Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation: Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung [Reprint 2012 ed.] 9783110932324, 3484810211, 9783484810211

Recently, societies have come in for increasing attention in research on the 18th century. Earlier the emphasis was on t

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German Pages 318 [320] Year 2003

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Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation: Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung [Reprint 2012 ed.]
 9783110932324, 3484810211, 9783484810211

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Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung Schriftenreihe des Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der Europäischen Aufklärung Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung

Herausgegeben von Holger Zaunstöck und Markus Meumann

Max Niemeyer Verlag Tübingen

Wissenschaftlicher Beirat: Karol Bai, Manfred Beetz, Jörn Garber, Notker Hammerstein, Hans-Hermann Hartwich, Andreas Kleinert, Gabriela Lehmann-Carli, Klaus Luig, F r a ^ o i s Moureau, Monika Neugebauer-Wölk, Alberto Postigliola, Paul Raabe, Richard Saage, Gerhard Sauder, Jochen Schlobach, Heiner Schnelling, Jürgen Stolzenberg, U d o Sträter, Heinz Thoma, Sabine Volk-Birke Redaktion: Wilhelm Haefs Satz: Kornelia Grün

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-81021-1

ISSN 0948-6070

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2003 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. Druck: Guide-Druck, Tübingen Einband: Geiger, Ammerbuch

Vorwort

Vor wenigen Jahren noch schien es ruhig geworden zu sein um die geheimen Bünde und die Logen der Freimaurer, die Gelehrten und Patriotischen Gesellschaften, die Akademien und Lesezirkel. Die vielfaltigen Sozietäten des 18. Jahrhunderts, die in den siebziger und achtziger Jahren unter dem auf die Typologisierung von Richard van Dülmen zurückgehenden Prädikat der „Aufklärungsgesellschaften" zu einem bevorzugten Forschungsgegenstand der interdisziplinären Aufklärungsforschung avanciert waren, schienen mit dem Bedeutungsverlust des sozialgeschichtlichen Paradigmas, dem sie ganz wesentlich ihre Konjunktur verdankten, auch ihre herausgehobene Stellung für die Interpretation des Aufklärungszeitalters einzubüßen. Mit dieser Ruhe ist es nun offensichtlich vorbei: Gerade eben erst haben sich zwei Ausstellungen in Weimar und Jena der Freimaurerlogen und geheimen Gesellschaften angenommen, 1 die seit Reinhart Kosellecks vieldiskutiertem Buch Kritik und Krise von 1954 ohnehin einen bevorzugten Stellenwert bei der Beschäftigung mit der Vergesellschaftungsbewegung im ausgehenden Ancien Regime genossen. Überdies hat sich die Erforschung der Sozietäten seit einiger Zeit, gleichsam als Nebeneffekt des nachlassenden Interesses der Aufklärungsforschung, aus deren gelegentlich erdrückender Umarmung befreien können und über die enge Typologisierung der siebziger und achtziger Jahre hinaus einen offeneren Zugang zu den Formen der Vergesellschaftung im 18. Jahrhundert gefunden. Damit rückt nunmehr ein breites Spektrum von Sozietäten und Soziabilität in den Blick der Forschung. Diese vielfaltigen Forschungen und Projekte zur Geschichte der Sozietäten in der Aufklärungszeit in einem gemeinsamen Zugang, dem der Kommunikationsgeschichte, zu bündeln, war die grundlegende Idee für die Tagung Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation, die im November 2000 am Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg stattfand. 2 Der bereits im Titel der Tagung (wie auch des vorliegenden Bandes) formulierte Dreischritt hatte dabei programmatischen Cha-

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Geheime Gesellschaft. Weimar und die deutsche Freimauerei. Katalog zur Ausstellung der Stiftung Weimarer Klassik im Schiller-Museum Weimar. Hg. v. Joachim Berger und KlausJürgen Grün, München / Wien 2002; Logenbrüder, Alchemisten und Studenten. Jena und seine geheimen Gesellschaften im 18. Jahrhundert. Hg. von Joachim Bauer, Birgitt Hellmann und Gerhard Müller. Rudolstadt / Jena 2002 (Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte 6). Siehe den Tagungsbericht von Markus Meumann in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 6/2001, S. 537-540.

VI rakter. Zum einen fuhren Arbeiten zu einzelnen Sozietäten und Mitgliedern sowie prosopographisch breiter angelegte Studien den faktischen Erkenntnisprozeß weiter. Auf dieser Grundlage lassen sich Fragestellungen und Ergebnisse zur Vernetzung der Gesellschaften formulieren. Und die daraus resultierenden Vernetzungsvorstellungen bestimmen in zunehmender Weise das Bild von der Struktur des Aufklärungsjahrhunderts und seiner Vergesellschaftung. Diese Überlegungen bilden schließlich die Grundlage fur ein sich abzeichnendes Bild einer Kommunikationsgeschichte der Sozietäten. 3 Von der Konzeption einer Tagung bis zum Erscheinen des Konferenzbandes ist es immer ein langer Weg. Auf diesem wurde uns vielfältige Ermutigung und Unterstützung zuteil. An erster Stelle ist hier das Interdisziplinäre Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung zu nennen, das diesen Band nicht nur in seine Reihe aufgenommen, sondern auch schon die Tagung institutionell unterstützt und obendrein finanziell bezuschußt hat, ebenso wie das Prorektorat fur Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs. Die damalige geschäftsfiihrende Direktorin Monika Neugebauer-Wölk hat unser Vorhaben von der Konzeption bis zur Fertigstellung mit stetigem Interesse begleitet und gefördert; zuletzt hat sie ihm außerdem durch die Bereitstellung personeller Kapazitäten ihres Arbeitsbereiches am Institut für Geschichte zum Abschluß verholfen. Dazu, daß die Tagung in durchweg anregender Atmosphäre verlaufen konnte, haben nicht nur die Öffentlichen Versicherungen Sachsen-Anhalt mit der Finanzierung eines gemeinsamen Abendessens beigetragen, sondern vor allem natürlich die Referenten/-innen und DiskutantenZ-innen, von denen sich viele der Mühe unterzogen haben, für diesen Band eine oft wesentlich umfangreichere Version ihrer Beiträge zu erarbeiten bzw. nachträglich beizusteuern und sich den strengen Gestaltungsregeln des Niemeyer Verlages zu unterwerfen. Diesem sei schließlich Dank und Anerkennung dafür ausgesprochen, daß er so unbeirrbar an seinen hohen Maßstäben festhält, denen wir freilich überhaupt nur dank der Mitarbeit von Kornelia Grün und Kristiane Gerhardt nachkommen konnten. Halle, im Herbst 2002 Holger Zaunstöck und Markus Meumann

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Vgl. Holger Zaunstöck, Die vernetzte Gesellschaft. Überlegungen zur Kommunikationsgeschichte des 18. Jahrhunderts, in: Geheime Gesellschaft, (wie Anm. 1), S. 147-153.

Inhalt

HOLGER ZAUNSTÖCK: Zur Einleitung: Neue Wege in der Sozietätsgeschichte

1

I. Sozietäten DETLEF DÖRING: Die mitteldeutschen gelehrten Kollegien des 17. und frühen 18. Jahrhunderts als Vorläufer und Vorbilder der wissenschaftlichen Akademien

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ROBERT SEIDEL: Gelehrtensozietät oder Seminar? - Die Teutsche Gesellschaft in Gießen (1763-1765)

43

KATRIN BÖHME: Im Tempel der Natur. Naturgeschichte, Esoterik und Traditionen in der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin

57

ANNETT VOLMER: Antikerezeption im 18. Jahrhundert: Die Gesellschaft der Alterthümer. Ein Beitrag zur Spätaufklärung in Hessen-Kassel

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JOACHIM BAUER: Studentische Organisationen zwischen Geselligkeit und Politik - Gedankenwelten und Selbstwahrnehmungen

115

MARKUS MEUMANN: Zur Poetologie von Verhaltensregeln und Hierarchien in der Aufklärung: Konstitutionsschriften von Gesellschaften, Logen und Geheimbünden des späten 18. Jahrhunderts

127

II. Netzwerke HERMANN SCHÜTTLER: Johann Friedrich Mieg und die Organisation des Illuminatenordens in der Kurpfalz

143

RENKO GEFFARTH: Zirkel, Brüder, Unbekannte Obere. Zur inneren Struktur des Gold- und Rosenkreuzerordens in Mittel- und Norddeutschland

159

VIII

CHRISTINE HAUG: Weibliche Geselligkeit und literarische Konspiration im Vorfeld der Französischen Revolution - Über das Projekt zur Gründung einer Frauenlesegesellschaft in Gießen 1789/1790

177

KARLHEINZ GERLACH: Die Freimaurer im Alten Preußen: das Beispiel Magdeburg 1760-1806

193

III. Kommunikation REINHARD MARKNER: Imakoromazypziloniakus.

Mirabeau und der

Niedergang der Berliner Rosenkreuzerei

215

HOLGER ZAUNSTÖCK: Denunziation und Kommunikation. Studentenorden und Universitätsobrigkeit in Halle zur Zeit der Spätaufklärung

231

PAUL ZICHE / PETER BORNSCHLEGELL: Ü b e r r e g i o n a l e W i s s e n s c h a f t s -

kommunikation um 1800. Briefe und Reisen einer Jenaer Wissenschaftsgesellschaft

251

CHRISTINE DAMIS: Die Preisfragen in den Statuten italienischer Akademien und Sozietäten

269

Register

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HOLGER ZAUNSTÖCK ( H a l l e )

Zur Einleitung: Neue Wege in der Sozietätsgeschichte

In den zurückliegenden dreißig Jahren hat die Sozietätsforschung einen entscheidenden und unverzichtbaren Beitrag fur das Verständnis des 18. Jahrhunderts geleistet.1 Die in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts breit einsetzende Erforschung der Aufklärungsgesellschaften war sozialgeschichtlich motiviert und entsprechend methodisch angelegt.2 Es wurde nach der Repräsentation der verschiedenen Statusgruppen des Alten Reiches in den (theoretisch) egalitär strukturierten Gesellschaften und nach der dort im Geist der Aufklärung verrichteten Arbeit und gelebten Geselligkeit gefragt. Aufgrund ihrer privat motivierten Verfaßtheit und den auf dieser Basis eingeübten ,protodemokratischen' Entscheidungsformen, die einen langfristigen Mentalitäts- und Handlungswandel ihrer Protagonisten herbeiführten, wurden die Gesellschaften im Ancien regime des Aufklärungsjahrhunderts als Vorläufer der bürgerlichen Gesellschaft beschrieben. Die Erfahrungsräume der Sozietäten wurden von vielen Männern und wenigen Frauen im Laufe des 18. Jahrhunderts mit den Lebenswelten der Ständegesellschaft zunehmend in Beziehung gesetzt und durchmischt, somit ein gesamtgesellschaftlicher Wandlungsprozeß heraus aus der alten Welt in Gang gesetzt.3

Vgl. die Forschungsüberblicke: Manfred Agethen, Aufklärungsgesellschaften, Freimaurerei, Geheime Gesellschaften. Ein Forschungsbericht, in: Zeitschrift für Historische Forschung 14 (1987), S. 439-463; Monika Neugebauer-Wölk, Literaturbericht: Aufklärung und Absolutismus, 3 Teile, hier Teil 2, in Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 10/98, S. 6 2 5 - 6 4 6 sowie insb. Teil 3, in: ebd. 11/98, S. 709-717; Holger Zaunstöck, Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert. Tübingen 1999 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 9), S. 7 - 1 9 ; Michael Schaich, A War of Words? Old and new Perspectives on the Enlightenment, in: German Historical Institute London. Bulletin Volume XXIV, No. 1 May 2002, S. 2 9 - 5 6 , hier S. 3 8 ^ t 4 [http ://www.ghil.co.uk/publ. html#Bulletin]. 2

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Vgl.: Franklin Kopitzsch, Einleitung: Die Sozialgeschichte der deutschen Aufklärung als Forschungsaufgabe, in: ders. (Hg.), Aufklärung, Absolutismus und Bürgertum in Deutschland. München 1976 (Nymphenburger Texte zur Wissenschaft. Modelluniversität 24), S. 11-173; ders., Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung in Hamburg und Altona. 2 Teile. Hamburg 1982 (Beiträge zur Geschichte Hamburgs 21); Richard van Dülmen, Die Aufklärungsgesellschaften in Deutschland als Forschungsproblem, in: Francia 5 (1977), S. 251-275. Für diese Forschungsphase steht exemplarisch: Richard van Dülmen, Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland. Frankfurt/M. 1986 [ 2 1996] - das Buch wurde 1992 ins Englische übersetzt. Siehe außerdem die mittlerweile ebenfalls zum Standardrepertoire jeder einschlägigen Untersuchung zählenden Studien von: Ulrich Im Hof, Das gesellige Jahrhundert. Gesellschaft und Gesellschaften im Zeitalter der Aufklärung. München 1982; Horst Möller, Vernunft und Kritik. Deutsche Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert. Frankfurt/M. 1986 (Neue Historische Bibliothek, edition suhrkamp N.F. 269); Helmut Reinalter (Hg.), Aufklärungsgesellschaften. Frankfurt/M. u.a.

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Diese ganz im Modernisierungskonzept der Sozialgeschichte verwurzelte Bedeutungszuweisung hatte abschließenden Charakter. Sie erzeugte nicht nur ein schleichendes und sich allmählich ausbreitendes Desinteresse an den Gesellschaften des Aufklärungsjahrhunderts, sondern zugleich auch eine methodische Unbeweglichkeit. Dennoch kam die sozietätsgeschichtliche Forschung nicht zum Erliegen (dies gilt auch für den internationalen Kontext). 4 In unterschiedlichen Arbeitskontexten der interdisziplinär verfahrenden Aufklärungsforschung sind die Assoziationen weiter und wieder, jetzt aber unter neuen Fragestellungen, in den Blick genommen worden. 5 Während die siebziger und achtziger Jahre aus geschichtswissenschaftlicher Sicht eine Geschichte der Aufldärungsgesellschaften hervorgebracht haben, sind die einschlägigen Arbeiten der letzen Jahre noch nicht zu einem eigenen Forschungszweig zusammengewachsen. Der Grund dafür ist wohl darin zu sehen, daß sich kein allgemein leitender Ansatz herausgebildet hat, der der Dominanz der Sozialgeschichte in der voraufgehenden Phase vergleichbar wäre.

1. Sozietätsgeschichte als Kommunikationsgeschichte Von dieser Beobachtung ausgehend, haben sich die beiden Herausgeber die Frage gestellt, welcher Zugang geeignet sein könnte, die verschiedenen neuen Forschungen zur Vergesellschaftung im 18. Jahrhundert zu einer aktuellen Sozietätsgeschichte zu bündeln, ohne zugleich die Vielfalt der methodischen und fachspezifischen Zugänge zu beschneiden. Als dafür geeignet erscheint die in den letzten Jahren verstärkt betriebene (frühneuzeitliche) Kommunikationsgeschichte 6 - und zwar aus zwei Gründen: Erstens speist sich eine Geschichte der Kommunikation selbst aus vielen unterschiedlichen Forschungszugängen und ermöglicht somit eine zwar leitende, zugleich aber auch flexible und offene Fragestellung. Und zweitens

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1993 (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle .Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850' 10). Vgl. Peter Clark, British Clubs and Societies 1580-1800. The Origins of an Associational World. Oxford 2000 (Oxford Studies in Social History). Siehe des weiteren die beiden umfangreichen Bände zur europäischen Akademiebewegung, die Klaus Garber und Heinz Wismann 1996 herausgegeben haben und die auf eine große Pariser Tagung von 1989 zurückgehen: Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Traditionen. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung. Hg. von Klaus Garber und Heinz Wismann unter Mitarbeit von Winfried Siebers. 2 Bde. Tübingen 1996 (Frühe Neuzeit 27). Außerdem: Steven C. Bullock, Revolutionary Brotherhood. Freemasonry and the Transformation of the American Social Order, 1730-1840. Chapel Hill 1996; Douglas Smith, Working the Rough Stone. Freemasonry and Society in Eighteenth-Century Russia. DeKalb 1999. In diesem Übergangsprozeß ist die Synthese Die Formierung der bürgerlichen Gesellschaft 1550-1850. Frankfurt/M. 1996 (Europäische Geschichte) von Fred E. Schräder zu verorten, die stark aus französischer Perspektive geschrieben ist. Vgl. Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit. 4. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit Augsburg, 13. bis 15. September 2001 [Programmheft],

Zur Einleitung

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wird ein kommunikationsgeschichtlicher Zugang auch den historischen Gegebenheiten gerecht, denn die Sozietäten des 17. und 18. Jahrhunderts waren ja Orte der Kommunikation, die die überständische Vernetzung der ständischen Gesellschaft (mit)trugen und damit ein einschlägiges System darstellten. Zugleich kann damit, sozusagen als Rückkopplungseffekt, ein wichtiger Schritt bei der Formierung eines historiographisch umfassend angelegten frühneuzeitlichen Kommunikationsbegriffs geleistet werden. Damit würde dann auch für die Sozietätsforschung der Weg bereitet, in einen größer angelegten Diskurs zurückzukehren. Die Bündelung der neuen Forschungen und Projekte zur Geschichte der Sozietäten in der Aufklärungszeit unter der gemeinsamen Klammer einer Kommunikationsgeschichte war die leitende Idee für die dem Band zugrunde liegende Tagung. 7 Diese Überlegungen haben Anknüpfungspunkte in der Aufklärungsforschung: Norbert Schindler hatte 1982 die Logen der Freimaurer als ein „sich ständig verdichtendes, verdecktes überregionales Kommunikationsnetz" beschrieben, 8 und 1988 hatte Hans Erich Bödeker die gesamte Aufklärungsbewegung als Kommunikationsprozeß dargestellt, wobei er den Gesellschaften einen zentralen Ort zuwies. 9 Seit den 1980er Jahren ist der Kommunikationsaspekt in der historischen Aufklärungsforschung immer präsent gewesen. 10 Ein spezifischer Forschungszugang aber ist daraus nicht entwickelt worden. Dies hatte wohl den Grund, daß in den zurückliegenden Jahren .Kommunikation' für das 18. Jahrhundert immer aus der interdisziplinär geprägten Aufklärungsforschung heraus erforscht und beschrieben, damit auch verstanden wurde. Deshalb war Kommunikationsgeschichte in der Regel Mecftengeschichte - neben dem Buchhandel und der Briefkultur stand insbesondere das Zeitungs- und Pressewesen im Mittelpunkt.11 Die seit Mitte der neunziger Jahre (und mittlerweile intensiv) betriebene geschichtswissenschaftliche Kommunikationsforschung bietet die Möglichkeit,12 diese Perspektive in einen

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Siehe den Tagungsbericht von Markus Meumann in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 6/2001, S. 537-540. Norbert Schindler, Freimaurerkultur im 18. Jahrhundert. Zur sozialen Funktion des Geheimnisses in der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft, in: Robert M. Berdahl (Hg.), Klassen und Kultur. Sozialanthropologische Perspektiven in der Geschichtsschreibung. Frankfurt/M. 1982, S. 205-269, S. 218ff. (Zitat S. 218). Hans Erich Bödeker, Aufklärung als Kommunikationsprozeß, in: Rudolf Vierhaus (Hg.), Aufklärung als Prozeß. Hamburg 1988 (Aufklärung. Interdisziplinäre Halbjahresschrift zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte, Jg. 2, Heft 2, 1987), S. 89-111. Vgl. Barbara Stollberg-Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung. Stuttgart 2000 (Universal-Bibliothek 17025), S. 114-145; Winfried Müller, Die Aufklärung. München 2002 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 61), S. 15-36. Vgl. Ernst Fischer / Wilhelm Haefs / York-Gothart Mix (Hg.), Von Almanach bis Zeitung. Ein Handbuch der Medien in Deutschland 1700-1800. München 1999; Sabine Doering-Manteuffel / Josef Mancal / Wolfgang Wüst (Hg.), Pressewesen der Aufklärung. Periodische Schriften im Alten Reich. Berlin 2001 (Colloquia Augustana 15). Noch 1994 hatte Wolfgang Behringer geschrieben: „Und zweifellos lag die Geschichte der Kommunikation etwas abseits des Hauptstroms des Fachs." - Ders., Bausteine zu einer Ge-

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Holger Zaunstöck

breiteren Kontext zu integrieren. Denn neben die Beschreibung der Kommunikationsrevolutionen („neue Medien"), d.h. die sich seit dem 16. Jahrhundert ausbreitenden Printmedien (Bücher, Zeitungen) bzw. dann die elektrotechnischen Erfindungen des 19. Jahrhunderts, treten jetzt zunehmend andere Aspekte, wie etwa die Bedeutung kommunikativer Interaktionen für die frühneuzeitliche Wirtschaft, in den Vordergrund.13 Damit verbunden hat das Interesse an der Geschichte der Post zugenommen, weil diese die infrastrukturelle Grundkomponente frühneuzeitlicher Kommunikation darstellte: Briefe und Zeitungen wurden transportiert, Reisende nutzten die Kutschen.14 Die Bedeutung der Post wiederum ist ohne eine Infrastrukturgeschichte des Straßenbaus nicht zu schreiben. Diese Aspekte leiten über auf die zentrale Bedeutung der Kommunikation für die Ausübung von Herrschaft in ihrer alltäglichen, sozialen Praxis und darüber hinaus schließlich auch auf die Relevanz für die ,große' Politik der Zeit.15 Der dem vorliegenden Band zugrunde liegende Ansatz stellt nun die Sozietäten in das Zentrum der Betrachtungen. Ziel dieser Vorgehensweise ist die Ausformung unseres Bildes der Vielfältigkeit vormoderner Kommunikation,16 die - darin ist sich die Forschung mittlerweile einig — das Grundmuster der modernen Informationsgesellschaft antizipiert hat: „Das ,Informationszeitalter' ist keine Erfindung der Moderne."17 Darüber hinaus geht es darum, die Schnittmengen der verschiedenen Forschungsansätze bei der Neukonstitution einer Sozietätsgeschichte unter kommunikationsgeschichtlichen Prämissen mitzudenken bzw. miteinzubeziehen.18

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schichte der Kommunikation. Eine Sammelrezension zum Postjubiläum, in: Zeitschrift für Historische Forschung 21 (1994), Heft 1, S. 92-112, hier S. 93. Michael North (Hg.), Kommunikationsrevolutionen. Die neuen Medien des 16. und 19. Jahrhunderts. Köln 1995 (Wirtschafts- und sozialhistorische Studien 3); ders., Kommunikation, Handel, Geld und Banken in den frühen Neuzeit. München 2000 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 59). Wolfgang Behringer, Thum und Taxis. Die Geschichte ihrer Post und ihrer Unternehmen. München 1990; ders., (wie Anm. 12). Andreas Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit. Politische Kommunikation in Deutschland zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Göttingen 1994 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 103); Ralf Pröve / Norbert Winnige (Hg.), Wissen ist Macht. Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen 1600-1850. Berlin 2001 (Schriftenreihe des Forschungsinstituts fur die Geschichte Preußens e.V. 2). Zu kommunikationstheoretischen Überlegungen vgl. die Ausführungen (mit Literaturangaben) bei: Michael North, Einleitung, in: ders., Kommunikationsrevolutionen, (wie Anm. 13), S. IX-XIV; ders., Kommunikation, Handel, Geld und Banken, (wie Anm. 13), S. 45f.; Ralf Pröve, Herrschaft als kommunikativer Prozess, das Beispiel Brandenburg-Preußen, in: ders. / Norbert Winnige, (wie Anm. 15), S. 11-21. Ernst Fischer / Wilhelm Haefs / York-Gothart Mix, Einleitung: Aufklärung, Öffentlichkeit und Medienkultur in Deutschland im 18. Jahrhundert, in: dies., (wie Anm. 11), S. 9 - 2 3 : Das Zitat ist der erste Satz des Textes. Ein frühes Beispiel dafür: Klaus Gerteis, Das „Postkutschenzeitalter". Bedingungen der Kommunikation im 18. Jahrhundert, in: Karl Eibl (Hg.), Entwicklungsschwellen im 18. Jahrhundert. Hamburg 1990 (Aufklärung. Interdisziplinäre Halbjahresschrift zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte, Jg. 4, Heft 1), S. 55-78.

Zur Einleitung

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Ziel einer solchen Vorgehensweise ist ein integrales Verständnis der Sozietäten als gesellschaftliche Brennpunkte im Alten Reich des 18. Jahrhunderts. Die Assoziationen in ihrer gesamten Breite von nichtarkanen und arkanen Gesellschaften sind gewissermaßen Grundbedingungen für das Funktionieren der vormodernen Informationsgesellschaft. 19 Denn das entscheidend Neue im 18. Jahrhundert ist die Verknüpfung einer nie zuvor dagewesenen infrastrukturellen Ausweitung der Informations· und Wissensverbreitung einerseits mit einer expandierenden Geselligkeitskultur andererseits, innerhalb der ein diskursives Klima in Gesellschaftsräumen gepflegt wurde - Kommunikation meint hier deshalb einen Informations-, Meinungs- und Wissenstransfer und daraus resultierend einen kritischen Austausch. So stellt das dichte Netzwerk der aufgeklärten Sozietäten eine qualitativ neue Kommunikationsstruktur in der ausgehenden Frühen Neuzeit dar, deren Genese wir in den unterschiedlichen Entwicklungsstufen beobachten können. Dieser Kommunikationsprozeß durchdrang die gesamte ständisch formierte Gesellschaft des Alten Reiches. Über die Filialen der Aufklärung waren führende Personen aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft ebenso in einen Informationsfluß eingebunden wie mittellose Landschullehrer und Studenten, die vielfach ohne die Sozietätsgemeinschaften schon aufgrund ihrer begrenzten Mittel nicht oder nur bedingt auf einigermaßen aktuellem Niveau hätten kommunizieren können. Für viele eröffneten die Sozietätsstrukturen überhaupt erst den Zugang zu mehr als zufalliger Information - diese Kommunikationspartizipation erstreckte sich bis in dörfliche Lebenswelten; der zivilisatorische Gegensatz von Stadt und Dorf wurde hier durch einen gemeinsamen Kommunikationszusammenhang nivelliert. Denn erst Informationen, die kommuniziert werden, sind vorhandene und damit verfügbare Informationen, 20 die in praktisches Handeln umsetzbar sind. Und diese grundsätzliche Feststellung trifft nicht nur für die öffentlichen, nichtarkanen Lesegesellschaften, Gelehrten und Patriotischen Sozietäten, sondern auch auf die arkane Kommunikation in den Freimaurergesellschaften und Geheimbünden zu.21 Die voranschreitende Erosion der ständisch aufgebauten Gesellschaft des Alten Reiches, die ja entscheidend durch die aufgeklärten Sozietäten initiiert und befördert wurde, schuf und benötigte einen Informationsfluß, der über die Grenzen der 19

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Vgl. etwa den Zugang bei: Michael Kempe / Thomas Maissen, Die Collegia der Insulaner, Vertraulichen und Wohlgesinnten in Zürich, 1679-1709. Zürich 2002, hier S. 9 - 1 6 : „Einleitung: Aufklärung als Kommunikation". In Anlehnung an: Sabine Doering-Manteuffel / Josef Mancal / Wolfgang Wüst, Einleitung, in: dies., (wie Anm. 11), S. 11-40, S. 31 (hier in Bezug auf den Aufsatz von Thomas K e m p f Pulverisierter Empirismus. Wissensdiskurse in Intelligenzblättern - in demselben Band). Vgl. Holger Zaunstöck, Die vernetzte Gesellschaft. Überlegungen zur Kommunikationsgeschichte des 18. Jahrhunderts, in: Geheime Gesellschaft. Weimar und die deutsche Freimaurerei. Katalog zur Ausstellung der Stiftung Weimarer Klassik im Schiller-Museum Weimar 21. Juni bis 31. Dezember 2002. Hg. von Joachim Berger und Klaus-Jürgen Grün. München 2002, S. 147-153.

Holger

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Zaunstöck

Sozialgruppen hinweg verlief. Und dies war allein mit einer Informationsbeschleunigung (Verdichtung der Verkehrswege und Anwachsen der Medienproduktion) 22 nicht zu erreichen: Man benötigte für ständeübergreifende Information ein qualitativ neues Kommunikationssystem, das Individuen und Räume entweder direkt oder vermittelt miteinander verband, die bislang in von einander getrennten gesellschaftlichen Segmenten agiert hatten bzw. piaziert waren. Ein solches System stellten in idealtypischer Weise die unter einander verflochtenen Gesellschaften dar. Der Bedarf an einer überlokal vernetzten Organisation war ein wichtiger Anstoß - und zugleich tragendes Moment während des gesamten 18. Jahrhunderts für die Formierung der Sozietätsbewegung. Dieses Netz reichte über die verkehrstechnischen Kommunikationsstrukturen des Reiches hinaus. Denn in den Sozietäten wurden Informationsstränge verbunden, die eine auf sich allein gestellte Person nie hätte herstellen und zusammenführen können. Über die Sozietätssysteme und die Mitgliedschaftsnetze wurden die Informationen zwischen den unterschiedlichen räumlichen Dimensionen (Kleinstaaten und Kontinent) übertragen. Sozietätsvernetzungen und Kommunikation bedingen einander. Der gesamtgesellschaftliche Transformationsprozeß des 18. Jahrhunderts wird durch eine informierende und reflektierende Kommunikation getragen - sie ist zentrales Element des Sich-sozialNäherkommens. Dabei wandelt sich auch der Charakter der Kommunikation selbst: Sie wird in Sozietätsräumen (wirklichen und virtuellen) zunehmend individueller und sachbezogener. Und damit erhalten kommunikativ geprägte Verhaltensweisen bei der Herausbildung neuer gesamtgesellschaftlicher Realitäten mehr und mehr Bedeutung: Die gruppenbezogenen und persönlichen Erfahrungen in der sich ausformenden Informationsgesellschaft werden in gestaltende Handlungsweisen in einer sich verändernden gesellschaftlichen Wirklichkeit umgesetzt - ein Prozeß, der breitenwirksam außerhalb der Akademien in der Mitte des 17. Jahrhunderts einsetzt und um 1800 kulminiert.

2. Sozietäten - Netzwerke - Kommunikation Aus diesem Verständnis heraus will der vorliegende Band einen Beitrag zur Kommunikationsgeschichte der Frühen Neuzeit leisten, der die kommunikative Kultur

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Zu den Verkehrswegen vgl. Behringer, (wie Anm. 12), S. 106; Pröve, (wie Anm. 16), S. 16f.; Gerteis, (wie Anm. 18), S. 60, 6 4 - 6 6 u. 71; North, Kommunikation, Handel, Geld und Banken, (wie Anm. 13), S. 4 u. 12f. Zur Medienproduktion vgl. etwa das überaus reichhaltige Schriftgut der Volksaufklärung, das seit einiger Zeit intensiv erforscht wird; exemplarisch dazu: Holger Böning / Reinhart Siegert (Hg.), Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch zur Popularisierung aufklärerischen Denkens im deutschen Sprachraum von den Anfängern bis 1850. Band 2, Teilbände 1 u. 2: Reinhart Siegert / Holger Böning, Der Höhepunkt der Volksaufklärung 1781-1800 und die Zäsur durch die Französische Revolution. [...] StuttgartBad Cannstatt 2001.

Zur Einleitung

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und die Interaktionssysteme des 18. Jahrhunderts, d.h. die Sozietätsbewegung als innovativen Beitrag des Aufklärungsjahrhunderts zur Genese von übergreifenden Kommunikationsstrukturen, in den Blick nimmt - und damit zugleich für ein Aufeinander-Zugehen von Aufklärungsforschung und frühneuzeitlicher Kommunikationsgeschichte plädiert. Dies spiegelt sich in der interdisziplinären Zusammensetzung des Bandes wider: Die Autoren vertreten die Geschichtswissenschaft, die Germanistik, die Romanistik, die Buchwissenschaft und die (Natur)Wissenschaftsgeschichte. Dabei ist hervorzuheben, daß die Arbeiten der einzelnen Autoren gemäß dem Forschungsgegenstand in sich bereits fachübergreifend angelegt sind und daß die Zuordnung der Texte zu den drei methodisch-sytematisch motivierten Teilen - Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation - keine Ausschließlichkeit impliziert. Ganz im Gegenteil: Die Texte leben von den Wechselbeziehungen der divergenten und sich zugleich gegenseitig bedingenden Zugänge. Die Konzeption, Sozietätsgeschichte als Kommunikationsgeschichte zu betreiben, ist der gemeinsame Nenner für die aktuellen Forschungen zur Vergesellschaftung im 18. Jahrhundert: Unter dieser Klammer bündelt sich ein neuer sozietätshistorischer Forschungszweig, dem mit vorliegendem Band erstmals eine gemeinsame Plattform gegeben wird. Im ersten Teil - Sozietäten - behandelt Detlef Döring die Collegien des 17. und frühen 18. Jahrhunderts und erörtert erstmals deren Bedeutung für die Entstehung eines institutionalisierten Gelehrtendiskurses im 18. Jahrhundert. Die bisher in der Forschung immer wieder fortgeschriebene Führungsrolle der Akademien wird dabei überzeugend relativiert. Robert Seidel zeigt im Anschluß daran, wie eine eng am universitären Milieu angesiedelte Sozietät (die Teutsche Gesellschaft Gießen) als Wissens- und Karrierekatalysator fungieren konnte. Katrin Böhme untersucht in ihrem Text über die Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin den Zusammenhang von arkanen und nichtarkanen Gesellschaftsengagements. Vermittelt über individuelle Verbindungen zeigt sie die untrennbaren Verschränkungen von naturwissenschaftlicher Erkenntnis und esoterischem Weltverständnis in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. 23 Organisation, wissenschaftliche Ausrichtung und Arbeit der Gesellschaft der Alterthümer in Kassel (Societe des Antiquites de Cassel) beschreibt Annett Volmer - erstmals auf den Akten der Sozietät basierend. Joachim Bauer wendet in seinem Text über die Studentenorden und Akademischen Logen den in der Geschichtswissenschaft zuletzt stark beachteten Zugang über Ego-Dokumente an. Dabei wird deutlich, daß die bislang als phantastisch' klassifizierten und deshalb ad acta gelegten Geschichtslegenden der Gesellschaften eine 23

Esoterik wird hier nach dem Konzept einer alternativen Religiosität der Frühen Neuzeit verstanden - siehe dazu: Monika Neugebauer-Wölk, Esoterik im 18. Jahrhundert - Aufklärung und Esoterik. Eine Einleitung, in: dies. (Hg.), Aufklärung und Esoterik. Hamburg 1999 (Studien zum Achtzehnten Jahrhundert 24), S. 1 - 3 7 ; dies., Esoterik in der Frühen Neuzeit. Zum Paradigma der Religionsgeschichte zwischen Mittelalter und Moderne, in: Zeitschrift für Historische Forschung 27 (2000) Heft 3, S. 3 2 1 - 3 6 4 .

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Holger

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positionierende, sich-selbst-vergewissernde Funktion hatten. Markus Meumann widmet sich einer Quellengattung der Sozietätsgeschichte, der grundlegende Bedeutung zukommt, die aber in der Forschung bislang sträflich vernachlässigt worden ist: den Statuten der Gesellschaften. Am Beispiel der Freimaurerlogen und Geheimbünde zeigt er mit einem textgeschichtlichen Zugang, daß den Gesetzen nicht nur unmittelbare konstitutionelle Bedeutung zukam, sondern daß sie gleichermaßen eine selbstlegitimatorische Funktion hatten. Im zweiten Teil - Netzwerke - zeigt Hermann Schüttler im Anschluß am Beispiel der Illuminaten in der Kurpfalz die netzwerkartige Struktur des Ordens auf. Zentrale Figur des pfälzischen Netzes war dabei Johann Friedrich Mieg. Strukturen und Vernetzungsbewegungen stehen auch im Mittelpunkt von Renko Geffarths Beitrag zu den Gold- und Rosenkreuzern in Mittel- und Norddeutschland. Seine Studie, die auf breitem, bisher ungesichtetem Material aus dem Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem basiert, zeichnet zum einen die geographische Genese des Ordens und zum anderen den Aufbau der inneren Ordenshierarchie nach. Christine Haug nimmt dann die Frauenaktivitäten in der Sozietätsbewegung des 18. Jahrhunderts in den Blick. Ausgehend von einem Projekt zur Gründung einer Frauenlesegesellschaft in Gießen 1789/1790 zeigt sie die Bedeutung von privaten und familiären, institutionalisierten und informellen Vernetzungen (die überlokal angelegt waren) für das weibliche Engagement im Rahmen der ja von Männern dominierten Gesellschaftsbewegung der Aufklärung. Karlheinz Gerlach zeigt ausgehend von den Logen der Freimaurer die innerstädtischen Verbindungen und Überschneidungen von arkanen und nichtarkanen Gesellschaften. Seine Studie ist in die von ihm seit längerer Zeit verfolgte sozialhistorische Analyse der brandenburgischpreußischen Freimaurer eingebettet, präsentiert jedoch erstmals detaillierte Ergebnisse für die Festungsstadt Magdeburg. Im dritten Teil - Kommunikation - beschreibt Reinhard Markner am Beispiel des Honore Gabriel Riqueti de Mirabeau die engen Verbindungen von Politik und Geheimgesellschaften zur Zeit der Spätaufklärung. Die Zusammenschau von Tätigkeiten im Rahmen von Staatsämtern, geheimbündischen Mitgliedschaften und Publikationen auf dem (öffentlichen) Buchmarkt läßt einen Kommunikations-zusammenhang erkennen, der die Welt des Sichtbaren mit jener des Unsichtbaren verbunden hat. Holger Zaunstöck analysiert die kommunikativen Interaktionen von geheim organisierten Studentenorden und überwachender Universitätsobrigkeit am Beispiel des Indissociabilistenordens. Der kommunikative Akt der Denunziation fungiert hier als Medium und Steuerinstrument zwischen den beteiligten Parteien. Paul Ziehe und Peter Bornschlegell untersuchen im Anschluß am Beispiel der Jenaer Naturforschenden Gesellschaft die Kommunikationsformen einer naturwissenschaftlich arbeitenden Sozietät um 1800. Dabei können sie zeigen, daß die Gesellschaft weniger die Aufgabe hatte, einen entsprechenden Kommunikationszusammenhang zu konstruieren, als vielmehr bereits bestehende Kontakte und Netze

Zur Einleitung

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zu bündeln und zu verfestigen. Den Band beschließt ein Aufsatz von Christine Damis über die Preisfragenkultur in italienischen Akademien und Sozietäten. Sie zeigt darin, wie durch die Ausschreibung von Preisen und die damit verbundenen Einforderungen von Preisschriften ein internationaler Zusammenhang zwischen Personen und Gesellschaften in Gang gesetzt worden ist, der zugleich auch Vernetzungen in der Gelehrtenrepublik im Europa der Aufklärung sichtbar werden läßt. Die Stärke eines kommunikationsgeschichtlichen Zugangs besteht (wie oben beschrieben) darin, unterschiedliche Zugänge und Forschungsinteressen miteinander zu kombinieren: So sind die Texte des Bandes zwar entsprechenden Themen zugeordnet - sie bedienen aber zugleich auch die jeweils anderen Großbereiche: Die Aspekte Sozietäten — Netzwerke — Kommunikation werden mit unterschiedlichen Gewichtungen deshalb von allen Aufsätzen aufgegriffen. Mithin kann man sich also das vorliegende Buch als einen e-text denken:24 Eine Verlinkung der einzelnen Texte im Netz würde ein Verweissystem ergeben, das die drei zentralen Strukturkriterien auf jeden der einzelnen hier publizierten Aufsätze zurückbezieht. Ein Verfahren im übrigen, das dem 18. Jahrhundert bereits vertraut war: man denke nur an das Verweissystem innerhalb der Encyclopedic. Diese Beobachtung führt zurück auf die Feststellung, daß die Kommunikationskultur der Frühen Neuzeit und insbesondere ihre dichte Ausformung im 18. Jahrhundert bereits die Grundmuster der modernen Informationsgesellschaft ausgeprägt hat. Dabei waren die Sozietäten zentrale Kristallisationspunkte. Denn in ihnen überschnitten sich beispielhaft ihre einzelnen, zeitgenössischen Bestandteile: Sie nutzten, rezipierten und analysierten die Medien der Zeit, und sie produzierten selbst ein erhebliches Schriftgut. Die technische Umsetzung der Verbindungen zwischen den Mitgliedern und zwischen verschiedenen Gesellschaften lief mit und auf den klassischen Mitteln und Wegen: dem Brief, dem Gespräch und der Post bzw. der Postkutsche bei Reisen. Eine Verdichtung dieser Systeme nutzte auch den Kommunikationen der Gesellschaften. Denn die Verbesserung kommunikativen Handelns beförderte wiederum die sich stetig ausweitende Gesellschaftsbewegung des Jahrhunderts der Aufklärung, und die Postbetreiber reagierten - u.a. auch aus diesem Grund - in einer,kundenorientierten' Weise.25 Die Sozietäten des (17. und) 18. Jahrhunderts waren also integraler Bestandteil der Kommunikationskultur vor 1800 und zugleich ein innovatives, qualitativ neues Element derselben. Die Gesellschaften beforderten zwei Entwicklungen. Über die fortdauernde Ausdehnung dieses Informations- und Kommunikationsnetzwerkes wurden auch zunehmend 24

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Vgl. Robert Darnton, An Early Information Society. News and Media in Eighteenth-Century Paris, www.indiana.edu/~ahr/darnton {The American Historical Review Volume 105 Number 1 Februar 2000) - dazu auch: Geschichte singen lassen. Robert Darnton an der Schwelle elektronischen Publizierens, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.06.2001 (Hans-Joachim Neubauer). Siehe außerdem die elektronischen Rezensions- und Fachzeitschriften des Münchener Servers www.historicum.net: sehepunkte und zeitenblicke. Vgl. North, Kommunikation, Handel, Geld und Banken, (wie Anm. 13), S. 4.

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Holger Zaunstöck

mehr Individuen erreicht und eingebunden - mithin die Partizipationskreise erweitert. Und durch die einzelnen Mitglieder erfolgte eine Diffusion aus den Sozietäten heraus - dieses bridging26 ist für die Einschätzung des Informationsflusses nicht zu unterschätzen. Insofern müssen wir Klaus Gerteis' Fazit aus dem Jahr 1990 in Frage stellen, das er aus der Perspektive der infrastruktuellen Entwicklung im 18. Jahrhundert formuliert hat, und wonach die Aufklärung „wohl kaum als soziale Bewegung ein neues Zeitalter der Kommunikation heraufgebracht" hat.27 Im Gegenteil: Mit einer Fokussierung auf die Sozietäten des 18. Jahrhunderts, unter Bezugnahme auf verschiedenste Untersuchungsgegenstände und -themen (Naturwissenschaften, Geheimbünde, Esoterik, Aufklärung, Politik etc.), ist es möglich, die Kommunikationskultur vor 1800 wie unter einem Brennglas zu beobachten. So gerät eine gesellschaftliche Wirklichkeit der Frühen Neuzeit in den Blick, deren Analyse unser Verständnis des 18. Jahrhunderts - und damit zugleich auch der historischen Epoche Aufklärung - als Transformationsperiode vertieft. Die gerade, am Beginn des 21. Jahrhunderts einsetzende Historisierung der Informationsgesellschaft, die auf elektrotechnischen Erfindungen und Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts basiert, birgt die Gefahr, die Zeit vor 1800 zu schnell als deren Inkubationsphase zu betrachten, sie darauf zu reduzieren. Vielleicht sollten wir die Perspektive ändern und überlegen, ob das Vorhandensein einer ausgeprägten Informationskultur vor 1800 möglicherweise die Barriere zwischen ,Vormoderne' und ,Moderne' relativiert. In jedem Fall aber waren die Sozietäten des langen 18. Jahrhunderts zuallererst eine Reaktion der Zeit auf das steigende Informations- und Kommunikationsbedürfnis aller Bereiche des Alten Reiches.

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In Adaption von: Eckhart Hellmuth, Kommunikation, Radikalismus, Loyalismus und ideologischer Pluralismus. „Popular Politics" in England in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Karl Eibl (Hg.), Entwicklungsschwellen im 18. Jahrhundert. Hamburg 1990 (Aufklärung. Interdisziplinäre Halbjahresschrift zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte, Jg. 4, Heft 1), S. 79-103, hier S. 84. Gerteis, (wie Anm. 18), S. 71.

I. Sozietäten

DETLEF DÖRING ( L e i p z i g )

Die mitteldeutschen gelehrten Kollegien des 17. und frühen 18. Jahrhunderts als Vorläufer und Vorbilder der wissenschaftlichen Akademien Jede gängige Darstellung der Geschichte der wissenschaftlichen Akademien der Neuzeit1 weiß über die Entstehung dieser Form von Gesellschaften gleichermaßen zu berichten: Erste Vorbilder waren die hauptsächlich philosophisch orientierten italienischen Renaissance-Akademien, denen im 16. Jahrhundert philologisch und naturwissenschaftlich ausgerichtete Sozietäten folgten. Im 17. Jahrhundert sind es vor allem die Entwicklungen in England und Frankreich, die das Interesse der Wissenschaftshistoriker finden. In London wird 1660 die Royal Society gegründet, die sich den Naturwissenschaften widmet; bereits 1635 ist in Paris die Academie Franqaise ins Leben gerufen worden, die sich der Pflege der französischen Sprache und Literatur annimmt. Die Naturwissenschaften finden in der Academie des Sciences (gegründet 1666) ihren Mittelpunkt. Zum allgemeinen kulturellen, geistesgeschichtlichen Hintergrund wird, zumindest seit einiger Zeit, noch gern auf das utopische Denken im 16. und 17. Jahrhundert verwiesen; Thomas Morus, Francis Bacon, Valentin Andreae, Tommaso Campanella und Jan Arnos Comenius sind hier die bekanntesten Namen. 2 Was die speziellen deutschen Verhältnisse angeht, so ist die Aufzählung rasch abgeschlossen: die humanistischen Sodalitäten der Zeit um 1500, die Sprachgesellschaften (vor allem die Fruchtbringende Gesellschaft)3 des 17. Jahrhunderts, die kurzlebige Societas Ereneutica (1622-

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Ich nenne stellvertretend nur: Conrad Grau, Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Heidelberg / Berlin / Oxford 1993. Vgl. u.a. Gerhard Kanthak, Der Akademiegedanke zwischen utopischem Entwurf und barocker Projektmacherei. Zur Geistesgeschichte der Akademiebewegung des 17. Jahrhunderts. Berlin 1987 (Historische Forschungen 34). Weit hinaus über die bisherige gebräuchliche Bezeichnung der Fruchtbringenden Gesellschaft als eine von mehreren Sozietätsgründungen des 17. Jahrhunderts gehen die Auffassungen, die seitens des sehr rührigen, in Wolfenbüttel angesiedelten Forschungsvorhabens zur Geschichte der Fruchtbringenden Gesellschaft vertreten werden. Danach ist die in Kothen gegründete Gesellschaft eine unmittelbare Vorläuferin, ja, ein Vorbild der Leibnizischen und damit der modernen Akademien gewesen. Die von der Wolfenbütteler Arbeitsgruppe herausgegebene Reihe Die Deutsche Akademie des 17. Jahrhunderts Fruchtbringende Gesellschaft formuliert bereits in ihrer Benennung hinreichend diesen Anspruch. Eine programmatische Begründung dieser These findet sich in: Klaus Conermann / Andreas Herz / Helwig Schmidt-Glintzer, Die Fruchtbringende Gesellschaft. Gesellschaftsgedanke und Akademiebewegung, in: Detlef Döring/Kurt Nowak (Hg.), Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (1650-1820). Teil I. Stuttgart / Leipzig 2000 (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Phil.-hist. Klasse. Bd. 76, Heft 2), S. 19-38. Zusammenfassend heißt es hier: „Der Intention nach läßt sich die Fruchtbringende Gesellschaft in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens dem von Leibniz entwickelten Systementwurf einer Akademie der Wissenschaften und Künste mühelos annähern", S. 36). Diese Behauptung dürfte schwerlich haltbar sein. Zu kriti-

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Detlef Döring

1625) des Joachim Jungius in Rostock und die Academia Naturae curiosorum (gegründet 1652), später bekannt geworden unter der Bezeichnung Leopoldina. Im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts tritt dann Gottfried Wilhelm Leibniz auf den Plan, zuerst mit verschiedenen Entwürfen zur Errichtung einer Akademie, dann mit der ersten konkreten Gründung, der Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften.4 Ihrem Beispiel schließlich folgen im Laufe des Jahrhunderts der Aufklärung eine Reihe von Akademiegründungen inner- und außerhalb Deutschlands. Nach den herkömmlichen Feststellungen der Literatur zählten zu den wesentlichsten Gemeinsamkeiten dieser Akademiegründungen, daß sie einmal unter unmittelbarem staatlichen Schutz standen und andererseits in ausgesprochener Abgrenzung zu den Universitäten gegründet wurden, die sich in jener Zeit in einem Zustand der geistigen Sterilität bzw. scholastischen Erstarrung befunden hätten. Die Geburtstätte der modernen Wissenschaft sei daher ganz und gar bei den Akademien zu suchen;5 das 18. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Akademien.6 sieren ist vor allem eine undifferenzierende Interpretation der im zeitgenössischen Schrifttum verwendeten Begriffe. So hat der im Wahlspruch der Gesellschaft betonte Nutzen („Alles zu Nutzen") nichts mit der berühmten Forderung Leibniz' zu tun, „theoria cum praxi" zu vereinigen (so die dezidierte Feststellung auf S. 28). Nutzen wird bei den „Fruchtbringern" im Sinn von Genießen gemeint, nicht aber im Sinn der nutzbringenden Umsetzung wissenschaftlicher Theorien: Die Tätigkeit der Gesellschaft soll allen „zu nutzen, frommen und ergetzung" dienen (Kurtzer Bericht Von der Fruchtbringenden Gesellschafft Vorhaben, o. O. 1628. Zitiert nach: Fürst Ludwig von Anhalt-Kothen, Werke. 1. Bd., hg. v. Klaus Conermann. Tübingen 1992 [Die Deutsche Akademie des 17. Jahrhunderts Fruchtbringende Gesellschaft. Reihe Π, Abteilung A, 1], S. 60). Wieso die 1677 erfolgte Veröffentlichung eines Berichts über die Royal Society durch Martin Kempe (Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft) auf die „originären Ziele der Fruchtbringenden Gesellschaft" verweisen sollte (S. 38), ist nicht nachvollziehbar; die Fruchtbringende Gesellschaft war in keiner Phase ihrer Geschichte eine naturwissenschaftlich-technisch orientierte Sozietät. Auch ist die von den genannten Autoren hier und an anderen Stellen angewendete Methode, Aussagen oder Handlungen einzelner Mitglieder, die mit deren Eigenschaft als „Fruchtbringer" nicht in Verbindung zu bringen sind, der gesamten Gesellschaft als charakteristisch zuzuschreiben, unzulässig. So kann z.B. der Beitritt zweier Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft zur Leopoldina nicht beweisen, daß erstere naturwissenschaftlich geprägt war. Die Behauptung, die Fruchtbringende Gesellschaft hätte „universalere Bestimmungsmomente verfolgt" als man sie einer bloßen Sprachgesellschaft zurechnen würde, kann nicht mit dem Hinweis auf die Tätigkeit von Wolfgang Ratke am Köthener Hof belegt werden (S. 29ff.). Weder war Ratke ein „Fruchtbringer" noch hat die Gesellschaft m.W. die pädagogischen Ideen Ratkes rezipiert. 4

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Vgl. Hans-Stephan Brather (Hg.), Leibniz und seine Akademie. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der Berliner Sozietät der Wissenschaften 1697-1716. Berlin 1993 (hier auch weitere Literaturhinweise zu Leibniz und seinen Akademievorstellungen). Ein schon klassisches Beispiel bietet ein an renommierter Stelle veröffentlichter Aufsatz von Jürgen Voss, Die Akademien als Organisationsträger der Wissenschaften im 18. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 231 (1980), S. 43-74. Nach Voss' Ansicht könne „man sagen, daß die Akademie die typische Organisation der Wissenschaftspflege in monarchischen Staaten des 18. Jahrhunderts darstellt" (S. 55). Das gilt jedoch auf keinen Fall, wie wir noch sehen werden, für Deutschland. Folgte man Voss, so hätte es innerhalb Deutschlands nur in Preußen, Bayern, Hannover, der Kurpfalz und Mainz jeweils eine Organisation der Wissenschaftspflege gegeben. So taucht in einer vor wenigen Jahren publizierten Darstellung über „L'Europe des

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Noch die neueste und umfassendste Darstellung der Geschichte des Vereinswesens, Wolfgang Hardtwigs Buch Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, setzt die auf innovative Forschungen, auf eine Veränderung der Welt orientierten Akademien ganz in einen Gegensatz zu den konservativen Universitäten.7 Dieser Gegensatz sei schon den Zeitgenossen bewußt gewesen, deshalb habe man für die gelehrten Gesellschaften den abgrenzenden Begriff der Akademien gewählt.8 Zedacademies" (James McClellan, L'Europe des academies, in: Dix-Huitieme siecle 25 [1993], S. 153-165) der Begriff Universität nur einmal auf und zwar in Verbindung mit dem Adjektiv „medieval"; die Akademien seien ganz und gar von ihnen zu unterscheiden. Die Anerkennung durch den Staat bildete ein konstituierendes Element einer Akademie bzw. der bedeutendsten Akademien (les plus importantes des academies). Kurz und bündig heißt es bei Reiner A. Müller: „Es waren vor allem die Gelehrten Gesellschaften, die den Hort des wissenschaftlichen Fortschritts bildeten und die sich dann zu Akademien fortbildeten." Die Universitäten dagegen seien in einer „starren traditionalistischen Haltung" begriffen gewesen (Rainer A. Müller, Geschichte der Universität. Von der mittelalterlichen Universität zur deutschen Hochschule. Hamburg 1996 [München 1 1990], S. 61). Als Instrument der grundsätzlichen Erneuerung der Wissenschaft angesichts der im „Zunftwesen erstarrten Universität" wird die Akademie auch in dem bekannten Werk von Helmut Schelsky geschildert (Einsamkeit und Freiheit. Idee und Gestalt der deutschen Universität und ihrer Reformen. Reinbek bei Hamburg 1963, S. 3Iff.). Den Versuch einer stärker inhaltlichen Begründung der Fortschrittlichkeit der Akademien gegenüber den Universitäten gibt neuerdings Wolfgang Proß: Die Akademien seien weitgehend vom Adel bestimmt gewesen, der in seiner freigeistigen Haltung und ökonomischen Unabhängigkeit sich wenig „um die Bewahrung dogmatischer Ansichten sei es religiöser, sei es philosophischer Provenienz kümmerte." In „Grundsatzfragen des Weltbildes" habe man hier daher neue Wege beschreiten können (z.B. in der Debatte um die Entstehung des Universums, das Verhältnis zwischen Glauben und Wissen, Befreiung der empirischen Forschung von allen metaphysischen Zwängen (der Leibniz-Wolffschen Philosophie). Vgl. Wolfgang Proß, Adel und experimentelle Naturwissenschaft: Die Rolle der Akademien im 18. Jahrhundert, in: Rainer Chr. Schwinges (Hg.), Artisten und Philosophen. Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert. Basel 1999 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 1), S. 255-296, vgl. auch die Zusammenfassung des Beitrages von Proß durch Rüdiger vom Bruch auf S. 393-395. Sicher ist Proß' These sehr anregend, kann aber doch nicht recht überzeugen. Es ist auffällig, daß in seinen Darstellungen der Diskussion um die Dauer des Universums und die Anerkennung der Selbständigkeit der Welt allein Persönlichkeiten des nichtuniversitären Bereichs kontrovers aufeinandertreffen. Dabei gehören die Disputanten nicht unbedingt einer Akademie an bzw. spielt die Mitgliedschaft in einer Akademie keine hervorragende Rolle. Die (in dieser Schärfe allerdings nur in der Zusammenfassung von vom Bruch aufgestellten) Behauptung von der größeren innovativen Kraft der Akademien hätte erfordert, Universitätslehrer und Akademiemitglieder im Gespräch zu zeigen und die größere „Radikalität" letzterer zu belegen. Bei der Debatte um die Harmonisierung von Wissenschaft und Glauben geht es immerhin um die Kritik an der sogenannten Leibniz-Wolffschen Philosophie, die die Universitäten wohl nicht beherrschte, aber doch wesentlich bestimmte. Aus dem Bereich der Universitäten fallt aber auch hier nur der Name Kants. 6

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Insbesondere die heutigen Akademien pflegen dieses Bild von der großen Epoche der Akademien. Vgl. z.B. die Darstellung auf der Homepage der 1909 gegründeten Heidelberger Akademie: http://www.haw.baden-wuerttemberg.de. Wolfgang Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland. Band I: Vom Spätmittelalter bis zur Französischen Revolution. München 1997. Nach Hardtwig wollte Leibniz mit dem Vorschlag, die vorgesehene Berliner Gründung als Sozietät zu bezeichnen und nicht als Akademie, „mit vollem Bewußtsein eine Oppositionswissenschaft gegen die traditionellen Formen der Weltauslegung" begründen und einen „neuen

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lers Lexikon beweise, daß man mit diesem Begriff „die Verhaltensweisen der grundsätzlichen Kritik, des Zweifels und der unabschließbaren Forschung" verband und „damit das primäre Forschungsinteresse der Akademiemitglieder gegenüber der traditionalen Lehre an den Universitäten" definieren wollte.9 Das moderne Wissenschaftsverständnis sei somit zuerst in den Akademien entwickelt worden. Hardtwigs These ist jedoch schon deswegen unhaltbar, da das Zedlersche Werk unter dem Stichwort „Academici", auf das sich Hardtwig im obigen Zitat beruft, eindeutig einzig und allein die antiken Skeptiker versteht,10 deren Zweifel- und Kritiksucht mit religiös-theologischen Argumenten verurteilt wird. Von wissenschaftlichen Akademien und deren Tätigkeit ist nirgends die Rede. Die Akademien werden vielmehr in einem eigenen Artikel ganz neutral als Gesellschaften definiert, die errichtet worden sind, um „die Wissenschafften und Künste empor" zu bringen;11 von einem Gegensatz zu den Universitäten ist hier nicht die Rede. Gerade für die deutschen Verhältnisse ist die Auffassung, die modernen Wissenschaften hätten sich allein oder doch vor allem im Rahmen von Akademien entwickelt, schwer zu behaupten. Es handelt sich bei dieser Behauptung um nichts anderes als einen Mythos, der von Generation zu Generation weitergegeben wird und so freilich unaustilgbar zu sein scheint. Es wäre im Deutschland des 18. Jahrhunderts schlecht um die Wissenschaften bestellt gewesen, hätten sie sich allein

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Typus von Wissenschaftsorganisation gegenüber den Universitäten" durchsetzen (wie Anm. 7, S. 277). Leibniz sagt jedoch in der herangezogenen Quelle (Brief an Jablonski vom 26. 3. 1700) nichts anderes, als daß der Begriff Akademie in Deutschland auf Gemeinschaften von Lehrenden und Lernenden angewandt wird. Um die Neugründung davon zu unterscheiden, solle man die Bezeichnung Sozietät wählen. Die sich daran anschließende Interpretation Hardtwigs ist rein spekulativ. Hardtwig, (wie Anm. 7), S. 259ff., zum folgenden insbes. S. 277f. Unter dem Stichwort „Academici" ist allein von den Piatonikern die Rede. Einige von ihnen seien dem Skeptizismus verfallen (Johann Heinrich Zedier, Großes vollständiges UniversalLexicon aller Wissenschaften und Künste. Leipzig 1732-1754, 1. Bd., Sp. 239f.). Schlägt man das Stichwort „Sceptizismus" auf, findet sich die Mitteilung: „Unterdessen haben die Sceptici unter einem andern Namen einer berühmten Secte viele Anhänger bekommen, nemlich unter den Namen der Academicorum [...]" (34. Bd., Sp. 590). Zweifellos kritisiert der Autor des Artikels eine ihm als hemmungslos erscheinende Wissenssucht. Jedoch wird damit an keiner Stelle die moderne Akademiebewegung in Verbindung gebracht. Zedier, (wie Anm. 10), 1. Bd., Sp. 241. Ebensowenig stimmt Hardtwigs Feststellung, nach Aussage des „Zedlers" hätten die Hochschulen jetzt den Namen Universität angenommen, um sich von den gelehrten Gesellschaften, die die Bezeichnung Akademie okkupiert hätten, zu unterscheiden. Der „Zedier" meint an dieser Stelle nicht den Unterschied zwischen den uns interessierenden Akademien und den Universitäten, sondern zielt auf die Trennung zwischen den Universitäten und den höheren Schulen, die nicht die Privilegien der Hochschulen besitzen: „Dahero die Hohe Schulen, ohne Privilegien sich Academias, oder Gymnasia academica zu heissen pflegen. Auch die Reit-Schulen, Mahler-Schulen u.s.w. Academien heissen." (Sp. 239) Die Tatsache, daß zwei Spalten weiter die Akademien als Gesellschaften zur Förderung der Wissenschaften charakterisiert werden, zeigt, daß der Begriffsgebrauch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch sehr schwankte. Vgl. auch das Stichwort „Universitäten", wo deren Unterschied zu den Akademien damit erklärt wird, daß sie Privilegien und Rechte besitzen, über die letztere nicht verfugen.

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auf die Akademien stützen müssen. Die Berliner Akademie, die bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts die einzige ihrer Art blieb, ist bekanntlich bis in die vierziger Jahre über eine eher provinzielle Bedeutung nicht hinausgekommen. Erst 1750 entsteht mit der Gründung der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften eine weitere Akademie, die jedoch von Beginn an eine enge Beziehung zur Universität ihres Standortes unterhält. Gleiches gilt für die 1754 ins Leben gerufene Akademie der gemeinnützigen Wissenschaften in Erfurt.12 Erst die Gründungen in München (1759) und Mannheim (1763) stehen in keiner unmittelbaren Verbindung zu einer Universität. Alle diese neuen Einrichtungen hatten immer wieder mit erheblichen Schwierigkeiten und Existenznöten zu ringen. Ihre Verdienste für die Fortschritte der verschiedensten Disziplinen sind sicher unbestreitbar; völlig unverhältnismäßig ist es jedoch, sie zu den wichtigsten oder gar einzigen Zentren wissenschaftlichen Lebens zu erklären. Maßgeblich für die Entwicklung der Wissenschaften blieben in Deutschland vielmehr die Hochschulen, allen voran die Neugründungen Halle und Göttingen, in zweiter Linie Erlangen. Aber auch ältere Universitäten behielten oder erlangten neue Bedeutung: z.B. Leipzig, Jena, Königsberg und Marburg. Forschungen zur Wissenschaftsgeschichte Deutschlands im 18. Jahrhundert haben sich daher in erster Linie auf die Universitäten zu konzentrieren, weniger auf die Akademien. Diese Feststellung soll und kann nicht bedeuten, daß Sozietäten in der deutschen Wissenschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts keine wesentliche Rolle gespielt hätten. Nur ist es notwendig, den Blick über den Bereich der Akademien hinauszulenken. Die sozusagen freistehende, unabhängig von anderen wissenschaftlichen Einrichtungen bestehende Akademie, wie wir sie in Berlin, München und Mannheim beobachten können, ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Eine weitaus größere Zahl gelehrter Sozietäten war gerade innerhalb oder zumindest am Rand der Universitäten angesiedelt.13 Zwar bildeten sie keinen verfassungsmäßigen Bestandteil der Hochschule, wären aber doch ohne deren Vorhandensein nicht denkbar gewesen.14 Nur bedingt läßt sich der Begriff der Sozietät auf lose Verbindungen anwenden, die keine feste Mitgliedschaft und keine festgeschriebenen Statuten kennen. Dazu wären beispielsweise die in Leipzig seit dem 17. Jahrhundert unter der Bezeichnung Kränzchen verbreiteten lockeren Zusammenkünfte von Gebildeten, die mei-

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Vgl. Jürgen Kiefer, Die Kurmainzische Periode der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt 1754-1802, in: Döring / Nowak, (wie Anm. 3), S. 151-166, zum Verhältnis zur Universität Erfurt s. bes. S. 165. Diese Tatsache scheint der gängigen Universitätsgeschichtsschreibung kaum bekannt zu sein. Vgl. stellvertretend Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa. Band 2: Von der Reformation zur Französischen Revolution (1500-1800). München 1996. Die Helmstedter Societas Conantium beschreibt ihre Stellung zur Universität mit einem Begriff, den wohl die meisten anderen Gesellschaften auch für sich akzeptieren würden, nämlich als „Ornament" (Ad Congressus Literarios. Helmstedt 1712).

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stens dem universitären Milieu angehörten, zu rechnen. Das heutige eher pejorative Verständnis dieses Begriffes hat mit den damaligen Verhältnissen nichts gemeinsam. Das intellektuelle Niveau der Gespräche, die in den gelehrten Kränzchen, die sich meist in Wirtschaften versammelten, geführt wurden, war durchweg hoch. Das belegen Aufzeichnungen (Briefe, Tagebücher, Reiseberichte), die wir zu einzelnen dieser Kränzchen besitzen.15 Die Wirkungen, die von diesen geselligen Zusammenschlüssen ausgingen, sind schwer meßbar; jedoch dürfte ihre Bedeutung für die Weitergabe von Informationen und für die Wege der Meinungsbildung sicher nicht unerheblich gewesen sein. Das läßt sich jedoch weder über Protokolle noch anhand von Publikationen nachweisen. Die Ähnlichkeit zu den Akademien wird sich auf die hier wie dort gegebene Möglichkeit beschränkt haben, in einen freien Meinungsaustausch treten zu können. Anders sieht es bei Organisationen aus, die über verbindliche Statuten und nachweisbare Mitgliederlisten verfügten. Bei ihnen finden sich durchaus typische Wesenszüge einer Akademie. Dabei haben letztere nicht das Vorbild abgegeben, sondern wurden vielmehr gerade umgekehrt von jenen gleich näher zu behandelnden universitären Gemeinschaftsbildungen beeinflußt. Akademiebewegung und Universitäten sind daher weniger in einen Gegensatz zu bringen, sondern vielmehr in einen Bezug zueinander zu setzen.16 Das ist die Grundthese dieses Beitrages.

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So berichtet der russische Reisende Karamsin über seine Eindrücke, die er bei der Teilnahme an einem Abendessen sammelt, das die „vorzüglicheren Leipziger Gelehrten" allwöchentlich im „Blauen Engel" bei „angenehmen Gesprächen" veranstalten (Nikolai Michailowitsch Karamsin, Briefe eines russischen Reisenden. Berlin 1964, S. 11 lf.). Zwei andere Gesellschaften trafen sich in den gleichen Jahren im Haus des Leipziger Literaten, Mäzens und Kreissteuereinnehmers Christian Felix Weiße. Dieser berichtet selbst von einer „sehr frohe(n) Abendgesellschaft, welche sich alle Sonnabende versammelte" sowie von einer „andere(n) angenehme(n) Zusammenkunft", welche „alle Montage in seinem Hause Statt fand, und bloß die gegenseitige Mittheilung von Ideen über allgemein interessante Gegenstände zur Absicht hatte." (Christian Felix Weiße, Selbstbiographie. Leipzig 1806, S. 216). Als Teilnehmer der Sonnabendgesellschaft erwähnt Weiße den Leipziger Bürgermeister Karl Wilhelm Müller, Adam Friedrich Oeser, Christian Friedrich von Blankenburg und Johann Christoph Adelung. Daß es bei diesen „Kränzchen" sehr aufgeräumt zuging, belegt ein Brief Weißes an den inzwischen nach Dresden verzogenen Adelung: „Sie haben unserm Sonnabende durch Ihren Brief an Saalen einen sehr lustigen Auftritt verschafft. Da er nichts von dem Briefe, den Müller heiml. an Sie in seinem Namen geschrieben hatte, wußte; kam er mit Ihrem Briefe zum Vorscheine, wollte Glossen darüber machen, und beweisen, daß Sie den Verstand müßten verloren haben: wir bewiesen ihm aber, daß er in dem Falle wäre, weil er Ihnen vorher einen solchen albern Brief geschrieben, und so gar nicht ein Wort davon mehr wisse, der ihm dann zu seinem Erstaunen vorgelegt wurde." (Brief vom 8. 3. 1788, Universitätsbibliothek Leipzig, Autographensammlung).

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Diese These ist m.E. in nachdrücklicher Form bisher allein von Harald Dickerhof formuliert worden: Gelehrte Gesellschaften, Akademien, Ordensstudien und Universitäten, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 45 (1982), S. 37-66. Leider hat der wichtige Beitrag in der Forschung anscheinend nicht die erforderliche Aufmerksamkeit gefunden. So scheint ihn auch Hardtwig (wie Anm. 7) nicht zu kennen; jedenfalls fehlt er im Literaturverzeichnis. Dickerhof schildert die vielfaltigen Formen des Sozietätslebens am Rande der Universität, erkennt aber

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Jene am Rand der Universitäten angesiedelten Organisationen tragen nun ganz unterschiedliche Bezeichnungen: z.B. Gesellschaften, Sozietäten, Oratorien. Die am weitesten verbreitete Benennung, die zugleich auch als die älteste zu gelten hat, ist jedoch die des Kollegiums.17 Die Struktur und die Arbeitsweise des Kollegiums ist, so meine Feststellung, von vorbildhafter Wirkung für eine Vielzahl anderer Zusammenschlüsse von Gelehrten gewesen, gleichgültig welche Bezeichnung diese Verbindungen gewählt haben. Die Form des Kollegiums war die bestimmende Organisationsform der im Rahmen der Universitäten angesiedelten gelehrten Gesellschaften und hat darüber hinaus auch auf die Strukturen der deutschen Akademien eingewirkt. Wenn im folgenden der Begriff Kollegium verwendet wird, so sind auch immer diejenigen Verbindungen mitgemeint, die nach dem Vorbild der Kollegien organisiert waren, ohne unbedingt deren Namen zu führen. Die für das Entstehen der gelehrten Kollegien maßgebliche Universität scheint nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand die Leipziger Hochschule gewesen zu sein, der wir uns deswegen im folgenden stärker zuwenden müssen. Zuvor erscheinen jedoch einige begriffsgeschichtliche Erörterungen angebracht und notwendig. Kollegium (Collegium) ist ein schon in der Zeit der römischen Republik verbreiteter Begriff, der im Lauf der Jahrhunderte viele Bedeutungen angenommen hat. Ursprünglich bezeichnet das Kollegium einen Zusammenschluß von Personen auf der Grundlage einer bestimmten Satzung mit dem Ziel der Verfolgung gemeinsamer Interessen. In römischer Zeit sind dies vor allem Berufsvereinigungen, Kultverbände und Begräbnisvereine. Die Satzung regelt den Beitritt zum Kollegium sowie die Rechte und Pflichten der Mitglieder. Eine gewisse staatliche Aufsicht über die Kollegien ist üblich. In den Digesten wird der Charakter des Kollegiums über die Definition seiner Mitglieder, der Sodales, beschrieben: „Sodales sunt, qui eiusdem collegii sunt: quam Graeci εταιρειαν vocant. His autem potestatem facit lex pactionem quam velint sibi ferre, dum ne quid ex publica lege corrumpant." 18 Verbreitet sind schon im Altertum regelmäßige Veranstaltungen der Kollegien zum Zweck der gemeinsamen Unterhaltung. Auch im Mittelalter und in der Frühen

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nicht die m.E. vorbildhafte Bedeutung des Kollegiums für alle der von ihm beschriebenen Gesellschaften. Ich habe in jeweils anderen Zusammenhängen schon mehrfach über die Kollegien gehandelt und verweise hier nur auf folgende zwei Veröffentlichungen: Detlef Döring, Die Leipziger gelehrten Sozietäten in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts und das Auftreten Johann Christoph Gottscheds, in: Erich Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt. Bd. 5. Köln, Weimar, Wien 1999, S. 17—42; ders.: Der junge Leibniz und die Gelehrtengesellschaften in Leipzig und Jena, in: Kurt Nowak / Hans Poser (Hg.), Wissenschaft und Weltgestaltung. Internationales Symposion zum 350. Geburtstag von Gottfried Wilhelm Leibniz vom 9. bis 11. April 1996 in Leipzig. Hildesheim / Zürich / New York 1999, S. 6 9 92. Digesten, XLVII, 22, 4. Zitiert nach: Theodor Mommsen und Paul Krüger (Hg.), Corpus Iuris Civilis. 1. Bd. Berlin 11 1908, S. 840.

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Neuzeit wird der Begriff der Kollegien für die Bezeichnung bestimmter, einem gemeinsamen Zweck verpflichteter Personenverbände verwendet. Schon im Hochmittelalter begegnen uns in Norditalien die Collegia Iudicum, sozusagen frühe Berufsverbände der Juristen einer bestimmten Stadt.19 Ihre Statuten weisen in manchen Festlegungen bereits auf die frühneuzeitlichen gelehrten Collegia, denen wir uns später zuwenden werden, voraus: ein gewisser Bildungsabschluß als Voraussetzung für die Aufnahme, Zuwahl (nach vorangegangener Prüfung) durch die Mitglieder der Kollegien, Einrichtung verschiedener Leitungsämter, Erhebung von Strafgeldern bei Verletzung der Statuten, Vorschriften über ein von gegenseitiger Achtung und Rücksichtnahme geprägtes Verhältnis der Kollegen zueinander.20 Besonders häufig wird mit dem Begriff Kollegium die Gesamtzahl der Lehrer an den einzelnen Schulen gemeint; noch heute ist das Lehrerkollegium ein gängiger Begriff des Schulalltages. Aber auch bei den Medizinern finden wir Kollegien: das Collegium Sanitatis, das Collegium medicum,21 das Collegium Chirurgicum. Das Handelsgericht erscheint als Commercien-Collegium, Regierungsbehörden als Rats-Collegien, Regierungs-Collegien oder Consistorial-Collegien. Auf der Reichsebene gliederte sich der Reichstag in die drei Kollegien der Kurfürsten, Fürsten und Städte; innerhalb vieler Territorien bzw. Staaten wurde im 17. und 18. Jahrhundert das Kollegialitätsprinzip zur Grundlage der Behördenorganisation erhoben.22 Die an einer bestimmten Kirche wirkenden Geistlichen können ein Kirchen-Collegium bilden. Seit dem 17. Jahrhundert begegnen wir den für die Musikgeschichte bedeutsamen Collegia musica, d.h. Zusammenschlüssen von Laien zum Zweck des gemeinsamen Musizierens.23 Auch die Herausgeber einer Zeitschrift bilden ein Kollegium, z.B. die Editoren der Acta Eruditorum oder der ersten theologischen Zeitschrift, der Unschuldigen Nachrichten,24 Schließlich

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Vgl. zum folgenden Ulrich Meyer-Holz, Die „collegia iudicum" und ihre Bedeutung für die Professionalisierung der Juristen, in: Zeitschrift für historische Forschung 28 (2001), S. 3 5 9 384. Verwandt mit der Bestätigung der Statuten der späteren gelehrten Kollegien durch die Universität ist auch die Genehmigung der Statuten der Collegia Iudicum durch die jeweilige Stadtführung. Die Juristenverbände monopolisierten das gesamte Rechtsleben einer Stadt, was sie in ihrer Funktion allerdings von den gelehrten Collegia, die in der Regel kaum eine größere Außenwirksamkeit entfalteten, unterscheidet. Ein interessantes Beispiel bietet das Collegium medicum in Gotha, das anscheinend auch wissenschaftliche Ambitionen verfolgte. Darauf deutet folgende Veröffentlichung: Kurtze doch ausführliche Beschreibung des Unicornu fossilis, oder gegrabenen Einhorns, welches in der Herrschafft Tonna gefunden worden / verfertiget von dem Collegio medico in Gotha. Gotha 1696. Berühmt geworden sind z.B. die von Peter dem Großen 1717 als Kollegien ins Leben gerufenen zentralen Exekutivbehörden seines Landes. Vgl. Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Sachteil. 2. Bd. 2 1995, S. 943ff. Die „Leges Collegii Collectorum Antiquo-Novorum" haben sich erhalten. Sie legen die Grundsätze fest, nach denen sich das Kollegium der Herausgeber zu orientieren hat. Danach sollen die Unschuldigen Nachrichten dem Ruhm Gottes und dem Heil, der Wahrheit und der Eintracht der Kirche dienen. Daran hätten sich die Beiträger zu orientieren. Auch hätten sie auf

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existieren auch kollegiale Verbindungen, die nach heutigem Verständnis eher als Versicherungskassen zu definieren wären. Dennoch zeigen sie typische Eigenschaften eines Kollegiums. Am verbreitetsten sind Witwenkassen und Junggesellen· bzw. Jungfernkassen. Werden sie als Kollegien bezeichnet, so heißen sie Collegium Viduale oder Collegium Neanicum.25 An ihrer Spitze stehen meist zwei oder drei Personen, die den Titel eines Administrators oder Registrators tragen. Die Zahl der Mitglieder ist statuarisch jeweils genau festgelegt; erst nach einem Todesfall besteht die Möglichkeit, als neues Mitglied nachzurücken. Jedes Mitglied zahlt jährlich eine gewisse Summe ein und erhält dafür die Gewißheit, daß es oder seine Angehörigen bei eintretendem Versicherungsfall26 einen bestimmten, nach der zeitlichen Länge der Mitgliedschaft gestaffelten Geldbetrag ausgezahlt erhält. Zu den „Leistungen" gehört auch die Beteiligung von Mitgliedern an den Beerdigungsfeierlichkeiten und die Überbringung von Glückwünschen zur Hochzeit. Üblich ist auch die Ausrichtung einer Jahresversammlung der Kollegiaten, die meist mit einem Essen verbunden wird.27 Wichtig vor allem ist jedoch die enge Verbindung, die der Begriff Kollegium mit der Universität eingeht. Die Organisation der mittelalterlichen Hochschulen in Paris, Oxford und Cambridge gründet sich fast von Beginn an auf Kollegien. Auch im mitteleuropäischen Raum, in dem es erst über einhundert Jahre später zu ersten Universitätsgründungen kommt, erlangen die Kollegien eine zentrale Bedeutung. Ihr Ursprung liegt in den Kollegiatstiften der mittelalterlichen Kirchen, die auch das Vorbild für das Zusammenleben der Kollegiaten boten. Diese konnten bei Gründung einer Universität dieser inkorporiert werden, oder es wurden eigens neue Kollegien gestiftet, durch den Landesherrn oder durch vermögende Persön-

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Furcht vor den Menschen (metu hominum) nichts zu verschweigen, was der Kirche und der Orthodoxie schaden könne (Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Sup. Ep. 81, Bl. 3rv). Neben der Bezeichnung Kollegium werden die Begriffe Gesellschaft, Sozietät, Kasse gleichermaßen unterschiedslos gebraucht. Die folgenden Angaben stützen sich auf Statuten zahlreicher in Chemnitz und Frankenberg angesiedelter Kollegien bzw. Kassen. Vgl. auch Holger Zaunstöck, Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Auflclärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert. Tübingen 1999 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 9), S. 83-85. Das ist bei den Witwenkassen der Tod; bei den Junggesellen- und Jungfernkassen die Hochzeit oder der Todesfall. Beim Chemnitzer Collegium Neanicum gab es die Festlegung, daß die Mitglieder bei Beginn einer Berufsausbildung oder eines Universitätsbesuchs die Hälfte der eingezahlten Gelder zur Verfügung gestellt bekommen können. Viele Kollegien gewähren auch die Möglichkeit, gegen Zinsen Geld an die Mitglieder zu entleihen. Mitunter findet sich auch der Passus, daß bei Krankheitsfällen und in Notzeiten eine finanzielle Unterstützung geleistet wird. Hin und wieder finden sich Vorschriften über Unarten, die bei jenen Zusammenkünften vermieden werden sollen.

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lichkeiten bzw. Familien.28 Sie meinen dann gleichermaßen die Zusammenschlüsse von Lernenden, wie andererseits auch die Räumlichkeiten, in denen sich dieses gemeinsame Leben abspielt.29 Jene Gemeinschaften waren auf der Grundlage von Statuten organisiert, deren Einhaltung durch einen Provisor überwacht wurde, der meist der Universität entstammte. Die eigentliche Leitung des Kollegiums oblag dem aus der Zahl der Mitglieder erwählten Rektor. In Deutschland herrschte die für unsere Fragestellung wichtige Besonderheit, daß nicht Studenten in die Kollegien eintraten, sondern bereits Graduierte, die hier gemeinsam wohnten und lehrten. Auch daran wird das Vorbild der kirchlichen Kollegiatstifte erkennbar. An der Spitze der Collegia stand der Senior, der aus den Reihen der Kollegiaten stammte. Spätestens nach Einführung der Reformation hörten die Kollegien auf, als Wohnund Lerngemeinschaften zu funktionieren. Dennoch blieben sie ein zentrales Element der Universitätsstruktur: Die Collegia beruhten auf einer durch Landbesitz oder Kapitalvermögen abgesicherten Fundation, die ihren Mitgliedern garantierte jährliche Einkünfte verschaffte und so wesentlich zu deren finanzieller Existenzsicherung beitrug. Die Verleihung einer Kollegiatur gehörte damit weiterhin zu den Möglichkeiten, das materielle Auskommen der an den Fakultäten Lehrenden abzusichern. Im übrigen wurde, wie schon erwähnt, der Begriff des Kollegiums mit den entsprechenden Gebäuden verbunden, die auch weiterhin für Lehrveranstaltungen benutzt wurden; der Gang ins Kollegium bedeutete den Besuch einer Vorlesung, ein Collegium publicum ist nichts anderes als eine öffentliche Vorlesung. Unter der Bezeichnung Kollegium erfolgt auch die Veröffentlichung dieser Texte; ihre Zahl ist unüberblickbar: Collegium Rabbinico-Biblicum, Collegium homileticum, Collegium feudalis, Collegium Pufendorfianum, Collegium Anti-pontificum usw. Der Einübung in die „Streitkunst" dienen Collegia disputatoria.30 Der praktischen

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Vgl. Wolfgang Eric Wagner, Universitätsstift und Kollegium in Prag, Wien und Heidelberg. Eine vergleichende Untersuchung spätmittelalterlicher Stiftungen im Spannungsfeld von Herrschaft und Genossenschaft. Berlin 1999 (Europa im Mittelalter 2). Vgl. Lexikon des Mittelalters, 3 (1986), Sp. 37ff. Konrad Rückbrod, Universität und Kollegium. Baugeschichte und Bautyp. Darmstadt 1977, s. S. 38ff. Arno Seifert, Die Universitätskollegien -Eine historisch-typologische Übersicht, in: Fritz Rüth / Rolf Hauer / Winfrid Freiherr von Pölnitz-Egloffstein (Hg.), Stiftungen aus Vergangenheit und Gegenwart. Tübingen 1974 (Lebensbilder deutscher Stiftungen 3), S. 355-372. Solche Collegia unterhielt der Theologie Gottfried Olearius in Leipzig. Vgl. Carl Günther Ludovici, Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie. 3. Bd. Leipzig 1738 (Reprint Hildesheim / New York 1977), S. 215. Der Hinweis auf Olearius' Kollegium findet sich in der Biographie von Julius Bernhard von Rohr, der diese Veranstaltungen mit großem Eifer besucht haben soll. In Helmstedt wurde ein solches Collegium disputatorium von einigen Studenten der Theologie gegründet. Hier wurde die „gantze Theologie in kurtze Sätze abgefasset, gedruckt und öffentlich zur Untersuchung vorgelegt." Es waren sechs Studenten, „welche dieses Institutum unternahmen, und mußte immer einer von uns respondiren, die andern aber opponiren, welches uns allen nicht nur viel Nutzen, sondern auch viel Liebe bei der gantzen Universitaet erweckte" (Christian Campe in seiner Autobiographie; zitiert nach: Lothar Noack / Jürgen Splett [Hg.], Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzeit. Berlin-Cölln 1688-1713. Berlin 2000, S. 99).

Die mitteldeutschen

gelehrten

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Unterrichtung der Medizinstudenten am Bett der Patienten dient das Collegium clinicum. 31 Eine Einführungsvorlesung ist ein Collegium Isagogicum, eine Einübung in die Fertigkeit des Exzerpierens wird als Collegium excerptorium angeboten, die Vermittlung schriftlicher Ausdrucksformen als Collegium styli usw. usf. So haben wir es im unmittelbaren Bereich der Universität mit drei Verständnisweisen der Collegia zu tun: Gebäude, Vorlesungen und Verbindungen zwischen bestimmten, der Lehre verpflichteten Personen. Namengebend ist der zuletzt genannte Bedeutungszusammenhang. Dieser steht auch hinter den Kollegien als gelehrten Gesellschaften am Rande der Universität, nur daß jene einen anderen Charakter, eine andere Orientierung als die eben geschilderten, einen Teil des Universitätsverbandes bildenden Kollegien besitzen. Im Unterschied zu den Kollegien als Bestandteile der Universität haben die gleichnamigen gelehrten Einrichtungen keinen Stifter und verfügen über keine finanzielle Fundation, ihre Mitgliederzahl unterliegt schon deswegen oft keiner festen Beschränkung. Die Finanzierung des Kollegiums erfolgt allein über Beiträge und Strafgelder. Das Versammlungslokal wechselt und ist meistens identisch mit der Wohnung des jeweiligen Seniors. Die Mitgliedschaft ist oft, wenn auch nicht immer, an eine Aufnahmeprüfung gebunden. 32 Die gelehrten Kollegien leben letztendlich in ihrer Tätigkeit, vor allem in ihren Versammlungen; kommen diese, aus welchen Gründen auch immer, zum Erliegen, so findet auch das Kollegium sein Ende.33

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Vgl. 250 Jahre Collegium Clinicum Haiense 1717-1967. Beiträge zur Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Halle. Halle 1967 (Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 1967 ß [R 2]). In einigen Fällen trifft man, von der Unterscheidung zwischen anwesenden und auswärtigen Mitgliedern abgesehen, auf eine Reglung, nach der es Mitgliedschaften unterschiedlichen Grades gibt. So gibt es in der Teutschen Gesellschaft in Helmstedt ordentliche Mitglieder, die schon „ziemliche Einsicht in die schönen Wissenschaften und die teutsche Sprache" gewonnen haben, und hörende Mitglieder, die sich von ersteren „noch zubereiten laßen" (Christian Emst v. Windheim an einen Unbekannten, o.D., Staatsarchiv Wolfenbüttel, 37 Alt 976, Die Teutsche Gesell, zu Helmstedt betr., Bl. 1-4). Die Gesellschaft wurde 1745 weitgehend nach dem Vorbild der Jenaer Deutschen Gesellschaft gegründet und bestand bis 1805. In Jena wurde zwischen ordentlichen und vornehmen Mitgliedern unterschieden. Letztere waren „Personen von hoher Geburth und Stande" und „Gelehrte vom Range", vgl. Felicitas Marwinski, Der Deutschen Gesellschaft zu Jena ansehnlicher Bücherschatz. Bestandsverzeichnis mit Chronologie zur Gesellschaftsgeschichte und Mitgliederübersicht. Jena 1999 (Beiträge zur Geschichte der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena 5), S. 35ff. [Mitgliederverzeichnis]. Bei fast allen Kollegien, deren Existenz über einen längeren Zeitraum andauerte, gibt es Schwächeperioden, in denen das Leben der Gesellschaft aufgrund mangelnden Engagements der Mitglieder mehr oder weniger zum Erliegen kommt. Das Auftreten neuer und frischer Kräfte fuhrt dann zu einer Reform und einem Neuanfang. Für viele Kollegien dürfte bereits nach der Anlaufphase alsbald das Ende gekommen sein. Ein Beispiel bietet die Societas Exquirentium in Jena, die 1725 gegründet wurde und sich mit der Bibelexegese befaßte. Schon 1729 ist sie wieder eingegangen, da fast alle Mitglieder aus Jena weggingen: „Solchergestalt hat diese Gesellschaft eben das Schicksaal betroffen, welches so viele andere erfahren, daß ihre Glieder da und dorthin zerstreuet worden. Und so wird sie andern Gesellschaften auch darinnen wohl gleich werden, daß nach der Zerstreuung ihrer Glieder, von der Ausführung ih-

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D i e Ursprünge der Einrichtung von Kollegien als gelehrte Sozietäten lassen sich kaum ausmachen. Erste Ansatzpunkte finden sich im Humanismus. Berühmt ist das auf Betreiben v o n Conrad Celtis in W i e n gegründete Collegium

poetarum

(1501), 3 4 das insgesamt vier Professuren für Dichtkunst und Mathematik umfaßte. Zwar bildete es einen Teil der Universität, in seinen Intentionen zielte es aber auf Themenkreise, die nach A u f f a s s u n g der Humanisten auf den Hochschulen zu geringe Berücksichtigung fanden. Wir werden sehen, daß auch die uns interessierenden Kollegien versuchen, bestimmte an den Hochschulen behandelte Stoffe intensiver zu traktieren oder gar dort unbekannte Themen aufzugreifen. Schwer zu beantworten ist die Frage, w i e w e i t die ebenfalls im engen Zusammenhang mit dem Humanismus stehenden Sodalitäten des 15. und 16. Jahrhunderts bei der Entstehung der gelehrten Collegia eine Rolle gespielt haben könnten. 3 5 Der Begriff der Sodalitas litteraria hat in jenen Jahrhunderten eine recht unterschiedliche Verwendung gefunden. Ganz in der N ä h e zu den Kollegien steht die Auffassung, die sie

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res gemeinsamen Vorhabens inskünftige wenig wird zu hoffen seyn." (vgl. Monatliche Nachrichten von Gelehrten Leuten und Schriften, Besonders dem alten und neuen Zustande der Universität Jena. Jena 1729, S. 264). So ist denn der Abdruck einer Disputation „Serpens non punitus cum Satana" von Christian Ortlob das einzige überlieferte Zeugnis von der Tätigkeit dieses Kollegiums (S. 260-287, Text der Disputation auf S. 266-287). Nicht selten dürfte das Existieren eines Kollegiums vom Wirken einer zentralen Persönlichkeit, meist dem Begründer, abgehangen haben. Verließ dieser den Ort oder starb er, so bedeutete das auch das Ende der Gesellschaft. Ein Beispiel bietet die Tresenreuterische philologische Gesellschaft in Altdorf. Ihr Gründer war Christoph Friedrich Tresenreuter; auf ihren Zusammenkünften wurden lateinische Aufsätze verlesen, die dann, wie in den Kollegien üblich, begutachtet wurden. Nach dem Tod Tresenreuters (1746) kommt die Tätigkeit des Kollegiums zum Erliegen. Vgl. Georg Andreas Wills, Geschichte und Beschreibung der Nürnberger Universität Altdorf. Altdorf 1795, S. 149f. Ein Grund für das Ende einer Gesellschaft konnte auch Überforderung der Mitglieder durch ehrgeizige Leiter der Kollegien bilden. So geschah es dem Züricher Collegium insulanum, das zu hohe Ansprüche an die zu behandelnden Themen stellte - so die Aussage in der Eröffnungsrede des Kollegiums der Vertraulichen, der nachfolgenden Sozietät; Zentralbibliothek Zürich Ms S 398, Bl. lr-12v). Das Kollegium der Wohlgesinnten in Zürich versuchte das Ausbluten der Kollegien infolge Rückgangs der Mitgliederzahl durch die statuarische Bestimmung zu verhindern, daß ein Ausscheiden nur dann möglich ist, wenn ein Nachfolger herbeigebracht werden kann. Vgl. Franz Graf-Stuhlhofer, Das Weiterbestehen des Wiener Poetenkollegs nach dem Tod Celtis' (1508). Eine humanistische Pioniereinrichtung und ihr Wirkungsfeld, in: Zeitschrift für historische Forschung 26 (1999), S. 393-407, hier auch weitere Literaturangaben. Der Autor versucht zu belegen, daß das Kollegium bis in die dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts Bestand hatte. Die in der Literatur gebräuchliche Hinzufügung der Mathematiker zu den Poeten (et mathematicorum) ist nach Graf-Stuhlhofer eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Vgl. Heinz Entner, Was steckt hinter dem Wort „sodalitas litteraria"? Ein Diskussionsbeitrag zu Conrad Celtis und seinen Freundeskreisen, in: Klaus Garber / Heinz Wismann (Hg.), Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung. 2 Bde. Tübingen 1996, Bd. 2, S. 1069-1101. Eine unhaltbare Spekulation des Autors bildet die These, die humanistischen Sodalitäten hätten zu einer bis in das Altertum zurückzuverfolgenden Untergrundströmung des „Humanitätsgedankens" gezählt, die in die Freimaurerei des 18. Jahrhunderts mündete.

Die mitteldeutschen gelehrten

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als Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden versteht. Gemeint sein kann darunter u.a. aber auch die lose Zusammenkunft literarisch Interessierter. Schließlich ist denkbar, daß die berühmte und angesehene Fruchtbringende Gesellschaft (gegründet 1617) auf die Gründung der Leipziger Kollegien des 17. Jahrhunderts, denen wir uns sogleich zuwenden werden, eingewirkt hat. Immerhin geht Leibniz in einem Mitte der sechziger Jahre im Rahmen des Leipziger Collegium Conferentium gehaltenen Vortrag De Collegiis mehrfach auf die Societas Fructifera ein.36 Nach Leibniz' Definition ist ein Kollegium eine Sozietät, die als Ziel ein Bonum speciale anstrebt. Bei der als Kollegium definierten Fruchtbringenden Gesellschaft bestehe dieses Ziel in der Ausbildung (expolire) der deutschen Sprache. Ausdrücklich wird in diesem Zusammenhang auf das Beispiel der Academie Frangaise verwiesen. Leibniz rechnet die Fruchtbringende Gesellschaft zu den vornehmeren (solennius) Kollegien.37 Jedoch unterscheidet schon Leibniz die Fruchtbringende Gesellschaft von den Leipziger Kollegien, was aus zurückblickender Sicht nur bestätigt werden kann, so daß kaum mehr als eine äußere Anregung von der Existenz der „Fruchtbringer" ausgegangen sein dürfte.38 Auch die von Leibniz erwähnte Französische Akademie wird keine wesentliche Rolle als Anreger zur Gründung der Kollegien gespielt haben, obwohl bemerkenswerterweise Jahrzehnte später, ca. 1700, die französischen, englischen und italienischen Akademien als Vorbilder der Leipziger Kollegien genannt werden.39 Die englischen und französischen Sozietäten steckten jedoch zum Zeitpunkt des 36

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Abgedruckt in: Gottfried Wilhelm Leibniz, Sämtliche Werke und Briefe. Reihe VI, 2. Bd., S. 4-13. Der Vortrag wurde vor dem Collegium Conferentium gehalten, dem Leibniz angehörte. „Attributa (Leibniz meint damit u.a. den Namen eines Kollegiums - D.D.) simul singulis membris, vel ab iis usurpantur quoque extra Collegium idque eo magis fit quo solennius est Collegium, uti quilibet der Fruchtbringenden Gesellschafft Mittglied." (Leibniz, [wie Anm. 36], S. 8f.) Ziel der Fruchtbringenden Gesellschaft ist nach Leibniz allein die Pflege der deutschen Sprache. Die Leipziger Gesellschaften zeigen eine weitaus breitere Orientierung. So beschäftige sich das Collegium Conferentium mit sämtlichen Wissenschaften, auch den mathematischen und physischen (Leibniz, [wie Anm. 36], S. 5). Weiterhin läßt sich feststellen: Die Kollegien halten strikt am Lateinischen als Wissenschaftssprache fest. Das bei den „Fruchtbringern" zu beobachtende, einen zentralen Wert besitzende Streben nach Förderung der Tugend ist den Kollegien fremd, wenn sie auch die moralische Integrität der Mitglieder einfordern. Die „Fruchtbringer" entstammen zum überwiegenden Teil dem Adel; die Kollegiumsmitglieder sind Bürgerliche. Organisation und Arbeitsweise beider Sozietäten unterscheiden sich wesentlich usw. Es mag jedoch sein, daß gewisse Äußerlichkeiten der Fruchtbringenden Gesellschaft von gelehrten Kollegien kopiert wurden. So schlägt Gottfried Rühlmann 1719 vor, bei der von ihm in Arnstadt angeregten Gründung einer Gelehrten Societät Decknamen für die Mitglieder zuzulassen „nach der Weise der ehemals Fruchtbringenden Gesellschaft" (vgl. Felicitas Marwinski, Johann Andreas Fabricius und die Jenaer gelehrten Gesellschaften des 18. Jahrhunderts. Jena 1989, S. 16). Vgl. Georg Christian Gebauer, Collegiorum Lipsiensium Gelliani et Anthologie! historia, in: ders., Anthologicarum Dissertationum Liber. Leipzig 1733, S. IX-CXXVm, hier S. IX. Gebauer stützt sich mit seiner Behauptung auf eine im Kreis des Collegium Anthologicum um 1700 getroffene Feststellung.

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A u f k o m m e n s der Collegia in Leipzig entweder in den Kinderschuhen oder waren noch gar nicht existent. Denkbar wäre allein ein Einfluß der so zahlreichen italienischen Akademien des 16. und frühen 17. Jahrhunderts. 40 Ein entscheidender Unterschied bestand auch darin, daß die italienischen, französischen und auch englischen Sozietäten keinerlei Verbindungen zu einer Universität besaßen, w a s dagegen bei den gelehrten Kollegien in Mitteldeutschland wohl die Regel g e w e s e n ist. Es wird hier allerdings Ausnahmen gegeben haben. So findet sich ein interessantes Beispiel für ein Kollegium, das dem mitteldeutschen Muster in vielen Stücken ähnelt, aber ohne j e d e universitäre Anbindung existierte, u m 1700 in Zürich. 41 D i e s e s verortet sich bereits bei seiner Gründung ( 1 6 7 9 ) innerhalb einer im europäischen Rahmen betrachteten Sozietätsbewegung: Dieweilen durch die Erfahrenheit, allzusicherste Lehrmeisterin der Wellthändeln, erlehmet wird, das vermittelst der Conversation, Kunst und Tugendliebender Persohnen öffters mehr wüssenschafft, alls auß den Büchern selbs geschöpfft werde, und was darbey zusammengetragen wird, weil es Viva Voce beschiehet der gedechtnuß am besten klebe, alls sein bey wenig Jahren fast in allen Theilen Europae gewüße Collegia entstanden, da persohnen von verschiedenen Professionen in wöchentlichen Zusammenkunfften Sich in allerhand Materien erspraachet, und einander deßen theilhafft gemachet, was ein Jeder in seinem objecto entwed e r durch Lesen guter Authorum, oder neuer erfindender experimenta anzubringen gewüßt.42 In d e m zur Eröffnung der Tätigkeit des Kollegiums gehaltenen Vortrag wird die Neugründung historisch konkret eingeordnet. Sie besitze einen anderen Charakter als die Gesellschaften von Kaufleuten, Juristen oder Geistlichen: Je parle des conferences qui conviennent mieux a l'humeur & a la Profession de vous autres M rs & pour lesquelles nous nous assemblerons, sous le bon plaisir de Dieu, ä l'avenir, c'est ä

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Vgl. dazu meine Ausführungen in: Der junge Leibniz, (wie Anm. 17), S. 80f. Es ist bemerkenswert, daß noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Arbeitsweise der italienischen Akademien in Leipzig als Vorbild betrachtet werden konnte. So heißt es im Rückblick auf eine Vortragsreihe, die in Anwesenheit des Kurprinzen veranstaltet wurde, man habe auf der letzten Messe einen „Conventus" in der Universitätsbibliothek durchgeführt „nach Art der Academien in Italien", d.h. es seien dabei „von einigen Professoribus von gewißen Materien peroriret worden" (Universitätsarchiv Leipzig [im folgenden UAL], Rep. I/XVI/I/41: Protocollum Concilii Dnn. Professorum de Anno 1734, Bl. 156, Sitzung vom 13. 6. 1743). Vgl. Emil Erne, Die schweizerischen Sozietäten. Lexikalische Darstellung der Reformgesellschaften des 18. Jahrhunderts in der Schweiz. Zürich 1988, S. 75-81 (hier auch weitere Literatur-angaben). Das Kollegium geht mehrfach ein und wird dann unter anderem Namen neugegründet. Seine Existenz findet 1709 ein definitives Ende. Das berühmteste Mitglied war Johann Jacob Scheuchzer, der auch über längere Zeit das Protokoll führte. Die Bände haben sind erhalten geblieben und befinden sich zusammen mit weiterem Material zu diesen Kollegien heute in der Zentralbibliothek Zürich (knappe Mitteilungen dazu bei Erne, S. 78f.). Eine angekündigte Publikation von Thomas Maissen und Michael Kempe (Zürich) zu jener Sozietät stand mir bis zum Abschluß des vorliegenden Aufsatzes noch nicht zur Verfügung. Zentralbibliothek Zürich, Ms L 3: Collectanea Helvetica praeprimis Tigurina. Ex Collectione Joannis Leonis Helvet. Tigurini, MS L 3), Bl. 378r. Der gleiche auf den 12.4.1679 datierte Text findet sich auch in anderen Handschriftenbänden aus dem Archiv des Kollegiums.

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dire, pour des matieries d'histoire, de Philosophie & de Politique, sur les quelles ilya de sort renomees assemblees dans toute les parties les mieux eclairees de l'Europe.

Unter den „renomees assemblees" versteht dann der Redner die Academie Frangaise, die italienischen Akademien und die Leopoldina. Die gleiche Ahnenreihe zitiert ein 1693 gehaltener Vortrag,44 mit dem das in seinem Wirken zeitweilig zum Erliegen gekommene Kollegium wieder ins Leben gerufen wird. Warum die älteren und in ihrer Struktur viel näher verwandten mitteldeutschen Collegia hier nirgends in Erscheinung treten, läßt sich schwer sagen. Wir wollen jedoch die fur uns gegenwärtig nicht beantwortbare Frage nach den Ursprüngen der Kollegien zurückstellen und stattdessen versuchen, deren Erscheinungsbild in den Grundlinien zu zeichnen. Kollegien in dem von mir gemeinten Sinne scheinen sich zuerst am Rand der Leipziger Universität ausgebildet zu haben. Diese sich auf den derzeitigen Stand der Quellenkenntnis stützende Feststellung erhebt keinen Anspruch auf dauernde Verbindlichkeit; durch neue Erkenntnisse kann sie jederzeit relativiert werden. Die Gründung der Leipziger Universität erfolgte bekanntlich im Jahre 1409, und sogleich ist es nach dem Vorbild der Prager Mutteruniversität45 auch hier zur Einrichtung von Kollegien im oben beschriebenen Sinne, also als Einrichtungen der Universität, gekommen; unter ihnen haben das Große und das Kleine Fürstenkollegium sowie das Frauenkollegium die größte Bedeutung erlangt. Der Erwerb des akademischen Magistergrades bildete eine Voraussetzung für die Erlangung der Mitgliedschaft. Jedes dieser Kollegien verfügte über eine festgelegte Zahl von Stellen, die ausschließlich nach einer bestimmten Ordnung neu vergeben werden durften, d.h. eine erledigte Kollegiatur konnte nur von einem Angehörigen deijenigen Nation besetzt werden, der der Verstorbene angehört hatte.46 An der Spitze der beiden Fürstenkollegien stand ein aus der Zahl der Mitglieder stammender „Praepositus"; im Frauenkolleg ist es der

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Zentralbibliothek Zürich Ms S 493: Acta des Collegii Insulani 1679-96, 4r 8r (13.5.1679). Besonders hervorgehoben wird die Leopoldina: „Hodiemo tempore maxirae floret Academia Leopoldina Curiosorum, per universam Germaniam" (Zentralbibliothek Zürich, Ms Β 58, Bl. 8v). Vgl. Josef Peträn, Das Karolinum. Prag 1988. W. E. Wagner, (wie Anm. 28), S. 37ff. Einen genauen Überblick über die Kollegiaten des Großen Fürstenkollegs von 1409 bis 1718 gibt Christoph Ernst Sicul, Das vom Anfang der Hoch-Löbl. Universität Leipzig Bis hieher Uber Dreyhundert Jahr in Zweyhundert Herren Collegiaten Blühende Große FürstenCollegium. Zum Behalt immerwährenden Andenckens Aus Bewährten Schluß- und Rechnungs-Büchern, auch andern Urkunden zusammen gesucht von Desselben Collegii Ersten Actuario. o.O. 1718 (benutztes Exemplar: UB Halle, Pon Yc 6897, 2οΠ, (17)). Sicul gibt hier genau an, in welcher Reihenfolge die einzelnen Stellen am Kollegium besetzt worden sind. Zur Voraussetzung für die Aufnahme ins Kollegium heißt es: „Alle Herren Collegiati [...] sind als Magistri Philosophiae zu consideriren, immaßen zur Collegiatur keiner habil ist, der nicht als Magister auf der Philosoph. Catheder praesidendo disputiret hat." Zum Frauenkolleg liegt jetzt eine empfehlenswerte Magisterarbeit vor: Beate Kusche, Collegium Beatae Mariae Virginis: Gründung und Anfänge des Leipziger Liebfrauenkollegs. Universität Leipzig 2000 (Masch.).

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„Senior". Diese Kollegien sind bis zur großen Universitätsreform von 1830 tragender Bestandteil der Struktur der Hochschule geblieben. Im Jahre 1624 stoßen wir nun erstmals auf die Bezeichnung Kollegium für eine Verbindung, die nichts mit den eben beschriebenen Einrichtungen zu tun hat. Im genannten Jahr wird das Collegium concionatorium, das Prediger-Kolleg gegründet. Zur Unterscheidung einer 1640 folgenden weiteren Gründung nimmt dann das ältere Kollegium den Namen Großes oder Montägiges Predigerkollegium an; die jüngere Verbindung nennt sich Donnerstägiges Predigerkollegium. Ihnen folgt im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts eine Unzahl von ähnlichen, also homiletisch orientierten Sozietäten; die berühmteste ist zweifellos das Wendische Predigerkolleg gewesen, dem auch die längste Lebensdauer beschieden sein sollte. Die Predigerkollegien gehören zu den bekanntesten Leipziger gesellschaftlichen Verbindungen, ihre Jubiläen werden unter Teilnahme der Öffentlichkeit gefeiert, Reisende nehmen von ihr Notiz, wie beispielsweise der Bericht eines schwedischen Besuchers der fünfziger Jahre des 18. Jahrhunderts zeigt: „Für die Uebung derer, die sich dem Priesterstande widmen, ist hier durch 3 Predigerkollegia gesorget. So übet sich z.B. eine Schaar davon alle Montage, zwischen 11 und 12 in der Paulinerkirche; eine andere alle Donnerstage. Des Sonnabends wird von 1 bis 2 in wendischer Sprache gepredigt, welche die Studenten so lernen, wie bey uns die Sprache der Lappländer getrieben wird; weil in der Lausitz noch ein Haufen Menschen wohnet, die vom Deutschen nicht mehr verstehen, als einige Scheltworte."47 Schon bei den Predigerkollegien lassen sich fast alle für die universitären gelehrten Sozietäten typischen und wesentlichen Strukturen nachweisen. Bevor wir uns dem Entstehen von weiteren, nicht der Einübung im Predigen verpflichteten Kollegien inner- und außerhalb Leipzigs zuwenden, soll es daher im folgenden um die wichtigsten gemeinsamen Grundzüge in der Organisation, in der Arbeitsweise und im Lebensmilieu aller Kollegien gehen. Gegründet werden die Kollegien in der Regel durch Studenten oder jüngere Magister.48 Die Anzahl der Mitglieder in einem Kollegium kann per Statuten festgelegt sein, muß dies aber nicht sein. Die Mindestzahl, so wird schon in den Digesten festgelegt, beträgt drei Mitglieder. Einen der wesentlichsten Charakterzüge eines Kollegiums bildet die grundsätzliche Gleichheit seiner Mitglieder. Nach Zedlers Lexikon ist ein Kollegium eine „Conso47

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Jonas Apeblad's Beschreibung seiner Reise durch Ober- und Niedersachsen und Hessen. In einer deutschen Uebersetzung aus dem Schwedischen, und mit Anmerkungen herausgegeben von J. B. [Johann Bernoulli D.D.], Berlin und Leipzig 1785, S. 216. So wird die Helmstedter Teutsche Gesellschaft von neun Studenten gegründet, die „sich im schönen Denken" übten (vgl. Anm. 30). Die Leipziger Kollegien des 17. Jahrhunderts wurden von jungen Magistern und Studenten höherer Semester ins Leben gerufen. Die „Gründungsväter" der berühmten Leipziger Deutschen Gesellschaft sind Studenten aus der Oberlausitz. Die Verbindung der Weißenfelser Alethophilen ist aus der gelegentlichen Zusammenkunft von jungen Gelehrten hervorgegangen, die sich über literarische Neuerscheinungen unterhielten (vgl. Detlef Döring, Beiträge zur Geschichte der Gesellschaft der Alethophilen in Leipzig, in: Döring / Nowak, Gelehrte Gesellschaften, [wie Anm. 3], S. 95-150, hier S. 117f.).

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ciation gewisser Personen von gleicher Condition und Macht" ; noch die heutige Verwendung des Begriffs Kollege will ja die Gleichrangigkeit des Angesprochenen unterstreichen.50 Eine hierarchische Gliederung ist demnach in den Kollegien als wissenschaftliche Gesellschaften nicht erkennbar. In den erhaltenen Mitgliederlisten werden die Namen allein nach dem Datum des jeweiligen Eintritts in die Gesellschaft geordnet. Auch die unter verschiedenen Bezeichnungen zeitweise die Arbeit des Kollegiums organisierenden und leitenden Mitglieder besaßen keinen besonderen Status, wenn ihnen auch einige Ehrenrechte zukommen mochten. Es ist das gleiche Prinzip, das bis heute innerhalb der Akademien waltet, wo unterschiedliche gesellschaftliche Positionen und wissenschaftliche Funktionen der Mitglieder zumindest de jure keine Rolle spielen dürfen. An der Spitze der Kollegien stand oft nicht eines ihrer Mitglieder, sondern eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, die eine gesellschaftlich höher angesiedelte Position innehatte, mitunter sogar dem Adel angehörte und nicht unbedingt in dem Ort ihren Wohnsitz haben mußte, wo das von ihr repräsentierte Kollegium angesiedelt war.51 Der eigentliche, dem Kollegium selbst entstammende Leiter tritt unter verschiedenen Bezeichnungen in Erscheinung: Aufseher, Präses, Direktor, Präsident, Vorsteher. Am häufigsten stößt man auf den Begriff des Seniors, den ja, wie berichtet, auch die Leiter des Großen und des Kleinen Fürstenkollegs trugen. Den Leitern unterstellt war ein ebenfalls unterschiedlich benannter Sekretär, der meistens für die Korrespondenz, die Verwaltung der Finanzen und die Vor- und Nachbereitung der Sitzungen verantwortlich war. War der Leiter verhindert, konnte der Sekretär ihn vertreten. Sehr wichtig ist die Feststellung, daß die Kollegien ihre Existenz meistens nicht auf eine völlige Unabhängigkeit begründeten, sondern die Bestätigung und Anerkennung ihrer Gründung sowie ihrer Statuten durch die Hochschule ihres Ortes

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Zedier, (wie Anm. 10), 6. Bd., Sp. 691. Vgl. auch Johann Christoph Adelung, Grammatischkritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart: Ein Kollegium ist „eine jede Versammlung oder Gesellschaft gleicher Personen." (I. Bd., Sp. 1340). Vgl. folgende gegenwärtige Definition eines Kollegiums: „Gruppe von Menschen mit gleichartiger Stellung und Tätigkeit" (Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, 3. Bd. Berlin 6 1984, S. 2145). Die Königsberger Deutsche Gesellschaft wurde durch einen Protektor repräsentiert (Obermarschall von Wallenrodt). An der Spitze der Jenaer Deutschen Gesellschaft standen ein Protektor (ein Herzog aus der emestinischen Linie) und ein Präsident (Grafen, z.B. der als Historiker berühmte Graf Heinrich von Birnau). Die Leipziger und die Helmstedter Deutsche Gesellschaft haben den in seiner Zeit im höchsten Ansehen stehenden Helmstedter Professor Johann Lorenz von Mosheim als Präsidenten gewonnen. Die Helmstedter konnten außerdem noch auf Herzog Karl von Braunschweig als ihren Schutzherrn verweisen. Nicht immer jedoch hatten die Gesellschaften Erfolg mit ihren Bitten um Protektion. So fragte die Wittenberger Deutsche Gesellschaft bei dem Professor und Hofrat Christoph Ludwig Crell an, ob er als Vorsteher der Sozietät fungieren wolle:„Der Herr Hofrath war sehr gütig, freuete sich darüber, blieb aber unwirksam, und wollte sich weiter nicht sprechen lassen." (Adolph Günther von Haugwitz, Nachricht von der Deutschen Gesellschaft zu Wittenberg. Wittenberg 1763, S. 8).

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oder gar durch staatliche Behörden52 suchten. Bereits die früheste Einrichtung, das Montägige Predigerkolleg, ist nach einer Feststellung der Universität zusammen mit allen „allhier florirenden Collegia Homiletica Practica, nichts anders, als ein Collegium Academicum" und sei „davor zu allen Zeiten gehalten worden". Damit unterscheide es sich nicht im geringsten von „andern dergleichen auf hießiger Academie florirenden Collegiis und Societatibus, Homileticis, Exegeticis, Disputatoriis, Oratoriis, Poeticis [...]". Die Aufsicht über diese Collegia academica komme allein der Universität zu. Hintergrund dieser Feststellung ist die Forderung des Leipziger Konsistoriums, eine Kontrolle über die Predigerkollegien ausüben zu wollen, was die Universität als Gefahrdung ihrer Autonomie betrachten mußte.53 Bei den Kollegien handelt es sich im Gegensatz zu den oben erwähnten Kränzchen nicht um lose Verbindungen, deren Zusammenkünfte man nach Belieben besuchen konnte oder eben auch nicht, sondern um Sozietäten mit ausgefeilten Statuten und einer genauen Regelung über die Erlangung der Mitgliedschaft. Das Fernbleiben von den Sitzungen bedurfte einer Entschuldigung. Wer Mitglied eines Kollegiums werden wollte, der mußte zuvor eine Art Probestück ablegen, je nach Ausrichtung der Gesellschaft eine Predigt, eine Dichtung, einen Vortrag oder einen Prosatext. Die Abstimmung unter den Mitgliedern entschied dann über Aufnahme oder Ablehnung des Kandidaten. Die Mitgliedschaft endete in der Regel mit dem Tod oder durch einen Ortswechsel. Mitunter bestand die Möglichkeit, Mitglieder wegen unehrenhaften Verhaltens auszuschließen. Bei Gründungen des 18. Jahrhunderts, hier ist vor allem an die auf Breitenwirksamkeit bedachten Deutschen Gesellschaften zu denken, findet sich auch die Einrichtung der auswärtigen Mitgliedschaft. Eintrittswillige mußten in der Regel einen akademischen Grad aufweisen oder zumindest auf mehrere Jahre Hochschulbesuch zurückblicken können.54 52

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Daß ein Kollegium von der höchsten denkbaren Instanz, dem Landesherrn, bestätigt wurde, läßt sich zumindest am Beispiel der Königsberger Deutschen Gesellschaft zeigen. Diese wird am 18. 8. 1743 von Friedrich dem Großen in „unserm höchsten Schutz und Protection" genommen. Zugleich erhält sie das Privileg, ihre Schriften ohne Zensur drucken zu dürfen. Die Gesellschaft wiederum begeht alljährlich zum Geburtstag ihres königlichen Schutzherrn einen Festakt. Gleichermaßen wird die Anbindung an die Königsberger Universität durch die Bestimmung zementiert, daß der Präsident der Gesellschaft aus den Reihen der Professoren stammen muß (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, XX, EM, 139c IV, Die Teutsche Gesell, zu Königsberg betr., Bl. 83r-84r (Abschrift). Auch der Greifswalder Deutschen Gesellschaft gelang es, den Schutz des Königs von Schweden zu erlangen (vgl. Herbert Langer, Gelehrte Sozietäten in Schwedisch-Pommem, in: Klaus Garber / Heinz Wismann, [wie Anm. 35], Bd. 2, S. 1550-1564). Der Leipziger Deutschen Gesellschaft als Muttergesellschaft ist es trotz vieler Versuche nicht gelungen, diesen Schritt zu vollziehen. Vgl. Johann Daniel Schulze, Abriß einer Geschichte der Leipziger Universität im Laufe des achtzehenten Jahrhunderts nebst Rückblicken auf die frühern Zeiten. Leipzig 1802, S. 18 Iff. Schulze zitiert aus Akten der Jahre 1724 /25. Bei einer Coburger gelehrten Gesellschaft läßt sich auch die Teilnahme von Regierungsbeamten nachweisen: Am 20.1.1701 nehmen die Noctes Casimirianas bei Ernst Salomon Cyprian ihren Anfang, „in dessen Museo im Gymnasio, und zwar Sonnabends um 5. Uhr / viel Gelehrte, auch von Fürstlichen Ministris, sich gefallen Hessen, zu allerhand gelehrten Unterre-

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Sinn und Ziel des Wirkens der hier gemeinten Kollegien ist die Verfolgung eines gemeinsam interessierenden Zieles aus dem Bereich des kulturellen und wissenschaftlichen Lebens. Bei den oben genannten Predigerkollegien z.B. ist es die Einübung in die Fertigkeit des Predigens. Zuerst zirkulieren die Predigttexte unter den Mitgliedern, dann werden sie in der Kirche gehalten, anschließend kommt es zwischen den Mitgliedern zur Diskussion dieser Texte. Bei den anderen Kollegien sind es je nachdem Vorträge, Dichtungen, Abhandlungen, gemeinsam gelesene Texte u.a., die besprochen werden. Das genaue Prozedere dieser Diskussionen wird im Statut festgelegt. Als wichtig wird immer ein gesitteter, ja freundschaftlicher Umgang der Mitglieder untereinander betrachtet,55 d.h. niemand hat beispielsweise das Recht, andere in ihrer Rede zu unterbrechen; es darf nicht unsachlich diskutiert werden, niemand darf in seiner Würde angegriffen werden usw. Auf Verletzung dieser Bestimmungen wird ein Strafgeld erhoben, das übrigens auch bei einem zu späten Erscheinen oder unentschuldigten Fehlen eingezogen wird. Nach Abschluß der Diskussion werden die nun sozusagen approbierten Texte schriftlich festgehalten und archiviert. Nicht wenige Kollegien, vor allem im 18. Jahrhundert, versuchen, diese Arbeiten zu publizieren, mitunter in eigenen Schriftenreihen.56 Man wird, wie bei heutigen Versammlungen auch, davon ausgehen können, daß nicht allein Vorträge gehört und diskutiert wurden, sondern außerdem lockere Gespräche über gerade interessant erscheinende Themen stattfanden. Belegbar ist dies ansatzweise bisher allein bei den schon erwähnten Züricher Kollegien, in deren Protokollbänden die Rubrik „Corollaria" auftaucht. Gemeint sind damit die Beantwortung von Fragen, die meist ohne Zusammenhang mit dem eigentlichen Thema der Sitzung aufgeworfen worden sind: Existenz von Werwölfen und Drachen, Ursprung des Nils, Gründe für die Verachtung der Scharfrichter, Ursachen des Alterns, Bewohnbarkeit des Mondes, neue Kriegsmaschinen, Zulässigkeit schwerer Strafen (Verbrennen, Vierteilen u.a.), das Leben der Murmeltiere, das Collegium Eruditorum in London usw. Wir können uns vorstellen, daß solche Fragen den Inhalt der gelegentlich erwähnten „sehr nützliche(n) nebent-unterre-

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dungen zusammen zu kommen, deren theils die Materie zum Discours aufgeworffen, theils ihre symbolas beygetragen, theils zugehöret, u.s.f., und wurde mit solchem Congress eine gute Zeit continuiret." (Gottfried Ludwig, Ehre des Hoch-Fürstlichen Casimiriani Academici in Coburg oder desselben vollständige Historie. Coburg 1725, S. 297f.). Bei der durch den Mediziner Christian Gottlieb Ludwig 1736 gegründeten Societas Disputatoria betont schon der erste Satz der „Leges" diese Forderung: „Ut collegium in semper floreat, amicitia prima lex esto." (UB Leipzig, Ms 0663 [Acta Societatis Disputatoriae], Bl. 2r). So begann die soeben erwähnte medizinische Disputiergesellschaft, (vgl. Anm. 55), im 16. Jahr ihres Bestehens mit der Herausgabe der Commentarii de rebus in scientia naturali et mediana gestis (1752ff.), die hohes Ansehen erlangten. Mehrere der Deutschen Gesellschaften haben zeitweise ein Periodikum herausgegeben, z.B. die Beyträge zur Critischen Historie der Deutschen Sprache (1732ff.) in Leipzig.

