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German Pages 254 [256] Year 1978
Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft
Herausgegeben von Klaus Baumgärtner und Peter von Matt
Sprachdynamik und Sprach struktur Ansätze zur Sprachtheorie
Herausgegeben von Christopher Habel und Siegfried Kanngießer
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1978
Herausgeber für Sprachwissenschaft Klaus Baumgärtner (Universität Stuttgart) Herausgeber für Literaturwissenschaft Peter von Matt (Universität Zürich)
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Sprachdynamik und Sprachstruktur : Ansätze zur Sprachtheorie / hrsg. von Christopher Habel u. Siegfried Kanngiesser. - Tübingen : Niemeyer, 1978. (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft ; 25) ISBN 3-484-22025-2 NE: Habel, Christopher [Hrsg.]
ISBN 3-484-22025-2 © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1978 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Satz: Rothfuchs, Dettenhausen
Inhalt
Vorwort
IX
Christopher Habel & Siegfried Kanngießer Prolegomena zu einer Nicht-Saussureschen Linguistik Zusammenfassung 1 Methodologische Aspekte der Linguistik 2 Saussuiesche Linguistik 3 Chomsky sehe Linguistik 4 Revisionen der Chomskyschen Linguistik 5 Die Beiträge des Bandes Literaturverzeichnis
1 1 6 10 13 19 28
Peter Finke Sprache-Welt-Paare 1
Informelle Überlegungen zur kommunikativen Kapazität von Sprachen in Sprache-Welt-Systemen 1.1 Nichtimmanente Spracherklärungen 1.2 Restriktionen in Struktursystemen 1.3 Sprachen und Welten 1.4 Sprache-Welt-Systeme 1.5 Kommunikative Kapazität und Darstellungskapazität 2 Die Darstellungsadäquatheit von Sprachen in Sprache-Welt-Paaren 2.1 Sprache-Welt-Paare nullter Ordnung 2.2 Sprache-Welt-Paare erster Ordnung . . ·. 2.3 Sprache-Welt-Paare zweiter Ordnung 2.4 Sprache-Welt-Paare dritter Ordnung Literaturverzeichnis
31 31 34 35 39 42 44 44 47 51 53 56
Wolf Dietrich König Kommunikationsbedürfnisse, Ausdrucksadäquatheit, Sprachveränderung 1
Funktionale Sprachbetrachtung
57
VI
Inhalt 2 Natürliche vs. künstliche Sprachen 3 Kommunikationsbedürfnisse 4 Ausdrucksadäquatheit 5 Linguistik und Kybernetik 6 Synchronie und Diachronie Literaturverzeichnis
59 61 68 71 78 79
Siegfried Kanngießer Modalitäten des Sprachprozesses I Zusammenfassung 1 Singularität des Sprachprozesses 2 Funktionalität des Sprachprozesses 3 Ebenen der Sprachkonventionalität 4 Sprachinhomogenität 5 Sprachprozesse Literaturverzeichnis
81 81 89 95 107 131 138
Christopher Habel Phrasen-Struktur-Grammatiken mit bewerteten Ableitungen 1 Einleitung 2 Phrasen-Struktur-Grammatiken mit bewerteten Ableitungen 3 Einige mathematische Eigenschaften der G. i. A 4 Anwendungsbeispiele der Linguistik 4.1 Grammatikalität und Akzeptabilität 4.2 ,Status-Beziehungen'des Javanischen 4.3 Akzent 4.4. Grammatiken-Familien 4.5 Variable Regeln 4.6 .Kanngießer vs. Labov'oder ,Kanngießer und Labov' 5 Transformationsgrammatiken mit bewerteten Ableitungen 6 Zusammenfassung und Ausblick Literaturverzeichnis
141 147 153 158 158 160 165 165 166 170 171 173 174
Helmar Gast Zur kategoriellen Darstellung von Grammatiken 1 2 3 4 5 6
Einleitung Kategorien und Funktoren CF-Grammatiken Semantik Indizierte Klammerausdrücke Transformationsregeln
179 181 188 190 192 194
Inhalt 7 Einige spezielle Anwendungsmöglichkeiten 7.1 Bewertete Grammatiken 7.2 Einbettung der CF-Regeln in die Kategorie Τ Literaturverzeichnis
Walther Kindt Über S p r a c h e n mit Wahrheitsprädikat 0 1
Einleitung Bedingungen für die Widerspruchsfreiheit von Sprachen mit Wahrheitsprädikat 2 Prädikatenlogische Sprachen, Spracherweiterungen und eingeschränkt verwendbare Wahrheitsprädikate 3 Wahrheitsprädikate in partiell interpretierten prädikatenlogischen Sprachen 4 Wahrheitsprädikate in Sprachen mit Zitatfunktion 5 Die Behandlung des Prädikats „Heterolog" 6 Allgemeine Bemerkungen über Spracherweiterungen Literaturverzeichnis
VII 199 199 201 204
205 205 206 211 220 228 231 233 237
Personenregister
239
Sachregister
240
Vorwort
In den letzten beiden Jahrzehnten ihrer Entwicklung hat die Linguistik ohne Zweifel eine Reihe bemerkenswerter Fortschritte erzielt. Und es ist sicher, daß die Möglichkeit solchen Fortschritts primär durch die in den verschiedensten Hinsichten bahnbrechenden Arbeiten Noam Chomskys eröffnet wurden. Ebensowenig kann aber bestritten werden, daß im Verlauf der Entwicklung gewisse Beschränkungen immer deutlicher zu Tage traten, die der Forschung durch das Chomskysche Linguistik-Paradigma auferlegt wurden. Der Versuch, diese Beschränkungen im Zuge weiterer theoretischer Forschung zu überwinden, hat zu einer Vielzahl von teilweise schwerwiegenden Revisionen dieses Paradigmas geführt, sodaß fast schon von einer NachChomskyschen-Linguistik die Rede sein kann. Für diese ist nun charakteristisch, daß ihr Schwerpunkt nicht mehr auf der Behandlung syntaktischer und phonologischerProbleme liegt, sondern seman tische und pragmatische Probleme im Vordergrund des Interesses stehen; diese Verlagerung der Thematik — die im übrigen keineswegs notwendig eine prinzipielle Abkehr von den von Chomsky entwickelten Beschreibungstechniken impliziert — liefert natürlich neue Forschungsperspektiven, bringt es aber zugleich auch mit sich, daß an den Aufbau einer Sprachtheorie neue und nicht leicht zu erfüllende Anforderungen zu stellen sind. Dies gilt auch deshalb, weil die pragmatische und grammatische Untersuchung der Sprachen zunehmend als nicht mehr autonom, sondern als Komponente eines umfassenderen Forschungsansatzes verstanden wird. Im Rahmen dieses Ansatzes wurden schrittweise verschiedene Idealisierungen abgebaut, auf denen die Konzeption Chomskys beruhte, und diese Abschwächung des Idealisierungsniveaus hatte zunächst einmal zur Folge, daß der Komplexitätsgrad der anfallenden Probleme erheblich stieg. Die Einsicht etwa, daß die Struktur einer Sprache keineswegs gleichförmig ist, führte zu weitreichenden Umformulieningen des Begriffs der Sprachstruktur ¡entsprechend ergaben sich neue Desiderate für den Aufbau einer adäquaten Sprachtheorie, von der nunmehr auch zu verlangen war, daß sie auch Lösungen für Probleme wie das der Ausdruckskapazität einer Sprache, das der Sprachinhomogenität und der sprachlichen Variation und, damit untrennbar verknüpft, der Sprachdynamik
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Vorwort
bereitzustellen habe. Und in diesem Zusammenhang erwies es sich auch, daß die Berücksichtigung der sozialen u n d psychischen F a k t o r e n der Sprachpraxis der Individuen beim A u f b a u einer adäquaten Sprachtheorie eine keineswegs n u r ornamentale, sondern vielmehr eine systematische Bedeutung hat. In diesem erweiterten Forschungskontext ist auch das vorliegende Buch zu sehen. Über seinen A u f b a u ist an dieser Stelle wenig zu sagen; der einleitende Aufsatz der Herausgeber umreißt die zuvor angedeutete Perspektive etwas genauer, versucht Konsequenzen aus ihr zu ziehen und ordnet die in diesem Band e n t h a l t e n e n Aufsätze in sie ein. Diese Aufsätze gehören, betrachtet man die in ihnen vorausgesetzten methodologischen Positionen, sicher in die Chomskysche Tradition der Linguistik. Auf G r u n d ihrer T h e m a t i k j e d o c h sind sie in die Nach-Chomskysche Entwicklung einzuordnen, da in ihnen sowohl allgemeine Probleme einer Theorie der Sprachvariation u n d Sprachdynamik als auch speziellere, sicher aber gewichtige Probleme der Syntax und Semantik behandelt werden, u n d zwar durchaus im R a h m e n einer umfassenderen Perspektive. Diese weitgefasste Thematik, innerhalb derer zumindest teilweise auch versucht wird, die derzeit weitgehend vernachlässigte Tradition des linguistischen Funktionalismus für die Argumentation f r u c h t b a r zu machen, rechtfertigt wohl auch den sehr allgemein gehaltenen Titel, den wir für diese Buch gewählt haben. In den einzelnen Beiträgen wird versucht, einige der angedeuteten Probleme einer Lösung zumindest näher zu bringen, ohne daß damit der A n s p r u c h v e r b u n d e n ist, mit diesen Beiträgen insgesamt bereits eine systematische Konzeption für den A u f b a u einer Sprachtheorie vorgelegt zu haben ; dies soll durch den bescheideneren Untertitel z u m Ausdruck gebracht werden. Dessen unerachtet darf jedoch festgestellt werden, daß die in diesem Band e n t h a l t e n e n Beiträge in einer im Einleitungsaufsatz erläuterten, nicht zufälligen Art miteinander zusammenhängen, u n d daß dieser Zusammenhang teilweise sehr eng ist. Dieser Umstand ist vor allem darin begründet, daß die Aufsätze letztlich aus einer Vielzahl von gemeinsamen Diskussionen u n d Arbeitssitzungen der Verfasser hervorgegangen sind; was brauchbar an ihnen ist, ist sicher auch auf diese gemeinsamen Diskussionen der verschiedenen Probleme zurückzuführen. Gerd Lingrün hat dieser Diskussion wichtige Impulse gegeben. Dieser Band vyäre ohne ihn nicht u n d nicht in dieser F o r m zustandegekommen ; ihm h a b e n wir ganz besonders zu danken. Fast alle der Autoren dieses Bandes h a b e n ihre ersten linguistischen Gehversuche unter der kritischen Anleitung von W.P. Schmid g e m a c h t ; wenn dieser Band die eine oder andere vernünftige Idee enthalten sollte, so ist dies sicher auch sein Verdienst. Die Diskussion der theoretischen Probleme der Linguistik ist im Laufe der
Vorwort
XI
letzten Jahre gegenüber der Erörterung von Anwendungsproblemen und Relevanzgesichtspunkten sehr stark in den Hintergrund gerückt; eine Entwicklung, deren Berechtigung und Fruchtbarkeit an dieser Stelle nicht zur Debatte stehen soll und kann. Wir haben jedoch dem Max-Niemeyer-Verlag zu danken, daß er trotz dieser Situation diesen Band mit Beiträgen zur Theoretischen Linguistik in sein Programm aufgenommen hat. Schließlich sind wir dem „Einbecker F aß" zu Göttingen Dank schuldig, das — auf seine Weise — nicht unerheblich zum Zustandekommen dieses Buches beigetragen hat. Berlin—Osnabrück September 1977
Christopher Habel Siegfried Kanngießer
Christopher
Habel/Siegfried
Kanngießer
Prolegomena z u einer Nicht-Saussureschen Linguistik
Zusammenfassung: Im eisten Abschnitt des Aufsatzes wird, relativ zum Begriff der disziplinaren Matrix einer Disziplin, zwischen dem Zentrum einer Disziplin und ihrer Peripherie unterschieden; diese Unterscheidung ist verschiedenen von Quine vorgetragenen Überlegungen verpflichtet. Es wird zu zeigen versucht, daß sich der empirische Gehalt einer Disziplin an ihrer Peripherie entscheidet, und daß es deshalb gerade periphere Untersuchungen sind, die die Anomalien einer disziplinaren Matrix ans Licht zu bringen vermögen und zu Matrix-Revisionen fuhren können. Im zweiten Abschnitt wird dann zu zeigen versucht, daß das Zentrum der Linguistik noch immer durch die Prinzipien der Saussureschen Linguistik bestimmt ist; eine besondere Rolle spielt dabei das Internalitätsprinzip der Spracherklärung und Sprachbeschreibung, das mit gewissen, fur den Argumentationszusammenhang jedoch nicht relevanten Einschränkungen auch für die im dritten Abschnitt besprochene Chomskysche Linguistik konstitutiv ist. Beide von diesem Prinzip beherrschten Linguistik-Konzeptionen werden kritisch überprüft; im vierten Abschnitt wird dann darzulegen versucht, daß verschiedene periphere Problembereiche der Chomskyschen Linguistik, aber auch ein durchaus nicht peripherer Problembereich die Preisgabe des Internalitätsprinzips und damit den Verzicht auf die Idee einer Saussureschen Linguistik unabdingbar machen. Es werden einige Komponenten einer NichtSaussureschen Linguistik skizziert; im fünften Teil des Aufsatzes werden dann die Beiträge dieses Bandes unter den Gesichtspunkten einer Nicht-Saussureschen Linguistik vorgestellt.
1. Methodologische Aspekte der Linguistik Der Ausdruck „Linguistik" wird üblicherweise im Singular gebraucht, zumeist sogar in Verbindung mit dem bestimmten Artikel. Mit diesem Sprachgebrauch aber wird offenbar eine Einheit der Disziplin unterstellt, wie sie sich derzeit mit Sicherheit nicht nachweisen lassen wird. Wer also von der Linguistik redet, bringt gewissermaßen einen methodologischen Optimismus zum Ausdruck — zumindest insofern, wie er mit diesem Sprachgebrauch die Idee einer Systematik der Linguistik verknüpft. Denn es kann ja niemandem entgangen sein, daß die derzeitige Situation der Linguistik nicht durch das Vorherrschen einer solchen Systematik, sondern durch eine Mannigfaltigkeit wissenschaftlicher Schulen und Richtungen gekennzeichnet ist, daß das Auftreten einan-
Chr. Habel/S.
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Kanngießer
der ausschließender K o n z e p t i o n e n der Disziplin durchaus n i c h t unüblich ist, u n d daß es de facto
k e i n e n g e m e i n s a m e n N e n n e r gibt, auf den die derzeiti-
gen linguistischen Bemühungen z u bringen sind. 1 Mit anderen Worten: Es gibt k e i n e allgemein verbindliche disziplinare
Matrix
der Linguistik, deren Vorlie-
gen die unerläßliche Voraussetzung eine S y s t e m a t i k der Disziplin im angedeut e t e n Sinne darstellt; die F o r s c h u n g s s i t u a t i o n ist vielmehr d u r c h eine Fülle v o n Matrix-Alternativen b e s t i m m t , deren A u f t r e t e n geradezu t y p i s c h für Disz i p l i n e n ist, die v o n e i n e m einheitlichen A u f b a u n o c h w e i t e n t f e r n t sind. D i e Linguistik ist, in d i e s e m Sinne eine n i c h t - a b g e s c h l o s s e n e Disziplin. 2 D i e s e N i c h t - A b g e s c h l o s s e n h e i t der D i s z i p l i n bringt g e w i ß N a c h t e i l e mit sich speziell deshalb, weil sie das F o r t b e s t e h e n v o n K o n z e p t i o n e n begünstigt,
1
Daß dies so ist, wird klar, wenn man bedenkt, daß die Linguistik-Konzeptionen, die G. Heibig in seiner „Geschichte der neueren Sprachwissenschaft" (Reinbek b. Hamburg 1974) in den Kapiteln 3 - 7 sowie im Kapitel 9 in historischer Abfolge darstellt, de facto - gewissermaßen phasenverschoben - in der derzeitigen Linguistik miteinander koexistieren, oder besser: Entweder stellen die Vertreter der diversen Konzeptionen auf eine Konkurrenz der Ansätze ab, oder sie ignorieren einander wechselseitig: für beide Verfahrensweisen gibt es Beispiele. Daß angesichts eines solchen Konzeptionenpluralismus, der sozusagen von der Inhaltbezogenen Grammatik über die verschiedenen Forschungsprogramme im Rahmen der Pragmatik bis zur modelltheoretischen Semantik u n d weiter reicht, von einer systematischen Einheit des Faches nicht wohl die Rede sein kann, liegt auf der Hand; daß man überhaupt noch von einer Disziplin sprechen kann, ergibt sich primär aus dem Traditionszusammenhang, in den die Linguistik wie jede andere Disziplin gestellt ist — denn jede Wissenschaft ist ein historisches Unternehmen.
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Eine Disziplin heißt abgeschlossen, wenn sich in ihr ein Matrix-Monopol konstituiert hat; die Theorien einer Matrix heißen abgeschlossen, wenn es gute Gründe gibt anzunehmen, daß keine Erweiterung des Strukturkerns einer Theorie inkonsistent mit anderen, bereits vorgenommenen Erweiterungen sein wird; möglicherweise kann hier noch die Zusatzbedingung angeführt werden, daß die Strukturkerne der Theorien einer Matrix miteinander vernetzt sein müssen, allerdings könnte sich diese Zusatzbedingung als zu stark erweisen; sie ist also unter Vorbehalt zu sehen. Die hier verwendete Begrifflichkeit geht im wesentlichen auf Kuhn und Sneed zurück; cf. Kuhn (1970) sowie Sneed (1971). Erörterungen des wissenschaftsphilosophischen Für und Widers zu diesen beiden (eventuell nur wider die Intentionen ihrer Urheber miteinander verknüpfbaren) Ansätzen finden sich in Diederich (1974); Feyerabend (1976) liefert einer zwar virtuose, aber nicht immer stichhaltige Kritik auch einer historisch verfahrenden Wissenschaftstheorie. Eine Anwendung der hier bibliographisch belegten Ansätze auf die Linguistik findet sich (einschließlich einiger Modifikationen) in Kanngießer (1976a, 1976b, 1977): sie liegt den folgenden Ausführungen im wesentlichen zugrunde. Eine Kritik der Brauchbarkeit des Kuhn-Sneedschen Ansatzes für die Linguistik findet sich in Lang (1976).
Prolegomena zu einer Nicht-Saussureschen
Linguistik
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deren Fruchtbarkeit sich in eindeutiger Weise erschöpft hat. Sie bietet jedoch auch Vorteile, und zwar deshalb, weil eine nicht-abgeschlossene Disziplin es eher als eine abgeschlossene Disziplin ermöglicht, grundsätzlich neue Fragestellungen aufzuwerfen, dogmatisch verfestigte Annahmen zu kritisieren und zu eliminieren, neue Erfahrungen zu machen und aus neuen Erfahrungen zu lernen. — Quine charakterisiert Wissenschaften folgendermaßen: "... total science is like a field of force whose boundary conditions are experiences. A conflict with experience at the periphery occasions readjustments in the interior of the field." (Quine 1963, 42).
Im Sinne dieser, man kann vielleicht sagen: Feldkonzeption der Wissenschaften stellt sich die Linguistik als ein Feld mit hochgradig unscharfen Rändern und einem, im Gegensatz zu vielen anderen Disziplinen, ungemein heterogenem Innerem dar. Aber dies muß, wie gesagt, keineswegs gegen die Linguistik sprechen, sondern kann durchaus auch ein Indikator dafür sein, daß der Forschungsprozeß in der Linguistik expandierend verläuft, und daß an seinem Ende die Disziplin in der Fülle ihrer Aspekte insgesamt systematisierbar wird (, wenn nämlich eine solche Systematisierung sich dann überhaupt noch als wünschenswert und lohnend herausstellt), jedenfalls aber mehr Probleme einer Lösung zugeführt werden können als es möglich wäre, wenn dieser Prozeß durch vorschnelle methodologische Entscheidungen und Dogmatisierungen gleichsam kanalisiert und in seinen diversen Möglichkeiten einer Ausuferung, die sich sehr wohl als ungemein fruchtbar herausstellen könnten, dadurch beschnitten wird, daß die Wissenschaftlergemeinschaft sich Normen (etwa spezielle Exaktheitsverpflichtungen, bestimmte Empirizitätsnormen, etc.) auferlegt, die den Aufbau von Theorien erzwingen, die möglicherweise hochgradig strengen Formalisierbarkeitskriterien und Prüfungsanforderungen standhalten, zugleich aber kaum über erklärende Kraft verfügen, empirisch letztlich nicht signifikant sind und an denen kein wie auch immer geartetes praktisches Interesse bestehen kann. 3 Im Zuge eines solchen Vorgehens kann zwar die Einheit einer Disziplin gleichsam erzwungen werden, aber der Preis, der für diese Einheit bezahlt wird, ist in der Regel hoch: Die Forschung wird steril. Umgekehrt gilt, daß — wie sich unter Verwendung der durch Quines Metapher nahegelegten Terminologie sagen läßt — es gerade die peripheren Untersuchungen sind, die Arbeiten an den „Rändern" der Disziplin, die die Disziplin als Ganzes voranbringen können, obwohl sie — zumindest fürs Erste — kaum integrierende, sondern eher desintegrierende Kraft haben werden. Das Innere einer Disziplin, ihr Zentrum - die Strukturkerne eines Theo3
Zu Theorien dieser Art und ihrer Kritik cf. Feyerabend (1976, 102 sowie passim).
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Chr. Habel¡S.
Kanngießer
riennetzes, wie man im Rahmen des Ansatzes von Sneed sagen könnte (cf. Sneed 1971) — ist in aller Regel recht stabil; die Dynamik der Disziplin entfaltet sich an der Peripherie (in der Terminologie Sneeds: In der Erweiterung von Erweiterungen .... von Erweiterungen von Strukturkernen), und sie greift allmählich über auf das Zentrum der Disziplin, erzwingt Theorienwechsel oder, im Zuge der Akkumulation der Forschungsresultate, sogar Wechsel der disziplinaren Matrix, der diese Theorien angehören, und damit sogar grundsätzliche, aus der Konfrontation mit immer neuen Grenzbedingungen erwachsende Um· Orientierungen im Rahmen der gesamten Disziplin. 4 Denn, um es mit den Worten Quines zu sagen: "The edge of the system must be kept squared with experience; the rest, with all its elaborate myths or fictions, has as its objective the simplicity of laws." (Quine 1963,45).
Der empirische Charakter einer Disziplin entscheidet sich also an ihrer Peripherie, und eben deshalb sind es auch die peripheren Studien, die — letztlich — über die Fruchtbarkeit eines theoretischen Ansatzes entscheiden. Dabei ist offen gelassen und kann in diesem Argumentationszusammenhang auch offen gelassen werden, was nun genau unter dem Zentrum einer Disziplin — anders gesagt: unter einer Menge von Strukturkernen oder, im Fall fortgeschrittener Systematisierungen einer Disziplin, unter einem Netz von Strukturkernen — und was genau unter der Peripherie einer Disziplin — unter einer Menge bzw. einem Netz von Erweiterungen von Erweiterungen ... von Erweiterungen von Strukturkernen bzw. Kernnetzen - zu verstehen ist. Immerhin kann aber festgestellt werden, daß die Strukturkerne von Theorien bzw. die Netze solcher Strukturkerne — die natürlich den durch die Matrix der Disziplin festgelegten Bedingungen genügen müssen — aus allgemeinen, empirisch hochgradig unterbestimmten Aussagen aufgebaut werden, und daß es einige Erweiterungen gibt, die das Feld (im Sinne der Metapher von Quine) mit der Erfahrung verknüpfen und deren singulare Aussagen sozusagen die Grenzbedingungen des theoretischen Systemes sind. Die Unterscheidung zwischen dem Zentrum einer Disziplin und ihrer Peripherie, wie vage auch immer sie hier durchgeführt sein mag, 5 schließt also auch eine Unterscheidung zwischen vorwiegend theoretisch betriebener und vorwiegend konzipierter Forschung ein — denn einen Strukturkern errichten heißt auch: Die Basis für ein 4 5
Zur Disziplinendynamik und der Entwicklungsstruktur von Theorien unter besonderer Berücksichtigung der Linguistik cf. die in Anm. 2 genannten Arbeiten. Die hier verwendeten Begriffe lassen sich jedoch präzisieren; cf. insbesondere Sneed (1971). Für den speziellen Fall der Linguistik cf. hier Kanngießer (1976b) sowie auch Finke (1976).
Prolegomena zu einer Nicht-Saussureschen Linguistik
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möglichst allgemeines, erklärungsstarkes theoretisches System zu schaffen, und eine Kernerweiterung durchzuführen heißt auch, eine Theorie durch neue Anwendungen n e u e n Grenzbedingungen auszusetzen. Die Folge solch peripherer Forschungen kann eine Umstrukturierung des Z e n t r u m s der Disziplin sein (die Verdrängung eines bereits errichteten S t r u k t u r k e r n s durch einen n e u e n Strukt u r k e r n ) — u n d sie wird es sein, wenn im Zuge peripherer Forschungen Resultate erzielt werden, deren Integration in das theoretische System in signifikanter Weise nicht m e h r möglich ist. Umstrukturierungen dieser Art d ü r f t e n der Linguistik noch ins Haus stehen; die Disziplin ist bei weitem noch nicht so ausgereift, als daß ihre Entwicklung sich ohne tiefgehende Einschnitte vollziehen k ö n n t e . Und dabei ist es wichtig zu sehen, daß die Erschütterungen, denen das Z e n t r u m der* Disziplin ausgesetzt wird, ihren Ausgangspunkt in der Regel in Untersuchungen haben, die an der Peripherie der Disziplin durchgeführt werden — in Untersuchungen also, aus denen Problemlagen hervorgehen k ö n n e n , deren Lösung im R a h m e n eines vorfindlichen theoretischen Systems nicht mehr möglich ist, und die deshalb Neuansätze im Bereich der theoretischen Forschung erforderlich m a c h e n . Dabei ist klar, daß die respektiven Grenzziehungen zwischen dem Z e n t r u m einer Disziplin u n d ihrer Peripherie historisch bedingt sind; die Geschichte einer wissenschaftlichen Disziplin ist immer auch eine Geschichte der Transformation von peripheren Problemen in Probleme, die das Z e n t r u m der Disziplin b e t r e f f e n , u n d die Entwicklung von Z e n t r a l p r o b l e m e n zu Nebenproblemen. Im Verlauf dieses Prozesses wird das wissenschaftliche Wissen keineswegs notwendig akkummuliert (also, in einem zu erläuternden Sinne, „ u m f a n g r e i c h e r " ) , sondern vielmehr den spezifischen Gegebenheiten der Situation der Disziplin angepaßt, in der die Forschung betrieben wird — die Umstrukturierung von Disziplinen schließt somit die Möglichkeit zukünftiger Umstrukturierungen bereits mit ein. Teil der wissenschaftlichen Arbeit, so viel sollte deutlich geworden sein, muß somit auch immer die Auseinandersetzung mit der Tradition der Disziplin sein, und im Zuge dieser Auseinandersetzung m u ß versucht werden, die Matrix der Disziplin und das Netz der matrix-bestimmten Theorien so zu konzipieren, daß den sich aus der Situation der Disziplin ergebenden theoretischen u n d empirischen Erfordernissen R e c h n u n g getragen werden k a n n . " E a c h man is given a scientific h e r i t a g e " (Quine 1963, 4 6 ) — und das wissenschaftliche Erbe, daß der Linguist ü b e r n o m m e n h a t , ist im wesentlichen die Saussuresche Linguistik-Konzeption. Diese K o n z e p t i o n prägt, wie zu zeigen bleibt, die linguistische Forschung n o c h i m m e r ; sie speziell legt die Grenzen fest, die d e m Anspruch auf linguistische Erklärungen u n d Beschreibungen gezogen sind, vermöge einer spezifischen Unterscheidung zwischen Linguistik u n d Nicht-Linguistik, die ihrerseits Festlegungen darüber impliziert,
Chr. Habel ! S. Kanngießer
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was als Zentrum und was als Peripherie der Disziplin anzusehen ist. Und im Zuge der Auseinandersetzung mit der Saussureschen Linguistik, so ist zu hoffen, sollten sich dann auch Möglichkeiten für weitere linguistische Forschungen bieten, die es gestatten, die der Linguistik von de Saussure attestierten Erkenntnisgrenzen zu überschreiten. 6 — Bevor diese Möglichkeiten jedoch erörtert werden, ist zunächst zu skizzieren, wodurch die Saussuresche Linguistik gekennzeichnet ist — auf welcher Basis also der Saussuresche Ansatz beruht; erst dann kann erörtert werden, auf welche Art, mit welchen Konsequenzen und zu welchem Ende eine Umstrukturierung der Saussureschen Linguistik mit einiger Aussicht auf Erfolg vorgenommen werden könnte.
2.
Saussuresche Linguistik
Fortschritte in einer Disziplin zu erzielen heißt also auch und gerade, ihr Zentrum, das (im günstigen Falle) Netz ihrer Strukturkerne, zu riskieren, indem man ihr Problemspektrum erweitert, also periphere Studien treibt. Umso erstaunlicher ist es, daß in der Linguistik eine eigentümliche und ohne Zweifel konservative Tendenz besteht, sich der Forschungsmöglibhkeiten, die am Rande der Disziplin existieren, möglichst gründlich zu entledigen. Und zwar geschieht dies auf der Basis einer begrifflichen Unterscheidung, die auf de Saussure zurückgeht, und die speziell zu einer drastischen Aussonderung bestimmter Fragestellungen und damit geradezu zur Vermeidung möglicher Theoreme führt, die im Zuge der linguistischen Forschung erzielt werden könnten. Betroffen von dieser Aussonderung sind dabei vor allem die — wie sich zeigen wird: eng miteinander verknüpften — Probleme, die sich bei der Untersuchung der pragmatischen Ebenen der Sprachkonventionalität und bei der Untersuchung der Sprachdynamik ergeben. Wie kommt nun diese Aussonderung zustande? — Im Rahmen der Saussureschen Linguistik beruht diese Aussonderung zunächst auf einer, im fünften Kapitel des Cours getroffenen rigiden Unterscheidung zwischen einem inneren Bezirk der Linguistik und einem äußeren Bezirk der Linguistik, die nicht nur tendenziell eine Unterscheidung zwischen eigentlicher Linguistik und uneigentlicher Linguistik, zwischen Linguistik und Nicht-Linguistik darstellt (und deshalb auch nicht mit der zuvor getroffenen Unterscheidung zwischen dem Zentrum und der Peripherie einer Disziplin
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Im Zuge einer solchen Umstrukturierung sollten sich dann auch die Möglichkeiten zum Aufbau einer Angewandten Linguistik entscheidend verbessern lassen, denn die Schwierigkeiten, die sich hier bieten, sind nicht zuletzt eine Funktion der Defizite im Bereich der theoretischen Forschung. Cf. hierzu Kanngießer (1977).
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Linguistik
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verwechselt werden darf). In den äußeren Bezirk der Linguistik fallen nun die folgenden, bestimmt signifikanten Problembereiche: „diejenigen Punkte, durch welche die Sprachwissenschaft mit der Ethnologie in Berührung steht, alle die Beziehungen, die bestehen können zwischen der Geschichte einer Sprache und der Geschichte einer Rasse oder Kultur." „die Beziehungen zwischen der Sprache und der politischen Geschichte." „die Beziehungen der Sprache zu den Einrichtungen aller Art, Kirchen, Schulen, usw." „alles, was sich auf die geographische Ausbreitung der Sprache und ihre dialektische Zersplitterung bezieht." (de Saussure 1967, 24/5).
Der Objektbereich der Linguistik im sog. eigentlichen Sinne, der innere Bezirk der Sprachwissenschaft, ist mithin frei von allen Problemen, die sich in den angeführten Kontexten ergeben könnten, wobei es wichtig ist festzustellen, daß de Saussure diese exemplarisch durchgeführte Unterscheidung zwischen zwei Bereichen der linguistischen Forschung nicht naiv durchführt, sondern sehr genau gewußt hat, welche Konsequenzen sich mit ihr verbinden, und insbesondere auch die möglichen Einwände zu entkräften versucht: „Man hat die Trennung aller dieser Fragen von der eigentlichen Linguistik als ganz unmöglich hingestellt, ... "(de Saussure 1967, 26)
Einwänden dieser Art begegnet de Saussure mit folgendem Hinweis: „Bei gewissen Sprachen, wie dem Awestischen und dem Altkirchenslavischen, weiß man nicht einmal welche Völker sie gesprochen haben; aber diese Unkenntnis hindert uns nicht im geringsten, ihr inneres Wesen zu studieren und uns Rechenschaft zu geben von den Veränderungen, die sie erfahren haben." (de Saussure 1967, 26).
Man kann an dieser Stelle zunächst offen lassen, worin das „Wesen" einer natürlichen Sprache — ihr System, wie de Saussure auch sagt — nun besteht; auch so wird wohl klar, worin die Spezialität der Saussureschen Linguistik besteht: nämlich in der Annahme, daß das Wesen einer Sprache ganz unabhängig von den Faktoren betrachtet werden kann, die unter dem Titel „Äusserer Bezirk der Sprachwissenschaft" — ob vollständig oder nicht, steht hier nicht zur Debatte — aufgeführt worden sind. Diese Unabhängigkeitsbehauptung kehrt wieder im Zuge einer weiteren begrifflichen Unterscheidung, die de Saussure sozusagen flankierend einführt, und die er unter anderen in folgender Formulierung ausspricht: „Die Erforschung der menschlichen Rede begreift demnach zwei Teile in sich: der eine, wesentliche, hat als Objekt die Sprache, die ihrer Wesenheit nach sozial und unabhängig vom Individuum ist; diese Untersuchung ist ausschließlich psychisch; der
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Chr. Habel/S. Kanngießer andere Teil, der erst in zweiter Linie in Betracht kommt, hat zum Objekt den individuellen Teil der menschlichen Rede, nämlich das Sprechen einschließlich der Lautgebung; er ist psychophysich." (de Saussure 1967, 22).
Unterschieden wird hier offenbar zwischen Sprache und Sprechen, zwischen Sprachstruktur und Sprachgebrauch, und korrelativ dazu dann auch zwischen einer Sprachwissenschaft (i.e. Linguistik im eigentlichen Sinne) und einer Sprechwissenschaft, die dem äußeren Bezirk der Sprachwissenschaft zuzuordnen ist. Natürlich übersieht de Saussure dabei nicht, daß zwischen dem Sprechen und der Sprache vielfältige Wechselwirkungen bestehen, stellt jedoch fest: „Aber das alles hindert nicht, daß beide völlig verschiedene Dinge sind." (de Saussure 1967, 23).
Und, so muß man wohl ergänzen, völlig verschiedene Dinge können letztlich auch ganz unabhängig voneinander betrachtet werden; der Sprachgebrauch ist keiner der Parameter, die für die Untersuchung des Wesens der Sprache herangezogen werden m u ß , er ist, wie „alles, was nur dem äußeren Bezirk der Sprachwissenschaft angehört", der Sprache und „ihrem System fremd" (de Saussure 1967, 24). Es bleibt zu fragen, was im Rahmen der Saussureschen Linguistik unter dem Wesen einer Sprache, ihrem System, zu verstehen ist. Die Antwort auf diese Frage kann nun, wenn man Details vernachlässigt, sehr leicht gegeben werden: Ein Sprachsystem ist eine Menge von Sprachelementen (ein Vokabular im üblichen Sinne), auf der bestimmte Relationen, hier: sog. syntagmatische und paradigmatische Relationen definiert sind. Die Struktur dieses Relationalsystems ist, so die entscheidende Voraussetzung, unabhängig von allen Komponenten des äußeren Bezirks der Sprachwissenschaft; sie kann ohne Bezugnahme auf einschlägige Parameter und damit intern erklärt werden. Und damit wird auch klar, wodurch die Saussuresche Linguistik speziell strukturiert ist: nämlich durch ein forschungsleitendes Prinzip, daß man als das Internalitätsprinzip der Spracherklärung bezeichnen könnte, dessen Gültigkeit auch derzeit noch kaum in Frage gestellt wird, 7 und zwar unerachtet 7 Cf. hierzu die Ausführungen im Folgenden. - Ein besonders signifikantes Beispiel für die ungebrochene Gültigkeit des Prinzips stellt im übrigen die Unterscheidung diverser Präfix-Linguistiken dar, wie etwa Sozio-Linguistik, Psycho-Linguistik, Ethnolinguistik, etc., die sorgfältig von einer eigentlichen und praktisch auf Grammatiktheorie beschränkten Linguistik getrennt werden. Es ist aber nicht einzusehen, warum die Untersuchung von Relativsatzstrukturen im Deutschen eigentlicher sein soll als etwa die Untersuchung der Parameter, die die Dynamik der Lautstruktur des New-York-City-Englisch bestimmen, und es dürfte ferner erhebliche Schwierigkeiten
Prolegomena zu einer Nicht-Saussureschen
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des Umstands, daß die strikte Befolgung des Prinzips schon im Rahmen der Saussureschen Linguistik erhebliche Probleme aufwirft. Diese Probleme ergeben sich durch periphere Forschungen, speziell im Bereich der Diachronie. Die Saussuresche Linguistik läßt eine Betrachtung des Sprachsystems, der langue, wie de Saussure auch sagt, nur unter synchronem Aspekt zu; sie gestattet, mit anderen Worten, wohl die Analyse von : Zuständen des Sprachsystems, aber nicht die Untersuchung von Zustandsfolgen und damit auch keine Lösung des Problems der Sprachdynamik. De Saussure selbst spricht dies klar aus, daß Sprachprozesse nicht Gegenstand systematischer Linguistik sein können, sondern in den Bezirk der äußeren Sprachwissenschaft fallen: „Bei der diachronischen Betrachtungsweise hat man es mit Erscheinungen zu tun, die keinerlei Zusammenhang mit Systemen haben, obwohl sie die Bedingungen zu solchen darstellen." (de Saussure 1967, 102).
Mit anderen Worten: Die Bedingungen der Systemkonstitution können nicht erklärt werden; 8 entsprechend der zuerst aufgeführten Liste von Komponenten des äußeren Bezirks der Linguistik bleibt unerklärbar, welche Konsequenzen sich aus der institutionellen Einbettung der Sprache ergeben, sodaß eine Semantik bestimmter performativer Verben nicht mehr entwickelt werden kann, die Analyse bestimmter Sprechakte verunmöglicht wird; Prozesse wie die der Pdiginisierung und der Creolisierung nicht mehr adäquat thematisiert werden können, die Ausbreitung von Innovationen kann nicht mehr angemessen verfolgt werden, die Betrachtung politischer Gegebenheiten auf die Sprachstruktur — etwa auf das System der in der Anrede verwendeten Pronomina — entfällt; Fragen, wie etwa Whorf (1957) sie aufgeworfen hat, kommen nicht mehr zum Zuge — kurz: Die strikte Befolgung des Internalitätsprinzips der Spracherklärung führt zu schwerwiegenden Erklärungsdefiziten, wie speziell im Verfolg peripherer Forschungen, beim Versuch der Erweiterung des von de Saussure errichteten Strukturkerns, deutlich wird. 9
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machen, zu demonstrieren, daß etwa grammatik-theoretische Fragestellungen unabhängig von den Fragestellungen beantwortet werden können, die sich im Rahmen dieser sog. 'Präfix-Linguistiken stellen, im Gegenteil: Gerade der Vorgang der modelltheoretischen Semantik, deren formale Präzision wohl unstrittig ist, hat deutlich genug vor Augen geführt (Stichwort: Indexbegriff, Bedeutung von Performativsätzen), daß sich eine begründbare Grenze zwischen eigentlicher Linguistik und uneigentlicher Linguistik (qua Präfix-Linguistik) nicht ziehen läßt. Und auch dies spricht gegen die Gültigkeit des Internalitätsprinzips der Spracherklärung. Dieser Gesichtspunkt ist genauer ausgeführt in Abschnitt 1 des Beitrags von S. Kanngießer zu diesem Band. Natürlich ist diese Kritik der Saussureschen Linguistik nicht neu; sie ist, wenngleich
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Damit aber wird die Leistungsfähigkeit der Saussureschen Linguistik und die des sie regulierenden, forschungsleitenden Internalitätsprinzips der Spracherklärung problematisch; es besteht Anlaß, die anomalienbelastete Saussuresche Konzeption durch einen neuen, weniger restriktiven und speziell nicht nur vom Prinzip der Internalität der Spracherklärung beherrschten Ansatz zu ersetzen. Und hier nun ist zu fragen, ob Chomskys vielberufene „Revolution der Linguistik" (Searle 1972) den ohne Zweifel erforderlichen MatrixWechsel hervorgebracht hat; insbesondere bleibt zu prüfen, ob diese Revolution dazu geführt hat, daß die Probleme, die sich bei der Analyse der Sprachstruktur, des Sprachgebrauchs und der Sprachdynamik stellen (und die also nicht unabhängig voneinander sind), nunmehr in einem systematischen Zusammenhang abgehandelt werden können.
3.
Chomskysche Linguistik
Unter den bislang skizzierten Gesichtspunkten stellt sich mithin vor allem die Frage, ob auch in der Chomskyschen Linguistik das Internalitätsprinzip der Spracherklärung beibehalten wird; sollte dies der Fall sein, so ist zu klären, warum die von Chomsky eingeleitete „Revolution der Linguistik" - so Searle (1972) — eine derartige Bedeutung erlangen konnte, mehr noch: es ist zu fragen, ob der von Chomsky herbeigeführte Matrix-Wechsel durch die Verwendung des Ausdrucks „Revolution" überhaupt angemessen charakterisiert ist. Nun ist — und dies ist schon eine erste Antwort auf die gestellte Frage — schon häufig auf die Parallelität der Begriffe „langue" und „parole" bei de Saussure und „competence" und „performance" bei Chomsky (1965) hingewiesen worden; Chomsky selbst hebt die Parallelität dieser Begriffspaare hervor, die er als historische Rechtfertigung für seinen Ansatz ansieht. Und wenn Chomsky die logische Priorität der Kompetenztheorie gegenüber jeglicher Performanztheorie betont, so ist dies letztlich ein deutliches Anzeichen dafür, daß das Internalitätsprinzip der Spracherklärung im Rahmen der Chomskyschen Linguistik beibehalten wird. — Deutlicher wird dieser Zusammenhang, wenn man die Grundlagen der Kompetenz-Performanz-Dichotomie betrachtet, sozusagen die Bedingungen ihrer Möglichkeit. Diese Dichotomie beruht auf der für die gesamte Chomskysche Linguistik fundamentalen Homogeni-
in anderen Terminologien als der hier gewählten, schon oft formuliert worden; exemplarisch dürfte hier Coseriu (1974) sein. - Eine über den Rahmen der Saussureschen Linguistik hinausgehende Erörterung der Konsequenzen des Internalitätsprinzips findet sich in Kanngießer (1977).
Prolegomena
zu einer Nicht-Saussureschen
Linguistik
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tätsannahme, die ihren wohl schon klassischen Ausdruck in der folgenden Formulierung gefunden hat: "Linguistic theory is concerned primilary with an ideal speaker-listener, in a completely homogeneous speech-community (Chomsky 1965, 3).
Diese Formulierung beinhaltet zwei sehr starke Idealisierungen, vermöge derer das Internalitätsprinzip voll zum Zuge k o m m t , nämlich einmal die Idealisierung des Sprecher-Hörers, der sozusagen als den konkreten Bedingungen seiner Sprachpraxis nicht ausgesetzt gedacht wird, und die Idealisierung der Sprachgemeinschaft, die sich in der Annahme niederschlägt, daß die in einer Sprachgemeinschaft verfügbaren Sprecher-Hörer-Kompetenzen gleichförmig seien. 1 0 Damit aber werden alle Problemstellungen, die die sog. außersprachlichen Faktoren der Sprachpraxis betreffen (etwa soziale, situative, individualpsychologische Bedingungsverhältnisse, etc.), und die Anlaß zur Einführung eines Externalitätsprinzips der Spracherklärung böten, aus dem Bereich der Linguistik in den der schon erwähnten Präfix-Linguistiken verdrängt. Aus der Beibehaltung des Internalitätsprinzips und der damit bei Chomsky verbundenen Fixierung auf Grammatiktheorien (im engeren Sinne von „Grammatik") ergeben sich nun, wohl zu niemandes Überraschung, die gleichen Erklärungsdefizite, die auch für die Saussuresche Linguistik charakteristisch sind: Auch in der Chomsky sehen Linguistik ergibt sich ein Defizit an Problemlösungen im peripheren Bereich (,wobei hier „peripher" natürlich relativ zur Chomsky-Matrix der Linguistik gebraucht wird, denn beispielsweise der gesamte Bereich der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft ist hier so einzuordnen, obschon die linguistische Tradition ihn sehr deutlich anders gewichtet; die Unterscheidung „peripher" — „nicht-peripher" ist also im Anwendungsfalle immer Unterscheidung relativ zu einer eventuell, aber nicht notwendig dominanten disziplinaren Matrix) 1 1 . 10 Eine genauere Analyse der Homogenitätsannahme und der sich aus ihr ergebenden Folgerungen findet sich in Kanngießer ( 1 9 7 2 , Kap. 2); cf. auch Weinreich/Labov Herzog ( 1 9 6 8 ) zur Kritik dieser Annahme. 11 Dieser Gesichtspunkt wird in Abschnitt IV genauer behandelt. - Allerdings ist es wohl angezeigt, daraufhinzuweisen, daß Chomsky jedenfalls nicht umstandslos eine Übernahme des Internalitätsprinzips attestiert werden kann. Denn Chomsky ordnet auf Grund seiner sog. Angeborenheitshypothese (cf. Anm. 13) die Linguistik in die Psychologie ein, und versucht entsprechend, eine psychologische Erklärung für das Zustandekommen derjenigen Strukturen zu liefern, die die Klasse der natürlichen Sprachen festlegen. Bei der Erklärung des durch diese Strukturklasse definierten Spielraums möglicher sprachlicher Kontingenz - und nur der steht hier in Rede k o m m t allerdings das Internalitätsprinzip voll zum Zuge, sodaß die obigen Ausführungen, jedenfalls mit dieser Einschränkung, wohl akzeptiert werden können.
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Vor diesem Hintergrund wird man die von Chomsky bewirkte Revolution der Linguistik am ehesten wohl als eine methodologische Revolution kennzeichnen können; die mit ihr etablierten relevanten methodologischen Matrix-Werte sind: Explizitheit, Formalisierbarkeit und Prognosefähigkeit.12 Um diesen Werten in der Forschungspraxis gerecht werden zu können, war es notwendig, die Linguistik in einem bisher nicht bekannten Maße zu mathematisieren. Diese Mathematisierung äußert sich an zentraler Stelle etwa darin, daß die Explikation des Explikandums „Sprache" durch das mathematische Objekt „Menge" erfolgt; man vergleiche hierzu die folgenden Ausführungen Chomskys: "From now on I will consider a language to be a set (finite or infinite) of sentences, each finite in length and constructed out of a finite set of elements." (Chomsky 1957, 13).
Diese Definition des Begriffs „Sprache" stellt - sieht man von den gewiß nicht-trivialen, aber in diesem Kontext nicht relevanten Unterschieden zwischen den Begriffen „Satz" und „Äußerung" ab - keinen inhaltlichen, sondern einen methodologischen Umbruch dar; sie steht durchaus in der Tradition des amerikanischen Strukturalismus, insbesondere ist sie mit Bloomfields Sprachdefinition verträglich: "The totality of utterances that can be made in a speech-community is the language of that speech-community." (Bloomfield 1926, 26 - Def.4).
Nach Chomsky besteht nun die Aufgabe einer Grammatik bekanntlich darin, genau die Menge der wohlgeformten Sätze einer Sprache zu erzeugen, das heißt, die Grammatik G einer Sprache L legt den Begriff „ist ein wohlgeformter Satz in L" fest. Auf dieser Annahme über den Aufgabenbereich von Grammatiken bauen die von Chomsky und anderen entwickelten Formalismen der Erzeugenden-Systeme, der Phrasenstrukturgrammatiken und der Transformationsgrammatiken auf. Dabei ist es letztlich gleichgültig, welchen formalen Apparat man zur — im technischen Sinne — Erzeugung einer Sprache benutzt, denn das Adäquatheitsproblem für Grammatiken stellt sich offenbar matrix-intern, also als das Problem, zwischen den verschiedenen Typen von generativen Grammatiken empirisch begründet entscheiden zu können, und der Versuch, eine Antwort auf diese Frage zu finden, setzt fraglos die Geltung der Matrix voraus — er führt jedenfalls nur dann zu Folgeproblemen, wenn er zu dem Ergebnis führt, daß eine solche Entscheidung nicht begründet getroffen werden kann. 12 Eine Analyse der Chomsky-Matrix und ein Vergleich dieser Matrix mit anderen displinären Matrizen der Linguistik findet sich in Kanngießer (1976 a,b).
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Linguistik
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Im Bereich von Syntax und Semantik hat sich die Chomskysche Linguistik — und darunter ist hier wie im Folgenden generative Linguistik im weitesten Sinne, also unter Vernachlässigung von matrix-internen Unterschieden wie etwa denen zwischen generativer Semantik und interpretativer Semantik zu verstehen — mit zahlreichen Problemen auch empirisch auseinander gesetzt und Problemlösungen bereitgestellt, die innerhalb vorausgehender Konzeptionen nicht geliefert werden konnten. Gleichwohl haben gerade die erklärungsstärksten Arbeiten innerhalb der Matrix zugleich die Grenzen des Ansatzes definitiv vor Augen geführt (cf. hierzu Abschnitt IV), sodaß ein neuerlicher Matrix-Wechsel, der insbesondere die Aufhebung des Internalitätsprinzips der Spracherklärung mit beinhaltet, sich anzubahnen scheint. Dabei sollte es allerdings unumstritten sein, daß hier die Verpflichtung besteht, den methodologischen Standard zu erhalten, der durch die in der gelungenen Mathematisierung der Grammatik bestehende Chomskysche Revolution der Linguistik 13 errichtet worden ist; mit anderen Worten: Ebensowenig wie methodologische Strenge auf Kosten eines Verlustes an Problembewußtsein und Problemreichtum erzielt werden kann, so wenig darf auch das Problembewußtsein und die Vielfalt der Probleme eine Funktion methodologischer Nachlässigkeit sein.
4.
Revisionen der Chomskyschen Linguistik
Der unter dem Titel „Revisionen der Chomskyschen Linguistik" angesprochene Problemkreis soll im Folgenden nur exemplarisch abgehandelt werden, und zwar am Beispiel der Bereiche „Sprachdynamik und Sprachvariation," „Pragmatik" und „Semantik", die auch im Zentrum der in diesem Band vorgelegten Arbeiten stehen. Unter einer Revision wird dabei der Verfolg einer Forschungsstrategie verstanden, die nicht darauf abzielt, unter Voraussetzung 13 Möglicherweise ist es korrekter, hier von der ersten Chomskyschen Revolution zu sprechen, denn es ist nicht ausgeschlossen, daß Chomskys sog. Angeborenheitshypothese (cf. Chomsky 1972, 1975) auf die Linguistik eine ähnlich revolutionierende Wirkung haben wird wie die, die seine mathematischen Arbeiten zur grammatischen Struktur hatten. — Es ist im übrigen eine der Merkwürdigkeiten der linguistischen Diskussion, daß die Angeborenheitshypothese oft als die empirische Basis für die Chomskysche Linguistik bezeichnet wird. Umgekehrt herum wird wohl eher ein Schuh daraus: Die Chomskysche Linguistik soll die Argumente (und dies müssen nicht nur empirische Argumente sein; wir verweisen hier auf die Rolle, die das Prinzip der Strukturabhängigkeit in dieser Diskussion spielt) für die Angeborenheitshypothese liefern; die Linguistik ist insofern eine Subsidiärdisziplin der kognitiven Psychologie, und nicht umgekehrt.
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der Prämissen der Chomskyschen Linguistik eine möglichst große Anzahl von Problemen zu lösen, insbesondere auch nicht zu versuchen, das Zentrum der Disziplin zu vergrößern und die Peripherie so weit wie möglich hinauszuschieben, sondern der Verfolg einer Forschungsstrategie, vermöge derer — nach Aufhebung des Internalitätsprinzips, und ausgehend von bisher peripheren Problemen — ein neues disziplinäres Zentrum aufgebaut werden kann. 1 4 1. Sprachdynamik und Sprachvariation. Daß die natürlichen Sprachen in Variationen auftreten, also inhomogen sind, und daß sie sich verändern, sind Tatsachen, die unbestritten sind. Die Chomskysche Linguistik ist jedoch auf Grund der Homogenitätsannahme kaum in der Lage, sich mit den Problemen der Sprachdynamik und Sprachvariation bzw. Sprachinhomogenität auseinanderzusetzen; 1 5 insbesondere ist es in diesem Zusammenhang wichtig festzustellen, daß die Chomskyschen Idealisierungen nicht nur — wie wohl offensichtlich ist — Negativauswirkungen auf die Möglichkeiten einer Analyse der Sprachvariation in synchroner Hinsicht haben, sondern daß es unter Voraussetzung der Homogenitätsannahme schlechterdings unmöglich ist, Sprachveränderungen zu beschreiben und zu erklären. Da aber nun, wie die linguistische Tradition ausweist, das Problem der Sprachveränderung keinesfalls eine Marginalie der linguistischen Forschung darstellt, bleibt wohl nur die Feststellung, daß die Chomskysche Linguistik ebensowenig wie die Saussuresche Linguistik Möglichkeiten bereitstellt, Problemlösungen in diesem Bereich anzubieten; sie bleibt sogar, eine genauere Analyse würde dies zeigen, hinter den in Vorgänger-Konzeptionen entwickelten Erklärungsmodellen zurück, zumindest in diesem Bereich linguistischer Analyse. Dieses Defizit an explanativer Kapazität ist nun gewiß eine Funktion des Internalitätsprinzips der Spracherklärung, und so ist es nicht weiter verwunderlich, daß für neuere Ansätze in diesem Bereich (cf. etwa Labov (1972), 14 Eines der am häufigsten gegen die „Revisionisten" vorgebrachten Argumente richtet sich gegen die mangelnde oder nur geringe Explizitheit und den zumeist nur geringen Formalisierungsgrad der neuen Theorieansätze. Bei der Würdigung dieses Argumentes sollte man jedoch berücksichtigen, daß die Homogenitätsannahme und ähnliche Idealisierungen die Komplexität des Problembereichs erheblich reduzieren und die neuen Ansätze entsprechend einen ungleich höheren Komplexitätsgrad zu bewältigen haben. Insofern muß ihnen auch - es handelt sich meist um in der Entwicklung befindliche Ansätze - Zeit für die volle Ausreifung der Formalismen zugebilligt werden. - Hinzu kommt, daß es durchaus Arbeiten gibt, die den Werten der Chomsky-Matrix genügen; man vergleiche etwa die Formalisierung variabler Regeln, wie sie von Labov eingeführt wurden, durch Cedergren/Sankoff (1974). 15 Dieser Aspekt wird präziser ausgeführt in Weinreich/ Labov/ Herzog (1968), Kanngießer (1972) und Bailey (1973).
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Kanngießer (1972), Bailey (1973), Klein (1974), Habel (1977); cf. die verschiedenen einschlägigen Beiträge zu diesem Band), die sich in der Konstruktion von variablen Regeln, Grammatikenfamilien, Varietätengrammatiken, Sprach- und Satzbewertungen, im Aufbau von polylektalen Grammatiken und Implikationsskalen niederschlagen (und die bezüglich pragmatischer Aspekte sicherlich verallgemeinerungsfähig sind), die Annahme konstitutiv ist, daß es eben die sog. außersprachlichen Faktoren sind, die die Struktur der Grammatik, oder allgemeiner: die die Form der Sprachkompetenz der Individuen beeinflussen. Erst die Berücksichtigung außersprachlicher Faktoren (etwa: sozialer, situativer, historischer, geographischer, politischer, ... Gegebenheiten) ermöglicht es, Sprachvariationen und Sprachveränderungen nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu erklären; entsprechend thematisieren die genannten Ansätze nicht einfach, wie es das Internalitätsprinzip erfordert, Sprachen, sondern vielmehr Relationen zwischen Sprachen, SprecherHörern und, um einen möglichst neutralen Begriff zu benutzen, SprecherHörer-Umgebungen, wenngleich in unterschiedlichen Explizitheits- und Formalisierungsgraden, und tragen insofern zur Etablierung eines Externalitätsprinzips der Spracherklärung bei. 16 Gerade dies aber begründet die Behauptung, daß mit solchen Ansätzen ein Fortschritt gegenüber entsprechenden Versuchen innerhalb der Chomskyschen Linguistik erzielt wurde, wie sie etwa von Klima (1964) und Halle 16 Im Kontext dieser Ansätze, in denen das Internalitätsprinzip - unter unterschiedlichen Voraussetzungen und mit unterschiedlichen Konsequenzen - durch eine vollständige Aufhebung der Homogenitätsannahme zu erreichen versucht wird, nimmt Bierwischs Theorie der konnotativen Grammatiken (cf. Bierwisch 1976) eine Sonderstellung insofern ein, als in ihr durch die Annahme der Existenz einer zusätzlich zur eigentlichen Sprachkompetenz gegebenen konnotativen Kompetenz „systematische Heterogenität" Gegenstand der Forschung werden kann, ohne zugleich die Homogenitätsannahme aufgeben zu müssen. Da nun die Untersuchung der konnotativen Kompetenz, die auch die Analyse situativer, sozialer, etc. Faktoren erfordert, nach Bierwisch ebenfalls eine Aufgabe der sog. inneren Linguistik ist, ergibt sich hier die nicht ganz undelikate Folgerung, daß man das Internalitätsprinzip aufgeben kann, ohne zugleich die Homogenitätsannahme aufgeben zu müssen. - Das vermeintliche Paradox läßt sich jedoch auflösen, legt man Kanngießers Unterscheidung zwischen Sprachkonventionalität und Sprachintentionalität (in diesem Band) zugrunde: Bierwisch nimmt Homogenität unter dem Gesichtspunkt der Sprachkonventionalität, aber Heterogenität unter dem Gesichtspunkt der Sprachintentionalität an. Er übersieht dabei jedoch, daß diese Begriffe weder koextensional noch kointensional sind und keineswegs mühelos miteinander zu vernetzen sind (es sind vielmehr zwei ziemlich verschiedene Paar Stiefel, die man sich mit der Einfuhrung dieser Begriffe anzieht), und daß vor allem die Kritik der Homogenitätsannahme immer auch auf die konventionellen Aspekte der Sprachpraxis (und gerade auf diese) Bezug genommen hat, sodaß die Signifikanz des Bierwisch'schen Dualismus einstweilen unklar bleibt.
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(1962) vorgelegt wurden, und in denen es vermöge des Internalitätsprinzips bei der Konstatierung von Regelveränderungen und Regeleinschüben in Transformationszyklen blieb und bleiben mußte. 2. Semantik. Dieses Teilgebiet der linguistischen Forschung zeichnet sich beim derzeitigen Entwicklungsstand speziell dadurch aus, daß in ihm die für die Chomsky-Matrix charakteristische methodologische Strenge obwaltet und daß es, trotz eines nicht verkennbaren Ideenpluralismus, 17 einen relativ stabilen Kern innerhalb der Linguistik bildet. Wenn hier Stabilität konstatiert wird, so soll damit die Verschiedenartigkeit der diversen semantischen Ansätze nicht geleugnet werden; es dürfte jedoch zulässig sein, die Gemeinsamkeiten der Ansätze (Erfüllung der methodologischen Forderungen; Akzeptierung des Internalitätsprinzips) stärker zu gewichten, da sie zu einer weitgehenden Äquivalenz der verschiedenen vorgeschlagenen semantischen Systeme fuhren(Cooper/Parsons( 1976) zeigen, daß die generative Grammatik — und zwar in beiden Versionen, also unter Zugrundelegung einer interpretativen und unter Zugrundelegung einer generativen Semantikkomponente - und die Montague-Grammatik im wesentlichen miteinander kompatibel sind ; Bartsch (1972) argumentiert für die Äquivalenz von Montague-Grammatik und Natürlicher Generativer Grammatik). Und gerade der Umstand, daß auf teilweise sehr unterschiedlichen Wegen äquivalente oder fast äquivalente Lösungen für bestimmte Probleme gefunden wurden, dürfte dafür sprechen, daß im Gebiet der Semantik ein relativ stabiler Strukturkern errichtet wurde. Gleichwohl setzt das Internalitätsprinzip auch der semantischen Forschung Grenzen. Diese sollen hier exemplarisch an drei Problembereichen aufgewiesen werden, die in gewiß unterschiedlichen Graden peripher sind, zu denen Aussagen zu machen aber ebenso gewiß zu den Aufgaben der Linguistik gehört. Zunächst: Die linguistische Semantik und die psychologischen Theorien des Verstehens von Sprache sind kaum miteinander vereinbar; insbesondere ist noch kein Nachweis für die psychologische Realität der semantischen Repräsentationen gefunden: "... the semantic level, as linguists have generally conceived of it, does not exist." (Fodor/ Fodor/ Garrett 1975, 516)
17 Hier sind einerseits die eher traditionell-linguistisch orientierten Konzeptionen zu nennen, die durch das Paar interpretative vs. generative Semantik charakterisiert werden können; andererseits ist auf die modelltheoretische Semantik zu verweisen, die insbesondere von Montague entwickelt worden ist. - Beide Richtungen sind in Davidson / Harman (1972) vorzüglich dokumentiert; der Zusammenhang zwischen ihnen wird vielleicht bei Partee (1975) und Cooper/ Parsons (1976) am deutlichsten.
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Das heißt nichts anderes, als d a ß es bislang n o c h nicht gelungen ist, die Beziehungen zu strukturieren, die zwischen Sprachbedeutungen u n d Sprechern o f f e n b a r bestehen — u n d sie können o f f e n b a r auch nicht strukturiert werden, solange das Internalitätsprinzip vorausgesetzt wird. 1 8 Fast parallel dazu ist ein Einwand gegen die linguistische Semantik, der aus dem interdisziplinären Bereich zwischen Computerwissenschaften, Linguistik und Psychologie stammt, der der Untersuchung der sog. künstlichen Intelligenz gewidmet ist. 1 9 Diesem Einwand zufolge ist die linguistische Semantik defizitär, weil bei ihrem A u f b a u das Wissen der Sprecher-Hörer über die Verfassung der Welt nicht berücksichtigt wird — so h a t z.B. Charniak ( 1 9 7 7 ) gezeigt, daß eine Computer-Lösung des Referenzproblems in Texten ohne Wissen über die Welt nicht möglich ist. Und es ist gewiß mehr als eine bloße Pointe, daß dieser Einwand aus einem Bereich, in dem es primär u m die Entwicklung technologischer K o n z e p t e geht, durch Quines abstrakt-philosophische Argumentationen gestützt wird, denen zufolge zwischen Sprachwissen (in welcher F o r m auch immer es gegeben sein, implizit oder explizit) und Tatsachenwissen („Wissen über die Welt") ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis besteht, dieses o h n e jenes nicht möglich ist, u n d u m g e k e h r t (cf. Quine 1960). Dies führt wohl hinreichend vor Augen, daß selbst im Bereich der Semantik — sowohl u n t e r Grundlagenaspekten als auch u n t e r Anwendungsaspekten — noch eine Reihe von ziemlich f u n d a m e n t a l e n Problemen existiert, die im wesentlichen die Relationen zwischen Sprachen u n d SprecherHörern b e t r e f f e n , und die wohl schwerlich zu lösen sind, w e n n das Internalitätsprinzip nicht aufgegeben w i r d . 2 0
18 Insofern ist es nur konsequent, wenn von Montague ein solcher Existenznachweis gar nicht erst angestrebt wurde. 19 Cf. Eisenberg (1976) zum Verhältnis von Semantik und künstlicher Intelligenz. 20 Der Hinweis auf die Position Quines beinhaltet im übrigen keine Stellungnahme zu dem traditionsreichen Streit zwischen Chomsky und Quine (cf. Chomsky (1975) und die dort aufgeführte Literatur), der mittlerweile fast die Gestalt eines homerischen Disputs angenommen hat. Die in diesem Streit vertretenen Positionen scheinen uns vielmehr weit verträglicher miteinander zu sein als die respektiven Opponenten und Proponenten dies wahlhaben wollen - während Quine die Erlernbarkeit von Sprachen thematisiert (der Plural ist hier wichtig), behandelt Chomsky die Erlernbarkeit von Sprache (der Singular ist hier wichtig); diese beiden Fragestellungen aber können sehr wohl unterschiedliche, insbesondere aber auch miteinander verträgliche Antworten haben, wobei wir keineswegs übersehen, daß diese beiden Fragestellungen nicht beziehungslos nebeneinander stehen. Dies einzusehen ist aber etwas anderes als sie nicht voneinander zu unterscheiden (oder so zu tun, als unterschiede man sich nicht voneinander), was dann in der Tat Dispute von der Art des Diskurses zwischen Hektor und Achill nach sich ziehen kann.
