liegt ein solcher Äußerungstyp vor, so kann der Kommunikationspartner davon ausgehen, dass der Sprechakt indirekt intendiert ist. Dabei können auch Äußerungsformen ohne Phraseologisierung als konventionelle Formen für einen indirekten Sprechakt gelten. Auch Äußerungen wie (263)
Mähst du den Rasen?
(264)
Es zieht.
stellen m.E. in diesem Sinn konventionelle Formen eines indirekten Sprechakts dar, ohne dass man die Konventionalisierung an speziellen Ausdrücken festmachen könnte. Diese Äußerungen realisieren bestimmte Konzepte, die für die Vermittlung eines indirekten Sprechakts üblich sind, und sind in diesem Sinn, d.h. aufgrund der Häufigkeit der Verwendung, konventionell.52 Die Konventionalisierung indirekter Sprechakte erlaubt es, den komplizierten Vermittlungsmechanismus kurzzuschließen und mit einer Äußerung sogleich - und d.h. meist ohne Schlussfolgerungen in der Performanz - zwei kommunikative Funktionen zu verbinden. Die Entfaltung zur Sequenz und die Explizierung durch Schlussfolgerungen ist für die Erklärung der Vermittlung, nicht jedoch für die Performanz nötig. Ich fasse meine Erklärung des indirekten Sprechakts zusammen: In manchen Fällen bildet das Prinzip der Relevanz den ersten Anstoß für den Mechanimus des indirekten Sprechakts: Die direkte Interpretation scheint kommunikativ unzulänglich, der Hörer versucht diese Unzulänglichkeit durch eine indirekte Interpretation abzugleichen. Wie wir jedoch gesehen haben, wird das Vorliegen eines indirekten Sprechakts nicht durch situative Diskrepanz deutlich. Das Prinzip der Relevanz, das Searle (1975b: 63) nach Grice (1975) als ersten Schritt annimmt, wird nicht immer problematisiert. Es bleibt vielfach allein der Gesichtspunkt der Konventionalisierung, der den Anstoß für eine indirekte Interpretation gibt. Dabei kann die Konventionalisierung durch sprachliche Mittel der Phraseologisierung verdeutlicht sein. Ist nun entweder durch kontextuelle Diskrepanz oder Konventionalisierung oder durch beides nahegelegt, dass ein indirekter Sprechakt vorliegt, so läuft für illokutive Sprechakte der weitere Mechanismus nach dem Schema eines Kurzschlusses einer interaktiven Dreiersequenz ab. Die entscheidende Rolle spielt hier der mit der direkt ausgedrückten Illokution korrespondierende perlokutive Sprechakt. Er ist Grundlage, Vermittler für den Schluss auf die indirekt ausgedrückte Illokution. Dieser perlokutive Sprechakt ist kurzgeschlossen, die Schlussfolgerung als indirekte Bedeutung der Äußerung unterlegt. Kern der Erklärung stellt also das Prinzip der Interdependenz von Illokution und Perlokution dar, das rational zu beschreiben ist. Es macht erst den Schluss auf die indirekte Interpretation möglich. Das 52
Auch für Rosengren (1979a: 209) sind indirekte Sprechakte generell konventionalisiert; allerdings wird nicht ganz deutlich, was sie unter Konventionalisierung versteht.
242 Prinzip der Vermittlung beruht auf Sprechaktregeln insofern, als es zur Definition einer Illokution gehört, dass sie auf eine bestimmte Perlokution zielt. Searles Sprechaktregeln und der von ihm postulierte Zusammenhang sind hier jedoch nicht maßgeblich. Indirekte Sprechakte sind in verschiedener Hinsicht kontextabhängig. Sie können aus kontextueller Diskrepanz hervorgehen, und sie können neben generalisierbaren Situationskenntnissen auch Kenntnisse der individuellen Situation verlangen. In ihrem konstitutiven Wirkungsprinzip jedoch sind sie, soweit es das Prinzip der Interdependenz angeht, nicht kontextabhängig; dieses stellt ein generelles inhaltliches Prinzip der Kommunikation dar. Indem das Prinzip der Interdependenz eine rationale Erklärungsmöglichkeit indirekter Sprechakte bietet, wird es zugleich in seiner grundlegenden Bedeutung für kommunikatives Handeln ein weiteres Mal bestätigt. Betrachtet man indirekte Sprechakte in diesem Sinn als kurzgeschlossene Interaktion, so erfüllen sie ihren Zweck nicht nur durch die besondere Qualität der indirekt ausgedrückten Illokution, die vor allem auf höflicher Distanz beruht, sondern auch als ökonomische Verkürzung der Interaktion. Sprachökonomie ist also auf allen Ebenen der Zuordnung von Ausdruck und Inhalt wirksam. Auf diese Weise werden somit zwei Ziele zugleich erreicht, eine funktionale Differenzierung durch die Möglichkeit des indirekten Ausdrucks bei gleichzeitiger Aufwandsersparnis. Zu dieser für indirekte Sprechakte konstitutiven inhaltlichen Verbindung von direkter und indirekter Interpretation aufgrund des Prinzips der Interdependenz von Illokution und Perlokution und einer davon ausgehenden Schlussfolgerung kann fakultativ eine ausdrucksmäßige Verbindung durch die Erscheinung der Phraseologisierung hinzukommen, die die Vermittlung der indirekten Illokution erleichtert. Sprachliche und nichtsprachliche Konventionen wirken somit im indirekten Sprechakt zusammen: Zu den sprachlichen Konventionen gehören solche des Ausdrucks, besonders der Phraseologisierung, und solche des Inhalts, der inhaltlichen Grundstruktur der Äußerung und der Interdependenz von Illokution und Perlokution; zu den nichtsprachlichen kognitiven Konventionen gehört die Maxime der Relevanz wie der Schluss von der Perlokution auf die indirekte Interpretation. Dieser Schluss kann unterschiedlich zwingend sein; seine Stringenz hängt von dem Konzept der Vermittlung ab. So ist aus der Notwendigkeit einer Handlung leicht auf eine direktive Illokution zu schließen, schon nicht mehr so leicht folgt die direktive Illokution aus der Möglichkeit einer Handlung. Je weniger zwingend die Schlussfolgerung ist, desto mehr bleibt die direkte Interpretation im Vordergrund und die indirekte Interpretation von der individuellen Situation abhängig. Jedenfalls ist die indirekte Interpretation nicht immer, wie Searle annimmt, primär. Für illokutive Sprechakte, und das scheint mir wesentlich, bleibt jeder indirekte Sprechakt ein Wahrscheinlichkeitsschluss, der nicht definitiv durch Plus-minus-Entscheidungen abgegrenzt werden kann.53 Das Prinzip der Unbestimmtheit der Bedeutung, Unscharfe und Variation spielen eine größere Rolle, als man zunächst annehmen möchte. Zum Schluss noch ein Wort zu indirekten perlokutiven Sprechakten. Als perlokutive Sprechakte sind sie determiniert durch den Rückbezug auf einen illokutiven Sprechakt. Daher ist das Wirkungsprinzip hier anders anzusetzen. Aus dem reaktiven Sprechakt ist eine positive bzw. negative Spezifizierung zu entnehmen und aus der Sequenzabhängigkeit dann über das Prinzip der Interdependenz die perlokutive Funktion vielfach nicht als Wahrscheinlichkeitsschluss, sondern als rationaler Schluss zu folgern. 53
Dies ist wohl letztlich auch der Grund, weshalb Ross (1975a: 245f.) "degrees of requesthood, declarativeness, hortatoriness, and so on" vorschlägt.
243 2.2.4. Sprechaktindikatoren in indirekten Sprechakten Bereits bei der zusammenfassenden Betrachtung direkter Sprechakte bin ich auf die Problematik der Sprechaktindikatoren eingegangen. Lassen sich in direkten Sprechakten noch einzelne Ausdrücke wie die performativen Verben als Ausdruck der kommunikativen Funktion isolieren, so stellt sich in indirekten Sprechakten das Problem schwieriger. Können hier einzelne Ausdrücke als Indikatoren der indirekten Funktion isoliert werden? Das Problem der Sprechaktindikatoren in indirekten Sprechakten bzw. der Konventionalisierung eigener Formen ist relativ deutlich fassbar an der Erscheinung, die ich Phraseologisierung genannt habe. In manchen indirekten Sprechakten fallen sprachliche Besonderheiten auf, die für den direkten Sprechakt, also von der wörtlichen Bedeutung her, nicht nötig wären. Ihr Vorkommen erleichtert den Schluss auf die indirekte Interpretation, indem sie entweder einen bestimmten reaktiven Sprechakt erwarten lassen, der Basis für die Schlußfolgerung sein kann, oder indem sie bloße sprachliche Zusätze darstellen, die von der wörtlichen Bedeutung her nicht voll zu begründen sind. Hauptbeispiel für Indikatoren im ersten Sinn ist die Negationspartikel nicht bzw. die Partikel denn, die eine positive bzw. negative Antwort erwarten lassen, Beispiel für die zweite Art ist der Konjunktiv: (265)
Musst du nicht
gehen?
(266)
Musst du de η η gehen?
(267)
Müsstest
du nicht gehen?
Die Funktion des Konjunktivs in (267) ist wohl als höfliche Abschwächung der indirekten Illokution zu beschreiben.54 Diese sprachlichen Besonderheiten lassen sich zwar an einzelnen Audrücken/Konstruktionen festmachen, doch sind diese Ausdrücke nicht zu isolieren. Nur im Verband der gesamten Äußerung kommt ihnen die Funktion zu, auf einen indirekten Sprechakt hinzuweisen. Diese Phraseologiesierung des Ausdrucks ist jedoch für indirekte Sprechakte nicht in jedem Fall notwendig; so zeigen Äußerungen, die den Grund für die Handlung angeben (vgl. Figur 5.1.), keine sprachlichen Besonderheiten: (268)
Der Rasen ist ziemlich lang.
Demgegenüber funktionieren manche Äußerungen nur bzw. fast nur, wenn sie phraseologisiert sind: (269)
Musst du gehen?
direkt oder indirekt unter Erwartung einer negativen Antwort ( —> Bleib hier!)
(270)
Musst du nicht gehen?
indirekt unter Erwartung einer positiven Antwort ( — >
Geh!)
Konstitutiv beim indirekten Sprechakt ist die wörtliche Bedeutung des Vermittlungskonzepts, also die wörtliche Bedeutung des direkten Sprechakts; hier spielen die Modalverben eine besondere Rolle. Bereits die bloße Realisierung dieser wörtlichen Bedeutung kann als 54
Vgl. zur Verwendung des Konjunktivs auch Searles Diskussion der Formen would und could in indirekten Sprechakten (1975b: 78f) Zu den Partikeln vgl. z.B. Heibig (1977) und die Arbeiten von Weydt, z.B. (1979)
244 konventionelle Form des indirekten Sprechakts gelten. So ist der Ausdruck der Notwendigkeit einer Handlung bereits konventionelle Form eines indirekten Sprechakts: (271)
Die Küche muss gewischt
werden.
Für Beispiel (268) kommt, wie schon erwähnt, als Schwierigkeit hinzu, dass sprachlich meist nicht zu erkennen ist, dass die Äußerung den Grund für eine Handlung angibt; meist wird dies erst aus dem Situationszusammenhang klar. Wenn ich von Konventionalisierung eigener Formen spreche, so sind also entweder einzelne Ausdrücke wie die Partikeln oder der Konjunktiv, also die Phraseologisierung, gemeint oder die ganze Äußerungsform als Ausdruck der wörtlichen Bedeutung, also morphologisch-syntaktische Konstruktionen für die Realisierung der Konzepte. In diesem Sinn haben fast alle indirekten Sprechakte eigene konventionelle Formen, die den komplizierten Vermittlungsmechanismus von Fall zu Fall mehr oder weniger automatisieren und damit zur Routine des Alltags machen.55 Dabei ist vor allem die Phraseologisierung ein Prozess, der eine Äußerung als indirekten Sprechakt besser funktionieren lässt. In phraseologisierten Äußerungen ist deshalb in der Regel die indirekte Illokution der direkt ausgedrückten gleichwertig oder sogar übergeordnet, primär, wie Searle es nennt. In nichtphraseologisierten Äußerungen dagegen rückt die direkt ausgedrückte Illokution in den Vordergrund bzw. beide Illokutionen sind gleichwertig. Die Zuordnung der indirekten Illokution beruht hier allein auf der Konventionalisierung des Vermittlungsprinzips, d.h. vor allem auf inhaltlichen Mechanismen, auf der wörtlichen Bedeutung des Satzes, der geäußert wird, die Basis ist für Schlussfolgerungen. Das Problem der Sprechaktindikatoren ist ein Problem der Unterscheidung verschiedener Typen von Sprechaktindikatoren nach ihrem Vorkommen in bestimmten Sprechakttypen. In direkten Sprechakten lassen sich Sprechaktindikatoren isolieren, die als Ausdruck der kommunikativen Funktion beschreibbar sind. In indirekten Sprechakten jedoch lassen sich keine Ausdrücke als Indikatoren der indirekten kommunikativen Funktion isolieren, nur im Kontext der gesamten Äußerung funktionieren sie als Hinweis auf einen indirekten Sprechakt. In diesem Sinn haben sie strategische Funktion (Franck 1980: 133). Doch auch in direkten Sprechakten kommt Handlungsfunktion nicht einzelnen isolierten Ausdrücken, sondern erst diesen Ausdrücken im Äußerungskontext zu. Träger der Handlung ist immer die ganze Äußerung.56 Es ist daher wenig sinnvoll, eine kommunikative Grammatik als Beschreibung von Sprechaktindikatoren nach Ausdrücken gliedern zu wollen. Die Pragmatik einzelner Ausdrücke ist systematisch nur im Kontext der gesamten Äußerung und der für sie geltenden Zuordnung zu beschreiben.57 Nicht einzelne Ausdrücke sind pragmatisch zu fundieren, sondern das gesamte Sprachsystem. 55
56
57
Die Einschränkung bezieht sich auf ungewöhnliche Formulierungen, die wohl indirekt intendiert sein mögen, aber aufgrund geringer Frequenz in der Performanz nicht so leicht zu verstehen sind. Alle Teile der Äußerung haben somit auch Anteil an deren Performativität, wären in diesem weiten Sinn Sprechaktindikatoren. Daher scheint es wenig sinnvoll, wie Rolf (1983: 115fF.) Illokutionsindikatoren nur als einen Indikatortyp neben anderen (z.B. Evidenz-, Inferenzindikatoren) zu beschreiben. Auch verwundert es, dass Rolf hier den Begriff Illokution verwendet, auf den er in seiner Klassifikation verzichtet (s.o. Kap. II 3.4.). Auch Meyer-Hermann (1976) macht auf die Problematik des "Illokutionsindikators" aufmerksam und sieht in der "Kommunikationsfaktoren-Konstellation" eine Möglichkeit, diesen Begriff zu
245 2.3. Idiomatische Sprechakte Idiomatische Sprechakte habe ich definiert als Sprechakte, die eine kommunikative Funktion realisieren, wobei diese kommunikative Funktion im Unterschied zu direkten Sprechakten nicht aus der wörtlichen Bedeutung des Satzes, der geäußert wird, zu entnehmen ist. Die wörtliche Bedeutung ist in idiomatischen Sprechakten blockiert. Die kommunikative Funktion lässt sich nicht kompositioneil aus der Satzbedeutung ableiten, sondern die Äußerung ist als Ganze Ausdruck einer kommunikativen Funktion. Entsprechend gilt als operationalisierbares Indiz fllr idiomatische illokutive Sprechakte, dass sie nur mit einem perlokutiven Sprechakt korrespondieren; eine Referenz auf die wörtliche Bedeutung ist nicht möglich: (272)
Würden Sie mir bitte die Post nachschicken? - Das ist selbstverständlich. Frage sein?
/ *Soll das eine
Durch die Partikel bitte kann die Äußerung (272) im Deutschen nur als direktive aufgefasst werden, eine explorative Illokution scheidet aus. Diese direkte Illokution ist jedoch nicht kompositionell aus der Satzbedeutung ableitbar. Die ganze Äußerung wird durch bitte zu einem Sprechaktidiom. Äußerungen wie (272) sind daher entgegen Searle (1975b: 68) nicht als indirekte Sprechakte zu werten.58 Etwas schwieriger als dieser Typ, der aufgrund sprachlicher Merkmale, hier des Vorkommens von bitte, also kontextunabhängig, idiomatisch ist, sind Fälle wie (273-275) einzuordnen: (273)
Würden Sie mir das Salz reichen?
(274)
Könnten Sie mir das Salz reichen?
(275)
Können Sie mir eine Fotokopie
machen?
Sie entsprechen in der Äußerungsform und dem Konzept der wörtlichen Bedeutung dem Typ des indirekten Sprechakts. In spezifischem Kontext funktionieren sie jedoch als Sprechaktidiome. Dabei ist dieser Kontext in (273) und (274) bereits versprachlicht, so dass diese Äußerungen kaum anders denn als sprachliche Routinen bei Tisch, und d.h. als idiomatische direktive Sprechakte verwendet werden können. Will man sie in anderem Kontext als indirekte Sprechakte verstanden wissen, sollte man auch die Form geringfügig ändern und damit die weitgehende Idiomatisierung dieser Äußerungen wieder aufbrechen, also z.B. eine Äußerung wie (276)
Können Sie das Salz erreichen?
wählen. Auch (275) funktioniert in spezifischem Kontext, z.B. vor einem Fotokopierapparat, als Sprechaktidiom, ist jedoch auch in anderem Kontext als indirekter Sprechakt denk-
58
retten (S.18). Indikator der illokutiven Funktion wäre danach "die spezifische wechselseitige Determination von Äußerung, Kontext der Äußerung und Kommunikationssituation"; d.h., auch für Meyer-Hermann ist es nicht sinnvoll, den Begriff des Illokutionsindikators an einzelnen Ausdrücken festmachen zu wollen. Im Englischen scheint die Situation nicht so eindeutig. Vgl. zu please in seinen verschiedenen Positionen Ross (1975a: 238ff.).