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düngen" bildeten, „welche bey diesmaliger wöchentlicher Versammlung unter den H. Collegis gepflogen worden."57 Sehr unterschiedlicher Ausdehnung war die seitens der Kollegien geführte Korrespondenz. Die Notwendigkeit eines schriftlichen Austausches ergab sich bei der zeitweiligen Abwesenheit von Mitgliedern, bei einem anderen Wohnsitz des Ehrenpräsidenten, bei der Existenz auswärtiger Mitglieder58 oder einer bleibenden gewissen Anbindung frührerer Mitglieder, bei Kontakten zu anderen Sozietäten, bei der Erfordernis des Verkehrs mit universitären oder staatlichen Einrichtungen, bei Verbindungen mit Gelehrten außerhalb des Kollegiums. Ein Archiv wird es daher und außerdem zum Zweck einer Aufbewahrung der von den Mitgliedern verfaßten Texte bei fast allen diesen Sozietäten gegeben haben, wenn sich auch nur in Ausnahmefallen nennenswerte Bestände davon erhalten haben. Bei naturwissenschaftlich orientierten Kollegien kommt noch die Einrichtung von Naturaliensammlungen hinzu. Eine Reihe von Kollegien, vor allem die Deutschen Gesellschaften, verfügten über einen Bestand an Büchern, der in einzelnen Fällen durchaus die Form stattlicher Bibliotheken annehmen konnte.59 Das Leben und Treiben der Kollegien erschöpfte sich nicht in den regulären Zusammenkünften. Fast immer war es z.B. üblich, den Jahrestag der Gründung der Gesellschaft mit einem Fest zu begehen, das in einigen Fällen auch musikalisch umrahmt wurde. Finanziert wurde es (oder andere ähnliche Veranstaltungen) durch die im Laufe der Zeit eingenommenen Strafgelder. Sehr verbreitet war auch das Abfassen von Gedichten zu Ehren einzelner Mitglieder, so bei Eheschließungen, Erwerb akademischer Würden, Amtseinführungen, Geburten u.a.m.60 Selbstverständlich war auch die Anfertigung von Versen anläßlich von Todesfallen.61 Bei 57

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Zentralbibliothek Zürich, Ms Β 58, Bl. 506r. Die genannten Beispiele für die Corollaria sind dieser Handschrift entnommen worden. In der 1744 in Zürich gegründeten Wachsenden Gesellschaft war es den auswärtigen Mitgliedern sogar ausdrücklich als Pflicht auferlegt, mit ihrer Sozietät einen Briefwechsel zu führen. Beschlossen wurde auch die briefliche Kontaktaufnahme zu anderen ähnlich orientierten Gesellschaften (Zentralbibliothek Zürich, Ms Τ 413, 6). Zumindest bei den Deutschen Gesellschaften in Jena und Leipzig haben sich diese Bibliotheken bis auf den heutigen Tag erhalten und sind auch bibliographisch vorzüglich erschlossen worden: Vgl. Katalog der Büchersammlung der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Nach dem von Ernst Kroker bearbeiteten handschriftlichen Bestandsverzeichnis der Universitätsbibliothek Leipzig hg. vom Zentralantiquariat der DDR. Leipzig 1971; Marwinski, (wie Anm. 32). Diese Praxis kennen die Züricher Gesellschaften merkwürdigerweise nicht. Dafür gibt es die Festlegung, daß ein zu Amt und Würden gelangtes Mitglied der Sozietät eine (freiwillige) Geldspende übergeben kann. Auch Jahresfeiern werden in Zürich nicht erwähnt. Im Statut des Kollegiums der Wohlgesinnten wird bestimmt, daß die Einnahmen der Gesellschaft „ad pios usus" oder „ad utile Collegii" verwendet werden sollen. Was konkret damit gemeint sein kann, wird nicht deutlich (Zentralbibliothek Zürich, Ms Β 58, Bl. 4v). Ein exzessives Beispiel der Würdigung eines verstorbenen Mitgliedes bietet die Prüfende Gesellschaft in Halle: Wohlverdientes Ehren-Gedächtniß des sämtlichen Lenzischen Geschlechts, Wodurch, Bey dem Wohlseeligen, am lsten Julii, 1741. erfolgten Absterben Des Hoch-Edlen Herrn, Herrn Jo. Christian Lenzens [...] dessen hinterlassenem, ältestem Herrn Sohne [...] In einem Sendschreiben, Zugleich Ihr Christschuldiges, und herzliches, Beyleid

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Kollegien, die sich vor allem der Pflege der Sprache verpflichtet fühlten (Rednergesellschaften, Deutsche Gesellschaften), war es üblich, eine Eintrittsbzw. Abschiedsrede vorzutragen. Wir wenden uns jetzt wieder der Ausbildung des Kollegienwesens in Leipzig zu und werden dann wenigstens in der Andeutung die Entstehung von ähnlichen Kollegien in anderen Universitätsstädten des protestantischen Deutschland verfolgen. Den Leipziger Predigerkollegien folgen in zeitlicher Hinsicht drei Kollegiengründungen, bei denen nicht Redeübungen im Mittelpunkt stehen, sondern in erster Linie philologisch-historische Forschungen: Collegium Gellianum (1641), Collegium Anthologicum (1655) und Collegium Conferentium (1663). Nach genau vorgeschriebenen Regeln werden hier im Wochenrhythmus von den Mitgliedern Vorträge gehalten, die anschließend diskutiert und dann schriftlich festgehalten werden. Bei den Mitgliedern handelt es sich ausnahmslos um Universitätsangehörige. Zwar ist bisher nichts von einer Bestätigung der Gründung und der Statuten durch Gremien der Hochschule bekannt geworden, aber allein schon die erwähnte Mitgliederstruktur deutet auf die Nähe dieser Kollegien zur Universität. Schon bei den soeben erwähnten Leipziger Gründungen findet sich eine Intention, die sich später auch bei anderen ähnlichen Gründungen beobachten läßt: Es geht zwar immer um wissenschaftliche Fragestellungen, jedoch soll deren Behandlung auch der entspannenden Unterhaltung dienen. Beifall verdient, so heißt es im Statut des Collegium Anthologicum, wer das Nützliche mit dem Angenehmen zu mischen weiß. Eine knapp fünfzig Jahre später eingerichtete Sozietät, die im Rahmen des berühmten, zeitweilig für eine Umwandlung zur Universität vorgesehenen Gymnasiums Coburg existierte und sich der Theologie, der Literaturgeschichte und Numismatik widmen sollte, betont ausdrücklich, daß diese wenn auch nützliche Beschäftigung der Entspannung und der Bequemlichkeit des Lebens dienen solle.62 Insgesamt zeigen die mitteldeutschen Kollegien in ihrer thematischen Orientierung eine im wesentlichen antiquarische Ausrichtung. Eine Bezugnahme auf aktuelle Vorgänge, insbesondere auf der politischen Bühne, ist in den mir bisher bekannten Unterlagen kaum zu entdecken.63 Eine interessante Ausnahme, auf die im Vergleich hier zumindest hingewiesen werden soll, bildet die außerhalb des

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bezeugen wollte, Die Prüfende Gesellschafft, zu Halle. Halle o.J. Der Text enthält neben der Ehrung des Verstorbenen noch eine ausführliche Geschichte der Familie Lenz. Zu der 1736 gegründeten „Prüfenden Gesellschaft" vgl. Hans-Joachim Kertscher, Die Prüfende Gesellschaft in Halle, in: Sachsen-Anhalt. Journal für Natur- und Heimatfreunde 11 (2001), S. 1417. „Igitur viri docti, ut munerum suorum molestias otio non molesto, utili tarnen, emollirent, et quiescentes conferrent aliquid ad vitae humanae commoditatem, amicos congressus instituerunt, atque de rebus iucundis collocuti sunt." (Ernst Salomon Cyprian, Invitatio ad Noctes Casimirianas, in: ders.: Selectaprogrammata. Coburg 1708, S. 14-21, Zitat S. 18). Das schließt nicht aus, daß hin und wieder Fragen mit direktem Gegenwartsbezug behandelt wurden, z.B. die Reichsverfassung oder theologische Auseinandersetzungen.

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Reichsverbandes bestehende Zürcher Gesellschaft. Dezidiert verweist in einer programmatischen Rede eines ihrer Mitglieder auf den „freien Himmel der Schweiz", wo man im Frieden den Parnaß erklimmen könne, während im übrigen Europa der Krieg (Pfalzischer Erbfolgekrieg) tobt und Gewalt von Tyrannen droht: Incepimus, Collegae, inceptum strenue persequamur, dum nobis licet, num Deus nobis haec otia fecit, dum universa vere Europa Bellonae spiculis agitatur, nos, suspensis jam pridem in sacra Concordiae aede bellorum insignibus, trabea ac paludamento, sub libero Helvetiae coelo sumus, multum extra Licinii et Caracallae livorem positi, conscendamus Parnassum, dum iter nullis adversitatum spinis intricatum est, et Apollo clare fulget. 64

Tatsächlich findet sich in den Protokollbänden der Gesellschaft auch eine erstaunlich große Zahl von Vorträgen zu aktuellen politischen Vorgängen: den Antipathien zwischen Franzosen und Spaniern, den Ursachen des Pfalzischen Erbfolgekriegs, die derzeitige englische Regierung, die aktuellen Vorgänge am Dresdner Hof (Zeit Johann Georgs IV.), die Interessen der Schweiz im Blick auf verschiedene umliegende Territorien. Mehrfach finden sich umfangreiche Überblicke über die gegenwärtige Situation der einzelnen europäischen Staatswesen. Auch das brisante Thema des Widerstandsrechtes der Untertanen gegen tyrannische Herrscher wird behandelt. In einer eigenen Veranstaltung trauert man um das Schicksal Heidelbergs, das soeben von den Franzosen in Schutt und Asche gelegt worden war.65 Da sich, um wieder auf die speziellen Leipziger Verhältnisse zurückzukommen, zumindest zum Collegium Gellianum und zum Collegium Anthologicum zahlreiche Protokollbände erhalten haben, die die zu Gehör gebrachten Texte wenigstens in der Kurzfassung wiedergeben, bestünde die Möglichkeit, ein genaueres Bild des Wirkens jener Sozietäten zu gewinnen. Es wurden fast alle damals betriebenen geisteswissenschaftlichen Disziplinen, aber auch manche naturwissenschaftliche Themen in den Kollegien traktiert, so daß wir bei genauerer Auswertung dieser Quellen einen vorzüglichen Überblick über das wissenschaftliche Niveau dieser Verbindungen jüngerer Gelehrter gewinnen könnten.66 Schon die bisherige Auswertung läßt jedoch erkennen, daß hier keinesfalls nur „dürre Schulgelehrsamkeit" betrieben wurde, sondern neuere, in die Zukunft weisende Themen Berücksichtigung fanden: Naturrecht, neue astronomische Entdeckungen, ethnologische Fragen, Diskussion der Verfassung des Deutschen Reiches, Orientalistik. Den Schwerpunkt bildete freilich die Beschäftigung mit historisch-philologischen For64 65 66

Zentralbibliothek Zürich, Ms Β 58: Adversaria Actorum Collegii der Wolgesinneten, Bl. 7r. Zentralbibliothek Zürich, Ms S 384, Bl. 66v-67r. Daß sich selbst zu relativ speziellen Fragestellungen in den Protokollen Material finden läßt, zeigt Detlef Döring, Die nichtchristlichen Religionen als Thema der Versammlungen Leipziger Gelehrtengesellschaften in der Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Rainer Flasche / Fritz Heinrich / Carsten Koch (Hg.), Religionswissenschaft in Konsequenz. Beiträge im Anschluß an Impulse von Kurt Rudolph. Münster / Hamburg / London 2000 (Marburger religionsgeschichtliche Beiträge 1), S. 21-36.

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schungen. Da unser Wissen über die an der Leipziger Universität vermittelten Lehrinhalte dürftig sind, läßt sich nicht sagen, inwieweit die Collegia über das hinausgegangen sind, was in den Mauern der Hochschule unterrichtet und diskutiert worden ist. Da die meisten Mitglieder an der Universität lehrten und manche sogar eine Professur erlangten, sollte man jedoch annehmen dürfen, daß zwischen Collegia und Universität eine gewisse Nähe bestand. Gerade die erwähnten historisch-philologischen Interessen lassen sich an der Leipziger Universität seit dem 16. Jahrhundert in ausgeprägter Form verfolgen; Collegia und Universität befinden sich hier in einer dichten Nähe zueinander. Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts kommt es in Leipzig zur Gründung zahlreicher weiterer Kollegien, die in ihrer thematischen Orientierung die polyhistorische Ausrichtung der Collegia der Mitte des 17. Jahrhunderts aufgeben und eine wachsende Spezialisierung entwickeln. Die berühmteste aller dieser Neuschöpfungen war ohne Zweifel das Collegium Philobiblicum; für einen Moment hat es als geschichtliches Ereignis von wenigstens nationaler Dimension gewirkt. In seiner ursprünglichen Intention war das Collegium Philobiblicum freilich nichts anderes als eine Verbindung junger Magister, die sich in der Lektüre und der Auslegung der Texte der Bibel in ihren Originalsprachen üben wollten. Daß man damit ganz und gar in der Tradition der früheren Kollegiengründungen stand, ist von August Hermann Francke, dem wichtigsten Mitglied, klar gesehen worden: Solches war nun nicht etwan was neues oder ungewöhnliches auff der Universtaet Leipzig. Denn man wol über funffzig Jahr zurück solche collegia zählen kann, welche die Magistri unter sich angefangen, sich über gewisse leges darinnen vereiniget, und dieselben unter sich fortgesetzet [...].'67

Für eine gewisse Zeit, solange Francke und sein Kreis sich in Leipzig zu halten vermochten, wandelte das Collegium philobiblicum gänzlich seinen Charakter: Aus einem philologischen Seminar wurde der Mittelpunkt der pietistischen Bewegung in Leipzig. Nach deren Verbot wird das Collegium philobiblicum wieder das, was es am Anfang gewesen war - ein mit der Exegese der Bibeltexte beschäftigter wissenschaftlicher Verein; noch im 19. Jahrhundert existierte er in dieser Form in Leipzig. Eine ähnlich radikale Wandlung hat ein anderes, 1697 in Leipzig gegründetes Kollegium durchlaufen, nur daß dieser Wandlungsprozeß weit längere Zeit beanspruchte und der Begriff des Kollegiums durch den der Gesellschaft verdrängt

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Η. M. August Hermann Franckens [...] Lebenslauff. Zitiert nach: August Hermann Francke, Werke in Auswahl, hg. v. Erhard Peschke. Berlin 1969, S. 17. Ausdrücklich erwähnt werden dann die Predigerkollegien, die Teutsche Rednergesellschaft (diese ist wahrscheinlich mit dem von Francke genannten Collegium oratorium gemeint), das Collegium Anthologicum und das Collegium Gellianum.

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wurde.68 In dem erwähnten Jahr riefen drei aus der Oberlausitz stammende Studenten das Collegium Poeticum Gorlicense ins Leben. Das Ziel dieser Vereinigung bestand im gemeinsamen Dichten. Die Organisation der Vereinigung entsprach ganz den Gepflogenheiten der erwähnten früheren Kollegien: Statuten und Mitgliederlisten; Zuwahl neuer Mitglieder nach Vorlage eines Probegedichtes; regelmäßige Zusammenkünfte, bei denen neue Gedichte der Mitglieder vorgetragen und besprochen wurden; schriftliche Archivierung der Texte; Jahresfeiern. Bei aller Ernsthaftigkeit, mit der man die Vervollkommnung in der Kunst des Versesetzens verfolgte, spielte auch hier das Moment der Unterhaltung, das Streben nach geselligem Zusammensein eine Rolle; die Aufrichtung „wahrer Freundschaft" wird im Statut als Aufgabe beschworen. An der Spitze des Kollegiums stand ein „Senior" oder „Hospes". Er ist derjenige, in dessen Wohnung die Versammlungen stattfinden. Inwieweit Johann Burkhart Mencke, Sohn Otto Menckes und bald einer der führenden Gelehrten der Stadt, an der Gründung des Kollegiums beteiligt war, läßt sich heute nicht mehr recht ausmachen. In den ersten zwanzig Jahren der Geschichte der Verbindung tritt er jedenfalls nicht in Erscheinung. Das ändert sich 1717, als es zu einschneidenden Veränderungen in der Orientierung und damit auch in den Statuten des Kollegiums gekommen ist. Aus dem Collegium Poeticum wird die Teutschübende Poetische Gesellschaft, die nunmehr hehre wissenschaftliche Ziele im Bereich der deutschen Sprache und Dichtung ansteuert. Mit der Wahl Menckes zum Präses der Gesellschaft nähert man sich der klassischen organisatorischen Struktur der Kollegien. Aber erst die Ankunft Johann Christoph Gottscheds in Leipzig bzw. sein baldiger Eintritt in die Teutschübende Gesellschaft bringt den wirklichen Durchbruch zur nationalen Bedeutung. Das bisher nur angepeilte Ziel, als sozusagen kollektiver Arbiter elegantium auf dem Gebiet der Sprache und Dichtung zu fungieren, wird von der jetzt die bündige Bezeichnung Deutsche Gesellschaft tragenden Sozietät mit Tatkraft in Angriff genommen. Zu Präses und Senior tritt jetzt noch der Sekretär, die schriftlichen Ausarbeitungen werden nicht mehr nur als Handschriften archiviert, sondern gedruckt, die Wahl neuer Mitglieder wird weniger dem Zufall überlassen, sondern bewußt gesteuert. Die Vollendung seines Baues, die in der staatlichen Anerkennung der Gesellschaft analog zur Academie Frangaise bestanden hätte, ist Gottsched allerdings nicht gelungen, trotz aller intensiven Bemühungen. Ein gutes Jahrzehnt jedoch hat die Deutsche Gesellschaft weit über die Grenzen Leipzigs hinweg wirken können; jede Darstellung zur deutschen Literaturgeschichte nennt ihren Namen. In ihrer Struktur und Anlage bleibt sie jedoch ein Kollegium, wie wir sie mit unterschiedlichen Nuancensetzung seit Gründung des Großen Predigerkollegs kennen.

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Vgl. die ausführliche Darstellung bei Detlef Döring, Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Von der Gründung bis in die ersten Jahre des Seniorats Johann Christoph Gottscheds. Tübingen 2002 (Frühe Neuzeit 70).

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Es ist nicht bei der einen, in Leipzig existierenden Deutschen Gesellschaft geblieben. Überall im Reich und darüber hinaus bilden sich Tochtergesellschaften, insgesamt 19 an der Zahl.69 Längst zuvor jedoch finden sich bereits Beispiele für die Verbreitung von Kollegien an verschiedenen Hochschulen Deutschlands.70 Sie sind in verschiedenen Orten ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nachweisbar, d.h. sie sind allesamt später entstanden als die Leipziger Gründungen. Ob immer eine direkte Abhängigkeit vorhanden gewesen ist, bedürfte der Untersuchung. Auf alle Fälle gilt dies für Jena, wo wir auf die frühsten Beispiele stoßen. Wenn es auch eher unwahrscheinlich ist, daß, wie immer wieder behauptet, eine Gelehrtengesellschaft bereits zur Studienzeit von Leibniz (1663) in Jena bestand,71 so ist doch sicher, daß 1672 ein Collegium Disquirentium ins Leben gerufen wurde. Der Gründer, Johann Andreas Bose, war zuvor Mitglied des Collegium Gellianum in Leipzig gewesen, und die Jenaer Gesellschaft zeigt in jeglicher Hinsicht ihre große Nähe zu dem älteren Vorbild. Im gleichen Jahr 1672 kommt es in der Saalestadt zur Errichtung der Societas Pythagorea durch Erhard Weigel, ebenfalls ein Absolvent der Leipziger Hochschule. Auch im 18. Jahrhundert bleibt gerade Jena ein Ort der vielfältigsten Gründungen von Kollegien der geschilderten Gestalt.72 So entsteht hier die erste Deutsche Gesellschaft außerhalb Leipzigs (1728). 73 Ihr organisatorischer Aufbau und ihre Statuten gleichen mit einigen Abweichungen denen der Leipziger Sozietät.74 Ihre im Vergleich zu Leipzig weit umfangreichere archivalische Überlieferung würde jedoch eine weit ausfuhrlichere

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Vgl. Thomas Charles Rauter, The eighteenth-century „Deutsche Gesellschaft". A literary society of the german middle class. Diss., Urbana, (111.) 1970 (Masch.), S. 105ff. Die einzelnen Deutschen Gesellschaften orientierten sich allerdings in einem unterschiedlichen Grade am Vorbild der Leipziger Muttergründung. Die Deutschen Gesellschaften waren, wie die Collegia insgesamt, fast immer in Universitätsstädten angesiedelt, jedoch gab es auch Ausnahmen: Bern, Bremen, Bernburg, Mannheim. Daß sich wissenschaftliche Zusammenschlüsse, die den Kollegien ähneln, nicht nur in der Nachbarschaft von Universitäten finden, zeigt das Beispiel der Kunstrechnungs-Liebenden Societät in Hamburg (1690). Ihr gehörten kaum Akademiker an. Neben einigen für Kollegien typischen Zügen (Aufnahmeprüfung, dreigliedrige Leitungsspitze, regelmäßige Diskussionen) stehen andere, untypische Erscheinungsformen (Erteilung von Unterricht in Mathematik, Einführung von Gesellschaftsnamen, umfangreiche Publikationstätigkeit). Vgl. Michael Wettengel, Die Geschichte der wissenschaftlichen Gesellschaften in Hamburg unter besonderer Berücksichtigung der Mathematischen Gesellschaft in Hamburg von 1690, in: Mitteilungen der Mathematischen Gesellschaft in Hamburg ΧΠ, (1990), Heft 1, S. 61-205, hier S. 67ff. Vgl. vor allem aber die im vorliegenden Aufsatz enthaltenen Hinweise auf die Collegia in der damals über keine Universität verfugenden Stadt Zürich. Vgl. Döring, Der junge Leibniz, (wie Anm. 17), S. 72ff. Vgl. die ausfuhrlichen Angaben bei Marwinski, (wie Anm. 38). Vgl. Rauter, The eighteenth-century (wie Anm. 69), Marwinski, (wie Anm. 38), Marwinski, (wie Anm. 32). Neben Sekretär, Ältestem (in Leipzig „Senior") und Aufseher (in Leipzig „Präses") gibt es noch einen adligen „Ober-Vorsteher". Die Mitglieder sind in vier Abteilungen eingeteilt (Obersächsische, Niedersächsische, Schlesische und Fränkische Abteilung).

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Detlef Döring

und farbigere Darstellung ihrer Geschichte erlauben.75 Vor allem die in Form von Zirkularen vorliegenden Meinungsäußerungen der einzelnen Mitglieder zu eingereichten Texten (Gedichte oder Prosa) ermöglichten es, die zentrale Tätigkeit der Kollegien näher zu verfolgen, nämlich die gegenseitige Kritik an den jeweiligen wissenschaftlichen, dichterischen und rhetorischen Übungen. In Jena kommt es aber auch in einer gewissen Reaktion auf das um sich greifende Bestreben zur Förderung der deutschen Sprache zur Gründung einer der Pflege der klassischen Gelehrtensprache gewidmeten Gesellschaft, der Societas Latina (1734).76 Ihre enge Anbindung an die Universität wird schon daran sichtbar, daß ihre Statuten vom Prorektor und den Professoren der Hochschule bestätigt werden; auch nehmen Prorektor und alle Ordentlichen Professoren an den Jahresversammlungen der Gesellschaft teil. Ein Professor der Universität ist Direktor der Sozietät; die höchste Repräsentationsfunktion nimmt der Praeses wahr, der dem Adel angehört. Das Amt des Sekretärs wird von einem sogenannten Ephorus ausgeübt, der auch den Direktor vertreten kann. Auch sonst entsprechen der Aufbau und die Arbeitsweise der Societas ganz dem uns bereits vertrauten Muster: wöchentliche Versammlungen mit jeweils zwei Vorträgen (zu den verschiedensten Wissenschaften); 77 Erhebung von Strafgeldern bei verschiedenen Versäumnissen, Pflicht der eintrittswilligen Kandidaten, 14 Tage vor der Abstimmung eine Probe (Specimen) ihres Könnens einzureichen; Einholen von Informationen über den sittlichen Lebenswandel des Kandidaten und über seine Gelehrsamkeit (verantwortlich ist hier vor allem der Direktor); eine Rede des neuaufgenommenen Mitgliedes, die mit einer Antwortrede eines „Altmitgliedes" erwidert wird; Gedichte für einzelne Mitglieder bei entsprechenden Anlässen; eine jährliche Gedenkrede

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Die Archivalien befinden sich in der UB Jena. Die Arbeiten von F. Marwinski (Anm. 32 und 38) bedeuten einen ersten wichtigen Schritt in der Aufarbeitung dieser Bestände, sind aber in verschiedenen Richtungen noch sehr ausbaufähig. Vgl. zum folgenden: Exercitationes Societatis Latinae quae Ienae est. Publicatae ab eius Directore Friderico Andrea Hallbauero. Leipzig 1741. 2. Bd. 1743. Vgl. auch Marwinski, (wie Anm. 38), S. 84ff. Die Hauptquelle zur Geschichte der Societas bietet jedoch ihr in einem breiten Umfang überliefertes Archiv (24 Konvolute). Die von mir beabsichtigte Einbeziehung dieser Bestände konnte aus Zeitgründen nicht erfolgen. Daß man sich innerhalb der Societas Latina durchaus in einer gewissen Frontstellung gegenüber der wachsenden Aufwertung der deutschen Nationalsprache sah, zeigt ein Vortrag wie folgender: De studio latinitatis purae et elegantioris diligentius quam vulgo fit iuventuti scholasticae commendando dissertatio M. Friderici Christ. Baumeisteri. Interessant ist hier der Hinweis, daß Schriften, die der Bibel und den guten Sitten widersprechen, nicht verlesen werden dürfen. Vorgetragen werden Orationes (u.a. zum Tod von Fürstlichkeiten u. Gelehrten), Dissertationes (meistens zur lateinischen Sprache), Epistolae (meist Briefe Auswärtiger an die Gesellschaft), Inscriptiones (zum Tod Berühmter), Carmina (Gradulationsgedichte oder Gedichte auf Todesfalle), Vitae descriptiones (Leichenreden).

Die mitteldeutschen gelehrten

Kollegien

39

anläßlich des Gründungsjubiläums der Gesellschaft. Auch kennt die Societas die Einrichtung der Ehrenmitgliedschaft auswärtiger Gelehrter.78 Ist bei den Deutschen Gesellschaften und anderen an einem genauer definierbaren Gegenstand orientierten Sozietäten der Wille erkennbar, nach außen Wirkung zu entfalten, d.h. in der Regel zu publizieren, so haben auch diejenigen Kollegien weiterhin Bestand, denen es allein um die gegenseitige wissenschaftliche Information ihrer Mitglieder geht. Die drei oben erwähnten Leipziger Kollegien bieten die Prototypen solcher Zusammenschlüsse. Ein Beispiel des 18. Jahrhunderts stellt die unter der Leitung des Philosophieprofessors Cornelius Dietrich Koch stehende Societas Conantium in Helmstedt dar.79 Man strebe nicht an, das Publikum mit Schriften zu unterrichten, sondern man wolle sich selbst durch die Kenntnis guter Bücher und nützlicher Dinge (cognitio optimorum librorum rerumque utilium) bereichern. Ausdrücklich werden neben Drucken auch handschriftliche Texte zur Begutachtung zugelassen. 80 Das erste Buch, das nach dem Wiederaufleben der Gesellschaft im Jahre 1711 behandelt wird, ist kein geringeres als die Theodizee von Leibniz; zwei Sitzungen beansprucht die Besprechung des Bandes. Publikationen zu theologischen und philosophischen Schriften bilden einen gewissen Schwerpunkt in den Diskussionen, wobei die relativ breite Berücksichtigung der Diskussion um Leibniz' Philosophie auffällig ist: Johann Wolfgang Jaegers Examen theologice novae Poireti, Wilhelm Kings De origine mali (von Leibniz in der Theodizee behandelt), Fünfzig Motiven warum der Rom. cath. Glaube zuerwählen, Johann Franz Buddeus' gegen Leibniz gerichtetes Werk De origine mali, John Tolands Adeisidaemon,81 Es finden sich weiterhin Protokolle zur Diskussion

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Aus Leipzig sind dies z.B. Mitglieder der Deutschen Gesellschaft: Christian Clodius, Karl Heinrich Lange, Samuel Seidel, Johann Samuel Müller oder andere Persönlichkeiten, so z.B. Johann Friedrich Christ, Johann Erhard Kapp, Johann August Ernesti. Die Sozietät ist zuerst in Hannover gegründet worden (1699) und wurde dann nach Helmstedt verlagert. Sie scheint, wie auch andere Gesellschaften, im Laufe ihrer Geschichte mehrere Unterbrechungen erfahren zu haben. Teile ihres Archivs haben sich im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel erhalten und würden eine ergiebige Quelle für eine umfassendere Darstellung der Sozietät bieten: VI Hs 15, Nr. 62: Acta in congressibus litterariis Societatis Conantium Helmstadiensis, de anno 1711-1723. Nebst des Professors Dr. Koch zu Helmstedt gelehrten Briefwechsel mit verschiedenen anderen Mitgliedern jener Societät (aus dem Nachlaß des Hofraths Η. A. Koch), 314 Bll. Dort enthalten sind auch zwei als Einladungsschriften gedruckte programmatische Darlegungen zu den Zielen der Gesellschaft: Ad Congressus Literarios, (wie Anm. 14); Cornelius Dietrich Koch, Societati Conantium. Helmstedt 1717). Vgl. auch: Annales Academiae Juliae. Semestre Primum. Helmstedt 1722, S. 159-192 (Ex actis Societatis Conantium excerpta). Abgedruckt sind hier auch mehrere Briefe Leibniz' an Koch. Ein häufiger Bestandteil der Sitzungen bestand in der Demonstration von Münzen, die aus Kochs Sammlungen stammten. Mit besonderem Stolz legt Koch am 19. 12. 1711 eine Medaille vor, die auf die vor kurzem in Torgau vollzogene Hochzeit des russischen Thronfolgers mit einer braunschweigischen Prinzessin geprägt worden war. Im .Judicium" (vgl. dazu die folgenden Ausführungen) zu diesem Text heißt es, Toland scheine ein Spinozist zu sein.

Detlef

40 der Miscellanea Berolinensia, 8 2 der Historia Eccard,

83

studii etymologici

Johann Burkhard Menckes De charlataneria.

Döring

v o n Johann Georg

V o n einiger Ausführlich-

keit ist die Auswertung v o n Zeitschriften. Daß tatsächlich auch unveröffentlichte Texte zum Vortrag gelangten, zeigen mehrere Sitzungen im N o v e m b e r und D e zember 1712, auf denen Jean Bodins Colloquium

heptaplomores

Im Januar 1713 kommt das berühmt-berüchtigte Cymbalum

behandelt wird. 8 4

mundi zur Sprache. 85

D i e Protokolle geben stichwortartig den Inhalt der Bände wieder, enthalten aber auch Wertungen (oft unter dem Stichwort .Judicium"). 8 6 Mitunter berichtet Koch über Gespräche, die er bei den Sitzungen mit anderen Mitgliedern oder auswärtigen Gästen geführt hat. S o habe ein Herr Jordan aus Gardelegen berichtet: „quod Thomasius dicatur privatim, munus Procancellarii perpetui a Rege petisse, sed repulsum tulisse." 8 7 A u c h bei den Helmstedtern finden wir schließlich Gedichte, so z.B. ein deutsches Carmen auf den Tod der Kurfurstin Sophia. A m 21. Mai 1717 wird ein Epigramm auf Leibniz verlesen. Betrachten wir nun das Verhältnis der universitären gelehrten Kollegien zu den wissenschaftlichen Akademien des 18. Jahrhunderts, so läßt sich eine ausgesprochene N ä h e beider Einrichtungen zueinander konstatieren. Sie ist jedenfalls w e sentlich deutlicher als die gemeinhin den Sprachgesellschaften zugeschriebene enge Verwandtschaft zu den Akademien. 8 8 Allerdings ähneln die Akademien in

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Später beschäftigt man sich mit der Kurzen Erzählung von der Königlichen Societät in Berlin. In den gedruckten Einladungsschriften finden sich ebenfalls Hinweise auf die Berliner Akademie, der man sich anscheinend doch nahe fühlte. Leibniz hat durch Briefe an Koch die Tätigkeit der Societas Conantium unterstützt. In seiner Einladungsschrift von 1712 erwähnt Koch, er sei von Leibniz und anderen „berühmten Männern" in seinem Beginnen bestärkt worden. Eccard war selbst Mitglied der Sozietät. Im Protokoll einer anderen Sitzung heißt es: „Dixit mihi P. Eccardus, se editurum Polyhistorem Teutonicum, [...] quo homo germanus itemque feminae sine aliarum lingg. cognitione ad eruditionem pervenire possent." (Staatsarchiv Wolfenbüttel, VI Hs 15, Nr. 62, Bl. 206r) Man wird also auf den Sitzungen der Gesellschaft auch über konkrete Vorhaben der einzelnen Mitglieder gesprochen haben. Zur eher unterkühlten Reaktion der deutschen Frühaufklärung auf Bodins Schrift vgl. Winfried Schröder, Jean Bodins „Colloquium Heptaplomores" in der deutschen Aufklärung, in: Günter Gawlick / Friedrich Niewöhner (Hg.), Jean Bodins Heptaplomores. Wiesbaden 1996 (Wolfenbütteler Forschungen 67), S. 121-137. Bemerkenswert ist, daß gerade ein Helmstedter Professor, Polycarp Leyser, 1720 plante, das Colloquium in Verbindung mit einem Kommentar zu publizieren. Das Vorhaben scheiterte am Einspruch der Zensur (vgl. Schröder, S. 130ff.). Vgl. Guido Canziani / Winfried Schröder / Francisco Socas (Hg.), Cymbalum Mundi sive Symbolum Sapientiae. Edizione critica. Mailand 2000, S. 29ff. über die Verbreitung des Symbolum und seinen Einfluß auf das Denken des 18. Jahrhunderts. Z.B.: „Stylus videtur affectatus"; „Rationes dialecticos: Eruditionem mediocrem: stilum mixtum"; „esse stolidum, imperitum, stylum proliximum, Hätte mehr als ein paar Hauptfehler". Staatsarchiv Wolfenbüttel, VI Hs 15, Nr. 62, Bl. 246r. Vgl. die kritischen Ausführungen in Anm. 3. Die Kollegien wirken wesentlich moderner als die viel beschworene Fruchtbringende Gesellschaft, der es noch vor der Beschäftigung mit der deutschen Sprache um die Pflege von „Erbarkeit, Tugend und Höfligkeit" (Kurtzer Bericht,

Die mitteldeutschen gelehrten Kollegien

41

ihrer die Naturwissenschaften einbeziehenden Orientierung im Vergleich zu den Kollegien eher der Leopoldina, jedoch unterscheiden sich ihre Organisantionsformen und Arbeitsweisen grundsätzlich von den Gebräuchen der Ärztegesellschaft. Auch dürfte bei der Hinwendung zu den Naturwissenschaften eher das Vorbild der französischen und englischen Akademien gewirkt haben. Ganz wesentliche Elemente, die bis heute den Charakter und die Arbeitsweise der Akademien prägen, sind dagegen in den Kollegien präformiert worden: Die deutschen Akademien sind allesamt in Universitätsstädten angesiedelt und stehen schon durch die Zusammensetzung ihrer Mitgliederschaft mit den jeweiligen Hochschulen in mehr oder minder engen Verbindungen.89 Alle Akademien sind Anstalten des öffentlichen Rechts. Die Leitung der Akademie ist zeitlich befristet und erfolgt durch einen Präsidenten und einen Sekretär (Wahlämter, aufgrund der Klasseneinteilung heute zwei oder mehrere Sekretäre bzw. Sekretare).90 Die Zuwahl neuer Mitglieder erfolgt nach Prüfung ihrer wissenschaftlichen Qualifikation bei gleichzeitiger Beachtung des Besitzes bestimmter akademischer Grade (heute Professur) als Voraussetzung für die Mitgliedschaft. Es besteht die Möglichkeit der Wahl von auswärtigen Mitgliedern und die Ernennung von Ehrenmitgliedern. Alle Mitglieder sind gleichberechtigt. Die ordentlichen Mitglieder halten regelmäßige Zusammenkünfte, auf denen wissenschaftliche Vorträge gehalten werden, die anschließend zur Diskussion gelangen. In der Regel werden diese Texte veröffentlicht. Die Tätigkeit der Akademien beschränkt sich auf rein wissenschaftliche Fragestellungen (Ausschluß von Themen aus den Bereichen der Politik, der Theologie [abgesehen von Exegese und Kirchenhistorie] und der Philosophie [als weltanschauliches Bekenntnis]). Mit jährlichen Feiern wird des Gründungsjubiläums der Akademien gedacht. Der eben vermittelte Überblick über die gelehrten Kollegien sollte, das ist das Fazit meiner Ausführungen, trotz seiner notwendigen Kürze die Notwendigkeit vor Augen geführt haben, bei der Beschäftigung mit der Geschichte und der Gestalt

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[wie Anm. 3]) ging. Noch deutlicher wird dies, wenn man auf das wenig Beachtung findende weibliche Pendant zur Fruchtbringenden Gesellschaft blickt, auf die 1619 von Anna Sophia, Gräfin zu Schwarzburg, einer Schwester Ludwigs von Anhalt-Köthen, gegründete Tugendliche Gesellschaft. Es ist diese Gesellschaft „nichts andres als eine Vereinigung gewisser persohnen, welche durch Gottes Regierung ihnen vorgesetzt, ihr liecht lassen zu leuchten fur den Menschen das dieselbe ihren Christlichen wandel und tugendliches Leben sehen, dayor Gott im Himmel preisen und in deroselben fußstapffen zu tretten sich befleißigen [...]" (vgl. Franz Dix, Die tugendliche Gesellschaft, in: Mittheilungen der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung Vaterländischer Sprache und Alterthümer in Leipzig. 6 [1877], S. 43-146, Zitat S. 78 [Erwegung der Tugendlichen Gesellschafft, § IV]). Das gilt eindeutig für Göttingen, Heidelberg und Leipzig, abgeschwächt für Berlin und München. Mainz spielt insofern eine Sonderrolle, als hier auch Schriftsteller vertreten sind, die in der Regel außerhalb von Mainz wohnen. Daneben gibt es heute einen angestellten Sekretär (Generalsekretär), der die Geschäftsstelle bzw. die Verwaltung der Akademien leitet. In Ausnahmefällen (so Düsseldorf) kann er Mitglied der Akademie sein.

42

Detlef Döring

der deutschen Akademien nicht allein die westeuropäischen Akademien und die Person Leibniz' als treibende Faktoren zu beachten, sondern auch die einheimischen, deutschen Sozietätenbildungen der Frühen Neuzeit zu berücksichtigen. Dabei wird den Kollegien, seien sie, in der Regel, bei den Universitäten angesiedelt oder nicht, eine besondere Bedeutung zukommen müssen. Wesentliche Strukturformen der späteren Akademien sind hier vorgebildet worden. Die außerordentlich weite Verbreitung der Kollegien über fast alle Regionen des Reiches, zumindest der protestantischen Territorien, läßt vermuten, daß die meisten Gelehrten zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Ausbildung Bekanntschaft mit einem oder gar mehreren dieser Kollegien geschlossen haben. Die Akademien in London und Paris kannten die wenigsten aus eigener Anschauung; die Kollegien in Leipzig, Jena, Halle, Altdorf, Wittenberg usw. dagegen werden den meisten aus persönlichem Erleben ein Begriff gewesen sein.

ROBERT SEIDEL ( H e i d e l b e r g )

Gelehrtensozietät oder Seminar? - Die Teutsche Gesellschaft in Gießen (1763-1765)1 Holger Zaunstöck hat in seiner grundlegenden Studie zu Typologie und Mitgliederstrukturen mitteldeutscher Aufklärungsgesellschaften das Problem der Binnendifferenzierung der im Umkreis von Universitäten eingerichteten Sozietäten aufgeworfen. Er unterscheidet hier zwischen „Collegia", „Übungsgesellschaften" und „Studien unterstützenden und ergänzenden Gesellschaften". Bei letzteren handele es sich „um vornehmlich studentisch geprägte Sozietäten, die auf freiwilliger Basis gegründet wurden, um die Kenntnisse auf bestimmten Sachgebieten zu vertiefen. In ihnen arbeiteten Studenten und Professoren sowie gelegentlich Personen aus der außeruniversitären Welt zusammen". 2 Die „Übungsgesellschaften [...] konnten nur von Studenten besucht werden, die [...] zuvor eine bestimmte Vorlesung bei einem bestimmten Dozenten gehört hatten". 3 Die Kriterien für die Zugehörigkeit zu diesen beiden Gruppen schließen einander indessen nicht aus, da - ähnlich wie in den Kolloquien und Oberseminaren des modernen Universitätsbetriebes - die relativ freie Betätigung einer studentischen Gruppe mit der wissenschaftspädagogischen und programmatischen Leitungsfunktion eines akademischen Lehrers durchaus zu verbinden ist. Im Verlauf eines größeren Forschungsprojektes zur literarischen Kommunikation im Bereich der Landgrafschaft HessenDarmstadt traten die Konturen einer recht kurzlebigen, gleichwohl in ihren Aktivitäten gut dokumentierten akademischen Sodalität an der Universität Gießen hervor, die als ein solcher kombinierter' Gesellschaftstyp zu klassifizieren wäre. Diese Teutsche Gesellschaft soll im folgenden vorgestellt werden. Die Analyse der vorliegenden Dokumente zielt dabei auf die Klärung der Frage, inwieweit die geselligen Aktivitäten der ,sodales' berufsvorbereitende Aufgaben zu erfüllen hatten. Aus germanistischer Perspektive richtet sich das Interesse in diesem Rahmen speziell auf die offenkundige Funktionalisierung der sogenannten ,schönen' Literatur. Vorab ist daran zu erinnern, daß im .offiziellen' Lehrprogramm der Artistenfakultät grundsätzlich - und so auch in Gießen - eine gründliche Ausbildung in

2

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Zum weiteren Kontext dieser Abhandlung vgl. generell: Robert Seidel, Literarische Kommunikation im Territorialstaat. Funktionszusammenhänge des Literaturbetriebs in Hessen-Darmstadt zur Zeit der Spätaufklärung. Habilitationsschrift Heidelberg 2000 [erscheint Tübingen 2003]. Holger Zaunstöck, Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert. Tübingen 1999 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 9), S. 63. Ebd., S. 62f.

44

Robert Seidel

den Fächern .Rhetorik' und ,Poetik' enthalten war. Der in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts fallende ,ParadigmenwechseP von einer rhetorisch-imitativen zu einer ästhetisch-rezeptiven Arbeit mit Texten, die Entwicklung vom (nachahmenden) Verfasser zum (kritisch analysierenden) Leser literarischer Texte also, ist im Universitätsbetrieb meist nicht so klar nachzuweisen wie im straffer organisierten und von einer oft engagierten Bildungspolitik der Territorialregierungen gelenkten Gelehrtenschulwesen.4 Stattdessen dokumentieren die Vorlesungsankündigungen eine erstaunliche Vielfalt von Lehrangeboten, die von der Klassikerexplikation über die rhetorisch-poetische Unterweisung und die Theorie der ,schönen Wissenschaften' bis zur ,Litterärgeschichte' (Bücherkunde) und Enzyklopädie reichte. Gleichwohl wies der reguläre Lehrbetrieb im Fach .Rhetorik und Poetik' 5 offenbar Defizite auf, die in alternativen Veranstaltungsformen ausgeglichen werden mußten. In der sich selbst organisierenden Gießener Studentenschaft gab es wenige Vereinigungen, in denen die Praxis des ambitionierten Schreibens und Redens oder gar die Beschäftigung mit .schöner' Literatur im Mittelpunkt stand. Von den Orden bzw. Verbindungen war dergleichen nicht zu erwarten: Wenn die karikierenden Darstellungen in Friedrich Christian Laukhards berüchtigter Autobiographie auch übertrieben sein mögen,6 so war doch das gelehrte Gespräch oder gar die Literatur nicht der Zweck ihrer Aktivitäten.7 Studentische Dichtersozietäten wie den Hainbund in Göttingen gab es nach Lage der Quellen nicht. Erhaltene autobiographische Notizen ehemaliger Gießener Studenten und Professoren8 geben in einem einzigen Fall den Hinweis auf eine lockere Vereinigung zum Zwecke 4

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Zum Gelehrtenschulwesen vgl. Heinrich Bosse, Dichter kann man nicht bilden. Zur Veränderung der Schulrhetorik nach 1770, in: Jahrbuch für Internationale Germanistik 10,1 (1978), S. 80-125. Über die Verhältnisse an den Universitäten informiert Klaus Weimar, Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. München 1989. In Gießen waren seit 1737 die Professuren für Rhetorik und Poetik zusammengelegt. Friedrich Christian Laukhard, Leben und Schicksale. Fünf Theile in drei Bänden. Nachwort und Materialien von Hans-Werner Engels und Andreas Harms. Frankfurt 1987. Nachdruck der Ausgabe Halle / Leipzig 1792-1802, Teil 1 (1987), Kap. 18 („Siehe da einen Ordensbruder!"), S. 156-167. Zur Situation der Universität Gießen allgemein vgl. Peter Moraw, Kleine Geschichte der Universität Gießen von den Anfängen bis zur Gegenwart. Gießen 2 1990. Literatur zum Gießener Verbindungswesen im 18. Jahrhundert bei Karl Demandt, Schrifttum zur Geschichte und geschichtlichen Landeskunde von Hessen. Bd. 2. Wiesbaden 1965 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 17), S. 385; landgräfliche Verordnungen (Verbot der Orden) nachgewiesen bei Wilhelm Erman / Ewald Horn (Bearb.), Bibliographie der deutschen Universitäten. Systematisch geordnetes Verzeichnis der bis Ende 1899 gedruckten Bücher und Aufsätze über das deutsche Universitätswesen. 3 Bde. Leipzig / Berlin 1904/05, Nr. 4527 und 4535. Die Bibliographie von Erman / Horn, (wie Anm. 7) stellt unter der Rubrik 6,2 eine sehr umfangreiche Sammlung von „Selbstbiographien als Quellen der Universitätsgeschichte" zusammen. Für die Geburtsjahrgänge 1720-1780 sind 287 Quellentexte nachgewiesen, von denen elf kurze autobiographische Skizzen hessischer Universitätsabsolventen sind, die Strieder (s.u.) für sein Lexikon erbeten hat. Hinzu kommen Laukhards und Bahrdts (s.u.) umfangreiche Lebensbeschreibungen.

Gelehrtensozietät

oder

Seminar?

45

literarischer Aktivität im weitesten Sinne. Johann Peter Ludwig Snell

(1764-

1817), Sproß einer weitverzweigten oberhessischen Gelehrten- und Pfarrerfamilie und selbst Geistlicher, berichtet: In dem lezteren Jahre meines Aufenthalts zu Glessen [1785] vereinigten wir uns, ohngefehr zehn an der Zahl, zu einem litterärischen Kränzchen, wobey mein Bruder> das Präsidium führte; wir hielten wöchentlich eine Zusammenkunft, lasen eigene Aufsätze vor und sprachen über wissenschaftliche Gegenstände. Es bestand diese Gesellschaft aus lauter Studiosis der Theologie.10 Über dieselbe Vereinigung schreibt der Pfarrer und spätere Heidelberger Theologieprofessor Friedrich Heinrich Christian Schwarz ( 1 7 6 6 - 1 8 3 7 ) : Ich fand hier mehrere Freunde, die gleiches wissenschaftliches Interesse beseelte; wir errichteten hier zusammen eine literarische Gesellschaft, welche Schlettwein [Inhaber des neu etablierten ökonomischen Lehrstuhls R. S.] als Professor zu besuchen würdigte. Die Mitglieder dieser Gesellschaft sind fast alle als Schriftsteller und durchaus rechtschaffene Männer an ihren Posten - das unendlich mehr sagen will als die liebe Schriftstellerey unsers luxuriösen Zeitalters - bekannt. 11 Offenbar hatte sich damals gegenüber den literarischen Aktivitäten der 1763 gegründeten und nur w e n i g e Jahre bestehenden Teutschen

Gesellschaft,

der einzigen

ihrer Art in Hessen-Darmstadt, im Laufe der beiden Jahrzehnte des sogenannten ,Sturm und Drang' w e n i g geändert. A u c h die Mitglieder dieser Gesellschaft waren vor allem Studenten der Theologie gewesen, die sich zum Z w e c k e rhetorischpoetischer Übungen als Vorbereitung auf ihren späteren „Posten" zusammenfanden. 1 2 9

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Friedrich Wilhelm Daniel Snell (1761-1827), damals Lehrer für Mathematik am Gießener Pädagogium. Friedrich Wilhelm Strieder, Grundlage zu einer Hessischen Gelehrten und Schriftsteller Geschichte Seit der Reformation bis auf gegenwärtige Zeiten. 20 Bde. (ab Bd. 16 mit leicht geändertem Titel und neuen Herausgebern; Bd. 16 [1812]: Ludwig Wachler; Bd. 17 [1819] Bd. 19 [1831]: Karl Wilhelm Justi; Bd. 20 [1863]: Otto Gerland). Göttingen / Kassel (ab Bd. 5 nur Kassel; Bd. 16-19 Marburg) 1781-1863; hier Bd. 15 (1806), S. 73f. Strieder, (wie Anm. 10), Bd. 14 (1804), S. 152; Vgl. Heinrich Eduard Scriba, Biographischliterarisches Lexikon der Schriftsteller des Großherzogthums Hessen im [ersten Viertel des] neunzehnten Jahrhundert[s], Erste Abtheilung, die im Jahr 1830 lebende Schriftsteller des Großherzogthums enthaltend. Darmstadt 1831. Zweite Abtheilung. Die Schriftsteller des Jahres 1843 [...] nebst den Nekrologen der von 1800-1843 verstorbenen Schriftsteller des Großherzogthums Hessen enthaltend. Darmstadt 1843; hier Bd. 2, S. 378-382; vgl. die ausführliche Biographie und Bibliographie bei Friedrich Heinrich Christian Schwarz, Lehrbuch der Erziehungs- und Unterrichtslehre, besorgt von Hans-Hermann Groothoff unter Mitwirkung von Ulrich Herrmann. Paderborn 1968 (Schöninghs Sammlung pädagogischer Schriften; Quellen zur Geschichte der Pädagogik). Über die Entstehung und äußere Organisation der Gesellschaft informieren Volker Press, Die Hessische Gelehrte Gesellschaft. Das Gießener Akademieprojekt im 18. Jahrhundert, in: Peter Moraw / Volker Press (Hg.), Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Gießener Universitätsgeschichte. Zum 375jährigen Jubiläum dargebracht vom Historischen Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen. Marburg 1982 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 45), S. 313-359, hier S. 319-327 (aus den Quellen im Gießener Universitätsarchiv);

Robert

46 Die Teutsche

Gesellschaft

Seidel

orientierte sich in Zielsetzung und Organisation w i e

die meisten verwandten Gründungen im mittleren Drittel des 18. Jahrhunderts an Gottscheds Deutscher

Gesellschaft,

die 1731 in Leipzig entstanden war. 13 V o n den

- weit besser untersuchten - Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts unterschieden sich diese Deutschen Gesellschaften vor allem durch ihre mehr oder weniger enge Anbindung an den universitären Lehrbetrieb und ihre moralisch-pädagogische Ausrichtung im Sinne der Frühaufklärung. D i e von Gottsched selbst formulierten Grundregeln

Der Deutschen

Gesellschaft

zu Leipzig14

geben einen gewis-

sen Einblick in Aufnahmemodalitäten, Organisation und Zielsetzung dieses Sozietätstyps im allgemeinen. D e m n a c h sollte sich der Mitgliederkreis vorwiegend aus Adligen, Gelehrten und Studenten s o w i e (gebildeten) Beamten zusammensetzen. D i e Aufnahme war nur nach Einsendung einer „Probeschrift" in Prosa oder Versen möglich, w e l c h e der kritischen Beurteilung durch die Gesellschaft standhalten mußte. In regelmäßigen Abständen trafen sich die am Ort ansässigen Mitglieder, um eigene schriftliche Ausarbeitungen vorzulesen und sie gegenseitig „nach den besondern Regeln jeder Gattung" zu kritisieren, bevor sie zum Druck gegeben wurden. D a s Spektrum der einzureichenden Textsorten war vielfaltig; unter den „Gedichten" wurden lediglich einige spielerische Formen w i e Figurengedichte ausgeschlossen, unter den Prosaschriften waren kleine Reden, allerley Briefe, kurze Ubersetzungen, Grammatische Anmerkungen, Critische Untersuchungen der Gedanken und Ausdrückungen, Erörterungen dahin gehöriger Fragen, wie

13

14

Wilhelm Diehl, Die „Teutsche Gesellschaft" zu Gießen, in: Wochenbeilage der Darmstädter Zeitung 5 (1910), Nr.7 (19. Februar), S. 26f. Diehl verwertet in seiner knappen Skizze Dokumente, die heute verschollen sind; Hermann Bräuning-Oktavio, Herausgeber und Mitarbeiter der Frankfurter Gelehrten Anzeigen 1772. Tübingen 1966 (Freies Deutsches Hochstift. Reihe der Schriften 20), S. 194—202. Bräuning-Oktavio stellt beiläufig, jedoch mit gewohnter Gründlichkeit, die meisten Zeugnisse der prominentesten Figuren (Müller und Zimmermann) zusammen. Zu den Deutschen Gesellschaften im allgemeinen vgl. Zaunstöck, (wie Anm. 2), S. 43-46 und passim (mit ausführlichen Literaturangaben); Richard van Dülmen, Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland. Frankfurt 2 1996 (Fischer Taschenbuch 13137), S. 43-54, 15lf. (Liste aller nachgewiesenen Gesellschaften); Weimar, (wie Anm. 4), S. 49-51. Neuere übergreifende Untersuchungen zum Thema fehlen (vgl. Zaunstöck, S. 43); wichtig zur Deutschen Gesellschaft in Leipzig auch Kerstin Heidt, Der vollkommene Regent. Studien zur panegyrischen Casuallyrik am Beispiel des Dresdner Hofes Augusts des Starken. Tübingen 1997 (Frühe Neuzeit 34), S. 237-265; zur Abgrenzung gegen die barocken Sprachgesellschaften vgl. Wilhelm Kühlmann, Frühaufklärung und Barock. Traditionsbruch - Rückgriff - Kontinuität, in: Europäische Barock-Rezeption, hg. von Klaus Garber u.a. Wiesbaden 1991, S. 187-214, hier S.207ff. Vgl. auch die zur Deutschen Gesellschaft in Leipzig erschienene Monographie von Detlef Döring, Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Von der Gründung bis in die ersten Jahre des Seniorats Johann Christoph Gottscheds. Tübingen 2002 (Frühe Neuzeit 70). Auszugsweise abgedruckt in: Die deutsche Literatur. Texte und Zeugnisse. Bd. 4: 18. Jahrhundert. Teil 2, in Verbindung mit Christoph Pereis hg. von Walther Killy. München 1983, S. 858-862. Die „Gesetze" der Teutschen Gesellschaft in Gießen sind in Auszügen abgedruckt in: Giesische wöchentlich-gemeinnützige Anzeigen und Nachrichten (im folgenden: GW) 1764, S. 87-90 [alle Bde. Universitätsbibliothek Gießen: Ztg 2],

Gelehrtensozietät oder Seminar?

47

auch Auszüge und Beurtheilungen von Büchern, die zu beyden Arten der Beredsamkeit gehören,15

erwünscht. Bei allen Aktivitäten der Gruppe wurde auf strenge Disziplin geachtet. Für auswärtige Mitglieder galten besondere Regeln; ihre Mitwirkung war grundsätzlich gern gesehen, und sie wurden bei Erscheinen bevorzugt behandelt. Am meisten wurde das Prestige der Gesellschaft durch landesherrliche Förderung gehoben, so daß man sich um Bestätigung der Statuten durch den Fürsten bemühte und entsprechende Gedenktage (Geburtstag, Namenstag) mit panegyrischen Reden feierte. Eine politische Einflußnahme der Gesellschaft war nicht beabsichtigt, sofern nicht die systemstabilisierende Funktion einer universitätsnahen Sozietät in gesellschaftspolitischer Hinsicht zu werten ist. In den geselligen Aktivitäten ging es also, wenn man von den weitreichenden Publikationsunternehmungen der bedeutenderen Gesellschaften absieht, „um die Förderung von vernünftiger Rede und begründeter Argumentation, denen alles Glauben und Meinen weichen sollte, sowie vor allem von bürgerlicher Moral".16 Während in Leipzig neben der prestigeträchtigen, offenen Deutschen Gesellschaft noch rein studentische Arbeitsgruppen existierten, die, gleichsam als Vorstufe des modernen Seminarbetriebs, sich in direktem Anschluß an Gottscheds Vorlesungen organisierten,17 sollten in Gießen beide Spielarten zusammenfallen. Doch obwohl nach den Gesetzen der Gesellschaft „nicht nur studirende, sondern auch graduirte und bereits in Diensten stehende Personen"18 Zugang haben sollten, blieb der tatsächliche Mitgliederkreis praktisch auf Studenten begrenzt, was möglicherweise den ursprünglichen (materiellen) Interessen ihres Begründers, des Rhetorik- und Poetikprofessors Johann Georg Bechtold (1732-1805), 19 entsprach, der sich durch das attraktive Angebot eine Vermehrung seiner Studentenzahlen (und damit der Hörergelder) versprechen mochte und seine Lehrveranstaltungen offen-

15 16 17

18 19

Die deutsche Literatur, (wie Anm. 14), S. 859. Van Dülmen, (wie Anm. 13), S. 44. Vgl. die Vorrede zur Ausflihrlichen Redekunst in der Ausgabe von 1750, wo Gottsched die Übungsstunden von den Vorlesungsstunden getrennt wissen will: „Allein die rechte Ausübung meiner rhetorischen Anweisung habe ich für andre Stunden aufgehoben; worinn die Liebhaber der Beredsamkeit sich Jahr aus Jahr ein im Reden üben. [...] Unter andern Gesetzen aber hat man sich neulich auch die Regel gemacht, niemanden zum Mitgliede dieser Uebungsstunden aufzunehmen, der nicht vorher meine theoretische Lectionen über die Redekunst durchgehöret hat." Johann Christoph Gottsched, Ausgewählte Werke, hg. von Philipp M. Mitchell. Bd.7, Teil 1 —4-: Ausführliche Redekunst, hg. von Rosemary Scholl, Berlin/New York 1975-81 (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVTH. Jahrhunderts 53, 54, 60, 98), hier Teil 3, S. 9; vgl. Zaunstöck, (wie Anm. 2), S. 62f. GW 1764, S. 88. Bechtold (1732-1805) bekleidete die Professur der Rhetorik und Poetik von 1762 bis 1771. Vgl. Strieder, (wie Anm. 10), Bd. 1 (1781), S. 314-317; Scriba, (wie Anm. 11), Bd. 2, S. 3739. Bechtold war nach neueren Forschungen „kein Mann großen Ansehens" und „nicht gerade der geeignete Protagonist einer erneuerten deutschen Sprache in Gießen" (Press, [wie Anm. 12], S. 322f.).

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bar allmählich mit den Aktivitäten der Gesellschaft abstimmte. 2 0 Bechtold hatte sich mit einer Bitte um fürstliche Privilegierung der Gesellschaft an Landgraf Ludwig VIII. gewandt, w o er sein Unternehmen rechtfertigte: Das Verlangen mich bey der mir huldreichst anvertrauten Profession so nüzlich zu machen, als es durch meine Kräffte möglich ist, hat mich unter anderm auch auf die Entschließung gebracht, eine Gesellschafft auf hiesiger Academie aufzurichten, deren Hauptzweck nebst der Cultur der Sprache unsres teutschen Vaterlandes, die Ausübung der schönen Wißenschafften seyn sollte, in wiefem sie sich in den Werken des Redners und Dichters verherrlichen. Ich bin so glücklich gewesen, verschiedene Genies unter den hier Studierenden ausfindig zu machen, die meine Absicht mit befördern halfen. [,..]21 D i e Gutachten der Kollegen Bechtolds, um w e l c h e die Regierung auf dieses Schreiben hin nachsuchte, äußerten sich durchweg positiv zu dem Unternehmen, w o b e i neben der erwünschten Ergänzung des Lehrangebotes und einer möglichen Aufwertung der Universität vor allem hervorgehoben wurde, daß „uns sehr w e n i g e teutsche Universitäten ohne teutsche Gesellschafften bekannt sind", 22 daß man also - spät genug - zu einer Übernahme des Gottschedschen Modells bereit war. Mehr als die äußere Geschichte des kurzlebigen Unternehmens, 2 3 mehr auch als die offenkundige Indienstnahme der poetischen Ressourcen zum Z w e c k e der Verherrlichung des Fürstenhauses 2 4 interessieren in unserem Zusammenhang M o d u s und Zielrichtung der literarischen Kommunikation innerhalb der Gesellschaft. In

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Nach Press, (wie Anm. 12), S. 322, war die Gründung der Gesellschaft „unverkennbar auf die Gewinnung von Studenten gerichtet". Dem widerspricht allerdings - sofern man nicht eine raffinierte Werbetaktik annehmen will - die elitäre Ausrichtung, wie sie sich in einer Ansprache des späteren Seniors Müller (s.u.) vor der Gesellschaft ausdrückt: „Lassen Sie es seyn, daß unsre Gesellschaft durch diese sehr nöthige Vorsichtigkeit nicht so zahlreich wird, als sie vielleicht ohne dieselbe werden könnte" (GW 1765, S. 202). Abschrift des Briefes von Bechtold an Ludwig VIII., September 1764 [Universitätsarchiv Gießen: Allg. Nr. 784], Die fürstliche Privilegierung einer anderen „Deutschen Gesellschaft" (der „Churpfalzischen" in Mannheim) lobt ausdrücklich Christian Friedrich Daniel Schubart in seiner Deutschen Chronik auf das Jahr 1775. Faksimiledruck (der Jahrgänge 1774-1777). Mit einem Nachwort hg. von Hans Krauss. Heidelberg 1975 (Deutsche Neudrucke. Reihe Goethezeit), S. 729f. So im Gesamtvotum der Universität vom 28.12.1764 [Universitätsarchiv Gießen: Allg. Nr. 784], Es liegen Dokumente aus dem Zeitraum von Ende 1763 bis Mitte 1765 vor. Dabei handelt es sich einerseits um die Korrespondenz hinsichtlich der fürstlichen Privilegierung sowie um vereinzelte gedruckte Schriften zu besonderen Anlässen [alles im Universitätsarchiv Gießen: Allg. Nr. 784], andererseits um Nachrichten und Reden, die in den Giesischen wöchentlich-gemeinnützigen Anzeigen und Nachrichten (1764/65) abgedruckt wurden. Vgl. Ode an dem höchsten NamensTage Sr. Hochflirstl. Durchlaucht des regierenden Herrn Landgrafen zu HessenDarmstadt &c. welchen die hiesige teutsche Gesellschafft den 25. Aug. feyerlichst begieng, vorgelesen von C. H. Zimmermann, in GW 1764, S. 287-290. Diese Ode sowie die Einladungsschrift und eine am Festtag gehaltene Huldigungsrede liegen im Druck vor [Universitätsarchiv Gießen: Allg. Nr. 784]. Der Odendichter greift geschickt auf den traditionellen Apparat der hohen Epik zurück (Rolle des ,poeta vates', Engel als Führer durch das Jenseits, Vision, Ethopoiie), um aus dem Munde des geachteten Stammvaters der Dynastie, Philipps des Großmütigen (1504-1567), das Lob des gegenwärtigen Fürsten ertönen zu lassen.

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der Nachricht von der teutschen Gesellschaft vom 10. Januar 1764, der ersten Publikation der neu gegründeten Vereinigung, verhieß man als den allgemeinen Nutzen der Deutschen Gesellschaften „schnellere Schritte auf dem blühenden Weg der schönen Künste". Dies bedeutete im Detail: Der Geschmack wird in diesen Gesellschaften ausgebildet und zu seiner Reife gebracht; die Urtheilungskraft in den Werken des Witzes besser, als durch alle abstracte Regeln geschärft; und die Grundgesetze der Dichtkunst und Beredsamkeit weit leichter erlernt, und lebhafter eingedruckt, in dem man bey ihrer Erlernung zugleich ihre Anwendung siehet, als durch trockene Systeme jemals geschehen kann. Die eigne Uibung im denken, und im schriftlichen Aufzeichnen seiner Gedanken, die in den Wissenschaften überhaupt ein untrügliches Mittel ist, höher auf die Stufen der Erkentnisse zu steigen, ist ein Hauptendzweck der teutschen Gesellschaften.25

Es handelt sich hier um dasselbe Modell literarischer Unterweisung, das fur ebendiese Zeit in den hessischen Gelehrtenschulen nachweisbar ist,26 wobei der Vorrang der produktiven gegenüber der rezeptiven Tätigkeit damit begründet werden konnte, daß die Gesellschaft sich aus „Genies" rekrutierte, die nach allgemeiner Ansicht der Zeit allein fur literarische, speziell poetische Elaborationen prädestiniert waren.27 Bei einer Analyse der im Rahmen der Gesellschaftsarbeit entstandenen Texte zeigt sich allerdings, daß das moralpädagogische Konzept der Aufklärung noch völlig ungebrochen der Arbeit an und mit fremden wie eigenen Texten zugrunde liegt. Auch nach dem Verschwinden der Teutschen Gesellschaft wird sich diese Orientierung, gestützt auf die Kontinuität der akademischen Lehre und die Publikationstätigkeit der von den Sozietätsmitgliedern begründeten Giesischen wöchentlich-gemeinnützigen Anzeigen und Nachrichten, bis weit in die 1770er Jahre hinein fortsetzen.28 Gründungsmitglieder der Teutschen Gesellschaft waren neben dem Rhetorikund Poetikprofessor Bechtold (geb. 1732), der zunächst als „Senior" fungierte, dem Stipendiatenmajor Magister Philipp Wilhelm Mosebach (1739-1801) 29 und

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GW 1764, S. 11 (Hervorhebungen R.S.). Vgl. Seidel, (wie Anm. 1), Kap. 1. Vgl. Bosse, (wie Anm. 4), S. 96-98. An anderer Stelle (Seidel, [wie Anm. 1], Kap. 2.3.3.) wird ausführlich dargelegt, daß die Studenten mit dem zeitgleich übernommenen Zeitschriftenprojekt analoge Ziele verfolgten. Auch hier arbeiteten die jungen Akademiker parallel zum Unterricht in den Hörsälen, jedoch weitgehend eigenverantwortlich, in anderen Artikulationsformen und auf breiterem thematischem Fundament, an ihrer unmittelbar benötigten Qualifikation. Auch hier wurden gerade diejenigen Fähigkeiten eingeübt, die im Alltag des anvisierten Brotberufes erforderlich waren. Zu dem Zeitschriftenprojekt vgl. jetzt Sun-Ju Cho, Das Giesser Wochenblatt: Ein aufklärendes Periodikum in der Provinz. Frankfurt/M. u.a. 2001 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 3, 874). Vgl. Strieder, (wie Anm. 10), Bd. 9 (1794), S. 205-207; dort sind Drucke einiger moralpädagogischer Reden aus den Jahren 1765-1767 nachgewiesen.

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dem Magister Johann Heinrich Weismann30 die Studenten der Theologie bzw. Jurisprudenz Justus Balthasar Müller (1738-1824; theol.),31 Christian Heinrich Zimmermann (1740-1806; theol.),32 Ludwig Julius Friedrich Höpfner (1743-1797; jur.),33 Erich Christian Klevesahl (1745-1818; theol.),34 George Christoffel Wagenbronner (theol.)35 und Justus Heinrich Gunkel (jur.).36 Für 1765 ist die Neuaufnahme von Ernst Karl Ludwig Isenburg von Buri (1746—1806)37 bezeugt. Offensichtlich gaben die schon von den Zeitgenossen als strebsame und fromme Freunde gepriesenen älteren Studenten Müller und Zimmermann in der Gesellschaft den Ton an. Es fallt auf, daß sich von Höpfner, dem späteren Juristen und Freund vieler bedeutender Schriftsteller (u.a. Goethes), keine schriftlich fixierten Beiträge nachweisen lassen, während die orthodoxen Pfarramtskandidaten Müller und Zimmermann mit Aufsätzen in den von ihnen herausgegebenen Giesischen

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Weismann kam 1763 „ex Academia Jenensi" nach Gießen; vgl. Otfried Praetorius / Friedrich Knopp (Bearb.), Die Matrikel der Universität Gießen. Zweiter Teil, 1708-1807. Neustadt / Aisch 1957 (Bibliothek familiengeschichtlicher Quellen 11), S. 202. Vgl. Strieder, (wie Anm. 10), Bd. 9 (1794), S. 304-309; Scriba, (wie Anm. 11), Bd. 2, S. 4 9 6 498; ADB 22, S. 641f.; Bräuning-Oktavio, (wie Anm. 12), S. 199-202 und passim. Vgl. die Biographie aus der Feder seines Neffen Ernst Zimmermann, Lebens- und Charakterschilderung des verstorbenen Grosherzoglich Hessischen Superintendenten Christian Heinrich Zimmermann in Darmstadt. Darmstadt 1807 [Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt: 0 6919/1]; Strieder, (wie Anm. 10), Bd. 17 (1819), S. 350-353; ADB 45, S. 251 f.; Bräuning-Oktavio, (wie Anm. 12), S. 194—199 und passim. Vgl. Helfrich Bernhard Wenck, Leben und Charakter des verstorbenen Hess. Darmstädt. Geheimen Tribunalraths D. Ludwig Julius Friedrich Höpfner. Frankfurt 1797 [UB Heidelberg: J 176]; Strieder, (wie Anm. 10), Bd. 6 (1786), S. 54-59; ADB 13, S. 109-112; Georg Zimmermann, Julius Höpfner, in: Deutsche Vierteljahrs-Schrift 31 (1868), S. 1-40; Robert Hering, Ludwig Julius Friedrich Höpfner in seinen literarischen Beziehungen, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts, Jg. 1911, S. 288-349; Bräuning-Oktavio, (wie Anm. 12), S. 253f. und passim; Seidel, (wie Anm. 1), Kap. 2.4. und passim. Vgl. Strieder, (wie Anm. 10), Bd. 7 (1787), S. 167-169, 533-535. Klevesahl studierte in Rostock, Jena und Gießen, wurde dort 1768 Magister, 1771 ordentlicher Professor der Geschichte, später Professor des Naturrechts und der Moral. 1779 verließ er Gießen, um an verschiedenen Orten kirchliche Ämter zu bekleiden. Er verfaßte größtenteils Predigten und andere theologische Schriften. Seine Universitätsrede De usu, quem ex litteris elegantioribus capiant studio altiora et praesertim philosophia, oratio (Wetzlar 1770) [UB Heidelberg: Diss. Phil. 28,14] beginnt mit einer Invektive gegen den ,Musenverächter' Rousseau und betont vor allem die Nutzanwendung von Poetik und Rhetorik im geistlichen Amt (im Sinne der Teutschen Gesellschaft und des Giesser Wochenblattes, das er in der Nachfolge Müllers, Zimmermanns und Höpfners in den Jahren 1769-1771 herausgab). Sein Ansehen als Dozent scheint gering gewesen zu sein; nach Laukhards polemischer Charakteristik gehörte er zu den „trübseligen Ignoranten, die sehr selten ein Kollegium zu Stande brachten, und gänzlich im Dunkeln vegetirten"; Laukhard, (wie Anm. 6, S. 86f.). Wagenbronner kam wie Weismann 1763 aus Jena; vgl. Praetorius / Knopp, (wie Anm. 30), S. 197. Gunkel studierte seit 1761 in Gießen; vgl. Praetorius / Knopp, (wie Anm. 30), S. 88. Buri wurde 1768 Leiter der freimaurerischen Arkadischen Gesellschaft von Phylandria; dazu vgl. Winfried Dotzauer, Freimaurergesellschaften am Rhein. Aufgeklärte Sozietäten auf dem linken Rheinufer vom Ausgang des Ancien Regime bis zum Ende der Napoleonischen Herrschaft. Wiesbaden 1977 (Geschichtliche Landeskunde 16), S. 55.

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wöchentlich-gemeinnützigen Anzeigen und Nachrichten mehrfach hervortraten.38 Die oben bereits angesprochene Verbindung zwischen beiden Aktionsfeldern wird übrigens in der Biographie Zimmermanns dokumentiert: Gegen das Ende seiner [Zimmermanns] akademischen Laufbahn stiftete der vor Kurzem verstorbene Superintendent Dr. Bechtold, damals Professor der Beredsamkeit und Dichtkunst, eine deutsche Gesellschaft, und Zimmermann erhielt nebst seinen beiden Freunden die Auszeichnung, in dieselbe als Mitglied aufgenommen zu werden. Zu derselben Zeit verbanden sich Höpfher, Müller und Zimmermann, das damalige 39 Gießer Wochenblatt zu schreiben, in welches sie nicht nur alle ihre in der deutschen Gesellschaft gehaltenen Vorlesungen, sondern auch andere von ihnen verfertigte Gedichte, moralische Betrachtungen und Erzählungen, Satyren, Briefe und wissenschaftliche Abhandlungen einrückten. 40

Wenn die überlieferten Reden aus dem Kreis der Teutschen Gesellschaft auch nicht im Widerspruch zu den programmatischen Verlautbarungen der Gründungsphase stehen, so erscheinen doch die Interessen deutlich von einer wissenschaftlich-ästhetischen Theorie in Richtung auf eine berufsbezogene Propädeutik verlagert.41 Die Notwendigkeit sprachpraktischer Exerzitien außerhalb des obligatorischen Lehrbetriebs war für alle , Redner' in staatlichen Diensten, also Lehrer, Juristen und Pfarrer, evident. Mit Blick auf den außergewöhnlichen Erfolg seiner Gießener Antrittspredigt im Jahre 1771 schrieb Carl Friedrich Bahrdt in seiner Autobiographie später mit einer Mischung aus Selbstgefälligkeit und Empörung: Ich habe es oft gesagt, und werde es dreist noch femer sagen: es ist Schande für alle unsere Kuratoren, daß sie weder auf Schulen, noch auf Universitäten Veranstaltungen treffen, durch welche eine gute Deklamation und Aktion unsern jungen Leuten mitgetheilt werden kan. Denn augenscheinlich komt, nach der algemeinen Erfahrung so wol, als nach dem Urtheile aller Kenner unter den Alten und Neuen, auf das Aeuserliche der Beredsamkeit weit, weit mehr an, als aufs innerliche. [...] Meine Anzugspredigt konte nie die erstaunende Veränderung in den Gesinnungen des Volks hervorbringen, wenn nicht die Almacht der äuserlichen Beredsamkeit die Herzen bezaubert, und hingerissen hätte 4 2

Die Reden, die in der Teutschen Gesellschaft gehalten und wohl sämtlich43 in den Giesischen wöchentlich-gemeinnützigen Anzeigen und Nachrichten abgedruckt 38

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Bräuning-Oktavio, (wie Anm. 12), S. 254, postuliert Höpfners Mitarbeit an der Zeitschrift, ohne jedoch Belege zu liefern. Vermutlich wußte der Verfasser nicht, daß die Zeitung von 1751 bis 1763 gar nicht existiert hatte, sondern von den Studenten 1764 neu begründet wurde. Zimmermann, (wie Anm. 32), S. 19. Dies ist freilich indirekt auch schon den „Gesetzen" der Gesellschaft zu entnehmen, wenn es heißt, die Mitglieder wollten „sich in feiner guten teutschen Schreibart, und in der Kunst des Redners und Dichters üben, um dadurch zu einem desto schönern Vortrag in höhern Wissenschaften geschickt zu werden" (GW 1764, S. 88). Damit wird vermutlich nicht auf ,Wissenschaft' im modernen Sinne, sondern auf die künftige Berufspraxis des Theologen, vielleicht auch des Juristen angespielt. Carl Friedrich Bahrdt, Geschichte seines Lebens, seiner Meinungen und Schicksale. Neu hg., komm, und mit einem Nachwort versehen von Günter Mühlpfordt. Teil 1 und 2. Stuttgart-Bad Cannstatt 1983 (Deutsche Autobiographien 2) [Faksmile der Ausgabe Berlin 1790], S. [559].

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wurden, erweisen sich als Muster für die „Renaissance" der antiken Rhetorik im Zeichen von Rationalismus und Orthodoxie. 4 4 Beispielhaft läßt sich dies an den Reden eines der schon genannten Protagonisten belegen. 4 5 A m 8. Juni 1765 wurde in einer Dankesfeier der Bestätigung der „Gesetze" der Teutschen

Gesellschaft

durch Landgraf Ludwig VIII. gedacht, w o b e i der damalige Senior Justus Balthasar Müller eine Reihe grundsätzlicher Erwägungen zu den Zielen der Sozietät vortrug. D i e Rede entspricht formal den Anforderungen, die Gottsched in seiner damals noch immer maßgebenden Ausführlichen

Redekunst

(5. und letzte Auflage 1759)

aufgestellt hatte. Gerade die von Gottsched geforderte Orientierung an den antiken Vorbildern zeigt freilich die zeitgebundenen Tendenzen der Rede um so deutlicher, w i e der an Ciceros Hymnus auf die Philosophie aus den Tusculanae

Disputationes

angelehnte Lobpreis der Religion belegt: Ja ich würde unverzeihlich fehlen, wenn ich Sie heute nicht, wertheste Mitglieder! zur Liebe gegen eine Religion ermuntern wollte, die uns zu der Erfüllung der erhabensten Tugend nur allein stark genug machen kann. Und was sind die größten Wissenschaften ohne sie? Was ist das seltenste Genie, wenn es nicht von ihr erleuchtet wird. Sie, sie ist die getreuste Führerin auf dem Pfade des Lebens, sie ist die einzige Trösterin im furchtbaren Thale des Todes. Ο mit welchen mächtigen Ausdrücken soll ich Ihnen die Ausübung dieser göttlichen Religion anpreisen, dieser Religion, die die Zunge des feurigsten Seraphs nicht würdig genug loben kann? Sie, sie ist es, die uns zu allen Pflichten des Lebens stärkt. Sie ist es, die uns allein zu den edelsten Menschenfreunden, zu den würdigsten Lehrern des menschlichen Geschlechts, zu den rechtschaffensten Richtern und zu den treuesten Unterthanen macht 4 6 D i e Ausrichtung an dem anvisierten Berufsziel, einem Platz innerhalb der Funktionselite 4 7 des absolutistischen Staatswesens, steht hier pointiert am Ende des

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Nach Zimmermann, (wie Anm. 32), S. 19. Zur beherrschenden Rolle einer gegenüber dem Barock auf die antike Tradition rekurrierenden Rhetorik im 18. Jahrhundert vgl. die Einleitung zu Joachim Dyck / Jutta Sandstede, Quellenbibliographie zur Rhetorik, Homiletik und Epistolographie des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Stuttgart-Bad Cannstatt 1996. Die Anbindung der in der ersten Jahrhunderthälfte reformierten Rhetorik an die „neuen Wissenschaften [...] Psychologie und Ästhetik" (ebd., Bd. 1, S. XVUI) seit den fünfziger Jahren ist hingegen bei den Mitgliedern der Teutschen Gesellschaft nicht nachzuweisen. Zimmermanns „LobRede auf Herrn Alexander Gottlieb Baumgarten" (GW 1764, S. 359-365, 367-369, 375-378) zeichnet das Porträt eines Wolffianers, der die Lehren des Meisters mit der geoffenbarten Religion in Einklang brachte; seine Ästhetik wird nur beiläufig in einem Teilsatz (S. 365) erwähnt. Theologisch gründeten diese Redeübungen noch - anders als später die Predigten Bahrdts - auf der durch Johann Hermann Benners Autorität in Gießen jahrzehntelang verteidigten Orthodoxie. Ähnliches wäre an den übrigen Reden und Gedichten der Gesellschaftsmitglieder zu demonstrieren, die sich gegenüber den meisten anderen Beiträgen durch ambitionierte sprachliche Durchformung sowie Klarheit und Prägnanz (nicht ,Originalität') in der Sache auszeichnen. Beachtenswert ist eine anonyme Verssatire, die von der Kritik an Voltairescher Freigeisterei über die Ablehnung kommerzieller Gelegenheitspoesie bis zu einer christlichen Überformung des horazischen Satirebegriffs zentrale Topoi des orthodox-rationalistischen Dichtungsverständnisses propagiert (GW 1764, S. 80-83). GW 1765, S. 203; die ganze Rede ebd., S. 193-199, 201-205. Das Vorbild findet sich bei Cicero, Tusculanae Disputationes 5,5. Zum durchaus ,elitären' Selbstverständnis der Gesellschaftsmitglieder vgl. oben.

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,Hymnus' auf die Religion! Fast dieselben Formulierungen finden sich an ebenso prominenter Stelle einige Seiten vorher, wo Müller in anaphorisch gereihten rhetorischen Fragen („Haben Sie vielleicht [...]") die möglichen Gründe der Mäzene für ihre Förderung anfuhrt, welche auf eine Klimax hin angeordnet sind: [...] Haben Sie vielleicht geglaubt, daß einst in derselben [Gesellschaft] würdige Lehrer fiir die Kirche, rechtschafne Richter und treue Bürger für den Staat könnten erzogen werden? Haben Sie - Ja, alle diese vortreflichen, alle diese väterlichen Absichten haben Sie bey Ihren günstigen Empfelungen gehabt. 48

Die zentrale Argumentation der Rede zielt darauf ab, die staatlich geforderte Berufsvorbereitung und die fachbezogene rhetorisch-poetische Übung im Sinne des aufklärerischen Moralpostulats miteinander zu vermitteln. Das dialektische Verhältnis zwischen beiden wäre demnach so zu begreifen, daß es eines verantwortungsvollen Zugangs bedarf, wenn man aus den ,schönen Wissenschaften' Nutzen fiir sich und die Gemeinschaft ziehen will, und daß zugleich die Lektüre vorbildlicher Werke der ferneren moralischen Vervollkommung zuträglich ist, sofern man hier klingt bereits eine Maxime des Neuhumanismus an - sich nach diesen Schriften „zu bilden" versucht.49 Der ,Wert' der Dichtung im allgemeinen wird durch die berühmte Passage aus Ciceros Rede Pro Archia poeta (Kap. 16) beglaubigt.50 Als Vorbilder gelten unter den Dichtern Klopstock, Cramer und Geliert, zu den „Quellen des guten Geschmacks und der besten Kritick"51 bemerkt Müller: „Wer kennt einen Du Bois, einen Batteux, einen Hume, einen Marmontel nicht? Und wer hat die Briefe, die neueste Litteratur betreffend, wer die Bibliothek der schönen Wissenschaften nicht gelesen?" Es wird nicht ganz klar, ob die Aufzählung als bloßes ,name-dropping' zu verstehen ist - immerhin sind zwei Namen, kaum aufgrund eines Setzerversehens, falsch geschrieben52 - oder ob hier ein Kanon literaturtheoretischer Schriften aufgestellt wird, der vom gemäßigten Klassizismus bis zur Polemik der kritischen Avantgarde fast die gesamte Bandbreite der geläufigen Strömungen einschlösse und somit als Beleg für Aufgeschlossenheit und kritische Auseinandersetzung innerhalb der Teutschen Gesellschaft aufzufassen wäre. Fest steht jedenfalls, daß Müller die ,schönen Wissenschaften' für die moralisch-religiöse Unterweisung in Kirche und Schule funktionalisiert sehen möchte und sich selbst - etwa durch den Vortrag dieser schulmäßigen paränetischen Rede - einer diesbezüglich vorbereitenden Übung unterzieht. Die Funktionalisierbarkeit

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GW 1765, S. 195. Ebd., S. 197. Diese Rede wird auch von Gottsched in seiner Ausfiihrlichen Redekunst als Muster angeführt; die Übersetzung der von Müller zitierten Passage dort, (wie Anm. 17), S. 62. GW 1765, S. 201 f. Gemeint sind wohl Jean-Baptiste Dubos [!], Reflexions critiques sur la poesie et la peinture (1719; erstmals deutsch 1760), und Henry Home [!], Elements of criticism (1762ff.).

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von Literatur im engeren Sinne dokumentiert er in seiner Abhandlung von dem Nutzen der Dichtkunst in der Religion,53 die vermutlich ebenfalls auf einer Sitzung der Gesellschaft vorgetragen wurde, anhand lyrischer, versepischer und poetologischer Texte eines bestimmten Autors, wobei er dessen Namen - Klopstock - nur einmal beiläufig erwähnt. 54 Mittels theoretischer Explikationen und konkreter Textbeispiele wird die These belegt, daß die Wahrheiten der Religion auf dem Wege der sinnlichen Erfahrung (nämlich im Gedicht) nachdrücklicher zu vermitteln seien. Abschließend beklagt der Redner, im Rückbezug auf Topoi hergebrachter Degenerationshypothesen, daß die Dichtkunst in seiner Zeit sich nur noch selten mit den „göttlichen Wahrheiten", stattdessen meist mit ,,unwürdige[n] Gegenstände[n]" 55 beschäftige. Falls auch die erste in den Giesischen wöchentlich-gemeinnützigen Anzeigen und Nachrichten publizierte Rede aus der Teutschen Gesellschaft von Zimmermann stammt - wofür einiges spricht, zumal er offenkundig das engagierteste Mitglied war - , ließe sich die ins Bild passende kulturkritische Tendenz des angehenden Geistlichen noch weiter belegen. Der anonyme Autor der Abhandlung von der Vortreflichkeit der Sittenlehre. In der Teutschen Gesellschaft vorgelesen den 12ten Novemb. 1763 bedient sich der rhetorischen Technik der ,personificatio', wenn er die „Tugend" (wie an anderer Stelle die „Religion"; s.o.) als Führerin und Lehrerin der Menschen auftreten läßt. In dieser Rolle „nimt sie die tiefwirkende Reize der Dichtkunst zu Hülfe, und macht die Seele weich und empfindungsvoll, daß sie den Eindruck der ernsthaften Lehren desto leichter annimmt", wobei je nach den Umständen „die Pracht des Lehrgedichts", „die Majestät der Epopee" oder auch „die furchtbare Geisel der Satire", „die Comödie" usw. 56 eingesetzt wer-

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GW 1764, S. 343-349, 351-356. Es handelt sich um (a) drei geistliche Lieder, von denen eines („Aus ganzem Herzen lieb ich dich") zu den 1772 ins Neue Darmstädtische Gesang-Buch für die Hof-Gemeinde (bearb. von Ludwig Benjamin Ouvrier. Darmstadt 1772 [UB Gießen: W 34508/2000]) aufgenommenen gehört (zu diesem Unternehmen vgl. Wilhelm Diehl, Zur Geschichte der Gesangbuchbewegung in Hessen-Darmstadt in den Jahren 1771-1773, in: Monatsschrift fur Gottesdienst und kirchliche Kunst 6, 1901, S. 225-227, 343-347, 416-418; Bräuning-Oktavio, [wie Anm. 12] S. 64-68), (b) die Verse 83-135 aus dem ersten Gesang des Messias (Der Messias. Gesang I ΙΠ. Text des Erstdrucks von 1748. Studienausgabe, hg. von Elisabeth Höpker-Herberg. Stuttgart 1986 [Reclam Universal-Bibliothek 721], S. 10-12) sowie (c) eine Passage aus der Abhandlung Von der heiligen Poesie (ebd., S. 119). Zu den verschiedenen Formen und Motiven der Klopstockrezeption vgl. Seidel, (wie Anm. 1), Kapitel 7.4.2. In unserem Zusammenhang ist die Wende in der neueren Klopstockforschung zu beachten, aus deren Sicht der Dichter und die ihn propagierenden Schulmänner näher zusammenrücken; zusammenfassend Dyck / Sandstede, (wie Anm. 44), Bd. 1, S. ΧΧΠ: „Klopstock war ein humanistischer Gelehrter, der den praktischen Nutzen der Rhetorik aus der römischen Tradition kannte und die Moralischen Wochenschriften nicht brauchte, um mit der antiken Rhetorik bekannt zu werden." Die Funktionalisierung seiner Texte in Schule und Kirche ist somit ein bildungsgeschichtlich völlig plausibler Vorgang. GW 1764, S. 355. GW 1764, S. 20; die ganze Rede ebd., S. 17-22, 25-28.

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den können. Gleichwohl meint der Autor auf die Gefahr aufmerksam machen zu müssen, die bei einem Auseinanderklaffen von poetischem ,ingenium' und moralischer Festigkeit eintritt: Was ist der gröste Gelehrte ohne sie [die Tugend]? Ein groser Mann, ein erhabener Geist, der in der Feme schätzbar und in der Nähe verächtlich ist, der durch die Wirkungen seines Verstandes die Welt in Bewunderung setzt, und durch die Unordnungen seines Herzens ärgert. Wie verächtlich müssen nicht einem jeden Rechtschaffenen die Nahmen eines Politians, Baudius, Machiavells, Passeroni, Boulainvilliers, Willmots seyn; Diese Nahmen, welche die Tugend auf ewig aus dem Verzeichniß ihrer Verehrer ausschließt.57 Mit diesem Negativkanon zieht der Autor gerade innerhalb der komischen Textgattungen den für die deutsche Hochaufklärung typischen Trennungsstrich zwischen erzieherisch wirksamer Satiren- und Lustspieldichtung und deren pädagogisch nicht zu instrumentalisierenden Ausprägungsformen w i e der Invektive oder der plautinischen Komödie. Die Poesie, so lautet die Botschaft, ist wohl als Dienerin der Moral einzusetzen, doch bedarf sie der Kontrolle, da sie zugleich ein Gefahrenpotential birgt. 58 In der Polemik gegen zeitgenössische Lektüregewohnheiten, in der Verehrung Klopstocks, in der Verpflichtung der Poesie auf moralisch-religiöse Unterweisungsfunktionen bezieht der Student Müller, mit dem Medium der Rede experimentierend und nicht immer stringent argumentierend, Positionen im akademischen Diskurs - oder genauer: im praxisorientierten Diskurs deqenigen Universitätsangehörigen, die sich auf eine Aufgabe vorbereiteten, zu deren Erfüllung rhetorische Überzeugungskraft, moralische Entschiedenheit und orthodoxe Linientreue vonnöten waren! Müllers Karriere verlief in diesem Sinne musterhaft: Er war nach intensiver Mitarbeit an den Giesischen richten

wöchentlich-gemeinnützigen

Anzeigen

und

Nach-

während der Jahre 1 7 6 4 - 1 7 6 6 zunächst Prinzenerzieher in Darmstadt,

arbeitete an dem Gesangbuch des Hofpredigers Ludwig Benjamin Ouvrier mit 59

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Ebd., S. 19. Von hier aus lassen sich wiederum Verbindungen zu analogen Aktivitäten der Gießener Zeitungsmacher ziehen. Es war gleichfalls Justus Balthasar Müller, der im Jahre 1766 in den Giesischen wöchentlich-gemeinnützigen Anzeigen und Nachrichten mit seiner „Betrachtung über die Leetüre der Frauenzimmer" ein Projekt zur literarischen Erziehung des weiblichen Geschlechts anstieß, das die Heranbildung belesener, zugleich tugendhafter und zur Haushaltsführung befähigter Frauen - eben der idealen Lehrer- und Pfarrersgattinnen - zum Ziel hatte. Vgl. hierzu Seidel, (wie Anm. 1), Kap. 6.2.; Cho, (wie Anm. 28), S. 174-190; Christine Haug, Das Verlagsunternehmen Krieger 1725-1825. Die Bedeutung des Buchhändlers, Verlegers und Leihbibliothekars Johann Christian Konrad Krieger für die Entstehung einer Lesekultur in Hessen um 1800. Frankfurt 1998 (Archiv ftir Geschichte des Buchwesens 49 [1998], S. 1 170), S. 64-74. Von ihm selbst stammen wohl nur zwei Lieder. Nach Strieder, (wie Anm. 10), der aus autobiographischen Nachrichten schöpft, „erwählte Ihn der damalige Hofprediger Herr Ouvrier zu Darmstadt zu seinem Gehülfen bey der Sammlung des neuen Gesangbuchs für die

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und wurde 1775 Pfarrer in seiner Heimatstadt Gießen, wo er allmählich bis zum Superintendenten aufstieg. In zweiter Ehe war er mit der Tochter seines Gießener Sozietätsgenossen Zimmermann verheiratet, der eine nahezu identische Laufbahn einschlug und als Superintendent in Darmstadt starb. Unter Vernachlässigung der zeitbedingten literatur- und bildungsgeschichtlichen Prämissen hat Wilhelm Diehl die Funktion der Teutschen Gesellschaft resümierend darin gesehen, daß sie „einer ganzen Anzahl junger Leute ein Verständnis für die Schönheit der deutschen Sprache und fur die Bedeutung der modernen deutschen Literatur erschlossen" 60 habe. Die Ausrichtung des mit der Gesellschaft eng verbundenen Publikationsorgans, die personelle Konstellation der führenden Mitglieder sowie die Inhalte der programmatischen Reden61 weisen jedoch darauf hin, daß der literarische Diskurs der Vermittlung pädagogisch-moralischer Einsichten und zugleich der Einübung entsprechender Unterweisungstechniken diente. Die berufsbezogenen Spezialinteressen einzelner Studenten - deren von der Lokalhistorie immer wieder beschworene ,Liebe' zur ,schönen' Literatur nicht in Abrede gestellt werden soll - führten also zu einer partiellen Ausdifferenzierung der akademischen Kommunikationsstrukturen. Ähnlich wie das thematisch offenere fakultative Lehrangebot der Professoren reagierte auch die Teutsche Gesellschaft auf Spezialbedürfnisse im universitären Ausbildungsbetrieb. Der .literarische' Text wurde von den Sozietätsmitgliedern nicht als Unterhaltung für müßige Stunden aufgefaßt, sondern - als vom Inhalt her bestimmtes Objekt und als von der Form her bestimmtes Medium - für konkrete Zwecke funktionalisiert. Die hierfür nötigen Kenntnisse und Techniken konnten am Rande des akademischen Lehrbetriebes gleichsam in ,Eigenorganisation' erlernt werden.

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Hofgemeinde" (Bd. 9, 1794, S. 306). In das Gesangbuch fanden u.a. diejenigen Lieder Klopstocks Eingang, die Müller in der oben besprochenen Rede zitiert hatte. Diehl, (wie Anm. 12), S. 27. Eher einen Nebenaspekt - angesichts der längst etablierten Zweisprachigkeit bei den rhetorischen Übungen - benennt Press, (wie Anm. 12), S. 323: „Immerhin hat er [Bechtold R.S.] eine Reihe junger Studenten an das Deutsche herangeführt." Vgl. die Titel zweier weiterer Reden, die in der Gesellschaft vorgetragen wurden: Abhandlung von dem Werth der alten Geschichte der vorigen Zeiten (GW 1764, S. 175-179); Rede von der schnellen Ausbreitung der christlichen Religion als einem unumstößlichen Beweise ihrer Wahrheit und Göttlichkeit (ebd., S. 391-393, 402-405, 407^112; Autor Christian Heinrich Zimmermann).

KATRIN BÖHME ( B e r l i n )

Im Tempel der Natur. Naturgeschichte, Esoterik und Traditionen in der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin „Willkommen im Tempel der Natur!" So begrüßte Johann Carl Philipp Spener (1749-1827) den von langer schwerer Krankheit genesenen Martini zu seinem 48. Geburtstag.1 In dessen Wohnung am Hackeschen Markt hatten sich zu diesem Ereignis am 31. August 1777 Freunde und Verwandte eingefunden, um den schon dem Tod so nahe Geglaubten zu ehren. Sie bereiteten Martini ein Fest, das sein „Denkmal" nicht nur in einer Medaille zu seinen Ehren erhielt, sondern auch im Druck des Buches Denkmal der Freundschaft? Darin wird diese Feier, zu der u.a. die Kinder des Jubilars ein Schauspiel aufführten, ausführlich wiedergegeben. Zwei Tage später fanden sich dann die „hiesigen geliebten Freunde" der Naturforschung in diesem „Tempel" zusammen.3 Der „Tempel der Natur" war das neu eingerichtete, aus diesem Anlaß „balsamierte" Zimmer der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin.4 Die Wände waren vollständig mit Pflanzen, ionischen Pilastern und von Blumengirlanden umkränzten Medaillons in den insgesamt zwölf Wandnischen geschmückt. Die Eingänge verkleideten Blendtüren, deren gemalte Motive der Liebe und Freundschaft gewidmet waren. An der Fensterfront stand ein mit Weinranken verzierter Altar, worauf „Pomona und Flora ihre reichsten Schätze" ausbreiteten und das von Martini begonnene Conchylien-Cabinett aufgeschlagen lag.5 Über diesem erhob sich die in Lebensgröße auf eine Bildsäule gemalte Göttin Kybele.6 Die Wände

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Näheres zu Friedrich Heinrich Wilhelm Martini s.u. Denkmal der Freundschaft. Von zwen ädlen Freunden unserm genesenen Martini an seinem 48. Geburtstag gestiftet; unsern gemeinschaftlichen auswärtigen Freunden gewidmet von Joh[ann] Aug[ust] Ephraim Goeze. Berlin [1777]. Denkmal der Freundschaft, (wie Anm. 2), S. 52; Vgl. hierzu auch die Eintragungen Martinis im Tagebuch der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin (GNF) vom 2. September 1777. MfN der HU Berlin, Bestand GNF, TB Π 1776-1778, S. 131-134. Die verwendeten Archivalien befinden sich größtenteils im Schriftgutbestand der Historischen Arbeitsstelle des Museums für Naturkunde zu Berlin (MfN der HU Berlin, Bestand GNF). In der Folge werden nur die Signaturen angegeben. TB Π 1776-1778, S. 131-134; Die ausführliche Beschreibung des Raumes ist nachzulesen in: Denkmal der Freundschaft, (wie Anm. 2), S. 18-24. Friedrich Heinrich Wilhelm Martini, Neues Systematisches Conchylien-Cabinett geordnet und beschrieben von Friedrich Heinrich Wilhelm Martini. Bd. 1 Nürnberg 1769. Im Text wird die Göttin mit Zybele bezeichnet (Denkmal der Freundschaft), [wie Anm. 2], S. 19). Da eine Göttin diesen Namens unbekannt ist, der Gleichklang der Namen aber eine Lautverwechslung wahrscheinlich macht, und an anderer Stelle auf die „Magna Mater Deorum der Alten" (ebd., S. 23) Bezug genommen wird, soll den folgenden Ausführungen zugrunde gelegt werden, daß es sich bei der dargestellten Figur um die griechische Göttin Kybele handelt.

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zierten Medaillons mit den Bildnissen berühmter Naturforscher: Carl von Linne, Johann Reinhold Forster und Georges Buffon sowie Plinius d.Ä. und Ulysse Aldrovandi, die den von Eichenlaub umkränzten Martini flankierten. Der gesamte Raum war von Licht und „ambrosischen Düften" erfüllt.7 In einem angrenzenden Zimmer war eine weitere Szene errichtet.8 Die Kinder des Jubilars lagen zu Füssen eines Obelisken, auf dem Martini in einem Medaillon nach antikem Vorbild abgebildet war. Auf dem Altar standen Gipsabgüsse antiker Figuren sowie der Schriftzug „Pietali filiali sacrum".9 Die Kinder trugen lange „Gewänder der Unschuld" sowie Blumenkränze, und sie richteten ihre Gesichter und Hände auf das auf dem Altar brennende „Opferfeuer". 10 Die Szenerie war hell erleuchtet und durch zwei „perspektivisch" auf den Obelisken zulaufende Wände gerahmt." Der befreundete Spener überreichte eine eigens für den Jubilar gefertigte Medaille mit dem Schriftzug „Siehe die Götter beschenken dich mit neuer Gesundheit!".12 Das von Daniel Chodowiecki gemalte Motiv zeigt die Göttin Minerva, die die Göttin „Hygiäne" [Hygiene] um eine neue Schale Gesundheit zur Vollendung der von Martini angefangenen Werke bittet. Sie weist auf den „Genius", der eine Schneckenschale hält. In der Ansprache ehrt Spener den Jubilar als Naturkundigen und Lehrer.13 Dieser nehme die Natur als Vorbild, woran sich seine Wünsche für Lauterkeit und Unschuld mäßen. Dabei erleuchte er die Welt nicht nur, sondern bessere sie auch, und das sei das „Ehrwürdigste und rühmlichste Geschäfte, dessen sich ein Mensch, zum Besten seiner Mitmenschen, unterziehen kann". Er mache, so Spener, „die Naturgeschichte zugleich zu einer Wissenschaft fürs Herz!"14

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Denkmal der Freundschaft, (wie Anm. 2), S. 18. Ebd., S. 39-49. So viel wie: „Die Vaterliebe der Kinder ist heilig."; Bei den Figuren handelt es sich um einen „Apoll aus dem Belvedere" und einen „Faun mit Widder aus dem Kapital" (Denkmal der Freundschaft, [wie Anm. 2], S. 40). Denkmal der Freundschaft, (wie Anm. 2), S. 42. Ebd., S. 39. „EN. N O V A M . T I B I . L A R G I U N T U R . Dil. S A L U T E M . " Auf der Rückseite steht: „Q. F. F. S./ REDEUNTE. DIE. NATALI./ XLVm./ F.H.G.MARTINI./ NATURAM. ARTE./ REFERENS./ VIRTUTEM. EXEMPLO.", eingebettet in einen Kranz aus Eichenblättem. Die Medaille soll von Johann Carl Philipp Spener entworfen, von Daniel Chodowiecki gemalt und von D. Berger gestochen worden sein; Denkmal der Freundschaft, (wie Anm. 2), S. 28. Offenbar wurde aber keine Medaille nach dieser Vorlage hergestellt. Stattdessen fertigte der bekannte Berliner Münzstecher Abraham Abramson (1754-1811) eine Medaille mit dem Profil Martinis (Vs.) und einem aufgeschlagenen Buch auf einem altarähnlichen Sockel (Rs.), die sich noch heute in der Münzsammlung der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz zu Berlin befindet. Siehe dazu auch Tassilo Hoffmann, Jacob Abraham und Abraham Abramson: 55 Jahre Berliner Medaillenkunst 1755-1810. Frankfurt/M. 1927, S. 135 (Medaille Nr. 246). Denkmal der Freundschaft, (wie Anm. 2), S. 24—27. Ebd., S. 24f.

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Der hier Geehrte war der Berliner Arzt und Naturforscher Friedrich Heinrich Wilhelm Martini (1729-1778). Sein leidenschaftliches Interesse galt der Naturgeschichte, der er sich auf vielfaltige Weise verschrieben hatte. Martini besaß ein umfangreiches Naturalienkabinett und eine Bibliothek,15 übersetzte Buffons Naturgeschichten,16 gab u.a. eine Allgemeine Geschichte der Natur in alphabetischer Ordnung heraus17 und schrieb ein noch heute unter Fachleuten anerkanntes Werk zur Konchyliologie" (Lehre von den Schnecken- und Muschelschalen).18 In Berlin organisierte er eine Lesegesellschaft19 und gab die Mannigfaltigkeiten, eine moralische Wochenschrift,20 heraus. Seine nachhaltigste Initiative aber war die Gründung der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin (GNF), die bis in die Gegenwart existiert. In dieser naturkundlichen Gesellschaft stand die Naturgeschichte nicht nur als Wissensgebiet im Mittelpunkt, sondern hier wurde dieses Fach auch zum Maß für „Lauterkeit und Unschuld", eben zu einer „Wissenschaft fürs Herz".21 Die Verbindungen zwischen Naturgeschichte und Freimaurerei in der GNF, die hier untersucht werden sollen, veranschaulicht die oben beschriebene Feier auf spezifische Weise, gibt sie doch einen eigentümlichen Weg der (esoterischen) Naturbetrachtung wieder. Das Hauptaugenmerk richtet sich daher auf die Frage, worin die Parallelen zwischen der Naturgeschichte des 18. Jahrhunderts und dem esoterischen Denken in der spekulativen Freimaurerei bestanden, die sich in dieser Epoche so erfolgreich etablierte. Dafür werden vor allem die Symbolik beider Be-

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[Friedrich Heinrich Wilhelm Martini], Verzeichnis der Martinischen Bibliothek, mit einem vollständigen Namen- und Sachregister, samt einem Entwurf zu einer gemeinnützigen Journalgesellschaft. Berlin 2 1775; Friedrich Heinrich Wilhelm Martini, Verzeichnis einer auserlesenen Sammlung von Naturalien und Kunstsachen, auch physikalischen Instrumenten, nebst einer systematischen Tabelle und Erklärung von dessen Konchylienkabinette. Berlin 1774. Friedrich Heinrich Wilhelm Martini, Herrn Buffons allgemeine Geschichte der Natur. Eine freye mit einigen Zusätzen vermehrte Übersetzung nach der neuesten französischen Ausgabe von 1769. Berlin 1771; ders., Herrn von Buffons Naturgeschichte der Vögel. Aus dem Französischen übersetzt, mit Anmerkungen, Zusätzen und vielen Kupfern vermehrt durch [...] (ab Band 7 fortgeführt von Bernhard Christian Otto 1745-1835). Berlin 1772-1808; ders., Herrn Buffons Naturgeschichte der vierßissigen Thiere. Mit Vermehrungen aus dem Französischen übersetzt von [...] (Band 6 von Georg Forster, ab Band 7 von B.C. Otto). Berlin 1772-1801. Friedrich Heinrich Wilhelm Martini, Allgemeine Geschichte der Natur in alphabetischer Ordnung mit vielen Kupfern nach Bomarischer Einrichtung. Berlin / Stettin 1774-1793. Nach Martinis Tod wurde dieses mehrbändige Werk von Johann Friedrich Wilhelm Otto (17431814) und Johann Georg Krünitz (1728-1796) weitergeführt. Martini, Conchylien-Cabinet, (wie Anm. 5). Weitergeführt von dem Kopenhagener Gelehrten Johann Hieronymus Chemnitz (1730-1800), ist es heute unter Fachleuten als „Martini-Chemnitz" bekannt. Johann August Ephraim Goeze, D. Friedrich Heinrich Wilhelm Martini's Leben aufgesetzt von [...]. Berlin 1779, S. 46f. Friedrich Heinrich Wilhelm Martini (Hg.), Mannigfaltigkeiten. Eine gemeinnützige Wochenschrift mit Kupfern. Berlin 1. Jg. 1769; fortgesetzt mit: Neue Mannigfaltigkeiten Berlin 1. Jg. 1773. Denkmal der Freundschaft, (wie Anm. 2), S. 24; 26.

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reiche im Zusammenhang mit der GNF, die Gründungsgeschichte und Funktion dieser gelehrten Gesellschaft in der Berliner Wissenschaftslandschaft sowie die Aktivitäten ihrer Mitglieder beleuchtet. Ausgangspunkt der Fragestellung war dabei weniger das Interesse an der Kabinettkultur des 18. Jahrhunderts und dem primären Aufbau naturhistorischer Sammlungen. Auch soll an dieser Stelle nicht die kulturelle Praxis der Naturgeschichte, die in der GNF besonders in der Beschäftigung und Betrachtung der Naturalien bestand, untersucht werden.22 Vielmehr ist hier das Problem von Interesse, daß aus der systematischen, in der Regel sammlungsbasierten Arbeit des Naturforschers in der Rücksicht auf bereits vorhandene Sammlungen auch immer eine notwendige Bezogenheit auf die Vorgänger resultiert. Die materiale Basis von gewachsenen und umfangreichen Sammlungen muss auch immer eine Beschäftigung mit den vormalig durchgesetzten Ordnungsstrakturen und damit früheren Autoren rsp. deren Theorien mit sich führen. Die Überlieferung dieses Wissens setzt ein traditionsbewußtes Denken und Handeln dieses Naturforschers voraus. Somit soll am Beispiel der GNF der Ursprung dieser Mentalität im Forschungsziel der Naturgeschichte gesucht und gleichzeitig die Parallelen zum esoterischen Denken in der Freimaurerei aufgezeigt werden. Als Quellen dienen verschiedene Schriften Martinis, seine zeitgenössische Biographie und das bereits beschriebene Denkmal der Freundschaft sowie das , Archiv' der GNF, das in der Historischen Arbeitsstelle des Museums für Naturkunde aufbewahrt wird.23 Zur Geschichte der Freimaurerei gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen. Da in diesem Zusammenhang hauptsächlich die spezifische Ethik von Interesse ist, beschränke ich mich auf eine moderne Schrift, die sich mit der (praktischen) Philosophie der Freimaurer, deren Herkunft und Grundlagen eingehend beschäftigt.24 In meinen Ausführungen zum frühneuzeitlichen esoterischen Denken stütze ich mich in erster Linie auf die Arbeiten von Monika NeugebauerWölk, deren Auffassung von Esoterik ich mich anschließe.25

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Vgl. hierzu den Aufsatz von Anke te Heesen: Vom naturgeschichtlichen Investor zum Staatsdiener. Sammler und Sammlungen der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin um 1800. in: dies, und Emma C. Spary, (Hg.): Sammeln als Wissen: Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung. Göttingen 2001, S. 62-84. Näheres zum Archiv siehe: Katrin Böhme, Die Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin und ihr „Archiv", in: Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin (N.F.) 39 (2000), S. 153-157. Giuliano di Bernardo, Die Freimaurer und ihr Menschenbild. Über die Philosophie der Freimaurer. Wien 1989. Hier insbesondere: Monika Neugebauer-Wölk, Esoterik im 18. Jahrhundert - Aufklärung und Esoterik. Eine Einleitung, in: dies. (Hg.): Außclärung und Esoterik. Hamburg 1999 (Studien zum 18. Jahrhundert 24), S. 1-37. In ihrer Auffassung von Esoterik stützt sich NeugebauerWölk auf die Begriffsdefinition von Antoine Faivre in: L'esoterisme. Paris 1992 (dt. Übersetzung 1996); vgl. auch dies., Die Geheimnisse der Maurer. Plädoyer für die Akzeptanz des Esoterischen in der Historischen Aufklärungsforschung, in: Das Achtzehnte Jahrhundert. Zeit-

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Die Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin: Aktivitäten und Struktur

Die Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin wurde am 9. Juli 1773 gegründet.26 Zu den sieben Gründungsmitgliedern gehörten sowohl bekannte Berliner Gelehrte wie Johann Eiert Bode (1747-1826) und Markus Elieser Bloch (1723-1799) als auch Staatsbeamte, Apotheker und Kaufleute wie z.B. Friedrich Wilhelm Siegfried (1734-1809) oder Johann Andreas Rebelt (1717-1782), die das gemeinsame Interesse an der Naturgeschichte verband. Die regelmäßigen Sitzungen der Gesellschaft fanden zunächst in den Wohnungen der Mitglieder statt, wobei sowohl naturhistorische Gegenstände besprochen und Abhandlungen verlesen als auch Naturalien aus den privaten Sammlungen der Mitglieder betrachtet wurden. Die Zusammenführung dieser verstreuten privaten Sammlungen im Rahmen der GNF war eine der wesentlichen Gründungsintentionen.27 Zentrales Ziel der Gesellschaft war es, „die Naturgeschichte in ihrem ganzen Umfange, besonders aber die Naturgeschichte unserer Lande, mit Beyhülfe einer guten Naturlehre, fleissig zu studieren und zum vorzüglichen Gegenstand ihrer Zusammenkünfte zu machen".28 Dazu gehörte neben der Herausgabe einer Zeitschrift mit originären naturhistorischen Beiträgen der Aufbau einer eigenen Sammlung und Bibliothek, die in erster Linie durch Geschenke der Mitglieder bereichert werden sollten.29 Neue Kandidaten mußten sich durch Publikationen zur Naturgeschichte und den Besitz eines Naturalienkabinettes ausweisen oder sollten durch gute Verbindungen an ihrem Wohnort Naturalien der Umgebung beschaffen können. Neben den Schenkungen bemühte sich die Gesellschaft um den Erwerb geschlossener Sammlungen, wie zum Beispiel die Schildkrötensammlung von Johann David Schöpf (17521800); sie kam auch durch testamentarische Verfügungen in den Besitz von Collectionen. Auf diese Weise baute die GNF im Laufe ihres Bestehens ein umfangreiches Naturalienkabinett sowie eine wertvolle Bibliothek auf und legte ein .Archiv' an, das bis ins 20. Jahrhundert hinein vervollständigt wurde. Die Sammlungen wurden ab 1788 in einem eigenen Haus in der Französischen Straße 29 aufbewahrt, dessen Kauf vom preußischen König Friedrich Wilhelm II. mit 10 000 Talern unterstützt wurde. Im Haus fanden auch die Sitzungen statt, und

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schrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des Achtzehnten Jahrhunderts 21 (1997) 1, S. 15-32. Siehe hierzu auch: Katrin Böhme, Die Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin. Bestand und Wandel einer naturforschenden Gesellschaft, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 24 (2001), S. 271-283. Friedrich Heinrich Wilhelm Martini, Von einigen Hindernissen in der Beförderung der Naturgeschichte, in: Neue Mannigfaltigkeiten 1 (1774), S. 33—46, 49-59. Gesetze der hiesigen Privatgesellschaft Naturforschender Freunde nach den Verbesserungen vom 3. May 1774. Berlin 1774, § 1. Gesetze, (wie Anm. 28), § ΧΉ und § XXI.

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es wohnte jeweils ein ordentliches Mitglied dort. Als Treffpunkt der Mitglieder stellte es bis zu seinem Verkauf im Jahre 1905 das Zentrum der Gesellschaft dar. Dieser Besitz, der auch den der Sammlungen einschließt, begründete im Wesentlichen die große Bedeutung der GNF in der Berliner Wissenschaftslandschaft auch noch während des 19. Jahrhunderts. In der GNF wurde zwischen ordentlichen, außerordentlichen und Ehrenmitgliedern unterschieden. Die Zahl der ordentlichen Mitglieder war lange Zeit auf zwölf beschränkt.30 Es konnten nur solche Personen zu ordentlichen Mitgliedern gewählt werden, die ihren Wohnsitz in Berlin hatten und ihr naturhistorisches Interesse durch den Besitz eines eigenen Kabinetts nachweisen konnten.31 Zu Ehrenmitgliedern wurden sowohl Berliner als auch auswärtige Gelehrte gewählt. Außerordentliche Mitglieder waren ähnlich wie Ehrenmitglieder charakterisiert, hatten jedoch gegenüber diesen weitergehende Rechte besonders hinsichtlich der Teilnahme an den Sitzungen. Prinzipiell durften jedoch weder außerordentliche noch Ehrenmitglieder den Sitzungen der ordentlichen Mitglieder beiwohnen; ihnen war lediglich der Besuch der Vorträge gestattet. Die Zuwahl neuer Mitglieder erfolgte durch Ballotage; die Stellen der ordentlichen Mitglieder wurden kooptativ besetzt. In der Regel wurden vor der Wahl deren Interesse an der Gesellschaft in Erfahrung gebracht und die Zustimmung zur Wahl eingeholt. Die Geschichte der Gesellschaft zeigt, daß häufig der Status eines außerordentlichen Mitgliedes als Vorstufe für eine nachfolgende Wahl zum ordentlichen Mitglied diente. Nach dem frühen Tod Martinis 1778 verteilte ein wechselndes Direktorat den zunehmenden Arbeitsaufwand, der durch die angewachsene Korrespondenz und andere Tätigkeiten entstanden war, auf alle ordentlichen Mitglieder. Dem Direktor oblag die Organisation der Korrespondenz und die Führung der Tagebücher, in denen alle Aktivitäten der Gesellschaft vermerkt wurden. Die in den Sitzungen verwendeten Utensilien wie Mitgliederverzeichnisse, gedruckte Gesetze, BlankoDiplome, Siegel, Siegellack, ein Hammer etc. wurden in einem Missiv (eine verschließbare Mappe), zu der jedes ordentliche Mitglied über einen Schlüssel verfügte, an den Nachfolger im Direktorat weitergereicht. In der Mitgliedsurkunde der Gesellschaft heißt es: Da wir nun schon öffentliche und Privat-Zeugisse von des Herrn [...] wichtigen Kenntnissen in der Naturgeschichte sowohl, als von dessen vorzüglichen Verdiensten des Herzens, vor Uns haben, und Wir mit Zuversicht von dem Karakter eines so edel denkenden Mannes Uns viel wesentliche Vortheile, in Beförderung der Kenntniß der Natur, und mehrern Aufnahme Unserer Gesellschaft, versprechen können; so geben wir uns die Ehre [...] Sie zum Mitglied Unserer gemeinnützigen Gesellschaft [...] zu ernennen, und Wir schmeicheln uns, da Wir dieselben,

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Mit einer Satzungsänderung im Jahre 1906 wurde die Zahl der ordentlichen Mitglieder auf 20 erhöht. Gesetze, (wie Anm. 28), § Π.

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von nun an, als unsern wahren Freund und geistigen Beförderer Unserer Anstalt betrachten dürfen. 32

Für alle Mitgliedsformen war nicht nur die fachliche Eignung, sondern vor allem auch die „freundschaftliche Gesinnung" des Kandidaten sowie dessen Reputation von großer Bedeutung. Diese maß sich u.a. an der Mitgliedschaft in weiteren gelehrten Gesellschaften oder Wissenschaftsakademien. Als wichtiger Ausweis für die Rechtschaffenheit und Integrität des Gelehrten galten auch der Besitz und die Ordnung seines Naturalienkabinetts. 33 Persönliche Bekanntschaft (auch über Dritte) sollte sicherstellen, daß sich das neue Mitglied (auch Ehrenmitglieder) gut in die GNF mit ihrem Freundschaftsideal integrieren würde. Die ständische Herkunft und religiöse Bekenntnisse spielten eine untergeordnete Rolle, wie z.B. das Miteinander von Juden und Christen verdeutlicht.34 Diese Grundsätze wurden bereits in den ersten Gesetzen von 1774 fixiert. Bekräftigt wurden sie in der Grundverfassung der GNF, die 1789 nach dem Kauf des Hauses verabschiedet wurde. 35 Mit dieser Urkunde schufen die ordentlichen Mitglieder die Grundlage für die Gestaltung ihrer gesellschaftlichen Aktivitäten, die Bewahrung ihres Eigentums und ihrer Unabhängigkeit. Sie legte fest, nach welchen Grundsätzen auch künftige Generationen diese Ziele verfolgen und wie im Falle einer Auflösung der GNF mit dem Haus und den Sammlungen verfahren werden sollte. Wie die Gesellschaft bereits kurz nach ihrer Gründung im Oktober 1773 die Protektion Friedrichs II. erhielt, woraufhin sie ihre Gesetze drucken und ein eigenes Siegel fuhren durfte, so ließ sie sich auch diese Grundverfassung von Friedrich Wilhelm II. bestätigen. Sie wurde nicht nur von den damaligen ordentlichen Mitgliedern unterzeichnet, sondern auch von allen nachfolgenden bis ins Jahr 1918. Dabei ist die Beförderung eines Mitgliedes direkt mit dem Unterzeichnen und Besiegeln der Urkunde verknüpft; dies fand in der Regel an dem Tag des Eintretens in diesen engeren Kreis statt. Das Vermächtnis der Grundverfassung spielte für das Selbstverständnis der Mitglieder dieser Privatgesellschaft eine wichtige Rolle. Dies wird beispielsweise in der Diskussion über die Zulassung von Nichtmitgliedern zu den Sitzungen der Gesellschaft am Anfang des 19. Jahrhunderts deutlich. Der Botaniker Heinrich Gustav Flörke (1764-1835) brachte 1811 den Vorschlag zur Abhaltung „öffentlicher Sitzungen" ein. Die Ablehnung wurde vor allem mit der Verletzung der 32

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Mitgliedsurkunde für Paul Erman vom 21. Mai 1799 (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Handschriftenabteilung, Nachlaß Erman, Kasten 1, Mappe 2, Nr. 1). Siehe dazu insbesondere te Heesen, (wie Anm. 22). Nach dem Religionsedikt Friedrich Wilhelms Π. vom Oktober 1788 wurde beschlossen, Diskussionen über Fragen der Religion vollständig auszuklammern. Die Sitzung fand unter Vorsitz des jüdischen Arztes Bloch in dessen Wohnung statt (14. Oktober 1788, TB V 178498, S. 344-346). Grundverfassung und feierliche Verbindung der Gesellschaft Naturforschender Freunde (1789-1918). Signatur: S. Organisation Akte 7, 53 Bl.

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Grundverfassung und der Gefahrdung der „freundschaftlichen Privat-Verbindung" begründet. Die Gesellschaft würde „aufhören zu sein, was sie ist", ließe man Nichtmitglieder, die nur „neugierige Zuschauer abgeben", an den Vorlesungen teilnehmen.36 Diese Charakteristika veranschaulichen erste Parallelen zwischen der Struktur der GNF und Freimaurerlogen. Diese bestehen in erster Linie in der Abgrenzung eines inneren Bereichs, in den nur ausgewählte und durch Reputation bekannte Personen eintreten durften, in der prinzipiellen Gleichheit aller zwölf Mitglieder, der Anerkennung bindender Regeln und ritueller Handlungen sowie der internen Weitergabe bedeutungsträchtiger Utensilien.

2.

Freimaurerische Symbolik

Offenkundig werden diese Parallelen anhand überschneidender Mitgliedschaften und in der Gestaltung des Siegels der GNF. Ordentliche Mitglieder waren gleichzeitig Freimaurer, wie zum Beispiel Johann Joachim Bellermann (1754—1842), Martin Heinrich Klaproth (1743-1817), Johann Friedrich Klug (1774-1856), Heinrich Friedrich Link (1767-1850) oder Johann Friedrich Zöllner (1753— 1804).37 Gelegentlich fanden Sitzungen u.a. auf Einladung von Karl Abraham Gerhard (1736-1821), Friedrich August Ludwig Burgsdorf (1747-1802) oder Johann Jakob Ferber (1743-1790) in den Häusern der Logen Zu den drei Weltkugeln und Zur Beständigkeit statt, wie verschiedene Eintragungen in den Tagebüchern belegen.38 Auch scheint die GNF durch einzelne Zeitgenossen in der Nähe von Freimaurerlogen wahrgenommen worden zu sein, da sie beispielsweise in der Beschreibung Berlins von Friedrich Nicolai unmittelbar vor den genannten Berliner Logen als Besitzerin einer bedeutenden Bibliothek aufgeführt wird.39 Die Bibliothek der Loge Zur Beständigkeit stand laut Nicolai im Korsikaischen Haus, einem Versammlungsort der GNF. Das Siegel mit der Umschrift „Siegel der naturforschenden Gesellschaft in Berlin" zeigt in einem Oval ein auf einem Altar liegendes Buch mit der Aufschrift „Natur". Der Altar ist durch zwei Säulen und einen Strahlenkranz gekennzeichnet. Über dem Altar befindet sich ein weiterer großer Strahlenkranz, in dem ein durch 36 37

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S. Miscellanea 1808-1818, Bl. 55-56. Bruno Peters, Berliner Freimaurer. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Berlins. Berlin 1994 (d.i. ein Mitgliederverzeichnis). Zum Beispiel am 11. Mai 1802 und 13. November 1804 im Logenhaus Zu den Drei Weltkugeln sowie in den Jahren 1787, 1788 und 1789 mehrere Sitzungen im sogenannten Korsikaischen Haus und Garten, in dem laut Nicolai 1779 die Loge Zur Beständigkeit beheimatet war. (Friedrich Nicolai, Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam und aller daselbst befindlicher Merkwürdigkeiten. Nebst Anzeige der jetztlebenden Gelehrten, Künstler und Musiker. Berlin 1779, S. 570ff.). Nicolai, (wie Anm. 38), S. 523ff.; S. 570ff.

Im Tempel der Natur

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drei Punkte verziertes Dreieck zu sehen ist. Darunter steht das Gründungsjahr der GNF 177340 (Abb. 1). In der freimaurerischen Symbolik liegen auf dem Altar die sogenannten drei großen Lichter: Bibel, Winkelmaß und Zirkel, welche die freimaurerischen Auffassungen von Moralgesetz, Bruderliebe sowie Recht und Gerechtigkeit symbolisieren.41 Die drei kleinen Lichter - Weisheit, Stärke und Schönheit - bilden die Pfeiler, auf denen die Loge ruht. Sie stellen Sonne, Mond und den Meister vom Stuhl (das Oberhaupt der Loge) dar. Die Sonne symbolisiert das Licht; sie verkörpert Intellekt und Vernunft. Der Mond als Antipode versinnbildlicht Schöpferkraft und Imagination. Das Licht wird meist als Strahlenkranz oder flammender Stern abgebildet. Die Zahl Drei hat ebenfalls eine weiterreichende Bedeutung, was u.a. in der polemischen Bezeichnung „Dreipunktbrüder" zum Ausdruck kommt. Sie kann in Form von Lichtern, Säulen oder Punkten dargestellt sein. Das Dreieck verkörpert das „Auge Gottes" als den „Großen Baumeister aller Welten". 42 Im Siegel der GNF finden sich nun Teile dieser Symbolik wieder: Der Altar wird von den Säulen der Weisheit und Schönheit getragen, zwischen denen der Strahlenkranz das Licht darstellt. Über dem Altar erscheint wieder das Lichtsymbol, in dem das „allsehende Auge Gottes" mit den drei kleinen Lichtern Weisheit, Stärke und Schönheit erscheint. Auf dem Altar liegt ein aufgeschlagenes Buch, das hier nicht die Bibel, sondern das „Buch der Natur" ist.43 Laut Statuten der GNF könne dieses Buch mit Hilfe einer guten Naturlehre gelesen werden. 44 Würde das Siegel in Worte übersetzt, so müßte der Schriftzug lauten: ,Das Studium des Buches der Natur und ihrer Schönheit erleuchte uns und offenbare die göttliche Weisheit! ' Damit weist das Siegel über den Ansatz der GNF hinaus auf die Parallelen zwischen der spekulativen Freimaurerei und der Naturgeschichte im 18. Jahrhundert. Diese zeigen sich u.a. im Grundgedanken des Deismus, wonach der Schöpfergott die Weltordnung in einem einmaligen Akt erschaffen habe und sich durch seine (irdischen) Werke offenbare. Als Vernunftreligion des 17. und 18. Jahrhunderts hat der Deismus die Ideen der Aufklärung von Selbstbestimmung und Autonomie des Individuums geprägt und gleichermaßen Einfluß auf die Entwicklung der spekulativen Freimaurerei in der Neuzeit genommen. 45

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In der Sitzung der ordentlichen Mitglieder vom 11. September 1809 wurde beschlossen, eine neue Vorlage für die Urkunde der Ehrenmitglieder zu drucken. Das bisher mit Siegellack aufgedrückte Siegel wurde fortan gedruckt (TB VII 1808-1817, S. 64-65), außerdem die Mitgliedsurkunde für Erzherzog Johann von Österreich vom 18. April 1811 (S.O. Mappe Oesterreich, Bl. 6-7). Bernardo, (wie Anm. 24), S. 55. Zu Begriffen und Symbolen der Freimaurer siehe Dieter A. Binder, Die diskrete Gesellschaft. Geschichte und Symbolik der Freimaurer. Graz u.a. 1988, S. 214ff. Beschluß zur Gestaltung des Siegels am 27. Juli 1773 (TB 1 1773-1776, S. 16-17). Gesetze, (wie Anm. 28), § 1. Bernardo, (wie Anm. 24), S. 73-97.