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Überaus deutlich wird dies unter einem dritten Gesichtspunkt, der nun dem inneren Bereich der semantischen Forschung entnommen ist: Es ist weder innerhalb des generativ-linguistischen noch innerhalb des modell-theoretischen Ansatzes möglich, performative Verben ohne Berücksichtigung der diversen Bedingungen des Sprachgebrauchs und des situativen Kontexts adäquat zu behandeln — der Aufbau einer Semantik für performative Verben kann also nur dann gelingen, wenn zugleich das Internalitätsprinzip aufgegeben wird. Wem dies ein zu hoher Preis für die Vollständigkeit der semantischen Analyse ist, dem bleibt nur die Möglichkeit, die systematische Unvollständigkeit seiner Untersuchungen als Funktion eines höheren Prinzips zu rechtfertigen; damit aber dürfte das Internalitätsprinzip erheblich überstrapaziert sein. 3. Pragmatik. Die Grammatiken der Chomsky-Matrix setzen ein SprecherHörer-Modell voraus, demzufolge der Sprecher-Hörer nur über die Fähigkeiten eines Sätze produzierenden (die Wohlgeformtheit von Sätzen entscheidenden) Automaten verfügen; ihre darüber hinausgehenden sprachlichen Fähigkeiten können nicht Gegenstand linguistischer, sondern bestenfalls präfixlinguistischer Forschungen sein. Nun sind aber diese Fähigkeiten keine Marginalie, sondern ihr Vorliegen ist konstitutiv für die Möglichkeit sprachlicher Kommunikation, die sich eben nicht in der schlichten Äusserung von Sätzen, sondern im Vollzug von Sprechakten vollzieht. Der Begriff „Sprechakt" aber, der — in einem bestimmten Sinn — den Begriff der Sprecher-Hörer-Umgebung zumindest teilweise mit einschließt und mithin, ebensowenig wie der in diesem Kontext ebenfalls einschlägige Begriff der Konversationsanalyse, unter Zugrundelegung des Internalitätsprinzips gar nicht konstruiert werden kann, ist kein Begriff der Chomsky sehen Linguistik; er kann im Rahmen dieses Ansatzes nicht expliziert werden. 21 Entsprechend m u ß die Chomskysche Linguistik letztlich revidiert werden, wenn eine systematische pragmatische Forschung, in der auch der Zusammenhang zwischen Begriffen wie „Satz", „Äusserung", „Sprechakt" hergestellt werden soll, betrieben wird, und diese Revision bedeutet eben, daß das auch für die Chomskysche Linguistik konstitutive Saussuresche Prinzip der Internalität von Spracherklärungen und Sprachbeschreibungen aufgegeben werden muß. Und angesichts dieser Sachlage ist noch auf einen Umstand hinzuweisen, dem in diesem Kontext wohl einiges argumentative Gewicht z u k o m m t : Die skizzierten Revionsansätze sind in der Mehrzahl nicht eine Funktion einer 21 Zu den Begriffen „Sprechakt" und „Konversationsanalyse" cf. Austin (1962), Searle (1969) einerseits und Grice (1975), Gordon/ Lakoff (1971) andererseits; eine integrierte Konzeption der Pragmatik wird von Wunderlich (1976) skizziert.
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extern ansetzenden Kritik der Chomskyschen Linguistik, sondern eine Funktion der sich in dieser, also intern, ergebenden Defizite an Problemlösungen. Und daß ins Gewicht fallende Probleme ungelöst bleiben, rechtfertigt es, revisionistisch zu verfahren und für ein Externalitätsprinzip der Spracherklärung und Sprachbeschreibung zu argumentieren.
5.
Die Beiträge des Bandes
Die in diesem Band zusammengestellten Beiträge sind im wesentlichen revisionistisch (im erläuterten Sinne); ihr Gegenstand sind vor allem die Relationen zwischen Sprachen, Sprecher-Hörern und Sprecher-Hörer-Umgebungen, die — etwa in den in Abschnitt IV skizzierten Themenbereichen — genaueren theoretischen Untersuchungen unterworfen werden, in denen auch deutlich wird, daß zwischen diesen Themenbereichen ein systematischer Zusammenhang besteht. Auf Grund dieses Ansatzes wird man die Abhandlungen dieses Bandes als — wenngleich in unterschiedlichen Explizitheitsgraden — Beiträge zu einer funktionalistischen Linguistik auffassen können, in der das Internalitätsprinzip durch ein Externalitätsprinzip für Spracherklärungen und Sprachbeschreibungen ersetzt ist. Mit dem Beitrag von Peter Finke („Sprache-Welt-Paare") wird dabei ein ziemlich grundsätzlicher Beitrag zur Klärung der Bedingungen geleistet, unter denen eine linguistische Theorie auf das Internalitäts-Prinzip verzichten kann. Sie sind im wesentlichen dadurch gesetzt, daß Sprachen als Komponenten von sog. Sprache-Welt-Systemen verstanden werden; dieser Ansatz macht es möglich, den Grad der Adäquatheit einer Sprache für die Erreichung kommunikativer Zwecke über deren Angemessenheit an eine spezifische Welt zu bestimmen. Die Behandlung von Referenzproblemen beispielsweise, hier gedeutet als eine Funktion bestimmter Kommunikationsbedürfnisse, stellt in diesem Ansatz mehr dar als einen Versuch zu einer funktionalen Semantik; die Theorie der Sprache-Welt-Systeme zeigt vielmehr, daß es hier um Beziehungen zwischen der sprachlichen Praxis der Individuen, ihrer Art der Wirklichkeitserfahrung und den von ihnen vorgenommenen sprachlichen Kodifikationen dieser Wirklichkeit geht. Finke nimmt dabei in seiner Argumentation auf ein sogenanntes Modellverfahren Bezug, das er relativ zu Ansätzen in der sprachanalytischen Philosophie (Austin, Hintikka, Strawson) entwickelt hat. In seinem Beitrag beschränkt er sich auf die Erörterung der grundsätzlichen sprachtheoretischen Problematik, wie sie bereits bei einer Analyse der einfachsten Sprache-WeltSysteme, nämlich der Sprache-Welt-Paare, studiert werden kann. Die philosophische Ausgangsposition verhindert es übrigens in diesem Fall, daß Finke zur
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Absicherung seiner Argumentation auf ontologische Prinzipien zurückgreifen muß, wie sie in vergleichbaren Argumentationszusammenhängen häufig genug in Anspruch genommen wurden — mit allen Problemen, die ein solches Vorgehen einschließt. Demgegenüber wird in Finkes Aufsatz die Perspektive deutlich, unter der es möglich sein könnte, die auf dem Gebiet der Semantik erzielten Resultate in eine umfassendere funktionale Sprachbetrachtung einzubeziehen. Der zentrale Teil der Arbeit besteht in der Konstruktion einer Hierarchie von Sprache-Welt-Paaren, relativ zu der ein funktionaler Begriff von Sprachadäquatheit definiert wird. Finke konzentriert sich dabei auf den Teilaspekt der Darstellungsadäquatheit einer Sprache und entwickelt eine allgemeine Hypothese darüber, welche Struktureigenschaften Sprachen aus funktionalen Gründen aufweisen müssen, wenn sie geeignet sein sollen, einen bestimmten Typ von Kommunikationsbedürfnissen, nämlich Darstellungsbedürfnisse, zu befriedigen. Der anschließende Aufsatz von Wolf König („Kommunikationsbedürfnisse, Ausdrucksadäquatheit, Sprachveränderung") ist dem Versuch gewidmet, einige Grundbegriffe einer nicht-saussureschen und damit funktionalistischen Linguistik einer genaueren Explikation zu unterwerfen. König untersucht dabei zunächst, hier an Ausführungen Finkes anschließend, unter welchen Bedingungen man sinnvoll sagen kann, daß Sprachen Kommunikationsbedürfnisse befriedigen bzw. wie „Kommunikationsbedürfnis" überhaupt zu verstehen ist. König geht dabei von der Annahme aus, daß die Kommunikationsbedürfnisse der Individuen in einer bestimmten Art darin zum Ausdruck kommen, daß sie in bestimmten Situationen bestimmte Sätze mit einer bestimmten Bedeutung gebrauchen: der situationsadäquate Gebrauch der Sprache ist also das allseitig praktizierte Verfahren zur Befriedigung von Kommunikationsbedürfnissen. Kennt man die Bedingungen dieses Verfahrens, sind die genannten Probleme gelöst. Nun mag dieses Verfahren trivial anmuten (die oben gegebene Charakterisierung scheint eine Binsenwahrheit zu sein, aber hier trügt eben der Schein: Selbstverständlichkeiten sind etwas anderes als die Erklärung von Selbstverständlichkeiten); König zeigt jedoch, daß die Sprecher-Hörer, um dieses Verfahren praktizieren zu können, über Kompetenzen verfugen müssen, die weit über die hinausgehen, die Chomsky ihnen als grammatische Kompetenz attestiert hat. Bei einer genaueren Analyse dieses Verfahrens muß nämlich, wie König ausführt, angenommen werden, daß jeder Sprecher-Hörer (unter gewissen Voraussetzungen) über die Fähigkeit verfügt, für jede für ihn mögliche Situation sagen zu können, ob er in ihr einen gegebenen Satz äußern würde oder nicht — der kommunikative Wert, den ein Satz fur einen Sprecher-Hörer haben kann, ist demzufolge durch die Menge der Situationen festgelegt, in der der Sprecher-Hörer diesen Satz äußern könnte. König untersucht also in diesem spezifischen
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Sinne Relationen zwischen Sprecher-Hörern, Propositionen u n d Situationen, wobei das S t u d i u m dieser Relationen zugleich eine Untersuchung der Struktur der Kommunikationsbedürfnisse ist, die die Sprecher-Hörer h a b e n k ö n n e n . Insofern impliziert die Untersuchung aber auch spezifische A n n a h m e n über die Ausdrucksadäquatheit von Sprachen; dabei fuhrt König in Abschnitt 2 seiner Arbeit eine knappe Analyse der Adäquatheitsbedingungen für natürliche und nicht-natürliche Sprachen durch. Sofern n u n die Kommunikationsbedürfnisse der Individuen sich ändern, müssen korrelativ dazu auch Sprachveränderungen durchgeführt werden. In dem resultierenden Veränderungsprozeß müssen j e d o c h gewisse Spracheigenschaften erhalten bleiben oder, sofern sie verloren gehen, wiederhergestellt werden (cf. hierzu auch den Abschnitt 4 des Beitrags von Kanngießer); eine dieser Eigenschaften, deren Erhaltung unvermeidlich ist, ist n u n , so König, eben die der Ausdrucksadäquatheit. Er erörtert dabei speziell, u n t e r welchen Bedingungen diese Spracheigenschaft gegenüber „ s t ö r e n d e n " Umgebungseinflüssen aufrecht erhalten werden k a n n ; seine A r g u m e n t a t i o n baut dabei im wesentlichen auf verschiedenen aus der Kybernetik bekannten A n n a h m e n auf, speziell geht es dabei u m eine „Linguistisierung" der Theorie der sog. ZO-Systeme, deren Anwendung auf natürliche Sprachen einen Begriff der Sprachdynamik an die H a n d geben soll. 22 Sprachprozesse — und damit die Probleme der Sprachdynamik — stehen auch im Z e n t r u m des anschließenden Beitrags von Siegfried Kanngießer („Modalitäten des Sprachprozesses I"). In Abschnitt 1 dieses Beitrags wird die These entwickelt, daß der Prozeß der Sprachveränderung ein singulärer Prozeß ist, u n d daß die Hauptschwierigkeit, der j e d e r Versuch einer Erklärung dieses Prozesses ausgesetzt ist, darin besteht, demonstrieren zu k ö n n e n , daß der Sprachprozeß trotz seiner Singularität ( u n d hierin dem Prozeß der Evolution ähnlich) nicht chaotisch, sondern von Gesetzen beherrscht abläuft, sodaß sich über ihn allgemeine u n d mithin, in letzter Instanz, auch erklärende Aussagen machen lassen. Die Möglichkeit solcher Aussagen wird dann als in der Funktionalität des Sprachprozesses begründet angesehen, das heißt, daß Sprachprozesse als eine F u n k t i o n sich verändernder K o m m u n i k a tionsbedürfnisse bzw. sich ändernder Lagen des K o m m u n i k a t i o n s b e d a r f s in einer Sprachgemeinschaft gedeutet werden. 2 3 Im Zuge des Versuchs, eine 22 Der in diesem Zusammenhang vielleicht naheliegende Versuch, eine Kompensationstheorie der Sprachveränderung zu konzipieren, wird in dem Beitrag von Kanngießer zu diesem Band in § 1.4 kritisiert. 23 Es ist sicher angebracht, darauf hinzuweisen, daß der Begriff „Kommunikationsbedürfnis" in den Beiträgen zu diesem Band in teilweise unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht wird.
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Chr. Habel/S.
Kanngießer
funktionalistische Sprachtheorie ansatzweise auszubauen, unterscheidet Kanngießer dann — im Zusammenhang mit einer Analyse des Begriffs der Sprachkonvention - zwischen die Sprachpraxis der Individuen beherrschenden Performanzgesetzen und Kompetenzkonventionen; ferner werden verschiedene Ebenen der Sprachkonventionalität gegeneinander näherungsweise abgegrenzt. Ferner versucht Kanngießer zu zeigen, daß zwischen Sprachkonventionalität (und damit dem Bereich der Sprachstruktur, im weitesten Sinne) und Sprachintentionalität (dem Bereich des Sprachbewußtseins, der Sprachbewertungen im weitesten Sinne) strikt zu unterscheiden ist, wenn eine Analyse der Modalitäten des Sprachprozesses mit Aussicht auf Erfolg versucht werden soll.24 Diese begrifflichen Unterscheidungen liefern dann den Rahmen, innerhalb dessen Kanngießer eine Theorie des Sprachprozesses und der Sprachinhomogenität, die in diesem Zusammenhang zweifellos von besonderer Bedeutung ist, aufzubauen versucht. Er baut in diesem Zusammenhang, beschränkt allerdings auf die Ebenen der Sprachkonventionalität, ein formales Modell koexistierender Sprecher-Hörer-Gruppen und koexistierender Systeme von Sprachkonventionen auf; diese Systeme und die Gruppen, die vermittels einer auf Carnap zurückgehenden Theorie der Attributenfamilien auch extralinguistisch charakterisiert werden, werden dann im Rekurs auf den Begriff des Kommunikationsbedarfs in Beziehung zueinander gesetzt. Die so gewonnene begriffliche Konzeption, deren Anwendbarkeit am Beispiel einer fiktiven natürlichen Sprache zu illustrieren versucht wird, soll dann, mit gewissen Erweiterungen, auch die Behandlung von Sprachprozessen gestatten, bei deren Erörterung insbesondere zwischen Sprachinnovationen und Sprachmodifikationen unterschieden wird; der Beitrag schließt mit einigen Bemerkungen über mögliche Typen von Sprachmodifikationen 25 und über die Notwendigkeit, die linguistischen Universalien in diachroner Perspektive als Erhaltungsgesetze deuten zu müssen. Christopher Habel konzentriert sich in seinem Beitrag („Phrasen-Struktur-Grammatiken mit bewerteten Ableitungen") ebenfalls auf Probleme der Sprachinhomogenität und Sprachvariation. Habel geht davon aus, daß es nicht hinreichend ist, unter Sätzen lediglich strukturierte Ketten über 24 Die in dem anschließenden Beitrag von Habel entwickelte Argumentation ist zwar mit dieser Unterscheidung konsistent, jedoch nicht mit den Konsequenzen, die Kanngießer aus ihr zieht. 25 Der in dem Beitrag von Kindt entwickelte abstrakte Spracherweiterungsbegriff ist sicherlich auch im Rahmen einer Theorie der Sprachmodifikationen verwendbar, wenngleich auch die erforderliche Konkretisierung des Begriffes noch einige Schwierigkeiten bereiten dürfte.
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Linguistik
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einem Alphabet zu verstehen, also 4-Tupel, deren Komponenten Ketten, syntaktische Beschreibungen, semantische Beschreibungen und phonologische Beschreibungen sind. Aus der Inhomogenität natürlicher Sprachgemeinschaften ergibt sich vielmehr für ihn die Notwendigkeit, weitere einschlägige Ausgabedimensionen für die Grammatik zu entwickeln, vermöge derer auch die Relationen zu behandeln sind, die zwischen Sprachen und Sprecher-Hörern bestehen. Entsprechend handelt es sich bei diesen neu hinzutretenden Ausgabedimensionen nicht nur um Grammatikalitätsgrade und Akzeptabilitätsgrade, sondern auch Charakterisierungen von sprecherhörer-spezifisch vorgenommenen Einschätzungen von bestimmten Grammatikalisierungen als Status-Markierungen, als einer bestimmten Stilebene zugehörig, etc. — also um die Charakterisierung von Sprachbewertungen; theoretisch erfaßt werden sollen also auf der Ebene der grammatischen Struktur sowohl die Komponenten der Sprachkonventionalität als auch jene der Sprachintentionalität, wie man in der Terminologie des Beitrags von Kanngießer sagen könnte. Im zweiten Abschnitt seiner Untersuchung entwickelt Habel dann einen Formalismus, der reich genug sein soll, um eine systematische Behandlung der skizzierten Problemstellungen zu gestatten. Dieser Formalismus wird, um den technischen Aufwand so gering wie möglich zu halten, an dieser Stelle als eine Erweiterung der Theorie der Phrasenstrukturgrammatiken entwickelt; 26 diese Erweiterung besteht darin, daß einer Grammatik eine Bewertungskomponente zugeordnet wird, die es gestattet, nicht nur Regeln, sondern auch Ableitungen (im mathematischen Sinne) zu bewerten, ferner ist diese Bewertungskomponente nicht auf bestimmte Sprachbewertungsdimensionen beschränkt. Der resultierende Formalismus gestattet es dann, unter den genannten Voraussetzungen, sowohl Sprecher-Hörer-Gruppen-spezifische Sprachinhomogenitäten als SprecherHörer-spezifische Sprachvariationen abzubilden. — Im dritten Teil der Untersuchung betrachtet Habel dann einige mathematische Eigenschaften der Phrasenstrukturgrammatiken mit bewerteten Ableitungen (dies ist die Bezeichnung, die Habel für seinen Formalismus wählt); insbesondere wird dabei gezeigt,- daß gewisse Nichtstandard-Versionen der Phrasenstrukturgrammatik wie beispielsweise Grammatiken mit Kontrollsprache, timevariant-grammars, geordnete Grammatiken und Wahrscheinlichkeitsgrammatiken durch Grammatiken mit bewerteten Ableitungen simuliert werden können. Der vierte Teil des Aufsatzes dient dann der Illustration der empirischen Anwendbarkeit des Formalismus; diese Illustration erfolgt
26 Eine allgemeine Darstellung des Ansatzes findet sich in Habel (1977).
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Chr. Habel/S.
Kanngießer
insbesondere am Beispiel einer Untersuchung der Status-Beziehungen im Javanischen. Ferner wird der Ansatz in Relation zu vergleichbaren Versuchen gesetzt (Variable Regeln, Grammatiken-Familien); die Abhandlung schließt mit einer Erörterung der Möglichkeiten, den Ansatz so zu verallgemeinern, daß auch Transformationsgrammatiken durch ihn erfaßt werden können, sowie der Konsequenzen, die sich aus ihm für den Aufbau der Allgemeinen Sprachtheorie ergeben. In allen Beiträgen zu diesem Band wird mit einem bestimmten Grammatikbegriff gearbeitet. Dessen unerachtet werden jedoch verschiedene Typen von Grammatiken benutzt: Kategorialgrammatiken (Kanngießer), Phrasenstrukturgrammatiken (Habel) und an der Modelltheorie orientierte semantische Systeme (König). Diese Typenvielfalt von Grammatiken legt nun, sozusagen jenseits aller Äquivalenzprobleme (oder möglicherweise auch diesseits derselben), die Frage nahe, ob es möglich ist, einen Formalismus zu entwickeln, der eine einheitliche Darstellung sowohl von Chomsky-Grammatiken als auch von Montague-Grammatiken erlaubt, um nur zwei Beispiele zu nennen. Diese Frage wird von Helmar Gust in seinem Beitrag („Zur kategoriellen Darstellung von Grammatiken") positiv beantwortet. Gust bedient sich bei seiner Darstellung der Kategorientheorie, also einer der wohl abstraktesten mathematischen Theorien. Es gelingt ihm zu zeigen, daß die algebraischen Darstellungen von Grammatiken, die Chomsky auf der Basis von Semi-Thue-Systemen entwickelt hat, sich auf kanonische Weise als Kategorie (im mathematischen Sinn) interpretieren lassen; entsprechendes gilt fur Montague-Grammatiken. Der kategorientheoretische Ansatz bietet überdies den Vorteil, daß er eine sehr präzise Darstellung des Ableitungsprozesses selbst gestattet, 27 was, wie die Idee der ableitungsbewerteten Grammatiken vor Augen führt, für die linguistische Forschung von einiger Bedeutung sein kann, wenn sie nicht nur Sprachen, sondern eben auch Relationen zwischen Sprachen, Sprecher-Hörern und Umgebungen von Sprecher-Hörern und damit letztlich Kommunikationsbedürfnisse zum Gegenstand der Untersuchung nimmt. Die Kommunikationsbedürfnisse der Individuen machen es nun gewiß auch erforderlich, daß man in bestimmten Situationen sagen kann, gewisse Aussagen seien wahr bzw. falsch - ohne diese Möglichkeit wäre etwa ein argumentativer Sprachgebrauch schwer möglich, und es ist, akzeptiert man die Voraussetzungen des linguistischen Funktionalismus, kaum über27 Im Zentrum von Gusts Überlegungen stehen die Morphismenι - eine Kategorie ist durch ihre Morphismen im wesentlichen eindeutig bestimmt -- und damit die Ableitungsstruktur.
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raschend, daß die natürlichen Sprachen so strukturiert sind, daß sie einen argumentativen Sprachgebrauch gestatten. Natürliche Sprachen sind also, mit anderen Worten, Sprachen mit Wahrheitsprädikat. Und angesichts des Umstandes, daß das Verfugen über ein Wahrheitsprädikat funktional notwendig ist, scheint es sich zu erübrigen, in dieser Eigenschaft der natürlichen Sprachen etwa sonderlich Bemerkenswertes zu sehen. Eine solche Auffassung ist jedoch naiv. In seiner berühmten Arbeit „Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen" stellt Alfred Tarski bekanntlich die These auf, es sei im Rahmen der natürlichen Sprache unmöglich, einen Wahrheitsbegriff zu definieren bzw. einen konsistenten Gebrauch von ihm zu machen. Die hier resultierenden Probleme sind aus der Geschichte der Semantik und speziell der Sprachphilosophie bekannt; sie sind das Thema des Beitrages von Walther Kindt („Über Sprachen mit Wahrheitsprädikat"), der mit seiner Abhandlung einen zwar indirekten, dafür aber umso wirkungsvolleren Beitrag zum linguistischen Funktionalismus leistet. — Kindt versucht zu zeigen, daß Tarskis These auf Voraussetzungen beruht, von denen es im Gegensatz zu Tarskis Auffassungen nicht selbstverständlich ist, daß sie für die natürlichen Sprachen erfüllt sind. Insofern ergibt sich die Notwendigkeit, genauer zu untersuchen, welche dieser Voraussetzungen gegebenenfalls inadäquat sind und ob ihre Zurückweisung so vorgenommen werden kann, daß das Auftreten der bekannten Widersprüche verhindert wird. Zu dieser Problematik sind zwar bislang die unterschiedlichsten Lösungen vorgeschlagen worden; es konnte jedoch bisher kein Konsens über die Adäquatheit dieser Lösungen erzielt werden — was nach Kindt daran liegt, daß allen diesen Lösungsvorschlägen eine systematische Grundlage fehlt. Ziel seines Aufsatzes ist es entsprechend, die Probleme, die bei dem Versuch einer Definition von Sprachen mit Wahrheitsprädikaten auftreten, neu zu thematisieren und selbst eine Lösung der angedeuteten Problematik zu entwickeln. Dabei stellt Kindt insbesondere heraus, daß eine durch das von Tarski für das Wahrheitsprädikat W angegebene Definitionsschema (1)
W r f " · Wj)} Sprache-Welt-Systeme der Ebene (4)). Erst diese Ebene ist formal reich genug, alle bei Sprache-Welt-Beziehungen möglichen Reali-
10 Dies gilt nur unter der Voraussetzung, daß kommunikative Adäquatheit vorliegt (s.u.)
Peter Finke
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sationsalternativen ihrer Adäquatheit darzustellen. Zwar kann für jede individuelle Sprache-Welt-Relation ein Sprache-Welt-Paar gebildet und jedes komplexe Sprache-Welt-System und damit jede Beziehung zwischen Sprache-WeltPaaren aus Konfigurationen von Sprache-Welt-Paaren aufgeschichtet werden, doch ist beispielsweise der explizite Vergleich von Sprachen hinsichtlich ihrer kommunikativen Kapazität formal nur befriedigend auf der Ebene der komplexeren Systeme darstellbar. Im Sinne der graphischen Repräsentation der Sprache-Welt-Systeme in Fig. 2 kann man die Theorie der Sprache-Welt-Systeme auffassen als eine Theorie über bestmimte Figuren in Sprache-Welt-Diagrammen. Den Sprache-Welt-Paaren entsprechen dabei Punkte, den Sprache-Welt-Systemen der zweiten und dritten Ebene waagerechte bzw. senkrechte Gerade, und den Sprache-WeltSystemen der vierten Ebene R e c h t e c k e " . Im zweiten Teil des Aufsatzes sollen jedoch kurz bereits einige Aspekte der höheren System-Ebenen besprochen werden 1 2 .
1.5
Kommunikative
Kapazität und
Darstellungskapazität
Die kommunikativen Erfordernisse, welche insbesondere durch die weltspezifischen Bedarfslagen determiniert sind, können in sehr komplexer Weise funktional differenziert sein. Als heuristisches Schema kann man hierbei eine Typologie der Sprechakte benutzen: die kommunikative Kapazität einer Sprache ist funktional so komplex, wie das System der Sprechakte, die mit ihren lexikalischen, grammatischen und pragmatischen Mitteln ausführbar sind. Eine Theorie der Sprache-Welt-Systeme muß insofern als eine zentrale Leistung die funktionale Erklärung sprachlicher Handlungen aus Weltstrukturen, insbesondere spezifischen Bedarfslagen, ermöglichen. In diesem Aufsatz geht es wiederum um ein wesentlich bescheideneres Ziel. Wenn kommunikative Erfordernisse überhaupt durch Weltstrukturen entstehen, dann ist das Erfordernis, eine Welt d a r z u s t e l l e n , grundlegend und wichtiger als andere Erfordernisse. Die meisten faktischen Kommunikationsgemeinschaften bedienen sich zur Deckung ihres Sprachbedarfs nichthomogener sprachlicher Systeme. Homogenität ist allenfalls für die Ebene der Sprache der einzelnen sozialen Gruppen, 11 Diese Darstellung ist vereinfacht. Eine empirische adäquate Theorie der Sprache-WeltSysteme wird auch andere Figuren in Sprache-Welt-Diagrammen untersuchen müssen. Hier geht es nur darum, die Grundtypen vorzustellen. 12 Für eine allgemeinere Darstellung auch der höheren Hierarchie-Ebenen cf. Finke (in Vorb.).
Sprache- Welt-Paare
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am ehesten aber fúr die Ebene der Sprache der individuellen Sprecher-Hörer anzunehmen. Je nach dem gewählten Allgemeinheits- bzw. Idealisierungsgrad kann jede dieser Ebenen durch ein Sprache-Welt-Paar repräsentiert werden. So können Sprache-Welt-Paare dazu dienen, Sprecher-Hörer-Individuen gegeneinander abzugrenzen (Idiolektebene), sie können dazu dienen, Sprecher-HörerGruppen gegeneinander abzugrenzen (Soziolektebene), und sie können dazu dienen, maximal umfangreiche Sprecher-Hörer-Gemeinschaften gegeneinander abzugrenzen. Hierbei handelt es sich jeweils um Einheiten, die sowohl durch die benützte Sprache, als auch die zu deren Interpretation verwendete Welt gegeneinander abgegrenzt sind. Kommunikationsgemeinschaftensind daher als Sprachgemeinschaften nur unzureichend gekennzeichnet ;genauer wäre hier von SpracheWelt-Gemeinschaften zu sprechen 1 3 . Wenn Sprachstrukturen funktional erklärt werden sollen, müssen sie als Strategien interpretiert werden, die Gemeinschaften zur Deckung ihres Kommunikationsbedarfs entwickeln. Dieser Kommunikationsbedarf aber ist durch Weltstrukturen festgelegt und kann nur dann gedeckt werden, wenn eine für die Mitglieder der Gemeinschaft verbindliche, gemeinsame R e f e r e n z s t r a t e g i e auf ihre Welt existiert. Die Koordinationszwänge, denen die Mitglieder der Gemeinschaft unterliegen u n d die sie zur Ausbildung von sprachlicher Lösungsstrategien nötigen, sind in erster Linie von der Notwendigkeit bestimmt, sich über ihre Welt zu verständigen. Insofern ist die Bereitstellung kommunikativer Strategien, die zu einer intersubjektiven D a r s t e l l u n g von Sachverhalten taugen, eine Voraussetzung für die Lösung aller sonstigen sprachlichen Kommunikationsprobleme. Referenzstrategien auf Welten sind in allen Sprachen die Grundlage ihrer Eignung, den Kommunikationsbedarf einer Gemeinschaft abzudecken. Sie decken gleichsam den Basisbereich dieses Bedarfs ab. Dies ist die Begründung für die zweite Einschränkung der Problemperspektive in diesem Aufsatz. Nur wenn eine Sprache L¡ es gestattet, alle in einer Welt W· möglichen Sachverhalte darzustellen, besitzt sie eine für die Kommunikationsgemeinschaft (Lj, W-> ausreichende Darstellungskapazität; eine ausreichende Darstellungskapazität ist dann eine notwendige Bedingung für eine für diese Gemeinschaft ausreichende kommunikative Kapazität insgesamt. Im Sinne der weiter oben genannten fünf interessanten Umfange der kommunikativen Kapazität einer Sprache ((1): Überkapazität, (2): genaue Kapazität, (3): Unterkapazität I, (4): Unterkapazität II, (5): Nichtkapazität) ist daher jeweils zwischen der kommunikativen Gesamtkapazität und den einzel13 Die verbreitete Rede von Sprachgemeinschaften wirft ein Licht darauf, mit welcher Konsequenz im linguistischen Strukturalismus auf funktionale Erklärungen verzichtet wird.
Peter Finke
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nen Komponenten der kommunikativen Kapazität einer Sprache zu unterscheiden. Entsprechend ist es notwendig, bei der Beurteilung des Adäquatheitsstatus einer Sprache-Welt-Beziehung zu differenzieren. Eine Sprache kann in bezug auf eine Welt insgesamt kommunikativ inadäquat sein, sehr wohl aber eine in bezug auf diese Welt kommunikativ adäquate Darstellungskapazität besitzen. Sie ist dann nur partiell kommunikativ adäquat, nämlich darstellungsadäquat. Im folgenden sollen nur Kapazität und Adäquatheit der Darstellungskomponente untersucht werden.
2.
Die Darstellungsadäquatheit von Sprachen in Sprache-Welt-Paaren
2.1
Sprache- Welt-Paare nullter Ordnung
Es soll eine sehr einfache formale Struktur aufgespannt werden, die geeignet ist, Beziehungen in Sprach-Welt-Paaren darzustellen. Gegeben seien zwei Mengen L° = {L^ 2 }und W° = {W^ 2 . . )> die durch die Paarbildungsfunktion P ° : L°->-W 0 einander so zugeordnet sind, daß P ° = {(Lf, W?), (L2, W2),. · · } gilt. P ° ist also eine Menge geordneter Paare des Typs . Ein L° sei eine endliche Menge atomarer Objekte lj mit der Mächtigkeit m: L ° = { l j , . . . , l m ) ; ein W^sei eine endliche Menge atomarer Objekte w^ mit der Mächtigkeit n: W° = { w j , . . . , w n ) . Die lj bzw. w^ seien stabil, unterliegen also keinerlei Veränderung. Ferner sei eine Zuordnungsfunktion D ° gegeben, die einer beliebigen Anzahl lj eine beliebige Anzahl w ^ z u o r d n e t (j = 0 , 1 , . . ., m ; k = 0 , l , . . . , n). Wir konstruieren auf diese Weise zugeordnete Mengen mit einer j-tupel 1-Komponente und einer k-tupel w-Komponente. Aufgrund der Zuordnungsfunktion D ° könnten beide Komponenten als Repräsentationsobjekte für die jeweils andere dienen; durch lj könnte w^ dargestellt werden und umgekehrt. Wir könnten daher lj als Zeichen und w^ als Bezeichnetes deuten oder umgekehrt. Unter den kommunikativen Funktionen von Sprache ist, wie wir gesehen haben, die Darstellungsfunktion primär, und zwar insofern, als Mitteilungen, Fragen, Wünsche, kurz: alle sonstigen Typen sprachlicher Handlungen ohne Bezug auf eine Referenzebene unmöglich sind. Deshalb ist es sinnvoll, Konstruktsprachen zu bilden, die nur die Darstellungsfunktion erfüllen, hingegen nicht möglich, Konstruktsprachen zu bilden, die mit Ausnahme der Darstellungsfunktion andere kommunikative Funktionen zu erfüllen erlauben. Wenn wir nun daran gehen, unsere formale Struktur zu interpretieren, kommt
Sprache- Welt-Paare
45
der Zuordnungsfunktion D ° eine entscheidende Bedeutung zu: Darstellung ist eine gerichtete Relation; wir stellen durch das eine Relatum (Zeichen) das andere (Bezeichnetes) dar. Ich interpretiere D ° daher als Darstellungsfunktion derart, daß wir mit den Mitteln der L°-Ebene die W°-Ebene darstellen oder ausdrücken können und nicht umgekehrt. Als eine solche Konstruktsprache mit alleiniger Darstellungsfunktion können wir nun die Menge L ° deuten, deren atomare Elemente lj dann die Sätze von L ° sind. W° deuten wir entsprechend als die Ebene des durch L ° Darstellbaren, als Welt, deren atomare Elemente w^ die Sachverhalte von W° sind. Die Elemente der Menge P° heißen Sprache-Welt-Paare nullter Ordnung. Damit soll der einfachste T y p eines Sprache-Welt-Paares bezeichnet sein (der atomare Typ). Die in ihm figurierende Sprache L° nenne ich auch eine P°-Sprache, entsprechend die Welt W° eine P°-Welt. Im Vorgriff auf die Sprache-Welt-Paare höherer Ordnung werde ich gelegentlich auch einfach von P-Sprachen und P-Welten sprechen, um anzudeuten, daß ich die Konstruktsprachen bzw. Konstruktweiten dieses Modellsystems meine. Ich wende mich jetzt der Frage zu, welche kommunikative Kapazität eine Sprache L ° aus (L®, W°> besitzt. Ersichtlich ist ihre kommunikative Kapazität genau dann ausreichend, wenn L " ausreicht, um den bezüglich W° möglichen Darstellungsbedarf zu decken.Es handelt sich dann um einSprachsystem, daß hinreichend strukturreich ist, damit mögliche Benutzer, deren kommunikative Probleme ausschließlich Darstellungsprobleme hinsichtlich W® sind, diese vollständig lösen können. Dieser Sprachzustand soll im folgenden als D ° - D a r s t e l l u n g s a d ä q u a t h e i t bezeichnet werden. Der Begriff der D°-Darstellungsadäquatheit drückt somit eine Beziehung aus, welche zwischen einer P°-Sprache und einer durch einen Darstellungsbedarf gekennzeichneten P°-Welt besteht: (P I):
EineP°-Sprache Laus W¡, mindestens einen sprachlichen Sachverhalt 1 3 IjOus L¡,gibt, der nach G (L¡) wohlgeformt ist und wj> ausdrückt.
Wenn wir die Sachverhalte einer hierarchischen Sprache als dynamische Welten auffassen, können wir jeden sprachlichen Sachverhalt von Lj als Weltpartner eines darstellungsadäquaten Sprache-Welt-Paars zweiter Ordnung beschreiben: (P* 4) :
Eine P^-Sprache Lj ist D - darstellungsadäquat genau dann, wenn es ßr jeden sprachlichen Sachverhalt lj aus L-J ein Sprache- Welt-Paar zweiter OrdnungP?= (L2v W^ì gibt derart, daß lj = W? und L? ist D2-darstellungsadäquat (Rekursivdefinition).
Wie bei den Sprache-Welt-Paaren zweiter Ordnung kann ich auch hier, wo eine weitere Feinstrukturierung vorgenommen wird, nur kurz auf zwei Punkte hinweisen, die den Rahmen dieser Arbeit, die sich mit den elementaren Objekten einer Theorie der Sprache-Welt-Beziehungen beschäftigt, übersteigen. Erstens verweise ich auf den Umstand, daß auch Sprache-Welt-Paare dritter Ordnung als Abbildungen von Sprache-Welt-Paaren zweiter Ordnung auf Sprache-WeltPaare zweiter Ordnung darstellbar sind; wir treten damit ebenfalls in den Bereich der Sprache-Welt-Systeme ein, die komplexer als Paare sind (Ebenen (2) bis (4)). Zweitens ist anders als im Falle von D ^ n ·,, im Falle von Hp, D G(L)
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Peter Finke
zwar keine strutturale Grenze für die Hierarchisierbarkeit natürlicher Sprachen gegeben, wohl aber eine Reihe von funktionalen Restriktionen, wie beispielsweise die Tatsache, daß bereits für die Metametastufe normalerweise nur ein sehr geringer kommunikativer Bedarf besteht 1 9 .
Literaturverzeichnis Finke, P. (1974): Theoretische Probleme der Kasusgrammatik, Kronberg. - (1975): „Kommunikationsprinzipien, Sprachverschiedenhe.it, Herrschaft", in: V. Ehrich u. P. Finke (Hrsg.), Beiträge zur Grammatik und Pragmatik, Kronberg 1975, S. 23-41. - (im Druck) Grundlagen einer linguistischen Theorie. Empirizität und Begründungsproblem in der Sprachwissenschaft. Wiesbaden: Vieweg (Reihe Wissenschaftstheorie, Bd. 13). - (in Vorb.), ,Sprache-Welt-Systeme'. Finke, P. u. S. Kanngießer (im Druck), „Kommunikationsbedürfnisse und Sprachadäquatheit". Kanngießer, S. (1972): Aspekte der synchronen und diachronen Linguistik. Tübingen - (1977): „Skizze des linguistischen Funktionalismus", in: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 3 (1977) 188-240. Kindt, W. (in diesem Band), „Über Sprachen mit Wahrheitsprädikat". Tarski, A. (1935): „Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen", in: Studia Philosophica 1 (1935) 261-405.
19 Die Hierarchisierung von Sprache-Welt-Paaren bricht in der dritten Ordnung nicht etwa ab, doch soll die zunehmende Spezialisierung hier nicht weiter behandelt werden. Insbesondere mit den in den ersten beiden Ordnungen vorgestellten Strukturen sind die elementaren Objekte einer Theorie der Sprache-Welt-Systeme eingeführt. Die späteren Ordnungen können als Abbildungen von Paaren auf Paare definiert werden.
57 Wolf Dietrich
König
Kommunikationsbedürfnisse, Ausdrucksadäquatheit, Sprachveränderung
1.
Funktionale Sprachbetrachtung
Daß natürliche Sprachen ein Mittel sind, mit deren Hilfe menschliche Individuen ihre Kommunikationsbedürfnisse befriedigen, ist sicherlich keine überraschende Erkenntnis, und auch schon öfters postuliert worden. Bühler's Sprachtheorie ist nach diesem Postulat konzipiert 1 . Auch die von der Prager Schule herrührende Dichotomie ,Thema-Rhema' ist von diesem Postulat her motiviert: Während das Thema eines Satzes das bereits Bekannte darstellt, ist es der,Rhema' benannte Teil, mit dem der Äußerer des entsprechenden Satzes eine neue Information zu geben bezweckt. Diese Dichotomie ist also vom kommunikativen Zweck her definiert, und nicht mit der Subjekt-PrädikatStruktur eines Satzes zu identifizieren 2 . Ein weiterer Autor, der dieses Postulat für grundlegend hält ist A. Martinet 3 . Schließlich mag man sogar W.v. Hum boldt unterstellen, sich diese Ansicht zu eigen gemacht zu haben, und zwar aufgrund der Wendung vom ,unendlichen Gebrauch' 4 : Natürlichen Sprachen liegt deshalb ein System zugrunde, mit dem man aus einer endlichen Menge von Zeichen unendlich viele Ketten von ebendiesen Zeichen ableiten kann, weil nur dann natürliche Sprachen zu dem Zweck dienen können, den .Inbegriff alles Denkbaren' wiederzugeben, wenn das ihnen zugrunde liegende Regelsystem derart beschaffen ist. — Trotzdem, obwohl häufig konstatiert wurde, daß natürliche Sprachen auch und vor allem Mittel zur Befriedigung menschlicher Kommunikationsbedürfnisse seien, so haben die Ausführungen dazu 1
2 3 4
K. BÜHLER 1933 und K. BÜHLER 1934, vgl. S. XXI: „Die Sprache ist dem Werkzeug verwandt; auch sie gehört zu den Geräten des Lebens, ist ein Organon wie das dingliche Gerät" Zu Arbeiten der Prager Schule bezüglich dieses Punktes vgl. F. DANNE§ 1970 vgl. A. MARTINET 1970, bes. S. 28; M. gebraucht auch den Ausdruck „besoins communicatifs" (z.B. S. 173) in dem Satz: „Denn sie ((die Sprache» steht . . . einem . . . grenzenlosen Gebiet, dem Inbegriff alles Denkbaren gegenüber. Sie muß daher von endlichen Mitteln einen unendlichen Gebrauch machen, . . . " vgl. W. v. HUMBOLDT 1835, S. 98f.
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Wolf Dietrich
König
häufig Apercu-Charakter. Zwar wurde manchmal versucht, diese Faktum systematisch mit einer Grammatik-Theorie in Beziehung zu setzen 5 , jedoch wurde nie überlegt, welche grundlegenden methodologischen Konsequenzen für eine Sprach-Theorie daraus zu ziehen seien. Es wird von natürlichen Sprachen als einem Mittel gesprochen. Nun ist ein Mittel zur Befriedigung gewisser Bedürfnisse ein Gegenstand, dessen Zweck die Erfüllung genau jener Bedürfnisse ermöglicht. Dann gilt als methodologisches Prinzip: Wenn man einen Gegenstand als ein Mittel zu einem bestimmten Zweck betrachtet, dann muß man erklären, wie man ihn benutzt, damit er genau jenem Zweck dienen kann. Auf natürliche Sprachen bezogen könnte dies Prinzip lauten: Wenn man natürliche Sprachen als Mittel zur Befriedigung menschlicher Kommunikationsbedürfnisse betrachtet, dann muß man erklären, welches die Eigenschaften sind, die sie zu einem solchen Mittel machen, d.h., man muß erklären, welche Bestandteile natürlicher Sprachen welche Funktion haben, wenn natürliche Sprachen als Kommunikationsmittel benutzt werden. Es ist also eine funktionale Betrachtungsweise, auf die hin natürliche Sprachen zu untersuchen sind6, bei der funktionale Erklärungen von strukturellen Erklärungen zu unterscheiden sind. Man kann auf eine Warum-Frage zweierlei systematisch verschiedene Typen von Antworten geben, nämlich eine We iL· Antwort einerseits und eine Damit-Antwort andererseits. Ersteres Frage-Antwort-Paar, i.e. die Beantwortung einer Warum-Frage mit einer Weil-Antwort ist eine strukturelle Erklärung, und letzteres Frage-Antwort-Paar, die Beantwortung einer Warum-Frage mit einer Damit-Antwort eine funktionale Erklärung 7 . Die beiden möglichen Antworten auf eine gegebene Warum-Frage können entsprechend verschieden ausfallen. Warum, beispielsweise, hat eine natürliche Sprache unendlich viele Sätze? Weil es keinen längsten Satz geben kann, und, damit natürliche Sprachen die Kommunikationsbedürfnisse ihrer SprecherHörer befriedigen können. Oder: Warum gibt es in natürlichen Sprachen Positionsausdrücke8 ? Weil es Verben gibt, die als Objekt einen Nebensatz haben,
5
6
7 8
Hier ist vor allem Bühler zu nennen. Einschlägig sind auch Arbeiten von Halliday, vgl. M.A.K. HALLIDAY 1970 bezüglich .modality' und ,mood\ und allg. M.A.K. HALLIDAY 1970a Dies postuliert auch A. MARTINET 1970, S. 28: „C'est donc dans leur ((der Sprachen)) fonctionnement qu'il conviendra tout d'abord de les observer et de les decrire." (Sprerrung original) Für methodologische und wissenschaftshistorische Ausführungen zu diesem Punkt vgl. S. KANNGIESSER 1976 gemeint sind Verben wie .glauben',,wissen'; die englische Bezeichnung ist ,propositional attitudes'. Daß man diese Verben braucht, damit man seine Einstellung zu ge-
Kommunikationsbedürfnisse,
Ausdrucksadäquatheit,
Sprachveränderung
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und, damit Sprecher-Hörer zu Aussagen Positionen einnehmen können, oder genauer, damit Sprecher-Hörer diejenigen Kommunikationsbedürfnisse befriedigen können, bei denen sie ihre Einstellungen zu gewissen Aussagen auszudrücken beabsichtigen. Der Leser hat vielleicht bemerkt, daß die beiden Damit-Antworten das Ausgangspostulat enthalten, wonach natürliche Sprachen ein Mittel zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse sind, zusammen mit dem Wort „können" quasi als verkapppter Modaloperator: In einem kommunikationstheoretischen Ansatz interessieren jene Eigenschaften natürlicher Sprachen, die diese besitzen müssen, damit sie dem Zweck dienen können, als Mittel zur Befriedigung menschlicher Kommunikationsbedürfnisse benutzt zu werden, wie z.B. rekursiver Aufbau ihrer Grammatiken, oder Verben mit Nebensätzen als direktes Objekt 9 .
2.
Natürliche vs. künstliche Sprachen
Eine funktionale Betrachtungsweise muß nicht auf natürliche Sprachen beschränkt bleiben, und es kann für die Erklärung derselben sehr instruktiv sein, sie mit sogenannten Kunstsprachen und künstlichen Zeichensystemen zu vergleichen. Man erkennt sogleich die methodologische Notwendigkeit, zwischen zwei verschiedenen Fragestellung zu unterscheiden: Man kann bezüglich einer Sprache als Kommunikationsmittel einerseits fragen, w e l c h e Kommunikawissen Aussagen ausdrücken kann, ist eine funktionalistische These in M.A.K. HALLIDAY 1970 S. 335 9 Man kann sich kurz überlegen, wie sich das Ausgangspostulat in strukturellen Erklärungen ausmachen würde, te., welche sinnvollen Frage-Antwort-Paare sich bilden lassen, mit dem Ausgangspostulat in einer Weil-Antwort. Der einzige sinnvolle Satz über natürliche Sprachen, der solchermaßen gebildet werden kann, ist: .Natürliche Sprachen sind ein Kommunikationsmittel, weil Sprecher-Hörer sie als Mittel zur Befriedigung ihrer Kommunikationsbedürfnisse benutzen.' Dieser Satz ist recht trivial. Betrachten wir aber einen anderen Satz mit dem Ausgangspostulat in einer Weil-Antwort: .Natürliche Sprachen sind rekursiv aufgebaut, weil Sprecher-Hörer sie als Mittel zur Befriedigung ihrer Kommunikationsbedürfnisse benutzen.' Dieser Satz, wie alle anderen Sätze, in deren Vordersatz eine beliebige Eigenschaft natürlicher Sprachen konstatiert wird, ist schlichtweg falsch: Zwischen der im Ausgangspostulat ausgedrückten Tatsache und der Tatsache, daß eine natürliche Sprache rekursiv aufgebaut ist, besteht kein kausaler Zusammenhang. Der rekursive Aufbau einer natürlichen Sprache L ist vielmehr eine notwendige Bedingung dafür, daß L erfolgreich als ein Mittel zur Befriedigung von Kommunikationsbedürfnissen herangezogen werden kann. Wenn ich einen Gegenstand als ein Mittel zu einem bestimmten Zweck heranziehe, so bedeutet das nicht, daß dieses Mittel schon deshalb alle Eigenschaften besitzt, die es haben sollte, um besagten Zweck erfolgreich dienen zu können.
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tionsbediirfnisse mit ihr überhaupt befriedigt werden können. Dies läuft auf die Frage hinaus, was man mit einer gegebenen Sprache überhaupt ausdrücken kann, bzw., welches ihre semantische Kapazität ist. Andererseits kam man fragen, w i e e f f e k t i v man in einer Sprache ausdrücken kann, was sich in ihr ausdrücken läßt. Letzteres betrifft etwa Fragen bezüglich der Genauigkeit und Prägnanz, in der etwas ausgedrückt werden kann, oder bezüglich der Möglichkeit, mit einem gegebenen Kommunikationsmittel gewisse Informationen, die sich in ihm ausdrücken lassen, möglichst schnell an beliebige Orte zu übermitteln. Bei dieser Frage handelt es sich offensichtlich um typische PerformanzErwägungen. Und ebenso offensichtlich ist, daß diese Frage ganz besonders die künstlichen Sprachen betrifft: Logische Kalküle dienen dazu, die größtmögliche Strenge an Genauigkeit von Aussagen und Ableitungen zu garantieren, gewisse für den Funk geschaffene Systeme, um Informationen schnell an weit entfernte Orte zu übermitteln, Verkehrsampeln, damit sie gut sichtbar sind, und Programmiersprachen, um schnell an gespeicherte Information zu gelangen. Was dagegen die semantische Kapazität dieser Systeme betrifft, so ist sie zwischen den einzelnen künstlichen Systemen sehr unterschiedlich: Ein logischer Kalkül gibt Aussagen wieder, während Verkehrsampeln bestimmte Befehle geben. Künstliche Sprachen sind also in ihrer semantischen Kapazität begrenzt, und dies bezüglich der Zwecke, zu denen sie geschaffen wurden. Dafür aber werden hohe Ansprüche an die Effektivität gestellt, mit der in ihnen bestimmte Kommunikationsbedürfnisse befriedigt werden. Für natürliche Sprachen gilt eine solche zweckgerichtete Beschränkung ihrer semantischen Kapazität nicht. Searle's Ausdriickbarkeitsprinzip10 besagt sogar, daß es mit Hilfe von natürlichen Sprachen prinzipiell und immer möglich sei, alles, was man auszudrücken intendiert, auch auszudrücken. Es ist nicht ganz klar, wie generell die Geltung von Searle's Prinzip ist, angesichts der Existenz von Systemen, die Ausdrucksbedürfnisse erfüllen, die man faktisch nicht mit natürlichen Sprachen in ihrem derzeitigen Zustand befriedigen kann. Natürliche Sprachen sind aber in der Hinsicht nicht einer zweckgerichteten Beschränkung ihrer semanischen Kapazität unterworfen, als ihre Sprecher-Hörer zunächst versuchen, ihre Kommunikationsbedürfnisse allein durch sie zu befriedigen. Jedoch : Kunstsprachen wurden zwar meistenteils nur aus Performanzerwägungen geschaffen, da in natürlichen Sprachen Genauigkeit und effektive Informationsübertragung nicht optimal sind, trotzdem wurde faktisch durch erstere die Gesamtheit der Ausdrucksmittel erweitert, und es wurde von den Schöpfern der Kunstsprachen nicht erst der Versuch unternommen, natürliche Sprachen entsprechend zu erweitern. Es ist eine offene Frage, ob es sich hier nur 10 J.R. SEARLE 1969, S. 19-21
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um Performanz-Erwägungen handelt, oder ob gewisse Kunstsprachen über semantische Ausdrucksmittel verfügen, die für natürliche Sprachen prinzipiell unerreichbar sind 11 .
3.
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Die bisherigen einleitenden Bemerkungen haben den Begriff ,Kommunikationsbedürfnis' als zentral ausgewiesen, wenn man sich eine kommunikationstheoretische, funktionale Betrachtungsweise für natürliche Sprachen zu eigen macht. Was für Entitäten sind Kommunikationsbedürfnisse? Sie sind sicherlich keine konkreten Objekte, die man sich anschauen und untersuchen kann, aber auch keine theoretischen Entitäten, wie Grammatiken natürlicher Sprachen, geschaffen zu dem Zweck, Sätze von natürlichen Sprachen aufzuzählen und zu erklären. Sie sind zwar auch abstrakter Natur, aber durchaus empirische Gegenstände, und zwar einer Wissenschaft, die sich mit Handlungstheorie beschäftigt. Empirische Gegenstände einer Theorie kommunikativer Handlungen sind aber nicht Kommunikationsbedürfnisse schlechthin, sondern immer Kommunikationsbedürfnisse von Individuen, also von kompetenten Sprecher-Hörern. Was sind Kommunikationsbedürfnisse von Sprecher-Hörem? Sie sind zunächst das Bedürfnis eines Sprecher-Hörers, einen Satz einer bestimmten Sprache zu äußern. Spezieller sind sie das Bedürfnis eines Sprecher-Hörers, einen Satz mit einer bestimmten Bedeutung zu äußern, denn man äußert trivialerweise keine Sätze ohne Rücksicht auf deren Bedeutung. Aber auch das befriedigt noch nicht notwendigerweise ein kommunikatives Bedürfnis. Worauf es ankommt ist, daß man Sätze mit einer gegebenen Bedeutung in bestimmten Situationen äußert, und nicht zu beliebigen Gelegenheiten. Den Satz „Mach die Tür zu!" äußere ich nur in einer Situation, in der erstens eine Tür offensteht und in der zweitens eine Person anwesend ist, von der ich annehme, daß sie aufgrund meiner Äußerung die Tür zu macht. Jedoch werde ich nicht das kommunikative Bedürfnis haben, diesen Satz bei einem morgendlichen Waldspaziergang zu äußern. Es ist also klar genug, daß Kommunikationsbedürfnisse immer situationsgebunden sind. Da es bei der Befriedigung eines Kommunikationsbedürfnisses auch immer auf die Bedeutung eines Satzes, also einer semantischen Entität ankommt, folgt, daß bei einer Definition des Begriffes ,Kommunikationsbedürfnisse eines Sprecher-Hörers' sowohl ein semantischer 11 vgl. hierzu auch S. KANNGIESSER 1976, Anm. 42 s. 154f., wo die letztere Ansicht vertreten wird
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als auch ein pragmatischer Aspekt zu berücksichtigen und in Beziehung zu setzen ist. Diese Beziehung sehe ich folgendermaßen: Sei L'n die Sprache, mit der ein Sprecher-Hörer a eine Menge von η Sätzen potentiell 13 zu produzieren und zu akzeptieren in der Lage ist. L ' sei eine Menge von Proposition zugeordnet, welche die Bedeutung der Sätze aus L ' repräsentieren. Ein Sprecher-Hörer a kann sich zu einer Proposition, etwa p, eine oder mehrere Situationen Σ ausdenken, in der er ρ in Form eines Satzes S von L ' äußern würde, wenn Σ gegeben ist. Der Sprecher a hätte dann das kommunikative Bedürfnis, ρ in Σ in Form von S zu äußern. Es kann aber auch Gedanken, etwa q geben, die a vielleicht nie in Form eines Satzes äußern wird, weil sich a, zumindestens in der aktualen Welt, keine Situation vorstellen kann, in der er q in Form eines Satzes äußern würde, d.h., L ' enthält eine Teilmenge von Sätzen, die a zwar versteht, die er selbst aber tatsächlich nie äußert. Allerdings, so kann man postulieren, kann sich a vielleicht Situationen in einer möglichen Welt vorstellen, in denen er einen solchen Satz äußern würde. Als Parallele betrachtet man folgendes Prinzip: (Γ)
Ein Sprecher-Hörer hat die Bedeutung eines Satzes genau dann verstanden, wenn er für jede Situation sagen kann, ob der entsprechende Satz in ihr wahr ist oder nicht. Deshalb muß man in einer Wahrheitsbedingung fiir jenen Satz die Situation oder Umstände angeben, in denen dieser Satz wahr ist.
Dieses Prinzip ist aus dem Traktat von Wittgenstein abgeleitet 14 , und man kann ihm als einem semantischen Prinzip, ein ganz paralleles pragmatisches Prinzip gegenüberstellen: Ein Sprecher-Hörer kann fiir jede Situation sagen, ob er in ihr einen bestimmen Satz äußern würde oder nicht. Als vollen Wortlaut der Parallele kann man formulieren: (I)
Ein Sprecher-Hörer a hat den kommunikativen Wert eines Satzes S, den er für ihn hat, genau dann verstanden, wenn er für jede Situation sagen kann, ob er in ihr S äußern würde oder nicht. Deshalb muß
12 L' sei eine Teilsprache über eine Sprachfamilie L, nach dem Konzept in S. KANNGIESSER· 1972, wonach eine (synchrone und diachrone) Sprachfamilie L in Teilsprachen /j zerfällt. L ' sei eine Teilsprache über L, die ein Sprecher-Hörer zu einem gewissen Zeitpunkt aufgrund seiner Sprachkompetenz beherrscht. 13 i.e., die Menge der η Sätze ist abzählbar unendlich, vgl. N. CHOMSKY 1956 14 Vgl. L. WITTGENSTEIN 1921: „4.023 Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist. ((Absatz)) (Man kann ihn also verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist.)"
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man in einer Festlegung der Kommunikationsbedürfnisse, die a mit S befriedigen kann, die Situation oder Umstände angeben, in denen a den Satz S äußern würde. Dieses pragmatische Prinzip, das ich syntaktisch genauso formuliert habe wie das parallele semantische Prinzip, bedarf einiger Erläuterungen hinsichtlich derjenigen Punkte, in denen es sich vom semantischen Prinzip unterscheidet. Was bedeutet, daß ein Satz S für einen Sprecher einen kommunikativen Wert hat? Um dies zu beantworten, kann man die entsprechende Frage für das semantische Prinzip stellen: Was bedeutet, daß ein Satz eine Bedeutung hat? Die übliche Antwort lautet, daß ein Satz genau dann eine Bedeutung hat, wenn es fur ihn eine Wahrheitsbedingung gibt, durch die seine Bedeutung festgelegt ist. Ganz entsprechend kann man die Frage nach dem kommunikativen Wert beantworten : Ein Satz S hat für einen Sprecher-Hörer a dann einen kommunikativen Wert, wenn es Kommunikationsbedürfnisse von a gibt, die a mit S befriedigen kann. Was diese Antwort von der entsprechenden Antwort bezüglich des semantischen Prinzips unterscheidet, ist die Bezugnahme auf einen Sprecher-Hörer a : Während die Bedeutungen von Sätzen intersubjektiv sind (zumindestens sind natürliche Sprachen diesem Zustand relativ nahe), so ist der kommunikative Wert eines Satzes eine rein subjektive Sache. Ein Satz mag von dem einen häufig geäußert werden, während seine Bedeutung für einen anderen völlig uninteressant sein kann. Dies entspricht auch der obigen Feststellung, daß Kommunikationsbedürfnisse immer Bedürfnisse menschlicher Individuen sind. Was bedeutet, daß ein Sprecher-Hörer a für jede Situation sagen kann, ob er in ihr einen Satz S äußern würde oder nicht? Man kann diese Frage wieder mit der entsprechenden .semantischen' Frage vergleichen, wonach a für jede Situation sagen kann, ob ein Satz S in ihr wahr ist oder nicht. Wie letzteres zu verstehen sei, kann man sich etwa so vorstellen: Man führe einem SprecherHörer a eine Reihe von Situationen vor Augen, entweder durch detaillierte Beschreibungen, oder durch Vorzeigen von Bildern, oder durch Schilderung eines Handlungsablaufes, wie auch immer, und a wird zu jeder Situation, gleichsam wie ein Entscheidungsmechanismus, entweder „ja" oder „nein" sagen (oder „wahr" bzw. „falsch"), je nachdem, ob S in ihr wahr ist oder nicht. Hat a die Bedeutung von S wirklich verstanden, kann er für jede beliebige Situation, die ihm vor Augen geführt wird, eine positive oder negative Antwort geben, tertium non datur. Gilt dies auch für die Frage, ob a sagen kann, daß er S in dieser oder jener Situation äußern würde? Man ist hier eher geneigt einzuräumen, daß a sagt, daß er S in einer Situation vielleicht äußern würde, je nachdem, in einer anderen Situation aber ganz bestimmt und in einer dritten Situa-
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tion wahrscheinlich nicht äußern würde (,oder vielleicht doch). Dieser Einwand ist völlig zutreffend, denn niemand kann mit Bestimmtheit sagen, ob er einen Satz S tatsächlich äußern wird, wenn die oder jene Situation eintritt (;dies würde bereits die Fähigkeit zum Hellsehen voraussetzen). Anderseits, ohne ein tertium non datur ist Prinzip (I) unbrauchbar, da letztlich jeder Satz in jeder Situation vielleicht doch' geäußert werden kann. Nun ist aber der einschlägige Teilsatz von (I) im Konjunktiv formuliert (im Gegensatz zu dem semantischen Prinzip (I')); es heißt darin, daß ein Sprecher-Hörer für jede Situation sagen kann, ob er in ihr einen Satz S äußern würde oder nicht, und dies soll hier auf jeden Fall ähnliches heißen wie ,wenn keine ab-normalen Randbedingungen vorliegen' oder ,unter normalen Umständen'. Dieses zu präzisieren, kann man auf Ergebnisse der Sprech-Akt-Theorie zurückgreifen. In ,Logic and Conversation'von H.P. Grice 15 befindet sich eine ,Kategorientafel der Konversationspostulate' folgenden Inhalts: (Gl)
(G2) (G3)
(G4) (G5)
Richte deinen Beitrag zur Konversation an jeder Stelle, an der er erforderlich wird, so ein, wie es dem akzeptierten Zweck oder dem Verlauf des Redewechsels, an dem du beteiligt bist, entsprechend notwendig ist. Mache deinen Beitrag zur Konversation so informativ, wie es für die Zwecke des Redeverlaufs erforderlich ist. Versuche deinen Beitrag zur Konversation so einzurichten, daß er wahr ist. (Sage nichts, von dem du glaubst, daß es falsch sei. Sage nichts, für das du keine adäquaten Evidenzen beibringen kannst.). Richte deinen Beitrag zur Konversation so ein, daß er für den Konversationsverlauf relevant ist. Gestalte deinen Beitrag zur Konversation so, daß er klar und deutlich ist. (Vermeide Dunkelheiten im Ausdruck und Ambiguitäten, drücke dich knapp und methodisch aus.) 16 .
Wenn ein Sprecher-Hörer a in der Lage sein soll zu sagen, ob er in einer gegebenen Situation einen gegebenen Satz äußern würde, so kann er es nur dann definitiv sagen, so will ich postulieren, wenn er Prinzipien, ähnlich zu den Grice'schen Konversátionspostulaten oder mit ihnen identisch, anerkennt. Anders ausgedrückt: a kann nur relativ zu einer bestimmten, festgelegten Menge von Konversationsprinzipien für jede Situation sagen, ob er in ihr einen Satz äußern 15 H.P. GRICE 1971 16 Diese deutschsprachige Fassung der Grice'sehen Konversationspostulate, mit einer ausführlichen Besprechung, befindet sich in S. KANNGIESSER 1976a, S. 297ff.