246 bar. Ob die Äußerung mit würde (273) indirekt oder idiomatisch verwendet ist, hängt auch von der gewünschten Handlung ab: Wird nur um eine Kleinigkeit gebeten, wie in (273), so ist sie kaum anders denn als idiomatisch zu werten. Dagegen stellt (277)
Würdest du mir etwas aus der Stadt mitbringen?
durchaus einen indirekten Sprechakt dar. Daher möchte ich Äußerungen dieses Typs nicht generell als situationsunabhängige Idiome betrachten. Das heißt, wir haben zwei Typen von Sprechaktidiomen zu unterscheiden: - einen kontextunabhängigen Typ, bei dem die Idiomatisierung aufgrund sprachlicher Regeln erfolgt (Beispiel 272), - einen kontextabhängigen Typ, bei dem der spezifische Kontext idiomatisierend wirkt (Beispiele 273-275). Sprechaktidiome in diesem Sinn werden in der Literatur kaum erwähnt. Searle (1975b) geht am Rande darauf ein. Allerdings macht er keine Unterscheidung zwischen idiomatisch und phraseologisch, sondern bezieht den Begriff idiomatisch auf indirekte Sprechakte, verwendet ihn also wohl im Sinn von phraseologisch. Äußerungen wie (273-275) wären für ihn generell indirekte Sprechakte. Auf Sprechaktidiome geht er nur in einer Anmerkung ein (S. 68), in der er als einziges Beispiel how about... ? für Vorschläge und Bitten anführt. M.E. ist diese Verwendung von how about... ? für Vorschläge jedoch als direkter Sprechakt zu beschreiben; es gibt hier keine wörtliche Bedeutung, die blockiert wäre. Auch sehe ich darin kein grammatisches Idiom, da die Bedeutung den einzelnen Konstituenten entspricht. Grammatische Idiome stellen isolierbare Versatzstücke innerhalb einer Äußerung dar, während Sprechaktidiome in meinem Sinn Äußerungsformat haben. Nicht die Partikel bitte in (272) ist Sprechaktidiom, sondern die gesamte Äußerung; entsprechend ist in (273) nicht die Umschreibung mit würde, sondern die gesamte Äußerung in spezifischem Kontext Sprechaktidiom. Auch Searles Beispiel how about... ? hat Äußerungsformat; es fehlt nur die lexikalische Füllung der Variablen: (278)
How about x? / Wie steht 's mit x? / Wie war 's mit x?
Diesen Äußerungen ist nur die Funktion eines Vorschlags zuzuordnen. Allenfalls könnte man ihnen die wörtliche Bedeutung einer Fragehandlung zuordnen; doch Fragehandlungen dieser Form haben keine andere Funktion, als einen Sachverhalt zur Diskussion zu stellen, sind daher m.E. Vorschläge (s.o. III 2.1.2., Beispiel 95). Von Sprechaktidiomen, denen Äußerungsformat zukommt, zu unterscheiden sind Äußerungen mit grammatischen Idiomen, die nur scheinbar Äußerungsformat haben, wie (279)
Scher dich zum Teufel!
Hier ist anstelle des Lexems verschwinden das grammatische Idiom sich zum Teufel scheren verwendet worden; die kommunikative Funktion jedoch wird durch den Imperativ ausgedrückt. Diese grammatischen Idiome könnte man im Gegensatz zu Sprechaktidiomen auch
247 propositionale Idiome nennen, da sie Elemente der Proposition, nicht die kommunikative Funktion realisieren.59 Auch die Beispiele (273) und (274) mit würde/könnte (would/could) stellen für Searle (1975b: 78f.) ein Problem dar, weil er immer wieder versucht, sich an der wörtlichen Bedeutung zu orientieren. Von der wörtlichen Bedeutung her wäre die Ergänzung eines Konditionalsatzes gefordert. Searle beschreibt diese Äußerungen auch als indirekte Sprechakte, bei denen if you please oder if you will zu ergänzen sei. Sofern diese Äußerungen in spezifischem Kontext als Sprechaktidiome funktionieren, sind sie jedoch nicht wörtlich zu verstehen. Aber auch ohne entsprechenden Kontext, als indirekte Sprechakte, beruht der Konjunktiv nicht auf den Regeln der wörtlichen Bedeutung, verlangt daher nicht nach der Ergänzung eines Konditionalsatzes, sondern ist als Phraseologisierung der Äußerung, als höfliche Abschwächung zu beschreiben. Während Searle manche Äußerung, die für mich Sprechaktidiom wäre, als indirekten Sprechakt beschreibt, geht Hindelang (1978a) den umgekehrten Weg und beschreibt Sprechakte, die m.E. indirekt oder idiomatisch sind, als direkte, ja er kennt allein den Typ des direkten Sprechakts. Die funktionalen Unterschiede, die ich für die drei Zuordnungstypen herausgearbeitet habe (vgl. Figur 2 von Kap. III), bestehen für ihn nicht, die Äußerungen unterscheiden sich für ihn nur stilistisch. Diese extreme Position ist z.T. durch die zugrunde gelegte Theorie bedingt, den Versuch, die Zuordnung generell für semantische Muster zu beschreiben. Diese semantischen Muster haben jedoch andere Funktion als meine Konzepte der wörtlichen Bedeutung in indirekten Sprechakten; sie sind nicht Vermittler in der indirekten Zuordnung, sondern Klassifikation von Äußerungsformen, die generell als direkte Sprechakte betrachtet werden. Dabei sind gerade für die direkte und idiomatische Zuordnung semantische Muster nicht nötig. Doch nicht allein die zugrunde gelegte Theorie, auch eine Besonderheit der Sprachverwendung selbst bedingt m.E. diese unterschiedliche Beschreibung. Ich meine das Phänomen der Vagheit oder Unbestimmtheit, das in unterschiedlicher Form immer wieder hervortritt. Eine gewisse Offenheit der Zuordnung dominiert den ganzen Bereich des indirekten illokutiven Sprechakts dadurch, dass diese Sprechakte immer Wahrscheinlichkeitsschlüsse darstellen. Auch die Unterscheidung zwischen situationsabhängigem idiomatischem und indirektem Sprechakt ist letztlich immer von einer gewissen Unbestimmtheit geprägt. Ebenso verhält es sich mit den Verwendungsbedingungen von Partikeln. So lässt sich nach unserer kommunikativen Kompetenz nicht immer eindeutig entscheiden, ob die Partikel mal phraseologisierend oder idiomatisch wirkt; im ersteren Fall läge ein indirekter Sprechakt mit zwei kommunikativen Funktionen vor, im zweiten ein idiomatischer mit einer idiomatischen Funktion:
59
(280)
Kannst Du mir den Hammer geben?
indirekt
(281)
Kannst du mir mal den Hammer geben?
Indirekt oder idiomatisch
In Weigand (1978:38) habe ich den Begriff des grammatischen Idioms in Anlehnung an Werner (1975:450) fllr nichtlexikalische Idiome verwendet. In diesem engen Sinn von grammatisch wird er hier in der Gegenüberstellung von grammatischen Idiomen und Sprechaktidiomen nicht gebraucht.
248 Nach Hindelang wäre (281) ein direkter Sprechakt. Dies ist sicherlich nicht zutreffend, da man die theoretische Unterscheidung zwischen direktem und idiomatischem Sprechakt treffen muss. Ob es sich jedoch bei (281) um einen idiomatischen oder einen indirekten Sprechakt handelt, weiß mitunter allein der Sprecher. Offensichtlich gibt es sprachliche Ausdrücke, die nicht eindeutig als phraseologisch (wie die Patikel nicht) oder idiomatisch (wie bitte) zu beschreiben sind, sondern die die Äußerung in der Schwebe lassen können. Kommunikativ-ökonomisch ist eine Differenzierung nicht immer nötig; es genügt das Prinzip "so etwa wie". Das heißt aber, dass in Äußerungen wie (281) auch die Möglichkeit des indirekten Sprechakts belassen bleibt. Äußerungen dieser Art können entweder indirekter Sprechakt oder situationsabhängig idiomatischer sein. Ähnlich verhält es sich in manchen Äußerungen mit dem Adverb jetzt, das jedoch meist idiomatisierend wirkt: (282)
Kommst du jetzt?
indirekt oder idiomatisch
Bei entsprechender Intonation jedoch ist (282), wie wir gesehen haben (s.o. Kap. III 2.1.2.), ein direkter direktiver Sprechakt. Es ist schon erstaunlich, wie menschliche Kommunikationsteilnehmer als 'komplexe adaptive Systeme' (Gell-Mann 1994: 116) mit diesen Feinheiten der Zuordnung umzugehen wissen. Wie aus der Definition des Sprechaktidioms bereits deutlich wird, kann es hier ebensowenig wie in indirekten Sprechakten einzelne Ausdrücke als Sprechaktindikatoren geben. Sofern die Idiomatisierung auf einzelne sprachliche Ausdrücke zurückgeht, wie es beim kontextunabhängigen Typ der Fall sein, erfüllen diese ihre Funktionen nur im Rahmen der gesamten Äußerung. Ihre Funktion besteht darin, dass sie die wörtliche Bedeutung blockieren und die Äußerung als Ganze zu einem komplexen Ausdruck für eine kommunikative Funktion machen. Hauptbeispiel für diesen kontextunabhängigen Typ der Idiomatisierung sind Äußerungen mit bitte. Doch nicht in jeder kontextunabhängigen idiomatischen Äußerung sind solche Ausdrücke auszumachen. Im kontextabhängigen Typ können sprachliche Mittel allein die Idiomatisierung nicht bewirken; hier muss eine spezielle Situation hinzukommen, damit die wörtliche Bedeutung blockiert wird. Im Folgenden werden für die fundamentalen Illokutionen und Perlokutionen Beispiele idiomatischer Äußerungen ohne Anspruch auf Vollständigkeit zusammengestellt. Es kommt hier nur darauf an, Möglichkeiten der Idiomatisierung bezogen auf einzelne Sprechakttypen aufzuzeigen. Vorweg ist eine wichtige idiomatische Wendung zu nennen, die für verschiedene illokutive Funktionen verwendet werden kann und eigentlich eine idiomatische Form eines modifiziert performativen Sprechakts darstellt: Ich meine Äußerungen der Form darf/dürfte ich ... ?
60
Franck (1980: 151) betrachtet Äußerungen dieser Form zu Unrecht als indirekte Sprechakte. Nach Fraser (1975a: 204) stellten sie eine direkte Bitte um Erlaubnis dar. Nicht zu verwechseln mit diesem Äußerungstyp sind Äußerungen mit darf ich ...?, die kein performatives Verb enthalten wie - Darf ich ins Kino gehen? und m.E. idiomatische Formen für Fragehandlung und Bitte zugleich sind (vgl. Kap. II 4.3.).
249 (283)
Darf/Dürfte ich vorstellen...
?
(284)
Darf/Dürfte ich dich bitten, den Raum zu verlassen?
(285)
Darf/Dürfte ich dich fragen, wo du gewesen bist?
Mit repräsentativer Funktion allerdings scheint diese Wendung nicht generell, nur für spezielle Untermuster möglich: (286)
*Darf ich behaupten, dass...
?
(287)
Darf ich die Behauptung wagen,...
(288)
Darf ich vorschlagen,...
?
?
Äußerungen des Typs (283-285) und (287/288) sind situationsunabhängige idiomatische Sprechakte. In ihnen wird keineswegs um Erlaubnis gefragt, sondern der mit den performativen Verb benannte Sprechakt in besonders höflicher Form vollzogen. Dabei muss das Verbum den Handlungstyp nicht 1:1 ausdrücken; (284) kann durchaus eine Aufforderung (ein Monitiv) sein. Im Unterschied zu modifiziert performativen Äußerungen, die direkte Sprechakte darstellen (z.B. ich möchte fragen), ist die wörtliche Bedeutung hier blockiert; die Äußerung funktioniert als Ganze als Sprechaktidiom. Eine Möglichkeit, DEKLARATIVE in idiomatischer Form auszudrücken, wurde bereits bei indirekten Sprechakten erwähnt. Äußerungen der GefUhlsbekundung können einen expliziten Deklarativ in der Alltagssprache ersetzen. Sofern sie die Aufrichtigkeitsbedingung erfüllen, sind sie als indirekte Sprechakte zu interpretieren. Werden sie in Standardsituationen des Alltags als bloße Formel verwendet, ist die wörtliche Bedeutung durch das Fehlen der Aufrichtigkeitsbedingung blockiert; die Äußerung wird zu einem deklarativen Sprechaktidiom: (289)
Es tut mir leid. - indirekter Sprechakt der Entschuldigung, sofern die Gefühlsbekundung aufrichtig ist - idiomatische Formel ohne Aufrichtigkeitsbedingung für eine Entschuldigung
Für DIREKTIVE gibt es vielfältige Möglichkeiten eines idiomatischen Sprechakts: Neben die bereits erwähnte Idiomatisierung durch die Partikel bitte treten andere Partikeln und Adverbien wie endlich, jetzt, die Fragesätze zu idiomatischen Sprechakten machen können: (290)
Schickst du mir bitte die Post nach?
(291 )
Kommst du jetzt?
(292)
Kommst du endlich?
Hinzu kommen Konjunktiv und Modalverben und verschiedene andere Formulierungen, vor allem in Fragesatzform: (293)
Würdest du mir bitte die Post
nachschicken?
(294)
Willst/Könntest du mir bitte die Post
nachschicken?
250 (295)
Ich würde dich bitten, mir die Post nachzuschicken.61
(296)
Wir gehen heute klettern!62
(297)
Denkst du daran, mir die Post nachzuschicken?
(298)
Wärst du so nett und schickst mir die Post nach?
(299)
Hätten Sie die Freundlichkeit, meinen Platz freizumachen?
(300)
Wenn du mir die Post nachschicken könntest/würdest?
Die situationabhängigen Idiome habe ich bereits erwähnt: (301 )
Würden Sie mir das Saiz reichen?
(302)
Könnten Sie mir das Salz reichen?
Schließlich gibt es eine Reihe von Formulierungen für den direktiven Typ des Iussivs, die intonationsabhängig auch als direkte Sprechakte zu beschreiben wären: (303)
Machst du (wohl, gleich, bald) deine Schularbeiten?
(304)
Wirst du wohl/gleich deine Schularbeiten machen?
(305)
Würdest du wohl deine Schularbeiten machen?
(306)
Willst du wohl deine Schularbeiten machen?
(307)
Jetzt werden die Schularbeiten gemacht!
(308)
Schau, dass du deine Schularbeiten machst!
Eine klare Aufforderungsintonation und damit ein direkter Sprechakt (s.o. Kap. III 2.1.2.) liegt vor in Äußerungen wie: (309)
Du machst (jetzt) deine Schularbeiten!
(310)
Du wirst (jetzt) deine Schularbeiten machen!
Hierher gehören auch Imperativ-"tags", die die Bedeutung des Imperativs als Iussiv verstärken: (311)
61
62
63
Lass die Tür zu, hörst du? 63
Äußerungen wie ich würde dich bitten..., ich hätte eine Bitte.... ich wollte dich bitten... könnte man auch als modifiziert performative Wendungen betrachten. Der Konjunktiv und das Präteritum hätten dann allein die Funktion der höflichen Abschwächung, die wörtliche Bedeutung wäre nicht blockiert. Auf diese Weise, also als modifiziert performative Wendungen, sind m.E. ich hätte eine Bitte... und ich wollte dich bitten... zu beschreiben, während ich würde dich bitten... m.E. stärker idiomatisch ist. Äußerungen dieses Typs sind stark intonationsabhängig. Bei klarer Aufforderungsintonation (Betonung auf dem finiten Verb) handelt es sich um direkte direktive Sprechakte (s.o. Kap. III 2.1.2.). Bei veränderter Situation und anderer Intonation kann es sich auch um bloße Mitteilungen handeln. Das Englische kennt offenbar Imperativ-"tags" mit anderer Funktion, vgl. Lyons (1977: 766).
251 Diese Äußerungen setzen eine hierarchische Struktur zwischen Sprecher und Kommunikationspartner voraus und sind für Monitive und Petitive in der Regel nicht verwendbar.64 Dagegen gibt es nicht so viele Möglichkeiten, einen REPRÄSENTATIV idiomatisch auszudrücken. Hier sind vor allem zwei Konstruktionen zu nennen, die rhetorische Frage und der rhetorischen Imperativ·. (312)
Wo gibt es denn hier ein ruhiges
(313)
Zeige mir hier ein ruhiges
Plätzchen?
Plätzchen!
Hinsichtlich des Zuordnungstyps sind rhetorische Fragen wohl am besten als Sprechaktidiom zu beschreiben, die eine Behauptung ausdrücken (vgl. auch Hindelang 1980a: 37f.).65 Eine Interpretation als Frage ist rhetorisch, scheidet somit aus und mit ihr die Möglichkeit eines direkten bzw. indirekten Sprechakts. Rhetorische Fragen sind wohl fast situationsabhängig; zusätzlich kann der rhetorische Charakter durch Partikeln wie denn, überhaupt etc. angezeigt sein. Die gleiche Funktion wie das allgemein bekannte Phänomen der rhetorischen Frage erfüllt bisweilen auch ein Imperativ, den ich daher rhetorisch nenne (vgl. 313). Ein solcher Imperativ ist als Aufforderung zu einer als möglich angesehenen Handlung rhetorisch und damit eben keine Aufforderung, sondern eine meist kontextabhängige Oberflächenvariante der rhetorischen Frage. Fragt man, worin sich diese rhetorischen Formen von einfachen repräsentativen Sprechakten unterscheiden, so ist als ein Element sicherlich eine gewisse Emphase des Sprechers zu nennen, der sich hier offenbar in besonderer Weise engagiert (vgl. Schmidt-Radefeldt 1977: 383 u. 389). Eine spezielle Form der rhetorischen Frage stellt wohl folgende Äußerung dar: (314)
Wer weiß, was dahinter
steckt?,
mit der situationsabhängig die andeutende Behauptung vollzogen wird: Dahinter steckt etwas! Auch für gewisse expressive Äußerungen, z.B. des Fluchens, stehen formelhafte Wendungen zur Verfügung, doch kann man hier nicht davon sprechen, dass die wörtliche Bedeutung blockiert wäre: (315)
Verflucht!, Verflixt!, Verdammt!
Auch expressiv bedingte Übertreibungen wie
64
65
Zwischen guten Freunden kann es durchaus vorkommen, dass etwa eine Äußerung wie Du gehst jetzt mit mir spazieren! für einen Monitiv gewählt wird. Doch handelt es sich dabei im Grunde um eine Äußerung, die einem Iussiv zukommt und fllr einen Monitiv gewählt wird, um die Dringlichkeit zu unterstreichen, ähnlich wie - in umgekehrter Richtung zur höflichen Abschwächung - bitten für auffordern verwendet werden kann. Grésillon (1980) charakterisiert den Behauptungscharakter rhetorischer Fragen als indirekt und erwägt deshalb eine Beschreibung als indirekte Sprechakte (S. 285). Ein solcher Vorschlag ist nur möglich, solange das Phänomen des indirekten Sprechakts nicht geklärt ist. Nach meiner Beschreibung indirekter Sprechakte stellen rhetorische Fragen keine indirekten Sprechakte dar, da der Frageaspekt rhetorischer Fragen nur ein formaler ist. Dass rhetorische Fragen weder als direkte noch als indirekte Sprechakte adäquat beschrieben sind, erkennt Schmidt-Radefeldt (1977: 390).