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Deren Grundstein wurde 1723 mit den Alten Pflichten von James Anderson gelegt, in denen die spezifischen Auffassungen von Freiheit, Toleranz, Brüderlichkeit und Transzendenz sowie des initiatischen Geheimnisses fixiert wurden. Diese Konstitutionen sind wesentlich von deistischem Gedankengut geprägt, welches vor allem durch die Betonung menschlicher Autonomie das Moment des Diesseitsgerichteten und Immanenten in das freimaurerische Denken eingebracht hat. Im Mittelpunkt freimaurerischer Arbeit steht die sittliche Selbstvervollkommnung des Menschen in der Gegenwart, beginnend durch die Arbeit am „Rauhen Stein", der den 1. Maurergrad, den Gesellen symbolisiert. Diese Arbeit am Selbst, mit Hilfe der Logenbrüder, wird im Sinne einer spezifischen freimaurerischen Ethik gemäß den oben genannten vier Grundsätzen vollzogen. Die Ethik wird aus einer durch den „Großen Baumeister aller Welten" repräsentierten Moral gewonnen, die als regulatives Moment, als moralische Instanz und weniger als ontologisches Prinzip verstanden wird.46 Diese übergeordnete Instanz, deren Annahme für den Beitritt zu einer Loge Bedingung ist, gebe dem Menschen die Richtlinien für sein Handeln, das prinzipiell auf das Diesseits, das Gegenwärtige gerichtet ist. Das Verständnis der freimaurerischen Ethik könne jedoch nur erlangt werden durch das „initiatische Geheimnis", das beim graduellen Aufstieg in der Loge stückweise eröffnet wird. Die vielfaltige Symbolik in Form von Lichtern, rituellen Gegenständen und Handlungen diente der Vermittlung des Geheimnisses. Die rituellen Handlungen symbolisierten darüberhinaus die gradweise Selbstvervollkommnung, die in der Einheit von ratio und psyche gesehen wird.47 Das „initiatische Geheimnis" bestehe vor allem in dem rational nicht Erkennbaren, das hauptsächlich als sinnliches Erlebnis erfahrbar sein soll. Die gemeinschaftsstiftende Funktion des Geheimnisses bestand demnach nicht nur in dem aufklärerischen Ziel des Gedankenaustauschs und der Wissenserweiterung, sondern stiftete darüber hinaus eine „Gefühlsgemeinschaft", in der menschliche Nähe und Verbundenheit zum Ausdruck gebracht werden konnten.48 Auf diese Weise verband sich in den freimaurerischen Ritualen aufgeklärter Rationalismus mit einer besonders im 18.

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Bernardo, (wie Anm. 24), S. 55-71. Ausführlich dazu Monika Neugebauer-Wölk, „Höhere Vernunft" und „höheres Wissen" als Leitbegriffe in der esoterischen Gesellschaftsbewegung. Vom Nachleben eines Renaissancekonzepts im Jahrhundert der Aufklärung, in: dies. (Hg.): Aufklärung und Esoterik. Hamburg 1999 (Studien zum 18. Jahrhundert 24), S. 170-210, hier S. 188-192. Grundlegend zum Begriff ,Geheimnis' und dem Urspung der Geheimlehren: Karl Frick, Die Erleuchteten. Gnostisch-theosophische und alchemistisch-rosenkreuzerische Geheimgesellschaften bis zum Ende des 18. Jahrhunderts - ein Beitrag zur Geistesgeschichte der Neuzeit. Graz 1973, S. 7 - 2 8 sowie zur Funktion der Geheimgesellschaften und des Geheimnisses in der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft: Wolfgang Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland. Band 1: Vom Spätmittelalter bis zur Französischen Revolution. München 1997, S. 304-327. Hardtwig, (wie Anm. 47), S. 313.

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Jahrhundert rehabilitierten Sinnlichkeit, die sich in einer starken Betonung von Gefühl und individuellen (Natur-) Erlebnissen äußerte.49

3.

Martini und die Gesellschaft Freiraum

Naturforschender

Freunde als

Die Intention der GNF spiegelt diesen deistischen Ansatz, worauf im nächsten Abschnitt näher eingegangen werden soll. Zunächst verweist ihre Gründungsgeschichte auf andere Zusammenhänge, die in der Situation der Naturgeschichte in Berlin in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu suchen sind. Hierfür ist es erforderlich, die Aktivitäten Martinis näher zu betrachten. Der im thüringischen Ohrdruf geborene Sohn eines Geistlichen studierte in Jena, Berlin und Frankfurt an der Oder anfanglich Theologie, aus gesundheitlichen Gründen später Medizin und Naturgeschichte.50 In Berlin hörte er u.a. bei dem Anatomen Johann Friedrich Meckel (1724-1774), dem Mineralogen Johann Gottlob Lehmann (1719-1767) und dem Botaniker Johann Gottlieb Gleditsch (1714— 1786). Zwischen 1758 und 1762 war er als Arzt in Artern (Thüringen) tätig. Ab 1762 lebte Martini in Berlin und erhielt hier 1764 die Approbation durch das Obercollegium medicum. In seiner Frankfurter Zeit ab 1756 rief er zusammen mit einem Studienfreund eine Gesellschaft der angenehmen Wissenschaften ins Leben, deren Existenz jedoch durch den Siebenjährigen Krieg endete. Wie schon erwähnt, unterhielt Martini auch in Berlin ab 1764 eine Journalgesellschaft, die bis zu seinem Tod bestand. Er trat als Herausgeber von Zeitschriften und als Autor in Erscheinung. Bislang ist nicht bekannt, ob Martini in einer Freimaurerloge engagiert war. Allerdings zeigt bereits die von ihm in seiner Heimatstadt gegründete Gesellschaft der Verschwiegenen freimaurerische Züge, indem deren Ziel „Selbstbesserung" durch gegenseitige Mitteilung eigener und der Fehler anderer sowie die Vereinbarung unbedingter Verschwiegenheit darüber war.51 Sein Wissen über Geheimgesellschaften kann anhand seiner Bibliothek nachgewiesen werden, worin sich 29 Werke freimaurerischen Inhalts befanden.52

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Neugebauer-Wölk, (wie Anm. 47), S. 188; zum Verhältnis von Sinnlichkeit und Vernunft im 18. Jahrhundert siehe auch Hartmut und Gernot Böhme, Das Andere der Vernunft. Zur Entwicklung von Rationalitätsstrukturen am Beispiel Kants. Frankfurt/M. 1996, besonders Kapitel I „Die fremde Natur", S. 27-80. Die biographischen Einzelheiten sind hauptsächlich entnommen bei Goeze, (wie Anm. 19). Der Vater Johann Benjamin Martini (1683-1739) war Superintendent der St. Michaelis-Kirche in Ohrdruf / Thüringen. Goeze, (wie Anm. 19), S.20f. [Martini], Verzeichnis Bibliothek, (wie Anm. 15), S. 138-190 (Abschnitt X „Historische Werke, Teil Β „Freimaurerische Schriften").

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Als Naturforscher hatte er sich vor allem auf dem Gebiet der Konchyliologie einen Namen gemacht. Die umfangreiche Arbeit in diesem Fach fand insbesondere in seinem vielbändigen Conchylien-Cabinett Ausdruck, in dem Martini ein eigenes System der Muschel- und Schneckenschalen entwickelt.53 Den ersten, 1769 erschienenen Band dieses reich illustrierten Werkes widmete er der Berliner Akademie der Wissenschaften. Sein Lehrer Gleditsch setzte sich an der Akademie für Martini ein, indem er um die königliche Approbation fur dessen Konchylienwerk bat.54 Nachdem Gleditsch als Kustos des Kabinetts 1769 den Auftrag zur Inventur und Neuordnung desselben erhalten hatte, übertrug er Martini den konchyliologischen Teil der Sammlungen. Dieser fertigte einen handschriftlich vorliegenden Katalog an,55 worin er die Molluskenschalen nach seinem System ordnete, auch Empfehlungen für Erhalt oder Aussonderungen von Sammlungsstücken aussprach sowie selbst eigene Stücke zur Vervollständigung in die königliche Sammlung gab.56 Gleditsch erwähnte in seiner Vorrede zum (unvollständigen) Gesamtkatalog von 1770 ausdrücklich Martinis Verdienste und die Einführung seiner konchyliologischen Systematik. Auch Martini schreibt in der Widmung zu seinem Konchylienkabinett von der reichen und gewachsenen königlichen Sammlung, die er zur Vervollständigung seines umfassenden Werkes genutzt habe.57 Seine wissenschaftlichen Leistungen wiesen Martini bei den Mitgliedern der Akademie als einen hervorragenden Gelehrten der Naturgeschichte aus. Jedoch würdigte man mitnichten seine Aktivitäten beispielsweise durch eine Aufnahme in die Akademie. Umgekehrt konnte Martini aufgrund seiner Arbeit in den akademischen Sammlungen ein eigenes Bild vom Zustand des Naturalienkabinetts bzw. der Wertschätzung gegenüber der Naturgeschichte entwickeln. Seine Ansichten darüber vermittelt ein in den Mannigfaltigkeiten erschienener Aufsatz unter dem Titel „Vom Nutzen und der Nothwendigkeit öffentlicher Naturalienkabinette fur einen Staat", bei dem es sich um den übersetzten und kommentierten Text eines bereits 1766 von M. Madoneti in St. Petersburg publizierten Aufsatzes handelt.58 Darin erläutert der Autor ausführlich die Gründe für das Anlegen von Naturaliensammlungen und deren Nützlichkeit nicht nur für die Wissenschaft, sondern für den

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Martini, Conchylien-Cabinet, (wie Anm. 5). Protokolle der Sitzungen der Akademie der Wissenschaften Bd. 2: 1766-1786, Eintrag vom 10. März 1768. Catalogus Systematicus Marinorum in Museo Academico Regio Berolinensi reperiundorum, contineus Descriptiones [...] 1769; unterzeichnet von Martini und Gleditsch am 2. Dezember 1769. Catalogus Rerum Naturalium et Artiflcatum quae Servantur in Museo Academiae Regiae Scientiorum Berolinensis 1770; Vorrede zum Konchylienteil, Bl. 32-33. Martini, Conchylien-Cabinet, (wie Anm. 5), Widmung im ersten Band, nicht paginiert. Friedrich Heinrich Wilhelm Martini, Vom Nutzen und der Nothwendigkeit öffentlicher Naturalienkabinette für einen Staat, in: Mannigfaltigkeiten 2 (1771), S. 663-674, 679-690; hier S. 666, Fn. a. Der Originaltitel lautete „Discours sur l'utilite des cabinets d'histoire naturelle dans un etat et principalement en Russie".

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Staat und dessen Bürger. So würde ein Kabinett als „Schule des Geschmacks [...] zur Verbesserung der Sitten und Denkungsart" beitragen, gleichermaßen aber durch die angesammelten natürlichen Reichtümer Ruhm und Ansehen der Gelehrten und des Staates fordern. Der polemische Ton seiner Ausführungen legt den Schluß nahe, daß sich der Autor damit direkt an den preußischen Staat unter Friedrich II. richtete.59 Offenbar mißfiel Martini die gegenwärtige Situation der Naturgeschichte in Berlin. Noch 1775 teilte er dem Prinzen von Schwarzburg-Rudolstadt seine Unzufriedenheit offen mit, nachdem dieser sein Interesse an den Aktivitäten der GNF bekundet hatte. Er schrieb, nachdem an unserm [dem preußischen, K.B.] ganzen Hofe die vollkommenste Gleichgültigkeit gegen die Naturgeschichte so wohl, als gegen die Verehrer derselben herrschet, folglich alle Arten von Aufmunterungen oder Unterstützungen in diesem reizenden Fache hier gänzlich wegfallen, war es für unsere hiesige[n] Naturforscher ein zehnfacher Trost zu sehen, daß die Natur doch noch in andern Gegenden ihre Durchlauchtigen Verehrer hat. Eine Wissenschaft, die uns durch alle Ewigkeiten hindurch den erhabensten Stoff zu den reizendsten und nützlichsten Betrachtungen anzubieten, zugleich aber das Gepräge des wahrsten Gottesdienstes hat, wäre diese nicht allemal eine würdige Neben[be]schäftigung, auch für die allerdurchlauchtigsten, für die erhabensten Seelen?60

Die Situation an der Akademie unterstreicht diese Aussage. Friedrich II., der noch zu Beginn seiner Regierungszeit für Reformen und Neuordnungen eingetreten war, hatte zunehmend Einfluß auf die wissenschaftlichen Aktivitäten dieser Einrichtung genommen, vor allem hinsichtlich der Zuwahl neuer Mitglieder. Unter seiner langjährigen Präsidentschaft wurden nur 18 Gelehrte als ordentliche Mitglieder in die Akademie aufgenommen.61 Eine Wahl des bekannten Berliner Aufklärers Moses Mendelssohn scheiterte beispielsweise am Widerstand des Königs; statt dessen nutzte Friedrich II. die Akademie für seine Interessen in der auswärtigen Politik, indem er Katharina II. von Rußland aufnehmen ließ.62 Die Gründung der GNF läßt sich offenbar nicht nur mit der zunehmenden Popularität der Naturgeschichte im 18. Jahrhundert erklären. Vielmehr scheint das offenkundig fehlende Interesse an diesem Fach und das daraus resultierende Desiderat in den Diskussionen und Tätigkeiten der Akademie einen Anlaß zur Gründung der GNF geboten haben.63

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Für diesen Schluß spricht auch die Tatsache, daß der Aufsatz in den Mannigfaltigkeiten anonym erschien. Er ist lediglich mit einem „M" unterzeichnet, woraus aufgrund anderer, identifizierter Aufsätze auf die Autoren- bzw. Herausgeberschaft Martinis geschlossen werden kann. Martini an Prinz Karl Friedrich von Schwarzburg-Rudolstadt am 17. Januar 1775 (Brief im Naturhistorischen Museum Rudolstadt / Thüringen, unpaginiert). Conrad Grau, Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Eine deutsche Gelehrtengesellschaft in drei Jahrhunderten. Heidelberg u.a. 1993, S. 106. Grau, (wie Anm. 61), S. 108. Diese These bereits bei: ebd., S. 111.

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Wie die Aufzählungen bei Nicolai belegen, gab es in Berlin eine Vielzahl naturhistorischer Sammlungen im privaten Besitz.64 Auch findet dort die GNF als Gelehrtengesellschaft Erwähnung, deren Mitglieder Privatvorlesungen zur Naturgeschichte hielten, wobei die genannten Bode, Gerhard und Gleditsch auch ordentliche Akademiemitglieder waren. Das Kabinett der GNF wird aufgrund seiner Vielfältigkeit und seines schnellen Anwachsens hervorgehoben. Dagegen wird das Kabinett der Akademie nur kurz erwähnt, und es werden allein die von Gleditsch und Martini bearbeiteten Sammlungsteile (Herbarium und Konchylien) benannt. Die Besitzer der privaten Sammlungen führt Nicolai im Unterschied dazu detailliert auf und beschreibt ihre Kabinette ausführlich. Sie sind in der Regel ordentliche Mitglieder der GNF, wie zum Beispiel Markus Elieser Bloch, Johann Christian Ebell, Karl Ludwig Gronau (1742-1826) oder Friedrich Wilhelm Siegfried. In Berlin waren es also die Wohnungen gelehrter Bürger, in denen naturhistorische Sammlungen aufgebaut wurden. Vor diesem Hintergrund wird Martinis Intention zur Gründung der GNF plastisch. Ein vordergründiges Ziel war, die in der Stadt verstreuten, privaten naturhistorischen Sammlungen weiteren Kreisen gelehrter Bürger zugänglich zu machen.65 Die Mitgliedschaft in der GNF gewährleistete diesen Zugang, indem die Gesellschaft ihre Aktivitäten zunächst auf die Wohnungen ihrer Mitglieder, in denen in der Regel die Sammlungen aufbewahrt wurden, beschränkte. Diese Funktion verweist darüber hinaus auf das Verhältnis von Staat, Freimaurerei und Wissenschaft bzw. Naturgeschichte. Als Privatgesellschaft mit quasi freimaurerischer Struktur schuf die GNF einen Freiraum, in dem sich Menschen unabhängig von ständischer Herkunft und Religion allein aufgrund ihrer gemeinsamen Interessen zusammenfinden konnten. 66 Dabei wirkten der zumindest in der Anfangszeit gegebene konspirative Charakter von Mitgliedschaft und Zusammenkünften in den Wohnungen als „Geheimnis" und die mit diesem gemeinschaftlichen Interesse begründete Freundschaft bindend und identitätsstiftend. 67 Die in diesem Freiraum gegebene Gleichheit entzog die Mitglieder der traditionalen ständischen Ordnung und staatlicher Gewalt. Gleichzeitig war die Gründung einer 64 65

66

67

Nicolai, (wie Anm. 38), S. 523ff., 570ff., 597ff. Friedrich Heinrich Wilhelm Martini, Plan zu einer gemeinnützigen Journalgesellschaft, in: Mannigfaltigkeiten 2 (1771), S. 367-773, 383-392. Vgl. zum Begriff des Freiraums die Ausführungen bei Reinhart Koselleck, Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt. Frankfurt/M. 8 1997, S. 49-103. Der für die frühen GNF-Mitglieder gegebene konspirative Charakter der Zusammenkünfte zeigt sich u.a. darin, daß beispielsweise die im Staatsdienst stehenden Reimari, Siegfried und Ebell für das erste Mitgliederverzeichnis ihre Identität nicht preisgeben wollten, stattdessen nur ihre Initialen angegeben hatten (21. Januar 1775, TB I 1773-76, S. 166-168). Außerdem belegt ein Vorfall die damalige Brisanz derartiger Gründungen. Ein von der Gesellschaft nicht autorisierter Zeitgenosse hatte um Mitglieder geworben und die Gesetzentwürfe in der Öffentlichkeit vorgezeigt, was unter den GNF-Mitgliedern zu Verängstigung und dem Beschluß führte, in Zukunft unbedingtes Stillschweigen über ihre Aktivitäten zu bewahren (26. Oktober 1773, TB I 1773-1776, S. 50-54).

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derartigen Gesellschaft Manifestation der Kritik an den bestehenden Verhältnissen, wie sie bereits im oben beschriebenen Aufsatz Martinis zum Ausdruck gekommen war. Die Protektion des Königs stand dazu keineswegs im Widerspruch, handelten doch die Mitglieder damit gemäß freimaurerischen Grundsätzen, wonach auch der Freimaurer ein „friedliebender Untertan der bürgerlichen Gewalt" sei und sich „nie in Meuterei oder Verschwörung gegen den Frieden oder die Wohlfahrt der Nation einlassen, noch sich pflichtwidrig gegen die Unterobrigkeiten betragen" solle.68 Friedrich II., der bereits seit 1738 Mitglied einer Loge war, unterstützte die freimaurerische Ethik und die spezifische Auffassung von Freiheit, Toleranz und Brüderlichkeit. Auch wenn er selbst nicht aktiv war, so bekräftigte Friedrich II. noch 1774 das tolerante Verhältnis des Staates zur Freimaurerei, insbesondere gegenüber der anerkannten Mutterloge Zu den drei Weltkugeln,69 Seine Kritik in späteren Jahren richtete sich vor allem gegen den aufkommenden Mystizismus und das Wuchern der Grade innerhalb der Logen. Dagegen blieb er den genannten ethischen Grundsätzen bis zu seinem Tod treu, sah er doch darin einen Weg der Erziehung getreuer Untertanen.70 Mit der Protektion des Königs wurde einerseits der Schutz der Gesellschaft von außen gewährleistet. Andererseits konnte die Freiheit innerhalb solcher Vereinigungen die Möglichkeit bieten, Toleranz, Brüderlichkeit und individuelle Potentiale zu entfalten, also bürgerliche Verhaltensweisen einzuüben. Die GNF bot damit einen Freiraum, in dem sich durch das engagierte Interesse gelehrter Bürger die Naturgeschichte als Wissenschaft entwickeln konnte.

4.

Naturgeschichte und das „Buch der Natur"

Worin bestanden neben den institutionell realisierten Verbindungen zwischen Freimaurerei und Naturgeschichte nun die ideellen Parallelen dieser beiden Bereiche? Diese können besonders anhand der Schriften Martinis herausgearbeitet werden. 1771 unterbreitete Martini in den wöchentlich erscheinenden „Mannigfaltigkeiten " den „Plan zu einer gemeinnützigen Journalgesellschaft", worin er das Bild einer barock anmutenden, mit „Früchten und Gewächsen [und] heilsamen Düften" angefüllten Landschaft der „nützlichen und angenehmen Wissenschaften" zeichnete.71 Sie sei das „Paradies der Vernunft [...] Der wahre Gelehrte ist in diesem ge68 69

70

71

Aus der 2. Pflicht nach James Anderson, zitiert nach Bernardo, (wie Anm. 24), S. 77. Karlheinz Gerlach, Die Berliner Freimaurer 1740-1806. Zur Sozialgeschichte der Freimaurerei in Brandenburg-Preußen, in: Erich Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt. Bd. 4: Deutsche Aufklärung. Weimar u.a. 1997, S. 433-453, hier S. 434—436. Rüdiger Hachtmann, Friedrich Π. von Preußen und die Freimaurerei, in: Historische Zeitschrift 264 (1997), S. 21-54, hier S. 43, 46. Martini, (wie Anm. 65), S. 367f.

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segneten Reiche zu Hause". 72 „Zu Hause" war der Gelehrte der Naturgeschichte aber vor allem in einem Naturalienkabinett, das als „Werkstatt des Weisen" die Natur in einem Punkt vereinige und auf diese Weise auch das Studium des „Buches der Natur" erleichtere.73 Ein solches Kabinett gebe außerdem die Möglichkeit zur Verbesserung der Sitten, sei für die Bildung des Geschmacks unentbehrlich und diene der Bekehrung Gottloser. 74 Wollte Martini mit der GNF ein solches „Paradies der Vernunft" etablieren, indem er mit ihrem Konzept Naturgeschichte und Religion vereinte? An anderer Stelle schreibt Martini, was er unter Religion verstand: [...] aus dem aufgeschlagenen Buche der Natur göttliche Weisheit und edle Ruhe der Seele lernen; - durch die sichtbaren Besorgungen unendlich mannigfaltiger Geschöpfe sein empfindendes Herz mit wahrem Vertrauen zur Vorsehung Gottes anzufüllen; - durch die jubilierenden Stimmen unzähliger Geschöpfe sich zu beständigem Lobe der Allmacht reitzen zu lassen ungestört zu betrachten - zu bewundern anzubeten? Sind dieses wohl die vornehmsten Vortheile die vom Landleben vorzüglich gerühmt werden? Sie sollten es seyn. Und, oh wie glücklich, Palaemon! ich fühle, daß Sie es sind. Unsere Religion, Palaemon, ist lauter Freude. Die große Schöpfung Gottes aufmerksam betrachten; den Schöpfer in stiller Ehrfurcht anbeten, das ist Religion [...]. 75

Dieses Zitat illustriert sein Natur- wie Religionsverständnis eindrücklich. Es zeigt, welche Nähe Martini zwischen Gottesschau und natürlicher Ordnung sieht und welche sinnliche Befriedigung er aus der Beschäftigung mit der Natur gewinnt. Für ihn ist Naturbetrachtung nicht nur Erkenntnisgewinn, sondern Gottesdienst. Die harmonisch gesehene Natur und die durch Gott geschaffene (abgestufte) Vollkommenheit der Organismen haben für ihn Vorbildwirkung; anstatt der Bibel repräsentiert hier das „Buch der Natur" die moralische Instanz. Daran orientierten sich Martinis wissenschaftliches Interesse und seine individuellen emanzipatorischen Bestrebungen. Auf diese Weise verbindet er das Moment der auf vernünftigen Grundsätzen basierenden Wissenschaft mit dem der gefühlsbetonten Gotteserfahrung. Anhand verschiedener („erbaulicher") Schriften Martinis kann dieser deistische Grundgedanke, dessen Wurzeln in der Physikotheologie des 16. und 17. Jahrhunderts liegen, nachgewiesen werden. 76 Sie sind zumeist durch eine ausschweifende, geradezu überschwengliche Sprache gekennzeichnet. Dieser gefühlsbetonte Sprachstil läßt den auch in der Freimaurerei vorhandenen Ansatz der Einheit von Erkenntnis und Gefühl erkennen. Er verdeutlicht das abgewandelte Vernunftkon72 73 74 75

76

Ebd., S. 367. Martini, (wie Anm. 58), S. 669. Ebd., S. 668, 672, 679. Friedrich Heinrich Wilhelm Martini, Der Frühling im Thal. Hg. v. Karl Tiebel. Magdeburg 1796, S. 33; Palaemon oder Palaimon ist in der griechischen Mythologie der in eine Meeresgottheit verwandelte Melikertes, Sohn des Athamas und der Ino. Ebd. und ders., Morgengedanken in der Einsamkeit, in: Mannigfaltigkeiten 2 (1771), S. 791— 800.

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zept, das neben dem rationalen Denken die sinnliche Erfahrung einschließt.77 Diese „Variante des Vernunftdenkens" (Neugebauer-Wölk), setzte man den Sprachstil als ein Kriterium ein, scheint auch von Martini wahrgenommen worden zu sein. In der Einleitung zu seiner Allgemeinen Geschichte der Natur in alphabetischer Ordnung erläutert er ausführlich die Umstände, die ihn zu diesem Werk veranlaßt haben.78 Ausgangspunkt war die Anregung seines Verlegers Joachim Pauli (gestorben 1779), eine Übersetzung des Werkes von Vallmont de Bomare (1731-1807) anzufertigen.79 Martini zog es zwar vor, eine eigene neue Naturgeschichte zu schreiben, jedoch orientierte er sich grundsätzlich an Bomare, da „seine Nachrichten weit von der abschreckenden Trockenheit entfernt sind, welche man in den meisten alphabetischen Werken dieser Art bemerket".80 Allerdings bewegten Martini auch Mängel an dieser Vorlage dazu, ein eigenes Werk anzufertigen. Hauptsächliches Hindernis für die Verbreitung dieses Buches war für ihn, daß es sich um einen französischen Titel handelte, der in der Regel nur Trivialnamen und keine wissenschaftlichen (lateinischen) Bezeichungen der Organismen enthalte. In der Übersetzung der angegebenen französischen „Kunstworte" sah er eine besondere Schwierigkeit. Auch auf Abbildungen sei vollständig verzichtet worden, was Martini besonders kritisierte, da „die Natur [...] gesehen oder durch die Sinnen erkannt, nicht bloß aus Beschreibungen erlernet seyn [will]".81 Die Einleitung zu diesem naturhistorischen Werk ist in gleicher Weise von deistischen Gedanken geprägt: „Wo soll er [der Mensch, K.B.] ihn [den Schöpfer, K.B.] sicherer, als in seinen Werken finden?"82 Daneben erscheint aber noch ein anderes Konzept, das die gesamte Naturgeschichte dieser Zeit prägte. Es ist die Idee der „Kette der Wesen", die sich durch die Schriften Martinis wie ein roter Faden zieht. Ausdruck dieser Idee sind die Annahme der Fülle in der Natur, der Kontinuität von der unbelebten über die belebte Natur bis hin zu außerirdischen Welten sowie die Abstufung der Organismen von der Einzelzelle bis zum Menschen, die in lückenloser Reihe miteinander verbunden sind.83 Dieses Konzept, dessen Wurzeln im Neuplatonismus liegen, wurde über Mittelalter und Renaissance tradiert und prägte die biologischen Theorien der Neuzeit. Insbesondere die Idee der ausgefüllten Natur wirkte auf die Naturforschung belebend, da durch sie die Suche nach unentdeckten Lebewesen und den Zwischenformen zwischen den Naturreichen inspiriert wurde. Vor allem die Werke Charles Bonnets oder Georges

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Neugebauer-Wölk, (wie Anm. 47), S. 189f. Martini, (wie Anm. 17), Bd. 1, S. VH-XXXVI. Jacques Christophe Valmont de Bomare, Dictionnaire Raisonne Universel D'Histoire Naturelle. Tome 1-12, 2. Auflage mit Zusätzen von A. von Haller u.a. Paris 1768. Martini, (wie Anm. 17), Bd. 1, S. ΧΠΙ. Ebd., S. XIX. Ebd., S. Vnf. Arthur O. Lovejoy, Die große Kette der Wesen. Geschichte eines Gedankens. Frankfurt/M. 1993 (erstmals engl. 1936).

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Buffons, die die Vorstellung von der „Stufenleiter der Lebewesen" in eigenen Systemen ausarbeiteten, hatten weitreichenden Einfluß auf die Entwicklung der biologischen Systematik. Martini selbst verweist auf die naturhistorischen Enzyklopädien dieser und anderer Autoren, auf die er bei seiner Ausarbeitung zurückgegriffen habe.84 Darüber hinaus können auch in anderen Schriften Martinis infolge der genannten Prämissen weitergehende Vorstellungen über die Natur nachgewiesen werden, die aus der Idee der „Kette der Wesen" resultieren. So existierten auch für ihn neben der Erde noch weitere Welten, sei die Natur zu menschlichem Vorteil eingerichtet und nehme der Mensch in der Reihe der irdischen Geschöpfe einen „hohen Rang" ein.85 Für Martini hält die „Schule der Natur" als „jenem göttlichen Buche himmlische Weisheit [...] und selige Wollust" bereit.86 Führt ihn also die Sinnlichkeit der Naturbetrachtung zur Erkenntnis höherer, d.h. göttlicher Weisheit?

5.

Naturgeschichte und Esoterik

Die Suche nach dieser „höheren Weisheit" übte grundlegenden Einfluß auf die Naturforschung in der Aufklärung aus. Stellte in vergangenen Zeiten der Glauben diese Teilhabe an der göttlichen Allmacht und Vernunft her, so sollte mit der Aufklärung eine vernunftgeleitete Erkenntnis den Zugriff auf das Tanszendente ermöglichen. Im Unterschied zu gegenwärtigen Auffassungen von Vernunft vermengten sich in diesem Zeitalter Rationales und Irrationales, wurde die Vernunft ein Teil des Glaubens. Der Kern dieser Strömung ist esoterisches Denken, welches das Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis mit innerer Erleuchtung verbindet. Diese Synthese aus Glauben und Wissen, die ihre Wurzeln in der griechischen Gnosis hat, wurde durch die Antikerezeption am Beginn der Neuzeit in der europäischen Kultur tradiert. Dabei gewährleistete die Sammlung und Übersetzung antiker Autoren in der Renaissance die Teilhabe am „höheren Wissen" und bewirkte die Vorstellung eines Zusammenhangs dieser Autoren bis in die Neuzeit. 84

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Martini, (wie Anm. 17), Bd. 1, S. ΧΙ-ΧΠΙ; neben Buffon und Bonnet werden z.B. noch Lazzaro Spallanzani, Johann Gottlieb Gleditsch, Peter Simon Pallas, Johann Ernst Immanuel Walch, Johann Beckmann, Johann Christian Polycarp Erxleben genannt; vgl. dazu Lovejoy, (wie Anm. 83), S. 221-250. „O nimm von mir, ewige Allmacht! von mir, gegen dich einen Wurm, aber unter deinen Geschöpfen ein Monarch, nimm von mir den schwachen Dank mit heiligem Beyfall an, daß du unter der Reihe deiner Geschöpfe mir einen so hohen Rang gegeben. Millionen Geschöpfe was sage ich? eine Anzahl, die sich durch Millionen vervielfältigen läßt, brachte ein allmächtiger Gedanke von dir zu meinem Nutzen, zu meinem Vergnügen hervor. Ich sollte ihr Herr seyn? - Die Pflichten dieser Herrschaft sind Freude und Anbetung. - O! laß mich, ewiger Beherrscher unzählbarer Welten - mein Vater - laß mich die angewiesene hohe Stelle immer würdig, immer zu deinem Ruhme begleiten." Martini, (wie Anm. 75), S. 17-18; mit ähnlicher Aussage auch in: ders., (wie Anm. 58), S. 666. Martini, (wie Anm. 75), S. 17-18.

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Auch wenn es sich laut Neugebauer-Wölk nicht um eine geschlossene Traditionslinie von der Antike über die Renaissance bis zur Aufklärung handelte, so eignete sich dieses Modell infolge der damit verknüpften Autonomiebestrebungen in besonderer Weise für die im 18. Jahrhundert einsetzende bürgerliche Emanzipation.87 Vor allem die spekulative Freimaurerei vereinigte Emanzipationsbestrebungen mit dieser Esoterik. Das Streben nach „höherem Wissen" fand hier in der Suche nach der durch Gott repräsentierten Moral seine Entsprechung. Die Integration von ratio und psyche in einem ganzheitlichen Menschenbild, die damit verbundene Selbsterfahrung und Vervollkommnung der Persönlichkeit geschieht in der Freimaurerei durch das Durchlaufen der Grade innerhalb der Loge, was in Ritualen von Tod und Wiedergeburt symbolisiert wird. Insofern kann die freimaurerische Ethik als Ausdruck diesseitsgerichteter Transzendenzvorstellungen gedeutet werden. Dazu steht das „konstitutive Interesse an der Naturkunde", das für die spekulative Freimaurerei kennzeichend ist und auf die technisch-handwerklichen Wurzeln der Freimaurerei in den englischen Bauhütten zurückgeführt werden kann, keineswegs im Widerspruch.88 „Vielmehr überlagerten sich hier unterschiedliche Bewußtseinsstufen zwischen einem noch wesentlich magisch geprägten Weltbild und dem modern-rationalen analytisch-distanzierenden Zugang zur Wirklichkeit."89 In der spekulativen Freimaurerei wurden Natur- und spirituelle Selbsterkenntnis und die damit verbundene Möglichkeit von Transformationsprozessen (alchemische Umwandlung von Metallen oder charakterliche Vervollkommnung des Menschen) in Analogie gedacht. Ausdruck dieser Form der Spiritualität ist in erster Linie ihr „Geheimnis", das als ein Weg der auch aus der Mystik bekannten Abgrenzung von Wissen und Nichtwissen gesehen wurde. Die graduelle Teilhabe am „Geheimnis" soll daher hier in Anlehnung an Burkhard Gladigow als eine Ungleichverteilung von Wissen aufgefaßt werden.90 Die Grade in der Freimaurerei entsprechen solchen abgestuften Erkenntnisgraden. Auch das menschliche Streben nach der Teilhabe an der göttlichen Weisheit impliziert eine derartige Abgestuftheit. Die Welt als Ausdruck dieser göttlichen Weisheit wird so, anders formuliert, zur geheimnisvollen Natur. Entsprechend konstituiert sich Naturforschung, um jene Naturgeheimnisse zu entschlüsseln.91 Dabei werde das Naturgeheimnis erst unter dem Blick des Neugie87

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Zum Verständnis eosterischen Denkens im 18. Jahrhundert und den Begriffen „Höhere Vernunft" bzw. „Höheres Wissen" siehe Neugebauer-Wölk, (wie Anm. 25 und 47). Hardtwig, (wie Anm. 47), S. 307. Ebd. Burkhard Gladigow, Vom Naturgeheimnis zum Welträtsel, in: Aleida und Jan Assmann (Hg.), Geheimnis und Neugierde. München 1999 (Schleier und Schwelle. Archäologie der literarischen Kommunikation V, 3), S. 77-97, hier S. 78. Zur Rolle des Geheimnisses und der Neugierde bei der Konstituierung der Naturwissenschaften siehe Aleida und Jan Assmann, Die Erfindung des Geheimnisses durch die Neugier, in: dies. (Hg.), Geheimnis und Neugierde. München 1999 (Schleier und Schwelle. Archäologie der literarischen Kommunikation V, 3), S. 7-11.

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rigen hervorgebracht, sei es also Ursprung sämtlichen Erkenntnisstrebens auch in der Naturforschung. Diese Auffassung, die wiederum bis in die griechische Antike zuriickverfolgt werden kann, findet sich u.a. bei Francis Bacon, der es im Novum Organon bekanntermaßen so formulierte: „Gottes Ehre ist es, seine Werke zu verhüllen, die Ehre des Königs ist es, sie zu erforschen."92 Sinnbild dieses Geheimnisvollen ist also die Verhüllung, der Schleier. In bildlichen Darstellungen symbolisiert eine verschleierte Artemis Ephesia oder die ägyptische Isis die geheimnisvolle Natur, ein Bild, das in der Naturforschung des Barock vielfach Verwendung fand.93 Es findet sich auch noch in der Naturgeschichte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Symbolik des Siegels der GNF wurde bereits eingehend erläutert. Es soll hier darüber hinaus ein ursprünglich vorgesehenes Bild, das in den Tagebüchern der Gesellschaft erhalten ist, besprochen werden94 (Abb. 2). Dieser von Martini eingebrachte Entwurf zeigt (im Hintergrund) eine „Diana Ephesia" als Sinnbild der Natur.95 Nun wird die griechische Göttin Diana mit Artemis gleichgesetzt, ebenso zeigt die Darstellung dieser Frauengestalt die typischen Merkmale der vielbrüstigen Artemis von Ephesos.96 Der Schleier allerdings fehlt hier. Er erscheint auf dem Titelkupfer zu der schon besprochenen Allgemeinen Geschichte der Natur in alphabetischer Ordnung von Martini (Abb. 3). Dieses wiederum von Chodowiecki gefertigte Bild zeigt ebenfalls eine Artemis von Ephesos. Diesmal trägt sie einen Schleier und wird zusätzlich von Wolken verhüllt. In der linken Hand hält sie eine Kugel. Die Wolken, die sich vor ihr Gesicht zu schieben drohen, werden von einem beflügelten „Sensenmann" [d.i. der Tod] zurückgehalten. Die Aussage dieses Sinnbildes ist so mystisch wie einfach: Ziel des Naturforschers ist es, die Rätsel der geheimnisvollen Natur zu lösen. Zu diesem Ziel fuhren ihn nicht nur rationale Erkenntnis, sondern auch Transzendenz. Diese Transzendenz bestand, wie bereits oben ausgeführt, in der Suche nach der höheren Weisheit auf dem Wege sinnlicher Naturerfahrung und Erleuchtung. Nun wirkt aus heutiger Sicht diese Art von Naturforschung eher befremdend, jedoch scheint sie für die Zeitgenossen Martinis ein ganz zwangloser Weg gewesen zu sein. Wie die Aktivitäten der GNF-Mitglieder deutlich zeigen, standen für sie rational-empirische Naturforschung und sinnlich-mystische Naturerfahrung durchaus nicht im Widerspruch. Ist nicht die eingangs beschriebene Szene ein Beleg dafür? Zwar sind es nicht Artemis oder Diana, die hier auf überschwengliche Weise verehrt werden. Aber auch der Göttin Kybele kann aus der antiken Mystik die gleiche Symbolkraft 92 93 94 95 96

Zitiert nach Assmann, (wie Anm. 91), S. 8. Gladigow, (wie Anm. 90), S. 86-87. TB 1 1773-76, S. 18. TB 1 1773-76, S. 16-19. Zur Symbolik und Darstellung griechischer Göttinnen siehe u.a. Patricia Monaghan, Lexikon der Göttinnen. Ein Standardwerk der Mythologie. Bern u.a. 1997.

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zugeordnet werden. Sie verkörpert ähnlich wie Artemis die Fruchtbarkeit, deren Urspung phrygisch ist. In bildlichen Darstellungen meist als Magna Mater im bunten Gewand mit ihrem männlichen Gefolge dargestellt, verkörperte sie die „Mutter Natur". Ihr Kult wurde besonders in Rom in orgiastischen Festen gefeiert, bei denen sich ihre Priester in mystischer Leidenschaft selbst entmannten.97 Auch die ägyptische verschleierte Isis, die bereits als Symbol für die geheimnisvolle Natur erschien, wird mit Kybele gleichgesetzt.98 Kybele als Symbol für Erde und Natur ist hier also das Zentrum des „Tempels der Natur", in dem der „wiedererstandende" Martini in hingebungsvoller Weise gefeiert wird. Verweist dieser „Tempel der Natur" überdies auf die frühen Wurzeln der modernen (insbesondere sammlungsbasierten) Naturforschung?

6.

Naturgeschichte und Traditionen

Für die Naturgeschichte sind das Sammeln, Ordnen und Aufbewahren von Naturalien charakteristisch. Ihre materiale Entsprechung fanden diese Tätigeiten in den besonders im 18. Jahrhundert weit verbreiteteten Naturalienkabinetten, die im 19. Jahrhundert vielerorts durch z.T. große naturkundliche Sammlungen in Museen abgelöst wurden. Die nach dem „Entwurf der Natur" in eine „koncentrierte Ordnung"99 gebrachten naturhistorischen Kabinette sollten möglichst vollständig alle Formen der Natur, also des Mineral-, Pflanzen- und Tierreiches in sich aufnehmen; sie waren quasi Macrocosmos in Microcosmo}00 Historisch ist die Vorstellung der Makrokosmos-Mikrokosmos-Parallele, die vor allem durch die Analogisierung von Organismus und Weltganzem sowie die Annahme von Transformationsprozessen in der Natur und dem Menschen gekennzeichnet ist, mit der Idee der „Kette der Wesen" verknüpft.101 Die Verwandtschaft dieser beiden Modelle wird in erster Linie durch das Prinzip der Kontinuität getragen, das sowohl die geistige Grundlage für die Makrokosmos-Mikrokosmos-Analogie bildet als auch die Idee der Kette der Wesen auszeichnet.102 Es sei noch einmal wiederholt, daß auch das Prinzip der Abgestuftheit der Organismen und der Fülle in der Natur für letztere kennzeichnend sind.

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Monaghan, (wie Anm. 96), Art. Kybele, S. 160-162; Lexikon der Antike. Hg. v. Johannes Irmscher in Zusammenarbeit mit Renate Johne. Leipzig 1987, Art. Kybele, S. 322. Lexikon der Antike, (wie Anm. 97), Art. Isis, S. 271 f. Martini, (wie Anm. 58), S. 668. So der Titel eines Buches, das die Geschichte des Sammeins in der Frühen Neuzeit zum Inhalt hat. Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammeins 1450 bis 1800. Hg. v. Andreas Grote. Opladen 1994. Vgl. dazu u.a. Ilse Jahn (Hg.), Geschichte der Biologie. Jena u.a. 3 1998, S. 163. Ebd., S. 53.

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Wie bereits beschrieben, sind die Ideen von Kontinuität und Abstufung sowohl für die Naturgeschichte als auch das esoterische Denken dieser Zeit kennzeichnend und prägend. Kontinuität impliziert dabei einen Zusammenhang, der hier sowohl fiir Organismen als auch für Gelehrte gesehen wurde. Diese Kontinuität provozierte wiederum Fragen nach Ursprung und Herkunft, und infolgedessen nach Überlieferung. Überlieferung ist nun hier, wie im modernen Geschichtsverständnis, Ausdruck eines Handlungsmusters, das die Übergabe von Objekten, Inhalten oder Bedeutungen beschreibt. Sie ist also Tradition, die vor allem mit dem Übergang zur Moderne ihre Bedeutung als gleichsam subjektiv erfahrbare Geschichte erhielt.103 An den Wänden des „Tempels der Natur" hingen sechs Bildnisse berühmter Naturforscher; Martini war einer von ihnen. Offenbar sah er nicht nur in der Natur eine Stufenfolge der Wesen, sondern auch seine Zeitgenossen ihn (bzw. er sich selbst) in einer „Kette der Weisen".104 Diese spirituelle Bezogenheit auf andere Autoren ist nicht nur ein Merkmal esoterischen Denkens in der Frühen Neuzeit, sondern kennzeichnet auch die Aktivitäten der Naturforscher speziell auf dem Gebiet der Naturgeschichte. Das verdeutlicht wieder Martinis Geschichte der Natur, in deren Einleitung er sich ausdrücklich auf die Werke von Vorgängern und Zeitgenossen beruft. Auch die bei Bomare kritisierten fehlenden Quellenangaben, die Martini beispielsweise auf den beigefügten Abbildungen sorgfaltig angibt, sind Ausdruck dieser notwendigen Bezogenheit. Er begründete sie vor allem damit, daß ein Einzelner die Erfassung, Benennung und Ordnung aller Organismen gar nicht leisten könne, es vielmehr „viel tausend Beobachter und viele Jahrhunderte" benötige, das Wissen über die „Geschöpfe des Unendlichen" zusammenzutragen.105 Die notwendige Bezogenheit auf andere, frühere Autoren bringt also ein Traditionsbewußtsein hervor, das für die Naturgeschichte charakteristisch scheint. Dieses Bewußtsein wurzelt sowohl in den genannten biologischen Theorien als auch in der mit dem Aufbewahren und Sammeln verbundenen Materialität und dem Überdauern naturhistorischer Sammlungen. Gewachsene und umfangreiche Sammlungen, unabhängig davon, ob in ihnen Naturalien, Bücher oder Archivalien aufbewahrt werden, nötigen den Forscher zur Auseinandersetzung mit seinen Vorgängern. Um die vorhandenen Sammlungen nutzen zu können, das heißt, die Anordnung der Objekte zu erkennen und aufbewahrte Stücke wiederzufinden, ist eine genaue Kenntnis der zugrundegelegten (biologischen) Systematik notwendig. Die mit großen Sammlungen zumeist einhergehende gewisse Trägheit der Materie kann somit ältere Ordnungstheorien über deren Gültigkeit hinaus fixieren. Zudem brin-

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Siegfried Wiedenhofer, Tradition, Traditionalismus, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hg. v. Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck. Band 6. Stuttgart 1990, S. 607-649. Neugebauer-Wölk, (wie Anm. 47), S. 174. Martini, (wie Anm. 17), S. IX-X.

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gen solche Sammlungen zumeist eine Pflege von Handlungsweisen und Arbeitsabläufen mit sich, welche die Erhaltung dieser Sammlungen gewährleisten. Von der Sammlung von Wissen über die Natur als Gemeinschaftswerk mehrerer Generationen ausgehend, erforderten auch die Sammlungsobjekte ein geschichts- und traditionsbewußtes Denken und Handeln. Die Geschichte der GNF könnte dafür ein Beispiel sein. Ein solches Traditionsbewußtsein der in der GNF versammelten Naturforscher illustriert besonders plastisch das oben bereits beschriebene Unterzeichnen und Besiegeln der Grundverfassung. Diese Urkunde beeindruckt vor allem aufgrund der Kontinuität, die sie repräsentiert (1789-1918). Für ihre Symbolkraft bezeichnend ist jedoch, daß sie über einen Zeitraum von ca. 22 Jahren nicht weitergeführt worden ist. Sie war zwischen Anfang der 1830er Jahre und Mitte der 1850er Jahre in Vergessenheit geraten und erst nach dem Tod von Johann Christoph Friedrich Klug (1775-1856), der im Haus der Gesellschaft gewohnt und ihr ,Archiv' verwaltet hatte, wieder aufgefunden worden. 106 Aus diesem Grund unterzeichneten sie die jüngeren ordentlichen Mitglieder der GNF erst nachträglich. 107 Mit diesem Geschehen tritt die inzwischen gegebene ausschließlich rituelle Bedeutung der Grundverfassung hervor, da sie offenkundig nicht mehr unbedingt notwendig für den Aufnahmeritus der ordentlichen Mitglieder war. Stattdessen diente sie als symbolisches Objekt fortan einzig einer säkularen Traditionspflege, wenngleich die mit dem Unterzeichnen der Urkunde im Nachhinein anerkannte Gesetzlichkeit für die Identität der Gesellschaft von hoher Relevanz war. Als wertvollste Quelle veranschaulichen vor allem die Tagebücher der GNF eine über mehr als 200 Jahre gepflegte Tradition, da diese in lückenloser Folge von 1773 bis 1945 vorhanden sind. So dienen sie u.a. schon frühzeitig der Selbstvergewisserung der Mitglieder. Im Jahre 1803 wurde auf Vorschlag des Theologen Johann Friedrich Wilhelm Herbst (1743-1807), seit 1774 Ehren- und 1779 ordentliches Mitglied, eingeführt, zu Beginn jeder Sitzung der ordentlichen Mitglieder aus den ersten, von Martini geführten Tagebüchern vorzulesen. 108 Wie aus den Protokollen hervorgeht, wurde der erste Band der Tagebücher, der Eintragungen von 1773 bis 1776 enthält, tatsächlich bis zu Beginn des Jahres 1806 vollständig verlesen.109 Die mit dem grundlegenden Wandel der Naturgeschichte um 1800 auch in der GNF verbundenen Veränderungen äußern sich hier offenbar in einem Rückgriff auf die Anfänge der Gesellschaft. Welche Bedeutung dabei auch ihrem

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Das letzte, mit seiner Beförderung am 8. März 1831 eingetragene ordentliche Mitglied ist Christian Gottfried Ehrenberg (1795-1876) (TB VOI 1818-1835, S. 322-323). 107 Der in der Zwischenzeit verstorbene Leopold von Buch (1774-1853) konnte jedoch diesen Akt nicht mehr nachvollziehen; er wurde am 14. Januar 1834 zum ordentlichen Mitglied befördert (TB V m 1818-1835, S. 345). In der Urkunde wurde für ihn eine Lücke gelassen. (TB 1856-1922 Geschäftssitzungen, S. 9-10). los T B V I Π99-1807, S. 211-213. 109 Ebd., S. 360-361.

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Stifter zukam, illustriert die im königlichen Münzkabinett vorhandene silberne Medaille zu Ehren Martinis.110 Im Herbst 1823 wurde diese Medaille entliehen, um davon eiserne Abdrücke für jedes ordentliche Mitglied und die gesellschaftliche Münzsammlung anfertigen zu lassen. Das ,Archiv' der GNF als Ganzes vermittelt ebenfalls dieses Traditionsbewußtsein. Es wurde bereits seit der Gründung der Gesellschaft geführt und muß daher als Teil der (naturhistorischen) Sammlungen betrachtet werden. Es zeichnet sich durch eine besondere Dichte der Überlieferung aus, ein Sachverhalt, der die ausgedehnte Sammelleidenschaft der GNF-Mitglieder belegt. In dem ,Archiv' sind Ordnungsstrukturen, die eine auch aus der Naturgeschichte bekannte lexigraphische Ordnung erkennen lassen, bis weit über das „Ende der Naturgeschichte" hinaus erhalten.111 Erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich zunehmend eine chronologische Aufbewahrung der Akten, jahrgangsweise, durch. Von großer Bedeutung für das .Archiv' ist die durch den Besitz des Hauses gewährleistete räumliche Kontinuität, die nach dessen Verkauf mit der Überführung in das Gebäude des Museums für Naturkunde fortgesetzt werden konnte. Diese Traditionen kennzeichnen die Aktivitäten der GNF-Mitglieder und sind für das lange Leben der Gesellschaft von grundlegender Bedeutung. Die mit den im .Archiv' überlieferten schriftlichen Dokumenten verbundenen Handlungen verdeutlichen besonders die damit einhergehende Mentalität der Naturforscher in der GNF. Dieses Traditionsbewußtsein bildet den Hintergrund, vor dem sich im 19. Jahrhundert vor allem der Bedeutungswandel der GNF in einer gewachsenen Reihe gelehrter Gesellschaften und der sich in Einzeldisziplinen ausdifferenzierenden Naturforschung vollzieht. Dabei ist für die GNF kennzeichnend, daß die sich etablierenden experimentellen Wissenschaften wie z.B. die Physiologie ausgeschlossen werden. Stattdessen erhalten sich solche Disziplinen, die nach wie vor sammlungsbasiert arbeiten: die Systematische und Spezielle Zoologie und Botanik, die Geologie, Paläontologie und Mineralogie. Diese Fachgebiete sind in der Regel weiterhin an umfangreiche Sammlungen und eine breite empirische Basis gebunden. Es sind genau diese Fächer, die in der GNF bis ins 20. Jahrhundert hinein erhalten bleiben, so daß es zu einer Schwerpunktverlagerung hin zu den Lebens-

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TB V m 1818-1835, S. 166-174 (Eintragungen vom 12. August bis 18. November 1823). Es kann nur vermutet werden, daß es sich um die an Martinis 48. Geburtstag geschenkte Medaille handelt (siehe Anm. 12). ' " E s wurde zwischen den Tagebüchern der GNF und den sogenannten Beilagen zum Tagebuch unterschieden, die durch Buchstaben und Nummern gekennzeichnet waren. Auf diese Weise konnten und können sämtliche Schriftstücke den in den Tagebüchern protokollierten Handlungen zugeordnet werden. Zu den Veränderungen in der Naturgeschichte durch das Eindringen der Zeit siehe Wolf Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts. München 1976.

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Wissenschaften kommt und alle anderen ursprünglich vertretenen Fachrichtungen wie Chemie oder Astronomie nach und nach wegfallen.112 Mit dem Rückgriff auf das deistisch geprägte Konzept des ,Buches der Natur' in der Naturgeschichte des späten 18. Jahrhunderts entsteht ein Kontinuum speziell für die sammlungsbasiert arbeitende, moderne Naturforschung im 19. Jahrhundert, die sich u.a. in der Bezogenheit auf frühere Autoren ausdrückt. Die Notwendigkeit dieser Bezugnahme resultiert aus dem Vorhaben, die Gesamtheit aller Organismen zu erforschen und zu beschreiben, was ein einzelner - auch heute - nicht leisten kann. Das dafür notwendige Traditionsbewußtsein bildet die Parallele von esoterischem Denken in der Freimaurerei und Naturgeschichte (nicht nur) im Rahmen der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin.

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Chemie und Astronomie wurden bis in die 1870er Jahre durch zwei Professoren der Universität vertreten (August Wilhelm von Hofmann, Wilhelm Förster). Mit deren Austritt aus der Gesellschaft erhielt die GNF ihr dann gültiges Profil.

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Abb 1: Siegel der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin. Die freimaurerische Symbolik zeigt sich insbesondere in dem auf einem Altar liegenden Buch, das hier das „Buch der Natur" ist.

Abb 2: Entwurf zum Siegel der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin. Im Hintergrund zeigt es „Diana Ephesia" als Sinnbild der Natur, im Vordergrund eine in die Betrachtung dieser Figur versunkene Frauengestalt (Bestand GNF, TB I. 1773-1776, ad. p. 19).

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g r t e i m d ) - O e i n t t d ) 2Bilt)c(m M a r t i n i 6tr .'irjneygilaEjrtEjcft 25ofior« imb apptoilrtm ^caftiel jti »rrllrt, bit -JI8mlfdi..gnpf«llilicn 2ffatent? Oer 3}«rarfor|$tr, 6« /flBbti öberlaufifcir pjj5)!Mifi(ifit ©ocfndt SJiiljlietiis unb fctjMn&tjm ©tfcttäre Ott ilrjiätn ©efrilfdwft SJaturfwfiitnbirJtnmCs allgemeine

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Abb 3: Titelkupfer zu Friedrich Heinrich Wilhelm Martini, Allgemeine Geschichte der Natur in alphabetischer Ordnung. Berlin/ Stettin: Joachim Pauli, Bd. 1: 1774. Es zeigt ebenfalls eine Artemis von Ephesos, die hier zusätzlich durch einen Umhang und Wolken verschleiert ist.

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(Berlin)

Antikerezeption im 18. Jahrhundert: Die Gesellschaft der Alterthümer. Ein Beitrag zur Spätaufklärung in Hessen-Kassel Seit fast zweihundert Jahren werden kontinuierlich Negativurteile über die wissenschaftliche Potenz der Societe des Antiquites de Cassel (ab 1785 Gesellschaft der Alterthümer) tradiert. Eine intensive Auswertung der überlieferten Quellen läßt jedoch Zweifel an der Urteilsfindung aufkommen und begründet das Interesse an einer erneuten Gesamtbetrachtung dieser Sozietät. Ihr bisher häufig verkannter Beitrag zur Herausbildung einer hessischen Regionalgeschichtsschreibung macht sie zur Vorläuferin des 1832 gegründeten Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde. Karl Bernhardi prägte die gegenwärtige Meinung mit seinem 1837 erschienenen und bis heute grundlegenden Beitrag über die Gesellschaft der Alterthümer} In seine Darstellung der institutionellen Geschichte bezog er auszugsweise die Quellen ein und legte eine Interpretationslinie fest, die von nachfolgenden Forschern bis in unsere Tage übernommen wurde: Die 1777 auf eine Initiative des Landgrafen Friedrich II. von Hessen-Kassel gegründete Altertümergesellschaft zog in ihrer Anfangsphase das gelehrte Interesse dank der ausgeschriebenen Lobrede auf Winckelmann an, sank jedoch nach dem Tod des Landgrafen zur Bedeutungslosigkeit herab. Mit der Besetzung des Landes durch französische Truppen (1806) war auch der Fortbestand der Sozietät in Frage gestellt. Da sie ihre Nützlichkeit nicht nachweisen konnte, wurden die jährlichen finanziellen Zuwendungen eingestellt. Das bedeutete die sukzessive Auflösung der Gesellschaft. Als 1819 die letzten Finanzen der Gesellschaft aus einer Anleihe der kurfürstlichen Bibliothek überschrieben wurden, war das definitive Ende der Sozietät besiegelt. Die Probleme bei Bernhardis Untersuchung der Societe des Antiquitis liegen in der Ausblendung wichtiger institutioneller Entwicklungsphasen, dem Vertrauen auf die Meinimg von Autoritäten und der ungenügenden Berücksichtigung von Entwicklungstendenzen in der zeitgenössischen Wissenschaft. Völlig unterbelichtet bleiben der Stellenwert und die Originalität der Antikerezeption, der Gründungsmotivation der Gesellschaft. Albert Duncker, Archivar der Landesbibliothek in Kassel, entdeckte am Ende des 19. Jahrhunderts in den nachgelassenen Akten der Gesellschaft eine bis dato unbekannte Preisschrift Johann Gottfried Herders. Er edierte sie und prägte vor allem die Meinung von der ungenügenden wissenschaftlichen Kompetenz der

Karl Bernhardi, Kurzer Abriss einer Geschichte der Gesellschaft der Alterthümer zu Kassel, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde I, Kassel (1837), S. 1-14.

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Gesellschaftsmitglieder. Die nicht prämierte Preisschrift Herders stellte den einzigen Grund dieses Urteils dar.2 Die nachfolgenden Forscher, die sich mit dem geistigen Klima in Hessen-Kassel am Ende des 18. Jahrhunderts beschäftigten, greifen wie selbstverständlich auf die „Klassiker" zurück. Weder Otto Berge noch Jörg Meidenbauer haben in ihren Dissertationen von 1952 und 1991 die Akten der Gesellschaft einer genaueren Auswertung unterzogen.3 Auch bei Wolf von Both und Hans Vogel wird das traditionelle Bild des Kasseler geistigen Lebens auf Grundlage der einzigen publizierten Ausgabe der Memoires de la Societe des Antiquites4 und den Preisschriften von Heyne5 und Herder fortgeschrieben.6 Sogar neueste Darstellungen sehen nicht die Notwendigkeit einer differenzierteren Aufarbeitung der Kasseler Antikerezeption und der einzigen Gesellschaft diesen Typs in Deutschland im 18. Jahrhundert.7

1. Verfalls- oder Erfolgsgeschichte? Das Ziel dieses Beitrages besteht darin, die Tätigkeit der Gesellschaft der Alterthümer in ihrer wissenschaftlichen und institutionsgeschichtlichen Entwicklung zu reflektieren. Die Auseinandersetzung mit den Arbeiten der Gesellschaft und die angemessene Bewertung ihres wissenschaftlichen Beitrages zu den Altertumswissenschaften und zur Herausbildung einer kulturwissenschaftlich orientierten historischen Methode sind daher Gegenstand der Ausführungen. Die historische Betrachtungs- und Beurteilungskontinuität offenbaren stereotype Sichtweisen, die im folgenden hinterfragt werden müssen: 1. Der fulminante Auftakt der Gesellschaft im Jahr 1777 mit der Ausschreibung der Preisfrage, eine Lobrede auf Winckelmann zu verfassen, sei zugleich ihr

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Johann Gottfried Herder, Denkmal Johann Winckelmanns, eine ungekrönte Preisschrift aus dem Jahre 1778. Hg. und eingeleitet von Albert Duncker. Kassel 1882. Otto Berge, Die Innenpolitik des Landgrafen Friedrich II. von Hessen-Kassel. Ein Beitrag zur Geschichte des aufgeklärten Absolutismus in Deutschland. Diss., Mainz 1952 (Masch.). Ein Teil der Dissertation von Otto Berge wurde publiziert unter dem Titel: Beiträge zur Geschichte des Bildungswesens und der Akademien unter Friedrich Π., in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 4 (1954), S. 233ff.; Jörg Meidenbauer, Aufklärung und Öffentlichkeit. Studien zu den Anfangen der Vereins- und Meinungsbildung in Hessen-Kassel 1770-1806. Darmstadt/Marburg 1991. Memoires de la Societe des Antiquites. Kassel I (1780), erschienen bei Hampe. Christian Gottlob Heyne, Lobschrift auf Winckelmann. Cassel 1778, erschienen bei Estienne. Wolf v. Both / Hans Vogel, Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel. Ein Fürst der Zopfzeit. o.O. 1973, S. 64-89. Helmuth Schneider, „Wahrhaft glückliche Tage" - Kassel und die Antike im 18. Jahrhundert, in: Heide Wunder / Christina Vanja / Karl-Hermann Wegner (Hg.), Kassel im 18. Jahrhundert. Residenz und Stadt. Kassel 2000, S. 88-103, hier S. 100-101.

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Höhepunkt gewesen. Der Niedergang hätte unmittelbar mit dem vermeintlichen Fehlurteil der Preisvergabe an Heyne eingesetzt. 2. Die Gesellschaft sei eine Gründung „von oben" geblieben, ohne daß es gelungen sei, sie in eine sich selbst generierende und florierende, gelehrte Sozietät zu überfuhren. Zudem sei Kassel nicht der Gelehrtenstandort gewesen, an dem dieses Ziel hätte realisiert werden können. 3. Die Gallomanie Friedrichs II., vor allem seine Kritiklosigkeit gegenüber JeanPierre-Louis de Luchet, dem beständigen Sekretär der Gesellschaft bis 1785, hätte überdies zum Niedergang der Gesellschaft beigetragen. 4. Zwar habe Wilhelm IX. nach 1785 die Gesellschaft der Alterthümer unterstützt und finanziert, doch sei sie kaum noch in Erscheinung getreten und hätte keinerlei wissenschaftliche Aktivitäten entfalten können. Lethargie, übertriebene Gallomanie und Kassel als intellektuelle Wüste? Bereits die Zeitgenossen haben das Fundament für ein negatives Urteil über die hessische Residenzstadt und damit auch der Societe des Antiquites geschaffen. Der viel zitierte Georg Forster beklagte sich über die mangelnde Lesekultur und den fehlenden Buchmarkt. 8 Johannes von Müller besiegelte das Schicksal der Altertümergesellschaft mit dem ebenfalls häufig zitierten Ausspruch: Quant ä la Societe des antiquites qui fesait partie de ce luxe litteraire dont le landgrave Frederic aimait ä s'entourer, eile n'a plus d'objet apres que Μ. Denon a visite les antiquites recueillis par les anciens princes. 9

Betrachtet man allerdings Müllers Einschätzung der Gesellschaft im Kontext des Gutachtens, das er anzufertigen beauftragt war, so entschärft sich diese Aussage beträchtlich: Müller gab nämlich ein Plädoyer für die Fortführung der Institution ab und führte zudem konkrete Möglichkeiten auf, wie die Existenz der Gesellschaft gesichert werden könne. Nicht allein die Aussage, daß die Societe des Antiquitis nur einen einzigen Band der Memoires publiziert hat, sollte zur Urteilsfällung ausreichen, der Blick in den Band sei ebenso gestattet wie auch die Reflexion über die Inhalte der wissen-

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Erst Eberhard Mey räumt mit diesem Vorurteil auf: Georg Forster und der Buchmarkt in der Residenzstadt Kassel in der Regierungszeit Landgraf Friedrichs Π., in: Georg Forster Studien, IV. Hrsg. von Horst Dippel, Helmut Scheuer. Berlin 2000, S. 95-151. Daß Forsters Klagen nicht einer gewissen Arroganz entbehren und den bequemen Topos schwieriger Umstände aufrufen, merkt Hartmut Broszinski an: illiteratissima urbs? Kasseler Privatbibliotheken im 18. Jahrhundert, in: Heide Wunder / Christina Vanja / Karl-Hermann Wegner (Hg.), Kassel im 18. Jahrhundert. Residenz und Stadt, Kassel 2000, S. 47-70, hier S. 47. Johannes Müller ä Son Excellence le Ministre de l'interieur et de la justice, au directeur general de l'instruction publique; Cassel, le 12 avril 1808. Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek Kassel (im folgenden: LMB), 2° Ms. Hass. 241 [Π, 3 Bl. 515. Denon hatte das kurfürstliche Museum auf Befehl des Kaisers geplündert. Vgl. auch Bernhardt, (wie Anm. 1), S. 11.

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schaftlichen Arbeiten, die über die Eloge de Winckelmann hinausgehen. Ein umfassender Zugriff auf die hinterlassenen Quellen würde neue Antworten auf Publikationsschwierigkeiten, Öffentlichkeitspräsenz, interne Diskursfahigkeit und wissenschaftliche Ausrichtung der Gesellschaft ermöglichen. Lediglich Franz Kaiser hat in der Societe des Antiquites eine Form der Wissenschaftsforderung und einen wichtigen Bestandteil des hessischen Bildungssystems erkannt. Er hob ihren singulären Platz innerhalb der europäischen Akademiebewegung hervor: Die verfassungsmäße Beschränkung auf eine geisteswissenschaftliche Disziplin war ungewöhnlich und originell zugleich.10 Kassel wies im 18. Jahrhundert eine besondere Sozietätenstruktur auf. In anderen Gesellschaften, zumeist Akademien, waren die verschiedenen Wissenschaftszweige unter einem Dach vereint. Das Aufklärungsprogramm des Landgrafen Friedrich II. trennte auf institutioneller Ebene die strikt pragmatisch-wirtschaftliche Seite, die mit der Gründung der Gesellschaft des Ackerbaues und der Künste (1765) den utilitaristischen Anspruch der landwirtschaftlichen Verbesserungen verwirklichen sollte,11 von der ästhetisch-historischen Seite, die durch die Sociite des Antiquites repräsentiert wurde, und der künstlerischen Seite durch die Malerund Bildhauer-Akademie, die ebenfalls 1777 im Anschluß an die landgräfliche Italienreise gegründet wurde und aus einer Klasse des Carolinums hervorgegangen war.12 Die Gründung aller drei Sozietäten ging auf die persönliche Initiative des Landgrafen zurück, der sie auch im organisatorischen Aufbau ähnlich strukturierte. Die internen Diskussionen der Mitglieder vermitteln alles andere als das Bild einer leblosen und an gelehrtem Defizit leidenden Gesellschaft der Alterthümer. Um eine Antwort auf die Frage nach der wissenschaftlichen Potenz der Gesellschaft geben zu können, müssen die Institutionsgeschichte wie auch die wissenschaftlichen Inhalte, in erster Linie die Antikerezeption, näher analysiert werden. Letztlich kann es dabei nicht um die Umwandlung einer Verfalls- in eine Erfolgsgeschichte gehen, sondern schlichtweg um den Versuch, die Societe des Antiquites dank ihrer nachgelassenen Quellen in ihrer Spezifik innerhalb der Akademielandschaft am Ende des 18. Jahrhunderts zu begreifen und einzuordnen. Die Geschichte der Societe des Antiquites läßt sich in drei Zeitabschnitte unterteilen, die durch den Wechsel der beständigen Sekretäre und politischen Veränderungen motiviert sind:

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Franz Kaiser, Die Geschichte der ,Societe des Antiquites' von 1777 bis 1808. o.O. 1983 (unveröffentlichte wissenschaftliche Hausarbeit zur Staatsprüfung fur das Lehramt), S. 102. Vgl. dazu Wilhelm Gerland, Die Tätigkeit der 1765 errichteten Hessischen Gesellschaft für den Landbau und ihrer Nachfolgerin, der 1773 errichteten Gesellschaft für Ackerbau und Künste, in: Landwirtschaftliche Jahrbücher 59 (1924), S. 245-289. Vgl. Marianne Heinz, Die Kunstakademie in Kassel. Von der Gründung der „Maler- und Bildhauerakademie" 1777 bis zur „Kurfürstlichen Akademie der Künste" 1803, in: Heide Wunder / Christina Vanja / Karl-Hermann Wegner, (wie Anm. 8), S. 212-228.

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1. Phase: Gründung der Gesellschaft (1777) bis zum Tod Friedrichs II. von Hessen-Kassel (1785). BESTÄNDIGER SEKRETÄR:

Jean-Pierre-Louis Marquis de Luchet MITGLIEDER DES KOMITEES:13

Friedrich Wilhelm von Veltheim, Simon Louis Du Ry, Dietrich Tiedemann, Johann Wilhelm Christian Gustav Casparson, Justus Friedrich Runde, Jakob Mauvillon AUSRICHTUNG DER GESELLSCHAFT:

Interdisziplinäre Rezeption der Antike, Erweiterung und Ausbildung der Altertumswissenschaften. PUBLIKATIONEN:

Memoires de la Societe des Antiquites (Kassel 1780) (Jahr der Preisfragenstellung) und PREISTRÄGER: 1777: L'Eloge de Mr. Winckelmann dans le quel on fera entrer le point ou il a trouve la Science des Antiquites et ä quel point il l'a laissee. Preisträger: Heyne.14 1778/1779: Quel rapport y avait-il entre la religion des peuples du nord et celle des peuples germaniques, depuis Jules Cesar jusqu'a Charlemagne? Question propre a eclaircir la Mythologie Germanique. Preisträger 1779: anonymer Einsender.15 1780: Quel etait le luxe des Atheniens du temps de Pisistrate jusqu'ä Philippe Amyntas, roi de Macedonie, et par quel degre le luxe amena-t-il la decadence de l'Etat? Preisträger: Christoph Meiners. 16 PREISFRAGEN

1781/1782/1784: Quelle est Porigine des medailles qui forment nos cabinets, et comment nous fixer la distinction entre Celles qui etaient des monnaies et celles a immortaliser un heros ou un fait glorieux? Preis wurde offensichtlich nicht vergeben. 1782: Quelles sont les divinites qui dans la religion romaine tiraient leur origine des peuples voisins en Italie, excepte les grecs? Preisvergabe nicht nachweisbar. 1784: La meilleure description de cette fameuse ville de Persepolis ä laquelle Alexandre dans un moment d'ivresse fit mettre le feu ä la persuasion de la courtisane Thais? Preisträger: Antoine de Mongez.

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Das Komitee stellte die Leitung der Gesellschaft dar. Heyne, (wie Anm. 5). [Anonym], Sur l'ancienne religion des peuples du Nord (April 1779), LMB Kassel 2° Ms. Hass 241 [IX, 1, Bl. 48r-57r. Christoph Meiners, Geschichte des Luxus der Athenienser von den ältesten Zeiten an bis auf den Tod Philipps von Makedonien. Lemgo 1782.

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1785: Le systeme des cabbalistes touchant Γ emanation des etres de la substance divine est-il derive de la philosophic grecque? Preisträger 1786: Johann Kleuker. 17 2. Phase: Regierungsantritt des Landgrafen Wilhelm IX. (1785) bis zum Tod des beständigen Sekretärs Casparson (1801). BESTÄNDIGER SEKRETÄR:

Johann Wilhelm Christian Gustav Casparson (seit 6. April 1786) MITGLIEDER DES KOMITEES:

Anfang 1786: Adrien Marie Francois Du Vernois, Dietrich Tiedemann, Simon Louis Du Ry, Johann Daniel von Schmerfeld, Johann Wilhelm Christian Gustav Casparson, Friedrich Wilhelm von Veltheim. Seit August 1786: Adrien Marie Frangois Du Vernois, Simon Louis Du Ry, Johann Daniel von Schmerfeld, Johann Wilhelm Christian Gustav Casparson, Malsburg, Johann Hermann Schmincke, Friedrich Wilhelm von Veltheim. AUSRICHTUNG DER GESELLSCHAFT:

Mittlere und neuere Geschichte Hessens, Antikerezeption. PUBLIKATIONEN:

keine. PREISFRAGEN U N D PREISTRÄGER:

1786: Quelles etaient les limites des deux gouvernements que Jules Cesar avait etablis dans la „Petite Germanie"? ; ä quelle epoque, pour qui et ä quel usage le fameux fosse, aujourd'hui connu sous le nom de „Polgraben" et qui s'etend le long des montagnes du Hayrich, autrefois le „Taunus", a ete creuse et fortifie? Offensichtlich kein Preisträger gekürt. 1789: Welche Gerechtsame hatten die weltlichen Fürsten Deutschlands überhaupt, und die Landgrafen von Hessen insbesondere, über die in ihren Ländern gelegenen Stifter und Klöster vor der Reformation? Offensichtlich kein Preisträger gekürt. 3. Phase: Ernennung des neuen Sekretärs Völkel (1802) bis zur endgültigen Auflösung der Gesellschaft (1819). BESTÄNDIGER SEKRETÄR:

Ludwig Völkel (23. Dezember 1802-1806)

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Johann Kleuker, Über die Natur und den Ursprung der Emanationslehre bei den Cabbalisten. Riga 1786.

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MITGLIEDER DES KOMITEES:

Jakob Sigismund von Waitz, Friedrich Wilhelm von Veltheim, Becker, Jussow, Carl Wilhelm Robert, Ludwig Völkel. AUSRICHTUNG DER GESELLSCHAFT:

Altertumswissenschaften, Antikerezeption. PUBLIKATIONEN:

keine. PREISFRAGEN UND PREISTRÄGER:

keine. Merkmal aller drei Phasen ist die kontinuierliche Reflexion der Gesellschaft über sich selbst, die Suche nach Legitimierungsstrategien, die Formulierung des eigenen, spezifischen Auftrages und die Verortung innerhalb der Republique des lettres. Diese Selbstreflexion gibt Auskunft über das spätaufklärerische Wissenschafts Verständnis im Allgemeinen und die Realisierung von Forschungsvorhaben im Besonderen.

2. Vom Gründungsgedanken zur Formulierung des wissenschaftlichen Programms (1777-1785) Friedrich II. von Hessen-Kassel hatte unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Italien die Societe des Antiquites ins Leben gerufen, um in erster Linie die mitgebrachten Antiken zum Gegenstand des wissenschaftlichen Arbeitens zu machen. Die Gesellschaft hatte kaum ihre regulären Geschäfte aufgenommen, als er den Vorschlag einbrachte, die Altertümergesellschaft in eine Akademie mit dem Titel Sociiti des sciences et des beaux-arts umzuwandeln. Eine günstigere Außendarstellung war dabei das hauptsächliche Movens dieses Vorschlages: 11 y a dejä quelque temps qu'il a ete question de donner a notre Societe d'antiquites plus d'etendu et de lustre. Cette idee m ' a toujours parue avoir ete la plus heureuse [...] Ie travail de nos membres en deviendroit plus facile, chacun pouvant choisir le sujet qui l'interessoit le plus et cela nous donneroit encore plus de renommee au dehors. Les savants etrangers s'empresseront ä devenir membres honoraires de notre Societe [...] un Buffon, que nous inviterions d'etre membre honoraire de la Societe seroit lui seul par sa reputation et sa celebrite en etat de donner le plus grand lustre ä notre Societe et par les memoires qu'il nous enverroit a faire les delices de nos seances [...] 18

Diese Äußerung Friedrichs II. ist nicht als Ausdruck eines geringen Vertrauens in die eigenen Gelehrten mißzuverstehen. Die Pariser Academie des sciences blickte auf eine lange historische Entwicklung zurück und war das unangetastete Vorbild 18

LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [I, Bl. 58, vom 30. August 1777.

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der europäischen Akademien im 18. Jahrhundert. Bei einer Neugründung wurde daher selbstverständlich zu den großen Ahnen aufgesehen. Friedrich II. hatte dank der ihm zur Seite stehenden kenntnisreichen Berater Sachkenntnis bei der Besetzung der Professorenstellen des Carolinums bewiesen. An der Leistungsfähigkeit der berufenen Gelehrten hegte er keinerlei Zweifel, jedoch integrierte er sie nicht selbstverständlich in die Arbeit der Societe des Antiquites. Im April 1777 bestand die Gesellschaft noch hauptsächlich aus Staatsbeamten, die im unmittelbaren Umkreis des Landgrafen mit den Regierungsgeschäften betraut waren. Trotz des vorhandenen Interesses waren sie Laien auf dem Gebiet der Kunst und der Altertumswissenschaften, zudem aus zeitlichen Gründen kaum in der Lage, den vierzehntäglichen Versammlungs- und Vortragsrhythmus mit guten Beiträgen zu alimentieren.19 Der Landgraf erkannte diesen Dilettantismus zwar schnell, doch waren seine Gegenmaßnahmen nicht konsequent genug, um diesen Mangel zu beseitigen. Er beorderte zwar die Professoren des Kasseler Carolinums zu den Sitzungen, da ihr wissenschaftliches Potential unabdingbar für die Produktivität der Sitzungen war. Von einer gleichberechtigten Teilnahme kann anfangs aber keine Rede sein, denn die Professoren saßen in der zweiten Reihe auf einer „Gelehrtenbank" hinter den Sozietätsmitgliedern: [...] je propose done de faire une rangee de chaises ä une petite distance derriere celle du Secretaire, d'y placer les Mrrss. les Professeurs Piderit, Tiedemann, Tis[ch]bein, Wahl [...].20

Diese Rangfolge wurde mit der kurze Zeit später erfolgten Aufnahme der Professoren in die Gesellschaft aufgehoben; sie zeigt jedoch die Schwierigkeiten bei der Überwindung ständischen Denkens. Bei den Sitzungen saßen die Mitglieder nun alle gleichberechtigt an einem runden Tisch.21 Johann Daniel von Schmerfeld hatte sogar für einen Ehrenmitgliederstatus der Regierungsbeamten plädiert, da die Verpflichtungen der membres honoraires weniger zwingend waren. Der Kreis der ordentlichen Mitglieder sollte den kontinuierlich arbeitenden Kem der Gesellschaft darstellen.22 Wie eng die institutionell-organisatorische Selbstreflexion mit der inhaltlichen Aufgabe der Gesellschaft verbunden war, wird an der Diskussion deutlich, die ein Vorschlag des Landgrafen auslöste: jene bereits erwähnte Absicht Friedrichs II., die Gesellschaft in eine Akademie umzuwandeln. In schriftlichen Stellungnahmen 19

20

21 22

Johann Daniel von Schmerfeld hob dieses grundlegende organisatorische Problem noch Jahre später hervor: „[...] habe ich gleich anfangs an dem Plan der Gesellschaft auszusetzen gehabt, daß ich und andre bloße Dilettanten, denen ihre mit den Gegenständen der Gesellschaft in keiner Weise in Verbindung stehenden Amtsgeschäfte nur wenig Muße läßt, darinnen etwas gründliches und vorzügliches zu liefern [...]" LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [Π, 1, Bl. 146r / v, 1. März 1786. LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [I, Bl. 18, Landgraf Friedrich Π. „Quelques reflexions parraport a la Societe". LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [II, 2, Bl. 295, Sitzordnung. LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [Π, 1, Bl. 146r / ν, 1. März 1786.

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erteilten die beiden Professoren Dohm und Piderit den Erweiterungsabsichten des Landgrafen eine klare Absage. Christian Wilhelm Dohm, einer der bekanntesten Kameralisten seiner Zeit, war 1776 zum Professor für Ökonomie, Finanzwissenschaft und Statistik an das Kasseler Carolinum berufen worden. In seinen Ausführungen betonte er das Zeit- und Qualifikationsproblem der Mitglieder. Zum einen seien die Professoren ohnehin schon überlastet durch vielfältige Nebentätigkeiten, zum anderen könnten gar nicht alle Fachgebiete mit geeigneten Leuten abgedeckt werden. Es würde dem Ruf der Gesellschaft vielmehr schaden, wolle man eine Akademie schaffen, die letztlich nicht halten könne, was von einer Institution dieser Art erwartet werde. 23 Johann Rudolf Anton Piderit (1720-1791), TheologieProfessor am Kasseler Carolinum und Schüler Christian Wolffs, argumentierte stärker inhaltlich:24 Die Beschreibung, Beurteilung und Katalogisierung der weitläufigen antiken Sammlung des Landgrafen werde sich nach einigen Jahren erschöpft haben, daher sei eine Veränderung der Gesellschaft durchaus wünschenswert. Das Gebiet der Antike sollte jedoch nicht zur Disposition stehen. Die wenigsten Menschen beschäftigen sich mit der Antike (oder den Antiquitäten - Piderit gebraucht die Ausdrücke synonym). Wie Dohm stellte auch er fest: Das Studium der Antike setze alle Teile der Gelehrtheit in Bewegung. Sprachkenntnisse, philologische Akribie und philosophische Reflexion seien gleichermaßen gefragt. Sowohl der Theologe, als auch der Jurist oder Mediziner griffen auf Systeme zurück, deren historische Wurzeln bis in die Antike zurückgehen. Piderit hob den Nutzen der Antike für das Vaterland hervor: Die studierende Jugend könne durch die Auseinandersetzung mit der Antike und durch deren Beispielhaftigkeit zu patriotischen Staatsbürgern erzogen werden. Große und kleine Sozietäten, Literaturgesellschaften aller Art gebe es bereits genügend in Deutschland, aber Altertümergesellschaften zähle man nur drei in ganz Europa.25 Auf der Suche nach einem Kompromiß zwischen den Wünschen des Landgrafen und den Realisierungsmöglichkeiten und Zwängen schlugen sowohl Dohm als auch Piderit eine neue methodische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand vor, die einerseits eine Umwandlung in eine Akademie überflüssig mache, andererseits aber durch die Konzentration auf die Antike den Einbezug anderer Disziplinen ermögliche. Während die Antike bisher eine Wissenschaftsdisziplin neben anderen 23

24

25

Christian Wilhelm Dohm, „La question proposee dans la derniere seance [...]", LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [I, Bl. 84-88. Eine genaue Datierung der Abhandlungen von Dohm ist nicht möglich, doch stammt die Schrift offensichtlich aus der zweiten Jahreshälfte 1777. Johann Rudolf Anton Piderit, Von der gegenwärtigen und künftigen Beschaffung der Gesellschaft - unmaßgebliche Gedanken und Vorschläge, ohne Datierung, LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [I, Bl. 61-66. Die Schrift von Piderit läßt sich auf 1777 datieren, vgl. Repertoire des Discours sur les Antiquitesprononces l'annee 1777, N° 42, LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [I, Bl. 68-73. Piderit meint hier höchstwahrscheinlich die Londoner Sociite des antiquaires und die Pariser Academie des inscriptions et des belles-lettres, die über ein ausgeprägtes altertumswissenschaftlichen Profil verfugten.

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war, wie der Mathematik, der Physik, der Naturgeschichte, der Medizin, der Chemie, der Philosophie, der Geschichte, der Philologien oder der ,Schönen Künste', so wird sie nun zum Dach, unter dem alle diese Disziplinen ebenfalls betrachtet werden können. Dohm erwähnt verschiedene „Academies generales", die einzelne Interessensgebiete und Wissenschaftszweige vertreten und sich den Ruf erworben hätten, diese besonders zu pflegen. Für die Sprache und den Geschmack sei das die Acadimie franqaise in Paris, für die spekulativen Wissenschaften die Akademien in London, Göttingen und St. Petersburg. Daneben gebe es Akademien, die sich bereits ein begrenztes Gebiet gewählt hätten: z.B. die Akademien für Ökonomie oder für Künste. In diesem Kontext könne nun auch die Kasseler Gründung begriffen werden. Zudem habe sie den Vorteil, die erste Gesellschaft für die Erforschung der Antike in Deutschland zu sein. Die Antike werde die Basis bleiben, aber um diese adäquat erforschen zu können, müssten die anderen Wissenschaften einbezogen werden. 26 Piderit machte noch einen weiteren Aspekt stark: Die methodisch originelle Konzentration auf die Altertumswissenschaften ermögliche es Kassel, sich neben Göttingen behaupten zu können. Göttingen [...] hat uns bereits unfreundschaftlich behandelt und das erste Programm, welches von Seiten der Gesellschaft zum Vorschein gekommen, durch seine zwar feine, aber sehr bittere Satire verächtlich behandelt [...] Es ist offenbar, daß dieses Verfahren eine Wirkung der Eifersucht ist [,..]. 27

Eine direkte Erwiderung des Landgrafen auf die Überlegungen von Dohm und Piderit ist nicht nachweisbar, doch war seit 1778 keine Rede mehr von einer Umwandlung der Gesellschaft in eine Akademie. Die erste und bekannteste Preisfrage der Gesellschaft von 1777 ist zugleich als eine für die Gesellschaft wichtige Orientierungssuche zu verstehen. Die Preisfrage lautete: „Eloge de Winkelmann dans lequel on fera entrer le point oü il a trouve la Science des Antiquites et ä quel point il l'a laisse." Der Preis wurde 1778 Christian Gottlob Heyne, Professor in Göttingen, zuerkannt. 28 In der Literatur wird dieses Urteil häufig als Fehlurteil bewertet und als Unrecht, das dem anderen Preisbewerber, Johann Gottfried Herder, angetan wurde. 29 Diejenigen, die diese Meinung 26 27 28

29

Dohm, (wie Anm. 23). Piderit, (wie Anm. 24), Bl. 63r / v. Es gab vier Veröffentlichungen der Preisschrift von Christian Gottlob Heyne: Lobschrift auf Winckelmann. Cassel 1778; Lobschrift auf Winckelmann. Leipzig 1778; Eloge de Monsieur Winkelmann, in: Memoires de la Societe de Cassel, Kassel I (1780), S. 1-26; Eloge de Winkelmann, traduit de l'allemand [par C. Brak], Göttingen 1783. Herder, (wie Anm. 2); Bernhard Suphan, Eine klassische Lobschrift auf Winckelmann, in: Preussische Jahrbücher 50 (1882), Heft 6, S. 593-603; Herders Sämtliche Werke. Hg. v. Bernhard Suphan, Bd. 8, S. 4 3 7 ^ 8 3 ; Jahresgabe der Winckelmann-Gesellschaft. Stendal 1963, S. 31-62. Eine adäquate, aber kaum wahrgenommene Beurteilung der Preisschrift bei: Henry Caraway Hatfield, Winckelmann and his german critics 1755-1781. New York 1943, S. 93. Eine vergleichende Untersuchung der beiden Schriften von Heyne und Herder bei:

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vertreten, haben die Preisschrift Heynes entweder nicht gelesen oder urteilen in völliger Unkenntnis des Kontextes. Innerhalb der Societe des Antiquites fielen Heynes Überlegungen auf fruchtbaren Boden, denn sie gaben wesentliche Impulse für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Antike bei gleichzeitiger disziplinärer Vielfalt. Letztgenanntes war eine wesentliche Forderung Heynes, die er für das Studium der Antike stellte. Der Altertumsforscher müsse seiner Meinung nach in der Lage sein, die Echtheit und den Wert eines antiken Gegenstandes bestimmen zu können, er müsse über historische Kenntnisse, vor allem in der Geschichte Roms und Griechenlands verfügen, des weiteren müssen ihm die Ideen und Sitten der antiken Völker vertraut sein; die Entzifferung von Inschriften, Münzkunde, Malerei und Bildhauerei dürften ebenfalls keine Hindernisse bei der Auslegung der Antike darstellen. Im Gegensatz zu Winckelmann, der sich vor allem auf die Kunst der Antike konzentrierte, verwies Heyne auf die Vielfalt der Antike in Literatur, Wissenschaft, Kunst und Alltagsleben. In seinen Arbeiten stilisierte Heyne Winckelmanns wegweisende Schriften nicht zum Evangelium und ordnete sich nicht der Schar der Nachahmer ein. Ihm ging es um den Aufbau einer historischen Antikerezeption, die im Wesentlichen auf Interpretationen und Editionen basierte. Heyne wollte dem Studium des Altertums eine wissenschaftliche Gestalt geben. Dabei kam es ihm auf eine sinnvolle Ordnung, die Auswahl des Wichtigen und Wesentlichen sowie eine Übersicht über das Ganze an. Winckelmanns Hauptziel bestand in dem Versuch, die Geschichte (Ursprung, Wachstum, Blüte und Verfall) und das Wesen der Kunst zu beschreiben. Die Altertümergesellschaft schreibt in ihren Arbeiten eindeutig die Methode Heynes fort. 30 Die Societe sah in den einzelnen Epochen nicht nur die Entwicklung der Kunst, sondern sie wollte auch deren Ursachen - wie bei Winckelmann die Sitten, Gebräuche, Religionen und Regierungen - untersuchen, um ganz im Sinne des Fortschrittsglaubens zur ununterbrochenen Steigerung der Wissenschaften beizutragen.

30

Hermann Bräuning-Oktavio, Christian Gottlob Heynes Vorlesungen über die Kunst der Antike und ihr Einfluß auf Johann Heinrich Merck, Herder und Goethe. Darmstadt 1971, S. 8 4 103. Seit seinen Vorlesungen über die Kunst der Antike an der Universität Göttingen 1772 beschäftigte sich Heyne intensiv mit der Entwicklung einer Methode der historischen Antikerezeption. Die Lobrede auf Winckelmann gehört daher in den Kontext eines weitaus umfangreicheren Spektrums von Arbeiten Heynes, unter denen die Preisschrift eine frühe Ausformulierung der Methode darstellt. Vgl. auch Christian Gottlieb Heyne, Sammlung antiquarischer Aufsätze. Leipzig, Weidmann & Reich, 1778-1779; Christian Gottlieb Heyne, Einleitung in das Studium der Antike oder Grundriß einer Anleitung zur Kenntniß der alten Kunstwerke. Göttingen / Gotha [1782],

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96 2.1. Konzentration auf historische Quellen als Methode

Heyne ging in seiner Preisschrift noch weiter, denn er äußerte sich zum methodischen Herangehen an die Antike. Als oberstes Postulat betonte er, daß die Forschungen zur Antike von den Quellen ausgehen müßten. Ein großer Nachteil der Schriften Winckelmanns bestehe darin, daß es ihm häufig an historisch gesicherten Informationen mangele und er sich durch wortreiche Ausschmückungen zu helfen suche. In einem ersten Schritt sei daher stets die Frage zu beantworten, ob das alte Werk auch tatsächlich alt bzw. wieviel an ihm alt sei und wieviel neu ergänzt wurde. Dafür waren Kenntnisse in den historischen Hilfswissenschaften unabdingbar. Gleichfalls müßten die besten Ausgaben der Klassiker zur Verfügung stehen. Als Ziel benannte Heyne die Etablierung einer antiquarischen Kritik und Arbeitsmethode, deren konsequente Anwendung zur Erstellung eines Repertoriums aller Antiken, die in ganz Europa verstreut sind, führen könnte. Der Landgraf versuchte seinerseits, in einer Vorlesung Anregungen über die Gegenstände zu geben, welche von den Mitgliedern bearbeitet werden könnten. Neben den Statuen und Antiquitäten des Kabinetts regte er Diskurse über jede heidnische Gottheit an, die römischen Legionen, Waffen und Kriegstaktiken, das römische Rechtssystem, die Triumphbögen, Amphitheater oder Theatervorstellungen. Darüber hinaus alles, was den Kult und die Tempel der Ägypter, Griechen und Römer anbelangt, ihre Priester und Opfergaben. So sei beispielsweise die Epoche zu bestimmen, in der die Religion der Ägypter nach Rom kam und wie die Römer diese Gottheiten auf ihre Weise umgedeutet hätten. Der Totenkult sei ebenso von Interesse wie die Gladiatorenkämpfe, die Innenausstattung der Häuser oder die Bauweisen verschiedener Gebäude. Alles, was die Medizin, Chirurgie, Pharmazie der Ägypter, Griechen und Römer betreffe, könne Gegenstand einer Abhandlung werden. 31 Die vielfaltigen Anregungen, Diskussionsbeiträge oder Korrespondenzen konstituierten letztlich das eigene Programm der Gesellschaft, das sie im Vorwort ihres 1780 erschienenen Bandes, den Memoires de la Societi des Antiquitis, festschrieb. Dessen Konzept beruhte auf vier Säulen der Antikebetrachtung. 32 Die „entdeckte Antike" (l'antiquite decouverte) meinte die archäologische Komponente und Beschreibung antiker Gegenstände. Die „entzauberte Antike" (l'antiquite devoilee) sah im Altertum ein Erklärangsreservoir zeitgenössischer Entwicklungen. Das Studium der Antike berge das große Buch der menschlichen Erkenntnis in sich, es sei die Enzyklopädie aller Künste und Wissenschaften. Die „vergleichende Antike" (l'antiquite comparee) verfolgte den Nützlichkeitsaspekt, 31

32

LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [XIV, 1, Bl. 1487-1490; Landgraf Friedrich Π., „Je suis persuade que la plupart des Membres de notre Societe ne sont pas encore au fait des objets sur lesquels les Discours pourraient rouler [...]", 3. Januar 1778. Mimoires de la Societe des Antiquitis, (wie Anm. 4), S. XXXI-XXXVI; Das „Vier-SäulenKonzept" beruht hauptsächlich auf einer Rede des Abbe Collignon.

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denn durch das Studium der Antike könnten die gegenwärtigen Gesetze vervollkommnet werden. Die einzelnen Wissensgebiete erfuhren eine Aufteilung, um sie fiir den Menschen sinnvoller anzuwenden. Die vierte Säule war die „verlebendigte Antike" (l'antiquite vivante), womit der Zugewinn neuer Erkenntnisse gemeint war. Im Discours preliminaire der Memo ires wird das Programm praxisorientierter vorgestellt. 33 Ausgangspunkt sind die Väter der Altertumswissenschaften Montfaucon und Caylus. Letzterer versuchte in seinem Werk einen Enwicklungszusammenhang von Ägypten über Etrurien, Griechenland und Rom bis zum Zerfall in der Spätantike herzustellen. Die Kunst sah er dabei als ein fixiertes Phänomen, das immer nur an einer Stelle zur Entfaltung kommen kann. Die von Winckelmann gemachte Entdeckung der jeweils eigenständigen Kunstentwicklung eines jeden Landes blieb Caylus verschlossen. 34 Montfaucon entwarf hingegen eine gelehrte Nomenklatur antiker Ruinen. Ohne diese beiden Wegbereiter nachahmen zu wollen, strebte die Gesellschaft einen produktiven Umgang mit ihnen an. Das Themenspektrum sollte weiter gefaßt werden, man wollte sich nicht mit hypothetischen Ideen zufriedengeben oder mit Überlegungen, die nur den Anschein von Wahrheit hätten. An einem konkreten Beispiel wurde der Unterschied zu Montfaucon illustriert: Wenn dieser sich mit der bekannten Jupiter-Statue, die in Versailles steht, beschäftige, so gehe er ihrer Geschichte nach, wie sie von Rom nach Frankreich gelangt sei und komme zu dem Schluß, daß die Statue von dem Bildhauer Myron geschaffen worden sei. In der Meinung der Gesellschaft ist das pures Räsonnement, das trotz aller Weisheiten und Kenntnisse doch nur Wahrscheinlichkeiten, aber keine verifizierbaren Tatsachen zutage fordere. Die Herangehensweise der Altertümergesellschaft bestand nun darin, daß man sich die Mühe der Suche nach dem Künstler ersparte und vielmehr an den zahlreichen existierenden JupiterStatuen untersuchte, ob sich die Idee eines einzigen Gottes in den unterschiedlichen Darstellungsformen nachweisen ließ.35 Die Gesellschaft wollte keine neuen Denkmäler oder Kunstwerke entdecken; das sei die Aufgabe der Reisenden in Rom oder Neapel. Man wollte die Antike vielmehr unter einem neuen Blickwinkel betrachten, nämlich einer dezidiert kulturgeschichtlichen Betrachtung einzelner antiker Völker, die von der Gesellschaft unterschiedlich bewertet wurden. An den Ägyptern wurde lediglich ihre Kunst des Pyramidenbaus als untersuchenswert beurteilt. Die Etrusker verdienten zwar Interesse, doch nur am Rande. Die Griechen hingegen waren das Volk, das am meisten geschätzt wurde. Auf sie konzentrierten sich die Mehrzahl der Forschungen, denn ihre Staatskunst hatte einen hohen Perfektionsgrad erreicht; auch hatte das griechische Volk bedeutende Philosophen, Dichter, Redner und Künstler hervorgebracht. In Bezug auf die Römer wur33 34 35

Discours preliminaire, in: ebd., S. XXXVII LH Udo Kultermann, Geschichte der Kunstgeschichte. Frankfurt 2 1981, S. 64. Discours preliminaire, in: Memoires de la Societe des Antiquites, (wie Anm. 4), S. XXXIX.

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den die Gebiete benannt, die Interesse hervorriefen: Kriegskunst, Dichtung, Architektur und Geschichtsschreibung. Als wenig erfoschenswert wurden ihre Sitten, Gesetze und Religion eingeschätzt. Man berief sich direkt auf die Querelle des Anciens et Modernes, die nach zehn Jahrhunderten der Lähmung des menschlichen Geistes die Gelehrtheit wieder in Bewegung gesetzt habe. Ohne die Antike, davon war man überzeugt, befände sich Europa immer noch in einer intellektuellen Finsternis. In diesem Sinne definierte die Gesellschaft ihren aufklärerischen Beitrag und ihr Ziel: [...] faire revivre ce que le temps couvre de son alle, de conserver ce qu'il a epargne, de creuser sans cesse dans les siecles les plus recules, & de porter dans les regions tenebreuses, & sous les decombres du monde le flambeau de la Philosophie. 36

Ein wesentliches Anliegen der Gesellschaft - das kann an dieser Stelle bilanziert werden - lag in der Erforschung der historischen Wahrheit in der Existenz alter Denkmäler. Bei der Herausbildung einer quellenorientierten historiographischen Methode im 18. Jahrhundert hat die Antikerezeption somit eine wesentliche Rolle gespielt. Die Aktivitäten der Gesellschaft spiegelten in den folgenden Jahren dieses inhaltliche Spektrum wider. Das beweisen zum einen die Ausschreibungen von Preisfragen, die regelmäßigen Sitzungen und die aktive Korrespondenz der Gesellschaft. Allein 1777 wurden 111 Vorlesungen und Vorträge auf den Zusammenkünften der Gesellschaft gehalten. 37 Zu diesem Zeitpunkt verfugte die Altertümergesellschaft über 59 ordentliche Mitglieder, 38 105 Ehrenmitglieder und fünf bereits verstorbene Mitglieder (darunter Voltaire). Die ordentlichen Mitglieder stammten im wesentlichen aus der Landgrafschaft Hessen-Kassel sowie aus den Universitätsstädten Marburg und Rinteln. Die Ehrenmitglieder waren aus Frankreich, Italien, Rußland, England und Deutschland. Der beständige Sekretär Jean-Pierre-Louis de Luchet wird zwar häufig sowohl von seinen Zeitgenossen als auch von nachfolgenden Forschergenerationen ausgesprochen negativ beurteilt, 39 doch unstrittig ist, daß er in seiner Amtszeit in einer auf Europa ausgedehnten Korrespondenz die Gesellschaft außerordentlich bekannt machte. Luchet leistete darüber hinaus auch die wesentliche Arbeit an der ersten und einzigen Publikation, den Memoires de la

36 37

38

39

Ebd., S. XLVm. Repertoire des Discours sur les Antiques prononces 1 'annee 1777, LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [I, Bl. 68-73. Das verstieß gegen die Satzung, die nur 40 ordentliche Mitglieder zuließ. Vgl. Memoires de la Societe des Antiquites, (wie Anm. 4), Preface. Friedrich Wilhelm Striedter, Grundlage zu einer Hessischen Gelehrten und Schriftsteller Geschichte, Bd. 8, S. 117-118; H. Brunner, Der Marquis de Luchet. Ein Beitrag zur Geschichte des Hofes, insbesondere der fürstlichen Hofbibliothek unter Landgraf Friedrich Π. von Hessen, in: Kasseler Tageblatt, N° 108-113 (1903); Ann Thomson, Jean-Pierre de Luchet, in: Dictionnaire des journalistes. Oxford 1999, Bd. 2, S. 661 f.

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Societe de Cassel. Seine beiden Nachfolger, Casparson und Völkel, haben weder die Korrespondenz fortgesetzt noch weitere Publikationen herausgebracht. 2.2. Preisaufgaben und Preisschriften Die überlieferten Akten der Gesellschaft geben Aufschluß über das reiche Spektrum an Vorschlägen für Preisaufgaben, die im Zeitraum von 1777 bis 1785 regelmäßig gestellt wurden. Die Mitglieder des Komitees der Gesellschaft brachten häufig mehrere Preisaufgaben in Vorschlag, von denen in verschiedenen Abstimmungsrunden die endgültig auszuschreibende Frage gewählt wurde. Sowohl die öffentlich ausgeschriebenen als auch die ungestellten Preisfragen liefern eine nachprüfbare Umsetzung des entwickelten kulturgeschichtlichen Konzeptes. 40 Die 1777 gestellte erste Preisfrage der Societe des Antiquitis zur Bedeutung Winckelmanns war der glanzvolle Auftakt der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Antike und verweist auf ein neues Selbstverständnis der Fragesteller. Winckelmanns bleibende Leistung besteht in der Methodik seiner Schriften, in der Verknüpfung von Historiographie und Ästhetik. Zudem war er der erste, der einen abstrakten Gegenstand zum Thema der Geschichte machte. Gerade diese Preisfrage offenbart die Fähigkeit der Gesellschaft, aktuelle Tendenzen der Wissenschaft und die damit zusammenhängenden Problemstellungen zu erkennen und zu thematisieren. Möglicherweise hat der Landgraf selbst die Preisaufgabe angeregt, da er im März des Jahres aus Italien zurückkehrte und der Einfluß Winckelmanns noch außerordentlich lebendig war. 1780 wurde die Preisfrage nach dem Luxus der Athenienser gestellt. Sie konnte sich mit 13 Stimmen durchsetzen. Die zwei konkurrierenden Preisfragen betrafen den Ursprung der Religion bei den Römern (10 Stimmen) sowie eine Frage nach dem Handel der Griechen. Christoph Meiners, Professor für Philosophie in Göttingen, gewann die Luxus-Preisfrage. 41 Das erste Accessit ging an Reitemeier, der einige Jahre später, 1783, mit seiner Abhandlung von der Geschichte und dem Zustand der Sklaverey und Leibeigenschaft in Griechenland eine offene Preisfrage der Kasseler Gesellschaft gewinnen sollte.42 Das zweite Accessit gewann Thomas Tychsen, Theologieprofessor in Göttingen. 1784 wurde der Preis für die Persepolis-Frage an Antoine de Mongez verliehen. Die Aufforderung bestand in der Darstellung der besten Beschreibung der bekannten Stadt Persepolis, in welcher Alexander in einem Moment der Trunkenheit aufgrund des Einflusses der Kurtisane Thais Feuer legen ließ. 1785 ging der Preis an 40 41

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LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [V. Meiners hatte 1768 bereits ein Accessit der Berliner Akademie mit seiner Abhandlung über die Neigungen erringen können. Johann Friedrich Reitemeier, Geschichte und Zustand der Sklaverey und Leibeigenschaft in Griechenland. Eine Schrift, welche von der Hessen-Casselischen Gesellschaft der Alterthümer den Preis erhalten hat. Berlin 1789.

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Johann Friedrich Kleuker, der auf die Frage vom Ursprung der Emanationslehre bei den Kabbalisten und ob diese aus der griechischen Philosophie stamme, geantwortet hatte. Die Gesellschaft erkannt ihm den Preis zu, obwohl sie die Aufgabe nicht als vollständig beantwortet betrachtete: [...] l'Auteur de ce Discours, Mr. Kleuker, Recteur du College d'Osnabruck, malgre ses judicieuses et profondes recherches n'ait pas rempli entierement le but propose. L'Auteur avoue lui meme n'avoir pas trouve le Systeme de l'emanation des Etres de la substance divine, clairement explique dans la Bible, ainsi il seroit important de savoir, s'il ne se trouvoit pas des traces plus süres dans les ecrits des Juifs, avant J. C. 4 3

Deutlich ist zu erkennen, daß die öffentlich ausgeschriebenen Preisfragen in erster Linie die religionsgeschichtlichen und allgemein historischen Interessensschwerpunkte der Gesellschaft abdeckten. Selbst die ungestellten, auf den internen Sitzungen der Gesellschaft diskutierten Fragen stammten überwiegend aus den Gebieten der Religion und Geschichte.44 2.3. Französisch versus Deutsch? Zur Sprachwahl der Gesellschaft Die der Societi des Antiquitis unterstellte ,Gallomanie' muß relativiert und differenziert werden. Zwar ist die Vorbildwirkung Frankreichs unbestreitbar, auch war die französische Sprache als Verkehrssprache innerhalb der Gesellschaft überaus wichtig, doch wurde die deutsche Sprache keinesfalls ausgegrenzt. Das Komitee bestand überwiegend aus deutschen Professoren, die ihre Vorträge auch in deutscher Sprache hielten. Unter den Antworten auf die verschiedenen Preisfragen befinden sich lediglich zwei von elf Einsendungen, die in französischer Sprache abgefaßt wurden.45 In den Memoires de la Societi des Antiquitis sind elf der 23 Aufsätze in Französisch. Die Gesellschaft beschäftigte einen Übersetzer, der Beiträge und Artikel zumeist vom Deutschen ins Französische übersetzte. Auf den Sitzungen wurden Vorlesungen in deutscher und französischer Sprache gehalten.46 Herder hatte 1777 seine Preisbewerbungsschrift mit dem Satz eingeleitet „Zuvörderst erbitte ich mir die Freiheit, als Deutscher über Winkelmann Deutsch schrei-

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LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [V, Bl. 38. Im Jahr 1778 waren bspw. folgende Vorschläge zu religionsgeschichtlichen Themen in der Diskussion: Jakob Mauvillon, „Welchen Einfluß hatte die Eroberung Alexanders auf die Religion der Ägypter?" Veltheim, „Welches war der ursprüngliche Zustand der Religion der Etrusker vor der Vermischung mit der griechischen Religion?" Dohms Vorschlag, Jn welchem Zustand befand sich der Handel und das Manufakturwesen bei den Griechen?", stand zwei Jahre später immer noch zur Debatte. Antoine de Mongez, La meilleure description de la ville de Persepolis ä laquelle Alexandre dans un moment d'ivresse fit mettre le feu ä la persuasion de la courtisane Thaiz. (1784) und [anonym] Sur l'ancienne religion des peuples du Nord (April 1779), LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [V. Das wird vor allem aus den Protokollmitschriften Luchets deutlich, der die deutsche Sprache nicht verstand, LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [III, 1.

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ben zu dürfen."47 Die Auslegungen gingen häufig dahin, daß dem Autor bereits die Wahl der deutschen Sprache zum Nachteil bei der Preisvergabe geworden sei.48 Diese Interpretation übersieht, daß Heynes Einsendung ebenfalls in deutscher Sprache abgefaßt war, lediglich fur die Publikation war eine französische Übersetzung angefertigt worden.49 Die Gesellschaft wollte in erster Linie eine überregionale Wirksamkeit entfalten, und zu diesem Zweck war es notwendig, eine international verständliche Sprache zu wählen: das Französische. Die Wahl der französischen Sprache war eine pragmatische Entscheidung und Notwendigkeit. Die in der weiteren Entwicklung der Gesellschaft der Alterthümer erfolgte systematische Ausgrenzung des französischen Einflusses, auch der französischen Sprache als Kommunikationsmedium nach 1785, war ein nicht unwesentlicher Grund für den Verlust des wissenschaftlichen Status', den sich die Gesellschaft in Europa erarbeitet hatte. Ihre Arbeiten konnten überregional kaum noch wahrgenommen werden.

3. Die Neuorientierung der Gesellschaft nach 1785 und ihr Beitrag zur Erforschung der hessischen Landesgeschichte Der überraschende Tod des Landgrafen Friedrich II. am 31. Oktober 1785 stellte die Altertümergesellschaft durch die sich schnell verändernden innenpolitischen Verhältnisse unter einen Legitimationsdruck, der erneut zu einer inhaltlichen Reflexion über den Forschungsgegenstand, den Zweck und das Ziel der Institution führte. Mit dem Regierungsantritt Wilhelms IX., des Sohnes Friedrichs IL, der seit 1764 die Grafschaft Hanau regierte, vollzog sich in Hessen-Kassel der Wechsel von einem aufklärerischen und reformorientierten Regierungsstil zur selbstherrlich-antiständischen Regierungsweise. Wilhelm IX. war ein entschiedener Gegner der Aufklärung. Anders als Friedrich II. verließ er sich nicht auf seine Beamten und den Landtag, sondern betrieb eine von ständischer Kontrolle unabhängige Politik. Zahlreiche Maßnahmen seines Vaters machte er rückgängig bzw. unterwarf sie den Prinzipien der administrativen Effizienz und Rationalität.50 Wilhelm IX. verkleinerte den nach französischem Muster organisierten Hofstaat und setzte im Militärwesen und in der Bildung größere Sparsamkeit durch. So vereinigte er das Collegium Carolinum, dessen Leistungen seiner Ansicht nach nicht dem finanziellen Aufwand entsprachen, mit der Universität Marburg. Diese nach Zentralisie47 48 49

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Herder, (wie Anm. 2), S. 31. Ebd., Vorwort von Albert Duncker. Eloge de Monsieur Winkelmann qui a remporte le prix propose par la Societe des Antiquites de Cassel, l'annee 1778, par Monsieur C. G. Heyne, in: Memoires de la Societe des Antiquites, (wie Anm. 4), S. 1-26. Winfried Speitkamp, Die Landgrafschaft Hessen-Kassel und die Französische Revolution, in: Hessisches Jahrbuch fir Landesgeschichte 49 (1990), S. 145-167, hier S. 159-160.

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rung strebende Politik war unter infrastrukturellen und finanziellen Gesichtspunkten wohl sinnvoll, die Gesellschaft der Alterthümer verlor jedoch mit dem Umzug der Professoren des Carolinums nach Marburg Ende 1786 ihre wissenschaftliche Potenz. Bereits in den Jahren zuvor hatten renommierte Professoren wie Runde, Forster und Sömmering lukrativere Angebote angenommen. 51 Der Elan der Anfangsjahre war ohnehin verklungen. Allein ein Blick auf die Häufigkeit der Sitzungen läßt die geringeren Aktivitäten der Gesellschaft erkennen: Während 1777 und 1778 35 bzw. 27 Sitzungen stattfanden, sank die Zahl der Treffen in den folgenden Jahren: 1779 trafen sich die Mitglieder immerhin noch an 18 Samstagen, 1780 fanden 13 und 1781 zwölf Sitzungen statt. 1782 kam man nur noch fünfmal zusammen, 1783 achtmal, im Jahr 1784 gab es drei Sitzungen. Aus dem Jahr 1785 ist nur die Sitzung vom 2. Juli protokolliert. 52 Die internen Schwierigkeiten der Gesellschaft in den achtziger Jahren werden vor allem am Beispiel der Veröffentlichung des ersten Bandes der Memoires de la Societe de Cassel von 1780 offensichtlich. An der Qualität der Aufsätze war indes nicht zu zweifeln, denn sie zeigten die Breite und den hohen Standard der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Antike. Zwei Preisschriften von Heyne und Meiners gehören zu den wichtigsten Aufsätzen des Bandes. Die Professoren Tiedemann und Runde, beide als Rezensenten für die Allgemeine Deutsche Bibliothek tätig, waren mit jeweils zwei Beiträgen vertreten. 53 Die ungenügende Rezeption eines - vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen - reichen, gut recherchierten und qualitätsvollen Sammelbandes verweist auf die infrastrukturellen und konzeptionellen Schwierigkeiten, die die Gesellschaft nicht überwinden konnte. Ein im Jahr 1786 angefertigtes Gutachten des damaligen Bibliothekars, Friedrich Wilhelm Strieder, legt die Ursachen für den geringen Absatz der Memoires dar. Strieder betonte, daß der Absatz gleich 1780 hätte stärker sein können, wenn ein auf der Leipziger Buchmesse vertretener Buchhändler den Band in Kommission genommen hätte. Mittlerweile sei die Publikation jedoch keine Neuerscheinung mehr, und da dürfe es umso schwerer sein, diese abzusetzen. 51

52 53

1784 waren Runde nach Göttingen, Sömmering nach Mainz und Forster nach Wilna gegangen. LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [ΠΙ, 1 und [ΙΠ, 2. Dietrich Tiedemann, Memoire sur le Dieu Pan & Über die Minerva & Über Piatos Begriff von Gott, in: Memoires de la Societe des Antiquites, (wie Anm. 4). Unpublizierte Aufsätze in LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [XVI, 2; Dietrich Tiedemann, Abhandlungen: Sur les figures d'un vase du Cabinet, Bl. 1944r-2075v. Justus Friedrich Runde, Über das Erbrecht der Götter bey den Römern & Vergleichung des ehemaligen und heutigen Zustandes der deutschen Bauern und Untersuchung der Mittel, wodurch die erfolgten Veränderungen in dem deutschen Bauernstande bewürkt worden sind, in: Memoires de la Societe des Antiquites, (wie Anm. 4), S. 243ff., S. 255ff. Unpublizierte Aufsätze in LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [XV; Justus Friedrich Runde, Über den Ursprung und Anfang der väterlichen Gewalt bei den Römern in den Ältesten Zeiten (1782), Bl. 1774r-1791r; Vom Ursprung der Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches (1784), Bl. 1792r-1807v.

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Die Memoires waren im Katalog der Dessauer Buchhandlung der Gelehrten vertreten. Da diese jedoch während ihrer Existenz keine weiteren Exemplare angefordert hat, muß man davon ausgehen, daß kaum eine Nachfrage bestanden hat. Daneben benannte Strieder inhaltliche Gründe, die den Verkauf behinderten. Eine der herausragenden Abhandlungen des Bandes, die Preisschrift von Christoph Meiners über den Luxus der Athenienser, war zwischenzeitlich separat veröffentlicht worden. Auch die Lobschrift auf Winckelmann von Heyne war bereits in verschiedenen Editionen erschienen. Gleichfalls gelte es, das Zielpublikum nicht aus den Augen zu verlieren. Als Käufer kämen schließlich nur wirkliche Liebhaber in Frage, die sich allerdings gleich nach dem Erscheinen des Bandes mit Exemplaren versorgt hätten. Strieder glaubte daher nicht, daß ein Buchhändler noch auf seine Rechnung die vorhandenen Exemplare der Memoires übernehmen würde. Er sah keinen Weg zu einer Amortisation der Kosten. Den Schaden zu reparieren, werde vielmehr neuen Schaden nach sich ziehen. Strieder verwies auf den beständigen Sekretär, der vielleicht durch seine ausgebreitete Korrespondenz die Veröffentlichung bewerben und absetzen könnte.54 Der Absatz der Memoires von 1780 sollte ursprünglich den Ausbau der Fürstlichen Bibliothek befördern. Der Druck hinterließ jedoch einen Fehlbetrag von 900 Reichstalern in der landgräflichen Kriegs- und Domänen-Kasse, nachdem Friedrich II. 1778 600 und 1782 noch einmal 300 Reichstaler für die Publikation von Preisschriften und besonders guten Vorlesungen bereitgestellt hatte. Diese Summe mußte zuerst durch den Absatz wieder hereingeholt werden, bevor an weitere Veröffentlichungen gedacht werden konnte. Das erklärt letztlich auch, warum keine weiteren Bände der Memoires erschienen sind. Auf Veranlassung Wilhelms IX. nahm auch Friedrich Wilhelm von Veltheim im Februar 1786 eine grundlegende Prüfung der Gesellschaft vor. Er forderte die Mitglieder des Komitees (Du Vernois, Tiedemann, Du Ry, Schmerfeld und Casparson) anhand eines Fragebogens auf, zu sechs Punkten Stellung zu nehmen: Wer als Sekretär vorzuschlagen sei; wer ins Komitee aufgenommen werden solle; ob weniger Versammlungstermine für die Arbeit der Gesellschaft nicht forderlich seien; wie sich die Mitglieder zu den Wünschen des Landgrafen verhalten, der vier Punkte zum Hauptzweck der Beschäftigung machen wolle (die Archäologie, die Beschreibung interessanter Werke des Museums, die Kriegswissenschaft der Alten und die hessische Landesgeschichte); inwieweit sich die Gesellschaft auf diese vier Punkte beschränken und andere Gebiete völlig weglassen solle; welche Maßnahmen unternommen werden könnten, um den Absatz der Memoires zu befördern und welche Vorschläge die Mitglieder über diese Punkte hinaus zum Besten der Gesellschaft vorbringen würden. 55

54 55

Strieder, Bericht vom 13. Oktober 1786, LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [Π, 1, Bl. 247. LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [Π, 1, Bl. 135-154.

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Diese Fragen des Landgrafen, der der Gesellschaft offensichtlich kundig gegenübertrat, lassen jedoch keinen Zweifel daran, daß es sich um Direktiven handelt, unter denen er die Gesellschaft fortgeführt sehen wollte. Unstrittig blieben die neu definierte Absicht und der Endzweck der Gesellschaft: Altertümer bleiben die allgemeine Absicht der vom Durchlauchtigen Landgrafen Friedrich des Zweyten [...] gestifteten Gesellschaft. Allein durch die gnädigste Bestätigung seiner Hochfurstlichen Durchlaucht des regierenden Herrn Landgrafen Wilhelm des Neunten, im Jahr 1786, erhält sie zu ihrem besonderen Endzweck, alte und mittlere Geschichte Teutschlands, mit vorzüglicher Rücksicht auf Hessen, in dem Umfang in welchem diese Gegenstände der Natur, des Staats, der Kirche, jeder Wissenschaft und der Künste, des Friedens und des Krieges, in sich begreifen. 56

Die Existenz der Gesellschaft stand zu keinem Zeitpunkt zur Debatte, sondern es ging - in guter Kenntnis ihrer Unzulänglichkeiten und Defizite - um die Effektivierung ihrer Strukturen. In einem längeren Prozeß diskutierten die Mitglieder des engeren Ausschusses ihre Vorstellungen von einer zukünftigen Organisation und Arbeitsaufgabe der Sozietät. Die zum Einsatz kommenden Verfahren einer schriftlichen Fixierung der eigenen Meinung (jedes Mitglied des Ausschusses füllte den Fragebogen aus), des anschließenden mündlichen Austausche (in zwei Sitzungen) und des letztlich an den Landgrafen erstatteten Berichts, mit dem Casparson beauftragt worden war, spiegeln ansatzweise einen „demokratischen" Prozeß der Meinungsfindung wieder.57 Zur konstituierenden Sitzung am 17. April 1786 erarbeiteten Casparson und Veltheim einen Entwurf, der die bis dato gemachten Vorschläge zusammenfaßte. Der Entwurf wurde mehrfach abgeschrieben und den Mitgliedern des engeren Ausschusses zur Eintragung von Verbesserungsvorschlägen vorgelegt. Doch wurde der ursprüngliche Rohentwurf kaum verändert. Dieses neue Statut der Gesellschaft erhielt am 27. November 1786 die Approbation des Landgrafen. Nun trug die Societe des Antiquitis die Bezeichnung Gesellschaft der Alterthümer, der ,Secretaire perpetueP wurde zum geständigen Sekretär' und das ,Comite' in ,der engere Ausschuß' umbenannt. Die Vorgaben des Landgrafen wurden übernommen. Zu keinem Zeitpunkt hat die Altertümergesellschaft politische oder gesellschaftsverändernde Ziele verfolgt. 58 Als beständiger Sekretär wurde Casparson, Professor am Collegium Carolinum, einstimmig gewählt. Bereits zwei Jahre zuvor war er der Nachfolger Rundes im Amt des beständigen Sekretärs der Ackerbaugesellschaft geworden. Als neu zu ernennende Mitglieder für den ausgeschiedenen Tiedemann wurden der Regie-

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Einrichtung und Gesetze der Fürstlich-Hessischen Gesellschaft der Altertümer zu Cassel, Jänner 1787. LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [V, Bl. 87. LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [Π, 1, Bl. 187-192. Dazu vor allem folgende Aktenbestände: LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [II, 1, Bl. 135-154, 173-178, 187-192, 208-213, 264, 266; [V, Bl. 87ff.

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rungsrat von Malsburg und der Regierungsrat Schmincke gewählt.59 Die Wahl von Schmincke als Bibliothekar des Landgrafen war insofern von Bedeutung, als dieser den Mitgliedern den Zugang zur landgräflichen Bibliothek ermöglichte sowie die Quellen und Hilfsmittel zur Erforschung der hessischen Geschichte außerordentlich gut kannte. Die Reduzierung der regulären Sitzungen auf vier pro Jahr war der tiefgreifendste Einschnitt der Neugestaltung der Gesellschaft. 60 Casparson hatte diesen Vorschlag eingebracht, den er mit seiner dauernden Arbeitsüberlastung begründete. Als beständiger Sekretär zweier Sozietäten oblagen ihm die meisten organisatorischen Aufgaben, von deren zufriedenstellender Erfüllung die Funktionstüchtigkeit einer Gesellschaft im Wesentlichen abhing. Im Falle der 1765 begründeten Ackerbaugesellschaft führte er die sich in den Jahren etablierten und gut bewährten Strukturen fort. In der Altertümergesellschaft wäre es notwendig gewesen, diese zu entwickeln und zu festigen. Die Organisation der Versammlungstätigkeit war für die Etablierung der Gesellschaft ein wichtiger Punkt. Die Erfahrung - so argumentierte Casparson - habe gezeigt, daß eine feste Organisation und Fixierung von Versammlungsterminen notwendig war. Zu viele Versammlungen hätten einen nachteiligen Einfluß auf die Produktivität der Mitglieder, und es würde immer schwieriger werden, die Zeit auszufüllen. 61 Aus der Satzung wird ersichtlich, daß jährlich fünf Sitzungen stattfinden sollten. Eine öffentliche Versammlung der Gesellschaft wurde am Stiftungstag, dem 11. April, zusätzlich organisiert. Die starke Reduzierung der Sitzungen verlagerte die Initiative aber weitgehend auf den Sekretär und den engeren Ausschuß; die übrigen Mitglieder nahmen eine überwiegend rezeptive Haltung ein. Drei Monate lagen zwischen zwei Sitzungen, das waren zu große Abstände, um eine diskursive Kontinuität entwickeln zu können. In dieser Situation erlahmte die Produktivität gleichermaßen, da die Verbindlichkeiten fur übernommene Aufgaben abnahmen und ein kontinuierliches Arbeiten schwer aufrechtzuerhalten war. In der Folge erschienen immer weniger Mitglieder zu den Zusammenkünften. Veltheim hatte 1792 vorgeschlagen, daß das Vorzimmer des Sitzungssaales im Fridericianum genutzt werden könnte, da man dort näher beieinander säße.62 In der letzten Phase der Gesellschaft unter Ludwig Völkel ab 1802 wurde die Anzahl der Sitzungen wieder auf sechs erhöht.63

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Die neuen Gesetze der Gesellschaft sahen eine Aufstockung der Mitglieder im engeren Ausschuß auf sieben vor, um paritätische Entscheidungen zu vermeiden. „§ 6 Die Gesellschaft hält jährlich vier ordentliche Sitzungen (1. März, 1. Juni, 1. September, 1. Dezember)." in: Einrichtung und Gesetze der Fürstlich-Hessischen Gesellschaft, (wie Anm. 56). Casparson, Unmaßgebliche Beantwortung der die Gesellschaft der Alterthümer betreffenden Puncte, LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241[Π,1, Bl. 139r-142v. LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [Π, 2, Bl. 372. LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [Π, 2, Bl. 437.