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würde oder nicht, dies allerdings mit tertium non datur. Dies kommt einer Behauptung von a gleich, daß er einen Satz S in einer gegebenen Situation Σ auch tatsächlich äußern wird (oder nicht), insofern a gewillt oder in der Lage ist, die festgelegten Konversationsprinzipien in Σ einzuhalten. Was a jedoch nicht garantieren kann ist, ob er die Konversationsprinzipien in Σ tatsächlich einhalten wird. Um diesen Zusammenhang einzusehen, ist es nützlich, sich den Status der Grice'sehen Postulate zu betrachten. Zuerst ist nachdrücklich zu beachten, daß es sich bei (G1) — (G5) nicht um moralische Prinzipien handelt 17 . S. Kanngießer zeigt dies durch folgende einfache Überlegung: „Es ist nützlich, sich einmal die Konsequenzen seiner generellen Nicht-Befolgung vor Augen zu fuhren: würde ( G l ) grundsätzlich nicht befolgt, so wäre sprachliche Kommunikation nämlich ebenso grundsätzlich nicht mehr möglich. Wenn die Sprache disfunktional gebraucht würde, und zwar generell disfunktional gebraucht würde (also nicht mehr benutzt würde, um etwa konkrete situationsspezifische Kommunikationsbedürfnisse zu befriedigen, sondern ein jeder unter Mißachtung aller vorliegenden Kommunikationsbedürfnisse, einschließlich der eigenen, gleichsam nur mehr drauflosreden würde), so wäre die Möglichkeit der Kommunikation nicht mehr sicherzustellen; es wäre nicht mehr gesichert, daß auf Fragen geantwortet wird, Behauptungen diskutiert werden, etc. Mit anderen Worten: wo immer sprachliche Kommunikation gelingt, muß das Prinzip ( G l ) erfüllt sein — es spezifiziert eine der Bedingungen der Möglichkeit von Kommunikation überhaupt 18 ." Das Zitat zeigt, daß es sich bei (Gl) also um eine Bedingung allgemeinster Art handelt. (Gl) ist eine Bedingung, die akzeptiert werden muß, damit man eine natürliche Sprache L als ein Mittel zur Befriedigung von Kommunikationsbedürfnissen KBB19 überhaupt benutzen kann, denn es ist klar, daß man L nicht als Mittel zur Befriedigung von KBB benutzen kann, wenn man bei Benutzung von L sogar seine eigenen KBB mißachtet. Man kann ( G l ) als eine Handlungsanweisung betrachten, die man beachten muß, wenn man L zur Befriedigung von KBB benutzen will. Andererseits werden die Grice'sehen Postulate des öfteren verletzt, manchmal vorsätzlich und manchmal besseren Könnens. Letzteres trifft meistens fur (G5) zu: Wer sich nicht klar ausdrücken kann, drückt sich eben unklar aus. Ersteres trifft oft für (G3) und(G4) zu: Natürlich könnte m a n i , bezüglich(G3), nicht benutzen, wenn man generell nicht meint, was man sagt. Andererseits gerät man bekanntlich oft in Situationen, in denen man bewußt lügt. Was 17 was Grice selbst ebenfalls zurückweist; vgl. dazu auch S. KANNGIESSER 1976a, Kap. II, wo versucht wird, den Status von (Gl) - (G5) de-ontisch mit Hilfe von Norm-Aussagen zu begründen, sie als Wertaussagen zu formulieren und handlungstheoretisch zu erklären. — In diesem Zusammenhang ist jedoch nur der nicht-moralische Charakter der Postulate wichtig. 18 S. KANNGIESSER 1976a, S. 297f
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(G4) betrifft, kann man in einer Situation sein, in der man das Gesprächsthema wechseln will und deshalb bewußt nichts Relevantes zum Thema beiträgt. Aber, obwohl die Konversationspostulate laufend verletzt werden, so bricht deshalb eine natürliche Sprache L als Mittel zur Befriedigung von KBB zusammen, und zwar deshalb, weil es sich hier eben um Verletzungen von vorausgesetzten und generell akzeptierten Prinzipien handelt, die auch als solche erkannt werden. Solche Verletzungen werden sogar einkalkuliert und oft als normal empfunden. Es sei schließlich angemerkt, daß ich die Frage nach der Vollständigkeit der Grice'sehen Liste (Gl) — (G5) in diesem Zusammenhang fur nicht wichtig halte. Grice selbst erwägt, seiner Liste noch das Postulat ,Be polite' hinzuzufügen. Nun mag es Leute geben, die Höflichkeitsfragen fur kommunikative Zwecke als vollkommen irrelevant ansehen. Ebenso klar scheint mir, daß eine häufige Verletzung von (G2) oder (G5) weniger Verheerung anrichtet als von (Gl) oder (G3). Die Vollständigkeitsfrage erscheint mir deshalb für nicht dringlich, weil man in einer solchen Prinzipienliste zwischen sehr wichtigen und weniger wichtigen Prinzipien unterscheiden kann (, wobei die Häufigkeit der Verletzungen bei den weniger wichtigen ansteigt), sodaß sich eine solche Liste prinzipiell beliebig erweitern läßt. Ich denke, daß die Grice'schen Postulate alle zu den sehr wichtigen gehören und von den meisten SprecherHörern akzeptiert werden (.natürlich unter Einkalkulierung bewußter Verletzungen). Wichtig indes ist, daß jeder Sprecher-Hörer eine bestimmte Liste von Konversationsprinzipien akzeptiert, welche auch immer, relativ zu der er immer sagen kann, ob er, nach dem Prinzip (I), einen Satz in einer bestimmten Situation äußern würde oder nicht, tertium non datur. Vor dem Hintergrund von (I), dessen Gültigkeit ich von nun an voraussetze, möchte ich nun eine formale Definition des Begriffs,Kommunikationsbedürfnis' geben. In dem Aufsatz ,0n some Concepts of Pragmatics' von R. Carnap befinden sich zwei formale Festlegungen, die leicht abgeändert, zu diesem Zweck übernommen werden können: Jnt (p, S, L, X, t) say, that the proposition ρ is the intension of the sentence S in the language L for X at f" und ,/l (X, t, S, L) mean that X at t wills deliberately to utter a token of S as a sentence of the language L in the sense of an assertion20 ". Für die hier einschlägigen Zusammenhänge setze ich fest: (+) Int (ρ, S, L ', α, Σ), 19 Das häufig vorkommende Wort „Kommunikationsbedürfnis" kürze ich ab jetzt oft durch „KB' ab und bilde den Plural „KBB". 20 R. CARNAP 1955, S. 249
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zu lesen: ρ ist die Intension des Satzes S der Sprache L ' (,mit L ' derjenigen Teilsprache über einer natürlichen· Sprache L, die a beim Äußern von Sätzen benutzt) für den Sprecher-Hörer a in der Situation Z ; u n d (++)A (α, Σ, S, L % zu lesen: Sprecher-Hörer a würde S e L ' in Σ äußern, wenn Σ gegeben ist (,mit ρ als der Intension von S, vgl. (+)) 2 1 . Den kommunikativen Wert eines Satzes S fur einen Sprecher-Hörer a, definiere ich wie folgt: ( D O =
{ Σ : Α ( α , Σ, S, L ' ) }
Diese Definition geht konform mit Prinzip (I): a hat Κ^ genau dann verstanden, wenn er für jedes Σ sagen kann, ob (++) oder nicht (tertium non datur). Folgerichtig wird Κ** durch diejenigen Situationen festgelegt, für die (++) gilt. Das kommunikative Bedürfnis, das ein Sprecher-Hörer a hat, der in einer Situation Σ eine Äußerung macht, besteht nach den obigen Bemerkungen jedoch nicht darin, S in Σ zu äußern, sondern er benutzt S, um einen Gedanken, oder technischer, eine Proposition ρ zum Ausdruck zu bringen (vgl. (+)) und hat das Kommunikationsbedürfnis KB, ρ in Σ zum Ausdruck zu bringen, und tut dies mit Hilfe von S (vgl. (++)). Die Kommunikationsbedürfnisse eines Sprecher-Hörers a bezüglich einer Proposition ρ, KBBP, lege ich wie folgt fest: ( D l )KBBP=
{Σ-.Intip,
S, L\α,
Σ) und Λ (α, Σ, S U O )
KBßP sind definiert durch diejenigen Σ, in denen a einen Satz S mit der Intension ρ äußern würde, Le., durch diejenigen Σ, fur die (+) und (++) gelten. (+) mag man dabei als den semantischen und (++) als den pragmatischen Teil der Definition betrachten. Die Menge der Kommunikationsbedürfnisse eines Sprecher-Hörers a, KBBa, wird definiert, indem man neben Σ auch ρ variieren läßt: (D2) KBBa = {(ρ, Σ > : Int (ρ, S, L', α, Σ) und A{a, Σ, S, L ) } KBB a sind festgelegt durch Paare, in denen einer semantischen Entität ρ eme 21 In (++) von einer ,assertion A ' zu sprechen, wobei hierunter ,assertion' wohl eine Behauptung zu verstehen ist, wäre viel zu speziell, weil das Behaupten nur eine von vielen Arten ist, sprachliche Handlungen zu vollziehen. Sollte jedoch unter ,assertion' so etwas wie ein Aussagesatz zu verstehen sein, so wäre dies deshalb zu speziell, weil das Übermitteln von Informationen ebenfalls nur eine Art sprachlicher Handlung ist.
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pragmatische Entität Σ zugeordnet wird. Schließlich kann man, wenn man will, noch a variieren lassen (der Leser hat bemerkt, daß „Σ" in (DO)—(D3) als Variable benutzt wird, in (D2), (D3) und „a" in (D3) desgleichen. Diese Ausdrücke sind an den anderen Stellen als Konstanten zu betrachten, oder gegebenenfalls als durch Quantoren gebunden) und so zu einer allgemeinen Festlegung des Begriffs,Kommunikationsbedürfnis' kommen. Die Menge der Kommunikationsbedürfnisse KBB ist definiert durch (D3) KBB = {< α, ρ, Σ > : Int (p, S, L \ α, Σ) und Α (α, Σ, S, L )} Kommunikationsbedürfnisse KBB sind festgelegt durch Sprecher-Hörer a, den .Trägern' der KBB, Propositionen ρ und Situationen Σ, in denen Sprecher-Hörer a die jeweiligen Propositionen zum Ausdruck bringen möchten.
4. Ausdrucksadäquatheit Bezüglich des pragmatischen Aspekts des Begriffs,Kommunikationsbedürfnis' wurde gesagt, daß ein Sprecher-Hörer a jedem Satz S aus L '(der Teilsprache, die a selbst beherrscht) eine Menge von Situationen zuordnen kann, nämlich diejenigen Situationen, in denen a den nämlichen Satz S äußern würde, und daß a durch das Äußern von S in der gegebenen Situation ein Kommunikationsbedürfnis KB befriedigt (vgl. (DO) und (Dl)). Diese Formulierung kann möglicherweise suggerieren, daß hier eine Zuordnung von Sätzen in Situationen besteht derart, daß es zu Sätzen aus L ' Situationen jeweilig gibt, nämlich jenen, in denen a einen betreffenden Satz äußern würde. In (D2) jedoch, wo die Beziehung zwischen Sätzen bzw. den Propositionen, welche die Intensionen der entsprechenden Sätze sind, einerseits und Situationen andererseits als eine Menge von Paaren festgelegt ist, wird die Möglichkeit einer wechselseitigen Zuordnung vorausgesetzt derart, daß auch eine Zuordnung von Situationen in Sätze möglich ist. Man kann nun fragen, was es bedeutet, daß es aus einer gegebenen Menge von Situationen zu jeder Situation Σ mindestens einen Satz S aus L ' gibt derart, daß ihn a in Σ äußern würde. Sei σ die Menge der Situationen, in denen a einen Satz äußern würde. Eine eindeutige Zuordnung von σ in L ' ist genau dann möglich, wenn es zu jedem Σ e σ mindestens ein S e L ' gibt derart, daß a den Satz S in Σ äußern würde. Was aber, wenn es für ein Σ keinen entsprechenden Satz S aus L 'gibt? Dem bisher gesagtem zufolge heißt dies, daß a ein KB hat, das er mit Hilfe von L ' nicht befriedigen kann (—und so etwas kommt häufig genug vor!—); technischer formuliert: Nicht für
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alle KBB von a gibt es Sätze aus L ' derart, daß (++) erfüllt ist. In einer solchen Situation ist dagegen folgender Satz erfüllt: ( + + + Μ ( β , Σ, S, L "),
mit L " Φ Lv und L ' derjenigen Teilsprache über einer natürlichen Sprache L, die a beherrscht. F aßt man L als eine Sprachfamilie auf, die synchrom in Teilsprachen zerfallt und deren Teilsprachen diachronen Prozessen zugänglich sind 22 , dann ist/," eine Teilsprache über L, die a neu hinzulernen müßte (bzw., a müßte seine eigene Sprache entsprechend erweitern). Oder Z," muß erst durch diachrone Prozesse neu entstehen, wegen eines mit Hilfe von L, und somit auch vonL \ unerfüllbaren Kommunikationsbedürfnisses23. Aus dem eben gesagtem folgt, daß durch (Dl) und (D2) nicht alle Kommunikationsbedürfnisse eines Sprecher-Hörers a definiert sind, sondern nur diejenigen, die a mit U befriedigen kann. Diese Inkonstenz ist jedoch dadurch ausgeräumt, indem man das Searle'sehe Ausdrückbarkeitsprinzip für natürliche Sprachen zugrunde legt. Es besagt, der jetzigen Sprechweise angepaßt, daß jede natürliche Sprache L so beschaffen ist, daß sie die Kommunikationsbedürfnisse ihrer Sprecher-Hörer immer zu erfüllen mag, bzw., daß L immer kommunikativ adäquat ist 24 . Entsprechend den hier eingeführten Überlegungen kann das Searle'sehe Ausdrückbarkeitsprinzip wie folgt formuliert werden: Sei L eine natürliche Sprache (Sprachfamilie) mit Sätzen S¡ e L. Es gebe für jeden Sprecher-Hörer a von L ein a, mit Σ^ e σ, und σ der Menge all derjenigen Situationen, in denen a aufgrund seiner Kommunikationsbedürfnisse einen Satz äu-
22 nachS. KANNGIESSER 1972 23 Man beachte im Vorübergehen, daß ich hier nicht von der Existenz von Propositionen bzw. Gedanken als unabhängig von irgendeiner sprachlichen Einkleidung, einer platonischen Idee ausgehe (PLATO, Parmenides 132ff.). Ich gehe nicht davon aus, daß es auf selten eines Sprecher-Hörers a eine Proposition gibt, die er zum Ausdruck bringen möchte, aber über keinen Satz verfügt, mit dem er dies tun kann. Ich gehe lediglich davon aus, daß es Situationen Σ eo gibt, in denen a etwas äußern würde, ohne wissen zu müssen, was er genau äußern möchte, i.e. welche Proposition. Dies weiß er erst, wenn es ein L " gibt derart, daß a die Proposition ρ in Form eines Satzes aus L " äußern kann, d.h. erst dann, wenn β die Sprache L" (teilweise) beherrscht. 24 Es ist wichtig zu beachten, daß Searle sein Prinzip modal formuliert, daß also L potentiell ausdrucksadäquat ist: „ . . . es ist grundsätzlich möglich, dahin zu gelangen, daß ich genau sagen kann, was ich meine." Dieser Satz beginnt mit folgenden Worten: „Aber selbst in den Fällen, in denen es tatsächlich unmöglich ist, zu sagen was ich meine . . . " (S. 35 der dt. Übersetzung). Dem trage ich hier Rechnung, daß ich nie von einer TeilspracheL',L"über L als ausdrucksadäquat spreche, sondern nur von einer Sprachfamilie L, die ich als synchrones und diachrones System auffasse.
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ßern würde; dann gelte für jeden Sprecher-Hörer a von L: Für Sätze S¿eL gibt es eine Menge von Situationen Σ ^ , Σ ^ , . . . , Σ ^ , . . . , mit Σ ^ β σ derart, daß α den Satz S¡ in Σ ^ äußern würde, falls Σ]^ gegeben ist, und umgekehrt: für jedes Σ^-εσ gibt es eine Menge von Sätzen 5 / ^ , 5 ^ , . . . , . . . , mit Sj^eL derart, daß S ^ von a in Ey geäußert werden würde, falls Σι gegeben ist. [st diese Bedingung erfüllt, dann ist L kommunikativ adäquat, bzw., dann erfüllt L die Kommunikationsbedürfnisse ihrer Sprecher-Hörer. Die Behauptung, daß diese Bedingung für natürliche Sprachen erfüllt ist, ist gleichbedeutend mit der Postulierung des Ausdrückbarkeitsprinzips für natürliche Sprachen. Es ist eine bekannte Tatsache, die in vielen Einzeluntersuchungen gewürdigt wurde, daß sich natürliche Sprachen verändern. Da gibt es in den indogermanischen Sprachen Vereinfachungen des morphologischen Systems wie Wegfall von Kasus-Endungen oder Abbau des Tempussystems (z.B. des Aorist). Zum anderen erhalten alte Wörter neue Bedeutungen, oder es werden neue Wörter eingeführt, und es gibt Derivationen, z.B. durch Wortbüdungssuffixe, und andere Typen von Wort-Kompositionen. Es ist erlaubt zu fragen, wozu dies alles geschieht. Eine naheliegende Antwort darauf ist die, daß sich natürliche Sprachen verändern, damit sie neu auftretende Kommunikationsbedürfnisse ihrer Sprecher-Hörer befriedigen können 2 5 . Betrachten wir in diesem Zusammenhang noch einmal Searle's Ausdrückbarkeitsprinzip, von dem ich eben behauptet habe, daß es dasselbe besagt wie der Satz, daß natürliche Sprachen ein Mittel sind, mit dem ihre Sprecher-Hörer ihre Kommunikationsbedürfnisse befriedigen können, in seinem vollen Wortlaut: „Für jede Bedeutung X und jeden Sprecher S ist, wann immer S X meint (auszudrücken beabsichtigt, in einer Äußerung mitzuteilen wünscht usw.), ein Ausdruck möglich derart, daß E ein exakter Ausdruck oder eine exakte Formulierung von X ist. Symbolisch: (S) (X) (S meint X M{3 E) (E ist ein exakter Ausdruck von X))26. Ich gebe nun, als „(A)", eine alternative formalisierte Form dieses Prinzips in der in (3) eingeführten Symbolik: (A): (a) (p) (KßP
S) (.Int(p, S, L, α, Σ ) ) ) .
Die Searle'sche Wendung JS meint X" (oder: a meint p) verstehe ich als: a hat das Kommunikationsbedürfnis, ρ in Form eines Satzes in einer bestimmten Situation zu äußern, und Int{p, S, L, α, Σ) als Spezifizierung der Wendung 25 Oder, das gilt zum Stichwort .Vereinfachungstendenzen', sie effektiver bzw. leichter befriedigen zu können. 26 J.R. SEARLE 1969 S. 20, nach der dt. Übersetzung S. 35
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JL ist ein exakter Ausdruck von X* (bzw.: S ist ein exakter Ausdruck von p), wobei die Spezifizierung lauten könnte: S ist ein exakter Ausdruck von ρ der Sprache L in der Situation Σ. Diese Spezifizierungen ändern nicht das Searle'sehe Prinzip. Der Bezug auf eine Situation Σ wird allein durch den Gebrauch indexikalischer Ausdrücke nahegelegt, und durch die Existenz homonymer Sätze, die erst durch Bezug auf eine Situation eindeutig werden. Die Spezifizierung, daß ein Satz S Satz einer gegebenen natürlichen Sprache L sei, ist nun keineswegs trivial. Ich bemerkte oben, daß in (Dl) — (D3) Bezug auf diejenige Sprache L' genommen wird, die ein gegebener Sprecher-Hörer a beherrscht, aber nur dann alle Kommunikationsbedürfnisse von a definiert sind, wenn man Prinzip (A) für natürliche Sprachen zugrundelegt. Der Modaloperator ,0' in (A) wird erst durch den Bezug auf eine natürliche Sprache L linguistisch relevant, weil durch ihn behauptet wird, daß sich natürliche Sprachen verändern können, um die Kommunikationsbedürfnisse ihrer Sprecher-Hörer zu befriedigen 27 . Dies folgt daraus, daß Searle's Prinzip faktisch, Le. ohne Modalopeeator, nicht gelten würde. Ferner: Da es die Teilsprachen L', V usw. über L sind, die sich verändern 28 , so folgt daraus, daß Prinzip (A), wenn es für L gilt, auch für diejenige Teilsprache gilt, die ein Sprecher-Hörer a beherrscht, und da mit a (in (A) als gebundene Variable) auf alle Sprecher-Hörer bezug genommen wird, gilt, daß (A) für alle Teilsprachen über L gilt. Betrachtet man L und ihre Teilsprachen als diachrone Systeme, dann gilt, daß in ( D l ) - (D3) tatsächlich alle Kommunikationsbedürfnisse der Sprecher-Hörer von L festgelegt sind, wenn man (A) zugrunde legt. Wenn dann auch nicht generell gilt, daß sich natürliche Sprachen verändern, um die Kommunikationsbedürfnisse ihrer Sprecher-Hörer zu befriedigen — sie können sich auch aus anderen Gründen verändern, wie z.B. durch Fremdeinfluß — so gilt doch, daß sich natürliche Sprachen verändern müssen, damit sie die Kommunikationsbedürfnisse ihrer Sprecher-Hörer befriedigen können.
5. Linguistik und Kybernetik Der letzte Satz aus Abschnitt 4 scheint auf dem ersten Blick einem teleologischen 27 deshalb ist Searle's Prinzip auch ein diachrones Prinzip, vgl. S. KANNGIESSER 1976a, S. 362 28 entsprechend S. KANNGIESSER 1972 ist L festgelegt durch die Vereinigung der Satzmengen aller ihrer Teilsprachen, jedoch ergibt eine Vereinigung der Grammatiken der Teilsprachen von L keine Grammatik von L (S. 77, 82). - Dies ist geradezu das Grundprinzip, von L als einer Sprach/amife zu sprechen.
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Erklärungstyp anzugehören. Man kann jedoch Erklärungen dieser Art als funktionale Erklärungen im Sinne von Abschnitt 1 betrachten und sie teleologischen Erklärungen gegenüberstellen29, da man zeigen kann, daß sich viele teleologische Erklärungen auf kausale Erklärungen zurückfuhren lassen 30 . Vornehmlich sind es gewisse in der Kybernetik verwendete ,quasi-teleologische'31 Modelle, die sich kausal deuten lassen32. Prominentes Beispiel hierfür sind die sogenannten ,Systeme mit zielgerichteter Organisation', auch .zielgerichtete Systeme mit Selbstregulation' oder kurz ,ΖΟ-Systeme' genannt 33 . Diese ZO-Systeme liefern genau jenen Erklärungstyp, der hier als,funktionale Erklärung' bezeichnet wird. Man vgl. eine ,quasi teleologische' Erklärung dafür, daß auf einen Zustand c ein Zustand d folgt: „Wir stellen fest, daß es sich bei dem nach dem Explandum c folgenden Zustand um den Zustand d handelt; c sehen wir als eine notwendige Bedingung dieses Zustandes an. Der Zustand d ist eingetreten — aber ohne c wäre d nicht zustande gekommen; es bedurfte, so könnte man sagen, des Zustandes c, um d möglich zu machen. Wir sind hier nicht an einer Erklärung von d interessiert. Wir sehen sein Vorkommen als gegeben an. Es war, in diesem Licht betrachtet, sozusagen der „Zweck" von c, den Zustand d zu ermöglichen; c existiert sozusagen „um d willen."34 Formuliert man dieses Zitat prägnant so: ,Damit möglich daß d, ist es notwendig daß c', erkennt man sofort die entsprechende Struktur in dem Satz:' Damit es möglich ist, daß natürliche Sprachen ausdrucksadäquat sind, ist es notwendig, daß sich natürliche Sprachen verändern'. Als weiterer Beleg sei ein Stegmüller-Zitat angeführt: „Diese elementar-teleologischen Aussagen können sofort in nichtteleologische Aussagen übersetzt werden, in denen nur mehr davon die Rede ist, daß etwas eine notwendige Bedingung für etwas anderes darstellt. Sprachlich wäre dies häufig durch irrationale Konditionalsätze von der Gestalt ,wenn nicht . . . , so . . . ' wiederzugeben, also z.B. wenn das 29 Dies ist ein Hauptthema von S. KANNGIESSER 1976, vgl. S. 130 und Anm. 39 S. 153 30 Siehe hierzu etwa G.H. v. WRIGHT 1971, Kap. H.6 und III.l oder E. NAGEL 1961, S. 4 0 1 - 2 9 : The Structure of Teleological Explanations. 31 Dieser Ausdruck kommt vor in G.H. v. WRIGHT 1971, S. 58 (dt. Übers.: S. 62) 32 Nagel spricht geradezu davon, daß „In brief, the difference between teleological and nonteleological explanations, as has already been suggested, is one of emphasis and perspective in formulation" (E. NAGEL 1961 S. 422). Den Beweis fuhrt Nagel auch hier qua Konstruktion eines zielgerichteten selbstregulierenden Systems, wie es aus der Kybernetik bekannt ist. 33 Eine Darstellung von solchen Systemen befindet sich in W. STEGMÜLLER 1961. Als Erfinder dieser Systeme gilt der Verfasser von N. WIENER 1948. 34 G.H. v. WRIGHT 1971, S. 58 (nach der d t Übers. S. 61). Anschließend legt Wright terminologisch fest, daß er diesen Erklärungstyp ,quasi-teleologisch' nennen wird.
Kommunikationsbedürfnisse, Ausdrucksadäquatheit,
Sprachveränderung
menschliche Blut nicht eine hinreichende Anzahl von Leukozyten enthielte, so würde der menschliche Organismus durch eindringende Mikroorganismen geschädigt oder sogar vernichtet werden', . . . " 3 5 . Oder als linguistisches Beispiel: Wenn eine natürliche Sprache L keine Positionsausdrücke enthielte, so könnten ihre Sprecher-Hörer keine Positionen zu Aussagen einnehmen. Es scheint, daß es nützlich ist, sich die allgemeine Struktur von ZO-Systemen näher zu betrachten um herauszufinden, ob sich aus ihnen Erklärungstypen ableiten lassen, die sich als Muster für funktionale Erklärungen auch innerhalb der Sprachwissenschaft eignen können. Ein bekanntes Beispiel für ein einfaches System mit zielgerichteter Selbstorganisation, auch ,ΖΟ-System' genannt, ist das einer Heizung mit Thermostat. Dieses Gerät hat seine Funktion bekanntlich darin, die Temperatur eines Raumes möglichst auf einen konstanten Wert, etwa 21 ° zu halten. Neben dem Heizkörper hat ein solches Gerät ein Thermometer, und zwischen beiden befindet sich eine Einrichtung, die aufgrund des bereits fixierten Temperaturwertes (hier: 21°) je nach der vom Thermometer registrierten Temperatur die Heizungstätigkeit des Heizkörpers beeinflußt. Wie das im einzelnen technisch funktioniert, ist hier nicht weiter von Belang ¡folgende drei Punkte sind jedoch als generelle Merkmale aller ZO-Systeme festzuhalten: Erstens, die ganze Einrichtung ist ein System, das die Funktion hat, eine bestimmte Eigenschaft zu bewahren ; im Falle einer Heizung mit Thermostat ist es die Eigenschaft der Luft eines Raumes, eine Temperatur von 21° zu haben. Entsprechend besitzt ein ZO-System ein erstes System, das eine solche Eigenschaft überhaupt ermöglicht, in unserem Falle ist dies der Heizkörper. Zweitens, es gibt eine Umgebung, die diese Eigenschaft (nicht notwendig immer) beeinträchtigt, in unserem Falle Temperaturschwankungen aufgrund des Klimas. Entsprechend gibt es ein zweites System, das solche Umgebungseinflüsse registriert oder in irgendeiner Weise auf sie reagiert. In unserem Falle leistet dies ein Thermometer. Drittens, das System ist (nicht notwendig unbegrenzt) in der Lage, diese störenden Umgebungseinflüsse automatisch bzw. selbstregulierend abzugleichen, um so die bezweckte Eigenschaft zu bewahren; in unserem Beispiel: durch automatisches An- und Abschalten des Heizkörpers, je nach der im Raum herrschenden Temperatur. Entsprechend gibt es ein drittes System, welches aufgrund der Registrierung bzw. Reaktionen des zweiten Systems automatisch und bezüglich bestimmter festgelegter Regelungen die Arbeit des ersten Systems beeinflußt. Dieses dritte System wird auch .Feedback' genannt. In unserem Beispiel leistet diese Arbeit der Thermostat, in dem auch das zweite System, das Thermometer enthalten ist, dessen Aufgabe aber strenggenommen 35 W. STEGMÜLLER 1961, S. 15
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von der Aufgabe desjenigen Teils des Thermostat zu trennen ist, der dafür sorgt, daß je nach Zimmertemperatur die Heizung aus- bzw. angestellt wird 3 6 . Abgesehen von den Nutzen, den ZO-Systeme dadurch haben, daß man nach ihren Prinzipien nützliche Dinge des Alltags wie Heizungen, Kühlschränke oder Automatik-Getriebe herstellen kann, haben sie auch eme wissenschaftstheoretische Bedeutung. Der Begriff eines ZO-Systems ist so weit gefaßt, daß auch Teile des komplizierten menschlichen Organismus als ein solches System aufgefaßt werden kann, und hat besonders in der Biologie im Zusammenhang mit dem Problem Kausalität vs. Teleologie eine wichtige Rolle gespielt. Die Wirkungsweise von ZO-Systemen kann rein kausal erklärt werden, und so brauchen Vorgänge in der Natur nicht im Rekurs auf den Willen eines göttlichen Wesens erklärt werden. Damit sind allerdings teleologische Erklärungen nicht aus der Welt geschafft, sondern, nach Stegmüller, auf eine andere,Schicht' verlagert, nämlich auf die Schicht, w o die Frage nach der Entstehung von Gegenständen, die zielgerichtet nach den Prinzipien von ZO-Systemen arbeiten, zur Debatte steht, wie z.B. des menschlichen Organismus 37 . So kann, scheint mir, ein Biologe, der Anhänger von Erklärungen im Rekurs auf ZO-Systeme ist, durchaus gleichzeitig Deist sein, ohne widersprüchlich zu sein. Und die Entstehung von Kühlschränken oder Heizungen teleologisch zu erklären wird wohl niemand große Skrupel haben 3 8 . 36 nämlich eine Metall-Legierung, die bei gewisser Erwärmung durch Dehnung einen Stromkreis unterbricht. 37 Vgl. W. STEGMÜLLER 1961, S. 15ff. Stegmüller behauptet sogar: Es ist allerdings nicht ganz korrekt, wenn Nagel Umformulierungen von dieser Art als Übersetzungen von teleologischen in nichtteleologische Erklärungen bezeichnet." (S. 15) Zwar gelte „Das Funktionieren von Organismen ist naturwissenschaftlich-kausal erklärbar, die Entstehung von Organismen jedoch nicht." (S. 18) Die ursprünglichen teleologischen Erklärungen enthalten nach Stegmüllers Darstellung des Problems gegenüber den Übersetzungen in nicht-teleologischen Erklärungen einen Bedeutungsüberschuß, nämlich die Voraussetzung, daß gewisse Gegenstände zu dem Zweck geschaffen wurden, eine gewisse Eigenschaft zu erhalten. Probleme dieser Voraussetzung, etwa, wie und warum der menschliche Körper diese oder jene Organismen erhalten hat, verweist Stegmüller auf eine dritte Schicht, Le., auf eine Schicht, innerhalb der es in der Tat noch nicht gelungen ist, teleologische Erklärungen in nicht-teleologische zu übersetzen, während in der zweiten Schicht das Funktionieren von zielgerichtet arbeitenden Gegenständen nicht-teleologisch im Rekurs auf ZO-Systeme erklärt wird. (In einer ersten Schicht geht es um Erklärungen, die eine Zielgerichtetheit vorgeben, welche nicht vorhanden ist, also Erklärungen, die nach Wright's Sprechweise nicht einmal quasiteleologisch sind, vgl. G.H. v. WRIGHT 1971 S. 58.) 38 Vgl. W. STEGMÜLLER 1961, S. 18, der dafürhält, für die Entstehung von technischen Geräten eine genuin teleologische Erklärung zu geben, denn „für die Entstehung solcher Gebilde muß eine historisch-kausale Erklärung gegeben werden, zu deren Antecendensbedingungen die Zielsetzungen und Wünsche menschlicher Personen gehö-
Kommunikationsbedürfnisse,
Ausdrucksadäquatheit,
Sprachveränderung
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Im Vorübergehen sei noch angemerkt, daß ZO-Systeme auch in der Linguistik eine Rolle gespielt haben, allerdings in einem ganz anderem Sinn als dem hier intendierten. ZO-Systeme sollten dort als Vehikel fur die strengsten Induktivisten unter den Strukturalisten dienen, mit dem Ziel, .selbstregulierend' aus einem sprachlichen Korpus eine Grammatik zu erstellen bzw. diese Gramje nach Eingang neuer Daten .selbstregulierend' zu erweitern bzw. zu verbessern. Auch auf dem Gebiet der maschinellen Übersetzung und innerhalb des Grenzbereiches von Semantik und Informationstheorie versuchte man die kybernetische Idee der Selbstregulation fruchtbar zu machen39. Aber diese Probleme gehören einem Fragenkomplex an, der den hier eingeführten Ansatz nicht tangiert. ZO-Systeme γ lassen sich auffassen als ein Paar y = ( e,TÏL>, mit e einer Eigenschaft und W. einen Mechanismus, der e zu erhalten trachtet40. Tl/Ibesteht aus einem ersten System, das eine gewisse Tätigkeit ausführt, einem zweiten System, das auf gewisse Umwelteinflüsse reagiert und einem weiteren System, dem sogenannten Feedback, das aufgrund der Reaktionen des zweiten Systems die Arbeit des ersten Systems beeinflußt. Bei der Festlegung eines dreiteiligen MechanismusTfl, der eine bestimmte Eigenschaft e erhalten soll, sind folgende drei Dinge zu beachten. Erstens, 7ÏL muß in der Lage sein, e beeinträchtigende Umgebungseinflüsse U zu registrieren und auf sie zu reagieren. Zweitens, die Arbeit von7ÍLgeschieht in zeitlicher Abfolge. Nehmen wir an, γ sei in einem derartigen Zustand, daß die Eigenschaft e vorliegt ; man sagt dafür genauer: Der Zustand von γ sei ein e-Zustand. Es kann nun zum einen der Fall sein, daß keine störenden Umgebungseinflüsse U auftreten, ie., kein U, das e beeinträchtigt. Dann muß gar nichts geschehen: γ verharrt im selben Zustand. ren." Dies gilt fui die Entstehung von .naturgewachsenen' Systemen nicht. Die Frage der Entstehung muß hier offengelassen werden. Dies gilt natürlich auch für natürliche Sprachen, soweit man sie als ZO-Systeme betrachten will. Es scheint mir indes auch für die Sprachwissenschaft selbstverständlich zu sein, daß man natürliche Sprachen auf ihren Charakter als zweckgerichtete Systeme untersuchen kann, ohne dabei die Entstehung von natürlichen Sprachen berücksichtigen zu müssen, genau wie ein diachroner Linguist der Indogermanistik kaum sein abstraktes Bezugssystem, die .indogermanische Ursprache', mit einer Theorie über die Entstehung natürlicher Sprachen in Verbindung setzen wird. 39 Zur Geschichte der Kybernetik in der Linguistik vgl. Y. BAR-HILLEL 1970a und die Abschnitte 14, 18 und die Einleitung von Y. BAR-HILLEL 1964 40 Man beachte, daß e keine Eigenschaft vonlül ist, vielmehr gilt, daß e , wem auch immer diese Eigenschaft zukommt, von JTl hergestellt und erhalten wird. In dem Beispiel einer Heizung mit Thermostat ist es nicht das Gerät selbst, daß eine Temperatur von 21 haben soll, sondern die Luft in dem Raum, in dem das Gerät steht zu dem Zweck, die Eigenschaft der Luft, 21 warm zu sein, zu ermöglichen und zu bewahren.
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Z u m anderen kann der Fall sein, daß störende U permanent vorhanden sind, oder in Abständen auftreten. KÏL soll jetzt zu dem Zeitpunkt, in dem er U registriert, reagieren, und zwar derart, daß e wiederhergestellt wird. Wieviel Schritte Î J t d a b e i anwendet und wieviel Zeit Tt^ braucht, u m e wiederherzustellen ist offen ; das hängt von A r t und Stärke der einzelnen Störung ab, und von der E f f i z i e n z eines j e w e i l i g e n ^ · Entscheidend ist, daß die Arbeit v o n T ï l d a r in besteht, γ je nach störenden Umgebungseinflüssen U von einem Zustand in einen nächsten zu überfuhren, zu dem Z w e c k , e zu erhalten, und daß deshalb die Festlegung der Arbeit v o n T ï l i m Rekurs auf eine A b f o l g e von Zuständen erfolgen muß. Drittens,
da 7 selbstregulierend ist, muß es irgendwelche Prin-
zipien geben, aufgrund derer TSL bei A u f t r e t e n bestimmter U automatisch arbeitet, Le., es gibt irgendwelche Gesetze, aufgrund derer 7 bei A u f t r e t e n bestimmter U von einem Zustand in einen nächsten überführt wird. H f l i s t mir der Angabe dieser Gesetze definiert. — Ein ZO-System 7 ist ein Paar 7 = < mit e einer Eigenschaft u n d ï j f t e i n e r Menge von Regeln der Form Z', U ^ Z, mit Z\ Ζ einem 7-Zustand jeweilig und U einem Umgebungseinfluß, und weiter mit Ζ einen 7-Zustand derart, daß Ζ ein e-Zustand von 7 ist, und mit Z ' einem 7-Zustand, der von dem e beeinträchtigenden Umgebungseinfluß U ein e-Zustand von 7 war, der jedoch durch das A u f t r e t e n der Störung U kein eZustand von 7 mehr ist. Jede Regel ZQ,U
= > Z j , i / => Zj.U
= > . . . = > Z'n, U=Z,
Ζ zerfällt in eine Regel mit
Z',U=
' zu lesen: „wird überführt i n "
und ,=>' zu lesen: „wird unmittelbar überführt in", und mit η (n < 1) der Anzahl der Schritte, die 7ÍI benötigt, u m 7 v o m Zustand Z\U=
ZQ , Uin den e-
Zustand Ζ von 7 zu überführen, und ferner gilt für alle Z ' und für alle i mit 1 < i < n - 1 : Z'v Uist kein e-Zustand von 7 4 1 . Man kann nun natürliche Sprachen als ZO-Systeme auffassen, indem man die drei Begriffe ,Kommunikationsbedürfnisse', ,Ausdrucksadäquatheit' und .Sprachveränderung' miteinander in eine sinnvolle Beziehung setzt. Es sei L = QX, J ( G ) >, so ist IL die zu erhaltende Eigenschaft, ausdrucksadäquat zu sein, und J ( G ) eine Menge von Innovationsprinzipien über der Grammatiken-Familie G 4 2 , mit J ( G ) einer Menge von Regeln der Form Ζ',ΚΒΒ
=> Ζ, weiter
41 Für ein zusätzliche Aufführung der Teile von TTi besteht in der Definition von33t bzw. 7 keine logische Notwendigkeit, weil 731 in den einzelnen Zustandsbeschreibungen explizit angegeben werden muß, wenn diese vollständig ist Wenn man die drei Teile trotzdem separat angibt (und angibt, in welche Zustände sie treten können), so tut man dies aus methodologisch-ökonomischen Erwägungen: Dies zu tun ist ratsam, um nicht bei jeder Zustandsbeschreibung das ganze System angeben zu müssen, sondern sich auf die fur den jeweiligen Zustand und die nachfolgenden oder vorhergehenden Schritte relevanten Teile beschränken zu können. 42 den Grammatiken der Teil Sprachen der Sprachfamilie L
Kommunikationsbedürfnisse,
Ausdrucksadäquatheit,
Sprachveränderung
mit Z',ZZ,-Zuständen und KBB einer Menge von Kommunikationsbedürfnissen, die von Sprecher-Hörern von L im L-Zustand Ζ'nicht befriedigt werden können. Mit dem Auftreten der Kommunikationsbedürfnisse KBB hört Z ' auf, einLL-Zustand von L zu sein, und wird dann durch Sprachveränderungen in den£jL-Zustand Ζ überfuhrt. — Es wird hoffentlich nicht befremdlich erscheinen, daß hier Kommunikationsbedürfnisse KBB als,störende' Umgebungseinflüsse aufgefaßt werden; aber wie kann der Zustand einer natürlichen Sprache L, ausdrucksadäquat zu sein, anders gefährdet werden als dadurch, daß Sprecher-Hörer von L neue KBB entwickeln, von denen sich herausstellt, daß man sie mit L nicht befriedigen kann. Man sollte beachten, daß nach diesem Modell durchaus der Fall eingeschlossen ist, daß eine natürliche Sprache L aktual zu jedem Zeitpunkt ausdruckswadäquat ist, oder fiir sehr lange Zeit. Zum Vergleich stelle man sich wieder eine Heizung mit Thermostat vor, wobei der Thermostat auf 21° eingestellt ist. Es kann nun sein, daß der zu beheizende Raum derartigen Temperaturstürzen ausgesetzt ist, so daß es dem Heizkörper nie, oder nur selten gelingt, den Raum auf eine Temperatur von 21° zu bringen. Trotzdem handelt es sich um ein Gerät mit zielgerichteter Selbstorganisation zu dem Zwecke den Raum auf 21° (und nicht etwa auf 20°) zu halten, und die Arbeit der Heizung besteht darin, dem 21°-Zustand möglichst nahezukommen, je nach Stärke des Umgebungseinflusses. Ähnliches kann auch fur natürliche Sprachen gelten: Es ist durchaus möglich, daß permanent neue Kommunikationsbedürfnisse KBB auftreten derart, daß, wenn ein Teil der KBB nach diachronen Prozessen wieder befriedigt werden kann und so eine natürliche Sprache wieder dem Zustand der Ausdrucksadäquatheit nahegebracht wurde, bereits neue KBB auftreten, welchen durch neue Sprachveränderungsprozessen erst Genüge getan werden muß. Ich halte in diesem Zusammenhang, und im Zusammenhang mit der Interpretation des Modal-Operators in Searle's Prinzip überhaupt die Frage für sinnlos, ob eine natürliche Sprache L jemals aktual den Zustand der Ausdrucksadäquatheit erreicht 43 , 43 Ich fasse Searle's Prinzip so auf, daß damit keine Eigenschaft von L postuliert wird: ZL ist keine Eigenschaft von L sondern ein Zustand, in dem sich L befinden kann. Deshalb sind auch Sätze von L an sich nicht ausdrucksadäquat; sie sind es erst dadurch, daß sie adäquat benutzt werden (, und auch so, wie sie gemeint sind, verstanden werden). Es sind also Äußerungen, in welchen Sätze von L benutzt werden, denen die Eigenschaft ,ausdrucksadäquat' zukommt. L befindet sich im Zustand der Ausdrucksadäquatheit, wenn sich aus L ausreichend viele Sätze ableiten lassen derart, daß, wenn immer ein Sprecher-Hörer a von L einen bestimmten Gedanken zum Ausdruck bringen möchte, es einen Satz S aus L gibt derart, daß die Benutzung von S in einer Äußerung den betreffenden Gedanken ausdrucksadäquat wiedergibt. Natürliche Sprachen haben nur Eigenschaften, wie z.B. rekursiver Aufbau, damit sie jemals in einen Zustand der Ausdrucksadäquatheit gelangen können.
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oder sich lediglich im Zustand einer permanenten Annäherung an diesen Zustand befindet. Ausdrucksadäquatheit ist eben keine Eigenschaft einer natürlichen Sprache L, die man untersuchen kann, sondern ein Zustand, über dessen Bestehen die Kommunikationsbedürfnisse aller Sprecher-Hörer von L entscheiden. Es wäre aber müßig zu untersuchen, ob es Zeitpunkte gibt, wo dies der Fall ist.
6. Synchronie und Diachronie Ziel meiner Überlegungen bis zu diesem Punkt war, die Begriffe .Kommunikationsbedürfnisse', ,Ausdrucksadäquatheit' und ,Sprachveränderung' etwas näher zu betrachten und zu zeigen, wie sie zusammenhängen, wobei der letzte Begriff etwas kurz wegkam. Deshalb möchte ich im Zusammenhang mit dem letzten Begriff mit einer grundsätzlichen methodologischen Überlegung schließen. Nach der Grammatik-Konzeption Chomsky's44 erzeugt eine generative Transformationsgrammatik eine unendliche Menge von Sätzen. Eine Sprache wird definiert als die Menge der von einer solchen Grammatik erzeugten Sätze, wobei die Mächtigkeit dieser Menge abzählbar unendlich ist. Von Sätzen sind Äußerungen zu unterscheiden: In Äußerungen werden Sätze verwendet. Die Anzahl der tatsächlich vollzogenen Äußerungen ist aber zu jedem Zeitpunkt endlich. Die in einer Sprache L tatsächlich vollzogenen Äußerungen sind das Entscheidungskriterium dafür, ob die von Sprachwissenschaftlern aufgestellte Grammatik von L empirisch adäquat ist oder nicht. Tatsächlich vollzogene Äußerungen können die Korrektheit einer Grammatik G empirisch stützten, oder aber widerlegen, aber nicht beweisen, da G von L gleichzeitig eine Theorie über mögliche Äußerungen, in denen die Sätze von L verwendet werden, ist, i.e., G gibt Erklärungen für Äußerungen, die nicht gemacht wurden, und deshalb ist G immer empirisch teilweise hypothetisch. Erweitert man nun eine solche Konzeption zu einer diachronen Konzeption, dann hat man es nicht nur mit möglichen Äußerungen zu tun, in denen Sätze verwendet werden, sondern mit möglichen Sätzen, die möglicherweise geäußert werden, also mit möglichen theoretischen Entitäten. Eine solche Erweiterung wird jedoch mit den Mitteln ejnes Chomsky-Modelles nicht möglich sein, denn die grammatischen Regeln einer Grammatik nach dem Chomsky-Modell erzeugen aktuale theoretische Entitäten, da Sätze jederzeit in Äußerungen verwendet werden können. Solche Entitäten sind jedoch von möglichen theoretischen Entitäten, i.e., möglichen Sätzen zu unterscheiden, und entsprechend auch die Regeln, 4 4 i n N . CHOMSKY 1965
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welche diese möglichen theoretischen Entitäten erklären. Und es sind genau letztere Regeln, welche ich als Sprachveränderungs-Regeln bzw. Innovationsprinzipien von grammatischen Regeln als Expanisionsregeln von Regelgrammatiken strikt unterscheiden möchte. Formal ist der Unterschied streng genug dadurch gegeben, daß grammatische Regeln über einem (Kategorien- und Wort-) Alphabet operieren, während Sprachveränderungsregeln über grammatische Regeln selbst operieren. Zu schildern, um was für Regeln es sich bei den Innovationsprinzipien handelt und wie sie aussehen, würde den Rahmen dieses Papiers sprengen. Aber ich möchte noch darauf hinweisen, daß in dem kommunikationstheoretischen Modell, das ich hier sikzziert habe, das Postulat vom Primat der Synchronie gegenüber der Diachronie zurückgewiesen wird: Betrachtet man natürliche Sprachen als Kommunikationsmittel, deren Ziel es ist, den Zustand der Ausdrucksadäquatheit zu erhalten, oder ihm permanent nahezukommen, dann sind in einem solchen System die diachronen Regeln den synchronen gleichrangig. Und solchermaßen muß man natürliche Sprachen betrachten, wenn man sie, nach einem kommunikationstheoretischen Ansatz, als Mittel zur Befriedigung menschlicher Kommunikationsbedürfnisse betrachtet.
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Kanngießer
Modalitäten des Sprachprozesses I
Zusammenfassung: Im Abschnitt 1 wird die These entwickelt, daß der Prozeß der SprachVeränderung ein singulärer Prozeß ist, und daß die Hauptschwierigkeit, der jeder Versuch einer Erklärung dieses Prozesses ausgesetzt ist, darin besteht demonstrieren zu können, daß der Sprachprozeß unerachtet seiner Singularität nicht rein zufallsbestimmt, sondern von Gesetzen beherrscht abläuft, sodaß sich allgemeine und letztlich auch erklärende Aussagen über ihn machen lassen. Abschnitt 2 liefert dann Ansätze zum Aufbau einer einschlägigen Theorie; dabei wird davon ausgegangen, daß Sprachprozesse, wenn sie als strukturiert angesehen werden sollen, als eine Funktion sich ändernder Kommunikationsbedürfnisse der Individuen bzw. sich ändernder Lagen des Kommunikationsbedarfs in einer Sprachgemeinschaft begriffen werden müssen. Der sich derart ergebende funktionalistische Ansatz der Theorienbildung wird dann in den Abschnitten 3 bis 5 weiter ausgebaut; dazu wird im Abschnitt 3, im Kontext einer Explikation des Begriffs der Sprachkonvention, zunächst zwischen Sprachkonventionalität und Sprachintentionalität unterschieden, sodann Performanzgesetze und Kompetenzkonventionen gegeneinander abgegrenzt und schließlich zwischen verschiedenen Ebenen der Sprachkonventionalität unterschieden, wobei diese Unterscheidungen einen Ansatz zur Analyse von Sprachprozessen und Sprachinhomogenitäten liefern sollen. Eine Theorie der Sprachinhomogenität, die für die Analyse von Sprachprozessen fraglos von besonderer Bedeutung ist, wird dann in Abschnitt 4 aufgebaut. Dabei wird zwischen den üblicherweise vermischten Inhomogenitätsanalysen unter dem Aspekt der Sprachintentionalität einerseits und dem der Sprachkonventionalität andererseits strikt unterschieden; ferner wird eine formale Theorie der konventionellen Sprachinhomogenität aufgebaut, deren Anwendbarkeit an einer fiktiven natürlichen Sprache demonstriert wird, und die zugleich eine begriffliche Struktur liefert, innerhalb derer eine Behandlung von Sprachprozessen möglich werden kann. Die erforderliche diachrone Perspektive wird dann in Abschnitt 5 skizziert; hier ist insbesondere die Unterscheidung zwischen Sprachinnovationen und Sprachmodifikationen von Bedeutung.
1 Singularität des Sprachprozesses 1.1 Eine der erstaunlichsten Konsequenzen der Saussureschen Linguistik besteht sicherlich darin, daß im Rahmen dieser Linguistik-Konzeption die Unerklärharkeit des Sprachprozesses behauptet werden muß. Noch erstaunlicher allerdings dürfte der Umstand sein, daß de Saussure für diese seine Unerklär-
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barkeitsthese Gründe geltend machen kann, die klar vor Augen fuhren, daß gewiß nicht weniger Mut und nahezu mehr spekulative Vernunft dazu gehört, die Erklärbarkeit des Sprachprozesses zu behaupten als auf seiner Unerklärbarkeit zu bestehen und somit die Erkenntnisgrenzen der Linguistik in einer angesichts der zur Erklärung anstehenden Sprachfakten, zu denen sicher auch das Faktum der Sprachveränderung zählt, zweifellos unpopulären Weise als überaus eingeschränkt anzusehen. Da nun die Gründe, die für die Unerklärbarkeitsthese sprechen, nicht unabhängig von der Saussureschen Konzeption entwickelt werden können, ist eine knappe Zusammenfassung dieser Konzeption für den weiteren Fortgang der Argumentation wohl unerläßlich. De Saussure unterscheidet bekanntlich strikt zwischen Synchronie und Diachronie, wobei die Sprache unter dem Gesichtspunkt der Synchronie als Sprachzustand und damit zugleich als System, als ein durch die zwischen ihren Elementen bestehenden syntagmatischen und paradigmatischen Relationen strukturiertes Gebilde in Erscheinung tritt, während sie unter dem Gesichtspunkt der Diachronie als Vorgang, als Prozeß betrachtet werden muß; dieser Prozeß wird dabei als eine Funktion des Sprachgebrauchs, der parole, und damit als im Sprechen begründet angesehen (cf. de Saussure 1967, Erster Teil). Entscheidend ist nun, daß nach de Saussure nur Sprachzustände, nicht aber Sprachprozesse einer nicht-partikularistischen Analyse fähig sind; entsprechend heißt es: (1)
Die diachronischen Vorgänge jedoch haben immer den Charakter des Zufälligen und Vereinzelten, auch wenn es sich in gewissen Fällen anders zu verhalten scheint, (de Saussure 1967, 110).
(2)
Die diachronischen Erscheinungen sind lauter Sonderfälle; die Umgestaltung eines Systems geschieht unter der Einwirkung von Ereignissen, welche nicht nur ihm fremd (...), sondern welche auch isoliert sind und unter sich nicht ein System bilden, (de Saussure 1967, 113).
(3)
Bei der diachronischen Betrachtungsweise hat man es mit Erscheinungen zu tun, die keinerlei Zusammenhang mit Systemen haben, obwohl sie die Bedingungen zu solchen darstellen, (de Saussure 1967, 102).
Mit einem Wort: Nach de Saussure bestehen keinerlei systematische Beziehungen zwischen Synchronie und Diachronie; entsprechend lassen sich aus Aussagen über diachrone Phänomene keine Aussagen über synchrone Phänomene ableiten, und umgekehrt (cf.de Saussure 1967, 108); der Sprachprozeß wird, wie die Zitate in (1)—(3) deutlich belegen, als ein unstrukturierter, vom Zufall (und nichts sonst) beherrschter Vorgang bestimmt, der — eben weil er vom Zufall und von nichts sonst abhängt — einer systematischen,
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der synchronen Spracherklärung vergleichbaren Erklärung gar nicht fähig sein kann. Die Saussuresche A n n a h m e , daß alle Sprachprozesse einem Zufallsprinzip unterliegen, begründet also die Unerklärbarkeitsthese. Aber natürlich ist diese Begründung nur in dem Grade akzeptabel, in dem das Zufallsprinzip stichhaltig ist. Und die Frage, ob es widerlegt werden kann, gibt sozusagen das experimentum crucis nicht nur für die K o n z e p t i o n de Saussures ab, sondern auch für alle die Ansätze in der Forschung, mit denen die Erklärbarkeit von Sprachprozessen behauptet wird. 1.2 Es ist eine wohl nur schwer mit der linguistischen Tradition in Einklang zu bringende Einsicht, daß die A n n a h m e eines Zufallsprinzips für Sprachprozesse nicht nur in erster Näherung etwas für sich hat. Denn in der Tat gibt es ja keine zwei natürlichen Sprachen, deren — wie man, mit einer gewissen Metaphorik sagen kann — Entwicklungslinien zur Deckung gebracht werden k ö n n t e n , u n d schon die Entwicklungsphasen einer Sprache k ö n n e n so unterschiedlich sein, daß zu R e c h t gefragt werden kann, w o d u r c h die Sprechweise von einer Sprache, die verschiedene Entwicklungsabschnitte durchläuft, überh a u p t gerechtfertigt ist. Natürlich hat diese Vielfalt der Entwicklungslinien ihren G r u n d in der Mannigfaltigkeit der F a k t o r e n , deren Einwirken den Sprachprozeß auslöst u n d bestimmt. Die Heterogenität dieser Faktoren — zu ihnen müssen bekanntlich Industrialisierungsprozesse genau so gerechnet werden wie etwa gesetzgeberische Maßnahmen, S p r a c h k o n t a k t e , spezifische Bedingungen der I n t e r a k t i o n und Kooperation, situative Bedingungen, Persönlichkeitsdispositionen, etc., wobei z u d e m zu b e d e n k e n ist, daß jeder dieser F a k t o r e n noch weiter faktorisiert werden kann - , der Umstand ferner, daß eine feste F a k t o r e n m e n g e nicht umstandslos vorausgesetzt werden kann und daß die F a k t o r e n nach (2) nicht k o n n e x sind (eine im übrigen sehr starke geschichtsphilosophische Behauptung), die Vielfalt der möglichen Faktor e n k o m b i n a t i o n e n u n d Faktorengewichtungen, die Verschiedenartigkeit der Relationen, die zwischen den F a k t o r e n bestehen k ö n n e n — dies alles bringt es mit sich, daß jeder Sprachprozeß als ein in seinem Verlauf einmaliger, einzigartiger Prozeß angesehen werden m u ß . Und insofern, mit Blick auf die offenkundige Singularität der diversen Sprachprozesse, scheint in der Tat, da verallgemeinerungsfähige F a k t e n nicht ins Blickfeld geraten, jeder Versuch einer systematischen, d e m synchronen Ansatz vergleichbaren Erklärung dieser Prozesse letzlich in Kasuistik enden zu müssen, und zwar unvermeidlich; die Saussuresche K o n z e p t i o n wäre somit bestätigt, und die Unerklärbarkeitsthese würde unausweichlich. Diesem Befund wird m a n auf der Ebene der F a k t e n nichts entgegensetzen
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können: Es kann überhaupt nicht bestritten werden, daß Sprachprozesse singulare Prozesse sind. Aber — und dies ist das methodologische Argument gegen de Saussure — aus dieser ihrer Singularität folgt nicht notwendig ihre totale Zufälligkeit; was linguistisch kontingent ist, ist deshalb nicht notwendig unstrukturiert, chaotisch. Die Annahme, daß es sehr wohl singuläre, gleichwohl aber von Gesetzen beherrschte Prozesse gibt, hat nichts Befremdliches an sich — so ist beispielsweise die Evolution desMenschen einnach allerbiologischen Einsicht durch und durch singulärer Prozeß. Aber dieser Prozeß ist nicht unstrukturiert; er verläuft nicht amorph und chaotisch, sondern er wird von Gesetzen beherrscht — er ist erklärbar, und entsprechendes gilt zumindest tendenziell für die Untersuchung kosmologischer Prozesse. Wer gegen die Saussuresche Unerklärbarkeitsthese argumentieren will, muß demzufolge — da auf der Ebene der Fakten hier nicht argumentiert werden kann, denn die Singularität der Sprachprozesse kann nicht wegdisputiert werden — zeigen, daß der Sprachprozeß ein zwar singulärer, aber doch von Gesetzen beherrschter Prozeß ist. Und daß ein solcher Ansatz kaum weniger kühn ist als die Unerklärbarkeitsthese, dürfte auf der Hand liegen — in beiden Fällen muß in ganz erheblichem Maße von der spekulativen Vernunft Gebrauch gemacht werden. Dies ist jedoch keineswegs methodologisch ehrenrührig, im Gegenteil: Die1 Notwenigkeit zur Spekulation und damit zur Theorienbildung ergibt sich ja aus dem Umstand, daß die bloße Konstatierung von Sprachsingularitäten nichts darüber besagt (und besagen kann), ob und wie diese Singularitäten zu erklären sind; eine Bezugnahme auf die spekulative Vernunft ist mithin nicht nur zulässig, sondern vielmehr unumgänglich, wenn die Erklärbarkeitsfrage entschieden werden soll.1
1 Es ist im Zusammenhang mit der These, daß Sprachprozesse zwar singuläre, gleichwohl aber von Gesetzen beherrschte Prozesse sind, sicherlich einigermaßen dringlich anzugeben, was unter einem einschlägigen linguistischen Gesetz oder, was das Gleiche heißt, einem einschlägigen linguistischen Universale zu verstehen sei. Dies ist jedoch nicht leicht zu bewerkstelligen, und zwar nicht zuletzt auf Grund gewisser Defizite der Wissenschaftsphilosophie, die einerseits noch keinen hinreichend klaren Gesetzesbegriff ausgebildet hat (es ist beispielsweise vollkommen unklar, was etwa zufällige Verallgemeinerungen von echten Gesetzen unterscheidet, ob Gesetze nicht letztlich Definitionen oder Regeln sind, etc.), andererseits bei ihren Explikationsversuchen nahezu ausschließlich an den Gesetzen der klassischen Mechanik orientiert war, die gewissermaßen als der Prototyp möglicher Gesetze aufgefaßt wurden. Unter Bezugnahme auf diesen Prototyp läßt sich jedoch näherungsweise klar machen, was unter einem Sprachprozeßgesetz zu verstehen ist. Denn wenn es zutrifft, daß die Gesetze der Mechanik das Resultat einer unbedingten Verallgemeinerung sind, so wird man demgegenüber für die linguistischen Gesetze des Sprachprozesses annehmen müssen, daß sie - um eine paradoxe Formulierung zu riskieren - das
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Es bleibt zu fragen, wie Indizien dafür beigebracht werden k ö n n e n , daß die Gegenthese stichhaltiger ist als die Saussuresche These. Und hier ist zunächst festzustellen, daß die Suche nach solchen Indizien keinesfalls zwangsläufig zu einer A r t linguistischer Spökenkiekerei werden m u ß ; der Hinweis auf die Evolutionstheorie u n d die Kosmologie dürfte hinlänglich klar vor Augen geführt haben, daß es für eine solche Indiziensuche keiner besonderen geschichtsphilosophischen Voraussetzungen b e d a r f : Die Analyse der Modalitäten des Sprachprozesses bedarf keiner anderen Voraussetzungen als derer, die bei einer Analyse dynamischer Systeme üblicherweise gemacht werden. Denn wenn es kein Mirakel ist, d a ß die natürlichen Sprachen sich ä n d e r n , so kann dies nur besagen, daß es zur Natur der Sprachen gehört, Änderungsprozessen ausgesetzt zu sein (cf. hierzu auch Coseriu ( 1 9 7 4 ) passim), u n d das aber kann nur heißen, daß natürliche Sprachen als dynamische Systeme aufzufassen sind. — Aber natürlich geht es zunächst einmal u m die Frage, ob es Bedingungen gibt, u n t e r denen die natürlichen Sprachen als dynamische Systeme begriffen werden k ö n n e n , oder ob sie, im Sinne der Saussureschen Linguistik, nicht eher als unsystematisch dynamisch aufgefaßt werden müssen. 1.3 Welche A r g u m e n t e k ö n n e n n u n für die A n n a h m e geltend gemacht werden, daß die Gegenthese stichhaltiger ist als die Saussuresche Unerklärbarkeitsthese? Ein einschlägiger Argumentationsansatz ergibt sich bereits im R a h m e n der Saussureschen Linguistik selbst, wie sich am Beispiel der innerhalb der Saussreschen Tradition intensiv geführten Debatte über die sog. Aporien des Sprachprozesses unschwer verdeutlichen läßt (, zu denen gewiß auch der Umstand zählt, daß die Relationen, in denen die Elemente der langue Resultat einer bedingten Verallgemeinerung sind. Faktisch bedeutet das, daß es es sich bei diesen Gesetzen um Behauptungen handelt, deren Anwendungsbedingungen in charakteristischer Art beschränkt sind - die Gesetze werden durch ihre Anwendungsbedingungen gewissermaßen partiell entgeneralisiert; entsprechend wird auch ihre prognostische Kapazität in spezifischer Art beschränkt sein. Gesetze dieser Art wird man schwerlich mit dem Prototyp in Einklang bringen können; gleichwohl dürfte ihre Verwendung in allen den Disziplinen und Teildisziplinen die Regel sein, die sich mit historischen Fakten befassen: Also nicht nur in der Linguistik, sondern auch in der Evolutionstheorie, der Kosmologie sowie in allen Disziplinen, die mit Entwicklungsprozessen befaßt sind, also etwa auch in den ökologischen Wissenschaften. Einstweilen fehlt sicher noch ein klarer Begriff von solchen Gesetzen. Da aber nicht zu erwarten ist, daß ein Begriff von Sprachprozeßuniversalien jenseits der Linguistik gewonnen werden kann, ist derzeit nichts anderes möglich, als im Zuge weiterer theoretischer Forschung die Formulierung solcher Gesetze zu versuchen und ihre Leistungsfähigkeit empirisch zu überprüfen. Denn: Liegen erst einschlägige Gesetze vor, so stellt ein Begriff von ihnen mit Sicherheit sich ein.
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zueinander stehen, als das Resultat kontingenter Gegebenheiten ebenso kontigent sind wie diese, gleichwohl aber — im Gegensatz zu jenen — systematischen Charakter haben sollen). Coseriu (1974, 8) zitiert zur Illustration der in dieser Debatte üblichen Argumentation Llorach, der das Faktum der Sprach Veränderung folgendermaßen gut saussuresch charakterisiert: (4) Wenn die Sprache ein systematisches Ganzes ist, in dem Alles aufeinander bezogen ist, und ihr Zweck die Verständigung auf Seiten der Gemeinschaft, in der sie gesprochen wird, dann wäre von ihr Stabilität zu erwarten als einem System, daß seine Funktion angemessen erfüllt. Trotzdem geschieht das Gegenteil: das System wandelt sich.