252 (316)
Verschwinde, ich lasse mich scheiden!
würde ich nicht als idiomatisch ansehen. Sie sind bedingt durch die Gemütserregung, in der sich die Zusammenhänge verzerrt darstellen. Für EXPLORATIVE scheint es außer der bereits erwähnten Form darf ich fragen ... ? kaum idiomatische Möglichkeiten zu geben. Äußerungen wie (317)
Ich hätte eine
(318)
Ich wollte dich
Frage... fragen...
zeigen zwar gewisse sprachliche Besonderheiten (Konjunktiv in 317 und Präteritum in 318), doch stellen sie deshalb m.E. noch keine Sprechaktidiome dar, sondern sind als modifiziert performative Wendungen zu betrachten. Der Konjunktiv und wohl auch das Präteritum dienen der höflichen Abschwächung. 66 Ähnlich wie darf ich fragen... ? funktioniert m.E. folgende Einleitungsformel: (319)
Weißt du, wie man "parallel"
schreibt?
Entgegen Sökeland (1980: 125) stellt dieses Beispiel keinen indirekten Sprechakt dar. Hier wird allein die Frage Wie schreibt man parallel? idiomatisch realisiert, und das heißt in diesem Fall nicht ganz so direkt.67 Auch für perlokutive Sprechakte gibt es den idiomatischen Zuordnungstyp, der die Funktion nicht Uber die wörtliche Bedeutung, noch über Schlussfolgerungen ausdrückt, sondern bei dem die gesamte Äußerung in Verbindung mit der Sequenzabhängigkeit Ausdruck einer perlokutiven Funktion ist. Idiomatische perlokutive Sprechakte sind in der Regel ZUSAGEN: (320)
Mäh den Rasen! - Immer zu Diensten.
(321)
- Dein ergebener
Diener.
(322)
- Fällt mir nicht ein.
(323)
- Das kommt nicht in Frage.
(324)
— Das könnte dir so passen.
(325)
- Das wär 'ja noch schöner!
(326)
- Da hätt ' ich viel zu tun.6*
Bei diesen Äußerungen könnte man vielleicht überlegen, ob es sich nicht nur um grammatische, genauer: lexikalische Idiom für die grammatisch ausgedrückte Zusage das werde ich
66
67 68
Vgl. Anm. 61, Kap. III. Auch Wunderlichs Gesprächsformeln (1981a: 20) stellen eine Liste heterogener Wendungen dar, die nicht generell als Sprechaktidiome zu klassifizieren sind. Vgl. jedoch Anm. 41, Kap. III. Die Beispiele (325/326) habe ich von Völzing (1980: 210) übernommen.
253 tun/das werde ich nicht tun handelt. Da diese Wendungen jedoch Äußerungsformat haben, stellen sie Sprechaktidiome dar. Für die perlokutive Funktion des AKZHP11ERENS scheint es keine idiomatische Formen zu geben. Auch ANTWORTEN werden nicht idiomatisch realisiert, höchstens die Verweigerung der Antwort könnte idiomatisch ausgedrückt sein: (327)
Was hat sie denn gesagt? - Im Prater bliihn wieder die Bäume.
Diese völlig unpassende und beliebige reaktive Äußerung könnte man m.E. in diesem Kontext als idiomatische Wendung betrachten, die aufgrund der Sequenzabhängigkeit ausdrücken soll: 'darauf will ich nicht antworten'. Wie ich bereits bei indirekten Sprechakten erwähnt habe, muss man zwischen der perlokutiven Funktion des Antwortens und dem propositionalen Gehalt der Antwort unterscheiden (Kap. III 2.2.2.2.); letzterer kann durchaus "indirekt" oder idiomatisch ausgedrückt sein im Sinn eines grammatischen Idioms: (328)
Wann werde ich gesund sein? - In einer Woche kannst du wieder Berge versetzen.
Die perlokutive Funktion des Antwortens dagegen ist als positiver Bescheid immer direkt, und zwar in der Regel durch das Äußern selbst realisiert. Bloße formelhafte Wendungen, bei denen jedoch die wörtliche Bedeutung nicht blockiert ist, habe ich zu den direkten Sprechakten gerechnet (Kap. III 2.1.1.), z.B. (329)
danke - gern geschehen
Eine besondere Rolle bei der Realisierung des negativen Bescheids spielen, wie Fritz (1981) gezeigt hat, tautologische Äußerungen, z.B. folgende Zurückweisung eines repräsentativen Sprechakts: (330)
Man hätte ihn nicht absetzen sollen, nur weil er gelogen hat. - Wenn er gelogen hat, dann hat er gelogen.
Nicht immer lassen sich tautologische Äußerungen auf einen negativen Bescheid festlegen; vielfach erfüllen sie auch ausweichende, d.h. kommunikativ-strukturelle Funktion: (331)
Sag doch, warum du so lachst. - Ich lache, weil ich lache.
Diese tautologischen Äußerungen, die nach Fritz phraseologischen Charakter haben, sind als Sprechaktidiome einzustufen, da der phraseologische Charakter sich auf die ganze Äußerung bezieht. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es ebenso wie bei indirekten Sprechakten vor allem Direktive sind, die idiomatisch ausgedrückt werden. Im Unterschied zu den indirekten Sprechakten treten hier die Wendungen in den Vordergrund, mit denen der direktive Wollensanspruch mit Bestimmtheit und definitivem ErfÜllungsanspruch vorgebracht wird. Für Explorative dagegen gibt es kaum Möglichkeiten eines idiomatischen Sprechakts. Dies ist vielleicht durch die relative Eindeutigkeit der direkten Zuordnung von idiomatischer Äußerung und Illokution zu erklären. Bereits bei der direkten Realisierung fiel auf, dass explizit performative Wendungen hier kaum gebräuchlich sind. Durch Wortstellung und Intonation jedoch werden Explorative direkt realisiert, allerdings ohne der Illokution einen Namen zu geben. Bei der explorativen Illokution verbietet sich offenbar im alltäglichen Umgang ein
254 allzu expliziter direkter Zugriff auf Wissen und Denken des anderen. Man lässt sich nicht gerne ausfragen. Die im Grunde redundante idiomatische Einleitung von explorativen Sprechakten wie in (285) und (319) ist auch mit dieser Scheu vor expliziten Explorativen zu erklären. Deklarative dagegen werden vor allem durch direkte Sprechakte vollzogen; Eindeutigkeit und Explizitheit des Ausdrucks ist hier nötig. Idiomatische Äußerungen sind schnell verfügbare feststehende Wendungen, die als Ganze direkt und vielfach eindeutig einer Illokution zugeordnet sind. Z.T. zeichnen sie sich durch Höflichkeit aus, wie die situationsabhängigen Idiome, z.T. aber auch durch fordernde oder insistierende Bestimmtheit (vgl. die Wendungen für den Iussiv). Da sie in der Regel relativ eindeutig sind, eignen sich idiomatische Sprechakte im Unterschied zu indirekten kaum zum Austasten des Verständigungsspielraums.
3. Sprechaktbericht
Sprechaktberichte oder Redewiedergaben sind Äußerungen wie (332)
Er versprach zu kommen.
(333)
Hans behauptet, dass seine Frau ihn betrügt.
(334)
Wir stimmten damals der Vorlage zu.
(335)
Sie sagte, dass er den Rasen mähen solle.
Sprechaktberichte referieren also auf einen anderen Sprechakt, indem sie dessen kommunikative Funktion und Proposition wiedergeben. Dabei kann die kommunikative Funktion von der Proposition isoliert werden, wie in (332-334), oder in der referierten Äußerung enthalten sein, wie in (335). Wird die kommunikative Funktion im Sprechaktbericht durch ein Verb isoliert, so kann man daraus noch nicht schließen, dass dieses Verb auch in der berichteten Äußerung enthalten war. Die Äußerung, auf die mit (333) referiert wird, kann (336)
Ateine Frau betrügt mich.
oder (337)
Ich behaupte, dass meine Frau mich betrügt.
heißen. Hier öffnet sich eine Zugriffsmöglichkeit für Manipulation. Neben dieser Form der Redewiedergabe, die man indirekte nennt, gibt es die direkte Redewiedergabe (vgl. Hindelang 1983: 29): (338)
Hans fragte Albert: "Fährst du mit?"
Fälle der direkten Redewiedergabe werden hier nicht betrachtet. Ich beziehe mich im Folgenden mit den Termini Sprechaktbericht bzw. Redewiedergabe auf den sog. indirekten Bericht. Im Sprechaktbericht sind zwei Sprechakte kombiniert: der eine des Berichtens und der des berichteten Sprechakts. Der Sprechakt des Berichtens wird mit der Äußerung vollzogen,
255 auf den berichteten Sprechakt wird Bezug genommen, referiert. Dabei könnte der Sprechakt des Berichtens expliziert werden: (339)
Ich berichte, dass er versprach zu kommen/... zu kommen versprach.
(340)
Ich berichte, dass Hans behauptete, dass seine Frau ihn beträgt.
(341)
Ich berichte, dass wir damals der Vorlage zustimmten.
(342)
Ich berichte, dass sie sagte, dass er den Rasen mähen solle.
Doch ist diese Explizierung redundant. Dass es sich um einen Sprechaktbericht handelt, wissen wir durch andere sprachliche und situative Mittel: durch den Sprecher und sein Äußern sowie durch die grammatische Form der Äußerung, in der auf ein menschliches Subjekt referiert und ihm ein Sprechaktverb zugeordnet wird. Auch der Konjunktiv spielt eine gewisse Rolle, die jedoch von der traditionellen Grammatik in den Fällen überbewertet wird, in denen der Sprechaktbericht durch ein Sprechaktverb eingeleitet wird. Sofern allein auf die Lokution referiert wird, wie in (335), ist der Sprechaktcharakter des referierten Sprechakts aus dem davon abhängigen Äußerungsteil vor allem über Modalverben zu entnehmen; das entsprechende Sprechaktverb wäre also erst zu finden. Durch diese grammatische Form sind Äußerungen des Sprechaktherichts in der Regel eindeutig als solche zu erkennen; eine explizit performative Einleitung ist nicht nötig. Sprechaktberichte stellen direkte Sprechakte dar, wobei die Illokution des "Berichts" aus der grammatischen Form der Äußerung sowie dem Äußern selbst hervorgeht. Durch das Sprechaktverb ist der Sprechaktbericht von einem einfachen repräsentativen Sprechakt, der sich auf eine materielle Handlung bezieht, wie er kommt, geschieden. Ich beschränke mich bei der Darstellung des (indirekten) Sprechaktberichts auf die Fälle, die die kommunikative Funktion des referierten Sprechakts mit einem Sprechaktverb wiedergeben. Daneben gibt es auch den Typ der grammatischen Redewiedergabe durch Modalverben: (343)
Florian will voriges Jahr in Kyoto gewesen sein.
Dieses Beispiel kann nach Wunderlich (1981a: 28) eine Uberbrachte Behauptung darstellen, wobei allerdings m.E. der Gesichtspunkt dominiert, dass es eine Behauptung ist, die vielleicht nicht stimmt. Beispiele dieses Typs, bei dem mittels Modalverben auf kommunikative Funktionen referiert wird, werde ich hier nicht behandeln. Daneben gibt es auch die Möglichkeit der Wiedergabe, indem auf die Lokution referiert wird. Auch diesen Typ, der mit einem allgemeinen Verb des Sagens eingeleitet wird, lasse ich zum großen Teil unberücksichtigt. Sofern es sich dabei um die Wiedergabe eines direktiven Sprechakts handelt, spielen auch hier Modalverben eine Rolle (Beispiel 335; vgl. Wunderlich 1981a: 16ff.). Indem im strengen Sinn der Sprechaktbericht die kommunikative Funktion des berichteten Sprechakts durch ein Sprechaktverb expliziert, ist er von entscheidender Bedeutung für eine handlungstheoretische Beschreibung der Sprechaktverben. Wie sind Sprechaktverben zu definieren? Wie lassen sich die performativen Verben von den nur referentiell verwendbaren unterscheiden? Fragen dieser Art, die für eine kommunikative Grammatik von grundlegender Bedeutung sind, können ohne Bezug auf den Sprechaktbericht nicht beantwortet werden.
256 In der traditionellen Grammatik steht vor allem die Verwendung des Konjunktivs im Mittelpunkt der Beschreibung der indirekten Rede, zu der auch der indirekte Fragesatz gehört (vgl. Duden 1973: 108ff.; 1995: 162ff.). Die Erscheinung des Konjunktivs ist jedoch von untergeordneter Bedeutung, sofern mit einem Sprechaktverb referiert wird. Die Neuauflage der Duden-Grammatik (1995: 752) stellt zur Modusumwandlung fest: "Je mehr sich die geschriebene Sprache in ihrem Stil- und Nonnniveau der gesprochenen Sprache annähert, desto größer ist die Neigung, den Indikativ zu setzen." 69 Als indirekte Rede werden in der Duden-Grammatik (1973) Fälle beschrieben, in denen auf einen repräsentativen bzw. explorativen Sprechakt mit einem allgemeinen Verbum des Sagens oder Fragens referiert wird, gegebenenfalls stilistisch differenziert (bemerken, äußern etc.), und die Äußerung selbst in einen davon abhängigen Satz im Konjunktiv oder Indikativ transformiert wird, so dass sie weitgehend erhalten bzw. "recoverable" bleibt: (344)
Er meinte, dass wir fahren können.
(345)
Er fragt, ob Hans kommt.
In der Neuauflage ( 1995: 751 f.) kommt die Referenz auf einen direktiven Sprechakt hinzu.70 Die sprechakttheoretische Literatur hat sich mit dem Sprechaktbericht noch nicht eingehend genug befasst. Gülich (1978) und Wunderlich (1972b) gehen auf Aspekte des Sprechaktberichts ein, das Gesamtverständnis wird jedoch nicht geklärt. Andere Arbeiten wie Steube (1983) thematisieren den Bezug des Sprechaktberichte zu anderen Problemen, das Phänomen selbst wird dadurch wiederum nur aspektartig betrachtet. Neuerdings widmet Hindelang (1983) in seiner Einfuhrung in die Sprechakttheorie auch einen Abschnitt dem Sprechaktbericht. Auch Leech (1980) z.B. geht darauf ein.
3.1. Taxonomische Einordnung Der Sprechaktbericht ist in der Regel ein illokutiver Sprechakt und gehört zu den Repräsentativen: Berichtet wird ein anderer Sprechakt. Dieser Bericht ist nach dem Gesichtspunkt, der dabei dominiert, zu spezifizieren: Wird er als Neuigkeit vorgebracht, und dies ist wohl in der Regel der Fall, so handelt es sich um einen nuntiativen Sprechakt. Wird er beiläufig erwähnt, so handelt es sich um einen konstativen oder assertiven Sprechakt. Ein konstativer Sprechakt liegt vor, wenn die kommunikative Funktion des berichteten Sprech69
70
Außerdem vgl. zum Konjunktiv in der indirekten Rede z.B. Jäger (1971a) und (1971b), Bausch (1975), Kaufmann (1976), Wichter (1978: 146ff.), Golato (2002). Zur unterschiedlichen Funktion von Konjunktiv und Indikativ, wobei nur der Konjunktiv der indirekten Rede zugerechnet wird, vgl. Jäger (1971b: 242ff.). Dagegen ist für Wichter (1978: 149) der Konjunktiv I "als Zeichen für indirekte Rede redundant", sofern die indirekte Rede von einem Verbum des Sagens abhängig ist. Zu den Bedingungen der Modusumwandlung im Einzelnen vgl. die Neuauflage des Duden (1995: 752). Auch in anderen Darstellungen wurden früher nur vereinzelt indirekte Aufforderungen in die indirekte Rede einbezogen, z.B. bei Kaufmann (1976: 134ff.). Heidolph/Flämig/Motsch (1981) gehen nicht darauf ein. Wie Jäger (1971b: 242) betont, wird der Bereich der indirekten Rede nicht genau genug abgegrenzt. Auch in der deutschen Grammatik von Heidolph/Flämig/Motsch (1981) wird das Problem traditionell behandelt.
257 akts im berichteten Sprechakt selbst deutlich zu erkennen ist; muss sie erst durch Interpretation des Berichtenden expliziert werden, so handelt es sich um einen assertiven Sprechakt. Die Unterscheidung assertiv versus konstativ hängt also von der berichteten Äußerung ab, genauer: von deren Zuordnungstyp. Eine assertive Interpretationsleistung wird m.E. vom Berichtenden meist nur bei der Referenz auf einen indirekten Sprechakt verlangt. Im direkten oder idiomatischen Sprechakt muss die kommunikative Funktion zwar nicht durch ein Sprechaktverb explizit benannt sein, aber durch die direkte Zuordnung ist sie in der Regel relativ einfach und eindeutig zu entnehmen. Die Wahrheit - und das ist in diesem Fall die referierte kommunikative Funktion - liegt gewissermaßen zutage; bei einem indirekten Sprechakt dagegen muss die Wahrheit erst vom Referenten gefunden werden. Mitunter kann die Funktion des Sprechaktberichts jedoch auch eine perlokutive sein. Sprechaktberichte können durchaus unterschiedliche Zwecke verfolgen: Sie können illokutiv Ausdruck geben, Neues mitteilen, und sie können perlokutiv Antwort geben: (346)
Wie reagierte er? - Er fragte, was du zu tun hättest. EXPLORATIV < — > ANTWORTEN (REPRÄSENTATIV)
Letztlich bleibt der Sprechaktbericht jedoch ein repräsentativer Sprechakt, der aufgrund der Sequenzabhängigkeit auch perlokutive Funktion erfüllen kann. Hindelang (1983: 33) weist auf die "ganz verschiedenen illokutionären Akte" hin, bei denen Redewiedergaben vorkommen. Dabei handelt es sich, ähnlich wie in (346), um unterschiedliche Kontexte, in denen Redewiedergaben verwendet werden, die dann der Redewiedergabe zusätzliche Funktionen geben können. Auch kann ein Sprechaktbericht durch die negative Bewertung des Referenten zu einem Vorwurf werden, wie Hindelangs Beispiel zeigt: (347)
(Mann zu seiner Frau): Gestern hast du dich schon wieder bei meiner Mutter darüber beklagt, dass ich mich nicht genug um die Kinder kümmere.