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106 Jahr 1790 1791 1792 1793 1794 1795 1796 1797 1798 1799 1800 1801 1802 1803 1804 1805 1806

Sitzungen 1 4 2 5 5 5 4 2 5 5 5 5 3 3 3 0 1

Vorträge 1 7 3 9 9 10 5 3 8 8 10 8 5 5 7 0 3

Tabelle 1: Übersicht über die tatsächliche Anzahl der Sitzungen und Vorträge 1790-1806.

Casparson hatte Mühe, für die Sitzungen Vorlesungen einzuwerben. Häufig bestritt er mit eigenen Vorträgen die Versammlungen. Seine Themen beschäftigten sich schwerpunktmäßig mit Hessen, er sprach über die deutsche Sprache, Vaterlandsliebe und Volkstreue. Preisfragen sollten nur noch alle zwei Jahre ausgeschrieben werden. Dafür wollte das Komitee das innergesellschaftliche Leben durch die vierteljährliche Vergabe eines Preises an ein Mitglied für die beste Vorlesung interessanter gestalten. Auf diesem Weg hoffte man vor allem auf einen Effekt: weniger mittelmäßige Vorträge hören zu müssen.64 Das Komitee begründete diesen Vorschlag ebenfalls mit einem Blick auf den deutschen Buchmarkt. Die Gelehrten würden so schlecht bezahlt, daß dieser Preis einen indirekten Druckkostenzuschlag bzw. ein Autorenhonorar darstelle. Diese zusätzlichen Preise sollten von dem Geld finanziert werden, das für den Übersetzer ausgegeben wurde, der nun nicht mehr weiterbeschäf-

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„§ 10 Auf einen gewissen Termin, jedes zweyte Jahr, wird eine Preisfrage gegeben, und der Preis, von zwanzig Louis d'or, wird, nach Befinden der eingekommenen Schriften, in der dazu bestimmten Sitzung, dem Verfasser der preiswürdig erkannten Schrift zuerkannt. [...] § 11 Alle drey Monate erhält die sich am vortheilhaftesten auszeichnende Vorlesung einen Preis von vier Louis d'or, doch muß diese von einem innländischen Mitglied verfaßt sein. Die Glieder des engem Ausschusses bleiben gleichfalls davon ausgeschlossen.", in: Einrichtung und Gesetze der Fürstlich-Hessischen Gesellschaft der Altertümer zu Cassel, Jänner 1787, (wie Anm. 56).

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tigt werden müsse. Der beständige Sekretär war von einer Bewerbung um diesen Preis ausgenommen. Offenbar wurde der Preis nie vergeben. Zu den vier vom Landgrafen vorgeschlagenen Beschäftigungsfeldern befanden die Mitglieder, daß neben der Archäologie auch die Literaturgeschichte und Kunst zum allgemeinen Interesse der Gesellschaft gehören sollte. Zur Beschreibung der im Museum befindlichen Seltenheiten (wie Handschriften) und Denkmäler alter Geschichte wurde ein Catalogue raisonne geplant, der nicht fertig gestellt wurde. Der dritte Vorschlag des Landgrafen, die deutsche, insbesondere hessische Geschichte aus den Zeiten des Altertums und der Mittelzeit stärker in das Zentrum zu rücken, wurde von den Mitgliedern positiv aufgenommen. Auch die Beschäftigung mit der Kriegswissenschaft gehörte aufgrund der hessischen Tradition gewissermaßen zum „guten Ton".65 Am 1. Dezember 1787 hat die Gesellschaft der Alterthümer nach der Umgestaltungsphase ihre regulären Geschäfte wieder aufgenommen. 66 Das Statut der Gesellschaft vom Januar 1787 ist der Beweis dafür, daß der Landgraf auch die Vorschläge billigte, die der engere Ausschuß zur Beförderung der Gesellschaft einbrachte. Dabei stand die Absicht des Komitees im Vordergrund, 65

LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [IV. Übersicht über die Themen der Gesellschaft, die seit 1785 im Mittelpunkt standen: Vorträge zu antiken Themen

Vorträge zur mittleren Geschichte Hessens

Homers Vorstellungen vom zukünftigen Leben [von Monroi, 1790] Malerei der Griechen [1791] [Anonym]

Handschriften der Fürstlichen Bibliothek des Landgrafen Philipp (1541) [Casparson, 1790] Nachdruck und Stärke der deutschen Muttersprache [1791] [Anonym] Über die deutsche Sprache aus Deutschlands alten Zeiten, in Hinsicht auf das Deutsche in den ver-schiedenen Gegenden Hessens [Casparson, 1793] Einfluß des Klimas auf den Charakter alter Völker, in Anwendung auf Hessen [Casparson, 1793] Von der alten Erbverbrüderung und Erbeinigung der deutschen Fürstenhäuser Brandenburg und Hessen [Casparson, 1797] Über den ursprünglichen Volkscharakter der Deutschen [Casparson, 1797] Wirkungen der großen Völkerwanderung auf die Kultur des mittleren Deutschlands [Casparson, 1798] Über die Volkstreue der Alten Deutschen in Hinsicht auf die Treue des neuen Deutschen und Hessen [Casparson, 1799]

Verwandlungsfabeln bei den Griechen und Römern [Dr. Lenz aus Celle, 1795]

Bibliotheken der Alten [Casparson, 1796] Über Altertümer der Stadt Rom [auswärtiges Mitglied, 1798] Über die römischen Altertümer in Wiesbaden [Ritter, 1800] Über die Rede der Scythen an Alexander den Großen [Casparson, 1799] Über die Musik der Alten, vor allem des Pythagoras [Casparson, 1801]

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Zumindest datiert das erste überlieferte Protokoll auf diese Sitzung. Casparson führte sehr gewissenhaft Protokoll über die einzelnen Sitzungen, deren Tagesordnungspunkte zuvor vom Landgrafen bestätigt werden mußten. LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [IV.

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die Mitglieder der Gesellschaft für aktivere Mitwirkung und wissenschaftliche Mitgestaltung zu gewinnen. Eine Idee zielte auf eine striktere Trennung zwischen ordentlichen Mitgliedern und Ehrenmitgliedern und wurde von Johann Daniel von Schmerfeld eingebracht.67 Mit dem Status des ordentlichen Mitglieds, der vorrangig an inländische Gelehrte vergeben werden sollte, mußte ausdrücklich die Verpflichtung zu wissenschaftlicher Arbeit verbunden sein. Als Norm werden zwei Vorlesungen pro Jahr veranschlagt, lediglich wenn die Geschäfte des Betroffenen besonders umfangreich seien, ist eine Vorlesung jährlich tolerierbar. Die Ehrenmitglieder sind hingegen nicht zu Arbeiten verpflichtet und genießen den Beförderer-Status.68 Schmerfeld verwies dabei auf seine eigene Situation. Er bezeichnete sich als Dilettant und führte an, daß die Vielzahl seiner Geschäfte wenig Zeit und Muße für zusätzliche wissenschaftliche Aktivitäten lassen würden. Darüber hinaus bemühte sich der engere Ausschuß um den Zugang zum Museum und die Einsichtnahme in den vorhandenen Katalog. In diesem Zusammenhang wurde vorgeschlagen, die institutseigene Bibliothek der fürstlichen anzugliedern, weil es dann möglich sei, daß der Bibliothekar Schmincke die erstere mitverwalte und den Gelehrten die notwendigen Bücher auch aus dieser zur Verfügung stellen könnte. Das Einverständnis des Landgrafen garantierte den Mitgliedern gute Arbeitsbedingungen.69 Ab 1786 wurden alle zu besetzenden Ämter der Altertümergesellschaft durch den Landgrafen vergeben. Unter Friedrich II. waren die neu aufzunehmenden Mitglieder gewählt worden. Der engere Ausschuß konnte zwar Vorschläge machen, doch eine Abstimmung über die Aufnahme eines Mitglieds fand nicht mehr statt. Der Landgraf ernannte sowohl neue Ehrenmitglieder als auch ordentliche Mitglieder bzw. verfügte er über den Ausschluß von Mitgliedern.70 Wilhelm IX. übte eine so weitgehende Kontrolle aus, daß die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft teilweise behindert war. Der Landgraf griff zwar selten direkt in die Geschäfte ein, doch jede Unternehmung bedurfte seiner Billigung. Ein Brief von Casparson an Veltheim macht dies sehr deutlich: „Sitzung vom 1. September

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LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [Π, 1, Bl. 146r / ν, 1. März 1786. „§ 2 Sie [die Gesellschaft - A.V.] besteht aus Personen von Geburt, Stand und Rang als ihren Ehren-Mitgliedern und aus gelehrten und wirklich arbeitenden Personen als ordentliche oder briefwechselnde Mitglieder." in: Einrichtung und Gesetze der Fürstlich-Hessischen Gesellschaft, (wie Anm. 56). „§12 Damit die in der Hauptstadt sich aufhaltenden Mitglieder der Gesellschaft zweckmäßig interessante Materien wählen, und solche gründlich und hinlänglich ausarbeiten können, so ist ihnen der fteye Gebrauch der fürstlichen Bibliothek verstattet; eben so die zur Wahl interessanter Materien nöthige Einsicht in die Cataloge und Verzeichnisse der überhaupt im Museum Fridericianum befindlichen Handschriften und Sammlungen von Natur- und Kunstsachen f...]" in: Einrichtung und Gesetze der Fürstlich-Hessischen Gesellschaft, (wie Anm. 56). So ordnete er den öffentlichen Ausschluß der Revolutionssymphatisanten Condorcet, Forster und Bailly an. In der Begründung des Erlasses verwies er auf das Beispiel der Akademien von London, Berlin und Sankt Petersburg, LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [Π, 2, Bl. 380.

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konnte nichts in Vorschlag bringen, da Serenissimus abwesend waren und es doch jedesmal Höchstgnädigsten Befehl bedarf [...]"?1 Die formulierten Aufgaben und Ziele der Gesellschaft konnten im Wesentlichen nicht in die Tat umgesetzt werden. Zwar wurden Vorträge gehalten, Preisfragen diskutiert und gestellt, doch der große Preis ist nicht wieder vergeben worden. Möglicherweise sind keine Preisbewerbungsschriften eingegangen. Entscheidende Veränderungen fanden in der Mitgliederstruktur der Gesellschaft statt. Durch den Zusammenschluß des Collegium Carolinum mit der Universität Marburg wurden auch die Professoren Baldinger, Michaelis, Stein, Stegmann, Tiedemann und Wepler versetzt. Sie blieben zwar noch ordentliche Mitglieder, waren jedoch nicht mehr an den Sitzungen und Arbeiten der Gesellschaft beteiligt. Tiedemann hatte - unterstützt von Schmerfeld - vorgeschlagen, die Altertümergesellschaft mit den Professoren nach Marburg zu verlagern. So hätte die gelehrte Gesellschaft eine sinnvolle Ergänzung zum universitären Betrieb werden können. Dieser Vorschlag wurde allerdings nicht aufgegriffen.

4. Die Endphase der Gesellschaft der Alterthümer (1802-1807/1819) In einem Schreiben an die französische Besatzungsmacht von 1807 schilderte Völkel den Zustand der Altertümergesellschaft als lethargisch. Der eigentliche Zweck, den die Gesellschaft verfolgen sollte, nämlich die Erweiterung und Ausbildung der Altertumswissenschaften, könne nicht realisiert werden, weil die Anzahl der arbeitenden Mitglieder zu gering sei und es an den hinlänglichen finanziellen Mitteln für Bücher, Preisaufgaben und Sammlungsankäufe fehle. 72 Tatsächlich war die Anzahl der ordentlichen Mitglieder, die in Kassel wohnten und von denen aktive Beiträge erwartet werden konnten, auf neunzehn gesunken. Acht weitere ordentliche Mitglieder wohnten außerhalb (zumeist in Marburg und Hanau) und waren in die laufenden Geschäfte der Gesellschaft kaum involviert.73 Die Rechnungsbücher widerlegen allerdings Völkeis Klagen vom Geldmangel, denn die Gesellschaft brauchte bei weitem nicht das ihr zur Verfügung gestellte Geld auf. Zwischen 1787 und 1805 flössen jährlich 400 Reichstaler in die Kasse der Sozietät. 1790 verfügte sie über ein Guthaben von 895 Reichstalern. Ab 1791 wurde die Haben-Seite geringer, da Völkel ein höheres Gehalt bezog. Die Ausgaben beschränkten sich auf die Gehälter des Sekretärs und des Schreibers, auf Schreibpapier, Druckkosten für Ankündigungen, die Ausrichtung des Sitzungsraumes und vereinzelte Bindungen der Memoires. 1801 - die Gesellschaft verfugte über eine Vorratssumme aus dem Jahr zuvor von 533 Reichstalern - schlug Carl Wilhelm 71 72 73

LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [Π, 2, Bl. 376. LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [Π, 3, Bl. 491. LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [Π, 3, Bl. 507.

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Robert (zu diesem Zeitpunkt Mitglied im engeren Ausschuß) vor, das Geld anzulegen. Man erwarb eine Obligation von 500 Gulden Kapitalanteil, um den fiir ein Vermögen anzulegen, aus dem Anschaffungen wie Bücher getätigt werden sollten.74 In den beiden letzten Jahren der Gesellschaft (1806-1807) ließ Völkel nichts unversucht, um die Gesellschaft unter der französischen Besatzungsmacht zu erhalten. Doch diese wollte nur Geld zur Verfugung stellen, wenn die Sozietät ihre Nützlichkeit nachweisen konnte. Mit der einzigen Publikation von 1780 war dies schwer möglich. Die Existenz der Gesellschaft endete daher 1807 mit der Weigerung der französischen Besatzungsmacht, die jährlichen 400 Reichstaler weiter zu zahlen. Völkel übernahm in den folgenden Jahren die schrittweise finanzielle Auflösung der Sozietätsgelder. Es gelang ihm, die Anleihe vorteilhaft zu verkaufen; von dem Erlös erwarb er Bücher für die Bibliothek: So sind demnach die Societätsgelder ihrer Bestimmung gemäß zur Vermehrung der Bibliothek verwand worden. Durch die Übernahme derselben 1807 habe ich den Eingriff oder die Anwendung zu andern Zwecken in jener Zeit verhütet, durch die Bewahrung der Obligation den Verlust an ihrem Wert vermindert [...]75

Diesem letzten Schriftstück, in dem die Gesellschaft der Alterthümer Erwähnung findet, gingen einige Versuche Völkeis voraus, der Sozietät neue Impulse zu geben. Er war nach dem Tod Casparsons 1802 aus pragmatischen Gründen zum beständigen Sekretär ernannt worden. Gemäß einer Verfügung des Landgrafen von 1789 erhielt er sein Gehalt von 200 Reichstalern als Museumsangestellter aus dem Fond der Altertümergesellschaft. Er war mit der Aufsicht über die im Museum befindlichen Antiquitäten, Uhren, Medaillen und Raritäten betraut. Allein diese Zahlungsanweisung Wilhelms IX. verdeutlicht, daß die Gesellschaft nach 1785 keinerlei Unabhängigkeit erlangen konnte und ständigen Eingriffen des Landgrafen ausgesetzt war. Die starke Kontrollausübung von obrigkeitlicher Seite verhinderte - verbunden mit der permanenten Überlastung der Schlüsselpersonen der Gesellschaft - eine Festigung und eigendynamische Entwicklung der Sozietät. Die immer geringeren Freiräume für neue Themen wurden in den 1790er Jahren verstärkt durch den Einfluß der Französischen Revolution und der repressiveren Politik Wilhelms IX. Konzeptionell knüpfte Völkel direkt an die erste Phase unter Friedrich II. an und rückte die Altertumswissenschaften wieder in den Mittelpunkt. Eine Veränderung der Statuten wurde nicht vorgenommen. Überdies trat Völkel nur noch als 74 75

LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [XXI, 1 / XXI, 2 / XXI, 3. LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [XX, Bl. 2. Bericht Völkeis aus dem Jahr 1819. Vgl. auch: LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [XX, Bl. 58, Verzeichnis der Bücher, welche fiir die Bibliothek von den Geldern der ehemaligen Sozietät der Altertümer vom J. 1808 nach ihrer Aufhebung an bis 1819 nach und nach angekauft und auf den Rechnungen, die bey den Sozietäts-Schriften liegen, verzeichnet sind.

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Einzelperson in Erscheinung. Der engere Ausschuß war unterbesetzt, bzw. konnten keine Neubesetzungen gefunden werden. Der neue Sekretär ordnete die hinterlassenen Akten, die er in größter Unordnung von Casparson übernommen hatte. Sein besonderes Interesse galt der Bibliothek. Vor allem kritisierte Völkel, daß es in der Vergangenheit versäumt worden sei, wichtige antiquarische Bücher anzuschaffen. Wundern muss es ja den, der das archäologische Fach [...] durchsieht, wie an dem Sitze einer Antiquitätengesellschaft, bey dem Schatze von so vielen Antiken aller Art, die vorzüglichsten Werke über Architektur, Numismatik [...] mangeln können, und ich muss gestehen, dass mir gleich bey dem Antritt meines Amtes diese Lücke sehr aufgefallen ist. Dem Marquis de Luchet läßt es sich weniger zur Last legen, dass er die nothwendigsten Hülfsmittel nicht herbeyschaffie: er hatte wenig literarische Kenntnisse der Archäologie, und vermisste antiquarische Bücher nicht, weil er sich mit der Erklärung der Antike wenig beschäftigte. Eher fallt die Schuld auf Schmincke, der in der Literatur nicht fremd war, und ehemals die beste Veranlassung täglich hatte, zur Vermehrung der antiquarischen Bibliothek eine ausserordentliche Verwilligung auszuwirken. Denn von dem jährlichen Verlag war es nicht möglich, auch wenn er ganz allein 10 Jahre hindurch darauf verwandt würde, eine vollständige Sammlung von Büchern über die Alterthümer zusammenzubringen. 7 6

Völkeis Pragmatismus bei der Neuordnung ist unübersehbar. So wollte er die Sitzungen in einem monatlichen Rhythmus von Oktober bis März durchführen, 77 da gerade die Winterzeit Muße für gelehrte Beschäftigungen lasse. Die Protokolle weisen für 1805 keine Sitzung aus, für 1806 nur eine, wohl die letzte der Altertümergesellschaft. Die Verbesserungsvorschläge bezogen sich in erster Linie auf den Versammlungsstil, der von dem starken Vortragscharakter zu einem Gesprächscharakter umgestaltet werden sollte. Völkeis Anliegen bestand darin, eine Diskussionskultur zu entwickeln, die wechselseitig befruchtend für die Mitglieder sein sollte. Damit würden die Sitzungen ihren feierlich-zeremoniellen Charkter verlieren. Völkel schlug daher vor, in jeder Sitzung ein antikes Thema auszugeben, zu welchem sich alle Anwesenden belesen sollten, um es auf der nächsten Zusammenkunft zu diskutieren. Die Antike war in Völkeis Sichtweise ein so weites Feld, daß jedes Mitglied Anregungen aus den Journalen oder Neuerscheinungen sammeln und mitbringen könne. Preisaufgaben und Publikationen spielten in seinen Überlegungen keine Rolle mehr, die Außendarstellung der Gesellschaft wie die Korrespondenz mit anderen Akademien wurde ebenfalls ausgegrenzt. Völkeis Standpunkt war eindeutig: „Auf diese Weise, denke ich, wird die Gesellschaft sich selbst, ohne fremden Beystand belehren und unterhalten können, denn von den auswärtigen Mitgliedern möchten wohl wenige Beyträge zu erwarten seyn." 78 Die methodische Strenge und wissenschaftliche Disziplin der Anfangsjahre wurde nicht fortgeführt. Unweigerlich drängt sich der Eindruck auf, daß sich die ur76 77

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LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [XX, Bl. 21. Brief von Völkel vom 23. März 1805. Die Anzahl der Sitzungen stieg damit laut Satzung auf sechs pro Jahr zusätzlich zu der außerordentlichen Versammlung am Stiftungstag, dem 11. April. LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [Π, Bl. 477-480. Vgl. auch S. 105f. LMB Kassel, 2° Ms. Hass 241 [Π, Bl. 478v.

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sprünglich wissenschaftlich orientierte Gesellschaft zu einer provinziellen Lesegesellschaft entwickelt hatte. 5. Fazit Zusammenfassend ist die Entwicklung der Gesellschaft der Alterthümer auf drei markante Spezifika reduzierbar: In ihrer ersten Phase hat die Societe des Antiquites durch ihre methodische Reflexion über die Auseinandersetzung mit der Antike einen Beitrag zur Funktionsdifferenzierang und Spezialisierung der Wissenschaften in Fachdisziplinen geleistet. In der zweiten Phase standen die Diskussionen über die Neustrukturierung der Gesellschaft und die neue inhaltliche Schweipunktsetzung auf die hessische Regionalgeschichte im Mittelpunkt. Die dritte Phase war zwar durch ein retrospektives Reflexionsmoment und das Bemühen um die Fortführung der Gesellschaft geprägt, doch gelang weder institutionell noch konzeptionell ein Neubeginn. Die Societe des Antiques versuchte in ihrer Arbeit, die Totalität der Antike zu erfassen. Dazu zählte der gleichberechtigte Einbezug der Staats-, Religions-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte, der Mythologie, der Kunst und der Archäologie. Innerhalb dieser breiten Auffassung eines Studiums der Antike wurde der Religionsgeschichte besonderes Interesse entgegengebracht. Die Altertümergesellschaft hat eine kulturgeschichtlich umfassende Rezeption der Antike angestrebt. Im Gegensatz zu den Antiquitätensammlern, die nur konservatorische Arbeiten verfolgten, strebte die Societe danach, mit ihren Forschungen zum Fortschritt der Wissenschaft beizutragen. Die Sammeltätigkeit hatte in Kassel ihren eigenen Ort erhalten: Das Museum Fridericianum war das erste öffentliche Museum in Europa. Die Beschränkung auf eine geisteswissenschaftliche Disziplin macht die Originalität, aber auch die Randständigkeit der Gesellschaft aus. Das methodische Konzept fand keinen institutionellen Rückhalt und keine wissenschaftliche Einbindung in den gelehrten überregionalen Kontext. Weder die zeitgenössische Wissenschaftsauffassung noch die Wissenschaftlerbiographien trugen das Anliegen und Konzept der Societe des Antiquites, die allein aus diesen Gründen längerfristig zum Scheitern verurteilt war. Gegenstand des vorliegenden Beitrages war nicht die Umdeutung einer Verfalls- in eine Erfolgsgeschichte. Die Gesellschaft der Alterthümer sollte anhand der überlieferten Quellen auf die Ursachen und Gründe untersucht werden, die letztlich zu ihrer Auflösung führten. Die Originalität der Gesellschaft lag in der Genese und Realisierung eines kulturgeschichtlichen Konzepts der wissenschaftlichen Betrachtung der Antike. Bernhardi spricht diesbezüglich noch von der „Zersplitterung der Kräfte".79 Dieser kulturgeschichtliche Ansatz der Antikerezeption aus der An-

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Bernhardi, (wie Anm. 1).

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fangsphase war jedoch das innovative Moment der Societe des Antiquites. Die Veränderungen nach 1785, das Ringen um die Fortführungen der wissenschaftlichen Arbeiten oder die Bemühungen um adäquate Forschungsbedingungen verlangten eine differenziertere Betrachtung der Einflußfaktoren und können nicht mit „erlahmendem Eifer" abgetan werden. Die Societe des Antiquites war schließlich eine der ersten sich ausschließlich mit geisteswissenschaftlicher Forschung beschäftigende Institutionen.

JOACHIM BAUER ( J e n a )

Studentische Organisationen zwischen Geselligkeit und Politik - Gedankenwelten und Selbstwahrnehmungen

Orden, sind auf den meisten Universitäten verboten, und werden gemeiniglich nur heimlich unterhalten [...]. Eine Geschichte dieser Orden zu schreiben [...] könnte zwar für Studenten, so lange sie auf Universitäten sind, unterhaltend seyn, würde aber sonst keinen Menschen intereßiren, weil so viel Schwaches und Lächerliches dabey vorkommt. 1

Dieses Urteil fällte 1781 Magister Christian Wilhelm Kindleben, eine der buntschillernd tragik-komischen Figuren der hallischen Akademikerszene, in seinem Studenten-Lexikon.1 Kindleben bestätigt mit seinem Urteil ungewollt die These, daß sich vor allem autokratisch gebärdende Beamte und Regenten Nutzen aus den Konfrontationen mit akademischen bzw. studentischen Verbindungen versprachen. Ihnen ging es - so die These des amerikanischen Germanisten W. Daniel Wilson um prinzipielle staatliche Kontrolle, Überwachung und, wo nötig, um Unterdrückung. 3 Die Orden und ihre Mitglieder erfuhren verstärkt staatliche Aufmerksamkeit, vor allem verursacht durch die aufflammenden Verschwörungslegenden, 4 ohne dass ihre Aktionen tatsächlich Staatsinteressen in besonderem Maße gefährdeten. Die Anfange dieser Entwicklung lagen jedoch schon vor den Jakobinerverdächtigungen der Revolutionszeit und ein halbes Jahrhundert weit entfernt von den Aktionen auf der Wartburg, die als Ausdruck akuter politischer Verschwörung gegen die staatliche Ordnung von den europäischen Regierungen gewertet wurden. Schon die Zeitgenossen hatten Probleme bei der Beurteilung sogenannter aufgeklärter Sozietäten, vor allem dann, wenn es sich um Arkangesellschaften handelte. Viele erblickten in geheimen Gesellschaften einen Hort für Geheimbündler und somit eine politische Bedrohung, ganz gleich ob diese Sozietäten sich im Kontext von Spätaufklärung, der Revolutions- und napoleonischen Kriegszeit oder unter dem Einfluß des frühen Konstitutionalismus und Nationalismus entfaltet hatten.

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Studenten-Lexikon. Aus den hinterlassenen Papieren eines unglücklichen Philosophen, Florido genannt, ans Tageslicht gestellt von Christian Wilhelm Kindleben. Halle 1781, S. 151f. Zur Biographie vgl.: Studentenlieder aus den hinterlassenen Papieren eines unglücklichen Philosophen, Florido genannt, gesammlet und verbessert von Cfhristian] W[ilhelm] K[indleben], O.O. [Halle] 1781, in: Studentensprache und Studentenlied in Halle vor hundert Jahren. Halle 1894 (Neudruck), Teil 2, S. 2 - 1 2 7 , hier S. XVIIff. Vgl. W. Daniel Wilson, Geheimräte gegen Geheimbünde. Ein unbekanntes Kapitel der klassisch-romantischen Geschichte Weimars. Stuttgart 1991, S. 139ff.; ders., Das Goethe-Tabu. Protest und Menschenrechte im klassischen Weimar. München 1999, S. 175ff.; ders., Unterirdische Gänge. Goethe, Freimaurerei und Politik. Göttingen 1999, S. 5 I f f . Johannes Rogalla von Bieberstein, Die These von der Verschwörung 1776-1945. Philosophen, Freimaurer, Juden, Liberale und Sozialisten als Verschwörer gegen die Sozialordnung. Frankfurt/M. 1976.

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Manch alter Arkanbruder sah sich im Zuge seines beruflichen Aufstiegs gezwungen, von den, nunmehr als Spielerei deklarierten, Jugendsünden Abstand zu nehmen. Man verschwieg geflissentlich, welche Intentionen mit der vormaligen Mitgliedschaft verbunden waren bzw. welchen Nutzen man für die persönliche Karriere gezogen hatte. Das traf für Goethe und seine Wetzlarer Tafelrunde in Dichtung und Wahrheit5 ebenso zu wie für Knigge und seine Arkangesellschaften im Umgang mit Menschen.6 Andere sahen die Entwicklungen gelassen, bewerteten vor allem die von der akademischen Jugend frequentierten Sozialisationsformen und die damit verbundene Lebensform als natürliches Entwicklungsphänomen. Prominentes Beispiel war Schleiermacher, der im Diskurs um die Gründung der Berliner Universität andere Positionen einnahm, als Fichte mit seinen Angriffen auf das organisierte Studententum und die studentische Lebensweise als vorgeblich größter Gefahr für die Universität.7 Schleiermacher bezog vor allem im fünften Kapitel seiner ,,Gelegentliche[n] Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn" dazu Stellung. Man klage seit langem über die rohen Sitten und die unmoralische Lebensweise unter der Jugend auf deutschen Universitäten. Alles durcheinander, was den Gegenstand dieser Beschuldigung ausmacht, ist unter dem Namen der akademischen Freiheit bekannt und verschrieen, von den meisten gefurchtet, wenn es in ihre Nähe kommen sollte, und der Beschreibung nach gehasst von denen, die sie nicht kennen oder die vergesslich und undankbar sind gegen ihre Jugend [...].

Vielen sei diese Freiheit aber „[...] eine erfreuliche und anmutige Erinnerung an die reichste und kräftigste Zeit des Lebens [...]" und wenigen, die in die Zusammenhänge eingeweiht seien, ein interessanter Gegenstand. Die Lösung von Problemen, die im Zusammenhang mit akademischer Freiheit stünden, sei zudem eine

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Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Aus meinem Leben, in: Johann Wolfgang von Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, 1. Abteilung, Bd. 14, Frankfint/M. 1986, S. 578-580. Adolph Freiherr Knigge, Über den Umgang mit Menschen. Leipzig 4 1984, S. 298ff. Hier wurde die vierte Auflage von Knigges Buch aus dem Jahre 1792 zugrunde gelegt. Knigge war bereits während seines Göttinger Studiums Mitglied im Concordien-Orden. Vgl. Götz von Seile, Ein akademischer Orden in Göttingen um 1770. Göttingen 1927, S. 85 Nr. 62. Zu den unterschiedlichen Positionen bzw. Fichtes Verhalten in Jena vgl. u.a. Theodore Ziolkowski, Das Amt der Poeten. Die deutsche Romantik und ihre Institutionen. München 1994, S. 363ff.; Appellation an das Publikum [...]. Dokumente zum Atheismusstreit um Fichte, Forberg, Niethammer Jena 1798/99. Hg. v. Werner Röhr. Leipzig 1991; Karl-Heinz Fallbacher, Fichtes Entlassung. Ein Beitrag zur Weimar-Jenaischen Institutionengeschichte, in: Archiv für Kulturgeschichte 67 (1985), S. 111-135; Otto Götze, Die Jenaer akademischen Logen und Studentenorden des XVIII. Jahrhunderts. Jena 1932, S. 118-143. Zu den Textgrundlagen Schleiermachers und Fichtes vgl. auch Gelegentliche Gedanken über Universitäten von J. J. Engel, J. B. Erhard, F. A. Wolf, J. G. Fichte, F. D. E. Schleiermacher, K. F. Savigny, W. v. Humboldt, G. F. W. Hegel. Hg. v. Ernst Müller. Leipzig 1990; Johann Gottlieb Fichte, Über die einzig mögliche Störung der akademischen Freiheit. Eine Rede beim Antritte seines Rectorats an der Universität Berlin, den 19. Oktober 1811 gehalten, Erste Ausgabe 1812, in: Fichtes Werke. Hg. v. Immanuel Hermann Fichte, Bd. VI. Berlin 1971, S. 4 4 9 ^ 7 6 .

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wichtige Aufgabe.8 So müsse man „[...] das Verhältnis der Studenten zur Gesellschaft auf der Universität selbst richtig [...]" organisieren, vor allem das richtige Maß zwischen notwendiger Abgeschiedenheit und Integration innerhalb der Gesellschaft finden. Selbst der Zweikampf war nach Schleiermachers Meinung eine „höchst natürliche und unvermeidliche Erscheinung", die ohne eine Annäherung von Gesetzgebung und herrschendem Ehrgefühl in der Gesellschaft auch an den Universitäten nicht zu vermeiden sei. Ein sachtes Umlenken der Duellpraxis in die Gefilde „gymnastischer Übungen" lasse durch die Vereinigung von körperlicher und geistiger Schulung mehr Reife erwarten und damit das Duellproblem in Grenzen halten. Zumindest stelle das eine sinnvolle Alternative zu staatlichen Repressionen oder disziplinarischen Eingriffen der akademischen Behörden dar.9 Schon 20 Jahre früher billigte Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach den studentischen Verbindungen eine sinnstiftende Funktion zu. Dazu mußten jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Angesichts eines studentischen Duells mit tödlichem Ausgang machte er dies gegenüber dem Mediziner Loder deutlich: Der Befehl welcher die einzelnen Stubenfechtereyen verbiethet, ist gut, der, welcher die Abendmusiquen gänzlich abschaft, nicht sonderlich. Der jenaische Student hat so wenig Zerstreuung, wenn bessere Aufsicht geführt würde, so könnte man denen jungen Leuten eine so unschuldige Vergnügung erlauben, das abschneiden aller dergleichen Sachen macht die Jugend verdrießlich [...] Eine gleiche Bewandtniß hats mit der Abschaffung der Landsmannschaften; ich bin fast völlig überzeugt daß wenn das Corps der Professoren besser und geschickter zusammenhielte [...] die Landsmannschaften unter öffentlicher Autoritaet und Aufsicht, sehr fuglich beybehalten werden, und mit Verbindung einer Freim[aurerloge] zum besten der jungen leute geschickt angewendet werden könnte. 10

Das Phänomen „akademisch-studentisches Verbindungswesen" ist wieder aktuell und wurde in den letzten 15 Jahren in seinem wissenschaftlichen Rang deutlich aufgewertet. Mittlerweile ist es Konsens in der Forschung, nicht nur auf die Burschenschaft zu verweisen, wenn man über Politisierung debattiert, sondern auch auf Stammbucheinträge oder Ordensmatrikel bzw. Statuten studentischer Geheimgesellschaften. Damit erfahrt die spezifische akademische Lebensweise als Bestandteil des Werdegangs von Eliten des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts eine deutliche Aufwertung, vor allem unter dem Blickwinkel von ,Karriere und Konnexion'. Zahlreiche Konferenzen und Publikationen widmeten sich dem

9 10

Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn. Nebst einem Anhang über eine neu zu errichtende. [1808] in: Müller, (wie Anm. 7), S. 217. Vgl. Schleiermacher, (wie Anm. 8), S. 226ff. Carl August an Loder, 24.06.1784, in: Sechs Briefe Goethes an Loder. Nebst einem Briefe Karl Augusts. Hg. v. Ludwig Geiger. Goethe-Jahrbuch, XX. Bd. (1899), S. 134. Diese differenzierte Position des Herzogs spielte in den Darstellungen W. Daniel Wilsons keine Rolle; vgl. Anm. 3.

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Thema.11 Nahezu alles, was sich in den Universitäten oder in den Salons der Universitätsstädte abspielte, wurde einer rigorosen Laboranalyse unterzogen, sei es, um Sozialprotest herauszudestillieren, sei es, um progressives' Gedankengut der Aufklärung in den Köpfen jener Generationen, die die ,Großen' der Nation um 1800 hervorbrachten, mikroskopisch genau nachzuweisen. Studentische Lebenskultur, Männer- und Lebensbund, Disziplinierungs- und Gesittungsbestrebungen, bürgerliches Vereinswesen, elitärer Bildungs- und Führungsanspruch, Ehre, Freiheit, Vaterland, Nation oder Nationalismus - um diese oder ähnliche Begrifflichkeiten rankten sich Deutungen und Erklärungsmuster. Auf der Strecke blieben hingegen die Erwartungen, Vorstellungen und Selbstwahrnehmungen der Sozietätsmitglieder. „Es lebe die Revolution!" Für die einen war es die von 1789 in Frankreich, für andere die „grosse Jenaische" von 1792 bzw. die „unglückliche Burschenrevolution" von 1795.12 Es ist in der modernen Aufklärungs-, Bürgertums- und Vereinsforschung Konsens, daß die sogenannten aufgeklärten Sozietäten des 18. Jahrhunderts, zu denen immer noch die verschiedenen Spielarten der Freimaurerei und Geheimgesellschaften undifferenziert gezählt werden, durch Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftsinteresse sowie dem Drang ihrer Mitglieder nach kommunikationsstiftender Geselligkeit geprägt waren.13

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Vgl. GDS-Archiv für Hochschul- und Studentengeschichte, Bd. 1 (1992), S. 101-123; Bd. 2 (1994), S. 110-132; Bd. 3 (1996), S. 128-156; Bd. 4 (1998), S. 188-230, Bd. 5 (1999), S. 225-279; Einst und Jetzt. Jahrbuch des Vereins ffir corpsstudentische Geschichtsforschung e. V. 44 (1999), S. 255-258; ebd., Bd. 45 (2000), S. 279-282; ebd., Bd. 46 (2001), S. 3 5 1 358. Verwiesen sei auch auf: 175 Jahre Wartburgfest: 18. Oktober 1817-18. Oktober 1992. Studien zur politischen Bedeutung und zum Zeithintergrund der Wartburgfeier. Hg. v. Klaus Malettke (Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert 14). Heidelberg 1992; „Der Burschen Herrlichkeit ". Geschichte und Gegenwart des studentischen Korporationswesens. Hg. v. Harm-Hinrich Brandt und Matthias Stickler (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg 8). Würzburg 1998; „Freiheits- und Einheitsvorstellungen sind unverlierbares Verdienst von 1848", in: Studentenkurier. Zeitschrift fur Studentengeschichte, Hochschule und Korporationen, Heft 4 1998, S. 22; Paulskirche: Corps scheren aus, in: ebd., S. 23; Egbert Weiß, Corpsstudenten in der Paulskirche, in: ebd., Heft 2 (1998), S. 7ff.; Peter Kaupp, Von Konservativen bis zu radikalen Republikanern. Jüdische Burschenschafter in der Frankfurter Nationalversammlung, in: ebd., S. 9ff.; Burschenschafter in der Paulskirche. Hg. v. Peter Kaupp, Degerndorf / Dieburg 1999; „Wir wollen Männer, wir wollen Taten!" Deutsche Corpsstudenten 1848 bis heute. Hg. v. Rolf-Joachim Baum. Berlin 1998.

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Vgl. Horst Steinhilber, Von der Tugend zur Freiheit. Studentische Mentalitäten an deutschen Universitäten 1740-1800. Hildesheim / Zürich / New York 1995, S. 313ff. Vgl. u.a. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Neuwied / Berlin 4 1969; Thomas Nipperdey, Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: ders., Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte. Göttingen 1976, S. 174-205 u. 439—447; Otto Dann, Die Anfänge politischer Vereinsbildung in Deutschland, in: Soziale Bewegung und politische Verfassung. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt. Hg. v. Ulrich Engelhardt u.a., Stuttgart 1976, S. 197-232; Peter Christian Ludz, Überlegungen zu einer soziologischen Analyse geheimer Gesellschaften des späten 18. und frühen 19. Jahr-

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Wolfgang Hardtwig hat in Anknüpfung daran, vor allem gestützt auf die ältere und jüngere Verbindungsliteratur, für studentisch-akademische Organisationen (Landsmannschaften, akademische Logen, Orden, Corps und Burschenschaften) eine prinzipiell aufsteigende Entwicklungslinie konstruiert, bei der sich die jugendliche Bildungsschicht bzw. akademische Eliten im Rahmen bürgerlichen Wandels einem tiefgreifenden Mentalitätswechsel unterzogen. Sie lösten sich demnach über Gesittung, Selbstdisziplinierung und Politisierung aus den korporativen Bindungen des Alten Reiches. 14 Der „eher anonyme" und im „Verborgenen" bzw. „in der Breite kollektiver Mentalität" sich vollziehende Wandlungsprozeß müsse freilich, so Hardtwig, noch personengeschichtliche geprüft werden, eine Forderung, die bis auf wenige Skizzierungen bislang noch unerfüllt geblieben ist.15 Die komplizierte Quellensituation versperrte dabei auch modernen methodischen Zugriffen den Weg. Die meisten Selbstzeugnisse oder „EGO-Dokumente", 16 denken wir z.B. an zeitgenössische ,Autobiographien', wie die Magister Laukhards, an Satzungsentwürfe der Orden, Landsmannschaften und Corps, Stammbucheinträge, Schriftwechsel, Gerichts- und Sozietätsprotokolle oder auch an zeitgenössische Beschreibungen der Burschenschaften bzw. des Wartburgfestes von

hunderts, in: Geheime Gesellschaften. Hg. v. Peter Christian Ludz. Heidelberg 1979 (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung V / 1 ) , S. 89-119; Wolfgang Ruppert, Bürgerlicher Wandel. Die Geburt der modernen deutschen Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Frankfurt/M. 1984, S. 137-154; Ulrich Im Hof, Das gesellige Jahrhundert. Gesellschaft und Gesellschaften im Zeitalter der Aufklärung. München 1982; Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland. Hg. v. Otto Dann, München 1984; Richard van Dülmen, Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland. Frankfurt/M. 1986; Geselligkeit, Sociabilite, et Societe bourgeoise en France, en Allemagne et en Suisse 1750-1850. Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Hg. v. Etienne Franpois, Paris 1986; Thorsten Maentel, Zwischen weltbürgerlicher Aufklärung und stadtbürgerlicher Emanzipation. Bürgerliche Geselligkeitskultur um 1800, in: Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt. Hg. v. Dieter H e i n / A n d r e a s Schulz, Berlin 1996, S. 140-154 u. 333-336; Michael Sobania, Vereinsleben. Regeln und Formen bürgerlicher Assoziation im 19. Jahrhundert, in: ebd., S. 170-190 u. 3 3 9 342; Wolfgang Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland. Bd. I. Vom Spätmittelalter bis zur Französischen Revolution. München 1997. 14

15 16

Vgl. Wolfgang Hardtwig, Zivilisierung und Politisierung. Die studentische Reformbewegung 1750-1818, in: ders., Nationalismus und Bürgerkultur in Deutschland 1500-1914. Ausgewählte Aufsätze. Göttingen 1994, S. 79-107; ders., Studentische Mentalität - Politische Jugendbewegung - Nationalismus. Die Anfänge der deutschen Burschenschaften, in: ebd., S. 108-148; ders., Studentenschaft und Aufklärung: Landsmannschaften und Studentenorden in Deutschland im 18. Jahrhundert, in: Francois, (wie Anm. 13), S. 239-260; ders., (wie Anm. 13), S. 44-55, hier 50-55. Die Zugehörigkeit studentischer Geheimgesellschaften zur aufgeklärten Sozietätsbewegung blieb nicht unwidersprochen. Vgl. Holger Zaunstöck, Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert. Tübingen 1999 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 9), S. 69. Hardtwig, Zivilisierung und Politisierung, (wie Anm. 14), S. 100-107, Zitate S. 101. Zum Begriff vgl. Winfried Schulze, Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte?, in: Von Aufbruch und Utopie. Perspektiven einer neuen Gesellschaftsgeschichte des Mittelalters. Festschrift Ferdinand Seibt. Hg. v. Bea Lundt u. Helma Reimöller. Köln / Weimar, Wien 1992, S. 4 1 7 ^ 5 0 , bes. 435.

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1817, dienten vor allem der älteren kultur- und sittengeschichtlich orientierten bzw. der nationalistisch ausgerichteten Studentenhistoriographie als Fundgrube. Sie wurden dabei unter spezifischen Gesichtspunkten, sei es in rivalisierender Auseinandersetzung zwischen Landsmannschaften, Corps und Burschenschaften oder mit national-politischen Intentionen aussortiert und in einen neuen Zusammenhang gestellt. Schließlich gelangten sie, meist durch Rezeption dieser älteren Literatur, in die jüngeren Debatten um das bürgerliche Vereinswesen oder um bürgerlichen Wandel. 17 Dabei standen diese Quellen weniger als Gegenstand einer „Ego-Dokumente"-Analyse im Mittelpunkt, durch deren Anwendung sich neue Perspektiven auf akademisch-studentische Sozialisation eröffnen können. An dieser Stelle soll deshalb anhand von Beispielen auf die Möglichkeiten einer auf Selbstwahrnehmungen und Selbstsichten ausgerichteten Forschung hingewiesen werden. Ein bislang kaum plausibel erörtertes Problem stellen die Entstehungsgründe der frühen geheimen Gesellschaften sowie die Eintrittsmotive ihrer Mitglieder und ihr Verhältnis untereinander dar. Gelegentlich wurden über die Satzungen, soweit sie überhaupt in den Blick kamen, Rückschlüsse gezogen. Meist blieb es bei pauschalisierenden Urteilen, die darauf ausgerichtet waren, vermeintlich aufklärerisch-bürgerliche Intentionen der Sozietäten bzw. ihrer Mitglieder herauszustellen. Für die Forschung ist es aber wichtig, tiefer in das Innere der Organisationen einzudringen, um die vielschichtigen Motivationen sowie die Entwicklung und den Wandel in den Vorstellungs- und Gedankenwelten ausdifferenzieren zu können.

17

Neben der bereits angeführten Forschungsliteratur zum Vereinswesen vgl. Dieter Düding, Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus in Deutschland 1808-1847. München 1984; ders., Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg. Hamburg 1988; An der Schwelle zur Moderne. Deutschland um 1800. Hg. v. Peter Brandt. Bonn 1999 (Reihe Gesprächskreise Geschichte 31); Helmut Asmus, Das Wartburgfest. Studentische Reformbewegung 1770-1819. Magdeburg 1995; Rolf Haaser, Spätaufklärung und Gegenaufklärung. Bedingungen und Auswirkungen der religiösen, politischen und ästhetischen Streitkultur in Gießen zwischen 1770 und 1830. Darmstadt und Marburg 1997 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 114), S. 181-200; Ute Frevert, Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft. München 1995, S. 165-181; Rainer A. Müller. Landsmannschaften und studentische Orden an deutschen Universitäten des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Brandt, (wie Anm. 11), S. 13-34; Peter Brandt, Von der Burschenschaft bis zum Progreß, in: ebd, (wie Anm. 11), S. 35-53 sowie die Diskussion zu den Beiträgen, vgl. ebd, S. 53-61.

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1. Der Orden der Hoffnung (l'Esperance bzw. ZN-Orden) Diese meist auch als akademische Loge bezeichnete Arkangesellschaft gehörte zu den frühen Gründungen im Umfeld deutscher Universitäten. Ihre Entstehung fiel in die Differenzierungsphase der europäischen Freimaurerei seit den ausgehenden 40er Jahren des 18. Jahrhunderts.18 Ihren Ausgangspunkt nahm die Gesellschaft offensichtlich um 1750 in Jena. Von da aus breitete sie sich nach Göttingen (1752), Hamburg (1757), Schleswig und Lübeck (beide 1760) aus. Die Logen bestanden, je nach Standort, aus Studenten bzw. Universitätsangehörigen sowie akademisch Gebildeten, die meist nach ihrem Studium in ihre Heimat zurückgingen, um beruflich tätig zu werden. Eine Besonderheit des Ordens stellte die Aufnahme von Frauen dar. Während in der Jenaer Loge nur ein weibliches Mitglied nachgewiesen ist, verzeichnen die Mitgliederlisten der Irenen-Loge in der Handelsstadt Hamburg, die sich durch ausgeprägte bürgerlich-aufgeklärte Strukturen auszeichnete, von 85 Mitgliedern (1758-1764) allein 24 weibliche Mitglieder, davon 18 Ehefrauen männlicher Ordensmitglieder.19 Der Orden lehnte sich insgesamt stark an die Freimaurerei an. Doppelmitgliedschaften waren legitim.20 Um so mehr interessiert die Frage, warum eine solche Arkangesellschaft gegründet wurde und was ihre Mitglieder, die teils Hochgradmaurer waren, mit dem Orden verband. Die im ersten Grad vermittelte Legende berichtet, daß der Orden von Ludwig XIV. gestiftet worden sei und aus einer Gesellschaft beiderlei Geschlechts bestehe, die sich willkürlich durch einen Eid verbinde, um Tugend und Freundschaft vorzüglich auszuüben.21 Im zweiten Grad wird die Legende und damit die Erkenntnis des Mitgliedes erweitert. So habe die Marquise de Chätelet 18

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Zur Periodisierung immer noch grundsätzlich: Ludwig Hammermayer, Zur Geschichte der europäischen Freimaurerei und der Geheimgesellschaften im 18. Jahrhundert. Genese - Historiographie - Forschungsprobleme, in: Beförderer der Außdärung in Mittel- und Osteuropa. Freimaurer, Gesellschaften, Clubs. Hg. v. Eva Baläsz u. a.. Berlin 1979 (Studien zur Geschichte der Kulturbeziehungen in Mittel- und Osteuropa 5), S. 9-68. Vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), Freimaurer und freimaurerähnliche Vereinigungen, 5.1.10., Große Loge von Hamburg, Nr. 230; Zaunstöck, (wie Anm. 14), S. 191 f. Vgl. GStA PK, Freimaurer und freimaurerähnliche Vereinigungen, 5.1.10., Große Loge von Hamburg, Nr. 230; Nr. 232 (Constitutionen-Buch des 2. Grades); Nr. 229 (Nachricht vom Orden l'esperance); Nr. 230 (Protokollbuch des 1. Grades der Loge „Irene" Hamburg); Nr. 227 (Constitutionen-Buch des 1. Grades); Joachim Bauer, Freimaurerei, Geheimgesellschaften und Studenten, in: Zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit. Jenaer Freimaurerei und studentische Geheimgesellschaften. Hg. v. Joachim Bauer/Jens Riederer, Jena / Erlangen 1991, S. 35ff.; Zaunstöck, (wie Anm. 14), S. 191 ff.; Götze, (wie Anm. 7), S. 22f.; Jens Riederer, Aufgeklärte Sozietäten und gesellige Vereine in Jena und Weimar zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit 1730-1830. Sozialstrukturelle Untersuchungen und ein Beitrag zur politischen Kultur eines Kleinstaates. Phil. Diss. Jena 1995, S. 113ff.; wenngleich auf schmaler Quellenbasis und eigenwilliger Argumentation vgl. auch Walter Richter, Der Esperance- und ZN-Orden, in: Einst und Jetzt 19, S. 30ff. Vgl. GStA PK, Freimaurer und freimaurerähnliche Vereinigungen, 5.1.10 Große Loge von Hamburg, Nr. 227 Bl. 2.

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ihren Mann nach einer Freimaurerloge freudig und beglückt zurückkehren sehen. Sie wollte ebenfalls an diesen Zusammenkünften teilnehmen, was ihr jedoch verwehrt wurde. Daraufhin wandte sich die Ehefrau des Freimaurers, so der Bericht, an den König, der die Angelegenheit mit ihrem Gemahl und drei anderen, am Hofe einflußreichen Maurern besprach. Der König habe schließlich einer Neugründung zugestimmt, die Grundregeln entworfen und die Zahl fünf zur heiligen Zahl des Ordens erwählt, da fünf Personen an der Gründung beteiligt gewesen seien. Daraufhin habe man auch die Marquise in den Orden aufgenommen. 22 In einer dritten Variante, die auf den Sekretär der Hamburger Esperanceloge und Freimaurer Johann Philipp Dresser zurückgeht, 23 stammte der Orden explizit von der Freimaurerei ab. Ludwig XIV. habe seiner Favoritin den Wunsch, Freimaurer zu werden, erfüllt, indem er seine Minister beauftragte, einen freimaurerähnlichen Orden, der auch Damen aufnehmen konnte, zu erfinden. 24 Die Ordensgeschichte wurde in ihren verschiedenen Variationen in der bisherigen Literatur - wenn überhaupt wahrgenommen - als legendär zurückgewiesen. 25 Es lohnt aber, über ihre sinnstiftende Funktion nachzudenken und sie zu den überlieferten Vorstellungen und Selbstsichten in Bezug zu bringen. Die in den Logengesetzen wie in der Ordensgeschichte immer wieder aufzufindenden Parallelen zur Freimaurerei sprechen für die Annahme, daß diese frühe Ordensgründung ihren Ausgangspunkt im Differenzierungsprozeß von Freimaurerei und Geheimgesellschaften hatte. Dem trägt auch der legitimierende Verweis auf den französischen Ursprung des Ordens Rechnung, denn die französische Maurerei gewann für Deutschland in dieser Zeit an Bedeutung. Im Zuge dieser Differenzierungen fanden offensichtlich auch Forderungen nach gemischtgeschlechtlicher Geselligkeit im Zeichen von Tugend und Freundschaft eine Basis. So gab z.B. Johann Jacob Deppe bei seiner Aufnahme in den Orden als Grund seines Interesses die Begierde nach wahrer Freundschaft an. Seine Frau, die ihm vier Monate später folgte, gestand, daß sie demjenigen, den sie am liebsten hätte, in allem nachahmen wollte, um sich gleicher Vorzüge würdig zu erweisen. 26

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Vgl. ebd., Nr. 232 Bl. 11 ff. Vgl. ebd. Nr. 229. Zu Dresser vgl. ebd. Nr. 230. Dresser wurde in Jena aufgenommen, wo er für das Sommersemester 1755 in der Universitätsmatrikel verzeichnet ist. 1775 ist er als Mitglied im 4. Grad und Meister vom Stuhl bzw. zweiter Großoberaufseher der Hamburger Loge St. Georg zur grünen Fichte verzeichnet. Vgl.: Gedrucktes Verzeichnis der Drey Vereinigten Logen: Absalom zu den drey Nesseln, St. Georg zur grünenden Fichte, und Emanuel zur Mayen-Blume in Hamburg. Vom Jahr 5775 [d.i. 1775] Johannis. Vgl. GStA PK, Freimaurer und freimaurerähnliche Vereinigungen, 5.1.10, Große Loge von Hamburg Nr. 229. Vgl. u.a. Ludwig Schröder, Materialien zur Geschichte der Freymaurerei seit der Wiederherstellung der großen Loge in London. 5717 [d.i. 1717], Erster Teil, S. 277ff.; Richter, (wie Anm. 20), S. 30f.; Riederer, (wie Anm. 20), S. 113. Vgl. GStA PK, Freimaurer und freimaurerähnliche Vereinigungen, 5.1.10, Große Loge von Hamburg, Nr. 230 Bl. 5 u. 9.

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Um aber das eherne Gesetz der Maurerei, die Nichtaufnahme von Frauen, aufbrechen zu können, war nicht nur eine Abspaltung von der Freimaurerei bzw. eine Ordensneugründung notwendig. Man brauchte ebenso eine Legitimation und Identität stiftende Ordenslegende wie die hier vorliegende, die sich um eine Geselligkeit suchende Ehefrau, ihren politisch wie maurerisch tätigen Mann, einen französischen König und dessen, die Ordensgeschicke lenkende Minister rankte.

2. Konstantisten, Unitisten und die deutsche Nation Eine die Forschung ebenso bewegende Fragestellung war die nach den gedanklichen Kontinuitäten bzw. Umbrüchen im Umfeld von Französischer Revolution und Napoleonischen Kriegen. Vor allem ging es dabei immer wieder um den Beweis einer latenten Politisierung innerhalb studentischer Sozialisation, die nach Gesittung und Disziplinierung der Mitglieder eine weitere Stufe innerhalb der studentischen Reformbewegung bedeutet. 27 Zwei zeitgenössische Urteile stützen diese These. So mußte z.B. Johann Gottlieb Fichte im Jena der 90er Jahre ganz unterschiedliche Erfahrung mit den kaum dauerhaft zu disziplinierenden Ordensbrüdern (Constantisten und Unitisten) sammeln. Diese ewigen Studenten, „[...] jene bekannte Menschenart, die, da sie in der That nichts ist, und in den übrigen menschlichen Verhältnissen nirgens geduldet wird, sich für Studirende ausgibt, und sich an die Universitäten anschliesst [...]", gefährdete nach Fichtes Meinung in erster Linie die moderne Universität. 28 Fichtes „Ordenspsychose" trug zu seinem Scheitern als Rektor der Berliner Universität bei. 29 Auch die Behörden nahmen die vielfältigen Ordensaktivitäten in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts unter dem Aspekt ihrer vermeintlichen politischen Gefährlichkeit kritischer ins Visier. Das Berliner Kabinett stufte z.B. 1798 von der Weimarer Regierung überstellte Ordensgesetze der Constantisten nicht mehr nur als jugendlichen Leichtsinn oder Torheit verwerflicher Ordensbrüder ein, sondern

27

28 29

Vgl. zusammenfassend die Aufsätze Wolfgang Hardtwigs, in: Nationalismus und Bürgerkultur in Deutschland, (wie Anm. 14). Fichte, Ueber die einzig mögliche Störung, (wie Anm. 7), S. 457f.. Zu Fichtes Positionen und Erfahrungen vgl. u.a. Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, Universitätsarchiv, Μ 273, Acta Studentenorden, Jena 1795; Götze, (wie Anm. 7), S. 118-143; Wilson, (wie Anm. 3), S. 175-213; Otto Dann, Jena in der Epoche der Revolution, in: Evolution des Geistes. Jena um 1800. Natur und Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Spannungsfeld der Geschichte. Hg. v. Friedrich Strack. Stuttgart 1994, S. 17-39; Joachim Bauer, Studentische Verbindungen zwischen Revolution und Restauration. Von den Landsmannschaften zur Burschenschaft, in: ebd., S. 59-79; Ziolkowski, (wie Anm. 7), S. 277-340 und 363-390).

124

Joachim

Bauer

verglich sie mit den Prinzipien der Jakobinerklubs, die Religion und Staat in Frage stellten. 30 Schärfer werden die Konturen, wenn man Ego-Dokumente hinzuzieht. In einzelnen Fällen ist tatsächlich ein Wandel in den Ordensgesetzen und in den Einstellungen der Brüder auszumachen. Es ging nicht um Angriffe auf Staat und Religion, sondern vielmehr um das Studium als Vorbereitung auf spätere Tätigkeiten in Staat und Kirche. Ebenso erfuhren die politischen Veränderungen in Europa eine Reflexion. Während die Statuten der Jenenser Constantisten

von 1794 noch „einen

guten gesellschaftlichen Umgang zu fuhren" als einen Zweck des Ordens angaben, wird in den Rostocker, Marburger und Würzburger Statuten seit etwa 1795 dies in „redliche ächtdeutsche biedere Denkungsart" umdefiniert. 31 Der Göttinger Constantist Siegmund Peter Martin schrieb 1798 unter dem Eindruck des Friedens von Basel an einen Freund in Marburg: Der Gedanke mit einer Stiftung teutscher Burschenschaften ist mir aus der Seele gesprochen. Wie das aber geschehen könne und solle, läßt sich heute noch nicht übersehen. Not und Jammer der Zeit sind allzugroß. Der Baseler Abfall hat uns gelähmt. Viele treue Männer trauern, daß unsere braven Hessen nicht mehr gegen den Erbfeind kämpfen können. Gebe Gott, daß der Kaiser zur rechten Stunde aber Teutschland aufrufe und das Reich wiederherstelle. Dazu sagen wir Ja und Amen. Auf solche Zeiten müßte die Burschenschaft gerichtet sein und alle Hochschulen dauernd verbinden.32 Bei den Unitisten

lassen sich um 1800 ähnliche Tendenzen feststellen. 33 Diese

Entwicklungen verhinderten jedoch nicht, daß sich althergebrachte Verhaltensund Lebensweisen innerhalb studentischer Sozialisation nach w i e vor tradierten. Im Gegenteil, Disziplinierung und Gesittung bedeuteten zuerst, sich dem innerstudentischen Regelwerk anzupassen, also sich am gültigen Comment zu orientieren. Politisierung Schloß ebensowenig Pluralität der Meinungen aus und bedeutete

30

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32

33

Vgl. Emil Deuerlein, Neues vom Constantistenorden, in: Kösner Jahrbuch „ Wende und Schau", Bd. 2 (1932), S. 175; Walter Richter, Der Constantisten-Orden im Wandel des Zeitgeistes, in: Einst und Jetzt 24 (1979), S. 116-165, hier S. 146. Vgl. die Gesetzesentwicklung: Richter, (wie Anm. 30), S. 124ff.; Abdruck der Gesetze bei Erich Bauer, Die Gesetze des Rostocker Constantisten-Ordens von 1796, in: (wie Anm. 11)19 (1974), S. 55-75, Zitat S. 60; Arthur Bechthold, Würzburger Studentenleben im 18. Jahrhundert, in: Archiv des historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg 52 (1910), S. 195-246, hierS. 22Iff. In den Zitaten gibt es leichte Abweichungen. Das Wort „Burschenschaft" wird zum Teil durch „Logen" bzw. „deutsche Logen" ersetzt. An dieser Stelle wird zitiert nach: Emst Müsebeck, Siegmund Peter Martin und Hans Rudolph v. Plehwe, zwei Vertreter des deutschen Einheitsgedankens von 1806-1820, in: Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung, Bd. 2, S. 75-194, hier S. 78; vgl auch Georg Heer, Studentenorden an der Universität Marburg seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 59 (1927), S. 199-242, hier S. 235; Richter, (wie Anm. 30), S. 144f. Vgl. die Äußerungen des Ordensbruders und Professors Karl Ludwig Woltmann, in: Richter, (wie Anm. 30), S. 145; Rudolf Körner, Der Unitist K. L. v. Woltmann und seine Zeit (17701817), in: Einst und Jetzt 13 (1968), S. 68-79, besonders die Rede S. 73.

Studentische

Organisationen

125

keinesfalls eine zwingende Übereinstimmung der gesamten Studentenschaft mit vermeintlichen, in den Befreiungskriegen geborenen burschenschaftlichen Einheitsgedanken. Das belegen nicht zuletzt die frühen Beschreibungen des Wartburgfestes von 1817 und die Debatten um die Einflußnahme der sogenannten „politischen" Professoren. 34 Einen differenzierenden Einblick in solch komplizierte Konstellationen bietet das letzte hier ausgewählte Beispiel. Es handelt von den Auseinandersetzungen zwischen dem Constantisten und späteren Göttinger Juristen Christian Friedrich Simon Mühlenbruch und dem Unitisten und „Turnvater" Friedrich Ludwig Jahn im Machtkampf der Orden in Greifswald im Jahre 1802.35 Mühlenbruch und Jahn bewegten sich schon in dieser Zeit in einem Umfeld, indem nationale politische Debatten eine wichtige Rolle spielten. Dazu gehörten auch die von beiden besuchten Vorlesungen ihres Hochschullehrers Ernst Moritz Arndt. Doch das hielt beide nicht ab, innerstudentische Machtkämpfe in alter Manier auszutragen. Der Constantist Mühlenbruch wollte sich nämlich dem die Greifswalder Studentenszene dominierenden Unitisten Jahn nicht unterwerfen. Der Konflikt wurde öffentlich. Wie unter Orden üblich, provozierte man über Verbalinjurien, Hetzpeitsche und Knotenstock, bis eine commentmäßige einvernehmliche Ehrenlösung ausgeschlossen war. Jahn und seine Unitisten nutzten schließlich Arndts Vorlesung am Morgen des 8. November 1802, um die eintreffenden Constantisten unter Mühlenbruch „auszutrommeln", d.h. in der Studentensprache in ,Verschiß' zu nehmen, also aus der Greifswalder Studentenschaft auszuschließen. Aus den Gerichtsprotokollen lassen sich nicht nur die Ereignisse rekonstruieren, sie geben ebenso Aufschluß über Motive und Denkweisen der Kontrahenten. Mühlenbruch sah vor allem in Jahns Machtanspruch, der selbst wissenschaftlichen Disput verhindere, die Konfliktursache. Er, Mühlenbruch, habe es gewagt, „dem Orakel der Universität [...] nicht in allem Recht zu geben". 36 Jahns brutale Reaktion darauf verstoße völlig gegen die Regeln des Comment. Um seine wesentlich schwächere Position gegenüber Jahn aufzuwerten, provozierte Mühlenbruch schließlich die behördliche Untersuchung und denunzierte Jahn. Die Behörden beschäftigten sich mit dem Fall, ohne gegen Mühlenbruch und Jahn harte Strafen

34

35 36

Vgl. Joachim Bauer, Die Wartburg und die Studenten - Festerlebnisse, in: Aurora. Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft für die Klassisch-Romantische Zeit 59 (1999), S. 225-236; ders., Studentische Festerwartungen. Das Wartburgfest 1817, in: Der Tag X in der Geschichte. Erwartungen und Enttäuschungen seit tausend Jahren. Hg. v. Enno Bünz / Rainer Gries / Frank Möller, Stuttgart 1997, S. 145-168; ders., Student und Nation im Spiegel des „Landesvater"Liedes, in: Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg. Hg. v. Dieter Langewiesche / Georg Schmidt. München 2000, S. 135-155. Vgl. Richter, (wie Anm. 30), S. 147-156. Zitiert nach Günther Jahn, Die Studienzeit des Unitisten F. L. Jahn und ihre Bedeutung für die Vor- und Frühgeschichte der Burschenschaft 1796-1819, in: Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert 15 (1995), S. 61. Hierauch das folgende.

126

Joachim Bauer

zu verhängen. Beide verließen Greifswald schließlich aus freien Stücken; ihr Lehrer Arndt vermerkte dies in seinen „Labores".37 Das hier anhand einzelner Beispiele kurz Skizzierte lässt bereits erahnen, wie sich pauschale Urteile durch einen anderen methodischen Zugriff entkräften lassen, auch bei einem von der Quellenüberlieferung her komplizierten Gegenstand. Sie werden nicht nur weiter ausdifferenziert, wie es für die Themenbereiche Eintrittsmotivation, Politisierung und studentische Lebensführung angedeutet werden konnte. Es eröffnen sich ebenso andere Blickfelder und Fragestellungen, wie der Umgang mit Ordenslegenden als Mittel der Selbstvergewisserung und Identitätsbildung belegt.

37

Vgl. ebd., S. 60.

MARKUS MEUMANN ( H a l l e )

Zur Poetologie von Verhaltensregeln und Hierarchien in der Aufklärung: Konstitutionsschriften von Gesellschaften, Logen und Geheimbünden des späten 18. Jahrhunderts Es kann keine gesellschaftliche Verbindung in der Welt ohne eine Bestimmung des wechselseitigen Verhaltens der Mitglieder, ohne Vorschriften, welche der Absicht und den (!) Zweck der Gesellschaft angemessen sind, bestehen. Schon von den ältesten Zeiten her sind demnach in der Gesellschaft der Freimaurer nicht nur gewisse allgemeine Gesetze und Verordnungen aufbewahrt worden, welche den Geist und Sinn dieser Verbindung entwickeln und bestimmen, und deren getreue Befolgung einem jeden Mitgliede so unausweichlich oblieget, als solche gewiß einen wahren Maurer characterisiert; sondern es ist auch einer jeden Loge die Befugniß vorbehalten und unumgängliche Pflicht derselben, nach ihren besonderen Verhältnissen und Umständen, gewisse, auf Ordnung und Bestand der Loge abzielende Gesetze festzusetzen, welche ein jedes Mitglied derselben zu beobachten verpflichtet ist. 1

In Kenntnis des heutigen Vereinsrechtes ist es uns eine Selbstverständlichkeit geworden, die Satzung als das eigentliche konstituierende Element einer Vereinsgründung anzusehen - erst mit der Eintragung in das Vereinsregister tritt der Verein selbst als juristische Person ins Leben. Nicht ohne Grund werden Jubiläen daher meist am Tage der Anmeldung zum Vereinsregister begangen; ähnliches gilt für Stiftungen oder Firmen. Definitiver Fixpunkt für die Datierung ist immer die schriftliche Bestätigung der Satzung oder des Gesellschaftsvertrages seitens einer Behörde oder Obrigkeit, d.h. die Vollziehung des Rechtsaktes, der folgerichtig trotz seiner meist ein wenig trocken anmutenden Materie in Festreden und -Schriften ausfuhrliche Würdigung findet. Auch die Beschäftigung mit den Statuten und „Gesetzen" der Sozietäten 2 des 18. Jahrhunderts steht zumeist im Kontext von Jubiläumsschriften oder Logengeschichten, denen sich überdies zu einem nicht geringen Teil auch die Überlieferung

2

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (im folgenden GStA PK) Freimaurer 5.2. Η 96 Nr. 3, Statuten der Freimaurerloge Carl zum Rautenkranz zu Hildburghausen, o.D. Zum Begriff der Sozietäten siehe Holger Zaunstöck, Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert. Tübingen 1999 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 9), S. 1 - 7 . Als Sozietäten werden gewöhnlich die Gesellschaften des 18. - und teilweise auch schon des 17. - Jahrhunderts bezeichnet, bei denen es sich - im Gegensatz zu den historisch älteren, gleichwohl vielfach parallel existierenden Korporationen - u m freie, nicht an Zünfte oder Stände gebundene Assoziationen handelte. Zugleich wird damit eine begriffliche Abgrenzung zu den Vereinen des 19. Jahrhunderts hergestellt. Vgl. dazu auch Wolfgang Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland. Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zur französischen Revolution. München 1997, und Thomas Nipperdey, Verein als soziale Struktur im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Eine Fallstudie zur Modernisierung, in: Hartmut Boockmann (Hg.), Geschichtswissenschaft und Vereinswesen im 19. Jahrhundert. Göttingen 1972 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 1), S. 1-44.

128

Markus Meumann

dieser Texte verdankt.3 Auch wenn sich die rechtlichen wie praktischen Gründungsbedingungen einer Gesellschaft der Aufklärungszeit deutlich von den heutigen unterschieden, versuchten doch viele Sozietäten, darunter übrigens auch etliche Freimaurerlogen, ein herrschaftliches Privileg oder Patent zu erlangen. Dieses wurde dann - sofern es die Obrigkeit nicht verweigerte - nicht selten veröffentlicht und galt späteren Chronisten oft als einzig verläßlicher Anhaltspunkt der Gründung, auch wenn zwischen der eigentlichen Konstituierung und der Erteilung einer solchen offiziellen' Bestätigung vielfach Monate oder sogar Jahre lagen.4 Jenseits festlicher Anlässe und der diese begleitenden Gelegenheitsschriften freilich spielen die Satzungen der meisten Gesellschaften in der Literatur nur eine marginale Rolle, zumal sich seit den 1970er Jahren eine sozialgeschichtlich orientierte Forschung vermehrt der Rekonstruktion der ,realen' Gründungsvorgänge widmete. Für die Konstituierung einer Gesellschaft schienen fortan weniger deren Statuten oder Privilegien als vielmehr persönliche und institutionelle Kontakte, soziale Formierungsprozesse und kommunikative Zusammenhänge von Bedeutung zu sein.5 Überdies tendierte man dazu, die Gesellschaften weniger nach ihrer Verfaßtheit als vielmehr nach ihren Inhalten und Absichten zu kategorisieren, wobei vor allem die sogenannten „Aufklärungsgesellschaften" im Brennpunkt der Aufmerksamkeit standen.6 Seitdem jedoch die Forschung das sozialgeschichtliche Paradigma abgestreift hat und infolge neuer kultur- und ideengeschichtlicher Forschungsansätze die

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Siehe dazu unten S. 132f. Das extremste Beispiel für einen solchen zeitlichen Verzug dürfte die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina sein, die sich bereits 1652 konstituierte, aber erst 1687 ein Privileg Kaiser Leopolds I. erhielt. Die Dokumente sind auszugsweise abgedruckt bei Benno Parthier, Die Leopoldina. Bestand und Wandel der ältesten deutschen Akademie. Halle 1994. Das umständliche Verfahren der Privilegierung der Teutschen Gesellschaft in Gießen schildert eingehend Robert Seidel in seinem Beitrag zu diesem Band. Vgl. auch den Beitrag von Detlef Döring, in diesem Band S. 30, Anm. 52 (zur Königsberger Deutschen Gesellschaft). Paradigmatisch dazu vor allem Richard van Dülmen, Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland. Frankfurt/M. 1986 [ 2 1996, unveränderte Neuauflage], und auf der Grundlage einer umfassenden Datenbasis für Mitteldeutschland Zaunstöck, (wie Anm. 2). Vgl. Richard van Dülmen, Die Aufklärungsgesellschaften in Deutschland als Forschungsproblem, in: Francia 5 (1977), S. 251-175; Helmut Reinalter (Hg.), Aufklärungsgesellschaften. Frankfurt/M. u.a. 1993 (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle ,Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850' 10). Häufig werden die Begriffe „Sozietäten" und „Aufklärungsgesellschaften" auch synonym verwendet, siehe dazu Ulrich Im Hof, Das gesellige Jahrhundert. Gesellschaft und Gesellschaften im Zeitalter der Aufklärung. München 1982, S. 181-187. Dies soll hier allerdings ausdrücklich nicht geschehen, da der Begriff Aufklärungsgesellschaften eine Kategorisierung nach vermeintlichen Inhalten und Absichten vornimmt, die zunehmend problematisch erscheint. Bezeichnenderweise nährt auch die Mitgliederanalyse die Zweifel an der inhaltlichen Definition der Aufklärungsgesellschaften. So geht die in den neunziger Jahren entstandene Arbeit von Zaunstöck, (wie Anm. 2) zwar von den Aufklärungsgesellschaften als methodischer Bezugsgröße aus, entwickelt aber zugleich Ansätze zur Überwindung des Typologisierungsschemas. Siehe dazu ebd., S. 82ff. und 273.

Verhaltensregeln und Hierarchien in der Auflclärung

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Trennlinie zwischen Aufklärungsgesellschaften und weniger aufgeklärter Geselligkeit einerseits7 bzw. zwischen aufklärerischen und vermeintlich antiaufklärerischen Geheimbünden andererseits8 immer unschärfer wird, kommt formalen Kriterien vermehrte Bedeutung für die Typologisierung von Vereinigungen und Zusammenschlüssen als Sozietäten zu: „Nur bedingt läßt sich der Begriff der Sozietät auf lose Verbindungen anwenden, die keine feste Mitgliedschaft und keine festgeschriebenen Statuten kennen."9

1. Konstitutionsschriften als Zeugnisse der Vergesellschaftung im 18. Jahrhundert Angesichts einer (neuerlichen) Hinwendung zu einer stärker textbezogenen Analyse in den Geschichts- und Kulturwissenschaften erscheinen Statuten, Privilegien und andere Konstitutionsschriften - unter diesem Sammelbegriff wollen wir die entsprechenden Texte im folgenden subsumieren - darüber hinaus auch geeignet, über den Gründungsakt hinaus Aufschlüsse über die Intentionalität und das ,Leben' (im Sinne von Funktionieren) einer Sozietät zu geben: So zeigt die eingangs zitierte Präambel zu den Statuten der 1786/87 im thüringischen Hildburghausen gegründeten Loge Karl zum Rautenkranz zunächst einmal die Bedeutung einer selbstgewählten Satzung für die Konstituierung und das weitere Bestehen der Loge aus Sicht der Beteiligten selbst: „Es hat demnach die gerechte und vollkommene St. Johannis Loge Carl zum Rautenkranz in Hildburghausen von ihrer Entstehung an, wie es die Nothwendigkeit erforderte, nach und nach solche besondere

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Vgl. dazu Holger Zaunstöck, Zwischen Bürgerwelt und Studentengesellschaft. Die Typologie akademisch-studentischer Geheimgesellschaften im 18. Jahrhundert, in: Joachim Bauer u.a. (Hg.), Logenbrüder, Alchemisten und Studenten. Jena und seine geheimen Gesellschaften im 18. Jahrhundert. Rudolstadt 2002 (Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte 6), S. 87-100. Ursächlich dafür ist im wesentlichen die fundierte Auseinandersetzung mit esoterischen Inhalten im traditionell als radikalaufklärerisch eingestuften Illuminatenorden und natürlich in den Freimaurerlogen. Siehe dazu Monika Neugebauer-Wölk, Zur Konzipierung der bürgerlichen Gesellschaft. Freimauererei und Esoterik, in: Joachim Berger / Klaus Grün (Hg.), Geheime Gesellschaft. Weimar und die deutsche Freimaurerei. München / Wien 2002, S. 80-89; dies., Die Geheimnisse der Maurer. Plädoyer für die Akzeptanz des Esoterischen in der historischen Aufklärungsforschung, in: Das achtzehnte Jahrhundert. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts 21 (1997), S. 15-32; dies., Esoterische Bünde und bürgerliche Gesellschaft - Beziehungen und Widersprüche im Jahrhundert der Aufklärung, in: Peter Rusterholz (Hg.), Bewältigung und Verdrängung spiritueller Krisen. Esoterik als Kompensation von Defiziten der Wissenschaft und der Kirchen. Bern u.a. 1999 (Universiät Bern. Kulturhistorische Vorlesungen), S. 75-92; Markus Meumann, Zur Rezeption antiker Mysterien im Geheimbund der Dluminaten: Ignaz von Born, Karl Leonhard Reinhold und die Wiener Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht", in: Monika Neugebauer-Wölk unter Mitarbeit von Holger Zaunstöck (Hg.), Auflclärung und Esoterik. Hamburg 1999 (Studien zum 18. Jahrhundert 24), S. 288-304. So Detlef Döring in seinem Beitrag zu diesem Band, S. 17.

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Markus Meumann

auf ihre Loge fussende Vorschriften abgefaßt und sie als besondere von ihren Mitgliedern zu befolgende Gesetze angenommen." 10 Darüber hinaus enthält die Präambel Hinweise auf die Entstehung sowie typische Elemente solcher Konstitutionsschriften: die Orientierung an bestimmten Vorbildern, hier den allgemeinen Gesetzen der Freimaurerei, und damit auch die Einordnung in eine Tradition, die baldige Ausarbeitung von Statuten nach dem erstmaligen Zusammentreten der Loge, die Verpflichtung sämtlicher Mitglieder auf die beschlossenen Regeln, was sowohl den Willen zu einer Selbst- als auch die Akzeptanz einer Fremddisziplinierung durch die übrigen Gruppenmitglieder impliziert. Von dieser Beobachtung ausgehend wollen die weiteren Ausführungen das Bewußtsein dafür schärfen, daß Konstitutionsschriften keineswegs nur trockenes Paragraphenwerk sind, das sich allenfalls zum Zitieren bei Jubiläen und anderen festlichen Gelegenheiten eignet. Im Gegenteil verspricht die Rezeption stärker textanalytisch ausgerichteter Forschungsansätze bei der Beschäftigung mit den Konstitutionsschriften nicht nur ein neues Licht auf die Textgattung selbst zu werfen, sondern auch weitergehende Aussagen über die autopoetische Funktion dieser Schriften und damit über das Selbstverständnis und die Konsistenz der betreffenden Sozietäten zu ermöglichen." Der Aufsatz befaßt sich daher zunächst etwas allgemeiner mit den Konstitutionsschriften als Texten, ihrem Quellenwert und ihren gattungsspezifischen Charakteristika, bevor dann insbesondere am Beispiel von Freimaurerlogen und Geheimbünden danach gefragt wird, welche Perspektiven Konstitutionsschriften und andere autopoetische Texte auf die Gesellschaftsbewegung des 18. Jahrhunderts eröffnen können.

2. Die Formierung eines Textkorpus' Für eine breitere Untersuchung von Konstitutionsschriften ist es zunächst notwendig, diese in größerer Zahl zu dokumentieren und gezielt ein Textkorpus zusammentragen. Entsprechende Schritte dazu sind von Monika Neugebauer-Wölk, Holger Zaunstöck und dem Verfasser seit Mitte der 1990er Jahre am Institut für Geschichte der Universität Halle unternommen worden. Ausgangspunkt unseres Interesses an den Konstitutionsschriften war die Feststellung, daß Statuten und Privilegien als offizielle Gründungselemente gerade im Kontext der sogenannten 10 11

GStA PK Freimaurer 5.2. Η 96 Nr. 3, (wie Anm. 1). Die Bedeutung der Selbstbeschreibung für den inneren Zusammenhalt und die Selbstvergewisserung von Gesellschaften und Organisationen (bzw. Teilsystemen) ist besonders von der Systemtheorie hervorgehoben worden. Vgl. dazu Andreas Göbel, Theoriegenese als Problemgenese. Eine problemgeschichtliche Rekonstruktion der soziologischen Systemtheorie Niklas Luhmanns. Konstanz 2000, S. 274-277; Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt/M. 1990, bes. S. 478f.

Verhaltensregeln und Hierarchien in der Aufklärung

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älteren Kulturgeschichte stets ihren Platz hatten - sei es, daß sie gleichsam für sich stehend als kuriose Dokumente abgedruckt wurden, sei es, daß sie im Rahmen der Geschichten einzelner Gesellschaften oder Logen erwähnt oder den Abhandlungen als Anhang beigegeben wurden. In der jüngeren Forschungsgeschichte allerdings ist die Beschäftigung mit diesen Texten gegenüber sozial- und ideengeschichtlichen Fragestellungen stark in den Hintergrund getreten. Bis heute fehlt es deshalb an systematischen Studien, die die Schriften vergleichend untersuchen und über die gesamte Breite des Sozietätsspektrums nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Traditionsbildungen, Vorbildcharakter usw. fragen. 12 Die Strategie des Sammlungsprojektes war es daher, ausgehend von der älteren Literatur möglichst umfassend allen Hinweisen auf solche Texte nachzugehen. Freilich waren am Anfang eines solchen Vorhabens zunächst einige pragmatische Entscheidungen zu treffen: Welcher Zeitraum sollte für die Erhebung maßgeblich sein? Auf welches Gebiet sollte sich die Recherche erstrecken? Und schließlich: Welche Art von Schriften welcher Sozietäten sollte berücksichtigt werden? In der Auseinandersetzung mit diesen Fragen entschieden wir schließlich, uns vorläufig auf den klassischen Kanon der sogenannten Aufklärungsgesellschaften zu beschränken, wie sie von Richard van Dülmen, Ulrich Im Hof und zuletzt Holger Zaunstöck beschrieben worden sind.13 Dies erschien für unsere Zwecke vertretbar, denn schließlich sind es auch in dieser Definition die konstitutiven Schriften, die eine Vereinigung überhaupt erst zur Aufklärungsgese//.scAq/i werden lassen und sie von anderen Formen aufgeklärter Vergesellschaftung - hier im Sinne von Soziabilität - unterscheiden. Wenn dennoch selbstverständlich nicht von allen in dieser Definition enthaltenen Gesellschaften Statuten vorliegen, so ist das ein Überlieferungsproblem, das unbedingt reflektiert werden muß, ebenso wie natürlich die Definition der Aufklärungsgesellschaften an sich, deren Problematik uns durchaus bewußt war14, an der wir aber aus pragmatischen Gründen und mangels alternativer Kategorisierungen festgehalten haben. Die diesbezüglichen Erwägungen können hier nicht im einzelnen dargelegt werden; stattdessen sei hier wiederum auf Holger Zaunstöck verwiesen, der dazu ausführliche Überlegungen in seiner Dissertation über die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften angestellt hat.15 Die Frage nach Sinn und Begründung dieser Typologie wird uns allerdings im Verlauf unserer Ausführungen noch weiter beschäftigen. Neben der systemati-

12

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Zwar gibt es Ansätze zu einer vergleichenden Analyse von Statuten, diese beschränken sich jedoch bislang auf einen Sozietätstyp. Siehe beispielsweise Hilmar Tilgner, Lesegesellschaften an Mosel und Mittelrhein im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Aufklärung im Kurfürstentum Trier. Stuttgart 2001 (Geschichtliche Landeskunde 52), S. 135-139. Vgl. van Dülmen, (wie Anm. 5), Im Hof, (wie Anm. 6), und Zaunstöck, (wie Anm. 2). Vgl. Anm. 6. Zaunstöck, (wie Anm. 2), S. 82ff.

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sehen Eingrenzung nahmen wir eine chronologische und geographische vor: In unsere Sammlung aufgenommen werden sollten die Konstitutionsschriften aller als aufgeklärt definierten Gesellschaften aus dem Gebiet des Alten Reiches; der abzudeckende Zeitraum sollte das 18. Jahrhundert sein, in Einzelfallen aber wurden auch ältere Texte aufgenommen, sofern bereits aus dem äußeren Zusammenhang eine Vorläuferfunktion erkennbar war; dies gilt beispielsweise für die Geheimbünde.16 Die letzte Eingrenzung, die es vorzunehmen galt, war die der Textgattung. Was uns ursprünglich vorrangig interessierte, waren die eigentlichen Statuten im Sinne von selbstgesetzten, verbindlichen Regeln für den Zusammenschluß bestimmter Personen in einer Gesellschaft. Allerdings zeigte sich bald, daß diese selbstgegebenen Regelwerke nicht gesondert von den vielfach vorhandenen von ,außen' erwirkten Konstitutionsschriften gesehen werden können: Patente und Privilegien, die seitens der Landesherrschaft oder einer Mutterorganisation verliehen wurden, enthielten selbst oftmals erkennbar Elemente selbstgegebener Statuten, übernahmen diese wahrscheinlich implizit bzw. standen in Ergänzung dazu. So gehören zu den Konstitutionen der schon genannten Loge Karl zum Rautenkranz auch ein sogenanntes „Protectorium" des Hildburghäuser Herzogs Friedrich vom 13. Dezember 1788 und ein Patent der Londoner Großloge, der sich die neu gegründete Loge angesichts dynastischer Verbindungen und wohl auch der Richtungsstreitigkeiten in der deutschen Maurerei direkt unterstellt hatte.17 Faßt man diese verschiedenen die Gründung betreffenden Texte zusammen, so liegt uns derzeit ein Korpus von 98 Schriften in Kopie vor. Nimmt man eine weitere Spezifizierung nach Gattungen vor, die natürlich bei weiterer Differenzierung unserer Fragen geboten ist, so zeigt sich, daß es sich bei gut drei Vierteln, nämlich 77 Texten, um Statuten im eigentlichen Sinne handelt, die somit schon rein quantitativ die ergiebigere Quelle sind. Eine andere Differenzierung läßt sich anhand der Zuweisung zu den unterschiedlichen Typen von Aufklärungsgesellschaften vornehmen. In der klassischen Definition sind dies fünf Gruppen, auf die sich die Konstitutionsschriften wie folgt verteilen: Die größte Gruppe bilden die Freimaurerlogen und Geheimbünde mit 38 Schriften (davon Geheimbünde sieben), gefolgt von den Lesegesellschaften mit 27 Texten. Weiterhin folgen die Akademien und Gelehrten Gesellschaften mit 13 Schriften, die patriotisch-gemeinnützigen Gesellschaften mit zwölf und die Jakobi-

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Beispielsweise das angebliche - und wahrscheinlich fingierte - Statut der Goldenen Rosenkreuzer von 1645, das in Abschrift in den Akten der Grand Lodge of Denmark überliefert ist: The National Grand Lodge of Denmark, Rep. F ΙΠ vol. 2.b.2. Copia des Constitutions-Patents, in: Emil Ehrhardt, Abriß der Geschichte der Loge Karl zum Rautenkranz im Orient von Hildburghausen. Hildburghausen 1887, S. 2f., und Copia des Landesherrlichen Protectorii, in: ebd., S. 4f. Der Schwiegervater des regierenden Herzogs, der Herzog von Mecklenburg-Strelitz, war Großmeister der englischen Freimaurer für das in Personalunion mit Großbritannien regierte Kurfürstentum Hannover.

Verhaltensregeln und Hierarchien in der Aufklärung

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nerklubs mit acht. Zeitlich stammt die überwiegende Mehrzahl der Schriften aus der Zeit nach 1765; Texte vom Anfang des 18. Jahrhunderts (oder früher) finden sich dagegen nur sehr vereinzelt. Insgesamt spiegelt die Verteilung der Texte in etwa auch die Zusammensetzung und Entstehung des Spektrums der Aufklärungsgesellschaften wider, wie es die Literatur beschrieben hat;18 in Einzelfällen vorhandene Abweichungen haben ihre Ursache vorwiegend wieder in der Überlieferungssituation bzw. sind zu einem gewissen Teil auch durch die Systematik der Recherche bedingt: So hat die zentrale Verwahrung der Bestände der Freimaurerlogen im Geheimen Staatsarchiv Berlin zweifellos nicht allein die Überlieferung von deren Statuten begünstigt, sondern erleichtert natürlich auch die Zugänglichkeit des Materials.19 Mit einigen Worten zur textlichen Überlieferung wollen wir unsere Ausführungen zur äußeren Textgestalt beenden: Die gesammelten Schriften liegen sowohl in edierter Form vor, beispielsweise in dem von Winfried Dotzauer herausgegebenen Quellenband zur Freimaurerei20 oder den zahlreichen Logengeschichten, 21 als auch als zeitgenössische Publikationen, vorwiegend in Zeitschriften, wie auch als handschriftliche Archivalien, wobei letztere Form vor allem für die Arkangesellschaften überwiegt, die verständlicherweise weit weniger an Publizität interessiert waren als zum Beispiel Akademien oder Gelehrte Gesellschaften, die ihre Statuten mit Begeisterung zum Druck beförderten. 22

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W i e A n m . 12. Zumal sie durch folgendes Verzeichnis erschlossen sind: Renate Endler / Elisabeth SchwarzeNeuß, Die Freimaurerbestände im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Bd. 2: Tochterlogen. Frankfurt/M. u.a. 1996 (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle .Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850' 18). Winfried Dotzauer, Quellen zur Geschichte der deutschen Freimaurerei im 18. Jahrhundert, unter besonderer Berücksichtigung der Strikten Observanz. Frankfurt/M. u.a. 1991 (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle ,Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770— 1850' 3). Verzeichnet u. a. bei Herbert Schneider, Deutsche Freimaurer Bibliothek. 2 Bde. Frankfurt/M. u.a. 1993 (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850' 12); August Wolfstieg, Bibliographie der freimaurerischen Literatur. 3 Bde. Leipzig / B u r g 1911-1913 und ein Ergänzungsband, bearb. von Bernhard Beyer. Leipzig 1926. Siehe u.a. Nachricht von der Entwicklung, dem Verhalten und den Satzungen der Fürstlich Anhaltischen Deutschen Gesellschaft. Bernburg 1762. Besonders aktiv in der Publikation ihrer Statuten waren die Naturforschenden Gesellschaften: Nachricht von der Gründung einer naturforschenden Gesellschaft zu Jena am 14ten Juli nebst den dabei gehaltenen Reden, den Statuten der Gesellschaft, und dem Verzeichnisse ihrer Mitglieder. Jena 1793; Plan und Gesetze der Naturforschenden Gesellschaft zu Halle, die unter dem Vorsitz des Kriegs- und Domainenraths wie auch der Weltweisheit Doctors, von Leyser im Monat Julius des 1779sten Jahrs ihren Anfang nahm. Halle 1779. Vgl. auch Holger Zaunstöck, Untersuchungen zur Struktur Naturforschender Gesellschaften im 18. Jahrhundert: Die Sozietäten in Halle, Leipzig und Jena, in: Olaf Breidbach / Paul Ziehe (Hg.), Naturwissenschaften um 1800. Wissenschaftskultur in Jena-Weimar. Weimar u.a. 2001, S. 155-175.

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Markus Meumann

Insgesamt dürfte mit diesen beinahe einhundert Schriften bei aller Zufälligkeit der Zusammensetzung unseres Korpus' ein hinreichendes Sample vorliegen, um einen wenn nicht repräsentativen, so doch zumindest systematisch wie regional gut verteilten Ausschnitt aus dem Gesamtspektrum der Konstitutionsschriften von Sozietäten im Alten Reich zur Grundlage unserer Analyse zu machen. Vorläufig muß dabei freilich die Einschränkung auf die sogenannten Aufklärungsgesellschaften aus systematischen Gründen weiter akzeptiert werden; in einer Erweiterung der bisherigen Sammlung wäre es dann zweifellos erstrebenswert, die Konstitutionsschriften anderer Gesellschaften und Vereinigungen vergleichend hinzuzuziehen.

3. Textstruktur und Erkenntniswert der Konstitutionsschriften Damit wollen wir zur inneren Struktur der vorliegenden Schriften übergehen. Um eine derartige Menge von Texten, deren Umfang zwischen einer und zwanzig, dreißig oder mehr Seiten variiert, überhaupt systematisieren zu können, ist es notwendig, sie in ein Raster zu fassen, welches wir anhand der Lektüre ausgewählter Beispiele entwickelt haben. Sodann haben wir für die schematische Analyse die folgenden neun Gegenstandsbereiche gebildet: 1. 2. 3. 4. 5. 6.

den Traditions- bzw. Systembezug die Ziele bzw. Tätigkeitsbereiche der Gesellschaft die Mitgliedschaft die Organisationsstruktur die Finanzen das, was sich als ,Gesellschaftsleben' bezeichnen läßt, also Ort und Intervalle der Zusammenkunft, Geselligkeit, gemeinsame Mahlzeiten usw. 7. die Beziehungen zur Außenwelt, zu anderen Gesellschaften oder zur Obrigkeit 8. den Bereich der Selbst-Dokumentation 9. schließlich eine Kategorie, die bei Erhebungen historischen Materials niemals fehlen darf: die Besonderheiten.

Um dem Leser einen Eindruck von der Reichweite mancher Regelung zu vermitteln, sei ein Abschnitt aus den hannoverschen Logengesetzen von 1763 zitiert. Dort heißt es hinsichtlich der Zusammenkünfte: a) daß keiner nach 5 einhalb Uhr komme, um die Gesellschaft nicht in ihren Arbeiten zu unterbrechen. b) daß keiner wärend einer Vorlesung ohne tringende Noth aufstehe und hinweggehe. c) daß ein jeder derselben die gebührende Stille und Achtsamkeit vor der Gesellschaft, nebst der maurerischen Ehrfurcht vor den jedesmaligen Vorsteher derselben hege. c) (!) daß sich jeder des Tobakrauchens [...] enthalte. 23

23

Dotzauer, (wie Anm. 20), S. 91.

Verhaltensregeln und Hierarchien in der Aufklärung

135

Noch strenger präsentiert sich der „Unveränderliche Gründervertrag" unserer Hildburghäuser Loge Karl zum Rautenkranz·. Dort heißt es: „In der Loge finden weder Privat Zänkereien noch Gespräche über Staats-, Religions und Familien Angelegenheiten oder solche Sachen statt, die nur wenige interessiren oder zu Verdrießlichkeiten Anlaß geben können." 24 Weiter wird fur den Fall wiederholter Übertretungen der Gebote die Verweisung aus der Loge für den betreffenden Abend angedroht. Die genannten Gegenstandsbereiche sind ihrerseits wiederum in Unterpunkte gegliedert, die in einzelnen Fällen recht detailliert sein können. 25 Insbesondere das Gesellschaftsleben war in vielen Sozietäten minutiös geregelt und umfaßte z.B. besondere Gesellschafts- oder Ordensnamen, Hierarchien, Verhaltensregeln, Zeremonielle, gegenseitige soziale Verpflichtungen und ähnliches mehr; der Pflichtenkatalog der Mitglieder umfaßte oft seitenlange Aufzählungen. Auch die Mitgliedschaft selbst bzw. die Möglichkeit des Beitritts war bei vielen Gesellschaften bis in die Einzelheiten ausgearbeitet: Für die Aufnahme mußten verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein, z.B. ein gesichertes Auskommen oder ein sittlich einwandfreier Lebenswandel. Vielfach mußten sich neue Mitglieder auf bestimmte Werte bzw. die Ziele der Gesellschaft verpflichten oder sogar einen Eid leisten; die Gold- und Rosenkreuzer etwa entsagten explizit den menschlichen Hauptschwächen Wollust und Stolz. 26 Ein derart aufgefächertes Raster ermöglicht es schließlich, Beziehungen hinsichtlich Textaufbau und Inhalten zwischen Statuten nicht allein einer Art von Sozietäten, sondern auch zwischen den verschiedenen Gesellschaftstypen herzustellen und Vergleiche vorzunehmen - ein Verfahren, das Traditionsbezüge und Nachahmung, aber auch erhebliche Abweichungen zwischen den Regelwerken einer Sozietätsgruppe an den Tag bringt, vor allem aber - und dies ist sicherlich die interessantere Erkenntnis - Verwandtschaften zwischen den Regeln und Verfahrensbestimmungen von Gesellschaften verschiedenen Typs. Ordensnamen z.B. begegnen zwar vorwiegend in Logen und Geheimbünden, sind aber schon aus der Fruchtbringenden Gesellschaft bekannt, ähnliches gilt für die Rituale der Aufnahme. Das Verbot, in der Gesellschaft über politische Inhalte zu sprechen, besaß in Gelehrten Gesellschaften ebenso wie in Freimaurerlogen und im Geheimbund der Gold- und Rosenkreuzer Gültigkeit. Mitgliedergebühren schließlich waren in Sozietäten fast jeglicher Ausrichtung, von Lesegesellschaften bis zu Freimaurerlogen, zu entrichten.

24 25 26

GStA PK Freimaurer 5.2. Η 96 Nr. 3, (wie Anm. 1). Vgl. dazu auch Tilgner, (wie Anm. 12), S. 141-143. Starke Erweise aus den eigenen Schriften Des Hochheiligen Ordens Gold- und Rosenkreuzer für die Wahrheit Daß seine in Gott ruhende Väter von ewiger Thät- und Wirksamkeit, Rom 5555, in: Schriften der Gold- und Rosenkreuzer. Sinzheim 1999, S. 93-202, hier 129f.

136

Markus Meumann

Wenn wir hier im folgenden ein Plädoyer für die sich aus der Analyse der vorgestellten Konstitutionsschriften ergebenden Erkenntnismöglichkeiten halten, so meinen wir damit keineswegs den in der älteren Literatur beschrittenen Weg, aus den Konstitutionen auf die tatsächliche Arbeit der Sozietäten zu schließen oder, wie die Formulierung im Stil des 19. Jahrhunderts lauten könnte, gar die Geschichte einer Gesellschaft dargestellt an ihren Statuten vorzulegen. Wie weit Reglements und tatsächliches Gesellschaftsleben auseinanderklaffen konnten, hat Andreas Kleinen eindrucksvoll am Beispiel der Hallischen Naturforschenden Gesellschaft dargelegt.27 Entgegen den Vorstellungen des „Plans" und der wohlgeordneten „Gesetze" ließ das Engagement der Mitglieder nur allzu bald zu wünschen übrig: Die Sitzungen begannen unter Besucherschwund zu leiden,28 und der Pflicht zur Vorlage gelehrter Abhandlungen kamen nur die wenigsten Mitglieder freiwillig nach. Die Zahlungsmoral war ebenso schlecht wie die Gesprächsdisziplin, und die Unterhaltungen widmeten sich oft genug Themen, die vom eigentlichen Gesellschaftszweck weit entfernt waren. Dagegen wollen wir den Vorschlag setzen, die behandelten Texte für sich, gleichsam als eigene Entitäten, zu betrachten, und zwar sowohl in ihren inneren als auch in ihren äußeren Bezügen und Wirkungen. Hinsichtlich der inneren Bezüge heißt dies unseres Erachtens, daß wir uns auch als Historiker dazu entschließen müssen, Konstitutionsschriften zunächst einmal als Texte zu betrachten und zu analysieren. Als solche stehen auch Privilegien, Statuten und Regelwerke in bestimmten Traditionen, folgen ganz unzweifelhaft bestimmten rhetorischen und stilistischen Vorgaben und Mustern und stehen durch diese und per Vorbildfunktion miteinander in Verbindung. 29 Teilweise mögen sich diese Traditionen unmittelbar verfolgen und namhaft machen lassen, wodurch dann Verbindungen zwischen Gesellschaften sichtbar werden können. Sicher, gelegentlich sind diese Verbindungen, ζ. B. bei freimaurerischen Systemen oder Geheimbünden, auch ohne Textanalyse sichtbar, etwa durch die Übernahme von Hierarchien oder Gradsystemen. In vielen Fällen aber zeigt erst die Textanalyse die Verwandtschaft zwischen den Statuten verschiedener Gesellschaftstypen, könnten sich unerwartete Übereinstimmungen hinsichtlich Mitgliedschaft oder Ablauf und Gegenstand von Sitzungen zwischen Freimaurerlogen und Gelehrten oder Patriotischen Gesellschaften, ja vielleicht sogar zwischen Lesegesellschaften und Jakobinerklubs einstellen. Mindestens ebenso wichtig ist aber, daß die Anwendung von Verfahren der Textanalyse auf die Konstitutionsschriften unserer sogenannten Aufklärungsgesellschaften ein neues Feld zur Überprüfung dieser Typologie eröffnet, und zwar sowohl in chronologischer Hinsicht, indem die Orientierung an Vorläufer- bzw. die

27

28 29

Andreas Kleinert, Die Naturforschende Gesellschaft zu Halle, in: Vorträge und Abhandlungen zur Wissenschaftsgeschichte 1999/2000 (Acta historica Leopoldina 36), S. 247-272. Ähnliches berichtet Tilgner, (wie Anm. 12), S. 142, von der Trierer Lesegesellschaft. Siehe dazu auch ebd., S. 135ff.

Verhaltensregeln und Hierarchien in der Aufklärung

137

Wirkung auf Nachfolgeorganisationen nachgewiesen werden kann, als auch und vor allem in systematischer Hinsicht. Denn gerade der Vergleich mit den Statuten gemeinhin nicht als aufgeklärt geltender Gesellschaften kann zeigen, ob sich die sogenannten Aufklärungsgesellschaften in ihren Intentionen und Selbstentwürfen signifikant von anderen Sozietäten unterscheiden. Hier wird es freilich wie schon erwähnt vonnöten sein, das Spektrum der von uns selbst bislang bei der Materialsammlung berücksichtigten Gesellschaftstypen zu erweitern. Damit sind wir bei der oben schon angesprochenen gruppen- oder gesellschaftsformierenden Tendenz solcher Entwürfe angelangt, der Autopoetik, mit deren Analyse sich weiterführende Fragen nach der Funktion von Selbstbeschreibungen wie nach der von Sozietäten verbinden lassen: Wer waren die Autoren der autopoetischen Reglements und Statuten? Welche Ziele verfolgten die Verfasser mit ihren Texten? Dienten diese zugleich mit der Stärkung des inneren Zusammenhalts einer Sozietät auch der Abgrenzung nach außen? Sollten die Sozietäten auf andere Gesellschaftsbereiche ausstrahlen, und finden sich Elemente aus den Konstitutionen und Statuten vielleicht auch in anderen Bereichen wieder? Und wie wurden die selbstgewählten Reglements, denen man sich ja freiwillig unterwerfen wollte, von anderen, von außen oder ,oben' verordneten Verhaltensnormen beeinflußt, wie es z.B. im Fall des oben zitierten Tabakverbots ganz deutlich zutage tritt?

4. Geselligkeit als Norm: Zur Funktion von Konstitutionen, Verhaltensreglements und Hierarchien Die anhand der Hallischen Naturforschenden Gesellschaft beschriebene Beobachtung, daß sich Norm und Praxis in der Frühen Neuzeit keineswegs deckten, ja für unser Verständnis kaum miteinander in Beziehung zu stehen scheinen, gilt auch außerhalb der aufgeklärten Gesellschaftsbewegung und ist vielen Historikern von der obrigkeitlichen Gesetzgebung her bestens vertraut. Der frühmoderne Staat, dessen Herrschaftsform nach wie vor mit dem Begriff des Absolutismus charakterisiert wird und dessen höchstes Ziel im 18. Jahrhundert doch vermeintlich die „Sozialdisziplinierung" war,30 produzierte nicht nur Gesetze und Verordnungen in schier unermeßlicher Zahl, sondern er erließ diese Gesetze immer wieder in wenig oder gar nicht veränderter Form, allenfalls um die Klage über ihre mangelhafte Befolgung erweitert. Die Fruchtlosigkeit der Normsetzung scheint dabei so offen-

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Zum mittlerweile arg strapazierten Konzept der Sozialdisziplinierung vgl. Winfried Schulze, Gerhard Oestreichs Begriff „Sozialdisziplinierung in der frühen Neuzeit", in: Zeitschrift für Historische Forschung 14 (1987), S. 265-302. Den Stand der Absolutismusdebatte dokumentiert am umfassendsten Ronald G. Asch / Heinz Duchhardt (Hg.), Der Absolutismus - ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550-1700). Köln u.a. 1996 (Münstersche historische Forschungen 9).

138

Markus

Meumann

sichtlich auf der Hand zu liegen, daß Jürgen Schlumbohm vor einiger Zeit von „Gesetzen, die nicht durchgesetzt werden", gesprochen hat.31 Dessen ungeachtet haben Historiker und Rechtshistoriker die Beschäftigung mit diesen Texten keinesfalls aufgegeben, ja am Frankfurter Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte entsteht sogar seit Jahren eine Sammlung von Policeyordnungen. 32 Im Umkreis dieses Projektes sind nun verschiedentlich neue Forschungsansätze vorgeschlagen worden, die sich neuerdings unter dem Stichwort „Historische Implementationsforschung" subsumieren lassen. In aller Kürze zusammengefaßt, ist dabei die Kernthese, daß auch bei obrigkeitlichen Gesetzen nicht unbedingt die direkte Umsetzung im Vordergrund stand, sondern daß das Erlassen von Gesetzen Teil eines kommunikativen Prozesses zwischen Herrschaft und Beherrschten, zwischen Obrigkeit und Untertanen war. So gesehen war das Erlassen von Normen Teil einer Auseinandersetzung über Normen, die allerdings nicht, wie bislang meistens dargestellt, dialektisch funktionierte, sondern sich gewissermaßen polylektisch zwischen Normgebem, Normvermittlern und Normadressaten abspielte, die auf verschiedenen Ebenen miteinander verbunden waren. Achim Landwehr hat deshalb in einem Beitrag in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft den Begriff der Normdurchsetzung verworfen 33 und in seiner unlängst erschienenen Dissertation über die Implementation frühneuzeitlicher Policeyordnungen in Leonberg durch den der Normeinsetzung ersetzt. 34 Nimmt man aber den hier beschriebenen Prozeßcharakter der Normeinsetzung ernst, so fallt auch auf unsere Statuten - und hier sind vor allem die selbstgewählten und -gesetzten Regeln im engeren Sinne gemeint - ein neues Licht. Deren Nichtbefolgung ist dann vielleicht weniger erstaunlich als die Tatsache, daß sie überhaupt gesetzt wurden, daß die Mitglieder von Sozietäten fast ausnahmslos davon überzeugt waren, daß es solcher Regelwerke bedurfte und daß diese zumindest dem Buchstaben nach zu befolgen seien. Dazu kommt, daß auch Regeln, die nicht oder nicht immer befolgt werden, durchaus verinnerlicht und Teil kollektiv akzeptierter Verhaltensweisen sein können; ein Beispiel wäre die rote Ampel, die wir alle zwar gelegentlich ignorieren, aber doch wohl nicht als Autofahrer, sondern nur als Fußgänger und letzteres vielleicht auch dann nicht, wenn wir ein Kind in der Nähe sehen. Normen können also auch dann implementiert und sogar grundsätzlich gutgeheißen sein, wenn sie nicht in jedem Fall befolgt werden, oder anders gesagt: Auch Gesetze, die nicht oder nicht vollständig befolgt werden, können

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Jürgen Schlumbohm, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden - ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates?, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), S. 6 4 7 - 6 6 3 . Vgl. dazu Karl Härter (Hg.), Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft, Frankfurt/M. 2000 (Ius Commune Sonderhefte 129). Achim Landwehr, „Normdurchsetzung" in der Frühen Neuzeit? Kritik eines Begriffs, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48 (2000), S. 146-162. Achim Landwehr, Policey im Alltag. Die Implementation frühneuzeitlicher Policeyordnungen in Leonberg, Frankfurt/M. 2000 (Studien zu Policey und Policeywissenschaft).

Verhaltensregeln und Hierarchien in der Aufklärung

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dennoch im weiteren Verständnis als ,durchgesetzt' gelten, wenn nur ein breites Bewußtsein dafür vorhanden ist, daß diese Gesetze existieren. Insofern scheint uns der Wiederholung bestimmter gesellschaftlicher Regeln und Verhaltensnormen in den Konstitutionsschriften große Bedeutung zuzukommen, und zwar nicht nur im bekannten Sinne der Überwindung der ständischen Gesellschaft und der Einübung neuer, möglicherweise egalitärer Verhaltensweisen.35 Vielmehr muß es eine der Aufgaben einer sorgfaltigen Analyse der Statuten sein nachzuschauen, inwieweit auch im Kontext von Aufklärungsgesellschaften und anderen Sozietäten Ziele formuliert wurden, die sich mit denen des Fürstenstaates des ausgehenden Ancien Regime und den Bedürfnissen der aufkommenden Industrialisierung deckten. In dieser Perspektive könnten vielleicht auch die freimaurerischen Hierarchien, insbesondere die der Hochgradsysteme und der Geheimbünde wie der Illuminaten oder der Gold- und Rosenkreuzer, eine neue Wertung erfahren. Deren bis zu neun Grade repräsentierten dann nicht nur eine nach Verdienst und Erkenntnis gestaffelte Elite, sondern etablierten ebensogut eine neue, weit undurchschaubarere Hierarchie als die ständische, die in ihrer feinen Abstufung durchaus an die von Pierre Bourdieu beschriebenen subtilen Distinktionsmechanismen der postindustriellen Gesellschaft erinnert und wohl auch in dieser Hinsicht eine „Entwicklungslinie zur modernen Welt" aufweist. 36

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36

So im Rückgriff auf Reinhart Kosellecks erstmals 1959 erschienenes Buch Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt. Frankfurt/M. 7 1992 z.B. Rudolf Vierhaus, Aufklärung und Freimaurerei in Deutschland, in: Helmut Reinalter (Hg.), Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa. Frankfurt/M. 1983 (suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 403), S. 115-139 (erstmals erschienen 1973). Zu den Illuminaten siehe Monika Neugebauer-Wölk, Esoterische Bünde und Bürgerliche Gesellschaft. Entwicklungslinien zur modernen Welt im Geheimbundwesen des 18. Jahrhunderts. Göttingen 1995 (Kleine Schriften zur Aufklärung 8); zur Ordensstruktur der Gold- und Rosenkreuzer vgl. den Beitrag von Renko Geffarth in diesem Band. Siehe auch Alfred Lehner, Freimaurerische Symbole und Rituale in der Entwicklung der unterschiedlichen Logensysteme, in: Berger / G r ü n , ( w i e A n m . 8), S. 113-117.

II. Netzwerke

HERMANN SCHÜTTLER ( H a l l e )

Johann Friedrich Mieg und die Organisation des Illuminatenordens in der Kurpfalz1 1. Forschungsstand Der 1776 in Ingolstadt gegründete Illuminatenorden war bereits mehrfach Objekt organisationsgeschichtlicher und -soziologischer sowie prosopographischer Untersuchungen. Bedingt durch die bis 1985 äußerst beschränkte Quellenlage, betrafen diese allerdings lediglich ausgesuchte Teilbereiche. Zu nennen sind besonders die Arbeiten von Joseph Hansen und Adolf Pauls, die sich vornehmlich auf das Rheinland beziehen,2 sowie die Ausführungen von Eberhard Weis und Ludwig Hammermayer für Bayern.3 Hinzu kommen Untersuchungen speziell zu kleineren Orten sowie erstmals unter dem Aspekt der Netzwerkbildung die neuen Ergebnisse von Wilhelm Kreutz über den kurpfalzischen Raum4 und die äußerst aufschlußrei-

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Dieser Aufsatz ist ein erstes Zwischenergebnis des von Monika Neugebauer-Wölk geleiteten Arbeitsprojektes „Utopie-Anthropologie-Politik. Strukturen und Strategien des Geheimbunds der üluminaten im Kontext der Spätaufklärung" am Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Joseph Hansen, Quellen zur Geschichte des Rheinlandes im Zeitalter der französischen Revolution. Bonn 1931, 4 Bde., hier Bd. 1, S. 4 1 - 7 4 ; Adolf Pauls, Geschichte der Aachener Freimaurerei, Bd. 1 (mehr nicht erschienen). Clausthal-Zellerfeld 1928; und ders., Düsseldorfer Freimaurerei im 18. Jahrhundert. Clausthal-Zellerfeld 1929 (bes. Kap. 4). Ludwig Hammermayer, Der Geheimbund der üluminaten und Regensburg, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 110 (1970), S. 6 1 - 9 2 ; ders., Die letzte Epoche der Universität Ingolstadt. Reformer, Jesuiten, üluminaten 1746-1800, in: Ingolstadt. Die Herzogsstadt - die Universitätsstadt - die Festung. Ingolstadt 1973, S. 264-316; ders., üluminaten in Bayern. Zu Geschichte, Fortwirken und Legende des Geheimbunds, in: Hubert Glaser (Hg.), Krone und Verfassung. König Max I. Joseph und der neue Staat. Beiträge zur bayerischen Geschichte und Kunst 1799-1825. München 1980, 146-73; ders., üluminaten und Freimaurer zwischen Bayern und Salzburg. Bemerkungen zu Geschichte, Umfeld und Nachwirkung von Geheimgesellschaften im oberdeutschen Raum (ca. 1775-1800), in: Andreas Kraus (Hg.), Land und Reich, Stamm und Nation. Probleme und Perspektiven bayerischer Geschichte. Festgabe für Max Spindler zum 90. Geburtstag. Bd. 2: Frühe Neuzeit. München 1984, S. 321-355; ders., Die Orden der üluminaten und der Gold- und Rosenkreuzer, in: „[...] einen Stein für den großen Bau behauen". Studien zur deutschen Literatur. Prof. Dr. habil. Gerard Kozielek zum 65. Geburtstag. Breslau 1993, [= Acta Universitatis Wratislaviensis Nr. 1436], S. 93-108; Eberhard Weis, Der Illuminatenorden (1776-1786). Unter besonderer Berücksichtigung der Fragen seiner sozialen Zusammensetzung, seiner politischen Ziele und seiner Fortsetzung nach 1786. München 1987 (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Sitzungsberichte Heft 4). Wilhelm Kreutz, Die üluminaten des rheinisch-pfälzischen Raums und anderer außerbayerischer Territorien. Eine „wiederentdeckte" Quelle zur Ausbreitung des radikal aufklärerischen Geheimordens in den Jahren 1781 und 1782, in: Francia 18 /2 (1992), S. 115-149; ders., Von der höfischen Institution zur bürgerlichen Sozietät - Das regionale Netzwerk der kurpfalzischen Aufklärung, in: Mannheimer Geschichtsblätter, Neue Folge, Bd. 3. Sigmaringen 1996,

144

Hermann

Schüttler

che Studie von Monika Neugebauer-Wölk über die versuchte und teilweise gelungene Einflußnahme der Illuminaten auf das Reichskammergericht in Wetzlar.5 Die Studie von Hans-Jürgen Schings über Ordensmitglieder und -aktivitäten im Umfeld Schillers besonders in dessen Stuttgarter Zeit schließlich gibt wichtige Aufschlüsse zu diesem bisher wenig bekannten Kapitel in der Biographie des Dichters.6 Ein erster Versuch, den gesamten Orden unter prosopographischen Aspekten zu fassen und zu würdigen, wurde nach neuen Archivfunden in Moskau möglich, die den bis 1991 bekannten Mitgliederbestand wesentlich erweiterten.7 Gestützt auf eine bisher nicht erreichte Quellenbasis sollen nun für das Territorium der Kurpfalz bzw. den Tätigkeitsbereich des Heidelberger Kirchenrates Johann Friedrich Mieg einige bislang weniger bekannte Details zur Entwicklung und Wirkung des Illuminatenordens vorgestellt werden.

2. Miegs Lebensweg und maurerisch-illuminatische Laufbahn Johann Friedrich Mieg wurde 1744 in Lingen geboren. Sein Vater, der u. a. bei Christian Wolff studiert hatte, war reformierter Prediger sowie Professor für Philosophie in Lingen, später in Herborn. Mieg selbst studierte ebenfalls Theologie in Herborn und Den Haag und wurde im Dezember 1767 aufgrund seiner guten Zeugnisse holländischer Gesandtschaftsprediger in Wien. Um Ostern 1776 wurde er zum außerordentlichen Kirchenrat nach Heidelberg berufen, 1777 zum Doktor der Theologie promoviert und schließlich 1795 zum ordentlichen Kirchenrat ernannt. Diese Stelle versah er bis 1802. Mit dieser Berufung war zugleich die Aufgabe verbunden, als Pastor und Prediger an der Stadtpfarrkirche Heilig Geist zu wirken. Mieg erfüllte diese Aufgabe bis 1806. Durch Heirat wurde er Gutsbesitzer

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S. 235-254. Zu den kleineren Orten: Hermann Schüttler, Bibliographie zum Illuminatenorden (1776-1787/93), in: Helmut Reinalter (Hg.), Der Illuminaten-Orden (1776-1785/87). Ein politischer Geheimbund der Aufklärungszeit. Frankfurt/M. 1996, S. 393-415. Diese Bibliographie wird im Rahmen des halleschen Forschungsprojektes (vgl. Anm. 1) laufend ergänzt und ist unter der Adresse zu finden: http://www.geheime-gesellschaften.de/BibliographieIlluminatenorden.htm. Monika Neugebauer-Wölk, Reichsjustiz und Aufklärung. Das Reichskammergericht im Netzwerk der Illuminaten. Wetzlar 1993. Hans-Jürgen Schings, Die Brüder des Marquis Posa. Schiller und der Geheimbund der Illuminaten. Tübingen 1996, hier bes. S. 23-52 ausfuhrlich zum Stuttgarter Illuminatenzirkel. Vgl. Hermann Schüttler, Zwei freimaurerische Geheimgesellschaften des 18. Jahrhunderts im Vergleich: Strikte Observanz und Illuminatenorden, in: Erich Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt. Bd. 4: Deutsche Aufklärung. Weimar 1997, S. 521-544. Das von mir erstellte Verzeichnis Die Mitglieder des Illuminatenordens 1776-1787/93 (München 1991) wird im Rahmen des Projektes (vgl. Anm. 1) überarbeitet und ergänzt. Die weiter unten gebotenen Daten zu schon bekannten bzw. neu identifizierten Ordensmitgliedern sind nicht denkbar ohne die äußerst fruchtbare Zusammenarbeit mit meinem Kollegen am halleschen Forschungsprojekt, Reinhard Markner, dem ich an dieser Stelle ausdrücklich danken möchte.

Johann Friedrich

Mieg

145

in Guntersblum. Er war Mitglied der Kurpßlzischen der Erfurter Akademie

der

Deutschen

Gesellschaft

und

Wissenschaften.

In seiner Eigenschaft als Mitglied der Kurpfalzischen

Gesellschaft

geriet M i e g

in näheren Kontakt zu Friedrich Schiller. Mitte 1784 gehörten beide demselben Preisausschuß an und hatten u.a. die Einsendung von Schillers Freund Johann Wilh e l m Petersen 8 zu beurteilen. Petersen war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls Illuminat und mit Mieg in illuminatischer Verbindung. 9 D i e Bekanntschaft mit dem Dichter hatte offensichtlich längeren Bestand, denn noch Anfang 1792 konnte Mieg einen Heidelberger Theologiestudenten zur Fortsetzung seiner Studien an Schiller in Jena empfehlen. 1 0 Auch der junge Wilhelm von Humboldt machte - von dem Berliner Aufklärer Johann Erich Biester 11 empfohlen - Station bei dem Heidelberger Kirchenrat, w i e Humboldt in einem Schreiben an Georg Forster 12 berichtete. 13 In seinen Tagebuchaufzeichnungen von dieser Reise ging Humboldt ausführlich auf seine Gespräche mit M i e g ein und schilderte dessen Charakter: In seinem gesicht, vorzüglich seinem auge liegt etwas freies und edles, was durch das rund abgeschnittne haar, und sein ganzes äussere noch vermehrt wird. Seine art sich auszudrükken hat etwas einfaches und kraftvolles. Sein Verstand characterisirt sich wohl dadurch, dass er mehr schlicht, grad, hell und durchdringend, als fein und tief ist. [...] In seinem Character sind, meiner Empfindung nach, freimüthigkeit, festigkeit, enthusiasmus für freiheit, und iedes recht der menschheit, verbunden mit toleranz und gutmüthigkeit, unverkennbar. 14 Mit Georg Forster, der höchstwahrscheinlich ebenfalls dem

Illuminatenorden

angehörte, war M i e g seit etwa 1788 befreundet. A l s von den französischen R e v o lutionstruppen Anfang 1793 auf dessen Landgut die gesamte Ernte beschlagnahmt

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Johann Wilhelm Petersen (1758-1815); Bibliothekar, dann Prof. für Diplomatik und Heraldik in Stuttgart, Historiker und Fachschriftsteller. Anfang 1782 Illuminat („Johann Huß"). Zu den im folgenden genannten Mitgliedern des Illuminatenordens siehe, wenn nicht anders vermerkt, Schüttler, Die Mitglieder, (wie Anm. 7). Schiller an Petersen, 1. Juli 1784, in: Friedrich Schillers Werke. Nationalausgabe. Weimar 1943ff.; hier Bd. 23, S. 150f. Zu diesem Vorgang ausführlicher: Schings, (wie Anm. 6), S. 84f. Mieg an Schiller, 28. März 1792, in: Schiller, (wie Anm. 9), Bd. 34 / l , S. 145. Johann Erich Biester (1749-1816); Bibliothekar in Berlin, Mitherausgeber der Berlinischen Monatsschrift. Biester war Mitglied der Berliner Großen Landesloge von Deutschland. Johann Georg Adam Forster (1754-1794); Universitätsbibliothekar in Mainz, 1792 führendes Mitglied des dortigen Jakobinerklubs. Forster war Freimaurer und zeitweise Mitglied des Kasseler Zirkels der Gold- und Rosenkreuzer. Zu Forster ausführlich: Gerhard Steiner, Freimaurer und Rosenkreuzer: Georg Forsters Weg durch Geheimbünde. Neue Forschungsergebnisse auf Grund bisher unbekannter Archivalien, Berlin 1985; und Irmtraut Sahmland, Georg Forsters Wirken als Freimaurer und Rosenkreuzer, in: Weltbürger - Europäer - Deutscher Franke. Georg Forster zum 200. Todestag. Hg. v. Rolf Reichardt / Genevieve Roche. Mainz 1994, S. 166-187. Wilhelm von Humboldt an Georg Forster, 23. September 1789, in: Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe. Hg. v. d. Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin 1958ff., hier Bd. 18, Briefe an Forster, S. 349f. Wilhelm von Humboldt, Tagebuch der Reise nach Paris und der Schweiz 1789, in: Gesammelte Schriften. Hg. v. d. Preußische Akademie der Wissenschaften, Bd. 14, Tagebücher 1788-1798. Berlin 1916, S. 145.