Auffällig ist hier, daß (4) offenkundig eine Funktionalitätsvoraussetzung bezüglich natürlicher Sprachen enthält, die in etwa besagt, daß die Synchronizizität einer Sprache, ihre „Systemhaftigkeit", die funktionale Adäquatheit dieser Sprache impliziert. Für Llorachs Konklusion ist diese Voraussetzung sicher unerläßlich, aber — und dies ist der entscheidende Punkt — sie ist im Rahmen der strukturalistischen Saussureschen Linguistik nicht ableitbar. Sie ist nicht ableitbar — denn für eine solche Ableitung ist es erforderlich, daß begründete Annahmen über den Zusammenhang von Sprachstruktur und Sprachgebrauch formuliert werden können (die Funktionalität der Sprache ist ja, in diesem Kontext, nichts anderes als die Gebrauchsfähigkeit des Systems fur bestimmte kommunikative Zwecke); eben dieser Zusammenhang ist in der Saussureschen Linguistik jedoch durch die langue-parole-Dichotomie und die partikularistische Konzeption des Sprachgebrauchs nicht mehr rekonstruierbar — ebensowenig, wie der Zusammenhang zwischen Synchronie und Diachronie. Die Funktionalitätsvoraussetzung, soviel wird man sagen dürfen, wird also gänzlich ad hoc eingeführt. Aber die Voraussetzung ist gleichwohl unerläßlich, denn ohne sie kann die in (4) betonte Aporie des Sprachprozesses nicht mehr entwickelt werden, denn diese tritt nur dann auf, wenn angenommen wird, daß die Sprache — vermöge ihrer Synchronizität — jederzeit zweckadäquat funktioniert und sich trotzdem, also im Grunde unmotiviert, verändert. Als Korollar zu (4) ergibt sich also die These, daß die Sprachprozesse jedenfalls dann motiviert sind, wenn die Sprache nicht (oder nicht mehr) zweckadäquat funktioniert — und man wird (im Rahmen einer quasiteleologischen und noch zai überprüfenden Sprechweise) hinzufügen dürfen, daß der Zweck des Sprachprozesses darin besteht, die nicht oder nicht mehr gegebene funktionale Adäquatheit der Sprache wiederherzustellen bzw. allererst möglich zu machen. Im Sinne eines solchen Ansatzes sind es dann die von den Sprecher-Hörern verfolgten kommunikativen Zwecke, die den Ablauf des Sprachprozesses bestimmen -
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und mit dieser Annahme ist dann, wenngleich ex negativo, eine Basis für den Versuch einer Erklärung der diversen Sprachprozesse gefunden. Denn sie gestattet die Arbeitshypothese, daß die Sprachprozesse von Gesetzen beherrscht werden (und also auch erklärbar sind), mit denen ein systematischer Zusammenhang zwischen den Kommunikationsbedürfnissen der Sprecher-Hörer sowie dem Kommunikationsbedarf einer Sprachgemeinschaft und Struktureigenschaften einer Sprache behauptet wird. 2 Mit anderen Worten: Es ergibt sich die Perspektive einer funktionalen Erklärung von Sprachprozessen, innerhalb derer die Erkenntnisgrenzen, die der Saussureschen Linguistik gezogen sind, überschritten werden könnten. 1.4 Nun ist die Bezugnahme auf die funktionale Perspektive, wie sie ex negativo charakterisiert wurde, noch bloß programmatisch, und sie ist selbst in ihrer Programmatik noch wenig befriedigend. Sie ist wenig befriedigend, weil dem angedeuteten Programm zufolge eine unterstellte Sprachdysfunktionalität als Bedingung der Möglichkeit von Sprachveränderung fungiert. Im Sinne eines solchen Ansatzes ist jede Sprachinnovation nur als eine Kompensation von irgendwelchen Ausdrucksdefiziten, die eine Sprache aufweist, und somit als Verbesserung der Sprachadäquatheit erklärbar. Eine solche Theorie — die, wenn man sie in die Saussuresche Linguistik integrieren wollte, dazu fuhren würde, die Annahme aufgeben zu müssen, daß Synchronizität eine hinreichende Bedingung für Sprachadäquatheit ist, und insofern wohl wesentliche Revisionen der Konzeption nach sich ziehen würde — kann man füglich als Kompensationstheorie des Sprachprozesses bezeichnen; sie basiert offenkundig auf der Annahme, daß die natürlichen Sprachen jederzeit zumindest partiell dysfunktional sind — wären sie es nicht, entfielen die Bedingungen, unter denen Sprachprozesse auftreten können. Anders gesagt: Im Sinne der Kompensationstheorie sind funktional adäquate Sprachen weder veränderungsbedürftig noch veränderungsfähig; funktional adäquate Sprachen sind mithin immer auch nichtdynamische Sprachen. Insofern liegt auch der Kompensationstheorie letztlich die Saussuresche Annahme zugrunde, daß Sprachadäquatheit und Sprachstabilität einander wechselseitig bedingen bzw. Sprachadäquatheit und Sprachdynamik einander wechselseitig ausschließen. Allerdings wird diese Annahme nicht mehr unter Saussureschen Bedingungen entwickelt, und zwar deshalb nicht, weil in der Kompensationstheorie im Gegensatz zur Saussureschen Linguistik die
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Zu dem hier knapp umrissenen Begriffszusammenhang cf. Kanngießer (1976 a, Teil VIII), (1976 b, Teil 3) sowie insbesondere (1976c, Teil 1 und Teil 4). Einige dei hier benutzten Begriffe werden in Abschnitt 2 der vorliegenden Abhandlung nochmals erörtert.
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Existenz eines systematischen, nicht-arbiträren Zusammenhangs zwischen der Beschaffenheit einer Sprache und den Kommunikationsbedürfnissen ihrer Sprecher-Hörer vorausgesetzt wird — entfiele diese Voraussetzung, würde die Kompensationstheorie ihre erklärende Kraft verlieren. Wenn aber ein solcher Zusammenhang einmal vorausgesetzt wird und vorausgesetzt werden muß, so ist zumindest nicht ohne weiteres einzusehen, warum es noch der zweiten, sehr viel stärkeren Voraussetzung bedarf, daß grundsätzlich keine natürliche Sprache in der Lage ist, die Kommunikationsbedürfnisse ihrer Sprecher-Hörer bzw. den Kommunikationsbedarf der Sprachgemeinschaft gänzlich zu befriedigen — kurz: Die Annahme einer permanenten partiellen Sprachinadäquatheit, wie sie von der Kompensationstheorie vorausgesetzt werden muß, ist alles andere als evident. Im Gegenteil: Das oft und mit guten Gründen vertretene Prinzip der Ausdrückbarkeit besagt, daß jeder Sprecher-Hörer jederzeit in der Lage ist, seine Kommunikationsbedürfnisse vermittels einer natürlichen Sprache zu befriedigen.3 Akzeptiert man aber dies Prinzip — und man wird wohl nicht umhin kommen, es zu akzeptieren —, so ist damit zugleich die Kompensationstheorie inakzeptabel geworden (im Sinne des Prinzips verfugt ja jeder Sprecher-Hörer immer über die Ausdrucksmöglichkeiten, derer er bedarf, zumindest im Grundsatz — es gibt für ihn also nichts zu kompensieren), und damit ergibt sich zugleich auch erneut das Eingangsproblem, nämlich das Problem, die Möglichkeit der Sprachdynamik unter Beibehaltung der Funktionalitätsvoraussetzung erklären zu können oder, in anderer Terminologie, erklären zu können, warum funktional adäquate natürliche Sprachen dynamische Systeme sind. 1.5 Die Erörterung scheint, betrachtet man das Resultat des vorausgegangenen Paragraphen, keinen Schritt vorangekommen zu sein. Aber der Anschein trügt, denn die Eingangsproblematik ergibt sich nunmehr unter Voraussetzungen, unter denen sie einer Lösung näher gebracht werden kann. Denn wenn ein systematischer Zusammenhang zwischen dem Kommunikationsbedarf einer Sprachgemeinschaft sowie den Kommunikationsbedürfnissen der Individuen und der Beschaffenheit der von Ihnen gesprochenen Sprache zu Recht vorausgesetzt werden kann — und es dürfte wohl sehr wohl möglich sein", diese Rechtfertigung zu erbringen (cf. hierzu Kanngießer 1976 c) —, und wenn unter dieser Voraussetzung die Frage aufgeworfen wird, warum 3
Cf. zum Ausdiücksbarkeitsprinzip Searle (1969, Kap. 1, Abschnitt 5). Eine genauere Erörterung des Prinzips, insbesondere seines Zusammenhangs mit dem Aspekt der funktionalen Vollständigkeit von Sprachen findet sich in Kanngießer (1976 c, Abschnitt 4).
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Sprachveränderungsprozesse auftreten, so legt sich .offenbar die Antwort nahe, daß das Auftreten dieser Prozesse eine Funktion von Veränderungen im System der Kommunikationsbedürfnisse der Sprecher-Höerer bzw. eine Funktion veränderter Bedarfslagen bezüglich kommunikativer Möglichkeiten in einer Sprachgemeinschaft ist. Allgemeiner: Die Sprachdynamik ist eine Funktion der Dynamik der Kommunikationsbedürfnisse; Veränderungen im System der Kommunikationsbedürfnisse machen Sprachveränderungen erforderlich, gerade weil die Funktionalitätsvoraussetzung gilt, denn beide Veränderungen erfolgen simultan (und nicht, wie in der Kompensationstheorie anzunehmen wäre, zeitlich versetzt, also diese früher und jene, die Sprachveränderungen, später, also verzögert). Und mit diesen Annahmen, bei denen es sich um genuine Annahmen einer funktionalistischen Linguistik handelt, könnte dann in der Tat eine Basis für den Versuch gefunden sein, Sprachprozesse unerachtet ihrer Singularität zu erklären. Allerdings muß diese Basis ohne Zweifel noch ausgebaut werden, um tragfähig sein zu können; insbesondere muß dabei geklärt werden, was es heißen soll, daß Sprachprozesse funktionale — und eben deshalb erklärbare — Prozesse sind.
2 Funktionalität des Sprachprozesses 2.1 De Saussure hat ohne Zweifel recht, wenn er davon ausgeht, daß der Sprachprozeß im Sprechen begründet ist. Aber er hat unrecht, wenn er darüber hinaus annimmt, daß der Sprachprozeß eben deshalb einer systematischen Erklärung nicht fähig sei, und er irrt, weil das Sprechen einer Sprache, im Gegensatz zu den Saussureschen Prämissen, sehr wohl eine systematische und mithin auch erklärbare Praxis ist. Und warum dies so ist, letztlich sogar so sein muß, wird deutlich, wenn man die üblicherweise vernachlässigte, für die funktionalistische Linguistik jedoch zentrale Frage betrachtet, warum die Individuen überhaupt sprachlich miteinander interagieren — warum sie überhaupt in Kommunikation miteinander treten (und nicht vielmehr auf die Ausübung einer kommunikativen Praxis verzichten). Allerdings ist diese Frage leichter zu beantworten, wenn zuvor eine Antwort auf eine andere, ebenfalls nicht allzu häufig gestellte Frage gefunden wird, die sich sozusagen im Vorfeld noch stellt — die Frage nämlich, was es heißt, wenn gesagt wird, daß bestimmte Individuen zusammen eine Sprachgemeinschaft bilden. Mit anderen Worten: Der Frage nach dem Zweck der kommunikativen Praxis der Individuen wird die Frage vorgeschaltet, wie „Sprachgemeinschaft" zu explizieren ist. Die von der linguistischen Tradition bereitgestellten Explikationen sind zumeist von einer lakonischen Kürze; unter einer Sprachgemeinschaft C, die
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sich über ein (nicht notwendig vollständig zusammenhängendes) Territorium Τ erstreckt, wird in der Regel eine Menge Ρ von Sprecher-Hörern ρ j . . . , p n verstanden, die sich einer bestimmten Sprache L bedienen. Unter einer Sprachgemeinschaft ist entsprechend das Tripel c = (Ρ, T, L) zu verstehen. Aber eine solche Explikation ist bei weitem zu schwach, um eine zureichende Formulierung eines Sprachgemeinschafts-Begriffs oder die Formulierung eines adäquaten Sprecher-Hörer-Begriffs zu gestatten, denn ihr liegen die Prämissen der Saussureschen Linguistik zugrunde, denen zufolge die Sprache der Individuen unabhängig von ihrer sprachlichen Praxis und diese wiederum unabhängig von ihrer sonstigen Lebenpraxis zu betrachten ist. Zu einer adäquaten Explikation von „Sprachgemeinschaft" gehört jedoch auch, wie die Erörterung der Singularitätsproblematik bereits verdeutlicht hat, die Analyse der Parameter, die auf die Konstitution von Sprachgemeinschaften einwirken, von denen ihre Struktur und damit auch die Modalitäten der in ihr ausgeübten Sprachpraxis und insofern auch die Modalitäten des Sprachprozesses bestimmt sind. In diesem Zusammenhang ist zunächst festzustellen, daß die drei angegebenen Koordinaten auch nicht annährend hinreichen, die Bedingungen zu spezifizieren, unter denen die Individuen miteinander interagieren, und das heißt auch: sprachlich miteinander kooperieren, Situationen sprachlich in Situationen transformieren. Und von diesen Bedingungen hängt selbstverständlich nicht nur die Art des Sprachgebrauchs der Individuen, sondern auch die Struktur der von ihnen gesprochenen Sprache ab. Ein wesentlicher Bedingungsfaktor ist dabei offenkundig die gesellschaftliche Struktur, die C aufweist, etwa die Eigentumsordnung und die aus ihr resultierenden Formen des gesellschaftlichen Verkehrs, wobei in den verschiedenen Teilterritorien von Τ sehr wohl sehr unterschiedliche gesellschaftliche Strukturen vorliegen können, sodaß es letztlich nicht damit getan ist, lediglich eine neue Koordinate, etwa ges, einzuführen, sondern diese Koordinate muß spezifiziert und in Relation zu den anderen, bereits eingeführten Koordinaten eingeführt werden. Ferner muß natürlich der relativ zur Gesellschaftsstruktur ausgebildete institutionelle Zusammenhang des gesellschaftlichen Verkehrs der Individuen untereinander berücksichtigt werden, denn der Umstand, daß eine Strukturierung des Zusammenlebens durch Verwandtschaftsverhältnisse im Verbund eines Stammes andere Konsequenzen hat als etwa eine Strukturierung vermöge einer Feudalordnung, schlägt sich mit Sicherheit auch in der Sprachpraxis der Individuen nieder; entsprechend wäre eine einschlägige Koordinate, etwa/,, zu ergänzen. Der institutionelle Zusammenhang wiederum bedingt das Zustandekommen möglicher Handlungssituationen und damit ein System Η einschlägiger Handlungsnormen, die institutionenspezifisch gelten. - Diese
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Hinweise verdeutlichen, daß im Rahmen eines nicht-saussureschen Ansatzes jedenfalls mehr Koordinaten in Rechnung gestellt werden müssen, als bei der klassischen Explikation des Sprachgemeinschaftsbegriffes herangezogen werden; schon im Sinne dieser noch sehr provisorischen Skizze muß eine Sprachgemeinschaft C als ein 6-Tupel C = (P, T, ges, H, I, L) aufgefaßt werden; bei einer genaueren Analyse könnte sich die Einführung weiterer Koordinaten als erforderlich erweisen. Allerdings ist es mit der Hinzunehme weiterer Koordinaten allein noch nicht getan: Die Koordinaten müssen überdies in Relation zueinander gesetzt werden, da sonst die diversen Dependenzen und Interdependenzen, die zwischen den Koordinaten bestehen — und gerade von solchen Abhängigkeiten und Wechselwirkungen wird der Sprachprozeß ja wesentlich bestimmt —, nicht adäquat erfaßt werden können. Eine solche Relationierung kann jedoch nur dann gelingen, wenn die Koordinaten hinlänglich spezifiziert werden. Zu dieser Spezifikationsproblematik mag fürs Erste ein Hinweis genügen: Die Sprecher-Hörer, um deren Sprache und Sprachpraxis es geht, sind natürlich niemals nur Sprecher-Hörer, sozusagen abstrakte Kompetenzsysteme im Sinne von Chomsky (1965); bei ihnen handelt es sich vielmehr um Individuen, die in jeweils bestimmten Verhältnissen existieren, bestimmte Eigenschaften haben, in bestimmten Relationen zu anderen Individuen stehen, etc. — und diese spezifischen Modi der Existenz geben der entscheidenden Paramater dafür ab, welche Sprachkompetenz ein Individuum erwirbt. Und relativ zu solchen Modi ergibt sich die Funktionalität von Sprachen und Sprachkompetenzen, entsprechend kann unter Ρ nicht einfach eine Menge von (abstrakten) Sprecher-Hörern verstanden werden — unter Ρ ist vielmehr eine Menge von attributiv charakterisierten Personen zu verstehen, deren Sprachkompetenz eine Funktion der ihnen zukommenden Attribute ist, und deren Kompetenz sich mithin auf Grund von Modifikationen dieser attributiven Struktur verändert; nur im Rahmen eines solchen Ansatzes kann der Begriff der Sprachfunktionalität überhaupt eingeführt werden, der die Basis für eine Analyse der singulären Sprachprozesse liefern soll.4 Diese Hinweise liefern gewiß noch keinen zureichenden Begriff von Sprachgemeinschaften; sie dürften jedoch vor Augen führen — und nur darauf kommt es hier an —, daß im Rahmen einer nicht-saussureschen, einer funktionalistischen Linguistik-Konzeption der Sprachgemeinschaftsbegriff so gefaßt werden muß, daß die Sprachpraxis der Individuen als Teil ihrer Lebenspraxis begreifbar wird und mithin auch Sprachen als eine Funktion dieser Lebenspraxis 4
Eine genauere Analyse der attributiven Struktur der P-Koordinate wird in Abschnitt 4 vorgelegt.
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begriffen werden können. Nur so sind die Saussureschen Aponen vermeidbar; nur unter diesen Voraussetzungen ist es auch sinnvoll zu fragen, warum die Individuen überhaupt in sprachliche Kommunikation miteinander treten. 2.2 Die Frage, warum die Individuen sprachlich interagieren, steht im Kontext einer Reihe anderer, ebenfalls sehr elementarer Fragen, der Fragen etwa, warum die Individuen überhaupt Beziehungen untereinander eingehen, warum sie Situationen in Situationen transformieren (also handeln), ihrer gemeinsamen Praxis einen institutionellen Rahmen geben, etc. Es geht also, verkürzt gesagt, um die Frage, warum die Praxis der Individuen keine isolierte Praxis ist. Die Antwort, die hier zu geben ist, ist eindeutig: Das Interesse, daß die Individuen an der Reproduktion ihrer materiellen Existenz haben, zwingt sie offenbar dazu, ihre Praxis miteinander zu koordinieren, kooperativ zu verfahren, und das heißt auch, eine institutionalisierte und organisierte Basis für die Ausübung dieser Praxis zu schaffen. „Die grundlegende Tatsache der Kultur, wie wir sie erleben und erfahren und wie wir sie wissenschaftlich beobachten, ist die Organisation von Menschenwesen in dauerhaften Gruppen." (Malinowski 1975, 80). Das Reproduktionsinteresse der Individuen erzwingt also Koordination und Kooperation, Institutionalisierung und Organisation; es erzwingt die Herausbildung einer gesellschaftlichen Struktur und die Etablierung von Handlungsnormen. Interessen, auch RepToduktionsinteressen, sind jedoch nichts anderes als
verallgemeinerungsfähige Bedürfnisse; verallgemeinerungsfáhig in diesem Sinne sind beispielsweise die von Malinowski (1975, 39/40) als biologische Bedürfnisse bezeichneten Dispositionen, verallgemeinerungsfáhig und zugleich irreduzibel sind jedoch auch Mannigfaltigkeiten von Folgebedürfnissen, die in der Konsequenz von Bedürfnisbefriedigungen entstehen, etwa Bedürfnisse wirtschaftlicher Art (cf. Malinowski 1975, 40) - und entsprechendes gilt fur die durch die Existenz von Institutionen verursachten Bedarfslagen, deren Deckung eine notwendige, aber nicht unbedingt hinreichende Bedingung für den Erhalt dieser Institutionen ist. Bedürfnisbefriedigung bzw. Bedarfsdeckung ist jedoch nur im Handeln möglich; genauer kann man vielleicht sagen, daß die Reproduktionsmöglichkeit genau so weit gegeben ist, wie die Individuen in der Lage sind, koordiniert und kooperativ zu handeln. Ein solches Handeln setzt jedoch voraus, daß die Individuen in der Lage sind, einander wechselseitig zu informieren, etwa über die angestrebten Handlungsziele, über das verfügbare handlungsrelevante Wissen, etc. Gleichviel, ob es um die Organisation des Fischfangs geht oder um die Herstellung von Lastkraftwagen: Der Informationstransfer ist eine notwendige Bedingung für die Praxis der Individuen. Und daraus ergibt sich fur die Individuen, aus prakti-
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sehen Gründen, das fraglos verallgemeinerungsfähige Bedürfnis nach Informationstransfer, 5 und damit selbstverständlich auch das Bedürfnis, über Transfermittel, also über Kommunikationsmöglichkeiten zu verfügen. Und dieses Bedürfnis wird, inter alia, aber doch an prominenter Stelle, durch die Konstitution von Sprachen, und zwar von zweckgerechten Sprachen befriedigt. 6 5
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Bei dem Versuch einer genaueren Fassung des hier intuitiv verwendeten Informationsbegriffs wird man sich kaum auf den klassischen, auf C.E. Shannon zurückgehenden Informationsbegriff stützen können, da er an zentraler Stelle den Begriff der Auftretenswahrscheinlichkeit von Zeichen enthält, der jedoch, wie Chomsky verschiedentlich vor Augen geführt hat, nicht umstandslos auf natürliche Sprachen anwendbar ist. Auch ein sog. semantischer Informationsbegriff ist nicht hinreichend, da bei seiner Konstruktion, etwas verkürzt gesagt, das Prinzip der deduktiven Abgeschlossenheit von Sprachen vorausgesetzt werden muß, das jedoch fur die natürlichen Sprachen, die natürliche Kommunikation — und auch für die wissenschaftliche Kommunikation keine Gültigkeit hat. Entsprechend muß es um die Konstruktion eines pragmatischen Informationsbegriffes gehen, bei dessen Formulierung auf den jeweiligen Kenntnisstand der Individuen, ihr Wissen über die Welt, Bezug genommen werden muß. Ein solcher Informationsbegriff kann selbstverständlich Aspekte des statistischen und des semantischen Informationsbegriffs mit enthalten, kann aber auf diese Begriffe nicht reduzierbar sein. - Ansätze zur Konstruktion eines Informationsbegriffs, wie er in diesem Kontext erforderlich ist, finden sich in verschiedenen Arbeiten;cf. insbesondere die in Swain (1970) zusammengestellten Abhandlungen. Gegen die hier vorgetragene These von der kommunikativen Bedingtheit der menschlichen Praxis (genauer: gegen die These, diese Praxis sei sprachlich bedingt) kann geltend gemacht werden, daß es Praxisfelder gibt, in denen gehandelt werden kann und gehandelt wird, ohne daß diese Handlungen einen Kommunikationszusammenhang zwischen Beteiligten erforderlich machten. Ein Beispiel gibt hier etwa die Fließbandarbeit ab (Störungen des Bandes einmal ausgenommen), und auch in nicht-industrialisierten Gesellschaften dürfte es Praxisfelder geben, in denen die Handlungen so ritualisiert vollzogen werden, daß sie von keinerlei kommunikativen Bedingungen abhängig zu sein scheinen. Aber der Schein trügt. Es seien F F 2 , F3 die in einem Teilsystem Τ von C gegebenen Praxisfelder ¡ferner sei F3 ein Feld ohne Kommunikationsprozesse. Es liegt nun auf der Hand, daß die Individuen in F 3 nur deshalb systematisch handeln können, weil sie in einem anderen Feld von Τ - etwa F2 - so instruiert worden sind, daß sie wissen, welche Handlungen in welcher Reihenfolge zu welchem Zweck in F 3 auszuführen sind, und Instruktionssituationen sind offenbar kommunikativ bedingte, insbesondere auch sprachbedingte Situationen. Verallgemeinernd kann man sagen, daß es in C - oder in Teilsystemen von C, oder in Teilsystemen von Teilsystemen; je nach Feinheitsgrad der Analyse - voneinander verschiedene Praxisfelder derart gibt, daß diese Felder unterschiedliche Lagen des Kommunikationsbedarfs erzeugen, wobei die Existenz von „bedarfsfreien" Feldern nicht ausgeschlossen werden kann. Aber die Möglichkeit solcher Felder setzt die Existenz von in der Regel hochgradig kommunikationsintensiven Feldern voraus; die oben vorgetragene These wäre mithin in präziser Form im Rahmen einer einschlägigen Feldanalyse zu rekonstruieren.
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2.3 Die Bedingungen, unter denen eine Sprache (auf der Basis eines allgemeinen, speziesspezifischen Sprachvermögen) herausgebildet wird, sind eine Funktion praktischer Erfordernisse, und man kann den hier angedeuteten Zusammenhang wohl zu Recht und im Gegensatz zu den Saussureschen Prämissen einen systematischen Zusammenhang nennen — jedenfalls spricht das charakterisierte Bedingungsverhältnis klar dagegen, daß der Prozeß der Herausbildung und Abänderung von Sprachen ein nur stochastischer Prozeß ist. Und da nun die Praxis der Individuen sprachabhängig im umrissenen Sinne ist, ist es eben naheliegend anzunehmen, daß die Individuen eine den Aufgaben, die sich stellen (und dazu kann natürlich auch die Aufgabe gehören, einen Kommentar zum Lemma von Zorn verfassen zu müssen), angemessene Sprache ausformen — daß sie, um es anders auszudrücken, ihre Sprache so strukturieren, daß sie ihren Kommunikationsbedürfnissen bzw. den Lagen des Kommunikationsbedarfs genügt. Entsprechend sind natürliche Sprachen, im Sinne des angenommenen Strukturierungsprinzips, immer funktional vollständige Sprachen.7 Diese Zusammenhänge werden wohl etwas klarer, wenn untersucht wird, wie die Bedürfnisse der Individuen nach sprachlichen Kommunikationsmöglichkeiten befriedigt werden. Hier ist esvor allem wichtig zu sehen, daß die Befriedigung eines Kommunikationsbedürfnisses nicht durch die Produktion einer Äußerung oder den Vollzug eines Sprechaktes erfolgt ; Kommunikationsbedürfnisse sind also, allgemeiner gesagt, nicht identisch mit Kommunikationsintentionen, wie sie die Individuen in bestimmten Situationen haben. Kommunikationsbedürfnisse sind nicht wie Kommunikationsintentionen Kurzzeitdispositionen, sondern typische Langzeitdispositionen; sie resultieren nicht schlicht aus den Gegebenheiten einer konkreten Situation, sondern sie sind eine Funktion der Koordinaten von C — Kommunikationsbedürfnisse bzw. Bedarfslagen werden nicht durch aktuelle sprachlische Handlungen befriedigt, sondern durch Systeme, die solche Handlungen durchzuführen gestatten. Insofern kann man sagen, daß Kommunikationsbedürfnisse durch ein von den Sprecher-Hörern internalisiertes System V befriedigt werden, das Möglichkeiten des sprachlichen Handelns in Klassen von Situationen eröffnet, wobei der Internalisierungsprozeß alle Ebenen der Sprachkonventionalität umfaßt (cf. hierzu Abschnitt 3); entsprechendes gilt bezüglich des Kommunikationsbedarfs, der 7
Zu dieser Vollständigkeitsbehauptung cf. speziell Kanngießer (1976 c, Teil 4). Im übrigen ist es vielleicht nicht unwichtig darauf hinzuweisen, daß mit dieser Behauptung lediglich die Existenz einer bestimmten Beziehung behauptet wird, die zwischen Kommunikationsbediirfnissen und Kommunikationssystemen besteht. Sie besagt nichts über die Bedingungen, unter denen diese Bedürfnisse Zustandekommen, und über die Möglichkeiten, diese Bedingungen verändern zu können.
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in einer Sprachgemeinschaft (oder in Teilbereichen einer Sprachgemeinschaft) anfällt. — Die hier umrissenen Aspekte lassen sich knapp und mit einer gewissen Vagheit in folgender Behauptung zusammenfassen: ( F j ) Wenn ρ Mitglied einer Sprachgemeinschaft C ist, dann bildet ρ ein System V von Möglichkeiten des sprachlichen Handelns aus, damit seine Kommunikationsbedürfnisse befriedigt werden können, die eine Funktion der Koordinaten von C sind, und ρ strukturiert V derart, daß er vermöge V den in C anfallenden, für ρ relevanten Kommunikationsbedarf decken kann. Es bleibt zu fragen, wie ( F j ) so präzisiert werden kann, daß die in ( F j ) enthaltene Funktionalitätsbehauptung als Basis für eine Analyse der Modalitäten des Sprachprozesses in Anspruch genommen werden kann. Und in diesem Zusammenhang ist es zunächst einmal wichtig festzustellen, wie ein Sprecher-Hörer ein für seine kommunikativen Zwecke zureichendes System V ausbilden kann und was unter einem solchen System überhaupt zu verstehen ist. Es muß also, mit anderen Worten, zunächst einmal geklärt werden, was es heißt, daß ein Sprecher-Hörer über ein System von sprachlichen Handlungsmöglichkeiten verfügt, das zweckadäquat strukturiert ist.
3 Ebenen der Sprachkonventionalität 3.1 Die menschliche Praxis ist in einer Mannigfaltigkeit von Bereichen dadurch gekennzeichnet, daß sie bestimmte Regularitäten aufweist; Regularitäten, die auf höchst unterschiedliche Weise Zustandekommen können — die Regularitäten des Straßenverkehrs etwa (Beispiel: Rechtsfahren) sind auf andere Art in Geltung gekommen als die Regularitäten, die das Verhalten auf Fußballplätzen oder an Tankstellen bestimmen. Und Regularitäten bestimmter Art bestimmen auch die sprachliche Praxis der Individuen, und das heißt zunächst einmal, die Art, in der sie (a) sprachlich Handeln, also ihre Sprachpraxis mit einer nicht sprachlichen Praxis verknüpfen, (b) Sprachelemente mit Sprachelementen (Wörter bzw. Morpheme) zu Sätzen verknüpfen, Sätze mit Sätzen zu Sätzen verküpfen, etc. Regularitäten vom Typ (a) — pragmatische Regularitäten, wie man sagen könnte — sind dabei keinesfalls für die Linguistik weniger wichtig oder weniger einschlägig als die grammatischen Regularitäten vom Typ (b); Wittgenstein hebt zu Recht hervor, daß eine — man kann sagen: artikulatorische Praxis nicht als sprachliche Praxis angesehen werden kann, wenn sie keine Regularitäten vom Typ (a) aufweist (PU, §§ 206, 207). Die Regularitäten
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beiderlei Typs sind dabei in einem spezifischen Sinn generell — sie gelten nicht bloß für ein Individuum, und sie existieren jedenfalls längerfristig. Wittgenstein fuhrt hierzu aus: „Es kann nicht ein einziges Mal nur ein Mensch einer Regel gefolgt sein. Es kann nicht ein einziges Mal nur eine Mitteilung gemacht, ein Befehl gegeben, oder verstanden sein, etc. - Einer Regel folgen, eine Mitteilung machen, einen Befehl geben, eine Schachpartie spielen sind Gepflogenheiten (Gebräuche, Institutionen). Einen Satz verstehen, heißt, eine Sprache verstehen. Eine Sprache verstehen heißt, eine Technik beherrschen." (PU, § 199).
Wie wird nun, so bleibt zu fragen, diese Technik der Sprachbeherrschung möglich; von welcher Art sind die „Gepflogenheiten", welche die sprachliche Praxis der Individuen, relativ zum Bezugssystem des (partiell) gemeinsamen Handelns, hervorzubringen erlauben und strukturieren? Die Antwort, die in der linguistischen Literatur üblicherweise auf diese Frage gegeben wird, lautet: Bei diesen Gepflogenheiten handelt es sich um Konventionen. — Was sind nun Konventionen? — Der Begriff der Konvention ist in der einschlägigen Literatur auf unterschiedliche Arten definiert worden; ein Tatbestand, der wenig erstaunlich ist, da mit jedem Definitionsversuch spezifische Schwierigkeiten verbunden sind. Um diese Schwierigkeiten zu vermeiden, soll im Folgenden eine möglichst neutrale, eben deshalb aber auch sehr allgemeine Definition von „Konvention" gegeben werden; eine Definition also, die einerseits für die hier verfolgten Zwecke ausreicht, andererseits jedoch keine Option für einen der Begründungsversuche beinhaltet, die mit den entsprechenden Definitionsversuchen verbunden sind. Diese Definition lautet: (k) Eine Regularität R im Verhalten der Mitglieder einer Gruppe / von Individuen, die fast alle Mitglieder fast immer in einer Situation vom Typ S praktizieren, ist eine Konvention gdw. (a) R eine in / (implizit) geltende Regel ist (b) zu R eine Alternative R' möglich ist. Es ist angebracht zu erläutern, inwieweit (k) eine neutrale Definition ist. Hier ist zunächst festzustellen, daß der Anfangsteil von (k) sich nicht von anderen Definitionsversuchen unterscheidet; die Annahme, daß Situationen strukturiert und also typisierbar sind, und daß Konventionen sozusagen nicht hundertprozentig gelten („fast alle", „fast immer"), beeinträchtigt nicht die Neutralität von (k). Auch der Teil (a) von (k) ist mit den diversen Definitionsversuchen konform (wenngleich in diesen an Stelle von „Regel" zuweilen auch „Postulat", etc. gebraucht wird; diese Unterschiede sind jedoch rein terminologischer Natur, bewirken also keine Differenz in der Sache, und im
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Folgenden kann deshalb auch problemlos auf diese Terminologien zurückgegriffen werden, um Regeln unterschiedlichen Typs auch terminologisch voneinander zu unterscheiden). Mit Teil (a) wird ja nur behauptet, daß konventionelle Regularitäten internalisierte Regularitäten sind; Handlungsregulatitäten, die zwar bewußt befolgt werden können, aber (und deshalb der Verweis auf die implizite Geltung von R) in der Mehrzahl der Fälle unbewußt befolgt werden. Die Neutralität von (a) aus (k) ergibt sich nun speziell daraus, daß offen gelassen wurde, wie der Internalisierungsprozeß zustandekommt. Denn der Versuch, hier eine Antwort zu geben, führt entweder zu einem habitualistischen Konventionsbegriff, für dessen Konstruktion die Begriffe „Handlungsbewertung in I " und „Sanktion von Handlungen von Mitgliedern von / durch Mitglieder von I" entscheidend sind (cf. hierzu Hart (1961); Wittgenstein spricht in diesem Zusammenhang trocken von Abrichtung), oder aber zu einem mentalistischen Konventionenbegriff, für dessen Konstruktion auf Begriffe „Erwartung", „Erwartungserwartung", „Präferenz", etc. zurückgegriffen werden m u ß (cf. hierzu Lewis (1969)). Mit (a) aus (k) wird offenbar keiner dieser beiden Ansätze ausgeschlossen, sondern lediglich behauptet, daß Verhaltensregularitäten internalisiert werden — wie sie internalisiert werden, kann offen bleiben. 8 Und auch in dieser schwachen Fassung reicht (a) hin, u m etwa immitatives Verhalten von einem konventionell geregelten Verhalten unterscheiden zu können. Eine wichtigere Unterscheidung soll durch (b) aus (k) ermöglicht werden, nämlich die Unterscheidung zwischen Konventionen und Gesetzen, denn zu letzteren können, in einem bestimmten Sinn, keine Alternativen existieren ; sie können mithin auch nicht beliebig verändert werden. Dieser Gesichtspunkt der Veränderungsfahigkeit ist es jedoch, der für die menschliche Sprachpraxis entscheidend ist ; Konventionalisierungen können in der Art X, aber auch in der Art Yvorgenommen werden,und genau aus diesem Umstand resultieren die diversen Modalitäten des Sprachprozesses. — Im übrigen ist festzuhalten, daß auch dieser Aspekt in den meisten Definitionsversuchen mitberücksichtigt ist (von Lewis 8
Allerdings darf ich anmerken, daß eine genauere Analyse meines Erachtens zugunsten der mentalistischen Variante ausfallen dürfte, da nicht (oder jedenfalls nicht ohne weiteres) einzusehen ist, warum eine Lösung von Koordinationsproblemen und Kooperationsproblemen in jedem Fall nur unter der Androhung von Sanktionen Zustandekommen soll. Die mentalistische Variante scheint mir hier sehr viel gründlicher zu sein als ihr habitualistischer Konkurrent. Anmerken möchte ich ferner, daß (k) in der Formulierung teilweise Kemmerling (1976) folgt, der allerdings zugunsten des habitualistischen Ansatzes votiert. Kemmerling übersieht dabei jedoch, daß eine Formulierung wie (a) aus (k) in dieser Form noch garnichts über Internalisierungsprozesse aussagt, also mit beiden Ansätzen verträglich ist.
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(1969,78) etwa im Zusatz zu Teil (5) seiner Definition), allerdings eher implizit und beiläufig, während es nach (k) essentiell für konventionelle Regularitäten ist, daß sie alternieren können. Um es nochmals in anderen Worten zu sagen: Alle Momente der Sprachpraxis und der Sprachstraktur, die nicht konventionell bestimmt sind, sind nicht prozeßfähig, sondern invariant, (cf. hierzu jedoch § 3.2). 9 Bei der Formulierung von (k) wurde offen gelassen, wie Internalisierungsprozesse ablaufen, ob sie eine habitualistische oder eine mentalistische (oder eine „gemischte") Struktur haben. Ganz unabhängig von dieser Frage kann jedoch angegeben werden, warum einschlägige Internalisierungsprozesse vollzogen werden, also die Sprachpraxis eine konventionelle Struktur erhält. Denn das Ziel der Sprachpraxis der Individuen, der Zweck der sprachlichen Handlungen, besteht fraglos in der Verständigung untereinander (was nicht notwendig heißen muß, daß jedes Mitglied einer Sprachgemeinschaft sich mit jedem anderen vollständig verständigen können muß; cf. hierzu die Abschnitte 4 und 5), oder — um es in anderen Worten zu sagen — in der Sicherstellung der kommunikativon Bedingungen der nicht-sprachlichen Praxis. Dieses Ziel kann jedoch nicht erreicht werden, wenn die Sprachpraxis irregulär, partikularistisch oder idiosynkratisch verläuft. Die Konventionalisierung der sprachlichen Praxis dient also dem Versuch, gewisse Verständigungsmöglichkeiten sicherzustellen; entsprechend kann eine funktionalistische Erklärung der Gründe des Konventionalisierungsprozesses derart lauten: (F2) Die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft C konventionalisieren ihre gesamte sprachliche Praxis in der Art X, damit in C ein Verständigungszustand Vz vom Typ Y hergestellt werden kann. 10
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Obwohl es möglicherweise überflüssig ist, möchte ich doch darauf hinweisen, daß die linguistischen Behauptungen über Konventionalisierungsprozesse ihrerseits nicht wiederum konventionell begründet sind; bei diesen Behauptungen handelt es sich schlicht um Gesetze, um Gesetze über Sprachkonventionalisierungen, die allerdings nicht ganz einfach zu formulieren sind; cf. hierzu Anm. 1. Davon ganz unabhängig ist die zuweilen von Wissenschaftstheoretikern vertretene Auffassung, daß auch Gesetze Konventionen seien, da in den einschlägigen Argumentationen „Konvention" in einem ganz anderen als dem durch (k) festgelegten Sinn verwendet wird. 10 Der Begriff des Verständigungszustandes wird hier, wie auch der Begriff des Sprachzustandes nur informell gebraucht; ef. jedoch Lieb (1970). Immerhin dürfte klar sein, daß es sich um zwei sehr stark voneinander verschiedene Dinge handelt; selbst dies ist jedoch in der linguistischen Diskussion nicht immer in Rechnung gestellt worden. Ferner möchte ich hervorheben, daß ( F . ) ebensowenig wie (k) irgendwelche
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Die Annahme (F2) stellt offenbar eine Ergänzung zu ( F j ) dar: Im Zuge der Befriedigung der Kommunikationsbedürfnisse der Individuen (der Abdekkung von Lagen des Kommunikationsbedarfs in C oder in Teilbereichen von C) vermöge der Konventionalisierung von sprachlichen Handlungsmöglichkeiten muß unter den Individuen, aber nicht notwendig unter allen Individuen in der gleichen Weise und im gleichen Grade, ein bestimmter Verständigungszustand Zustandekommen, also (wechselseitiger) Informationstransfer möglich werden. — Zugleich wird mit (F2) zum Ausdruck gebracht, daß es sich bei Sprachgemeinschaften (auch) um Individuengruppen von der Art handelt, auf die (k) angewendet werden kann; ein Vorgehen, das nach dem zuvor Gesagten unproblematisch sein dürfte. Konventionalisierungen der sprachlichen Praxis können nun — und genau dies macht ja die Kontingenz dieser Praxis aus — auf höchst unterschiedliche Arten und mit höchst unterschiedlichen Resultaten vorgenommen werden, ebenso, wie sich die diversen Verständigungszustände erheblich von einander unterscheiden können; dies wurde in (F2) durch die Klauseln „in der Art X" und „vom Typ Y" zum Ausdruck gebracht, wobei zwischen X und Y offenbar eine Korrelation besteht. Natürlich müssen diese Klauseln genauer ausgeführt werden, in diesem Zusammenhang speziell die erste der beiden Klauseln; es muß also erörtert werden, welcher Art die Sprachkonventionen sind, die innerhalb einer Sprachgemeinschaft ausgebildet werden. Ausgangspunkt dieser Erörterung kann dabei die zuvor getroffene, aber nicht weiter ausgeführte Unterscheidung zwischen den konventionellen Bedingungen und den nichtAnnahmen über den Verlauf des Konventionalisierungsprozesses impliziert. Insofern ist speziell nicht ausgeschlossen, daß bestimmte Sprachkonventionen normativ eingeführt werden, also sozusagen auf dem indirekten Verordnungswege in Kraft gesetzt werden. Es spricht, bei einer entsprechenden Fassung des Konventionsbegriffs (cf. hierzu auch Lewis (1969, Kap. III, 3)), nichts dagegen, auch diese Normen als Konventionen aufzufassen, obwohl der Normbegriff natürlich auch unabhängig vom Konventionsbegriff eingeführt werden kann. Aus Gründen der Einheitlichkeit des Ansatzes soll hier jedoch die erste Möglichkeit vorausgesetzt werden. Schließlich darf ich darauf hinweisen, daß die ,,damit"-Klausel in (F2) von einiger Bedeutung ist. Es ist offenkundig, daß im Deutschen die Möglichkeit besteht, diese Klausel in eine weil-Klausel und damit den funktionalen Zusammenhang in einen Kausalzusammenhang zu überführen. Wer diese Möglichkeit nutzt, sollte sich jedoch auch darüber im Klaren sein, daß er dann gezwungen ist, Bedürfnisse, Zwekke, etc. als Ursachen aufzufassen - und die methodologische Problematik, die durch die Umformung vermieden werden sollte, fangt mit einer einschlägigen Explikation des Ursache-Begriffs und verschiedener Reduktionsprobleme erst eigentlich an. Der sozusagen direkte Versuch einer Analyse des Funktionsbegriffes dürfte weit weniger unlösbare Probleme aufwerfen als der Umformungsansatz; zu einigen Dtailargumenten cf. hierzu Kanngießer (1977).
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konventionellen Bedingungen der sprachlichen Praxis sein, die möglicherweise klarer vor Augen fuhrt, in welchen Bereichen eine Analyse von Sprachprozessen überhaupt sinnvoll vorgenommen werden kann.
3.2 Sprachliche Kontigenz ist, wo wurde ausgeführt, eine Funktion von Konventionalisierungen, und das heißt auch, daß alle nicht-konventionalisierte Bereiche der Sprachpraxis der Individuen nicht kontigent sind (beziehungsweise sie sind, sofern sie sich als kontingent herausstellen sollten, nicht im hier analysierten Sinne, sondern unter gänzlich anderen Gesichtspunkten kontingent). Dies schließt nicht aus, daß es nicht-konventionelle Bedingungen der Sprachpraxis gibt; das spezies-spezifìsche Sprachvermögen des Menschen beispielsweise liefert den Rahmen, innerhalb dessen Sprachkonventionalität überhaupt möglich ist. Und es ist nicht nur dieser sehr allgemeine Gesichtspunkt, der hier von Bedeutung ist; vielmehr verhält es sich auch so, daß der Produktion und Rezeption von Sprechakten gewisse Bedingungen auferlegt sind, die sich aus der psycho-physischen Verfassung des Menschen ergeben. — Man betrachte in diesem Zusammenhang den folgenden Satz des Deutschen: (5) Peter, der das Auto, das von einem Jugendlichen, der in Hamburg in einem Betrieb, der Fahrräder, deren Kugellager, die ein japanischer Wissenschaftler, der sonst auf Gebieten, die mit der Kugellagerfertigung nichts zu tun haben, arbeitet, neu konstruiert hat, weltberühmt sind, herstellt, arbeitet, beschädigt wurde, neu lackiert hat, spielt seit neuestem Tag und Nacht Billard.
Der Satz in (5) ist vollgrammatisch im Deutschen. Er ist jedoch, in der aktuellen Kommunikation geäußert, mit Sicherheit unverständlich; er dürfte selbst in schriftlicher Form nur nach mehrmaliger Lektüre verstehbar sein. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die im Deutschen gegebene Möglichkeit, in einen Satz beliebig viele (Relativ-) Sätze einbetten zu können, wurde — man kann wohl sagen: bei der Konstruktion von (5) genutzt; dies zusammen mit dem Umstand, daß es im Deutschen eine Regel gibt, die die Endstellung des Verbs im Satz erfordert, hat zu einem Satz gefuhrt, in dem die grammatischen Beziehungen so unübersichtlich sind, daß er nur mit Mühe verständlich ist. Jeder Versuch, im Deutschen nurmehr mit Sätzen von der Art des Satzes in (5) zu kommunizieren, würde den Kommunikationsprozeß zum Erliegen bringen, da die Kapazität des menschlichen Gedächtnisses weder für die aktuelle Produktion noch für die aktuelle Rezeption solcher Sätze ausreicht. Aus diesem Grund gilt für die sprachliche Kommunikation, daß die Einbettungstiefe eines Satzes ein bestimmtes Maß nicht überschreiten darf — und zwar gilt dies nicht konventionell, sondern auf Grund der psycho-physischen Konstitution des
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Menschen, und zwar gilt dieses „Gesetz der maximalen Einbettungstiefe" immer (es sei denn, im Zuge einer weiteren Evolution wird die Gedächtniskapazität des Menschen in unerhörter Art gesteigert — und Gesichtspunkte wie dieser waren gemeint, wenn zuvor die Rede davon war, daß auch die nicht-konventionellen Bedingungen der Sprachpraxis — in einem spezifischen Sinne — kont i n e n t e Bedingungen sein könnten). Zum Gesetz der maximalen Einbettungstiefe gibt es keine Alternative im Sinne von (k); die entsprechende Sprachpraxis ist nicht konventionell, sondern sozusagen biologisch begründet. Anders verhält es sich nun im Fall der beiden folgenden Sätze: (6) Peter fahrt nicht nach Hamburg (7) Peter fährt nach Hamburg nicht Satz (6) ist vollgrammatisch im Deutschen, (7) dagegen nicht; mit (7) wird gegen die (derzeit) im Deutschen geltenden Stellungsregeln für nicht Verstössen. Aber es ist klar, daß die in (7) praktizierte Endstellung der Negation eine Alternative zur Stellung von nicht in (6) darstellt; die Stellung der Negation in (6) ist somit, im Sinne von (k), konventionell begründet. Und das Verfügen über Konventionen dieser Art ist es, das - wie man in Anlehnung an Chomsky (1965) sagen kann — die Sprachkompetenz der Individuen ausmacht; Sprachkompetenz haben, über Sprachkenntnisse verfügen heißt also, Sprachkonventionen beherrschen — Konventionen, deren Kenntnis keineswegs angeboren ist, sondern die erlernt werden müssen und die — nicht beliebig, wie sich zeigen wird — abgeändert werden können und abgeändert werden. So ist ein Zustand des Deutschen denkbar, in dem die für (7) und nicht die für (6) geltenden Wortstellungsregeln gelten; analoges gilt für pragmatische Regularitäten, die selbstverständlich (und insofern ist es korrekt, von einer Anlehnung an die Position Chomskys, aber nicht von deren Übernahme zu sprechen) auch Teil der Sprachkompetenz der Individuen sind, und vermöge derer die kommunikativen Funktionen festgelegt werden, die in bestimmten Situationen geäußerte Sätze haben können. Die verschiedenen Ebenen der Sprachkonventionalität zu analysieren heißt also zugleich auch, die Sprachkompetenz der Individuen zu thematisieren. Die Untersuchung von Sätzen wie (5) stellt demgegenüber, sofern sie unter den angedeuteten Gesichtspunkten erfolgt, keinen Beitrag zur Kompetenztheorie dar; sie betrifft vielmehr, nach Chomsky (1965), die Ebene der Sprachperformanz, und bei den Regularitäten dieser Ebene handelt es sich um nicht-konventionelle Regularitäten, um solche, die eine Funktion psychophysischer Gegebenheiten sind, und zu denen deshalb keine Alternativen
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existieren. Dem Gebrauch von Kompetenzregularitäten ist somit durch die Performanzregularitäten eine Grenze gesetzt; die Kompetenzregularitäten selbst können dagegen (jedoch nicht beliebig) variieren und in alternative Regularitäten transformiert werden - und in eben diesem Umstand ist es begründet, daß die Sprachpraxis der Individuen sich ändern kann, mit allen Konsequenzen, die sich für die von ihnen gesprochenen Sprachen, deren Grammatik und Vokabular, ergeben. Die Performanz-Kompetenz-Unterscheidung, die hier eingeführt wurde, macht überdies ein weiteres klar: Die Begriffe ist grammatisch in L" (wobei „grammatisch" bedeuten soll: syntaktisch, semantisch und phonologisch wohlgeformt) und „die Äußerung A von S ist verständlich in C" sind weder kointensional noch koextensional. (7) ist ungrammatisch im Deutschen, aber mühelos verständlich für alle Deutschsprechenden; (5) ist vollgrammatisch im Deutschen, aber für jeden Deutschsprechenden nur schwer zu verstehen — Grammatizitätsbedirigungen, allgemeiner: Wohlgeformtheitsbedingungen (auch solche pragmatischer Art) sind keine Verständlichkeitsbedingungen, sie sind nicht einmal notwendige oder gar hinreichende Bedingungen für die Möglichkeit der sprachlichen Verständigung. Entsprechend sind auch an die Begriffe „Sprachzustand" und „Verständigungszustand" ganz unterschiedliche Explikationsanfordernisse zu stellen, und Argumentationen, denen zufolge natürliche Sprachen endlich sind, weil Sätze, die eine bestimmte Länge überschreiten, einfach abstrus seien, basieren in der Regel auf der unzulässigen Vermengung der Begriffe „Sprachzustand" und „Verständigungszustand" — Verständigungszustände sind eben ganz andere Zustände als Sprachzustände, und was - bei aller Affinität der beiden Zustände — bezüglich des einen abstrus erscheinen mag, kann für die Möglichkeit des Zustandekommens des anderen von ganz entscheidender Bedeutung sein. 3.3 Die erste Frage, die bei der Charakterisierung der Ebenen der Sprachkonventionalität 11 zu stellen ist, hat wohl den Bedingungen zu gelten, unter 11 Die folgende Skizze geht im wesentlichen auf meine Ausführungen in Kanngießer (1976c, Abschnitt 2 und 3) zurück, wo die Ebenenstruktur ausführlicher dargestellt wird als es hier möglich ist. - Natürlich ist ein strengerer Aufbau der hier vorausgesetzten Ebenentheorie wünschenswert; er sollte im Grundsatz jedoch auch möglich sein. Für die Ebenen 4 bis 6 — die grammatischen Ebenen - liegen entsprechende Modelle ohnehin schon vor; die größten Schwierigkeiten dürfte die noch weitgehend unerforschte Ebene 2 machen, die zugleich jedoch von allergrößtem linguistischen Interesse ist. Cf. hierzu die Arbeiten von Wunderlich in Wunderlich (1976), cf. ferner Kallmeyer/ Schütze (1976). Im übrigen ist die im Folgenden vorgenommene Ebenenunterscheidung exemplarisch gemeint; relativ zu anderen als den hier vorausgesetzten Bezugssystemen erge-
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denen sprachliche Kommunikation überhaupt möglich wird — es geht also um diejenigen Sprachkonventionen, deren generelle Nicht-Beachtung das Zustandekommen eines bestimmten Sprachzustandes bzw. eines bestimmten Verständigungszustands verunmöglichen würde; also eine bestimmte Art des Informationstransfers systematisch verhindern würde. Auf dieser ersten Ebene der Sprachkonventionalität sind etwa Konventionen zu nennen, wie sie von Grice (1975) untersucht worden sind; Grice charakterisiert diesen Konventionalisierungszusammenhang durch die Angabe eines allgemeinen Prinzips der sprachlichen Kooperation sowie die spezielleren Konversationspostulate der Quantität, Qualität, Relation und der Art und Weise. Die Konventionen der Ebene 1 sind, wie man vielleicht sagen k ö n n t e , bedingt universell, etwa in dem Sinne, daß zu ihnen keine Alternative existiert, wenn der angestrebte oder zu erhaltende Verständigungszustand und der für sein Zustandekommen erforderliche Sprachzustand bestimmte Eigenschaften aufweisen sollen — was jedoch nicht heißt, daß jeder Verständigungszustand bzw. Sprachzustand diese bestimmten Eigenschaften notwendig aufweisen muß; weist er andere Eigenschaften auf, so liegen ihm andere Konventionen der Ebene 1 zugrunde. Allerdings m u ß an dieser Stelle hervorgehoben werden, daß die Alternativenfähigkeit der Konventionen der Ebene 1 erheblich eingeschränkt ist, und es kann in der Tat nicht ausgeschlossen werden, daß es Postulate gibt, die und möglicherweise ist das der Qualität ein solches - keiner Alternative fähig sind (cf. hierzu Lewis (1969), speziell die Erörterung der írwí/í/w/«esx-Konvention in V, 4); Postulate dieser Art aber - zu denen es Analoga auf anderen Ebenen geben kann, etwa die Subjekt-Prädikat-Unterscheidung im grammatischen Bereich — wären somit keine Konventionen, sondern Gesetze. Diese Gesetze der Sprachpraxis, die mit Sicherheit Gesetze anderer Art sind als die Naturgesetze es sind (wenn es sich bei ihnen denn überhaupt u m Gesetze handelt), müßten dann als Spezialfälle der Konventionalisierung, sozusagen als Quasi-Konventionen behandelt werden (genau dies ist das Vorgehen von Lewis (1969), und in dieser Form, gegebenenfalls aber auch als ausgezeichnete Elemente, lassen sich diese Quasi-Konventionen auch im Rahmen des im § 4.2 entwickelten Formalismus abhandeln). Gleichwohl ist hier Vorsicht geboten: Auch starke Einschränkungen der Alternativenfähigkeit sind nicht gleichbedeutend mit vollständiger Alternativenunfähigkeit und kategorischer Geltung; die fiktiven Gegenbeispiele gegen den Gesetzescharakter etwa des Wahrhaftigkeitspostulates sind keineswegs so bizzar, daß sie einfach unter den Teppich gekehrt werden könnten (cf. Lewis 1969, 195); die kommunikativen Zwecke, ben sich andere Unterteilungen. Für die Inhogenitätsanalyse in Abschnitt 4 spielt die Unterscheidung in sechs Ebenen deshalb auch keine Rolle; wichtig ist lediglich, daß endlich viele Ebenen voneinander unterschieden werden können.
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die in einer Sprachgemeinschaft verfolgt werden, können von einer solchen Mannigfaltigkeit sein, daß sie möglicherweise auch ohne das Qualitäts-Postulat erreichbar sind; entsprechende Vorbehalte kann man etwa gegen die Subjekt-Prädikat-Unterscheidung geltend machen. Und es sind nun einmal diese kommunikativen Zwecke, relativ zu denen die Grade der Alternativenfähigkeit festzulegen sind. Gleichwohl kann man die Konventionen der Ebene 1 als zumindest schwach notwendige Bedingungen für die sprachliche Praxis der Individuen ansehen; hinzutreten die Konventionen der Ebene 2, die im Gegensatz zu den Konventionen der Ebene 1 nicht gewissermaßen die verschiedenen Kommunikationsfelder (cf. Anm. 6) übergreifen und damit auch nicht für alle Situationen gelten. Die Konventionen der Ebene 2 werden vielmehr feldspezifisch und situationsaffin ausgeformt; vermöge dieser Konventionen wird etwa festgelegt, welche Redebeiträge in welcher Situation in welchem Feld zulässig sind, wann Sprecher-Wechsel statthaft sind, wann Redebeiträge welcher Länge zulässig oder erforderlich sind, welche Sequenzierungsprinzipien fur Sprechakte gelten, was wann als Argument gelten kann, was eine Diskussion, ein Diskurs, eine Debatte ist, wann eine Diskussion als beendet gilt, etc. Es liegt wohl auf der Hand, daß die Konventionen der Ebene 2 „kontingenter" sind als jene der Ebene 1, also einen umfassenderen Alternativenspielraum eröffnen — sie fallen entsprechend von Sprachgemeinschaft zu Sprachgemeinschaft unterschiedlich aus; sogar die verschiedenen Teilbereiche einer Sprachgemeinschaft sind hier in der Regel nicht homogen. Die Konventionen der Ebene 2 strukturieren also, wie man allgemein sagen kann, die in einer Sprachgemeinschaft möglichen Kommunikationsverläufe; auf der Ebene 3 der Sprachkonventionalität schließlich wird dann festgelegt, welchen Bedingungen die Elementarteile dieser Kommunikationsverläufe genügen müssen, nämlich die Sprechakte, die von den Sprecher-Hörern vollzogen werden (cf. hierzu Searle 1969). Die Ebenen 1 bis 3 kann man grob als pragmatische Ebenen der Sprachkonventionalität bezeichnen; bei den anschließenden Ebenen 4 bis 6 handelt es sich dann um grammatische Ebenen. Innerhalb des Begriffsystems der Transformationsgrammatik — in der Form etwa, in der es von Lewis (1970) vorgelegt worden ist — ist dann zunächst die Ebene 4 der Tiefenstrukturen und Intensionen zu nennen, 12 sodann die Ebene 5 der Oberflächenstrukturen 12 Diese Ebenenunterscheidung ist nicht ganz unproblematisch; sie impliziert, daß auch semantische Regeln Konventionen im Sinne von (k) sind; entsprechend ist anzunehmen, daß etwa auch Folgerungen nur konventionell gelten. Diese Annahme klingt vielleicht spektakulär; sie ist es jedoch wohl schon sehr viel weniger, wenn man an sprach-spezifische Relativierungen des Folgerungsbegriffs („Folgerung in L " ) und sprach- und sprachgemeinschaftsspezifische Relativierungen der Analyti-
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und schließlich die Ebene 6 der Lautstruktur; diese Unterscheidungen sind so geläufig, daß sie keinen weiteren Kommentar erforderlich machen. Festzuhalten ist jedoch, daß die verschiedenen Ebenen der Sprachkonventionalität nicht unabhängig voneinander sind. Für den Aufbau einer vollständigen Ebenentheorie ist die Analyse der Wechselbeziehungen zwischen denen Ebenen unerläßlich, ebenso die Analyse der ebeneninternen Wechselwirkungen zwischen den diversen Ebenenkomponenten, wenn die funktionale Struktur der Sprachpraxis hinreichend erfaßt werden soll. Ein solcher Theorieaufbau ist hier jedoch nicht möglich; er ist für die Argumentation im Folgenden auch nicht unbedingt erforderlich, sodaß einige Hinweise genügen mögen. Sofern etwa die Konventionalisierung der Ebene 2 die Erfordernisse mit umfassen sollte, Diskussionen und Debatten fuhren können, so wird die Ausformung dieser pragmatischen Ebene sehr wohl Rückwirkungen auf die Beschaffenheit der grammatischen Ebene 4 haben, denn auf dieser Ebene muß dann die Kategorie (S/N) /S der positionalen Verben wie glauben, vermuten, meinen, etc. und die Kategorien (S/N) Ν S und (S/N)/ Ν (S/N) der performatien Verben
wie behaupten, bestreiten, fragen-wer, fragen-ob, versprechen, etc. bereitgestellt werden. Ferner können — ebenenintern — bereits vollzogene Konventionalisierungen ein Parameter für Folge-Konventionalisierungen sein; so kann etwa eine bereits eingeführte Spezifizierung von Verben durch Adverbien Anlaß zu einer analogen Adverb-Spezifizierung, also zu Einführung der Kategorie ((S/N)/(S/N))/(S/N) sein, die dann ihrerseits Rückwirkungen auf die Form der Konventionalisierung der Ebene 2 — beispielsweise — haben kann, auf der dann vermöge eines Postulates gefordert werden kann, daß — in bestimmten Feldern und in bestimmten Situationen — gewisse Differenzierungen, die getroffen werden können, auch getroffen werden müssen. Für die Analyse von Sprachzuständen und der Prozesse der sprachlichen Verständigung ist es also wesentlich, nicht nur die Existenz der verschiedenen Ebenen der Sprachkonventionalität zu konstatieren und eventuell auftretende Abgrenzungsprobleme sorgfältig zu behandeln, sondern speziell auch den Funktionszusammenhang der Ebenen herauszuarbeiten, ohne dessen Thematisierung eine Erklärung der Effekte des Konventionalisierungsprozesses kaum möglich ist. Und weiter ist festzuhalten, daß Sprachkonventionen, wie in (k) explizit aufgeführt, zumeist implizit gewußt und befolgt werden, jedoch auch - in gewissen Situationen, in gewissen Kommunikationsfeldern — explizit angewendet werden können. Mit anderen Worten: Die Sprachpraxis der Indivizitätsbegriffes (,,s ist in L analytisch für ρ aus P") denkt. Allgemein möchte ich hier auf die Arbeiten von Quine und Lewis verweisen, die Perspektiven für eine einschlägige Deutung der Logik liefern; cf. Quine (1963) und Lewis (1969).
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duen kann eine partielle intentionale Struktur aufweisen und weist sie in der Regel auch auf; dies kann etwa bezüglich der Präferenzen gelten, die Sprecher-Hörer für bestimmte Aussprachevarianten haben (cf. Labov 1972), es kann aber etwa auch bezüglich der Konventionen der Ebene 2 gelten — wann in welcher Situation ein Sprecher-Wechsel möglich bzw. erforderlich ist, kann sehr wohl explizit gewußt sein. Entsprechendes kann für die anderen Ebenen in Ansatz gebracht werden, und es kann in einem noch strikteren Sinne etwa für die Sprachpraxis behauptet werden, die — in einem intuitiven Sinne — eine Ergänzung zu der von den natürlichen Sprachen ermöglichten Sprachpraxis darstellt: der Gebrauch einer formalen Sprachen in einer Wissenschaftlergemeinschaft oder einer Programmiersprache im Verwaltungswesen erfolgt in der Regel voll intentional. — Natürlich variiert die Intentionalität der Sprachpraxis situationsspezifisch (es gibt also Situationen, in denen eine präzise Wortwahl nicht erforderlich ist; wer jedoch nach einem Fußballspiel, wie immer es ausgegangen sein mag, einem Fan-Club eines der beteiligten Vereine konfrontiert wird, muß wissen, daß er seine Worte zumindest so sorgfaltig abwägen muß, als stünde er vor Gericht), ihre Funktion ist es, dem Sprecher eine Kontrolle über seine eigenen sprachlichen Möglichkeiten, deren Einsatz und dessen mögliche Konsequenzen zu gestatten — und diese Kontrollmöglichkeit ist natürlich nur insoweit gegeben, wie eine mehr oder weniger explizite Kenntnis von Sprachkonventionen gegeben ist. — Aber die Intentionalität der Sprachpraxis ist nicht nur im skizzierten Sinne reflexiv, sondern sie gestattet auch eine Bewertung der sprachlichen Praxis anderer; Wunderlich, der speziell diesen Aspekt betont, fuhrt aus: „Sprachbewußtsein ist die allgemeine Fähigkeit der Menschen, über Sprache reflektieren und sprechen zu können, damit z.B. ihre sprachlichen Handlungen zu kontrollieren, Bedeutungsumschreibungen zu geben, soziale Urteile auf der Basis von Interaktionen zu geben, auf Außenstehende oder Fachleute, Ausländer, Kinder, Dialektsprecher oder Kranke zu reagieren und ihr Verhalten zu deuten. Zum Sprachbewußtsein gehört wesentlich die Verfügung über eine Reihe von Deutungsschemata sozialer Art, um die eigene Rolle und die Rolle anderer in den Interaktionen in selbstverständlicher Weise einzuschätzen und evtl. auch bewußt zu klären. Das Sprachbewußtsein ist sozusagen die Instanz, die es erlaubt, immer neue soziale Situationen wahrzunehmen und in einem relevanten Sinne zu strukturieren." (Wunderlich 1976, 14).