Die repräsentative Grundfunktion des Sprechaktberichts bleibt jedoch bestehen. Entgegen Hindelang hat die Redewiedergabe für sich bereits diese kommunikative Funktion. Ich werde im folgenden Zusatzfunktionen nicht berücksichtigen. Die repräsentative Illokution des Berichtens bezieht sich auf einen anderen Sprechakt, d.h., die Proposition des Sprechaktberichts beinhaltet ein Stück sprachlicher Welt: (Fig. 19)
SA-Bericht SA2:
komm.F. 2
(Prop. 2 )
REPR
(SA,: komm.F., + Prop.I)
{
nuntiativ Ί konstativ f assertiv
J
SA: Sprechakt, komm.F.: kommunikative Funktion, Prop.: Proposition, REPR: REPRÄSENTATIV
Generell können sich Repräsentative auf sprachliche oder nichtsprachliche Welt beziehen. Beziehen sie sich auf sprachliche Welt, so haben wir das Untermuster metakommunikativer Sprechakte.71 Entsprechend der Anpassungsrichtung für Repräsentative soll hier Sprache der Sprache angepasst werden. Der metakommunikative Sprechakt ist zu präzisieren nach dem Ausschnitt an Sprache, auf den sich die Proposition im Sprechaktbericht bezieht. Ge71
Vgl. Anm. 75, Kap. II.
258 geben ist zwar die referierte Äußerung, referiert wird jedoch im (indirekten) Sprechaktbericht nicht auf Besonderheiten des Ausdrucks dieser Äußerung, sondern auf ihren Inhalt, insbesondere auf ihre kommunikative Funktion (vgl. auch Leech 1983: 188); oder um in Begriffen von Searles Anpassungsrichtung zu sprechen: Im Sprechaktbericht soll die Sprache der referierenden Äußerung der Sprache der referierten Äußerung, genauer: deren kommunikativer Funktion angepasst werden. Hier stellt sich das Problem, dass wir auch über Sprache nur mit unserer Sprache reden können, d.h., wir klassifizieren die kommunikative Funktion des berichteten Sprechakts nach den in unserer Einzelsprache zur Verfügung stehenden Sprechaktverben. Z.T. enthält bereits die berichtete Äußerung ein Sprechaktverb, das wir dann nur zu übernehmen brauchen. Für eine nichtlexikalisch ausgedrückte kommunikative Funktion jedoch müssen wir im Sprechaktbericht ein Sprechaktverb wählen aufgrund unserer Kompetenz, die verschiedenen grammatischen und lexikalischen Realisierungen einer kommunikativen Funktion zu kennen und vergleichen zu können. Bei dieser Übertragung eines grammatischen Ausdrucksmittels in ein lexikalisches rekurrieren wir auf Kategorien einer uns unbewussten Sprechakttaxonomie und wählen auf dieser Basis das Sprechaktverb, das der Funktion und den weiteren Handlungsbedingungen am nächsten kommt. Auch hier spielen also die Kategorien einer abstrakten Taxonomie unbewusst eine entscheidende Rolle, da es keine 1:1Zuordnung von Ausdrucksmittel und Handlungstyp und keine durchgehend strikte Synonymierelation zwischen grammatischen und lexikalischen Ausdrucksmitteln einer kommunikativen Funktion gibt. Eine Sprechakttaxonomie als Taxonomie von Handlungseinheiten kann, das zeigt sich auch hier, nicht über Sprechaktverben gewonnen werden.
3.2. Performativ und prädikativ Der Sprechaktbericht stellt einen komplexen Sprechakt dar. Ein Sprechakt wird vollzogen, der Sprechakt des Berichtens, dessen Proposition Bezug nimmt auf einen anderen Sprechakt, der berichtet wird: Ein Sprechen referiert in einem Sprechakt2, vollzogen mit der Äußerung2, auf einen Sprechakt!, vollzogen mit der Äußerung!· Wie jeder Sprechakt setzt sich auch der Sprechaktbericht zusammen aus kommunikativer Funktion und Proposition. Die Proposition jedoch ist komplex: (Fig. 20)
Sprechen berichtet,
dass Sprecher] den SA| vollzog,
"V ykomm.F. 2 :
REPR
Prop.2: komm.F.i + P r o p j ^ SA 2 : Sprechaktbericht
Die Proposition gibt das Referenzobjekt, den referierten Sprechakt an, der in sich wiederum aus kommunikativer Funktion und Proposition besteht. Ein Sprechakt wird nach seiner kommunikativen Funktion bezeichnet. Das Referenzobjekt ist jedoch als Äußerung gegeben, die je nach Zuordnungstyp die kommunikative Funktion nicht immer explizit angibt. Das heißt, der Referent muss die gegebene Äußerung nach kommunikativer Funktion und Proposition aufschlüsseln. Indem der Sprechakti als Proposition im Sprechakt2 enthalten ist, wird die kommunikative Funktion des Sprechakts! nicht performativ, sondern prädikativ
259 ausgedrückt. In der Inhaltsstruktur des referierenden Sprechakts sind somit zwei kommuni* kative Funktionen enthalten, eine in performativer, eine in prädikativer Form: (Fig. 21)
Sp. 2 berichtet,
y^dass Sp-i die komm.F.i bez. d. Prop, ι v o l l z o g
komm.F.2: V¿EPR
Prop.2
(komm.F.) p r ä d i k a t i v ^
performativ
SA 2 : Sprechaktbericht Sp.: Sprecher, bez.d.: bezüglich der
Daher ist auch eine Äußerung wie (332) nicht der Vollzug, sondern die Prädikation eines Versprechens; vollzogen wird ein repräsentativer Sprechakt des Berichtens. Performativ ist eine Eigenschaft der Äußerung, prädikativ eine Eigenschaft der Proposition; jede Äußerung mit kommunikativer Funktion ist performativ, jede Proposition prädikativ. Referentiell bzw. referierend im Sinn eines Sprechaktberichts schließlich ist eine Eigenschaft einer Teilmenge der Äußerungen, die sich durch eine bestimmte grammatische Struktur auszeichnet (menschliches Subjekt mit Sprechaktverb). Der Terminus referentiell erfasst dabei den Komplex aus repräsentativer Illokution und in der Proposition ausgedrückter Prädikation einer sprachlichen Handlung. Sprechaktverben werden gewöhnlich unterteilt in Verben, die performativ sind (348), und Verben, die nur referentiell verwendbar sind (349). Verben, die performativ sind, können in performativen Konstruktionen (348) oder in referentiellen verwendet werden (350). Dessen ungeachtet sind auch referentielle Äußerungen performativ: (348)
Ich schlage vor...
(349.1) * ich beleidige
dich...
(349.2) Er beleidigte ihn.
(3 50)
Er schlug vor...
Auch Äußerungen wie (350) sind performative, nur vollziehen sie nicht die Handlung, die das Verbum bezeichnet, sondern referieren auf diese Handlung, vollziehen selbst die Handlung des Referierens, die als repräsentatives Untermuster zu beschreiben ist. Eine Unterscheidung performativ versus referierend als Alternative ist daher nur unter Bezug auf Sprechaktverben, nicht für Äußerungen anwendbar. Wenn heute noch in der Literatur diskutiert wird, ob nicht explizit performative Äußerungen zugleich performativ wie konstativ seien, so handelt es sich, wie ich schon dargelegt habe (III 2.1.1.), um ein Problem, das sich nur für die stellt, die Austins Generalisierung, dass auch konstative Äußerungen performativ sind, nicht mitmachen zu können glauben (vgl. z.B. Bach 1975). Danach wäre die Äußerung (351)
Ich verspreche zu kommen.
nicht nur der Vollzug eines Versprechens, sondern zugleich die konstative Beschreibung eines Versprechens, für die Wahrheitsbedingungen gälten. Rationale Argumente gegen dieses kontraintuitive Festhalten an einer Grammatik der Wahrheitsbedingungen hat z.B. Katz (1977: 167ff.) beigebracht. M.E. bedarf es jedoch in dieser Frage keiner rationalen
260 Argumente; hier genügt der bereits von Austin gegebene Hinweis auf die Evidenz, dass der Vollzug einer Handlung nicht zugleich deren Beschreibung sein kann. Die Qualität der Performativität hebt die Qualität der Prädikativität auf. Eine weitere ebenso kontraintuitive Variante der Analyse performativer Äußerungen führen Searle/Vanderveken (1985) mit ihrer 'deklarativen Analyse' ein. Danach wären alle explizit performativen Äußerungen primär deklarativ und sekundär der Sprechakt, der durch das performative Verb bezeichnet wird (vgl. dazu auch Searle 1989 und Vanderveken/Kubo 2002: 7). Es bleibt für mich gänzlich artifiziell, warum man eine Handlung erst erklären und nur sekundär vollziehen sollte. Gewöhnlich wird die Kombinierbarkeit mit hiermit als Test für Performativität angesehen. Da davon auszugehen ist, dass alle Äußerungen performativ sind, kann es sich dabei nur um die Performativität von Sprechaktverben handeln. Doch auch hier ist der Test, wie ich bereits gezeigt habe, nicht verlässlich. Alle Verben, bei denen die Komponente des Äußerns erst durch die Äußerung selbst hinzukommt, also die Verben der propositionalen Einstellung, bestehen den Test nicht, doch kann man ihnen deshalb in einer Äußerung Performativität nicht absprechen (vgl. Kap. III 2.1.1.).
3.3. Die Zuordnung im Sprechaktbericht Sprechaktberichte sind direkte Sprechakte. Sie wären als explizit performative Wendungen der Form (352) Ich berichte, dass (Harts versprach...) explizierbar, doch wird in der Regel auf diese Einleitungsformel verzichtet, da der Sprechakt des Sprechaktberichts durch andere sprachliche Mittel realisiert wird. Von diesen Mitteln manifest ist die grammatische Form der Äußerung, die durch ein menschliches Subjekt mit Sprechaktverb ausgezeichnet ist. Durch diese grammatische Form ist der Konjunktiv von untergeordneter Bedeutung, ich werde auf ihn nicht eigens eingehen. In diesen grammatischen und lexikalischen Mitteln allein kann man jedoch noch nicht den Ausdruck der kommunikativen Funktion sehen. Hinzu kommt das Äußern selbst bzw. in schriftlicher Kommunikation der Erzählkontext; denn in der grammatischen Form der Äußerung allein kann man nicht eine wörtliche Bedeutung der kommunikativen Funktion erkennen. Die grammatische Form ist jedoch als morphologisch manifester Ausdruck in der Regel für sich bereits eindeutig. Da zu diesem Ausdruck ein Sprechaktverb gehört, könnte man die Realisierung des Sprechaktberichts als lexikalisch-grammatische Mischform eines direkten Sprechakts ansehen. Aufgrund der Komponente des Äußems jedoch rechne ich den Sprechaktbericht zu den grammatisch ausgedrückten direkten Sprechakten. Durch die Komponente des Äußerns wird eine fundamentale kommunikative Funktion in einem besonders wichtigen Untermuster maximal ökonomisch ausgedrückt. Der Zuordnungstyp des referierenden Sprechakts ist nach Subtypen zu differenzieren, die sich in Abhängigkeit von dem für den referierten Sprechakt geltenden Zuordnungstyp ergeben:
261 (Fig. 22)
SA 2 referiert auf SA,
Í
direkt "1 indirekt >· idiomatisch J
Der referierte Sprechakt kann ein direkter, indirekter oder idiomatischer Sprechakt sein. Er ist gegeben als Äußerung. Im referierenden Sprechakt wird nicht auf die Äußerungsform, sondern auf die durch sie ausgedrückte kommunikative Funktion und Proposition referiert. Dies macht den Unterschied zur direkten Redewiedergabe aus, die sich auf die Äußerungsform bezieht (vgl. auch Leech 1980:46). Die referierte kommunikative Funktion wird aus der Performativität des Sprechakts, in die Prädikativität der Proposition des Sprechakts2 transponiert: (Fig. 23)
SA 2 (SA-Bericht)
SA, (referierter SA)
Äußerung 2
Äußerung,
I Inhalt2
I Inhalt)
(komm.F. 2 +Prop. 2
^(komm.F.i+Prop.i)^
7
REPR
V Er fragte. •wann sie kommt.
Wann kommt sie?
Durch diese Transponierung der kommunikativen Funktion mit Proposition des referierten Sprechakts in die Proposition des referierenden ergibt sich für referierende Sprechakte die typische grammatische Struktur, die durch ein menschliches Subjekt und ein Sprechaktverb bestimmt ist. Bis hierher ist die Zuordnung im referierenden Sprechakt einfach. Die Schwierigkeit liegt in der Wahl des Sprechaktverbs, aber auch nur in den Fällen, in denen das Sprechaktverb nicht bereits in performativer Form im referierten Sprechakt gegeben ist. Es ist davon auszugehen, dass es Aufgabe des referierenden Sprechakts ist, die Illokution des referierten Sprechakts möglichst objektiv wiederzugeben. Eine bewusst subjektive, verschleiernde Wiedergabe ist als Abweichung, die gegen die Aufrichtigkeitsbedingung verstößt, durch zusätzliche Kriterien zu beschreiben. Referiert wird auf illokutive wie perlokutive Sprechakte gleichermaßen. Dabei ist in beiden Fällen nach dem Zuordnungstyp des referierten Sprechakts zu differenzieren. Bei der Beschreibung von Sprechaktverben werden in der Literatur alle gleichermaßen als Ausdruck der Illokution behandelt. Entsprechend der Unterscheidung von Illokution und Perlokution ist jedoch auch bei den Sprechaktverben zu unterscheiden zwischen Verben, die die Illokution, und solchen, die die Perlokution ausdrücken. Beide Gruppen werden gleichermaßen zur Referenz auf Sprechakte verwendet: (353)
Er behauptete,
dass die Italiener besser
wären.
(354)
Er stimmte zu, dass die Italiener besser
wären.
Während von den Sprechaktverben, die die Illokution ausdrücken, einige nur referentiell verwendbar sind, werden Sprechaktverben, die die perlokutive Funktion ausdrücken, jedoch in der Regel immer auch performativ verwendet (zum Problem der performativen Verben vgl. Kap. III 2.1.1.):
262 (355)
Hiermit gebe ich dir meine Zusage: ich werde kommen.
(356)
Hiermit stimme ich dir zu: es ist wahr, dass...
(357)
Hiermit teile ich dir mit, dass...
Im Folgenden sollen diese Zusammenhänge zwischen referierendem und referiertem Sprechakt in Abhängigkeit vom Zuordnungstyp des referierten Sprechakts näher untersucht werden.
3.3.1. Referenz auf einen direkten Sprechakt 3.3.1.1. Lexikalisch ausgedrückt (358)
Ich bitte Sie, mir die Post: nachzuschicken. —• Er bat sie, ihm die Post nachzuschicken.
(3 59)
Ich kündige meine Mitgliedschaft zum Jahresende. —> Er kündigte seine Mitgliedschaft zum Jahresende.
(360)
Ich stimme zu, dass es so nicht weiter gehen kann. —• Er stimmte zu, dass es so nicht weiter gehen kann.
Regelfall eines lexikalisch ausgedrückten direkten Sprechakts ist eine explizit performative Wendung. Im Sprechaktbericht wird das Sprechaktverb übernommen. Durch syntaktische Transformation der Pronomina und des Tempus wird die performative Verwendung dieses Verbs in eine prädikative transformiert. Die Illokution des referierenden Sprechakts ist konstativ, da die Sprechaktqualität des zu referierenden Sprechakts klar ist. Ein lexikalisch ausgedrückter direkter Sprechakt liegt nicht nur im Fall einer explizit performativen Wendimg vor. Hierher gehören auch modifiziert performative Äußerungen wie (361) und (362), Äußerungen mit einer lexikalischen Paraphrase des Sprechaktverbs wie (363) und mit einem performativen Satzadverb wie (364), die schon für sich und dann auch als Referenzobjekt Problemfälle darstellen (vgl. ihre Beschreibung unter den direkten Sprechakten in Kap. III 2.1.1.): (361)
Ich möchte Sie bitten, mir die Post nachzuschicken. —» Er bat sie (höflich), ihm die Post nachzuschicken.
(362)
Ich muss dir zustimmen, dass es so nicht weiter gehen kann. —• Er musste ihr zustimmen/sah sich gezwungen, ihr zuzustimmen, dass...
Die Modifizierung kann im Sprechaktbericht nicht immer mit Übernommen werden. Dies ist zum einen ein Indiz dafür, dass modifiziert performative Äußerungen performativ sind und das Modalverb nur eine Modifizierung der Performativität bringt, d.h., dass modifiziert performative Wendungen entgegen Fraser (1975a) direkte Sprechakte sind; zum anderen zeigt sich hier wie auch bei verschiedenen anderen Fällen (s.u.), dass im Sprechaktbericht manche inhaltliche Komponente verlorengeht bzw. nur auf anderer Ebene, in der Form eines
263 Kommentars72 transformiert werden kann. Unklar oder idiosynkratisch bleibt jedoch, warum die Modifizierung in (362) im Unterschied zu (361) im Sprechaktbericht übernommen werden. Aufgrund des Befunds im Sprechaktbericht bei Beispielen wie (361) könnte man erwägen, die Modifizierung als bloße stilistische Sache, als Höflichkeitsfloskel abzutun und modifiziert performative Wendungen generell, nicht nur einzelne Typen wie darf ich... ? als Sprechaktidiome zu beschreiben. M.E. liegt jedoch sehr wohl eine feine inhaltliche Differenzierung vor zwischen ich bitte Sie und ich möchte Sie bitten, die im Sprechaktbericht
verlorengeht oder nur in Form eines Kommentars Ubernehmen werden kann. Auch fur die lexikalische Paraphrase des Sprechaktverbs ergeben sich aus dem Sprechaktbericht zusätzliche Einsichten für die Beschreibung von Äußerungen wie (363)
Ich bin der Meinung, dass es zweckmäßig Hause gingen).
wäre, nach Hause zu gehen (wenn wir nach
Auf diese Äußerung kann in Form von (363a) und (363b) referiert werden, jedoch nicht ohne weiteres in Form von (363c): (363a) (363b) (363c)
—• Er äußerte die Meinung, dass es zweckmäßig wäre, nach Hause zu gehen. —• Er schlug vor, nach Hause zu gehen. —• ? Er war der Meinung, dass es zweckmäßig wäre, nach Hause zu gehen.
Auch hier stellt die Transformation zum Sprechaktbericht ein Indiz dafìlr dar, dass Äußerungen wie (363) als eigener Typ eines direkten Sprechakts aufzunehmen sind. Lexikalische Paraphrasen dieser Art beruhen in der Regel darauf, dass die propositionale Einstellung, die das performative Verb (hier vorschlagen) beinhaltet,73 verbalisiert wird und die Komponente des Äußerns, die ebenfalls im performativ'en Verb enthalten ist, der Sprechsituation überlassen wird. Diese Komponente geht dann im Sprechaktbericht verloren. Daher sind nur (363a) und (363b) korrekt referierende Sprechakte, da aus (363c) ohne weiteren Kontext nicht hervorgeht, ob eine bloße propositionale Einstellung oder eine sprachliche Handlung referiert wird. Schwierige Fälle sind auch Äußerungen mit performativem Satzadverbial. Wie bei der Paraphrasierung durch ein entsprechendes Prädikat wird auch bei der Transformation zum Sprechaktbericht deutlich, dass sie keineswegs ein einheitliches Phänomen darstellen: (364) Vermutlich ist sie in Berlin. (364a) —• Er vermutete, dass sie in Berlin sei/ist. (365) (365a)
72
73
Vermutlich muss ich kündigen. —» Er vermutete, dass er kündigen müsse.