146

Hermann

Schüttler

wurde, setzte sich Forster unter Erwähnung von Miegs bis nach Frankreich reichendem guten Ruf und seiner humanitären Gesinnung bei General Custine15 erfolgreich für ihn ein. Mieg scheint nicht nur Anhänger der französischen Revolution gewesen zu sein, in der Frage der Neuordung der politischen Verhältnisse war er 1797 auch bei den Befürwortern einer „Süddeutschen Republik" zu finden.16 Über die weiteren Jahre bis zu seinem Tod 1819 ist bedauerlicherweise wenig bekannt. 1773 erschien Mieg als Mitglied der Wiener Freimaurerloge Zu den drei Adlern im Meistergrad,17 später in Heidelberg nahm er am Logenleben dort sowie in Mannheim teil. In den einschlägigen Lexika zur Freimaurerei sowie den zwischen 1820 und 1930 erschienenen Freimaurerei-Geschichten18 taucht er nicht auf, erst die neuere Forschung speziell zum Illuminatenorden seit den 70er Jahren schenkte diesem Mann genauere Beachtung, und zwar im Zusammenhang mit Pestalozzi, den Mieg für die Illuminaten gewinnen konnte. 19 15

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19

Adam Philippe Comte de Custine (1740-1793); kommandierender General der Rheinarmee. Der Vorgang in Georg Forsters Werke, Bd. 17, Briefe 1792-1794, S. 297-299 und ebd., Bd. 18, Briefe an Forster, S. 581. Die von Jacques d'Hondt, Verborgene Quellen des Hegelschen Denkens. Berlin 1972, S. 61 aus einem Brief Schellings abgeleitete Verbindung Miegs mit dem Mainzer Klubisten Georg Christian von Wedekind (1761-1831) resultiert aus einer Verwechslung: bei dem erwähnten Wedekind handelte es sich um den Heidelberger Rechtsprofessor Carl Ignaz Wedekind (1766-1837); vgl. Schings, (wie Anm. 6), S. 83. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling an seine Eltern, 5. April 1796, in: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Briefwechsel 1786-1799. Hg. v. Irmgard Möller / Walter Schieche. Stuttgart 2001, S. 51-65, hier S. 56. Carl Banzhaf, Die Miegs und ihr Geschlecht. Ein Genealogie- und Chronikbuch. Stuttgart 1925, S. 141-143. Miegs Biographie wurde von Wilhelm Kreutz angekündigt: Illuminaten, (wie Anm. 4), S. 120, Anm. 30. Ludwig Aigner-Abafi, Geschichte der Freimaurerei in Österreich-Ungarn. Budapest 1891, Bd. 2, S. 158ff. Eugen Lennhoff / Oskar Posner, Internationales Freimaurerlexikon. Wien 1932; C. Lenning [d. s. Hesse und Moßdorf]: Encyclopädie der Freimaurerei, nebst Nachrichten über die damit in wirklicher oder vorgeblicher Beziehung stehenden geheimen Verbindungen. Leipzig 1822, 3 Bde.; Allgemeines Handbuch der Freimaurerei. Leipzig 1863, 3 Bde.; Allgemeines Handbuch der Freimaurerei. Leipzig 1900, 2 Bde.; Wilhelm Schwarz, Geschichte der gerechten und vollkommenen St. Johannis-Ioge „Karl zur Eintracht" in Mannheim. Festschrift zur Feier der fünfzigjährigen Wiedererstehung dieser Loge. Mannheim 1896. Eine Geschichte der Heidelberger Loge Carl zum Reichsapfel fehlt. So schon Herbert Schönebaum, Pestalozzi, die Illuminaten und Wien, in: Sitzungsberichte der preußischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, Heft VI-VIII (1928), S. 86-106; Richard van Dülmen, Der Geheimbund der Illuminaten. Darstellung, Analyse, Dokumentation. Stuttgart-Bad Cannstatt 1975, S. 62 u. 97; Manfred Agethen, Geheimbund und Utopie. Illuminaten, Freimaurer und deutsche Spätaufklärung. München 1984, S. 178ff.; Vgl. Miegs Bericht vom September 1782, in: Nachtrag von weitern Originalschriften, welche die Illuminatensekte überhaupt, sonderbar aber den Stifter derselben Adam Weishaupt, gewesenen Professor zu Ingolstadt betreffen, und bey der auf dem Baron Bassusischen Schloß zu Sandersdorf, einem bekannten Illuminaten-Neste, vorgenommenen Visitation entdeckt, sofort auf Churfürstlich höchsten Befehl gedruckt, und zum geheimen Archiv genommen worden sind, um solche jedermann auf Verlangen zur Einsicht vorlegen zu lassen. München 1787, S. 172-180 (Teilabdruck bei van Dülmen, ebd., S. 269-272). Neue Aspekte

Johann Friedrich

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Mieg wurde im Mai 1781 von Knigge 20 in den Illuminatenorden aufgenommen, der sehr schnell erkannte, daß dieser Mann mit seinem großen Organisationstalent sowie seinen vielfältigen Beziehungen sehr nützlich für die Zwecke der neuen Verbindung sein konnte. Mieg, der den Decknamen Epictet erhielt, wurde daher in der Folge rasch befördert. Zunächst war er Präfekt des Ordens für Heidelberg mit der Aufsicht über die im Lauf der folgenden Monate (bis Ende 1782) eingerichteten Filialen. In einigen dieser Orte existierte eine reguläre Freimaurerloge, aus der Mieg Mitglieder für den Orden rekrutierte bzw. die man in der Folge unter Kontrolle zu bekommen versuchte. Im Januar 1782 stand Mieg bereits in direktem Kontakt mit dem Ordensgründer Weishaupt21 in Ingolstadt, und schon Ende des Jahres dachte er konkret an die Ausweitung des Ordens auf das benachbarte Ausland. Anfang 1783 wurde Mieg von Weishaupt zur Ausarbeitung der Höheren Mysterien herangezogen - er mußte also spätestens zu diesem Zeitpunkt um Weishaupts Funktion als Leiter der ganzen Verbindung gewußt haben, denn diese Höheren Mysterien stellten die ideologische Endstufe des Ordens dar.22 Im Mai 1783 erschien er als Provinzial der Österreichischen Niederlande, Ende des gleichen Jahres wurde er kurzfristig Provinzialoberer für die oberrheinischen und westfälischen Kreise und Anfang 1785 schließlich wurde er als „Nationalkon-

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zu Pestalozzis Illuminatenzugehörigkeit bietet Leonhard Friedrich, Makler zwischen Macht und Moral? Pestalozzis Stellungnahme zur Französischen Revolution, in: Kurt-Ingo Flessau (Hg.), Erziehungsdenken im Bannkreis der Französischen Revolution. Bochum 1998, S. 229 261. Die folgenden Ausführungen zu Miegs Karriere im Orden resultieren aus den einschlägigen Korrespondenzen Miegs mit anderen Ordensmitgliedern. Siehe dazu demnächst Reinhard Markner / Hermann Schüttler (Hg.), Die Korrespondenz des Illuminatenordens. Eine Dokumentation. Bd. 1: Von der Gründung bis zum Konvent von Wilhelmsbad. Bd. 2: Vom Konvent von Wilhelmsbad bis zur Einführung der „Höheren Mysterien ". Adolph Franz Friedrich Ludwig Freiherr von Knigge (1752-1796); weimarischer Kammerherr, Schriftsteller, Literatur- und Theaterkritiker; Mitglied der Kasseler Loge Zum gekrönten Löwen sowie der Strikten Observanz; seit seinem Beitritt im Juli 1780 Hauptpropagandist des Ordens außerhalb Bayerns, trennte sich nach einem Streit mit Weishaupt im Juli 1784 vom Illuminatenorden (Ordensname „Philo [Judaeus"]). Zu Knigge: DBA, ADB, NDB. Anmerkung: Bei alphabetisch geordneten und allgemein zugänglichen Nachschlagewerken wie Deutsches Biographisches Archiv, Allgemeine deutsche Biographie, Hamberger / Meusel: Das gelehrte Teutschland oder Neue deutsche Biographie wird auf die Angabe von Band und Seitenzahl verzichtet. Zu Adam Weishaupt (1748-1830), dem Gründer des Illuminatenordens („Spartacus"), siehe die einschlägigen Stellen bei van Dülmen, (wie Anm. 19) und Agethen (wie Anm. 19) sowie Schüttler: Die Mitglieder, (wie Anm. 7), S. 162 u. DBA, ADB; eine Biographie Weishaupts fehlt. Mehrere Mitglieder der Führungsebene nahmen an dieser Diskussion um die Ausarbeitung der Höheren Mysterien teil. Als Ergebnis waren Ende 1783 die Grade des „Philosophen" und des „Doceten" fertiggestellt und wurden in der Folge von Weishaupt an ausgewählte Personen verteilt. Die Texte: [Johann] Adam Weishaupt, Grössere Mysterien. Erste Klasse. Philosophi. Weltweise; Höhere Mysterien: 2te Klasse. Doceten, in: Johann Joachim Christoph Bode, Journal von einer Reise von Weimar nach Frankreich. Im Jahr 1787, hg. v. Hermann Schüttler. München 1994, S. 361-394 und 395^114.

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suitor" einer der engsten Berater des Ordensoberen für die deutschen Länder (ohne Österreich), des Neuwieder Grafen Stolberg-Roßla.23 Damit hatte er die höchste Stufe in der Ordenshierarchie erreicht. Spätestens 1783 war er in alle wichtigen Vorgänge im Orden eingeweiht, wenn nicht selbst daran beteiligt, er kannte die Organisationsstruktur und das Führungspersonal. Die Reorganisation des Ordens schließlich nach den Edikten von Kurfürst Carl Theodor 1784 und 1785 sowie der Suspendierung der Arbeiten im Reich durch Stolberg-Roßla im April 1785 geschah unter Miegs aktiver Mitwirkung, er war bis mindestens 1787 für den Orden tätig.24

3. Miegs Ordenstätigkeit Zu Beginn seines Wirkens im Illuminatenorden war Mieg vor allem mit seinen Bundesbrüdern in Heidelberg und den angeschlossenen Filialen in Kontakt, rasch folgte die Verbindung zu anderen führenden Männern des Ordens, zunächst in seiner näheren Umgebung, dann über das ganze Reichsgebiet hinweg - abhängig vom jeweiligen Stand der Verbreitung des Ordens, der besonders seit dem Wilhelmsbader Freimaurerkonvent von 1782 eine weitere Welle neuer Filialgründungen erlebte. Direkt von Mieg geleitet wurden bis zur Einrichtung einer eigenen Direktion u.a. die Filialen in Stuttgart und Karlsruhe sowie im Elsaß, der Schweiz und den österreichischen Niederlanden - also in Gegenden, die nach der ordensinternen Einteilung nicht eigentlich zu seinem Tätigkeitsbereich gehörten. Eigene Reisen in illuminatischen Angelegenheiten führten ihn mehrmals in die Schweiz und ins Elsaß, er selbst bekam in Heidelberg immer öfter Besuch von Männern, die neben ihren sonstigen Geschäften auch für den Orden unterwegs waren. Betrachtet man die aus den vorhandenen Dokumenten (Korrespondenzen, Protokollen, Berichten) ermittelbaren Kontakte, so stand Mieg mit mindestens 120 Personen direkt oder indirekt in Ordensangelegenheiten in Verbindung. Ungefähr 30 Mitglieder wurden von ihm selbst aufgenommen bzw. zur Aufnahme vorgeschlagen und unter seiner Leitung als Provinzial speziell der Kurpfalz standen nach den bisherigen Ergebnissen der Quellenauswertung 124 Illuminaten. Zu diesen

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Johann Martin Graf zu Stolberg-Roßla (1728-1795); 1784-87 Meister vom Stuhl der Neuwieder Loge Caroline zu den drei Pfauen; 1780 mit dem Namen „Campanella" bzw. „Ludovicus Germanicus" Muminat und Chef der 2. deutschen Inspektion mit Westfalen und den niederund oberrheinischen Kreisen, erhielt 1783 von Weishaupt die Höheren Mysterien, 1784 Nationaloberer für Deutschland. Vgl. K[arl] A[ugust] F[erdinand] Läncher, Geschichte der gräflichen Häuser und der Grafschaften Wernigerode, Stolberg, Roßla, Hohnstein und ihrer ehemaligen oder jetzigen Zubehörungen. Eisleben / Sangerhausen 1844. Vgl. etwa Stolberg-Roßla an Herzog Ernst von Gotha am 19. Januar 1786, Schwedenkiste Π Nr. 150 (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin [GStA PK] Freimaurer 5. 2. G 39 Nr. 101, Johannisloge Emst zum Kompaß, Gotha); dazu: Bode, (wie Anm. 22), S. 85-93.

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sind weitere 26 Personen im Ausland zu rechnen, die kurzzeitig von ihm geleitet wurden. Mieg führte als Provinzial der Rheinpfalz - Paphlagonia in der Ordensgeographie - Filialen im Direktorium Heidelberg mit Mannheim, Frankenthal, (Kaisers-) Lautern, Neustadt, Speyer, Worms, Zweibrücken, Kusel, Alzey, Sinsheim, Bruchsal, Karlsruhe und Heilbronn. Die von der Zahl und Bedeutung her wichtigsten Niederlassungen waren dabei Heidelberg mit 22 und Mannheim mit 30 Mitgliedern, hinzu kamen kurzzeitig Stuttgart mit 15 und Straßburg mit neun Illuminaten. Anhand dieser hier nur grob zu skizzierenden Mitgliedschaften und der sich aus der Organisationsstruktur des Bundes ergebenden Kommunikationswege und -mittel läßt sich nun ein Informationsgefüge mit Mieg im Zentrum Heidelberg über die Kurpfalz und dann - hier immer bezogen auf die Person Mieg - das restliche Reichsgebiet bis ins benachbarte Ausland hinein rekonstruieren, ein Netzwerk, das einerseits auf die Person Mieg zugeschnitten ist, andererseits einen Teilbereich des gesamten Ordens widerspiegelt. Da diese Rekonstruktion den Überblick über die gesamte Organisation erfordert, sollen hier lediglich diejenigen Momente dieses Netzwerkes angeführt werden, in denen das Beziehungsgeflecht der Illuminaten in andere Bereiche hineinreichte bzw. sich damit überschnitt, zudem sollen Miegs wichtigste Kontakte wenigstens kurz angemerkt werden. Auffallend ist, daß es keine größere Überschneidung ausgerechnet in dem Bereich gab, wo dies zuerst zu vermuten wäre, nämlich bezüglich der Freimaurerei. Außer in Mannheim, Lautern und Karlsruhe sowie der außer-pfalzischen Filiale in Straßburg läßt sich eine solche Überschneidung, also eine Doppelmitgliedschaft, eher selten feststellen, und eine völlige Übernahme einer Loge durch die Illuminaten wie etwa im Falle von München oder Neuwied25 ist in Miegs Zuständigkeitsbereich nicht zu finden. Von den 150 hier in Frage kommenden Mitgliedern (124 aus den von Mieg ständig bzw. anfänglich, 26 aus den von ihm nur in der ersten Phase geleiteten ausländischen Filialen) gehörten 41 einer Loge an, 21 waren - meist zeitgleich - in anderen Gesellschaften aktiv. Besonders auffallig sind hierbei die Schweizer und Straßburger Mitglieder: von den bisher elf nachweisbaren Illuminaten in der Schweiz gehörten lediglich zwei der Freimaurerei an, während nur zwei nicht als Mitglieder in einer der anderen zeitgenössischen Sozietäten zu finden sind. Die

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So wurden beispielsweise die Münchener Loge St. Theodor vom guten Rat und die Neuwieder Loge Caroline zu den drei Pfauen völlig von den Illuminaten beherrscht. Vgl. Bernhard Beyer, Geschichte der Münchener Freimaurerei des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Altbaierns. Hamburg 1973; bzw. Arwid Liersch, Die Freimaurerei in Neuwied in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Ein Beitrag zur freimaurerischen Geschichte des Rheinlands. Neuwied [1899]. Ähnliches gilt für die Logen in Aachen und Gotha, siehe Pauls, Aachener Freimaurerei, (wie Anm. 2), und Heinrich August Ottokar Reichard, Versuch einer Geschichte D. G. U. V. Loge Ernst zum Kompass und ihrer älteren Schwestern im Orient von Gotha, [Gotha] 1824.

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zeitweilig neun Straßburger Illuminaten gehörten bis auf einen ausnahmslos der Freimaurerei an, vier davon waren zugleich in der Strikten Observanz, was die Bedeutung dieser Filiale als Kontakt- und Informationsbörse zwischen den deutschen und französischen Brüdern unterstreicht. Die relativ geringe Zahl aktiver Freimaurer in den Reihen der Kurpfalzer Illuminaten hatte ihren Grund hauptsächlich darin, daß man ab dem Wilhelmsbader Konvent vor allem in den Reihen der Strikten Observanz und den ihr angeschlossenen Logen „wilderte", diese aber im Kurpfalzischen nicht so stark verbreitet war wie in anderen Teilen des Reiches. Der zweite und weit wichtigere Grund war Miegs eigene Rekrutierungspolitik, denn er stand - etwa im Gegensatz zu Knigge, der bevorzugt Freimaurer zu Illuminaten machte - einer zu engen Verbindung zwischen Freimaurerei und Illuminatismus skeptisch bis ablehnend gegenüber. Mieg wurde an einer Stelle als dezidierter Materialist bezeichnet - für einen Kirchenmann war dies in dieser Zeit eher außergewöhnlich; und er selbst äußerte sich mehrmals sehr energisch gegen die besonders von Knigge in den Orden eingeführten, an die Esoterik der Freimaurerei angelehnten Grade und Rituale. Diese kurpfalzische Besonderheit läßt sich auch statistisch erfassen: unter den von Mieg geleiteten Illuminaten finden sich lediglich 27 Prozent Freimaurer; für die Gesamtorganisation sieht dieses Verhältnis ganz anders aus: 47 Prozent, also knapp die Hälfte aller Mitglieder des Illuminatenordens, gehörten zugleich einer freimaurerischen Organisation an - Tendenz steigend, da noch längst nicht alle biographisch bzw. geheimbündlerisch relevanten Daten erfaßt sind. Mieg nun nahm vor allem Männer aus dem - im weitesten Sinne - Bildungsbereich in den Orden auf, Männer, die er aus anderen Zusammenhängen schon kannte, sowie - das lag für die Universitätsstadt Heidelberg nahe - Studenten. Hier nun gab es durchaus Überschneidungen mit anderen Bereichen der Gesellschaft. - Die Mitglieder der Filiale Lautern z.B. waren fast alle in irgendeiner Form mit der dortigen, erst 1774 gegründeten Kamerai-Hochschule verbunden, die meisten von ihnen naturgemäß Studenten. 26 - In Mannheim und besonders Heidelberg fanden sich Geistliche, Schulmänner und Universitätsprofessoren, viele von ihnen Kollegen von Mieg und ihm auch privat freundschaftlich verbunden, sowie wiederum Studenten. Mannheim als Residenzstadt ist hier besonders hervorzuheben. Seit 1775 wirkte hier die Kurpfälzische deutsche Gesellschaft, die sich um die Förderung und Reinigung der deutschen Sprache bemühte, in bewußtem Gegensatz zur gerade ein Jahrzehnt älteren, nach französischem Vorbild errichteten Akademie der Wissenschaften. Und in dieser Neugründung fanden sich wiederum zahlreiche Illuminaten, unter

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Siehe Oskar Poller, Schicksal der ersten Kaiserslauterer Hochschule und ihrer Studierenden. Kameral-Hohe-Schule zu Lautern 1774-1784. Staatswirtschafts-Hohe-Schule zu Heidelberg 1784—1804, Lebensbeschreibung und Abstammung der Professoren und Studierenden. Ludwigshafen / Rh. 1979.

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ihnen Johann Friedrich Mieg sowie mehrere hohe Staatsbeamte, die zugleich Freimaurer und Illuminaten waren. All diese Verbindungen kann man unter dem Aspekt „Netzwerk" betrachten, Netzwerk im Sinne eines Kommunikations- und Beziehungsgeflechtes zur Beförderung und Durchsetzung bestimmter Absichten und Ziele. „Das regionale Netzwerk der kurpfalzischen Aufklärung" 27 jedenfalls hatte mit Johann Friedrich Mieg eine hochkarätige Spinne in diesem Netz, einen „Netzverwalter" und Strippenzieher erster Güte. Der Illuminatenorden hatte während der gesamten Zeit seiner Existenz zwischen der Gründung 1776 und dem Abklingen der letzten Aktivitäten 1788/89 nach dem bisherigen Stand der Quellenauswertung knapp 1500 nachweisbare Mitglieder in mindestens 85 Niederlassungen im ganzen Reichsgebiet bis ins benachbarte Ausland hinein. Zum Vergleich: das Verzeichnis von 1991 listete 1255 Illuminaten auf, mit der Auswertung des zehnten Bandes der Schwedenkiste im Sonderarchiv Moskau 28 und den Ergebnissen des laufenden Forschungsprojekts konnten also gut 250 zusätzliche Mitglieder ermittelt werden. Unter den oben genannten 120 (direkten und indirekten) Kontaktpersonen Miegs befand sich anfangs an erster Stelle Knigge, der ihn angeworben hatte und den er zeitweise mehrmals in der Woche persönlich traf. Recht bald war Mieg mit dem Ordensgründer Weishaupt in Ingolstadt in brieflicher Verbindung, hinzu kamen - ebenfalls zunächst zu Beginn seiner Mitgliedschaft - persönliche Begegnungen mit den dann von ihm selbst für den Orden geworbenen Männern aus seinem engsten Umfeld in Heidelberg und Mannheim. Als Weishaupt ihn im Laufe des Jahres 1783 zur Ausarbeitung der Höheren Mysterien in beratender Funktion hinzuzog, gelangte Mieg schnell mit weiteren Illuminaten der Führungsebene zumindest in briefliche Verbindung. Dem Ordensoberen Stolberg-Roßla, seinem zuständigen Inspektor, übermittelte er die bei den Illuminaten üblichen Präfekturund Provinzberichte sowie die „Quibus-Licet" genannten persönlichen Berichte der einzelnen Mitglieder. Neben Weishaupt gehörten zu seinen Kontaktmännern im Münchener „Areopag", dem obersten Führungsgremium des Ordens, Weishaupts bayerischer Cheforganisator Zwackh, 29 der Leiter der Münchener (Illumina-

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So der Untertitel einer Arbeit von Wilhelm Kreutz, (wie Anm. 4), vom Stadtarchiv Mannheim, dem ich für seine vielfaltigen Hinweise und Anregungen hier ausdrücklich danken möchte. Siehe Schüttler, Strikte Observanz und Illuminatenorden, (wie Anm. 7), S. 525f. Zu Band X der Schwedenkiste: Renate Endler, Band X der Schwedenkiste aufgefunden, in: QuatuorCoronati-Jahrbuch 31 (1994), S. 189-197. Franz Xaver von Zwackh (1756-1843); Hofkammer- und Zensurrat in München, mit Beginn der Illuminatenverfolgung Flucht aus Bayern, 1799 rehabilitiert; Mitglied der Münchener Loge St. Theodor vom guten Rat („Danaus", „Philipp Strozzi" bzw. „Cato"). Zu Zwackh: DBA und: Albert Becker, Die Wiedererstehung der Pfalz: Zur Erinnerung an die Begründung der bayrischen Herrschaft auf dem linken Rheinufer und deren Begründer Franz Xaver von ZwackhHolzhausen. Kaiserslautern 1916.

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ten-) Loge Baader 30 sowie der umtriebige Ordenspropagator Costanzo, 31 welcher mit der Anwerbung Knigges den entscheidenden Schritt aus Bayern heraus gemacht hatte. In der Folge - vermittelt durch diese ersten Kontakte - war Mieg mit den wichtigsten Ordensoberen in Verbindung: dem Provinzial des westfälischen Kreises Friedrich von Homburg, 32 dem Frankfurter Ordenschef Hetzler, 33 StolbergRoßlas „rechter Hand" Kröber, 34 den Göttinger Illuminaten Feder 35 und Schäfer, 36 dem Provinzial von Kurrhein Ebersberg, 37 dem Ordenschef für Franken Starhemberg, 38 Bode in Weimar, 39 der zusammen mit Ernst von Gotha 40 1 7 8 5 de facto die Leitung der nach der Verfolgung in Bayern aktiv gebliebenen Illuminaten übernahm, sowie immer wieder, ζ. T. durch Vermittlung von Mitgliedern auf Reisen, seinen früheren Freunden in Wien. Nach dem bisherigen Stand der Untersuchung hatte Mieg mindestens 4 0 illuminatische Briefjpartner, mit weiteren knapp 6 0 Ordensmitgliedern stand er vermittels der internen Berichte bzw. durch Minervalund Logenversammlungen oder private Treffen und Reisen in direktem Kontakt. Hinzu kamen die genannten Mitglieder der Illuminatenfilialen in seiner näheren

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Ferdinand Maria Baader (1747-1797); Arzt sowie Medizinal- und Zensurrat in München; Gründungsmeister der Münchener Loge St. Theodor („Celsus", „Acheron" bzw. „Thomas"). Zu Baader: DBA, ADB. Costanzo Marchese di Costanzo (um 1738 - nach 1800); Offizier in München, mit Beginn der üluminatenverfolgung Flucht in seine Vaterstadt Aquila; Mitglied der Logen in Mannheim und München („Diomedes", „Judas" bzw. „Paulus"). Friedrich V. Ludwig Wilhelm Christian von Hessen-Homburg (1748-1821); seit 1766 regierender Landgraf; Freimaurer, im Illuminatenorden Provinzial von Westfalen, dann Inspektor der rheinischen Provinzen („Titus"). Johann Ludwig Hetzler (1753-1800); Jurist und Senator in Frankfurt; Mitglied der dortigen Loge Zur Einigkeit sowie der Strikten Observanz („Aristides"). Christian Carl Kröber (geb. 1752); Hofmeister in Neuwied; Mitglied der dortigen Loge Caroline zu den drei Pfauen („Agis"). Johann Georg Heinrich Feder (1740-1821); seit 1768 Prof. für Philosophie in Göttingen; Mitglied der dortigen Loge Augusta zu den drei Flammen, Mitarbeiter an den Nachfolgeversuchen der Illuminaten, dem Bund der deutschen Freimaurer sowie am Bund der Einverstandenen („Marc Aurel"). Zu Feder: DBA, ADB, NDB. Andreas Gottfried Schäfer (1745-1800); Rat und Hofmeister in Göttingen; Freimaurer sowie Mitglied der Strikten Observanz („Prometheus"). Amand Philipp Ernst von Ebersberg (geb. 1747); kurmainzischer Geheimer Rat und Oberamtmann in Friedberg; Mitglied der Loge Zur beständigen Einigkeit in Wiesbaden sowie der Strikten Observanz („Cleanthes" bzw. Crescens"). Franz Maria Graf von Starhemberg (1756-1818); Domherr in Eichstätt; Mitglied der dortigen Loge Pallas zu den drei Lichtern („Phocylides", „Bellicus" bzw. „Leonidas"). Zu den Eichstätter Illuminaten: Bruno Lengenfelder, Illuminaten in Eichstätt. Ein aufklärerischer Geheimbund in der Bischofsstadt, in: Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt 97 (1988), S. 135-170. Johann Joachim Christoph Bode (1730-1793); Schriftstellerund Übersetzerin Hamburg, dann in Weimar; Mitglied der Hamburger Loge Absalom sowie der Strikten Observanz („Aemilius" bzw. „Winefried"). Zu Bode: DBA, ADB, NDB, und: Bode, (wie Anm. 22), S.l 1-129. Emst Π. Ludwig von Sachsen-Gotha-Altenburg (1745-1804); seit 1772 regierender Herzog; Mitglied der Gothaer Loge Zum Rautenkranz („Quintus Severus" bzw. „Timoleon"). Zu Emst: DBA, ADB.

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Umgebung. Aus den bisher aufgefundenen 120 Briefen von und an Mieg in Ordensangelegenheiten sowie der Nennung Miegs in anderen Korrespondenzen läßt sich so ein Teil des Netzwerkes rekonstruieren. Zum Vergleich: insgesamt konnte das Forschungsprojekt bislang 217 einzelne Korrespondenzpartner ermitteln, Miegs Bedeutung im Ordensgefüge mit allein 40 Briefpartnern wird aus diesem Verhältnis erkennbar. Wie nutzte Mieg nun das von ihm selbst mitaufgebaute Netz des Illuminatenordens, wie bot er es seinen Bundesbrüdern an? Unmittelbar nach seiner Aufnahme durch Knigge schrieb er diesem am 14. Mai 1781: Der tag, die Stunde bleibet mir heilig, meiner Seele unvergeßlich, wo ich nur von der existenz der edelsten menschenkette, vom unsichtbaren band der thätigsten und redlichsten fürsprecher der menschheit belehret und überzeüget würde; mit ungedult und sehnsucht warte ich auf den ruf der Oberen dieser kette einverleibet zu werden, und mit allem nur ersinnlichen eifer werde ich mich bestreben in dem Geist dieser gesellschaft zu arbeiten, werde mit unerschrockenem muth, und Heldensinn mich dem Geistlichen und politischen Despotismo widersezen [...]. 41

Und Knigge meldete Anfang Oktober, ganz begeistert über das neue Mitglied, dem Ordenschef Weishaupt: Hier bin ich nun, bey dem vortreflichen Epictet, seit 8 Tagen, entdecke täglich neue Vorzüge, neue Vortreflichkeiten an ihm. und sehe, daß es noch Menschen giebt, die mit glühenden Eifer, selbst auf Unkosten ihres Glücks, für die Wahrheit kämpfen und über alles Kleine sich erheben können. Ach! das ist ein Mann! die Geissei aller Schurken und Heuchler in diesen Gegenden, und das Orakel aller Rechtschaffenen. Hohen Geist, Thätigkeit, Feinheit, Entschlossenheit, Gelehrsamkeit, Ansehn - Nur oft zu viel Feuer, wenn die Menschheit gekränkt wird. Durch ihn wird bald die ganze Pfalz in unsere Gewalt kommen, wie sein nächster ProvinzialBericht dies bezeugen wird.

Nachdem Knigge die Männer angeführt hatte, die Mieg bereits angeworben bzw. zur Aufnahme vorgeschlagen hatte, urteilte er zu Ende dieses Schreibens: „Das sind Männer! solcher 10 und ein ganzes Land ist in unsern Händen."42 Das im Laufe der Jahre entstandene Netzwerk bildete nun nicht nur ein Netz von Informations- und Kommunikationslinien in Form von Ordens- oder auch persönlicher Korrespondenz zwischen den einzelnen Mitgliedern auf den verschiedenen Ebenen der Ordenshierarchie sowie der vielfaltigen internen Berichte und Protokolle, es wurde von den Mitgliedern gerade auch bei ihren Reisen in privaten wie besonders in Ordensangelegenheiten genutzt. Ein Beispiel soll dies zum Schluß illustrieren. Als der in Weimar wohnende Literat, Übersetzer, Hochgradfreimaurer und illuminatische Ordensobere Johann Christoph Bode auf seiner Inspektionsreise im

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Markner / Schüttler, (wie Anm. 19), Bd. 1. Knigge an Weishaupt, 7.-13. Oktober 1781, ebd.

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Frühjahr 178443 durch die rheinischen Provinzen fuhr, machte er Station in Heidelberg bei Mieg. Es ging neben der Installierung und Aktivierung neuer Ordensniederlassungen nun um die Ausschaltung Knigges aus den aktuellen Geschäften. Dieses Manöver gelang. 44 Nebenbei meinte Mieg, der ja schon ein Auge auf Frankreich geworfen hatte, Bode solle doch auf alle Fälle den für das kommende Jahr 1785 geplanten Konvent des Pariser Freimaurersystems der Philalethen besuchen, um dort für den Orden zu werben. 45 Die Pariser Philalethen waren im Zusammenhang des Wilhelmsbader Konventes bereits 1782 auf die deutschen Illuminaten aufmerksam geworden und suchten nun, genauere Kenntnisse von dieser Vereinigung zu bekommen. Bode wollte, aber konnte aus den verschiedensten Gründen 1785 nicht nach Frankreich reisen. Zwei Jahre später, anläßlich des zweiten Philalethenkonventes, war es dann aber soweit. Und wieder führte ihn sein Weg über Heidelberg. Mit Mieg besprach er die Situation des Ordens, der seit zweieinhalb Jahren in Bayern verfolgt wurde, anschließend an das Gespräch mit Mieg stellte er fest, daß man an einer für gut befundenen Sache festhalten müsse, auch dann, wenn die Staatsmacht dagegen sei.46 Die Stationen, die Bode auf diesen beiden Reisen besuchte bzw. benutzte, entsprachen den Ordenskontakten, die Knigge initiiert, dann Mieg fester geknüpft hatte: Bode bewegte sich beide Male entlang der Fäden des illuminatischen Netzwerkes. Die Reise nach Paris führte ihn von Weimar über Gotha und Eisenach, Hanau, Frankfurt und Darmstadt schließlich zu Mieg nach Heidelberg, dann weiter über Karlsruhe und Straßburg ans Reiseziel. Auf fast allen Stationen traf Bode illuminatische Ordensmitglieder, aber auch Männer, die er als Freimaurer besonders der Strikten Observanz kannte. 47 Dies zeigt exemplarisch, daß ein Besucher von außen in seiner Funktion als Ordensmitglied die Infrastruktur des Bundes vor Ort vorfand und für seine Zwecke nutzen konnte. Bei anderen Reisenden aus dem illuminatischen Umfeld, etwa dem bekannten Kopenhagener Theologen Friedrich Münter, 48 lassen sich ähnliche Beobachtungen machen.

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Siehe Protocol, über die Sache mit Philo, (Aufzeichnungen Bodes auf der Reise, 8. Juni - 5. Juli 1784) Schwedenkiste XVII, Nr. 135 (GStA PK Freimaurer 5. 2. G 39 Nr. 115, Johannisloge Ernst zum Kompaß, Gotha.) Zum Streit zwischen Knigge und Weishaupt: W. Daniel Wilson, Geheimräte gegen Geheimbünde. Ein unbekanntes Kapitel der klassisch-romantischen Geschichte Weimars. Stuttgart 1991, S. 86-92 und Bode, (wie Anm. 22), S. 74-83. Mieg an Bode, 3. Dezember 1784, Schwedenkiste VI, Nr. 49 (GStA PK Freimaurer 5. 2. G 39 Nr. 105, Johannisloge Ernst zum Kompaß, Gotha). Bode, (wie Anm. 22), S. 221 u. 227. Dies kann hier nicht im einzelnen ausgeführt werden, siehe aber Bodes Journal, (wie Anm. 22). Friedrich Christian Carl Heinrich Münter (1761-1830); Student der Theologie und Philosophie in Göttingen, dann auf Reisen, 1788 Prof. für Theologie in Kopenhagen; Mitglied der Gothaer Loge Zum Rautenkranz sowie der Strikten Observanz („Syrianus"). Zu Münter: DBA, ADB. Seine Reise dokumentiert 0jvind Andreasen (Hg.), Aus den Tagebüchern Friedrich

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Abschließend zu Mieg selbst: wie nutzte er das von ihm mitgeschaffene Netz? In seinem ersten Schreiben an Knigge benannte er als weiteres wichtiges Ziel, für das er sich einsetzen wollte, die Pressefreiheit. Er lobte Kaiser Joseph als weitsichtigen Förderer der Wahrheit und der Aufklärung und tadelte in einer kaum verhüllten Anspielung auf Carl Theodor und dessen , jesuitischen" Beichtvater Ignaz Frank inquisitorische Zensurmaßnahmen: „arbeite wider diesen vielköpfigten Seelen-fresser, talente-tödter, Geist-ersticker, wer kan, die nachweit wird ihn seegnen." 49 Mieg griff hier nun über die Grenzen der Kurpfalz hinaus aktiv ins publizistische Geschehen der Zeit ein, er machte Pressepolitik im Sinne des Ordens und mit Hilfe seiner illuminatischen Beziehungen. Spätestens Mitte 1784 stand er in Verbindung mit Rudolph Zacharias Becker in Gotha, dem Herausgeber der Deutschen Zeitung für die Jugend,50 mit dem er einen regen Briefwechsel begann. Der Orden unterstütze Beckers Zeitung, schrieb Mieg. „[Sjchon bei der ersten aufforderung der Erl[auchten] oberen drang ich überall auf anschaffung und Unterstützung ihrer iugendzeitung." Er selbst habe die Zeitung bereits für die Heidelberger LateinSchule, an der er tätig war, sowie die dortige Lesegesellschaft angeschafft. 51 Ebenso wolle man Schlözers Staats anzeigen sowie Goeckingks 52 neues Journal von und für Deutschland unterstützen. Goeckingk in Ellrich sowie sein Mitarbeiter bzw. Mitherausgeber Philipp Anton von Bibra in Fulda53 gehörten selbst dem Orden an, diese Zeitungsgründung kann durchaus als illuminatisches Projekt betrachtet werden. Miegs Hauptaugenmerk aber lag auf Beckers Zeitung: er übernahm nicht nur die Werbung bzw. Verbreitung des Organs bis ins Bayerische hinein, er warb auch dafür, daß die Mitglieder des Ordens Beiträge einschickten und / oder Materialien für die Zeitung sammelten. Damit die Zeitung immer im Sinne des Ordens wirken könne, sollte sie quartalsweise von einigen eigens dazu bestimmten Männern auf „Ordensabsichten" hin beurteilt werden, diese Beurteilungen sollten dann dem Redakteur Becker vorgelegt werden: nichts anderes also, als eine Schriftleitung durch den Orden selbst wurde hier angeregt. Das Projekt einer Zeitung für ganz Europa war ebenfalls im Gespräch. Mieg lehnte dies aber als momentan undurch-

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Münters. Wander- und Lehijahre eines dänischen Gelehrten. Kopenhagen / Leipzig 1944, 3 Bde. Mieg an Knigge, 14. Mai 1781, in: Markner / Schüttler, (wie Anm. 19), Bd. 1. Rudolph Zacharias Becker (1752-1822); 1782 Erzieher bei Basedow in Dessau, seit 1784 in Gotha und Herausgeber der Deutschen Zeitung für die Jugend und ihre Freunde; Mitglied der Gothaer Loge Zum Rautenkranz („Henricus Stephanus"). Zu Becker: DBA, ADB, NDB. Mieg an Becker, 3. Dezember 1784, Schwedenkiste VI Nr. 50 (GStA PK Freimaurer 5. 2. G 39 Nr. 105, Johannisloge Ernst zum Kompaß, Gotha). Leopold Friedrich Günther Goeckingk (1748-1828); 1770 Kanzleidirektor in Ellrich; sein Illuminatenname ist bislang unbekannt. Zu Goeckingk: DBA, ADB, NDB. Philipp Anton von Bibra (1750-1803); Domkapitular in Fulda, 1785-1792 Redakteur des Journals von und für Deutschland („Clemens Alexandrinus"). Zu Bibra: DBA.

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führbar ab, wenn man nur bedenke, wie heterogen das Publikum allein in Deutschland sei: einerseits sei die Leserschaft zu gering, andererseits seien ihre Wünsche an den Inhalt der Zeitung zu mannigfaltig, das ökonomische Risiko einer europäischen Zeitung wäre aus diesen Erfahrungen heraus zu groß. Für einige dieser Vorschläge zeigte sich Becker nicht nur empfänglich, sondern auch dankbar. Anläßlich eines Berichts über wohltätige Aktivitäten der hannoverschen Loge Friedrich zum weißen Pferde im Mai 1786 äußerte er sich mehr als nur positiv über die Freimaurerei, er gestand offen deren Unterstützung für sein neues Projekt ein: Man wird auch nächstens aus dem Verzeichniß der Suscribenten auf das Noth- und Hülfsbüchlein, das ich herausgebe, sehen, wie eifrig die Freymaurer dieses Unternehmen befördern; indem sogar verschiedene Logen ausdrücklich ihre Mitglieder dazu ernannt haben, mir Rathschläge und Winke zu geben, wie das Buch für die Landleute ihrer Gegend, denen sie es schenken wollen, besonders nützlich gemacht werden könne. 54

Mieg hatte mit seinem Angebot Erfolg, und Beckers Noth- und Hülfsbüchlein ist offensichtlich gerade auch aus seiner Verbindung mit seinen illuminatischen Brüdern entstanden und zu verstehen. Direkte Intervention im Sinne des Ordens fand besonders mit Beginn der Verfolgung der Illuminaten in Bayern die Unterstützung des Kirchenrats. So etwa, als die Münchener Loge St. Theodor vom guten Rat gegen Erstattung der Druckkosten den Abdruck einer Stellungnahme gegen die Erste Warnung über Freimaurer, einer Anklageschrift gegen den Orden, wünschte.55 Und als ihm der Münchener Illuminat Costanzo Ende 1784 einen Aufsatz von Weishaupt zu dessen eigener Rechtfertigung schickte, mit der Bitte, diesen in verschiedenen außerbayerischen Zeitungen zu piazieren, sorgte er für den Abdruck in Beckers Deutscher Zeitung für die Jugend}6 Miegs Wirken griff aber auch über die Zeit seiner Ordenszugehörigkeit hinaus: so etwa, wenn er im Vorfeld, in der Planungsphase, Becker bei der Abfassung seines später berühmt gewordenen Noth- und Hülfsbüchleins (1788) beriet, das um

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Deutsche Zeitung für die Jugend und ihre Freunde 2 (1786), S. 167. [Joseph Marius Babo,] Über Freymaurer. Erste Warnung. [München] 1784; die Replik: Nöthige Beylage zu der vor kurzem erschienenen Schrift: Ueber Freymaurer. Erste Warnung, Beylage zum l s t e n Stück der Deutschen Zeitung. 1785. (Auf Verlangen eines thätigen Freundes dieses Blattes hier abgedruckt.), in: Deutsche Zeitung für die Jugend und ihre Freunde 2 (1785), unpag. Auf diese Schrift der Münchener Loge St. Theodor folgte eine weitere „Beylage" und schließlich die nur als Handschrift kursierende Enthüllung Zwote Warnung über die Freimaurer. Nöthige Beylage zur Schrift über die Freimaurer erste Warnung, welche unter dem 13"" November 1784 im Namen der ausgetretenen Loge Theodor vom guten Rath im Aufgang zu München erschienen, in der erstmals Ordensmitglieder auch namentlich genannt wurden; Archiv des Groot-Oostens der Niederlande, Klossiana, Den Haag, Sign 192 A 6. Mieg an Bode bzw. die Ordensleitung, 28. Januar 1785, Schwedenkiste VI, Nr. 54 (GStA PK Freimaurer 5. 2. G 39 Nr. 101, Johannisloge Ernst zum Kompaß, Gotha).

Johann Friedrich Mieg

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1800 in den meisten Haushalten nun auch des einfachen Volkes zu finden war.57 In allen Fällen benutzte der Heidelberger Kirchenrat die vielfältigen Kontakte, die ihm der Orden bot, er selbst wirkte als Kommunikator und Informationszentrale. Bedenkt man, daß Mieg nach eigener Angabe allein im Jahre 1783 600 Briefe in Ordensangelegenheiten geschrieben und genausoviele erhalten hatte,58 bedenkt man weiter, daß er in der Hierarchie des Ordens in kürzester Zeit bis an die Spitze aufsteigen konnte, so wird die enorme Bedeutung dieses Mannes für die Entwicklung des Ordens mehr als deutlich. Daß dies alles nicht unbeobachtet blieb, zeigt die Tatsache, daß nun, 1791, im Zusammenhang mit der ausgebrochenen Revolutionshysterie und „Jakobinerriecherei" Johann Friedrich Mieg durch ein Dekret der pfalz-bayerischen Regierung unter Beobachtung gestellt werden sollte.59

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Richard van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Bd. 3: Religion, Magie, Aufklärung - 16. 18. Jahrhundert. München 1994, hier: 2 1999, S. 245 u. 263. Zu Becker als „Volksaufklärer": Reinhart Siegert, Außclärung und Volkslektüre: exemplarisch dargestellt an Rudolph Zacharias Becker und seinem „Noth- und Hülfsbüchlein". Frankfurt/M. 1978, und Ursula Tölle, Rudolph Zacharias Becker: Versuche der Volksaußclärung im 18. Jahrhundert in Deutschland. Münster 1994. Mieg an Weishaupt, 22. Januar 1784, Markner / Schüttler, (wie Anm. 19), Bd. 3. Vgl. Schings, (wie Anm. 6), S. 83.

RENKO GEFFARTH ( H a l l e )

Zirkel, Brüder, Unbekannte Obere. Zur inneren Struktur des Gold- und Rosenkreuzerordens in Mittel- und Norddeutschland Der Orden der Gold- und Rosenkreuzer war eine arkane Sozietät, die aufgrund ihrer intensiven Beschäftigung mit Alchemie, Theosophie und Kabbala - Themen also, die während der kurzen Blütezeit dieser Geheimgesellschaft gegen Ende des 18. Jahrhunderts bereits weitgehend ,überwunden' schienen - gewissermaßen eine Sonderstellung in der Gesellschaftsbewegung des Jahrhunderts einnahm. 1 Die geschichtswissenschaftliche Untersuchung der Gold- und Rosenkreuzer hat besonders den Gegensatz dieses Geheimbunds zu aufgeklärten Sozietäten, speziell zu den Illuminaten, betont, 2 während neuere organisationsgeschichtliche Forschungen, vor allem zur Mitgliederstruktur des Ordens, seine personelle Verflechtung mit anderen Sozietätsformen gezeigt und diesen Gegensatz damit wenn nicht aufgehoben, so doch relativiert haben. 3 Über die rein sozialstatistischen Auswertungen hinaus ist die organisatorische Struktur der Gold- und Rosenkreuzer jedoch bislang nicht Gegenstand der Forschung geworden, und daher soll im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung die Frage stehen, wie diese Struktur aufgebaut war und ob sie abseits der aus veröffentlichten zeitgenössischen Schriften bekannten Vorgaben auch Elemente enthielt, die auf der Ebene persönlicher Kontakte eine zusätzliche informelle' Verflechtung innerhalb des Geheimbundes bewirkt haben könnten. Anhand beispielhaft ausgewählter Rosenkreuzerzirkel, der kleinsten Einheiten der Ordensorganisation, und einiger ihrer Mitglieder soll der Aufbau des Ordens im mittel- und norddeutschen Raum skizziert werden; aus der Zusammenschau der ,offiziellen' und 1

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Einführende Literatur zu Geschichte, Organisation und Hintergrund des Gold- und Rosenkreuzerordens: Roland Edighoffer, Die Rosenkreuzer. München 1995; Arnold Marx, Die Goldund Rosenkreuzer. Ein Mysterienbund des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Deutschland, in: Das Freimauer-Museum 5 (1930), S. 1-168. So etwa Horst Möller, Die Bruderschaft der Gold- und Rosenkreuzer. Struktur, Zielsetzung und Wirkung einer anti-aufklärerischen Geheimgesellschaft, in: Helmut Reinalter (Hg.), Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa. Frankfurt/M. 4 1993, S. 199239, hier S. 216, 218 und passim. Vgl. etwa Christina Rathgeber, die Johann Friedrich Zöllner, Mitglied der aufklärerischen Berliner Mittwochsgesellschaft, als Gold- und Rosenkreuzer identifiziert hat: Christina Rathgeber, Forschungsperspektiven zu dem Gold- und Rosenkreuzer-Orden in Norddeutschland: Ein Überblick, in: Helmut Reinalter (Hg.), Aufklärung und Geheimgesellschaften·. Freimaurer, Illuminaten und Rosenkreuzer: Ideologie - Struktur und Wirkungen. Internationale Tagung 22./23. Mai 1992 an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Bayreuth 1992, S. 161-166, hier S. 165, oder Holger Zaunstöck, der für den mitteldeutschen Raum die enge personelle Verflechtung der Gold- und Rosenkreuzer mit verschiedenen Formen aufgeklärter Gesellschaften herausgearbeitet hat: Holger Zaunstöck, Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert. Tübingen 1999 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 9), S. 251-271, bes. 263-271.

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Renko Geffarth

der informellen' Strukturelemente soll daran anschließend überprüft werden, ob der Geheimbund der Gold- und Rosenkreuzer realiter im Wesentlichen auf lockeren kommunikativen Bindungen, einem Geflecht bestimmter Personen oder einer festen Organisation basierte. Die Quellengrundlage für diese Untersuchung sind neben einigen Korrespondenzen die recht umfangreich überlieferten Mitgliederlisten der Zirkel. Diese als Kalkulaturtabellen bezeichneten Listen enthalten sehr viele verschiedene Details, die es ermöglichen, Personen eindeutig zu identifizieren und ihren Weg im Orden zu verfolgen; so werden genaue Angaben gemacht zum Alter der Mitglieder, zur Dauer ihrer Mitgliedschaft, zu charakterlichen Eigenschaften, zu Bildung und Beruf, zu Konfession und Familienstand, zu Ordensgraden und Ämtern im Zirkel sowie zu entrichteten oder noch ausstehenden Gebühren.4 Außerdem gibt es die Rubrik .Anmerkungen', in die der Direktor, die Führungsfigur des Zirkels, seine persönliche Einschätzung jedes Einzelnen eintragen konnte. Diese Bemerkungen sind oftmals besonders aufschlußreich und lassen manchmal an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, wenn es beispielsweise über einen Dresdener Rosenkreuzer heißt, gegen ihn sei „wegen seiner ordenswidrige[n] Zweifel, mistrauisches Erzeigen, unruhiges, unzufriedenes, Gold gieriges und junge Brüder irre machendes Betragen" bei den Ordensvorgesetzten Bericht erstattet worden.5 Über einen Prager ,Dienenden Bruder' wird vermerkt, er sei „als ein im Grunde verdorbener, gefahrlicher Heuchler [...] einstweilen suspendirt".6 Aber auch Hinweise auf die Umstände der Aufnahme des Betreffenden in den Zirkel, auf seine Herkunft oder auf frühere Mitgliedschaften in anderen Rosenkreuzerzirkeln sind hier zu finden. Da in der Aktenüberlieferung vieler Zirkel diese Tabellen für zehn und mehr aufeinanderfolgende Jahre vorliegen, lassen sich Veränderungen in der Mitgliederstruktur ablesen, mit deren Hilfe die Gesamtstruktur des Ordens aufgezeigt werden kann. Dies soll im folgenden versucht werden; allerdings ist die Forschung zu diesem Gegenstand noch nicht abgeschlossen, und insofern handelt es sich um eine vorläufige Skizze, die an der einen oder anderen Stelle noch Modifikationen erfahren kann. Zur Beschreibung der internen Verflechtung sollen drei Typen unterschieden werden, die jeweils einen spezifischen Entstehungszusammenhang besitzen. Aus der Zusammenführung dieser Typen ergibt sich letztlich ein Gesamtbild der Ordensstruktur, das dann noch näherer Interpretation bedarf.

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Die Kalkulaturtabellen wurden unter sozialstatistischen und prosopographischen Gesichtspunkten zuerst von Christina Rathgeber, (wie Anm. 3), sowie Karlheinz Gerlach ausgewertet: Karlheinz Gerlach, Die Gold- und Rosenkreuzer in Berlin und Potsdam (1779-1789). Zur Sozialgeschichte des Gold- und Rosenkreuzerordens in Brandenburg-Preußen, in: Quatuor Coronati Jahrbuch 32 (1995), S. 87-147. Zitat nach den in den Freimaurer-Archivalien im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (im folgenden: GStA PK) befindlichen Kalkulaturtabellen: GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1710, Kalkulaturtabellen Soc, 21.12.1782, Friedrich Ludwig von Wurmb. Zitat nach: GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, Zirkel Taurus, 21.12.1786, Dienstbruder (=Dienender Bruder) Johann Georg Schlögel.

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1. Ausbreitung der Gold- und Rosenkreuzer nach Mittel- und Norddeutschland Zunächst soll auf die Grobstruktur des Geheimbundes eingegangen werden, die sich aus einem möglichen Zusammenhang zwischen den mittel-norddeutschen und den hier nicht näher zu betrachtenden Gold- und Rosenkreuzern des süddeutschen Raumes ergibt. Man nimmt im allgemeinen an, daß die Entwicklung und Ausbreitung des Ordens in zwei räumlich und zeitlich getrennten Abschnitten verlief:7 Zunächst, nach dem eher spekulativen Ursprung des Ordens vor 1767, konstituierte sich der Geheimbund seit Anfang der 1770er Jahre in Süddeutschland, Österreich, Ungarn und Böhmen mit dem Zentrum Wien, später dann ab etwa 1779 in Mittel-und Norddeutschland, besonders in Brandenburg-Preußen mit dem Zentrum Berlin, und mit Ausläufern bis nach Rußland.8 Auch in Sachsen entstanden Rosenkreuzerzirkel, allerdings nahmen diese möglicherweise eine besondere Position ein, denn dort waren zum einen früher als weiter nördlich Rosenkreuzer aktiv, zum anderen sind Verbindungen nicht nur nach Berlin, sondern auch nach Süddeutschland nachweisbar.9 Dies legt die Vermutung nahe, die sächsischen Rosenkreuzerzirkel hätten eine Art Bindeglied dargestellt, was die Annahme zweier nicht nur chronologisch, sondern auch organisatorisch getrennter Entwicklungen in ,Nord' und ,Süd' zweifelhaft erscheinen ließe. Nun gibt es aber bislang nur vage Hinweise auf die prinzipielle Möglichkeit eines Zusammenhangs. Georg Schuster bezeichnet in seinem Werk Die Geheimen Gesellschaften, Verbindungen und Orden den Leipziger, später Dresdener Zirkeldirektor Franz Du Bosc als Gesandten der Wiener Ordensleitung, der angeblich den später führenden Berliner Gold- und Rosenkreuzer Johann Christoph Wöllner in den Orden eingeführt habe.10 Dafür spricht die Tatsache, daß Du Bosc bereits 1777 Mitglied des Geheimbundes wurde, also eines der frühesten Mitglieder im nordmitteldeutschen Raum überhaupt war." Allerdings ist die Werbung Wöllners durch Du Bosc bislang quellenmäßig nicht belegt.12 Andere Hinweise auf Verbindungen von Süd- nach Norddeutschland sind an dem Eisenacher Zirkel Hegrilogena - die Namen der Zirkel sind identisch mit den Ordensnamen ihrer Direktoren, die wiederum anagrammatisch aus deren bürgerlichen Namen gebildet 7 8

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Vgl. Marx, (wie Anm. 1), S. 15-19, 34 ff; Möller, (wie Anm. 2), S. 201f. In Rußland, v.a. in Moskau, entstanden etwa seit 1784 wenigstens fünf Zirkel der Gold- und Rosenkreuzer: GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, passim. Vgl. ebd. sowie GStA PK Freimaurer 5.1.4 Nr. 4161, Verhandlungen des Bruders Hymmen, passim. Laut Schuster wurde Wöllner von Johann Rudolph von Bischoffwerder - den wiederum Du Bosc rekrutiert habe - geworben und dann in Dresden in den Orden aufgenommen: Georg Schuster, Die geheimen Gesellschaften, Verbindungen und Orden. 2 Bde. Wiesbaden 1995 [Reprint der Ausgabe 1 1905], Bd. 2, S. 119ff. Vgl. GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1710, Kalkulaturtabellen Soc. Schuster, (wie Anm. 10), gibt keinerlei Quellenbeleg für seine Behauptung.

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werden 13 - und dessen Direktor Johann Georg Liebing festzumachen, der seit 1783 Direktor dieses Zirkels war, der Mitglieder in Erfurt, Eisenach und auch in Coburg hatte und damit schon als einzelner Zirkel einen gewissermaßen ,überlokalen' Charakter besaß. Liebing war zu dieser Zeit allerdings schon elf Jahre im Orden, also seit 1772. Für Anfang und Mitte der 1770er Jahre sind jedoch keine Rosenkreuzerzirkel in Mittel- und Norddeutschland nachgewiesen; das bedeutet, daß Liebing seine Mitglied-schaft in den früher entstandenen süddeutschen Zirkeln erworben haben muß. 14 Nun gab es zwei weitere Personen, die ebenfalls in dem Erfurt-Eisenach-Coburger Zirkel beheimatet waren, aber schon vorher in einem Zirkel namens Paragogus erscheinen. Dieser Zirkel tagte in Hof, also gänzlich außerhalb des preußisch-sächsischen Raumes. 15 So wurde der „darmstädtische Commerden Rath" und Buchhändler Philipp Werner Loos 1781 bei Paragogus aufgenommen und erscheint spätestens ab 1784 bei Hegrilogena in Erfurt-Eisenach-Coburg, und beim Erbprinzen von Sachsen-Coburg-Saalfeld, Franz Friedrich Anton, scheint der Wechsel in den sächsischen Zirkel ähnlich verlaufen zu sein. 16 Ob dieser Übertritt mit einem Ortswechsel einherging, ist nicht klar;17 die Dauer der Zugehörigkeit zum Orden jedenfalls wurde auch im neuen Zirkel fortlaufend gezählt, und beide behielten ihre Ordensnamen, traten demnach also nicht in eine andere Organisation ein. Berücksichtigt man die vorgenannten Hinweise auf die Zirkel in Dresden und Erfurt-Eisenach-Coburg, so muß man also davon ausgehen, daß der Geheimbund nicht in zwei organisatorisch getrennte Teile zerfiel: Vielmehr besaß er offensichtlich eine sehr große zusammenhängende Ausbreitung, wie sie Abb. 1 für die hier betrachteten Zirkel verdeutlicht. Für den süddeutschen Raum kann man angesichts der Bedeutung des Ursprungsortes Wien von einer ähnlichen Zahl und Dichte von Zirkeln ausgehen; wie groß die Ausbreitung des Ordens dort tatsächlich war, muß mangels einschlägiger Quellen jedoch vorläufig offen bleiben.

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GStA PK Freimaurer 5.1.4 Nr. 4153, Korrespondenz des Zirkeldirektors Rufus mit seinen Ordensoberen. Dazu: Zaunstöck, (wie Anm. 3), S. 259f. GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1686, Berichte 1783, Bericht vom 23. April 1784. Zitat und Angaben zu den Personen nach: GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, Zirkel Paragogus und Hegrilogena, passim. Franz Friedrich Anton Erbprinz von Sachsen-Coburg-Saalfeld war laut der Tabelle des Zirkels Hegrilogena von 1785 „in Coburg", Philipp Werner Loos laut der Tabelle von 1789 „in Erfurt" ansässig; die Tabellen des Zirkels Paragogus geben hingegen keine Wohnsitze an: GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, Zirkel Hegrilogena, Tabellen vom 21.12.1785 und 21.12.1789; ebd., Zirkel Paragogus.

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Abb. 1: Geographische Verteilung der untersuchten Rosenkreuzerzirkel. Die Zahl der Zirkel war höher als die der Zirkelorte, da in einigen Orten mehrere Zirkel existierten. Einige Zirkel sind nicht sicher lokalisiert und ihre vermuteten Sitze daher mit „(?)" gekennzeichnet; Erfurt, Eisenach, Coburg und Weimar sind gemeinsame Sitze eines einzigen Zirkels und daher zusätzlich umrahmt. • Zirkelort; Mögliche Wege der ersten Ausbreitung nach Norden vom Ausgangspunkt Wien.

Ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen den ersten Zirkeln im süddeutschen Raum und denjenigen im mittel-norddeutschen Gebiet würde in der Praxis eine gemeinsame Organisation voraussetzen, die sich wohl am ehesten in einer gemeinsamen Leitung ausdrücken könnte - womit die Frage nach den Führungsstrukturen und damit der Begriff der .Unbekannten Oberen' ins Spiel kommt. Diese Bezeichnung wird zwar meist für die bislang nicht konkret namentlich nachgewiesenen höchsten Autoritäten des Geheimbundes verwendet, gilt aber prinzipiell für alle hierarchischen Ebenen oberhalb des Zirkeldirektors, die allen unter ihnen stehenden Ebenen verborgen bleiben mußten - was in der Realität nicht immer eingehalten wurde. 18 Hier soll daher allgemein von den ,Oberen' im Sinne hierarchisch Vorgesetzter gesprochen werden. Der Geheimhaltung entsprechend sind nur wenige Quellenbelege für die Existenz der höchsten Oberen zu finden; dabei ist die Identität der Personen desto 18

So kannten die meisten Zirkeldirektoren ihren direkten Vorgesetzten, denn dieser hatte sie als einfache Mitglieder in den Orden aufgenommen und ihnen erst danach die Leitung eines eigenen Zirkels übertragen, vgl. etwa GStA PK Freimaurer 5.1.4 Nr. 4165, Mayer, Johann Christoph Andreas. Schriftwechsel, Notizen, Aufzeichnungen, passim.

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schwieriger zu ermitteln, je höher die hierarchische Position war.19 Auf der Ebene der wenigstens mit ihren Ordensnamen identifizierbaren Oberen gibt es bei mehreren Zirkeln Indizien sowohl für eine Lenkung oder Beaufsichtigung durch die gemeinhin als für den mittel-norddeutschen Raum maßgeblich betrachtete - Berliner Ordensleitung als auch für eine Kontrolle durch andere, möglicherweise in Süddeutschland ansässige Stellen. Diese Beobachtung legt den Schluß nahe, über der Berliner und der süddeutschen Leitung habe möglicherweise eine zentrale Führung des Ordens existiert, der demnach über eine straffe hierarchische Organisation verfügt hätte - was für einen Geheimbund des achtzehnten Jahrhunderts mit seinen beschränkten Kontrollmöglichkeiten für ein derart großes Gebiet bemerkenswert erschiene. Hinter den Unbekannten Oberen müßten sich dann reale Personen verborgen haben, nicht nur .Deckadressen' anderweitig bekannter Figuren. Da der Nachweis einer solchen ,durchorganisierten' Struktur noch zu führen ist, kann man zunächst annehmen, es habe zwar einen einheitlichen Orden im Sinne einheitlicher ,Lehren' und eines einheitlichen ,Programms' gegeben, dieser sei aber in mehrere räumlich und organisatorisch getrennte Verwaltungseinheiten zerfallen. Diese Einheiten lassen sich zudem nicht klar voneinander abgrenzen, weil in manchen Fällen anscheinend mehreren leitenden Positionen Weisungskompetenz für dieselben Zirkel zukam.20 Der innere Zusammenhang würde sich dann vor allem aus dem Konsens der Mitglieder und unteren Hierarchiestufen über die Existenz und Autorität der Oberen, über die allgemeine und verbindliche Gültigkeit des Ordenssystems und über die Existenz eines einheitlichen Geheimbundes überhaupt ergeben. Diese These wird gestützt von der bereits erwähnten Beobachtung, daß Mitglieder den Zirkel wechseln konnten und dabei anstandslos unter Beibehaltung von Ordensnamen und -graden sowie fortlaufender Zählung der Mitgliedschaftsdauer weitergeführt wurden. Damit soll aber keinesfalls der Eindruck erweckt werden, es habe sich um einzelne, organisatorisch scharf getrennte Geheimgesellschaften gehandelt; selbstverständlich geht es hier um die Struktur des einen Ordens der Gold- und Rosenkreuzer. Die kaum sicher zu beantwortende Frage nach Existenz und Identität der höchsten Oberen tritt so jedoch in den Hintergrund.

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Die Literatur zu den Gold- und Rosenkreuzem stellt zu der Frage nach den hinter den Unbekannten Oberen verborgenen realen Personen lediglich Vermutungen an, die hier nicht wiederholt werden sollen; vgl. Marx, (wie Anm. 1), S. 34f., Möller, (wie Anm. 2), S. 209f., Christopher Mcintosh, The Rose Cross and the Age of Reason. Eighteenth-Century Rosicrucianism in Central Europe and its relationship to the Enlightenment. Leiden / Köln / New York 1992, S. 54f. Siehe dazu weiter unten in diesem Aufsatz.

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2. Offizielle Struktur: die vertikale Verflechtung Im Gegensatz zu Identität und Existenz der Oberen können über die den formalen Ordensvorgaben entsprechende hierarchische Struktur des Geheimbundes fur das untersuchte geographische Gebiet qualifiziertere Aussagen getroffen werden. Diese Struktur soll hier kurz als vertikale Verflechtung bezeichnet werden. Darunter fallen diejenigen Verbindungen, die durch Bildung von weiteren, den älteren untergeordneten Zirkeln (die sogenannte Filiation) und die damit verbundene hierarchische Einteilung entstehen. Dies sind Verbindungen zwischen den Zirkeldirektoren und ihren Ordensvorgesetzten, aber auch Verbindungen von den Vorgesetzen der Zirkeldirektoren zu noch höheren Hierarchiestufen. Sie sind durch Gehorsamsund Berichtspflichten in der einen und Weisungs- und Kontrollkompetenz in der anderen Richtung gekennzeichnet und fein ausdifferenziert, gewissermaßen in der Form einer Pyramide, deren Sockel von der relativ großen Zahl einfacher Mitglieder und deren Zirkeldirektoren gebildet wird21 und die sich über mehrere Stufen ,zuspitzt' bis hin zur höchsten Ordensleitung, den namentlich bisher nicht identifizierten höchsten Oberen. Dabei muß unterschieden werden zwischen dem in den so genannten Hauptplänen der Gold- und Rosenkreuzer von 1767 und 1777 vorgestellten System, das den Orden in neun Grade einteilt, denen jeweils eine eigene Leitung zugesprochen wird,22 und der realen Hierarchie, wie sie sich anhand von Quellenmaterial für das Untersuchungsgebiet nachweisen läßt.23 In der Literatur wird die Leitung der mittel- und norddeutschen Rosenkreuzerzirkel den Berliner Rosenkreuzern um den dortigen Oberhauptdirektor Johann Christoph Wöllner zugesprochen, doch ist dies nicht sicher belegt und Gegenstand von Spekulationen.24 Man kann sich am ehesten darauf berufen, daß die Mitgliederlisten in Wöllners Nachlaß enthalten sind, also wohl auch - direkt oder über zwischengeordnete Stellen - an ihn eingesandt wurden.25 Demnach hat er sicherlich eine hierarchisch hohe Stellung bekleidet, aber nicht unbedingt die 21

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Im betrachteten Gebiet gab es etwa 35 Rosenkreuzerzirkel und -direktoren, unter Einschluß der russischen Zirkel waren es etwa 40, vgl. Gerlach, (wie Anm. 4), S. 1 lOf. sowie GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, passim. Mit der formal vorgesehenen Zahl von neun Mitgliedern eines Zirkels kann man von insgesamt deutlich über 300 Mitgliedern ausgehen. Zu den höheren Stufen der Hierarchie siehe weiter unten in diesem Aufsatz. Vgl. Bernhard Beyer, Das Lehrsystem des Ordens der Gold- und Rosenkreuzer. Augsburg 1978 [Nachdruck der Ausgabe Ί 9 2 5 ] (HIRAM-Edition 8). Diese Unterscheidung wird bereits von Arnold Marx getroffen, der dazu nach Berechnung der formal notwendigen Zahl von Oberen feststellt, es sei „eine organisatorische Unmöglichkeit, daß diese Generalate [die höchsten Leitungsgremien - R.G.] nicht bestimmte - sachlich oder örtlich abgegrenzte - Sprengel umfaßten, sondern nur über die Brüder einer Stufe herrschen sollten." Marx, (wie Anm. 1), S. 42. Vgl. etwa Horst Möller, der sich hierzu nicht festlegt: Möller, (wie Anm. 2), S. 210, oder Christopher Mcintosh, der Wöllner vorsichtig „a key role as an intermediary between the Berlin group and the .Superiors' in the south" zuschreibt: Mcintosh, (wie Anm. 19), S. 54f. Vgl. Rathgeber, (wie Anm. 3), S. 161, sowie Gerlach, (wie Anm. 4), S. 100.

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höchste; die für ihn bekannte Bezeichnung ,Oberhauptdirektor' bedeutete nach der überlieferten Ordenshierarchie eine mittlere Position, die bereits die Aufsicht über eine große Zahl von Zirkeln beinhaltete, allerdings zugleich noch durch mehrere Stufen von den höchsten Oberen getrennt blieb.26 Parallel zu dieser ,Oberhauptdirektion' könnte es also noch eine oder mehrere weitere Direktionen gegeben haben, die vergleichbare Bedeutung besaßen. Die für diesen Aufsatz verwendeten Quellen etwa stammen unter anderem aus Dresdener Beständen, was den Schluß nahelegt, auch Dresden habe eine Rolle gespielt, deren Bedeutung über die eines einfachen Zirkels hinausgeht, denn offensichtlich wurden auch dorthin Kalkulaturtabellen eingesandt.27

nicht nachgewiesen

nurmidemOretenenamen nachgewiesene Stuten höchste mit bürgerlichem Namen identifizierte Stufe

Abb. 2: Schema des hierarchischen Aufbaus des Ordens der Gold- und Rosenkreuzer. Alle Stufen oberhalb der gestrichelten Linie zählen formal und jeweils aus der Sicht der unter ihnen Stehenden zu den .Unbekannten' Oberen. 28

Hinweise auf die Position der Zirkeldirektoren - wer war einfacher Direktor, wer war ,Oberdirektor' oder ,Hauptdirektor' und beaufsichtigte mehrere Zirkel? ergeben sich aus den Anmerkungen, die in den Tabellen zu einzelnen Mitgliedern oder vom Empfanger der Tabellen notiert wurden. So ist beispielsweise eine Mit-

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Vgl. Abb. 2. Vgl. GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1710 und 1712. Weitere Informationen für den Typus vertikale Verflechtung sind Korrespondenzen u.a. aus dem Bestand GStA PK Freimaurer 5.1.4 Nr. 4129, Erlasse des Großpriorats und Nr. 4150 bis 4154: Korrespondenzen des Zirkeldirektors Rufiis entnommen. GStA PK Freimaurer 5.1.4 Nr. 4223, Geheime Instruktionen für die Direktoren. Alle Stufen oberhalb der Oberhauptdirektoren sind nicht sicher namentlich belegbar, die ,Magi' nicht einmal mit dem Ordensnamen, so daß ihre Existenz - zumindest in dieser Ausdifferenziertheit - fraglich bleibt. Vgl. auch Anm. 19.

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gliederliste des Prager Zirkels Taurus aus dem Jahre 1788 mit einer Bemerkung des „ersten Haupt-Directors" Du Bosc - dem Direktor des Dresdener Zirkels versehen, aus der hervorgeht, daß er jemanden „im practischen" instruierte, also in praktischer Alchemie unterwies. 29 Instruiert wurde hier der Prager Zirkeldirektor Johann Adam Weighart mit dem Ordensnamen Taurus. Ein Jahr später empfahl Du Bosc den „würdigen Bruder" Weighart seinen Ordensvorgesetzten. 30 Offensichtlich unterstand also der Prager Zirkel Taurus dem Dresdener Zirkeldirektor Du Bosc, der seinerseits wohl wieder weitere Hierarchiestufen über sich hatte, da er lediglich den Titel eines ,Hauptdirektors' trug, wenngleich die Bezeichnung ,erster Hauptdirektor' mit dem , Oberhauptdirektor' synonym sein könnte, was die gleiche mittlere Position in der Hierarchie wie die Wöllners in Berlin bedeuten würde. Aus Schriftwechseln kann man in einigen Fällen auch direkt das Verhältnis bestimmter Zirkel- und Oberdirektoren zueinander ablesen, wenn etwa der Direktor des Zirkels Homerus in Frankfurt an der Oder, Johann Christoph Andreas Mayer, an seinen Ordensvorgesetzten Carl Rudolph von Lestwitz schrieb, „das Quartal Protocoll des [ihm] untergeordneten Ο [Zirkels, R. G.] des Br[uders] Ortosophus" werde er einsenden, sobald er es erhalten habe.31 Offensichtlich hatte also Mayer die Funktion eines Oberdirektors inne, der den am untersten Ende der hierarchischen Pyramide stehenden Zirkel Ortosophus beaufsichtigte, dabei jedoch selbst von seinem Vorgesetzten kontrolliert wurde. In ähnlicher Weise unterstanden die beiden Leipziger Zirkel Aeneas und Mihriffon dem Dresdener Zirkeldirektor Du Bosc, und der Direktor des Prager Zirkels, Weighart, nahm eine Mittlerposition ein, denn ihm unterstand ein weit entfernter Zirkel namens Vivacius im ungarischen Neusohl. Von letzterem ist allerdings nicht bekannt, ob er über die Gründung hinausgekommen ist, denn die beiden erhaltenen Listen von 1787 und 1788 nennen lediglich fünf Kandidaten, also Personen, die für eine Aufnahme vorgesehen waren.32 Immerhin weist dieser Zirkel aber nochmals auf die oben aufgezeigten Verbindungen des Dresdener Zirkels zu den Ursprüngen im süddeutschen Raum hin, die auch Österreich-Ungarn einschlossen. Mit solchen hierarchischen Zuordnungen kann man dem Dresdener Rosenkreuzerzirkel die Funktion eines regionalen Zentrums zuschreiben und dieses entsprechend der weiter oben aufgestellten These als ,Verwaltungseinheit' bezeichnen; dem Zentrum Dresden unterstand mit dem Prager Zirkel außerdem ein Unterzentrum. Ein ähnliches regionales Zentrum bildete der Rosenkreuzerzirkel Zelator, vermutlich im schlesischen Wohlau ansässig, dessen Direktor, der Landrat Georg Otto Freiherr von Czetritz, für die Zirkel Tholon, Philocrates und Philomeleus in

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Zitat nach GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 1712, Kalkulaturtabellen, Zirkel Taurus, 21.12.1788. Ebd., 21.12.1789. Zitat nach GStA PK Freimaurer 5.1.4 Nr. 4165, Mayer, Johann Christoph Andreas. Schriftwechsel, Notizen, Aufzeichnungen, S. 24. GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, Zirkel Vivacius.

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Glogau sowie die drei nicht sicher lokalisierbaren Zirkel Chrisimundus, Geberius und Armanirus zuständig war.33 Dem Direktor des Zirkels mit dem Namen Philocrates in Glogau, dem oben bereits erwähnten Erbherren Carl Rudolph von Lestwitz, kam durch seine Aufsicht über den Zirkel Homerus in Frankfurt an der Oder die Rolle eines Unterzentrums innerhalb des regionalen Zentrums Zelator zu; unter seinem zweiten Ordensnamen Vultus nannte er sich dementsprechend auch „2ter Haupt-Director".34 Neben den genannten Zirkeln Zelator und Philocrates kommt noch ein weiterer schlesischer Zirkel namens Victrinus in Oels bei Breslau unter der Leitung des preußischen Obristen Friedrich Heinrich Eugen Prinz von Württemberg als hierarchisch bedeutender Zirkel in Betracht; zudem hatte dieser Zirkel wie auch der Zirkel Philocrates die Aufsicht über den Zirkel Magnus in Wildenfels bei Zwickau und dessen Direktor Friedrich Magnus Graf zu Solms.35 Diese scheinbare Konkurrenz von Weisungs- und Kontrollbefugnissen über untergeordnete Zirkel kann sich allerdings auch aus planvollen Veränderungen der Ordenshierarchie im Laufe der Ausbreitung des Geheimbundes ergeben haben, die noch nicht im einzelnen nachvollzogen werden konnten. Bei solchen Veränderungen wurden nach und nach durch Aufwertung bestimmter Zirkeldirektoren zu Oberdirektoren feinere Strukturen geschaffen, ohne jedoch die höheren Kontrollinstanzen anzutasten; auf diese Weise waren gegen Ende der nachweisbaren Existenz der Zirkel andere Vorgesetzte zuständig als zu Anfang, ohne daß daraus eine Gleichzeitigkeit der Kompetenzen resultierte.36 Da die genaue hierarchische Einteilung der schlesischen Zirkel jedoch noch nicht eindeutig geklärt ist, wird dieser Raum vorläufig als ein zusammenhängendes regionales Zentrum betrachtet. Auch der Erfurt-Eisenach-Coburger Zirkel Hegrilogena bildete Filialen; diese trugen die Namen Hegesias und Philiverus.37 Wo diese Zirkel ansässig waren, ist nicht sicher; man kann aber durch die zusammenhängende Überlieferung der Mit-

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Diese Zuordnung ergibt sich wiederum aus den jeweiligen Kalkulaturtabellen: GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, Zirkel Zelator, Tholon, Philocrates, Philomeleus, Geberius, Armanirus, Chrisimundus. Die Zirkel Geberius und Chrisimundus waren vermutlich in Züllichau ansässig, vgl. Gerlach, (wie Anm. 4), S. 111, während der Sitz des Zirkels Armanirus unklar bleibt. GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, Zirkel Philocrates, 21.12.1787. GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, Zirkel Magnus, Philocrates, Victrinus. So erhielt beispielsweise der bereits erwähnte Direktor des in Frankfurt an der Oder ansässigen Zirkels Homerus, der Medizinprofessor Johann Christoph Andreas Mayer, im Jahre 1780 die Aufsicht über den neuerrichteten Zirkel Ortosophus unter dem Landedelmann Georg Christoph von Röpert im mecklenburgischen Trollenhagen, der zuvor von Berlin aus initiiert worden war, und damit den nächsthöheren Status über dem einfachen Zirkeldirektor: GStA PK Freimaurer 5.1.4 Nr. 4165, Mayer, Johann Christoph Andreas. Schriftwechsel, Notizen, Aufzeichnungen, S. 11. Vgl. GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, Zirkel Hegrilogena, 21.12.1784, sowie Gerlach, (wie Anm. 4), S. 110.

Zirkel, Brüder, Unbekannte Obere

169

gliederlisten und die Beaufsichtigung durch den Erfurt-Eisenach-Coburger Direktor Liebing von dessen näherer Umgebung ausgehen.38 So kommt etwa auch Weimar in Frage, da Liebing seinen Zirkel zeitweise von dort leitete.39 Außerdem besteht Grund zu der Annahme, daß Liebing in gewisser Weise eine Kontrollfunktion im Hinblick auf den Dresdener Zirkeldirektor Du Bosc ausübte, was seine eingangs erwähnte Schlüsselrolle beim Ausgreifen der Gold- und Rosenkreuzer nach Mitteldeutschland nochmals betonen würde.40 Abgesehen von dieser noch nicht eindeutig geklärten Frage ergeben sich für den mittel-norddeutschen Raum wenigstens drei regionale Zentren: Dresden, Schlesien und Erfurt-Eisenach-Coburg, deren Verbindungen zum vermuteten Oberzentrum Berlin in ihrer hierarchischen Struktur noch näherer Untersuchung bedürfen.

3. Informelle Struktur: die horizontale Verflechtung Zuletzt soll auf einen dritten Typus der Verflechtung innerhalb des Ordens eingegangen werden, nämlich auf die durch Wanderung und Mehrfachmitgliedschaft bestimmter Personen entstehenden Verbindungen zwischen einzelnen Zirkeln; diese sollen hier analog zur vertikalen Verflechtung als horizontale Verflechtung bezeichnet werden, denn sie entstehen ohne Rücksicht auf hierarchische Strukturen. Konkret sind dies Verbindungen über einzelne Personen, die als Mitglieder eines Zirkels den Status eines auswärtigen Bruders' bei einem anderen Zirkel erwerben oder bei Umzug oder Versetzung in einen anderen Zirkel übertreten. Diese Verflechtung ist eine informelle, wie eingangs dieses Aufsatzes beschrieben, und steht damit außerhalb der offiziellen', also organisatorisch vorgesehenen Struktur des Ordens.

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39

40

Karlheinz Gerlach vermutet als Zirkelorte Eisenach (Hegesias) und Erfurt (Philiverus), was sich im Falle von Ernst Adam August Baron von Göchhausen, Direktor des Zirkels Hegesias, mit der Angabe von Holger Zaunstöck, (wie Anm. 3), S. 257f., und im Falle von Philipp Werner Loos, Direktor des Zirkels Philiverus, mit seinem Wohnsitz (vgl. Anm. 17) deckt. Vgl. GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, Zirkel Hegrilogena, 21.12.1788. Die Mitgliederliste des Zirkels Hegrilogena von 1788 enthält die Anmerkung Liebings, „Franc" bitte wegen der „Wanckelmütigkeit" des Erbprinzen von Coburg, Franz Friedrich Anton, um einen „Verhaltungs Vorschlag". Franc war ein weiterer Ordensname des Dresdener Zirkeldirektors Du Bosc und ist als Ordensname für keinen anderen Rosenkreuzer nachgewiesen. Die Bitte um einen „Vorschlag" kann natürlich auch unter hierarchisch gleichrangigen Personen oder gar an einen Untergebenen erfolgt sein, doch sind solche Fälle bislang anderweitig nicht ermittelt. Demnach könnte Liebing der Vorgesetzte von Du Bosc gewesen sein: GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, Zirkel Hegrilogena, 21.12. 1788 und passim.

170

Renko Geffarth

Königsberg

Coburg

Abb. 3: Regionale Zentren und vertikale Verflechtung. Zirkel in nicht mit einem Zentrum oder einem anderen Ort verbundenen Städten sind noch nicht hierarchisch zugeordnet. Das Zentrum Schlesien ist wegen unklarer Lokalisierung der hierarchisch höchsten Position zu einem Zentrum zusammengefaßt. Zwischen Dresden und Erfurt-Eisenach-Coburg besteht eine noch ungeklärte Kontrollbeziehung (—). • Zirkelort; Ο Kontrollierender Zirkel /regionales Zentrum; Kontrolle

Zunächst gilt es, Verwechslungen und Mehrfachnennungen zu vermeiden, denn in einigen Fällen scheinen Zirkel unterschiedlichen Namens auf, die in Wirklichkeit ein und denselben Zirkel darstellen und sich nur im Zeitablauf durch die Person des Direktors unterscheiden. Da dessen Ordensname wie erwähnt auch dem Zirkel den Namen gab, konnte der Zirkel seinen Namen wechseln, ohne sich personell oder geographisch verändert zu haben, wenn beispielsweise durch den Tod oder Weggang des Direktors oder die Aufnahme eines neuen Mitgliedes die Bestimmung eines neuen Direktors notwendig wurde. Dadurch kommen Mehrfachnennungen zustande, die die Zahl der auf den ersten Blick nachweisbaren Zirkel erhöhen, jedoch nicht zur Verflechtung beitragen.41

41

Derartige Identitäten von Zirkeln unterschiedlichen Namens lassen sich in mindestens drei Fällen nachweisen: Der Zirkel Homerus in Frankfurt an der Oder wurde nach dem Weggang seines Direktors Mayer im Jahre 1787 von dem Juraprofessor Ludwig Gottfried Madihn, dem bisherigen Senior des Zirkels, übernommen und nannte sich fortan nach dessen Ordensnamen Doechimus. Im Falle des Zirkels Charax wechselt außerdem der Ort: Der Zirkel Tholon unter der Direktion des Infanteriehauptmanns Carl Wilhelm von Ramthoun (Tholon) in Glogau

Zirkel, Brüder, Unbekannte Obere

171

Für die horizontale Verflechtung, die auf Verbindungen zwischen Zirkeln über bestimmte Personen basiert, sind nochmals zwei Untertypen von Interesse: Auf der einen Seite die Verflechtung innerhalb der oben beschriebenen regionalen Zentren, auf der anderen Seite die Verflechtung der Zentren miteinander. 3.1

Verflechtung innerhalb der Zentren

Innerhalb der Zentren gab es eine starke Fluktuation von Mitgliedern, die einerseits regelrecht den Zirkel wechselten, andererseits durch den Status eines auswärtigen Bruders' mehrere Zirkel miteinander verbanden. Beispiele hierfür sind der Zirkel in Dresden und der Zirkel Mihriffon in Leipzig, die wenigstens vier gemeinsame Mitglieder hatten, die zunächst in einem der Zirkel ,ordentliches' Mitglied waren und dann auswärtiges' Mitglied des anderen Zirkels wurden oder ganz dorthin wechselten.42 Eine Verflechtung mit dem zu demselben regionalen Zentrum gehörigen Prager Zirkel allerdings gab es in dieser Weise anscheinend nicht. Ähnlich eng auf personeller Ebene verflochten waren die schlesischen Zirkel Chrisimundus, Geberius, Philocrates, Philomeleus, Tholon, Victrinus und Zelator, deren Mitglieder mehrfach den Zirkel wechselten und in den Listen von bis zu vier Zirkeln nacheinander aufscheinen, und dies nicht etwa nur als .auswärtige Brüder'. Gab es dagegen parallele Mitgliedschaften in verschiedenen Zirkeln, dann zusätzlich zu einer .ordentlichen' Mitgliedschaft höchstens den .auswärtigen' Status in einem anderen Zirkel.43

42

43

wurde ab 1787 von dem Kavallerierittmeister Hans Albrecht Alexander von Schlabrendorff (Charax) in Hermstadt weitergeführt; der Zirkel Amadeus unter dem Obristleutnant Heinrich Gotthilf Freiherr von Lidlo wurde unmittelbar nach der Aufnahme des Rittmeisters Gustav Bernhard Friedrich Erdmann Graf von Reder ab 1782 von diesem unter dem Namen Armanirus weitergeführt (Ort unbekannt): GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, Zirkel Homerus, Doechimus, Tholon, Charax, Amadeus, Armanirus. Dies trifft beispielsweise auf den Chemnitzer Kaufmann Johann Albrecht Freiberger zu, der 1782 Mitglied im Dresdener Zirkel Soc wurde und ab 1786 als „Auswärtiger Bruder" im Leipziger Zirkel Mihriffon aufscheint; umgekehrt findet sich der „Landmann und Bauer Doctor" Johann Gottfried Grasemann 1786 als Mitglied eben dieses Leipziger Zirkels, 1791 jedoch als reguläres Mitglied in Dresden: GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1710, Kalkulaturtabellen Soc, sowie GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, Zirkel Mihriffon. Als besonders prägnantes Beispiel sei hier der bereits erwähnte spätere Direktor des Herrnstadter Zirkels Charax, Hans Albrecht Alexander von Schlabrendorff, genannt, der zunächst 1782 Mitglied des von Christian Ernst Friedrich Vitzthum von Eckstädt geleiteten Zirkels Chrisimundus (Ort unsicher) war und 1784 als Senior bei dem Glogauer Zirkel Philomeleus des Kammerherm Heinrich Wilhelm von Bülow aufscheint, bevor er 1786 dem ein Jahr später nach ihm benannten Zirkel Tholon in Glogau „zugetheilt" wurde: GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, Zirkel Chrisimundus, Philomeleus, Tholon, Charax; Zitat ebd., Zirkel Tholon, 21.12.1786. Mindestens zehn weitere Personen, die hier nicht im einzelnen aufgeführt werden sollen, erscheinen in den Listen von zwei oder mehr Zirkeln der schlesischen .Szenerie', vgl. GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, passim.

172 3.2

Renko Geffarth Verflechtung der Zentren miteinander

Interessanter, weil regional und territorial übergreifend, mag der zweite Typ der horizontalen Verflechtung erscheinen, also die personellen Verbindungen zwischen Zirkeln unterschiedlicher regionaler Zentren. Diese sind weit weniger dicht als innerhalb der einzelnen Zentren und haben im wesentlichen Dresden zum Mittelpunkt. Für den Dresdener Zirkel Soc sind Verbindungen zu verzeichnen mit Erfurt-Eisenach-Coburg, Trollenhagen, Wildenfels und Wohlau. 44 Auch der zur Dresdener Direktion gehörige Zirkel Mihriffon in Leipzig war mit Erfurt-EisenachCoburg verknüpft; 45 darüber hinaus scheint es jedoch keine direkten Verbindungen zwischen Erfurt-Eisenach-Coburg und den schlesischen Zirkeln gegeben zu haben. Ein solcher Zusammenhang ließe sich nur hypothetisch konstruieren, wenn man Dresden mit seinen allseitigen Verbindungen als Mittler betrachtete; eine derartige Konstruktion besäße aber wohl keinen erkennbaren Wirklichkeitsgehalt, denn eine Mittlerfunktion müßte Informationsvermittlung beinhalten, die sich schwerlich nachweisen läßt und dem Schweigegebot für Direktoren gleicher Hierarchiestufen widerspräche. Verflechtungen einzelner Zirkel mit dem Oberzentrum Berlin sowohl hierarchischer als auch personeller Art gab es natürlich ebenfalls; diese sind aber noch nicht im einzelnen erforscht und finden daher hier keine Berücksichtigung.

4. Fazit Extrapoliert man nun für den horizontalen und besonders den vertikalen Typ die Dichte des aufgezeigten Beziehungsgeflechtes für die noch nicht zugeordneten Orte, so ergibt sich insgesamt ein Bild enger innerer Verflechtung des Ordens der Gold- und Rosenkreuzer in Mittel- und Norddeutschland.

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45

So erscheint der Bergrat Augustus Amadeus Edler von Gärtner 1783 in der Dresdener Mitgliederliste und ist 1789 beim Zirkel Hegrilogena in Erfurt-Eisenach-Coburg verzeichnet; der Kammerherr Albrecht Christian Heinrich Graf von Brühl scheint 1782 in Dresden und 1786 als Auswärtiger Bruder bei Ortosophus in Trollenhagen auf; der Hofiat Heinrich Friedrich Carl Brand von Lindau war 1784 Kandidat in Dresden und 1787 Mitglied des Wildenfelser Zirkels Magnus, und der Geheimrat Gottfried Fabian von Rexon wechselte zwischen 1782 und 1784 vom Zirkel Zelator in Wohlau nach Dresden: GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1710, Kalkulaturtabellen Soc und Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, Zirkel Hegrilogena, Ortosophus, Magnus, Zelator. Der sachsen-weimarische Leutnant Hartmann Ludwig August von Witzleben sowie der ebenfalls sachsen-weimarische Kammerrat Ernst Adam August Baron von Göchhausen waren 1782 neben ihrer Mitgliedschaft im Erfurt-Eisenach-Coburger Zirkel Hegrilogena auch Auswärtige Brüder im Leipziger Zirkel Mihriffon: GStA PK Freimaurer 5.2 D 34 Nr. 1712, Kalkulaturtabellen, Zirkel Hegrilogena, Mihriffon.

Zirkel, Brüder, Unbekannte Obere

173

Abb. 4: Horizontale Verflechtung. Die beiden Unterkategorien, also die Verflechtung innerhalb der und diejenige zwischen den Zentren, sind zugleich eingezeichnet. Zirkelorte ohne eingezeichnete Beziehungen sind nach derzeitigem Kenntnisstand nicht an der horizontalen Verflechtung beteiligt. • Zirkelort; - Personelle Beziehung(en)

Trotz der vorgeschriebenen Geheimhaltung, die von jedem einzelnen Bruder auch innerhalb des Ordens verlangt wurde,46 scheint der Wechsel von Zirkelmitgliedern innerhalb eines regionalen Zentrums oder auch zwischen verschiedenen Zentren erstaunlich problemlos funktioniert zu haben. In dieser Hinsicht waren die organisatorischen Vorgaben und Pflichten offensichtlich nicht hinderlich. Zugleich erweckt der Aufbau der Hierarchie von der unteren Ebene der Zirkeldirektoren bis hin zur mittleren Ebene der Regionalzentren und des Zentrums Berlin den Eindruck einer straffen Organisation. Vorausgesetzt, es hat sie tatsächlich gegeben, liegt der Schluß nahe, daß die höheren hierarchischen Ebenen diese straffe Organisation fortsetzten. Nach der Kontinuität der Ordenszugehörigkeit über Ortswechsel hinweg zu urteilen, waren die einzelnen Mitglieder, also auch die einfachen, stark an den Orden gebunden und konnten beim Wechsel vom einen zum anderen Zirkel auch über große räumliche und strukturelle Distanzen hinweg vom einheitlichen Aufbau des Geheimbundes profitieren, der es ihnen ermöglichte, ihren Status, also vor allem den erreich-

46

Vgl. Möller, (wie Anm. 2), S. 207.

174

Renko Geffarth

ten Grad und den Stand ihrer Gebührenzahlungen, zu behalten und im jeweils neuen Zirkel ihre Ordenstätigkeit unmittelbar fortzusetzen. Nun stellt sich die Frage, ob das gesamte hier aufgezeigte Geflecht planmäßig zum Zwecke der Umsetzung zentraler Ziele des Ordens aufgebaut wurde, ob es sich also um ein Geflecht im Sinne eines instrumentalisierbaren Netzwerkes handelte und, wenn dies so sein sollte, welches sein Zweck gewesen sei. Naheliegende Antwort auf diese Frage wäre natürlich die häufig thematisierte und polemisch in Darstellungen der Geschichte der Gold- und Rosenkreuzer betonte politische Instrumentalisierung des Ordens durch die Berliner Wollner und Bischoffwerder, die bekanntlich den preußischen Thronfolger Friedrich Wilhelm in den 1780er Jahren für ihre Vorstellungen zu vereinnahmen suchten und damit auch einen gewissen Erfolg verzeichnen konnten. 47 Ob diese Ziele allerdings die Struktur des gesamten Ordens prägten, ist höchst fraglich, denn auf der Ebene der einfachen Zirkelmitglieder und deren ,Arbeit' fand eine entsprechende Tendenz keinen Niederschlag. So wurde zwar nach dem Eintritt Friedrich Wilhelms in den Orden auf Anweisung der Ordensleitung eine regelmäßige Fürbitte fur den Bruder Ormesus - also für Friedrich Wilhelm - eingeführt, jedoch war dem einfachen Rosenkreuzer die Identität dieses Bruders offensichtlich unbekannt, 48 und eine Fürbitte allein bedeutet auch noch keine Instrumentalisierung. Zudem muß hierbei die .offizielle' Struktur klar von den ,informellen' Strukturelementen getrennt werden, denn letztere entstanden entgegen den formalen Vorgaben und entgegen der Geheimhaltungspflicht und waren für die hierarchisch bedeutenderen und mithin einflußreicheren Personen nicht unmittelbar zur Verwirklichung politisch-strategischer Absichten nutzbar. Betrachtet man nur die hier als vertikale Verflechtung bezeichneten Strukturelemente, also diejenigen, die sich ,offiziell' aus dem Aufbau der Hierarchie ergeben, so ist die Annahme wahrscheinlich, daß die Leitung des Geheimbundes (seien es nun Wöllner oder einer oder mehrere der höchsten, noch nicht identifizierten Oberen gewesen) vor allem zum Zwecke der Sicherung ihrer Kontrollmöglichkeiten eine derart fein ausdifferenzierte und eben straffe Organisation zu errichten suchte, die es erlaubte, nicht nur über jeden einzelnen Bruder genaue Informationen zu erhalten, sondern auch den Orden vor der Öffentlichkeit zu verbergen und vor Anfeindungen in der Presse und in der Publizistik zu schützen. Daß dies nicht immer zuverlässig funktionierte, zeigen die Schriften, die etwa zwischen 1780 und 1785 erschienen und die Aufdeckung und Entlarvung des Systems der Gold- und

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Detailliert dazu: Friedrich von Oppeln-Bronikowski, Abenteurer am preußischen Hofe 17001800. Berlin / Leipzig 1927, S. 140-173; Johannes Schultze, Die Rosenkreuzer und Friedrich Wilhelm II, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 2 (1929), S. 41-51. Vgl. GStA PK Freimaurer 5.1.4 Nr. 4240, Varia zur Rosenkreuzerey, „Ordonnance" des Generalats vom 6. März 1782 über täglich abzuhaltendes Gebet für „den Bruder Ormesus" (ohne Nennung des ,profanen' Namens).

Zirkel, Brüder, Unbekannte Obere

175

Rosenkreuzer zum Ziel hatten.49 Im Gegensatz zu den Illuminaten, die obrigkeitlicher Verfolgung ausgesetzt waren und schließlich in Kurbayern verboten wurden,50 gelang es den Gold- und Rosenkreuzern jedoch, ihre Tätigkeit weitestgehend im Verborgenen zu halten und unangefochten auch über das Verbot der Illuminaten hinaus fortzusetzen.51 Eine über diese funktionale Interpretation hinausgehende mögliche Zielsetzung des Aufbaus einer kohärenten Ordensstruktur bleibt nach wie vor der Spekulation überlassen und ist allein vor dem Hintergrund der hier dargestellten Befunde nicht empirisch belegbar, sondern erfordert tiefergehende inhaltliche Untersuchungen zum Geheimbund der Gold- und Rosenkreuzer,52

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Als Beispiel genannt sei die pseudonym erschienene Schrift Der Rosenkreuzer in seiner Blosse. Zum Nutzen der Staaten hingestellt durch Zweifel wider die wahre Weisheit der so genannten ächten Freymäurer oder goldnen Rosenkreutzer des alten Systems von Magister Pianco. Amsterdam 1781. Zur Geschichte der Illuminaten vgl. Richard van Dülmen, Der Geheimbund der Illuminaten. Darstellung, Analyse, Dokumentation. Stuttgart 1975; Monika Neugebauer-Wölk, Esoterische Bünde und bürgerliche Gesellschaft. Entwicklungslinien zur modernen Welt im Geheimbundwesen des 18. Jahrhunderts. Göttingen 1995 (Kleine Schriften zur Aufklärung 8); Helmut Reinalter (Hg.), Der Illuminatenorden (1776-1785/87). Frankfurt/M. 1997. In Preußen sind bis etwa 1789 Aktivitäten des Ordens nachweisbar, in Sachsen bis etwa 1792: GStA PK Freimaurer, Rosenkreuzerakten, passim. Der vorliegende Aufsatz ist ein Ausschnitt aus dem Dissertationsprojekt des Autors zum Goldund Rosenkreuzerorden, das derzeit am Institut für Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg erarbeitet wird.

CHRISTINE HAUG ( M a i n z )

Weibliche Geselligkeit und literarische Konspiration im Vorfeld der Französischen Revolution - Über das Projekt zur Gründung einer Frauenlesegesellschaft in Gießen 1789/1790 1. Fragestellung Für die Erforschung geselligen Literaturlebens im 18. Jahrhundert sind systematische, landesgeschichtlich fundierte Studien erforderlich, die in den Archiven vor Ort die Entstehung und Verbreitung von literarischen Gesellschaftsformen innerhalb eines Territoriums oder einer Landschaft aufarbeiten. 1 Monika NeugebauerWölk weist in der Einfuhrung zu Holger Zaunstöcks Studie Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen zu Recht darauf hin, daß die Erforschung von aufklärerischer Geselligkeit und Lesekultur sich hauptsächlich an der Kultur-, Alltags- und Mikrogeschichte zu orientieren hat. 2 Die Vorstellung des Gründungsvorhabens einer reinen Frauengesellschaft in der mittelhessischen Universitätsstadt Gießen um 1789/1790 soll einen Baustein zu der Frage nach explizit weiblichen literarischen Geselligkeits- und Organisationsformen im Umfeld der Französischen Revolution beisteuern. Im Mittelpunkt der hier zu beschreibenden literarischen Aktivitäten steht die Schriftstellerin, Redakteurin und Journalistin Henriette Charlotte Hezel, die 1779 in Ilmenau bei Weimar das Frauenjournal Wochenblatt für's Schöne Geschlecht redigierte. Nach ihrem Umzug nach Gießen setzte sie am neuen Wirkungsort ihr literarisches Engagement fort und projektierte eine reine Frauenlesegesellschaft, „wo kein Hauch männlicher Nation das Zimmer berühren soll". 3 Kurze Zeit später wurde sie Mitglied eines auf privater Basis organisierten weiblichen Lesezirkels in der Universitätsstadt. Hezel verließ damit den tradierten Erfahrungsraum des Privaten und trat als Schriftstellerin, Herausgeberin und Organisatorin einer reinen Frauenlesegesellschaft in die literarische Öffentlichkeit. Bemerkenswert an dieser Gründungsinitiative war die auffallige Affinität der Organisatorin zur radikaldemokratischen Geheimgesellschaft Deutsche Union, die von dem Radikalaufklärer Karl Friedrich Bahrdt 1787 gegründet wurde und im hessischen

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Vgl. die jüngst erschienenen Untersuchungen von Holger Zaunstöck, Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert. Tübingen 1999 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 9) sowie Hilmar Tilgner, Lesegesellschaften an Mosel und Mittelrhein im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus. Stuttgart 2001, und Torsten Liesegang, Lesegesellschaften in Baden 1780-1850. Ein Beitrag zum Strukturwandel in der literarischen Öffentlichkeit. Berlin 2000. Vgl. die Einführung von Neugebauer-Wölk zu Zaunstöck, (wie A n m . l ) , S. IX. [Justus Friedrich Krieger], Verzeichniß neuer Bücher welche in den Frankfurter und Leipziger Herbstmessen 1789 herausgekommen und in billigen Preißen zu haben sind bey Justus Friedrich Krieger dem ältern Universitäts-Buchhändler in Gießen. Gießen 1789, S. 46.

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Christine Haug

Raum ein wichtiges Wirkungsfeld besaß. Eine zentrale Rolle für die Verbreitung der Bahrdt'sehen Ideen in der hessischen Region spielte das Verlagsunternehmen Krieger, das verschiedene informelle Foren für den literarischen Austausch zwischen den Mitgliedern der Geheimgesellschaft schuf.4 Für das Frauenleseprojekt in Gießen stellt sich deshalb die Frage, ob das aufklärerische Leseprogramm der Deutschen Union für die Gründungsabsichten einer Frauenlesegesellschaft in Gießen wesentliche Impulse lieferte. Eine zweite Frage zielt auf die mögliche überregionale Ausstrahlung dieses innovativen literarischen Projekts.

2. Der Schritt in die literarische Öffentlichkeit - Die aktive Rolle von Frauen auf dem Buch- und Zeitschriftenmarkt im 18. Jahrhundert Im 18. Jahrhundert machten Pädagogen, Erzieher und Konservative Front gegen die in ihren Augen nicht mehr zu kontrollierende „Lesewut" und „Leseseuche" in Deutschland.5 Polemische Pamphlete gegen das Medium „Buch", insbesondere

5

Vgl. Christine Haug, Das Verlagsunternehmen Krieger 1725-1825. Die Bedeutung des Buchhändlers, Verlegers und Leihbibliothekars Johann Christian Konrad Krieger für die Entstehung einer Lesekultur in Hessen um 1800. Frankfurt/M. 1998. Vgl. Helmut Kreuzer, Gefahrliche Lesesucht? Bemerkungen zu politischer Lektürekritik im ausgehenden 18. Jahrhundert, in: Colloquium der Arbeitsstelle Achtzehntes Jahrhundert Gesamthochschule Wuppertal (Hg.), Leser und Lesen im 18. Jahrhundert. Heidelberg 1977, S. 62-75. Der Anteil der lesenden Bevölkerung in Deutschland war im 18. Jahrhundert allerdings noch sehr gering. Um die Jahrhundertwende lebten etwa 90 Prozent der Bevölkerung auf dem Land. Die Bildungssituation und Sozialstruktur der Einwohnerschaft lassen um 1800 kaum mehr als zehn Prozent Leserinnen und Leser unter der erwachsenen Bevölkerung vermuten. Trotz dieser für die Verbreitung von Literatur schwierigen Ausgangssituation nahm in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Anteil der lesenden Bevölkerung deutlich zu. Bücher drangen in Landstriche vor, wo sie bisher keinen Zugang gefunden hatten. Sie verbreiteten sich in Ständen und Schichten der Bevölkerung, deren Interesse bislang auf das Lesen von religiösen Schriften beschränkt war. Es war nicht nur eine zunehmende Verbreitung der Lektüre festzustellen, auch das individuelle Leseverhalten änderte sich gravierend. Leserin und Leser wandten sich von der christlich-moralischen Hausbibliothek ab, es bildete sich ein individueller Lesegeschmack heraus. Das Buch diente nicht mehr dem Memorieren bekannter Sachverhalte, sondern der Ergänzung und Erweiterung des geistigen Horizonts. Im Verlaufe des 18. Jahrhunderts verbesserten sich zwar die allgemeinen Lebensbedingungen und die Einkommensverhältnisse des handel- und gewerbetreibenden Bürgertums, dennoch: Bücher waren teuer und privater Buchbesitz bildete eher die Ausnahme. 1999 legten Hans Erich Bödeker und Emst Hinrichs in ihrem Sammelband Alphabetisierung und Literalisierung in Deutschland in der Frühen Neuzeit die Ergebnisse des in Braunschweig, Göttingen und Oldenburg angesiedelten Forschungsprojekts „Alphabetisierung" (1993-1997) vor. Die Forschungsgruppe bemühte sich mittels regionaler Fallstudien um die Erarbeitung von quantitativen Ergebnissen zum Umfang der Alphabetisierung im Alten Reich. Eine wichtige Grundlage der Bearbeitung war das französische Heiratsregister „etat civil" mit den Unterschriftenlisten, das in den von Napoleon besetzten Gebieten zwischen 1806 und 1815 eingeführt wurde. Analog zu den westeuropäischen Ländern galt die Signierfähigkeit als wichtiger Maßstab der Alphabetisierung eines Territoriums. Neben dem „etat civil" wurden auch literarische Quellen und Zeugnisse privater Schriftlichkeit untersucht. Insofern handelt es sich nicht um eine rein

Weibliche Geselligkeit und literarische

Konspiration

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gegen die Romanliteratur, überschwemmten den literarischen Markt. In der leidenschaftlich geführten Debatte um die „Lesesucht" galt die lesepädagogische Aufmerksamkeit hauptsächlich dem weiblichen Leser. Federführend war hier der Berner Schriftsteller und Buchhändler Johann Georg Heinzmann, der mehrere Anthologien und Anleitungen zur Förderung weiblicher Bildung verfaßte. 6 Während die Lesesuchtdebatte ihren eigentlichen Höhepunkt erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erreichte, bemühten sich seit den 1730er/1740er Jahren die moralischen Wochenschriften, lesefähige und literaturinteressierte Frauen vor allem aus dem Bürgertum und dem ländlichen Adel in der Wahl ihrer Lektüre anzuleiten und zu beraten.7 Dieser Zeitschriftentyp forderte direkt und indirekt die weibliche Leseerziehung. Ein Beispiel für die direkte Lesepädagogik waren die „Frauenzimmerbibliotheken", die in verschiedenen moralischen Wochenschriften als eine Art „Modellbibliothek" für Leserinnen zusammengestellt wurden. Das weibliche Lesepublikum galt als wichtiger Adressat der moralischen Wochenschriften. Die Abonnentinnen wurden von den Herausgebern um eigene Beiträge gebeten und zur aktiven Mitarbeit aufgefordert. Ein wesentliches Verdienst dieses Zeitschriftentyps war, daß dadurch bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts literarisch produktiven Frauen der Weg in die literarische Öffentlichkeit geebnet wurde.8 Doch

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quantitative Alphabetisierungsforschung. Reinhart Siegert kommt in seinem Beitrag zu dem Ergebnis, daß sich in Deutschland im 18. Jahrhundert die „res publica litteraria" mit Ausnahme von Ostelbien und dem Alpenrand flächendeckend ausgeweitet hatte. Vor allem in den norddeutschen Regionen war die Alphabetisierung fortgeschritten. Vgl. Hans Erich Bödek e r / E r n s t Hinrichs, Einleitung, in: dies. (Hg.), Alphabetisierung und Literalisierung in Deutschland in der Frühen Neuzeit. Tübingen 1999, S. 3 - 7 sowie Reinhart Siegert, Zur Alphabetisierung in den deutschen Regionen am Ende des 18. Jahrhunderts. Methodische Überlegungen und inhaltliche Bausteine aus Quellenmaterial der Volksaufklärung, in: ebd., S. 2 8 3 307. Vgl. auch Rolf Engelsing, Analphabetentum und Lektüre. Zur Sozialgeschichte des Lesens in Deutschland zwischen feudaler und industrieller Gesellschaft. Stuttgart 1973; ders., Der Bürger als Leser. Lesergeschichte in Deutschland 1500-1800. Stuttgart 1974; Alphabetisierung und Lesefähigkeit in Frankreich und Deutschland um 1800, in: Helmut Berding / Etienne F r a n c i s / Hans-Peter Ulimann (Hg.), Deutschland und Frankreich im Zeitalter der Französischen Revolution. Frankfurt/M. 1989, S. 407-425. Johann Georg Heinzmanns Hauptwerk war die Abrechnung mit dem zeitgenössischen Buchmarkt, die unter dem Titel erschien: Über die Pest der deutschen Literatur. Appell an meine Nation über Aufklärung und Aufklärer; über Gelehrsamkeit und Schriftsteller; über BücherManufakturen, Rezensenten, Buchhändler; über moderne Philosophen und Menschenerzieher; auch über mancherlei Anderes, was Freiheit und Menschenrechte betrifft. Bern 1795. Vgl. Gerhard Sauder, Gefahren empfindsamer Vollkommenheit für Leserinnen und die Furcht vor Romanen in einer Damenbibliothek, in: Lesen und Leser im 18. Jahrhundert, (wie Anm. 5), S. 8 3 - 9 1 , 1 4 8 - 1 5 2 , hierS. 83. Wolfgang Martens, Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften. Stuttgart 1968 sowie ders., Leserezepte fürs Frauenzimmer. Die Frauenzimmerbibliotheken der deutschen Moralischen Wochenschriften, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 15 (1975), S. 1143-1200. Vgl. Helga Brandes, Das Frauenzimmer-Journal: Zur Herausbildung einer journalistischen Gattung im 18. Jahrhundert, in: Gisela Brinker-Gabler (Hg.), Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 1. Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. München 1988, S. 452-554, hier S. 454.

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Christine Haug

nicht nur diese von männlichen Ratgebern erstellten Leselisten informierten die weibliche Leserschaft über lesenswerte Literatur. Viele Leserinnen erhielten Lektüretips von ihren Ehemännern, Verwandten und Freunden. Lektüreempfehlungen und Leseerfahrungen wurden außerdem in Briefwechseln ausgetauscht.9 Doch so lange Frauen auf Buchempfehlungen und Anregungen angewiesen waren, so konstatiert Ursula Becher zu Recht, waren sie auch Verboten und Einschränkungen ausgesetzt.10 Die Frau war auf ihre geschlechterspezifischen Wirkungsbereiche Haushalt und Kindererziehung festgelegt. Dies bedingte gleichzeitig ihren Ausschluß aus dem öffentlichen literarischen Leben und die Vorenthaltung geistiger Bildungsmöglichkeiten. Dieser beschränkte Zugriff auf Bildung wurde erst im Zeitalter der Aufklärung zur Disposition gestellt. Ein Hauptanliegen der Aufklärungsepoche war das Bestreben, Wissenschaften nutzbar zu machen und auszubreiten. Die Romanlektüre legitimierte sich nur durch die Vermittlung nützlicher Kenntnisse und moralischer Besserung.11 Lesen diente nicht dem Vergnügen und Zeitvertreib, sondern der Belehrung und Erbauung. Die Aufklärer forderten eine weibliche Ausbildung in diesem Sinne. Die These, daß Frauen zu den schönen und nützlichen Wissenschaften befähigt werden müßten, fand in den moralischen Wochenschriften breite Zustimmung. Da Frauen aber keine Gelehrten werden sollten, wurde von der Beschäftigung mit den „höheren" Wissenschaften abgeraten. Schwierige, abstrakte Untersuchungen sollten ihnen deshalb ebenso vorenthalten bleiben wie z.B. lateinischsprachige Abhandlungen. Der speziell für Frauen entwickelte Lektürekanon diente der Erweiterung ihres Wissenshorizonts und sollte bei der Orientierung über Gott und Welt hilfreich sein.12 Frauen, die Arbeit und Lektüre zu verbinden wußten, genossen eine größere gesellschaftliche Akzeptanz und unterschieden sich von der müßiggehenden Romanleserin.13 Lesen wurde für Frauen ein sittliches und gesellschaftliches Erfordernis. Gewarnt wurde vor Frauen, die wegen ihrer unkontrollierten „Vielleserei" ihren Haushalt vernachlässigten.14 Die Bildung der Frau durfte ihrer „Funktion" als Gattin, Hausfrau und Mutter nicht abträglich sein. Aber sie konnte ihr Wissen an die Kinder und an das Dienstpersonal weitergeben und ihrem Mann eine belesene und kluge Gesprächspartnerin sein. Diese Funktion füllte die Frau innerhalb der Familie aus.15 Eine aktive Betätigung in der literarischen Öffentlichkeit blieb ihr deshalb vorerst ver-

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Vgl. Ursula A. J. Becher, Lektürepräferenzen und Lesepraktiken von Frauen im 18. Jahrhundert, in: Außdärung 6 (1991), S. 27-42, hier S. 33-35. Ebd., S. 34. Vgl. Erich Schön, Weibliches Lesen: Romanleserinnen im späten 18. Jahrhundert, in: Helga Gallas / Magdalena Heuser (Hg.), Untersuchungen zum Roman von Frauen um 1800. Tübingen 1990, S. 20-40, hierS. 29. Martens, Botschaft der Tugend, (wie Anm. 7), S. 526-527. Vgl. Schön, (wie Anm. 11), S. 29. Martens, Botschaft der Tugend, (wie Anm. 7), S. 537-542; vgl. auch Schön, (wie Anm. 11), S. 29. Martens, Leserezepte fürs Frauenzimmer, (wie Anm. 7), Sp. 1154.

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wehrt. Dies änderte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als sich sozial höherstehende Frauen aus aristokratischen und akademischen Kreisen vermehrt in Leseorganisationen etablierten und sich zunehmend zu einer lukrativen Zielgruppe für die Buchhändler entwickelten. Seit den 1770er Jahren war die von den moralischen Wochenschriften propagierte Lesepropädeutik von der realen Lektürepraxis überholt worden.16 Die Frauen hatten sich zunehmend von der von Männern dominierten Lesebelehrung emanzipiert und sich als autarke Leserinnen, Autorinnen, Journalistinnen und Redakteurinnen einen festen Platz in der literarischen Öffentlichkeit erworben.17 Viele Romanautorinnen hatten vor der Veröffentlichung ihrer Erstlingswerke in Zeitschriften publiziert, z.B. Sophie La Roche oder Sophie Mereau, und auf diesem Weg schriftstellerische Erfahrungen gesammelt.18 Die weibliche bürgerliche oder adelige Leserschaft verfügte gewöhnlich über die notwendigen finanziellen Mittel für die private Bücheranschaffung oder für die regelmäßige Nutzung von Leihbibliotheken sowie über ausreichend Zeit für die Lektüre.19 Die Lesezeiten wurden in den Tagesablauf integriert. Die Lektüre versprach eine Horizonterweiterung, die über den begrenzten häuslichen Rahmen hinausging: „Die Lektüre anspruchsvoller Bücher verbindet sie mit der Welt, die für sie, die sie aufs Haus, auf die private Innenwelt verwiesen sind, Außenwelt, Öffentlichkeit darstellt".20 In jüngster Zeit erschienen wichtige Arbeiten, die nachgewiesen haben, daß Frauen in der literarischen Öffentlichkeit des 18. Jahrhunderts präsent waren und am Diskurs über die Ordnung der Geschlechter aktiv mitschrieben.21 Das Augenmerk der Studien richtete sich hauptsächlich auf die literarisch produktiven Frauen, ihre Schreibbedingungen, ihre literarischen Projekte und deren Rezeption.22 Die schreibenden Frauen traten in die Öffentlichkeit und standen damit im Widerspruch zu der propagierten „häuslichen Bestimmung" der Frau.23 Ulrike Weckel leuchtet in ihrer fulminanten Studie das Wirkungsfeld von Frauen zwischen

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Vgl. Schön, (wie Anm. 11), S. 29. Vgl. auch Helga Brandes, Der Frauenroman und die literarisch-publizistische Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert, in: Gallas / Heuser, (wie Anm. 11), S. 41-51, hier S. 43. Ebd., S. 45. Vgl. Becher, (wie Anm. 9), S. 29, 37 sowie Ulrike Weckel, Zwischen Häuslichkeit und Öffentlichkeit. Die ersten deutschen Frauenzeitschriften im späten 18. Jahrhundert und ihr Publikum. Tübingen 1998 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 61), S. 25. Becher, (wie Anm. 9), S. 37; vgl. auch Schön, (wie Anm. 11), S. 27. Weckel, (wie Anm. 19), S. 13. Vgl. auch Brandes, (wie Anm. 8) sowie Brandes, (wie Anm. 17). Z.B. Gudrun Loster-Schneider, Sophie La Roche. Paradoxien weiblichen Schreibens im 18. Jahrhundert. Tübingen 1995; vgl. aber auch den Beitrag von Ursula Geitner, Vom Trieb, eine öffentliche Person zu sein. Weiblichkeit und Öffentlichkeit um 1800, in: Hans-Wolf Jäger, (Hg.), „Öffentlichkeit" im 18. Jahrhundert. Göttingen 1997 (Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa 4), S. 77-90. Geitner verfolgt die Fragestellung am Beispiel von Schauspielerinnen. Weckel, (wie Anm. 19), S. 13.

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„Häuslichkeit" und „Öffentlichkeit" aus; sie untersucht die Rolle der Frau als Zeitschriftenherausgeberin, die Produktions- und Vertriebsbedingungen von Frauenzeitschriften und ihre Rezeption. 24 Frauen waren in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine wichtige Zielgruppe vor allem für Presseunternehmen. Seit den sechziger Jahren wurden vermehrt Zeitschriften herausgegeben, die Frauen als Adressaten im Titel führten. In einem Zeitraum von 1720 bis 1800 erschienen 115 Frauenzeitschriften; 14 davon wurden von Frauen verfaßt. 25 Ulrike Weckel konstatiert eine kurze Phase des Frauenjournalismus zwischen 1779 und 1796.26 1779 kamen die ersten Journale von Frauen für Frauen auf den Markt, z.B. Für Hamburgs Töchter (1779) von Ernestine Hofmann, das Wochenblatt für's Schöne Geschlecht (1779) von Charlotte Henriette Hezel sowie die Papiere einiger Freunde (1780-1783) von Dorothea Lilien. 27 Sophie La Roches' Pomona für Teutschlands Töchter (1783/1784) und Marianne Ehrmanns Amaliens Erholungsstunden (17901792) erlebten einen großen Erfolg. Die durchschnittliche Auflagenhöhe lag bei 1 000 Exemplaren. 28 Der Hauptanteil der Frauenjournale wurde jedoch von Männern gegründet und redaktionell betreut; diese Presseprojekte boten den literarisch produktiven Frauen dennoch ein wichtiges Forum, in dem sie ihre eigenen schriftstellerischen Produkte publizieren und dadurch am literarischen Markt teilhaben konnten. 29 Der Kontakt zwischen lesenden Frauen intensivierte sich durch diese Zeitschriftenprojekte. So richtete z.B. Sophie La Roche in ihrer Zeitschrift Pomona für Teutschlands Töchter eine Rubrik Briefe und Antworten ein, um einen engeren Kontakt zwischen Redaktion und Abonnentinnen herzustellen. 30 Blieben Frauen aus den Aufklärungssozietäten, vor allem aus den Freimaurerlogen, gewöhnlich per Statut ausgeschlossen, 31 war es für das weibliche Geschlecht im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts durchaus möglich, Aufnahme in eine von Buchhändlern kommerziell organisierte oder private Leseeinrichtung zu finden. Analog zu den Männern vorbehaltenden Lesegesellschaften wurden in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts vermehrt Damengesellschaften gegründet. Ein Artikel in der Deutschen Zeitung ermutigte 1785 die Frauen sogar, eigene Lesegesellschaften einzurichten. 32 Entweder organisierten sie sich als Familienangehörige in gemischtgeschlechtlichen Einrichtungen, z.B. als Ehefrauen von männlichen Teilnehmern, oder sie wurden Mitglied in den Damenlesegesellschaften. Leseeinrichtungen für Frauen sind in Speyer (1782, Lesegesellschaft für 24 25 26 27 28 29 30 31 32

Ebd., S. 12f. Zur problematischen Begriffsklärung „Frauenjournal" und „Frauenzeitschrift" vgl. ebd., S. 26. Ebd., S. 198. Brandes (wie Anm. 8), S. 452. Vgl. Brandes, (wie Anm. 17), S. 47. Vgl. Weckel, (wie Anm. 19), S. 27. Vgl. Brandes, (wie Anm. 8), S. 457. Über Ausnahmen berichtet Zaunstöck, (wie Anm. 1), S. 189f. Deutsche Zeitung für die Jugend und ihre Freunde oder Moralische Schilderungen der Menschen, Sitten und Staaten unserer Zeit, 1 (1785), S. 5.

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Töchter), in Leipzig (1784), auf Rügen (1789), in Greiz (1790), in Aulich (1792) und in Nürnberg (1800) nachgewiesen. 33 Gemein war vielen dieser Einrichtungen, daß sie zwar ausschließlich dem weiblichen Geschlecht zur Verfugung standen, bei den Initiatoren und Organisatoren dieser Unternehmungen es sich aber um Männer handelte.34 Neben diesen Damengesellschaften mehrten sich auch die gemischtgeschlechtlichen Institutionen z.B. in Hadersleben (1787), Kassel (1789), Oldenburg (1797) und Dresden (1798). Auf dem Hintergrund dieser fortschrittlichen Entwicklungen überrascht der innovative Schritt Henriette Hezels nicht, im Verbund mit dem Buchhändler Justus Friedrich Krieger in Gießen eine reine Frauenlesegesellschafit zu gründen, in der Männer per Statut ausgeschlossen blieben.