Der Gesichtspunkt der partiellen und gradweise variierenden Intentionalität der sprachlichen Praxis der Individuen ist auch für eine Theorie der Modalitäten des Sprachprozesses von einiger Bedeutung, denn unter diesem Gesichtspunkt wird deutlich, daß Sprachprozesse sehr wohl motiviert sein können, also als Funktion einer bestimmten Sprachpraxis darstellbar sind, die
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bewußt zu einem bestimmten Zweck ausgeübt wird. Entsprechend muß in einem Modell des Sprachprozesses nicht nur die Konventionalität der sprachlichen Praxis, sondern auch ihre partielle Intentionalität Berücksichtigung finden, wenn dieses Modell adäquat ausfallen soll, also nicht unangemessen selektiv aufgebaut wird. 13
4 Sprachinhomogenität 4.1 Zu wichtigsten Problemen, die sich beim Aufbau einer Theorie des Sprachprozesses stellen, gehört traditionellerweise der Versuch, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob die Veränderungsprozesse, denen eine Sprache unterliegt, in einem zu erläuternden Sinne gleichförmige Prozesse sind; im Verfolg dieses Versuches muß dann offenbar auch eine Antwort auf die Frage gegeben werden, ob alle Sprecher-Hörer einer Sprachgemeinschaft C dieselbe Sprache sprechen oder — um es anders auszudrücken — ob sie über dieselben Sprachkonventionen verfügen. Eine befriedigende Antwort auf diese Frage ist nun, entgegen dem ersten Anschein, nicht leicht zu finden, und zwar wegen der in Abschnitt 1 beschriebenen Singularität des Sprachprozesses, die es sehr schwer macht, hier allgemeine Annahmen formulieren zu können. Die Sprachinhomogenität kann, wenn sie auftritt, in einer Mannigfaltigkeit von Formen auftreten; sie muß jedoch nicht notwendigerweise auftreten - da Sprachprozesse singuläre Prozesse sind, kann auch das Auftreten von homogenen Sprachzuständen zumindest nicht a priori ausgeschlossen werden. 14 Ebensowenig kann angenommen werden, daß die Suche nach für alle inhomogenen Sprachzustände einschlägigen Strukturierungsprinzipien in jedem Fall erfolgreich endet; vielmehr 13 Im Folgenden werden diese speziell für Verständigungsprozesse wichtigen Gesichtspunkte nicht weiter thematisiert ; eine Behandlung soll an anderer Stelle erfolgen. Wie wichtig und zugleich alltäglich diese Zusammenhänge sind, belegt - als ein weniger pittoreskes Beispiel - etwa die Arzt-Patient-Situation, wo die genaue und bewußte Schilderung der Krankheitssymptome durch den Patienten dem Arzt erst eine Übersetzung in die medizinische Fachsprache und damit eine Diagnose ermöglicht, (eine fast - aber nur fast - vergleichbare Situation liegt vor, wenn ein Auto zur Reparatur gebracht wird.) Intentionalität ist also ein wesentliches Moment der Sprachpraxis. Ferner ist es vielleicht nicht ganz unangebracht darauf hinzuweisen, daß Habel in seinem Beitrag zu diesem Band in der der Grammatik zugeordneten Bewertungskomponente sozusagen Aspekte des Sprachbewußtseins formalisiert. 14 Ich habe in Kanngießer (1972), wo ich das Inhomogenitätsproblem in einiger Ausführlichkeit behandelt habe, mehrfach darauf hingewiesen, daß selbst die extreme Idealisierung der Sprachgemeinschaft, die Chomsky (1965) vornimmt, für den allerdings empirisch unwahrscheinlichen Fall Ρ = P , deskriptiv adäquat sein könnte.
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können sich diese Prinzipien durchaus als zustandsspezifisch, also gerade als nicht allgemein herausstellen. 15 Ferner wird die Situation dadurch verkompliziert, daß bei der Analyse von Sprachinhomogenitäten üblicherweise Aspekte der Sprachintentionalität mit solchen der Sprachkonventionalität vermischt werden — und die resultierende Mischung ist wenig fruchtbar. Um anzudeuten, worum es hier geht, sei hier eine gewiß oberflächliche, aber wohl hinreichend illustrative Charakterisierung der inhomogenen Struktur des Deutschen gegeben, wie sie sich in der Literatur öfter findet. Hier wird angenommen, daß das Deutsche aus einer Menge von Dialekten besteht, deren kommunikative Reichweite beschränkt ist, ebenso aus einer Menge von Umgangssprachen von größer, aber ebenfalls beschränkter kommunikativer Reichweite, ferner aus einer Hochsprache von unbeschränkter kommunikativer Reichweite, einer Menge von reichweitenbeschränkten Sondersprachen, einer Menge von reichweitenbeschränkten Fachsprachen, etc. — Die Sprachtypen, auf die in dieser Charakteristik Bezug genommen wurde (und zwar keineswegs erschöpfend; man betrachte die folgende Auswahl von weiteren Typen: Landessprache, Gemeinsprache, Standardsprache, Verkehrssprache, Staatssprache, Nationalsprache, Alltagssprache, Verwaltungssprache, Jargon, Sportsprache, Werbesprache, Spezialsprache, — etc.), mögen — der Kürze halber — /^-Bestandteile heißen; die Charakteristik insgesamt die D-Charakteristik. — Der Umstand nun, daß die Deutsch-Sprecher-Hörer über die verschiedenen ^-Bestandteile möglicherweise in ganz unterschiedlichen Graden verfugen (was auch immer dies heißen mag, und wie immer hier zu messen wäre), ist für die in der ^-Charakteristik enthaltene Inhomogenitätsbehauptung — vielleicht entgegen dem ersten Anschein — nicht wesentlich: Denn selbst wenn alle Deutsch-Sprecher-Hörer über alle .D-Bestandteile vollständig verfügen würden (bezüglich ihrer kommunikativen Möglichkeiten also ununterscheidbar wären), bliebe die inhomogene Struktur im Sinne der Charakteristik offenbar erhalten. Mit anderen Worten: Sofern die .D-Charakteristik ein e Multilingualitätsbehauptung impliziert (dies muß nicht notwendig der Fall sein, da nicht auszuschließen ist, daß es Sprachgemeinschaften gibt, in denen jeder SprecherHörer nur übe* ein Sprachbestandteil — partiell oder vollständig — verfugt, also alle Sprecher-Hörer monolingual sind), ist dies für die Inhomogenitätsbehauptung unwesentlich, da bei ihrer Formulierung vom Sprecher-Hörer-Begriff garnicht Gebrauch gemacht werden muß. Analysen von der Art der .D-Charakteristik basieren zwar auf der Sprachpraxis der Individuen; sie beziehen sich jedoch nicht primär auf die Kompetenz der Individuen, sondern dienen der Kennzeichnung bestimmter Formen und Sektoren der sprachlichen Praxis, für die 15 Cf. in diesem Zusammenhang Anm. 1.
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gewisse — etwa grammatische — Regularitäten spezifisch sind, die zwar für einen bestimmten Interaktionsmodus oder einen bestimmten Kommunikationssektor erschöpfend sein mögen, ohne dies notwendig sein zu müssen, aber in keinem Fall die internalisierte Grammatik der in einem Sektor interagierenden Individuen, allgemeiner: ihre Sprachkompetenz voll auszuschöpfen. Sektorenregularitäten (Regularitäten eines Kommunikationsfeldes im Sinn von Anm. 6) können nicht mit Kompetenzregularitäten identifiziert werden; sie haben einen grundsätzlich anderen Status (cf. Kanngießer (1977i>), insbesondere die Teile III und IV). Wenn aber Charakteristiken der angegebenen Art nicht auf Kompetenzanalysen hinauslaufen, worauf dann? — Die Antwort lautet: Charakteristiken dieser Art laufen hinaus auf di e Bewertung bestimmter Formen der sprachlichen Praxis, die in einer Sprachgemeinschaft geübt wird; auf Bewertungen, vermöge derer — relativ zu einem bestimmten Bezugssystem — bestimmte Formen dieser Praxis als umgangssprachlich, als standardsprachlich, etc. gekennzeichnet werden. Kompetenzaspekte sind aber offenbar etwas anderes als Bewertungsaspekte; die Begriffe „die Äußerung von Satz s aus L gilt in C im Kontext Κ als " (wobei in die Leerstelle eben „umgangssprachlich", etc. einzusetzen wäre,) und „s ist ein Satz der Sprache von ρ aus P(C)" sind somit grundverschieden voneinander. Nur mit diesem letzteren Begriff läßt sich eine Behauptung über die Kompetenz von p, etwa über die von ρ befolgten grammatischen Konventionen, aufstellen; mit dem ersten Begriff dagegen lassen sich nur Annahmen darüber formulieren, wie gewisse Spracheigenschaften, die aus der Art der Konventionalisierung resultieren, in C bewertet werden. Annahmen dieser Art aber betreffen das Sprachbewußtsein einer Sprachgemeinschaft und damit intentionale Aspekte; Behauptungen der ersten Art beziehen sich dagegen direkt auf die Sprachpraxis der Individuen; sie betreffen somit die konventionellen Aspekte dieser Praxis. — Nun ist es ganz sicher, daß nicht nur die Sprachpraxis der Individuen, sondern auch das Bewußtsein, das die Individuen von ihr haben, ein wichtiger Objektbereich der linguistischen Forschung ist, nur: Man muß sich darüber im Klaren sein, daß man sich, wenn man beide Aspekte thematisiert, auf zwei zwar miteinander verträglichen, aber eben doch voneinander verschiedenen Forschungsebenen bewegt; die Unterscheidung zwischen den Begriffen „Sprachkonventionalität" und „Sprachintentionalität" schlägt hier also voll zu Buche. Eben deshalb ist es vielleicht angebracht, auf einige Aspekte hinzuweisen, die sich aus dieser Unterscheidung für die — man kann wohl sagen: intentionale Analyse der Sprachinhomogenität ergeben. 1. Die Liste der Bewertungsparameter muß überprüft und vereinheitlicht werden; speziell darf sie keine Annahmen über Formen der Sprachkonventio-
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nalität enthalten. Entsprechend ist der Anspruch aufzugeben, man könne vermöge einer solchen Liste Sprachkompetenzen beschreiben; eine solche Liste bietet vielmehr eine Basis für die Beschreibung der Sprachintentionalität. Adjektivische Formulierungen wie „umgangssprachlich" bringen dies deutlicher zum Ausdruck als substantivische wie „Umgangssprache", da in ihnen der Bewertungsaspekt deutlicher zutage tritt. Sie sind vielleicht auch ein Gegenmittel gegen die schlechte, aus der Vermischung von Konventionalität und Intentionalität resultierende Heterogenität der bislang vorgeschlagenen Listen; das Prädikat „dialektal" beispielsweise hat bestimmt einen anderen Status als etwa „standardsprachlich", denn Dialekte lassen sich sehr wohl als Sprachen auffassen, eine Standardsprache gibt es dagegen nicht — wohl aber gibt es standardsprachliche Formen der sprachlichen Kommunikation. Und entsprechendes gilt etwa bezüglich „Wissenschaftssprache " und „sondersprachlich"; zusammenfassend: wenn eine solche Liste konsistent ausfallen soll, darf bei ihrer Formulierung nicht auf die Ebenen der Sprachkonventionalität Bezug genommen werden. 1 6 2. Obwohl Sprachbewertungen etwas anderes sind als Sprachkonventionalisierungen, ist es doch klar, daß Bewertungen Einfluß darauf haben können und auch haben, wie die Sprachpraxis konventionalisiert wird. So kann etwa das Sozialprestige, das eine bestimmte Form der Sprachpraxis aufweist oder auch nicht aufweist, durchaus ein Konventionalisierungsparameter sein, ebenso wie etwa ein Sprachbewußtsein, daß vermöge bestimmter Mechanismen erzeugt oder sogar verordnet wird (cf. Anm. 10). Mit einem Wort: Bewertungen, speziell mögliche Bewertungspräferenzen, geben einen wichtigen Konventionalisierungsparameter ab (,was, nebenbei bemerkt, keineswegs einen Widerspruch zu ( F j ) und (F2) ergibt). 3. Der Status des Bezugssystems der Bewertung m u ß klar sein; speziell m u ß 16 In den folgenden Ausführungen geht es im wesentlichen um die konventionelle Dimesion der Sprachinhomogenität; die Probleme, die sich aus der Existenz von Dialekten und W issenschaftssprachen ergeben, werden jedoch vernachlässigt. Es sei daher bereits jetzt angemerkt, daß die dann entwickelte Theorieskizze durchaus so weiterentwickelt werden kann, daß eine Behandlung von Dialekten möglich wild, etwa indem Dialekte als Teilsprachen in L aufgefaßt werden und bezüglich solcher Teilsprachen für gewisse Sprecher-Hörer eine Multilingualitätsannahme eingeführt wird. Von einer Erörterung von Details sehe ich hier ab; einem solchen Vorgehen dürften jedoch nur geringe technische Schwierigkeiten entgegenstehen. - Die Behandlung von Wissenschaftssprachen schließlich muß - speziell dann, wenn diese formale Sprachen enthalten - in einem weiteren als dem hier vorgelegten Ansatz erfolgen, wie er durch den Begriff „Sprachergänzung" nur notdürftig angedeutet ist. Entsprechendes gilt natürlich auch für die nicht-wissenschaftliche Verwendung von Programmiersprachen, etc.
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geklärt werden, ob im Zuge der linguistischen Analyse empirische Behauptungen über in C etablierte Bewertungssysteme vorgelegt werden, oder ob — etwa unter Zugrundelegung gewisser abstrakter Kommunikationsideale (Stichwort: ideale Sprechsituation) — bestimmte Formen der geübten Sprachpraxis durch den Linguisten (relativ zu einem Bezugssystem) auf ihre Adäquatheit beurteilt werden sollen. Auch Letzteres kann sinnvoll sein; das Erste ist ohne Zweifel eine legitime Aufgabe der linguistischen Forschung. Hier allerdings ist dann zu berücksichtigen, daß das Sprachbewußtsein der Individuen von sozusagen unterschiedlicher Reichweite sein kann und in der Regel auch ist. So vermag vielleicht ein Eschweger die diversen Formen der Sprachpraxis in Nordhessen in ähnlicher Weise zu bewerten wie ein Kasseler; ein Rosenheimer etwa vermag dies mit einer gewissen Sicherheit nicht. Ferner kann der Eschweger bezüglich der Bewertung seiner eigenen Hochdeutschanteile durchaus anderer Auffassung sein als etwa ein Bielefelder, und umgekehrt; die intentionale Analyse der Sprachinhomogenität hat es also nicht nur mit Inhomogenitäten im Sinne der .D-Charakteristik zu tun, sondern auch mit einer Inhomogenität, die man als Reichweiteninhomogenität oder, im strengen Sinne, als Sprachkenntnisinhomogenität bezeichnen könnte. 1 7 Probleme dieser Art — also etwa das einer mehrfachen Inhomogenität — stellen sich im Rahmen einer Analyse der Inhomogenität auf der Ebene der Sprachkonventionalität nicht. Wenn zwei Sprecher-Hörer p-, p ^ aus Pf C) über voneinander verschiedene Kompetenzen verfügen (also voneinander verschiedene Konventionensysteme befolgen, wobei es eine notwendige und hinreichende Verschiedenheitsbedingung ist, daß diese Systeme auf zumindest einer Konventionalitätsebene in mindestens einer Hinsicht nicht miteinander identisch sind), so bedeutet dies bereits, daß die Sprachgemeinschaft C inhomogen ist —
17 Einen Ansatz zur Analyse der Sprachinhomogenität in diesen Zusammenhängen liefert etwa Bierwischs konnotative Grammatik (cf. Bierwisch 1976). Einschlägig ist hier ferner die sog. Implikationsanalyse (cf. DeCamp 1971), obwohl hier auch Elemente der im Folgenden entwickelten Teilsprachenanalyse enthalten sind, konventionelle und intentionale Elemente also gemischt auftreten. Entsprechendes gilt auch fiir die Pionierarbeiten, in denen Labov sein Konzept der Variablenregel vorgelegt hat (cf. Labov 1972); es gilt auch bis zu einem gewissen Grade für Kleins Varietätengrammatik (cf. Klein 1974). Die mathematisch klarste Formulierung des Ansatzes liefert, für die Ebene der Grammatik, Habel (1977); cf. speziell auch den Beitrag von Habel in diesem Band. - Ich möchte hier jedoch die „Vermischungsproblematik" nicht weiter thematisieren, sondern hervorheben, daß beide Ansätze wichtig und fruchtbar sind; speziell bei dem Versuch einer Explikation des Begriffs der sprachlichen Verständigung wird man sehen, daß eine Kombination beider Ansätze möglich und auch gewinnbringend ist.
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und inhomogen in diesem Sinne sind alle Sprachgemeinschaften. 18 Eine solche Inhomogenitätsannahme, bei der es wichtig zu sehen ist, daß das Prädikat „ist inhomogen" auf Sprachgemeinschaften und dann, in einem zu erläuternden Sinn, auf Sprachen, nicht aber auf Sprecher-Hörer angewendet wird, läßt sich nun etwas genauer wie folgt fassen (, wobei „Kp" für „Kompetenz" im in den §§ 3.2, 3.3 erläuterten Sinn steht; „Ux" und „Ex" bezeichnen den Allquantor und den Existenzquantor, respektive, ansonsten werden hier wie im Folgenden die üblichen logisch-mathematischen Notationskonventionen beachtet 1 9 ): (I)
U C E pj, ph eP(C)
· K p p . Φ Kp ph
Nach ( F j ) und (F2) muß nun der in (I) behauptet? Tatbestand 2 0 als eine Funk18 Cf. hierzu die Ausführungen in Kanngießer (1972), Kap. 2 und 6. 19 Von einer Erläuterung dieser Konventionen kann daher wohl abgesehen werden. Hervorzuheben ist vielleicht, daß auf Klammern verzichtet wird, wenn keine Mißverständnisse zu befurchten sind, und daß der Übersichtlichkeit wegen Punktierungsund Klammerungskonventionen zuweilen gemischt verwendet werden. 20 Diese Behauptung in (I), eine Inhomogenitätsbehauptung für Sprachgemeinschaften, habe ich in Kanngießer (1972) eingefühlt, allerdings eingeschränkt auf die grammatischen Ebenen der Sprachkonventionalität. Die in (I) vorgenommene implizite Verallgemeinerung dürfte jedoch unproblematisch sein. Klein (1974) hat (I) mit einer Heterogenitätsbehauptung für Sprecher-Hörer konfrontiert, auf deren Basis er eine sog. Varietätengrammatik entwickelt, die er in formaler wie empirischer Hinsicht für adäquater als die von mir entwickelte Konzeption der Grammatikenfamilien hält. Ich gebe in diesem Zusammenhang zu, daß die in Kanngießer (1972) in (27) vorgenommene Äquivalenzklassenzerlegung eine Unkorrektheit enthält; allerdings ist der hier entstandene Schaden leicht behebbar, und in (Dg) dieses Paragraphen auch behoben worden. Daß nennenswerte Unterschiede in der Beschreibung des Teilsprachenzusammenhangs zwischen den beiden Ansätzen bestünden, vermag ich dagegen nicht zu sehen, obschon Klein dies behauptet; cf. hierzu Anm. 28, 29 und 30 dieser Abhandlung sowie Kanngießer (1976 a), Anm. 30, was im übrigen nicht heißt, daß diese Beschreibung sonderlich zufriedenstellend wäre, cf. hierzu die Ausführungen zum Problem der Dimensionierung von Sprachinhomogenitäten im Folgenden. — Da ferner in die Konzeption der Grammatikenfamilien jederzeit, probabilistische Regelbewertungen aufgenommen werden können (obwohl kaum etwas dafür spricht, so zu verfahren), ist nicht recht einsichtig, inwieweit die Varietätengrammatik meinem Ansatz gegenüber formal konsistenter sein soll; zumal dann, wenn er in der in diesem Paragraphen vorgelegten Formalisierungsversion betrachtet wird, in der auch die von Klein (1974) unklar gelassene, aber auch für die Varietätengrammatik wichtige Beziehungsrelation zwischen Teilsprachen und Individuen systematisch abgehandelt wird. Unter empirischen Gesichtspunkten möchte ich hier nur anmerken, daß der Hinweis auf so stark metaphorische Begriffe wie „Code-Wechsel" und „Registervariation" kaum hinreichen dürfte, die — von Klein wiederum nicht systematisch eingeführte,
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tion der aus der Unterschiedlichkeit ihrer Lebensumstände resultierenden Unterschiedlichkeit der Kommunikationsbedürfnisse der Individuen aufgefaßt werden; entsprechend dieser funktionalistischen Perspektive ist beim Aufbau einer Sprachtheorie wie folgt zu verfahren: Zunächst ist anzugeben, welche Attribute den Individuen zukommen (inwieweit sie bezüglich ihrer Lebensumstände attributiv voneinander unterscheidbar sind), und sodann ist anzugeben, welche Konventionalisierung der Sprachpraxis durch diese attributive Struktur bewirkt wird. Aufgebaut werden muß also, mit anderen Worten, eine Theorie der attributiven Struktur der Individuen sowie eine Theorie der konventionellen Bedingungen der in einer Sprachgemeinschaft geübten Sprachpraxis, und diese beiden Theorien müssen so in Beziehung zueinander gesetzt werden, daß (F j ) und (F2) erfüllt werden. Ein Ansatz, der es gestattet, Sprachinhomogenitäten in diesem Rahmen zu thematisieren, soll nun, in einer ersten Näherung, im Folgenden knapp umrissen werden. 4.2 Eine Sprachgemeinschaft C besteht vor allem aus einer endlichen Menge Ρ von Individuen pj,... , pn Wie Carnap (1971) im Rahmen seiner Arbeit am Aufbau einer induktiven Logik gezeigt hat, sind die p- durch eine Analyse der Modi ihrer Existenz charakterisierbar (und das heißt auch: unter gewissen Aspekten wohlunterscheidbar, unter gewissen anderen Aspekten nicht unterschieden). Die Sprechweise von Existenzmodi mag unangenehm, weil möglicherweise metaphysisch belastet klingen 21 ; daß dieser Eindruck trügt, wird jedoch deutlich, wenn man bedenkt, daß diese Modi etwa gegeben sind durch den Wohnort der Individuen, ihr Alter, ihre Ausbildung, ihren Beruf, etc. Diese Hinweise
sondern seinem Formalismus sozusagen beigefügte - Heterogenitätsbehauptung zu stützen; überdies ist es keineswegs der Fall, daß eine solche Heterogenitätsbehauptung und (I) einander mit logischer Notwendigkeit ausschließen, wie Klein zu glauben scheint. Insofern vermag ich auch nicht zu sehen, warum Varietätengrammatiken empirisch adäquater sein sollen als Grammatikenfamilien dies sein können. 21 Carnap gebraucht auch nicht den Ausdruck „Modus", sondern „Modalität". Um Verwechselungen mit dem in dieser Abhandlung, speziell im Teil II benutzten Modalitäten-Begriff sowie mit dem in der Modallogik üblichen (den auch Carnap nicht zugrundelegt) möglichst auszuschließen, habe ich hier die Terminologie geringfügig abgeändert. Den Hinweis auf Carnap (1971) verdanke ich W. Balzer (München), der sich überdies die Mühe gemacht hat, den in diesem Paragraphen entwickelten Formalismus mit mir durchzugehen und verschiedene Verbesserungsvorschläge zu machen. - Gelernt habe ich im Zusammenhang mit der Arbeit an diesem Aufsatz auch aus Diskussionen, die ich mit G. Brünner (Düsseldorf), W. König, R. Fiehler (Osnabrück), P. Finke (Bielefeld),Ch. Habel (Berlin) führen konnte; ihnen allen danke ich hiermit. - Es ist klar, daß ich für verbliebene Mängel selbst die Verantwortung trage.
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machen zugleich auch klar, daß jeder dieser Modi sich im strengen Sinne in Modusregionen zerlegen läßt, der Modus „Berufetwa indie Regionen Maurer, Schriftsetzer, Buchhalter, Fußballspieler, usf. Diese Regionen eines Modus liefern offenbar àie Attribute (Eigenschaften) eines Individuums; die Gesamtmenge der Regionen eines Modus läßt sich dann durch eine Attributenfamilie charakterisieren (,wobei sich im Rahmen eines solchen Ansatzes, wie Carnap (1971) gezeigt hat, sowohl qualitative als auch quantitative Modi in gleicher Art behandeln lassen.22). — Mit dieser Skizze sind nun die drei Grundbegriffe eingeführt, die fur eine genaue Analyse der/"-Koordinate von C erforderlich sind, nämlich die Begriffe „Individuum", „Attributenfamilie" und „Attribut". Ferner ist es erforderlich, die Indexmenge der durch diese Begriffe gelieferten Mengen zu bilden und über Indexvariable zu verfugen; in Fig. 1 ist die begriffliche Grundstruktur des im Folgenden entwickelten Ansatzes gegeben:
Elemente
Menge
Indexmenge
Indexvariable
Individuen
p j , . . . ,p
Ρ
Ix(P)
„i", „h"
Attributfamilien
F 1 , ... , F m
F
Ix(F)
„m"
Attribute
Αψ, ... ,A™
Fm
Ix(F m )
„j", ,4"
Fig. 1
Ferner wer4en gewisse Teilmengen Pj,... , P n aus Ρ betrachtet; die Indexmenge dieser Teilmengen sei INDj, mit „A", „B" als Indexvariable. Der Ausdruck „ A r m " bezeichnet das r-te Attribut der m-ten Attributenfamilie; „A™ pj" besagt, daß dem i-ten Individuum aus Ρ das r-te Attribut der m-ten Attributenfamilie zukommt. Für die Zuordnung der Attribute zu den Individuen soll nun gelten, daß jedem Individuum aus Ρ genau ein Attribut jeder Familie zukommt; es wird also axiomatisch verlangt, daß Folgendes gilt:
22 Cf. ferner Stegmüller (1973). - Es ist offenbar möglich, die Regionen eines Modus durch eine Mehrzahl von Attributenfamilien zu charakterisieren bzw. sogar unterschiedlich zu regionalisieren; zu der sich hier ergebenen Problematik cf. wiederum Carnap (1971) sowie die genannte Arbeit von Stegmüller.
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( A j ) Postulate für eine Attributenfamilie F m von r Attributen: 1. U j . l e I x ( F m ) U p j e P . 1 ( A ^ p j & A f
p¡).
2. U p j e P . A™ pj ν Α™ ρ· ν . . . ν Α™ ρ·.
Zur Rechtfertigung dieses Axioms ist anzumerken, daß vermöge ( A j ) nur solche Attribute zum Zuge kommen können, die verallgemeinerungsfähig sind; die eher idiosynkratischen Eigenschaften der Individuen k o m m e n also für die attributive Zerlegung von Ρ nicht in Betracht. 2 3 — Zu fragen bleibt nun, was es genau heißen soll, daß gewisse Attribute gewissen Individuen zukommen; nach Carnap (1971) kann diese Frage beantwortet werden, und zwar in präziser Form, wenn man die Begriffe „Modellkomponente" und „Modell" zu Hilfe nimmt — es lassen sich dann (zweistellige) Modellfunktionen konstruieren, vermöge derer eine eindeutige Attributenzuordnung zu den Individuen erreicht werden kann: (Dj) U r n e Ix(Fm) . von F m :=
{z
m
ist die Menge der
Modellkomponenten
| Z m ( i ) = j}.
Die Gleichung aus (D j) besagt inhaltlich, daß dem i-ten Individuum aus Ρ das j-te Attribut der m-ten Familie z u k o m m t : der Ausdruck „ Z m " ist eine Variable für Elemente a u s ^ 1 1 . - Es sei nun fi die Klasse aller zweistelligen Funktionen, und es s e i ^ die Klasse aller Modelle. Dann läßt sich offenbar definieren: (D2)Ze^gdw. X
m
eJ
m
Zef2 & E
U r n e Ix(F).
& Z(m,i) = Xm(i) .
Man beachte, daß der so eingeführte Modellbegriff ein rein extensionaler Begriff ist; er spezifiziert Klassen von Individuen — die Gleichung Z(2,i) = 4 legt beispielsweise die Klasse der Individuen fest, denen das vierte Attribut der zweiten Familie zukommt. 2 4 — Es ist nun naheliegend anzunehmen, daß alle die Individuen bezüglich ihres Kommunikationsbedarfs bzw. ihrer Kommunikationsbedürfnisse nicht voneinander unterschieden sind (also eine Gruppe bil23 Trotzdem läßt sich die Attributierung nahezu beliebig fein vornehmen; sogar „hat eine Zahnlücke" ließe sich rekonstruieren, wenn man den Modus „hat «-viele Zähne" einführt. Zur Behandlung sprachlicher Idiosynkrasien cf. Abschnitt 5. 24 Carnap (1971) führt aus, warum die etwas umständlichen Konstruktionen in (Dj) und (D~) den Ansatz insgesamt besser handhabbar machen.
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den), die sich bezüglich ihrer attributiven Struktur nicht voneinander unterscheiden (deren Lebensumstände nicht signifikant voneinander unterschieden sind). Der her erforderliche Begriff der attributiven Äquivalenz (symbolisch: = A ) sowie der Begriff der Gruppe attributiv äquivalenter Individuen (abgekürzt: A t -Gruppe) kann nun folgendermaßen eingeführt werden:
(D 3 ) P ¡ = a p h (D 4 ) [Pj]
gdw. U m e l x ( F ) .
:={Ph^lPi
s A
Xm(i) = Xm(h) .
Ph>
(D 5 ) U A e INDj . P A ist eine A t -Gruppe in Ρ gdw. E p ¿ e P. PA
=
Ν ·
Vermöge dieses Vorgehens wird offenbar eine Äquivalenzklassenzerlegung von Ρ bewirkt; entsprechend gelten die folgenden Sätze: (Sj) υ P a = ρ (S 2 ) P a η P b = 0 Was ist nun mit dieser Zerlegung erreicht worden? — Es wird möglich, die Individuen, die einer Sprachgemeinschaft angehören, zu Gruppen zusammenzufassen, deren Mitgliedern die gleichen Attribute zukommen, und das heißt auch, daß diese Gruppen — die A t -Gruppen P A aus Ρ (im Folgenden kurz: A-Gruppen) — jeweils Individuen umfassen, deren Lebensumstände im wesentlichen gleichförmig sind und die deshalb, im Sinne von (F2), zu im wesentlichen gleichförmigen Konventionalisierungen ihrer Sprachpraxis kommen werden. — Um etwas konkreter zu sein: Es sei f ' eine Attributenfamilie bezüglich des Modus „Lebensalter" mit den Attributen A j = 36 Jahre, A j = 42 Jahre und A3 = 53 Jahre, F^ eine Attributenfamilie bezüglich des Modus „Wohnort" mit A j = Göttingen, A j = Duderstadt, A3 = Hann. Münden und F^ eine Attributenfamilie bezüglich des Modus „ B e r u f mit A j = Maurer, A 2 = Rotationsdrukker und A3 = Eisverkäufer. Dann könnte eine Α-Gruppe P j aus Ρ die Klasse der in Göttingen tätigen Rotationsdrucker im Alter von 53 Jahren sein, Ρ2 die Klasse der in Hann. Münden wirkenden Eisverkäufer im Alter von 36 Jahren, etc. — schon diese Fiktion (bei der in übrigen nur Attribute zum Zuge kommen, deren Relevanz für die Struktur der internalisierten Konventionensysteme erwiesen ist) fuhrt wohl vor Augen, mit welchen Feinheitsgraden die at-
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tributive Analyse durchgeführt werden kann. 2 S Und es sind in dieser Art attributiv bestimmte Gruppen, deren Sprachpraxis nach ( F j ) und (F2) linguistisch zu untersuchen ist. Die Sprachpraxis der Α-Gruppen ist, jedenfalls im Sinne von § 3.1, konventionell bedingt; entsprechend ist es erforderlich, die skizzierte Theorie der Ebenen der Sprachkonventionalität systematisch in den bereits vorgetragenen Ansatz zu integrieren. Für eine solche Integration 26 sind die in dem Schema in Fig. 2 angeführten Begriffe nützlich: Elemente
Menge Indexmenge Indexvariable
Ebenen von Sprachkonventionen Sprachkonventionen
Unterindexvariable
Ix(E)
Ke
Ix (K )
t"
v"
»q
Fig. 2 25 Angesichts dieser Sachlage kann man natürlich fragen, ob es überhaupt ein sinnvolles Unterfangen ist, eine Sprachgemeinschaft C im Rahmen dieses Ansatzes untersuchen zu wollen. - Natürlich ist klar, daß die empirische Arbeit noch zusätzlichen Bedingungen genügen muß, die hier nicht angesprochen sind. Solche Bedingungen, die den Ansatz auch für eine C-Analyse praktikabel machen, sollten sich jedoch angeben lassen; so ließen etwa vermöge einer Spurattributierung Repräsentantensysteme für Α-Gruppen konstruieren, etc., die Attributierung könnte etwa relativ zu Feldanalysen im Sinne von Anm. 6 beschränkt werden, usf. Diese Hinweise klären zugleich den Status der in diesem Aufsatz entwickelten Konzeption. - Nach Sneed (1971) ist eine Theorie Τ ein Paar Τ = (Κ, I) mit, etwas verkürzt, Κ = (Β, Ν), wobei Β eine allgemeine begrifflich-mathematische Struktur ist und Ν das System der fur Β einschlägigen Nebenbedingungen; nur wenn Ν gegeben ist, lassen sich mit Τ die Anwendungsbehauptungen I machen. — An dieser Stelle geht es nun, methodologisch gesprochen, um die Charakterisierung einer linguistischen B-Struktur; für die Anwendung dieser Struktur, also für die Untersuchung von Sprachgemeinschaften und gewisser ihrer Teilbereiche müssen entsprechend noch Nebenbedingungen angegeben werden, was weitere theoretische und natürlich auch empirische Arbeit erfordert. Ohne eine genaue Spezifizierung solcher Nebenbedingungen empirisch zu verfahren würde bedeuten, eine sozusagen blinde und nicht sonderlich abgesicherte Forschung zu betreiben. 26 Im Folgenden wird der in Kanngießer (1972, § 3.2) für die grammatische Konventionalität entwickelte Beschreibungsvorschlag neu aufgenommen. - Obwohl § 3.3 . dieses Aufsatzes eine Hypothese über die Anzahl der Ebenen enthält, wird tur die Integration keine besondere Ebenenanzahl vorausgesetzt, cf. Anm. 11.
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Ferner werden gewisse Teilmengen P j , . . . , P m aus Ρ sowie gewisse Teilmengen Q j , . . . , Q m aus der Menge aller Konventionen betrachtet; die Indexmenge bezüglich beider Teilmengen sei IND2, mit „a", „ b " als Indexvariablen; betrachtet werden schließlich auch beliebige Teilmengen P' aus P. — Die folgenden Bezeichungsfestlegungen gelten: Der Ausdruck „K® p¡" bezeichne die t-te Konvention der e-ten Ebene, die von dem Individuum ρ mit der Nummer i befolgt wird (die auf pj zutrifft). Die Individuen befolgen nun jedoch nicht nur eine Konvention jeder Ebene, sondern sie befolgen eine Mehrzahl von Konventionen jeder Ebene (weshalb es in der Konventionentheorie auch kein Analogon zu ( A j ) geben kann). Entsprechend bezeichne der Ausdruck „K® , ... , K® p j " die Konventionen mit den Nummern t- , ... , t der e-ten Ebene, Üie von ι dem Individuum ρ mit der Nummer i befolgt werden (die auf pj zutreffen). Innerhalb dieses Ansatzes läßt sich nun definieren, was es heißt, daß ein Individuum pj aus Ρ eine Menge KON von Sprachkonventionen befolgt (die Elemente von KON auf pj zutreffen): ( D 6 ) KON p j = { Κ ® , . . . , Κ ® I E e e Ë . Κ® , . . . , Κ® p¡ .} l ι l 4 q ι q Es m u ß nun sichergestellt werden, daß in der Menge aller Konventionen, die betrachtet werden, keine Sprachkonvention enthalten ist, die nicht von mindestens einem Individuum pj aus Ρ befolgt wird (es dürfen also, mit anderen Worten, den Individuen nicht implizite Sprachkenntnisse attestiert werden, über die sie nicht verfügen, wenn der Ansatz seine empirische Signifikanz nicht von vornherein einbüßen soll); das folgende Axiom, ein „Ausschöpfungsaxiom", trägt diesem Sachverhalt Rechnung: (A2) Postulat für Ebenen K e von Sprachkonventionen mit s Konventionen: U e e l x ( E ) E pj e Ρ . Κ® Pj . Aus (A2) folgt nun ein Satz, der besagt, daß die Menge aller Sprachkonventionen in Ρ erschöpft wird: ( S 3. )
UD Pj e P
e KON p. = U _ K' ^ e e Ix (E)
Es gibt nun, entsprechend der Anzahl der p¡, offenbar n-viele KON; diese spezifizieren die grammatische und pragmatische Kompetenz der Individuen (im Sinne des Kompetenzbegriffs in § 3.2). - Sofern diese Individuen - und erst bei ihnen handelt es sich um Sprecher-Hörer in P, und nicht nur u m attributiv unterscheidbare Individuen — dieselben Konventionen befolgen, sind sie,
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wie man wohl leicht einsieht, äquivalent miteinander bezüglich der von ihnen befolgten Sprachkonventionen. Mithin läßt sich definieren (, wobei diese Äquivalenz durch , , ξ ^ " bezeichnet wird): ( D 7 ) Pj = k
p h gdw.
KON
Pi
= KON p h
Es liegt nun nahe, die Sprecher-Hörer pj, die die jeweils gleichen Sprachkonventionen befolgen (über die nämliche Menge Q a von Sprachkonventionen verfügen), zu Gruppen P a von Sprecher-Hörern zusammenzufassen; diese Gruppen — bei deren präziser Definition auf die zuvor genannten Teilmengen und deren Indexmenge IND2 Bezug genommen wird, und in der bezüglich der P' gilt, daß KON (P') = U KON p· — sind dadurch charakterisiert, daß ihre Mitglieder P i e P' über dieselben pragmatischen und grammatischen Kompetenzen verfugen : E! Q a C K e
(Dg) U a β I N D 2
E! P a C Ρ . U P' Ç Ρ (U η , p h e Ρ'.
P i ^ k Ph ' ~ E a e I N D 2 . ( Ρ ' = P a ) & ( Q a = K O N ( P ' ) . ) Bei den P a handelt es sich um paarweise disjunkte Gruppen von Sprecher-Hörern, die Q a (die nicht notwendig disjunkt sein müssen, und die in der Regel auch nicht disjunkt sind) sind die von den p¡ aus P a befolgten Sprachkonventionen (jedes Q a ist also ein System pragmatischer und grammatischer Sprachkonventionen relativ zu K e ), wobei die Q a den P a umkehrbar eindeutig zugeordnet sind. Entsprechend gelten die folgenden Sätze, die wohl hinlänglich evident sind: (S4)
u a e IND2
Ρa = p
(S,-)
U aeIND2
Q
5
a
=
U _ Ke e e Ix(E)
( S 6 ) Pa η p b = 0 Auf Grund des bisherigen Vorgehens stehen n u n zur Verfügung: Der Begriff der P a -Gruppe aus Ρ (im Folgenden kurz: a-Gruppe), die Zuordnung von aGruppen und Q a -Systemen, die eineindeutig ist, sowie der Begriff der A-Gruppe, der bislang jedoch mit den zuvor genannten Begriffen in keiner Art vernetzt ist — eben diese Vernetzung muß jedoch im Rahmen einer funktionalistischen
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Linguistik geleistet werden. Mit anderen Worten: Es muß geklärt werden, unter welchen Bedingungen es möglich wird, die A-Gruppen als Sprecher-HörerGruppen zu begreifen. Und dies wird offenbar möglich, wenn (F j) und (F2) in geeigneter Form in den skizzierten Ansatz eingebaut werden, also die Annahmen eingeführt werden, daß alle Mitglieder einer Gruppe P ^ über dieselben Kommunikationsbedürfnisse bzw. den gleichen Kommunikationsbedarf Kb verfügen (das Symbol „Kb" steht hier sowohl für Bedürfnisse als auch für Bedarfslagen; bei einem genaueren Aufbau des Ansatzes muß hier natürlich differenziert werden), und daß alle Individuen, die denselben kommunikativen Anforderungen ausgesetzt sind, ihre sprachliche Praxis auch in der nämlichen Art konventionalisieren. - Die beiden folgenden Axiome bringen nun genau diesen Sachverhalt zum Ausdruck: (A3) U P i , P h e P
. Pj,PhePA -
K b p¡ = Kb p h .
(A4) U P i > P h e P . Kb Pj = K b p h -
KON P i = KON p h .
Auf Grund dieser beiden Axiome sowie vermöge (D7) und (Dg) kann nun der folgende Satz gefolgert werden, 27 den man wohl mit einiger Berechtigung als einen der zentralen Sätze des linguistischen Funktionalismus auffassen kann: (S 7 ) U
Pi,PheP
. P¡,PhePA -
Pi,PhePa·
Die Α-Gruppen sind also, im Sinne von (Sy), zugleich auch a-Gruppen, und das heißt, daß die attributiv unterschiedenen Individuengruppen als Sprecher-Hörer-Gruppen begreifbar werden; den Vernetzungserfordernissen, die sich im Hinblick auf das skizzierte Begriffssystem ergeben, ist damit hinlänglich Rechnung getragen. Nach diesem Befund ist wohl nur noch die Theorie der Q„α unterbestimmt; hier wäre speziell die Binnenstruktur dieser Systeme, die relativ zur Gesamtmenge der Sprachkonventionen bezüglich E miteinander koexistieren, und ihre Beziehung zueinander genauer darzustellen — beides würde jedoch den Rahmen dieses Versuchs sprengen, denn hier müßte dann einerseits ein präziser Aufbau der in § 3.3 umrissenen Theorie der Ebenen der Sprachkonventionalität vorgenommen werden (was nicht nur aufwendig ist, sondern beim derzeitigen For27 Es ist natürlich wünschenswert - und in einer voll ausgearbeiteten Theorie wohl auch möglich - , den Inhalt von (A^) und (A^) in Form von Sätzen aussprechen zu können; ebenso wünschenswert ist es — aber vielleicht ist dieser Wunsch illusorisch - , die Implikationen zu Biimplikationen verschärfen zu können.
Modalitäten des Sprachprozesses I
121
schungsstand ohnehin nur partiell gelingen kann), andererseits wäre es erforderlich, die den Q a -Zusammenhang strukturierende Beziehungsrelation exakt zu formulieren und bezüglich ihrer Eigenschaften (speziell bezüglich der Frage, ob sie entscheidbar ist) zu untersuchen; nur so werden sich Dimensionen der Sprachhomogenität und damit auch die Verwandtschaftsverhältnisse im System der koexistierenden Q„d (die Grade, in denen sich die Q„d voneinander unterscheiden bzw. in denen sie miteinander übereinstimmen; die hier zugelassene Variationsbreite, die Beziehungen zwischen den durch die Q a festgelegten Sprachen, etc.) hinlänglich aufklären lassen.28 Immerhin ist klar, daß jedes Q a ein n-Tupel von ebenspezifischen Subsystemen von Sprachkonventionen ist, für dessen Koordinaten ein funktionaler Zusammenhang erklärt sein muß; wichtig ist dabei, daß durch ein Q a nicht nur (aber auch) eine Satzmenge l a — eine Sprache in L(C) also — festgelegt wird, sondern überdies auch spezifiziert wird, welchen Bedingungen die Elemente dieser Satzmengen in der sprachlichen Interaktion der Individuen unterliegen. Und im Hinblick auf diese Gesichtspunkte läßt sich die Arbeitsweise eines Systemes koexistierender Q a , auch wenn eine zureichende Ebenentheorie ebensowenig zur Verfügung steht wie die erforderliche Dimensionentheorie,29 doch soweit verdeutlichen, daß seine Anwendbarkeit einigermaßen vor Augen geführt ist; ferner dürfte klar werden, daß das entscheidende Problem, das durch die Inhomogenität der Sprachen erzeugt wird, das der A-Gruppen-externen Kommuni28 Zum Aufbau einer solchen Dimensionentheorie existieren kaum Vorschläge. Auch meine Ausführungen in Kanngießer (1972) lassen hier noch alle Fragen offen. Man kann etwa - unter Zugrundelegung der in § 3.3 dieser Arbeit skizzierten Grammatizitätstheorie - sagen, daß ein Satz s aus L(C) grammatisch im Grade 5 und s' aus L(C) grammatisch im Grade 3 ist, und man kann auch angeben, worauf diese Schwankungen des Grammatizitätsniveaus in C zurückzuführen sind, aber man kann eben nicht sagen, wie stark sie in C ins Gewicht fallen. - Ferner ist auch die in Kanngießer (1972) angenommene Beziehungsrelation zwischen den Teilsprachen (nicht-leerer Durchschnitt) einigermaßen problematisch, da diese Relation schon für Phrasenstruktursprachen nicht entscheidbar ist (cf. Maurer 1969, Satz 3.4, 12), zumindest partielle Entscheidbarkeit jedoch verlangt werden muß. Auch für die Messung von Verwandtschaftsgraden gibt diese Relation wenig her, da der Sprachendurchschnitt - vorausgesetzt, man trivialisiert hier nicht künstlich - immer unendlich ist und daher ebenso wie die geschnittenen Teilsprachen von der Mächtigkeit Aleph Q ist; entsprechend läßt sich nur das Vorliegen bzw. Nicht-Vorliegen von Verwandtschaft konstatieren, aber nicht gradieren, wenn diese Relation nicht zugleich mit der GrammatizitätstheDrie verknüpft wird. (Diese Anmerkungen implizieren jedoch nicht, daß der in Klein (1974) vorgetragenen Kritik an dieser Beziehungsrelation zustimme; ich teile vielmehr die Voraussetzungen der Kritik keineswegs). 29 Auch die Varietätengrammatik enthält keine solche Dimensionentheorie.
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Siegfried
Kanngießer
kation ist, und daß eine angemessene Behandlung dieser Problematik nur innerhalb der linguistischen Diachronie und damit im Rahmen einer Theorie des Sprachprozesses mit Aussicht auf Erfolg in Angriff genommen werden kann. 3 0 4.3 Der Gegenstand einer funtionalistischen Linguistik sind nicht einfach, wie dies für die strukturalistische Tradition charakteristisch ist, Sprachen, sondern vielmehr Relationen zwischen (vorzugsweise natürlichen, aber auch nicht-natürlichen) Sprachen, Sprecher-Hörern und, wie man mit einer gewissen Verkürzung sagen kann, Sprecher-Hörer-Umgebungen. Es liegt wohl auf der Hand, daß die Untersuchung eines solchen Objektbereiches nicht mehr sozusagen vom Lehnstuhl aus mit Hilfe diverser Zettelkästen erfolgen kann, sondern daß hier, wie es in anderen Sozialwissenschaften längst üblich ist, eine Mannigfaltigkeit von sehr differenzierten Untersuchungsmethoden genutzt werden muß, deren Anwendung teilweise einen erheblichen apparativen Aufwand bedingt, daß experimentelle Techniken in die Linguistik Eingang finden müssen, die in anderen Disziplinen bereits erprobt sind, etc. 31 Angesichts einer solchen Sachlage ist es wohl wenig ergiebig, die Arbeitsweise des Systems der Q a an Hand eines sog. Beispiels zu erläutern, das — da derzeit noch nicht einmal Fallstudien vorliegen, die im Rahmen des linguistischen Funktionalismus durchgeführt worden sind — ohnehin nur fingierte Empirie sein kann. Statt Empirizität vorzutäuschen soll hier der fiktive Charakter der folgenden Erläuterungen von vornherein klar herausgestellt werden, wobei diese linguistische Fiktion (eine Art Gedankenexperiment) plausibel genug sein dürfte, um einerseits zu verdeutlichen, daß der Ansatz sehr wohl einer échten empirischen Anwendung fähig ist, andererseits aber wohl auch klar zu machen vermag, welche Aspekte es sind, deren Behandlung die Inhomogenitätsanalyse über die Untersuchung der schon oft studierten einschlägigen morphologischen und phonologischen Gegebenheiten hinaus interessant machen kann, speziell für eine allgemeinere Theorie der sprachlichen Kommunikation. Die Fiktion besagt nun, daß drei Α-Gruppen P j , ?2, P3 drei Teilsprachen D j , D~, D j einer Sprache D sprechen, die dem Deutschen nicht unähnlich ist und die deshalb als Quasi-Deutsch bezeichnet wird (das Deutsche ist in mancher Hinsicht, präzisere Untersuchungen würden dies wohl erweisen, Quasi-Deutsch). Diese fiktiven Teilsprachen sollen an Hand der in Fig. 3 aufgeführten Oberflächensätze untersucht werden, die nach Voraussetzung 30 Cf. hierzu Abschn. 5 sowie Teil II dieser Abhandlung. 31 Cf. hierzu Anm. 25 sowie Kanngießer (1977a).
Modalitäten
des Sprachprozesses
I
123
wohlgeformt in D sein sollen; Fig. 3 spezifiziert zugleich die Zugehörigkeit dieser Sätze zu den Teilsprachen aus D: Satznummer
Oberflächensatz
Dj
D2
D3
(si)
Jeder Junge liebt ein Mädchen
+
+
+
(s 2 )
Peter glaubt, daß (Sj)
+
+
+
(s 3 )
Peter wähnt, daß ( s j )
-
+
-
(S4)
Der Gaurisankar ist der Mt. Everest
+
+
+
Fig. 3
Betrachtet man nun lediglich morphologische, phonologische und lexikalische Gegebenheiten, so sind die Dj nur marginal voneinander verschieden: D2 enthält den Ausdruck „wähnt" und gestattet daher die Bildung von (S3), und dieser Satz ist weder in D j noch in D3 möglich. Ferner ist relativ zur Ebene 6 die in Fig. 3 enthaltene Unterscheidung zwischen D j und D3 nicht möglich, da die beiden Teilsprachen bezüglich dieser Ebene der Sprachkonventionalität offenbar identisch miteinander sind. — Betrachtet man jedoch auch andere Aspekte (andere Ebenen der Sprachkonventionalität), kann die Fiktion leicht zu anderen Ergebnissen führen, wie zunächst am Beispiel der Ebene 2 der Interaktionskonventionen demonstriert werden soll. Sprechen heißt bekanntlich kommunikativ handeln; eine Teilklasse der kommunikativen Handlungen sind nun die argumentativen Handlungen. In Argumentationen geht es um die Wahrheit oder Falschheit von in Behauptungen geäußerten Sätzen; die Sprecher-Hörer müssen also, wenn sie argumentativ handeln, nicht nur die Wahrheitsbedingungen der geäußerten Sätze kennen, sie müssen darüber hinaus in der Lage sein zu beurteilen, ob diese Bedingungen im Behauptungsfall erfüllt sind oder nicht, ob sie zumindest im Prinzip erfüllbar sind oder nicht, wie gut die für die Behauptung geltend gemachten Gründe sind, etc. — die Sprecher-Hörer müssen also die argumentativ verwendeten Sätze (zumindest) unter dem Aspekt bewerten, ob sie einer Wahrheitsbewertung zugänglich sind oder nicht, ob sie also, mit anderen Worten, wahrheitsbewertungsdefinit (abgekürzt: wbd) sind. Bewertungen dieser Art bringen die Sprecher-Hörer in der Regel dadurch zum Ausdruck, daß sie einem Satz s gegenüber eine bestimmte Position φ einnehmen, die sprachlich auf ganz unterschiedliche Arten zum Ausdruck gebracht werden kann,
124
Siegfried Kanngießer
etwa durch Wendungen wie „ich weiß, daß s", „ich bin ganz sicher, daß s", „es dürfte schwer sein, s zu bestreiten", etc. Diese Wendungen machen zugleich deutlich, daß sich Wahrheitsbewertungen als Spezialfall von Definitheitsbewertungen verstehen lassen, denn ein Satz, der wahrheitsbewertet ist, ist sicher auch wbd, aber nicht umgekehrt. Entsprechend läßt sich ein allgemeines Kriterium für die Wahrheitsbewertungsdefinitheit von Sätzen annehmen, das etwa folgende Form hahen könnte: (8) s ist wbd in C gdw E l a C L E P a C Ρ . s e l a & U p¡ e P a (φ
s). η
Als Argumente verwendete Sätze sollen nun immer wbd sein, zumindest in dieser Fiktion (entsprechend wäre (8) eine Konvention der Ebene 1, aber diese Zuordnung ist eben fiktiv); die Gründe jedoch, aus denen die SprecherHörer einem Satz s gegenüber die Position φ einnehmen, mögen A-Gruppenspezifisch variieren (und diese Variationsbehauptung ist sicher nicht nur fiktiv). Mithin ließe sich annehmen, daß in den hier betrachteten fiktiven P¡ unterschiedliche Postulate für den argumentativen Gebrauch von Sätzen gelten, und die entsprechenden Konventionen der Ebene 2 könnten etwa von der folgenden Art sein: (9.1) Ein Satz s kann in P j als Argument verwendet werden, wenn s wbd in P j ist, da (a) die Prämissen von s wahr sind (b) die argumentativ relevanten Folgerungen aus s sich streng ergeben (c) die Konklusio des Arguments unmittelbar folgt (9.2) Ein Satz s kann in P2 als Argument verwendet werden, wenn s wbd in Ρ2 ist, da (a) die Prämissen von s in Ρ anerkannt sind (b) die Folgerungen aus s sich in einer der in P2 anerkannten Arten ergeben (c) die Folgerungen aus s nicht kontradiktorisch mit anderen in P2 anerkannten Sätzen sind (9.3) Ein Satz s kann in Ρ3 als Argument verwendet werden, wenn s wbd in Ρ3 ist, da (a) die Prämissen von s empirisch prüfbar sind (b) die Folgerungen aus s sich einigermaßen klar ergeben (c) die Folgerungen aus s sich empirisch prüfbar sind
Modalitäten des Sprachprozesses I
125
Diese fiktiven Postulate (die im übrigen in Anlehnung an Hamblin (1970) formuliert wurden, und von denen zumindest (9.2) keine reine Fiktion ist) mögen nun auf die Identitätsaussage (s^) aus Fig. 3 angewendet werden, die — wenn sie wahr ist — notwendig wahr ist, obwohl es eine empirische Behauptung ist, die mit der Äußerung von (s^) vollzogen werden kann (cf. Kripke 1971). Folgender Befund möge sich ergeben: in Ρ 2 gehört es nicht zum allgemein anerkannten geographischen Wissen, daß ein bestimmter Berg mit „Gaurisankar" und mit „Everest" bezeichnet wird, je nachdem, ob er von Tibet oder von Nepal aus betrachtet wird; entsprechend ist (s^) kein Vj -Argument. Dagegen genügt (s 4 ) den Postulaten (9.1) und (9.3), kann also in diesen beiden fiktiven Teilsprachen argumentativ verwendet werden. Gleichwohl sind auch D j und D3 bezüglich der Ebene 2 voneinander unterscheiden, da der argumentative Gebrauch dieser Teilsprachen von verschiedenartigen Konventionen beherrscht wird. Dies hat auch eine verschiedenartige argumentative Praxis in den respektiven Α-Gruppen zur Folge; in P j etwa sind Argumentationen überhaupt nur dann zulässig, wenn sie zu einem definitiven Ergebnis gebracht werden können, das Gleiche gilt für P3 mit der Einschränkung, daß der Definitheitsanspruch schwächer ist (Wahrheitsbewertung vs. Prüfbarkeitsentscheidung), während die P2 -Argumentationen relativ eng an den common-sense-Gegebenheiten des Wissens orientiert sind und wie diese relativ instabil sind, also auch häufiger revidiert oder modifiziert werden können. Die Untersuchung solcher Aspekte der sprachlichen Praxis ist es, die eine Inhomogenitätsanalyse aufschlußreich macht — und daß sie skizzierte Fiktion kein Glasperlenspiel ist, macht wohl der Hinweis auf Sätze wie „Es gibt Konstanten der menschlichen Natur", „Sozialismus und Demokratie bedingen einander", „Der Fortschritt ist ein Experiment", u.ä. deutlich, für die eine empirisch nachweisbare Mannigfaltigkeit von Bedingungen des argumentativen Gebrauchs existiert, die einer A-Gruppen-Struktur korrelierbar ist. Das Quasi-Deutsche D ist, so die Fiktion, nun aber nicht nur bezüglich der Ebene 2, sondern auch bezüglich der tiefengrammatischen Ebene 4 in einem über die zuvor genannten Aspekte hinausgehenden Sinn inhomogen. Zunächst in ( s j ) offenbar ambig, denn „ein" kann in diesem Satz sowohl für „ein ganz bestimmtes" als auch für „irgendein" stehen; im resultierenden ersten Sinn kann ( s j ) etwa durch „Alle Jungen lieben Suleika" paraphrasiert werden (vorausgesetzt, dieses eine ganz bestimmte Mädchen hat eben diesen Namen), im zweiten Sinn wird die Menge der Mädchen der der Jungen lediglich unter einem bestimmten Aspekt („liebt") zugeordnet. Diese Ambiguität von (sj) macht auch (S2) ambig; dieser Satz aber mag noch aus einem anderen Grund ambig sein: Nach einem im Quasi-Deutschen üblichen, aber auch
126
Siegfried Kanngießer
im Deutschen nachweisbaren Sprachgebrauch soll „ g l a u b t " s y n o n y m mit „ n i m m t zu Unrecht an, d a ß " oder „ v e r m e i n t " sein, u n d in diesem Sinn ist „glaubt" — nicht aber in seinem anderen, normalen Sinn — auch s y n o n y m mit „ w ä h n t " aus (sg). In der tiefengrammatischen Analyse m u ß entsprechend zwischen „ e i n j " u n d „ e ^ " sowie zwischen „ g l a u b t ^ " und „ g l a u b t 2 " (im Sinne von „ w ä h n t " ) unterschieden werden; diese Unterscheidungen lassen sich klar z u m Ausdruck bringen, wenn die Analyse im R a h m e n der von Lewis ( 1 9 7 0 ) beschriebenen Kategoriensysteme durchgeführt wird. Zugrundeglegt werden soll dabei eine Basis ; die für die tiefensyntaktische u n d semantische Analyse erforderlichen grammatischen Kategorien, Regeln u n d Tiefenstrukturterminale sind in Fig. 4 aufgeführt:
Tiefenstrukturterminale (tj) (t2) (t^) (t4) (t5)
liebt ein Mädchen jeder Junge
(%) * (t7) χ ( t g ) glaubt j (t9) glaubt2 ( í j q ) wähnt Kategorien (kj) S (k2) S/NP ( k 3 ) (S/NP)/S (k4) (S/NP)/NP ( k 5 ) NP ( k 6 ) NP/A ' (k7) A
Regeln S S/NP S/NP NP (S/NP)/S (S/NP)/S (S/NP)/S (S/NP)/S) (S/NP)/NP NP/A
S/NP & NP -> ( S / N P ) / S & S ( S / N P ) / N P & NP NP / A & A -> X -»• glaubt j -> glaubt 2 -»• wähnt ^ liebt ->· jeder
NP/A
-*• ein
NP A 13' A
-> X -> Junge -> Mädchen
Fig. 4
Das Bezugssystem in Fig. 4 zur Beschreibung der S t r u k t u r e n der Ebene 4 gestattet n u n eine genaue Analyse der zuvor genannten Ambiguitäten. Zur Illustration der Arbeitsweise der Q„ sei dabei im R a h m e n der Fiktion weiα
Modalitäten
des Sprachprozesses
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I
terhin angenommen, daß D j und Ü3 bezüglich der Ebene 4 miteinander identisch sind, daß ( s j ) nur in D j und D^, nicht aber in D2 ambig ist (der Satz ( s j ) möge im Suleika-Sinn kein D2 -Satz sein) und daß „glaubt2" kein Tiefenstrukturterminal in D2 ist (der Satz (S2) ist also in keiner Hinsicht ambig in D 2 , während er in den beiden anderen Teilsprachen in meherer Hinsicht ambig ist). Da die Auflösung der Ambiguitäten von „ein" in Fig. 4 durch die Benutzung eines Abstraktionsoperators ( „ x " ) der Kategorie (S/ NP) /S erfolgt, kann man — relativ zum Beschreibungssystem — auch sagen, daß D2 im Gegensatz zu den beiden anderen fiktiven Teilsprachen eine Sprache ist, deren Sprecher-Hörer nicht über den Abstraktionsoperator verfugen (und Aussagen dieser Art sind für die Analyse der Sprachpraxis der Individuen wohl signifikanter als der Hinweis darauf, daß gewisse Sprecher-Hörer den Gebrauch des Dativ-e's eingestellt haben). — Im Sinne der Voraussetzungen dieser Fiktion können nun die respektiven tiefensyntaktischen und semantischen Systeme S j , S2, S3 - wobei diese Sj natürlich Subsysteme der entsprechenden Q a sind —, wenn R die Menge der Regeln aus Fig. 4 ist, wie folgt angegeben werden: (10.1)
S1;S3 = R - ( M j =
(10.2)
S2 = R - ( M 2 =
{(r8)})
{(r5),(r7),(r12)})
S j und S3 erzeugen dann die Struktur in (11) — also ( s j ) im Suleika-Sinn —, während (11) von S2 nicht erzeugt werden kann; vermöge aller drei Systeme kann jedoch (12) — also ( s j ) im Nicht-Suleika-Sinn — erzeugt werden, wie wohl auch ohne weiteren Kommentar klar ist: S
(11) S/NP
(S/NP)/S
χ
NP S
ein Mädchen NP
S/NP
(S/NP)/NP
NP NP/A
A
liebt
χ jeder
Junge
128
Siegfried Kanngießer
(12)
s
Die Tiefensyntax für (t g ), ( t 9 ) und ( í j q ) aus Fig. 4 ist dieselbe, das heißt, daß alle drei Systeme die Struktur in (13) erzeugen können: (13)
S
glaubt j glaubt 2 wähnt Dies ändert jedoch nichts an dem Umstand, daß glaubt γ und glaubt2 intensionsungleich, glaubt2 und wähnt jedoch intensionsgleich sind. Denn im Rahmen dieser Fjktion ist die Intension von glaubtj eine Funktion / , deren Wert, wenn als Argument eine Funktion f j von Indices auf Wahrheitswerte ist, eine Funktion ist, deren Wert, wenn als Argument eine Funktion / j von Indices auf Individualcharaktere gegeben ist, eine Funktion von Indices auf Wahrheitswerte derart ist, daß, fiir einen Index i,
fj(i) =
1 wenn / j ( 0 eine Person ρ derart ist, d a & f j (1) = 1 in allen Alternativen zu i, über die ρ verfügt 0 sonst
Modalitäten des Sprachprozesses I
129
Die Intension von glaubt2 und wähnt dagegen ist eine F u n k t i o n f , deren Wert, wenn als Argument f j wie oben gegeben ist,/·? wie oben ist, wobei der Wert von wenn als Argument f j wie oben gegeben ist, eine F u n k t i o n v o n Indices auf Wahrheitswerte derart ist, d a ß , für einen Index i,
I
I
wenn / j ( ' ) eine Person ρ derart ist, daß f j ( i ) = 0 in
allen Alternativen zu /, über die ρ verfügt 0 sonst Angesichts solcher Z u s a m m e n h ä n g e 3 2 liegt es auf der Hand, daß D2 in semantischer Hinsicht in D j bzw. D^ enthalten ist, sieht man von dem marginalen lexikalischen Unterschied zwischen den drei fiktiven Teilsprachen ab, so ist die S2"Tiefensyntax o f f e n b a r in den beiden anderen Systemen S j u n d S2 enthalten; entsprechendes gilt in Konsequenz dann auch für die Transformationssyntax. Dies b e d e u t e t , daß D j u n d D 3 in einem klar angebbaren Sinn ausdrucksreicher als D2 sind, und derartige Befunde über die Ausdruckskapazität von Sprachen sind es, die eine Inhomogenitätsanalyse zu f r u c h t b a r e n Einsichten in die Sprachpraxis der Individuen fuhren k ö n n e n . — Nachzutragen ist in in diesem K o n t e x t , daß die in dieser Fiktion a u f t r e t e n d e partielle inklusive O r d n u n g der Teilsprachen (nämlich auf den Konventionalitätsebenen 4 u n d 5) nichts gegen die A n n a h m e besagt, d a ß der Normalfall einer Ordnung der der verzweigten Ordnung ist. D e n n die Teilsprachen sind natürlich verzweigt geordnet, und zwar wegen der Interaktionspostulate in (9.1) — (9.3); das A u f t r e t e n der partiellen Inklusion gibt vielmehr neuerlich Anlaß zu dem Hinweis, daß die Inhomogenitätsanalyse ebenenspezifisch erfolgen m u ß u n d daß die Ebenen systematisch miteinander verknüpft werden müssen, u m die Dimension der Sprachinhomogenität — das spezifische Gewicht, das den verschiedenen Inhomogenitäten z u k o m m t — adäquat analysieren zu k ö n n e n ; Inklusivität, relativ zu einer Ebene oder auch relativ zu meheren E b e n e n , besagt für sich g e n o m m e n zunächst einmal sehr wenig, solange nicht klar ist, wie stark die verbleibenden Sprachverschiedenheiten ms Gewicht fallen (cf. § 4.2 sowie A n m . 28 u. 29). 32 Es soll in dieser Fiktion nicht sozusagen nebenbei noch der Versuch gemacht werden, eine Semantik für Positionsaussagen aufzubauen; mit den obigen Bemerkungen sollen lediglich mögliche Inhomogenitäten illustriert werden. Eben deshalb aber ist es angebracht anzumerken, daß diese Bemerkungen im wesentlichen an Hintikka (1969) orientiert sind. - Ferner möchte ich anmerken, daß für den Aufbau der oben beschriebenen Sj gilt, daß zwischen der Menge der syntaktischen Kürzungsregeln und der semantischen Projektionsregeln eine Homomorphiebeziehung besteht; insofern ist es nicht aufregend, daß Ausdrücke gleicher syntaktischer Kategorie intensionsungleich sein können.