"Kommentar" wird hier nicht in Posners spezifischem Sinn verwendet (z.B. 1980b: 384) und meint auch keinen Sprechakt des KOMMENTIERENS in meinem Sinn, (nach einem Nuntiativ, vgl. II 3.4,), sondern bezieht sich auf eine interpretierende Komponente der referierenden Äußerung. Man könnte erwägen, auf (363) mit raten zu referieren. Dazu verleitet, dass ich bin der Meinung vage und nicht eindeutig auf assertive oder deliberative Illokution festzulegen ist. Sofern sich jedoch die Handlung, die als zweckmäßig betrachtet wird, auf Sprecher und Kommunikationspartner bezieht, wird damit ein Vorschlag realisiert (vgl. zu 'raten' versus 'vorschlagen'II 4.4.2., Figur 12).
264 (366) Bedauerlicherweise ist sie in Berlin. (366a) —» Er bedauerte, dass sie in Berlin sei/ist. (367) Bedauerlicherweise muss ich kündigen. (367a) —* TEr bedauerte, dass er kündigen müsse. (367b) —* Er erklärte, dass er kündigen müsse, und bedauerte dies. Generell gilt, dass im Sprechaktbericht auch hier Information verlorengeht. So ist nicht mehr ersichtlich, ob der direkte Sprechakt ein Adverbial oder ein Verb der propositionalen Einstellung enthielt. Geht man von der Paraphrasenannahme zwischen Adverbial und Prädikat aus, ist dieser Informationsverlust allerdings unerheblich. Außerdem zeigt sich wieder die Sonderstellung gefuhlsbezogener Satzadverbiale. Eine Äußerung mit einem solchen Adverbial, z.B. mit bedauerlich (366/367), ist immer Träger zweier Illokutionen, also eine Äußerung mit "force multiplicity" (Grewendorf 1972: 166f.). Ist die durch das Prädikat getragene Illokution eine repräsentative wie in (366), so ändert der Sprechaktbericht mit bedauern nichts daran. Handelt es sich jedoch um einen deklarativen Prädikatsausdruck wie in (367), so ist es schwierig zu entscheiden ob darauf mit (367a) referiert werden kann. (367a) referiert entweder auf eine Äußerung, in der die Kündigung nur angekündigt wird, kann dann also nicht auf die Äußerung (367) referieren, wenn sie als deklarative Äußerung verstanden wird, die die Kündigung ausspricht; oder (367a) wird als ambig betrachtet, so dass damit sowohl auf die Ankündigung wie auf das Aussprechen der Kündigung referiert werden kann. Die Situation, die bei (367) klärend hinzukommt, fehlt bei (367a). Will man diese Ambiguität umgehen, wäre (367b) als referierende Äußerung zu wählen, die für beide Illokutionen jeweils eigene Ausdrücke vorsieht.
3.3.1.2. Grammatisch ausgedrückt (368)
Mach die Tür zu! —» Er forderte sie auf/befahl, die Tür zuzumachen.
(369)
Mach bitte die Tür zu! —* Er forderte sie auf/bat sie, die Tür zuzumachen.
(370)
Laufen hält gesund. —» Er behaupte/stellte fest/meinte, dass Laufen gesund halte.
(371)
Kommst du? —» Er fragte, ob sie komme.
(372)
Gehst du zum Schlossgartenfest? - Ich werde kommen. —• Sie sagte zu zu kommen.
(373)
Hans behauptete, dass Lisa komme. —• Er sagte, dass Hans behauptete, dass Lisa komme.
(374)
Hans forderte Lisa aufzu gehen. —• Er sagte, dass Hans Lisa aufforderte zu gehen.
(375)
Hans fragte Lisa, wann sie komme. —• Er sagte, dass Hans Lisa fragte, wann sie komme.
265 (376)
Hans kündigte den Vertrag. —» Er sagte, dass Hans den Vertrag kündigte.
Der Sprechaktbericht eines direkten, grammatisch ausgedruckten Sprechakts beruht auf der Paraphrasierung der grammatischen Kategorie durch ein Sprechaktverb. Da die grammatische Kategorie hier direkter Ausdruck der kommunikativen Funktion ist, wird vom Referenten keine Interpretation gefordert, sofern er nicht die grammatische Kategorie lexikalisch differenzieren will (368-370). Dennoch ist die illokutive Grundfunktion wohl eher konstativ oder nuntiativ als assertiv; die Kenntnis der Paraphrasebeziehung gehört zur sprachlichen Kompetenz. Zur Differenzierung nach verschiedenen Sprechaktverben müssen jedoch situative Kenntnisse hinzukommen. Allerdings zeigen sich zwischen den einzelnen zu referierenden kommunikativen Funktionen gewisse Unterschiede. Der Deklarativ ist nicht vertreten, da er nicht durch eine grammatische Kategorie allein ausdrückbar ist. Beim Explorativ liegt nahezu eine 1:1-Korrespondenz zwischen grammatischer Kategorie (Fragemodus) und Sprechaktverb vor. Grammatische Kategorie wie Sprechaktverb bleiben hier auf der Ebene der fundamentalen Illokution. Beim Repräsentativ und Direktiv dagegen wird durch die grammatische Kategorie die fundamentale Illokution ausgedrückt, während die Sprechaktverben in der Regel nach abgeleiteten IUokutionen differenzieren. So kommt es, dass dem Indikativ in (370) mehrere Sprechaktverben korrespondieren, die z.T. abgeleitete IUokutionen bezeichnen (behaupten, feststellen), z.T. aber auch illokutiv vage bleiben (meinen). Auch bei der direktiven Illokution sind lexikalisch die abgeleiteten IUokutionen durch verschiedene Sprechaktverben differenziert ausdrückbar (z.B. auffordern, bitten, anweisen, befehlen)™ Die Partikel bitte beim Imperativ ist dabei nicht immer Ausdruck einer petitiven Illokution, sondern vielfach nur höfliche Verkleidung eines Monitivs (vgl. 369). Grammatische Kategorie und Sprechaktverb decken somit unterschiedlich weite illokutive Bereiche ab. Betrachtet man ihre Korrespondenz isoliert, z.B. als Korrespondenz des Indikativs mit dem Sprechaktverb behaupten (vgl. 370), so kann man nur in eingeschränktem Sinn von Paraphrasierung sprechen. Eine solch isolierende Betrachtungsweise ist jedoch nicht angebracht. Grammatische Kategorie und Sprechaktverb erfüllen ihre Funktion in unterschiedlichen Kontexten. Grammatische Kategorien als performativer Ausdruck der Illokution setzen eine Sprechsituation voraus, die die durch die Kategorie ausgedrückte fundamentale Illokution differenzieren kann. Insofern sind grammatische Kategorien auch nicht vage. Sprechaktverben dagegen müssen die Komponenten, die im Sprechakt selbst die Situation beisteuert, sprachlich zum Ausdruck bringen; die lexikalische Differenzierung ist für die Referenz auf einen Sprechakt notwendig. Beispiel (372) bringt einen Sprechaktbericht, der Bezug auf einen grammatisch ausgedrückten perlokutiven Sprechakt nimmt. Die Beispiele (373-376) exemplifizieren die Referenz auf den Sprechaktbericht, den ich als grammatisch ausgedrückten direkten Sprechakt eingeordnet habe. Diese Referenz ist einfach zu beschreiben, da für jeden Sprechaktbericht die gleiche Struktur gilt:
74
Die Möglichkeit, dass bitten auch für einen Sprechakt des Aufforderns verwendet wird, gilt offenbar nur für performative, nicht fur referentielle Verwendung.
266 (Fig. 24)
SA-Bericht: repr. 111.
+
(ausgedrückt durch Äußern)
Proposition
v
y
'
N P m S u b j + SAV
repr.Ill.: repräsentative Illokution, SAV: Sprechaktverb, mSubj: menschliches Subjekt
Es wird nur ein Referent durch den anderen ausgetauscht und dieser Austausch sprachlich markiert, indem die im Sprechaktbericht durch das Äußern selbst ausgedrückte repräsentative Illokution nun verbalisiert wird und eine neue durch das Äußern in der neuen Referenzsituation ausgedrückte repräsentative Illokution hinzukommt. (Fig. 25)
SA-Bericht2: Referenz auf SA-Bericht,
repr.Ill.2
Proposition^
+ V
V repr.Ill.ι
ν (Äußern)
+
'
' v
Proposition)
ν
repr.SAV
N P m S u b j + SAV
Er sagte,
dass Hans den Vertrag kündigte.
Für die Referenz auf einen referierenden Sprechakt wird in der Regel ein allgemeines Verbum des Sagens verwendet. M.E. ist dies jedoch nicht als Referenz auf die Lokution zu werten, sondern ein Hinweis darauf, dass die Illokution des Sprechaktberichts als repräsentative, in der Regel konstative oder nuntiative einzuordnen ist. Während z.B. bei Beispiel (335) auf die Lokution referiert wird und demgegenüber auch die direktive Illokution expliziert werden könnte, ist eine solche Differenzierung hier nicht möglich, da es sich durchgängig um die repräsentative Illokution des Berichtens handelt. Das Verbum sagen kann also sowohl auf die Lokution referieren wie repräsentatives Sprechaktverb sein. Den Regelfall der Referenz auf einen grammatisch ausgedrückten direkten Sprechakt bilden Fälle, bei denen die im referierten Sprechakt grammatisch ausgedrückte kommunikative Funktion im referierenden Sprechakt von einem Sprechaktverb übernommen wird. Dieses Sprechaktverb kann allein die kommunikative Funktion (behaupten, fragen), aber auch das ganze Handlungsmuster aus kommunikativer Funktion und Proposition bezeichnen, wie z.B. loben, tadeln, prahlen, beleidigen. Diese Sprechaktverben referieren auf repräsentative Untermuster, bei denen die Proposition eine Wertung beinhaltet (s.o. zu wertenden Sprechakten II 4.4.2.): (Fig. 26)
repr.Ill. + Prop. loben
...
dass etwas positiv ist
prahlen
...
dass eine eigene Leistung überaus positiv ist
tadeln
...
dass etwas negativ ist
beleidigen
...
dass etwas an einem anderen negativ ist, so dass dieser gekränkt ist
Diese Handlungsmuster werden durch den Indikativ eines Prädikats, das eine Wertung beinhaltet, direkt vollzogen. Für die Referenz ergeben sich im Prinzip zwei Möglichkeiten:
267 (377)
Das hast du gut gemacht!
(377a) —• Er sagte, dass sie das gut gemacht habe. (377b) —• 7 Er lobte sie, dass sie das gut gemacht habe. Er lobte sie, indem er sagte, dass sie das gut gemacht habe. (378)
Das ist fiir mich eine Kleinigkeit!
(378a) —» Er sagte/behauptete, dass das für ihn eine Kleinigkeit sei. (378b) —• Er prahlte, dass das für ihn eine Kleinigkeit sei. Er prahlte, indem er sagte, dass das fiir ihn... (379)
Das hast du aber schlecht gemacht!
(379a) —• Er sagte, dass sie das aber schlecht gemacht habe. (379b) —» Er tadelte sie, dass sie das schlecht gemacht habe. Er tadelte sie, indem er sagte, dass sie das... (380)
Du bist ein Trottel!
(380a) —• Er sagte, dass sie ein Trottel sei. (380b) —• Er beleidigte sie, indem er sagte, dass sie ein Trottel sei. indem er sie einen Trottel nannte. Er sagte, dass sie ein Trottel sei, und das kränkte sie.
Wir haben hier also grammatisch ausgedrückte direkte Sprechakte, bei deren Wiedergabe entweder auf die Lokution referiert wird, z.T. auch ein Sprechaktverb verwendet wird, das auf die Illokution referiert (behaupten in 378), oder ein Sprechaktverb, das das ganze Handlungsmuster bezeichnet. Bei der Referenz auf die Lokution liegt indirekte Rede vor. Hier wird jede Interpretationsleistung umgangen, die den Einbezug situativer Faktoren erforderte. Daher ist diese Variante des Sprechaktberichts auch vielfach von einem Informationsverlust begleitet (vgl. 378a, 380a). Stattdessen wird möglichst genau an der sprachlichen Struktur der Äußerung festgehalten (vgl. die Übernahme der Partikel aber in 379a). Wird ein Sprechaktverb für das ganze Handlungsmuster verwendet, so liegt eine metasprachliche Klassifizierung einer Äußerung vor, die eine Referenzsituation voraussetzt. Die Sprechaktverben loben, tadeln, prahlen, beleidigen enthalten inhärent Komponenten der Referenzsituation: Sie sind nicht Ausdruck einer kommunikativen Funktion, sondern Klassifikation einer Äußerung aus der Sicht eines Referenten. Daher sind sie nur referentiell, nicht performativ verwendbar (s.o. Kap. III 2.1.1.). Sprachliches Indiz dafür ist die indem-Variante des von ihnen abhängigen Satzes, die bei beleidigen sogar die einzige Möglichkeit der Wiedergabe der Äußerung darstellt. Im Unterschied zu loben, tadeln, prahlen bezieht beleidigen den perlokutiven Effekt mit ein, der nur situativ erkennbar ist. Mit Ausnahme von beleidigen können diese Verben modifiziert performativ verwendet werden: (381)
Ich möchte nicht prahlen, aber ich muss einmal sagen, dass das fiir mich eine Kleinigkeit war.
(382)
Ich muss dich loben/tadeln: Das hast du gut/schlecht gemacht.
268
Hier begibt sich der Sprecher selbst gewissermaßen in eine Referenzsituation zur eigenen Handlung, die nicht mit einem dass-Satz unmittelbar angeschlossen werden kann. Die Klassifizierung einer Äußerung als Handlungsmuster erfordert vom Referenten eine gewisse Interpretationsleistung, vor allem wenn situative Faktoren einzubeziehen sind wie bei beleidigen, prahlen. In diesen Fällen ist dann für den referierenden Sprechakt wohl vielfach die assertive Illokution anzusetzen: (383)
Er beleidigte sie, indem er sie träge nannte. Das behauptest du, ihr war das ganz egal.
Die Klassifikation als Lob oder Tadel kann dagegen meist allein aufgrund der sprachlichen Kompetenz erfolgen, so dass hier für den referierenden Sprechakt eher die konstative Illokution angemessen ist. Auch für das Handlungsmuster 'raten' gibt es im Unterschied zu 'warnen' eine grammatische Realisierung: (3 84)
Du solltest zum Arzt gehen.
Wird auf diese Äußerung referiert, so hat man wie bei den Handlungsmustern des Lobens, Tadeins etc. zwei Möglichkeiten, die indirekte Rede im engeren Sinn oder die Referenz mit dem Sprechaktverb: (385)
Er sagte/meinte, dass sie zum Arzt gehen sollte.
(386)
Er riet ihr, zum Arzt zu gehen.
Im Unterschied zu loben, tadeln etc. ist jedoch raten und auch warnen nicht nur referentiell, sondern ebenso performativ verwendbar. Mit raten/warnen wird ein Sprechakt vollzogen, während mit loben/tadeln Äußerungen klassifiziert werden.
3.3.1.3 Situativ ausgedrückt Auch auf situativ ausgedrückte kommunikative Funktionen kann natürlich referiert werden. So kann sich eine Erzählung auf das Schild mit der Aufschrift dog beziehen (vgl. Kap. III 2.1.3.): (387)
Ein Schild warnte vor einem Hund.
(388)
Ein Schild bezeichnete das abgebildete Tier als einen Hund.
Das heißt, die performative Kraft der Situation wird im referierenden Sprechakt verbalisiert.
3.3.2. Referenz auf einen indirekten Sprechakt 3.3.2.1. Illokutiv (389)
Der Rasen ist schon ziemlich lang. —• Er bemerkte/stellte fest, dass der Rasen schon ziemlich lang sei.
269 (390)
Maja ist nicht da. —• Er stellte fest, dass Maja nicht da sei (weil er wahrscheinlich nicht direkt fragen wollte, wo sie sei).
(391)
Du solltest deine Schularbeiten machen. —* Er sagte, dass sie ihre Schularbeiten machen sollte. —* Er forderte sie auf, ihre Schularbeiten zu machen.
(392)
Du wolltest doch nach Nürnberg fahren. —* Er sagte, dass sie doch nach Nürnberg fahren wollte. —• Er forderte sie auf, nach Nürnberg zu fahren.
(393)
Du könntest den Rasen mähen. —* Er sagte/meinte, dass sie den Rasen mähen könnte. —* Er forderte sie auf, den Rasen zu mähen.
(394)
Du kannst doch schon mit Messer und Gabel essen. —* Er sagte, dass sie doch schon mit Messer und Gabel essen könne. —* Er forderte sie auf, mit Messer und Gabel zu essen.
(395)
Ich möchte, dass du gehst. —» Er äußerte den Wunsch, dass sie gehe. —* Er forderte sie auf/bat sie zu gehen.
(396)
Ich möchte wissen, was du denkst. —• Er äußerte den Wunsch zu wissen, was sie denke. —• Er fragte, was sie denke.
(397)
Können Sie mir Geld wechseln? —• Er fragte, ob sie ihm Geld wechseln könne. (—* Er bat sie, ihm Geld zu wechseln.)
(398)
Musst du nicht gehen? —• Er fragte sie, ob sie nicht gehen müsse. (—* Er forderte sie aufzu gehen.)
(399)
Warum lässt du dich so gehen? —* Er fragte sie, warum sie sich so gehen lasse. (—* Er forderte sie auf, sich nicht so gehen zu lassen.)