3. Aufklärung in der Provinz - formelle und informelle Geselligkeit im Umfeld der radikaldemokratischen Geheimgesellschaft Deutsche Union Karl Friedrich Bahrdt fällte über seine kurzzeitige Wirkungsstätte - er hatte von 1771 bis 1775 an der Universität Gießen eine Professur für Theologie inne - ein vernichtendes Urteil. Die oberhessische Universitätsstadt schien ihm klein und schmutzig, „die Misthaufen liegen vor den Häusern" und der „Mangel einer freien Circulation der Luft" verursachte „viel Gestank und ungesunde Düfte". 35 Doch die kleine Provinzstadt war trotz ihrer räumlichen Begrenztheit ein ideales Pflaster für ideenreiche Verleger, Buchhändler und Leihbibliothekare. Die Universität war ein wichtiger Auftraggeber des lokalen Verlagsbuchhandels. Bahrdts abwertenden Äußerungen stand ein reges und vielfaltiges literarisches Leben gegenüber, das sich in den achtziger und neunziger Jahren in zahlreichen Leseinstituten, wissenschaftlichen und literarischen Gesellschaften organisierte. Ein Spezifikum der hessischen Region waren die politischen Aktivitäten der von Karl Friedrich Bahrdt gegründeten Geheimgesellschaft Deutsche Union, die Impulsgeber für die Gründung von verschiedenen literarischen Sozietäten in Gießen und Marburg war. Im Mittelpunkt dieses geheimbündischen Wirkens stand das hessische Buch- und Verlagsunternehmen Krieger (1725-1825). Für das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts war für den mittelhessischen Raum 36 eine merkliche Belebung des literarischen Markts zu konstatieren. Die Zahl der 33

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Vgl. Marlies Prüsener, Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Lesergeschichte, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 13 (1973), Sp. 370-594, hier Anhang, Sp. 532-582. Z.B. in die Lesegesellschaften in Greitz und Rügen. Vgl. Reichs-Anzeiger 1 (1793), Nr. 91, S. 739; Intelligenzblatt der allgemeinen Literatur-Zeitung, Nr. 38 vom 18. März 1789, S. 298. Zit. n. Gießen 1248-1948. 700 Jahre Gießen in Wort und Bild. Gießen 1948, S. 136. Vgl. zur geographischen Begrenzung des mittelhessischen Raums Peter Moraw, Die Mitte Hessens vom 17. zum 20. Jahrhundert. Aus der politischen, Sozial- und Bildungsgeschichte,

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Verlagsorte und Buchhandlungen nahm zu. Um die Jahrhundertwende standen den ca. 5 000 Einwohnern der Stadt Gießen drei Sortimentsbuchhandlungen und Verlage, zwei Leihbüchereien und mehrere Lesegesellschaften sowie diverse wissenschaftliche Vereine zur Verfügung. Die recht gute literarische Versorgung der Stadt war hauptsächlich das Verdienst des renommierten, von Johann Philipp Krieger (1693-1775) im Jahr 1725 gegründeten Verlags- und Buchunternehmens Krieger. Der Firmengründer leitete das Geschäft bis zu seinem Tod im Jahr 1775. Anschließend übernahmen seine beiden Söhne Justus Friedrich Krieger (17441790) und Johann Christian Konrad Krieger (1746-1825), beide gelernte Buchhändler, das angesehene Unternehmen. Als J. F. Krieger 1790 starb, erbte der jüngere Bruder das Familiengeschäft. Er konzentrierte sich auf die kontinuierliche Expansion des Unternehmens. Es gelang ihm innerhalb von nur 50 Jahren, zahlreiche rentable Sortimentsbuchhandlungen, Verlage, Druckereien sowie Leih- und Lesebibliotheken, Journal- und Umlaufgesellschaften in Gießen, Marburg, Herborn, Dillenburg und Kassel einzurichten. Seinen Wirkungsbereich erweiterte das ambitionierte Buch- und Verlagsunternehmen durch die Unterhaltung von wichtigen Geschäftskontakten mit dem amerikanischen Buchhandel in Philadelphia. Mit seinen zahlreichen Zeitschriftenprojekten erwarb sich Krieger ein weit über die hessischen Grenzen hinausreichendes Renommee und internationale Akzeptanz als Wissenschaftsverleger. 37 In den 1790er Jahren erlebte die kleine Provinzstadt Gießen durch das Engagement von drei aktiven Verlagsbuchhändlern und Leihbibliothekaren einen erstaunlichen literarischen Aufschwung. 38 Neben J. F. Krieger etablierten sich der Buchhändler Georg Friedrich Heyer und Heinrich Gottfried Stamm mit Verlag und Buchhandlungen, Lesegesellschaften und Leihbüchereien in der Universitätsstadt. J. C. K. Krieger führte nach dem Tod seines Bruders, der sich 1790 das Leben genommen hatte, dessen Niederlassung mit Hilfe eines Geschäftsführers weiter. Der Sitz der Hauptniederlassung verblieb in Marburg. Handelte es sich bei den literarischen Einrichtungen Georg Friedrich Heyers und Heinrich Gottfried Stamms um kommerzielle Unternehmungen, spielten in den beiden Universitätsstädten Gießen und Marburg, mehr als für andere Regionen Deutschlands, die nicht kommerziell intendierten literarischen Gesellschaften eine wichtige Rolle.

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in: Gerhard R. Kaiser / Gerhard Kurz (Hg.), Literarisches Leben in Oberhessen. Gießen 1993 (Gießener Diskurse 11), S. 9-32. Vgl. Christine Haug, Wissenschaftliche Literaturkritik und Aufklärungsvermittlung in Hessen um 1800. Die Zeitschriftenprojekte des Verlagsunternehmens Johann Christian Konrad Kriegers, in: Astrid Blome (Hg.), Zeitung, Zeitschrift, Intelligenzblatt und Kalender. Beiträge zur historischen Presseforschung. Bremen 2000, S. 35-66. Vgl. auch Christine Haug, „Die Liebe zum Lesen verbreitet sich überhaupt in unserer Gegend" - Formelle und informelle Formen von literarischer Geselligkeit in der Universitätsstadt Gießen zur Zeit der Französischen Revolution, in: Hans Erich Bödeker / Peter Albrecht / Emst Hinrichs, (Hg.), Formen der Geselligkeit in Nordwestdeutschland 1750-1820. Tübingen (im Druck).

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Federführend in der Unterhaltung von informellen Kommunikationszentren war für beide Städte das Unternehmen Krieger. Das literarisch-gesellige Leben in Mittelhessen war von einer außerordentlich starken Präsenz der radikaldemokratischen Geheimgesellschaft Deutsche Union geprägt. 39 Der hohe Organisationsgrad in der Deutschen Union unter den hessischen Universitätsangehörigen und in akademischen Kreisen, der seine hauptsächliche Ursache in dem bemerkenswerten Engagement der beiden Buchhändler Krieger fur das radikalaufklärerische Programm, für das die Deutsche Union stand, hatte, beeinflußte das literarische Leben in Mittelhessen im Vorfeld der Französischen Revolution nachhaltig. 40 Gehörte J. F. Krieger zum aktiven Sympathisantenkreis der Deutschen Union, bewarb sich der jüngere Bruder um eine ordentliche Mitgliedschaft. 41 Er unterstützte die Ziele der Geheimgesellschaft durch die Gründung von diversen literarischen Gesellschaften und Instituten, die als informelle Kommunikationsstätten der hessischen Mitglieder dienten und eine rege Distribution auch von verbotenen Schriften gewährleisteten. 42 Krieger gründete in Marburg zwei Lesegesellschaften, das Akademische Lese-Institut (1791) sowie das Physisch-Medicinische Lese-Institut (1792-1806) und schuf mit diesen beiden auf kommerzieller Basis betriebenen Institutionen zwei wichtige kulturelle Zentren. 43 Hier trafen sich die Mitglieder der Deutschen Union, politisch progressive Universitätsangehörige, Studenten und Regierungsbeamte, regelmäßig zum wissenschaftlichen wie auch tagespolitischen Gedankenaustausch. Die medizinische Fachlesegesellschaft leitete Krieger gemeinsam mit dem Arzt und Professor für Medizin an der Universität Marburg Ernst Gottfried Baldinger. Baldinger war Unionsmitglied, aktiver Werber von neuen Unionsmitgliedern, und er verfugte über ein europaweites Korrespondenznetz. In dieser 39

Die Bedeutung, Zielsetzung sowie die Organisations- und Mitgliederstrukturen der Deutschen Union wurde in den zurückliegenden Jahren beinahe erschöpfend von Günter Mühlpfordt aufgearbeitet. Vgl. u.a. Günter Mühlpfordt, Europarepublik im Duodezformat. Die internationale Geheimgesellschaft „Union" - ein radikalaufklärerischer Bund der Intelligenz (1786-1796), in Helmut Reinalter (Hg.), Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa. Frankfurt/M. 1986, S. 319-364; ders., Lesegesellschaften und bürgerliche Umgestaltung. Ein Organisationsversuch des deutschen Aufklärers Bahrdt vor der Französischen Revolution, in: Zeitschrift fur Geschichtswissenschaft 28 (1980), S. 730-751; vgl. auch Gerhard Sauder/Christoph Weiß (Hg.), Carl Friedrich Bahrdt (1740-1792). St. Ingbert 1992 (Saarbrücker Beiträge zur Literaturwissenschaft 34).

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Vgl. Christine Haug, Geheimbündische Organisationsstrukturen und subversive Distributionssysteme zur Zeit der Französischen Revolution. Die Mitgliedschaft des hessischen Buchhändlers Johann Christian Konrad Krieger in der Deutschen Union, in: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 7 (1997), S. 51-74. Vgl. Haug, (wie Anm. 4), S. 143-150. Vgl. Christine Haug, „Schlimme Bücher, so im Verborgenen herumgehn, thun mehr schaden, als die im öffentlichen Laden liegen [...]". Literarische Konspiration und Geheimliteratur in Deutschland zur Zeit der Aufklärung, in: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 2003 (im Druck). Vgl. Haug, (wie Anm. 4), S. 80-83; vgl. auch Thomas Sirges, Lesen in Marburg 1758-1848. Eine Studie zur Bedeutung von Lesegesellschaften und Leihbibliotheken. Marburg 1991 (Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur 37), hier S. 106-123.

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Eigenschaft führte er den Kriegerschen Leseeinrichtungen Neumitglieder zu. Das literarisch-gesellige Leben in Marburg erlebte seit den neunziger Jahren durch die konstruktive Zusammenarbeit von engagierten Aufklärern, Unionsmitgliedern und dem politisch ambitionierten Buchhändler Krieger einen bedeutenden Aufschwung. Durch Mehrfach- und Doppelmitgliedschaften in geheimen wie auch öffentlichen Gesellschaften entstand ein engmaschiges Kommunikationsnetz in der mittelhessischen Region. So entwickelte sich z.B. im nur wenige Kilometer von Gießen entfernten Herborn ein wichtiger Stützpunkt der Deutschen Union,44 Die Kleinstadt Dillenburg in der Nähe Herborns war Wirkungsstätte des Radikalaufklärers und Parteigängers Bahrdts Karl von Knoblauch, der in regem, freundschaftlichem Gedankenaustausch mit dem Gießener Kreis um Johann Friedrich Wilhelm Hezel und August Wilhelm Crome stand. 45 Die für die Entfaltung einer Lesekultur so günstige Kooperation zwischen den Mitgliedern der Geheimgesellschaft und den kommerziellen Betreibern von Lesegesellschaften schuf im mittelhessischen Raum eine wichtige Voraussetzung für die Projektierung von innovativen und der Radikalaufklärung verpflichteten Lesekonzepten. Die radikaldemokratische Geheimgesellschaft Bahrdts war der erste Leserverband, der ausdrücklich Leserinnen zur Mitgliedschaft einlud. Das ideologische Programm der Bahrdt'sehen Leseorganisation nahm eine Gegenposition zur allgemein deklarierten „Lesesucht" ein. Die Erstellung frauenspezifischer Lektürekanons durch männliche Pädagogen und Aufklärer sollte allmählich durch weibliche Lesekonzepte und Literatureinrichtungen abgelöst werden. Die Leserin entschied jetzt selbst über ihre Lektürepräferenzen. Dieser politisch progressive, emanzipatorische Ansatz war der gemeinsame Nenner des Hezel'schen und Bahrdt'schen Leseprogramms. Das Gießener Frauenlesegesellschaft wurde zu einem Zeitpunkt in Angriff genommen, wo die Einflußnahme der radikaldemokratischen Korrespondenzgesellschaft ihren Wirkungshöhepunkt erlebte. 46 Die Idee zur Gründung einer Frauenlesegesellschaft in Gießen und die Förderung einer weiblichen aufklärerischen Geselligkeitsform verstanden sich als konsequente Fortsetzung und Umsetzung des radikalaufklärerischen Programms Karl Friedrich Bahrdts auch nach dessen Enttarnung und Tod im Jahr 1792.

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Vgl. hierzu Hans Haering, Die Spätzeit der Hohen Schule zu Herborn (1742-1817). Zwischen Orthodoxie und Aufklärung. Frankfurt/M. 1994 (Europäische Hochschulschriften, Reihe HI: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 615). Vgl. Rolf Haaser, Spätaufklärung und Gegenaufklärung. Bedingungen und Auswirkungen der religiösen, politischen und ästhetischen Streitkultur in Gießen zwischen 1770 und 1830. Darmstadt / Marburg 1997 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 114), S. 5 1 57. Vgl. Haug, (wie Anm. 4), S. 72 sowie Günter Mühlpfordt, Radikale Aufklärung und nationale Leserorganisation. Die Deutsche Union von Karl Friedrich Bahrdt, in: Otto Dann (Hg.), Lesegesellschaften und bürgerliche Emanzipation. Ein europäischer Vergleich. München 1981, S. 103-122.

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4. Das Projekt zur Gründung einer Frauenlesegesellschaft in Gießen 1789/1790 Obligatorisch ausgeschlossen aus den bestehenden Lesegesellschaften auch in Gießen und Marburg blieb die weibliche Bevölkerung, ein Zustand, der 1789 in der Universitätsstadt zu einer bemerkenswerten Initiative führte, nämlich zur Projektierung eines ausschließlich von Frauen geleiteten und weiblichen Mitgliedern vorbehaltenen Lesezirkels. 47 Die von den gelehrten Ehefrauen von Gießener Universitätsprofessoren getragene Projektidee, federführend war Henriette Charlotte Hezel, zielte auf eine reine Frauengemeinschaft, die analog zu den Aufnahmebedingungen der von Männern dominierten Lesegesellschaften das männliche Geschlecht per Statut ausschloß. Die Gießener Frauen kooperierten mit dem Verleger und Buchhändler Justus Friedrich Krieger, der aber lediglich die logistischen Voraussetzungen, u.a. die Räumlichkeiten und den Bücher- und Zeitschriftenbestand, zur Verfügung stellte. Über die Mitgliederaufnahme und die inhaltliche Zusammensetzung der Bibliothek entschieden ausschließlich die Teilnehmerinnen. Im Verzeichniß neuer Bücher welche in den Frankfurter und Leipziger Herbstmessen 1789 herausgekommen informierte J. F. Krieger die Gießener Öffentlichkeit über das Vorhaben: Wissenschaften auszubreiten ist immer lobenswürdig und erlaubt, wann es sich auf das Moralische gründet. - Einen neuen Versuch unseres aufgeklärten Jahrhunderts legt an Tag, Friedrich Krieger der ältere in Gießen, welcher gesonnen ist eine für das Schöne Geschlecht bestirnte wöchentliche gelehrte Zusammenkunft anzustellen, und zwar 1) soll die Zusammenkunft alle Freitag drei Uhr in der Woche bestirnt seyn. 2) Bios Zusammenkunft des Schönen Geschlechts, wo kein Hauch männlicher Nation das Zimmer berühren soll. 3) Angenehme Lektüre von berühmten Schriftstellerinnen wird der Hauptgegenstand sein. 4) Weiblich soll auch die Bedienung sein, von einem jungen Mädchen in moderner Kleidung. 5) Vorschuß halbjährlich für das Entrees ist mit 1 Rthl. bestirnt, Liebhaberinnen so diesem Institut beizutreten gesonnen sind, unterschreiben sich gefälligst; sodann werden resp. Frauenzimmer alphabetisch rubricirt, damit der Rangstreit vermieden wird. 48

Die geplante inhaltliche Zusammensetzung der Frauenlesegesellschaft kann nicht mehr rekonstruiert werden. Über die Ankündigung hinaus existieren keine Informationen. Bemerkenswert war das Vorhaben der Organisatorin, bevorzugt die Werke von Schriftstellerinnen anzuschaffen. Die potentiellen Mitglieder des Damenzirkels rekrutierten sich aus der adeligen und kaufmännischen Oberschicht sowie den Gelehrtenkreisen der Universitätsstadt. Der halbjährliche Mitgliedsbeitrag in Höhe von einem Reichstaler war relativ gering und lag deutlich unter den Kosten eines Jahresabonnements in anderen Leseeinrichtungen Kriegers 49 Wie das

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Vgl. Haug, (wie Anm. 4), S. 64-74. [Krieger], (wie Anm. 3), S. 46-47; vgl. auch Haug, (wie Anm. 4), S. 71. Das Jahresabonnement im Akademischen Lese-Institut im benachbarten Marburg kostete z.B. fünf Reichstaler. Vgl. Haug, (wie Anm. 4), S. 80.

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von Männern dominierte Pendant war das Aufnahmeverfahren in der weiblichen Leseeinrichtung demokratischen Strukturen verpflichtet; die Aufnahme erfolgte nach Alphabet, nicht nach sozialem Rang. Treibende Kraft des Unternehmens war die Gießener Bürgerin Henriette Charlotte Hezel, die sich seit 1786 mit ihrem Ehemann Johann Friedrich Wilhelm Hezel nach dessen Berufung an den Lehrstuhl fur orientalische und biblische Literatur in der Universitätsstadt niederließ. Henriette Hezel hatte sich in der literarischen Öffentlichkeit bereits durch die Herausgabe des Wochenblatts für's Schöne Geschlecht (1779) einen Namen gemacht und galt als literarisch und politisch ambitionierte Schriftstellerin und Redakteurin.50 Hezel motivierte ihre Geschlechtsgenossinnen, in der literarischen Öffentlichkeit aktiv zu werden, und kritisierte die tradierten Vorbehalte gegenüber weiblicher Gelehrsamkeit.51 Sie unterstrich den intellektuellen Anspruch ihres Journals durch die Konzentration auf Sachthemen; belletristische Unterhaltung spielte im Wochenblatt für's Schöne Geschlecht keine Rolle. Die Abhandlungen unterrichteten die Leserinnen über Themenfelder, die über ihren herkömmlichen Erfahrungsraum hinausreichten. So erschien eine mehrere Folgen umfassende „Frauenzimmer-Diätetik", eine Abhandlung über die modernen Gesichtspunkte von Körperpflege und Hygiene, die Hezels Schwager Ernst Schwab, der als Arzt in Ilmenau praktizierte, beisteuerte. Die Herausgeberin verzichtete auf moralisierende und empfindsame Beiträge zugunsten von biographischen Skizzen bedeutender Frauen und Artikel z.B. über Amazonen und Indianerinnern. Die Herausgeberin bekannte sich zur intellektuellen Betätigung der Frau und ermunterte ihre Leserinnen, sich mit Ereignissen auseinanderzusetzen, die außerhalb ihres häuslichen Erfahrungsraums lagen. Das Wochenblatt versuchte Kenntnisse zu vermitteln, die über die Sphäre des Familienlebens hinaus reichten.52 Unerläßlich für die Herausgabe einer Zeitschrift im Selbstverlag waren das Vorhandensein von entsprechenden finanziellen Mitteln, um Herstellung und Vertrieb vorzufinanzieren, und ein grenzübergreifendes System von Kollekteuren und Förderern des Projekts - beide Voraussetzungen erfüllte Hezel.53 Trotzdem mußte sie den Vertrieb ihrer Zeitschrift, die immerhin 173 Abonnenten und Abonnentinnen54 besaß, acht Monate nach Erscheinen der ersten Nummer wieder beenden, weil sie die Schwierigkeiten des Vertriebs nicht mehr alleine meistern konnte. In

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Hans Henning (Hg.), Wochenblattfiir's Schöne Geschlecht. Leipzig 1967, sowie Weckel, (wie Anm. 19), S. 59-74, sowie Melanie Archangeli, Subscribing to the Enlightment. Charlotte von Hezel Markets „Das Wochenblatt fiir's schöne Geschlecht", in: Book History 2 (1999), S. 9 6 121. Weckel, (wie Anm. 19), S. 68f. Ebd., S. 63-66. Über das Subskribentensystem unterrichtet Archangeli, (wie Anm. 50), 99-107. Archangeli berichtet von insgesamt 130 Subskribenten, davon seien 32 weiblich gewesen. Ebd., S. 107.

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einem letzten Beitrag teilte die Herausgeberin den Leserinnen und Lesern ihren Unmut über die Nürnberger Oberpostdirektion und die durch diese verursachten Verzögerungen bei der Auslieferung mit, die sie zwangen, das vielversprechende Blatt bereits nach nur wenigen Monaten einzustellen.55 Die Herausgabe einer Zeitschrift ermöglichte es Frauen, im Raum jenseits des Privaten und der Familie Erfahrungen zu sammeln; die zunehmende Zahl von Frauenzeitschriften förderte die schriftstellerischen Aktivitäten von Frauen, die zusehends die Hemmschwelle überwanden und mit ihren Arbeiten in die literarische Öffentlichkeit traten. Eine überregionale Vernetzung von Frauenprojekten ist für das ausgehende 18. Jahrhundert nicht zu konstatieren. Z.B. ging Sophie La Roche noch davon aus, die Herausgeberin der ersten Frauenzeitschrift zu sein das Unternehmen von Henriette Hezel war ihr offenbar gar nicht bekannt. Die Realisierung des fortschrittlichen Projekts einer reinen Frauenlesegesellschaft in Gießen scheiterte zuletzt am Selbstmord des Buchhändlers J. F. Krieger im Jahr 1790. Doch die im Verlagsverzeichnis abgedruckte Ankündigung dokumentiert, daß das Projekt nicht nur eine vage Idee war, sondern bereits sehr konkrete Formen angenommen hatte und kurz vor der praktischen Umsetzung stand. Wenige Wochen später wurde die Idee eines weiblichen Literaturforums in Gießen nochmals in kleinerem Rahmen aufgegriffen; beim zweiten Versuch machten sich die Frauen vom lokalen Buchhandel unabhängig. Nach dem Scheitern der Frauenlesegesellschaft lud die Schwester des Kameralisten August Wilhelm Crome, Christiane Crome, die Gießener Bürgerinnen zur kollektiven Lektüre und zum literarischen Erfahrungsaustausch im privaten Rahmen ein.56 Die Organisatorin wählte eine gesellige Rezeptionsform. Die gemeinsame Lektüre forderte das gesellige Moment und das Textverständnis.57 Lesen mit verteilten Rollen war besonders beliebt und wurde von dem Gießener Damenzirkel vermutlich ebenfalls praktiziert.58 Auch bei Christiane Crome ist eine Affinität zur Deutschen Union festzustellen; ihr Bruder war aktives Mitglied der Geheimorganisation. Dem Damenkreis gehörte mit Sicherheit Henriette Hezel an; auch die Gattin des Rechtsgelehrten Johann August Schlettwein zählte vermutlich dazu. Der Literaturkreis las u.a. Gerhard Anton von Haiems Wallenstein und Friedrich Schillers Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Über die gemeinsame Leseerfahrung berichtete Christiane Crome ihrem Brieffreund von Halem: Noch außer meinem besten Dank für Wallenstein, muß ich ihnen sagen, daß er hier überall sein Glück gemacht hat. Die Geschichte des dreißigjährigen Krieges von Schiller hat ihn vie-

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Weckel, (wie Anm. 19), S. 281. Vgl. Haug, (wie Anm. 4), S. 73-74. Vgl. Erich Schön, Der Verlust der Sinnlichkeit oder die Mentalitätswandel um 1800. Stuttgart 1993, hier S. 177-222. Vgl. Becher, (wie Anm. 9), S. 41.

Verwandlungen

des

Lesers.

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len Frauenzimmern bekannt gemacht; u: meine Freundinnen, denen ich ihn mitteilte, danken mit mir dem Verfasser, der uns einige so angenehme Stunden verschaffte. 59

Es war nicht zu ermitteln, wie lange der Damenkreis bestanden hat. 1801 verlor er - sollte er so lange existiert haben - sein prominentestes Mitglied mit Henriette Hezel, die in diesem Jahr gemeinsam mit ihrem Mann Gießen verließ.

5. Das Gießener Frauenprojekt - eine Lesegesellschaft mit überregionaler Ausstrahlung? Abschließend stellt sich die Frage, ob die beiden Formen weiblicher Lesegeselligkeit in Gießen eine marginale Erscheinung waren oder ob sie möglicherweise überregional ausstrahlten und Impulse fur ähnliche Projekte in anderen deutschen Städten lieferten. Die Vermutung einer überregionalen Wirkung drängt sich in zweierlei Hinsicht auf: 1797 gründete Gerhard Anton von Halem in Oldenburg eine Literarische Damen-Gesellschaft, und 1800 veröffentlichte in Nürnberg Christoph Gottlieb von Murr den Plan eines Frauenzimmer-Lesecabinets.60 Die Initiatoren beider Projekte verbanden ihre geistige Nähe zur Deutschen Union und persönliche Beziehungen zu Henriette Hezel und Christiane Crome. Diese Überlegung soll zuerst am Beispiel der Literarischen Damen-Gesellschaft in Oldenburg verdeutlicht werden. Christiane Crome und ihre Mitleserinnen standen in freundschaftlichem Briefkontakt und Gedankenaustausch mit dem Oldenburger Justizrat Gerhard Anton von Halem, dem Mitinitiator der dortigen Damenlesegesellschaft. Intention dieses Zirkels war die Belehrung und Unterhaltung sowie die Förderung weiblicher Bildung. In den Statuten wurde nachdrücklich die Gleichberechtigung der Frauen gefordert, auch wenn dieses Vorhaben in der Praxis eine nur begrenzte Umsetzung erfuhr. Gerhard Anton von Halem war an der Gründung der Damen-Gesellschaft unmittelbar beteiligt. Während er bei der Einrichtung seiner Männerlesegesellschaft 1789 der Aufnahme von Frauen noch sehr kritisch gegenüberstand, überdachte der Jakobinerfreund und Sympathisant der Deutschen Union seinen Standpunkt wenige Jahre später. Ob der Meinungswechsel

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Brief von Christiane Crome an Gerhard Anton von Halem am 24. Juli 1792. Hier zit. n. Haug, (wie Anm. 4), S. 73. Vgl. Helga Brandes, Die „Literarische Damen-Gesellschaft" in Oldenburg zur Zeit der Französischen Revolution, in: Böning, Holger (HgJ, Französische Revolution und deutsche Öffentlichkeit. Wandlungen in Presse und Alltagskultur am Ende des achtzehnten Jahrhunderts. München, u.a. 1992, S. 439—451; Christoph Gottlieb von Murr, Plan eines Frauenzimmer-Lesecabinets. Von einer Liebhaberin nützlicher Leetüre, in: Monatliche historischlitterarische-artistische Anzeigen zur ältern und neuern Geschichte Nürnbergs 4 (1800), S. 57-59, sowie Susanne Schepp, Nürnbergs Lesegesellschaften an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, in: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 2 (1992), S. 109-151, hier S.141.

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möglicherweise durch seinen regen Gedankenaustausch mit den Gießener Frauen herbeigeführt wurde, bleibt Spekulation. Eine wichtige Wechselwirkung zwischen der Programmatik der Radikalaufklärung, wie sie die Deutsche Union vertrat, und der Förderung von weiblichen Leseprojekten darf aber angenommen werden. Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Henriette Hezel und dem Nürnberger Unionsmitglied Christoph Gottlieb von Murr könnten diese Annahme erhärten. Murr bot in seiner Leseeinrichtung den Leserinnen Gesellschaftsräume zum wissenschaftlichen und politischen Disput und forderte die kollektive Leseerfahrung unter gelehrten Frauen. Hezel kannte und schätzte die Arbeiten von Murr und würdigte seine wissenschaftlichen Leistungen bereits in ihrem Wochenblatt für's Schöne Geschlecht. Der Blick auf das persönliche Beziehungsgeflecht zwischen Henriette Hezel und Christoph Gottlieb Murr, zwischen Christiane Crome und Gerhard Anton von Halem und die starke Affinitäten zwischen den Gießener Gelehrten und ihren weiblichen Verwandten zur Deutschen Union erlaubt die Vermutung, daß, ausgehend von der Initiative von 1789, sich eine Realisierung weiblicher Lesekonzeptionen im Sinne der Bahrdt'schen Leseprogrammatik anbahnte. Es ließen sich zu diesem frühen Zeitpunkt noch keine reinen Frauenlesegesellschaften, wie sie Henriette Hezel vorschwebten, verwirklichen, doch sammelten sich politisch gleichgesinnte und literarisch interessierte Frauen in gemischten Gesellschaften und arbeiteten engagiert an der politischen wie auch lesepädagogischen Emanzipation der Frau. So zeigten die Initiativen in Gießen, Oldenburg und Nürnberg, daß die Forderung der Deutschen Union nach weiblichen Lesekonzepten nicht bloße Theorie darstellte, sondern progressive und aufgeklärte Frauen an der Verwirklichung der formulierten Ziele arbeiteten.

KARLHEINZ GERLACH ( B e r l i n )

Die Freimaurer im Alten Preußen: das Beispiel Magdeburg 1760-1806 Die Freimaurerei entstand in Großbritannien in den Jahrzehnten nach der Glorreichen Revolution (1688) als eine gemeinsame Organisation des Bürgertums und des Neuen Adels. Ihre Ideen waren die der Frühaufklärung und der parlamentarischen Monarchie, ihre Form und ihre Bräuche die der alten Steinmetzinnungen, der lodges. Die Freimaurer bekannten sich zu religiöser Toleranz, zur Gleichheit adliger und bürgerlicher Mitglieder und zur Brüderlichkeit. Religiöser Streit und Politik sollten in den Logen tabu sein.1 Die Freimaurerei griff nach der Vereinigung der Londoner Logen 1727, der Gründung der Großloge von London, bald auf den Kontinent und ab Ende der dreißiger Jahre auf Brandenburg-Preußen über. Hier herrschten indes, aus britischer Sicht, vorrevolutionäre, feudalistische Gesellschaftsverhältnisse. Der Adel war ein feudaler, das neue Bürgertum stand erst am Anfang seiner Entwicklung, der König regierte absolut, die Aufklärung erreichte erst wenige Menschen. Die Freimaurerei konnte lediglich an aufgeklärten Höfen und in wenigen, durch Gewerbe, Handel und Kultur herausragenden großen Städten Fuß fassen: am Hof des französisch-aufgeklärten, gebildeten preußischen Kronprinzen Friedrich auf Schloß Rheinsberg im Ruppiner Land (1739, 1740 des nunmehrigen Königs auch auf Schloß Charlottenburg bei Berlin) und in der Haupt- und Residenzstadt. Die von Kaufleuten am 19. September 1740 in Berlin gegründete Loge aux trois globes nahm in der deutschen Freimaurerei einen Platz ersten Ranges ein, zum einen durch Friedrich II., der die Freimaurer in seinen Staaten unter seinen Schutz stellte, sie also staatlich legitimierte, und zum anderen durch den ihm als König von der Großen Loge von London übertragenen Rang eines natürlichen Großmeisters, also des Schirmherrn (Protektors) aller künftigen Logen in Brandenburg-Preußen. Die Loge aux trois globes erhielt im Namen des Königs die führende Position einer logenkonstituierenden Mutterloge und hieß daher ab 1744 Große königliche Mutterloge zu den drei Weltkugeln. Die auf die Mutterloge übertragene Autorität des Herrschers strahlte über die Grenzen der Monarchie hinaus auf das ganze Reich, ja Europa. Sie konstituierte zahlreiche Logen in Brandenburg-Preußen, in Kursachsen, im Habsburgerreich

Genannt seien nur zwei jüngere Publikationen: Monika Neugebauer-Wölk, Esoterische Bünde und Bürgerliche Gesellschaft. Entwicklungslinien zur modernen Welt im Geheimbundwesen des 18. Jahrhunderts (Kleine Schriften zur Aufklärung 18), Göttingen 1995; Helmut Reinalter, Die Freimaurer. München 2000 (Beck Wissen 2133). Deutlicher als diese beiden Autoren betont der Vf. dieses Aufsatzes das sozialgeschichtliche Element.

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und in weiteren Territorien. In Brandenburg-Preußen waren dies zunächst Logen in Städten mit Garnisonen: 1741 im gerade eroberten Breslau und 1744 in der Festung Wesel, des Weiteren in den Universitätsstädten Halle (1743) und Königsberg (1746); weitere Gründungen wie etwa die in Halberstadt (1746) oder im pommerschen Stargard (1746) konnten sich nicht halten. Die bis zum Siebenjährigen Krieg wenigen, weit voneinander entfernten und nur locker miteinander verbundenen Logen mit nur einigen Hundert Mitgliedern machen deutlich, daß Brandenburg-Preußen fur Gesellschaften wie die Freimaurerlogen noch nicht reif war. Dies änderte sich erst nach dem Krieg und dem Ende der Nachkriegskrisen. Der drei Jahrzehnte währende Friede, sehen wir einmal vom Bayerischen Erbfolgekrieg ab, der wirtschaftliche, soziale und kulturelle Aufschwung sowie die Verbreitung aufklärerischer Gedanken in Schule, Kirche und Publizistik bereiteten den Boden, auf dem die Freimaurerei erblühen konnte. Die Logen organisierten die Angehörigen jener sozialen Schichten, die außerhalb der altständischen Sozialordnung mit der Entstehung des modernen Staates und der Entwicklung kapitalistischer Verhältnisse aufstiegen: die Angehörigen des Staatsapparates, also die Beamten und Offiziere, das neue Bürgertum einschließlich der frühen Bourgeoisie (Manufakturunternehmer, Verleger, Großhändler, Bankiers u. a.) sowie die Intelligenz (Ärzte, Apotheker, Theologen, Universitätsund Gymnasialprofessoren, Studenten, bildende und darstellende Künstler, Schriftsteller). Sie alle hatten in der Regel eine höhere Schule (Lateinschule, Gymnasium, Handelsschule, manche auch Privatunterricht) und eine zunehmend von der Aufklärung erfaßte Universität (Halle, Frankfurt an der Oder, Königsberg, wenige in Duisburg, auch Göttingen in Kurhannover) besucht; sie waren gebildet. Kleine Gewerbetreibende (zünftige Handwerksmeister) und Angehörige der Unterschichten waren im 18. Jahrhundert in den Logen nicht zugelassen, außer als minderberechtigte, besoldete Dienende Brüder für die Dienstleistungen. Die eigentliche sozial- und kulturgeschichtliche Bedeutung der Freimaurerlogen lag in der Fähigkeit der Freimaurerei, eine ab den siebziger Jahren rasant wachsende Zahl von Angehörigen der relevanten sozialen Schichten unabhängig von Beruf, Konfession und Erwachsenenalter zu organisieren, ihren Blick über die engen Grenzen ihres Heimatortes hinweg in die Weite des Landes und des Reiches zu öffnen und sie an die Regeln eines modernen Vereins mit Wahlrecht, an Verantwortlichkeit gegenüber den anderen, Disziplin, finanzielle und soziale Pflichten zu gewöhnen. Die Logen trugen wesentlich zur Herausbildung und zum Bewußtwerden gemeinsamer Interessen und damit zur Emanzipation des Bürgertums bei. Standen die Logen in Brandenburg-Preußen bis zu den siebziger Jahren in der bürgerlichen Gesellschaft eher isoliert da, breitete sich nun die Freimaurerei auf zahlreiche Städte aus und gewann wachsende gesellschaftliche Anerkennung. Während in der ersten Gründungsphase bis zum Hubertusburger Frieden 1763 elf relativ stabile Logen entstanden, waren es 1763 bis 1786, dem Todesjahr Fried-

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richs II., 67, zu denen in der dritten Gründungsphase bis 1806 weitere 17 hinzukamen. Die Freimaurerei überzog um die Jahrhundertwende netzartig das Alte Preußen. Nunmehr arbeiteten Logen in allen großen, vielen mittleren und in manchen kleinen Städten. Freimaurer lassen sich sogar in vielen Dörfern nachweisen. Die Freimaurerei spaltete sich nach dem Siebenjährigen Krieg in zeitweise vier, zuletzt drei scharf konkurrierende Großlogen, also zentralisierte Logenbünde mit eigenem Programm und Statut (Systeme genannt). Sie agierten gegeneinander auf der schmalen sozialen Basis einer Stadt und ihres Umlandes mit einer überschaubaren Zahl potentieller Kandidaten, die sie oft genug einander streitig machten. Die Zeitgenossen sprachen von einem Logenkrieg, an dem die einfachen Mitglieder, die Johannisbrüder der drei unteren Grade Lehrling, Geselle, Meister, notgedrungen und meist unwillig teilnahmen, unter dem sie aber alle litten. Den längsten und erbittertsten Streit fochten ab den sechziger Jahren bis zur Jahrhundertwende der Tempelritterorden der Strikten Observanz und die Gegengründung, die Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland, miteinander aus. Die auch öffentlich ausgetragenen Logenkämpfe lieferten ein dankbares Thema für Publizisten und Schriftsteller. Sie sorgten dafür, daß die Freimaurerei in aller Munde war. Die Logenkämpfe trugen jedoch eher zur Ausbreitung der Freimaurerei bei, auch wenn sich viele Mitglieder empört und enttäuscht von ihr abwandten. Die Auseinandersetzungen zwischen den Großlogen flauten Ende des Jahrhunderts ab, auch wenn sie nie ganz aufhörten. Dazu trug ganz erheblich das preußische Edikt wegen der geheimen Verbindungen vom 20. Oktober 1798 bei. Die Regierung fürchtete die Folgen der Französischen Revolution und schritt gegen die Geheimgesellschaften ein. Auch die Logen fürchteten ein Verbot. Doch die Regierung definierte die Freimaurerlogen nicht als Geheim-, sondern als gleichsam geschlossene Gesellschaften. Ihre Genehmigung erstreckte sich auf die drei Berliner Mutterlogen und deren Tochterlogen, die damit vom Staat rechtlich gleich behandelt wurden. Andererseits stellte der Staat die Logen unter die Aufsicht der Polizei. Die alte freimaurerische Maxime, sich von der Politik fern zu halten, sowie der bisherige Schutz durch die Hohenzollern verfestigten sich nun bei den so genannten altpreußischen Logen zu einer zunehmend konservativen Haltung an der Seite des preußischen Staates. Die preußischen Territorien an der mittleren Elbe und der Saale2 traten früh in die Geschichte der brandenburgisch-preußischen Freimaurerei ein: 1743 in Halle und 1746 in Halberstadt; Magdeburg kam während des Siebenjährigen Krieges hinzu. Dennoch folgte die Freimaurerei im Magdeburgischen dem allgemeinen Trend. Alle früheren Gründungen waren wenig stabile, kurzlebige Vorläufer. Die Freimaurerei installierte sich dauerhaft erst nach dem Siebenjährigen Krieg: 1769

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Herzogtum Magdeburg, Fürstentum Halberstadt, Grafschaften Mansfeld und Hohenstein (die Altmark war Teil der Kur- und Neumark Brandenburg).

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in Halle Zu den drei Degen, 1777 in Magdeburg Zu den drei Kleeblättern, ab 1779 in Aschersleben und 1778 in Magdeburg Ferdinand zur Glückseligkeit. Die Logen richteten frühzeitig Archive ein und bewahrten die Archivalien in der Regel sorgfaltig auf. Obwohl vieles verloren ging, ist die Quellenlage der preußischen Freimaurerei gut. Die Freimaurerbestände im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem, bieten ein riesiges, noch weitgehend unbekanntes Material nicht nur zu den Logen, sondern darüber hinaus zur Sozial-, Kultur- und Personengeschichte Brandenburg-Preußens.3 Der Magdeburger Bestand bis 1806 umfaßt 47 Verzeichniseinheiten: Protokollbände der verschiedenen Grade, eigene und anderer Logen, Mitgliederlisten, Aufnahmegesuche und Lebensläufe (die Curricula vitae), Logengeschichtliches, Korrespondenz, Aufzeichnungen über die Aufnahme von Juden und die Zulassung französischer Kriegsgefangener (1794), Rosenkreuzerisches, Rituale u. a. m. Die Freimaurer des 19. Jahrhunderts waren geschichtsbewußt. Wir wissen über die Geschichte der Logen der Provinz Magdeburg bis 1806 weit besser Bescheid als über manch andere Loge in Brandenburg-Preußen. Während wir etwa über die Logen im ostpreußischen Königsberg und ihre Mitglieder gut unterrichtet sind, wissen wir über die in Breslau und Stettin nur wenig. In Berlin, einer Hochburg der deutschen Freimaurerei, haben zwar die drei altpreußischen Großlogen jeweils eine Geschichte ihres Bundes vorgelegt (1840/1903, 1898, 1920),4 jedoch nur jede zweite Berliner Tochterloge.5 Nur die in Halle gegründete und in Berlin wiederbe-

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Renate Endler, Die Freimaurerbestände im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Abteilung Merseburg, in: Aufklärung und Geheimgesellschaften. Freimaurer, Illuminaten und Rosenkreuzer. Ideologie, Struktur und Wirkungen. Internationale Tagung 22 ./23. Mai 1992 an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Hg. v. Helmut Reinalter. Bayreuth 1992, S. 103— 107; Renate Endler / Elisabeth Schwarze, Die Freimaurerbestände im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Frankfurt/M. 1994-1996. 2 Bde. (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850' 13, 18); Kornelia Lange, Die Freimaurerarchivalien im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, in: Aus der Arbeit des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz. Hg. v. Jürgen KJoosterhuis. Berlin 1996 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz. Arbeitsberichte 1), S. 263-271; Renate Endler, Die Bearbeitung der Freimaurerbestände im ehemaligen Zentralen Staatsarchiv, Abt. Merseburg, in: Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt. Hg. v. Erich Donnert. Bd. 4: Deutsche Aufklärung, Weimar/Köln / Wien 1997, S. 509-520. [Franz August ν Etzel], Geschichte der Großen National-Mutterloge der Preußischen Staaten genannt zu den drei Weltkugeln nebst der Beschreibung ihrer Säcularfeier. Berlin 1840, 1903; August Flohr, Geschichte der Großen Loge von Preußen genannt Royal York zur Freundschaft im Orient von Berlin. Als Manuscript für Brüder Freimaurer gedruckt. 2 Teile. Berlin 1898; Wilhelm Wald, Geschichte der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland zu Berlin, Bd. 1, Berlin 1920. Große National-Mutterloge Zu den drei Weltkugeln: Zur Eintracht, 1904, 1954, 1992; Der flammende Stern, 1920; Zu den drei Seraphim, 1924; Zur Verschwiegenheit, 1925; Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland: Zu den drei goldenen Schlüsseln, 1919; Pegase, 1882; Zum goldenen Schiff, 1921; Zur Beständigkeit, 1875, 1900; Zum goldenen Pflug, (1901?); Zum Pilgrim, 1926; Große Loge von Preußen genannt Royal York zur Freundschaff. 1898, 1952. Die erste Geschichte des Logenbμndes der Afrikanischen Bauher-

Die Freimaurer

im Alten

Preußen

lebte Loge Zu den drei goldenen

197 Schlüsseln

druckte ein Mitgliederverzeichnis,

aber auch sie nur w i e üblich als „Manuskript für die Brüder", w i e es die Titelblätter in der Regel vermerken, also intern. 6 Logengeschichten gelangten nur selten in die öffentlichen Bibliotheken. D i e masonischen Forschungsergebnisse wurden in der Regel nur den Mitgliedern der j e w e i l i g e n Loge oder des Logenvereins bekannt. D i e erste Geschichte der Magdeburger Loge Ferdinand

zur Glückseligkeit

und

ihrer Vorgängerinnen erschien 1824, die nächste 1911, beide mit einem chronologischen bzw. alphabetischen Mitgliederverzeichnis; außerdem kam 1992 ein auf diesen Arbeiten beruhender kurzer Abriß heraus. 7 Zwei Jahrzehnte nach der Magdeburger Loge publizierte 1844 die hallesche Loge Zu den drei Degen

ihre

Geschichte, auch sie mit einem Mitgliederverzeichnis. N a c h einem Aufsatz 1887 über die Frühgeschichte der halleschen Freimaurerei ist allerdings nichts mehr erschienen. 8 D i e dritte große Loge, Zu den drei Kleeblättern

in Aschersleben,

schrieb gleichfalls ihre Geschichte, aber ohne Mitgliederliste (1927). 9 D i e 1746 konstituierte Loge Zu den drei Hammern

in Halberstadt ging bald wieder ein.

Archivalien sind bis auf Bruchstücke nicht überliefert. Wir kennen nur w e n i g e Mitglieder. Dennoch versuchte die Loge, ihre Geschichte zu rekonstruieren (1846, 1896). 1 0

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ren erschien im Jahre 1996 und die der isolierten Loge zur Toleranz im Jahre 1999 (Karlheinz Gerlach, Die Afrikanischen Bauherren. Die Bauherrenloge der Verschwiegenheit der Freunde freier Künste und schönen Wissenschaften 1765-1775 in Berlin, in: Quatuor Coronati Jahrbuch, Nr. 33 [1996], S. 61-90; ders., Die Loge zur Toleranz 1782-1792 in Berlin, in: Zeitschrift fiir Internationale Freimaurer-Forschung, H. 2 [1999], S. 23-64). Bausteine zur Geschichte der Johannis-Loge Zu den drei goldenen Schlüsseln den Brüdern zum 150jährigen Bestehen am 19. Oktober 1919 gewidmet, Verlag der Joh. Loge „Zu den drei goldenen Schlüsseln" Berlin [1919], Philipp Lincke, Geschichte der Loge Ferdinand zur Glückseligkeit im Orient Magdeburg und Chronologisch geordnetes General- Verzeichnis aller Mitglieder derselben, vom 28. September 1778 bis Johanni 1824. Magdeburg 1824; [Aemil] Funk, Nachrichten über die Schottische Maurerei im Or. Magdeburg während des Jahrhunderts 1763-1863. Magdeburg 1863; ders. /[Karl Richard] Gränitz, Geschichte der Loge Ferdinand zur Glückseligkeit im Orient Magdeburg im ersten Jahrhundert ihres Bestehens. Fortgesetzt bis zum Tage des 150jährigen Jubiläums am 23. Februar 1911 von Br R. Gränitz. Magdeburg 1911; Heike Kriewald, Ferdinand zur Glückseligkeit. Aus der Geschichte einer Magdeburger Freimaurerloge. Hg. v. Magistrat der Stadt Magdeburg, Dezernat Kultur. Magdeburg 1992; Karlheinz Gerlach, Die Johannisloge Ferdinand zur Glückseligkeit in Magdeburg. 1778-1814, in: Bundesblatt, Η. 1 (1992), S. 12-18. Die quellenfundierte Darstellung von Heinz Gürtler, Deutsche Freimaurer im Dienste Napoleonischer Politik. Die Geschichte der Freimaurerei im Königreich Westfalen. Berlin 1942, ist wissenschaftlich von eingeschränktem Wert, weil tendenziös im Sinne einer angeblichen Verschwörung der Freimaurer gegen Deutschland. Friedrich August Eckstein, Geschichte der Freimaurer-Loge im Orient von Halle. Eine Festgabe zur Secularfeier der Loge zu den drei Degen. Halle 1844. J.-W. Wagner, Das erste Jahrhundert der Loge Zu den 3 Kleeblättern im Orient Aschersleben. Magdeburg 1878; Hermann Wittmann, Geschichte der Johannisloge Zu den drei Kleeblättern in Aschersleben, aus den Akten dargestellt. Eine Festgabe zum 150. Stiftungsfest für die Brüder der Loge. Aschersleben 1927. G. Miehe, Geschichte der Freimaurerei in Halberstadt (1746-1896). Halberstadt 1896; Friedrich Schlemm, Geschichte der Freimaurerei in Halberstadt. Halberstadt 1846.

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Die masonische Forschung brach in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts mit der Auflösung der Logen und der Beschlagnahme ihrer Archive und Bibliotheken ab. Profane wissenschaftliche Forschungen auf dem Gebiet der Freimaurerlogen in Brandenburg-Preußen begannen erst in den achtziger Jahren an der Akademie der Wissenschaften der DDR, nachdem die zunächst im Zentralen Staatsarchiv der DDR, Abteilung Merseburg, dann im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem, aufbewahrten Freimaurerbestände archivalisch aufgearbeitet und für die Forschung zugänglich gemacht worden waren." Magdeburg trat während des Siebenjährigen Krieges in die maurerische Geschichte ein, zu einer für die Freimaurerei kritischen, aber für Magdeburg günstigen Zeit - während der Anwesenheit des in die sichere Festung geflüchteten Potsdamer Hofes und des Generaldirektoriums sowie der Festsetzung kriegsgefangener Offiziere. Ein so später Zeitpunkt überrascht, bot doch Magdeburg alle Voraussetzungen für eine Loge: die zahlreiche, differenzierte Bevölkerung einer Großstadt (1756: 25000 Einwohner), die Landesbehörden, eine große Garnison, ein bedeutendes Gewerbe und weitreichende Handelsbeziehungen, Schulen von überregionaler Bedeutung damit die die Freimaurerei tragenden sozialen Schichten und Gruppen: Adlige und Bürgerliche, Alteingesessene und immigrierte Franzosen und Pfalzer, Beamte, Offiziere, Manufaktur- und Handelsunternehmer sowie Intellektuelle. Daß dennoch vor 1760 keine Loge entstand, hatte vermutlich drei Ursachen: erstens die bis dahin zu beobachtende allgemeine schwache Entwicklung der brandenburgisch-preußischen Freimaurerei, zweitens die althergebrachte, effektive Organisation der Kaufleute in drei Innungen, drittens ein literarischaufgeklärter Gesellschaftskreis von Kaufleuten und Intellektuellen 12 um den Unternehmer Heinrich Wilhelm Bachmann sen., der dem Halberstädter Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim nahe stand. Zwei die Freimaurerei konstituierende soziale Schichten, die der Unternehmer und der Intellektuellen, waren also bereits organisiert und hielten es offenbar nicht für erforderlich, neben den bestehenden Sozietäten noch eine Loge zu gründen. Wenn wir nach dem viel größeren Berlin blicken, sehen wir, daß vor dem Siebenjährigen Krieg Freimaurerlogen und gelehrte Gesellschaft nichts miteinander zu tun haben wollten, daß weder ein Freimaurer in den Montagsklub noch ein Klub-

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Bahnbrechend: Gerhard Steiner, Freimaurer und Rosenkreuzer - Georg Forsters Weg durch Geheimbünde. Neue Forschungsergebnisse auf Grund bisher unbekannter Archivalien. Berlin 1985. Es folgten die sozialgeschichtlichen Forschungen des Vf. als Teil einer komparativen Untersuchung über die Bürgertumsentwicklung in den mittleren Provinzen Brandenburg-Preußens, Kursachsens und Niederösterreichs mit Wien bis 1806 unter der Leitung von Ingrid Mittenzwei, die er nach der Auflösung der Akademie der Wissenschaften der D D R für Brandenburg-Preußen fortsetzte. Magdeburgs literarische und gesellschaftliche Zustände im achtzehnten Jahrhundert, in: Blätter für Handel, Gewerbe und sociales Leben (Beiblatt zur Magdeburgischen Zeitung), 1877, Nr. 3 2 - 4 1 .

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mitglied in eine Loge aufgenommen wurden. 13 Der Montagsklub (1749) war ein Geschöpf des Bachmannschen Gesellschaftskreises, und zwar das zweier Schweizer Mitglieder, des Theologen Johann Georg Schulthess und des Philosophen und Bachmannschen Hauslehrers Johann Georg Sulzer. Friedrich II. berief Sulzer nach Berlin und ernannte ihn 1750 zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Der aufklärerische Klub nahm bald nach seiner Gründung Gotthold Ephraim Lessing (1752) und auf dessen Empfehlung Friedrich Nicolai (1756) auf. Keiner dieser drei dachte offenbar damals daran, Freimaurer zu werden und sich etwa einer der damaligen drei Berliner Freimaurerlogen anzuschließen. Während des Siebenjährigen Krieges entstanden in Magdeburg bessere Bedingungen für die Gründung einer Loge, als mit dem Hof und den Kriegsgefangenen tatsächliche bzw. potentielle Freimaurer in die Stadt kamen. Aus dem aufgeklärten Bachmannschen Gesellschaftskreis gingen damals zwei Sozietäten hervor, die erste Freimaurerloge und die Mittwochsgesellschaft (1761). 14 Der von Sulzer erzogene Sohn Heinrich Wilhelm Bachmanns gleichen Namens, weitere Kaufleute und Fabrikanten der französischen und Pfälzer Kolonie, Hofbeamte sowie kriegsgefangene Offiziere gründeten 1760 die Loge De la felicite mit einem Konstitutionspatent der Berliner Loge De la concorde {Zur Eintracht) vom 23. Februar 1761. Die eigentlich zuständige Große königliche Mutterloge zu den drei Weltkugeln protestierte scharf gegen den Gründungsakt durch ihre Berliner Tochter.15 Dies war der erste Streit in einer langen, bis ins frühe 19. Jahrhundert reichenden Kette von Auseinandersetzungen zwischen den Magdeburger und Berliner Freimaurern. Die De la felicite, im Kern eine Gesellschaft der französischen Kolonie, zerbrach an den latenten Spannungen zwischen den französischen Immigranten, deren tiefgreifende Assimilierung in Preußen erst in den Jahrzehnten nach dem Siebenjährigen Krieg erfolgte, und den deutschen Mitgliedern. Die Logenführung billigte den Deutschen nur den Status besuchender Mitglieder zu. Eine Spaltung wurde unvermeidlich und erfolgte am 29. Juni 1761 mit der Gründung der Loge Zur Beständigkeit. Die in der Felicite organisierten kriegsgefangenen württembergischen, österreichischen und schwedischen Offiziere gründeten im selben Jahr die Militärloge La parfaite union mit einem Konstitutionspatent der Berliner Mutterloge Zu den drei Weltkugeln (5. März 1762).16 Sobald Preußen die Kriegsgefangenen aus-

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Der Montagsklub in Berlin. 1749-1899. Fest- und Gedenkschrift zu seiner 150sten Jahresfeier. Berlin 1899; Erich Steffen, Ein Klub im alten Berlin, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 27 (1910), S. 119-121. Mitglieder waren u. a. Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Johann Bernhard Basedow und Leopold Friedrich Günther Goeckingk. Etzel, (wie Anm. 4), S. 39. Ebd., S. 44.

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tauschte oder in andere Festungen verlegte, hörten die Gefangenenlogen17 auf zu bestehen. Einigen Mitgliedern begegnen wir als eifrige Freimaurer in Königsberg und Stettin. Durften die kriegsgefangenen Offiziere während des Siebenjährigen Krieges sich in der Stadt auf Ehrenwort frei bewegen und, wie die Geschichte der Magdeburger Freimaurerei zeigt, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilnehmen, war dies den Kriegsgefangenen nach der Französischen Revolution nicht mehr erlaubt. Das Berliner Generaldirektorium untersagte während des Ersten Koalitionskrieges 1794 den Sozietäten, also auch den Logen, jeden Kontakt mit den republikanischen Kriegsgefangenen, selbst wenn sie Freimaurer waren.18 Die Magdeburger Freimaurer beugten sich dem Verbot. Da jedoch nicht alle Logenmitglieder das Verbot einhalten konnten, so nicht die Ärzte und die mit der Versorgung der Gefangenen beauftragten Beamten, schloß die Mutterloge Zu den drei Weltkugeln am 20. Februar 1794 die Magdeburger Filiale bis zum Abmarsch der Kriegsgefangenen. Die vorübergehende Schließung löste den bis dahin schwersten Konflikt zwischen der Berliner Mutter- und der Magdeburger Tochterloge aus. Die Magdeburger waren hell empört, hoben die Loge am 24. Februar 1794 ganz auf und gründeten einen logenähnlichen Verein, die Ferdinands-Gesellschaft. Einige Mitglieder wollten sich der Berliner Royale York de l 'amitie anschließen, die jedoch abwinkte, weil die Einverleibung ihr gutes Verhältnis mit der Mutterloge zu den drei Weltkugeln und die erstrebte Anerkennung als Mutterloge mit dem Recht der Logenkonstituierung in Brandenburg-Preußen aufs Spiel gesetzt hätte. Der Konflikt endete mit einem Kompromiß. Die Ferdinand zur Glückseligkeit kehrte in den Schoß der Mutterloge zurück - bis 1808, als sie sich nach der Loslösung Magdeburgs von Preußen als Provinzialloge für Westfalen und Niedersachsen konstituierte.19 Wir haben der Zeit weit vorgegriffen und kehren in die sechziger Jahre zurück. Die im Siebenjährigen Krieg in Magdeburg gegründeten fünf Logen gingen alle wieder ein, weil sie nach der Rückkehr des Hofes nach Berlin und Potsdam und der Verlegung bzw. Entlassung der Kriegsgefangenen die meisten ihrer Mitglieder verloren. Von der Loge Zur Beständigkeit hören wir letztmals am 17. Januar 1767, von der im letzten Kriegsjahr 1763 gegründeten Militärloge Zu den drei Säulen 17

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Aus der Parfaite union gingen zwei weitere Logen hervor, Zur Einsamkeit (1761) mit österreichischen Kriegsgefangenen und Zur unverfälschten Weisheit (1762) mit schwedischen Kriegsgefangenen (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin [GStA PK] Freimaurer 5.2. Μ 7 Nr. 114, 189). Schließlich stiftete die Berliner Mutterloge mit Offizieren des Magdeburger Infanterieregiments Nr. 5 Alt-Braunschweig 1763 die Militärloge Zu den drei Säulen (Aux trois colonnes) (GStA PK Freimaurer 5.2. Μ 7 Nr. 114, Protokoll vom 26.10.1763). Ebd. Nr. 75 Acta betr. 1) der den französischen Kriegsgefangenen untersagten Zutritt zur Loge, 2) daß die Loge bis zu deren Abmarsch geschlossen bleiben soll, und 3) deren Restaurierung den 24ten Jun. 1794; Funk / Gränitz, (wie Anm. 7), S. 70. Ebd., S. 91.

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letztmals am 31. Dezember 1766, als sie die Annahme des Systems der Strikten Observanz ablehnte. Die Situation änderte sich erst in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, in einer Zeit des allgemeinen Durchbruchs der Freimaurerei in Brandenburg-Preußen. Auf den Trümmern der Magdeburger Freimaurerei konstituierte sich 1777 die Loge Zu den drei Kleeblättern. Die Gründer kamen aus zwei sich heftig befehdenden freimaurerischen Systemen: der Strikten Observanz, der die Dreiweltkugellogen untergeordnet waren, und der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland, dem System des Militärarztes Johann Wilhelm v. Zinnendorf. Der von der Großen Landesloge mit der Gründung beauftragte Johann August Friedrich Kleemann war ein erst 23 Jahre alter, ehrgeiziger Referendar, ein kompromißloser Anhänger Zinnendorfs. Er und ein früheres Mitglied der De la felicite, der Magdeburger Geheime Oberakzise- und Zollrat Johann Ernst Gertner, sammelten die in Magdeburg verstreuten Freimaurer. Am 1. Dezember 1777 waren sie am Ziel und gründeten die Loge Zu den drei Kleeblättern. Kleemann übernahm als Logenmeister die Führung, während Gertner als Erster Aufseher an zweiter Stelle fungierte. Der Friede in der Loge hielt kein halbes Jahr. Der Anlaß für den Bruch kennzeichnet die Schärfe der Gegensätze in der brandenburg-preußischen Freimaurerei. Gertner und andere langjährige Freimaurer wollten zum Johannisfest (24. Juni) ein Mitglied der Strikten Observanz, einen Leutnant, einladen, was Kleemann als den Gesetzen der Großen Landesloge zuwider zunächst schroff ablehnte. Seine Gegner in der Loge erklärten daraufhin, daß die Große Landesloge in Berlin ihnen gar nichts zu sagen habe. Nach Meinung Gertners sei der Abgewiesene „so gut als er ein Bruder".20 Kleemann und seine Freunde in der Loge schwärzten ihre Gegner bei Zinnendorf an. Sie warfen ihnen nicht nur unmaurerisches Verhalten vor, sondern beschuldigten sie auch privater und beruflicher Vergehen, suchten sie also auch außerhalb der Loge zu diskreditieren.21 Gertner hatte noch einen weiteren Grund, der Zinnendorfschen Loge den Rücken zu kehren, diesmal einen beruflichen. Er schrieb am 25. März 1776 der Großen Landesloge, daß ihn Melchior La Serre und Charles Pierre de Morinval, beide Geheime Finanzräte und Regisseure (Behördenchefs) der Generalakzise- und Zolladministration (der Regie) in Berlin, also der höchsten preußischen Akziseund Zollbehörde, ermahnt hätten, „mich ja nicht von ihrer Partei zu wenden, mit dem Antrag, wenn ich wollte, daß sie meine Freunde bleiben sollten. Dieser letzte Umstand setzet mich in groß(e) Verlegenheit, zumal der Herr Geheimde Rat La Serre mein Departementsregisseur ist, folgl. mich leicht schaden könnte."22 La Serre und de Morinval waren Mitglieder der Royale York de l 'amitie in Berlin. Mit

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GStA PK Freimaurer 5.1.3, Nr. 5300 Korrespondenz der Loge zu den drei Kleeblättern mit der Großen Landesloge, 29.10.1775-5.4.1785, Bl. 42v, 44v, 46. Ebd. Bl. 55, Kleemann an den Landesgroßmeister, 29.7.1778. Ebd., Bl. 8v-9.

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„ihrer Partei" meinten sie das seit 1775 bestehende gute Verhältnis zwischen ihrer Loge und der Mutterloge Zu den drei Weltkugeln sowie ihr Bündnis gegen die Große Landesloge,23 Der Druck La Serres auf Gertner hatte die gewünschte Wirkung. Gertner, der zunächst um einen Ausgleich zwischen Kleemann und seinen Gegnern in der Loge bemüht war, drängte nun auf Gründung einer Loge strikter Observanz. Der Vorgang war in der damaligen Freimaurerei keineswegs eine Ausnahme. Kandidaten (in maurerischer Terminologie Suchende), besonders Beamte und Offiziere, waren keineswegs frei in der Wahl der Loge und des Systems, sie nahmen Rücksicht auf ihre Vorgesetzten, von deren Wohlwollen sie abhängig waren. Das Auseinanderbrechen der Loge Zu den drei Kleeblättern war nicht mehr aufzuhalten. Kleemanns Gegner reaktivierten am 18. August 1778 unter der Konstitution der Mutterloge zu den drei Weltkugeln, die am 5. September 1778 zustimmte, auf deren Rat die seit langem ruhende, das hieß, eingegangene Loge Zur Glückseligkeit,24 Ferdinand Herzog von Braunschweig übernahm das Protektorat und übertrug der Loge seinen Namen, die fortan Ferdinand zur Glückseligkeit hieß. Ferdinand, der Schwager Friedrichs II., war Dechant des Magdeburger Domkapitels. Er befehligte im Siebenjährigen Krieg mit großem Erfolg die alliierten Truppen in Nordwestdeutschland. Er war im Dezember 1740 von der Berliner Loge aux trois globes aufgenommen worden und stand nunmehr als Großmeister den Logen strikter Observanz vor. Es versteht sich, daß ein Offizier oder Beamter eher seiner Loge als den Drei Kleeblättern beizutreten bemüht war. Kleemann verlegte notgedrungen die Restloge, die in Magdeburg kaum noch Mitglieder fand und gegenüber der neuen Loge ins Hintertreffen geriet, im Juni 1779 nach Aschersleben. Für zwei Logen war in Magdeburg kein Platz. Die Folgen der Spaltung überschatteten die Freimaurerei des Elbe-Saale-Gebiets jahrzehntelang. Da sich die Einzugsgebiete (Sprengel) der drei Logen in Halle, Magdeburg und Aschersleben überschnitten, kamen zu den Systemgegensätzen soziale hinzu, was immer wieder Streit provozierte. Die Streitigkeiten zwischen der Strikten Observanz und dem Zinnendorfschen System nahmen noch zu, als ab Ende der siebziger Jahre die Strikte Observanz zu zerfallen begann, die Mutterloge zu den drei Weltkugeln sich wieder selbstständig machte, aber der Nationalgroßmeister General Friedrich August von Braunschweig, ein Neffe Ferdinands und Friedrichs II., und der Schottische Obermeister (vergleichbar etwa mit einem heutigen Generalsekretär) und Kammerrat des Prinzen Heinrich, Johann Christoph Woellner, ein neues Hochgradsystem schufen, den Orden der Gold- und Rosenkreuzer, und dessen Führungsanspruch in der Frei-

23 24

Flohr, (wie Anm. 4), Τ. 1, S. 27; Etzel, (wie Anm. 4), S. 65f. Antwortschreiben der Mutterloge vom 5.9.1778, in: GStA PK Freimaurer 5.2. Μ 7 Nr. 75, S. 38f. Die Loge Zur Glückseligkeit hatte 1761 vermutlich Johann Ernst Gertner gegründet; sie war eine Abspaltung der De la felicite.

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maurerei durchsetzen wollten. Sie scheiterten damit, da 1782 der Wilhelmsbader Konvent, der auf Initiative Ferdinands von Braunschweig die Strikte Observanz reformieren wollte, das schriftlich vorgebrachte Ansinnen zurückwies. 25 Die höchst geheime Bruderschaft der Gold- und Rosenkreuzer trug einen Januskopf. Die eine Seite zeigte das Gesicht einer theosophisch-alchimistischen, gegenaufklärerischen Geheimgesellschaft mit politischen Ambitionen ihrer Führung. Das andere Gesicht war ein freimaurerisches. Der Orden dominierte die Mutterloge zu den drei Weltkugeln. Deren führende Großbeamte und die meisten leitenden Logenbeamten (Meister vom Stuhl, Aufseher) waren identisch mit den unbekannten Ordensdirektoren und den nur den jeweiligen Brüdern bekannten Zirkeldirektoren. Der Geheimorden nahm nur Freimaurer des vierten, des Schottengrades, auf, machte aber, wenn ihm an dem Mann besonders gelegen war, Ausnahmen. Die Ordensbrüder erhielten Geheimnamen, so daß kein Mitglied andere Ordensbrüder außerhalb des Zirkels identifizieren konnte. Die Zirkeldirektoren schrieben für die Hand des Ordenschefs, des 1786 geadelten Johann Christoph von Woellner, Kalkulationslisten mit den Klarnamen der Zirkelmitglieder und deren Charakteristika einschließlich der Angaben zu Familien- und Vermögensverhältnissen. Vermutlich waren auch die anderen Ordensgründer, Friedrich August von Braunschweig, Major Johann Rudolf v. Bischoffwerder, wohl auch Friedrich Wilhelm II., in die Personalia eingeweiht. Die Ordensbrüder mußten nicht Mitglied der Johannis- oder Schottenloge am Zirkelort sein. Der als Student in Halle aufgenommene Bischoffwerder zum Beispiel, ein enger Vertrauter Friedrich Wilhelms II., gehörte weder einer Loge in Berlin noch in Potsdam an, wo er die von Friedrich II. gewährte Pension verzehrte, war aber trotzdem Direktor des Potsdamer Zirkels Farferus, dem auch Mitglieder der Großen Landesloge angehörten. Im preußischen Elbe-Saale-Gebiet sind zwei Zirkel des Gold- und Rosenkreuzerordens nachgewiesen, Schedifer in Magdeburg und Verevivus in Aschersleben, der aber nicht über die Anfange hinauskam. Daß der Orden sich nicht in Halle konstituierte, lag wohl daran, daß die Loge Zu den drei Degen erst 1787, ein Jahr vor dem Silanum, der Einstellung der Zirkelarbeiten, ein engeres Verhältnis mit der rosenkreuzerischen Berliner Mutterloge zu den drei Weltkugeln einging. Der Magdeburger Zirkel baute auf der Schottenloge Zur grünen Linde auf. Der Gründer und Zirkeldirektor war der Domprediger und spätere Abt Christian Friedrich Schewe, ab 1784 22 Jahre lang Meister vom Stuhl der Ferdinand zur Glückseligkeit. Der Zirkel trug Schewes Ordens- und Decknamen (Hennivivius Cruciaster Schedifer). Acht Zirkelmitglieder gehörten der Loge Ferdinand zur Glückse25

Karlheinz Gerlach, Die Gold- und Rosenkreuzer in Berlin und Potsdam (1779-1789). Zur Sozialgeschichte des Gold- und Rosenkreuzerordens in Brandenburg-Preußen, in: Quatuor Coronati Jahrbuch 32 (1995), S. 87-147, hier S. 94, 96.

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ligkeit sowie deren Schottenloge an; der neunte, ein in Dürftigkeit lebender Kaufmann (Detailhändler?) Clemens mit zahlreicher Familie, tauchte in den Protokollen als Besuchender Bruder auf. Er konnte in keiner brandenburgisch-preußischen Loge nachgewiesen werden; vielleicht kam er aus Braunschweig oder Hannover. Wie unfertig der Zirkel war, erkennt man daran, daß zwei Mitglieder noch keinen Geheimnamen erhalten hatten. Der eine von ihnen, der praktische Arzt Christian Friedrich Rüdiger, war, wie Schewe an Woellner meldete, vor einiger Zeit „auf einen anderen Weg" geführt worden, weshalb die Ferdinand zur Glückseligkeit die Ordensverbindung mit ihm aufgehoben hatte; Rüdiger selbst trat am 24. Juni 1787 aus der Loge aus. Was sich konkret hinter dieser Andeutung verbarg, konnte nicht ermittelt werden. Vermutlich wechselte er in ein anderes System über. Auch der Prediger Johann Ludwig Theodor Blume war ein unsicherer Kandidat, da er durch die aufklärerische Berlinische Monatsschrift, die den Gold- und Rosenkreuzerorden bekämpfte, „wankelmütig geworden" zu sein schien. So blieben von den neun Mitgliedern sieben übrig. Drei Zirkelmitglieder waren Theologen, je zwei Beamte und Offiziere und je einer Arzt und Kaufmann. Bis auf einen preußischen Rittmeister, übrigens ein Mitglied der Zinnendorfschen Loge Zu den drei Kleeblättern in Aschersleben, waren alle bürgerlichen Standes. Vier von ihnen übten fuhrende Funktionen in der Magdeburger Johannisloge aus, und zwar als Stuhlmeister (Schewe), als Stellvertreter (Regimentsquartiermeister Valentin Friedrich Gercken), als Sekretär (Kammerfiskal Hofrat Johann Friedrich Klewitz) und als Schatzmeister (Kanonikus Christian Heinrich Müller). Die beiden Aufseher waren keine Rosenkreuzer. Erwähnt sei noch, daß alle bis auf den reformierten Gertner Lutheraner waren. Der Magdeburger Zirkel kam wohl nicht recht in Gang. Gegen den Zirkel wirkten zwei Momente: die späte Gründung im Endstadium des Ordens sowie die Orientierung der Magdeburger Freimaurer weniger auf Berlin als auf ihren Protektor Ferdinand von Braunschweig, ein Mitglied des Illuminatenordens und Gegner der Gold- und Rosenkreuzer, der 1782 in Wilhelmsbad die Entscheidung gegen den Orden herbeigeführt hatte. Die Magdeburger saßen also zwischen zwei Stühlen, zwischen dem des Herzogs von Braunschweig, dem sie eng verbunden waren, und dem ihrer nicht immer geliebten Berliner Mutterloge. Die Magdeburger Logen organisierten von 1761 bis Ende 1806 738 Männer als Vollmitglieder sowie 38 Dienende Brüder, also minderberechtigte besoldete Logenangestellte. Berücksichtigt man die wenigen Doppelmitgliedschaften, kommt man auf etwa 710 Mitglieder. Die Loge Ferdinand zur Glückseligkeit gehörte mit 585 Mitgliedern (einschließlich des Protektors Ferdinand Herzog von Braunschweig) zu den größten Logen im Alten Preußen.26 Im Jahre 1792 nahm die Loge allein 44 Mitglieder einschließlich eines Dienenden Bruders auf.27 26

Holger Zaunstöck, Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 9),

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Diese 710 Freimaurer machen 6,3 Prozent aller bisher ermittelten Logenmitglieder in der Monarchie (etwa 11 350, in den Grenzen von 1793/1795)28 und 45,2 Prozent aller Logenmitglieder im preußischen Elbe-Saale-Gebiet (absolut 1570) aus. Zwischen 1792 und 1806 war jeder zweite Freimaurer der Provinz ein Magdeburger Mitglied - mit steigender Tendenz: 1792/1793 168 von etwa 383 Freimaurern (43,9 Prozent), 1801 170 von 310 (54,8 Prozent) und Juni 1806 254 aktive Mitglieder29 von 408 Freimaurern (62,3 Prozent). Die halleschen Logen erreichten etwa gleich hohe Mitgliederzahlen wie Magdeburg, allerdings über einen längeren Zeitraum. Der Anteil der 662 halleschen Mitglieder betrug 5,8 Prozent aller Freimaurer in den preußischen Staaten bzw. 42,2 Prozent an Elbe und Saale.30 Zum Vergleich die Logenhochburg Berlin: Die 3 300 Mitglieder machten 29,1 Prozent aller Freimaurer in Brandenburg-Preußen aus. Der steigende Magdeburger Anteil hatte zwei Ursachen, direkt die schnell wachsende Mitgliederzahl in Magdeburg und indirekt die gegenläufige Entwicklung in der Universitätsstadt Halle, wo die Loge Zu den drei Degen nach dem Edikt wegen der geheimen Verbindungen vom 20. Oktober 1798, welches das Aufnahmealter auf das vollendete 25. Lebensjahr festlegte und damit praktisch die Studenten von einer Logenmitgliedschaft ausschloß, einen erheblichen Aufnahmerückgang erlitt. Die Magdeburger Logen stützten sich auf die Angehörigen des Staatsapparates, die Manufaktur- und Handelsunternehmer sowie die Intellektuellen. Frauen sowie die kleinen Warenproduzenten und die Unterschichten, das Volk, waren nicht logenfahig, mit Ausnahme der Männer in dienenden Funktionen. Eine weitere Aufnahmebedingung war das Bekenntnis zu einer der christlichen Hauptkonfessionen, was Juden und bis zur Jahrhundertwende in der Regel auch Mitglieder christlicher Sekten von einer Mitgliedschaft ausschloß.

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Tübingen 1999, S. 147, nennt die Zahl von 449 Mitgliedern der Ferdinand zur Glückseligkeit bis 1800. GStA PK, Freimaurer 5.2. Μ 7 Nr. 118, Protokollbuch. Stand: März 2001. Die Berechnungen beziehen sich aus praktischen Gründen auf das preußische Staatsgebiet vor dem 22./25.9.1793 (2. Polnische Teilung), also ohne Großpolen und das übrige an Preußen gefallene Polen einschließlich Danzig und Thorn, sie beachten ebenso wenig die 1791 gewonnenen Fürstentümer Ansbach und Bayreuth wie die linksrheinischen Gebietsverluste durch den Frieden von Basel (5.4.1795). Die in dem letzten Jahrzehnt vor 1806, dem Ende des Alten Preußen, meist kurzzeitig gewonnenen Territorien werden ebenfalls nicht in die Berechnungen einbezogen. Behandelt werden also wohl Kleve, nicht aber Bayreuth, Hildesheim, Erfurt, Hannover, Posen, Kaiisch (das Geheime Staatsarchiv besitzt über diese polnischen Logen keine Akten) u.a., ebenso wenig das zu Preußen gehörende schweizerische Neufchätel. GStA PK Freimaurer 5.2. Μ 7 Nr. 179, Bericht der Ferdinand zur Glückseligkeit an das Altschottische Direktorium vom 11.6.1806, Bl. 73. Aschersleben: Die 168 Mitglieder machten 10,8 Prozent aller Logenmitglieder im Elbe-SaaleGebiet aus.

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Die Mitgliedschaft der Loge Ferdinand zur Glückseligkeit war zwischen den Ständen und sozialen Schichten ausgewogen, auch wenn sich die Gewichte im Laufe der Zeit verschoben. Das Bürgertum überwog (De la felicite 86,1 Prozent, Ferdinand zur Glückseligkeit 77,3 Prozent). Jedes vierte Mitglied (26,5 Prozent) war Unternehmer und Händler, von denen ein Teil zum frühen Großbürgertum gehörte. Sie stellten die größte Mitgliedergruppe, vergleichbar mit anderen preußischen Gewerbe- und Handelsorten (Berlin, Iserlohn, Bielefeld, Hirschberg, Elbing). In den Logenlisten finden sich fast alle bedeutenden Magdeburger Unternehmen; es fehlen lediglich Wieler, Nathusius, Coqui. Nicht immer wird klar, ob das Logenmitglied Besitzer oder Teilhaber des jeweiligen Unternehmens war oder gar keinen Anteil an ihm hatte. Einige sind jedoch als Chefs oder Teilhaber bedeutender Unternehmen identifiziert, so Johann Peter Descours, Johann Christian Diedrich, Johann Andreas Joachim Gärtner, Julius Wilhelm Hildebrandt, Friedrich August Morgenstern, Heinrich Christian Nuland, die Brüder Johann Christian und Johann Christian Daniel Pinckernelle, Johann Peter Robrahn, Johann Friedrich Karl Rumpf, Johann Heinrich Friedrich Schmager, Peter August Ludwig Schwartz und Georg Friedrich Sultzer. Von den von Rolf Straubel 31 genannten zehn wichtigen Magdeburger Firmen der Jahrhundertwende waren vermutlich fünf im Besitz oder Mitbesitz von Logenmitgliedern (Sultzer & Co., Maquet & L'Hermet, J. J. Schwartz & Co., Cuny & Bonte, E. J. Schwartz). Einen Hinweis auf den Rang des jeweiligen Unternehmers gibt seine Mitgliedschaft in einer der drei Magdeburger Innungen. Ein Vergleich der 1801 von Johann Christian Friedrich Berghauer, einem Freimaurer der Ferdinand zur Glückseligkeit, zusammengestellten Innungslisten 32 mit den Mitgliederverzeichnissen der Ferdinand zur Glückseligkeit ergibt, daß 31 oder 32 Logenmitglieder der Kaufleutebrüderschaft angehörten, darunter zwei Altermänner, also Vorsteher (Johann Andreas Joachim Georgy, Peter Friedrich Schmitz), und damit jedes dritte Mitglied der Brüderschaft, 15 oder 17 Logenbrüder der Seidenkramerinnung, damit jeder Siebte (von ihnen waren fünf gleichzeitig in beiden Verbänden Mitglied), sowie sieben oder acht Elbeschiffer (von zwölf Schiffern in der Loge) der Schifferbrüderschaft, damit jeder Vierte. Bemerkenswert ist der Zeitpunkt der Logenaufnahme. Nur drei Unternehmer traten der Ferdinand zur Glückseligkeit vor 1785 bei, dagegen je 24 von 1790 bis 1799 und 1800 bis 1805. Die Magdeburger Unternehmer mieden zu Lebzeiten des Protektors Ferdinand Herzog von Braunschweig (er starb 1792) weitgehend die 31

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Rolf Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer. Eine empirische Untersuchung über die sozialen Träger von Handel und Großgewerbe in den mittleren preußischen Provinzen (1763 bis 1815). Stuttgart 1995 (Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte 122), S. 158. [Johann Christian Friedrich] Berghauer, Magdeburg und die umliegende Gegend, T. 2. Magdeburg 1801, S. 80ff., 343ff., 349ff.

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Freimaurerloge, in der zunächst die Beamten und Offiziere dominierten. Diese hatten seit der Gründung die Logenfiihrung in der Hand. Das soziale Profil der Loge wandelte sich somit erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Die Provinz-, die Kommunal- und die Domänenbeamten stellten nach den Kaufleuten und Fabrikanten die zweitgrößte Mitgliedergruppe (26,1 Prozent). Von den drei Berufsgruppen war die der Kommunalbeamten am kleinsten, unter ihnen zwei Bürgermeister (Neustadt Magdeburg, Pfälzer Kolonie), ein Sekretär des Altstädter Magistrats und der Justizbürgermeister von Osterwieck im Fürstentum Halberstadt. Die Gründe für die Hinwendung zahlreicher Beamter zur Ferdinand zur Glückseligkeit - und generell zur Freimaurerei - sind in den aufgeklärten Überzeugungen zu suchen, zu denen sie während ihres Universitätsstudiums gelangten, sowie in der allgemeinen Hochschätzung der vom Staat als Verein anerkannten Logen, in Magdeburg zudem im Protektorat Herzog Ferdinands von Braunschweig.33 Die durch den Eid an den König gebundenen Beamten und Offiziere traten einer Sozietät bei, deren Mitglieder auch Friedrich II. und Friedrich Wilhelm II. waren, sie waren Brüder. Zudem konnten die Magdeburger Freimaurer mit der Unterstützung des Herzogs rechnen. Er machte der Loge immer wieder große Geldgeschenke für deren Sozialleistungen, den Erwerb eines Logenhauses und für andere Zwecke, zudem verwandte er sich für einzelne Mitglieder. So setzte Ferdinand 1790 bei seinem Neffen Friedrich Wilhelm II. die Anwartschaft seines Stuhlmeisters, des Dompredigers Christian Friedrich Schewe, als Abt von Kloster Berge durch. Er überging den Klosterkonvent, der vergeblich beim König protestierte. Johann Gottfried Gurlitt, der an der Schule Alte Sprachen unterrichtete, formulierte die rechtlichen Einwände des Konvents, stellte sich also gegen seinen Meister vom Stuhl; er trat im selben Jahr aus der Loge aus und folgte 1797 einem Ruf nach Hamburg. Das Militär stellte die drittgrößte Mitgliedergruppe (22,2 Prozent), überwiegend Leutnants und Kapitäne bzw. Rittmeister, die auch in anderen Logen unter den Offizieren am zahlreichsten waren. Zwölf Logenmitglieder gehörten den Unterstäben an: Auditeure, Regimentsquartiermeister, Feld- und Garnisonprediger, Regimentschirurgen (Feldscher), Feldapotheker. Die Offiziere dienten zumeist in den in und bei Magdeburg stationierten Infanterieregimentern Nr. 5 und 20 sowie den Kürassierregimentern Nr. 3 und 11. Drei Logenmitglieder besaßen ein Regiment bzw. Bataillon: Generalmajor Johann Rudolph von Merian das Leibkürassierregiment Nr. 3, Major August Christian Heinrich von Legat das Füsilierbataillon Nr. 20 und Oberst Wilhelm Ludwig von Meusel das Grenadierbataillon Nr. 2. Da viele Beamte studiert hatten (Jura, Kameralistik) und einige Theologen, Pädagogen und Ärzte ein staatliches oder kommunales Amt ausübten, kann man

33

Gränitz / Funk, (wie Anm. 7), S. 46, 49.

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sie zu den Beamten oder auch zur Intelligenz rechnen. Die Grenzen sind fließend. Wer von den Studierten dem König als Beamter oder Unterstabsoffizier diente, soll hier nicht als Intellektueller, sondern als Beamter und als Militär gezählt werden. In der Rubrik Intelligenz erscheinen daher nur die Prediger, Lehrer, die zivilen Ärzte und Apotheker, die bildenden und darstellenden Künstler, die Studenten und Kandidaten sowie die Schriftsteller und Journalisten. Sie bildeten die vierte große Mitgliedergruppe (21,4 Prozent). In der Schulstadt Magdeburg war die Zahl der Schul- und Hauslehrer besonders groß (35), unter ihnen die Lehrer an den Gymnasien der säkularisierten Klöster Unser Lieben Frauen und Kloster Berge, an der Dom- und der Altstädter Schule sowie an der Handelsschule, einschließlich deren Direktor Christian Martin Ferdinand Kunze. Es folgten die Prediger, die meist eine Stelle in den Kleinstädten und Dörfern des Umlandes hatten, sowie die Ärzte, Chirurgen und Apotheker. Die Musiker in der Loge waren meist Organisten der Kirchen in Magdeburg und Halberstadt, die Schauspieler Mitglieder gastierender Theatergesellschaften und des gegen Ende des Jahrhunderts gegründeten Magdeburger Nationaltheaters; bildende Künstler fehlten ganz. In den Logenkonzerten spielten außer den genannten Organisten und Laien auch mehrere als Dienende Brüder aufgenommene Militärmusiker, die Hautboisten, sowie nichtfreimaurerische Musiker. Jede Loge griff weit ins Umland hinaus und besetzte ein eigenes Einzugsgebiet, einen Sprengel. So auch die Ferdinand zur Glückseligkeit, von deren Mitgliedern jeder Dritte bis Zweite in Magdeburg wohnte, die übrigen aber auswärts einschließlich der in einem Krieg im Felde stehenden Offiziere. Die folgenden Daten zeigen die Entwicklung im Verhältnis von anwesenden und abwesenden (auswärtigen) Mitgliedern: Ein Jahr nach der Logengründung, 1779/80, waren zwölf der 35 Vollmitglieder Auswärtige (34,3 Prozent), 1789 43 von 102 (42,2 Prozent), 1792, im Ersten Koalitionskrieg gegen Frankreich, 96 von 168 (57,1 Prozent) und 1801 72 von 160 (45 Prozent). Die Auswärtigen besuchten die Loge wegen der oft großen Entfernungen selten, meist nur zu den Feiern. Aber auch die Magdeburger kamen nicht immer. Im Jahre 1779 ζ. B. erschienen durchschnittlich 25 Mitglieder zu den Logenversammlungen (71,4 Prozent). Andererseits wünschten fast jedes Mal Gäste den Zutritt. Sie waren Mitglieder auswärtiger Logen, meist Beamte auf einer Dienstreise, Kaufleute, wiederholt aus Hamburg, dem Zielort der Elbeschiffahrt, oder Offiziere aus für kurze Zeit in oder bei Magdeburg stationierten Einheiten. Ein Besuch aus den benachbarten Logen in Aschersleben und Halle, mit denen man sich ja lange Zeit nicht gut stand, kam seltener vor. Wo wohnten oder garnisonierten die Mitglieder der Loge Ferdinand zur Glückseligkeit?

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Die Generalkarte der Preußischen Staate vom Jahre 1802 des Berliner Geographen Daniel Friedrich Sotzmann35 verzeichnet im Herzogtum Magdeburg 21 Städte und etwa 75 Dörfer. Mitglieder der Loge sind außer in Magdeburg weit verstreut in 16 verschiedenen Städten und 15 Dörfern ermittelt, also in drei Vierteln aller Städte und einem Fünftel aller Dörfer des Herzogtums. Neun Mitglieder ζ. B. wohnten in der nördlich an Magdeburg angrenzenden Neustadt Magdeburg, einer Landesstadt unter dem Amt Giebichenstein, die Lehrer und Angestellten des Franckeschen Waisenhauses vermutlich in dem südlich an Halle angrenzenden Glaucha, acht in Haldensleben und zwölf im Amt Schönebeck, hier auch vier Mitglieder der Ascherslebener Loge Zu den drei Kleeblättern, sowie, um einige Dörfer zu nennen, sieben in Kloster Berge und drei in Cracau; beide Orte wie auch Neustadt Magdeburg und Glaucha wurden später nach Magdeburg bzw. Halle eingemeindet.36 Eine Reihe von Mitgliedern hatten ihren Wohnsitz noch weiter entfernt, einige sogar außerhalb des Herzogtums. Die Ferdinand zur Glückseligkeit zählte in ihren Reihen elf Hallenser, zehn Halberstädter, aber nur einen Ascherslebener, die Loge Zu den drei Kleeblättern in Aschersleben zählte 34 Magdeburger, zehn Hallenser und sechs Halberstädter, die Drei Degen in Halle nur drei Magdeburger und je einen Ascherslebener und Halberstädter. Vier Mitglieder der Ferdinand zur Glückseligkeit waren Berliner, zwei Stettiner, vier Hamburger; andere waren noch weiter nach Warschau, Bordeaux, Malaga und sogar nach Guinea verzogen. Die in so ferne Gegenden verschlagenen Mitglieder waren meist dorthin versetzte Beamte, die ihrer alten Loge treu blieben, oder Kaufleute. Ein Mitglied entschied sich nur ungern zu einem Logenwechsel, eher ließ man die Mitgliedschaft ruhen. Gegen einen Wechsel sprachen die Anhänglichkeit an die Loge und deren vertrautes Ritual, Freundschaften, die Kosten einer Neuaufnahme und die Schwierigkeiten eines Systemwechsels. Nahm eine Loge dennoch das Mitglied eines von ihr nicht anerkannten Systems an, mußte dieses eine demütigende Zeremonie über 34

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Generalkarte von den sämtlichen Königl. Preußischen Staaten, welche zugleich als Postkarte dient, entworfen von D. F. Sotzmann, Berlin 1802. Nebst einem Repertorium von A. C. Caspari neu bearb. u. erläut. von Wolfgang Scharfe. Berlin 1981. Zu Sotzmann: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler, Bd. 31 (1937), S. 306. Mitglieder der Loge Ferdinand zur Glückseligkeit im Herzogtum Magdeburg (ohne Grafschaft Mansfeld und Saalkreis). Vor der Klammer: Wohnort bei der Aufnahme, in Klammern: späterer Wohnort. Städte: Magdeburg, Aken 6, Burg 4 (1), Amt Frose 3 (2), Genthin 8, Groß Saltze 2 (3), Jerichow 1, Calbe 4, Zu den drei Degen 2, Loburg 2, Neu-Haldensleben 6 (2), Neustadt Magdeburg 9, Oebisfelde, Amt Sandau 1, Amt Schönebeck 12, Zu den drei Kleeblättern 4, Seehausen 4, Amt Wanzleben (1), Amt Wolmirstedt 5. Dörfer: Amt Alvensleben 8, Altenplathow 1 (2), Amt Ampfurth Zu den drei Kleeblättern 2, Amt Athensleben 2, Kloster Berge 7, Amt Dreileben 3(1), Amt Egeln 8, Grabow 1, Amt Hillersleben 1(1), Hohenziatz (1), Hundisburg 2 (1), Leitzkau 1, Randau (1), Rogätz 4, Sohlen 1, Tucheim 1 (1). Nicht auf der Generalkarte verzeichnete Dörfer: Bittikau 1, Cracau 2 (1), Dannigkow 2, Farsleben 2, Gr. Germersleben 2 (1), Hornhausen 1, Melkow/ Jerichow 1, Menz 1 (1), Pietzbuhl 1, Reesen 1, Rechendorf 1, Sommerschenburg 1, Unseburg / Wanzleben 1, Welsleben 1.

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sich ergehen lassen und von neuem anfangen. Dafür ein Beispiel aus Potsdam. Als der Baubeamte und Architekt Georg Christian Unger von der desolaten Loge De la sagesse, einer unselbständigen Deputation der Berliner Royale York de l 'amitie, zur Minerva zu wechseln wünschte, der sein Lehrer Karl Philipp Christian von Gontard angehörte, lehnte diese ihn ab und nahm ihn erst auf, als die Berliner Große Landesloge grünes Licht gab. Unger mußte seiner alten Loge abschwören und versprechen, sie nie mehr zu betreten. Ein Logenwechsel wurde unvermeidlich, wenn ein Mitglied für immer in eine andere Provinz zog. Dies kam öfter nach den polnischen Teilungen der neunziger Jahre vor, als der Staat zahlreiche Beamte für die Verwaltung der weit entfernten neuen Provinzen benötigte, übrigens mit guten Aufstiegschancen. Unter ihnen waren viele Freimaurer aus dem Elbe-Saale-Gebiet. Ein Freimaurer konnte in der Regel nur dann einer anderen Loge beitreten, wenn ihn seine alte Loge ordnungsgemäß entlassen und ihn mit einem Zertifikat, also einem unterschriebenen und gesiegelten Ausweis mit Namen und Grad, versehen hatte. Anders gesagt: Ein Freimaurer war jeweils nur rechtmäßiges Mitglied einer einzigen Loge, sonst galt er als Besuchender Bruder; Ausnahmen machten Hochadlige, deren Mitgliedschaft das Ansehen einer Loge hob und die eher als Ehrenmitglieder galten. Die Möglichkeit für Freimaurer, auf Reisen andere Logen besuchen zu können, erleichterte die regionale und internationale Kommunikation. Aber auch dann mußten sie sich mit einem Zertifikat, mit Griff und Gradkenntnis als echt beweisen. Ein Freimaurer durfte jedoch nur die Loge seines Grades besuchen, also ein Lehrling eine Lehrlingsloge, aber ein Meister alle Logen bis zum Meistergrad. Die Freimaurerlogen wirkten vor allem auf drei Gebieten in die Öffentlichkeit: sozial, kulturell und gesellschaftlich. Wie in den Logen üblich, sammelten auch die Magdeburger Freimaurer am Schluß einer jeden Logenversammlung einschließlich der Tafellogen für die Armen. Die protokollierten Erträge kamen in die Logenarmenkasse. In der Ferdinand zur Glückseligkeit kamen die großen Geldgeschenke Ferdinands von Braunschweig hinzu, ab 1785 zusätzlich die Zinsen des bei der königlichen Bank angelegten Logenkapitals, später die Einnahmen aus öffentlichen Konzerten zu Gunsten der Armen. Die Loge entschied über die Verwendung und lehnte unter Umständen eine Unterstützung ab. Sie half mit regelmäßigen und öfter großen Summen bedürftigen und durchreisenden Freimaurern, worin der ursprüngliche Sinn der Sammlungen bestand, noch mehr jedoch auch mit Sachgeschenken (Holz im Winter) nichtfreimaurerischen Armen, Verunglückten, Witwen und Waisen sowie Schulen und Waisenhäusern. Die Magdeburger wie auch die Mitglieder der Logen der Monarchie insgesamt beteiligten sich an der landesweiten Hilfe für das 1787 abgebrannte Neuruppin. 37

37

GStA PK Freimaurer 5.2. Μ 7 Nr. 117, Protokoll 28.9.1787, Bl. 9-10.

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Die Freimaurer entwickelten einen ausgeprägten Sinn für Kultur. Ihre bis ins Einzelne festgelegten, Disziplin fordernden Versammlungen, die Arbeiten, waren voller Symbolik in Wort und Gegenstand, gleichsam Theaterinszenierungen. Daher bestellten die Logen einen Zeremonienmeister. In den auf die Aufnahmen und Beförderungen folgenden rituellen Tafellogen und während der gleichfalls einem festen Programm folgenden Feiern am Johannistag (24. Juni), zu des Königs Geburtstag, am Jahresschluß und zum Gedenken Verstorbener sang man die von freimaurerischen Dichtern und Komponisten verfaßten Lieder, die den Mitgliedern in gedruckten Liederbüchern vorlagen. Im Sommer 1787 mieteten Logenmitglieder aus eigenen Mitteln für gesellige Vergnügungen einen Garten. In den folgenden Wintern richtete die Loge einen Winterklub ein, in dem die Mitglieder mit ihren Frauen speisen konnten und wo man Konzerte gab. 38 Nach dem Kauf eines Logenhauses fanden die geselligen Zusammenkünfte täglich statt. Das Klubleben, heißt es in der Geschichte der Loge Ferdinand zur Glückseligkeit, trat immer mehr in den Vordergrund. 39 Die in Magdeburg gastierenden Theatergesellschaften konnten daher stets mit der Unterstützung der Freimaurer rechnen, die Schauspieler ohne Vorbehalte in ihre Logen aufnahmen und ihnen die Türen der Magdeburger Gesellschaft öffneten. Dies war bereits in den sechziger Jahren der Fall, als Franz Schuch, der während des Siebenjährigen Krieges vor dem Hof spielte, der Loge De la felicite beitrat. Die Gründung des Nationaltheaters Magdeburg Ende des Jahrhunderts war mit ein Verdienst der theaterbegeisterten Freimaurer. Mehrere Mitglieder der Ferdinand zur Glückseligkeit beteiligten sich an der Aktiengesellschaft zum Bau des Theaters. 40 Die Gesellschaft berief 1795 Karl Konrad Kasimir Döbbelin (17631821), dessen Truppe damals in Magdeburg gastierte, zum Prinzipal (Intendanten) des Nationaltheaters. Er war der Sohn des berühmten Schauspielers Karl Theophil Döbbelin, der in den siebziger Jahren ebenfalls in Magdeburg gespielt hatte. Der 23jährige Friedrich Ludwig Schmidt sowie Franz Alois Hostovsky, ein geborener Prager, erhielten die künstlerische Direktion (Regie). Nach dem Weggang Schmidts 1806 nach Hamburg trat August Heinrich Fabricius seine Nachfolge an. Der Komponist Friedrich Adolf Pitterlin übernahm die Musikdirektion. Er dirigierte 1795-1804 auch die Winterkonzerte der Loge. 41 Döbbelin jun., Fabricius, Hostovsky, Pitterlin und Schmidt waren Mitglieder der Ferdinand zur Glückseligkeit. Die Magdeburger Freimaurer beschränkten die Geselligkeit nicht auf die eigene Loge, sondern dehnten sie auch auf andere Gesellschaften aus. Allerdings läßt sich 38 39 40

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Gränitz / Funk, (wie Anm. 7), S. 64. Ebd., S. 71. Die sieben Mitglieder der Schauspielergesellschaft waren: Hofrat Guischard, Ratmann Jorgenson, Kriminalrat Costenoble, Ratmann Fritze, Kammerrat Suckro, die Kaufleute Georgy und Keller, die drei Direktoren waren Guischard, Fritze, Suckro. Magdeburgs literarische und gesellschaftliche Zustände, (wie Anm. 12), S. 322f.

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nicht sagen, wie viele es waren, solange nicht die Mitgliederlisten gefunden sind. Bisher wissen wir nur mit Sicherheit, daß fünf oder sechs Freimaurer der Ferdinand zur Glückseligkeit Mitglieder der Harmonie, einer Gesellschaft hauptsächlich von Kaufleuten und Honoratioren, drei der Ressource für Offiziere und Zivilisten und einer, Johann Gottfried Gurlitt, der Mittwochsgesellschaft, einem 1761 gegründeten gelehrten Klub, waren.42 Schließlich sei erwähnt, daß die Ferdinand zur Glückseligkeit 1783, fünf Jahre nach ihrer Gründung, eine Logenbibliothek mit maurerischen und profanen Büchern einrichtete. Die Bücher brachte man in einem Bücherschrank unter. Im ersten Jahr gab die Loge etwa 50 Taler für neue Bücher aus. Hinzu kamen Schenkungen. Insgesamt blieben die ausgeworfenen Mittel und der Bücherbestand klein. Noch 1797 sprach die Loge von „unserer kleinen Bibliothek.43 Im Jahre 1793 abonnierte die Loge erstmals eine Zeitung, für die jeder Leser zwölf Groschen entrichtete.44 Die Bibliotheksverwaltung übertrug man verschiedenen Mitgliedern, 1798 Johann Christian Friedrich Berghauer, Lehrer an der Domschule; er schrieb 1800/01 die Topographie „Magdeburg und die umliegende Gegend". Fassen wir zusammen: Die Freimaurerlogen, in unserem Falle die Logen in Magdeburg und hier besonders die mitgliederstarke und selbstbewußte Ferdinand zur Glückseligkeit, bieten überzeugende Beispiele für die Vergesellschaftung im 18. Jahrhundert. Diese Gesellschaft war eine ständeübergreifende, konfessionell tolerante, im Wesentlichen demokratische (man sagte republikanische), politisch staatstreue Sozietät. Viele Mitglieder standen der Aufklärung nahe, andere auf der Seite der Gegenaufklärung, oder sie interessierten sich weder für das eine noch das andere, was Spannungen erzeugte, jedoch die Arbeit der Loge nicht allzu sehr belastete. Auch in den Logen anderer Städte stand der Wunsch nach Gemeinschaft vor dem der jeweiligen Systemideologie. Die Freimaurerei war praktisch und ideologisch gemeinschaftsstifitend. Das freimaurerische Geheimnis, das sich das Mitglied Stufe für Stufe erschloß, bezog sich auf die Grade. Die Loge öffnete sich der städtischen Gesellschaft vor allem mit ihrem sozialen und kulturellen Engagement. Politisch war die Freimaurerei in Brandenburg-Preußen eng mit dem preußischen Staat verbunden, was sich bei der Mitgliedschaft so vieler Beamter und Offiziere von selbst verstand, gleichgültig ob sie Monarchisten, Konstitutionalisten oder Republikaner, Anhänger oder Gegner der Französischen Revolution waren. Politische Opposition entstand nicht in, sondern nur außerhalb der Loge. Die in die Zukunft weisende Bedeutung der Freimaurerlogen lag in ihrer sozialen, emanzipatorischen und organisatorischen Funktion.

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Berghauer, (wie Anm. 32), Bd. 2, S. 246-248; Magdeburgs literarische und gesellschaftliche Zustände, (wie Anm. 12), S. 321. GStA PK Freimaurer 5.2. Μ 7 Nr. 139, Protokoll 11.1.1799. Ebd., Nr. 118, Protokoll 18.12.1792; vgl. Funk / Granitz, (wie Anm. 7), S. 71, die von mehreren Zeitungen sprechen.

III. Kommunikation

REINHARD M A R K N E R

(Halle)

Imakoromazypziloniakus. Mirabeau und der Niedergang der Berliner Rosenkreuzerei Das Unausweichliche war eingetreten. Der alte König hatte, sechsundvierzig Jahre nach Antritt der Regierungsgeschäfte, sein Leben beendet. Eine schwer zu deutende Stimmung erfaßte das Leben der Hauptstadt. Der russische Gesandte zeigte sich überrascht, wie wenig Aufsehen die Todesnachricht gemacht habe. In seinem Bericht an das Petersburger Ministerium betonte er, daß die Stadt äußerst ruhig sei und die Bevölkerung gefaßt, beinahe gleichgültig.1 Vielleicht gab Sergej Graf Rumjanzow in erster Linie von seiner eigenen Regungslosigkeit Auskunft, die ihn sogar dazu bewegen sollte, nicht an den Beisetzungsfeierlichkeiten teilzunehmen. Immerhin aber traf sich sein Urteil mit den Eindrücken, die in einer Depesche an den Hof in Versailles geschildert wurden: Tout est morne, rien n'est triste; tout est occupe, rien n'est afflige. Pas un visage qui n'annonce le delassement et l'espoir; pas un regret, pas un soupir, pas un eloge [...]. Et c'est done la qu'aboutissent tant de batailles gagnees, tant de gloire; un regne de pres d'un demisiecle, rempli de hauts faits! Tout le monde en desirait la fin, tout le monde s'en felicite [...]. 2

Honore Gabriel Riqueti de Mirabeau, der hier dem neuen Herrscher ein harsches „Sic transit gloria mundi" zurief, konnte sich glücklich schätzen, dem alten noch selbst begegnet zu sein. Als er am 19. Januar 1786 nach vierwöchiger Reise in Potsdam angelangt war, hatte er sich ohne Umschweife an den greisen König gewandt und um eine Audienz nachgesucht. „Je serais, je l'avoue, tres-curieux de savoir par quel heureux hasard ce voyageur a passe jusqu'ici", 3 war Friedrichs Reaktion, der gegenüber seinem Bruder Heinrich behauptete, von dem Besucher noch nie etwas gehört zu haben. Bis dahin hatte Mirabeau fast ausschließlich anonym publiziert, so daß dem König vielleicht nicht bewußt war, daß er mindestens eine seiner zahlreichen Veröffentlichungen, Des lettres de cachet von 1782, gelesen hatte und ihm seinerzeit „les lieux communs et les declamations" des Autors unangenehm aufgefallen waren.4 „Autant que j'en puis juger, c'est un de ces

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Bericht vom 17. 8. 1786, vgl. Gustav Berthold Volz, Friedrich der Große im Spiegel seiner Zeit. 3 Bde. Berlin [1926/27], hier Bd. 3, S. 256. Henry Welschinger, La mission secrete de Mirabeau ä Berlin (1786-1787). D'apres les documents originaux des Archives des Affaires etrangeres. Paris 1900, S. 172f. Friedrich II. an Graf Görtz, Potsdam, 23. 1. 1786, in: Frederic le Grand, CEuvres, Bd. 25: Correspondance. Bd. 10. Berlin 1855, S. 324. Friedrich II. an d'Alembert, Potsdam, 28. 4. 1783, ebd., S. 253.

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effemines satiriques qui ecrivent pour et contre tout le monde", 5 urteilte er nun aufgrund einer Sendung weiterer Schriften, die Mirabeau ihm hatte zustellen lassen. 6 Im Gespräch am 25. Januar scheint Friedrich jedoch einen günstigeren Eindruck gewonnen zu haben. Zwar hatte er keine Verwendung fur den Franzosen; es sollte ihm aber vorerst gestattet sein, im Lande zu bleiben. Mirabeau nahm das Angebot an. Wenige Wochen später wandte er sich noch einmal an den König, um diesem anzuzeigen, daß ein gewisser Freiherr von Borcke seinen Schuldverpflichtungen gegenüber dem Amsterdamer Bankier und Kaufmann Theophile Cazenove, einem Bekannten Mirabeaus aus der Zeit seines Aufenthalts in den Niederlanden, nicht nachzukommen bereit war. Friedrich befand jedoch, daß er sich in die Angelegenheit nicht „mehren" könne. 7 Einmischung war Mirabeaus Metier. Es war damit zu rechnen, daß er die sichere Entfernung dazu nutzen werde, mit um so schonungsloseren Pamphleten in die Politik seiner Heimat einzugreifen und seine publizistische Fehde mit dem Finanzminister Calonne fortzusetzen. 8 „Nous avons ici le comte de Mirabeau, auteur de tant de brochures!" meldete der französische Gesandte in Berlin, Graf d'Esterno, im Februar an den Außenminister Vergennes. In Preußen genieße er alle publizistischen Freiheiten, „pourvu qu'il ne dise pas du bien de la cour de Vienne". 9 Unter diesen vorteilhaften Umständen erlangte Mirabeau schnell Anschluß an die Berliner Gesellschaft, und zielgerichtet suchte er die Nähe der frankophilen Partei an Preußens Hof. Friedrichs Außenminister Graf Hertzberg machte ihn mit seinem Beamten Christian Wilhelm Dohm bekannt, der ihn fortan nach Kräften bei dem Versuch unterstützte, seine „gänzliche Unwissenheit über Deutschland [...] zu überwinden und seine mitgebrachten Vorurtheile abzulegen". 10 Herzliche Aufnahme fand Mirabeau auch beim Prinzen Heinrich, der schon bei seinem Besuch in Paris 1784 die Entsendung eines zweiten französischen Gesandten angeregt hatte und nun, wenngleich der unangemeldete Besucher ohne offiziellen Auftrag nach Berlin gekommen war, seinen Wunsch erfüllt sah. Mirabeau hatte sich vorgenommen, selbst in Augenschein zu nehmen, inwieweit Preußen als mustergültig regierter Staat gelten konnte. Dohm erfüllte es mit Bewunderung, wie der Franzose in Berlin auf „Staatsmänner, Militairs, Gelehrte, Künstler, Kaufleute und Fabrikanten, sogar Handwerker" zuging und dabei die 5

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Friedrich II. an Prinz Heinrich, Potsdam, 25. 1. 1786, in: Frederic le Grand, (Euvres, Bd. 26: Correspondance, Bd. 11, Berlin 1855, S. 522. Vgl. Friedrich Π. an Görtz, 23. 1. 1786, (wie Anm. 3). Frederic le Grand, (wie Anm. 3), S. 327, Fn. Vgl. auch die in ihr Gegenteil verkehrte Darstellung der Angelegenheit bei Welschinger, (wie Anm. 2), S. 13f. Vgl. Erich Wild, Mirabeaus geheime politische Sendung nach Berlin. Heidelberg 1901, S. 5 - 9 . Graf d'Esterno an Vergennes, Berlin, Feb. 1786, zit. nach Welschinger, (wie Anm. 2), S. 10. Christian Wilhelm von Dohm, Denkwürdigkeiten meiner Zeit oder Beiträge zur Geschichte vom lezten Viertel des achtzehnten und vom Anfang des neunzehnten Jahrhunderts 1778 bis 1806. 5 Bde. Lemgo / Hannover 1814^1819, hier Bd. 5, S. 399f.

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„Kunst zu fragen" so virtuos beherrschte, daß er „binnen einer Zeit von etwas über vier Monaten, die er in Berlin war, [...] eine solche Menge richtiger und genau bestimmter Kenntnisse über Preußens Staatseinrichtungen" zusammenbrachte, „wie sie mancher vieljährige Staatsdiener im eignen Fache nicht hatte".11 Auf Anregung seines Freundes befaßte sich Mirabeau ferner mit der grassierenden Schwärmerei im Gefolge von Wunderheilern wie Cagliostro einerseits, Wundergläubigen wie Lavater andererseits. Großes Interesse zeigte er auch an den Fragen der religiösen Toleranz und der Judenemanzipation, denen Dohm die bedeutende Abhandlung Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden gewidmet hatte.12 Dohm war es schließlich auch, der den Grafen an den in Braunschweig lehrenden Militärwissenschaftler Jacob Mauvillon empfahl, der in Kassel sein Kollege gewesen war. Es erwies sich, daß Mirabeau, der ebenso wie sein Vater der physiokratischen Lehre anhing, schwerlich einen kongenialeren deutschen Gelehrten hätte kennenleraen können. Bei ihrer Zusammenkunft Ende April 1786 - Mirabeau hatte auf seiner ersten Heimfahrt nach Paris in Braunschweig Station gemacht - verabredeten sie, den Wechsel an der Spitze des preußischen Staates antizipierend, gemeinsam eine Bilanz der friderizianischen Epoche zu ziehen. Rechtzeitig wieder aus Frankreich zurückgekehrt, um den Thronwechsel mitzuerleben, und nunmehr versehen mit dem offiziellen Auftrag, geheime Berichte nach Versailles zu senden, nahm sich Mirabeau heraus, dem neuen König unaufgefordert ein komplettes Regierungsprogramm zu Füßen zu legen. Es beruhte auf soliden protoliberalen Grundsätzen und folglich auf der Voraussetzung, daß ein weiser Herrscher seinen Tatendrang zu beherrschen wisse: Pour vous, sire, comme il vous convient de gouverner toujours bien, il est digne de vous de ne pas trop gouverner. [...] Le Prince qui examinera s'il ne vaudroit pas mieux laisser aller seules la plupart des choses humaines, un tel Prince est encore ä paroitre [...].13

Dies vorausgeschickt, empfahl Mirabeau zahlreiche Maßnahmen zur sofortigen Durchführung, als erstes die Überwindung der „esclavage militaire" 14 und die Einfuhrung einer Miliz nach Schweizer Vorbild. Friedrich Wilhelm möge ferner die Presse-, Justiz- und Religionsfreiheit garantieren, die Todesstrafe abschaffen und seinen Untertanen das Recht auf Auswanderung und Landerwerb, auch von adligen Vorbesitzern, einräumen. Auf ökonomischem Gebiet plädierte der Franzose für die Einrichtung öffentlicher Arbeitshäuser, die Erhebung von Grundsteu-

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Dohm, (wie Anm. 10), S. 400-402. Vgl. [Honore Gabriel Riqueti] de Mirabeau, Lettre [...] ä *** sur MM. de Cagliostro et Lavater. Berlin 1786, und ders., Sur Moses-Mendelssohn, sur la reforme politique des Juifs, et en particulier sur la revolution tentee en leur faveur en 1753, dans la Grande-Bretagne. London 1787. [Honore Gabriel Riqueti] de Mirabeau, Lettre remise a Fred. Guillaume II, roi regnant de Prusse, le jour de son avenement au tröne. Ο. Ο. 1787, S. 15. Ebd., S. 18.

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ern und die Abschaffung der Lotterie. In der Empfehlung, disponible Mittel in ausländischen Papieren anzulegen, sollte Friedrich Nicolai rückblickend geradewegs „die Cause secrette der doppelten Reise des Grafen M. nach Berlin" erkennen. Vor dem Hintergrund der immensen Verschuldung Frankreichs habe dieser sich ausgerechnet, daß ihm „eine gute Stelle im Corps diplomatique " sicher gewesen wäre, wenn er die Preußen zur Zeichnung französischer Staatsanleihen bewegt hätte. Im Falle des Erfolges dieser Mission, spekulierte Nicolai, wäre womöglich die „Revolution etwas weiter hinausgesetzt" worden.' 5 Dies blieb allerdings ebenso ein Gedankenspiel wie das von Mirabeau entworfene Reformprogramm für Preußen, dessen Umsetzung einer veritablen Revolution von oben gleichgekommen wäre. Immerhin schickte sich Friedrich Wilhelm II. unmittelbar nach seiner Inthronisation durchaus an, einige grundlegende Veränderung des preußischen Wirtschafts- und Finanzsystems vorzunehmen. Die Abschaffung der von französischen Beamten geführten „Regie", der unpopulären Zoll- und Monopolbehörde, sollte nach dem Willen des Königs und seiner Berater den Handel zwischen Preußen und den Nachbarstaaten beleben und den Schmuggel von Genußmitteln abzustellen helfen. Die Einnahmeausfälle plante man durch die Erhebung einer Kopfsteuer abzugleichen. Das Vorhaben trug die Handschrift Johann Christoph Wöllners, der dem Kronprinzen in den vorangegangenen Jahren private Vorlesungen gehalten hatte, die in volkswirtschaftlicher Hinsicht stark von der physiokratischen Theoriebildung beeinflußt waren. 16 Es konnte nicht ausbleiben, daß gegen eine so einschneidende Maßnahme Widerspruch laut wurde. Eine anonyme Schrift Was ist für, und was ist gegen die General-Tabaks-Administration zu sagen?17 faßte die Argumente für die Aufrechterhaltung des seit 1765 geltenden Staatsmonopols zusammen. Ihr Autor gab zu bedenken, daß eine Senkung des Einfuhrzolls auf Kaffee notwendig den seit der Zeit des Siebenjährigen Krieges zu beobachtenden „Hang des Volkes zu dem ungesunden, die Nerven erschlaffenden und den Körper schwächenden" 18 Getränk befördern, den Geldabfluß ins Ausland erhöhen, die heimischen Brauereien hingegen empfindlich treffen müsse. Die gemeinhin gegen die preußische Tabaksadministration erhobenen Vorwürfe seien unberechtigt, und zwar nicht nur in gesamtwirtschaftlicher Hinsicht, könne doch die Ware aus heimischem Anbau sogar dem Vergleich mit reinem virginischen Tabak standhalten. Vor allem aber lasse sich

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[Friedrich Nicolai,] Freymüthige Anmerkungen über des Herrn Ritters von Zimmermann Fragmente über Friedrich den Großen von einigen brandenburgischen Patrioten. 2 Bde., Berlin / Stettin 1792, hier Bd. 2, S. 11 lf. Vgl. die Aufschlüsselung der Hintergründe von Mirabeaus Entsendung bei Wild, (wie Anm. 8), S. 5-28. Vgl. P[aul] Bailleu, [Art.] Woellner, in: ADB Bd. 44, 1898, S. 148-158, hier S. 152. Was ist fiir, und was ist gegen die General-Tabaks-Administration zu sagen? [Berlin] 1786 (Wiederabdruck in: Historisch-politisches Magazin, nebst litterarischen Nachrichten 1/1787, S. 229-259). Ebd., S. 11.

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überhaupt nicht absehen, wie der zu erwartende Einnahmeverlust zu kompensieren sei. Der Verfasser kam daher zu dem Schluß, daß eine moderate Reform der Monopolverwaltung bei weitem den Vorzug vor ihrer Abschaffung verdiene. In einer „Nachschrift" mußte er allerdings konstatieren, daß während der Drucklegung seines öffentlichen Einspruchs Anfang Januar 1787 das königliche Patent, mit dem die Aufhebung der General-Tabaksadministration zum 1. Juni verkündet wurde, bereits erschienen war.19 Er hob hervor, daß an die Stelle der ursprünglich vorgesehenen Kopfsteuer eine Erhöhung mehrerer Verbrauchssteuern getreten war, womit sich seine Befürchtungen bestätigt hatten, die Verbilligung von Luxusgütern werde die Verteuerung von Grundnahrungsmitteln nach sich ziehen. Obgleich der anonyme Kritiker „strengste Ohnpartheylichkeit und die redlichste Absicht" gelobt hatte, „in einer für den hiesigen Staat so wichtigen Sache blos der Wahrheit nachzuspüren", 20 war Friedrich Wilhelm, der spürte, daß sich die öffentliche Meinung gegen ihn zu wenden drohte, über die Broschüre äußerst aufgebracht. Er ließ sie beschlagnahmen und nach ihrem Verfasser fahnden. Dieser stellte sich daraufhin unverzüglich selbst.21 Es handelte sich um Adrian Heinrich Freiherr von Borcke, jenen Mann, gegen den Mirabeau ein Jahr zuvor erfolglos Beschwerde gefuhrt hatte. Der 1736 als Sohn des Staatsministers Friedrich Wilhelm Freiherr von Borcke geborene Beamte war als preußischer Gesandter und Legationsrat zunächst in Kopenhagen, seit dem Dezember 1768 in Dresden tätig gewesen. Im Februar 1775 nach Berlin ins Generaldirektorium gewechselt, hatte er gegen Ende der friderizianischen Ära sein Amt als Commissaire de Commerce durch „heimliche Verläumdungen" verloren, denen zufolge er in seinem Haus ein Liebhabertheater unterhalte. 22 Die erhoffte Wiederverwendung im preußischen Staatsdienst unter Friedrich Wilhelm hatte Borcke nun zunächst selbst vereitelt. Graf Wilhelm von der Goltz, ein anderer Vertreter des Friderizianismus, ließ ihn wissen, wie sehr er es bedaure, daß Borckes „so wohlgemeynte patriotische Absichten" ihm „Verdruß zugezogen" hatten.23 Dieser hielt sich an den Rat des Grafen, sich fortan ruhig verhalten, und verbrachte 1787 überwiegend auf seinem Besitz Hueth im Klevischen, weitab von der Mitte Preußens. Auch Mirabeau hatte in der Zwischenzeit Berlin wieder verlassen. Er war am 19. Januar 1787 nach Paris abgereist, um an der vom König einberufenen Notabelnversammlung teilnehmen zu können. Schon im Mai kam er aber nach 19

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Declarations-Patent wegen Aufhebung der General-Tabacks-Administration und Caffeebrennerey-Anstalt auch Heruntersetzung der Caffee-Accise. De Dato Berlin, den 6. Januarii 1787, in: Novum corpus constitutionum marchiarum 8 (1786-90), S. 243-250. Geheime Briefe über die Preußische Staatsverfassung seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms des Zweyten. Utrecht 1787, S. 18. Auszug eines Schreibens aus Berlin. Ueber die Finanzoperationen im Preußischen, in: Der deutsche Zuschauer Bd. 6, 1787, S. 56-82. Geheime Briefe, (wie Anm. 20), S. 52. Goltz an Borcke, Potsdam, 21.3. 1787, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (GStA PK), VI. HA, Nachlaß v. Borcke III, Nr. 53, Bd. 13 (1787), Bl. 44.

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Deutschland zurück, und zwar nach Braunschweig, um dort die Redaktion des Gemeinschaftswerks De la Monarchie prussienne vorzunehmen. Mauvillon hatte außerordentlich umfängliches statistisches Material zusammengetragen, und die Arbeit an der Fertigstellung der Untersuchung beschäftigte die beiden Autoren bis Ende September.24 Einige Wochen nach Mirabeaus Rückkunft in Paris begann in Berlin eine Schrift mit dem vielverheißenden Titel Geheime Briefe über die Preußische Staatsverfassung zu zirkulieren. Sie hob an mit jener Schlüsselszene, dem Ableben des großen Königs im Spiegel der Einwohner der Hauptstadt, die Rumjanzow und Mirabeau aus der skeptischen Distanz der Fremden beschrieben hatten. Hier aber hieß es nun ganz im Gegenteil, die Bestürzung der Berliner sei damals angesichts der ungewissen Zukunft des Landes allgemein gewesen: „Selbst diejenigen, die sonst jeder Veränderung mit Ungeduld entgegen sehen, fielen in ein tiefes Nachsinnen und waren unentschlossen, ob sie sich einer bessern Zukunft freuen sollten, oder nicht."25 Dieser Auftakt der anonymen Broschüre war programmatisch, durchzog doch die zwölf Briefe geradezu ostentativ die „ideale Grundstimmung des bekümmerten Patrioten"26 friderizianischer Prägung. Sosehr er auch Anzeichen einer Dekadenz der preußischen Monarchie erkannte - der Verfasser war bemüht, den Nachfolger des großen Königs nicht selbst verantwortlich zu machen. Er vermied es daher auch, Friedrich Wilhelms weithin als skandalös empfundene Beziehungen zum anderen Geschlecht näher zu beleuchten. Statt dessen konzentrierte er sich in erster Linie auf die kritische Kommentierung der personellen Umbesetzungen, die mit dem Regierungswechsel einhergingen. Sein Mißfallen erregte insbesondere die Berufung von Ausländern aus Sachsen in wichtige Ämter; darüber hinaus beklagte er, „was für einen mächtigen Einfluß die hiesige Judenschaft in alle Landesgeschäfte" gewonnen habe.27 Der wohlmeinende und fleißige Herrscher erschien in dieser Darstellung geradezu als ein Gefangener seiner zweifelhaften Entourage. „Der Obristlieutenant von Bischoffwerder ist Flügeladjutant, und befindet sich immer um die Person des Monarchen, der sein ganzes Vertrauen in ihn gesezt hat", hieß es im zweiten Brief der Sammlung. Süffisant fuhr der Autor mit der Beobachtung fort, über das militärische Wissen des Günstlings sei „zwar eigentlich nichts bekannt geworden, aber wohl, daß er jederzeit ein eifriger Rosenkreuzer und ein Busenfreund des berüchtigten Schröpfers, ehemaligen Kaffeeschenkers zu Leipzig, war". Folglich, so Schloß er, müsse Bischoffwerder einer der „sogenannten jesuitischen Freymaurer

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Vgl. Hanns Reißner, Mirabeau und seine ,Monarchie Prussienne'. Berlin/ Leipzig 1926, S. 12. Geheime Briefe, (wie Anm. 20), S. 1. Berthold Reiche, Die politische Literatur unter Friedrich Wilhelm II. Ein Ueberblick. Diss. Halle / Wittenberg 1891, S. 8. Geheime Briefe, (wie Anm. 20), S. 38.

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und Geisterseher" sein, von denen zu hören sei, daß sie „nach einem weit aussehenden politischen Systeme" arbeiteten. 28 In der Tat hatte es Hans Rudolph von Bischoffwerder ja bewerkstelligt, den damaligen Kronprinzen an die Gold- und Rosenkreuzer heranzuführen, bis dieser am 8. August 1781 durch den preußischen General und Großmeister der Berliner Mutterloge Zu den drei Weltkugeln, Herzog Friedrich August von Braunschweig, in den geheimen Orden aufgenommen werden konnte. 29 Und der unter Friedrich Wilhelm vom Major zum Generaladjutanten beförderte Bischoffwerder war auch wirklich einer der „Sterne der ersten Größe" Johann Georg Schrepffers gewesen. 30 Er zählte zu jenen wenigen ausgewählten Anhängern, denen von diesem versierten Thaumaturgen am 8. Oktober 1774 in einem Wald vor den Toren Leipzigs statt eines Wunders lediglich demonstriert worden war, wie man es anstellt, „sich durch einen Pistolenschuß den geschwinden Ausgang aus der Welt zu verschaffen". 31 Bischoffwerder selbst glaubte Zeuge zu sein, wie Schrepffer „von einem bösen Geiste überwunden und getödtet ward". 32 Ein Abschiedsbillet hatte der Gastwirt zuvor noch an Franz Du Bosc richten können, 33 von dem der Verfasser der Geheimen Briefe mitzuteilen wußte, er sei ein „ehemals angesehener Kaufmann in Leipzig, der sich nach einem erlittenen Banquerot nach Dresden begab, und bey der Freymaurer Loge als Meister vom Stuhl den Hammer führte". Von Du Bosc wiederum, den der König nun „mit einem ansehnlichen Gehalte zum geheimen Kommerzienrath ernannt" hatte, 34 war Bischoffwerder am Heiligabend des Jahres 1779 in den Orden eingeführt worden. Ein Vierteljahr lang berichtete er seinem „Bruder Introductor" nicht zuletzt vom Fortgang seiner Bemühungen um den „Candidaten" F. W., den er dazu brachte, „seine vorigen Vergehungen" zu bereuen und „mit

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Geheime Briefe, (wie Anm. 20), S. 4. Schultze, Johannes, Die Rosenkreuzer und Friedrich Wilhelm Π. (1929), in: ders., Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Ausgewählte Aufsätze. Berlin 1964, S. 240-265. So Schrepffers Berliner Anhänger Brückner in einem Brief an Johann Samuel Benedict Schlegel vom 28.11.1774, in: Joh. Sam. Bened. Schlegel, Tagebuch seines mit J. G. Schrepfer gepflogenen Umgangs, nebst Beylagen, vielen Briefen und einer Charakterschilderung Schrepfers, zu deutlicher Ubersicht seiner Gaukeleyen und natürlichen Magie. Hg. v. K. Fr. Köhler. Berlin / Leipzig 5806 [d. i. 1806], S. 151. - Zur Schreibweise vgl. [Friedrich] Steger, Schrepffer, in: Zirkel-Correspondenz Hamburg Nr. 132, 1853, S. 34—42, der sich auf vier eigenhändige Briefe an Ernst Siegesmund Freiherr von Lestwitz beruft. Geheime Briefe, (wie Anm. 20), S. 16f. Tagebuch G. J. v. Schröders von 1784, in: Ja[kov] L[azarevic] Barskov, Perepiska moskovskich masonovXVIII-go veka, 1780-1792gg. St. Petersburg 1915, S. 222. Abgedruckt bei Eugen Sierke, Schwärmer und Schwindler zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Leipzig 1874, S. 330. Geheime Briefe, (wie Anm. 20), S. 16, 44.