130
Siegfried Kanngießer
Und ins Gewicht fallen diese Verschiedenheiten natürlich insbesondere bei der A-Gruppen-externen Kommunikation, die der Normalfall der sprachlichen Kommunikation ist, da in einem Kommunikationsfeld (etwa im Sinne von Anm. 6, wo der Feldbegriff knapp angesprochen wird) in der Regel Individuen sprachlich miteinander interagieren, die verschiedenen Α-Gruppen angehören. Die Verschiedenheit der respektiven Q a stellt mithin, wie immer diese Verschiedenheiten zu gewichten sind, eine nahezu unumgehbare Kommunikationsbarriere dar, zumindest in erster Näherung wäre dies anzunehmen. Umso erstaunlicher ist es, daß diese Kommunikationsbarriere in der Regel — also abgesehen von sozusagen extremen Kommunikationssituationen — von den Individuen relativ mühelos überwunden wird, der erforderliche Informationstransfer also fast immer erreicht werden kann. Die Gründe für diesen Tatbestand sind jedoch schnell genannt — es ist den Individuen eben möglich, die von ihnen internalisierten Sprachkenntnissysteme zu modifizieren, sie den unterschiedlichen Erfordernissen unterschiedlicher Kommunikationssituationen (speziell auch für sie neuer oder doch unüblicher Situationen) anzupassen 33 — diese Systeme sind eben dynamische Systeme, und sie müssen dies auch sein, um funktional adäquat sein zu können. Entsprechend sind natürlich auch die Q a so zu konstruieren, daß sie es gestatten, die Sprachprozesse, die in der gruppen-externen Kommunikation ständig ablaufen, sinnvoll zu beschreiben. Um eine Theorie des Sprachprozesses aufbauen zu können, muß also
33 Dieser Umstand könnte immerhin einen möglichen Ansatz für den Aufbau einer Dimensionentheorie bieten. Im Rahmen dei Q a kann immerhin beschrieben werden, daß die t-te Konvention der e-ten Ebene eine Q a -Konvention, aber keine Q^ -Konvention ist, etc. Die Kookurrenz bzw. Nicht-Kookurrenz von Konventionen im System der Q kann also klar charakterisiert werden, ebenso klar kann angegeben werden, wie ein Q modifiziert werden muß, um dasselbe wie ein Q b leisten zu können; mit anderen P o r t e n : Die Innovationserfordernisse können angegeben werden, allerdings nur im Hinblick auf konservative Innovationen (cf. hierzu Abschnitt 5 sowie Kanngießer 1972). Man könnte nun versucht sein zu sagen, daß Sprachinhomogenitäten relativ zur A-Gruppen-externen Kommunikation in genau dem Grade ins Gewicht fallt, in dem ihr Ausgleich Innovationskosten (in einem zu erläuternden Sinn des Begriffs) verursacht, und auf diachroner Basis, beschränkt allerdings auf konservative Innovationsprozesse, eine einschlägige Dimensionentheorie aufzubauen versuchen. Leider hat die Sache jedoch einen Haken: Vorausgesetzt wird in dieser Konstruktion nämlich, daß die Begriffe „ist im Grade g grammatisch in L(C)" (im Sinne der in Anm. 28 genannten Grammatizitätstheorie) und „ist im Grade g' verständlich in C " koextensional sind; eben diese Voraussetzung ist jedoch nicht haltbar: Hoher Grammatizitätsgrad impliziert keineswegs hohen Verständlichkeitsgrad, und umgekehrt, cf. § 3.2 dieser Arbeit. Andererseits liegt es jedoch auf der Hand, daß eine adäquate Dimensionentheorie nur dann aufgebaut werden kann, wenn diese beiden Aspekte sinnvoll miteinander verknüpft werden können.
Modalitäten
des Sprachprozesses
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zunächst untersucht werden, unter welchen Bedingungen und mit welchen Effekten Systeme von Sprachkonventionen modifiziert werden, natürliche Sprachen also Veränderungen erfahren. 34
5 Sprachprozesse 5.1 Um die wichtigsten Aspekte einer Theorie des Sprachprozesses umreißen zu können, ist es zunächst angebracht, sich nochmals der einschlägigen Begriffe des Theorieansatzes in § 4.2 zu vergewissern, denn mit diesem Ansatz soll ja eine Grundlage auch für die. Analyse von Sprachprozessen gegeben sein. Mit „ K O R " wird im Folgenden die Menge der Sprachkonventionen bezeichnet, die von dem Individuum ρ aus Ρ mit der Nummer i befolgt werden. „Q a " bzeichnet die Menge der Sprachkonventionen, die von der a-ten Sprecher-Hörer-Gruppe P a aus Ρ und damit von der a-ten Α-Gruppe P ^ befolgt werden. „Q" bezeichne die Menge dieser koexistierenden Konventionensysteme. Mit ,,l(Q a )" wird die Menge der durch Q a für P ^ festgelegten wohlgeformten Sätze, Sprechakte und sprachlichen Interaktionsformen bzeichnet; entsprechend bezeichnet ,,L(Q)" die Menge der durch Q für P(C) festgelegten wohlgeformten Sätze, Sprechakte und sprachlichen Interaktionsformen. Hinzu kommt eine Menge MOD = { m o d j , mod2, ... , mod^} (mit „z" als Indexvariable) von Sprachmodifikationskonventionen; jedes mod z , angewendet auf ein Q a , liefert ein modifiziertes Konventionensystem Q'a. (Gewisse Teilmengen von MOD können als Systeme von Modifikationskonventionen ausgezeichnet werden; allerdings stehen solche Systeme an dieser Stelle noch nicht zur Debatte, ihre systematische Konstruktion erfolgt in Teil II). 5.2 Die für eine Theorie des Sprachprozesses wohl wichtigste begriffliche Unterscheidung ist die Unterscheidung zwischen, allgemein gesagt, sprachlicher Neuerung oder Sprachinnovation einerseits und Sprachwandel oder Sprachmodifikation andererseits. Wie Coseriu (1974) überzeugend ausführt, sind diese beiden Begriffe keineswegs koextensional und von durchaus unterschiedlicher Bedeutung für die Analyse von Sprachprozessen; man vergleiche die folgenden Ausführungen: 34 Entsprechend wird im anschließenden Abschnitt 5 auch nicht versucht, im Rahmen des in § 4.2 umrissenen Ansatzes eine formale Theorie des Sprachprozesses aufzubauen, in Abschnitt 5 geht es eher um den Aufriß einer Perspektive, innerhalb deren ein solcher Versuch mit Aussicht auf Erfolg möglich ist.
Siegfried Kanngießer
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(14) Der Sprachwandel („Wandel in der Sprache") ist die Ausbreitung oder Verallgemeinerung einer Neuerung bzw. notwendigerweise eine Reihe aufeinanderfolgender Übernahmen. Das heißt, daß letztlich jeder Wandel eine Übernahme ist. ... Nun ist aber die Übernahme ein von der Neuerung wesentlich unterschiedener Akt. Die Neuerung ist, insofern sie durch die Umstände und Zweckbestimmung des Sprechaktes bestimmt ist, ein „Redefaktum" im strengsten Sinne des Begriffes: sie gehört zum Gebrauch der Sprache. Die Übernahme dagegen - als Erwerb einer neuen Form, einer Variante, eines Auswahlverfahrens im Hinblick auf zukünftige Akte - ist Festlegung eines „Sprachfaktums", Umwandlung einer Erfahrung in „Wissen": sie gehört dem Lernen der Sprache an, ihrer „Wiederherstellung" durch die Sprechtätigkeit. (Coseriu 1974, 68; Hervorhebungen im Text).
5.3 Vermöge der Unterscheidung zwischen Sprachinnovationen und Sprachmodifikationen, wie sie durch (14) erläutert ist, kann nun das in Abschnitt 1 Gesagte genauer gefaßt werden; speziell kann geklärt werden, was heißt, daß es ein Strukturmerkmal natürlicher Sprachen ist, sich beständig zu verändern. Es heißt, daß natürliche Sprachen beständig Innovationen ausgesetzt sind, also unablässig verändert werden; es heißt aber auch, daß diese Veränderungen zunächst rein indiosynkratischen Charakter haben. Und es sind die Resultate solcher Innovationen, die, in der Begrifflichkeit von § 4.2 gesprochen, die A-Gruppen-interne Sprachvariation begründen. Mit anderen Worten: Es gibt beständig KONj -Innovationen, aber diese Innovationen fuhren nicht (oder doch zumindest nicht notwendig) zu Q -Modifikationen; die Q sind d
α
sozusagen stabiler als die KONj, weniger Schwankungen ausgesetzt — wie noch zu erläutern ist, sind es eben diese Q„, α die modifiziert und nicht innoviert werden (im erklärten Sinn dieser Begriffe). Und entsprechend ist anzunehmen, daß Innovationen nur von kurzer Lebensdauer sind; sofern sie nicht in Modifikationen eingehen, werden sie nach kurzer Zeit wieder aufgegeben, andere Innovationen treten an ihre Stelle, kurz: der Prozeß der Sprachinnovation ist ein idiosynkratischer, aus einer Mannigfaltigkeit kurzfristiger KON· -Veränderungen bestehender Prozeß. Eine Analogie zur Wissenschaftsentwicklung mag das skizzierte Bild des Sprachinnovationsprozesses weiter aufhellen. Auch Wissenschaften sind ja, in einem ähnlichen Sinne wie natürliche Sprachen, dynamische Systeme; jede Disziplin ist beständig Veränderungen ausgesetzt. Aber die Wissenschaftsgeschichtsschreibung tradiert nur die Veränderungen, die sich als fruchtbar erwiesen haben, die — aus welchen Gründen auch immer — übernommen worden sind; die Innovationen der Disziplin, die sozusagen auf der Strecke geblieben sind (und dies ist mit Sicherheit die Mehrzahl der getätigten Innovationen), die also nicht zu Modifikationen geworden sind, gehen nicht in die wissenschaftliche Tradition ein. Genau so verhält sich mit den natürlichen Sprachen: Die bekannte Geschichte der Sprachprozesse ist die Geschichte
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des Sprachprozesses
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der Sprachmodifikationen, nicht aber der Sprachinnovationen, die in ihrer Mehrzahl im Sprachprozeß wieder verloren gehen. Eben diese Innovationen, die Redefakten im Sinne Coserius, sind es jedoch, die die Unablässigkeit des Sprachprozesses ausmachen, in der die Diachronie primär in Erscheinung tritt. Aber diese primäre Erscheinungsweise ist linguistisch kaum signifikant (abgesehen davon, daß es ein Ding der Unmöglichkeit ist, empirisch zu untersuchen, wer wann welche Sprachinnovation wo hervorgebracht hat); signifikant sind allein die Sprachmodifikationen und die Bedingungen, unter denen Innovationen zu Sprachmodifikationen werden. 5.4 Sprachinnovationen sind, nach der bisher gegebenen Darstellung, eine Funktion von Veränderungen eines KONj -Systemes, das eine Individualsprache festlegt; sie sind also, mit anderen Worten, die Funktion der Veränderung eines internalisierten Systems von Sprachkenntnissen. Diese Darstellung entspricht sicher der linguistischen Tradition, und es dürfte weiter sicher sein, daß auch die Analyse von Sprachmodifikationen eine Analyse solcher Funktionen zu sein hat. Um in diesem Zusammenhang wiederum Coseriu zu zitieren: (15) Der Sprachwandel hat seinen Ursprung im Dialog: im Übergang sprachlicher Verfahren vom Sprechen des einen Gesprächspartners zum Wissen des anderen. All das, worin sich das vom Sprecher Gesprochene — als sprachliches Verfahren — von den in der Sprache, in der das Gespräch gefuhrt wird, vorhandenen Mustern entfernt, kann Neuerung genannt werden. Und die Annahme einer Neuerung von Seiten des Hörers als Muster für weitere Ausdrucke kann man Übernahme nennen. (Coseriu 1974, 67. Hervorhebungen im Text).
Einschlägig an diesen Ausführungen ist insbesondere, daß hervorgehoben wird, daß nicht Sprachelemente (in dem hier zugrundegelegten weiten Sinn von „Sprache"), sondern internalisiertes Sprachwissen und damit Sprachkonventionen Gegenstand der Übernahme sind. Eine Theorie des Sprachprozesses muß mithin, allgemein gesagt, eine Theorie der Transformationen von Konventionensysteme in Konventionensysteme und der Konsequenzen und Resultate solcher Transformationen sein. Denn nur so kann erklärt werden, daß Sprachmodifikationen eine Funktion der Übernahme von Kompetenzinnovationen sind; nur so kann überhaupt sinnvoll gesagt werden, daß es eine Basis für den Ablauf von Sprachprozessen gibt, die eine funktionale Deutung des Prozeßablaufs gestattet.
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5.5 Die Unterscheidung zwischen Sprachmodifikationen und Sprachinnovationen konvergiert der Unterscheidung zwischen individuellen Kompetenzsystemen und gruppenspezifischen Kompetenzsystemen, also der Unterscheidung zwischen den KONj und den Q a aus § 4.2. Und diese Konvergenz ist offensichtlich gut begründet, den Modifikationsprozesse sind nicht-individuelle Prozesse, im Gegensatz zu Innovationsprozessen, sodaß es sich bei Q a -Veränderungen zwangsläufig u m Modifikationen handeln muß. Diese Zwangsläufigkeit besteht bei KONj -Veränderungen nicht; diese Veränderungen können durchaus individuell, also letztlich folgenlos bleiben. Trotzdem bedarf diese Konvergenz noch weiterer Qualifikationen; speziell dann, wenn gefragt wird, wann aus einer Sprachinnovation eine Sprachmodifikation geworden ist. Die Antwort auf diese Frage ist nun relativ einfach zu geben, aber folgenreich: Aus einer Sprachinnovation ist eine Sprachmodifikation genau dann geworden, wenn das neu eingeführte grammatische oder pragmatische Verfahren eine Konvention im Sinne von (k) geworden ist, also zur Etablierung einer impliziten Regel (oder einer Gruppe solcher Regeln) führt, die von den A-Gruppen-Mitgliedern in wiederkehrenden Situation regelmäßig befolgt wird35. Sowohl die KONj -Elemente als auch die Q a -Elemente sind aber nun Konventionen in genau diesem Sinne, sodaß die oben gegebene Antwort auch besagt, daß es sich bei den innovativ gewonnenen Regeln nicht u m Konventionen handeln kann. Vermöge dieser Konsequenz aber wäre man gezwungen zu behaupten, daß die Kompetenz der Sprecher-Hörer teilweise konventionell, teilweise aber nicht-konventionell strukturiert sei, was — angesichts der völligen Statusgleichheit der KONj -Elemente, mögen diese nun tradiert oder neu eingeführt sein — eine höchst unerfreuliche Folgerung wäre. Diese Folgerung kann jedoch vermieden werden, wenn zwischen Konventionalitätsgraden, genauer: Graden der konventionellen Geltung einer impliziten und einer Alternative fähigen Regel, unterschieden wird. Eine solche Unterscheidung, wie auch immer sie systematisch vorzunehmen ist, würde es dann beispielsweise gestatten, von einer Konvention zu sagen, daß sie im Minimalgrad g . gilt, und von einer anderen, daß sie im Maximalgrad g^y gilt, wobei hier offen bleiben kann, wie eine solche Skalierung auszusehen hat. 3 6 Die oben gegebene Antwort auf die Frage, wann aus einer Sprachinnovation eine Sprachmodifikation geworden ist, hätte dann eine einfache Antwort: Sie wird zur Modifikation genau dann, wenn sie konventionell maximal gilt.
35 Bei aller Vagheit dieser weiter unten noch spezifizierten Definition: Zu ihr existiert ein präzises lerntheoretisches Korrelat; cf. Menzel (1970, Def. 6.11). 36 Für ein hier mögliches Vorgehen cf. Lewis (1969, 79).
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Diese Konstruktion hat den Vorteil, daß mit ihr einerseits die oben genannte unerwünschte Konsequenz vermieden ist, und daß andererseits idiosynkratische Phänomene sich als Funktion minimaler Konventionalisierung deuten lassen. Diese Deutung gestattet es dann auch, denn Ausgleich von Sprachinhomogenitäten im Zuge der gruppen-externen sprachlichen Kommunikation als ein in der Regel nur kruzfristiges Phänomen zu begreifen. Um es pointiert zu sagen: Wenn der Einödbauer aus der tiefsten Oberpfalz beim Landratsamt in Weiden vorspricht, um eine Genehmigung für bestimmte Umbauten an seiner Scheune zu erhalten, und mit dem Landrat entsprechend verhandelt, findet mit Sicherheit gruppenexterne Kommunikation statt; ebenso sicher erzwingt die Kommunikationssituation einen zumindest partiellen Inhomogenitätsausgleich. 3 7 Aber dieser Inhomogenitätsausgleich wird bei allen Beteiligten lediglich zu einer Sprachinnovation, nicht aber zu einer Sprachmodifikation führen; die m o d z , die in diesem Ausgleichsprozeß befolgt werden, haben hier nur eine situative Reichweite. Es wird auf beiden Seiten bei einer minimalen Konventionalisierung des neu verfügbaren impliziten Sprachwissens bleiben. (Das Beispiel fuhrt im übrigen vor Augen, daß für den Prozeß der sprachlichen Verständigung nicht nur Sprachmodifikationen, sondern auch Sprachinnovationen von erheblicher Bedeutung sind. Dies ändert jedoch nichts an der Nicht-Signifikanz der Innovationen für die Theorie des Sprachprozesses, denn im skizzierten Fall geht es lediglich um konservative Innovationsprozesse, im Sinne von § 5.6; es sind aber die nicht-konservativen Sprachinnovationen, auf die sich die Ausführungen speziell in (14) beziehen, und nur für diese gilt die These von der Nicht-Signifikanz der Sprachinnovationen). 5.6 Die Betrachtungen im vorausgegangenen Paragraphen galten dem Status der Resultate von Kompetenzveränderungen; zu klären bleibt aber noch der Status der Prinzipien, nach denen der Veränderungsprozeß vorgenommen wird, also der Status der m o d z aus MOD. Die These, die hier gelten soll (und die in Teil II genauer entwickelt wird), lautet: Die m o d z sind statusgleich mit den K e -Elementen, kurz: Bei dem Modifikationsregeln handelt es sich Konventionen. Damit zugleich wird den Individuen eine spezifische Modifikationskompetenz zugeschrieben, vermöge derer sie ihre grammatischen und pragmatischen Sprachkenntnisse umzuformen vermögen. Diese Modifikationskompetenz braucht nicht homogen in C zu sein und ist es in der Regel auch nicht (die Inhomogenitätstheorie in Abschnitt 4 ist mithin um eine Theorie 37 Sie erzwingt auch,in einem gewissen Grade, sprachliche Toleranz. Cf. hierzu Kanngießer (1976c).
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der Modifikationsinhomogenität zu ergänzen), und sie braucht nicht stabil zu sein (es wird also die Annahme zugelassen, daß es Modifikationsprozesse höherer Ordnung geben kann, wobei zu zeigen bleibt, daß diese Annahme keine Regreßgefahren birgt). Ferner ist klar, daß die verschiedenen m o d z ebenerispezifisch wirken; entsprechend kann eine Hierarchie von Modifikationsebenen, die der in § 3.3 entspricht, angenommen werden. Es ist sicher wichtig, die Binnenstruktur der verschiedenen möglichen Modifikationssysteme zu untersuchen; an dieser Stelle soll jedoch nur kurz angedeutet werden, welche Auswirkungen Modifikationsprozesse auf die Ausdruckskapazität einer Sprache, genauer: einer Teilsprache 1 aus L, haben können, um ihren Zusammenhang mit Verständigungsprozessen deutlicher hervorheben zu können. Denn Modifikationen lassen sich nach der Art der Effekte klassifizieren, die sie bewirken; in der folgenden — informellen — Klassifikation gelte, daß Q a e Q, und daß — aus hier nicht zu spezifizierenden Gründen - l(Q a ) η (16.1)
m o d z ( Q a ) = Q a ist konservativ gdw. l ( Q a ) C £ ( Q ) 3 8
(16.2)
m o d z ( Q a ) = Q a ist nicht-konservativ
gdw. 1 (Q a ) - L(Q) Φ 0
Natürlich sind Subklassifizierungen dieser beiden Modifikationen möglich; so kann etwa zwischen reduktiven und expansiven Modifikationen unterschieden werden, wobei beide Typen von Modifikationen aus Gründen der funktionalen Adäquatheit von Sprachen erforderlich sind: (17.1)
m o d z ( Q a ) = Q a ist reduktiv gdw. 1 ( Q p C 1 (Q a )
(17.2)
m o d z ( Q a ) = Q a ist expansiv gdw. l(Q a ) C 1 (Q a )
Das zentrale Problem einer funktionalistischen Theorie des Sprachprozesses besteht nun darin, Modifikationen dieser Art 3 9 Beschränkungen zu unterwer38 Es sollte klar sein, daß etwa in der Varietätengrammatik, in deren Rahmen diachrone Prozesse durch Regelumbewertungen dargestellt werden, nur konservative Modifikationen erfaßt werden können - es sei denn, man ließe die Forderung fallen, daß jeder Regel des Bezugssystems in mindestens einer Varietät (im Sinne von Teilgrammatik) ein Wert größer als Null zugeordnet werden muß. Das aber hätte zur Folge, daß man den Individuen latentes Sprachwissen attestieren muß, was die Theorie empirisch unbrauchbar machen würde. Zur Kritik am Begriff des latenten Sprachwissens bzw. der passiven Kompetenz cf. Kanngießer (1972, § 2.5.5). 39 Natürlich sind die mod auch auf die KON- anwendbar; Sprachinnovationen und Sprachmodifikationen sind in dieser Hinsicht strukturgleich. Der Unterscheid zwischen ihnen besteht, wie ausgeführt, im Konventionalisierungsgrad der Anwendungsresultate.
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fen, die sich aus Veränderungen der attributiven Struktur, den Erfordernissen der A-Gruppen-externen Kommunikation sowie natürlich aus der Struktur der betroffenen Sprache ableiten lassen, wobei angenommen wird, daß derartige Beschränkungen wirksam sein müssen, wenn bestimmte und aus praktischen Gründen unerläßliche Verständigungszustände herbeigeführt werden sollen. So verändern die Modifikationen, die in (16.1)—(17.2) spezifiziert wurden, die Ausdruckskapazität einer (Teil-) Sprache in ganz unterschiedlicher Art, und liefern damit die sprachlichen Voraussetzungen für das Zustandekommen ganz unterschiedlicher Verständigungszustände. Da aber die Lebenspraxis der Individuen nicht das Zustandekommen beliebiger, sondern ganz bestimmter Verständigungszustände erfordert, dürfte die Annahme, daß Beschränkungen der genannten Art existieren, durchaus plausibel sein, und das heißt, daß der Aufbau einer einschlägigen Theorie mit Aussicht auf Erfolg in Anspruch genommen werden kann. In diesem Sinne ist es wohl zutreffend, daß der Sprachprozeß keine Rätsel aufgibt, sondern Probleme aufwirft. 5.7 Die Annahme, daß sich Modifikationsbeschränkungen für natürliche Sprachen formulieren lassen, findet überdies noch eine gewisse Rechtfertigung in einem Bereich, dessen Relevanz fur eine Theorie des Sprachprozesses oft übersehen wird. 40 Die Hypothese nämlich „Zu einem Zeitpunkt t wird das Deutsche die Struktur von Algol 68 haben" dürfte wohl von allen (oder doch nahezu allen) Linguisten für alle Zeitpunkte für falsch gehalten werden — aus guten Gründen. Aber worin bestehen diese Gründe? Das System der linguistischen Universalien (cf. Chomsky 1965) legt fest, welche Struktureigenschaften natürliche Sprachen überhaupt haben können, und es spezifiziert damit zugleich natürlich auch, welche Struktureigenschaften diese Sprachen nicht haben können; entsprechendes gilt für die Funktionseigenschaften von Sprachen (cf. Kanngießer 1976a, 1976c). Und eine Algol 68Struktur für das Deutsche möglich zu halten, ist mit dem Universaliensystem, obschon es noch nicht hinreichend erforscht ist, schlicht und einfach inkon40 Gegen den Versuch, solche Beschränkungen zu formulieren, wird auf methodologischer Ebene oft eingewendet, fur historische Prozesse (und solche stehen ja zur Debatte) ließen sich keine Gesetze angeben, sondern bestenfalls Trends und Tendenzen ausmachen. Nun ist der Gesetzesbegriff sicherlich unklar und mehrdeutig, aber gerade dieser Umstand gibt kein Argument gegen seine Explizierbarkeit und Anwendbarkeit ab (cf. Anm. 1). Ihn zugunsten von Begriffen wie „Tendenz", „Trend" oder gar „latente Tendenz" aufzugeben heißt bestenfalls, einen unklaren Begriff durch unklarere Begriffe zu ersetzen, und durch ein solches Verfahren werden bekanntlich Probleme weder gelöst noch lösbar.
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sistent. Insofern aber impliziert das Universaliensystem eine Schar von Hypothesen darüber, wie und mit welchen Effekten Sprachprozesse nicht ablaufen können; die linguistischen Universalien sind mithin, in diachroner Deutung, Erhaltungsgesetze fur natürliche Sprachen, die die Mannigfaltigkeit möglicher Sprachprozesse echt beschränken. Die Existenz solcher Beschränkungen ist aber — gerade wenn man die Auffassung vertritt, daß das Faktum der Sprachveränderung spezifisch für natürliche Sprachen ist — alles andere als selbstverständlich und keinesfalls trivial. Modifikationsgesetze sind nun vergleichbare Beschränkungen, allerdings geringeren Allgemeinheitsgrades; sie prägen dem Sprachprozeß Struktur innerhalb des von den Universalien festgelegten Rahmens auf. Und wenn die Existenz dieses allgemeinen Rahmens nicht bestritten wird (die Algol 68-Hypothese also als falsch für das Deutsche und jede andere natürliche Sprache angesehen wird), spricht kaum mehr etwas dafür, die Existenz von Beschränkungen offenbar geringeren Allgemeinheitsgrades zu bestreiten. Um Herder zu zitieren: „Der Mensch ist in seiner Bestimmung ein Geschöpf der Herde, der Gesellschaft: die Fortbildung einer Sprache wird ihm also natürlich, wesentlich, notwendig." Was immer von dieser von Herder als Naturgesetz ausgegebenen Bemerkung im Einzelnen zu halten sein mag: Es spricht nichts für die Annahme, daß ein solcher Fortbildungsprozeß unstrukturiert gelingen könnte.
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Phrasen-Struktur-Grammatiken mit bewerteten Ableitungen
1.
Einleitung
Das Chomskysche Konzept der generativen Grammatik, so wie es in Chomsky (1965) dargestellt ist, ist, und darüber ist schon hinreichend häufig geschrieben worden, mit unzulässigen Idealisierungen versehen. Hier sollen weder die bisherigen Kritikpunkte nur gesammelt, noch weitere hinzugefugt werden, es soll vielmehr ein Konzept angeboten werden, welches einige Mängel der Chomskyschen Grammatik beseitigt 1 . In den „Syntactic Structures" (1957) unterschied Chomsky noch zwischen voll grammatischen und ungrammtischen Sätzen S bzgl. einer Sprache L. Die Entscheidung über die Grammatikalität eines Satzes lieferte die generative Grammatik automatisch, denn fur S e L ist S grammatisch,fur S i L ungrammatisch (p. 13ff)· Diese Dichotomie wurde bald aufgegeben;eine feinere Einteilung in Grammatikalitätsgrade wurde zwar schon in Chomsky (1957, p. 16) erwähnt, ein Ansatz zu einer Theorie der Grammatikalitätsgrade findet sich z.B. in Chomsky (1961), Miller/Chomsky (1963). Hier werden jedoch nur abweichenden Sätzen, also solchen, die von der Grammatik G nicht erzeugt werden, Grammatikalitätsgrade zugewiesen. In seiner Rezension dieses Aufsatzes 2 weist Bar-Hillel (1967) daraufhin, daß auch — oder gerade — die Interpretation abweichender Sätze ein dringliches Problem der Linguistik darstellt. Zieht man hieraus den Schluß, daß eine Grammatik auch abweichende Sätze S gene-
1
Es handeft sich, wie man im Verlauf des Aufsatzes sehen wird, um Mängel, die nicht nur auf das 'Aspects-Modell' oder die 'extended standard theory' (Chomsky 1972) beschränkt sind. Auch die 'Generative Semantik' und andere Ansätze, die sich mit speziellen Problemen beschäftigen, etwa soziolinguistische Modelle (Labov, Bailey, u.a.) bieten nur Vorschläge, die einen begrenzten Bereich erfassen oder erfassen können. 2 Bar-Hillel bezieht sich auf Chomskys Beitrag "Degrees of grammaticalness" in Fodor/ Katz: The Structure of Language. Es handelt sich dabei um eine gekürzte Fassung von Chomsky (1961).
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rieren soll 3 , so muß sie S einen Grammatikalitätsgrad g und einen Marker m, der die Art der Abweichung spezifiziert, zuordnen. Zu dieser Folgerung gelangten Chomsky, Postal und Lakoff etwa gleichzeitig. In Chomsky ( 1965 ; p. 227) wird vorgeschlagen, daß m durch die Struktur des Satzes S angegeben werden k a n n ; eine explizite Methode wird nicht entwickelt. Lakoff 1970 (p. 21) 4 folgt Postals Ansicht (Vorlesungen, Sommer 1964): „ . . . that grammars be constructed so that they generate directly not only the fully grammatical sentences of the language, but also the partially grammatical ones, marking them automatically as to the degree and nature of their deviance, . . . ". Der Vorschlag Lakoffs,die Anzahl der Regelverletzungen' als Grammatikalitätsgrad anzusetzen, ist natürlich unbefriedigend ; psychologische Untersuchungen — etwa die von Marks (1968) — haben gezeigt, daß die Verhältnisse wesentlich komplexer sind. Falls man mit Chomsky ( 1957 ; p. 13) übereinstimmt, daß jeder Sprecher-Hörer die Fähigkeit besitzt, grammatische von ungrammatischen Sätzen zu unterscheiden, dies also Teil der linguistischen Kompetenz ist, muß man auch die Fähigkeit, Grammatikalitätsgrade zuordnen zu können, der Kompetenz zurechnen. Daß dies mit — in psychologischen Tests überprüfbaren — Fakten belegt werden kann, zeigen unter anderen die Arbeiten von Maclay/Sleator (1960) und Marks (1967, 1968) 5 . In unmittelbarer Nachbarschaft des Grammatikalitätsproblems sind auch die Fragen der Akzeptabilität und der Kategorienverfehlungen (siehe : Thomason (1972)) anzusiedeln. Neben grammatischen (syntaktischen, semantischen, phonologischen) Abweichungen sind dialektale, soziolektale und ähnliche ,Abweichungen'(=Variationen) in den letzten Jahren in den Mittelpunkt der linguistischen Forschung gerückt. Der,ideale Sprecher-Hörer in der homogenen Sprachgemeinschaft' (Chomsky 1965 ; p. 3) stellte eine Idealisierung dar, die immer stärkerer Kritik ausgesetzt war, und die heute wohl von niemandem Aufrecht erhalten wird. Wie Weinreich/Labov/Herzog (1968) und Kanngießer (1972, 1973) nachwiesen, ist die Chomskysche Homogenitätsannahme nicht mit einer adäquaten Beschreibung von Sprachvariationen und Sprachwandel vereinbar. Jede auf der Homogenitätsannahme basierende Theorie einer Sprache ist also 3
4 5
Sieht man von Fehlern wie Selektions- und Reihenfolgestörungen (siehe hierzu: Bierwisch 1970) ab, so ist eine Interpretation abweichender Sätze am ehesten möglich, wenn diese ebenfalls von der Grammatik erzeugt werden und folglich eine semantische Repräsentation SR besitzen; hierbei ist es nebensächlich, ob die Beziehung zwischen S und SR durch eine interpretative oder generative Semantik hergestellt wird. "Irregularity in Syntax' ist eine nur in einem - hier nicht relevanten - Punkt geänderte Fassung von Lakoffs 'On the Nature of Syntactic Irregularity' (1965). Kolde (1975) weist auf prinzipielle Schwierigkeiten bei der Befragung von Informanten hin.
Phrasen-Struktur-Grammatiken
mit bewerteten
Ableitungen
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sowohl in synchroner als auch in diachroner Hinsicht inadäquat. Ich werde mich hier auf den synchronen Bereich beschränken 6 . Im Gegensatz zum statischen Paradigma' Chomskys, bei dem die invarianten Strukturen der Sprache im Mittelpunkt der Untersuchungen standen, bilden im dynamischen Paradigm a ' 7 die linguistischen Variationen die Daten der Theorie (Siehe: Elliott/Legum/Thompson 1969). Das statische Paradigma kannte nur freie Variationen, die durch Anwendung optionaler Regeln erzeugt werden konnten, ihr Auftreten war unsystematisch; im dynamischen Paradigma ist auch das Auftreten von Variationen und die Verteilung im statistischen Sinne (beim Labovschen Ansatz) regelgeleitet. Hierzu Labov 1972 (p. 103): „ . . . The rule-governed aspect of language includes the differentiation of speakers according to age, sex, social class, and other aspects of ascribed and achieved status." Man unterscheidet im wesentlichen zwei Ansätze 8 innerhalb des dynamischen Paradigmas: (i) ,variable Regeln' (Labov 1969,1972a,b ; Cedergren/Sankoff 1974), bei denen die Häufigkeit der Variationen in Abhängigkeit inner- und außer-linguistischer Umgebungen angegeben wird, (ii) ,implicational scales'(DeCamp 1971), bei denen das Auftreten gewisser linguistischer Features das Vorhandensein anderer impliziert, und somit Abweichungen systematisiert. Mit diesen Ansätzen scheint man — dafür sprechen die erfolgreichen Arbeiten zum ,black English vernacular', siehe Fasold (1970), Labov (1972a) zu einer Aufstellung wesentlicher Literatur — die Probleme linguistischer Variation mit Erfolg angehen zu können, und zwar sowohl der ,intra-speaker', als auch der ,inter-speaker' 9 Variationen. Intra-speaker Variationen umfassen unter anderem ,style-shift' und somit auch viele Fälle des Sprachwechsels bei bilingualen Sprechern ; inter-speaker Variationen sind z.B. Dialekt- und SoziolektVariationen. Für den Bereich der inter-speaker Variationen, der Fälle also, die direkt aus einer Inhomogenitätsannahme ableitbar sind, sind die Grammatiken-Familien Kanngießers (1972a, 1973) anwendbar 1 0 . Eine Sprache L u m f a ß t hierbei die 6 Zum Sprachwandel siehe etwa die Arbeiten von Weinreich/Labov/Herzog (1968) und Kanngießer (1972a, 1973). Zusätzlich die auf der 'UCLA Conference on Historical Linguistics in the Perspective of Transformational Theory' (Stockwell/Macauley eds. ( 1 9 7 2 ) gehaltenen Vorträge. 7 Dieses Paradigmenpaar wird in Bailey 1971 eingeführt; es wird dort eine ausführliche Gegenüberstellung der Paradigmen - im Kuhnschen (1970) Sinn- durchgeführt. 8 Einen Vergleich der Ansätze findet man bei Fasold (1970). Die variablen Regeln Labovs scheinen die größere Aussagekraft zu besitzen, da sie Abstufungen beschreiben, die von 'implicational scales' nicht oder kaum erfaßt werden können. 9 In dieser Unterscheidung folge ich DeCamp (1971). 10 Eine kurze Zusammenfassung und Wertung der Kanngießerschen Theorie findet man in Wunderlich (1974).
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Sätze, die von den Gj, den Grammatiken der Familie (Gj)·, generiert werden: L= ν jL (Gj). L wird nicht (!) von einer Grammatik, sondern von einem Grammatikensystem, der Grammatiken-Familie^ .generiert'. Kanngießer macht keine Aussagen über die interne Struktur und den Aufbau der Grammatiken G^; es bietet sich an, die Grammatiken Gj als Labovsche Grammatiken mit variablen Regeln zu konstruieren 11 . Eine adäquate diachrone Theorie müßte dann die Kanngießerschen (1972a, 1973) und Labovschen (1972) Ansätze vereinigen 12 . Im Zusammenhang mit Stil-Variationen und Bilingualismus muß die kommunikative Kompetenz (Hymes 1967, 1971) berücktsichtigt werden. In der kommunikativen Kompetenz sind nach Hymes außer der linguistischen Kompetenz im Chomskyschen Sinne auch weitere Fähigkeiten enthalten, unter anderen die Fähigkeit folgende Frage entscheiden zu können: „ . . . 3. Whether (and to what degree) something is appropriate (adequate, happy, succesful) in relation to a context in which it is used and evaluated; . . . " (1971 ; 281). Die offensichtlichsten — und deswegen wohl auch so gern verwendeten — Beispiele hierzu stellen die ,Honorifics' einiger ost-asiatischer Sprachen dar; R. Lakoff (1972) weist nach, daß analoge Erscheinungen auch im Englischen auftreten 1 3 . Die durch Status-Beziehungen begründeten,Sprachebenen' des Javanischen bilden ein besonders gut zu analysierendes System von Sprachstilen, da Differenzie rungen, die in europäischen Sprachen nur schwer erkennbar sind (siehe hierzu auch R. Lakoff 1972), im Javanischen durch die Wortwahl ausgedrückt werden 1 4 . Nach C. Geertz (1960; p. 248) gilt: „In Javanese it is nearly impossible 11 Siehe hierzu die Punkte 4 - 6 des 4. Abschnitts. 12 Dies geschieht in: Habel (ms): "Aspekte bewertender Grammatiken" (Arbeitstitel) - erscheint voraussichtlich 1978. 13 Ein weiteres Beispiel aus dem 'politeness'-Bereich stellt Hurford (1975) dar; dieses wird im Rahmen des hier vorgestellten Ansatzes in Habel (1976b) behandelt. 14 Ich folge bei den javanischen Beispielen C. Geertz 1960 und H. Geertz 1961. Im Javanischen existiert eine Anzahl von Worten, die neben ihrer 'semantischen Bedeutung' (etwa: essen, Reis) auch eine 'pragmatische Bedeutung' besitzen; in der Formulierung von C. Geertz: . .also a connotative meaning concerning the status of and/or degree of familiarity between the speaker and the listener. As a result, several words may denote the same normal linguistic meaning but differ in the status connotation they convey." (p. 249) Die meisten Worte des javanischen Vokabulars besitzen keine konnotative Bedeutung im oben definierten Sinne, da aber die Worte mit konnotativer Bedeutung zu den am häufigsten verwendeten gehören, findet man bei den meisten Äußerungen statusdifferenzierende Formen. Es soll nur noch erwähnt werden, daß status-differenzierende Erscheinungen nicht auf die Wortwahl beschränkt sind, sondern auch in der Syntax auftreten, z.B. existieren zwei Passivpartikel: „di-" und „dipun-".
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to say anything without indicating the social relationship between the speaker and the listener in terms of status and familiarity." Der von Geertz aufgeführte Beispielsatz „Are you going to eat rice and cassava now?" besitzt sechs, von der sozialen Beziehung zwischen Sprecher und Hörer abhängige, Variationen 15 . Jedem Satz (was auch immer das ist;siehe unten) müssen die sozialen Beziehungen, die Voraussetzungen für eine korrekte Anwendung des Satzes sind, zu entnehmen sein. Ebenso wie der Grammatikalitätsgrad eines Satzes der Kette und ihrer Strukturbeschreibung zugeordnet sein muß, muß auch ein Raster möglicher .sozialer Kontexte' (worunter z.B. ,status-role' Beziehungen zu rechnen sind) zugeordnet werden können. Diese Zuordnung allein aus der semantischen Beschreibung abzuleiten, scheint den empirischen Fakten nicht gerecht zu werden, wie man aus der Untersuchung »pragmatisch abweichender' Äußerungen 16 ersieht. Zur kommunikativen Kompetenz gehört sicherlich auch die Fähigkeit der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft, Dialekte und Akzente als solche zu erkennen. Gegen diese Annahme spricht nicht, daß die genaue Einordnung eines Akzentes oder Dialektes nicht von jedem Hörer richtig durchgeführt wird. Untersuchungen von Lambert und seinen Mitarbeitern 17 haben ergeben, daß die durch einen Akzent veranlaßten Haltungen des Hörers zum Sprecher weitgehend konstant innerhalb einer Sprachgemeinschaft sind und zwischen den Individuen nicht stark variieren. Wenn als,Ausgabe' einer generativen Grammatik Sätze S mit interner Struktur S=(kt, sb) auftreten, wobei für sb gilt: sb=(synt, sem, phon) 1 8 , so bleiben Grammatikalitätsgrade, Statusbeziehungen und anderes unberücksichtigt; wenn überhaupt eine Berücksichtigung möglich ist, so kann sie nur durch In15 Eine ausfuhrliche Behandlung des Geertzschen Beispielsatzes folgt im vierten Abschnitt. 16 Diese These will ich an einem Beispiel erläutern, das Kanngießer (1972a; p. 163) folgt. Der Satz: „Mein lieber Müller, Sie haben ihr Auto falsch geparkt." ist in der Richtung Werksdirektor-Pförtner möglich (wenn er auch gewisse Haltungen voraussetzt), würde aber in der Gegenrichtung wahrscheinlich .Sanktionen zeitigen'. Die .pragmatische Verfehlung' liegt in der Phrase „mein lieber Müller", die eine Richtung sozialer Beziehungen markiert. Diese Markierung kann schon in der Generierung durchgeführt werden; sie muß nicht aus der semantischen Beschreibung ermittelt werden. Ein allgemeinerer Fall - aber parallel zur obigen Phrase - wäre die Markierung des „Du" bzw. „Sie" im Sinne des 'tu-vous' Gegensatzes. (Brown/Gilman 1960). 17 Anisfeld, E./Lambert (1964), Anisfeld, M./Bogo/Lambert (1964), Lambert (1967), Lambert et.al. (1960). 18 Diese Bezeichnung folgt Kanngießer (1972b). Dabei steht kt für Kette, sb für Strukturbeschreibung, synt für syntaktische, sem für semantische und phon für phonologische Strukturbeschreibung.
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terpretation von (synt, sem, phon) erfolgen. Es ist jedoch wahrscheinlich, wie die Ausführungen zur Grammatikalität, Akzeptabilität und den Statusbeziehungen zeigen (,und dies wird im vierten Abschnitt noch weiter expliziert werden), daß eine direkte Erzeugung weiterer,Ausgabe-Komponenten vorgenommen werden kann und sogar muß. Als Vorschlag für eine Strukturierung des Satzes S ergibt sich damit: S = (kt, sb, gr, stb, ak,
...)19,
wobei gr für Grammatikalitätsgrad, stb für Statusbeziehung, ak für Akzent steht. Eine wesentliche Aufgabe der Linguistik dürfte es sein, die vorerst noch offene Liste der relevanten ,Ausgabe-Komponenten' einzuschränken. Faßt man eine linguistische Theorie über L als ein geordnetes Paar (G, P)L auf, wobei G ein grammatisches (d.h. syntaktisch, semantisch und phonologisch) und Ρ ein pragmatisches System über L ist (ich folge hier Finke 1975), so bieten Ausgabe-Komponenten wie stb die Möglichkeit, als Eingaben in eine Pragmatik-Komponente zu fungieren, den Anschluß einer Pragmatik an eine Grammatik also zu ermöglichen. Da eine direkte Ausgabe bisher nur für synt, sem und phon möglich ist — wenn auch die Methoden teilweise stark umstritten sind ; man denke an die Auseinandersetzungen zwischen generativer und interpretativer Semantik —, soll hier ein Formalismus geschaffen werden, der es erlaubt, weitere AusgabeKomponenten zu erzeugen und gegebenenfalls zu interpretieren. Dies geschieht, indem Regeln bewertet werden (Bewertung in einem mathematischen Sinn), und diese Bewertung zu einer Ableitungs-Bewertung erweitert wird. Wie man aus der Hymesschen Forderung ersieht, können auch extralinguistische Kriterien in die Bewertung eingehen. Der Mechanismus wird hier im wesentlichen am Beispiel von Phrasen-Struktur-Grammatiken dargestellt; das Konzept ist aber nicht an Phrasen-Strukturoder Transformations-Grammatiken gebunden, es kann auf beliebige Systeme, die auf Regelanwendungs-Folgen basieren, ausgedehnt werden 2 0 . Eine Renaissance derPSGist also nicht zu befürchten, die PSG wurde als Beispiel gewählt, da sich hieran das Konzept der Ableitungsbewertung am besten demonstrieren läßt.
19 Eine ähnliche Definition der semantischen Struktur - ähnlich insofern, als zuerst ebenfalls unbegrenzt - findet man in Lakoff 1971. 20 Erfolgt in Habel (ms.) siehe Anm.12.
Phrasen-Struktur-Grammatiken
2.
mit bewerteten
Ableitungen
147
Phrasen-Struktur-Grammatiken mit bewerteten Ableitungen
Da der Leser mit den Grundbegriffen formaler Sprachen vertraut sein sollte (siehe hierzu etwa: Ginsburg (1966), Maurer (1969), Salomaa (1973) oder Wall 1973)), wird hier nur die verwendete Terminologie festgelegt. Eine Phrasen-Struktur-Grammatik (PSG) ist ein Quadrupel G = (V^, V T ,S,P) mit dem nichtterminalen Alphabet V^·, dem terminalen Alphabet V j , dem Startsymbol S und der Regelmenge P. Das Gesamtalphabet V wird durch V: = VJ^UVJ definiert. (Statt Alphabet kann man auch Vokabular sagen.) Ist eine Ableitung des Wortes 0 e V j gegeben: ( 1) w
S = α ==> α, => ,. . . . ο pi 1 ρ 2 '
=> α = ß, Ρη η
so heißt nach Moriya (1973) π = p j . . . p n e Ρ* a s s o z i i e r t e s W o r t der Ableitung (1). Mit A = a0a¡ . . . α η e (V*)* 21 kann (1) durch D = (Α, π) beschrieben werden ; ausführlicher (aber nicht informationsreicher, da a n = β) ist D (β) = (Α (β), η (β) ).
Die Menge aller Ableitungen eines Wortes β wird mit£)(ß) bezeichnet; JJQ(G) (ß) ' s l ä ^ 0 die Menge aller Ableitungen terminaler Ketten bezüglich einer Grammatik G 2 2 . (Falls es offensichtlich ist, um welche Grammatik G es sich handelt, kann auf die Angabe des Indexes G verzichtet werden). Definition 1: Sind (M¡, 5j) iel = {l, . . . , n } Halbgruppen, so heißt: M:=
iel
1
versehen mit der Operation δ, die durch komponentenweise Anwendung der ôj definiert ist, B e w e r t u n g s r a u m (B.R.). 21 Der „Doppel-Stern" sollte gerade Linguisten nicht irritieren. Die „Sterne" d.h. die Konkatenationen finden auf verschiedenen Ebenen statt. Sei etwa A das Alphabet der deutschen Sprache, so ist jedes Wort der deutschen Sprache Element aus A * , die deutsche Sprache selbst, als Wortmenge aufgefaßt, ist dann eine Teilmenge von (A*)*. Der „Doppel-Stern" kann vermieden werden, wenn die Wortpause als zusätzliches Zeichen ins Alphabet eingeführt wird; dann geht jedoch ein Teil der ,Binnenstruktur' verloren. 22 QQ ist spezieller als die assoziierte S p r a c h e ^ b e i Moriya ( 1 9 7 3 ) , d a i Ö G aus Paaren (A,7T) besteht, während d ( G ) aus Worten 7Γ besteht.
148
Christopher Habel
Anm. : M ist wieder ein Halbgruppe. Analog zur Summation und zur Produktbildung wird eine „fortgesetzte" Anwendung der Operation δ definiert:
Unter der Verwendung der Bezeichnungen aus Definition 1 läßt sich auch finden B.R. die Δ-Operation einfuhren: j t r - r ^ v wobei 3j = (3j) ι
n ),
M = XM¿
Da die komponentenweise Schreibweise eindeutig ist, muß hier nicht für jedes δ eine besonders gekennzeichnete Operation Δ eingeführt werden. Definition 2 Sei G = (V N , V T , S, P) eine PSG. M = XMj ein Bewertungsraum E eine nichtleere Menge (= Menge der externen Kriterien) φ : Ρ χ E -*• M eine Abbildung. Das Paar (G, φ) heißt Grammatik mit Regelbewertung ψ. (G.m.R.) Anmerkungen: (i) Da jede Abbildung per Definition eine Relation ist, da also in diesem Fall gilt: ^ C ( p x E ) x M , sind durch die Angabe von φ implizit auch E und M definiert; die Angabe (G, φ) beschreibt somit eine G.m.R. vollständig. (ii) Ist E einelementig, so existiert faktisch kein externes Bewertungskriterium, man kann also φ: Ρ M schreiben. Die Einführung externer Kriterien ist aber für linguistische Anwendungen vorteilhaft. (iii) Ließe man in der Definition Ε = (0) r? = ( e j . . . e n ) e E n
Phrasen-Struktur-Grammatiken mit bewerteten
Ableitungen
149
Dann heißt: φ (β, Ό,η):
= Δη
φ ( P j , e¡)
Bewertung von β bzgl. der Ableitung D und der Kriteriumssequenz η. Anm.: Die Angabe von β in φ (β, D, η) ist überflüssig, da D ein bestimmtes terminales Wort, nämlich β implizit spezifiert. Hier wird die Angabe von β explizit gemacht, um deutlich zu machen, daß eine Bewertung des Wortes und weniger der Ableitung von Interesse ist, wenngleich die Bewertung des Wortes über die Ableitung erfolgt. Die Bewertung eines Wortes erfolgt also dadurch, daß in jedem Ableitungsschritt die Regel, die angewendet wurde und ein externes Kriterium, das in diesem Zeitpunkt gerade relevant ist, bewertet werden ; anschließend werden alle Bewertungen einer Ableitung durch die Δ-Operation zu einer Ableitungsbewertung „zusammengefaßt". Da es nicht sinnvoll ist, bezüglich völlig willkürlich gewählter Kriteriumssequenzen zu bewerten oder vor einer Bewertung jeweils die externen Kriterien festzulegen, sollte innerhalb der Grammatik ein „Prinzip" existieren, welches die Kriteriumssequenz festlegt, d.h. es muß ein Mechanismus existieren, der für Ableitungen der Länge η eine Kriteriumssequenz der gleichen Länge konstruiert. Definition 4 Sei (G, φ) eine G.m.R. Eine Abbildung Η :¿>
j En
mit H (D) e E n «=> 1 (Α) = η + 1 (Länge der Ableitung) für alle D = (Α, π) heißt Zulassungsvorschrift für externe Bewertungskriterien. (G, φ, Η) heißt Grammatik mit Ableitungsbewertung (G.m.A.) Φ (β, D): = φ (β, D, Η (D)) heißt Bewertung von β bzgl. D. Anmerkungen: (i) In den Definitionen 2 - 4 tritt φ in verschiedenen Bedeutungen auf; da durch die Anzahl der Argumente Verwechselungen nicht auftreten können, ist darauf verzichtet worden, durch neue zusätzliche Bezeichnungen die Anzahl der Namen zu vergrößern. (ii) Da A ein Wort über (V*)* ist, ist 1 (A) in der üblichen Weise als Länge von A definiert; hat A die Länge η + 1, so hat die Ableitung η Ableitungsschritte. Hierbei sei daran erinnert, daß a¡ a¡ + j impliziert, daß ρ wirklich angewendet wird; im Gegensatz zur Definition von der transitiven Hülle der Operation =>.
Christopher
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Habel
(iii) Bei einelementigern E (s.o.) kann natürlich auch H vernachläßigt werden;in einem solchen Fall ist schon (G, φ) als G . m A . anzusehen. Die G.m.A. stellt also zu jedem Wort ßeL (G) und jeder Ableitung D von β ein zusatzliches Objekt, die Bewertung, bereit. Diese zusätzliche Information kann und muß (siehe hierzu die Anwendung in den Abschnitten 3. und 4.) in vielen Fällen noch weiterverarbeitet werden ; insbesondere muß die Information interpretiert werden. Definition 5 Sei (G, φ, Η) eine G.m.A.. Sei J ^ I (I die Indexmenge des kart. Produkts M = X Mj) e:
(M eine geordnete Menge) JeJ j g g heißt Bewertungsinterpretation (B.I.), Mg Interpretationsbereich. Sei Κ Π I = Ç)(d.h. eine neue Indexmenge) und sei Rj.= (g^ / keK & g^ Bewertungsinterpretation} 0f> : = (G, φ, H, R j ) heißt Grammatik mit interpretierten Ableitungsbewertungen (G.i. Α.). Anmerkungen: (i) Da implizit gemachte Angaben, um Schreibaufwand zu verringern, nicht expliziert werden sollen, wird davon ausgegangen, daß die Angabe der Bewertungsinterpretationen g^ die Angabe der entsprechenden Interpretationsbereiche Mg^ und Indexmengen J einschließt. Außerdem wird so weit wie möglich die Doppelindizierung (z.B. g^j vermieden. (ii) Eine geordnete Menge ist eine Menge M versehen mit einer Ordnungsrelation < ; m a n unterscheidet schwache und starke Ordnungen (bzw. Halbordnungen); siehe hierzu: Schmidt (1966), Deussen (1971), Wall (1973). Durch die folgende Definition wird es möglich, gewisse Satzmengen unter Berücksichtigung von Interpretationen zusammenzufassen, also Teilsprachen von L (G) zu erzeugen. Die Grammatik ty erzeugt also nicht eine Sprache, sondern ein System von Teilsprachen der Sprache L (G). Inwieweit hier von einer Gesamtsprache gesprochen werden kann, ist nicht Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Definition 6 Sei
(G, φ, Η, Rj) eine G.i.A.
(i) Sei für i e I die Halbgruppe Mj ein Monoid, dann heißt L ( a , i): = { ß e L (G) / 3 D e £> (ß); η ο Φ (β, D) = l ) i — te Teilsprache von L (G).
Phrasen-Struktur-Grammatiken
mit bewerteten
Ableitungen
151
(ii) Sei k e K (K Indexmenge zu R j ) und meMj,, wobei gelte: gl· : . X T M. -> M,K Dann gelte : j eJ J L
k , m ) : = (ße L ( G ) / H D e£>(0)
: g k ( t t j ( Φ (ß, D ) ) ) < m )
Anmerkungen : (i) Ein Monoid ist eine Halbgruppe mit Einselement. (ii) Mit π werden hier in Übereinstimmung mit den Konventionen der Mathematik Projektionen bezeichnet. π· bezeichnet die Abbildung, die aus einem n-tupel das i-te Element „heraussortiert". n j ist die „gleichzeitige" Projektion bezüglich aller jeJ. (iii) Die i-ten Teilsprachen stellen nur einen Spezialfall der L (Çf, k, m) dar, den man durch eine Ordnung der Menge Mj mit 1 als kleinstem Element erhält. Eine solche Umordnung kann durch die Interpretation gk bei J = { l } erreicht werden. Ein erstes, einfaches Beispiel soll diesen Abschnitt beschließen: Sind Gj = (Vjjj,
Sj, P¡) (1 < i < 2) PSGen vom Typ j (der Chomsky-Hier-
archie), so existiert eine PSG G, ebenfalls vom Typ j, mit: L (G) =
L (G ). Für j = 1 , 2 findet man den Beweis etwa bei Maurer. 1 ^ i^ 2 1 Die dort durchgeführte Konstruktion kann ähnlich mit Hilfe einer G.i.A. geschehen. Sei nun G = ( V N , V j , S, P) mit V
N
= V
N
u V
N
V T = Vj U Ρ
=PJ U P 2 U
u
{s } '
wobei s ein neues
Symbol ist,
und {s->s1,s->s2}
Es ist zu beachten, daß hier im Gegensatz zu den üblichen Konstruktionsverfahren nicht V ¿ n V ¿ = 0gefordert wird 2 3 , durch Regelbewertungen wird ähnliches erreicht, wobei zusätzlich noch weitere Informationen generiert
23 Eventuell kann deswegen L(G) .größer' als L(GJ)UL(G2) werden. Im Beispiel wird die Vereinigung durch eine spezielle Teilsprache, nicht durch L(G) dargestellt. Beispiel: Gl : S^-aX X^-aX X">-b G2 : S - > b X X->bX X ">a L(GI) = ( a n b / n > l ) L(G2)= { b n a / n > l } L(G) = { a , b } z { a , b / * L(G) ist also ungleich der Vereinigung von L(G]J und L(G2).
Dann gilt:
152
Christopher Habel
werden, nämlich, von welcher der Ausgangsgrammatiken ein Satz generiert wird. Als Bewertungsbereiche werden M j = M2 = {0,l} mit der Verknüpfung δ (0,0) = δ (0,1) = δ (1,0) = 0 und δ (1,1) = 1 verwendet;M : = M j χ Μ 2 · Für die Regelbewertung gelte: φ :Ρ
Mj χ M 2 pePj
P2
peP2-pi ρ e P j η P 2 oder ρ β {S -> Sj, S
S2)
Da keine externen Bewertungskriterien existieren, muß die Zulassungsvorschrift H nicht definiert werden. Für ein Wort ßeL (G) gilt: die i-te Komponente der Bewertung Φ (β, D) ist 1 genau dann, wenn D eine Ableitung bzgl. der Grammatik Gj ist. Ohne R j schon definieren zu müssen, ergibt sich also: L ( g , i ) = L(G i ) Sei nun Μ' : = ( θ , 1 } mit der Ordnung 0 < 1 der Interpretationsbereich. Es werden zwei Interpretationen definiert: g j , g 2 : Mj x M J - ^ M ' 0
a= b =1 sonst a=b=0 sonst
Sei R j = ( g j , g 2 ) u n d ^ = (G, φ, Rj) - Η muß nicht berücksichtigt werden (s.o.) — so güt: (*) L ( ^ , l , 0 ) = L ( G 1 ) n L ( G 2 ) L ( 0 , 2,0) = ί ( θ ! ) υ ί ( Ο 2 ) L(g,l,l) = L(0,2,l)=L(G) Man beachte, daß (*) keinen Widerspruch zu der bekannten Tatsache darstellt, daß die Typ-2-Sprachen bzgl. der Durchschnittsbildung nicht abgeschlossen sind. (*) zeigt jedoch, daß falls ^ e i n e Typ-2-Grammatik ist ( ^ heißt vom Typ i, wenn G vom Typ i ist), die Sprachen L (Q-, k, m) nicht vom Typ 2 sein müssen.
Phrasen-Struktur-Grammatiken
mit bewerteten
Ableitungen
153
Es ist offensichtlich, daß sich das obige Beispiel auf η Grammatiken verallgemeinern läßt, indem man größere Dimensionen des Bewertungsraumes verwendet. Siehe hierzu den Abschnitt 4.
3.
Einige mathematische Eigenschaften der G.i.A.
Während die bekannte Chomsky-Hierarchie der PSGen auf Einschränkungen der Regel-Form beruht, und in diesem Bereich schon seit Ende der fünfziger Jahre wesentliche Ergebnisse vorliegen (z.B. Chomsky 1959), hat sich in den letzten Jahren die Forschung auf Anwendungsbeschränkungen von Regeln verlagert. In diesem Abschnitt werden vorgestellt: (i) Grammatiken mit Kontroll-Sprache — Ginsburg/Spanier (1968) bzw. Salomaa (1969a) — bei denen durch ,Kontroll-Worte' (s.u.) gewisse Ableitungen als anwendbar bzw. möglich ,herausgefiltert' werden. (ii) time-variant-grammars — Salomaa (1969a) — bei denen in jedem Ableitungsschritt nur bestimmte Regeln angewendet werden dürfen. (iii) Geordnete Grammatiken — Fris (1968) bzw. Salomaa (1973) - bei denen zwischen den Regeln Ordnungen respektiert werden müssen. (iv) Wahrscheinlichkeitsgrammatiken — Salomaa ( 1969b) — bei denen Ableitungen eine Ableitungswahrscheinlichkeit zugeordnet werden. Es wird gezeigt werden, daß diese Grammatiken, bzw. gewisse Spezialfälle, durch G.i.A. simuliert werden können 2 4 . Definition: Sei G eine PSG. C ç P*. L C (G) : = { ßeL (G) / 3 D = (Α, π) eD(ß) : neC} heißt die von G unter Berücksichtigung der Kontrollsprache C erzeugte Sprache 25 . LQ (G) enthält also nur solche Worte ß, deren Ableitungen D = (Α, π) eine be24 Hier werden nur die simulierenden Grammatiken angegeben. Das Konzept der Konstruktionen ist intuitiv klar; exakte Beweise und weitere Eigenschaften, etwa die Beziehungen von Typ-i G.i.A. zu Typ-i-Grammatiken (bzw. - Sprachen) werden an anderer Stelle beschrieben werden. 25 Diese Definition weicht geringfügig von denen Ginsburg/Spaniers und Salomaas ab. Ginsburg/Spanier beschränken sich auf die Untersuchung von Links-Ableitungen. Salomaa läßt auch Fälle zu, in denen eine Regel unter den „Namen" Pj und pj mehrmals in Ρ auftritt; dies ist folgendermaßen zu verstehen: Die Kontrollworte werden nicht über Ρ gebildet, sondern über einer Menge Lab(P) - Salomaa (1973) - von Marken über der Regelmenge. Eine Regel kann mehrere Marken besitzen, d.h. die Markierungsabbildung von Lab(P) nach Ρ ist surjektiv, muß aber nicht injektiv sein.
154
Christopher
Habel
sondere Gestalt haben; es muß zu β ein assoziiertes Wort π geben, das in das Raster der Kontroll-Sprache C paßt. Die G.i.A. wird ohne externe Bewertungskriterien (also ohne E und H) definiert. Als Bewertungsraum verwendet man P* mit der üblichen Konkatenation. Für die Regelbewertung gelte.· φ:Ρ-»Ρ*
mit^(p) = p
Dann gilt für D = (A, P j . . . . p n ) e£(ß) : Φ (β, D) = P j Aus der Definition von L^ (G) folgt sofort: 3 D = (Α, p j . . . ρ η ) : Φ ( 0 , ϋ ) = Ρ ι
...
pn
. . . ρ η e C «=> ßeLc (G)
Der Interpretationsbereich der einzigen Interpretation g j sei { 0,1} mit der Ordnung 0 < 1.
Dann gilt : L ( $ , 1 , 0 ) = L C ( G ) Anmerkungen: (i) Da für g keine Berechenbarkeitsvoraussetzungen gemacht wer den, die Berechenbarkeit in diesem Fall von entsprechenden Eigenschaften der Kontroll-Sprache abhängt, darf man nicht erwarten, daß L {Q-, k, m) unbedingt vom Typ 0 (also aufzählbar) ist. Vergleiche hierzu entsprechende Bemerkungen zur Aufzählbarkeit von L ^ (G) bzw. den von time-variant-grammars erzeugten Sprachen bei Salomaa (1969a). (ii) Salomaa fuhrt außer den Sprachen L c (G) (ordinary interpretation of control-words) noch Sprachen L c (G, F j ) (checking interpretation) ein. Auch diese Sprachen können mit G.i.A. simuliert werden. (iii) Ableitungen, die durch Kontroll-Worte eingeschränkt werden, haben eine speziellere Gestalt als solche, die durch Regelordnungen eingeschränkt werden. Durch Kontroll-Worte kann z.B. erreicht werden, daß spezielle Regeln nur am Beginn einer Ableitung verwendet werden dürfen, etwa durch Aufteilung der Regelmenge Ρ in disjunkte Teilmengen P j und P2 und Angabe der KontrollSprache: C: = (Pj) 1 1 (P 2 )*. Definition:
Sei G eine PSG und φ eine Abbildung
φ : N-> (φ(1), . . . , φ(η)) falls 1 (Α) = η + 1 Als Bewertungsraum verwendet man M = {0, 1} mit der Verknüpfung δ (0,0) = δ (0,1) = δ (1,0) = 0 und δ (1,1) = l 2 6 . Für die Bewertung gelte: φ : Ρ χ E ->— M
* eine partielle Ordnung der Regelmenge P. (G, > ) heißt dann geordnete Grammatik. Die durch (G, > ) erzeugte Sprache wird definiert durch ße L (G, > ) : «=*· [ 3 D = (aQ a n , p{ . . . p n ) e£>(fl) und für i = 0, . . . n-1 gilt: ρ > pj + j => ρ ist nicht auf a j anwendbar.] Eine Regel pj darf also nur dann angewendet werden, wenn keine Regel ρ > p¡ anwendbar ist. (Ein Beispiel für geordnete Grammatiken findet man in Salomaa 1973.) Bei der Simulation durch eine G.i.A. müssen E und Η die Anwendungsbe26 Dieses Monoid heißt ab jetzt Fehlermonoid. Durch die Verknüpfung δ wird erreicht, daß eine Fehlermarkierung in der Bewertung nicht mehr gelöscht wird. Die Menge der fehlerfreien Sätze ist dann als Teilsprache bzgl. dieses Monoids darstellbar. 27 φ ist hier als partielle Abbildung definiert, nämlich nur auf dem Definitionsbereich Ρ χ ψ (1Ν) C Ρ χ E. Dies ist ohne Komplikationen möglich, da Η entsprechende Eigenschaften besitzt.