Für die Referenz auf einen indirekten illokutiven Sprechakt gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten: Entweder wird die direkt ausgedruckte oder die indirekt ausgedrückte Illokution referiert. Im ersteren Fall orientiert sich der Referent an der sprachlichen Struktur der Äußerung, so dass diese samt Phraseologisierung "recoverable" bleibt. Wir haben hier die traditionelle indirekte Rede bzw. Frage. Im zweiten Fall wird vom Referenten eine Interpretationsleistung gefordert, so dass man filr die Illokution des referierenden Sprechakts die assertive ansetzen muss. Diese Interpretation setzt voraus, dass der Referent mit der Situation des referierten Sprechakts vertraut ist. Die erste Möglichkeit, die Wiedergabe der direkt ausgedrückten Illokution, besteht immer. Die zweite Möglichkeit ist nur dann gegeben, wenn das Verhältnis zwischen direkt und indirekt ausgedrückter Illokution zugunsten der indirekten verschoben ist, wenn die indirekte also, um es mit Searles Worten zu sagen, primär ausgedrückt ist. Dies ist entweder der Fall, wenn die referierte Äußerung phraseologisiert ist, oder wenn das direkt ausgedrückte
270 Handlungsmuster die indirekte Interpretation gewissermaßen zwingend folgen lässt. Bei Äußerungen wie (389) und (390) dagegen kann nicht auf die indirekte Illokution referiert werden. Die indirekt ausgedrückte Illokution ist hier offenbar nicht primär. Auch gibt das Konzept des Grundes fllr einen indirekten Direktiv (389) die gewünschte Handlung nicht explizit an, so dass darauf auch nicht referiert werden kann. Vielfach werden indirekte Sprechakte in Fragesatzform vorgebracht (397-399); doch scheint diese Fragesatzform soviel Gewicht zu haben, dass sie im Sprechaktbericht nur ungern aufgegeben wird. Dies spricht deutlich gegen eine generelle Behandlung aller Äußerungen als direkte Sprechakte wie bei Hindelang (1978a); und es spricht auch gegen Searles Behauptung, die indirekte Illokution sei immer primär. Auch Searles Test für indirekte Sprechakte, dass auf diese in zweifacher Weise referiert werden kann, gilt somit nicht generell. In beiden Fällen entgeht der referierende Sprechakt nicht einem Informationsverlust. Wird die direkte Illokution referiert, so wird es immer schwerer, den eigentlichen "illocutionary point", nämlich die indirekt ausgedrückte Illokution, zu erkennen. Wenn schon der Referent, der Beteiligter oder zumindest Zuhörer der Kommunikation war, ihn nicht wiedergibt, wie soll ihn dann sein Hörer, der mit der Situation nicht vertraut ist, allein aus der sprachlichen Struktur erkennen? Allerdings ist dieses Ausweichen auf die indirekte Rede bzw. Frage auch wieder verständlich, da der Schluss auf die indirekte Interpretation bei illokutiven Sprechakten letztlich nur ein Wahrscheinlichkeitsschluss bleibt und der Referent nicht immer der intendierte Hörer gewesen sein muss, so dass auch er nicht jedes relevante situative Merkmal erkannt haben muss. Wird die indirekte Illokution referiert, so ist der besondere Modus der ursprünglichen Äußerung als indirekter Sprechakt nicht mehr ersichtlich, es sei denn, der Referent gibt diesem Modus seinerseits in Form eines Kommentars Ausdruck, wie z.B. in (400)
Er forderte sie indirekt auf,...
Im Grunde wäre dies die einzig korrekte, da am wenigsten an Information verlierende Wiedergabe eines indirekten Sprechakts. Doch darf man bei solchen Äußerungen nicht vergessen, dass sie einen Wahrscheinlichkeitsschluss definitiv machen.
3.3.2.2. Perlokutiv (401 )
Komm mit zum Schlossgartenfest! - Das ist eine fabelhafte Idee. Sie sagte, dass das eine fabelhafte Idee sei. —* Sie sagte zu zu kommen.
(402)
Fahr doch mit! - Ich muss auf mein Examen lernen. —» Sie sagte, dass sie auf ihr Examen lernen müsse. —+ Sie sagte ab(, da sie auf ihr Examen lernen müsse).
(403)
Mäh den Rasen! - Du hast mir nichts zu befehlen. —» Sie weigerte sich, da er ihr nichts zu befehlen habe.
(404)
Die Italiener waren besser. - Sie gaben den Ton an. —* Sie stimmte zu.
271 Für die Referenz auf einen indirekten perlokutiven Sprechakt gelten im Prinzip die gleichen Regeln wie für die Referenz auf einen indirekten illokutiven Sprechakt. Darüber hinaus wird hier besonders deutlich, dass zwar prinzipiell auf die indirekt ausgedrückte perlokutive Funktion referiert werden kann, dass dies aber nur dann in einfacher Form geschieht, wenn dabei nicht allzuviel Information verlorengeht wie in (404). Bringt der indirekte perlokutive Sprechakt wichtige eigene Information, wie die Angabe eines Grundes in (402) und (403), so wird diese Information meist auch im Sprechaktbericht übernommen. Ein solcher Sprechaktbericht referiert dann eigentlich auf die direkte und die indirekte Funktion zugleich und gibt auch noch die Relation (z.B. Grund) zwischen beiden wieder (z.B. 403). Hier zeigt sich noch einmal deutlich, dass der Sprechaktbericht eine Äußerung des Referenten ist, die die Funktion der referierten Äußerung, weniger deren Äußerungsform wiederzugeben hat. Demgegenüber mag man mit dem traditionellen Begriff der indirekten Rede den Teilbereich des Sprechaktberichts fassen, bei dem mit einem Verbum des Sagens oder Fragens im Grunde nur auf die Lokution referiert wird.
3.3.3. Referenz auf einen idiomatischen Sprechakt -
situationsunabhängig
(405)
Würden Sie mir bitte die Post nachschicken? —» Er bat sie/forderte sie auf, ihm die Post nachzuschicken.
(406)
Wirst du wohl deine Schularbeiten machen? —• Er forderte sie (barsch) auf/befahl ihr, ihre Schularbeiten zu machen.
(407)
Ich würde dich bitten, mir die Post nachzuschicken. —» Er sagte, dass er ihn bitten würde, ihm die Post nachzuschicken. —* Er bat ihn höflich, ihm die Post nachzuschicken.
(408)
(409)
-
Mäh den Rasen! - Dein ergebener Diener. (—* Er sagte, dass er sein ergebener Diener sei.) —• Er erklärte sich (etwas ironisch) bereit. Mäh den Rasen! - Das könnte dir so passen. —» Er sagte, dass ihm das so passen könnte. — Wortakzent, —» Betonung, —> Intonation) akzeptieren 94, 102, 195 AKZEPTIEREN 1 0 , 3 6 , 4 2 , 9 0 , 9 3 f . , 96,102, 108f., 112ff., 118fr„ 133, 152, 157f., 163, 191f., 207f, 230ff„ 253, 279, 288
- indirekt 230ff. - idiomatisch 253 allerdings 192 Alltagskonversation 104, 129 Ambiguität 58, 129, 116, 172, 206f., 211, 213, 264, 277ff. anbieten, Angebot 142,149ff. 'anbieten', 'Angebot' 21, 92f„ 104, 128, 141,149ff. andeuten 194, 276 'Andeutung' 19, 177, 238, 276 anflehen 140 angenehm 130 anleiten 149 'Anleitung' 148 'Annahme' 4f., 51, 54, 85, 121, 128 annehmen 78,110,117 die Wahl- 103 eine Herausforderung - 137 annullieren 127 anordnen 108 ANORDNUNG
108
Anpassungsrichtung, -kriterium 47,78, 82, 86f„ 89f., 93, 98f., 105, 179,257f. (-> direction of fit) 'Anpreisung' 278 'Anrede' 138 'Anruf 138
323 'Anspielung' 213,222, 237f. Anspruch(skriterium) 81 answer 9 antworten 190f., 195, 208 Antwort wird gegeben 190 ANTWORTEN, Antwort 28,35,42f., 84ff., 91 f., 96, 100, 102fiF., l l l f . , 132ff„ 149, 191, 204, 206, 208,213, 215, 231 f., 234, 243, 253,257,278f., - deklarativ 102, 132 - direktiv 102, 105,132f. - repräsentativ 102, 105,132f. - indirekt 231 f. - idiomatisch 253 anvertrauen 275f. anweisen 265 'Anweisung' 142 Argumentation(sdiskurs) 94,109,167f. ask 41,44 ASSENSIV 9 0 , 9 3
ASSERTIV, assertive 53, 95,109f., 112, 114fr. 119, 144ff„ 148ff., 154, 157f. 159, 164, 168, 181, 185,201f. 239,256/., 265, 268f, 272f. attitude 52 (-» propositional attitude) au! 154 auffordern 124, 138, 179, 189, 194, 196f„ 210, 251,265, 274,276, 282, Aufforderung ergeht 189 'Aufforderung' 9, 1 lf., 22, 28, 87f., 105, 122, 135f., 140ff., 145, 281 - 'zu einer sprachlichen Handlung' 136, 218f. Aufforderungssatz 198 Aufrichtigkeit(sbedingung) 79f., 84, 101, 110, 116, 120, 129, 190, 195, 226, 249, 261 (—> sincerity condition) auftragen 108 AUFTRAG
108
Ausdruck, ausdrucksbezogen 72ff., 78ff., 87, 92, 96f., 120, 123ff„ 152, 154f„ 159fr., 162, 176, 179ff„ 184, 197, 208ff., 216f., 224, 240,242, 244, 258, 273, 277, 286f. Ausdruck geben 277 AUSDRUCK GEBEN 152f., 1 5 5 , 2 5 7
Ausdrucksmittel 44,96f., 120, 123, 160, 181, 192,258, 'aushandeln' 4f„ 8, 14f„ 23, 25, 27, 34f., 38, 40, 84
'Aushandlung' 61,150 ' Auskunft geben ' 146 ausrufen 277 Ausrufesatz 45,113,154,161,203 Aussage(modus, -satz) 97,196,202,271 äußern 256 Äußern (als Komponente) 23, 116,148, 152, 183ff, 193f., 208, 253, 255, 259f., 263, 266,274 Äußerung 2 6 f f , 66, 148, 166, 172ff., 182, 210, 244ff, 254f„ 258f., 277f, 280ff, 284, 286ff. - Äußerungsform 24ff., 56, 66, 73ff„ 79, 122, 125, 164,273,284 - Äußerungsgrammatik 1,56f. - Äußerungskontext 73f., 244,278 - Äußerungsstruktur 131, 167, 171 f., 178 austreten (- eintreten) 127 ausweichen 168 'ausweichen', Ausweichmanöver 13, 29, 85, 132, 168, 232, 253, 270, 283 authentisch 59,61,69,71,169 authentischer Text 3f., 168
barsch 271,273 bedauerlicherweise 185f., 264 bedauern 116, 129, 185f., 264 sein Bedauern äußern 129 'bedauern' 129 Bedeutung 1 6 f f , 23, 57f„ 179, 288 - wörtlich 19f, 63f., 88, 1 5 9 , 1 7 4 f f , \ 7 9 , 186f., 190, 197, 1 9 9 , 2 1 I f f . , 214ff„ 217f., 237, 240, 243ÍT., 246, 250, 271 - allgemeine Bedeutungstheorie 7,172, 288 Bedeutungstypen 18, 20, 23, 68, 77 befehlen 136, 230, 264f., 270f„ 274, 282 Befehl ergeht 182 'befehlen' 12,105 beginnen mit der These 166 beglückwünschen 128f. (-» Glückwunsch) begnadigen 127 'begründen' 168,192 'Begrüßung' 129 (-> 'Gruß') 'behabitives' 9 behaupten 41, 101, 109, 117, 123, 144, 157, 161, 181, 189, 196, 201, 226,237, 239, 249, 254, 261, 264ff, 272, 276 behauptet wird 189
324 'Behauptung' 22, 24, 36f., 43, 89, 94, 100, 709,156, 196, 231,239, 251,272, 276 - 'gemildert' 115 Beileid aussprechen 128 Mein Beileid! 129f. sich bekennen zu 103 'Bekenntnis' 103, 127, 153, bekräftigen 168 'bekräftigen' 9 2 , 1 1 0 , 1 7 0 beleidigen 184, 194,259, 266ff., 274, 276 believe 116 bemerken 256, 268 benennen 126 einen Namen geben 126 sich bereit erklären 103,271 bereuen 1 2 7 , 1 5 1 , 1 5 3 , 2 7 9 berichten 147f., 255, 260 BERICHTEN
121
beschimpfen beschreiben
194f. (-> schimpfen) 147,274, 276
BESCHREIBEN
1 2 1 , 1 4 7 , 153, 196
BESTÄTIGEN 82,
¡00,112,119,152,190,
222,288 bestimmt 9 1 , 1 0 3 , 1 1 6 , 1 8 9 bet 51 Betonung 220, 250, 284f. (-> Akzent) 'Bewertung' 51 (—> 'wertender Sprechakt') bezeugen 127 Beziehung(saspekt) 76, 83,125ff„ 139,190, 201, 287 binär 74 bitte 106f., 138, 145, 163, 176f„ 181 ff., 200, 234, 236, 245ff„ 249, 262f., 271 Bitte 110, 139f., 181,250 -
richten
an
108,151
- erfüllen 151 bitten 44, 78, 108, 140f„ 182, 186, 194, 249ff„ 262f„ 265, 271 'Bitte' 41, 78, 106, 151, 139ff„ 175, 193, 198, 2 0 1 , 2 1 5 , 2 3 5 , 2 4 6 , 248 - um Erlaubnis' 140,248 - indirekt 235f. (-> PETITIV) Blödsinn 192,230 bloß 146, 160f., 226, 237 Briefe 35f„ 110,215 Bürgschaft übernehmen 103,127
could
175,243,247
conclude 15 condole 50, 95 confirm 15 congratulate 50, 95 CONSENSIV 9 0 , 1 0 6
criticize
156
dankbar 189,223 danke 124,129f„ 165,190, 198, 253 danken 83, 128, 189 bedanken 189 nichts zu danken 190 'Dank (sagung)' 190,223 dass-Satz 200,268 decision 'that'/-'to' 223 deduce 15 deduktiv 74f„ 165f., 276, 285 definieren 98, 126, 130 'Definition' 98 définit 68,162 DEKLARATIV, declarative 39,48,50ff., 8¡ff., 9 6 f f , 1 0 2 , 1 2 4 f f . , 130f., 157,189f., 198, 203, 218,223f., 227f., 234,236f., 239, 249, 254, 279,288 - repräsentativ 98f. - indirekt 223, 227Í, 236f. - idiomatisch 249 Deklarativsatz 81 DELIBERATIV 8 0 , 1 1 5 f f . , ¡19,121,
¡51 ff.,
182f„ 185,202,239,285 'demütigen' 12 denk daran... I99f., 282 Denken, Gedanke 6, 8 , 1 0 , 1 8 , 3 5 , 94, lOOf. 254 denn 28, 146, 160,231,243, 251, 253, 272 DESIDERATA 80, ! 1 7 f f , ¡52,160f. 202f. Dialog, dialogisch, Dialogizität lf., 6, 8, 13ff., 18f., 21,23f., 26, 29ff„ 34ff., 38, 40, 53, 55f., 94f., 114,172, 287ff. Dialoggrammatik 4, 24f., 27, 29f. 32, 53, 238 Dialogisches Handlungsspiel (-> Handlungsspiel) dialogisches Prinzip 5 f , 1 4 , 1 6 , 2 7 , 2 9 j f . , 32ff., 36, 55, 57,287 Didaktik, didaktisch 33, 86, lOOf., 114, 149, 289 direction of fit 24f., 2 7 , 2 9 , 4 7 , 4 9 ( - » Anpassungsrichtung)
325 DIREKTIV, directive 11,47,49f., 76ff., 80, 84ff„ 89/., 92f., 96, 1 0 2 , 1 0 5 f f . , 118ff., 13 Iff., 135ff„ 138, 141f„ 148f., 150f£, 157ff„ 165, 167f., 175,179f„ 189, 198ff„ 218f„ 230, 232,245, 253, 265,28If., 287ff. - indirekt 133, 145f„ 149, 151, 159, 161f„ 174f., 206, 2 1 1 , 2 1 5 , 2 1 9 f , 225ff., 233ff., 236, 238f. - idiomatisch 249f. - Handlungsspiel/Sequenz 94, 96, 141 disambiguieren 74, 277 Diskontinuität 277 Diskurs (—> Verständigungsdiskurs, -> Motivationsdiskurs, -»· Planungsdiskurs) Distinktheit 74, 166 doch 11, 87, 90ff., 133f., 144f„ 160f., 192, 204, 221,225, 230 Dreiersequenz 28 Dringlichkeit 27, 139, 143, 251 drohen 142, 194f., 280 'drohen' 12f„ 106,141,147, 150f„ 235 unter Druck setzen 274 Dubitativ 115 dürfen 117, 140,219,236,239, 283 dürfte 117,202 darf/dürfte. ..ich? 141,146, 149f„ 248f. 252, 263, 283 durchsetzen 167,280 Durchsetzungsdiskurs 9 4 , 1 6 7 f .