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Ernst an der Unterdrückung seiner sinnlichen Triebe" zu arbeiten.35 Dann übernahm der Oberste des Geheimbundes in Brandenburg, Christoph Wöllner, selbst die Aufsicht über Bischoffwerder. Zweifellos waren fur die Realisierung der „weit aussehenden" politischen Absichten Wöllners äußerst günstige Voraussetzungen geschaffen, als Bruder Ormesus im August 1786 den preußischen Thron bestieg. Großes Interesse zeigte Wöllner am Geistlichen Departement, das er, wie er freimütig erklärte, dazu nutzen könne, „die Aufklärer zu demüthigen".36 Vorläufig wurde ihm allerdings nur die Leitung des Oberbaudepartements übertragen. Immerhin wußte er sich schon am 2. Oktober 1786 im Besitz des ersehnten Adelsprädikats. Die Geheimen Briefe benannten Wöllner ganz offen als Gastgeber magischer Seancen. Trotz seinen „wichtigen und häufigen Geschäften, die ihn fast fur jedermann, der ein Anliegen an ihn hat, einige jüdische Banquiers ausgenommen, unsichtbar machen", so hieß es hier, habe er doch „die Zeit gefunden, in seiner eigenen Behausung, die der König erkauft, und dem Herrn dü Bosk geschenkt haben soll, eine Werkstätte für die Geisterseher und jesuitische Freymaurer anzulegen". Seither seien an diesem geheimen Ort regelmäßig „erstaunende magische Operationen" vorgenommen worden.37 Der Verfasser wußte eine genaue Beschreibung des fraglichen Kabinetts zu liefern: „Das Zimmer, worin die geheimen Künste getrieben werden, stellt ein Viereck vor, und an den Seiten ist in einem mässigen Zwischenraum eine grosse Anzahl kleiner und niedriger Ofen angebracht, wodurch der magische Dunst und das die Augen einnehmende Räucherwerk nach Gefallen unterhalten werden. In der Mitte dieses Tempels, in einiger Erhöhung, zeigt sich die Gestalt eines Geistes, im weißlichen Gewände, von leichtem seidenen Zeuge, das wegen seiner besondern elastischen Beschaffenheit und andrer erforderlichen Eigenschaften aus Frankreich verschrieben werden muß."38

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Joh[annes] Schultze, Quellen zur Geschichte der Rosenkreuzer des 18. Jahrhunderts. Die Berichte Hans Rudolf v. Bischoffwerders an seine Ordensvorgesetzten 1779-1781, in: Quellen zur Geschichte der Freimaurerei 3 (1929), S. 49-73, hier S. 65, 56, 63. Die von Schultze in Auszügen veröffentlichen Konzepte befinden sich im GStA PK Brandenburgisch-Preußisches Hausarchiv Rep. 48 F II Nr. 4. Jfohann] Dfavid] E[rdmann] Preuß, Zur Beurtheilung des Staatsministers von Wöllner, in: Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde 2 (1865), S. 577-604, 746-774, u. 3 (1866), S. 65-95, hier S. 90. Vgl. GStA PK, BPH, Rep. 48, F Π Nr. 7 a, Bl. 48f. - Angesichts der unmißverständlichen Aussagen Wöllners ist es nur in engen Grenzen sinnvoll, sich gegen „the over-simplistic view of the neo-Rosicrucians as being simply a part of the anti-Aufklärung camp" zu verwehren, zumal schon in der älteren deutschen Forschung wenig von dieser Simplifizierung zu spüren ist (vgl. Christopher Mcintosh, The rose cross and the age of reason. Eighteenth-century Rosicrucianism in Central Europe and its relationship to the Enlightenment. Leiden [u. a.] 1992, S. 179). Geheime Briefe, (wie Anm. 20), S. 69. Ebd., S. 70.

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Die leere Hülle des vermeintlichen Geistes, in die angeblich ein weiterer Sachse, „Namens Steinert, ein Mann, der das besondere Talent besitzt, die Bauchsprache zu sprechen",39 zu schlüpfen pflegte, bildet die Mitte eines Textes, der vielleicht überhaupt nur geschrieben war, um diese Szenerie schildern zu können. Im Unterschied zu Schillers im gleichen Jahr erschienenen Romanfragment Der Geisterseher drang er nicht bis zur letzten Aufklärung der zur Anwendung kommenden technischen Verfahren vor, wurde doch eigens hervorgehoben, daß eine „besondere und geheime Kunst" nötig sei, „dem Geiste, vermöge des an einem nicht sichtbaren Orte angebrachten magischen Spiegels und erforderlicher Bilder oder Abdrücke, die Gesichtsähnlichkeit des zu seinen Vätern versammelten Todten zu geben".40 Worin diese geheime Kunst bestehe, blieb im Ungefähren. Wichtiger als die technische Auflösung war dem Verfasser offenkundig seine ganz abgeklärt vorgetragene politische Schlußfolgerung: Grosse und Mächtige pflegen gemeiniglich leicht für das Wunderbare und fiir Schwärmerey eingenommen zu werden, wie man schon aus ihrer Anhänglichkeit an Cagliostro und Lavater gesehen hat; aber sie sind dadurch nicht klüger geworden. Welches kann also wohl der Zweck seyn, warum Grosse und Mächtige sich herablassen, in die Versammlung solcher Brüderschaften zu treten, die im Grunde und mit aller Ehrfurcht gesagt, nur ihr Spiel mit ihnen treiben? In die Geheimnisse selbst werden sie nicht dringen, denn das größte unter allen besteht darinn, daß sie sie nicht erfahren sollen.41

Für die kontroverse Aufnahme der Schrift sind zwei Einsendungen an den von Peter Adolph Winkopp herausgegebenen Deutschen Zuschauer kennzeichnend. War dem einen Korrespondenten der Verfasser der Geheimen Briefe „ein unverschämter Bube", der „die würdigsten Männer" angreife und dabei ein Opfer seiner Phantasie werde,42 verteidigte ihn im gleichen Heft ein „brandenburgischer Patriot" mit dem Hinweis auf den Ton der Briefe, der „männlich und bescheiden" zu nennen sei. Die kritisierten Persönlichkeiten habe der Autor offen benannt, so daß sie sich verteidigen könnten; die Fakten seien im einzelnen „umständlich angeführt" und hätten daher „die Vermuthung der Wahrheit vor sich", auch wenn die Darstellung nicht durchweg fehlerlos sei. Grundsätzlich solle niemand die gebotene „Achtung der Nazion für die ersten Diener des Staats" mit dem Glauben an deren Unfehlbarkeit verwechseln.43 „Die politischen Skribler bedienen sich jetzt der Preßfreiheit, und lassen Sachen drucken, die vor wenigen Jahren noch Pranger, Zuchthaus oder ewige Festungsstrafen nach sich gezogen hätten", wunderte sich 39

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Ebd. - Johann Gottfried Steinert (* 1749) gehörte laut freundlicher Auskunft von Renko Geffarth als Dienender Bruder zum Dresdner Zirkel von Du Bosc (Ordensname „Hettagon"). Ebd., S. 70f. Geheime Briefe, (wie Anm. 20), S. 73f. „Auszug eines Briefes von besonderer Wichtigkeit" (Berlin, 10. 12. 1787), in: Der deutsche Zuschauer Bd. 7, 1788, S. 97-99, hier S. 98. Noch etwas über die geheimen .Briefe über die preußische Staatsverfassung' seit der Thronbesteigung Friedrich Willhelms II., von einem Brandenburgischen Patrioten, in: ebd., S. 103— 107, hierS. 103.

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Christian Friedrich Daniel Schubart, der wie kein anderer aus eigener Erfahrung sprechen konnte, in seiner Vaterländischen Chronik. „Brittische Freimüthigkeit", wenn nicht „Zügellosigkeit" kennzeichne die Geheimen Briefe.44 Bald gab es die ersten Versuche, die Bedeutung der Sache herunterzuspielen. Ein Berliner Korrespondent gab sich betont gelassen und versicherte, das Pamphlet sei zwar eine Zeitlang sehr gesucht gewesen, dann aber auch schnell wieder vergessen worden ihm zufolge hatte man sich nicht einmal die Mühe gemacht, den Verfasser zu erraten.45 Es versteht sich, daß diese Darstellung durchaus nicht zutraf. Weit mehr als die ebenfalls öffentlich aufgeworfene Frage, was der Verfasser der Geheimen Briefe sei,46 interessierte das Publikum die Auflösung des Rätsels, wer er sei. Schnell gerieten die ersten Gerüchte in Umlauf. Zu Weihnachten 1787 schrieb Johann Georg Zimmermann aus Hannover an Nicolai, er sehe mit Besorgnis, wie „der misvergnügte Theil" der Berliner Intelligenz „erschrecklich viel" wage und sich so womöglich „den Weg nach Spandau oder gar nach der Citadelle von Magdeburg" ebne: „Die geheimen Briefe etc. die hier jedermann liest, sind doch beynahe ein Pasquill - und hier nennt man sogar laut den Verfasser!" Der Adressat kritzelte zustimmend zwischen die Zeilen, es handele sich bei der besagten Schrift nicht nur beinahe um „ein ganzes Pasquill, das kein Vernünftiger billigt". 47 Nicolai hielt die Warnungen seines Schweizer Freundes zwar für übertrieben, mußte jedoch befürchten, als Autor wie als Verleger Leidtragender von durch die Polemik provozierten repressiven Maßnahmen der neuen Administration zu werden. In der Allgemeinen deutschen Bibliothek erschien denn auch nicht eine Zeile über die Enthüllungen der Skandalschrift. Deren Wahrheitsgehalt ließ sich Zimmermann wiederum im März des folgenden Jahres von Georg Forster bestätigen, der selbst Anfang der achtziger Jahre dem Kasseler Rosenkreuzerzirkel angehört hatte. Befragt nach dem Einfluß des Geheimbundes in Berlin, bezeugte der gerade von dort zurückgekehrte Weltumsegier, daß „in der That viele Rosenkreutzer placirt werden und fortkommen" und sie dies wohl ihrer Mitgliedschaft in dem Geheimorden zu verdanken hätten.48 Um dieselbe Zeit informierte der Pädagoge Georg Wilhelm Bartholdy, Herausgeber der Berliner Wöchentlichen Unterhaltungen, den halleschen Theologen Carl 44

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Politisches Hysteron Proteron, in: Cfhristian] F[riedrich] Dfaniel] Schubart, Gesammelte Schriften und Schicksale. 8 Bde. Stuttgart 1839/40, hier Bd. 8, S. 85. Vgl. Brief eines Berliner Correspondenten an einen Freund im Reiche. Aus dem Französischen [datiert Berlin, 4. 3. 1788], in: Historisches Portefeuille 7 (1788), 339-346. Was ist der Verfasser der Geheimen Briefe? Ο. Ο. 1788. Zimmermann an Nicolai, Hannover, 26. 12. 1787, in: Sigrid Habersaat, Verteidigung der Aufklärung. Friedrich Nicolai in religiösen und politischen Debatten, 2 Bde. Würzburg 2001, hier Bd. 2, S. 139. Forster an Zimmermann, Göttingen, 13. 3. 1788, in: Georg Forster, Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe. Bd. 15: Briefe Juli 1787-1789. Hg. v. Horst Fiedler. Berlin 1981, S. 129.

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Friedrich Bahrdt, der Verfasser der Geheimen Briefe arbeite als „Pagenhofmeister beym Prinz Heinrich",49 eine Identifizierung, die sich leider anhand der wenigen erhalten gebliebenen Rheinsberger Hofstaatsetats nicht auflösen läßt.50 So muß man sich an den ungenannten Verfasser einer Gegenschrift halten, die als „kleiner Appendix" zu den Geheimen Briefen erschien. Die Broschüre trug den befremdlichen Titel Imakoromazypziloniakus. Darunter sollten sich die Leser den Namen „einer der ältesten Familien eines entfernten Landes" vorstellen, die ihre Söhne gewohnheitsmäßig nach Berlin auf Kavalierstour schickte.51 Dem jungen Mann mit dem ebenso unaussprechlichen wie unausdeutbaren Namen legte der Verfasser seine Meinung über jene skandalöse Schrift in den Mund, für die in Berlin zwei Reichstaler zu bezahlen waren, „weil der merkantilische Geitz eines Buchhändlers und die Raserey des Publikums, es bereits auf diesen Preis getrieben hatten".52 Imakoromazypziloniakus jun. kam es nun zu, in einem Brief an seinen Vater die in den Geheimen Briefen gegen die Umgebung des Königs vorgebrachten Anschuldigungen zurückzuweisen. Er protestierte sowohl gegen die ausländerfeindliche wie gegen die antimasonische Tendenz des Pamphlets. Der König müsse frei sein, fähige Männer aus anderen Ländern zu berufen, und die Freimaurerei, jenes „große erhabne Band, das Männer zum Besten der Menschheit an einander kettet, die Kraft ganzer Nationen in einen Knoten schürzt",53 sei eine Einrichtung, die den Respekt auch der Uneingeweihten verdiene. Aus den Geheimen Briefen spreche nicht Patriotismus, sondern die gekränkte Eitelkeit eines Zukurzgekommenen, der aus der Deckung der Anonymität „seiner Rachsucht freyen Lauf gelassen" habe.54 Imakoromazypziloniakus jun. erschloß die Identität des Briefstellers aus der Ausführlichkeit, mit der er die Affäre um Adrian Heinrich von Borcke behandelt hatte. Vielleicht sei es Vorsatz gewesen, sicher aber eine Unvorsichtigkeit, „sich selbst ausschweifend zu loben. Lesen Sie den siebenden Brief und Sie werden finden, ob man deutlicher sagen kann: ich bins".55 Einige Indizien sprechen jedoch gegen die Zuschreibung der Geheimen Briefe an Borcke, auch wenn diese nie dementiert wurde und ihren Weg in die Ge-

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„R[omanus]'\ d.i. Georg Wilhelm Bartholdy, an Bahrdt, Berlin, 11.3. 1788, in: Briefe angesehener Gelehrten, Staatsmänner, und anderer, an den berühmten Märtyrer D. Karl Friedrich Bahrdt, seit seinem Hinweggange von Leipzig 1769 bis zu seiner Gefangenschaft 1789. Nebst einigen Urkunden. Hg. v. Degenhard Pott. 5 Bde. Leipzig 1798, hier Bd. 4, S. 114. Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 133, Nr. 158 und Nr. 167. Imakoromazypziloniakus, ein kleiner Appendix zu den geheimen Briefen. Nebst einer Anecdote, genannt: der Todtenkopf. Utrecht 1788, S. 3. Ebd., S. 10. Ebd., S. 22. Ebd., S. 13. Ebd., S. 12f.

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schichtsdarstellungen und Bibliothekskataloge genommen hat.56 Die Unstimmigkeiten beginnen bei der Terminologie: Während Borcke durchgängig von der „Tabaks-Administration" und ihren Vorzügen gesprochen hatte, wurde die fragliche Einrichtung in den Geheimen Briefen ebenso konsequent als „Tobacksferme" bezeichnet, sogar an der Stelle, wo der Titel von Borckes Streitschrift (falsch) zitiert wurde.57 Darüber hinaus deutete der anonyme Pamphletist den von Borcke kritisierten Beschluß zur Aufhebung der Monopole als „Beweis der wohlthätigen Absichten des Königs", durch den eine „herrliche Perspektive" eröffnet werde.58 Und schließlich hat es auch den Anschein, daß Friedrich Wilhelm selbst den Gerüchten um Borckes Urheberschaft keinen Glauben schenkte. Als Borcke im Sommer 1788 dem König ein Memoire zur aktuellen außenpolitischen Situation zukommen ließ, kommentierte dieser die Überlegungen des erfahrenen Diplomaten mit den Worten: „elles vous font plus d'honneur, que vos Ecrits Anonimes",59 eine Bemerkung, die in dieser scherzhaften Form schwerlich den Geheimen Briefen gelten konnte. Einige Zeit später ernannte der König Borcke zum außerordentlichen Gesandten am dänischen Hof. 1790 in den Grafenstand erhoben, starb Borcke als bevollmächtigter Minister zu Stockholm am 15. Januar 1791.60 Kaum hatte sich die Aufregung um die Originalausgabe der Geheimen Briefe gelegt, erschien 1788 eine französische Übersetzung, die um biographische Annotationen und eine Vorrede ergänzt war. Die Zugaben waren kurz, aber äußerst scharf formuliert. „Un de ces hommes enfin que la nature a condamne ä l'obscurite & ä vegeter dans la foule", hieß es etwa über Bischoffwerder.61 Besonders aufsehenerregend war der Umstand, daß den aufklärungsfeindlichen Beratern des neuen preußischen Königs mit der machtvollen Opposition einer „conjuration de philosophes, armes pour la verite" gedroht wurde,62 eine Formulierung, die in den Veröffentlichungen der Revolutionsgegner in den folgenden Jahren immer wieder dankbar aufgegriffen werden sollte. An Mutmaßungen, wer das Feuer nachgelegt haben könnte, fehlte es nicht. Heinrich Meister deutete in die Richtung des Prinzen Heinrich, von dem allgemein bekannt war, daß er sich mit seinem Neffen überworfen hatte.63 Er bezeichnete das 56

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Vgl. u. a. bereits Martin Philippson, Geschichte des Preußischen Staatswesens vom Tode Friedrichs des Großen bis zu den Freiheitskriegen. 2 Bde. Leipzig 1880-1882, hier Bd. 1, S. 187f. „Was ist für und was ist wider die Tobacksferme?", Geheime Briefe, (wie Anm. 20), S. 48. Geheime Briefe, (wie Anm. 20), S. 21 u. 14. Friedrich Wilhelm II. an Borcke, 9. 9. 1788, GStA PK, VI. HA, Nachlaß v. Borcke ΙΠ Nr. 10. Vgl. Geschichtsquellen des bürg- und schloßgesessenen Geschlechts von Borcke. Hg. v. Georg Sello, 7 Bde. [Halle a. S.] 1 9 0 1 - 1 9 2 1 , hier Bd. 4: Urkunden, Akten und Briefe des 14.19. Jahrhunderts 1912, S. 727, 731, 750. Correspondance secrete concernant la constitution de la Prusse depuis le regne de FredericGuillaume II. Potsdam 1788, S. 12, Fn. Ebd., S. [5], „Nous aurions dedaigne d'en parier si Ton n'avait pas ose l'attribuer assez hautement ä un prince que son caractere et ses vertus semblaient devoir garantir d'un pareil soupfon."

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Gerücht als unglaubhaft, ließ es sich aber auch nicht nehmen, für die hochmögenden Abnehmer seiner Correspondance litteraire die der Geisterseherei gewidmeten Passagen der Übersetzung zu exzerpieren. Zimmermann, der sich zu einer Vertheidigung Friedrichs des Grossen gegen den Grafen von Mirabeau veranlaßt fühlte, behauptete, „nach der höchsten Wahrscheinlichkeit" sei dieser als Urheber des „wüthigen" 64 Vorworts und der Anmerkungen zu den Geheimen Briefen anzusehen, die ein „berlinischer Mietling" auf fremde Anregung hin gefertigt habe.65 Er war zwar von Nicolai darauf hingewiesen worden, daß der Übersetzer der französischen Zusätze, Ludwig Ferdinand Huber, der Auffassung sei, ihr Stil deute nicht auf Mirabeau, sondern auf Jean Charles Thibault de Laveaux, den Biographen Friedrichs und späteren Straßburger Jakobiner. 66 Zimmermann verließ sich aber lieber auf Julius von der Horst, der ihm den Großteil des Stoffes zu seinen die Berliner Aufklärer empörenden Fragmenten über Friedrich den Grossen lieferte und im übrigen offenbar auch der Meinung war, daß „le chipotteur Mr. de Borcke" 67 die ursprünglichen Geheimen Briefe zu verantworten hatte. Mirabeau nannte den ihm geltenden Verdacht in einem Brief, den die Berlinische Monatsschrift im Auszug veröffentlichte, „eine infame und schändliche Verläumdung". 68 Sonderlich glaubhaft dürfte dieses Dementi dem Publikum allerdings nicht erschienen sein, waren doch soeben, im Januar 1789, seine in den ersten Monaten des neuen Regiments entstandenen Berichte unter dem Titel Histoire secrete de la cour de Berlin auf den Markt gekommen. 69 In diesem Falle konnte über die wirkliche Autorschaft kein Zweifel bestehen, wenngleich die beiden Bände mit dem irreführenden Untertitel Ouvrage posthume versehen waren. Mirabeaus Depeschen, in deren Folge auch die französische Übersetzung der Geheimen

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(Correspondance litteraire, philosophique et critique par Baron von Grimm, Diderot, Raynal, Meister etc. Hg. v. Maurice Touraeux, Bd. 15. Paris 1881, S. 267.) [Johann Georg] Ritter von Zimmermann, Vertheidigung Friedrichs des Grossen gegen den Grafen von Mirabeau. Nebst einigen Anmerkungen über andere Gegenstände. Hannover 1788, S. 45. Ebd., S. 44. Nicolai an Zimmermann, Leipzig, 3. 5. 1788, in: Habersaat, (wie Anm. 47), Bd. 2, S. 166, korrigiert nach dem Original (Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Nachlaß Nicolai). - Vgl. [Jean Charles Thiebault de Laveaux], Vie de Frederic II. roi de Prusse. Accompagnee de remarques, pieces justificatives et d'un grand nombre d'anecdotes dont la plupart n'ont jamais encore ete publiees. 7 Bde. Straßburg / Paris 1789, bes. Bd. 7, S. 389. Julius A. F. von der Horst an Zimmermann, 22. 9. 1788, Niedersächsische Landesbibliothek, Hannover, Nachlaß Zimmermann (Ms XLII, 1933), A II, 45, Bl. 58. Vgl. auch Horst an Zimmermann, Haldem, 23. 11. 1788: „Quand on connoit les liaisons de [...] certaine cour [Rheinsberg] avec Mr. Mirabeau, il ne reste aucun doute sur sa concurrence ä la fabrication des notes et de la preface [...]." (Ebd., Bl. 80v.) Ist Graf Mirabeau Verfasser einer gewissen berüchtigten Schrift? An die Herren Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift, in: Berlinische Monatsschrift Bd. 13, 1789, S. 168-70, hier S. 169. [Honore Gabriel Riqueti de Mirabeau] Histoire secrete de la cour de Berlin, ou Correspondance d'un voyageur frangois, depuis le 5 Juillet 1786 jusqu'au 19 Janvier 1787. Ouvrage posthume. 2 Bde. O. O. 1789.

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Briefe eine Neuauflage erfuhr,70 gewährten in jeder Hinsicht so detaillierte Einblicke in die Vorgänge am preußischen Hofe, daß Meister zu dem Superlativ griff, es handele sich vielleicht um J e plus inconcevable et le plus audacieux libelle que Ton ait jamais ose publier".71 Unter anderem ließ sich nun nachlesen, daß auch Mirabeau das geheimnisvolle Treiben der „secte des illumines" schon frühzeitig mißtrauisch gestimmt hatte. „J'ai des revelations sans nombre ä cet egard, dont je tächerai de tirer parti, et que je communiquerai au besoin",72 berichtete er bereits Mitte August 1786 nach einem Besuch in Rheinsberg, und im November 1786 hatten auch ihn die ersten Gerüchte über die spiritistischen Sitzungen erreicht: „Un souper tres-remarquable & tres-secret, oü Ton a pris la silhouette de l'ombre de Cesar, transpire un peu. Le nombre des visionnaires augmente."73 Die französische Regierung beeilte sich, die Histoire secrete zu verbieten, und stellte eine Lettre de cachet auf Mirabeau aus, der sich der Verhaftung allerdings in der fernen Provence zu entziehen wußte. In Paris wurden sogar einige beschlagnahmte Exemplare der Schrift nach alter Sitte öffentlich den Flammen übergeben. Vor diesem Hintergrund ist es merkwürdig, wie der „Imakoromazypziloniakus" gegen den Verfasser der Geheimen Briefe hatte vorbringen können, daß „der freye ungehinderte Verkauf seiner Schrift" ihn widerlegt habe: „man vermuthete stündlich den Verbot derselben, aber es geschah nicht".74 War nicht auf die Denunziation des Autors der weitaus weniger skandalhaften Streitschrift wider die Aufhebung des Tabakmonopols sogar eine Belohnung von hundert Reichstalern ausgesetzt worden? Es ist bisher nicht bekannt und möglicherweise auch mit Hilfe der noch zu erschließenden Quellenbestände nicht mehr zu rekonstruieren, wie die Berliner Gold- und Rosenkreuzer auf die ihren Arbeiten geltenden Enthüllungsschriften reagierten. Seit 1782 hatte der Orden bereits hinnehmen müssen, daß zwei Verräterschriften herkömmlicher Machart erschienen waren, und der Weimarer Illuminat Johann Joachim Christoph Bode bereitete mit seinen Starken Erweisen eine weitere vor, die er 1788 drucken und verteilen ließ.75 Damit waren die Rituale der niederen Grade des Ordens enttarnt. Aber der Charakter der Geheimen Briefe und auch von Mirabeaus Histoire secrete war ein anderer. Ihr Angriff auf die Goldund Rosenkreuzer war politisch motiviert, und nicht der Ritualistik galt die Aufmerksamkeit, sondern den sehr diesseitigen Ambitionen der Geheimbündler, die

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Correspondance pour servir de suite ä l 'histoire secrette de la cour de Berlin. Postdam [sie] 1789. Correspondance, (wie Anm. 63), Bd. 15, Paris 1881, S. 374. [Mirabeau], (wie Anm. 69), Bd. 1, S. 45. Ebd., Bd. 2, S. 63. Imakoromazypziloniakus, (wie Anm. 51), S. 23f. Vgl. Arnold Marx, Die Gold- und Rosenkreuzer. Ein Mysterienbund des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Deutschland, in: Das Freimaurer-Museum 5 (1930), S. 1-168, hier S. 151154.

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noch dazu mit Namen genannt waren. „Dergleichen Leute", so lautete das Urteil des Autors der Geheimen Briefe über die preußischen Geisterseher, „scheinen gleich anfangs gar nicht gefahrlich zu seyn, aber ihr Zweck ist Herrschaft, sie mögen sich Weltbürger, Illuminaten oder Martinisten nennen; das thut nichts zur Sache, denn vielleicht sind alle diese Sektirer ihrem Zweck nach nicht unterschieden; so viel ist gewiß, daß kein Staat sie dulden sollte; sie hängen die Fahne des Lammes aus, und sind reissende Wölfe." 76 Arnold Marx zufolge war die 1777 erfolgte zweite Reform der Gold- und Rosenkreuzer gemäß dem Haupt-Plan für das gegenwärtige Decennium ursächlich für die „übermäßige Ausbreitung des Ordens und damit seine Entartung". 77 Horst Möller hat diese These zugespitzt, indem er die von Wöllner betriebene „Wandlung vom mystischen zum politischen Ordenszweck" und insbesondere die Anwerbung des preußischen Kronprinzen für den im „Silanum" manifest werdenden Niedergang des Bundes verantwortlich machte.78 Bereits durch das im Januar 1787 ausgesprochene „Silanum" wurde die Ordensarbeiten in den sogenannten Zirkeln eingestellt. Diese Maßnahme konnte also keine Folge der publizistischen Auseinandersetzung um die Vorgänge am preußischen Hofe sein. Indem aber die Geheimen Briefe andeuteten, daß jenes Geheimnis der Ordensoberen die Macht selbst war, trafen sie wohl in den Kern der Sache. Wöllner hatte schon im Juni 1782 bei Gelegenheit der Erteilung eines höheren Grades an den Kronprinzen in Aussicht genommen, daß dieser bis zu seiner Krönung in den höchsten, den Magus-Grad eingeweiht werden sollte.79 Selbst diese Synchronisierung konnte aber den Konflikt nicht abwenden, der notwendig entstehen mußte, sobald Friedrich Wilhelm die höchste Macht im Staate zufiel. Es erwies sich als unmöglich, unter diesen Umständen die Ordenshierarchie zu behaupten. Wöllner brachte dies selbst zum Ausdruck, indem er den Wunsch äußerte, „als unwürdiges Instrument in der Hand von Ormesus" zu dienen, um „Millionen von Seelen vom Untergange zu retten und das ganze Land wieder zum Glauben an Jesum zurückzubringen". 80 Die in der Formulierung liegende Inversion war sicherlich nicht einfach nur der Höflichkeit geschuldet. An ihr läßt sich vielmehr ablesen, wie die arkanen Herrschaftsstrukturen unter dem Druck der realen politischen Machtverhältnisse zerbröselten.

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Geheime Briefe, (wie Anm. 20), S. 72. Marx, (wie Anm. 75), S. 6. Horst Möller, Die Bruderschaft der Gold- und Rosenkreuzer. Struktur, Zielsetzung und Wirkung einer anti-aufklärerischen Geheimgesellschaft, in: Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa. Hg. v. Helmut Reinalter. Frankfurt/M. 1983, S. 199-239, hier S. 204. Vgl. Paul Schwartz, Der Geisterspuk um Friedrich Wilhelm II., in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 47 (1930), S. 45-60, hier S. 47. Zit. nach Bailleu, (wie Anm. 16), S. 154.

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Zwar ist bezeugt, daß die Korrespondenz des Ormesus mit den Ordensoberen erst nach 1792 gänzlich aufhörte. Bezeichnender aber erscheint ein anderer Umstand: daß nämlich schon im April 1788, als sich ein neuer Anlaß bot, dem zögernden König die Entlassung des strikt aufklärerisch gesinnten Ministers Zedlitz nahezulegen, Friedrich Wilhelm von Seiten Wöllners hart bedrängt werden mußte, die Sache überhaupt als eine Ordensangelegenheit zu behandeln. 81 Die Führung der preußischen Gold- und Rosenkreuzer war darin erfahren, den Besitz von Macht unter Berufung auf ferne, unbekannte Obere zu fingieren. Nun aber erwies es sich, daß die Erwerbung tatsächlicher Macht die Aufhebung des Ordens bedeutete.

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Vgl. Schultze, (wie Anm. 29), S. 261.

HOLGER ZAUNSTÖCK ( H a l l e )

Denunziation und Kommunikation. Studentenorden und Universitätsobrigkeit in Halle zur Zeit der Spätaufklärung

Die studentischen Orden des 18. Jahrhunderts sind insbesondere im Kaiserreich und der Weimarer Republik intensiv behandelt worden. 1 Dennoch suchen wir sie heute in den übergreifend angelegten Darstellungen zum Jahrhundert der Aufklärung vergebens. Und dies hat einen Grund: Das Ergebnis der frühen Ordenshistoriographie war trotz der Reichhaltigkeit der zu Tage geforderten Quellen und der großen Zahl publizierter Studien eine Marginalisierung der studentischen Geheimgesellschaften. Auch neuere Forschungsansätze in den letzten zwanzig Jahren haben daran grundlegend nichts zu verändern vermocht: Die geheimen Studentengesellschaften sind ein Randphänomen der 18.-Jahrhundert-Forschung geblieben. Dieser Forschungsprozeß wird in einem ersten Abschnitt mit einem besonderen Blick auf die Forschungen zur Universität Halle nachgezeichnet. Vor diesem Hintergrund werden dann im zweiten Teil konzeptionelle Überlegungen für einen neuen Zugang zum Thema erörtert, die in einen größeren Forschungskontext eingebettet sind. Im dritten Abschnitt werden die Überlegungen dann am Beispiel des Ordens der Indissociabilisten in Halle dargestellt. Ein Ausblick beschließt den Text.

1.

Beobachtungen am Forschungsstand

Die frühen Forschungen sprachen den Studentenorden zwar reformerische Wirkungen auf das Studentenleben zu, sahen in ihnen aber auch und hauptsächlich die Kultivierung extensiv betriebener, moralisch fragwürdiger studentischer Verhaltensweisen: Trinken, Fechten, Schuldenmachen usw. Ihre Bedeutung sei lediglich darin zu sehen, daß sie im Gegensatz zu den territorialdefinierten Landsmannschaften eine herkunftsunabhängige Rekrutierungspraxis verfolgten und das Lebensbundprinzip eingeführt haben; d.h. die Mitgliedschaft und die sich daraus ableitenden Pflichten (und Rechte) sollten über die unmittelbare Zeit des Studiums Vgl. exemplarisch die grundlegenden Arbeiten aus dieser Zeit: Wilhelm Fabricius, Die Studentenorden des 18. Jahrhunderts und ihr Verhältnis zu den gleichzeitigen Landsmannschaften. Jena 1891; Paul Wentzcke, Geschichte der Deutschen Burschenschaft. Erster Band. Vor- und Frühzeit bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Heidelberg 1919 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung VI); Friedrich Schulze / Paul Ssymank, Das deutsche Studententum von den älteren Zeiten bis zur Gegenwart 1931. München 4 1932; Otto Götze, Die Jenaer akademischen Logen und Studentenorden des 18. Jahrhunderts. Jena 1932.

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hinaus fortbestehen. Diese beiden strukturell neuen Merkmale in der Studentenorganisation legten - so die Autoren der Hauptwerke zwischen 1891 und 1932 - die Grundlage für die im 19. Jahrhundert neu entstehenden Verbindungstypen. Die Orden hatten demzufolge ihren Platz und Sinn als ,nicht überlebensfahige' Vorstufe einer neuzeitlich-nationalen Burschenorganisation, mit der sie allerdings keine inhaltlichen Berührungspunkte hatten: hier die kosmopolitisch motivierten Geheimgesellschaften des 18. Jahrhunderts - dort die politisch-national gestimmten Burschenschaften des 19. Jahrhunderts. Wilhelm Fabricius formulierte dies 1891 so: „Die Gegensätze im Studentenleben werden sich stets ausgleichen, wenn wirklich existenzberechtigte Bestrebungen in Frage kommen; nichtexistenzberechtigte, wie die Orden in ihrer Ausartung, werden erbarmungslos abgestoßen." 2 Paul Wentzcke fügte 1919 diesem zunächst ganz auf das Studententum bezogenen Gedanken die politische Dimension hinzu: Auch im studentischen Gemeinschaftsleben spiegelt sich deutlich unmittelbar um 1790 schon dieses Streben, aus dem unfertigen, zusammenhanglosen Geiste der reinen Aufklärung herauszukommen. Gerade die akademische Jugend verlangte nach einem festeren Halt, als ihn das Ordenswesen damals bot. 3

Friedrich Schulze und Paul Ssymank fusionierten dann beide Sichtweisen auf die Studentenorden zu einem Wechselspiel von reformatorischem und destruktivem Wirken: Es ist aber sicherlich ungerecht, in den Studentenorden etwas Pathologisches zu sehen [...]. Es steckte vielmehr in ihnen etwas Lebenskräftiges, Kernhaftes und Fortschrittliches; sie brachten das Studententum außerdem in Berührung mit den Zeitgedanken, wenn sie diese auch nur in der modegemäßen, oberflächlichen Form auffaßten. 4 [Und:] Ruhmlos und klanglos verschwanden in der Zeit bis 1813 die letzten Spuren der innerlich entarteten Studentenorden [...]. Sie mußten untergehen mit dem Geiste des achtzehnten Jahrhunderts, der sie groß gemacht hat: das war das Ergebnis ihrer inneren Entwicklung. Dieser Geist lebte sich in ihnen aus. 5

Auch die studentischen Geheimgesellschaften in Halle sind in dieser Weise dargestellt worden. Die Fridericiana war neben Jena der Ursprungsort der Studentenorden im 18. Jahrhundert. Diesem Umstand wird in der einschlägigen Literatur zwar Rechnung getragen: Keine ältere über den Einzelfall hinausblickende Abhandlung versäumt es, die Gegebenheiten und Orden in Halle auf die eine oder andere Weise zu nennen. Eine tiefgehende Auseinandersetzung aber haben die hallischen Verhältnisse bislang nicht erfahren. Ein Blick auf diese Literatur zur Fridericiana zeigt, daß die Geschichte auch der studentischen Geheimgesellschaften in Halle dem 2 3

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Fabricius, (wie Anm. 1), S. 95. Wentzcke, (wie Anm. 1), S. 23; vgl. auch S. 37 („Vor allem erwuchs in den [neuen - H.Z.] Landsmannschaften ein selbstbewußter, preußischer Geist, den auch die Niederlagen von Jena und Auerstädt nicht zu erschüttern vermochten.") sowie S. 44f. Schulze / Ssymank, (wie Anm. 1), S. 173. Ebd., S. 180f.

Denunziation und Kommunikation

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gleichen Deutungsmuster folgt, wie es die frühe Forschung für die Ordensbewegung insgesamt ausgeprägt hat.6 In der (bis heute) relevanten monographischen Universitätsgeschichte von Wilhelm Schräder aus dem Jahr 1894 werden die arkanen Sozietäten auf vier von über eintausendzweihundert Seiten abgehandelt.7 Schräder verweist darauf, daß die „bunte Schaar" der Orden „dem Oberkuratorium und den akademischen Behörden" viel Sorge bereitet hätten.8 Parallel zu Schräder hat Fritz König eine Geschichte der Studentenschaft und des studentischen Korporationswesens auf der Universität Halle verfaßt. König beschreibt zwar vergleichsweise ausführlich die Szenerie in Halle, läßt aber die Logen und Orden auch als temporäres Phänomen zwischen Landsmannschaften und Burschenschaften erscheinen:9 „Damit war die Rolle, die die Orden auf der Hochschule Halle gespielt hatten, zu Ende und allgemeine Verachtung war das traurige Loos [!] der letzten Ordensbrüder."10 1919 hatte Max Flemming dann in seiner Geschichte der hallischen Burschenschaft dies durch die nationalstaatliche Komponente erweitert, denn die ausschweifende im Widerspruch mit den geschriebenen Ordensgesetzen stehende unmoralische und heuchlerische Lebensweise ihrer Mitglieder stieß die Mehrzahl der Studenten ab, welche außerdem auch die weltbürgerlichen Ideen der Orden ablehnten und sich wieder mehr dem nationalen Gedanken zuwandten. 11

Paul Schwartz bezeichnete sie 1925 in seinem Buch Der erste Kulturkampf in Preußen schließlich als „Auswuchs des studentischen Lebens".12 Ein Verdikt, das auch für die Einschätzung der gesamten Ordensbewegung in den Arbeiten vor 1932 stehen kann - Wolfgang Hardtwig hat dies als „Aufklärungsfeindlichkeit" der älteren Studentengeschichtsforschung bezeichnet.13 Dieses Urteil aber ließ die studentischen Orden in der Folge für die Geschichtswissen6

In der Universitätsgeschichte von 1794 - der Übersicht der Geschichte der Universität des Professors fur Philosophie (und Kriegs- und Domänenrats) Johann Christian Förster - sind die Orden nicht erwähnt: Übersicht der Geschichte der Universität zu Halle in ihrem ersten Jahrhunderte. Nachdruck der bei Carl August Kümmel in Halle 1794 erschienen ersten Auflage. Hg. v. Regina Meyer und Günther Schenk. Halle 1998 (Schriftenreihe zur Geistesund Kulturgeschichte). 7 Wilhelm Schräder, Geschichte der Friedrichs-Universität zu Halle. 2 Teile. Berlin 1894, hier Teil 1, S. 374 u. 597-599. 8 Ebd., S. 597f.; Zitate S. 597. 9 Fritz König, Aus zwei Jahrhunderten. Geschichte der Studentenschaft und des studentischen Korporationswesens auf der Universität Halle. Halle an der Saale 1894, S. 82ff. 10 Ebd., S. 83. " Max Flemming, Geschichte der Hallischen Burschenschaft von 1814-1860 mit einer Übersicht über die studentischen Verbindungen von der Gründung der Universität bis zum Entstehen der Burschenschaft. Berlin 1933, S. 12. 12 Paul Schwartz, Der erste Kulturkampf in Preußen um Kirche und Schule 1788-1798. Berlin 1925 (Monumenta Germaniae Paedagogica Band LVm), S. 334. 13 Wolfgang Hardtwig, Krise der Universität, studentische Reformbewegung (1750-1819) und die Sozialisation der jugendlichen deutschen Bildungsschicht. Aufriß eines Forschungsproblems, in: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), S. 155-176, (Zitat S. 166).

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schafit als unattraktiv erscheinen. Denn obwohl Fritz Valjavec 1951 auf die Bedeutung der Orden bei der Herausbildung der politischen Strömungen vor und um 1800 hingewiesen hatte, 14 blieb ihre Erforschung auch weithin der corpsstudentischen Geschichtsschreibung überlassen, deren Verdienst darin bestand, eine Fülle von Informationen zu einzelnen Orden und Universitäten zu Tage gefördert zu haben. 15 1984 hat dann Konrad H. Jarausch am Beginn seines Buches über die deutschen Studenten im 19. und 20. Jahrhundert eine „neue Art der Studentengeschichte" gefordert, die analytisch über die „Korporationschronik" hinausgehen sollte 16 - eine Forderung, die ebenso das 18. Jahrhundert mit umschloß. Parallel dazu hat Wolfgang Hardtwig die Geheimgesellschaften der Studenten im Kontext der damals in Blüte stehenden Sozietätsforschung - unter einer leitenden Fragestellung - zum Thema gemacht: Ihm ging es um das Transformationspotenzial, das die arkanen Gesellschaften der Studenten gegenüber den traditionellen, territorial bestimmten Landsmannschaften entfaltet hatten. 17 Hardtwig hat dabei insbesondere auf der Bedeutung insistiert, die die Studentenorden für die Transformation studentischer Organisations- und Lebensformen überhaupt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch eine Verknüpfung von „Identität und Soziabilität" auf „neue Weise" hatten. 18 Die Orden waren der Motor eines umfassenden Mentalitätswandels der Studenten im Übergang zwischen Vormoderne und Moderne, der sich im Spannungsbogen von „Zivilisierung und Politisierung" ausdrückt. 19 Im Gegensatz zur älteren Ordensgeschichte ging es Hardtwig vor allem

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Fritz Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770-1815. Mit einem Nachwort von Jörn Garber. Kronberg Ts. / Düsseldorf 1978 (Athenäum-Droste TB 7212) 1 1951, [unveränderter Nachdruck der Originalausgabe], S. 235-237. Vgl. exemplarisch das Jahrbuch Einst und Jetzt des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung 1956ff. Konrad H. Jarausch, Deutsche Studenten 1800-1970. Frankfurt/M. 1984 (Neue Historische Bibliothek. Edition suhrkamp 1258. Neue Folge Band 258), S. 11. Wolfgang Hardtwig, Die Burschenschaften zwischen aufklärerischer Sozietätsbewegung und Nationalismus. Bemerkungen zu einem Forschungsproblem, in: Aujklärung - Vormärz Revolution. Jahrbuch der internationalen Forschungsstelle ,Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850' an der Universität Innsbruck 4 (1984), S. 46-53. Wolfgang Hardtwig, Sozialverhalten und Wertwandel der jugendlichen Bildungsschicht im Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft (17.-19. Jahrhundert), in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 73 (1986), S. 305-335, Zitate S. 327; ders., Studentenschaft und Aufklärung. Landsmannschaften und Studentenorden in Deutschland im 18. Jahrhundert, in: Etienne Francois (Hg.), Geselligkeit, Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Frankreich, Deutschland und der Schweiz 1750-1850. Paris 1986, S. 239-259, insb. S. 248-255. Wolfgang Hardtwig, Zivilisierung und Politisierung. Die studentische Reformbewegung 17501818, in: Klaus Malettke (Hg.), 175 Jahre Wartburgfest 18. Oktober 1817 - 18. Oktober 1992. Studien zur politischen Bedeutung und zum Zeithintergrund der Wartburgfeier. Heidelberg 1992 (Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert 14), S. 31-60; ders., Auf dem Weg zum Bildungsbürgertum. Die Lebensführungsart der jugendlichen Bildungsschicht 1750-1819, in: M. Rainer Lepsius (Hg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Teil ΙΠ: Lebensführung und ständische Vergesellschaftung. Stuttgart 1992 (Industrielle Welt 47), S. 19^*1.

Denunziation

und

Kommunikation

235

um die langfristigen Wirkungen der Ordensbewegung im 18. Jahrhundert: Sie lassen sich nicht um 1800 .abschneiden'. Diese Bedeutungszuweisung für den gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozess um 1800 steht jedoch in keinem Verhältnis zur geleisteten Forschungsarbeit. Sieht man einmal von den Studien zur Situation an der Universität Jena ab,20 haben Hardtwigs Arbeiten keine weiterführenden Arbeiten angeregt.21 Es ist zu vermuten, daß durch die häufig und vehement vorgetragenen Thesen Hardtwigs, die bislang keine substanzielle Kritik erfahren haben,22 ein erneuter Erschöpfungszustand in der Forschung hervorgerufen worden ist: Das Thema scheint ausgereizt. So ist es bezeichnend, daß erst ein Impuls von außen, aus der Germanistik, wieder das Interesse an der geheimen Vergesellschaftung der Studenten in der Aufklärungszeit weckt und den Blick für neue Fragen öffnet. Neuerdings spielen die Orden in den Arbeiten von W. Daniel Wilson über den Geheimen Rat Goethe als Politiker und

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Joachim Bauer, Freimaurerei, Geheimgesellschaften und Studenten in Jena zu Beginn der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: ders. / Jens Riederer, Zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit. Jenaer Freimaurerei und studentische Geheimgesellschaften. Erlangen / Jena 1991 (Schriften zur Stadt-, Universitäts- und Studentengeschichte Jenas 1), S. 10-41; Jens Riederer, Die Jenaer Konstantisten und andere Studentenorden an der Universität Jena im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. Eine statistische Untersuchung, in: ebd., S. 42-109; Joachim Bauer, Studentische Verbindungen zwischen Revolution und Restauration. Von den Landsmannschaften zur Burschenschaft, in: Friedrich Strack (Hg.), Evolution des Geistes. Jena um 1800. Natur und Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Spannungsfeld der Geschichte. Stuttgart 1994 (Deutscher Idealismus. Philosophie und Wirkungsgeschichte in Quellen und Studien 17), S. 59-79; Jens Riederer, Entwurf zu einer akademisch-studentischen Reformbewegung. Das Beispiel Jena 1720-1820, in: Herbert Gottwald u.a. (Hg.), Universität im Aufbruch. Die Alma mater Jenensis als Mittler zwischen Ost und West. Völkerverbindende Vergangenheit und europäische Zukunft einer deutschen Universität. Erlangen 1992 (Schriften des Collegium Europaeum Jenense 4; Schriften zur Stadt-, Universitäts- und Studentengeschichte Jenas 3), S. 185-198; ders., Aufgeklärte Sozietäten und gesellige Vereine in Jena und Weimar zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit 1730-1830. Sozialstrukturelle Untersuchungen und ein Beitrag zur politischen Kultur eines Kleinstaates. Diss, masch. Jena 1994/95, hier S. 106ff. u. 164ff.; Axel Kuhn, Jena als Zentrum der deutschen Studentenbewegung 1794/95, in: Erich Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt. 5 Bde. Weim a r / K ö l n / Wien 1997-1999. Bd. 4: Deutsche Aufklärung (1997), S. 583-618.

21

Die noch in den achtziger Jahren fertiggestellte Habilitationsschrift von Peter Brandt ist bis jetzt ungedruckt geblieben und konnte so kaum Wirkungen entfalten - eine Drucklegung ist in absehbarer Zeit geplant (so die freundliche Auskunft des Autors): Peter Brandt, Studentische Lebensform und Nationalismus. Vor- und Frühgeschichte der allgemeinen deutschen Burschenschaft 1771-1819/23. Habilitationsschrift Berlin 1987. Die Dissertation von Stefan Brüdermann zur Göttinger akademischen Gerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert ist nahezu parallel zu Hardtwigs Arbeiten entstanden und diskutiert daher dessen Transformationsthese eher am Rande: Stefan Brüdermann, Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert. Göttingen 1990 (Göttinger Universitätsschriften: Serie A, Schriften 15), hier S. 214-248.

22

Brüdermann, (wie Anm. 21), S. 215 weist daraufhin, daß sich Hardtwig bei der Interpretation der Ordenssatzungen „auf ein vom Standpunkt der Quellenkritik sehr problematisches Gebiet" wagt.

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Geheimgesellschafter eine Rolle.23 Die Repressionen und Verfolgungen ausgesetzten studentischen Geheimgesellschaften an der Universität Jena werden hier als ein Objekt unter einer Reihe anderer in Goethes Handeln als Staatspolitiker behandelt. Dieser Zugang legt nahe, noch einmal auf die Arbeiten zur Universität Halle zu blicken. Denn die marxistische Geschichtsschreibung hatte im Abriß der hallischen Universitätsgeschichte von 1977 die studentischen Geheimgesellschaften in einem breiteren Kontext in den Blick genommen: Da die Studentenorden sich auch hier erheblichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sahen, waren sie für die staatssozialistische Geschichtswissenschaft interessant: Sie spielen - ausschließlich - eine Rolle als Repressionsopfer des preußischen Staates, der die Arkangesellschaften als „Keimzellen für unerwünschte politische Aktivitäten" beargwöhnt hat.24 In der sozialistischen Universitätsgeschichte werden sie (unausgesprochen) als Moment des Fortschritts gedeutet. Nicht weil die Orden dies im marxistischen Sinn gewesen wären, sondern weil sie zum Verfolgungsobjekt des preußischen Staates geworden sind. 1980 hat Heinz Käthe dies dann ausdifferenziert. Seine Darstellung der Orden ist geprägt von einem Wechselspiel aufklärerischer Einflüsse („progressive Ansätze"), tradiertem Studentenbrauchtum und obrigkeitlicher Verfolgung Zedlitz „befürchtete also eine antifeudale Politisierung der Studentenschaft, die Entwicklung der schwer kontrollierbaren Orden zu oppositionellen Gruppen". 25 Folgt man in der Zusammenschau der Forschung (allgemein und spezifisch zu Halle), waren die studentischen Geheimgesellschaften der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine an die Umstände einer Zeit im Umbruch gebundene Bewegung, die in der Hauptsache Transformationscharakter hatte: Für die ältere Forschung war sie ein Vorstadium der Burschenschaften des 19. Jahrhundert, für die marxistische Historiographie war sie eine Randerscheinung im Spektrum absolutistischer Repressionsmaßnahmen und laut der neueren Sozialgeschichte bewirkte sie einen „Verhaltenswandel der Studenten", der „längerfristig der Emanzipation des Bürgertums" gedient hat.26

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26

W. Daniel Wilson, Das Goethe-Tabu. Protest und Menschenrechte im klassischen Weimar. München 1999, insb. S. 173ff.; ders., Unterirdische Gänge. Goethe, Freimaurerei und Politik. Göttingen 1999, insb. S. 5Iff. Franz Hofmann, Die Universität Halle zur Zeit der Anfänge der bürgerlichen Umwälzung 1789-1817, in: Hans Hübner (Hg.), Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg J502-1977. Halle 1977 (Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg), S. 49-52, hier S. 49. Heinz Käthe, Geist und Macht im absolutistischen Preußen. Zur Geschichte der Universität Halle von 1740 bis 1806. Diss. Β. Masch. 2 Teile. Halle 1980, hier Teil 2, S. 184ff, Zitate S. 187. Hardtwig, Auf dem Weg zum Bildungsbürgertum, (wie Anm. 19), S. 37; ders., Sozialverhalten und Wertewandel, (wie Anm. 18), S. 334.

Denunziation und Kommunikation

2.

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Konzeptionelle Überlegungen

Eine Perspektive für einen Neuanfang könnte das Verständnis der Ordensbewegung als Subkultur bieten: „Studentenverbindungen beherrschten die Atmosphäre der Subkultur und beeinflußten die Erziehung auch der Nichtmitglieder außerhalb des Hörsaals."27 Ein als subkulturell beschriebenes (Organisations-)Milieu verweist darauf, daß die historischen Gegebenheiten vermutlich komplexer waren und daß wir hier Phänomene beobachten können, die bislang nicht oder nur am Rand in den Blick gekommen sind. Es ist also sinnvoll, sich dem studentischen Untergrund zuzuwenden - um die von Robert Darnton eingeführte, hier gut passende Metapher für der Obrigkeit verschlossene Lebenswelten zu bemühen.28 Ein methodischer Ansatz, der sich dafür anbietet, ist der der Kommunikationsgeschichte, denn die in sich weitverzweigten Organismen der studentischen Geheimgesellschaften waren selbst arkane Kommunikationssysteme.29 Daß dies gerade auch für die wichtigste preußische Universität im Jahrhundert der Aufklärung zutrifft, erstaunt besonders. Denn die Fridericiana war ja bekanntlich die Pflanzschule für künftige preußische Funktionsträger, und sie war eben auch ein Kristallisationpunkt der Ordensbewegung. Wir wissen aber noch zu wenig über die Binnenorganisation und -funktion der einzelnen Orden und der Gesamtbewegung, über ihre infrastrukturellen Ausdehnungen und ihre medialen Formen und deren Auswirkungen. Ein kommunikationsgeschichtlicher Ansatz entspricht aber nicht nur den historischen Gegebenheiten, sondern bietet zudem die Möglichkeit, mehrere Zugangsweisen zu kombinieren. Denn eine sich momentan formierende, selbst noch nicht festgefugte frühneuzeitliche Kommunikationsgeschichte30 hat genügend Freiraum, 27

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30

Karl-Heinz Jeismann / Peter Lundgreen, Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1800-1870. München 1987 (Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte 3), S. 243 (Zitat); Jarausch, (wie Anm. 16), S. 9f. Exemplarisch: Robert Darnton, The literary underground of the Old Regime. Cambridge (Mass.) / London 1982; Gudrun Gersmann spricht vom „Untergrundmilieu": dies., Schattenmänner. Schriftsteller im Dienst der Pariser Poizei des Ancien Regime, in: Günter Jerouschek / Inge Marßolek / Hedwig Röckelein (Hg.), Denunziation. Historische, juristische und psychologische Aspekte. Tübingen 1997 (Forum Psychohistorie 7), S. 99-126, S. 110. Besonders Wolfgang Hardtwig hat in seinen Arbeiten diesen Aspekt kontinuierlich benannt; vgl.: ders., Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland. 2 Bde. München 1997. Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zur Französischen Revolution, S. 51; ders., (wie Anm. 17), S. 50f. (hier im Kontext des Konzepts der ,Nation als Kommunikationsgemeinschaft'); ders., Sozialverhalten und Wertwandel, (wie Anm. 18), S. 327, 329 u. 335; ders., Studentschaft und Aufklärung, (wie Anm. 18), S. 256. Siehe außerdem Bauer, Studentische Verbindungen zwischen Revolution und Restauration, (wie Anm. 20), S. 66. Vgl.: Heinz Stübig, Kommunikation und Assoziation in Preußen. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft zur preußischen Geschichte vom 4. bis 6. Oktober in Hofgeismar, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48 (2000), 1, S. 61-64 (Tagungsbericht; „Untersuchungen zur Öffentlichkeit, Informations- und Zensurpolitik vom 16. bis zum 18. Jahrhundert", S. 61); Ralf Pröve / Norbert Winnige (Hg.), Wissen ist Macht. Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen 1600-1850. Berlin 2001 (Schriftenreihe des Forschungsinstituts für die Geschichte Preußens e.V. 2); Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit. 4. Tagung

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weitere Forschungszugänge zu integrieren. Einer dieser hier zentralen Ansätze ist die Denunziationsgeschichte, wenngleich man wohl von einer eigenen Forschungsrichtung noch nicht sprechen kann.31 Denn die Erforschung der Denunziation 32 ist noch ein sehr junger Sproß der Geschichtswissenschaft und hat sich in den vorliegenden Arbeiten in der Hauptsache auf das 20. Jahrhundert bezogen - wenngleich die Zahl der Studien zum Alten Reich merklich angewachsen ist.33 Und auch die länger laufende Erforschung des Spitzel- und Denunziationswesens im Frankreich des 18. Jahrhunderts ist hier mitzudenken. 34 Eine Lebenswelt, die bei diesen Forschungen bislang nicht in den Blick genommen worden ist, ist das Sozial- und Rechtssystem Universität. Warum ist die Denunziationsgeschichte fur die Erforschung der geheimen studentischen Subkultur an den deutschen Universitäten im 18. Jahrhundert von so zentralem Interesse? Weil sie offenbar die einzige kommunikative Interaktion zwischen den geheim organisierten Studenten als Ordensbrüdern einerseits und der Universitätsobrigkeit (zumeist den Professoren) andererseits war - sieht man einmal von den Verhörsituationen in den daraus resultierenden Untersuchungen ab. Denn die Orden sind nahezu ausschließlich durch Denunziation bekannt geworden. Und die Vertiefung der Kenntnisse über die Orden - so

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der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit Augsburg, 13. bis 15. September 2001 [Augsburg 2001], Vgl. Achim Landwehr / Friso Ross, Denunziation und Justiz. Problemstellungen und Perspektiven, in: dies., Denunziation und Justiz. Historische Dimension einer sozialen Phänomens. Tübingen 2000, S. 7-23, hier S. 12 u. 14. Zur Begriffsgeschichte der Denunziation siehe: Renate Blickle, Denunziation. Das Wort und sein historisch-semantisches Umfeld: Delation, Rüge, Anzeige, in: Michaela Holtk a m p / C l a u d i a Ulbrich (Hg.), Der Staatsbürger als Spitzel. Denunziation während des 18. und 19. Jahrhunderts aus europäischer Perspektive. Leipzig 2001 (Deutsch-Französische Kulturbibliothek 19), S. 25-60. Vgl. die frühneuzeitlichen Beiträge in den chronologisch übergreifend angelegten Bänden von: Sheila Fitzpatrick / Robert Gellately (Hg.), Denunciation in Modern European History, 17891989. Chicago / London 1997 (Studies in European History from the Journal of Modem History); Günter Jerouschek / Inge Marßolek / Hedwig Röckelein (Hg.), Denunziation. Historische, juristische und psychologische Aspekte. Tübingen 1997 (Forum Psychohistorie 7); Friso Ross / Achim Landwehr (Hg.), Denunziation und Justiz. Historische Dimension eines sozialen Phänomens. Tübingen 2000 sowie Matthias Weber, „Anzeige" und „Denunciation" in der frühneuzeitlichen Policeygesetzgebung, in: Karl Härter (Hg.), Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft. Frankfurt/M. 2000 (Ius Commune. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 129), S. 583-609 und Michaela Hohkamp / Claudia Ulbrich (Hg.), Der Staatsbürger als Spitzel. Denunziation während des 18. und 19. Jahrhunderts aus europäischer Perspektive. Leipzig 2001 (Deutsch- Französische Kulturbibliothek 19). Robert Darnton, Ein Polizeiinspektor ordnet seine Akten: Die Anatomie der literarischen Republik, in: ders., Das große Katzenmassaker. Streifzüge durch die französische Kultur vor der Revolution. München 1989, S. 169-217; Gudrun Gersmann, Im Schatten der Bastille. Die Welt der Schriftsteller, Kolporteure und Buchhändler am Vorabend der Revolution, Stuttgart 1993; Christiane Kohser-Spohn, „Überwachet ihn": Politische Denunziationen in Straßburg in der Frühphase der Französischen Revolution, in: SOWI2/1998 (Themenheft. Denunzianten in der Neuzeit: Politische Teilnahme oder Selbstüberwachung?), S. 87-92; Colin Lucas, The Theory and Practice of Denunciation in the French Revolution, in: Fitzpatrick / Gellately, (wie Anm. 33), S. 22-39.

Denunziation und Kommunikation

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zeigen es exemplarisch die Akten des Universitätsgerichts Halle - erlangten die untersuchenden Professoren nur über weitere Anzeigen bzw. Aussagen in den sich anschließenden Nachforschungen der Universitätsgerichte. Diese Beobachtungen decken sich mit der Feststellung von Achim Landwehr und Frisco Ross, wonach sich die Häufigkeit von Denunziationen und die Tatsache, daß viele Verfahren erst durch solche Eingaben eingeleitet wurden und somit oftmals die einzige Grundlage obrigkeitlicher Untersuchungen waren [...] nicht nur bei zeithistorischen, sondern auch bei frühneuzeitlichen Forschungen zur Justiz- und Verwaltungspraxis feststellen läßt. 35

Daß Denunziationen bei den Ordensverfolgungen des 18. Jahrhunderts eine Rolle gespielt haben, ist in der einschlägigen Literatur zwar nicht unbemerkt, jedoch unreflektiert geblieben - der Akt der Denunziation wurde nicht in den zeitgenössischen Kontexten des 18. Jahrhunderts gedacht und behandelt, sondern sein Verständnis wurde aus den jeweils (negativen) Konnotationen der Gegenwart der Autoren in die Vergangenheit rückprojiziert. 36 In den letzten Jahren hat sich ein Diskurs über die Definition von ,Denunziation' entwickelt. Dabei ist ein anwachsendes Bemühen um Ausdifferenzierung anhand der konkret in den Blick genommenen, unterschiedlichen historischen Gegenstände, Situationen und Kontexte der zunehmend kontroverser werdenden Diskussion zu beobachten. 37 Im historischen Längsschnitt werden die Denunziationsvorgänge in ihren Charakteristika unterschiedlich zwischen vormodernen und modernen Gesellschaften beschrieben: „Ohne Zweifel, Denunziation umfaßte in der Frühen Neuzeit und teilweise wohl auch noch im 19. Jahrhundert andere Bedeutungsgehalte als heutzutage". 38 Aber erst nach und nach werden die nötigen Bausteine zum Findungsprozeß beigesteuert - Feldstudien und Definitionsdiskurs gehen Hand in Hand. Aufgrund dieser Forschungssituation sind wir bei der Beschreibung dessen, was .Denunziation' ist, noch vergleichsweise unge35 36

37

38

Landwehr / Ross, (wie Anm. 31), S. 7. Vgl. König, (wie Anm. 9), passim auf den Seiten S. 83-117; Fabricius, (wie Anm. 1), S. 86; Schulze / Ssymank, (wie Anm. 1), S. 174; Käthe, (wie Anm. 25), Teil 2 S. 189; Brüdermann, (wie Anm. 21), S. 230, 234f. u. 239f.; Wilson, Das Goethe-Tabu, (wie Anm. 23) und ders., Unterirdische Gänge, (wie Anm. 23). Siehe außerdem: Axel Kuhn, Studentenbewegungen zur Zeit der Französischen Revolution, vornehmlich an der Stuttgarter Hohen Carlsschule, in: Helmut Asmus (Hg.), Studentische Burschenschaften und bürgerliche Umwälzung. Zum 175. Jahrestag des Wartburgfestes. Berlin 1992, S. 54-64. Siehe: Sheila Fitzpatrick / Robert Gellately, Introduction to the Practices of Denunciation in Modern European History, in: dies., (wie Anm. 33), S. 1-21; Günter Jerouschek / Inge Marßolek / Hedwig Röckelein, Denunziation - ein interdisziplinäres Forschungsfeld, in: dies., (wie Anm. 33), S. 9-25; l^andwehr / Ross, (wie Anm. 31); Michaela Hohkamp / Claudia Ulbrich, Wege zu einer inter- und intrakulturellen Denunziationsforschung, in: dies., (wie Anm. 33), S. 9 - 2 4 sowie Gerhard Salter, Denunziation - Staatliche Verfolgungspraxis und Anzeigeverhalten der Bevölkerung, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47 (1999), S. 153-165. Landwehr / Ross, (wie Anm. 31), S. 13.

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bunden.39 Bei der Erforschung universitätsgerichtlicher Vorgänge in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist unter ,Denunziation' ein kommunikativer und spezifisch lebensweltlich motivierter Akt zwischen zwei sich sonst nicht überschneidenden Informations- und Lebenskreisen, zwischen differenten Kommunikationsräumen zu verstehen: den verbotenen, geheimen Studentenverbindungen und der Leitungsebene der Universität (Prorektor; Universitätsgericht). Ein so eng gefaßter Begriff orientiert sich an den Gegebenheiten: Er findet sich auch im Sprachgebrauch der Untersuchungsakten des Universitätsgerichts Halle.

3.

Die Aufhebung der Indissociabilisten Universität Halle 1783/84

an der

Die Denunziationsvorgänge lassen sich exemplarisch an der Untersuchung gegen den sogenannten Indissociabilisten-Orden - den Orden der Untrennbaren - zeigen.40 Am 22. Dezember 1783 wurde diese Geheimgesellschaft beim Prorektor Johann Ludwig Schulze angezeigt.41 Das Denunziationsschreiben, das auf der Rückseite mit „Anonymus" unterzeichnet ist, trägt am oberen rechten Rand die Eingangsnotiz von Schulze: „Ist am 22ten Abends gegen 10 Uhr unter der Hausthüre durchgesteckt gefunden worden."42 Zunächst beschreibt der anonyme Berichterstatter die Gründe für seine Denunziation: Durch E[uer] Magnificenze Bemühen und Wachsamkeit für das Beste der hiesigen Studierenden ist es dahin gekommen das die schändlichen Verbindungen der sogenannten Unitisten und Constantisten aufgehöret haben, wenigstens keinen Einfluß mehr haben können. Dagegen aber suchen andere ungeschlachtete [!] Leute sich diesen Zeitpunkt zu Nutze zu machen, w o sie von den ehemals existirenden Ordensbrüdern keinen Wiederstand finden und durch neue schändliche Verbindungen E[uer] Magnificenz sorgsame Bemühungen zu vereiteln. 43

Es ist wohl eindeutig, daß es sich hier um einen Kenner der Szene gehandelt hat. Denn die Behauptung, daß die Orden der Unitisten und Konstantisten aufgehoben seien bzw. keinen Einfluß mehr hätten, bezieht sich auf die Tatsache, daß beide unmittelbar zuvor im Herbst 1783 in Untersuchungen geraten waren und deshalb vermutlich zur Zeit der Denunziation des Ordens der Untrennbaren ihre Aktivitäten ruhen ließen. Der Denunziant gibt also vor, in Sorge um Ruhe und Wohlergehen unter den Studenten im Sinn der Universitätsobrigkeit zu handeln. Dies aber ist mit großer Wahrscheinlichkeit Fassade. Denn die Hinweise darauf, daß die 39 40 41

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43

Vgl. dazu ebd., S. 10. Die Untersuchung gegen den Orden wird erwähnt bei König, (wie Anm. 9), S. 114. 1 7 3 4 - 1 7 9 9 . Schulze (Schultze) war 1777/1778, 1783/1784 und 1784/1785 Prorektor; Förster, (wie Anm. 6), S. 261. Die Ausführungen basieren auf: Universitätsarchiv Halle, Rep. 5 Universitätsgericht Nr. 45, Acta Die Untersuchung des sogenannten Indissociabilisten Orden betreffend. 1783, hier Bl. 5. Ebd.; die Unterstreichungen im Original.

Denunziation und Kommunikation

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Unitisten und Constantisten „keinen Einfluß" mehr hätten, und daß die neuen Ordensbrüder keinen Widerstand von den ehemaligen Brüdern anderer Orden zu erwarten haben, läßt vielmehr vermuten, daß hier eben gerade ein Unitist oder ein Constantist (oder gar in gemeinsamer Absprache) einen weiteren, neuen Orden denunziert hat, um die Konkurrenz mit in den Untergang zu ziehen bzw. sich Konkurrenz vom Hals zu schaffen.44 Denn der anonyme Schreiber hat offenbar Insiderkenntnisse. Er fahrt dann fort, daß ein neuer Orden - die Untrennbaren - von Frankfurt an der Oder nach Halle durch die beiden „Anführer" Rudolphi und Livius mitgebracht worden sei, und beide seien bemüht, den Orden in Halle „fort zu flanzen". Als Beweis, daß dies gelinge, werden nun die schon „einverleibten" Mitglieder benannt - weitere neun Studenten, nämlich von Schenck, Hille, Ludewaldt, Bertram, Schoepffer, Schmölder, Ku(e)hlewein, Bergfeldt und Schulze aus Berlin.45 Anschließend beginnt der anonyme Denunziant sich noch einmal zu erklären: „Nicht Haß ober Privat[sache? - unleserlich H.Z.] gegen diese Leute" ließ ihn „dieses anzeigen", sondern „Achtung" für des Prorektors „eifriges Bestreben für das Wohl der hiesigen Studierenden und der Wunsch", diese „Bemühungen zu Erleichtern", hätten ihn dazu bewegt.46 Damit - und der Unterschrift „Anonymus" - endet das Denunziationsschreiben. Dieses Schriftstück enthält eine Reihe von Indizien, die auf die Aktivitäten im studentischen Untergrund hinweisen und die erkennen lassen, warum die Universitätsbehörden Angst vor den Orden hatten: Im Herbst 1783 sind also mindestens drei, wahrscheinlich sogar vier - denn man muß die Confidentisten noch hinzu rechnen - 4 7 geheime studentische Orden in Halle parallel aktiv - die Unitisten, die Konstantisten und die Untrennbaren. Alle entziehen sich der Obrigkeit und versammeln sich in Räumen, die den Augen der Professoren verborgen bleiben sollten. Die Studenten schufen sich geheime Freiräume.48 Dies waren Wirtshauszimmer in Halle oder den umliegenden Dörfern bzw. die Stuben der Ordensmitglieder. Die Konstantisten hatten Treffpunkte im „Wirtshaus zum Rosenthal vor dem Steinthore" und in Schlettau südwestlich von Halle, die Unitisten dagegen im „Gasthof zur Sonne" in Merseburg und der Confidentistenorden versammelte sich in Nietleben westlich von Halle.49 Außerdem konkurrierten die Orden untereinander. Unmittelbar vor der Denunziation des Ordens der Untrennbaren waren die 44 45

46 47

48 49

Vgl. zum Komplex der Denunziationsmotive Salter, (wie Anm. 37), S. 158-161. Universitätsarchiv Halle, Rep. 5 Universitätsgericht Nr. 45, (wie Anm. 42), hier Bl. 5. Die Namenschreibungen weichen in der Quelle hier und da geringfügig von einander ab; sie sind hier einheitlich wiedergegeben. Ebd. u. Bl. 5'. Siehe Universitätsarchiv Halle, Rep. 5 Universitätsgericht, Nr. 36 (d.i. eine Untersuchung über den Confidentisten-Orden und über eine Schägerei am 24. November 1783 zwischen den Constantisten und den Unitisten bei Reideburg. Dezember 1783 bis Januar 1784). Siehe dazu auch Wilson, Goethe-Tabu, (wie Anm. 23), S. 177 u. 180. König, (wie Anm. 9), S. 85f., 9 0 - 9 3 u. 111.

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Unitisten und die Constantisten zum wiederholten Mal in Untersuchung geraten, weil sie sich Ende November 1783 in Reideburg an der kursächsischen Grenze eine Schlägerei geliefert hatten. 50 Schließlich werden hier Verbindungen zu anderen Universitäten sichtbar, da laut der Denunziation der Orden von der Viadrina in Frankfurt an die Fridericiana verpflanzt worden sei. Einmal abgesehen davon, daß die Studentenorden in Preußen (wie anderswo auch) verboten waren und eine Untersuchung in Folge der Denunziation theoretisch unumgänglich war, läßt dieses Schreiben genügend Anhaltspunkte als Voraussetzung dafür erkennen, daß die Universitätsobrigkeit (d.h. der Prorektor) aktiv werden mußte. Denn selbst wenn er kein Interesse daran gehabt hätte - nach einer solchen Informationsdichte mußte er wohl eine Untersuchung gegen die Indissociabilisten einleiten. Der Denunziant wußte, wie er sein Ziel, nämlich das Auslösen einer universitätsgerichtlichen Untersuchung gegen die angezeigten Studenten bzw. den Orden, erreichen würde. 51 Und Prorektor Schulze war pflichtbewußt, denn schon an den beiden nächsten Tagen, dem 23. und 24. Dezember [!], erfolgte die Vernehmung der beiden als ,Anführer' deklarierten Studenten Friedrich Rudolphi aus Berlin und Carl Gottlieb Bernhard Livius aus der Mittelmark mit dem Hinweis einer „unter der Hand" erfolgten Anzeige. 52 Beide hatten zuvor in Frankfurt an der Oder studiert und beide geben zu, gewußt zu haben, daß an der Viadrina der Orden bestanden hatte. Gleichwohl aber seien sie keine Ordensbrüder gewesen. Vielmehr wären nach ihrer Kenntnis dort die Studenten Brunstein aus Fürstenwalde, Dalcke aus Pommern und Schmidt aus Hamburg (so die Aussage von Rudolphi) sowie Dobold aus Pommern und Westphal aus Rußland (so die Aussage von Livius) im Indissociabilistenorden gewesen. Rudolphi behauptete weiterhin, daß er den Studenten Livius zwar kenne, gleichwohl mit diesem keinen Umgang habe. Die Denunzierten verteidigten sich also zum einen damit, daß sie leugneten, Mitglieder des Ordens zu sein, und zum anderen haben beide keine Skrupel selbst zu denunzieren: Nämlich die ihnen vorgeblich bekannten Ordensbrüder in Frankfurt. Auf diese Aussagen hin wandte sich die Universität Halle in einem Anschreiben am 27. Dezember 1783 an die Frankfurter Universität. Zunächst wird darin berichtet, daß der hallischen Obrigkeit angezeigt worden sei, daß Studenten aus Frankfurt an der Oder den Orden der Indissociabilisten in Halle „zu errichten suchten". Man spürt dabei durchaus die Verärgerung in Halle über diesen Vorgang, wenn mitgeteilt wird, daß der Orden „vorher nicht einmahl dem Nahmen nach, bey uns bekanndt gewesen" sei. Weiter heißt es dann, daß die in Halle Denunzierten ausgesagt hätten, daß der Orden „nicht mehr zu Frankfurt fortdaure". Anschließend benennt das Schreiben aus Halle dennoch die in den Verhören ge-

50 51

52

Siehe Anm. 47. Das folgende ist dargestellt nach: Universitätsarchiv Halle, Rep. 5 Universitätsgericht Nr. 45, (wie Anm. 42). Ebd., Bl. 1.

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nannten Namen der Frankfurter Studenten, „um auf gedachte Stud[iosi] wenn sie noch gegenwärtig sind ein wachsames Auge haben und diesen Orden, wenn er denn noch existiren solte, desto leichter entdecken und ausrotten" zu können. Davon „im Vertrauen Nachricht zu geben", erklärt sich die Universität Halle, habe man als Pflicht erachtet, zumal auch der König die Bekämpfung des so schädlichen Ordenswesens befohlen habe.53 Aus dem Brief lassen sich mehrere Intentionen ablesen. Zum einen wird der Universität in Frankfurt indirekt die Schuld an den Problemen mit den Untrennbaren in Halle zugewiesen; von der Oder war der Orden an die Saale gekommen. 54 Zum zweiten kommt die hallische Universität ihrer (Kommunikations)Pflicht im Rahmen der Ordensbekämpfung in Preußen nach; es ging um Informationsübermittlung. Gleichzeitig versucht die Fridericiana zum dritten Auskünfte darüber zu erhalten, wie die (aktuelle) Lage bezüglich des Ordens tatsächlich ist: Ist die Existenz des Ordens in Frankfurt bekannt und untersucht man jetzt eventuell von Neuem? Haben die Frankfurter Informationen, die sie bislang zurückgehalten haben? Beachtenswert ist außerdem viertens, daß die verdächtigten hallischen Studenten nicht benannt werden. Der Prorektor geht hier offensichtlich sehr behutsam vor, denn jenseits der faktischen Ordensbekämpfung vor Ort stand ja auch der Ruf der Universität im Gefuge der preußischen Hochschulen in Frage: An welcher Universität wurde die studentische Disziplin besser aufrecht erhalten? Schulze ließ die Dinge in Bezug auf Halle offen. Die Universität Frankfurt reagierte nicht umgehend, sondern ließ sich einen Monat mit der Antwort Zeit. In Halle ging das Antwortschreiben aus Frankfurt vom 9. Februar gut eine Woche später, am 17. Februar, ein. Es war nicht nur knapp, sondern auch eindeutig gehalten. Der Frankfurter Rektor Gotthilf Samuel Steinbart55 bedankt sich zunächst für die Informationen über „einen dortigen Orts [Halle] entstehen wollenden Indissociabilisten Orden". Und fahrt fort: „Wir müssen aber bemerken, das dieser Orden alhier bereits im Junio 1782 entdeckt und aufgehoben worden" ist. Auch die verdächtigten Studenten seien nicht mehr auf der Frankfurter Universität.56 Über diese Vorgänge war Halle nicht informiert worden, und diese Auskünfte haben den hallischen Prorektor Schulze sicherlich nicht erfreut, denn sie halfen ihm nicht weiter: In Frankfurt war der Orden schon

53 54

55

56

Zitate: ebd., Bl. 3 u. 3'. Siehe dazu auch Brüdermann, (wie Anm. 21), S. 247, der an dieser Stelle darauf verweist, daß die Göttinger Universitätsleitung Wert auf die Feststellung legte, daß „die übergreifenden Orden des späten 18. Jahrhunderts alle von anderen Universitäten nach Göttingen kamen und auch von dort Zuzug erhielten." 1 73 8-1809; zu Steinbart siehe Günter Mühlpfordt, Die Oder-Universität 1506-1811, in: Die Oder-Universität Frankfurt. Beiträge zu ihrer Geschichte. Hg. v. Günther Haase und Joachim Winkler. Weimar 1983, S. 19-72, hier S. 63f. und Allgemeine Deutsche Biographie, 35. Bd., 1893, S. 687-689. Universitätsarchiv Halle, Rep. 5 Universitätsgericht Nr. 45, (wie Anm. 42), Bl. 4. Siehe auch: Ludwig Golinski, Die Studentenverbindungen in Frankfurt/O., Diss. phil. Breslau 1903, S. 6 2 - 6 4 u. 92f.

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anderthalb Jahre zuvor aufgedeckt worden, die denunzierten Studenten waren auch nicht mehr vor Ort und über das Vorleben der hallischen Studiosi hatte er nichts erfahren. Neben der einigermaßen ergebnislosen und zugleich nicht unproblematischen Korrespondenz mit den Frankfurter Kollegen hatte Schulze zudem offensichtlich clevere Studiosi vor sich. Beide - Rudolphi und Livius - hatten zwar problemlos Informationen gegeben. Diese hatten sich jedoch als völlig nutzlos erwiesen. Denn Rudolphi und Livius hatten ja zugegeben, den Orden zu kennen, da dieser in ihrer Frankfurter Zeit bestanden habe. Beide hatten also den Prorektor nicht belogen, sondern waren ihm - aus seiner Sicht - bezüglich der hallischen Angelegenheiten nur nicht hilfreich gewesen, in dem sie zu Protokoll gaben, keine Indissociabilisten zu sein. Die zunächst als Denunziationen erscheinenden Aussagen der beiden entpuppten sich so als taktische Maßnahme: Man darf sicher davon ausgehen, daß beide davon unterrichtet waren (oder es zumindest auf Grund ihrer Kenntnis der Frankfurter Verhältnisse vermuteten), daß die angezeigten Studenten die Viadrina bereits verlassen hatten, die Untersuchung gegen die dortigen Indissociabilisten längst abgeschlossen war. Denn Rudolphi war erst Ostern 1783 und Livius Michaelis (29. September) 1783 nach Halle gekommen, also deutlich nach der Untersuchung in Frankfurt im Juni 1782. In Halle stand man also wieder am Anfang. Ende April nahm das Universitätsgericht dann die Untersuchung mit einer nochmaligen Vorladung von Livius wieder auf. Dabei wurde ihm vorgehalten, daß der Verdacht gegen ihn, ein Mitglied oder sogar einer der Anführer im Orden zu sein, immer noch bestehe. Livius leugnete dies „auf das Beständigste".57 Gleichzeitig ging man nun aber dazu über, die anderen am 23. Dezember 1783 denunzierten Studenten zu verhören. Am gleichen Tag (28. April 1784, an dem auch das zweite Verhör von Livius durchgeführt worden war) erschienen vor dem Universitätsgericht die Studenten Wilhelm Friedrich von Schenck, Friedrich Theodor Schmölder und Carl Bergfeldt. Ihnen wurde mitgeteilt, daß sie beschuldigt worden seien, Mitglieder im Orden der Indissociabilisten zu sein. Alle drei behaupten aber, keine Ordensbrüder zu sein, ja die Gesellschaft nicht einmal dem Namen nach zu kennen. Sie werden darauf hingewiesen, daß auf königlichen Befehl die Universität dergleichen Orden nicht dulden werde und die in „gegründeten Verdacht" gekommenen Studenten „zum besten der Universitaet von hier geschaffet werden sollten".58 An diesem Tag fanden im Anschluß aber noch weitere Vernehmungen statt. Ganz offensichtlich hatte der hallische Prorektor weiter recherchieren lassen, denn vorgeladen war der Student Dalcke. Dieser in Frankfurt an der Oder als Indissociabilist enttarnte Student hatte ja die Viadrina verlassen (so korrekt das Schreiben des Frankfurter Rektors); er war aber nicht an eine beliebige andere Universität, 57 58

Ebd., Bl. 6. Ebd., Bl. 7; das Protokoll ist von den Studenten unterzeichnet worden.

Denunziation und Kommunikation

245

sondern nach Halle gegangen. Er hatte eine schriftliche Bürgschaft hinterlegt (deren Richtigkeit geprüft wurde), wonach er drei Tage nach Leipzig verreist sei. Dalcke hatte sich also durch eine Kurzreise nach Leipzig entzogen. Das Protokoll fährt dann wie folgt fort: „Gaben Ihre Magnificenz ad acta, das von den in der anonymischen ad acta gegebenen Anzeige benannten Studiosii zwar Rudolphi Luderwaldt Schoepffer Hille u. Bertram auf heute gleichfalls vorgeladen worden, daß aber Rudolphi ob ihn gleich die Citation von d Min Acad Hübner [...] bekannt gemacht worden, dennoch nicht erschienen, sondern wie verlautet, diesen Morgen früh nach Berlin gereist sey."59 Auch Rudolphi - der ja als Anführer des Ordens angezeigt worden war - hatte sich mit einer spontan erscheinenden Reise (nach Berlin) der nochmaligen Vorladung entzogen. Auch der Student Luderwaldt war bereits seit drei Wochen „von hier abgegangen". Die Studenten Schoepffer und Hille hatten sich am Abend zuvor entschuldigt, daß sie „wegen einer heute an zu tretenden Reise nach Halberstadt, die sich nicht aufschieben" lasse, „nicht würden erscheinen können". Und auch „der Stud. Bertram ist dem Vernehmen [nach] gleichfalls verreist."60 Ob die Studenten nach der ersten Untersuchung verabredet hatten, im Falle der Wiederaufnahme der Ermittlungen sich durch sozusagen systematisches Verreisen (und stetiges Leugnen) den Vorladungen zu entziehen oder ob es eine spontane Reaktion auf die zunächst erfolgte Befragung des Livius war, ist nicht zu sagen.61 Jedenfalls reagierten die Studenten umgehend und auf gleiche Weise: Außer Luderwaldt, der sich schon länger nicht mehr in Halle aufhielt, entwichen die gesuchten Studenten - nach Leipzig, Berlin, Halberstadt und an einen unbekannten Ort. Dennoch ist dieses Verhalten nicht gleichsam als Schuldbekenntnis zu werten, denn die Gefahr auch unschuldig bestraft zu werden, war nicht gering. Ein letztendlicher Beweis für die Mitgliedschaft eines denunzierten Studenten in einem geheimen Orden war schwer zu erbringen, da originäre Ordensmaterialien nur selten in die Hände der Untersuchungsbehörden gelangten. Auch im Falle der Indissociabilisten ist dies nicht gelungen. Eine Bestrafung konnte also nur durch Indizien und Aussagen erfolgen.62 Prorektor Schulze hatte erneut einen Rückschlag

59 60 61

62

Ebd., Bl. 7'; die Unterstreichung im Original. Zitate ebd., Bl. 8. Vgl. in diesem Kontext die im § 19 der Statuten der Gießener Amicisten von 1789 festgeschriebene Verhaltensweise: „Sollte die Akademie aufmerksam auf unsere Gesellschaft werden, und wir es erfahren, so berufe der Senior außerordentlich die Ordensbrüder zusammen und entlasse sie ihrer Verbindlichkeit. Alsdann können sie schwören, was man ihnen zumuthet." - nach Fabricius, (wie Anm. 1), S. 64-67, Zitat S. 66. Siehe auch Peter Woeste, Akademische Väter als Richter. Zur Geschichte der akademischen Gerichtsbarkeit der Philipps-Universität unter besonderer Berücksichtigung von Gerichtsverfahren des 18. und 19. Jahrhunderts. Marburg 1987 (Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur 22), S. 101; Brüdermann, (wie Anm. 21), S. 225f.; Hardtwig, Auf dem Weg zum Bildungsbürgertum, (wie Anm. 19), S. 33. Vgl. Brüdermann, (wie Anm. 21), S. 239.

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erlitten. Die vorgeladenen Studenten hatten sich - bis auf Livius - entzogen, und dies konnte er nicht automatisch als Schuldbekenntnis und Existenzbeweis des Ordens auslegen. Er mußte weiter untersuchen. Merkwürdigerweise war von den angezeigten und vorgeladenen Studenten nur Livius nicht verreist. Wenn die anderen Ordens Studenten sich entzogen hatten, warum dann Livius nicht? Und als er erneut, zum dritten Mal, vorgeladen wird, ist er immer noch in Halle. War dies vielleicht ein Indiz dafür, daß er nicht in das (abgesprochene) Verhalten der anderen Studenten eingeweiht worden war? Gehörte er demzufolge nicht dem Kreis um Rudolphi an? Und war dann vielleicht dieser Kreis (ohne Livius) doch als Orden geheim organisiert? Diese Fragen mögen Schulze in der Woche nach dem 28. April beschäftigt haben, und das Protokoll der dritten Vorladung von Livius am 4. Mai gibt darauf eine indirekte Antwort. Denn Livius wird hier das consilium abeundi ausgesprochen; er mußte Halle binnen 24 Stunden verlassen. 63 Der Grund dafür war aber nicht eine etwaige Ordenszugehörigkeit, sondern seine äußere Erscheinung: Er sei „voll Ungeziefer" und gehe „in der schmutzigsten Kleidung herum", niemand könne ihn „im Hause dulden" und er liege die „Nächte unter freyem Himmel oder an öffentlichen] Orten herum". Livius paßte ganz offensichtlich nicht in das Bild, das die anderen Studenten gaben. Dies hatte Schultze erkannt und ihn demzufolge aus dem Kreis der Ordensverdächtigen aussortiert. Der oder die Denunzierenden wußten wohl um das vermeintlich Asoziale von Livius' Lebenswandel und hatten diesen möglicherweise eben aus jenem Grund einfach mitdenunziert. Auf diese Weise war der Orden zusätzlich zum Vergehen der geheimen Vergesellschaftung auch noch gesellschaftlich diskreditiert. Einen Monat später (am 7. Juni) unternimmt der Prorektor einen neuen Versuch. Vorgeladen sind die von ihrer Reise zurückgekommenen Studenten Schoepffer und Hille. Beide leugnen erneut, Mitglied im Indissociabilistenorden gewesen zu sein oder diesen gar zu „unterhalten". Beide können „nicht begreiffen, wie sie in den Verdacht, daß sie Mitglieder davon seyn sollten, hätten kommen können." Sie hätten nämlich zusammen mit den Studenten von Schenck, Luderwaldt, Rudolphi, Witte, Hoeppe und Giesecke „alle 8 Tage ein Kräntzgen gehalten, hätten sich aber bey ihren Zusammenkünften jederzeit sehr ruhig verhalten." Aus diesem Grund könnten sie sich auch nicht vorstellen, daß die Treffen des Kränzchens einen „Verdacht" erweckt hätten, „als ob sie in einer verbothenen Ordensverbindung" wären. Ihnen sei nicht bekannt, ob ein Orden der Indissociabilisten an der Universität Halle existiere und am allerwenigsten, wer darin Mitglied sei. 64 Zwei Tage darauf erscheint dann am 9. Juni noch einmal Rudolphi vor dem Prorektor. Er entschuldigt sich zunächst für sein Ausbleiben am 28. April aufgrund

63

64

Siehe Universitätsarchiv Halle, Rep. 5 Universitätsgericht Nr. 45, (wie Anm. 42), Bl. 8 - dort auch die folgenden Zitate. Zum consilium abeundi siehe etwa Woeste, (wie Anm. 61), S. 56. Zitate ebd., Bl. 8' u. 9.

Denunziation

und

Kommunikation

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seiner unumgänglichen Reise nach Berlin, weshalb er seiner „Aufwerterin" befohlen habe, ihn aus diesem Grunde zu entschuldigen - all dies könne sie nicht in Abrede stellen. Daraufhin leugnet Rudolphi erneut, bereits in Frankfurt an der Oder dem Orden angehört zu haben und auch den Versuch unternommen zu haben, diesen in Halle zu errichten, und fährt dann fort, daß dieses vermutlich ein Mißverständnis sei, da er gemeinsam mit einigen Freunden - Schoepffer, Hille, von Schenck, Giesecke, Luderwaldt, Witte und Hoeppe - im vergangenen Winter ein Kränzchen gehalten habe. Sie hätten sich am Sonntag auf seiner Stube getroffen und gemeinschaftlich „divertiret" (unterhalten). Mit einer Ordensgesellschaft habe dies alles nichts zu tun gehabt. Und den Studenten Livius habe er zwar schon seit seinen Frankfurter Zeiten der Person und dem Namen nach gekannt, jedoch mit diesem „dissoluten Menschen" nie ein Wort gewechselt; auch wisse er nicht, ob dieser ein Ordensmitglied sei.65 Ganz offensichtlich haben die Studenten sich nach ihren Reisen (oder während dieser unbemerkt außerhalb von Halle) über das weitere Vorgehen im Falle der Fortführung der Untersuchung verständigt. Hatte man zunächst nur geleugnet, im Orden zu sein, war man später den fortlaufenden Untersuchungen durch Abreise entkommen. Dann änderten die Studenten ihre Taktik. Ganz offensiv bekennen sie sich, sich getroffen zu haben, um sich zu vergnügen. Dagegen war nun nichts mehr einzuwenden, zumal dieser Kreis mit dem offensichtlich verwahrlosten Studenten Livius nichts anderes zu tun hatte als den Umstand, von Frankfurt nach Halle gekommen zu sein.

4.

Ausblick

So scheint letztendlich alles offen zu bleiben, die Dinge verlaufen im Sand. Zwar lassen das Verhalten und die Taktik der Studenten darauf schließen, daß es einen Orden der Indissociabilisten gegeben hat - einen Beweis dafür hat Prorektor Schulze aber nicht ermitteln können. Dennoch ist die Universität nicht der Verlierer der Untersuchung, denn wenn es einen Orden gegeben hat, dann war er nun aufgelöst. Und auch die Studenten haben nicht wirklich verloren, denn sie mußten zwar ihren Orden (wenn er denn bestanden hat) auflösen, konnten aber straffrei weiter studieren. Nur Livius, der vermutlich mit dem engeren Vorgang um den Orden gar nichts zu tun hatte, wurde von der Universität gewiesen. Stellt man diesen Ausgang in den größeren, überuniversitären Rahmen, den wir am Beginn skizziert haben, so scheint Schulze hier eine geschickte Lösung für den Fall erreicht zu haben: Kein Skandal um einen Orden, der das Verhältnis zu Berlin belastet und zugleich das Ansehen der Fridericiana gegenüber anderen Universitäten - j e d e n f a l l s für den Moment - herabgesetzt hätte.

65

Siehe ebd., Bl. 10 u. 10'; Zitate Bl. 10'.

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Vordergründig nicht unbedingt gewollt und nirgends so explizit als Zielvorgabe bezeichnet, ist ein Konsens zwischen universitärer Obrigkeit und arkanbündisehen Studenten in einem Prozeß des Taktierens auf beiden Seiten ausgehandelt worden. Genuine Bestandteile dieses Prozesses waren Denunziationen. Die in Untersuchung geratenen Studenten sind denunziert worden; vermutlich von rivalisierenden Ordensbrüdern. Die denunzierten Indissociabilisten scheuten nicht davor zurück, ihrerseits vorgebliche Ordensbrüder in Frankfurt zu denunzieren. Allerdings entpuppten sich diese Anschuldigungen als bereits nicht mehr relevant, da der dortige Orden schon länger aufgehoben war. So ist es möglich, daß die hallischen Studenten die Denunziationen (von denen sie wissen konnten, daß sie im Sande verlaufen würden) als gezielte Desinformation eingesetzt haben, um Zeit zu gewinnen. Gleichzeitig aber erschien ihr Verhalten aus der Sicht des hallischen Prorektors kooperativ. Durch das so entstehende Wechselspiel von Denunziationen aus dem die Untersuchung auslösenden Schriftstück und den folgenden Vernehmungen (sowie auch aus dem Briefwechsel zwischen den Universitäten in Halle und Frankfurt) schälte sich ein Personenkreis heraus, der mit dem Indissociabilistenorden zu tun hatte bzw. möglicherweise identisch mit diesem war. Die Denunziationen erscheinen als milieubedingtes, den Beteiligten nicht unbekanntes und unvertrautes Verhaltensmuster. Sie werden so zu Steuerinstrumenten: Entweder um gegeneinander zu operieren oder als Bestandteile der eigenen Verteidigungsstrategie. Diese Aussage läßt sich generalisieren. Denn die Denunziationen, die zur Einleitung einer Untersuchung gegen Studentenorden Anlaß gaben, kamen in Halle augenscheinlich fast ausschließlich unaufgefordert zustande. D.h., die Universitätsobrigkeit unterhielt offensichtlich kein systematisch arbeitendes Spitzelwesen gegen die Orden - erst zur Jahreswende 1785/86, als sich die Obrigkeiten in Berlin und Halle der Tatsache bewußt geworden waren, daß sie die Orden nicht in den Griff bekommen hatten, wurden Belohnungen für Denunziationen ausgesetzt und dieses Angebot in den Wöchentlichen Hallischen Anzeigen für die gesamte städtische Bevölkerung publiziert, denn Denunziationen waren von jedermann („Bürger oder Aufwärter"), nicht nur von Studenten willkommen.66 Zu diesem Zeitpunkt aber liefen die Untersuchungen gegen Landsmannschaften und Orden bereits seit zwei Jahrzehnten. Und auch dieser Schritt an die Öffentlichkeit und die damit vergrößerte potentielle Denunziantenbasis brachten nicht den gewünschten Erfolg - Anzeigen in nennenswertem Maß blieben aus. Die hier vorgestellten ersten Überlegungen und Beobachtungen bilden den Ausgangspunkt für eine größer angelegte Studie. Bezogen auf die geheimen Studentenmilieus und den Herrschaftsraum Universität, sollen die Denunziationen als lebensweltlich gebundenes Phänomen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts 66

Wöchentliche Hallische Anzeigen vom 9.1.1786, S. 16 (das Avertissement ist mit dem 12. Dezember 1785 datiert); Käthe, (wie Anm. 25), Teil 2, S. 198. Zu Frankfurt siehe: Golinski, (wie Anm. 56), S. 63f.

Denunziation und Kommunikation

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verstanden und untersucht werden. A m Beispiel des Ordenswesens und der Professorenschaft in Halle (unter Hinzuziehung weiterer Fälle an anderen Universitäten) wird nach dem Wesen dieser Denunziationen gefragt. Die territorialen Obrigkeiten des 18. Jahrhunderts und die Universitätsprofessoren waren verunsichert, denn die Orden waren ein in der Studentengeschichte neues Organisationsphänomen. Diese Geheimbünde entzogen sich den Ordnungsvorstellungen der Zeit, was die Regierungen und Universitätsgerichte zum Handeln herausforderte. Dabei bedienten sie sich der Denunziationen (denen ein hoher Informationswert zukam), die aus dem Konkurrenzverhalten der Ordensbrüder untereinander bzw. zwischen ihnen und den Nicht-Ordensbrüdern resultierten. Durch das generelle Verbot aller Orden wurden die Denunziationen politisch legitimiert. Im späten 18. Jahrhundert entstand so im Spannungsfeld zwischen Studentenorden, Universitätsobrigkeit und Territorialherrschaft ein Milieu des Verdachts.

PAUL ZICHE / PETER BORNSCHLEGELL ( M ü n c h e n / J e n a )

Überregionale Wissenschaftskommunikation um 1800. Briefe und Reisen einer Jenaer Wissenschaftsgesellschaft1 1.

Die Jenaer Naturforschende Gesellschaft und Goethes Reanimationsversuche: Gesellschaften als Personennetze

Die Jenaer Naturforschende Gesellschaft (im folgenden: NFG) wird 1793 von August Johann Georg Carl Batsch, Professor Extraordinarius in der philosophischen Fakultät, spezialisiert auf die Gebiete der Naturgeschichte, hier wieder insbesondere die Botanik, und Direktor des neuen Botanischen Gartens, gegründet; sie ordnet sich in eine große Zahl vergleichbarer Gesellschaftsgründungen ein.2 In den Gründungsstatuten wird das Ziel der NFG als „planmäßige Erweiterung und Ergänzung der Naturwissenschaften überhaupt durch alle, und vollendete Naturbeschreibung von Jena durch die daselbst lebenden Mitglieder, so wie eine wissenschaftliche und ehrenvolle Verbindung für die letztern" angegeben.3 Die Statuten sind also inhaltlich wenig spezifisch, heben jedoch ausdrücklich den Austausch zwischen den Mitgliedern hervor, und hier insbesondere die Möglichkeit, den

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Der Text entstand im Rahmen des Teilprojekts D l , „Strukturen der Naturforschung", des Sonderforschungsbereichs 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800" der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der für ihre Unterstützung gedankt sei. Birgit Kreher-Hartmann danken wir für vergleichende Hinweise zur Jenaer Societät für die gesammte Mineralogie. Der Handschriftenabteilung der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, insbesondere ihrer Leiterin, Frau Dr. Kratzsch, und dem Stadtmuseum Jena danken wir für die Unterstützung bei der Arbeit an den Briefen und für die Abdruckerlaubnis. Vgl. Holger Zaunstöck, Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert. Tübingen 1999 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 9). Zu einer vergleichenden Betrachtung naturwissenschaftlicher Gesellschaften vgl. ders., Untersuchungen zur Struktur Naturforschender Gesellschaften im 18. Jahrhundert: Die Sozietäten in Halle, Leipzig und Jena, in: Olaf Breidbach / Paul Ziche (Hg.), Naturwissenschaften um 1800. Beiträge zur Wissenschaftskultur in W e i m a r / J e n a . Weimar 2001, S. 155-175. Nachricht von der Gründung einer naturforschenden Gesellschaft zu Jena am 14ten July 1793 nebst den dabey gehaltenen Reden, den Statuten der Gesellschaft, und dem Verzeichnisse ihrer Mitglieder. Jena 1793, S. 19. - Vgl. insgesamt zur NFG Paul Ziche, Die Jenaer Naturforschende Gesellschaft und ihre Bedeutung für die Naturforschung in Jena, in: Detlef Döring / Kurt Nowak (Hg.), Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (1650-1820). Teil II. Leipzig 2002 (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Philologisch-historische Klasse 76/5), S. 107-131; zu einer ersten Auswertung einiger Briefe unter wissenschaftshistorischen Gesichtspunkten Paul Ziche /Peter Bornschlegell, Wissenschaftskultur in Briefen. F.A.C. Grens antiphlogistische Bekehrung, galvanische Experimentalprogramme und internationale Wissenschaftsbeziehungen in Briefen an die Jenaer Naturforschende Gesellschaft, in: N.T.M. - Internationale Zeitschrift für Geschichte und Ethik der Naturwissenschaften, Technik und Medizin N.S. 8 (2000), S. 149-169.

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Paul Ziehe /Peter

Bornschlegell

Jenaer Mitgliedern eine durch zwei Leitbegriffe - Wissenschaft und Ehre - markierte „Verbindung" zu eröffnen. Nach einigen Jahren großer Aktivität, in denen sie es bis 1802 auf 341 Mitglieder, aufgeteilt in 81 aktive, 129 korrespondierende und 131 Ehrenmitgliederbringt, gerät die NFG nach dem Tod von Batsch 1802 in eine Krise. Goethe, als neuer Direktor und Retter der Gesellschaft ausersehen, nimmt die ihm damit zugedachte Aufgabe ernst und äußert wiederholt sein Interesse an einer Wiederbelebung. Wenn Goethe die Möglichkeit einer solchen Reanimation diskutiert, sieht er zwei Ansatzpunkte. Im Jahr 1805 vermerkt er: „Es [dieses Institut, P. Z. / P. B.] hat sehr schöne Besitzungen sowohl an Naturproducten als an Instrumenten und Büchern, einen ausgebreiteten guten Nahmen und viele nicht unthätige Correspondenten"; im Jahr 1806 formuliert er etwas ausfuhrlicher: Daß diese Societät übrigens in Deutschland noch in gutem Andenken sey, zeigt sich daraus, daß von Zeit zu Zeit Sendungen eintreffen, die von einiger Bedeutung sind. Auch wird von außenher mancher Wunsch, zum Mitgliede aufgenommen zu werden, geäußert, und es soll nach und nach alles, was zur Förderung dieser Anstalt dienen kann, besorgt werden, damit ein Lebenspunct mehr auf der Academie Jena in diesen bedenklichen Zeiten erhalten werde.4

Derartige in der NFG bereits bestehende Beziehungen zwischen Wissenschaftlern bzw. zwischen auswärtigen Wissenschaftlern und der Jenaer Institution haben für Goethe offenkundig großen Wert. Sie können nicht von einer übergeordneten Behörde kraft ihrer Autorität generiert werden, sie haben ein Eigenleben: sie bestehen weiter, selbst wenn die Gesellschaft, die sie ursprünglich bündelte, nicht mehr existiert. Über die Sammlungen der NFG verfügt Goethe ohne weitere Debatten, sie sind personenunabhängig disponibel und können als materiale Strukturen beliebig verschoben werden. Im Falle der Wissenschaftlerbeziehungen ist das offensichtlich nicht problemlos möglich. Für Neuerungen fordert Goethe hier eine Wiederbelebung der ursprünglichen Gesellschaftsform, was für eine weitgehende Identifikation der NFG mit den in ihr angelegten Wissenschaftlerbeziehungen spricht.5 Eine gewisse Unabhängigkeit von der Gesellschaft ist allerdings auch hier gegeben: mit dem faktischen Ende der Gesellschaftsaktivitäten müssen die Austauschversuche zwischen den einzelnen Wissenschaftlern nicht unbedingt enden. Wenn ein solches Beziehungsgefüge die Lebenszeit einer Gesellschaft überdauern kann, stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis eine Gesellschaft - die ja in den meisten Fällen auf einen definiten Gründungsakt zurückgeht - zu solchen in 4

5

Johann Wolfgang Goethe, Amtliche Schriften. Teil Π. Hg. v. Irmtraut und Gerhard Schmid. Frankfurt/M. 1999 (Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke. Frankfurter Ausgabe. 1. Abt., Bd. 27). S. 521 (Votum von Goethe, 28.6.1805), S. 875 (Aktenvermerk von Goethe, 1.10.1806). Der Begriff .Wiederbelebung' z.B. S. 529. - Zu Aktivitäten der NFG nach Batschs Tod vgl. Ziehe, (wie Anm. 3). Vgl. den bereits in der Frühzeit gelehrter Gesellschaften (etwa bei Robert Boyle) in der Vorphase bzw. Anfangszeit der Londoner Royal Society geprägten Begriff eines invisible College', das durch derartige Gesellschaften geformt würde.

Überregionale Wissenschaftskommunikation

um 1800

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einer gewissen Unabhängigkeit operierenden Beziehungsgefügen steht. Werden diese durch eine Gesellschaft wie die NFG neu generiert, werden sie als bereits bestehende importiert? Welcher funktionale Konnex besteht zwischen einem solchen Beziehungsgefiige und Gelehrten Gesellschaften?

2.

Briefe an eine gelehrte Gesellschaft - Merkmale eines Brieftypus

Die Kommunikation durch das Medium des Briefs gehört zu den wesentlichen Aktivitätsformen gelehrter Gesellschaften. Der Brief als Kommunikationsform durchläuft um 1800 wesentliche Veränderungen. In seiner Funktion als Medium der Verbreitung von Informationen wird er durch Buch- und insbesondere Zeitschriftenpublikationen abgelöst. Zugleich etabliert sich im Privatbrief eine neue Form mit neuen Gehalten und neuen stilistischen Merkmalen. Gelehrte Gesellschaften befassen sich sowohl mit dem Austausch von Informationen als auch mit der Etablierung persönlicher Beziehungen zwischen den Mitgliedern; ihr Briefwechsel ist deshalb von vornherein nicht eindeutig einer der beiden genannten Kommunikationsformen zuzuordnen. Anhand der Briefe an die NFG sollen Aspekte einer Typologie des ,Gesellschaftsbriefs' bzw. ,Sozietätsbriefs' entfaltet werden. Als Materialgrundlage werden die in der Handschriftenabteilung der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena erhaltenen „eingelaufenen Briefe" (so die Überschrift von Batsch auf der entsprechenden Sammelmappe) an die NFG aus den ersten Jahren der NFG ausgewertet. Listen von Batsch für die Zeit von November 1796 bis Mai 1797 lassen annehmen, daß die „Briefe an die NFG" aus dieser Zeit komplett vorliegen. 6 Es handelt sich um insgesamt bisher 196 Briefe, wobei die Zahl der Briefe von Ehrenmitgliedern die von korrespondierenden Mitgliedern noch übersteigt. Da die aktiven Mitglieder größtenteils in Jena ansässig waren, liegen von dieser Mitgliedergruppe praktisch keine Briefe vor. Eine eindeutige Differenz in Form oder Gehalt zwischen den Briefen von Ehren- bzw. von korrespondierenden Mitgliedern ist nicht festzustellen. 7 6

7

Die Briefe werden in der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena in zwei Konvoluten mit den Signaturen 4 Ms.chron. 1905.9 und 4 Ms.chron. 1905.9/1 (ab Nr. 121) aufbewahrt; die ersten 138 Briefe sind - wohl von Batsch selbst - durchnumeriert. Angegeben werden bei diesen Briefen die Nummer und die Blattzählung. Neben der genannten Liste (4 Ms.chron. 1905.9/1, fol. 38f.) liegen alphabetische Indices bzw. Korrespondentenverzeichnisse von Batsch vor; vgl. Ziehe / Bornschlegell, (wie Anm. 3), S. 150 und Anm. 6. Generelle Literatur zur Rolle von Briefen in wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhängen: Kai Torsten Kanz, Nationalismus und internationale Zusammenarbeit in den Naturwissenschaften. Die deutsch-französischen Wissenschaftsbeziehungen zwischen Revolution und Restauration, 1789-1832. Stuttgart 1997 (Boethius 39); ders., „[...] man weiß nur was man einem Manne schreiben soll mit dem man einmal persönlich verhandelt hat." Zum Briefwechsel Goethes mit Christian Gottfried Nees von Esenbeck, in: Olaf Breidbach / Paul Ziehe (Hg.), Naturwissenschaften um 1800. Wissenschaftskultur in Weimar / Jena. Weimar 2001, S. 2 0 3 215; Thomas Schnalke, Medizin im Brief. Der städtische Arzt des 19. Jahrhunderts im Spiegel

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Paul Ziehe /Peter

Bornschlegell

Nur in sehr wenigen Fällen ist in dem ausgewerteten Bestand ein echter Briefwechsel 8 - in dem Sinne, daß jeweils mehrere, aufeinander reagierende Briefe der beiden Briefpartner vorliegen - dokumentiert (um hier zu gesicherten Aussagen zu kommen, müßte noch intensiv nach Gegenbriefen gesucht werden). In den Akten der NFG hat sich immerhin eine Art Adressenkartei erhalten, was zumindest auf den Versuch hindeutet, einen Briefaustausch zu pflegen. Mehr als zwei Briefe liegen nur von wenigen Schreibern vor. Von den meisten Schreibern ist lediglich ein Schreiben an die NFG erhalten (zwei Briefe liegen von 20 Korrespondenten vor, drei Briefe von fünf, vier Briefe von sechs und sechs Briefe nur von einem Korrespondenten); ähnliche Zahlen ergeben sich für den Briefwechsel der Jenaer Societät für die gesammte Mineralogie.9 Hiermit sind solche Fälle noch nicht erfaßt, in denen zwischen Mitgliedern Briefe, in denen auf die NFG Bezug genommen wird, ausgetauscht wurden, und in denen man erst in einem eigentlichen Sinn von ,Korrespondentenzirkeln' sprechen könnte. 10 Auch hierzu sind weitere Recherchen nach Briefen zwischen den Mitgliedern bzw. nach Gegenbriefen von der NFG bzw. von Batsch an die Mitglieder erforderlich. 2.1

Zur Form des ,Gesellschaftsbriefes'

Auffällig ist zunächst, daß der weitaus größte Teil der Briefe - trotz der Einordnung als „Briefe an die NFG" - an Batsch gerichtet ist (nur etwa ein Fünftel ist an die NFG adressiert, der Rest an Batsch; ähnlich in den Briefen an die mineralogische Sozietät, die ebenfalls i.a. an den Direktor, Goethe, gerichtet waren). In einigen wenigen Fällen werden Gesellschaft und Direktor gleichzeitig angesprochen

8

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10

seiner Korrespondenz. Stuttgart 1997 (Sudhoffs Archiv. Beihefte 37). Zu Briefen gelehrter Gesellschaften vgl. z.B. Rene Sigrist, Les origines de la Societe de Physique et d'Histoire Naturelle (1790-1822). Genf 1990 (Memoires de la Societe de Physique et d'Histoire Naturelle de Geneve 45, Fase. 1). Daß man auch um 1800 in einem ,Briefwechsel' mehr sah als das gelegentliche, von jeweils kontingenten Umständen motivierte Schicken eines Briefes, belegt ein Schreiben von Dominik Teleki von Szek (auch Präsident der Jenaer Societät für die gesammte Mineralogie) an die NFG (15.3.1796, Nr. 107b, fol. 243): „Der Zweck dieses Briefs ist blos die Meldung, von den vorerwähnten gewesen [einem Versandirrtum bei einer Sendung Mineralien, P. Z. / P. B.], ich behalte mir vor, meinen Briefwechsel häuficher zu continuiren"; ebenso im Schreiben von August Christian Kühn (17.8.1793, Nr. 4, fol. 13): „Mit der [...] dringenden Bitte künftig einen Briefwechsel mit Ihnen unterhalten zu dürfen [...]". Diese Sozietät war ab etwa 1796 aktiv; sie umfaßte deutlich mehr Mitglieder als die NFG (ca. 2500); das Direktorat hatte ab 1803 Goethe inne. Die Briefe an die Sozietät werden im Universitäts-Archiv Jena aufbewahrt; erhalten sind ca. 4500 Briefe aus einem Zeitraum von etwa 1798 bis 1832 (Hinweise von Birgit Kreher-Hartmann, Jena). Zum Begriff des Korrespondenzzirkels vgl. Jerzy Wojtowicz, Korrespondenzzirkel als Kommunikationsgruppen im Zeitalter der Aufklärung. Vorschläge - Postulate - Forschungsmöglichkeiten, in: Alexandra Dutu / Edgar Hösch / Norbert Oellers (Hg.), Brief und Briefwechsel in Mittel- und Osteuropa im 18. und 19. Jahrhundert. Essen 1989 (Brief und Briefwechsel im 18. und 19. Jahrhundert als Quellen der Kulturbeziehungsforschung 1), S. 2 7 1 282.

Überregionale Wissenschaftskommunikation

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oder in zwei separaten, aber gleichzeitig verschickten Briefen simultan adressiert." Der Gesellschaftsbrief bedient sich also der etablierten - und in der Forschung vieldiskutierten12 - Form des Privatbriefs. Gelegentlich kommen Mischformen vor. So fügt Batsch einem im Tonfall schwärmerischer Verehrung für ihn gehaltenen Schreiben eine Anmerkung hinzu, um die Aufnahme in die Gesellschaftskorrespondenz zu rechtfertigen.13 Die wenigen echten Privatbriefe, die in der NFG-Korrespondenz verwahrt werden, geben sich durch den vertraulichen Ton und die Tatsache, daß die NFG nicht im Zentrum des Austauschs steht, eindeutig als solche zu erkennen.14 Welche Kommunikationsform wird im brieflichen Umgang mit einer Gesellschaft gewählt? Welche Rückschlüsse ergeben sich daraus auf die Kommunikationsstrukturen, in die diese Gesellschaft eingebettet ist bzw. die sie initiiert? In einem Brief an eine gelehrte Gesellschaft schreibt ein Individuum an eine Gruppe, letztere wird aber wieder in einem Individuum - dem Direktor - angesprochen. Die Dialoginitiierung oder zumindest die Kontaktaufnahme geschehen durch vorgeprägte Formeln, der Stil schwankt zwischen Formelhaftigkeit und gelegentlich aufscheinender Intimität (insbesondere, wenn persönliche Bekanntschaft vorhergeht), ist insgesamt aber deutlich von dem des Privatbriefs abgesetzt. Die eingegangenen Briefe werden in den Versammlungen der Gesellschaft angezeigt und

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In solchen Fällen wird mehrfach bereits in der äußeren Gestaltung zwischen dem unterschiedlichen Status der Adressaten unterschieden: so kann der Brief an die NFG eine ausdrückliche Überschrift erhalten oder in der Form abgesetzt sein (so etwa, wenn Joachim Christian Timm, Bürgermeister und Apotheker in Malchin, den Brief an die NFG, anders als den an Batsch, in lateinischer Schreibschrift schreibt [26.12.1793, Nr. 45 und 46, fol. 97f.]). Gelegentlich wird ausdrücklich zwischen Batsch als Privatperson und als Gesellschaftsdirektor differenziert; so im Schreiben von Timm an Batsch: Timm weist eigens darauf hin, daß „Die beigehenden Pflanzen [...] zum privat Gebrauch fiir Ew. wohlgebohrn bestimmt" seien. Vgl. Peter Bürgel, Der Privatbrief. Entwurf eines heuristischen Modells, in: Deutsche Vierteljahrsschrift fiir Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 50 (1976), S. 281-297. Batsch fugt zu einem Brief des Arztes und Sprachforschers Samuel Gyarmathy (4.4.1797, fol. 66f.) hinzu: „Es ist gewiss nicht Eitelkeit, die zumal in dem gegenwärtigen Fall nicht von der feinsten Art wäre, weswegen ich diesen Brief den übrigen bey der Societät vorgelegten beyfüge. Ich habe dazu mehrere Gründe, über die ich mit mir eben So einig bin, wie über den bloss Freundschaftlichen Sinn des Briefes Selbst." Gyarmathy spricht in seinem Brief - einem Dankbrief für die Aufnahme in die NFG - u.a. von dem „geliebten Nahmen Batsch"; Batsch habe „die Grosse Natur in sein enges Gemach zusammengezogen; Seine thätige Seele aber, über die ganze Schöpfung ausgebreitet". Gyarmathy schließt mit der Formel „Leben Sie noch einmahl wohl, und seyn Sie von mir tausendmahl geküst, mit einem Kuß sine pari." Vgl. die Schreiben des Eisenacher Landkammerrats Karl Wolf von Todenwarth an Batsch (8.8.1793, Nr. 24, fol. 51; 6.5.1794, Nr. 74, fol. 155); Todenwarth betont sein freundschaftliches Verhältnis zu Batsch („Es ist mir überaus angenehm, jezt durch unsere gesellschaftl. Verbindung um so mehr Anlaß zu haben, Ihnen, Theuerster Freund! meiner dauemsten Freundschaft und Hochachtung zu versichern") und geht auf familiäre Fragen ein. Vgl. auch die Briefe von Batsch an Knebel (Stadtmuseum Jena, Signatur 13156,1-28). Einige dieser Briefe sind bei Heinrich Düntzer (Hg.), Ungedruckte Briefe aus Knebels Nachlaß, Bd. 2. Nürnberg 1858 (Zur deutschen Litteratur und Geschichte), abgedruckt.

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den Mitgliedern zugänglich gemacht, bilden insofern also tatsächlich einen Teil der Gesellschaftsaktivitäten, was die Rede von .Gesellschaftsbriefen' rechtfertigt.15 Die französische Akademie hatte im 18. Jahrhundert eine zentralisierte Strategie für einen Briefaustausch entwickelt: In the 18th century Academy of Science correspondents had been officially assigned to specific Academicians in Paris to keep them informed of developments in their own region. With the growth of newspapers and scientific journals, this source of information was hardly appropriate. 16

Bereits hier wird eine Art Funktionsvakuum konstatiert, sobald Briefe durch andere Medien des wissenschaftlichen Austausche ersetzt sind. Wie stellt sich die Funktion von Briefen Ende des 18. Jahrhunderts in der NFG dar? Eine zentralisierte Strategie brieflichen Austausche, wie in der französischen Akademie, fehlt, so daß sich die erhaltenen Briefe prinzipiell nach zwei Richtungen analysieren lassen: zum einen nach ihrer Bedeutung als Medien des Wissenschaftsaustauschs, zum anderen nach davon unabhängigen Kommunikationsaufgaben. Zunächst zur zweiten Gruppe von Funktionen; hier können zusammenfassend folgende Funktionstypen konstatiert werden: a) Stereotype Dankbriefe. Ein großer Teil der Briefe - wie ja schon daraus ersichtlich ist, daß der größte Teil der Briefschreiber nur einen einzigen Brief an die NFG schickt - entsteht als Reaktion auf die Aufnahme in die NFG und hat entsprechend den Dank für diese Aufnahme und das Versprechen zur Mitarbeit zum Inhalt. Als Beispiel sei ein Brief von Friedrich Wilhelm von Hoven angeführt, der Hofmedikus in Ludwigsburg war und auf Empfehlung Schillers in die NFG aufgenommen wurde. Sein Dankbrief vom 14. März 1794 operiert fast obsessiv mit dem Leitbegriff „Ehre":17 Wohlgebohmer Herr, Hochgeehrtester Herr Professor! Die gütige Aufmerksamkeit, welche mir die naturforschende Gesellschaft durch Ernennung zu Ihrem Ehrenmitgliede bezeugt hat, hat mir ausnehmend viel Freude gemacht. Ich halte die Ehre, die Sie mir dadurch angethan, für keine blos eingebildete Ehre, denn ich bin überzeugt, daß, wenn irgend etwas, gewiß das wahre Ehre ist, von so vielen vorzüglichen Männem gewürdiget zu werden, mit ihnen in eine nähere Verbindung zu treten. Eben daher schmeichle

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Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf die von Karl Friedrich Bahrdt gegründete Deutsche Union, die, als geheime Gesellschaft operierend, entscheidend in ihrem Briefwechsel tätig wurde. Zu Bahrdts Korrespondenz vgl. Günter Mühlpfordt, Sendschreiben und Geheimkorrespondenz eines radikalen Aufklärers. Der Brief als Kommunikations-, Stil- und Kampfmittel bei Karl Friedrich Barth, in: Wolfgang Kessler / Hendryk R i e t z / G e r t Röbel (Hg.), Kulturbeziehungen in Mittel- und Osteuropa im 18. und 19. Jahrhundert. Festschrift für Heinz Ischreyt. Berlin 1982, S. 107-128. Maurice Crosland, Science under control. The French Academy of Sciences 1795-1914. New York 1992, S. 79. Friedrich Wilhelm von Hoven an die NFG (14.3.1794, Nr. 64, fol. 136). Von Hovens Begriffswahl ist keine Ausnahme; vgl. auch das Schreiben von E. Jäger (23.3.1795, Nr. 105a, fol. 233), der sogar die Ode an die Freude seines „Landsmanns" Schiller heranzieht, um die Bedeutsamkeit hochstehender menschlicher Beziehungen für die NFG zu formulieren.

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ich mir auch, daß sowohl die Gesellschaft, als auch Euer Wohlgebohren besonders den Dank, den ich Dir für Ihr ehrenvolles Zutrauen gegen mir hierdurch bezeuge, für aufrichtig halten, und der Versicherung glauben werden, daß es eine wahre Angelegenheit für mich sey, mich nicht nur durch die innigste Theilnahme an den Schiksalen des Instituts, sondern auch, soviel an mir ist, durch thätige Beförderung seines wichtigen und ruhmvollen EndZweks, des Zutrauens der Societät immer würdiger zu machen. Ich habe die Ehre, mit der vollkommensten Hochachtung zu seyn Euer Wohlgebohren gehorsamster Diener D.v. Hoven.

b) Reaktion auf postalische Zwangsbedingungen. Briefwechsel der Zeit um 1800 sind - wie Rainer Baasner überzeugend nachgewiesen hat - entscheidend durch Zwangsbedingungen geprägt, die aus dem Postwesen der Zeit stammen. Nicht alle Kommunikationsformen, die sich in Briefen dokumentieren, entspringen aus einem echten Kommunikationsanliegen. So wird etwa der Einschluß von Briefen oder weiterzuvermittelnden Sendungen auch durch externe Zwänge erfordert.18 Wieder sei ein Beispiel angeführt, an dem sich neben diesen postalischen Schwierigkeiten auch die Unterscheidung von Batsch als Privatperson und der Institution NFG zeigen läßt.19 Dar Kopenhagener Garnisonsprediger und Naturforscher Johann Hieronymus Chemnitz schreibt an die NFG: Erst gegen das Ende des vorigen Jahres habe ich dero freundschaftsvolles Schreiben nebst dem durch Ihre unverdiente Güte hauptsächl. ausgewürkten Diplom [...] empfangen. In dem beyfolgenden Briefe habe ich der Gesellsch. meinen herzlichsten Dank abgestattet und mich zu Beyträgen für ihre Bücher u Naturalien Sammlung erboten. Sie aber sollen bis dahin nicht warten. Ihnen sende ich hierbey ein Kistchen [...]. Einige wenige Stücke die besonders [...] für den Hh Prof. und CammerRath Suckow bestimmt worden werden Sie ihm meo nomine überreichen. Alles übrige [...] gehöret Ihnen allein ohne Ausnahme. [...] Für die übersandten illum. Platten ihres angefangenen Werkes [...] danke ich Ihnen ergebenst. Nur hätten Sie solche mir nicht auf der Post senden sollen, denn sie kosteten von Leipzig bis hieher weit mehr Postgeld als der Ankauf beträget. [...] N.S. Der hier beyfolgende Brief an den HE. Professor Lepto zu Erlangen belieben Sie doch ja sogleich der Post zu übergeben [...]. 20

c) Nachfragen nach Auslegung der Statuten der NFG; Ersuchen um Publikationsmöglichkeiten. Mehrere Briefe dokumentieren ein massiveres Interesse auswärtiger Mitglieder an der Jenaer NFG. Sie fragen nach den Details der intendierten Auslegung der Satzung, insbesondere nach den Möglichkeiten, über die NFG wissenschaftliche Texte publizieren zu können.21 Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß dahinter das auch eigennützige Interesse an 18

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20 21

Rainer Baasner, Briefkultur im 19. Jahrhundert. Kommunikation, Konvention, Postpraxis, in: ders. (Hg.), Briefkuhur im 19. Jahrhundert. Tübingen 1999, S. 1-36. Der Rostocker Mediziner und Naturforscher Georg Gustav Detharding (22.12.1795, Nr. 120b, fol. 280) präsentiert Vorschläge, wie Ausländer besser zur Arbeit der NFG beitragen könnten, indem gerade in Seestädten Mitglieder bestimmt werden sollten, die den Post- und Materialienaustausch fordern könnten. Johann Hieronymus Chemnitz an die NFG (7.2.1794, Nr. 60b, fol. 127). Vgl. neben den im folgenden zitierten Passagen die Belege in Ziehe / Bomschlegell, (wie Anm. 3), S. 151f.