Christopher Habel
156
dingungen fur ρ innerhalb der Ableitung darstellen. Zu jedem ρ e Ρ wird die Menge der Regeln definiert, die vor ρ angewendet werden müssen: R (p) : = { p ' / p ' > p}· R (p) ist eventuell leer, da > nur partielle Ordnung ist. Das Bewertungskriterium ist in diesem Fall der jeweilige Stand der Ableitung. Man wählt deshalb: E : = V*
, mit V = V N U V T
und als Zulassungsvorschrift: ^ nUe IN E "
mit
" ( % · ·
a
n ' *) = ( 0 (η heißt cut-point « Stichpunkt), so wird durch (G, δ, χ ) L m (G, r?) : = { ße L (G) / 3 D = (Α, π) e£>(0) : φ (π) > τ?} unter Maximal-Interpretation und L S (G,T?) : = { 0 e L ( G ) /
Σ
φ (π)
(Α, π)
>τ?}
eD(ß)
unter Summations-Interpretation generiert. L m umfaßt solche Worte, die eine hinreichend große Ableitungswahrscheinlichkeit für mindestens eine Ableitung besitzen; L s zusätzlich (bei gleichem η) auch solche Worte, bei denen zwar keine Ableitung hinreichend große Ableitungswahrscheinlichkeit besitzt, aber mehrere Ableitungen des gleichen Wortes gemeinsam den cut-point überschreiten. Die externen Kriterien bei der Simulation durch G.i.A sind die unmittelbar vorher angewendeten Regeln. Ρ wurde durch I = {1, . . . , k } indiziert, sei nun E : = I : = ( θ , 1, . . . , k}. Ist D = (A, q^ . . . q n ) e· IR+ ([«Ii
^(Pj.j) : = I l [x(Pj)li
j = 0
j^o
leistet das gleiche wie die Abbildung ψ der obigen Definition. Mit der Interpretation id :IR + lR + und der Ordnung die durch a ^ b : b < a 3 0 definiert ist, gilt dann: L«2U,Ti) = Lm(G,iî) 30 Für D = (Α, π) e£>(ß) gilt: ψ (π) = Φ (β, D) Aus Ψ (π) > η f o l g t dann: Φ(β, D) = Φ (Ή)-i. η Relation > (größer als).
und umgekehrt.
ist natürlich die
158
Christopher
Habel
Andere Grammatiken, die Anwendungswahrscheinlichkeiten von Regeln berücksichtigen — Suppes (1970), Cedergren/Sankoff (1974) —, werden im nächsten Abschnitt unter linguistischen Gesichtspunkten behandelt werden.
4.
Anwendungsbeispiele der Linguistik
Nachdem im vorigen Abschnitt mathematische Anwendungen der G.i.A. aufgeführt wurden 3 1 , wird hier an einigen einfachen Beispielen gezeigt werden, welche Möglichkeiten eine G.i.A. flir die Sprachwissenschaft bietet. In diesen Beispielen wurde bewußt auf eine volle Spezifizierung der Grammatik (G, φ, H, R j ) in allen Komponenten verzichtet, um an den wesentlichen Punkten das Prinzip der Ableitungsbewertung zu erläutern; d.h. es werden nur die Bewertungsbereiche, externen Kriterien und Interpretationen, die wirklich benötigt werden, definiert.
4.1
Grammatikalität
und
Akzeptabilität
Der Lakoffsche (1970) Vorschlag, die Anzahl der Regelverletzungen als Grammatikalität zu verwenden, muß zurückgewiesen werden, da erstens nicht alle Regelverletzungen .gleich schwerwiegend' sind, und da zum anderen eine wiederholte Abweichung bezüglich der gleichen Regel bestimmt anders bewertet wird, als jeweils einmalige Abweichung bei verschiedenen Regeln. Zusätzlich existiert häufig ein ,Schwellenwert', d.h. eine Anzahl von Abweichungen bis zu der keine negative Bewertung vorgenommen wird. Marks (1968) beschreibt eine Testreihe, bei der Informanten Sätze mit Selbst-Einbettungen mit Grammatikalitäts- bzw. Ungrammatikalitätsgraden 32 bewerten sollen. Bezeichnet E die Anzahl der Einbettungen und U (E) den Ungrammatikalitätsgrad eines Satzes mit E Einbettungen, so ermittelte Marks in verschiedenen Testreihen Bewertungen der Form: U (E) = a (E-s) b 31 Auch die mathematischen Anwendungsbeispiele lassen leicht ihre Bedeutung für die Linguistik erkennen. Die Simulation geordneter Grammatiken durch G.Ì.A. könnte, nachdem der Streit 'intrinsic vs. extrinsic ordered rules' beendet ist, von Bedeutung werden. 32 Man wird dies im Chomskyschen Sprachgebrauch eher als Akzeptabilitätsgrad bezeichnen. Ich ziehe dieses Beispiel einem reinen Grammatikalitätsbeispiel vor, da es sich um eine in der Fachliteratur bekannte, statistisch ausgewertete Untersuchung handelt.
Phrasen-Struktur-Grammatiken
mit bewerteten
Ableitungen
159
Der Schwellenwert s liegt bei etwa 1,5, wobei dieser Wert die Tatsache ausdrückt, daß E = 1 fast immer als grammatisch, E = 2 stets als ungrammatisch bewertet wurde, a und b sind Konstanten, die eine Normierung von U durchführen. Die von Marks in drei Testreihen ermittelten Werte sind: a b
7.8 0.26
9.1 0.27
5.9 0.30
Bisher wurde zwar nur die Theorie der Ableitungsbewertungen bei PSGen dargestellt, TGen lassen sich aber analog behandeln. Ist Tg eine Einbettungstransformation, so wird durch φ (Tg) = 1 und φ (Τ) = 0 für alle Transformationen Τ Φ Tg der Bewertungsbereich INQ (mit Addition) ein ,Einbettungszähler'. Die Ungrammatikalitätsbewertung U bei Marks wird in einer G.i.A. durch die Interpretation u : N0
R+ I 0
E = 0,1
{ a (E-1.5)
E> 2
U(E) =
dargestellt. (Anm.: Für E > 2 gilt: E - 1.5 > 0; folglich ist U wohldefiniert für beliebige b > 0) Wenn man weitere komplexe Transformationen, wie Verkettungen oder ähnliches, zusätzlich betrachtet, muß man weitere ,Zähler-Bereiche' einführen und eine neue Interpretation definieren, um eine ,Gesamt-Ungrammatikalität' zu erhalten. Diese könnten folgende Gestalt besitzen:
u(Ej, . . . , E n ) =
Σ
a¡ (E i - s ^ ^
u(Elt ...,En)=
ρ
a ^ - s ; )
oder
E >s
i
b
i
i
Eine empirische Untersuchung dieser Vorschläge steht noch aus. Grammatikalitätsgrade werden sich ähnlich wie im obigen Beispiel, welches aus dem Grenzgebiet zwischen Akzeptabilität und Grammatikalität stammt, aus zahlreichen Faktoren (= Grammatikalitätsdimensionen) unter Berücksichtigung verschiedener Gewichte berechnen lassen.
160 4.2
Christopher Habel
,Status-Beziehungen ' des Javanischen
Dieses Beispiel basiert auf der Analyse javanischer Sprachebenen durch C. Geertz (1960). Der Beispielsatz: „Are you going to eat rice and cassava now?" (cassava = Maniok) besitzt sechs Realisationen in verschiedenen Sprachebenen, die durch die sozialen Beziehungen zwischen Sprecher und Hörer bestimmt sind. Die englischen Vokabeln werden hier als Non-Terminals der Grammatik verwendet. Die Javanischen Entsprechungen sind (bei der niedrigsten Form beginnend; wobei niedrig die Statusebene bezeichnet): Tabelle 1 are you going to eat rice and cassava now
(1) (1) (1) (1)
apa kowé arep mangan (a) sega (a) lan
(1) saiki
napa (3) sampéjan (3) adjeng (3) neda (3) (b) sekul (b) kalijan (A) kaspé (2) saniki (3) (2) (2) (2) (2)
menapa pandjenengan badé dahar
samenika
Die sechs Sprachebenen fuhren zu folgenden Realisierungen des Beispielsatzes:
Tabelle 2 Sprachebene 3a 3 2 lb la 1
Are
you
going
3 3 2 1 1 1
3 2 2 3 2 1
3 3 2 1 1 1
to eat rice 3 2 2 3 2 1
b b b a a a
and b b a a a a
cassava now? A A A A A A
3 3 2 1 1 1
Diese Tabelle ist so zu interpretieren, daß 3a der Satz: „Menapa pandjenengan badé dahar sekul kalijan kaspé samenika?" und 1 der Satz: „Apa kowé arep mangan sega lan kaspé saiki?" entspricht.
Phrasen-Struktur-Grammatiken mit bewerteten Ableitungen
161
Der .soziale Kontext' dieser Sätze — überhaupt das System der Sprachebenen des Javanischen — wird in der Arbeit von C. Geertz (1960; pp 248 60) ausführlich behandelt. Im folgenden wird eine .Transformationsgrammatik' entwickelt, die den Beispielsatz generiert. Es handelt sich um eine höchst inadäquate Beschreibung — selbst eines kleinen Ausschnittes — des Javanischen; wahrscheinlich werden auch ungrammatische Sätze durch diese ,TG' erzeugt werden ; das Beispiel wird aber durchgeführt, um einige interessante Aspekte der Ableitungsbewertungen zu erläutern. Basiskomponente: S
-»·
$ + Q + S' + $ ( NP + VP
S' NP + VP + Adv you NP Ν + and + Ν are + going + S' VP to eat + NP rice Ν 1 cassava Adv
->
now
Die englischen Worte „you" usw. sind als Non-Terminals aufzufassen ; die lexikalischen Regeln werden erst später aufgeführt. Man erzeugt mit diesen Regeln u.a. folgenden nicht-terminalen Baum: Fig. (1). Wenn die lexikalischen Einsetzungen vorgenommen werden, so ist darauf zu achten, daß keine .pragmatischen Kategorienverfehlungen' auftreten, daß also die Belegung mit lexikalischen Elementen konsistent sein muß ; d.h. zum Beispiel, daß nicht in der gleichen Ableitung „you -> ko wé" und „now samenika" angewendet werden (siehe hierzu Tab. 2) 3 3 . Da nicht nur die Konsistenz der 33 Ähnliche Probleme führten zu Chomskys Subkategorisierungsregeln.
162
Christopher Habel
Fig.(l):
you NP you
vp
to eat
NP Ν
Ν rice
and
cassava
Belegung geprüft werden soll, sondern die passende ,Status-Ebene' in einer Komponente der Ausgabe erscheinen soll, werden die lexikalischen Regeln mit Bewertungen versehen (siehe hierzu: Tabelle 3). Diese Tabelle 34 ist folgendermaßen zu interpretieren: Als Bewertungsbereiche verwendet man das Fehlermonoid = { 0,1} , der Bewertungsraum ist dann: M : = i= 1, X 6 Mj- Die Komponenten von M repräsentieren die Sprachebenen des Javanischen: Mj 'v Ebene 1 bis Μ^ λ, Ebene 3a. Die Bewertung 1 bedeutet „verwendbar in der Ebene Mj", die Bewertung 0 „nicht-verwendbar". Mit der auf M erweiterten Verknüpfung ergibt sich, daß eine konsistente Belegung zu einer Bewertung führt, die in genau einer Komponente — nämlich der zur Status-Ebene gehörigen — ungleich 0 ist; jede Inkonsistenz, d.h. jede pragmatische Kategorienverfehlung' bzgl. einer Ebene führt zur Bewertung 0 in der entsprechenden Komponente. (Man betrachte etwa das oben aufgeführte Beispiel: you -> kowé und now ->• samenika). Damit die Beschreibung der Bewertung vollständig ist, damit überhaupt die Bewertung terminaler Ketten möglich ist, müssen auch die schon früher aufgeführten nicht-lexikalischen Regeln der Basis bewertet werden; dies geschieht mitip(p): = ( 1 , 1, 1, 1, 1, 1), da diese Regeln bzgl. der Status-Ebene nicht spezifiziert sind. Um den Beispielsatz zu erhalten, müssen nach (korrekter) Anwendung lexikalischer Regeln zwei Transformationen durchgeführt werden. Sie werden hier 34 Tabelle 3 zeigt Ähnlichkeit zu DeCampschen 'implicational-scales.'
Phrasen-Struktur-Grammatiken
mit bewerteten
163
Ableitungen
Tabelle 3:
are
-
apa napa menapa
1 0 0
1 0 0
v(p) 1 0 0 1 0 0
0 0 1
0 0 1
kowé sampéjan pandjenengan
1 0 0
0 1 0
0 0 1
0 1 0
0 1 0
0 0 1
arep adjeng badé
1 0 0
1 0 0
1 0 0
0 1 0
0 0 1
0 0 1
mangan neda dahar
1 0 0
0 1 0
0 0 1
0 1 0
0 1 0
0 0 1
/
sega sekul
1 0
1 0
1 0
0 1
0 1
0 1
/
lan kalijan
1 0
1 0
1 0
1 0
0 1
0 1
kaspé
1
1
1
1
1
1
saiki saniki samenika
1 0 0
1 0 0
1 0 0
0 1 0
0 0 1
0 0 1
( 1 Í
you
1 Í
going
-
to eat
-
{ í 1
rice and
"
cassava
- >
now
-
I
Í
1
informell beschrieben, eine formale Beschreibung im Sinne des Modells von Ginsburg/Partee (1969) ist leicht durchfuhrbar, hier jedoch nicht notwendig. T i n f tilgt bei identischem Subjekt die zweite Nominalphrase (man erhält also den Baum mit der Prä-Terminalkette: $ Q you are going to eat rice and cassava now $.) TQ tilgt Q und fuhrt zur richtigen, endgültigen Wortstellung. Beide Transformationen erhalten die Bewertung φ (Τ) = (1, 1, 1, 1, 1, 1) da sie von den Status-Ebenen nicht beeinflußt werden. Zusammenfassend erhält man : Bei konsistenter Belegung mit lexikalischen Elementen ergibt sich eine Bewertung mit genau einer 1, die der der Belegung entsprechenden Status-Ebene zugeordnet ist, bei inkonsistenter Belegung ergibt sich eine Bewertung ohne 1 ; Bewertungen mit mehr als einer 1 sind wegen der ,implicational-scale'-artigen Bewertung der lexikalischen Regeln (siehe . Tabelle 3) nicht möglich. Die Interpretation der Bewertung könnte zum Beispiel durch
164
Christopher Habel
g:
M ->
g (mj, . .. , m6)
{ 0,1,
...,6}
Í 0 falls alle m^ = 0 I i falls m· = 1
definiert werden. Da Bewertungen mit mehr als einer 1 nicht möglich sind (s.o.), ist g wohldefiniert. Der Fall g = 0 markiert den Sonderfall pragmatisch unkorrekter Sätze. Bewertungen von Tranformationsregeln eröffnen auch neue Möglichkeiten .Strukturbedingungen' einer Transformationsregel zu formulieren 3 5 . Für T j n f wurde in der (nicht explizit formulierten) Strukturbedingung Identität der Subjekte gefordert, im Beispielfall also: youO
=
you^.
Im Javanischen reicht diese Bedingung aber nicht aus, um die Generierung korrekter Sätze zu garantieren. Der you-Eintrag in Tabelle 3 läßt sich auch folgendermaßen formulieren: yoU| = kowé you2 = sampéjan y o u j = pandjenengan
erlaubt in Ebene 1 la, 2, 3 l b , 3a
Wenn zum Beispiel: y o u ^ = sampejan = y o u ^ , so ist es immer noch möglich, daß „you are going" in die Ebene 2 und „you to eat rice and cassava now" in die Ebene 3 einzuordnen ist. Über das Instrument der externen Bewertungskriterien ist es möglich, jeweils auch den bisherigen Stand der Bewertung zu berücksichtigen. Außerdem wäre es interessant, getrennte Bewertungen für verschiedene Teilbäume zu erhalten, etwa für die beiden von S' dominierten in Figur 1, wobei man im .größeren' Teilbaum den kleineren nicht berücksichtigen darf. Informell kann diese Bedingung durch „Teilableitungen, die bei S' beginnen, werden bis zum nächsten S' bewertet, nicht darüber hinaus" beschrieben werden. In die Strukturbedingung von T ^ f könnte dann eine Bewertung der Art „Φ ( S ^ j p = Φ ( S ' n ) ) ' zusätzlich aufgenommen werden, die inkonsistente Belegungen herausfiltern würde. Der Vorteil einer solchen Bedingung wäre, daß unkorrekte Sätze in einem sehr frühen Stadium ihrer Ableitungsgeschichte herausgefiltert würden. Dies ist im Hinblick auf eine adäquate Sprachbeschreibung wünschenswert. 35 Der folgende Absatz hat vorläufigen und informellen Charakter; eine formale Konstruktion wird nicht durchgeführt.
Phrasen-Struktur-Grammatiken
4.3
mit bewerteten
Ableitungen
165
Akzent
In den schon früher erwähnten Arbeiten von Lambert und Mitarbeitern (siehe Anm. 17) wird die Bedeutung des Akzentes (und anderer Aussprachebesonderheiten) für die Haltung des Hörers zum Sprecher nachgewiesen. Dabei muß nicht einmal der Akzent eingeordnet werden können, es reicht meist aus, daß das Vorhandensein eines Akzentes festgestellt wird, um eine (meist negative) Haltung zum Sprecher einzunehmen. Dieser Tatsache muß in der Bewertung der phonologischen Regeln Rechnung getragen werden; nicht nur der phonologische .Output' d.h. die phonologische Repräsentation eines Satzes, sondern auch die durch Besonderheiten der Aussprache bedingten sozialen Implikationen (siehe auch Labov 1966, 1972a) sind von (sozio-) linguistischer Bedeutung. (Die „spitzen Steine" als ,Hannover-Marker' zu formalisieren, wäre zwar möglich, ob auch von linguistischem Interesse, ist noch fraglich; dieses Beispiel soll nur zeigen, daß man natürlich sehr darauf achten muß, nicht jede Variation durch Bewertung herausfiltern zu wollen ; eine solche Einstellung zur Sprachbeschreibung und Untersuchung birgt die Gefahr, Sprache als Menge von Ideolekten aufzufassen.)
4.4
Grammatiken-Familien
Ein Ansatz zur Lösung des Inhomogenitätsproblems — sowohl in synchroner, als auch in diachroner Sicht — stellt die Theorie der Grammatiken-Familien bei Kanngießer (1972a, 1973) dar. Das im zweiten Abschnitt durchgeführte Beispiel, erweitert auf η Grammatiken, zeigt, wie durch eine Markierung der Regeln eine G.i.A.Çdefiniert werden kann, so daß L (Q, i) = L (G^) gilt. Die Grammatik ty entspricht in ihrer .generativen Kapazität' einer GrammatikenFamilie (GJ)Jej bei Kanngießer. Sprachpotential (=UL (Gj)) und Sprachstandard (= Π L (Gj)) können dann durch gewisse L {(£, k, m) dargestellt werden (siehe Abschnitt 2). Sprachpotential und Sprachstandard sind — in Kanngießer (1972a, p. 87) eingeführte — Satzaggregate ;es handelt sich nicht um Sprachen, die durch eine der Gj erzeugt werden können. Daß also gewisse L ( φ , k, m) Satzaggregate und nicht Sprachen sind, ist nicht verwunderlich, da Oj- mit der durch die Bewertung gegebenen Binnenstruktur Urbild einer ,homomorphen Darstellung' 36 der Familie (Gj)· ist, wobei die Struktur der Grammatiken-Familie durch , Verwandtschaftsbeziehungen' gegeben ist. (Da Grammatiken-Fa36 Die Darstellung Ç -*• (G.). ist vermutlich nicht isomorph, da die Binnenstruktur von Of.feiner' zu sein scheint, als die der Grammatikfamilie.
Christopher Habel
166
milien Satzaggregate spezifizieren, geschieht dies auch durch G.i. A) Eine einfache Beziehung zwischen Grammatiken ist z.B. die Gemeinsamkeit gewisser Regeln; bei G.i.A. wird eine solche Gemeinsamkeit durch gleiche Bewertung der Regel in verschiedenen Bewertungsbereichen (Markierungen der Teilgrammatiken) ausgedrückt. (Siehe hierzu die Definition von φ im Beispiel des 2. Abschnitts.) Ein wesentliches Problem der Kanngießerschen Theorie ist die Zerlegung der Sprachgemeinschaft in Sprecher-Hörer-Gruppen gleicher Kompetenz, d.h. in Gruppen, die eine Grammatik G· der Grammatiken-Familie (G-)j repräsentieren. In Kanngießer 1973 (p. 18) wird nicht mehr die Aufgliederung in S-HGruppen gleicher Kompetenzen, sondern solche „bloß geringfügig von einander abweichender" Kompetenzen vorgenommen. Die Darstellung von Grammatiken-Familien durch G.i.A. wird nicht für die gesamte Grammatiken-Familie vorgeschlagen, sondern fur Teilfamilien, die aus Grammatiken ähnlicher Kompetenzen bestehen. (Weiteres siehe im Punkt vi dieses Abschnitts und im Abschnitt 6.) Für die Adäquatheit der Theorie der Grammatiken-Familie spricht unter anderem, daß innerhalb eines solchen Koexistenzmodells die Erweiterung von Grammatiken exakt zu beschreiben und untersuchen ist (Kanngießer 1973; pp. 46—53). Extensionen einer Grammatik werden sich bei einer G.i.A. zum Teil als,Uminterpretierung' bzw. .Umbewertung' auswirken. Dies ist im Hinblick auf die Sprachwirklichkeit eine begründete Annahme; siehe hierzu Labov (1963, 1966).
4.5
Variab le R egeln
Das Konzept der variablen Regeln, das im wesentlichen durch Labov (1969, 1972a, b) 37 entwickelt wurde, und deren formale Ausarbeitung in Cedergren/ Sankoff (1974) vorliegt, basiert auf der Annahme, daß es Regeln der Grammatik gibt, die weder obligatorisch noch rein optional sind, sondern die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angewendet werden. (Ein mathematisches Modell, das'teilweise ähnliche Züge aufweist, die Wahrscheinlichkeitsgrammatiken Salomaas, wurde im 3. Abschnitt vorgestellt.) Suppes (1970) weist Regeln einer Grammatik Anwendungswahrscheinlichkeiten (im folgenden: AW) zu, ohne daß diese von weiteren Einflüssen (s.u.) abhängig sind. Die einzige Bedingung an die AWen ist, daß die Summe der 37 In diesen Arbeiten am weitesten ausgebaut, aber schon früher, z.B. in Weinreich/ Labov/Herzog (1968), vorgestellt.
Phrasen-Struktur-Grammatiken
mit bewerteten
Ableitungen
167
Wahrscheinlichkeiten aller Regeln mit der gleichen linken Seite 1 ist; das bedeutet gerade, daß mit Sicherheit eine der Regeln angewendet wird. Suppes berechnet aus den AWen die Auftretenswahrscheinlichkeit für gewisse grammatikalische Typen, etwa für Sätze des Schemas „Adj + Ν + V*. Da diese Grammatiken Voraussagen über Häufigkeiten gewisser Äußerungstypen machen, stellen sie einen Übergang zu einer Performanztheorie dar; in diesem Sinne sieht Suppes (1973) seinen Ansatz. Variable Regeln sind hingegen Regeln, die der Kompetenz eines Sprechers zuzurechnen sind (Cedergren/Sankoff 1974; pp. 335, 342—3). Variable Bedingungen (constraints) und die assoziierten Wahrscheinlichkeiten (genaueres siehe unten) spiegeln die Kenntnisse des Mitgliedes einer Sprachgemeinschaft über Tendenzen innerhalb dieser Gemeinschaft wider; diese Kenntnis muß nicht abfragbar sein, d.h. der Sprecher-Hörer ist sich dieser Kenntnis nicht unbedingt bewußt. Die Argumentation von Cedergren/Sankoff (siehe dort oder Labov 1972a; p. 95) beruht auf dem Unterschied Wahrscheinlichkeit-Häufigkeit. Häufigkeiten sind Zufallsvariablen, die nicht mit vollständiger Genauigkeit angegeben werden können; sie gehören in den Bereich der Performanz. Wahrscheinlichkeiten dagegen sind präzise, fest bestimmte Größen, die zur Kompetenz zu rechnen sind. Variable Regeln der Performanz zuzurechnen, beruht auf dem Mißverständnis, die AWen für Anwendungs-Häufigkeiten zu halten 3 8 . Der wesentliche Unterschied zwischen den performanz-orientierten AWen bei Suppes und den kompetenzorientierten bei Labovs variablen Regeln ist, daß bei Labov die .Umgebung' (intra- und extralinguistische Bedingungen) die AWen beeinflußt 3 9 . Hierzu ein Beispiel (siehe Labov 1972b; pp. 112—8); Im Englischen werden häufig -t u n d -d am Wortende getilgt, wenn kein Vokal folgt. Die entsprechende Tilgungsregel lautet: [-cont] ->· / [+cons]
##-vV
Die spitzen Klammern < > kennzeichnen, daß es sich hierbei um eine variable Regel handelt, daß also die Tilgung nicht bei vorliegender Umgebungsbedin38 Dieses Mißverständnis drängt sich demjenigen, der keine genauen Kenntnisse der (philosophischen) Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik besitzt, dadurch auf, daß ein Teilgebiet der Statistik darin besteht, Wahrscheinlichkeiten zu ermitteln, d.h. einen Bereich zu umreißen, in dem die ,exakte Wahrscheinlichkeit' liegen wird. Auch Cedergren/Sankoff geben ein Verfahren an, wie man aus Testreihen die Anwendungswahrscheinlichkeiten .berechnen' kann. 39 Eine Verallgemeinerung der Labovschen variablen Regeln wird von Klein (1974) vorgenommen; bei Klein werden nicht nur Regeln, sondern Regelketten (d.h. Ableitungen) Awen zugeordnet. Siehe hierzu auch Habel (1976a).
168
Christopher Habel
gung durchgeführt werden muß. Da es aber auch Fälle gibt, bei denen vor Vokalen getilgt wird (z.B. j u s t a minute"), kann man nicht sagen, daß die .Umgebung' ' ν V Bedingung für die Anwendung der Regel ist, sondern, daß ' ν V die Anwendung .favorisiert', d.h. die AW erhöht; dies wird ebenfalls durch < > gekennzeichnet, es ergibt sich: [-cont]
/ [+cons]
# #
(Bei Labov wird dieses Beispiel noch weiter ausgeführt.) Da es häufig nicht nur ein die AW erhöhendes (favorisierendes) Feature, sondern mehrere, zum anderen aber auch .hemmende' Features gibt, ergibt sich die allgemeine Form variabler Regeln:
(nach Cedergren/Sankoff 1974;p. 340) Mit den variablen Bedingungen sind AWen assoziiert; der Wert der AWen gibt an, wie stark die Regelanwendung gehemmt oder favorisiert wird. Bei den variablen Bedingungen für die Anwendung handelt es sich nicht nur um linguistische, sondern auch um extralinguistische Bedingungen, wie Alter, Geschlecht, soziale Schicht etc. Labov ( 1972b) weist auf die unterschiedliche Tilgung im nonstandard Negro vernacular' (NNV) und im .standard American English' (SAE) hin, die auf unterschiedliche AWen bzgl. der nichtlinguistischen Bedingungen zurückführbar ist; außerdem ist auch bei verschiedenen Altersgruppen eine unterschiedliche Tilgungshäufigkeit 40 zu beobachten, ein Indiz dafür, daß ,Alter' eine variable Bedingung der Tilgungsregel ist. Das Konzept der variablen Regeln läßt sich auf verschiedene Arten durch eine G.i.A. darstellen: (i) Jeder variablen Bedingung entspricht ein Bewertungsbereich. (Cedergren/ Sankoff haben darauf hingewiesen, daß nur Grammatiken mit einer recht begrenzten Anzahl variabler Bedingungen Aussagekraft besitzen ; bei einer zu großen, ausufernden Menge variabler Bedingungen läuft man Gefahr, eine Sprache als Sammlung von Ideolekten zu beschreiben.) Ist q· die AW, die 40 Es muß hier noch einmal darauf hingewiesen werden, daß die Häufigkeit der Tilgung die Kompetenz des Sprechers, und zwar den Sektor der Kompetenz, der die Anwendungswahrscheinlichkeit umfaßt, wiederspiegelt, nicht aber selbst zur Kompetenz zu rechnen ist.
169
Phrasen-Struktur-Grammatiken mit bewerteten Ableitungen
durch [fea Aj] bedingt ist, und p j die durch [fea Ρ·] bedingte, so läßt sich (1) durch folgende Bewertung von „X Y" darstellen: (2)
φ:
(X^Y)^(qvq2,
.. .,pvp2, . .. )
Eine Bewertung der Ableitung erfolgt auf die übliche Weise, es ist jedoch darauf zu achten, daß Regeln, die von der entsprechenden variablen Bedingung unabhängig sind, eine neutrale Bewertung (die 1 des Monoids) erhalten; wie dies genau durchzuführen ist, hängt davon ab, ob man ein additives oder ein multiplikatives, ein Anwendungs- oder ein Nicht-Anwendungs-Modell verwendet. Diese verschiedenen Ausprägungen des Modells sind bei Cedergren/Sankoff beschrieben. Für linguistische variable Bedingungen (etwa: Anwesenheit eines nachstehenden Vokals, im obigen Beispiel) ist diese Darstellungsmethode gut geeignet. (ii) Für viele extralinguistische variable Bedingungen scheint es günstiger zu sein, besonders im Hinblick auf eine adäquate Theorie des Sprachwandels, die AWen über externe Bewertungskriterien einzugehen. Seien mit NNV bzw. SAE die beiden schon früher erwähnten ,Sprach-Stile' (oder ,Sprach-Ausprägungen') des Englischen gemeint; man kann diese Abkürzungen auch als Bezeichnungen variabler Bedingungen auffassen. Sei nun E: = {NNV, SAE } , so ist eine Bewertung i¿>:PxE-»M möglich, die (2) ausweitend folgende Gestalt haben würde: ( X - Y , N N V ) - (
q i
N N V
NNV
_
N W
}
(3) φ: (X - Y, SAE) - ( q j S A E , q 2 S A E , . . . , P l S A E ,
...)
Für einen Sprecher des NNV wird die Zulassungsvorschrift H normalerweise eine Sequenz (NNV, N N V , . . . ) bereitstellen, analog für SAE. Das bedeutet, daß sich die Grammatiken eines NNV- und eines SAE-Sprechers im wesentlichen 4 1 durch verschiedene Zulassungsvorschriften H unterscheiden. Variable Regeln als bewertete Regeln aufzufassen, ist nicht der Versuch einen Formalismus durch einen anderen darzustellen ; es handelt sich hierbei 41 Man wird vermutlich auch Fälle gemischter Zulassungsvorschriften beachten müssen, dann z.B., wenn ein SAE-Sprecher eine NNV-Äußerung einbettet und in ähnlichen Fällen. Dies sind jedoch Probleme die eher im Rahmen von Untersuchungen zur linguistischen Toleranz (Kanngießer 1972a, Finke 1975) behandelt werden sollten.
170
Christopher Habel
vielmehr darum, daß variable Regeln bewertete Regeln sind. Die AWen sind nach Cedergren/Sankoff (p. 335) die relativen Gewichte (und das heißt mathematisch: Bewertungen) der Regelanwendbarkeit. Anders ausgedrückt: Die Kenntnis des Sprecher-Hörers über Tendenzen innerhalb der Sprachgemeinschaft ist isomorph zu einer Bewertung der Anwendbarkeit. Die Simulation variabler Regeln durch bewertete Regeln ist also keine Frage der Darstellbarkeit, sondern eine Frage der adäquaten Interpretation eines empirisch nachgewiesenen Faktums.
4.6
,Kanngießer
vi Labov'
oder,Kanngießer
und
Labov'?
Quasthoff (1975) faßt zu Unrecht die von Kanngießer und Labov vorgeschlagenen Modelle der Grammatiken-Familien bzw. der variablen Regeln als konkurrierende, nicht miteinander zu vereinbarende Ansätze auf. Es handelt sich jedoch um zwei sich ergänzende Ansätze, deren Symbiose ein adäquateres Modell ergibt. Kanngießer hat bisher keine Angaben darüber gemacht, von welcher Art die Grammatiken der Grammatiken-Familie sein müssen ; er weist vielmehr darauf hin (1973; pp. 51—52), daß das Koexistenzmodell nicht auf spezielle Grammatiksorten beschränkt ist. Da variable Regeln in vielen Punkten sich als die beste Lösung linguistischer Probleme erwiesen haben 4 2 , schlage ich vor, als Grammatiken der Grammatiken-Familie solche mit variablen Regeln zu verwenden, und zwar in der Darstellung als G.i. A. ; hierdurch werden, wie schon in 4.4 gesagt, Gruppen ähnlicher Kompetenzen zusammengefaßt. Die Synthese beider Ansätze erlaubt somit eine zweidimensionale Beschreibung sprachlicher Variationen; die der ,intra-speaker' Variationen innerhalb der Grammatiken durch variable Regeln, die der ,inter-speaker' Variation innerhalb des Grammatiken-Systems durch die Beziehungen zwischen den Grammatiken. (Hierbei ist zu bedenken, daß DeCamps Dichotomie ,inter'-,intra' vermutlich eher durch ein Kontinuum zwischen diesen Polen ersetzt werden muß.)
42 Wenn hier von .variablen Regeln' (oder vom .Konzept variabler Regeln') die Rede ist, so ist stets ein Konzept gemeint, welches variable Regeln zuläßt, nicht ein solches, welches nur variable Regeln verwendet. Da jede obligatorische und jede optionale Regel als variable Regel mit spezieller Wahrscheinlichkeit (p = 1 bzgl. einer, dann nicht mehr variablen Bedingung bzw. Gleichverteilung) darstellbar sind, wäre eine Grammatik mit ausschließlich variablen Regeln möglich, aber umständlich.
Phrasen-Struktur-Grammatiken
5.
mit bewerteten
Ableitungen
171
Transformationsgrammatiken mit bewerteten Ableitungen 43
Bekannterweise kann man die syntaktische Komponente einer Transformationsgrammatik in Basis- und Transformationsteil aufgliedern (Chomsky 1965, 1968). Auf dieser Zweiteilung bauen auch Ginsburg/Partee (1969) und Peters/ Ritchie (1973) ihre mathematischen Modelle der TG auf. Beide Autorengruppen verwendeten als Eingang in die Transformationskomponente Bäume 4 4 , sind in diesem Punkt also ähnlich. Welche Auswirkungen auf die generative Kapazität einer TG hat die Verwendung einer G.i.A. in der Basis? Welche Sprachen können von einer G.i.A. erzeugt werden? Welche Bäume (also Strukturbeschreibungen) generiert eine G.i.A.? Diese drei Fragen von großem theoretischen Interesse können hier nicht beantwortet werden; ich werde jedoch hier einige wichtige Punkte aus diesem Problemkreis zusammentragen 4 5 . Die generative Kapazität der G.i.A. ist bisher nicht eingehend untersucht worden. Da weder über ψ, die Bewertung, noch über die Bewertungsinterpretationen gj allgemeine oder einschränkende Aussagen gemacht werden, ist es klar, daß die Kapazität der Grammatik wesentlich von der Wahl von φ und g^ beeinflußt wird. Bei nicht-rekursiven bzw. nicht-berechenbaren φ oder g^ wird man keine großen Erwartungen bzgl. der Aufzählbarkeit oder Entscheidbarkeit der Sprachen L (Q·, k, m) hegen dürfen. Einige Aussagen über die generative Kapazität der im 3. Abschnitt eingeführten Grammatiken mit beschränkter Regelanwendung findet man in Ginsburg/Spanier (1968), Salomaa (1970) und Mayer (1972). Da die dort untersuchten Grammatiken, wie im 3. Abschnitt gezeigt wurde, von G.i.A. simuliert werden könnnen, sind die Ergebnisse auch für G.i.A. von Interesse. Hier sollen nur die Resultate aus Salomaa ( 1970) — man findet sie zum Teil auch in Salo43 Dieser Aufsatz soll - wie schon früher gesagt wurde - keine „Theorie der TG mit bewerteten Ableitungen" sondern das Konzept bewerteter Ableitungen und Möglichkeiten linguistischer Anwendungen, vorstellen. Deswegen wird in diesem Abschnitt darauf verzichtet, den Formalismus der Bewertung auf Transformationsgrammatiken zu übertragen; dies erfolgt in: Habel (ms). 44 Peters/Ritchie verwenden 'labeled bracketings'; vollständige Äquivalenz zwischen 'labeled bracketings' und Ableitungsbäumen besteht nicht (Wunderlich 1974; p. 373). 45 Siehe hierzu: Putnam (1961), Peters/Ritchie ( 1 9 7 3 ) und Chomsky (1965; p. 31). Man kann verallgemeinern, daß sämtliche Kompetenzen (etwa: kommunikative u.a.) die Fähigkeiten des Mitgliedes einer Sprachgemeinschaft, Entscheidungen zu treffen, widerspiegelt, etwa welcher Sprach-Stil bei gegebener Sprech-Situation anwendbar ist (Hymes 1971). Nicht nur Ideolekte (bzw. die Sprache des 'ideal speaker-listener's) sind entscheidbar, sondern auch inhomogene Sprachgebilde, etwa im Sinne der Kanngießerschen Sprachsysteme.
172
Christopher Habel
maa (1973) - ausführlicher diskutiert werden;man bedenke, daß Grammatiken mit Kontroll-Sprache und die sie simulierende G.i.A. — auf Grund der in 3. durchgeführten Konstruktion vom gleichen Typ (innerhalb der ChomskyHierarchie) sind. Bezeichnet«i?(i) die Familie der Typ-i-Sprachen (i = o, . . . , 3) und £ die Menge der entscheidbaren Sprachen, so gilt: JE (3) $ JE (2) § JC(1) g € J JC (0) (siehe etwa: Maurer 1969, Salomaa 1973) Bezeichnet man mit £ (i, j) die Familie der Sprachen LQ (G), wobei G vom Typ i und C vom Typ j sind, so gilt (Ausschnitt einer Tabelle aus Salomaa 1970): I=Z(i,j)
i 0 1 2 3
2
3
0
1
£ = £ (0) £ = £ (0) X = X (0) £ = £ (0)
t = £ (0) X = £ (0) X = £ (0)
£ = £(0) t=£(0) X (1)C X c € £(2)C£ £(2)Cf
£ = £ (0)
£ =
£(2)
X=
X(3)
Die linguistische Bedeutung dieser Ergebnisse liegt darin, daß (etwa durch £ (2,1) = £ (0)) auch Worten aus Typ-O-Sprachen Phrasemarker zugeordnet werden können. Wegen €c £ (0) gilt dies insbesondere für alle entscheidbaren Sprachen, so daß auch diese als Basis einer TG zur Verfugung stehen. Da alle wesentlichen Einschränkungen der generativen „Über-Kapazität" (s.u.) durch Bedingungen, die an die Transformationskomponente gestellt werden, zu erreichen sind (siehe hierzu Peters/Ritchie 1971, 1973), sollte man auch die entscheidbaren Sprachen als Basis einer TG nicht ausschließen; der Wunsch nach einer einfachen Basis ist zwar berechtigt, ob aber auch erfüllbar, muß noch untersucht werden. Für beide mathematischen Modelle der TG wurde durch Peters/Ritchie (1971, 1973) bzw. Ginsburg/Partee und Salomaa (1971) gezeigt, daß jede rekursiv aufzählbare Sprache - also jede Typ-O-Sprache - von Transformationsgrammatiken mit kontextfreier Basis erzeugt werden kann. Wenn natürliche Sprachen entscheidbar sind - diese Ansicht wird zwar nicht allgmein gebilligt; sie findet z.B. in der Fähigkeit der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft über Grammatikalität und Bedeutung einer Wortkette „Entscheidungen treffen zu
Phrasen-Struktur-Grammatiken
mit bewerteten
Ableitungen
173
können" Ausdruck 45 —, sollte der Transformationsteil einer TG so eingeschränkt werden, daß unter diesen einschränkenden Nebenbedingungen die TG nur entscheidbare Sprachen erzeugen kann. In den Arbeiten von Peters/ Ritchie (siehe dort) erfüllen Einschränkungen an den Transformationszyklus diese Aufgabe. Es ist zu erwarten, daß Bewertungen von Transformationsregeln ähnliche Möglichkeiten eröffnen.
6.
Zusammenfassung und Ausblick
Motiviert durch Beispiele aus verschiedenen Bereichen der Sprachvariation ( 1. und 4. Abschnitt) wurde ein neuer Typ generativer Grammatiken in der speziellen Ausprägung der Phrasen-Struktur-Grammatik mit bewerteten Ableitungen eingeführt. Eine Verallgemeinerung bilden die b e w e r t e n d e n G r a m m a t i k e n (G, φ), wobei G eine Grammatik und φ eine Abbildung φ: L (G) -+ Β
(Β = Bewertungsraum)
sind. Dieses allgemeinere Konzept 46 ist in Habel 1977) beschrieben. Ist (G, ψ) eine bewertende Grammatik, so ist über den Typ der Grammatik G keine einschränkende Voraussetzung gemacht, außer, daß sie über Regeln verfugt und einen Ableitungsbegriff enthalten sollte (obwohl auch diese Einschränkungen nicht notwendig sind) ; es kann sich also um generative Grammatiken mit interpretativer oder generativer Semantik, aber auch um Montague-Grammatiken oder ähnliche (λ-kategoriale, natürliche generative Grammatik, etc.) handeln. Insofern ist diese Arbeit als e i η Beispiel für eine bewertende Grammatik zu werten. Die Theorie der G.i.A. ist zwar bisher noch nicht voll ausgearbeitet, es besteht jedoch Anlaß zu vermuten, daß manche der bisher nicht oder nur unbefriedigend gelösten Probleme (siehe die Abschnitte 1, 4) mit einer G.i.A. einer adäquaten Lösung näher gebracht werden können. Es handelt sich dabei zum Beispiel um Probleme der Sprachvariation (synchron und diachron), der Grammatikalität und Akzeptabilität u.a. . Abschließend soll nur noch etwas über den Anschluß einer Pragmatik gesagt werden 47 . Gewisse Komponenten (z.B. die Status-Ebenen des Javani46 Ein auf ähnlichen Prinzipien beruhendes Konzept, ähnlich da es den Begriff der Konnotation betont, und somit Bewertungen in den Vordergrund der Untersuchungen rückt, wird gegenwärtig auch von Bierwisch (1976) entwickelt; Bierwisch geht aber weiterhin von der Homogenitätsannahme aus (briefliche Mitteilung). 47 Dies ist als Anregung zur Diskussion aufzufassen.
174
Christopher Habel
sehen) der Ausgabe der Grammatik können als Eingabe in die Pragmatik fungieren. In der Gegenrichtung kann ein Einfluß der Pragmatik auf die Grammatik durch eine Steuerung der Bewertung oder der Zulassungsvorschrift erfolgen. Wird von der inneren Struktur der Grammatik und Pragmatik, da diese noch nicht hinreichend gesichert ist, abgesehen (deswegen werden G und Ρ als ,black boxes' symbolisiert), so könnte eine Sprachtheorie (G, P)^ (siehe Einleitung folgende Struktur aufweisen:
Steuerung
Literaturverzeichnis Anisfeld, E./Lambert, W.E. (1964): Evaluational Reactions of Bilingual and Monolingual Children to Spoken Languages, Journ. Abnormal and Social Psychology, vol 69, pp. 8 9 - 9 7 . Anisfeld, M./Bogo, N./Lambert, W.E. (1962): Evaluational Reactions of Accented Speech, Journ. Abnorm. Soc. Psych., vol 65, pp. 223—31. Bailey, C. (1971): Trying to Talk in the New Paradigm, Papers in Linguistics, vol 4, pp. 312-38. - (1972): The Integration of Linguistic Theory: Internal Reconstruction and the Comparative Method in Descriptive Analysis, in: Stockwell/Macauley (eds.), pp. 2 2 - 3 1 .
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Ableitungen
175
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Christopher Habel
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Phrasen-Struktur-Grammatiken mit bewerteten Ableitungen
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Helmar
Gust
Zur kategoriellen Darstellung von Grammatiken
1.
Einleitung
Eine Theorie 1 kann vereinfacht beschrieben werden durch: 1) Angabe der Objekte, über die gesprochen wird und 2) Angabe der Beziehungen dieser Objekte zueinander, wobei der wesentlichere Teil der Theorie die Beschreibung dieser Beziehung ist. Dieser Sachverhalt wird durch den Begriff der Kategorie präzisiert. Sie besteht aus einer Menge von „Objekten" u n d einer Menge von „Morphismen" zwischen diesen Objekten, die gewissen Bedingungen genügen müssen 2 . Die Kategorientheorie wurde in den 40-ger Jahren von Eilenberg und McLane zur Beschreibung der homologischen Algebra aufgestellt. Es hat sich jedoch schnell gezeigt, daß sie sich in Folge ihrer Allgemeinheit zur Formulierung aller algebraischer Theorien eignet. Seit wenigen Jahren beschäftigen sich einige Autoren auch mit ihrer Anwendung auf die Darstellung von Regelgrammatiken (auf der Basis der SemiThue-Systeme), die seit (Chomsky, 1959) in der Theorie der formalen Sprachen eine zentrale Rolle spielen (siehe z.B. (Benson, 1970) oder (Hotz, 1972)). Hingegen ist ihre Anwendung auf Transformationsgrammatiken meines Wissens noch nicht versucht worden. Der große Vorteil der Kategorientheorie, ihre Allgemeinheit, ist auch ihr größter Nachteil für ihr Verständnis, denn sie zieht ein sehr hohes Abstraktionsniveau nach sich, welches vor allem den mathematisch nicht so versierten Lesern vielleicht Schwierigkeiten bereiten wird. Aus diesem Grund war ihr An1
In diesem Rahmen sind natürlich nur in irgend einer Weise „algebraisierbare" Theorien zu behandeln. Es soll hier auch keine ausführliche Theorie über „Theorien" aufgestellt werden, sondern diese Ausführungen sind nur als einleitende Betrachtungen gedacht. 2 Zur Terminologie: Leider überschneidet sich der Gebrauch einiger kategorientheoretischer Begriffe mit ihrem Gebrauch in den Sprachwissenschaften. Wenn im Folgenden von Kategorien Funktoren u.s.w. die Rede ist, so werden damit die im Kapitel II definierten mathematischen Objekten bezeichnet.
180
Helmar Gust
Wendungsbereich auch lange Zeit (zum größten Teil leider auch heute noch) auf die reine Mathematik beschränkt. Trotz dieser Hindernisse halte ich es für sehr fruchtbar, wenn sich auch Nichtmathematiker, und hier meine ich besonders die Sprachwissenschaftler, mit dieser Theorie beschäftigen würden, denn es gibt gerade hier einige interessante Anwendungsmöglichkeiten. Die Kategorientheorie kann meines Erachtens ein formales System bereitstellen, welches einerseits reich genug ist, die in den Sprachwissenschaften vorliegenden Sachverhalte konsistent darstellen zu können, andererseits genügend klar gegliedert ist, damit diese Darstellung übersichtlich bleibt, drittens die Möglichkeit liefert diese Sachverhalte in einen größeren Rahmen einzuordnen und viertens universell genug ist um nahezu alle Ansätze zur Formalisierung dieser Sachverhalte innerhalb dieses Systems interpretieren zu können, so daß sie vergleichbar werden. Hinzu kommt noch, daß seit Ende der 60-ger Jahre, insbesondere durch Arbeiten von Lawvere und Tierney, die Kategorientheorie in der Modelltheorie Fuß gefaßt hat (Lawvere, 1975). Auch von dieser Seite sind interessante Impulse für die Sprachwissenschaften im Hinblick auf die Behandlung der Semantik zu erwarten. Geht man eine Stufe höher, und betrachtet Kategorien als „Objekte" einer Theorie, so werden die Beziehungen zwischen den Kategorien durch „Funktoren" beschrieben. Genauer: Man erhält eine Kategorie deren Objekte gewisse Kategorien und deren Morphismen Funktionen sind. Hat man also eine kategorielle Darstellung der Syntax und ebenso der Semantik einer Sprache, so wird auch hier der Zusammenhang durch Funktoren hergestellt. Anders ausgedrückt: Interpretationen, die den von der Syntax erzeugten Sätzen Bedeutungen zuweisen, werden durch Funktoren von der syntaktischen in die semantische Kategorie beschrieben. Um einen ersten Eindruck von der Vorgehensweise der Kategorientheorie zu bekommen betrachte man folgende Figur:
Es gibt mehrere Interpretationsmöglichkeiten, z.B.: 1) A und Β bezeichnen Mengen und f eine Abbildung von A nach B. 2) A und Β sind Worte über einem Alphabet und Β ist unter Anwendung der Ableitung f aus A ableitbar. Innerhalb der Kategorientheorie wird dieser Sachverhalt folgendermaßen formalisiert:
Zur kategoriellen Darstellung von
(i)
(ii) (iii)
Grammatiken
181
Die Figur stellt einen Graphen der Form
dar Dieser Graph erzeugt (oder definiert) eine Kategorie D (siehe Kapitel II. Beispiel 1). Jede Interpretation dieser Figur definiert einen Funktor F von der Kategorie D in eine andere Kategorie.
Bei der Interpretation 1) handelt es sich um die Kategorie M der Mengen (siehe Kapitel II. Beispiel 3) und F ordnet den Objekten von D (den beiden Ecken des Graphen) die Mengen A und Β zu und dem Pfeil (er ist der einzige nichttriviale Morphismus in D) die Abbildung f von A nach B. Bei der Interpretation 2) handelt es sich um die zu einem Semi-Thue-System gehörende Kategorie STS (siehe Kapitel II. Beispiel 2, Objekte sind Worte über einem Alphabet und Morphismen sind Ableitungen) und F ordnet den Objekten von D die Worte A und Β zu und dem Pfeil eine Ableitung f von A nach B. Einen solchen Funktor F nennt man auch ein Diagramm. Dies Beispiel zeigt, daß Diagramme eine adäquate Darstellungsform fur gewisse Sachverhalte in Kategorien sind. Andererseits lassen sich alle Darstellungen mit Diagrammen auf einfache Weise innerhalb der Kategorientheorie interpretieren. Dieser Aufsatz soll kurz die bisherigen Ansätze in der Theorie der formalen Sprachen skizzieren und einige Möglichkeiten der Erweiterung auf Transformationsgrammatiken aufzeigen. Ich hoffe, daß es mir gelingt, auch fur Sprachwissenschaftler einige Motivationen für die Beschäftigung mit dieser Theorie zu liefern. Aus Gründen der Verständlichkeit werde ich nicht so sehr auf mathematische Exaktheit und Vollständigkeit, sondern mehr auf anschauliche Interpretationen und Beispiele für die verwendeten Begriffe Wert legen.
2
Kategorien und Funktoren
Zur Einfuhrung in die Kategorientheorie möchte ich den interessierten Leser auf die Literatur verweisen, z.B. (Preuß, 1975), (Me Lane, 1972) oder (Schubert, 1970). Hier können nur die wichtigsten Definitionen kurz wiedergegeben werden.
182 (1)
Helmar Gust
Definition: C: = (0, M, q, z, o) heißt Kategorie, wenn folgendes gilt 0 und M sind Klassen 3 , q und ζ sind Abbildungen von der Klasse M in die Klasse 0:
(i)
q:M
0
ζ: M-»0
0 heißt „Objektmenge" von C(auch |C|), M heißt „Morphismenmenge" von C(auch Mor C), q heißt „Quellenabildung" und für feM heißt q (f) die „Quelle" von f, ζ heißt „Zielabbildung" und entsprechend ζ (f) das „Ziel" von f. (ii) (a) (b) (c) (iii) (a) (b)
o ist eine partielle Verknüpfung auf M mit den Eigenschaften : Wenn f und g Elemente von M sind, so ist f o g genau dann erklärt wenn q (f) = ζ (g) ist. q (f o g) = q (g) und ζ (f o g) = ζ (f) falls f o g erklärt ist. (f o g) o h = f o (g o h) falls die Ausdrücke erklärt sind. Zu jedem weO gibt es ein l w e M mit den Eigenschaften: q(lw) = z(lw) = w Für alle f, geM mit ζ (f) = q (g) = w gilt l w o f = f u n d g o l ^ = g. 1 heißt (die zu w gehörende) „Einheit".
Für v, we |C| bezeichne [v, w ] ^ folgende Teilmenge von Mor C: [v, w ] c : =
(feMor C
/ q (f) = ν Λ ζ (f) = w}
Die Einheiten kann man als Repräsentanten der Objekte in der Morphismenmenge interpretieren. Es wäre daher möglich eine Kategorie ohne Objekte zu definieren, man nimmt sie jedoch aus Anschauungsgründen hinzu. In diesem Aufsatz werde ich aber oft die Einheiten mit den zugehörigen Objekten identifizieren, d.h. die Objekte werden gleichzeitig als ihre Einheiten aufgefaßt. 0 ist dann eine Teilmenge von M und 1 = w.
3
Zur Verhinderung von mengentheoretischen Antinomien ist es nötig, die Kategorientheorie auf eine axiomatische Mengenlehre aufzubauen. Kategorien, bei denen M eine Menge ist (alle Mengen sind Klassen, aber nicht umgekehrt), werden oft als „klein" bezeichnet. In diesem Aufsatz sind alle Kategorien bis auf M (Beispiel 3) und eventuell S (IV (1)) klein.
Zur kategoriellen Darstellung von Grammatiken
183
(i) zeigt eine gewisse Ähnlichkeit mit der Definitori eines gerichteten Graphen. Tatsächlich kann man in natürlicher Weise zu einem gerichteten Graphen eine Kategorie konstruieren, wie das folgende Beispiel zeigt. Beispiel 1 : Es sei G : = (Ε, Κ, q, ζ) 4 folgender gerichteter Graph:
Man erhält eine Kategorie indem man setzt: (i) (ii) (iii)
IGh = E k : = reflexive transitive Hülle von Κ (Menge der Wege in G). Die Quellenabildung q und die Zielabbildung ζ sind die natürliche Erweiterung von q und ζ auf Wege in G. (iv) Die Verknüpfung o auf Κ ist das hintereinander Durchlaufen von Wegen. (v) Die Einheiten sind die Wege der Länge 0. G: = (Ε, Κ, q , z , o) ist dann eine Kategorie. Beispiel 2: Ein Semi-Thue-System über einem Alphabet V kann man als Kategorie S TS interpretieren: die Objektmenge ist V* und für Wj, W2eV* ist [Wj, V/ 2^STS die Menge der Ableitungen von Wj nach w ^ Beispiel 3: Kategorie der Mengen M : Objekte sind die Mengen und die Morphismen sind die Abbildungen. Die Verknüpfung o ist die übliche Komposition von Abbildungen.
4 Ein Graph G: = (E, K, q, z,) ist folgendermaßen definiert: E und Κ sind Mengen (Eckenmenge und Kantenmenge), q und ζ sind Abbildungen von Κ in E (Quelle und Ziel der Kanten).
Helmar Gust
184
Beispiel 4: Die Kategorie der Mengenkorrespondenzen Mk: Objekte sind die Mengen, Morphismen die 2-stelligen Relationen zwischen den Mengen und o ist die Komposition von Relationen ( f C A x B , g C B x C dann ist g o f = {(a, c) / 3 beB: (a, b) ef Λ (b, c) eg'} C A x C). (2)
Definition: Es seien C: = (0, M, q, z, o) und C'\ - ( 0 \ M', q', z \ o') zwei Kategorien mit den Eigenschaften:
(i) (ii)
O' C O und M ' C M q' = sind jeweils die Einschränkungen von q und ζ auf M'.
(iii)
o' = o|j^>
ist die Einschränkung von o auf Μ' χ M',
dann heißt C'Unterkategorie von C. Gilt sogar (iv) Für alle A, BeO, ist [A, B] c > = [A, B ] c so heißt C' volle Unterkategorie von C. Beispiele : Die von dem Graphen G': = ( E \ K', q', z') mit E = { e 2 , e 3 } , Κ' = {k2}, q' und z' die entsprechenden Einschränkungen von q und ζ auf Κ' erzeugte Kategorie ist eine Unterkategorie von G in Beispiel 1 (nicht voll, da k j o k^ nicht in G ist). Die Kategorie der Mengen M ist eine (nicht volle) Unterkategorie von Mk der Kategorie der Mengenkorrespondenzen. (3)
Definition: Seien A und Β Kategorien und F: = (F ^, F2) ein Paar von Abbildungen F j : | 4 | ->· |8| F2 • Mor A -»• Mor Β mit den Eigenschaften:
(i)
Für alle weHI güt F 2 ( l w ) = l p i ( w ) .
(ii)
Für alle f, geMor A mit q (f) = z (g) gilt F2 ( f o g ) = F 2 ( f ) o F 2 ( g ) . Dann heißt F ein (kovarianter) Funktor von A nach B.
Solange aus dem Kontext ersichtlich ist, ob F . oder
gemeint ist schreibt
Zur kategoriellen Darstellung von Grammatiken
185
man auch F (w) statt F j (w) und F (f) statt F 2 (f)· Entsprechendes gilt für die Unterscheidung der Verknüpfung o in verschiedenen Kategorien. Beispiel 5: Einen gerichteten Graphen G, dessen Ecken mit Objekten und dessen Kanten mit Morphismen einer Kategorie C bezeichnet (gelabelt) sind, nennt man ein Diagramm.
Man kann ein Diagramm als einen Funktor von der Kategorie G (siehe Beispiel 1) in die Kategorie C auffassen (jeder Ecke wird ein Objekt aus C und jedem Weg in g wird ein Morphismus in C zugeordnet). Ein Diagramm heißt kommutativ, wenn alle Wege, die gleiche Quelle und gleiches Ziel haben, auf den selben Morphismus abgebildet werden. Das obige Diagramm ist also genau dann kommutativ, wenn k = f o g o h gilt. Beispiel 6 : Ist A Unterkategorie von B, so heißt der Funktor, der jedem Objekt in A das gleiche Objekt in Β und jedem Morphismus in A den gleichen Morphismus in Β zuordnet, die Inklusion oder Einbettung (hier immer mit J bezeichnet) von A in B. (4)
Definiton: Sei C: = (0, M, q, z, o) eine Kategorie, dann heißt die Kategorie C° : = (0, M, z, q, o') mit der Eigenschaft f o' g g o f die duale Kategorie von'C.
Beispiel: Dreht man in einem gerichteten Graphen die Pfeilrichtungen alle um, so ist die von dem resultierenden Graphen erzeugte Kategorie dual zu der des ursprünglichen Graphen.
186
Helmar Gust
Einen (kovarianten) Funktor von A° in Β bezeichnet man auch als kontravarianten F u n k t o r von A in B. (5) (i) (ii) (iii) (iv)
Definition. Das Sechstupel X: = (0, M, q, z, o, x) heißt x-Kategorie wenn gilt: (0, M, q, z, o) ist eine Kategorie. (0, x) u n d (M, x) sind Monoide. q u n d ζ sind Monoidhomomorphismen 5 . Für alle f j , f 2 , g j , g 2 eM mit q ( f j ) = ζ ( g j ) u n d q (f"2) = ζ ( g 2 ) gilt: ( f j χ f 2 ) o (gj χ g2) = ( f j o gj) χ ( f 2 o g2)
Ich werde das Zeichen für die Verknüpfung χ einer x-Kategorie o f t auch weglassen u n d (im Gegensatz zu einigen anderen Autoren) vereinbaren, daß o schwächer bindet als x. Für (a χ b χ c) o d schreibe ich dann abc o d . (6)
Definition: Seien X und Y x-Kategorien. Ein F u n k t o r F : X -*• Y heißt x-Funktor, wenn zusätzlich zu den Bedingungen unter (3) F j und F 2 Monoidhomomorphismen sind.
Eine besondere Bedeutung für die Theorie der formalen Sprachen kommt den freien x-Kategorien zu. Bei ihnen ist die gesamte Struktur bereits durch Angabe eines Erzeugendensystems (einer gewissen Teilmenge der Morphismen) festgelegt. Dies entspricht bei den Regelgrammatiken der Angabe der Regelmenge. (7)
Definition: Eine x-Kategorie X heißt frei, wenn es ein A C Mor X gibt, so daß sich für jede weitere x-Kategorie inaile Abbildungspaare ( F j , f) mit f :A
Mor Y
F j : \X\ -* I Y\ ein Monoidhomomorphismus eindeutig zu einem x-Funktor F = ( F j , F 2 ) : X -*• Y fortsetzen lassen. Dies bedeutet, das Diagramm 5
Ein Monoid ist eine Halbgruppe mit Einselement: h: Mj Mj heißt Monoidhomomorphismus, wenn h die Komposition in Mi respektiert, d.h. h(axb) = h(a) χ h(b).
Zur kategoriellen Darstellung von
Grammatiken
187
kommutiert und F2 ist durch die Angabe aller anderen Abbildungen eindeutig bestimmt, i ist dabei die Inklusion von A in Mor Χ. A nennt man ein freies Erzeugendensystem von X. Ist \X\ ein freies Monoid 6 , so ist A eindeutig. In diesem Fall lassen sich alle Objekte und Morphismen eindeutig in elementare (atomare) Objekte und Morphismen zerlegen (bzw. aus solchen aufbauen). Für uns ist nicht nur wichtig zu wissen, wann eine x-Kategorie frei ist, sondern vor allem, wie man aus einem Erzeugendensystem die entsprechende freie x-Kategorie konstruieren kann. Auf Einzelheiten möchte ich hier nicht genauer eingehen, weil diese Konstruktion etwas langwierig ist, in (Hotz, 1972; 8) findet man sie ausfuhrlich beschrieben. Die von den Mengen A und O (und zwei Abbildungen q und ζ von A nach 0 * ) erzeugte frei x-Kategorie möchte ich mit Fr (A, 0 ) bezeichnen. Als Objektmenge erhält man 0 * und als Morphismenmenge (A U O)* dividiert durch eine Äquivalenzrelation, die dafür sorgt, daß gewisse Morphismen miteinander identifiziert werden. Diese Äquivalenzrelation entspricht bei der Anwendung auf CF-Grammatiken den unwesentlich verschiedenen Ableitungen. Analog zu verschiedenen Sprachtypen kann man nun auch verschiedene Typen freier x-Kategorien definieren (Hotz, 1972), ich möchte hier jedoch nur die kontextfreien betrachten. (8)
Definition: Die von (A, O) erzeugte freie x-Kategorie heißt kontextfrei, wenn für alle feA gilt q (f) eO 7 .
Am Ende dieses Kapitels möchte ich noch einige spezielle Objekte einführen. 6 7
Ein Monoid M ist frei, wenn es ein freies Erzeugendensystem ECM gibt: jedes meM läßt sich eindeutig in eine Komposition von Elementen aus E zerlegen. In (Hotz, 1972; 46) wird gefordert, daß q(f) die Länge 1 hat, was aber genau dann der Fall ist, wenn q(f)eO.
188
(9)
Helmar Gust
(i) (ii) (iii)
Defmiton: In Analogie zu teilgeordneten Mengen heißt ein Objekt χ einer Kategorie Cin C maximal: Vye|£l : [ y . x ] ^ ^ =>x = y minimal: V y e O : [ x , = > x = y isoliert : · χ ist minimal und maximal.
3
CF-Grammatiken
Für den Rest dieses Aufsatzes seien Vj^ und V j stets Alphabete (nichtterminales bzw. terminales Alphabet) mit V^ Π V j = Ç). V bezeichne das Gesamtalphabet V N U V j . (1) (1)
Definition: Das Quadrupel G: = (Vj^, V j , P, S) heißt Regelgrammatik, wenn gilt: SeV N und ρ C V* V N V* χ V* 8
Faßt man (V, P) als Semi-Thue-System auf, so stellt Beispiel 2 bereits einen Zusammenhang zur Kategorientheorie her. Identifiziert man in diesem Semi-Thue-System nicht wesentlich verschiedene Ableitungen (das sind Ableitungen, die sich nur durch die Reihenfolge der Anwendung von Regeln unterscheiden, die sich nicht gegenseitig beeinflussen) so ist die zugehörige Kategorie eine freie x-Kategorie und wird von V und Ρ erzeugt 9 . Damit Fr (V, P) eindeutig definiert ist, muß man noch die Quellen- und Zielabbildung festlegen. Naheliegenderweise sind dies die Projektionen auf den ersten bzw. zweiten Faktor von Ρ also: q (α, β) = a
und
ζ (α, β) = β für alle (α, β) eP.