einzelsprachlich 24f„ 26f., 39,41 f., 44, 56, 66, 78, 80, 107, 121, 123f., 131, 238, 288 Ellipse, elliptisch 88,91, 200,204f„ 209, 227 emotional 11, 113, 116, 129, 140, 153ff., 161f., 203f., 207 Emotiv, emotiv 46, 95, 112 empfehlen 145 Emphase 152,189,224,251 empirisch ( - theoretisch) 3 , 2 6 , 3 0 , 3 6 , 4 0 , 42f, 45,49f„ 52, 54, 70, 72, 74f„ 172, 174, 212, 289 endlich 157, 226, 2 4 9 , 2 8 3 f . 'Entgegnung' 85, 190 sich entschuldigen 83, 128,130, 189 Entschuldige! 163,236 Entschuldigung! 80, 82,129, 224 'Entschuldigung' 155, 163, 223, 249 epistemische Einstellung (-> propositionale Einstellung) - Logik 23, 116f., 120ff. Erfilllungsanspruch 78, 105ff., 137ff., 142, 253, 283 erklären 97,103,125,127, 182,264 'erklären' 83, 168 erlauben 140 'erlauben', 'Erlaubnis' 140 (-> 'Bitte um Erlaubnis') ernennen 127 erpressen 142 ERPRESSUNG 1 4 2 , 1 5 0
effektive Kommunikation 234,289 (-> Kommunikation) ehren 194 Einheit der Sprachbeschreibung 24,28 - der Kommunikation 9 , 1 4 , 2 8 , 8 1 - von Grammatik/Semantik und Pragmatik 60, 64, 66f. - des Sprechakts 27, 39, 58,166, 172, 178, 280f., 285f. einladen 4 1 , 7 8 Einladung annehmen/absagen 78 'einladen' 140 einschüchtern 280 eintreten (- austreten) 127 Einverständnis erklären 127 einverstanden 285 'einwenden' 170
erwägen 115 Erwartungen 5 f , 11,25,165,243 'Erwiderung' 84f., 102, 132,232 erzählen 147, 193, 274, 276 ERZÄHLEN
121
essential condition/- rule 47f., 79,239 esurire 117,161 evaluate 156 exklamatorisch, exclamation 155,277 EXPLORATIV 84ff., 91, 95f, 99ff„ 13Iff., 157, 165, 189, 198,201, 204, 221f, 225ff., 232ff., 236,239,252f., 257, 265,288 - deklarativ 102ff, 127,131f., 135 - direktiv 102, 104, 131f., 135 - repräsentativ 102ff., 131 f., 135 - indirekt 221ff., 226ff., 233ff., 236f. - idiomatisch 252f. - Handlungsspiel/Sequenz 94,96, 99ff. 'expositives' 9
326 expressed psychological state 47,49, 95 EXPRESSIV, expressive 49f„ 76f„ 83,95f., U2ff„ 119, 1 2 8 , 1 5 2 f f . , 155, 164, 198, 202f., 223,251,276
Fähigkeit 219, 221, 225f. Fähigkeiten 3f„ 8,17,23f. - kognitive 3, 23, 61, 130, 173, 208ff„ 289 - perzeptive 3,130,208ff., 289 - sprachliche 3, 17, 24, 130, 173f., 208, 289 feststellen 144, 153, 157, 196,202, 265,276 'Feststellung' 25, 37,112, 196,222, 278 ( - > KONSTATIV)
fiktional 38, 120 Flexiv, flexivisch 72f., 97 'fluchen' 154, 251 (-> verfluchen) force multiplicity 186,226,264,279 formelhaft(e Wendung) 154,190,251,253, 286 Frage Alternativ- 133 didaktisch 86,100 disjunktiv 133ff. Echo- 277 Entscheidungs- 133 Examens- 88 Informations- 88,103 (-> 'informieren') insistierend 100 (—> 'insistieren') Instruktions- 148 (-» 'Instruktion') Lehrer- 28, lOOf. Mehrfach- 134f. Präzisierungs- 11, 22, 28 (-> Rück-) Prüfungs- 78f, 88, 100, 103 Quiz- 88 Rat- 146, 148 (-> 'raten') rhetorisch 86, 100, 102, 132, 155, 218, 251,272 Rück- 85, 100,102, 131 (-»Präzisierungs-, - » rückfragen) Satz- 13 Iff., 135 tag-question 100,133,222 Tendenz- 100,132f. Wort- 131, 134f. Frage-Antwort-Sequenz 34, 86, 88f., 94 fragen 41, 204,235, 249,252,266 die Frage wird gestellt 15, 189, 272
Fragehandlung ( - » EXPLORATTV) 46, 50f.,
84ff.,im. Fragelogik, fragelogisch 84f., 99,131 Fragemodus 97, 198,265 Fragepartikel 133 Fragesatz 87, 99ff., 202 (-» indirekter Fragesatz) Frequenz 3,59,70f., 123 Funktion, funktional 1,4ff., lOff., 14ff„ 18, 22,28, 72ff., 96ff., 168,188, 197, 217, 242,285,287 (-> Inhalt, inhaltlich) funktional äquivalent 27 Funktionsklasse, -typ 18, 29, 73, 75, 77/, 81, 84,94ff., 98, 116, 122,165f., 198, 229 - fundamental 81ff. - abgeleitet 98ff. Futur 58, 91, 117, 191, 201f., 205ff.
garantieren 127,195 'garantieren' 92, 195 gebieten 136 Gebrauchstheorie der Bedeutung 16 Gefühl, gefühlsbezogen 49, 109, U2ff., 125, 129 (-» Kundgabe von Gefühlen) Gegenhandlung 230 GEHORCHEN
106,137
geht in Ordnung 192 geloben 92 genau 190,192 generative Grammatik 3 - Semantik 60 gerne 106,190,192,213 gern geschehen 124, 130, 190, 253 ein Gespräch eröffnen 127 Gespräch 32,95 gesprächsstrukturierender Sprechakt 15 Gesprächstraining 169, 171 Gestik 25,209,280 glauben 23, 110, 112, I15f., 118, 157,213, 236, 239 einen Glauben äußern 116 GLAUBEN 112, 115,118,119,152,157,239 gleich 240, 250, 283f. Glückwunsch, Meinen - ! 129 (-> beglückwünschen)I graduell 38,47,49, 74, 107,215,240 Grammatik, grammatisch 1,19,27,38, 5 6 f f , 60, 63ff., 79,96f„ 117,120, 123,
327 125, 154, 162, 177,181, ¡92f, 197ff., 206,210, 246,255, 258,260, 264ff., 273f., 278, 28Iff., 285ff„ 289 (—> kommunikative Grammatik) grammatische Kategorien 45, 69, 72, 75, 87,96, 107, 115, 161, 181f., 197ff, 210, 265f, 272 'Gratulation' 4 8 , 2 2 4 gratulieren 83, 128 Meine Gratulation! 80, 198 Griechisch 115,161 grün 134, 144 Grüß Gott! 190 'Gruß', 'grüßen' 53,76,95,129f., 190 (-> 'Begrüßung') Grund 219f., 225, 229f., 238f., 240, 243f„ 270f. gut 11, 87, 90f„ 140, 158, 191f„ 204ff„ 235, 286 Guten Tag! 190
haben zu... 199,282 Handeln 8ff., 12, 18, 2 1 , 2 6 f f . , 29, 54, 59, 68, 130, 165, 173 Handlung 1 7 f f . 'Handlungsankündigung' 9 I f f . , 110, 128, 149ff., 191, 205ff, 228 'Handlungsanleitung' 105 Handlungsbedingung 4,24, 51,120, 124, 139, 141, 143, 153, 166,223, 258 Handl ungsñinktion 1 , 9 , 1 1 , 1 3 , 1 5 , 1 7 , 1 8 f f , 26f. (-> Funktion) Handlungsmuster 77/, 8 0 , 1 2 2 f , 138, 140, 148, 158f., 162f., 168, 234, 266ff., 276, 283 Handlungsprinzip Handlungsspiel 3ff„ 9 , 1 9 , 2 1 f f , 27, 32, 39, 61, 68, 96, 9 9 f f , 105ff, 108ff. 130, 137, 166, 168, 174, 210,234, 238, 278, 280, 287f. Handlungstheorie 1,38,142f. HandlungszuSAGE, ZUSAGEN 12f., 58,76, 78, 83f., 87, 8 9 f f , 92f., 104ff„ 135, 149, 205f., 208, 213,252,278, 288 - indirekt 229ff. - idiomatisch 252 "hedged performatives" 186 herausfordern 13 7 eine Herausforderung annehmen 137
'herausfordern' 137 Hermeneutik, hermeneutisch 4,32, 37 hiermit 116, 125,182ff., 189f., 193, 196, 260,262 Hintergrundinformation 66 höflich 88, 95, 97, 138, 140, 175, 182, 192, 242f., 247, 249, 252, 265, 282 höflich 262,271,273 Höflichkeit 27,44, 59, 97, 143, 191, 197, 205, 233f„ 249, 252, 254, 265, 282, 287 Höflichkeitswert 187 hörerseitig, hörerbezogen 9 , 4 7 Hörerperspektive 214, 217, 227 hoffen 152 hoffentlich 107, 118,160, 203 Homogenität 50, 56, 73f., 166 Hortativ 107, 138, 158f„ 198, 205 how about 176,212,246 Humanwissenschaft 4, 58,279
IDENTIFIKATIV 114, 119 Idiom, idiomatisch, Idiomatisierung 57,100, 176ff, 190, 200, 216, 221, 227, 232, 245ff, 25Iff., 272,280, 283ff., 287f. (—> Sprechakt, idiomatisch) illocutionary force indicating devices 58, 210 (—> Sprechaktindikatoren) illocutionary point 17ff., 2 2 , 7 6 , 9 5 , 270 Illokution, illokutiv 9ff., 1 4 f f , 18ff., 2 I f f . , 28ff., 39ff„ 47ff., 5Iff., 73, 75ff., 77, 8 0 f f , 9 6 f , 121ff. 165ff., 177fT., 261f„ 288 - direkt 219, 221, 223, 225ff„ 245, 270 indirekt 215ff., 219, 221, 223,225ÍT., 234, 237, 244, 270 - sequenzabhängig 100,229f., 232 Illokutionspotential 278 Illokationsklasse, -typ 22,29, 39f., 47f., 50, 54, 73, 76f, 80f, 166f„ 288 illokutive Funktion versus illokutiver Akt 80 Imperativ 58, 96, 137, 145, 179f., 197ff., 246, 250, 265 - rhetorisch 218,251 "indem-Relation" 58,279f. Indikativ 9 7 , 1 2 0 , 1 5 6 , 1 6 2 , 1 8 0 , 1 9 8 , 200ff, 256, 265f. indirekt 32, 93 (-> Sprechakt, indirekt) indirekte (r) Rede/Fragesatz 256, 267ff., 273 (-> Redewiedergabe, —> Fragesatz) - Aufforderung 2 1 5 , 2 3 4 , 2 5 6
328 individuell 2 1 5 , 2 3 8 , 2 4 2 induktiv 74 Infinitiv 2 0 0 , 2 2 0 'informieren' 8 8 , 9 5 , 7 / 0 / Inhalt, inhaltlich 6, 17,24f„ 34ff., 38, 72f., 77ff., 92, 167f., 172, 179, 242, 277, 280 Initiativ 6, 9, 1 1 , 1 4 , 2 1 f . , 28, 51 insistieren 168, 275f. 'insistieren', INSISTIEREN 41, 168, 171, 180, 220, 282 Institutionalität, institutionell 42, 48, 78/., 83,108, 127,130, 153, 166,188,191, 224 'Instruktion' 139, 148f. Integration 1 , 7 9 , 2 7 , 56, 61, 217 Intensität 27, 79, 275 (-> Stärkegrad) Intention 17, 19,42, 52f„ 54f„ 58, 279 Intentionalität 49 Interaktion, Theorie der sozialen - 63, 79, 122 Interdependenz 6, 11, 13,14, 29, 32, 57, 76, 81, 84, 89, 94, 133, 137ff., 164f., 24if., 288 Interesse von Sprecher und Hörer 48 Interjektion 154f. Intertextualität 31 f. Intonation (-> Akzent) 96, 154f., 160, 187, 198,200/., 220, 222, 253, 284 Iussrv 105//., 135//., 167,170f„ 197, 201, 228,250, 254,281ff.
ja (positiver Bescheid) 106, 112f., 116, 192, 209, 227, 239 - (Partikel) ja gut 140,191 jammern 154 jetzt 248f., 282,284 jetzt aber 201,282
Kategorie, Kategorisierung 74/., 159, 179 Kategoriensystem 166 kausal 1 1 , 1 3 , 1 1 5 Klassifikation 72f„ 75, 121, 268 klassifizieren 98, 126 können 87, 104, 115, 117, 139f„ 147, 149, 155, 159, 175, 191,206f., 219, 221f., 225, 237, 245, 247,269, 283
könnte 219, 225, 245, 247, 249f., 269, 271, 283, 285f. Kognition, kognitiv 4, 9, 17ff„ 22//., 27, 54, 61, 74f., 116, 130, 168, 185f., 209/., 224, 242,280, 289 kognitive Mittel 4,26, 53, 68,209, 281 Kohärenz 4 , 1 4 Kohärenzprinzip 27,287 kommandieren 142 KOMMANDIEREN 142 kommen zum Schluss, zum... Punkt 166 KOMMENTAR, KOMMENTATIV, KOMMENTIEREN 8 8 , 1 1 1 , 1 1 9 , 2 0 7 , 2 6 3 , 272 KOMMISSIV, commissive 4 7 , 4 9 , 8 3 , 90ff., 96,106, 127, 152,207 KOMMOTIV 113 Kommunikation, kommunikativ If., 8ff., 14, 17,18, 28, 52, 81, 120, 125f., 165, 214, 288f. (—> effektive Kommunikation, —> mündlich, schriftlich) Kommunikationspartner ix, 5f., 8ff„ 14, 18f., 21 f., 25, 31, 34f., 54, 81f., 84ff„ 92ff„ 104ff., 118ff., 124,126, 128f„ I33f., 136ff., 145ff., 153ff„ 158f„ 162, 165//., 173, 180, 202, 206, 208f., 222, 227,233, 235ff., 241, 251, 263, 285ff., 288 kommunikative Äquivalenz 183,185, 188 kommunikative Funktion 9,14,26f., 39, 58, 73f., 76, 98, 123, 165f„ 172, 176, 180, 210, 254, 258,275, 288 kommunikative Grundeinheit / 0, 81,288 kommunikative/pragmatische Grammatik l f „ 56//., 64f., 1 6 7 , 1 7 2 / / . , 188,288f. kommunikative Kompetenz 2, 59, 68f., 173, 186, 233, 247,287 'Kommunikative' 15 kommunikative Mittel 1 9 , 2 4 / / . , 40, 53, 56, 59,61, 68, 73, 166, 172//., 208ff., 280, 281,286f. 289 kommunikativer Zweck (—> Zweck) 24, 73, 173,289 kommunikativ-strukturelle Funktion 15, 168, 253, 289 kommunikativ-struktureller Sprechakt 15, 166, 171f., 274 Kompetenz X, 2/., 12, 66, 97, 114, 123, 125, 173, 186, 230, 233, 247, 258,265, 272, 286, 287
329 Kompetenz-in-der-Performanz χ, 3,173, 233,238, 289 Komplementarismus 63 Komplexität Χ, 7, 19, 51, 57, 61f., 64, 74, 119, 141, 143, 158, 766/, 173, 186, 233, 275, 289 ein Kompliment machen 165 Mein Kompliment! 129,165 •Kompliment' 129, 165,203, 231 KONDITIONAL 8 0 , ¡15/.,
119, 144, 1 4 7 ,
150f., 156//., 202 - assertiv 115 - deliberativ 115 kondolieren 83 'kondolieren' 48 Konjunktion 202 Konjunktiv 97, 117,120, 125, 138,156, 161 f., 198, 202f., 207, 216,243f., 247, 249, 252, 255f., 260, 286 KONSTATIV, constative 9 5 , 1 1 2 , 1 1 8 f . , 129, 148,151//., 157, 160, 164,168, 186, 196, 201,256/., 262, 265f„ 268, 272, 279 konstativ ( - performativ) 43, 53,184, 187, 196, 224, 259 Kontext, kontextuell 20, 73f., 92, 107, 124, 184, 188, 190, 200, 209, 214, 241f., 244, 247, 260, 274, 278, 289 Konvention, konventionell, Konventionalität 2ff., 9, 1 Iff., 13f., 34, 57, 60f., 184, 194, 213, 216/., 238,241/., 243f. Konversationsanalyse, konversationsanalytisch 1 3 , 3 0 , 3 3 , 8 9 , 1 6 5 Konversationsimplikatur, -maxime 61f., 186,214 Konversationsroutine 104 konzessiv 115 Kooperation, kooperativ 51,66,110,120, 138 Korpus 3, 59, 65, 70/. KREDITIV
112
Krieg erklären 127 Kriterien 72ff., 75ff., 78/., 166 Kritik üben 165 Kultur 25, 195 kulturell 19, 24//., 68, 107, 130, 166 kündigen 83, 98, 124f., 127,190, 262, 265 ich erkläre hiermit, dass ich kündige 83 'Kundgabe von Gefühlen' 112, 153, 223
lassen 107, 138, 140 Latein 161,180 es tut mir leid 85, 129, 155, 223, 236, 272 leider 90, 109, 191 Lexik, Lexikon, lexikalisch 75,108, 122Í, 176f., 18Iff., 193f., 197ff„ 203, 205, 207f., 258, 260,262ff., 265, 272f, 286 Licht schaffen 125, 130 ich liebe dich 153 'Liebesbekenntnis' 153 literarisch 6, 32,35,38 (—> poetisch) Literaturwissenschaft 31 ff. loben 164, 194f., 266ff., 274, 276 'loben' 195,276 lobpreisen 127, 194 Logik, logisch 62f., 156 Lokution 255f., 266f., 271 f., 277 lügen 194 'lügen' 120 "lumper" 42,52 Lyrik, lyrisch 36ff.