Statt (α, β) eP werde ich auch die Notation a -*• β benutzen. (2)
Definition: Eine Grammatik G: = (V N , V j , P, S) heißt kontextfrei, wenn P C V ^ x V + ist.
8 9
Die Konkatenatenation von Mengen bedeutet dabei die Menge der Konkatenationen ihrer Elemente, also Μι M2 : = { m j m 2 I m i eMj A n ^ £ ^ 2 } Die Verknüpfung ist dabei die Konkatenation.
189
Zur kategoriellen Darstellung von Grammatiken
Wie man sich leicht überlegtest Fr (V, P) in diesem Fall eine kontextfreie x-Kategorie, so daß dieser Sprachgebrauch konsistent ist. Beispiel: Ein wichtiger Spezialfall einer kontextfreien x-Kategorie istSf: =Fr(V, Vj^ χ V*)10, wo die Regelmenge alle möglichen kontextreien Regeln umfaßt. Die Elemente von Mor St entsprechen geordneten Mengen von Ableitungsbäumen, also „Wäldern". Für g, f β Mor St bedeutet g χ f das Nebeneinandersetzen der „Wäldern" g und f bzw. g o f das Anhängen der Bäume von g an die Blätter von f. Die Funktion ζ angewandt auf einen Wald liefert dessen Blätter während die Funktion q angewandt auf einen Wald dessen Wurzeln liefert. Zur kategoriellen Definition einer Grammatik muß man außer der zugehörigen Kategorie noch das Terminalalphabet und das Startsymbol festlegen. (3)
Definition: G: = {Fr (V, P), Vy, S) heißt CF-Grammatik wenn gilt: SeV n und Ρ C V N χ V* mit V N = V
Vj.
Für die von einer CF-Grammatik erzeugte Sprache ergibt sich nun folgende Definition: (4)
Definition: Sei G: = (Fr (V, P), V T , S) eine CF-Grammatik, dann heißt L (G): = { weV* | fS, w ] ^ . (
v p)
Φ0 }
die von G erzeugte Sprache. Die freie x-Kategorie Fr (V, P) ist im allgemeinen wesentlich größer als nötig, z.B. enthält sie viele isolierte Objekte. Beschränkt man sich auf die relevanten Objekte und Morphismen, ergeben sich folgende Unterkategorien von Fr (V, P) (Benson, 1970):
10 St soll für "Strings" stehen. Es ist üblich eine Kategorie nach der Menge ihrer Objekte zu benennen, obwohl es eigentlich richtiger wäre, den Namen der Morphismenmenge zu nehmen, da sie der wesentliche Bestandteil der Kategorie ist St miifite dann „Kategorie der kontextfreien Ableitungen", oder wie wir später sehen werden „Kategorie der Ableitungswälder" heißen.
190
Helmar
(5)
Definition: Die Kategorie SCQ mit
(0
e c G l ·· = {weV*
(ii)
Wj, w 2 e |SCG|
! [s, w] Fr ( v
[Wj, w
2
]
5 C g
p)
Gust
φ φ}
= [Wj, w j ] ^
(y>
p )
heißt syntaktische Kategorie von G. (6) (i) (ii)
Definition: Die Kategorie G mit \G\ : = { we \SCG\ \ 3 w ' e V T : [w, w ' ] 5 C Φ Φ) w1,w2e|C|=>[w1,w2]G: = [ w 1 , w 2 ^ c ° G heißt terminale syntaktische Kategorie von G 1 1 .
Auf entsprechende Weise können Unterkategorien von Fr (V, P) definiert werden, die die Struktur gewisser Phrasen beinhalten (z.B. der Nominalphrase wenn in der Definition von SCQ S durch Np ersetzt wird). Bemerkung: G ist eine volle Unterkategorie von SCQ, SCQ ist eine volle Unterkategorierung von Fr (V, P) und Fr (V, P) ist eine Unter-x-Kategorie von St, jedoch i.a. nicht voll. In G ist das Startsymbol und das Terminalalphabet implizit festgelegt: Das einzige maximale Objekt in G ist das Startsymbol und die minimalen Objekte in G sind gerade die terminalen Wörter (nicht zu verwechseln mit terminalen Objekten, siehe (Mac Lane, 1972; 20)). Da G und auch SCQ i.a. keine x-Kategorien sind, ist es in vielen Fällen trotzdem vorteilhaft mit ganz Fr (V, P) zu arbeiten statt mit G und SCQ. Für alle CF-Grammatiken (über dem gleichen Alphabet) sind die zugehörigen Kategorien Fr (V, P), SCQ und G Unterkategorien von St, dies legt nahe St als Grundlage für die Transformationskomponente zu nehmen, einen weiteren Grund wird das übernächste Kapitel liefern.
4
Semantik
Im Fall der klassischen Transformationsgrammatik mit bedeutungsinvarianten Transformationsregeln bereitet die Einführung der semantischen Kompo11 G entspricht ungefähr der reduzierten Grammatik in (Maurer, 1969; 36)
191
Zur kategoriellen Darstellung von Grammatiken
nente keine besonderen Schwierigkeiten. Ich möchte hier analog zu (Benson, 1970) vorgehen. (1)
Definition: Eine Kategorie S heißt semantische Kategorie, wenn sie Unter-x-Kategorie von M mit dem Kreuzprodukt als Verknüpfung ist.
(2)
Definition: Sei G: = (Fr (V, P), V j , S) eine CF-Grammatik und S eine semantische Kategorie. Ein kontravarianter x-Funktor / : Fr (V, P) S heißt Interpretation von G, wenn I (a) Φ 0 fur alle aeV ist.
Eine Interpretation ist eindeutig definiert, wenn ihre Anwendung auf das Alphabet V und die Produktionenmenge Ρ erklärt ist. Für jede Ableitung S w, w e V p fe Mor Fr (V, P) erhalten wir folgendes Diagramm:
/ ( w)
I (f) heißt Interpretation des Satzes w. w ist mehrdeutig, wenn es mehr als eine Interpretation von w gibt. Es spricht vieles dafür hier eine Verallgemeinerung vorzunehmen und als semantische Kategorie einen (elementaren) Topos zu fordern (Lawvere, 1975). Ein Topos ist eine Verallgemeinerung von M, der Kategorie der Mengen (M ist ein Topos). Er hat all die Eigenschaften, die nötig sind, um eine Prädikatenlogik höherer Stufe zu beschreiben. Dies würde die Brücke zu den kategoriellen Ansätzen in der Modelltheorie schlagen. Eine genauere Analyse dieser interessanten Möglichkeit geht allerdings über das Ziel dieses Aufsatzes hinaus.
Helmar Gust
192 5
Indizierte Klammerausdrücke
In diesem Kapitel möchte ich in Anlehnung an (Peters-Ritchie, 1973) die Menge WLB der indizierten Klammerausdrücke 12 über einem Alphabet V definieren und zeigen, daß man sie in natürlicher Weise als eine Kategorie isomorph zu St interpretieren kann. Dies erlaubt uns, die dort gegebene Darstellung der Transformationsgrammatik kategoriell zu formulieren. (Ich werde in diesem Aufsatz allerdings etwas anders vorgehen, da ich mich auf die Definition der „wohlgeformten indizierten Klammerausdrücke" beschränken möchte. Peters-Ritchie kommen damit nicht aus.) (1) (1) (ii) (iii) (iv)
Definition von WLB: λ e WLB und V C WLB w j , w 2 e W L B = > w 1 w 2 e WLB w e WLB =i· V A e V N : [ A w ] A β WLB Es gibt keine weiteren Elemente in WLB.
Auf WLB existiert bereits vermittels (ii) eine Verknüpfung, die Konkatenation. Um eine weitere partielle Verknüpfung auf WLB zu definieren, braucht man zwei Abbildungen von WLB nach V*. Es seien im folgenden stets Wj, w 2 , w', w ' j , w ' 2 , usw. Elemente von WLB. (2)
Definition: d: WLB -»· V* sei eine Abbildung und wie folgt definiert:
d (w): =
w d (wj) d (w2) d(w')
falls w e V* falls w = WjW 2 falls w = [ A W ' ] A
d heißt „Entklammerung". (3)
Definition: k: WLB -»• V* sei eine Abbildung und wie folgt definiert:
k(w):=
w k(w1)k(w2) A
k heißt „Wurzelfunktion". 12 Engl.: well-formed labeled bracketings.
falls w e V* falls w = w , w.
193
Zur kategoriellen Darstellung von Grammatiken
(4) (i) (ii)
Definition: o sei eine partielle Verknüpfung auf WLB mit ist Wj o genau dann erklärt, wenn d (W2) = k ( w j ) Falls Wj o W2 erklärt ist gilt: falls w^ e V* (w'j o w ' 2 ) (w"j o w"2)
falls Wj = w'j w"j und w 2 = w'2 w" 2 , wobei w 'l w"l (durch w'2 w"2 eindeutig bestimmte) Zerlegung von Wj ist, so daß k ( w ' j ) = d (w' 2 ) undk(w"1) = d(w"2) güt.
UW10W'U
falls w 2 = [ A w ' A ]
Wj o w2: =
Wie man leicht nachprüfen kann bildet das Quintupel WLB: = (V*, WLB, k, d, o) eine Kategorie und mit der Konkatenation auf V* und WLB sogar eine x-Kategorie. (5)
Satz: WLB ist isomorph zu St. Der Beweis erfolgt durch Konstruktion eines Isomorphismus R : St -*• WLB.
Ein Isomorphismus zwischen zwei Kategorien A und Β ist ein Funktor F: A -*• Β zu dem ein Funktor Η: Β -A existiert mit F ο Η = Id β und Η o F = IdΗ wird auch mit F^^ bezeichnet. Zwei Kategorien sind itomorph, wenn ein Isomorphismus zwischen ihnen existiert. Isomorphe Kategorien unterscheiden sich nicht in ihrer kategoriellen Struktur. Sei'Ä : St -> WLB folgender Funktor: R : = (idy*, r), r: Mor St WLB mit
r(u): =
Ia'WU
ν r ( u j ) r (u 2 )
falls u = ν o (A, q (ν) ) falls u = 1„ falls u = Uj χ u 2
und entsprechend R : WLB -+St m i t Ä : = (idy*, r), r: WLB
Mor St
194
Helmar Gust
r(w):
r(w')o(A,k(w')) 1.w r(wj xr(w2)
falls w = [ a w ' ] a falls w e V* falls w = w j W2
Man rechnet leicht nach, daß folgende Aussagen gelten : (i) (ü) (iii) (iv)
r(uj ou2) = r(u1)or(u2) r ( w j o w 2 ) = r (W|) o r (w 2 ) r o r = idWLB r o r = id Mor St Damit gilt R = R WLB.
, also ist R ein Isomorphismus zwischen St und
Für den Rest des Aufsatzes möchte ich nicht mehr zwischen Elementen von Mor St, indizierten Klammerausdrücken und „Wäldern" unterscheiden und je nach Gegebenheit diese oder jene Bezeichnung verwenden. Auch die Quellen- und Zielabbildung von St möchte ich von jetzt an generell mit k bzw. d bezeichnen. Ein Beispiel für den Zusammenhang zwischen Mor S i u n d WLB findet sich auf Seite 195.
6
Transformationsregeln
Das Ziel dieses Kapitels ist die Interpretation von Transformationsregeln als Morphismen einer Kategorie. Transformationsregeln wirken auf den „Output" der Basisgrammatik, das sind terminale Bäume mit dem Startsymbol der Basisgrammatik als Wurzel. Als Ergebnis liefern sie im allgemeinen wieder Bäume aus der gleichen Menge. Aber nicht jede Transformationsregel ist auf jeden Baum dieser Menge anwendbar, d.h. wir haben es mit einer partiellen Operation zu tun. Insofern ändert sich nichts Entscheidendes, wenn man diese Menge erweitert und ganz Mor St für die Definition einer Transformationsgrammatik zugrundelegt. Dann kann man einer Transformationsgrammatik eine Kategorie Τ zuordnen, deren Objektmenge |Γ| gleich Mor St ist, und deren Morphismenmenge Mor Τ von den Transformationsregeln erzeugt wird. Mit diesem Erzeugungsprozeß möchte ich mich jetzt beschäftigen. So wie die Transformationsregeln bei (Peters-Ritchie, 1973) und (Ginsburg-Partee, 1969) definiert werden, operieren sie auf Mengen von Bäumen, die gewissen Strukturbedingungen genügen. Nun kann derselbe Baum unter Umständen einer Strukturbedingung auf verschiedene Weise genügen (z.B. bei
Zur kategoriellen Darstellung von
195
Grammatiken
Beispiel: w
= [S NP
r Np
V
P]S
Vp _
Vp
/
w
\Np
V
2 =
κ A
[Vpv[npan]Np]VP \ Ν J
Np I Ν I _ they
Wo
V I _ are
w4 =
= [Np [N
A I flying
= tv
Ν I planes
W(
are
the
ylN
iv U
hp
fl in
y siA
[ N planes] N
W = (Wß X ( (w^ X W5) o W2) ) o W j = h [Np I n
the
y ] N hp f v p [ y
Np N
lv [np U
Vp V
Np A
they
are
are
I flying
Ν I planes
fl in
y ^A
[ n vianesh
]np1vp h
196
Helmar Gust
mehreren eingebetteten Sätzen, auf die eine Transformation anwendbar ist), so daß die Anwendung einer Transformationsregel nicht eindeutig zu sein braucht. Transformationsregeln werden also im allgemeinen keine Abbildungen von Bäumen auf Bäume, sondern Relationen zwischen Bäumen sein. (1)
Definition: Sei Τ die Menge der Transformationsregeln (aufgefaßt als 2-stellige Relation auf |Γ|, d.h. Τ C Potenzmenge von |Γ| χ |7Ί) einer Transformationsgrammatik und sei T ° der Abschluß von Τ bezüglich der Komposition von Relationen (siehe Beispiel 4), dann wird Mor Γ folgendermaßen definiert : Mor Τ: = U _ n {r } χ r reΤ (Die Elemente von Mor Τ sind Tripel (r, f, g) mit r e T°, f, ge |Γ| und (f, g) e r.) dabei gelte für die Quellen- und die Zielabbildung q und ζ q (r, f, g) = f
ζ (r, f, g) = g
Für fe |7] werde ich die Identität 1^· manchmal auch mit (1, f, f) bezeichnen. Die Allgemeinheit der hier gegebenen Definition von T-Regeln und transformationeilen Ableitungen (im weiteren T-Ableitungen) sichert die Interpretierbarkeit aller bisherigen Ansätze zur Formalisierung von Transformationsgrammatik innerhalb dieses Systems. Andererseits scheint mir eine a priori Einschränkung dessen, was eine TRegel sein soll, nicht sinnvoll, da es hier nicht darum geht, einen einfach handhabbaren formalen Apparat zur Darstellung spezieller Transformationsgrammatiken zu liefern, wie er zum Beispiel in (Ginsburg-Partee, 1969) oder (Peters-Ritchie, 1973) gegeben wurde. Um die generative Kapazität einer Transformationsgrammatik zu beschränken, ist ein Mechanismus notwendig, der aus der Menge aller T-Ableitungen nur eine gewisse Untermenge als „zulässig" auswählt. Neben anderen denkbaren Möglichkeiten kann man, ähnlich dem Übergang von den CF-Regeln zu den T-Regeln, die Beschränkungen in der Hierarchie eine Stufe über den 7"-Regeln ansiedeln. Man erhält dann eme weitere Kategorie B, deren Objektmenge Mor Τ ist, und deren Morphismenmenge von den Beschränkungen erzeugt wird. Auch hier ist es schwierig a priori Bedingungen an die Struktur von Β zu stellen.
197
Zur kategoriellen Darstellung von Grammatiken
Die Konstruktion und die Funktion der Kategorie Β soll daher nur an einem Beispiel für die in (Ginsburg-Partee, 1969; 3 1 5 ) definierte Transformationsgrammatik illustriert werden. τ
= ((8, Δ , R , Ω ) sei eine Transformationsgrammatik im Sinn von (Ginsburg-
Partee, 1969; 315), d.h. ¿Bist eine Basis 13 , R eine Menge von T-Regeln, Ω = ( Κ , Ν , δ, s ^ mit Κ ist eine Menge (Zustandsmenge), s Q eK, 5 : K x R - ^ K eine partielle Funktion und Ν eine Funktion Ν : Κ ->· { ( χ , < ) I χ C R U { S t o p }
Λ
< Teilordnung auf χ }
Konstruktion der Kategorien Τ und Β : Sei T : = R U { S t o p }
mit Stop: = { ( f , f ) | f e m
}
14,
\T\\ = Mor S í und Τ
die von Τ erzeugte Kategorie (siehe ( 1 ) ). Ζ und Q seien zwei Abbildungen: Z : Mor
Z(u): =
KU
{ sStop)
s0
falls u = ( l , f , f ) , f e m
δ (t, Ζ ( u ' ) )
falls u = ( t , f, g ) o u', t e T , t¥=Stop
sStop
u =
( S t o p , f, f ) o u '
Q : Ι Π -> Potenzmenge ( T ) Q ( f ) : = { teT I Ί 3 g : ( f , g ) e t ) Q ( f ) ist die Menge der T-Regeln aus T , die nicht auf f anwendbar sind. s Stop
^
ein neuer
Zustand und noch nicht in Κ enthalten. Ν wird durch
Ν ( s g t 0 p ) = φ von Κ auf Κ U { s g t 0 p }
fortgesetzt.
13 Auf ß und Δ möchte ich nicht weiter eingehen, da deren Struktur hier unwesentlich ist. Wenn im weiteren von f eiSdie Rede ist, so soll das heißen, daß f ein Phrasenmarker aus der Basis ist. 14 (Stop, f,f,) ist nicht zu verwechseln mit (l/,f).
198
Helmar Gust
Β sei nun folgende Kategorie: (i) = Mor Τ (ii) Mor Β : = reflexive transitive Hülle von {(x, y)e¡J3| χ \B\ | 3 ( t , f, g): y = (t, f, g) ο χ Λ teT Λ t ist minimal in Ν ( Z ( x ) ) - Q (f)} xeMor Τ ist nun genau dann eine „zulässige" T-Ableitung, wenn χ mit der T-Regel Stop endet (x= (Stop, f, f) ο χ') und (1 χ) e Mor Β ist. Die Beziehung zwischen den zulässigen Τ-Ableitungen und den Morphismen ausi? wird man i.a. nicht mit einem einzigen Funktor beschreiben können. An dieser Stelle bietet sich vielleicht eine Abschwächung des Äquivalenzbegriffes in (Hotz, 1972 ; 128) an, d.h. Τ und Β müssen auf geeignete Weise durch eine Kette von Funktoren und Kategorien verbunden sein : F, T ^ - ^
F3
F2
Fni F„ «-JLLj^—¡Us
Welche genauen Bedingungen dabei i.a. an die Funktoren F j , . . . , F n zu stellen sind, muß noch untersucht werden. Mit folgender vollen Unterkategorie Κ von B: |ΑΊ: = { ( l , f , 0 l f e i r i ) U {ueMor Τ I u = (Stop, f, 0 o u'} und den Funktoren: F1 : Κ
Τ mit F { (χ) = ζ (χ) und F j (x, y) = y
F 2 : Κ -> Β ist die Einbettung von Κ m Β F
leistet die Kette
Τ
\
f 2 — ^ Β
gerade das gewünschte: F j (Mor Κ) ist die Menge der zulässigen Ableitungen. Für die von τ erzeugte Sprache gilt: L (r) : = (aeV* | HxeFj (MorΚ): d ( ζ ( χ ) ) = a A q ( x ) e β } 1 5
15 V x entspricht hier den „akzeptablen" terminalen Zeichen, also Σ α in (GinsburgPartee, 1969).
199
Zur kategoriellen Darstellung von Grammatiken
Zusammenfassend kann man folgende Hierarchie von Kategorien aufstellen, wobei die obere aus der unteren jeweils dadurch entsteht, daß die Morphismenmenge neue Objektmenge wird und eine neue Morphismenmenge durch ein gegebenes Erzeugendensystem erzeugt wird : Β
16
Beschränkungen -*• Τ Τ St
D
Fr(y, P)
y*
λ
7
Einige spezielle Anwendungsmöglichkeiten
In diesem Kapitel sollen zwei Spezialfälle kurz angerissen werden.
7.1
Bewertete Grammatiken
Bei gegebenem Alphabet V und Produktionenmenge Ρ kann man außer der freien x-Kategorie Fr (V, P), bei der bereits unwesentlich verschiedene Ableitungen miteinander identifiziert sind, auch andere Kategorien betrachten, bei denen verschiedene Ableitungen auch verschiedene Morphismen darstellen. 16 Jedes Monoid läßt sich auffassen als eine Kategorie mit einem einzigen Objekt und dem Monoid als Morphismenmenge, die Eins entspricht dabei der Identität, λ entspricht dem trivalen Monoid, der nur aus dem Einselement besteht. Diese Kategorie wird in der Literatur oft mit 1 bezeichnet.
200
Helmar Gust
Definition: A (V, P) sei folgende Kategorie: 17 H ( V , P ) | : = V* Mor A (V, Ρ) sei die kleinste Morphismenmenge, für die folgendes gilt: Ρ C Mor A (V,P) feMoryl (V, Ρ) => V a, ß, e V* : α q ( 0 β -* a ζ (f) β e Mor A (V, Ρ) Analog zu 3 (3) ist eine Grammatik ein Tripel G: = (A (V, P), V j , S) mit V T C V, S e V-V T und Ρ C V* (V-V T ) V* χ V*. D sei die Kategorie der Ableitungen in G, d.h. |£>|: = {S} U V* und [S, a\D: = [S, a]A
(v> p)
für aeV».
Eine Ableitungsbewertung fur G ist ein Funktor F: D-+W.W heißt Bewertungsraum von F. Das Paar (G, F) ist eine „Grammatik mit Ableitungsbewertung" im Sinne von (Habel in diesem Band) wenn folgendes gilt: (i) W, der Bewertungsbereich von F, ist ein Monoid. (ii) F läßt sich als Komposition zweier Funktoren H und φ schreiben und das folgende Diagramm muß kommutativ sein:
Ρ wird von der Projektion π: Ρ χ E -»· Ρ erzeugt (Ρ wirkt als Identität auf Objekte und .P(p, e) = p). J ist die Einbettung von D in A (V, Ρ). E heißt „Menge der externen Bewertungskriterien". Bewertung von Ableitungen dürfte auch eine interessante Möglichkeit zur Ableitungsbeschränkung bei Transformationsgrammatiken sein. 17 Siehe auch (Benson, 1970).
Zur kategoriellen Darstellung von Grammatiken
7.2
201
Einbettung der CF-Regeln in die Kategorie Τ
Auch kontextfreie Regeln kann man als Relationen auf ιT{ und somit als spezielle T-Regeln auffassen. Für (a, a) e Ρ C ( V - V j ) χ V* gilt dann (f, g) e (a, α):
3 h j , h 2 , h 3 β \T\\ f = h j a h 2 o h 3 Λ g = h j (a, a ) h 2
Wenn ρ = (a, α) eine CF-Regel ist, so wird durch die Anwendung von ρ auf einen Baum (oder Wald) an ein Blatt mit Label a der Baum a
angehängt, wenn α = b j b 2 . . . b f l ist. Beispiel: S
a
S
c
a
e
f
g
c
Schränkt man die „echten" T-Regeln so ein, daß sie nur auf terminale Elemente von |7Ί anwendbar sind und auch wieder terminale Elemente erzeugen, so stören sich diese beiden Regelarten nicht, da CF-Regeln natürlich nur auf nichtterminale Objekte von Τ anwendbar sind. Die von einer Grammatik G = (Τ, V j , S) erzeugte Sprache ist dann L (G): = { a e V * | H f e | r | : d ( Q = a
Λ [S, f ] Φ Ç>}18
18 Abgesehen von irgendwelchen Ableitungsbeschränkungen.
202
Helmar
Gust
Eine Interpretation fur solch eine Sprache zu definieren ist keine prinzipielle Schwierigkeit, man kann jedoch nicht mehr so'ohne weiteres die Struktur einer freien x-Kategorie bei der Basis ausnutzen. Anders sieht es aus, wenn man die dualen CF-Regeln in die Kategorie Τ einbettet. A u f diese Weise werden die Bäume von den Blättern zur Wurzel hin aufgebaut. Beispiel: Es seien h j , . . . , h^eiri, f, ge|7!, r = (a, bed) eine CF- Regel, a f=hj
b I
c I
d I
h2
h3
h4
hj
und
g = hj
/ \ \ b c d ι
I
I
2
3
4
h5
dann ist ( f , g)er° mit r° = (bed, a) ist die duale Regel zu r. Für he|T|, h Φ
a und aeV bezeichnet | den Baum h o (a, k ( h ) ) . h
Für a e V j ist dies natürlich nur sinnvoll wenn h = 1 a ist und (a, a) mit 1 a identifiziert wird. Bezeichnen wir diese Kategorie im folgenden mit T, also IT] = Mor S í Mor Τ wird von den T-Regeln und den dualen CF-Regeln erzeugt. In diesem Fall kann man CF-Regeln und T-Regeln nicht mehr trennen, sie werden durcheinander anwendbar. Wenn man in der Kategorie T, ähnlich wie bei den freien x-Kategorien, unwesentlich verschiedene Ableitungen miteinander identifiziert, so kann man die Elemente von Mor Τ mit Bäumen vergleichen, deren Knoten mit Phrasemarken gelabplt sind. Die von G : = ( T , V y , S) erzeugte Sprache ist L ( G ) : = ( a e V * | HxeMor T : d ( ζ ( χ ) ) = a A K (z ( x ) = S A q ( x ) e V * }
19 Abgesehen von irgendwelchen Ableitungsbeschränkungen. Man kann auch q (ß) e ( V j U V ')* fordern. V ' s i n d dann die „nicht akzeptablen" terminalen Zeichen, etwa Σ - Σ α in (Ginsburg-Partee, 1969)).
19
203
Zur kategoriellen Darstellung von Grammatiken
q (x) und α brauchen dabei nicht übereinzustimmen. Eine Interpretation von G ist ein Funktor I : Τ -> S mit: / ( a ) Φ φ für alle aeV / (aa) = / (α) χ / (a) für alle aeV + und aeV / ( f ) = / ( k ( O ) f ü r alle felli /(r, f , g ) : / ( f ) - / ( g ) / ( r , f, g) = l / ( h ) x / ( r , f , g') χ l / ( h } falls f = h { f h 2 , g = h j g ' h 2 und ( f , g') er. In diesem Fall brauchen die „echten T-Regeln nicht Bedeutungsinvariant sein. Neben der in Kapitel VI gezeigten Möglichkeit T-Ableitungen zu beschränken, kann man auch Forderungen an die Interpretation I stellen. Sei T* die größte Unterkategorie von T, so daß I \ f * in geeigneter Weise über eine Kategorie Κ faktorisiert. Folgendes Diagramm muß kommutativ sein:
mit gewissen Funktoren F j und F ^ Man erhält dann eine Grammatik ähnlich der Montague-Grammatik mit Τ als syntaktischer und Κ als semantischer Komponente. Wie man am besten die Beziehungen zwischen syntaktischer und semantischer Komponente einer Montague-Grammatik darstellen kann (d.h. welche Bedingungen man an die Funktoren F j und F 2 stellen muß) muß späteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. Die hier gemachten Ansätze scheinen jedoch daraufhinzuweisen, daß sich weitere Untersuchungen in dieser Richtung lohnen.
204
Helmar Gust
Literaturverzeichnis Benson, D.B. (1970): Syntax and Semantics: A Categorial View. Information and Control Vol. 17. Chomsky, N. (1959): On certain formal properties of grammer. Information and Control Vol. 2, Ginsburg, S./Partee, B. (1969): A Mathematical Modell of Transformational Grammer. Information and Control Vol. 15, Habel, Ch.: Phrasen-Struktur-Grammatiken mit bewerteten Ableitungen. In diesem Band. Hall-Partee, B. (1974): Einige transformationelle Erweiterungen von Montague-Grammatiken. In: Kanngießer, S., Lingrün, G. (Hrsg): Studien zur Semantik. Kronberg/Ts. Hotz, G./Claus, V. (1972): Automatentheorie und formale Sprachen III. Mannheim. Lawvere, F.W. (1975): Model theory and topoi. Berlin - Heidelberg - New York. Maurer, H. (1969): Theoretische Grundlagen der Programmiersprachen. Mannheim. McLane, S. (1972): Kategorien. Berlin-Heidelberg-NewYork. Mitchell, B. (1965): Theory of categories. New York—London. Preuß, G. (1975): Grundbegriffe der Kategorientheorie. Mannheim. Peters, P.S./Ritchie, R.W. (1973): On the Generative Power of Transformational Grammars. Information Sciences Vol. 6. Schubert (1970): Kategorien I. Berling-Heidelberg-New York. Wraith, G.C.: Lectures on Elementary Topoi. In (Lawvere, 1975).
205 Walther
Kindt
Über Sprachen mit Wahrheitsprädikat*/**
0. Einleitung In der berühmten Arbeit „Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen", in der sich Tarski (1935) mit dem Antinomienproblem und der Möglichkeit, den Wahrheitsbegriff zu definieren, beschäftigt, wird für den Fall der Umgangssprache folgendes Fazit gezogen: „Der Versuch, eine strukturelle Definition des Terminus „wahre Aussage" aufzubauen, stößt - auf die Umgangssprache angewendet - auf Schwierigkeiten, die wir nicht überwinden können. " (p. 17/18) „[...] so scheint selbst die Möglichkeit eines konsequenten und dabei mit den Grundsätzen der Logik und dem Geiste der Umgangssprache übereinstimmenden Ge*
Die vorliegende Arbeit ist im Zusammenhang mit wissenschaftstheoretischen Überlegungen entstanden, die ich im Rahmen des DFG-Projekts „Theoretische und empirische Implikate einer Theorie der Literarischen Kommunikation" angestellt habe. Die Grundgedanken dieser Arbeit sind von mir erstmalig im Dezember 1974 auf einem Kolloquium vorgetragen worden, das von dem Projekt in Bielefeld veranstaltet wurde. Eine erste, schriftlich fixierte Fassung meiner Arbeit habe ich im Februar 1976 vorgelegt. Erst nach Fertigstellung dieser Fassung wurden mir die Überlegungen von Kripke und ihre Veröffentlichung in dem Aufsatz von November 1975 bekannt. Kripke's Arbeit basiert auf derselben Idee und kommt im wesentlichen zu demselben Gesamtergebnis wie meine Arbeit; in der Durchführung, der Schwerpunktsetzung sowie den erzielten Einzelergebnissen unterscheiden sich die beiden Arbeiten jedoch erheblich voneinander. Auf die Frage nach den wissenschaftstheoretischen Konsequenzen dieser Arbeiten werde ich an anderer Stelle eingehen. ** Seit Fertigstellung der für den Druck vorgesehenen Fassung meiner Arbeit (April 1976) sind weitere, fur das Thema „Sprachen mit Wahrheitsprädikat" einschlägige Arbeiten erschienen bzw. mir zugänglich geworden; ich verweise u.a. auf Martin/ Woodruff 1976 und Feferman 1976 (dem Papier von Feferman sind weitere Angaben über derartige Arbeiten zu entnehmen. Im übrigen sei hier angemerkt, daß die Methode einer induktiven Wahrheits-/Gültigkeitsdefinition, wie sie hier dargestellt wird, nichts grundsätzlich Neues ist; was mich selbst betrifft, so habe ich diese Methode in allgemeiner Form schon in Kindt 1972 für Dialogspiele angewendet, auch wenn dort der Fall von Sprachen mit Wahrheitsprädikat nicht gesondert behandelt wird.
206
Walther Kindt
brauchs des A usdrucks „ wahre A ussage " und, was daraus folgt, die Möglichkeit des Aufbaus irgendwelcher korrekter Definition dieses Ausdrucks sehr in Frage gestellt. " (p. 19)
Die aufgrund dieser Zweifel Tarskis oftmals geäußerte Vermutung, es sei für die Umgangssprache unmöglich, eine befriedigende Definition des Wahrheitsprädikats anzugeben (vgl. z.B. Stegmüller 1968: 23), ist sehr wenig plausibel und es zeigt sich, daß sie auf Voraussetzungen beruht, von denen es nicht selbstverständlich ist, daß sie fur die Umgangssprache erfüllt sind. Es ist daher notwendig, genauer zu untersuchen, welche dieser Voraussetzungen ggf. inadäquat sind und ob ihre Zurückweisung das Auftreten von Widersprüchen verhindert. Darüber, wie diese Frage beantwortet werden muß, konnte bislang kein Konsens erzielt werden. Noch in jüngster Zeit sind eine Reihe von Arbeiten erschienen, die diesbezüglich sehr unterschiedliche Lösungen vorschlagen (vgl. z.B. Bar-Hillel 1966, Davis 1974, Martin (ed.) 1970, Parsons 1974, Thomason 1973). Die in den hier aufgezählten Arbeiten enthaltenen Vorschläge bleiben jedoch noch unbefriedigend; teils sind sie nicht genügend konstruktiv, teils nicht ausreichend empirisch motiviert, teils fehlt ihnen eine systematische Grundlage oder sie beruhen sogar auf elementaren Mißverständnissen. Vor allem aber gehen diese Vorschläge zu wenig auf das Problem ein, auf welche Weise Spracherweiterungen zur Einführung eines Wahrheitsprädikats explizit durchgeführt werden müssen und welche Bedingungen sich daraus für eine korrekte Verwendung dieses Prädikats ergeben. Aus diesem Grund kann in diesen Vorschlägen auch nicht erklärt werden, weshalb gerade im Zusammenhang mit Wahrheitsprädikaten Antinomien auftreten. Ich will mich nicht im einzelnen mit diesen Vorschlägen auseinandersetzen. Vielmehr geht es mir um den Versuch, fur die genannte Frage eine systematisch begründete Antwort zu geben und zu zeigen, daß die mit der Verwendung von Wahrheitsprädikaten verbundenen Schwierigkeiten zurückzuführen sind auf bestimmte bisher nur unzureichend analysierte Probleme der zugehörigen Spracherweiterungen.
1. Bedi ngungen für die Widerspruchsfreiheit von Sprachen mit Wahrheitsprädikat Beim alltäglichen Gebrauch natürlicher Sprachen sind Antinomien wie die Antinomie des Lügners oder die Antinomie von Greiling ohne Belang. Zugleich darf man wohl behaupten, daß auch im Alltag ein konsistenter Gebrauch von dem Begriff „wahre Aussage" gemacht werden kann und daß es sinnvoll ist, Begriffe wie „autolog" und „heterolog" einzuführen. Allgemeiner ist m.E. die Annahme, daß natürliche Sprachen als formale Sprachen mit widerspruchsfreier Semantik rekonstruiert werden können, intuitiv ausreichend zu rechtfertigen. Im folgenden sei daher vorausgesetzt, daß diese Annahme zutrifft
Über Sprachen mit
Wahrheitsprädikat
207
und daß es insbesondere möglich ist, formale Sprachen zu definieren, die über einen Wahrheitsbegriff verfugen. Nun ist es z.B. vollkommen unproblematisch, in einer aussagen- oder prädikatenlogischen Sprache einen W a h r h e i t s j u n k t o r W durch das aus allen Biimplikationen der Form ψ φ gibt mit X' = X u n d Γ = I U (} Dann hat jede L'-Struktur S' = (X, I'> für alle φ e A (L) die Eigenschaft: (E) Falls φ e X, so gilt: ψ e V (W) genau dann, wenn S' |= ψ.
Statt (E) kann man in 2.2 auch schreiben: (E') Für alle t e Τ (L') und alle β e X V mit ( I ' U 0 ) ( t ) = *gilt: S' ^ Wt genau dann, wenn S' φ. Wenn man außerdem wie üblich ψ und für jedes φ e D (S' i Κ (L)) ist (E) erfüllt. (2) L" sei eine Erweiterung von L mit der Eigenschaft, daß Κ (L") = Κ (L') und daß (E) für jede L"-Struktur S" = e A (L') η X; S' j= } ; O' (W)) 0 =(ÏÏ(W))i
Statt (E*) kann man in 3.6 auch schreiben: (E**) Für alle φ e A (L'), alle ν e V u n d alle β e X V mit β(γ) = ψ gilt: S' fe Wv genau dann, wenn S' ¡= ψ\
Über Sprachen mit
Wahrheitsprädikat
225
S ' j Π Wv genau dann, wenn S' ^ Π φ. Die Definition 2.1 für den Begriff der Spracherweiterung kann wortwörtlich für PIPL-Sprachen übertragen werden. Für den Vergleich von Spracherweiterungen untereinander sollen zwei neue Begriffe eingeführt werden. 3.7 Definition: Κ sei eine Menge von Konstanten und S = (X, I>, S'= seien zwei K-Strukturen mit partieller Interpretation. Weiter sei X = X'. S heißt gröber als S' genau dann, wenn gilt: (1) Der Definitionsbereich von I ist eine Teilmenge des Definitionsbereiches von I'. (2) Für jede Individuenkonstante a, für die I definiert ist, gilt I (a) = I' (a). (3) Für jede Prädikatenkonstante P, für die I definiert ist, gilt (I (P)) 0 c (Γ (P)) 0 und (I (P)) J C (Γ (Ρ)) γ . 3.8
Definition: L, L' und L " seien PIPL-Sprachen, L' und L" seien Erweiterungen von L und es gelte Κ (L') = Κ (L"). L' heißt schwächer als L" genau dann, wenn für alle L'-Strukturen S' = } > 1= φ, so φ e Ζχ Dann ist (A') für L' erfüllt. Der Beweis für 3.14 ist ohne Schwierigkeiten und kann ähnlich wie der für 3.12 gefuhrt werden. Nach den obigen Ergebnissen ist es insbesondere immer möglich, eine PIPLSprache zu einer Sprache mit Wahrheitsprädikat zu erweitern, und es bedarf bei der Bildung der Formeln der erweiterten Sprache auch keiner zusätzlichen
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Sortenbeschränkung, um zu verhindern, daß das Wahrheitsprädikat außer den Aussagen unerwünschterweise noch anderen Individuen zu- oder abgesprochen wird. Eine solche Spracherweiterung ist m.E. aber nur dann adäquat, wenn sie zu einer Sprache mit fundiertem Wahrheitsprädikat führt. Genau in diesem Fall ist nämlich garantiert, daß für die Aussagen, auf die das Wahrheitsprädikat zutrifft, die in 2. formulierte Reduzierbarkeitsbedingung gilt;über die Notwendigkeit einer Erfüllung dieser Bedingung ist bereits ausführlich in 2. diskutiert worden. Die Berechtigung der Forderung, ausschließlich fundierte Wahrheitsprädikate als adäquat gelten zu lassen, zeigt sich neben der mit Hilfe von (A) formulierten Definition der Fundiertheitseigenschaft auch an den anderen, für sie angegebenen Charakterisierungen. So ist es m.E. vernünftig, für die Erweiterung einer PIPL-Sprache L zu einer Sprache L' mit Wahrheitsprädikat zu fordern, daß in jeder L'-Struktur nur solche Formeln von F (L') bei einer Belegung gelten, für die dieser Sachverhalt auf die Gültigkeitsbeziehungen der zugrundeliegenden L-Struktur zurückgeführt werden kann ; nach 3.13 ist diese Forderung nur bei fundierten Wahrheitsprädikaten erfüllt. In anderer Formulierung besagt diese Forderung, daß es möglich sein muß, die Gültigkeitsbeziehungen in jeder L'-Struktur konstruktiv aus den Gültigkeitsbeziehungen der zugehörigen L-Struktur zu gewinnen; für eine solche Konstruktion ist gerade die in 2.11 angegebenen Definition von G (S) einschlägig. Schließlich ist es auch natürlich und — wie wir gesehen haben — für eine eindeutige Bestimmung der Spracherweiterung hinreichend, wenn man verlangt, daß die Interpretation des Wahrheitsprädikats in einer L'Struktur S' = (X, I'> durch einen Definitionsprozeß zu bestimmen sein muß, der auf der sukzessiven Anwendung einer Regel basiert, die ungefähr folgendermaßen lautet : WennS' |= φ, so e ( I ' ( W ) ) j . Eine solche Definition für (Γ (W)) 1 ist in korrekter Formulierung in 3.14 beschrieben und führt zu fundierten Wahrheitsprädikaten.
4. Wahrheitsprädikate in Sprachen mit Zitatfunktion Im nächsten Schritt soll nun das Problem der Einführung von Wahrheitsprädikaten am Beispiel von Sprachen mit Zitatfunktion behandelt werden. Und zwar wollen wir hier diejenigen Sprachen untersuchen, die man erhält, wenn man in PIPL-Sprachen zusätzlich für alle Arten von Zeichenreihen die Bildung von Zitaten gestattet und die Zitate als normiert zu interpretierende Terme auffaßt. Dabei ist es zweckmäßig, das Zitatzeichen nicht als Funktions-
Über Sprachen mit Wahrheitsprädikat
229
konstante anzusehen sondern diesem Zeichen eine intern syntaktische Rolle für die Bildung von Individuenkonstanten zuzuweisen. Damit ist es auch möglich, PIPL-Sprachen mit Z i t a t f u n k t i o n (abgekürzt : PIPLZ-Sprachen) als spezielle PIPL-Sprachen aufzufassen u n d das Problem der Einführung von Wahrheitsprädikaten in PIPLZ-Sprachen auf das entsprechende Problem für die PIPL-Sprachen zu reduzieren. Im folgenden werde vorausgesetzt, daß für beliebige Zeichenreihen ξ, die aus logischen Zeichen, d e m Zitatzeichen, ', Individuenvariablen oder Konstanten zusammengesetzt sind, stets ' als eine Individuenkonstante gilt. 4.1
Definition: Für beliebige Konstantenmengen Κ sei die Konstantenmenge Κ definiert durch: (1)KCK (2) Falls f e ( { Ί , V, Η , '} U V U K)*, so ,ξ' e Κ10.
4.2
Definition: wenn
Eine PIPL-Sprache L ist eine PIPLZ-Sprache genau dann,
(1)K(L) = K(L) (2) Für jede Individuenkonstante, die von der F o r m S t r u k t u r S = die Eigenschaft hat: ( F ) Für jede einstellige Prädikatenkonstante Ρ e Κ (L') und für jedes i < 2 gilt: Ρ β ( Γ (H))j genau dann, wenn Ρ e ( Γ ( P » 1 _ i . ( F ) kann äquivalent u m f o r m u l i e r t werden in :
11 Man kann zwar im Gegensatz zu unserer Vorgehensweise auch ein Junktorensystem wählen, in dem eine solche Implikation definierbar ist. In diesem Fall muß aber bei der Interpretation von W ein neuer Typ von Undefiniertheit eingeführt weiden, der nur metasprachlich und nicht zugleich objektsprachlich ausdrückbar ist. Somit verschiebt sich das Problem nur auf eine andere Ebene.
232
Walther Kindt
(F') Für jede einstellige Prädikatenkonstante Ρ e Κ (L'), für jedes ν e V und für jedes β e X v mit β (ν) = Ρ gilt: S' ^ Ην genau dann, wenn S' ^ HPv; S' ^ Π Ην genau dann, wenn S' ^ Pv. Es ist nun sofort zu sehen, daß S' durch (F) bzw. (F') eindeutig bestimmt ist, falls man zusätzlich fordert, daß in (Γ (H)) 0 U (Γ (H))j nur einstellige Prädikatenkonstanten aus Κ (L') liegen. Die so definierte Sprache L' ist zugleich die schwächste Erweiterung von L mit der Konstantenmenge Κ (L) U { Η } und der Eigenschaft, daß jede der zu ihr gehörigen Strukturen (F) erfüllt. Darüberhinaus ist klar, daß die Prädikatenkonstante Η selbst bei keiner L'-Struktur S' = (X, I'> in (Γ (H)) 0 U (Γ (H))j liegt. Die gegenteilige Annahme würde nämlich zu einer der Antinomie von Greiling entsprechenden Antinomie führen: es müßte dann eine L'-Struktur S' = existieren, für die entweder Η e (Γ (H)) 0 oder Η e (Γ (H))j erfüllt wäre; in beiden Fällen würde sich aber ein Widerspruch ergeben, weil nach (F) gilt: Η e (Γ (H)) 0 genau dann, wenn H e (F (H))j. Falls L eine PL-Sprache ist, kann die zu L bestimmte Erweiterung auch nur dann eine PL-Sprache sein, wenn für keine L-Struktur S = --->tn-ieT(Lr.
ρ): = e (φ) V e (ρ) und
e (Η ν φ): = 3 ν e (φ) für alle φ, ρ e F (L') - F (L) und alle ν β V. Unter diesen Voraussetzungen gilt für jede L'-Struktur S' = R(S) {V,/3>}. (3) Falls φ V ψ e F (L') - F (L) und β e X V , so R (S)
{(φ
β)},
) und Π(φν
ψ),β>Κ(8)(Πφ,β>,ηψ,β>
}.
(4) Falls a ν φ e F (L') - F (L), β e X V und χ β Χ, so O v ^ ß > R ( S ) { V , > und R(S){n^y>;yeX}. Unter diesen Voraussetzungen hat jede L'-Struktur S' = für jedes φ e F (L') und für jedes β e X V die Eigenschaft: S'
φ genau dann, wenn es für (ψ, β> einen endlichen R (S' | Κ (L))-Re-
duktionsbaum derart gibt, daß S' I Κ (L) ^ , ψ für jeden Endpunkt (ψ, β') des Baumes erfüllt ist. 6.2 kann durch Verallgemeinerung der in Abschnitt 3. durchgeführten Überlegungen bewiesen werden. Der Hauptgrund, warum für den zweiten Spracherweiterungstyp kein 6.1 entsprechendes Theorem gilt, ist darin zu sehen, daß die Gültigkeit solcher Formeln φ der erweiterten Sprache, in denen der Existenzquantor und die neue Prädikatenkonstante vorkommen, i.a. nicht durch die Gültigkeit einer einzigen, φ zugeordneten Formel der zugrundeliegenden Sprache beschrieben werden kann. Beispielsweise ist es im Falle des in 5. diskutierten Prädikats Η nicht möglich, die Aussage 3 ν Ην durch eine Aussage der zugrundeliegenden Sprache L zu ersetzen, sofern in Κ (L) unendlich viele einstellige Prädikatenkonstanten liegen. Wenn L allerdings nur endlich viele solcher Konstanten Ρ , . . . , P n besitzt und z.B. außerdem eine Sprache mit Zitatfunktion ist, dann kann 3 ν Ην durch Ί P Q ,P Q ' V . . . V Ί P p ,Ρ ' ersetzt werden. Bei-dem Vorhandensein unendlich vieler einstelliger Prädikatenkonstanten müßte in L auch die Bildung unendlicher Alternationen zulässig sein, wollte man eine Elimination von Η erreichen. Im Falle einer Sprache mit fundiertem Wahrheitsprädikat W ist es demgegenüber prinzipiell unmöglich, einen geeigneten Ersatz für die Aussage 3 ν Wv zu finden, weil die Anwendung von W weder auf die Aussagen der zugrundeliegenden Sprache beschränkt ist noch Sprachen definiert werden können, welche die Bildung von Alternationen über die Menge aller ihrer Aussagen erlauben.
Über Sprachen mit
Wahrheitsprädikat
237
An den eben diskutierten Beispielen dürfte deutlich geworden sein, daß der Verlust des Eliminationstheorems für Spracherweiterungen des zweiten Typs mit einem erheblichen Gewinn an Ausdrucksstärke einhergeht. In diesem Zusammenhang stellt sich die generelle Frage, wie ausdrucksstark PIPLSprachen durch Spracherweiterungen dieses Typs gemacht und welche theoretisch oder empirisch wichtigen Prädikate im Rahmen dieses Typs eingeführt werden können. Darüberhinaus legen die Ergebnisse unserer Diskussion die Aufgabe nahe, das Spracherweiterungsproblem unter noch generellem Aspekt zu untersuchen und u.a. etwa die folgenden Fragen zu erörtern: — Welche Spracherweiterungstypen sollten theoretisch unterschieden werden? — Welche Eigenschaften haben die einzelnen Typen und welche Ausdrucksstärke kann mit ihnen erzielt werden? — Welche Probleme ergeben sich bei einer Nacheinanderausführung von mehreren Spracherweiterungen im Hinblick auf die Anschließbarkeit und Fortsetzbarkeit der verschiedenen neu eingeführten Begriffe? — Welche unter den möglichen Spracherweiterungstypen müssen z.B. für eine Rekonstruktion natürlicher Sprachen in Betracht gezogen werden und in welcher Reihenfolge können die notwendigen Erweiterungen durchgeführt werden? Eine Beantwortung der hier aufgeworfenen Fragen muß anderen Untersuchungen vorbehalten bleiben ; das Ziel der vorliegenden Arbeit war es diesbezüglich nur, auf die Notwendigkeit solcher Untersuchungen hinzuweisen.
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Walther Kindt
Feferman, S. (1976): Comparison of some Type-Free Semantic and Mathematical Theories. Manuskript Universität Stanford (erscheint in: Journ. of Symb. Logic). Hermes, H. ( 1 9 7 2 3 ) : Einführung in die mathematische Logik. Stuttgart. Kindt, W. (1972): Eine abstrakte Theorie von Dialogspielen. Dissertation Freiburg. Kleene, S.C. (1952): Introduction to Metamathematics. Kripke, S. (1975): Outline of a Theory of Truth. In: Journ. of Philosophy 72, pp. 6 9 0 716. Martin, F.L. (1970): The Paradox of the Liar. L o n d o n - N e w Haven. Martin, R.L./Woodruff, P.W. (1976): On Representing .True in L' in L. In: Kasher, A. (ed.): Language in Focus, Dordrecht. Parsons, Ch. 1974: The Liar Paradox. In: Journal of Philosophical Logic. 3 (1974), pp. 3 8 1 - 4 1 2 . Shoenfield, J.R. (1967): Mathematical Logic. New York. Stegmüller, W. (1968 2 ): Das Wahrheitsproblem und die Idee der Semantik. W i e n New York. Suppes, P. (1960): Axiomatic Set Theory. Princeton. Tarski, A. (1935): Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen. In: Studia Philosophica 1 (1935), pp. 2 6 1 - 4 0 5 . Thomason, R.H. (1973): Necessity, Quotation, and Truth: An Indexical Theory. Manuskript, University of Pittsburgh. Inzwischen erschienen in: Kasher, Α. (ed.): Language in Focus. Dordrecht 1976.
Personenregister
Austin, J.L. 18 (Anm. 21), 38 Bailey, C.-J. 15 Bai-Hillel, Y. 75, 141, 206 Bierwisch, M. 15 (Anm. 16), 111 (Anm. Π 142 (Anm. 3), 173 (Anm. 46) Bloomfield, L. 12 Bühler, K. 57 Carnap, R. 66, 113 f., 113 (Anm. 21), 114 (Anm. 22), 115 (Anm. 24) Cedergren, H. 143, 166 ff. Charniak, E. 17 Chomsky, N. 10 ff., 17 (Anm. 20), 62, 78, 101 f., 107 (Anm. 14), 137, 141 f., 153, 171 f. Coseriu, E. 85, 131 ff.
Lambert, W. 145, 165 Lawvere, F. 191 Lewis, D. 97, 102, 103, 104, 104 (Anm. 12), 134 (Anm. 36) Lieb, H.-H. 98 (Anm. 10) Martin, F. 205 (Anm. **), 221 (Anm. 8) Martinet, Α. 57 f. Montague, R. 16, 31, 33 Nagel, E. 72 Partee, Β. 171 f., 194 ff. Peters, P.S. 171 f., 194 ff. Plato 69 Quine, W.V.O. 3f., 17 (Anm. 20), 35, 104 (Anm. 12)
DeCamp, D. 111 (Anm. 17), 143, 170 Ritchie, R.W. 171 f., 194 ff. Feyerabend, P. 2 (Anm. 2) Geertz, C. 144, 160 ff. Ginsburg, S. 153, 171 f., 194 ff. Grice, H.P. 18 (Anm. 21), 35, 64 ff., 103 Halliday, M.A.K. 58 f. Hintikka, J. 129 (Anm. 32) Humboldt, W. von 57 Hymes, D. 144 Klein, W. 15, 111 (Anm. 17), 112 (Anm. 20), 121 (Anm. 28), 167 (Anm. 39) Kripke, S. 26 (Anm. 28) Kuhn, T.S. 2 (Anm. 2) Labov, W. 14, 111 (Anm. 17), 142 f., 166 ff. Lakoff, G. 142, 158 Lakoff, R. 144
Sálomaa, Α. 153 ff, 171 f. Sankoff, D. 143, 166 ff. Saussure, F. de 6 ff., 81 ff. Searle, J. 10, 18 (Anm. 21), 60, 71 ff., 88 (Anm. 3), 104 Sneed, J. 2 (Anm. 2), 4, 40, 117 (Anm. 25) Stegmüller, W. 72 ff., 114 (Anm. 22), 206 Strawson, P.F. 38, 40 Suppes, P. 158, 166 f. Tarski, A. 25, 31, 56, 205 Whorf, B.L. 9 Wiener, N. 72 Wittgenstein, L. 62, 95, 96 Wright, G.H.v. 72, 74 Wunderlich, D. 102 (Anm. 11), 156.
Sachregister
Ableitungsbewertung 22, 159, 161 Adäquatheit (s.a. Sprachadäquatheit) 12 - funktionale 39, 46 - kommunikative 39 - strukturale 39, 46 Α-Gruppe (s.a. Gruppe attributiv äquivalenter Individuen) 116, 119,120 a-Gruppe (s.a. Gruppe sprachkonventionell äquivalenter Individuen) 119, 120 Akzeptabilität 23, 142, 146, 159 Analyse - semantische 127 - tiefensyntaktische 127 Analytizität 48 Angeborenheitshypothese 11 (Anm. 11), 13 (Anm. 13) Antinomie 206 f., 231, 233 Äquivalenz - attributive 116 - sprachkonventionelle 118,119 Äquivalenzklassenzerlegung 112, 116 Argument 124, 125 Attribut 124 Attributenfamilie 114 ff. - Postulate für 115 Ausdrückbarkeit - Prinzip der 60, 69 ff., 88 Ausdrucksadäquatheit (s.a. Adäquatheit) 20 f. 76 ff. Ausdruckskapazität 129, 137
Bedarfsdeckung 33 ff. Bedarfsstrukturen 40 Beschränkung von T-Ableitungen 196 Bewertungsraum 147 Bezirk der Linguistik - äußerer 6 ff. - innerer 6 ff. Bilingualität 110 (Anm. 16), 144
Competence
10
Darstellungsadäquatheit 44 ff., Darstellungskapazität 42 ff. Diachronie (s.a. Sprachveränderung, Sprachprozeß, Synchronie) 9, 52, 71, 78 f., 82 f. Diagramm 42, 185 Dialekte 108, 110 (Anm. 16), 142 Disziplin, wissenschaftliche (s.a. Matrix, Theorie) 2 ff. -
Dynamik einer 4 Peripherie einer (s. Rand einer —) Rand einer 3, 5, 14 Zentrum einer 3, 5, 14
Einbettung 185 Einbettungstiefe, maximale (s. a. Sprachperformanz) 100, 101 Einheit 182 Eliminationstheorem 234 f. Entscheidungsreduktion 215 ff., 226 Erhaltungsgesetz (s.a. Universale) 138 Erzeugendensystem, freies 187 Externalitätsprinzip 15, 19 Feedback 73, 75 Fiktion, linguistische 122 ff. fundiertes Wahrheitsprädikat 226, 228, 229 f. funktionale Erklärungen 33, 58, 72 f. Funktionalismus 19 Funktionalitätsvoraussetzung 86, 89 F u n k t o r 184 Gesetz, linguistisches 84 (Anm. 1) Grammatik 12 - bewertende 173 - bewertete 199 ff. - CF (kontextfrei) 188, 201 ff. - geordnete 155 f.
241
Sachregister - kategorielle 24 - mit Ableitungsbewertung 22, 149 ff. - mit interpretierter Ableitungsbewertung 150 ff., 170 - mit Kontrollsprache 153 f. - Montague - 24 - Phrasen-Struktur-(Regel-) 12, 147 ff.,
188 - time-variant 154 f. - Transformations (s. TransformationsGrammatik) - Varietäten-(s. Varietäten-Grammatik) Grammatikali tat 23, 141 f., 146, 158 f. Grammatiken-Familien 24, 76, 112 (Anm. 20), 143, 166, 170 f. Graph, gerichteter 183 Gruppe - attributiv äquivalenter Individuen 116 f., 120 - sprachkonventionell äquivalenter Individuen 119, 120 Gültigkeit 207 f., 210, 212 ff., 222, 228 Hierarchisierbarkeit 54 Homogenitätsannahme 10 f., 14, 142 Honoriflcs (s.a. Status-Beziehung) 144 Implicational scales 15, 143 Information 93, 93 (Anm. 5) Informationstransfer - Notwendigkeit des 92 Inhomogenitätsannahme 111, 112 Inklusion 185 Innovationsprinzipien 76, 79 Internalisierungsprozesse 97, 98 Internalitätsprinzip der Linguistik 8 ff., 11 f., 14 ff. 19 ff. Interpretation 150, 191, 212, 214, 221 Isomorphismus 193 Kapazität - genaue 37 f. - generative 171 f. - kommunikative 33 f., 37 f. Kategorie 24, 182 ff. - freie x - 1 8 6 - kontextfreie x- 187 - semantische 191
- Unter- 184 - volle Unter- 184 - χ- 186 Kategorienverfehlung 142, 162 Kausalität 72, 74 Klammerausdruck, indizierter 192 Koexistenzmodell 166, 170 Kommunikationsbedarf 21 f., 33 ff., 88, 95,96 Kommunikationsbedürfnisse 20 f., 26, 33 ff., 57 ff., 63, 65 ff. 76 f., 88, 95, 96 Kommunikationsfeld 93 (Anm. 6) Kompetenz (s.a. Sprachkompetenz, Sprachverwendung) 142, 167 - kommunikative 144 f. Konnotation 144 (Anm. 14), 173 (Anm. 46) Konvention 96, 98 (Anm. 9) Konversationspostulate 64 ff. Künstliche Intelligenz 17 Kybernetik 72 ff. l a n g u e 9 f. Linguistik (s.a. Nicht-Linguistik, Saussuresche Linguistik) - äußerer Bezirk (s. Bezirk, äußerer) - innerer Bezirk (s. Bezirk, innerer) - Mathematisierung der 12 Matrix, disziplinäre 2 , 4 , 5, 34 Matrixwechsel 4, 10 Metakommunikation 47, 49 Model] 115 Modellkomponente 115 Modus 113 (Anm. 21), 114 - Region eines 114, 114 (Anm. 22) Monoreferentialität 54 Morphismenmenge 182 Multilingualitat 108, 110 (Anm. 16) Nichtkapazität 37 f. Nicht-Linguistik 5, 6 Nicht-Saussuresche Linguistik (s.a. Saussuresche Linguistik) 27 Objektmenge 182 Ontologie 32, 40 f.
242 p a r o l e 10 partielle Interpretation 221, 223 p e r f o r m a n c e 10 Philosophie, sprachanalytische 19 PIPL-Sprache 221 ff. PIPLZ-Sprache 229 ff. Prädikatenlogische Sprache 207, 211, 223 Pragmatik 18 ff., 146, 173 P-Sprachen - analytische 47 f. - diachrone 48 f., 52 - grammatische 48, 50 - hierarchisierbare 47 f. - monoreferentielle 54 - pragmatische 48 - synchrone 50 - veränderbare 47 f. Psychologie 16 f. P-Welt 47 ff. Quasi-Deutsch 122 ff. Quelle 182 Quellenabbildung 182 Reduktionstheorem 235 f. Regelbewertung 148 ff., 151 f., 169 f. Regelordnung 155 f., 158 (Anm. 31) Regelverletzung 142, 158 Rekonstruktion 206 ff., Revision der Chomskyschen Linguistik 13 ff. Saussuresche Linguistik (s.a. Nicht-Saussuresche Linguistik) 5 ff. Selbstreferenz 47, 208 f. Semi-Thue-System 24, 183 Situation (Sprechsituation) 61 ff. Soziolekt 43, 142 Sprachadäquatheit - funktionale 39 - kommunikative 39 - strukturale 39 Sprachbewertungen (s.a. Sprachintensionalität) 22 f., 109 ff. Sprachdynamik (s.a. Sprachprozeß, Sprachveränderung) 6, 9, 14, 21, 51 ff., 210 Sprache 35 ff. Sprachergänzungen 110 (Anm. 16)
Sachregister Spracherweiterung 210 f., 212 ff., 225 ff. 232 ff. Sprache-Welt-Paar 19 - nulltet Ordnung 44 ff. - erster Ordnung 47 ff. - zweiter Ordnung 51 ff. - dritter Ordnung 53 ff. Sprache-Welt-System 19 - Ebenen der Mannigfaltigkeit von 39 ff. Sprachfamilien 62, 69, 76 Sprachgebrauch (s. Sprachkonventionalität, pragmatische Ebenen der) Sprachgemeinschaft 11, 21, 43, 89 ff., 166 Sprachinhomogenität (s.a. Inhomogenitätsannahme) 14, 22, 107 ff., 165 - Ausgleich der 135 - Dimensionen der 110 (Anm. 16), 121, 130 (Anm. 33) Sprachinnovationen (s.a. Sprachmodifikationen) 22, 131 ff. Sprachintensionalität (s.a. Sprachbewertung, Sprachinhomogenität) 22 f., 106 f., 109 Sprachkompetenz (s.a. Sprachkonvention alitât) 101 Sprachkonventionalität 22 f., 109, - Ebenen der 102 ff. - grammatische Ebenen der 104,105 - Postulat für Ebenen der 118 - pragmatische Ebenen der 6 , 1 0 2 , 1 0 3 , 104 Sprachkonventionen 133 - Systeme von 111, 131, 133 Sprachmodifikationen 131 ff., 136 - expansive 136 - konservative 136 - nicht-konservative 136 - reduktive 136 Sprachperformanz (s.a. Sprachgebrauch) 100, 101, 102, 167 Sprachprozeß 21 f., 81 ff. 89 ff., 131 ff. - Erklärbarkeit des 82 f. - Funktionalität des 21, 89 f. - Kompensationstheorie des 87 f. - Kontingenz des 84 - Singularität des 83 f.
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Sachregister Sprachsystem 8 f., 82 — Zustände des 9 Sprachvariation (s.a. Sprachinhomogenität) 14, 22, 142, 173 Sprachveränderung (s.a. Sprachdynamik, Sprachprozeß) 20 f. Sprachvollständigkeit 26, 88, 8 8 (Anm. 3), 94, 94 (Anm. 7) Sprachzustand 5 1 f., 82 102 Sprecher-Hörer 15, 111, 118, 122, 142 Sprecher-Hörer-Gruppe (s.a. a-Gruppe) 119 Sprecher-Hörer-Umgebung 18, 24 S T 189 Status-Beziehung 23, 146, 160 ff. Stil 144 Struktur 2 0 7 , 2 1 0 ff., 2 1 2 , 2 1 3 ff., 2 1 8 ff., 221 f. Struktur, attributive 9 1 , 9 1 (Anm. 4 ) , 116 Strukturalismus 12, 4 3 Strukturkern (s. Theorie) Struktursystem — außersprachliches 34 ff. — sprachliches 34 ff. Substitution 209 Synchronie (s.a. Diachronie) 8 2 f. Teilsprache 67 ff., 76, 150 ff. Teleologie 71 f., 74 Tertium non datur 209 f., Theorie 117 (Anm. 25) — Anwendungsbedingungen einer 117 (Anm. 25) — Nebenbedingungen einer 117 (Anm. 25) — Strukturkern einer 3 , 4 , 9 , 117 (Anm. 25)
- Wechsel einer 4 Topos 191 total definiertes Prädikat 211, 2 2 1 TransformationsGrammatik 12, 171 ff., 194 Regel 194 Überkapazität 37 f. Universale (s.a. Gesetz, linguistisches) 137 Unterkapazität 37 f. variable Regel 15, 24, 143, 166 ff. Variation (s.a. Sprachvariation) 142 Varietätengrammatik 15, 111 (Anm. 17), 112 (Anm. 20), 121 (Anm. 2 9 ) 136 (Anm. 38) Verständigungsprozesse (s.a. Informationstransfer) 107 (Anm. 13), 135, 136 Verständigungszustand 98, 102, 103, 137 Vollständigkeitstheorem 2 2 3 f. Wahrheitsbewertungsdefinitheit 124 Wahrheitsprädikat 25 f., 2 0 6 ff., 2 1 0 ff., 2 2 0 ff., 224 ff. Wahrheitsprädikat in P-Sprachen 47 Wahrscheinlichkeitsgrammatik 23, 156 ff. Welt 35 ff. Weltzustand 51 f. Wissenschaftssprachen 110, 110 (Anm. 16) Ziel 182 Zielabbildung 182 Zitatfunktion 26, 54, 2 0 7 , 228 ff. ZO-Systeme 21 Zustand 5 1 , 72 ff.