magisch 125,135 mal 175,247 materielle Handlung 8 f f , 29, 165, 167,255 mathematische Sätze) 36f., 109 Mehrpersonengespräch 35 meinen 41, 103, 116f., 157, 161, 193f., 265, 275 der Meinung sein 184,190,263 - , dass es zweckmäßig sein könnte 183, 185, 188, 263 die Meinung zum Ausdruck bringen 183 meiner Meinung nach 185, 188 Meinen 8,10, 18, 25, 34f„ 38, 69, 82, 84, 289 mental 121, 152 Metakommunikation, metakommunikativ 15, 126, 191,257 Metasprache 267 (-> Metakommunikation) Methodologie 2f., 16, 59, 65, 71 Mimik 25,154 Minimalsequenz 9, 14f., 28, 172 MITFÜHLEN
113,119,154
mitteilen 148,191,262 'mitteilen' 110 'sich mitteilen' 153
330 Modalverb 117, 120, 162, 186ff„ 198, 202, 207, 220, 240,243,249, 255,262, 273, 286 Modus, modal 79,161,197, 199,210,216, 220 mögen 203 möchte 23, 118, 132, 149,160, 186f., 191,208, 210,220ff., 236, 249,262f„ 267,269 möglicherweise 116 Möglichkeit 219,225,242 MoNITlV 105]/., 135, 138f., 142,167, 170, 201,228, 282ff. Monolog, monologisch 30, 34f., 94f. innerer 35 morphologisch 1, 97, 163, 183, 204, 231, 244 Motivationsdiskurs (Diskurs) 171 mündlich 148,208 ( - • schriftlich) müssen 103, 140,145, 186, 189ff., 219, 225, 236, 243,262f„ 267, 269, 282, 285 müsste 225, 243
'nachfragen* 29 naturwissenschaftlich (e Texte) 36f. Negation 205 Negationspartikel 216 Negationstest 195 negativer Bescheid 192,205,253 - indirekt 232 - idiomatisch 253 nein 85,91,94,115,192,209 'Neues mitteilen', Neuigkeit 88,95, 110, 112, 147f., 151, 153, 208 nicht (Partikel) 100, 216, 240, 243, 248 nicht wahr? 133,222 nötigen 274 Norm 117ff., 161f„ 164, 219, 225 NORMATIV 119, 154,162ff., 202 Notwendigkeit 219f., 225,242, 244 Nullkontext, neutraler Kontext 19, 63f. NUNTIATIV 88f., 95,11 Of., 112,118,119, 147ff„ 152f., 160,164, 201f., 256f., 265f., 272f., 279
object 9 OBOEDITIV
106
(Sprach-)Ökonomie, ökonomisch 79,92,97, 104, 116,124f., 138,159, 192, 198, 208, 234, 242,248, 260, 275, 287 offer 51 o.k. 106,192,202,286 open-endedness 5 Operative' 15 Optativ 161 Ordnung x, 173 Organon-Modell 46
Paraphrase, grammatisch, lexikalisch, kommunikativ 181 ff, 185,188ff„ 197, 262ff., 272 Partikel 117, 155, 161,163, 190, 192f„ 204, 210,216,244,247, 289 parturire 117,161 Performanz X, 2/., 12,25,60,63,74, 97, 123, 125, 173,212f., 238,241,244, 275 Performativität, performativ 42ff, 48,53, 60, 97, 123, 125, 173, 212f., 184ff„ 191, 193ff, 198f., 210, 228, 234, 255, 258ff, 261, 263, 268,274f., 289 explizit performativ 181 f., 188, 190f., 195ff, 204,206, 209,234,259, 262,276, 282 primär performativ 181,197 einfach performativ 187f., 210 modifiziert performativ 186ff, 189,191, 195f., 210,249 performativ ( - konstativ) 183,187,195f., 224, 259 (-> konstativ) Performativitätstest 116, 183ff. (-> Test) Perlokution, perlokutiv 9f., 11,12ff., 14/., 21, 23, 28ff., 40, 49f„ 57, 73, 76, 78, 81, 97f., 113f., 121f., 124, 130,156, 165ff„ 177f., 190ff, 195, 204ff„ 228ff, 237, 242,252f., 257, 261,265,269f., 279f„ 285f„ 288 Perlokutionsklasse,-typ 81,166,288 PERMISSIV
140
1. Person Singular Indikativ Aktiv Präsens 182 perzeptiv 19, 24, 26, 38, 61, 68, 75, 130, 172, 209/., 280/., 286, 289 PETOTV 78, 105//., 135,139//., 142f„ 161, 167,207,228 Philosophie 33,62 phonologisch 1
331 Phraseologisierung 178, 214f„ 216/., 242ff., 248,269 Physik χ ,2, 6, 37 Planungsdiskurs (-> Diskurs) 171 please 175,245,247 Poetizität, poetisch 5,31, 37f., 46 (-> lite rarisch) Position in der Sequenz 15,29,97 (-> Sequenz) 'positioner' 9 positiver Bescheid 211,240 Potentialis 115 Prädikat 185 Prädikation 77, 98,186, 203 prädikativ 2 1 , 1 8 4 , 2 5 8 f f . prädizieren 195 Präferenz (struktur) 142 Präsens 91, 153,191 Präsenz des Kommunikationspartners 5 Präteritum 153,252 Pragmatik, pragmatisch 3f., 19f., 57ff., 60ff., 66f., 77, ¡79ff., 210, 217, 244,289 pragmatischer Anspruch 179f. pragmatische Grammatik (-> kommunikative Grammatik) prahlen 194, 266ff„ 273 preparatory condition/- rule 48,79 Prinzip(ien) X, 5/., 9, U f f . , 19, 24, 2 5 f f , 29ff., 39, 49, 5If., 56f„ 60f., 62, 63, 65, 66, 73f., 79, 81, 89, 97, 120, 124, 145, 1 5 6 , 1 6 5 , 1 6 6 f f . , 173,198, 212/., 214ff„ 232//., 237,240ff„ 272, 280f., 287, 289 Unbestimmtheitsprinzip 2, 5/., 232f., 242 promise 19 Pronomina 262 Proposition, propositional 14, 18,21f., 23, 25f., 48ff., 57f., 63, 73, 77/, 79,98, 122ff, 125f„ 13 Iff., 135ff., 143ff„ 164f., 166, 174, 186, 203, 208, 247, 253f„ 257ff., 288 propositionale Einstellung/propositional attitude 23, 47, 53,116/., 121, 129, 152, 183//., 189ff., 193, 224,260, 263f. propositionaler Gehalt 48, 50, 108f., 122, 129,133,135//., 141, 147,156, 211, 218, 231,253 Prototyp 74f. Proverb 205 psychologisch 18
Quatsch
192,230
raten 85, 104, 123, 145ff., 223, 235, 263, 268,276 'raten', 'Ratschlag' 105,122,141f., 145//., 149, 158ff., 163f., 203, 223, 263, 268 'Ratfrage', 'Frage nach einem Rat' 86,146, 148 Rationalität 25,49,114,119 Reaktion, reagierender Sprechakt 10f., 14/., 18,22, 28ff., 32, 35, 51, 84, 146, 149, 232 Realisierung, sprachlich, situativ 141,155, 159f., 172,214, 285, 288 grammatisch, für Direktive 199ff. - , für Repräsentative 201 ff. - , filr Explorative 201 ff. (-> sprachliches Muster) Realität (der Sprachverwendung), real 124, 166f., 289 recht haben 109,115,118,133 'Rechtfertigung' 162f., 232 (-» 'vorwerfen') Rede 35 Rededeixis 172,205 wir reden noch darüber 167 Redewiedergabe 180f„254//. indirekte Rede 267ff., 271, 273f. direkte Redewiedergabe 261 (-» Sprechaktbericht, -> indirekte Rede) Referenz, referentiell 21,194f„ 259,262ff. 266ff., 274f. Referenztheorie der Bedeutung 16 referieren 195,254, 258ff. Regel ix, x, 2//., 166, 168,173, 195, 212 Regularität 2 , 5 , 6 0 , 1 2 4 , 1 7 3 Regeltypen (Searles - zur Bestimmung eines Sprechakts) 79 Reihenfolge 73 Relation zum sprachlichen Kontext 48f. Relevanz 214ff.,241 Relokution 13 "reminder"-Zug 206 reply 84 REPRÄSENTATIV, representative 11,23,49, 51, 80, 82, 89, 92, 93ff, 108//., 119, 143//., 148f., 165, 167f., 180, 186, 188, 198,219//., 226,227/., 229//., 233//., 237/., 256/., 264ff, 274, 288 - sequenzabhängig 232/.
332 -
indirekt 223,227f., 236f. idiomatisch 251 Handlungsspiel/Sequenz 94,96
RESPONSIV 84FF.,
bereuen 151 'Reuebekundung' 153 Rezeption 33 Rezeptionsästhetik,-forschung 31 Rezeptionspragmatik 33 Rhetorik, rhetorisch 27, 61, 218, 251, 289 rhetorische Prinzipien 27, 234, 287 rituell 194 routinisiert 148 Routine (formel) 80, 84, 224, 244f. rückfragen 277 (-)· fragen) Rundñinknachrichten 111
sagen 148,254f„ 265ff., 270ff. Sagen 255,266,272 Sanktion 105ff„ 136ff, 142f„ 150, 224 'Satisfaktiv' 89,106 Satzadverbiale (—» Adverbien) Satzakzent 154 (-» Akzent) Satzfrage (-> Frage) Satztyp 40, 45, 62, 64,198 schau, dass... 250 schimpfen 195 (-> beschimpfen) 'schimpfen* 113,155 Schlichtungsgespräche 94 Schlussfolgerung (sprozess) 57, 60ff., 66, 174f., 177, 180,21 I f f . , 235, 242, 279 schon wieder 283 schreien 277 schriftlich 34f., 91, 148, 191, 200, 208 (-» mündlich) schwören, beschwören 93f., 110, 128 'Schwur' 109f., 112, 128 segnen 127 sei so nett und... 139 Semantik, semantisch 19f„ 57f„ 6 0 f f , 64f, 7 7 , 1 7 9 f f , 187, 193, 195,200,212, 217, 219, 247,289 Semiotik 33 'sequencer' 9 Sequenz 29f, 51,96, 165, 168, 171 f. (-» Sprechaktsequenz, —> Position in der Sequenz)
sequenzabhängig 10f., 22,28fF., 49, 51 f., 57, 79,146, 163, 177, 193,204f., 208, 229,232f, 252,275, 278 Sequenzfunktion 178, 190,274 (-> kommunikativ-strukturelle Funktion) shall 175 sicher sein 224 sicher 116,186 aber sicher 190 sicherlich 189 sincerity condition/- rule 47ff., 79,223,239 (-> Aufrichtigkeitsbedingung) Situation, situativ 48, 56, 73f, 78ff., 106, 122f., 127, 130, 137, 139, I41ff., 148, 171,174ff„ 177., 180f., 184,188, 195, 197, 199,201,205,208ff, 214f„ 217ff„ 221,238, 240fr., 249, 2 5 1 , 2 6 4 f , 267, 269f., 27Iff., 278, 280ff., 284, 287 eine Sitzung eröffnen/schließen 83, 127 'eine Sitzung eröffnen' 79 small talk 53,129 sollen 86,104, 131f., 134, 151,158, 160, 1 6 2 , 1 7 9 f , 199f„ 210, 254f„ 282 sollte 127, 145f., 159, 162f, 202f., 219, 225,269,283 sozial 73,78, 106, 122, 127, 129, 137, 139, 141f. soziologisch 141ff. spekulieren 273 spezifisch 162 "splitter" 42 Sprachbegriff 7 f f . , 16,24, 288 Sprachbeschreibung 24 Sprache als natürliches Phänomen 7f. Sprachfìinktionen 40,45f. (-> Funktion) sprachliches Muster 160 Sprachökonomie (—> Ökonomie) Sprachpsychologie 33 Sprachsystem, sprachsystemorientiert 7f., 24, 63,67 Sprechakt 9, 1 8 , 2 6 f , 28, 40, 50, 73, 79f., 95, 1 6 5 , 2 8 1 f f . - direkt 20, 57, 6 6 , 1 7 4 f f „ 177ff., 198, 203, 210, 254,257, 272, 282, 288f. - lexikalisch ausgedrückt 18Iff., 190, 210, 262ff., 273, 282, 287 - grammatisch ausgedrückt 197, 209, 260, 264ff„ 272f., 282, 286 - indirekt 20, 57,60, 66, 86f„ 101, 104,
333 116, 118f., 146, 174ff., 177f„ 186f., 190, 192, 198, 2 0 3 , 2 1 I f f . , 227, 234, 241, 248, 257,268ff, 273,279, 283,286,288f. - idiomatisch 20,57, 141,176,177f., 190, 21 If., 221, 224, 245jf., 257, 27Iff., 283f., 286,288 - initiativ (—• initiativ) - reagierend, reaktiv (—» Reaktion) Sprechaktbericht 116,148, 1 9 7 , 2 5 4 f f . (Sprechakt-)Indikator 19, 58,155,162,172, 210, 216, 243ff.,248, 274ff., 286f., 289 (-> illocutionary force indicating devices) Sprechaktklasse, -typ 15,48ff., 51,56, 72ff., 77,80, 172, 276f Sprechaktsequenz (theorie) 13,24,28, 51, 172 (-> Sequenz) Sprechaktsyndrom 75, 117, 145, 159, 193, 275 Sprechakttaxonomie Iff., 22, 39,45ff., 72ff., 79, 98, 121, 141ff-, 165, 258, 288 Sprechakttheorie, sprechakttheoretisch 1, 9f., 13f., 18, 28f„ 31, 33, 40, 58, 63, 66f., 75, 89 Sprechaktverb 41 f., 44,48, 73, 75,76ff„ 92, 98, 116f., 121 IT., 125, 168, 181f„ 184, 193ff„ 197, 255f., 259f., 261, 265f., 272f., 274ff. Sprechaktverbtaxonomie 41, 42ff., 276 Sprecherbedeutung 215 Sprecherperspektive 214,217,227f. Stärkegrad 79 (-> Intensität, strength) Status 48, 127, 130,153 in Stein verwandeln 125 Stil, Stilistik 27, 48f„ 247, 256,263, 275f., 286 das stimmt 94, 116, 190f., 236, 322 Strategie, strategisch 139,168,171,216, 244 strength 47, 275 (-> Intensität, -> Stärkegrad) strukturell (—> kommunikativ-strukturell) suggest 158f., 275 Syntax, syntaktisch 1,60, 63ff., 97, 125f., 128, 135, 144, 151, 182, 187, 196, 198,231, 244, 262, 274
tadeln 164, 194f„ 266ff. 'tadeln' 195 täuschen 194 'täuschen' 101, 120
"tag"-Form 200, 250 (-> Frage, tagquestion) Taktik 171 taufen 48,81,98,127,130,189 'taufen' 98,166 tautologisch 253 Taxologie 72 Taxonomie, taxonomisch 7 2 f f , 98, 276, 288 (—>• Sprechakttaxonomie) Tempus 210,262 Tendenzfrage 100,132f. Terminologie, Termini 80 Test 117,195, 213, 228, 235, 260, 270, 275, 279 ein Testament schreiben 127 Text 29, 31, 172,289 (-> authentischer Text) Textlinguistik 66 Thema/Rhema 88, 111 thematisch 131 theoretisch ( - empirisch) 3, 20,40f., 43, think 116 turn-taking 34 Typologie 72f.
tibergehen 168 'übergehen' 170 überhaupt 251 tiberreden 194 überzeugen 194 'überzeugen' 12 übersetzen 126 Übersetzung, literarisch 32 um Gottes willen 155 Unbestimmtheitsprinzip (-» Prinzip) Universalität, universell 1,26f., 39, 41, 44, 57, 73, 80, 123, 131, 167, 172, 288 Unordnung 173 Unscharfe 212,242,283,287,289 Untermuster 47, 72f., 77ff., 80, 9 8 , 1 2 2 f f . , 165f., 228,232, 260, 266, 288f. - deklarativ 124 - explorativ 131 - direktiv 135 - repräsentativ 143 unterzeichnen 127 unzweifelhaft 116f. 'uptake' 5,54 'Urteilsspruch· 99
334 Vagheit, vage 124, 145, 155, ¡59f., 193f„ 211,232, 247,265Í, 279, 284 Variation 124,212,287 'Verabredung' 92 Verbalsyntagma 188 verbieten 138 'verbieten', 'Verbot' 137, 140 sich verbürgen 127 vereinbaren 127 verfluchen 127 Verflucht! 154,251 vergiss nicht... 199f., 282 verlangen 136, 197 verleiten 274 vermuten 116, 157, 184f„ 263 eine Vermutung ausdrücken 116, 184 'Vermutung' 121 vermutlich 115f., 119, 186, 263f. sich verpflichten 83, 127f., 130 die Verpflichtung eingehen 92 'Verpflichtung' 9Iff., 126ff. versichern 83, 92f„ 128, 224 'Versicherung' 128, 206, 224 versprechen 5, 19, 83, 9 I f f . , 103, 127, 150, 199, 206, 235, 259 'versprechen' 92f„ 128, 151, 207, 238f., 259 Verstand 125, 154 Verständigung 4, 8fl, 10f„ 14, 23, 77, 81, 165, 170, 172 Verständigungsdiskurs 1 6 6 , 1 6 7 f f . , 289 Verstehen ix, 9 f , 18f., 23,214 zu verstehen geben 194 einen Vertrag schließen 127 vertraglich festlegen 127 verurteilen 127 Verwendungssituation (-> Situation) verzögern 168 vielleicht 106,116,132,159,177 Vokativ 138f., 155 Vollständigkeit 74 vorgeben 194 vorhaben 91 'Vorhersage' 121,145,202 Vorlesung 35 vorschlagen 159, 186, 188,235, 259, 263 vorgeschlagen wird 182, 188 'Vorschlag' 105, 107, I41f„ 1 4 9 , 1 5 8 f f . , 164, 176, 182f., 187, 202, 212, 246,263, 286
sich/jemand vorstellen 129 Vorstellungstheorie der Bedeutung 16 Vortrag 34f. vorwerfen 163, 273 'vorwerfen', 'Vorwurf 101, 1 5 4 , 1 6 2 f , 226f., Uli., 232, 257,278 Vorwurfsäußerung 163,203
wahr 192,285 für wahr halten 189 wahr (kommunikativ) 94 Wahrhaftigkeit 110 Wahrheit 2 2 , 3 6 f , 196, 231 Wahrheitsanspruch 23, 36, 37, 76, 84, 88f., 143,196 einfach-modal 109, U9f. einfach 109ff, 144fT„ 201 modal 114ff, 156ff„ 201 Wahrheitstheorie der Bedeutung, 16,20,67 Wahrheitsfunktional 259 Wahrheitswert 196 wahrscheinlich 117 Wahrscheinlichkeitsprinzipien (—> Prinzipien) Wahrscheinlichkeitsschluss 213,217, 229ff, 232, 237, 240, 242 warnen 146f., 223, 234, 236, 268 'warnen', 'Warnung' 122, 1 4 1 , 1 4 5 f f . , 149, 151,158f., 164,203,209, 223,227f„ 268,278 sich weigern 270 weißt du...? 226 wenn (desiderativ) 107,118, 144, 160, 203 wen« (konditional) 115,144, 150f., 156f„ 160, 250, 283 wenn (temporal) 200,282 werten 165 'werten' 129, 146, 154,161, 164f„ 192, 195, 203, 223, 228, 231, 266, 273, 286 (-> 'Bewertung') 'Wette' 128, 150 widersagen 103 widersprechen 94 'widersprechen' 93f., 192 wie (expressiv) 95, 113, 154, 203 wiederholen 168 'wiederholen' 170 willkommen heißen 83,127 wirklich 163
335 Wissen 86f. wissen lassen 191 Wissensanspruch 86, 88f., lOOff., 111,133, 135,222 wissenschaftliche Texte 35 wohl 103, 117, 202, 221, 250, 271, 283f. wollen 87, 110, 149, 151, 202, 205, 214, 219, 221, 225, 235,249, 255, 269, 283f. Wollensanspruch 22f„ 36, 7 6 f f , 81 f., 84, 89,90,96, 100, 105ff„ 118, 124, 126f., 130, 132ff„ 165, 179f„ 196, 199, 205, 218, 222, 253 Wortakzent 19 (-> Akzent) Wortfrage (—> Frage) Wortstellung 97, 154f„ 198, 203f., 253 would 243,247 würde 87, 106, 145f„ 156, 160, 177, 202, 225, 245ff., 249f., 271, 283f. wünschen, Wunsch äußern 108,118,151, 269 Wunsch erfiillen 151 Wunsch richten an 108, 118, 151 'wünschen', 'Wunsch' 107f„ 118f„ 140, 144, 15Iff., 160ff., 187, 203, 219ff., 225, 239
Zeichen 24 sprachlich 166 Zeichensystem 2,130,166 'zitieren' 126 zuflüstern 123, 193,275, 277 'zugestehen' 168 Zum Teufel! 246 Zuordnung 24f., 41,44, 5 6 f f , 66f., 97, 154, 166, 172f., 178,234, 2 4 7 , 2 6 0 f f , 277, 288 Zuordnungstyp 75, 1 7 2 , 1 7 4 f f . , 178, 197, 219ff., 227ff., 234,236/., 251,257, 260f., 273, 280f., 288 zurückkommen auf 168 zusagen 92, 190, 193, 195, 206, 262, 264, 270, 276 ZUSAGEN ( - > HandlungszusAGE)
zusammenfassen 168 zustimmen 94, 177, 190,262f., 270, 285 'zustimmen' 9, 29,93f„ 168, 286 ZUSTIMMEN
120
Zweck 26 (-* kommunikativer Zweck) Zweckmäßigkeit 219,225 Zweiersequenz 9, 14, 28, 34f„ 167, 288