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leicht zugänglichen Publikationsmöglichkeiten steht. Beispiele finden sich in Briefen des privatisierenden Gelehrten Christoph Heinrich Persoon aus Göttingen und des Erfurter Mediziners Johann Samuel Naumburg: Persoon: „Haben Sie auch die Gütigkeit mir gelegentlich zu melden, ob und wann die hochachtungswürdige Gesellschaft ihre Beyträge nehmlich der angestellten Untersuchungen durch den Druk bekannt machen wird, vielleicht überschicke ich dann hiezu auch einen Aufsatz." 22 Naumburg: „Vors erste fand ich in der mir überschickten Nachricht, diese Gesellschaft betreffend, es nicht genau bestimmt, wozu die von auswärtigen Mittgliedern eingeschickte Abhandlungen verwendet werden, ob sie blos dazu da sind, damit die daselbst befindlichen activen Mittglieder ihre Kenntnisse erweitern, u. sie dann ins Archiv vor immer begraben werden oder ob sie, wenn eine gehörige Anzahl eingelaufen, dem Druck übergeben, und so der ganzen naturforschenden Welt bekannt gemacht werden; ferner wenn letzteres wie wahrscheinlich, der Fall ist, ob alles eingelaufene, oder nur das was des Drucks für wehrt erkannt worden, diesem übergeben wird; endlich ob Abhandlungen, die des Drucks für unwerth erkannt wurden auf Verlangen des Verfassers, diesem nebst genauer Anzeige des Tadels wieder zurück geschickt werden." 23

Hinzuweisen ist auch auf ein von fachfremden Wissenschaftlern geäußertes Interesse zu einer Mitarbeit im Rahmen der NFG. Heinrich Eberhard Gottlob Paulus24 und Carl August Böttiger suchen immerhin ernsthaft nach Ansatzpunkten, wie ein Theologe bzw. Altphilologe zur Arbeit der NFG beitragen können. Böttiger schreibt der NFG: so verspreche ich dafür von nun an, ein recht gutes Mitglied ihrer Gesellschaft zu werden, das heißt [...] imer fein still zu sitzen, zu hören und zu lernen. Und könnte ich nur Ihren Versammlungen wirklich beywohnen, wie viel nützliches und wissenswerthes würde ich da jederzeit lernen können. Indeß sind Sie nicht sicher, daß ich mir nicht die Freyheit nehme zu weilen einen Stein des Anstoßes im Fache der Physik und Naturgeschichte, den ich beym Durchwühlen meiner alten Classiker wohl oft im Weg gelegt finde, der ehrwürdigen Gesellschaft in aller Demuth vorzulegen, und mir ihre Belehrungen darüber zu erbitten. 25

d) Mitgliedschaftsangebote, institutionalisierter Austausch zwischen gelehrten Gesellschaften. In einem Fall - der freien ökonomischen Sozietät in St. Petersburg - wird durch die Aufnahme von Batsch und Alexander Nicolaus Scherer, der als Sekretär der NFG fungierte, ein Austausch institutionalisiert.26 Die starke Personalisierung, die im Briefwechsel durch die Adressierung der Briefe an Batsch zu konstatieren ist, ergibt sich bei derartigen Vorgängen zwangsläufig aus dem an Personen gebundenen Charakter einer Gesellschaftsmitgliedschaft. Vorschläge zur Institutionalisierung eines Austauschs zwischen gelehrten Gesellschaften enthält auch Rudolf Zacharias Beckers - nicht zuletzt publizistisch 22 23 24

25 26

Christoph Heinrich Persoon an die NFG (16.3.1794, Nr. 66, fol. 139). Johann Samuel Naumburg an die NFG (26.8.1793, Nr. 33, fol. 68). Vgl. Paul Ziehe u.a., Eine naturwissenschaftliche Forschungsbibliothek des 18. Jahrhunderts: Die Bibliothek der „Naturforschenden Gesellschaft" zu Jena, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 23 (2000), S. 433-447, hier S. 441 und Anm. 42. Böttiger an die NFG (6.2.1794, Nr. 56, fol. 117) Vgl. Ziehe / Bornschlegell, (wie Anm. 3).

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durch den von Becker herausgegebenen Reichsanzeiger gestütztes - Programm einer Vereinigung gelehrter Gesellschaften, und das Angebot des französischen Altertums- und Naturforschers Aubin-Louis Miliin - übrigens im einzigen erhaltenen Brief aus dem Wissenschaftszentrum Paris - , im von ihm herausgegebenen Magazin encyclopedique Beiträge aus der NFG erscheinen zu lassen.27 Bei Betrachtung des Briefwechsels ist insgesamt auffallig, daß die Kontakte zwischen den Briefpartnern bzw. überhaupt zwischen den Mitgliedern der NFG in vielen Fällen bereits vor ihrer Aufnahme in die NFG zu bestehen scheinen. Der Austausch von Briefen ersetzt den persönlichen Kontakt nicht, bahnt ihn aber auch kaum an. So scheint es generell geübte Praxis in der NFG gewesen zu sein, die Diplome, wenn irgend möglich, persönlich durch Mittelsmänner übergeben zu lassen. Man sucht immer wieder persönlich mit anderen Mitgliedern in Kontakt zu kommen; ein Muster, das auch in anderen Korrespondenzen des 18. Jahrhunderts zu erkennen ist.28 Ein Beispiel bietet ein Brief von Johann Samuel Schröter, Superintendent in Buttstädt: Meine Freude wurde dadurch vergrößert, daß ich mit vier Mitgliedern unsrer [!] Gesellschaft auf einmal bekannt wurde, und daß ich das Vergnügen hatte, aus der Hand des einen das gesellschaftliche Diplom zu erhalten. Das Einzige that mir wehe, daß ich just zu der Zeit von Beulen an beyden Armen, dergestallt gemartert wurde, daß ich diese würdigen Männer nur mit halber Heiterkeit sprechen und in meinem Kabinette unterhalten konnte. 29

Dieser Modus des persönlichen Kontakts wurde vielfach auch für Kontakte ins Ausland beibehalten. Eine andere Manifestation bereits bestehender, dann in die NFG eingebrachter Kontakte findet sich in den zahlreichen Vorschlägen für neue Mitglieder, sowie in der bereits exemplarisch nachgewiesenen Bitte um Weitervermittlung von Nachrichten oder Sendungen. Die NFG stellt sich damit als ein 27

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Vgl. dazu Ziehe / Bornschlegell, (wie Anm. 3). - Vgl. auch die Angaben bei McClellan zu einem institutionalisierten brieflichen Austausch zwischen gelehrten Gesellschaften (James E. McClellan, Science Reorganized. Scientific Societies in the Eighteenth Century. New York 1985). Schnalke, (wie Anm. 7), analysiert aus dem umfangreichen Briefwechsel des Arztes Christoph Jacob Trew fünf repräsentative Einzelkorrespondenzen. Im gegenwärtigen Kontext hat der jeweils ermittelte Modus der Kontaktaufnahme zu interessieren: In allen von Schnalke untersuchten Fällen (vgl. jeweils zu den Korrespondenzen mit Albrecht von Haller, S. 59f., mit Carl Friedrich Gladbach, S. 92, mit Christian Albrecht Gotthold Gruner, S. 149f., mit Johann Christoph May, S. 160 und wohl auch mit Johann Lorenz Ludwig Foelius, S. 116-118) geht dem brieflichen Kontakt eine persönliche Bekanntschaft bzw. eine Kontaktauftiahme über dritte Personen als Mittelsmänner voraus. Von besonderem Interesse ist hier die Beziehung zu Haller: „Die Initiative, einen Kontakt herzustellen, geht von Haller aus. Albrecht von Haller wagt es jedoch offenkundig zunächst nicht, sich direkt an Trew zu wenden; vielmehr kommuniziert er über Mittelsmänner mit dem Nürnberger Arzt. [...] Die Aufnahme eines direkten Austausches mit Trew gelingt Haller schließlich über einen zweiten Vermittler, den Chirurgen Johann Ludwig Hommel." (Ebd., S. 59). Schröter an die NFG, vom 20.8.1793 (Nr. 5, fol. 15). - Die Rede von „unserer Gesellschaft" findet sich auch in einem Schreiben von Teleki (26.1.1796, Nr. 122, fol. 6).

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Gefiige bereits bestehender Wissenschaftlerverbindungen dar. Zitiert sei ein Brief von Johann Christian Sommer als Beispiel, wie bestehende, etablierte Wissenschaftlerbeziehungen und lokale Forscherverbünde in die NFG hineingenommen werden: Wohlgebohrner Herr, Hochzuverehrender Herr Professor! Der Herr Apotheker Heyer, und HE. Ebermeyer sagen der Naturforschenden Gesellschaft ihren verbindlichsten Dank, für die ihnen erwiesene Ehre, besonders aber soll ich Ihr im Namen meines Vaters den verbindlichsten Dank abstatten [...]. Die sämtlichen hiesigen Mitglieder [in Braunschweig, Ρ. Ζ / P. B.] machen sich auch eine Ehre daraus der Gesellschaft mit ihren Schattenrissen [die die NFG sich für ein Mitgliederalbum erbeten hatte, P. Z. / P. B.] aufwarten zu dürfen; auch werden d HE Professoren Helwig und Apotheker Heyer für das Cabinet ansehnliche Beyträge liefern. D HE Berghauptmann von Veltheim habe ich bis jetzt noch nicht Gelegenheit gehabt das Diplom zu überreichen [...]. Vor einigen Tagen schrieb mir HE Amtmann Weppen [...] der ein sehr gründlicher Naturforscher [...] ist [...], daß wenn er in Jena wäre, er würde sich um seine Aufnahme bey der Gesellschaft bemühen [...]; ich glaube daher, nicht mit Unrecht diesen Mann zum EhrenMitgliede vorschlagen zu dürfen - sollte dieses gebilligt werden, so haben Ew: Wohlgebohren nur die Gewogenheit mir das Diplom durch HE. Harken [?], der öfters Gelegenheit hieher hat, zu überschiken. 30

2.2

Die Briefe an die NFG als Medium eines wissenschaftlichen Informationsaustauschs

Wenn man annimmt, gelehrte Gesellschaften hätten im 18. Jahrhundert entscheidend zur Herausbildung einer neuen bürgerlichen Öffentlichkeit und neuartiger, herrschaftsfreier Diskursformen für den geselligen und wissenschaftlichen Austausch beigetragen und hätten ganze neue und nur durch sie mögliche Diskursformen für den wissenschaftlichen Austausch im 18. Jahrhundert geschaffen,31 dann müßte das auch die Briefe als typisches Medium der Gesellschaftskommunikation betreffen. Bereits das erwähnte Programm der Pariser Akademie für eine institutionalisierte Briefkommunikation schränkt jedoch die Bedeutung der Briefe für einen wissenschaftlichen Austausch stark ein. An den Briefen an die NFG scheint sich die Antiquiertheit des Briefes als Medium eines Wissenschaftsaustauschs zu bestätigen. Nur wenige Briefe enthalten Diskussionen von Theorien und Experimenten, sind dann allerdings hochspezifisch und konzentrieren sich auf wenige aktuelle Gebiete, auf denen die NFG Beiträge zur Forschung leistet. Insbesondere sind dies die Naturgeschichte, die antiphlogistische Chemie und der Galvanismus. „Da ich nun höre," schreibt Johann Christian Heinrich Heyer, Apotheker in Braunschweig, „dass bei einigen Mitgliedern der Gesellschaft der Zweifel entstanden, ob der Mercurius phosphoratus würklich Mercurium enthalte", teilt er Resultate seiner entsprechenden Experimente mit und schließt eine „merkwürdige" „Er30 31

Johann Christian Sommer an die NFG (21.9.1793, Nr. 20, fol. 45). Vgl. etwa Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Neuauflage Frankfurt/ M. 1990 ('1962); Richard van Dülmen, Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland. Frankfurt/ M. 1996 (' 1986).

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fahrung bei meinem Rhabarberbau" (Hybridenbildung bei der Rhabarberzucht) an.32 Themen der aktuellen Chemie werden auch bei Gren und Pfaff angesprochen, naturhistorische Themen in ,,eine[r] naturhistorische[n] Nachricht" über Seehunde in der Südsee (mit Verweis auf Cook) von dem Braunschweiger Medizinprofessor Wilhelm Rudolf Christian Wiedemann, in botanischen Auskünften des Frankfurter Botanikers Johannes Scherbius sowie in Berichten des Braunschweiger Mathematik· und Physikprofessors, Geographen und Anthropologen Eberhard August Wilhelm Zimmermann über Känguruhs und die Einwohner Neu-Hollands. Einen dritten Schwerpunkt bilden Überlegungen und Experimente zum Galvanismus, die von Caspar Ignaz Creve, Christoph Heinrich Pfaff und Jeanet Duval mitgeteilt werden. Ähnlich spezifisch sind gelegentliche Bibliotheksanfragen an die NFG, in denen auswärtige Mitglieder um bibliographische Unterstützung nachsuchen.33 Dabei ist zu konstatieren, daß die naturhistorischen Daten als Sammlung von Stichpunkten lediglich mitgeteilt, während Galvanismus und Chemie ausführlich zur Diskussion gestellt werden. Auf diese Gebiete konzentriert sich die eigene inhaltliche Arbeit der NFG, so daß man aus den entsprechenden Briefen entnehmen darf, daß diese Interessenschwerpunkte auch bei den auswärtigen Mitgliedern bekannt waren. Wichtig erscheint hier der wiederholte Bezug auf ein „Hören":34 Mehrere Briefschreiber betonen, sie hätten „gehört" - interessanterweise vornehmlich im Zusammenhang mit den hochaktuellen Arbeiten zur antiphlogistischen Chemie - , daß bestimmte Versuche im Rahmen der NFG durchgeführt worden seien, daß bestimmte Theorien erwogen würden und bestimmte Fragen aufgetreten seien. Es scheint also einen Austausch über die wissenschaftliche Arbeit und die Interessen der NFG gegeben zu haben, der eben gerade nicht über Briefe - zumindest nicht über sozusagen offizielle, über die Gesellschaft initiierte Briefbeziehungen - lief (sonst hätte das in den Briefen Erwähnung finden müssen). Aus der Spärlichkeit an Sachinformation bzw. an theoretischer Diskussion in den Briefen folgt aber noch nicht, daß die Briefe bzw. der brieflich-postalische Austausch für die NFG in wissenschaftlicher Hinsicht nur marginale Bedeutung hatten. Sehr viel häufiger und bedeutsamer als ein Informationsaustausch ist die Übermittlung von Realia. Viele Briefe kündigen die gleichzeitige oder nachfolgende Übersetzungen von Sammlungsmaterialien wie Herbarblättern, Mineralien (in den Briefen an die mineralogische Sozietät ist die Sammlungserweiterung ebenfalls wesentlicher Gegenstand) oder präparierten Tieren an. Auf dieser Ebene 32 33 34

Heyer an die NFG (12.1793, Nr. 44b, fol. 93). Vgl. Ziehe u.a., (wie Anm. 24). Vgl. den oben zitierten Brief von Heyer sowie die von dem Hallenser Chemie-Professor Friedrich Albrecht Carl Grens der NFG übersandte Nachricht An das chemische Publikum, in der er seine Bekehrung zur antiphlogistischen Chemie bekannt macht; Gren schreibt hier, er habe von - im Kontext der NFG angestellten - Experimenten Johann Friedrich August Göttlings in Jena gehört (vgl. Ziehe / Bornschlegell, [wie Anm. 3], S. 154).

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läßt sich eine gezielte Steuerung des wissenschaftlichen Austausche beobachten, auf ihr liegt auch am ehesten ein echter Briefwechsel, ein Austausch aufeinander bezugnehmender Sendungen vor. Zwischen Batsch und einzelnen Korrespondenten werden Listen oder Pflanzenkataloge ausgetauscht,35 mit dem Ziel, bestehende Lücken systematisch zu füllen. Zahlreiche Korrespondenten bieten an, mit ihren jeweiligen Mitteln spezifische Wünsche der NFG nach bestimmten Stücken zu erfüllen, und mehrfach wird umgekehrt Dank gesagt für die Übersendung von Stücken durch die NFG.36 In diesem Zusammenhang wird immer wieder der Jenaer botanische Garten - und damit wiederum Batsch als sein Direktor - angesprochen. Mit der NFG und dem botanischen Garten kooperieren somit zwei wissenschaftliche Einrichtungen in Jena, die sich durch die Personalunion von Gesellschaftsdirektor und Direktor des Gartens gegenseitig befordern.37 Als Beispiel sei ein Brief des Botanikers Johannes Scherbius angeführt: Auch werde ich bei dem nächsten Transport, nach Ihrer gütigen Erlaubniß den Jacquinisch Catalog mitschicken, in welchem ich alles was ich besitze bezeichnen werde. Alle in den hiesigen Gärten existierende Pflanzen will ich dabei bemerken damit Sie in Ansehung derselben Ihre besondere Aufträge gefalligst mir erteilen können. 38

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So legt Georg Gustav Detharding (Detharding an die NFG, 16.3.1795, Nr. 103, fol. 228-230) seinem Schreiben eine ausführliche Liste von „Mineralien für die Sammlung der Naturforschenden Gesellschaft in Jena" bei. Vgl. exemplarisch folgende Briefe: Der Marburger Botanik-Professor Konrad Moench schreibt an die NFG (26.3.1795, Nr. 106b, fol. 239): „Ich erfülle hiemit, daß, was Erw. Wohlgeb. von mir verlangt haben. Alle verzeichnete Pflanzen habe ich aber wohl können abgeben"; Moench an die NFG (28.2.1797, fol. 34f.): „Von dero übersandtem Verzeichniß habe ich Gebrauch gemacht, und auf beiliegendem Zettel diejenigen Saamen bemerkt, die ich zu haben wünschte. Beiliegendes gedrucktes Pflanzen Verzeichniß ist mir von dem HE. Schleicher, der ein Zögling von mir zu gesandt worden. Er will getroknete Pflanzen, die er recht gut erhält, verkaufen." Ähnlich der Naturforscher Johann Nepomuk Graf Mittrowsky an die NFG (22.5.1795, Nr. 1 I I a , fol. 250): „Für Saumseligkeit, wenigstens, sollte es gelten, daß ich dem Wunsche, das Naturalien Kabinet der Jenaer naturforschenden Gesellschaft, mit einigen Produkten aus Mähren zu vermehren, bis itzt so schlecht entsprach. Ein Versprechen verpflichtet es zu halten [...]". So findet sich etwa in der Gesellschaftskorrespondenz ein Brief von Scherbius (17.2.1794, Nr. 61a, fol. 128), der Batsch als Gartendirektor anspricht: „Wie sehr freue ich mich nicht daß Sie endlich Ihre Absicht mit dem botanischen Garten erreicht haben. Unter Ihrer Aufsicht, wenn Sie sonst keine Hindernisse finden, wird er gewiß fürtrefflich, und der Jenaische dem Göttingischen gleich kommen, oder wie ich gewiß glaube auch in diesem Stück, wie in so vielen andern, übertreffen." - Generell zum Zusammenhang außeruniversitärer (aber der Universität angegliederter) Forschungseinrichtungen untereinander und mit der Universität vgl. Gerhard Müller / Klaus Ries / Paul Ziehe (Hg.), Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800. Stuttgart 2001 (Pallas Athene. Schriften zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2).

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Scherbius an die NFG (17.2.1794, Nr. 61a, fol. 128). - Wiederholt wird nach Wünschen der NFG nach konkreten Stücken gefragt; so schreibt der österreichische Kammerrat, Mineraloge und Montangelehrte Carl Marie Ehrenbert von Moll (6.10.1793, Nr. 26, fol. 55): „Sollte ich durch die gütige Verwendung einiger Mitglieder dieser aller Unterstüzung würdigen Gesellschaft [...] einige Pflanzen aus dortigen Gegenden, sowie dortige Foßilien erhalten, so würde

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Hierbei kann anscheinend auch von der NFG die Initiative durch Übersendung entsprechender Objekte ausgehen: Johann Nepomuk Mittrowsky erhält von Batsch einen „hygrometrischen Stein", was wiederum bei Batsch eine Informiertheit über Mittrowskys Interessen voraussetzt.39 Im Falle der NFG gewinnt man den Eindruck, bereits das bloße Schicken von Objekten (oder Texten) qualifiziere als wissenschaftliche Leistung. Hier wäre wiederum eine vergleichende Perspektive gefordert: Ist in Institutionen mit einer eingeschränkteren, weniger auf die gesamte Naturgeschichte konzentrierten Programmatik eine andere Bedeutsamkeit der Briefe zu erwarten? Als wissenschaftshistorisch wichtige Folgerung ist die große Bedeutung eines materiellen Austausche, einer materiellen ,Kultur der Wissenschaften' (dieser Terminus ist in den Briefen an die NFG belegt) festzuhalten. Wenn hier also eine ,Wissenschaftskultur' bedient wird, dann eine solche, die wesentlich auf realen Sammlungsmaterialien beruht.40 Auch die Erweiterung des Mitgliederbestandes steht immer wieder unter dem Interesse einer Komplettierung und Aufwertung der Sammlung. So empfiehlt Johann Hieronymus Chemnitz die Aufnahme der in Tranquebar (Indien) tätigen Missionare John, Rottler und Cämmerer (die dann auch wirklich aufgenommen wurden und zu den Sammlungen der NFG beitrugen) mit folgenden Worten: Die Berlinischen Naturforschenden Freunde haben einige dieser Herren zu Mitgliedern ihrer Gesellschaft ernannt, und davon einen reichen Segen von allerhand schönen Naturalien [...] eingeerndtet. Ich rathe Ihnen bey den 3 oben genannten HErren ein gleiches zu thun und sie zu auswärtigen EhrenMitgliedern (aber nicht zu correspondirenden den das nehmen sie wegen ihrer vielen Geschäfte nicht an. Die Copenhagener Gesellschaft hat ihnen dergl. vergeblich angeboten) zu ernennen. 41

39 40

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ich mich d. Gesellschaft hiefür äusserst Verbunden erkennen, ich würde zu dem Ende einem mir gütig anzuzeigenden Mitgliede einen Katalog meines Herbariums senden, um eines Theils meine Desiderata zu messen, Theils jene d. Gesellschaft in Erfahrung bringen zu können"; vgl. auch den Brief des Wiener Bergrats, Chemikers und Botanikers Joseph Franz von Jacquin (18.4.1794, No. 73, fol. 153). Häufig wird ein Samentausch besprochen: z.B. von dem Rostocker Naturgeschichts- und Chemieprofessor Heinrich Friedrich Link (Januar 1794, Nr. 47, fol. 101), dem Botanik-Professor Domenico Nocca aus Mantua (April 1794, Nr. 72, fol. 151), dem ungarischen Mathematik- und Physikprofessor Paul Sarvari (21.1.1797, fol. 49) oder dem Berliner Arzt und Botaniker Karl Ludwig Willdenow (8.2.1794, Nr. 58, fol. 121). Vgl. Mittrowsky an die NFG (6.11.1793, Nr. 29, fol. 60). In den mehr oder weniger unverlangt eingesandten eigenen Aufsätzen und Mitteilungen der Mitglieder sind auch andere, eher theoretische Themen vertreten. Chemnitz an die NFG (28.10.1794, Nr. 98a, fol. 212).

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3.

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Reisen der NFG

Eine andere Form des wissenschaftlichen Austausche, insbesondere in einer auf Sammlung von Realia ausgerichteten Wissenschaftskultur, besteht in Reisen. 42 Generell haben Reisen vielfaltige Funktionen: Neben unmittelbar wissenschaftlichen Zielen dienen sie der Kontaktwahrung bzw. -anbahnung. Berichte über Reisen mit wissenschaftlichen Zielsetzungen finden sich in allgemeinen Journalen der Zeit wie in der Allgemeinen Literatur-Zeitung, Mitteilungen über Reisen, auch Reisen von Dritten, sind beliebtes Thema in naturhistorischen Nachrichten und in den entsprechenden Mitteilungen an die NFG. Die Pariser Akademie hatte auch hier ein zentralisiertes Programm aufgestellt: Another early idea, intended partly as a countermeasure to extreme centralisation, was to appoint travellers (voyageurs), essentially agricultural experts, to travel round France and abroad over a period of seven years and report back to the Institute. The idea drew back on the experience of the Jardin du Roi [...] which had made regular use of travellers to bring back new specimens of plants from different parts of the world. 43

Wiederum initiiert die NFG keine derartigen systematisch geplanten Reisen oder Exkursionen. Dennoch werden Reisen wiederholt in der Korrespondenz der NFG erwähnt.44 Auch die Jahresberichte der NFG weisen gelegentlich auf Reisen von Mitgliedern hin, wobei solche Reisen als Reisen der NFG in Anspruch genommen werden können. Angeführt sei die Nachricht von der geplanten Reise des Botanikers August Wilhelm Eberhard Christoph Wibel, zu der Batsch im allgemeinen Vorspann zum Jahresbericht für 1798 vermerkt: Ein höchst widriges Schicksal vereitelte die Seereise des Hrn. D. Wibel, die bis auf die Abfahrt bereits eingerichtet war, und wobey ihn selbst der erste mislungene Versuch nicht abschreckte. Es war eben so kränkend für den rechtschaffnen, zuverlässigen, für seine Wissenschaft so glühenden Mann, als für uns, so traurig unsere Hoffnungen vernichtet zu sehen. 45

Wenn Batsch die „Hoffnungen" der NFG enttäuscht sieht, nimmt er also Wibels Reise für die NFG in Anspruch. Auf einem Veranstaltungszettel notiert sich Batsch, er wolle die Gesellschaft über „Wibels Reise" - die eben nicht zustande-

42

43 44

45

Zur Rolle von Reisen für die (Natur-)Wissenschaften und den Wissenschaftsaustausch vgl. Kanz, (wie Anm. 7), S. 103-149. Crosland, (wie Anm. 16), S. 81. Vgl., neben den im folgenden zitierten Briefen, u.a. das Schreiben des Siebenbürgener Historikers Elek / Alexius von Bethlen (13.3.1797, fol. 60f.). Er informiert die NFG über seine Heimreise, betont aber, er wolle den Kontakt aufrechterhalten; am selben Tag schreibt er an Batsch und teilt ihm weitere Details seiner Reise (nicht ohne die Bitte um Empfehlungsschreiben anzuschließen) mit (fol. 62f.). Der Missionar und Botaniker Johann Peter Rottler schreibt aus Tranquebar (23.10.1796, fol. 74f.) mit Informationen zu botanischen Reisen in Südostasien. Nachricht von dem Fortgange der naturforschenden Gesellschaft zu Jena. Fünftes Jahr 1798. Jena. S. 4.

Überregionale Wissenschaftskommunikation um 1800

265

kam - informieren.46 In Briefen wird diese Reise bereits früher zwischen Batsch und Wibel besprochen. Wibel berichtet in einem Schreiben von 16.7.179747 von einer geplanten Reise nach „Ober Guinea", „St. Thomas, Suriname und Gujanna", „von der Ihnen mein Vetter schon erzählte", teilt Details der Planung mit und dankt für Rat, den er offensichtlich von Batsch für diese Reise und ihre wissenschaftliche Verwertung erhielt. In Wibels Reiseplan liegt ein gut dokumentierter Fall einer Reise vor, die von einem Privatmann durchgeführt wird, über die die NFG aber informiert ist und wozu von ihrer Seite Hilfestellung, zumindest durch wissenschaftliche Expertise, gegeben werden kann. Derartige Reisen der Mitglieder können, selbst wenn sie nicht als Reisen der NFG initiiert sind, in vielfaltiger Weise in Gesellschaftsaktivitäten integriert sein: Sie bereichern die Sammlungen der NFG, dienen der Kommunikation mit auswärtigen Mitgliedern, umgekehrt werden Kontakte in der NFG etwa für Empfehlungsschreiben genutzt. In einigen Fällen werden von Mitgliedern Berichte über ihre Reisen an die NFG gesandt (Johann Heinrich Ferdinand Autenrieth schickt 1797 Vermischte, zum Theil auf einer amerikanischen Reise gesammelte Bemerkungen; Heinrich Gustav Flörke 1799/1800 Bemerkungen auf einer Reise im Salzburgischen, jeweils in Aufsatzform); die Bibliothek weist einige gedruckte Reiseberichte auf. In den Briefen an die NFG finden sich gelegentlich ausführliche Informationen über Reisen. So schreibt der bereits genannte Wiedemann: „Mein Onkel Raspe ist jetzt auf einer mineralogischen Reise in Irrland ohne Zweifel wird er intreßante Sachen dort finden, und ich habe dann das Vergnügen die naturforschende Gesellschaft zu Jena davon zu benachrichtigen, vielleicht ihre Sammlung zu vermehren."48 Später berichtet er ausführlich über die geologischmineralogischen Resultate einer Reise nach England.49 Die Berichterstattung über die Reisen von Mitgliedern fuhrt insgesamt auf ähnliche Schlüsse wie die Analyse der Briefe: Offensichtlich sind es bereits bestehende wissenschaftliche Aktivitäten der Mitglieder, die in die NFG eingebracht werden. Im Falle der NFG läßt sich am Thema „Reisen" die Frage aufwerfen, wo die Aktivitäten der Gesellschaft aufhören bzw. wo die gesellschaftsunabhängigen Aktivitäten der Mitglieder beginnen. Offensichtlich erhebt die NFG durchaus den Anspruch, Reisen ihrer Mitglieder als unmittelbar gesellschaftsrelevant anzusehen und somit in den Kreis der Gesellschaftsaktivitäten aufzunehmen; eine strikte Scheidung von Privat- und Gesellschaftsaktivitäten scheint nicht zu bestehen.

46 47 48 49

Vgl. Ziehe, (wie Anm.3). Wibel an die NFG (16.7.1797, fol. 80f.). Wiedemann an die NFG (22.12.1793, Nr. 43, fol. 89). Wiedemann an die NFG (12.10.1794, Nr. 91, fol. 189).

266

4.

Paul Ziehe /Peter

Bornsehlegell

Natur und Humanität: Das Programm einer gelehrten Gesellschaft im umfassenderen Kontext

Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach der Funktionalität der Kommunikationsformen der NFG neu zu erörtern. Läßt sich hieraus ermitteln, auf welcher Ebene das organisierende Leitkonzept für die Aktivitäten der NFG liegt? Eine umfassende wissenschaftliche Zielsetzung ist - angesichts der eingeschränkten Ressourcen und der unspezifischen Zielsetzung in den Statuten - nicht realisierbar. Zugleich geht der Anspruch der NFG über bloß regionale Forschung oder fachlich spezifische Forschung (wie in der Jenaer mineralogischen Sozietät) hinaus. Läßt sich also für die NFG eine umfassendere Programmatik ausmachen? In wissenschaftlicher Hinsicht wird gerade in der Korrespondenz die Bedeutung eines auf den Aufbau von Sammlungen ausgerichteten Zugangs zur Naturforschung, letztlich also einer naturgeschichtlichen Betrachtungsweise deutlich. In den Briefen wird jedoch immer wieder eine weitere, nicht auf den Bereich der Wissenschaft eingeschränkte Perspektive greifbar. In den Vorreden von Batsch zu den Jahresberichten werden stereotyp, fast ängstlich, moralische Ideale beschworen. In einem Privatbrief an den Schriftsteller und Goethe-Freund Karl Ludwig von Knebel formuliert Batsch sogar ausdrücklich: „Noch ausser der Wissenschaft im Allgemeinen, ist Humanität für Jena insbesondere unser Zweck, wovon aber nichts ausdrücklich gesagt werden konnte"50 und gibt damit der NFG eine quasi-arkane Zielsetzung. Ein Vergleich mit Äußerungen in der NFG-Korrespondenz zeigt, daß auch einige der Mitglieder diese Programmatik wahrnahmen, wobei hierin natürlich auch eine zeittypische Stereotype gesehen werden könnte.51 50

51

Batsch an Knebel (18.6.1793, Stadtmuseum Jena, 13156,13). Interessant in diesem Zusammenhang ist der enge Bezug auf freimaurerische Motive in der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin. Vgl. dazu den Aufsatz von Katrin Böhme in diesem Band sowie dies., Naturgeschichte und Traditionen in der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin, in: Verhandlungen zur Geschichte und Theorie der Biologie 9 (2002), S. 283-302. Vgl. z.B. folgende Briefe: Der spätere Kunstschriftsteller Karl Ludwig Fernow, bis 1793 Student in Jena, schließt sein Schreiben (8.9.1793, Nr. 10, fol. 25) mit „den innigsten Wünschen für das Wohl und den Wachsthum einer Gesellschaft, [...] unter der Direktion eines um die Naturwissenschaft so verdienten, und für die Verbreitung jeder gemeinnützigen, Humanität und Menschenwohl befördernden Wahrheit, unermüdet wirksamen Mannes"; der Züricher Mediziner und Botaniker Johann Jakob Römer (21.9.1793, Nr. 16, fol. 37): „In der völligsten Überzeugung dass es für den jungen Studirenden keine edlere und auch keine wichtigere und zugleich angenehmere Nebenbeschäftigung geben könne, als die Erforschung der Natur"; Zimmermann (31.8.1793, Nr. 8, fol. 21): „Ueber die Entstehung der Societaet freue ich mich um desto mehr, da sie gerade einen der Wünsche erfüllt wodurch (wie ich schon bei einer Gelegenheit geäußert habe) unsere Universitäten ungemein gewinnen müßen" (angesichts der Bedeutung der gelehrten Gesellschaften für die Universitäten, wie sie am Beispiel Jena in Müller / Ries / Ziehe, [wie Anm. 37], eingehender aufgewiesen wurde, ist der Hinweis Zimmermanns auf die Universität von besonderem Interesse); Friedrich von Schiller (2.2.1794, Nr. 57, fol. 119): „Der Fortgang eines so vielversprechenden und in jedem Betrachte nützlichen Instituts, der mich auch schon als bloßen allgemeinen Bürger der gelehrten Welt und als den aufrichtigen Freund jedes auf Wahrheit abzielenden Unternehmens interessiert haben würde

Überregionale Wissenschaftskommunikation

um 1800

267

Eine gelehrte Gesellschaft kann also gleichzeitig sehr unterschiedliche Funktionen erfüllen: für Goethe war sie Personenarchiv und Materialsammlung, für Batsch unter anderem moralische Besserungsanstalt, für die Mitglieder ein Diskussionsforum, aber auch ein Profilierungspodium. Einen echten Forscherverbund, ein echtes Netzwerk scheint es jedoch lediglich für die naturhistorischen Aktivitäten gegeben zu haben. Ein ,Kommunikationsnetz' läßt sich für die NFG insofern nicht in Anspruch nehmen, als die Korrespondenz der Gesellschaft, wie ja auch die Gründungsstatuten fordern, eindeutig auf Jena zentriert ist. Das Insistieren auf der Umsetzung moralischer Ideale kann wiederum mit anderweitig gewonnenen Resultaten zu Briefwechseln des 18. Jahrhunderts verglichen werden. Eine wichtige Beobachtung hat Hubert Steinke in seiner Edition von Briefen Albrecht von Hallers formuliert: 52 Der Brief zwischen Wissenschaftlern ist nicht primär Medium wissenschaftlicher Information, sondern hat die Aufgabe, das Funktionieren von Wissenschaft überhaupt erst zu ermöglichen. Aus ähnlichen Gründen streicht Peter Bürgel in seiner Analyse des Privatbriefs den Nachweis von Soziabilität' als wesentliche Leistung des Briefverkehrs heraus. 53 Briefe müssen erst die Funktionsmöglichkeit eines wissenschaftlichen Diskurses sichern; die Tatsache des Austausches selbst, nicht ihr Inhalt ist entscheidend. Das Vorliegen zumindest einiger hochspezifischer wissenschaftlicher Diskussionsbeiträge in Briefen und einer Kultur des aktiven Austausche von Sammlungsmaterialien zeigt aber, daß hiermit keine absolut allgemeingültige Charakterisierung geliefert ist. Hiermit wird es möglich, die bereits angesprochenen Leitbegriffe einer bürgerlichen Öffentlichkeit' oder eines ,herrschaftsfreien Diskurses', die wesentlich durch die gelehrten Gesellschaften des 18. Jahrhunderts befördert worden seien, im Rahmen der präsentierten Materialien kritisch zur Diskussion zu stellen. Richard van Dülmen formuliert eine weitreichende Forschungsthese, wenn er annimmt, Gesellschaften erst erzeugten einen Zusammenhalt im Sinne einer Gelehrtenrepublik und ermöglichten - und erforderten - ganz neue Formen wissenschaftlicher

52

53

[...]". - Schiller war von Batsch direkt dazu aufgerufen worden, einen Brief an die NFG zu richten, der dann im Sinne dieser Ideale den anderen Mitgliedern vorgehalten werden könnte; der Brief Schillers ist abgedruckt und eingeleitet bei: Irmgard Kratzsch, Friedrich Schiller und die Naturforschende Gesellschaft zu Jena. Mit einem Faksimile des Briefes vom 2. Februar 1794 an A.J.G.K. Batsch. Jena 1989, Zitat S. 13. Hubert Steinke, Einleitung, in: ders. (Hg.), Der nützliche Brief. Die Korrespondenz zwischen Albrecht von Haller und Christoph Jakob Trew 1733-1763. Basel 1999 (Studia Halleriana V). S. 8: „Der Brief ist damit nicht primär Übermittler wissenschaftlicher Inhalte, sondern seine Hauptaufgabe besteht darin, das Funktionieren von Wissenschaft überhaupt erst zu ermöglichen." Vgl. auch Kanz, (wie Anm. 7); er betont S. 163, „daß den Briefen eher eine soziale als primär wissenschaftliche Funktion zukam. [...] Wissenstransfer fand über Briefwechsel nur in geringem Maße statt". Vgl. Bürgel, (wie Anm. 12).

268

Paul Ziehe / Peter Bornschlegell

Kommunikation.54 Aus den Briefen an die NFG ergibt sich eine wichtige Einschränkung dieser These: Angesichts der Tatsache, daß die meisten Kontakte zwischen den in der Korrespondenz auftretenden und dann in den Mitgliederbestand der NFG integrierten Personen bereits vorab bestehen, daß die Briefe nicht vorrangig zum Informationsaustausch genutzt und daß keine neuen Diskussionsformen entwickelt werden - da ja praktisch überhaupt nicht diskutiert wird - , kann eine Funktionalität in dieser Richtung nicht bestätigt werden. Man müßte entsprechend über eine Einschränkung der These in dem Sinn nachdenken, daß eine gelehrte Gesellschaft wesentlich darin ihre Funktion haben kann, bereits bestehende kleinere Kommunikationsnetze zu integrieren und durch übergreifende Kommunikationsstrukturen zu vernetzen und institutionell zu verankern. Allerdings orientieren sich die Gesellschaften, die etwa in ihren Sammlungen und Laboratorien erstmals personenunabhängige Forschungsressourcen verfügbar machen, dabei doch wiederum an den Modellen persönlicher Bekanntschaft und freundschaftlichen Gesprächs. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der zentralen Stellung des Direktors (die in der Adressierung der Briefe an Batsch direkt greifbar ist): Kann in einer derartig zentrierten Kommunikations struktur die von van Dülmen angenommene Einübung demokratischer Austauschformen überhaupt gelingen? Anhand der Briefe an die NFG lassen sich Ziele wie die Etablierung einer bürgerlichen Öffentlichkeit oder eines herrschaftsfreien Diskurses mithin nicht unbedingt belegen. Das muß allerdings nicht bedeuten, daß damit diese Interpretationskategorien als bedeutungslos erwiesen sind. Man kann im Gegenteil auch folgern, daß eine bürgerliche Öffentlichkeit und insbesondere eine wissenschaftliche Öffentlichkeit um 1800 bereits soweit etabliert waren, daß es hierfür gar nicht mehr des Mediums des Briefaustauschs mit einer gelehrten Gesellschaft bedurfte. In diesem Sinne wäre sogar eine Radikalisierung bzw. zeitliche Präzisierung der van Dülmenschen Überlegungen denkbar, wobei allerdings zumindest für den Bereich der Wissenschaften bzw. für die jeweiligen Unterbereiche der Wissenschaften die Frage nach den im Hintergrund stehenden Wirkkräften neu zu stellen wäre.

54

Van Dülmen, (wie Anm. 31), S. 129: „Indem sie [die Gelehrten, P. Z. / P. B.] sich zusammentaten, gemeinsam ihre Interessen formulierten, eine Sozietät bildeten und gemeinsam nach außen auftraten, wurde ein Zusammenhalt über Regionen im Sinne einer Gelehrtenrepublik erstellt", zur Schwierigkeit einer ,,herrschaftsfreie[n] Kommunikation", insbesondere in der neuen Form des Vortrags, vgl. ebd. S. 129f.

CHRISTINE DAMIS ( P o t s d a m )

Die Preisfragen in den Statuten italienischer Akademien und Sozietäten Dieser Aufsatz verfolgt das Ziel, am Beispiel von drei gelehrten Vereinigungen im Italien des 18. Jahrhunderts einerseits die Diversität der norditalienischen Sozietätslandschaft aufzuzeigen und andererseits mit dem Blick auf die Statuten die unterschiedlichen Bedingungen für öffentliche Preisfragen zu beschreiben. Darüber hinaus soll die Einbindung und Positionierung von Preisstiftern, Preisrichtern, Preisbewerbern und Preisträgern innerhalb des europäischen Netzwerks der Gelehrten kurz umschrieben werden.

1.

Italienische Sozietäten in der internationalen Forschung

Die derzeit vorliegende Forschungsliteratur zur Geschichte europäischer Akademien, Sozietäten und Gelehrter Gesellschaften 1 beschränkt sich weitgehend darauf, in historischer Perspektive den Ursprung der Akademiebewegung in Italien aufzuzeigen. So zeichnen die Artikel von Sebastian Neumeister, Manfred Lentzen, Horst Heintze und Bodo Guthmüller zum Teil an Einzelbeispielen ein Panorama der italienischen Akademiegeschichte vom 14. bis zum frühen 17. Jahrhundert. 2 Franfoise Waquet 3 thematisiert zwar die Entwicklung der italienischen Akademien· und Sozietätslandschaft im 18. Jahrhundert, beschränkt sich allerdings auf die Darstellung jener Akademien, die als Realisierungsversuche der von Antonio

2

3

Ulrich Im Hof, Das gesellige Jahrhundert. Gesellschaft und Gesellschaften im Zeitalter der Aufklärung. München 1982; Der Akademiegedanke im 17. und 18. Jahrhundert. Hg. v. Fritz Hartmann / Rudolf Vierhaus. Bremen / Wolfenbüttel 1977 (Wolfenbütteler Forschungen 3); Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung. 2 Bde. Hg. v. Klaus Garber / Heinz Wismann unter Mitwirkung von Winfried Siebers. Tübingen 1996. Sebastian Neumeister, Von der arkadischen zur humanistischen „res publica litteraria". Akademie-Visionen des Trecento, in: G a r b e r / Wismann (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 171-189; Manfred Lentzen, Die humanistische Akademiebewegung des Quattrocento und die Accademia Platonica in Florenz, in: Garber / Wismann, (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 190-213; Horst Heintze, Regionale Aufgliederung früher Renaissance-Akademien: Die Pontaniana und die Pomponiana, in: Garber / Wismann, (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 214—237; Bodo Guthmüller, Die Akademiebewegung im Cinquecento. Das Beispiel Vicenza, in: Garber / Wismann, (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 238-270. Franfoise Waquet, Moderne Gelehrsamkeit und traditionelle Organisation. Die gelehrten Akademien im Italien der Frühaufklärung, in: Garber / Wismann, (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 2 7 1 283. Vgl. auch Fran^oise Waquet, Le modele frangais etl'Italie savante. Conscience de soi et perception de I 'autre dans la republique des lettres (1660-1750). Ecole fran^aise de Rome 1989.

270

Christine Damis

Ludovico Muratori zu Beginn des 18. Jahrhunderts vorgestellten Idee der Repubblica letteraria d'Italia verstanden werden können, da sie entweder in ihrer Organisationsform oder in ihrem thematischen Anspruch explizit oder implizit auf das von Muratori intendierte Projekt einer gesamtitalienischen Akademie Bezug nahmen. Bei dieser Fokussierung, die verständlicherweise die große Breite der italienischen Akademien- und Sozietätslandschaft im 18. Jahrhundert ausklammert, versäumt Waquet es jedoch, die Entwicklungslinie bis zu den gegen Ende des 18. Jahrhunderts erfolgenden Gründungen der Societä italiana delle Scienze4 und der Accademia Italiana5 aufzuzeigen, welche sich dem Projekt Muratoris, eine überregionale Gemeinschaft der Wissenschaftler und Gelehrten zu bilden, verpflichtet fühlten. Der Italien gewidmete Beitrag von August Buck6 in dem von Fritz Hartmann und Rudolf Vierhaus als Dokumentation des zweiten Wolfenbütteler Symposiums im Dezember 1975 herausgegebenen Band bezieht sich entgegen der Erwartung, die man angesichts des Titels des Sammelbandes hegen könnte, nicht auf die italienische Akademienlandschaft des 17. und 18. Jahrhunderts, sondern skizziert die Entwicklung von den humanistischen Vorstufen, der Accademia um Alamanno Rinuccini und der Accademia Platonica des Marsilio Ficino, bis hin zur Gründung und Tätigkeit der Crusca. Auf deren durchaus ereignisreiche Geschichte im 18. Jahrhundert - 1783 wurden die Crusca, die Accademia Fiorentina und die Accademia degli Apatisti durch ein Dekret des Großherzogs Pietro Leopoldo zu einer neuen Accademia Fiorentina vereinigt, die Wiedereinsetzung der Crusca erfolgte durch ein napoleonisches Dekret vom 19. Januar 1811 - geht Buck nicht näher ein.

4

5

6

Die Societä italiana wurde 1782 durch Antonio Maria Lorgna und auf Anregung von Ruggiero Giuseppe Boscovich (der unter anderem zu den Autoren der Mailänder Aufklärungszeitschrift II Caffe gehörte) in Verona begründet und verstand sich als gesamtitalienische Vereinigung der Wissenschaftler und Gelehrten auch über territoriale Grenzen hinaus. Nach dem Tode Lorgnas wurde sie, seinem testamentarischen Vermächtnis folgend, der Accademia d'Agricoltura in Verona angegliedert, bewahrte jedoch ihre Eigenständigkeit. Sie verlegte in der Folgezeit mehrmals ihren Sitz zwischen Verona, Modena und Mailand. Als Nachfolgerin versteht sich die heute noch in Rom existierende Accademia Nazionale dei Quaranta. Vgl. Calogero Farinella, L'accademia repubblicana. La Societä dei quaranta e Anton Maria Lorgna. Milano 1993. Giacomo Sacchetti, Begründer der Accademia Italiana, verfolgte seit ca. 1784 das Projekt einer Akademiegründung in Anlehnung an Muratoris Repubblica Letteraria. Auf der, auch mit Unterstützung des Conte Edoardo Romeo di Vargas durchgeführten, Gründungssitzung im März 1798 wurde als oberstes Ziel die geistige Vereinigung einer politisch gespaltenen Nation formuliert. Entsprechend der programmatischen Aussage, nicht an den Fehlem der lokalen Akademien kranken zu wollen, hatte die Akademie keinen festen Sitz. Dem Wirken der Accademia Italiana war durch die französische Besatzung kein langes Leben beschieden. Vgl. Giacomo Sacchetti, Memorie per la Storia dell'Accademia e degli Accademici, in: Atti della Accademia italiana. Firenze 1808, vol. 1,1-CL. August Buck, Die humanistischen Akademien in Italien, in: Hartmann / Vierhaus, (wie Anm. 1), S. 11-25.

Die

Preisfragen

271

A u c h U l r i c h Im H o f stellt in s e i n e r an B e i s p i e l e n e x e m p l i f i z i e r t e n und g e s a m t e u r o p ä i s c h a n g e l e g t e n D a r s t e l l u n g der G e s e l l s c h a f t e n d e s

18. Jahrhunderts an

keiner S t e l l e e i n e i t a l i e n i s c h e A k a d e m i e , Gelehrte G e s e l l s c h a f t o d e r S o z i e t ä t ausführlich vor. L e d i g l i c h a u f z w e i S e i t e n geht er a l l g e m e i n a u f die S o z i e t ä t s b e w e g u n g in Italien ein. Eigentlich hätte man Italien vor Frankreich und vor England stellen sollen, denn hier steckte man j a schon in der Sozietätsbewegung, als es diesen Begriff noch gar nicht gab, und schwelgte in allen möglichen Akademieformen, als das Europa nördlich der Alpen noch erschreckend ,barbarisch' anmutete. [...] Italien blieb das Land der Akademien, aufgebaut auf seiner so dichten städtischen Kultur. Man verstand es, die ausländischen Anregungen in die jahrhundertealte Akademietradition einzubauen [,..]. 7 A l l e r d i n g s beschränkt s i c h der A u t o r a u f d i e b l o ß e N e n n u n g der 1 7 1 4 in B o l o g n a e n t s t e h e n d e n Accademia mia

dei

Mailand Scienze,

Georgofili,

der 1 7 5 3 in Florenz g e g r ü n d e t e n

Accade-

der l a n d w i r t s c h a f t l i c h e n S o z i e t ä t e n , d i e in U d i n e ,

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scienze,

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u n d Turin entstanden,

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1782 gegründeten

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die d e n V e r s u c h unternahm, alle i t a l i e n i s c h e n Aktivitäten a u f d e m G e b i e t

der N a t u r w i s s e n s c h a f t e n z u koordinieren, s o w i e der Accademia land, die d i e Z e i t s c h r i f t II Caffe

dei Pugni

in M a i -

herausgab. Im H o f stellt z u d e m d e n v o n G i a n -

f r a n c o T o r c e l l a n 1 9 6 4 erarbeiteten Fragenkatalog für d i e U n t e r s u c h u n g der landw i r t s c h a f t l i c h e n G e s e l l s c h a f t e n d e s 18. Jahrhunderts vor, w e l c h e r seiner M e i n u n g n a c h m i t g e w i s s e n Ä n d e r u n g e n G ü l t i g k e i t für d i e U n t e r s u c h u n g aller S o z i e t ä t s t y p e n hätte. 8 D a s i m A n h a n g b e f i n d l i c h e „ V e r z e i c h n i s der ö k o n o m i s c h - g e m e i n n ü t -

7 8

Im Hof, (wie Anm. 1), S. 181 f. Ebd., S. 182f. Vgl. auch Gianfranco Torcellan, Un tema di ricerca: Le accademie agrarie nel settecento, in: ders., Settecento Veneto e altri scritti storici. Torino 1964, S. 329^119. Ich halte es für angebracht, den Fragenkatalog von Torcellan kurz wiederzugeben, da er - hier folge ich Im Hofs Meinung - generellen Charakter für die Untersuchung der Aktivitäten von Akademien, Gelehrten Gesellschaften und Sozietäten hat: A. Die Gründung: Gründungsjahr und Dauer - Zweckbestimmung - Umfang der Aktivität Private oder staatliche Gründung - Finanzierung. B. Zusammensetzung und Charakterisierung: Auswahl der ersten Mitglieder - Modus der Neuaufnahmen - soziale und berufliche Herkunft der Mitglieder - Leitung der Sozietät - Verbindung zur Freimaurerei - innere Wandlung der Sozietät. C. Erforschung des Mitgliederbestandes (Prosopographie): Biographien - Publikationen Handschriftlicher Nachlaß - Briefwechsel - wirtschaftliche Position. D. Publikationen und Aktivitäten der Sozietät: Art der Veröffentlichungen - unter dem Patronat der Sozietät erschienene Schriften - Unterstützung weiterer Publikationen - Art der Herausgabe - Existenz von Modellgütern. E. Preisausschreiben: Chronologische Reihenfolge - Autoren - Verhältnis zu den übrigen Aktivitäten - Themenstellung - Preisträger. F. Bibliothek: Inventar - Ankauf - Schenkungen - Rekonstruktion. G. Beziehungen zu anderen Sozietäten: Koordination mit anderen privaten oder staatlichen Sozietäten - Gedankenaustausch - Korrespondenz - gemeinsame Aktivitäten. H. Archive: Interne Archive der Sozietät - Protokolle - Abhandlungen - weiteres Material amtliche Mitteilungen über die Sozietät und deren Mitglieder.

272

Christine Damis

zigen Sozietäten in Europa und Übersee von 1731 bis 1789"9 spiegelt die große Bandbreite der italienischen Sozietäten keineswegs wider, da es sich auf die Nennung der 1771 in Verona gegründeten Pubblica Accademia di Agricoltura, commercio ed arti, der 1776 in Mailand entstandenen Societä Patriotica sowie der 1785 in Turin begründeten Societä agraria beschränkt. Unberücksichtigt bleiben dabei zumindest die Aktivitäten der 1753 gegründeten Accademia dell'Agricoltura ossia dei Georgofili, der bereits 1691 begründeten Accademia delle Scienze di Siena detta dei Fisiocritici, der Societä Agraria di Vicenza, der Accademia Economico-Letteraria dei Riforti di Capodistria, der 1762 begründeten Societä d'agricoltura practica d'Udine und der Accademia Agraria degli Aspiranti di Conegliano. Die hier genannten Beispiele geben die Forschungssituation außerhalb Italiens hinsichtlich der Geschichte der italienischen Akademien, Gesellschaften und Sozietäten, die in weiten Teilen noch ein relativ unerforschtes Gebiet darstellt, exemplarisch wider. In Italien selbst ist der derzeitige Forschungsstand zum einen durch - teils schon ältere - generelle Überblicksdarstellungen und zum anderen durch punktuelle Einzelforschungen charakterisiert, die sich auf die Entwicklung einzelner Gesellschaften oder auf prosopographische Darstellungen konzentrieren.10 9 10

Im Hof, (wie Anm. 1), S. 259-263. Das wichtigste Referenzwerk zur Geschichte der italienischen Akademien ist nach wie vor die funfbändige Storia delle Accademie in Italia, hg. v. Michele Maylender, die von 1926 bis 1930 erstmalig erschien. Maylender liefert einen generellen historischen Überblick, allerdings ohne Fokussierung des 18. Jahrhunderts. Problematisch erscheinen die starken strukturellen Unterschiede in den einzelnen Beschreibungen. Arbeiten wie Gaetardo Compagnino, Dalla vecchia Italia alia cultura europea del Settecento. R o m a / B a r i 1986 oder Marta Carazza, Settecento inquieto: alle origini dell'Istituto delle Scienze di Bologna. Bologna 1990, in denen die Entwicklung der italienischen Akademielandschaft in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Unterrichtsanstalten hin zu wissenschaftlichen Vereinigungen dargestellt wird, auch unter vergleichender europäischer Perspektive, wie sie etwa in: Universita, accademie e societä scientiflche in Italia e in Germania dal cinquecento al settecento. Hg. v. Laetitia B o e h m / E z i o Raimondi. Bologna 1981, erfolgt, bieten Anknüpfungspunkte zur Geschichte der Etablierung und Konzeption wissenschaftlicher Akademien. Darstellungen solcher Art stellen jedoch nicht das Gros der zeitgenössischen italienischen Forschungslandschaft dar, die für das 18. Jahrhundert vor allem zwei große Interessenschwerpunkte aufweist. Die Mehrzahl der Untersuchungen zeichnet die „externe" Geschichte einzelner Akademien oder von mehreren Akademien einer Region mit Blick auf die politischen, kulturellen, organisatorischen und juristischen Determinanten ihres Bestehens nach und gibt dabei eine Fülle von detaillierten Informationen zur Geschichte der jeweiligen Institution. Andererseits finden sich Arbeiten wie etwa Eric W. Cochrane, Le accademie toscane e i loro rapporti culturali con l'Inghilterra, in: Atti dell'Accademia Lucchese. Lucca 1952, VIII, S. 225-233; ders., Le relazioni delle accademie toscane del' 700 con la cultura europea, in: Archivio Storico Italiano. Firenze 1953, HI: S. 78-108; Amadeo Quondam, La scienza e l'accademia, in: Universitä, Accademie e Societä scientiflche in Italia e in Germania dal Cinquecento al Settecento. Hg. v. Laetitia B o e h m / Ezio Raimondi. Bologna 1981, S. 21-79; Anatomie accademiche. Hg. v. Walter Tega. Bologna s.a., die sich nicht primär dem Aspekt der Geschichte einer Institution verpflichtet sehen, sondern ausgehend von den Aktivitäten der Institutionen (Veröffentlichungen, Diskussionen, Vorträge) das Wissenschaftsgefuge der Zeit vermittelt über Personen, Verbindungen zwischen Akademien in Europa und durch den Vergleich von Konzepten einer sich

Die Preisfragen 2.

273

Preisfragen italienischer Akademien und Sozietäten

Von einzelnen Regelungen abstrahierend läßt sich zu den öffentlichen Ausschreibungen von Preisfragen durch Akademien, Gesellschaften und Sozietäten im 18. Jahrhundert folgendes Vorgehen zusammenfassen. Eine aus Mitteln der Organisation finanzierte Frage wurde zumeist aus einer größeren Menge von den Mitgliedern vorgeschlagener Fragen nach Stimmenmehrheit ausgewählt, wohingegen privat gestiftete Preisfragen in ihrer Thematik die Interessen des Preisstifters reflektierten und nicht zwingend den inhaltlichen Zielen der Organisation entsprechen mußten. Die Fragen wurden, je nach territorialem Einfluß, in nationalen oder auch internationalen gelehrten Zeitschriften veröffentlicht, wobei in der Regel die Bedingungen für die Teilnahme mit erläutert wurden. Üblicherweise waren Mitglieder der Gesellschaften von der Teilnahme ausgeschlossen, die Einsendung der Schriften hatte in einer vorgegebenen Sprache zu erfolgen (in Italien war die Einsendung in italienischer oder lateinischer Sprache, seltener auch in französischer Sprache üblich), 11 und die Schriften mußten anonym, gekennzeichnet mit einer Devise, eingesandt werden. Diese sollte auf einem versiegelten Umschlag, welcher den Namen des Preisbewerbers enthielt, wiederholt werden. Die jeweils benannten Preisrichter bewerteten nach erfolgter Lektüre die einzelnen Schriften in Voten, die sie untereinander auch zirkulieren ließen, und gelangten so zur Auswahl einer Schrift, die den Preis erhielt. 12 Teilweise wurden bei weiteren gut bewerteten Schriften ein oder zwei Accessit 13 vergeben und weitere Einsendungen in der wiederum in Zeitschriften öffentlich bekannt gemachten Preisentscheidung lobend hervorgehoben. Die mit den Schriften eingereichten versiegelten Billets mit den Namen der Autoren wurden nur im Falle der Preisvergabe oder des Acessit geöffnet, die restlichen üblicherweise verbrannt. Die eingesandten Schriften blieben zumeist im archivalischen Fundus der Akademie oder Sozietät - nur in seltenen

11

12

13

auch formal etablierenden Wissenschaft nachzeichnen. Von besonderem Interesse sind hierbei Arbeiten, die die Akademien der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verstärkt auf ihren Anspruch hin analysieren, die Gelehrtenlandschaft Italiens zu einigen, und diese Tendenz nicht zuletzt auch in Verbindung mit politischen Vereinigungsbestrebungen betrachten, oder die die verstärkte naturwissenschaftliche Ausrichtung auf einen aufklärerischen Anspruch zurückführen, der sich der Nützlichkeit und der Verbesserung der Lebensumstände auch des einfachen Volkes verpflichtet sieht. Zu den sprachlichen Regelungen für die im Wettbewerb eingereichten Abhandlungen vgl. Christine Damis, Sprachregelungen italienischer Akademien, in: Texte und Institutionen in der Geschichte der französischen Sprache. Hg. v. Gerda Häßler. Bonn 2000, S. 89-98. In den von mir in den letzten Jahren ausgewerteten Archivbeständen oberitalienischer Akademien, Sozietäten und Gesellschaften sind solche Voten nur in seltenen Fällen aufbewahrt worden. Ein positives Beispiel ist hierbei das Archiv der Accademia Virgiliana di Mantova, welches den archivalischen Bestand zu den von der Akademie ausgeschriebenen Preisfragen fast vollständig erhalten und hierzu auch ein Verzeichnis erstellt hat. Vgl. Catalogo delle dissertazioni manoscritte. Accademia Reale di scienze e belle lettere di Mantova (sec. XVIII). Hg. v. Lorena Grassi e Giovanni Rodella. Mantova 1993. Das Accessit bezeichnete nach den Preisträgern den zweiten Platz.

274

Christine Damis

Fällen wurden sie auf Wunsch des Verfassers zurückgesandt. Preisbewerber, die mit ihrer eingesandten Schrift nicht erfolgreich gewesen waren, veröffentlichten ihre Schriften zum Teil auf eigene Kosten selbst. Die ausgezeichneten Abhandlungen wurden in der Regel in den Schriftenreihen der Akademie oder Gesellschaft veröffentlicht oder, wenn diese nicht über solche verfügten, in gelehrten Zeitschriften publik gemacht. Die folgenden Abschnitte stellen die Preisausschreibungen der Accademia Napoleone, Lucca, der Pubblica Accademia di Agricoltura Commercio ed Arti di Verona sowie der Societä Patriotica in Mailand vor. Ausgehend von den Regelungen zum Preisfragegeschehen in den Statuten werden dabei folgende Punkte die Darstellung leiten: -

Art und Weise der Regelung von Preisausschreibungen in den Statuten Teilnahmeeinschränkungen für die Preisbewerber sprachliche Vorgaben für die Einsendung von Preisbewerbungsschriften Finanzierung des Preises unter besonderer Berücksichtigung von Preisstiftungen thematische Aufgliederung des Preisfragespektrums der jeweiligen Akademie oder Sozietät - soziale Struktur der Preisbewerber, Preisträger, Accessit-Gewinner, Preisstifter und Preisrichter -

thematische und soziale Vernetzung des Preisfragegeschehens

2.1. Accademia Napoleone, Lucca Die im Jahre 1805 in Lucca durch eine Initiative von Pasquale Baciocchi und Mariannina Bonaporte nach französischem Vorbild neugegründete Accademia Napoleone fußte in regionalhistorischer Perspektive auf der Tradition der bereits 1586 im Hause des Stefano Buonvisi etablierten Accademia degli Oscuri, deren Aktivität sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in Etappen mehr oder minder starker Aktivität nachweisen läßt. Michele Maylender 14 stellt in seiner Beschreibung beider Luccheser Akademien die geringe Kontinuität ihrer Verfaßtheit fest. Die durch herrschaftliches Dekret gegründete Accademia Napoleone kann seiner Ansicht nach nicht als italienische Institution betrachtet werden und noch weniger als Erbin einer freiheitlich konstituierten Versammlung, wie sie die Accademia degli Oscuri darstellte. Maylender stützt dieses Urteil unter anderem mit der Namensgebung, dem Verzicht auf die Erwähnung der Accademia degli Oscuri in den Statuten der Accademia Napoleone und dem „antiakademischen" 32. Artikel der Statuten, der den Justizminister mit der Ausführung des Gründungsdekrets beauftragte. 15 14

15

Michele Maylender, Storia delle Accademie in Italia. 5 Bde. Bologna 1926-30, hier Bd. 4, S. 153-164. „Un Accademia costituita per decreto di Principe non puö considerarsi quale un'istituzione italiana, quindi non puö nemmeno venir considerata siccome continuazione di un'adunanza di

Die Preisfragen

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Gleichwohl zeigt das in der Biblioteca Statale di Lucca verwahrte Manuskript des Libra di Deliberazione der Accademia Napoleone in der Eröffnungsrede des Justizministers Luigi Matteucci vom 16. August 1805 Kontinuitäten zur literarischen Traditionslinie der Accademia degli Oscuri. Das anfanglich überschwengliche Lob der Beschäftigung mit der Literatur, welche als unabdingbare Vorform der Wissenschaften betrachtet wird, tritt jedoch bald hinter der zukünftigen Orientierung der Accademia Napoleone zurück, die eine in allen Wissenschaftsbereichen effektive und dem Kaiser dienende Rolle erhalten soll. Die Costituzione dieser neuen Akademie wurde im Anschluß vom Justizminister verlesen.16 Sie regelt in den Artikeln XI-XXVI die Vergabe der Preise für die jährlich ausgeschriebenen Fragen. In der Classe delle belle lettere e belle Arti erfolgt die Preisvergabe jeweils in der feierlichen Sitzung am 3. Januar und in der Classe delle scienze am 18. Mai. Zu eben diesen Daten werden auch die Preisfragen für das folgende Jahr veröffentlicht. In der Classe delle belle lettere werden die Fragestellungen aus dem Bereich der Politik oder Beredsamkeit, der Dichtung (bei freier Themenwahl) und aus der Malerei, Bildenden Kunst, Architektur oder Musik gewählt. Die eingereichten Arbeiten müssen der Akademie spätestens einen Monat vor Verteilung der Preise anonym vorliegen. Lediglich die Preisrichter, also nicht generell alle Mitglieder der Akademie, sind von der Wettbewerbsteilnahme ausgeschlossen. Neben dem Preis wird jeweils auch ein Accessit vergeben. Zum Procedere bei der Ausschreibung der Preisfrage, den Teilnahmeregelungen, der Auswahl der Preisrichter und zum Umgang mit den eingereichten Arbeiten schildert Bertacchi ein Vorgehen, das sich vom generellen zeitgenössischen Usus unterscheidet. 17 Die den nicht prämierten Arbeiten beigefügten versiegelten Billets mit den Namen der Autoren wurden - so auch das gängige Verfahren in der Mehrzahl der Akademien - verbrannt. Die Accademia Napoleone bewahrte die zugehörigen Abhandlungen jedoch nicht in ihrem Archiv auf, sondern sandte sie den Autoren zurück; ein Vorgehen, daß sicher der Wahrung der Anonymität der Autoren dienen sollte. Auch wenn die per Dekret verordnete und erfolgte Gründung von Maylender kritisiert wird, so ist doch nicht zu verkennen, daß sich die Accademia Napoleone im Zeitraum ihres Bestehens von 1805 bis 1814 durch große Aktivität auszeich-

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libera costituzione qual'era quella degli Oscuri; e poi il nuovo titolo, la nessuna menzione degli Oscuri negli Statuti del nuovo sodalizio e prova che non si intendeva di riformare soltanto l'antico. Oltreciö, l'ultimo articolo (il 32°) degli Statuti e quanto di piü .italianamente antiaccademico' si puö immaginare: ,11 ministro della Giustizia' - cosi il detto articolo - ,e incaricato della esecuzione del presente Decreto'". ebd., Bd. 4, S. 162f. Zur Geschichte der Akademie in Lucca vgl. auch Angelo Bertacchi, Storia dell'Accademia Lucchese, in: Memorie e Documenti per servire alla storia di Lucca. Lucca 1881. Bd. XXX, S. CCXLVn CCCXLIII und Roderigo Biagini, Brevi cenni storici della R. Accademia Lucchese, in: Indici degli Atti e delle Memorie della R. Accademia di Lucca. Lucca 1903, S. 5-8. Bertacchi, (wie Anm. 16), S. LXIII.

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Christine Damis

nete. Allenfalls die Turiner Akademie ist in diesem Jahrzehnt in vergleichbarem Maße tätig gewesen. 18 In den Jahren 1806 bis 1814 hat die Accademia Napoleone insgesamt 35 Preisfragen gestellt. Der größte Teil ist im Bereich der Literatur und Dichtung angesiedelt, doch findet sich auch eine hohe Zahl von architektonischen (8) oder politischökonomisch (6) orientierten Fragestellungen. Bei einer mir bekannten Zahl von insgesamt 39 Einsendungen auf die gestellten Preisfragen - wobei sich die Arbeiten unterschiedlich auf die Preisfragen verteilen - sind 18 anonyme Teilnahmen am Wettbewerb zu verzeichnen, zwei Teilnehmer sind dem Namen nach bekannt. Aufgrund von Veröffentlichungen der eingereichten Schriften konnten acht Preisträger und acht Accessit-Gewinner ermittelt werden. Die Betrachtung der sozialen Dimension des Preisfragegeschehens der Accademia Napoleone läßt vor allem folgende Teilnahmen und Konkurrenzen bemerkenswert erscheinen: 1. Mit der Teilnahme und Prämierung von Costanza Moscheni, die in den Jahren 1811 und 1813 den Preis für die beste Dichtung erhält 19 und sich gegenüber den männlichen Accessit-Gewinnern Francesco Benedetti (1811) und Giovanni Cavelli (1813) durchsetzt, treffen wir auf den äußerst seltenen Fall der Teilnahme und sogar Auszeichnung der Leistung einer Frau.20 Zwar erringt sie diesen Ruhm auf dem Frauen wohl noch am ehesten zugestandenen Gebiet der Dichtung, doch ist die Tatsache, daß Frauen überhaupt an diesen akademischen Wettbewerben teilnehmen, so selten, daß sie Erwähnung finden sollte. 2. Die zweifache Prämierung von Costanza Moscheni verweist auf ein Spezifikum der Luccheser Akademie, das man vielleicht am ehesten als „festen Bewerberstamm" umschreiben könnte. Giovanni Salvatore de Coureil und Giovanni Carmignani, ein Pisaer Juraprofessor, der ansonsten eher mit Arbeiten zur Sozial- und Kriminalgesetzgebung sowie zur Todesstrafe in der Toskana hervorgetreten ist, konkurrierten jeweils in den Jahren 1806 und 1808 um den von der Akademie ausgesetzten Preis: 1806 in der Frage nach dem Verdienst Vittorio

18

19

20

Vgl. auch Bruno Migliorini, Storia della lingua italiana. Milano 5 1997, S. 529. Migliorini verweist hier auf die stark verringerte akademische Bewegung in Italien zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Neben der äußerst aktiven Turiner Akademie nennt er das Istituto Italiano und die Accademia Fiorentina. Migliorini nimmt jedoch keinen Bezug auf die Aktivität der Accademia Napoleone. Die Akademie hatte fur das Jahr 1811 ein Componimento di Metro ed Argomento Libero verlangt und für das Jahr 1813 ein Tema libero come pur libero il metro zum Gegenstand des Preises gemacht. Einen weiteren Beleg finden wir im Bezug auf die Teilnahme von Frauen außerdem mit der Einsendung einer Preisschrift durch die Marquise de Chatelet auf die 1738 von der Academie des sciences in Paris gestellte Preisfrage De la nature et de la propagation du feu, die zwar nicht den Preis erhielt, jedoch gemeinsam mit der ebenfalls nicht prämierten Schrift Voltaires lobend erwähnt und in den Memoires der Akademie abgedruckt wurde.

Die Preisfragen

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Alfieris für die Tragödie und 1808 in der Frage nach den Vor- und Nachteilen von Übersetzungen. 21 Diese Konkurrenzsituation war vor allem für den in beiden Fällen unterlegenen De Coureil schwer zu ertragen, der sich in scharfen Polemiken gegen die seiner Meinung nach ungerechte Prämierung Carmignanis zur Wehr setzte. Hierzu trug vielleicht nicht zuletzt die Außenseiterposition Carmignanis bei, dessen Triumph dem Literaten De Coureil zusetzte.22 Während seit dem verstärkten Auftreten des akademischen Preisfragegeschehens in den 1750er Jahren bis zu seinem Höhepunkt in den 1780er Jahre die „fachfremde" Teilnahme durchaus üblich war, hatte sich doch zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein zunehmend spezialisierter fachdisziplinärer Kontext etabliert. Daß es nicht nur die Unvereinbarkeit von Ansichten über die Bedeutung Alfieris für das italienische Theater gewesen sein mag, die De Coureil Anlaß zur Polemik bot, läßt sich aus seinen Angriffen gegen den Preisträger Carmignani in der Apologia delle Tragedie di V. Alfieri ovvero dugento e piü osservazioni sopra [...] Carmignani23 und in der Apologia seconda delle tragedie di Vittorio Alfieri24 schlußfolgern, in denen der unterlegene De Coureil dem Preisträger Carmignani vorwirft, daß dieser in der Neuausgabe seiner Antialferiana zahlreiche Angriffe gegen De Coureil persönlich führe und zudem schon lange an der Statue Alfieris gewackelt und ein bereits vorher fertiges Werk bei der Akademie eingereicht habe. 3. Weniger spektakulär, weil nicht von Polemiken geprägt, sind z.B. die Preisverleihung des Jahres 1813 an den Arzt Anselmo Prato für seine Abhandlung über Vor- und Nachteile der vom britischen Mediziner John Brown begründeten Lehre, wonach alle Krankheiten mit Mitteln zu heilen seien, die gegensätzliche Reaktionen hervorrufen. Aufgrund langjähriger praktischer Erfahrungen als Waisenhausmediziner und später in einem Militärkrankenhaus wandte sich Prato gegen die im Brownismus praktizierte schädliche Verabreichung hoher Dosen von Gift sowie gegen den Aderlaß. 25 4. Dem disziplinaren Ausbildungskontext entspricht ebenfalls die Prämierung von Giovanni Rosini (unter dem Pseudonym Giovanni Stay di Ragusa) mit dem Ac21

22

23 24 25

Die konkurrierenden Ansichten und Argumentationen der beiden Autoren in der Frage nach den Vor- und Nachteilen der Übersetzung habe ich im Oktober 1999 in einem Vortrag auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts ausfuhrlich dargestellt. Die Publikation soll erfolgen in: Übersetzung und Spracherwerb im 18. Jahrhundert. Hg. v. Gabriela Lehmann-Carli. Berlin 2003. Giovanni Salavatore De Coureil hatte im Jahre 1806 den Preis der Accademia Napoleone für die Dichtkunst erhalten. Giovanni Salvatore de Coureil. Opere. Livomo 1818-19. Bd. ΙΠ: 289-347, Bd. IV: S. 11-168. Ebd. Bd. IV: 169-300, Bd. V: S. 11-140. Wortlaut der Preisfrage: Indicare quali cangiamenti abbiano introdotto nella medicina i sistemi di Brown, e del Controstimolo; quali siano i danni e i vantaggi de' medesimi; e sotto quali rapporti possano essere insieme conciliabile nell'esercizio della pratica. Vgl. Anselmo Prato,. Memoria coronata dal!'Accademia Napoleone il 18 maggio 1813 e pubblicata con un discorso preliminare da Giacomo Franceschi. Lucca s.a.

Christine

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Damis

c e s s i t 1 8 0 7 u n d d e m Preis 1 8 0 8 fur d i e D i c h t k u n s t . Z w a r hatte er 1 7 9 6 e i n e n S t u d i e n a b s c h l u ß in Jurisprudenz erreicht, trat j e d o c h v o r a l l e m mit G e d i c h t e n und R o m a n e n s o w i e W e r k e n zur K u n s t g e s c h i c h t e an d i e Ö f f e n t l i c h k e i t . B e l e g für d i e s e literarische Orientierung ist dann letztlich a u c h s e i n e B e r u f u n g a u f d e n Lehrstuhl fur B e r e d s a m k e i t u n d Literatur 1 8 0 4 in Pisa. N e b e n der T e i l n a h m e an d e n P r e i s a u f g a b e n in L u c c a erhielt er 1 8 1 0 d e n Preis der Accademia

Fiorentina

für ein literarisches Werk, das zur R e i n h a l t u n g u n d B e l e b u n g der i t a l i e n i s c h e n S p r a c h e beitragen sollte. 2 6 5. M i t der Preisfrage v o n 1 8 0 8 z u V o r - u n d N a c h t e i l e n v o n Ü b e r s e t z u n g e n , der für 1 8 1 4 formulierten, aber nicht g e l ö s t e n Preisfrage n a c h Z u s t a n d u n d E n t w i c k l u n g der i t a l i e n i s c h e n D i c h t k u n s t i m 18. Jahrhundert u n d der 1 8 1 3 g e s t e l l t e n Frage z u d e n Fortschritten in der B e s c h r e i b u n g v o n S p r a c h e n i m 18. Jahrhundert, i n s b e s o n d e r e d e s Italienischen, w e l c h e durch die A b h a n d l u n g v o n C e s a r e L u c c h e s i n i zur Z u f r i e d e n h e i t der A k a d e m i e g e l ö s t w u r d e , g a b die Napoleone

Accademia

d e m P u b l i k u m ein Spektrum an Preisfragen auf, das die z e i t g e n ö s s i -

s c h e D i s k u s s i o n u m die H e r a u s b i l d u n g u n d A b g r e n z u n g der i t a l i e n i s c h e n N a tionalsprache reflektierte. 2 7

2.2.

A c c a d e m i a di agricoltura, s c i e n z e e lettere di V e r o n a

D i e G r ü n d u n g der Pubblica

Accademia

di agricoltura

di Verona

i m Jahre 1 7 6 8

e r f o l g t e a u f g r u n d e i n e r Initiative d e s v e n e z i a n i s c h e n Senats, durch d e n s i e a u c h

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Wortlaut der mit napoleonischem Dekret veröffentlichten Preisfrage der Accademia Fiorentina war: „Nous avons decrete et decretons ce qui suit: Art. I.er Le prix annuel de 500 Napoleons, fonde par notre Decret du 9 Avril en faveur des auteurs dont les ouvrages contribueront le plus efficacement a maintenir la langue italienne dans toute sa purete, sera distribue chaque annee le 2 Decembre. Π. II pourra etre divise en trois, de 3.300 fr. chacun lorsqu'il n ' y aura pas d'ouvrages d'un merite eminent. Ces trois prix seront alors donnes, un aux ouvrages en prose et deux aux ouvrages en vers. III. Les conditions du concours et les έpoques de la remise des ouvrages seront arretees tous les ans par l'Academie de Florence, et publiees par les soins de notre bien aimee Sceur la Grande-Duchesse de Toscane, apres avoir ete revetues de son approbation. IV. L'examen des ouvrages sera fait par la classe de la Crusca, qui se reunira ensuite aux autres classes de l'Academie pour faire le rapport qui devra nous etre transmis, et sur lequel le prix sera decerne conformement ä notre Decret du 9 Avril. V. Notre Ministre de l'Interieur et notre Intendant general de la liste civile sont charges chacun en ce qui concerne de l'execution du present Decret." Neben Rosini mit Le nozze di Giove erhielt auch Giuseppe Micali fur seine Schrift L 'Italia avanti il dominio de' Romani einen Preis. Es bewarben sich auch Carlo Botta mit der Storia della Guerra dell'indipendenza d'America, Giovanni Comedo mit der Storia letteraria ai Posteri, Antonio Cesari mit Le Grazie, ο wer ο Dialogo sopra la Lingua Toscana, Francesco Regis mit La Ciropedia di Senofonte und Giuseppe Malachisio mit mehreren Tragedie. Zu den Argumenten in der Diskussion um die Abgrenzung des Italienischen als Nationalsprache, besonders vom Französischen, vgl. Christine Damis, Italienischer Nationalgeschmack und französische Sprache im 18. Jahrhundert, in: [...] pour decorer sa nation & pour enrichir sa langue - Identitätsstiftung über die französische Sprache vom Renaissancehumanismus bis zur Aufklärung. Hg. v. Christiane Maaß / Annett Volmer. Leipzig 2002 (Veröffentlichungen des Frankreich-Zentrums 7), S. 133-142.

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finanziell alimentiert wurde. In Folge des Rückgangs der Handelsergebnisse mit den östlichen Nachbarn sah sich die Republik Venedig zu einer stärkeren Orientierung auf landwirtschaftliche Erträge gezwungen. Um von den nördlich der Alpen seit längerer Zeit gewonnenen Erfahrungen der landwirtschaftlichen Ertragssteigerung profitieren zu können, erschien eine Organisationsform, welche den Austausch von Ideen und Neuerungen beförderte, bestens geeignet.28 Wenn die Akademie auch mit diesem pragmatischen Ziel begründet wurde, so erlaubte es doch die Formulierung der thematischen Ausrichtung, „la loro applicazione al maggior bene dell'agricoltura nella provincia, non tanto nelle materie ad essa propriamente appartenenti quanto a quelle che aver potessero colla medesima confluenza e relazione", 29 über den spezifischen Gegenstand der Landwirtschaft hinauszugehen und auch andere nützliche benachbarte Themenbereiche mit einzubeziehen. Ein Blick auf erste Mitgliederlisten der Akademie zeigt deutlich eine soziale Zusammensetzung aus der Adelsschicht der Stadt, wobei die Kriterien der Kompetenz oder des Expertenwissens in den Hintergrund traten.30 Diese wurden durch das Fachwissen auswärtiger korrespondierender Mitglieder und durch die öffentliche Ausschreibung von Preisfragen kompensiert. Die aufgegebenen Preisfragen behandelten regionalspezifische Themen und führten ganz im Sinne der Gründungsidee zu praktischen Veränderungen, 31 wohingegen eine Analyse der generellen landwirtschaftlichen Situation des Gebietes und der Produktionsaufgaben, wahrscheinlich aus Mangel an Kontakten zu gründlich ausgebildeten Gelehrten, eher vernachlässigt wurde. Die Accademia di agricoltura, scienze e lettere di Verona hat in den Jahren 1770 bis 1796 insgesamt 21 Preisfragen aus dem Bereich der Landwirtschaft und der praktischen Ökonomie gestellt. Das Archiv der Akademie verwahrt heute 23 anonym eingesandte Manuskripte von Preisbewerbern. Die durchschnittliche Zahl der Teilnehmer an den Preisaufgaben der Akademie beläuft sich lediglich auf zwei bis drei, darüber hinaus finden sich aber auch Preisthemen, die mehrmals wiederholt wurden, zu denen jedoch keine Einsendungen vorgelegt wurden und demzufolge auch kein Preis vergeben wurde. 32 Im Spektrum des akademischen Preisver28

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Zur Geschichte der landwirtschaftlichen Akademie in Verona vgl. Carlo Vanzetti, La Accademia di agricoltura scienze e lettere di Verona. Verona 1990; Pietro Venini, Storia dell'Accademia d'Agricoltura, Commercio, ed Arti di Verona per l'anno 1795. Compilata dal Signore D. Pietro Venini, e letta in pubblica adunanza della medesima, in: Giornale letterario diNapoli. nov.-dic. 1798, S. 28-63. Vanzetti, (wie Anm. 28), S. 10. Ebd., S. 12. So hatte beispielsweise Zeviani in seiner Preisschrift zum Holzmangel diesen unter anderem auf die unzureichende Ausnutzung der umgebenden Wälder aufgrund schlechter Transportbedingungen zurückgeführt. Letztlich führte dieser Hinweis dann im Jahre 1776 zum Bau einer Straße nach Lessinia. Preisaufgaben ohne Preisvergabe wurden mit folgenden Themen gestellt: 1773: Se si provi con la ragione e con la sperienza essere veramente utile ο no a preservare i gelsi dalla corrente moria, il riservarne una tanta parte ogni primavera per usar poi delle lor

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fahrens stellt auch die trotz mehrerer Einsendungen nicht erfolgende Preisvergabe zu der 1790 gestellten Frage nach den Vor- und Nachteilen von Handwerkszünften keinesfalls eine Ausnahme dar. Sofern die eingereichten Schriften den Ansprüchen der Akademie nicht genügten, behielt sich diese die Preisvergabe vor.33 Für insgesamt neun Themenstellungen der Akademie sind die Preisträger bekannt, wobei in zwei Fällen der Preis an die gleiche Person vergeben wurde (Locatelli, 1772 und 1774; Verardi, 1771 und 1795). In nur einem einzigen Fall (Tommaselli, 1796) ist die Vergabe eines Accessit bekannt.34

foglie in agosto e in settembre, incominciando appunto intorno alla metä di agosto una seconda educazione di bachi; e se questa riuscir possa praticamente vantaggiosa ο no nella rurale economia a norma di quanto enunzia nel suo „Progetto" il conte Carlo Bettoni. [Ob die von Carlo Bettoni vorgeschlagene Methode zur Gesunderhaltung der Maulbeerbäume mittels der Aufzucht einer zweiten Generation von Seidenraupen im August praktische Vorteile für die Landwirtschaft hat.] Preisstifter: Conte Carlo Bettoni. Die Preisaufgabe wurde in den Jahren 1778 und 1784 wiederholt. Es wurde nie eine Bewerbungsschrift eingesandt. 1784: Ove si trovino nel territorio Veronese miniere di carbon fossile ο minerale, suggerire il modo per sostituirlo in pratica agli usi economici della legna e indicare i mezzi per trasportarlo ai luoghi del consumo con la minor spesa possibile. [Wo befinden sich im Veroneser Raum Kohlevorkommen, wie können diese das Holz ersetzen und auf sparsamste Weise zum Verbrauchsort transportiert werden?]

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1786: Riuscendo nella cittä e nel territorio la tintura di alcuni colori e trovandosi in pratica che alcuni altri non cosi bene ed egualmente riescono, ricercare la cagione di questa differenza e suggerire il modo di corregeme il difetto. [Welche in der Stadt und im Territorium angewandten Färbeverfahren sind nachahmenswert und welche nicht?] 1792: Quali piante ad uso della tintura possono utilmente coltivarsi nel territorio Veronese e con quali regole ciascuna di esse debba esser coltivata? [Welche Färbepflanzen können im Gebiet Veronas angebaut werden?]. 1794: Quali sarebbero i mezzi piü valevoli a moltiplicare le manifatture di seta in Verona, avendo riguardo alla qualita delle nostre sete ed al piü facile commercio, si interno che esterno, delle manifatture medesime? [Auf welche Art kann die Zahl der Seidenmanufakturen im Raum Verona erhöht werden, wobei die Qualität der Seide und der Handel nicht zu vernachlässigen seien?] 1795: Poiche e stabilito con provido decreto del Serenissimo Principe che l'esercizio del commercio non deroga alla nobiltä, in primo luogo venga messa in vista quali vantaggi i nobili possan trarre dandosi al commercio e con essi il Principe e la nazione - [...] In secondo luogo venga esposto quali cognizioni e quali condizioni sieno necessarie, onde potersi coltivare specialmente da' nobili rami di commercio col minor rischio e con la maggiore possibile utilitä. [Da durch Dekret verfugt wurde, daß die Ausübung des Handels dem Adelsstand nicht abträglich ist, sollen die Vorteile, welche die Adligen für die Nation aus dem Handel gewinnen können, beschrieben werden. Femer sollen die Kenntnisse und Bedingungen erläutert werden, mit deren Hilfe der Adel Handelszweige mit geringem Risiko und größtem Nutzen betreiben kann.] Preisfrage: Se giovi ο no tener le Arti unite in Corpi, con discipline, privilegi e contribuzioni al corpo; e quali siano i vantaggi e disavantaggi, tanto generarli, come particolari, respettivamente al commercio, alla nazione e al pubblico orario. [Ist es von Nutzen die Handwerke zu vereinigen und welche Vor- und Nachteile entstehen daraus für den Handel und die Nation?]. Bewerbungsschriften wurden eingesandt von Giovanni Arduino, Agostino Vivorio, und Marogna. Das Archiv bewahrt das Manuskript von Arduino und drei weitere auf. Michelangelo Locatelli gewann 1772 mit einer Abhandlung zu den Ursachen der Krankheiten von Maulbeerbäumen und 1774 mit einer Abhandlung zur Verbesserung des Straßenbaus. Giovanni Verardo Zeviani errang 1771 den Preis mit einer Arbeit zur Begegnung des Holz-

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Auf die Position der landwirtschaftlichen Akademie von Verona innerhalb des regionalen Netzwerkes der Gelehrten und Adligen weist die im Jahre 1773 erfolgte Preisstiftung durch Carlo Bettoni hin, der in den 1770er bis 1790er Jahren (nach seinem Tod im Jahre 1786 durch ein testamentarisches Vermächtnis) im gesamten lombardischen Raum als Preisstifter auch an anderen Akademien in Erscheinung trat. Sein besonderes Interesse galt Fragen der Seidenraupenzucht, er finanzierte aber auch den Preis der Societä Patriotica in Mailand fur die Abfassung von moralischen Novellen zur Erziehung der Jugend. Mit der Fragestellung von 1782 nach den Möglichkeiten der Verbesserung der Seidenproduktion und des Seidenhandels generalisierte die Akademie erstmals ihr Themenspektrum, da die Seidenproblematik die Ökonomie in allen Aspekten betraf. Unter den Preisbewerbem der Akademie ist besonders Giovanni Arduino hervorzuheben, der als Abgeordneter der venezianischen Republik mit Aufgaben der Landwirtschaft betraut war und in diesem Zusammenhang die Gründung landwirtschaftlicher Akademien und Gesellschaften förderte. Er äußerte sich 1790 mit einer Schrift zur Frage der Vor- und Nachteile von Handwerkszünften, für die die Akademie jedoch keinen Preis verteilte. Giovanni Verardi Zeviani hat nachweislich an insgesamt drei Preiswettbewerben in Mantua und Verona teilgenommen, wobei er in allen Fällen einen Preis erhielt.35 Unklar ist, ob er sich bereits im Jahre 1769 an der Preisfrage der Akademie in Mantua nach den Heilmitteln gegen den Skorbut beteiligte. Hierzu finden sich in Archivalien und zeitgenössischen Zeitschriftenpublikationen unterschiedliche Angaben.36 Zeviani, der in Verona eine jesuitische Ausbildung erhalten hatte, setzte gegen den Willen des Vaters das Studium der Medizin durch. Diesen Beruf übte er in Folge in den Städten Mantua, Verona und Padua aus. Seine starke praktische Orientierung zeigt sich nicht nur in den Themenstellungen der Akademien, zu denen er beitrug. Auch außerhalb dieses Rahmens suchte er nach pharmakologischen Neuerungen gegen die Rachitis und Blähungen sowie die hohe Säuglingssterblichkeit und interessierte sich fur die Symptomatik der Hypochondrie. Bereits 1794 wurde seine Abhandlung zu diesem Thema ins Deutsche übersetzt. Seine Studien beschränkten sich jedoch nicht allein auf die Humanmedizin. Im Jahre 1802 gelang es ihm, den bislang nur vermuteten Zusammenhang zwischen Würmern, Insekten und der Rinderpest zu bestätigen.

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mangels durch den Einsatz anderer Brennstoffe und 1795 mit einer Abhandlung zur Unterscheidung der Reispflanzen von den Unkräutern. Giuseppe Tommaselli wurde 1796 ein Accessit für seine Schrift zur Vermehrung der Seidenraupen im Hinblick auf die Ertragssteigerung verliehen. 1771 in Verona zur Frage der Brennstoffe, die angesichts des akuten Mangels das Holz ersetzen könnten; 1777 in Mantua zur Frage nach der Anwendung der Chinarinde als Heilmittel; 1795 in Verona zur Frage nach der Unterscheidung der Unkräuter von jungen Reispflanzen. Vgl. Archivio di Stato, Milano, Fondo Studi, p.a. cart. 5s, wo Zeviani als Preisbewerber erwähnt wird; im Gegensatz dazu Giornale d'Italia 5 (1769), S. 261.

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2.3. Societa Patriotica di Milano Der Nuovo Giornale d'Italia vom 28. Februar 1778 informiert seine Leser mit dem Abdruck eines Briefes von Francesco Griselini an Giovanni Arduino über die am 22. Januar 1778 erfolgte erste Zusammenkunft der neu gegründeten Societä PatrioticaΡ Darin berichtet der beständige Sekretär der Gesellschaft dem Oberintendanten für die Landwirtschaft in den Staaten der Republik Venedig über die erste feierliche Sitzung, auf der unter anderem der Minister Conte Carlo di Firmian der Eröffnungsrede des berühmten Präsidenten Pietro Verri beiwohnte. Dieser hatte in seiner Ansprache vor allem den Anspruch der Gesellschaft unterstrichen, mit ihrer Tätigkeit zur Verbreitung und Vervollkommnung der Landwirtschaft, des Handwerks sowie der nützlichen wissenschaftlichen Disziplinen beizutragen und dieses Ziel unter anderem durch die jährliche Ausschreibung von Preisfragen zu erreichen. Zudem hatte Verri es nicht versäumt, auf die Autoritäten hinzuweisen, denen die Societä Patriotica ihre Existenz verdankte: der Kaiserin Maria Teresia und dem einflußreichen Berater Wenzel Anton Fürst von Kaunitz-Rietberg. 38 In den Jahren 1778 bis 1797 hat die Societä Patriotica di Milano insgesamt 38 Preisaufgaben gestellt. Thematisch sind diese, entsprechend den Costituzioni della Societä Patriotica di Milano39 in den Gebieten Landwirtschaft, Handwerk, praktische Ökonomie - vor allem im Manufakturwesen - , Veterinär- und praktische Medizin angesiedelt. Dem Paragraphen XV der Costituzioni entsprechend, unterschied die Societä Patriotica drei Arten von Preisen. Zum einen wurden jährlich drei Preise im Bereich der Landwirtschaft und des Handwerks für eine schriftliche Arbeit zu den gestellten Preisaufgaben verliehen. Daneben vergab die Gesellschaft Preise fur besonders herausragende Beispiele von Anpflanzungen oder die Präsentation neuer Modelle und Maschinen. Auch in diesem Bereich ging die jeweilige thematische Anregung von der Gesellschaft aus. Eine dritte Art von Preisen wurde für zweckmäßige Neuerungen aller Art vergeben, die nicht auf eine Initiative der Societä zurückgingen und deren Themenbereich in keiner Weise festgelegt war. Gerade hier zeigt sich die starke praktische Orientierung auch in der Art und Weise der Preisvergabe und in der häufigen Wiederholung einer Preisfrage. Dabei wurde das ausgesetzte Preisgeld oft nur zu einem Teil für interessante Überlegungen oder

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Lettera pel Signor Francesco Griselini Segretario Perpetuo della Societä Patriotica di Milano, al Signor Giovanni Arduino Soprantendente alle Cose Agrarie negli Stati della Serenissima Repubblica di Venezia, in: Nuovo Giornale d'Italia, 21. Febbraro 1778, S. 241-243. Die von Pietro Verri vorgestellte Programmatik der Societä Patriotica verweist mit den proklamierten Zielen eindeutig auf die Eingliederung in die Reihe der patriotischen und gemeinnützigen Gesellschaften. Vgl. zum Typus derselben vor allem: Deutsche patriotische und gemeinnützige Gesellschaften. Hg. v. Rudolf Vierhaus. München 1980 (Wolfenbütteler Forschungen 8). Costituzioni della Societä Patriotica di Milano. s.l. s.a. / Biblioteca Nazionale Braidense, Milano. Mise. 1161/8.

Die Preisfragen

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Neuerungen vergeben und stets ein Anteil des Preisgeldes für immer noch zu erwartende zufriedenstellendere Lösungen der Preisaufgabe zurückbehalten. Satzungsgemäß waren die ortsansässigen Mitglieder der Gesellschaft von der Teilnahme an den Preisfragen ausgeschlossen. Nur für die Preise des ersten Typs auf eine konkrete Preisfrage eingereichte schriftliche Abhandlungen - war auch ausländischen Teilnehmern die Beteiligung am Wettbewerb gestattet.40 Die Schriften mußten in italienischer, lateinischer oder französischer Sprache abgefaßt werden.41 Bei den beiden Preisen des anderen Typs - konkrete innovative handwerkliche Leistungen - war die Teilnahme auf Bewerber italienischer Nationalität sowie in den italienischen Staaten ansässige Bewerber beschränkt. Auffallend ist bei der Societä Patriotica der hohe Anteil nicht gelöster Preisaufgaben. So wurde für ein Drittel der gestellten landwirtschaftlichen Fragen kein Preis vergeben. Hierzu gehören Themenstellungen wie 1782 nach der besten Art und Weise, das Getreide zu dreschen, 1785 zur Beschreibung von Käfern und anderen Pflanzenschädlingen, 1787 zur Bearbeitung von Hanf und Leinen wie auch zur Pflege von Bienenstöcken, 1789 zur Weinherstellung und Weinlagerung sowie 1790 zur Errichtung von Wind- und Wassermühlen. Für diese Fragen finden sich in den relevanten Zeitschriften, die der öffentlichen Ausschreibung der Preisaufgaben dienten, einige Hinweise auf anonyme Preisbewerbungen, die jedoch für eine Preisvergabe als nicht ausreichend erachtet wurden. 42 40

41 42

Die Durchsicht der Quellen in Hinblick auf eine Beteiligung ausländischer Preisbewerber bei der Societä Patriotica hat hierfür keinen Hinweis erbracht. Infolge der Anonymität der Verfasser kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß eine solche Beteiligung stattfand. Nuovo Giornale d'Italia, 2/1778, S. 400. Als Beispiel seien im folgenden die Beschreibungen der Lösungsvorschläge für die Frage nach der besten Methode, das Korn zu dreschen und für die Frage nach der Aufbereitung der Leinen· und Hanffasem für die Webereien genannt: „II secondo era = Qual'e il metodo di battere il grano piü economico, e meno incomodo ai contadini, ed alle bestie? Fra i molti modelli e disegni, accompagnati dalle rispettive memorie e descrizioni, presentati alla Societä a scioglimento di tal quesito, essa, dopo averne anche fatti eseguire in grande e sperimentati quelli che le parvero i migliori, non ne ha trovato alcuno che soggetto non fosse agl'inconvenienti di soverchia spesa, d'esigere troppe tenue effetto. Pertanto persuasa non meno della possibilitä, che della difficoltä di ritrovare per tal oggetto un metodo prefiribile a quelle de' correggiati e de' rotoli, propone il medesimo premio di 50. zecchini per un tempo indeterminate.", in: Nuovo Giornale d'Italia. 8 (1784), S. 173 „Chiese altresi = Qual e il miglior metodo di preparare il lino e Ί canape, e le rispettive loro stoppe, sicche acquistino finezza, bianchezza e facilitä ad esser piü finamente filati =. II premio era di cinquanta zecchini. De' varj metodi indicati da' concorrenti niuno se n'e riconosciuto veramente economico.", in: Opusculi scelti sulle scienze e sulle arti tratti dagli atti delle accademie, e dalle altre collezioni fllosofiche e letterarie, dalle opere piü recenti inglesi, tedesche, francesi, latine e italiane e da manoscritti originali e inediti. 10 (1787), S. 28.

„Chiese altresi = Qual e il miglior metodo di preparare il lino e Ί canape, e le rispettive loro steppe sicche acquistino finezza, bianchezza, e facilitä ad esser piü finamente filati. = II premio era di cinquanta zecchini. Un solo e concorso, e a tenore del Programma si e fatto conoscere per fare gli sperimenti alla presenza de' Socj Delegati; ma in parte per la costruzione delle macchine a tal oggetto da lui preposte, e in parte per la stagione avanzata, non si sono gli

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Die von der Societä Patriotica ausgezeichneten Preisträger sind in der Mehrzahl ortsansässige oder in der Region beheimatete Handwerker, Mediziner oder Besitzer von Ländereien. Nur in einigen wenigen Fällen war die Preisvergabe Auslöser für eine spätere überregionale und teilweise auch internationale Bekanntheit. So erhielt beispielsweise Luigi Sacco (1769-1836), dessen medizinische Abhandlungen zur Notwendigkeit und Nützlichkeit der Impfung Anfang des 19. Jahrhunderts ins Deutsche übersetzt wurden, im Jahre 1796 einen Preis für die Beschreibung pflanzenschädlicher Insekten und Käfer. Francesco Marabelli, dessen botanisch-pharmazeutische Arbeiten zur Armenapotheke nach der Preisverleihung des Jahres 1790 auch publiziert wurden, avancierte später zum korrespondierenden Mitglied der Accademia di scienze, lettere ed arti in Padua. Ähnlich verlief die akademische Karriere des Geologen und Mineralogen Ermenegildo Pini, der 1780 den Preis für den Nachweis von Ton- und Lehmvorkommen in der Mailänder Umgebung, welche für die Keramikproduktion nutzbar zu machen waren, erhielt; auch er wurde später Mitglied der Accademia di scienze, lettere ed arti in Padua. Giambattista Palletta erhielt nicht nur 1778 einen Preis der Mailänder Societä Patriotica, sondern wurde 1780 Accessit-Gewinner bei der Reale Accademia delle Scienze e Belle-lettere zu Mantua für seine Abhandlung über die Anwendung der Stickluft in der Medizin. Pietro Caronelli erhielt 1788 den Preis für die Beantwortung der Frage nach der Vermehrung von Weinreben durch Absenker oder Setzlinge. Der Präsident der Societä d'Agricoltura in Conegliano kann sicher als bekanntester Zeitgenosse unter den Mailänder Preisträgern angesehen werden. In der Mehrzahl der Fälle wurde das Preisgeld jedoch an Praktiker und Handwerker verliehen, die aus den Erfahrungen ihrer alltäglichen Tätigkeit heraus die Aufgaben beantworteten und für die der Gewinn des Preises anscheinend nicht zu bemerkenswerten Veränderungen ihres alltäglichen Lebens, etwa zur Aufnahme in andere Sozietäten oder gar Akademien, führte. Als Beispiel seien hier nur stellvertretend der Ingenieur Stefano Calvi, dessen Abhandlung zur Beschreibung und zur Angabe der Nutzungsmöglichkeiten des Heidelandes in der Lombardei im Jahre 1790 einen Preis erhielt, und Carlo Bonanome aus Lecco genannt, der sich im Jahre 1788 mit Giuseppe Calderini das Preisgeld für die ertragreichste Anpflanzung von Kartoffeln teilte und im Jahre 1796 einen Preis für eine neue Art von Spindeln in seiner Weberei erhielt. Inmitten all dieser landwirtschaftlichen und handwerklich-praktischen Fragestellungen der Societä Patriotica mag sich die erstmals im Jahre 1785 durch eine Stiftung des Conte Bettoni erfolgende Preisfragenstellung nach 25 Novellen zur moralischen Erziehung der Jugendlichen auf den ersten Blick etwas seltsam ausnehmen. Bereits im Jahre 1776 hatte Carlo Bettoni bei den öffentlichen Schulen der Region Brescia einen Preis von 100 Zechinen für die Abfassung von 25 wahrsperimenti potuti compiere ancora, onde rilevarne con sicurezza il risultato; e perciö non si ripropone per ora il Quesito.", ebd. 11 (1788), S. 27f.

Die Preisfragen

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haftigen Novellen gestiftet, welche der Erziehung der Kinder zur Nächstenliebe, zur Vaterlandsliebe und zur Achtung vor der Wahrheit und der Tugend dienen sollten.43 Den Preis hatten in diesem Wettbewerb Francesco Soave und Girolamo Padovani erhalten. Soave, der bereits im Jahre 1771 das Accessit der Berliner Akademie in der Frage nach dem Sprachursprung gewonnen hatte, übte nun im Wettbewerb der Mailänder Societa Patriotica gemeinsam mit Giuseppe Parini und Giuseppe Maria Raccagni die Funktion des Preisrichters aus. Die Preisvergabe erfolgte sukzessive mit jeweils 4 Zechinen für eine positiv bewertete Erzählung. Da die Zahl von 25 Erzählungen bis zum Jahre 1795 durch die prämierten Preisträger Annibale Parea und Luigi Bramieri noch nicht erreicht war, vergab die Gesellschaft abschließend aus eigenen Mitteln einen Preis in Höhe von 24 goldenen Zechinen an Gaetano Giuseppe Perego, der Märchen zur moralischen Erziehung der Jugend verfaßt hatte. Sowohl die in Brescia preisgekrönten Novellen von Francesco Soave als auch die Erzählungen der Mailänder Preisträger Annibale Parea und Luigi Bramieri haben in Folge große Popularität erlangt. Sie wurden unter anderem mehrmals in Avignon verlegt, wobei diese Ausgabe im Untertitel auf das didaktische Anliegen des Sprachenlernens verwies. Die in Augsburg 1788 erschienene zweisprachige Ausgabe der Novellen durch Johann Jakob Schaz verfolgt ebenfalls das Ziel des Sprachstudiums. Bemerkenswert ist hierbei jedoch, daß der Übersetzer und Herausgeber Hinweise auf den in Deutschland doch eigentlich bekannten Autor Francesco Soave unterläßt.44

„Esporre in venticinque Novellette, ο vere ο tratte dal verisimile le primarie virtü pratiche, le quali formino quasi un corso di Morale Filosofia. Tra queste dovrä spiccare singolarmente l'amore de'nostri simili, per nodire un certo entusiasmo per tutto ciö che tende a sollevare e render felici gli uomini, e all'opposto Pawersione, e Porrore per tutto ciö che tende ad opprimerli, e a renderli in qualunque modo infelici. Vi dovrä pure aver luogo quella prudenza regolatrice dell'uman vivere, per cui l'uomo avezzandosi di buon'ora a mettere tra loro a confronto, e a pesare i beni e i mali, e a sempre determinarsi nell'operare a seconda della maggior somma di quelli, e della minore di questi, viene a comporre colla privata la pubblica felicitä. Queste novelle devono essere adattate alla capacitä di giovanetti dagli otto in circa fino ai dodici ο quattordici anni. Saranno scritte in purgatissima Lingua Italiana, piacevoli, spiritose, sparse di tratti vivi ed animati, e di patetiche immagini, atte in somma a dilettare gli animi dei giovanetti, ad infiammarli della virtü, e ad arricchire la mente d'idee adequate e proficue, la lingua di espressioni proprie ed eleganti, e il cuore di utili e generosi sentimenti. Sapranno i Concorrenti se per muovere piü facilmente l'animo de'fanciulli convenga meglio, che le persone introdotte nelle istorielle sieno della tenera etä loro piuttosto che di un'etä provetta." Vgl. Francesco Soave, Memorie intorno alia vita del Conte Carlo Bettoni, in: ders. Novelle morali di Francesco Soave, ad uso della Gioventü, nuova edizione, Accresciuta delle Novelle morali di A. Parea e di L. Bramieri, - di otto Novelle di Autore incerto, - e delle memorie intorno alia Vita del Conte Carlo Bettoni nelle quale si sono accentate tutte le voci, per facilitar agli Stranieri il modo d'imparare la prosodia della lingua Italiana. Avignone 1812. 44

Sammlung neuer moralischer wahrhafter und lehrreicher Begebenheiten in italiänischer Sprache verfaßt, mit deutschen Anmerkungen und notwendigen Erläuterungen versehen, zum Nutzen der deutschen Jugend, die sich in solcher Sprache zu üben gedenkt, eingerichtet und ans Licht gestellt von Johann Jakob Schaz. Augsburg: Conrad Heinrich Stage, 1788.

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Trotz des sichtlich regional begrenzten Wirkungsradius der Societä Patriotica, der schon an der begrenzten Popularität der Societä innerhalb der italienischen Staaten deutlich wird, sollte die Effizienz ihres Wirkens für Verbesserungen in der regionalen Landwirtschaft sicher nicht unterschätzt werden; zumal das erklärte Gründungsideal nicht auf eine weitere Bekanntheit oder einen größeren Einflußkreis abzielte, sondern nutzdienliche Veränderungen und Verbesserungen vor Ort avisierte.

3.

Die soziale Dimension des akademischen Preisverfahrens

Die hier mit drei Beispielen exemplifizierten Aktivitäten von konstitutionell unterschiedlichen Akademien und Gesellschaften zeigen, daß Verbindungen zwischen diesen vor allem über ein personelles Netzwerk bestanden, dessen Protagonisten während des betrachteten Zeitraumes aufgrund thematischer Parallelen im Spektrum der gestellten Preisfragen oder aufgrund vielfältiger thematischer Interessen innerhalb dieser Form akademischer Betätigung teils als Preisstifter, als Preisbewerber oder Preisträger in Erscheinung traten. Einige ausgewählte Beispiele fur diese Art von „Sozietätskarrieren" 45 sollen im Folgenden vorgestellt werden. Dabei wird zu berücksichtigen sein, inwiefern die Teilnahme am Preisverfahren, insbesondere die Prämierung oder das Accessit, den Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des sozialen Raums der Gelehrtenwelt oder dem Prestigegewinn zuträglich sein konnten. Eine der herausragendsten Figuren unter den Personen, welche die norditalienische Akademienlandschaft mit ihrem Wirken geprägt haben, ist sicher der Conte Carlo Bettoni. 1725 als achtzehntes Kind einer adligen Familie in Bogliaco am Lago di Garda geboren, interessiert er sich früh fur die Führung der familiären Geschäfte und die Verwaltung der Ländereien. Zeit seines Lebens war Bettoni eng mit der Accademia di Agricoltura di Brescia, der von ihm 1768 gegründeten Accademia Unanime Agraria di Said, der Accademia d'Agricoltura di Verona, der Accademia di Scienze, lettere ed Arti di Padova und der Societä Patriotica di Milano verbunden. Bei der Accademia di Agricoltura di Brescia, zu deren Mitbegründern er im Jahre 1768 zählte, stiftete er in den Jahren 1773, 1774 und 1778 drei landwirtschaftliche Preise. Allerdings fanden die aufgegebenen Preisfragen zu Düngemit45

Der Begriff der Sozietätskarriere wurde von Holger Zaunstöck in seiner Dissertation Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert. Tübingen 1999 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 9) geprägt. Vgl. insbesondere S. 226ff., wo Zaunstöck den Begriff anhand der Mitgliedschaften in Gelehrten Gesellschaften, Akademien und arkanen Sozietäten erläutert. In Anlehnung daran soll die Begrifflichkeit hier um die „Karriere" bei der Teilnahme an Preiswettbewerben der Akademien und Sozietäten ergänzt werden.

Die Preisfragen

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teln (1773), zur Verbesserung der Landwirtschaft in der Region Brescia (1774) und zur Erhöhung der Viehbestände durch Verbesserung der Futtermittel (1778) keine ausreichende Beantwortung, so daß das ausgesetzte Preisgeld nie vergeben wurde. Mit Bezug auf sein im Jahre 1778 veröffentlichtes Progetto per preservare i gelsi dalla correnta epidemica mortalitä; e per aumentarne l 'entrata riprodotto con nuove sperienze ed osservazioni46 setzte er 1772 bei der Accademia d'Agricoltura di Verona einen Preis in Höhe von 50 Zechinen aus, der demjenigen zuerkannt werden sollte, welcher die von ihm dargelegte Methode zur Behandlung der Krankheiten von Maulbeerbäumen beweisen oder widerlegen könne. Doch auch diese Frage wurde, trotz einer erneuten Ausschreibung in den Jahren 1778 und 1784 nie derart beantwortet, daß eine Vergabe des Preises berechtigt erschien.47 Neben dem ausgesprochenen Interesse fur die Probleme der Landwirtschaft, zu deren Lösung er auch selbst zahlreiche Beiträge lieferte,48 stiftete Bettoni - außer den bereits erwähnten Preisen für je 25 Novellen bei den öffentlichen Schulen der Region Brescia und bei der Societä Patriotica di Milano - der Akademie in Padua einen Preis in Höhe von 100 Zechinen für eine Abhandlung, welche die besten Mittel aufzeige, um bei jenen Jugendlichen, die aufgrund ihrer Eignung oder ihres Besitzes öffentliche Macht ausüben werden, die seelische Erziehung zum Guten zu befördern. 49

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Progetto per preservare i gelsi dalla correnta epidemica mortalitä; e per aumentarne l 'entrata riprodotto con nuove sperienze ed osservazioni: del nob. Signor Co: Carlo Bettoni, Socio delle pubbliche Agrarie societä di Brescia, Verona e Padova; e dell' l.R. Accademia di Roveredo, ec. Venezia 1778. Vgl. Archivio dell'Accademia d'agricoltura di Verona, carteggio agosto 1778 lettera del conte Bettoni del 22 agosto. und Carlo Bettoni. Economia e cultura nella „Magnißca Patria" del XVIIIsecolo. Hg. v. Vittoria Zamboni. Brescia 1994, S. 129. Neben den bereits erwähnten Schriften veröffentlichte Bettoni weitere Abhandlungen zur Pflege der Maulbeerbäume und zur Seidenraupenzucht: Progetto per preservare i mori dalla corrente epidemia, aumentandone l'entrata. Brescia: Pietro Vescovi. 1776; Pensieri sui fornelli da seta. Brescia: Pietro Vescovi. 1777; Lstruzioni per ben filare la seta. Milano 1780; ebenso zu Fragen der Verbesserung der Landwirtschaft: Notizie esposte dal Signor Conte Carlo Bettoni a lume di chi [...J fosse al bujo in tale materia. Brescia: Giambattista Bossini. 1778; Nuovo ritrovato d'ingrassare il terreno [...] col mezzo della Galega, ο sia Ruta Capraria. Venezia: Antonio Bartoli. 1771; Nuove osservazioni e sperienze in aggiunta al suo Progetto [...] dirette al Signor Giovanni Arduino, Pubblico Soprintendente alle cose Agrarie ecc. Brescia: Pietro Vescovi, 1779; zu Fragen der Landschaftsgestaltung und -regulierung: Pensieri sul governo de' fiumi. Discorso diretto all'accademia d'agricoltura, commercio ed arti di Verona. Brescia: Pietro Vescovi. 1782; sowie zu allgemeinen technologischen Überlegungen: L'uomo volonte per aria, per acqua e per terra. Venezia: Vincenzo Formaleoni. 1784. Accademia di Scienze, lettere ed arti / Padova: Trovare i mezzi piü atti ad accendere e conservare la Passione del bene degli uomini nell'animo di que' giovani che dovranno un giomo esser potenti per autoritä ο per opulenza. Öffentliche Ausschreibungen der Preisfrage finden sich in: Antologia Romana. V (1781), S. 376, Opuscoli scelti [...]. IV (1781), S. 15f., Nuovo giornale d'Ltalia. VI (1782), S. 103. Ephemeriden der Menschheit oder Bibliothek der Sittenlehre, der Politik und der Gesetzgebung. 1 (1782); 2 (1784), S. 381.

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Als Carlo Bettoni am 31. Juli 1782 verstarb, setzte er die Akademie zu Padua als seine Erbin ein und übertrug ihr das Vermächtnis, einen Preis fur denjenigen auszuschreiben, der die besten und einfachsten Mittel anführe, welche zur Vervollkommnung der Erziehung von Männern und Frauen dienlich seien. Allerdings führte dieses Vermächtnis Bettonis zu einem Streit zwischen der Akademie und den Erben, der im Juli 1790 mit einem Vergleich beschlossen wurde. Die Akademie, welche ursprünglich das auf 200 000 venezianische Lire geschätzte Gesamterbe antreten sollte, erklärte sich mit einer auf 10 Jahre festgelegten jährlichen Zahlung von 7 000 Lire einverstanden. Man kann sich nur allzu leicht vorstellen, wie die Meinung des „Philanthropen" Carlo Bettoni, so nennt ihn Melchiorre Cesarotti in seinem Nachruf, der die Gemeinschaft durch die moralische Erziehung verbessern wollte und für den das Glück des Einzelnen nicht vom Glück der Gemeinschaft zu trennen war, zu diesem Streit ausgefallen wäre.50 Unter den 20 Einsendungen auf die Preisfrage der Akademie in Padua nach der moralischen Erziehung der Jugendlichen wählten die drei illustren Preisrichter Melchiorre Cesarotti," d e m e n t e Sibiliato52 und Simone Stratico53 den „Versuch über die Mittel, in den Herzen junger Leute, die zu hohen Würden oder zum Besitz großer Reichtümer bestimmt sind, Menschenliebe zu erwecken und zu unterhalten" des Neu-Ruppiner Schulmeisters Philipp Julius Lieberkühn als herausragendste aus. Peter Villaume (damals Pfarrer der französisch-reformierten Gemeinde in Halberstadt) und Johann Jakob Hottinger (Professor der Eloquenz im Oberen Kolleg zu Zürich) erhielten für ihre Abhandlungen jeweils ein Accessit.54 Zum breiten

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Vgl. Saggi scientißci e letterarj dell'Accademia di Padova. vol. 2 (1789), pag. XXXIIXXXIV. Melchiorre Cesarotti (1730-1808) war seit 1779 Sekretär der Classe delle belle lettere der Accademia di scienze, lettere ed arti in Padua. Ab 1786 hatte er den Lehrstuhl für Griechisch und Hebräisch an der Universität Padua inne. Cesarotti wurde vor allem durch seine OssianÜbersetzung, die Übertragung der Ilias und durch den Saggio sulla ßlosofia delle lingue bekannt, mit dem er sich innerhalb der questione della lingua gegen die Crusca positionierte. demente Sibiliato (1719-1795) wirkte seit 1760 als Professor der Beredsamkeit an der Universität in Padua. Im Jahre 1770 gewann er mit einer Abhandlung zu der Frage, ob die Dichtkunst das Staatswohl beeinflusse und in welcher Art sie Gegenstand der Politik sein könne, den Preis der Akademie in Padua. Simone Stratico war seit 1779 Sekretär der mathematischen Klasse an der Accademia di scienze, lettere ed arti in Padua. Dissertazioni approvate dall' accademia di scienze, lettere ed arti di Padova sopra il quesito: trovare i mezzi piit atti ad accendere e conservare la passione del bene degli uomini nell' animo di que' giovani, che dovranno un giorno esser potenti per autorita ο per opulenza. Padova, 1784. Enthält: Philipp Julius Lieberkühn, Essai sur la question proposee par l 'illustre Academie des sciences de Padoue, l'annee 1781. Queis sont les meilleurs moyens de faire naitre & d 'entretenir I 'amour de I 'humanite dans les coeurs des enfans destines a remplir des places distinguees, ou ä posseder de grandes richesses? ; Peter Villaume, Dissertation sur la moniere d'inspirer des sentimens d'humanite aux jeunes gens, qui s'attendent ä de grandes richesses, ou qui sont destines aux grandes charges; Johann Jakob Hottinger, De artibus quibus hominum olim potentium aut divitiorum animis instillandus & ad certam constantiae

Die Preisfragen

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internationalen Echo dieser Preisfragestellung haben die Wahl einer überregional bekannten und geachteten Akademie für die Preisfragenstellung als auch das soziale Prestige der Preisrichter sicherlich in erheblichem Maße beigetragen. Die Ausschreibung des Preisfragentextes in mehreren italienischen Zeitschriften wie auch in den Ephemeriden zog einen Kreis von Bewerbern an, der international ausgerichtet war und für den akademische Preiswettbewerbe bereits ein vertrautes Terrain waren. Der Accessit-Gewinner Hottinger setzte seine Ernte in den akademischen Gärten der europäischen Preisfragenlandschaft später fort: 1788 wurde er Preisträger der Kurfürstlichen Deutschen Gesellschaft zu Mannheim mit seiner Abhandlung zu der Frage Haben die Deutschen in einigen Gattungen der Dichtkunst und Beredsamkeit die Griechen und die Römer erreicht oder übertreffen!55 und errang im Jahre 1792 von der gleichen Gesellschaft den Preis für seine Abhandlung Von den Ursachen der Seltenheit classischer Prosaisten unter den Deutschen.56 Peter Villaume, der sich 1784 erfolglos mit einer Abhandlung zur Frage der Universalität des Französischen beworben hatte, wurde im Jahre 1787 Preisträger der Berliner Akademie in der Frage nach den Grenzen der elterlichen Gewalt 57 und erhielt im selben Jahr den von der Dessauischen Schulverordnung ausgesetzten Preis auf die Frage Ob der Staat ein Recht hat, über Erziehung zu gebieten? Wem erziehet man den Menschen? Ihm selbst, oder dem Staate?58 Für seine Abhandlung zu der im Jahre 1788, also vor der Revolution, veröffentlichten Preisfrage der Societe Royale in Metz Quels sont les moyens conciliables avec la legislation franqoise d'animer, d'etendre lepatriotisme dans le tiers etat wurde er im Jahre 1790, nach dem Sturm auf die Bastille, ausgezeichnet. 59 Seine Einsen-

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firmitatem educendus videatur humanitatis sensus ad inlustrem. Academiae litterarum atque artium quae Patavii floret consessum Disputatio. Hottinger reichte bei der Mannheimer Gesellschaft ein Manuskript mit der Devise: Audire videor undique congerentes nomina plurimorum poetarum. Quid? Herculis acta non bene Pisandros? Quid Nicandrum frustra fecuti Macer atque Virgilius? Quid? Euphorionem transibimus? — Non ignoro, quos transeo, nec utique damno, fed ad illos jam perfectis constitutisque viribus revertemur. Quintiliani Instit. or. X.I. ein; vgl. Journal von und für Deutschland, Jul.-Dez. (1788), S. 65. Johann Jakob Hottinger, Von den Ursachen der Seltenheit classischer Prosaisten unter den Deutschen, in: Zürcherische Beyträge zur wissenschaftlichen und geselligen Unterhaltung. vol. 3 / 1 (1816), S. 3-49. Academie des sciences et belles-lettres / Berlin: Quels sont dans Γ etat de nature les fondemens et les bornes de l'autorite des parens sur les enfans? Y a-t-il de la difference entre les droits du pere et ceux de la mere? Jusqu'ä quel point les loix peuvent-elles etendre ou limiter cette autorite? Neben Villaume bewarben sich Pierre Daunou und Hanns Emst von Globig um den Preis. Das Accessit erhielt Claude Francois. Vgl. Peter Villaume, Anmerkung über die Frage: Ob der Staat sich in Erziehung mischen soll? In: Braunschweigisches Journal, 8. Stück (1788), S. 390-404 und 9. Stück (1788), S. 7-24. Vgl. Deutsches Biographisches Archiv, Eintrag Peter Villaume.

Christine

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Damis

d u n g e i n e r A b h a n d l u n g z u der 1791 w i e d e r u m in Padua g e s t e l l t e n P r e i s a u f g a b e n a c h der H a n d e l s f r e i h e i t w a r nicht e r f o l g r e i c h . 6 0

4.

Netzwerke, Kommunikationsbereiche und thematische Schnittstellen

D a ß s i c h p e r s ö n l i c h e K o n t a k t e z w i s c h e n E i n z e l p e r s o n e n über w e n i g e n a c h w e i s e n l a s s e n , hat 1 9 9 9 e i n v o n der W o c h e n z e i t u n g DIE ZEIT

Schritte

vorgeführtes

E x p e r i m e n t v e r a n s c h a u l i c h t , das in nur s i e b e n Schritten d i e B e k a n n t s c h a f t e i n e s B e r l i n e r F a l a f e l v e r k ä u f e r s mit M a r l o n B r a n d o n a c h g e w i e s e n hatte. U n t e r d e m Eindruck der L e i c h t i g k e i t d i e s e s U n t e r f a n g e n s b l i e b j e d o c h die Frage n a c h d e n tatsächlichen

Gemeinsamkeiten

zwischen

dem

Imbißbudenbesitzer

und

dem

S c h a u s p i e l e r unberührt. 6 1 M i t d e n a n g e s p r o c h e n e n B e i s p i e l e n v o n V e r k n ü p f u n g e n i m P r e i s f r a g e g e s c h e h e n italienischer u n d e i n i g e r d e u t s c h e r A k a d e m i e n u n d S o z i e täten ist d e u t l i c h g e w o r d e n , d a ß e i n N e t z w e r k der gelehrten K o m m u n i k a t i o n nicht allein aus der Kontinuität u n d Aktivität g l e i c h e r P e r s o n e n an v e r s c h i e d e n e n Orten entsteht, s o n d e r n daß e s i m m e r a u c h e i n e r Kontinuität, V e r k n ü p f u n g u n d k o n junkturellen Favorisierung v o n Ideen, Interessen u n d T h e m e n s t e l l u n g e n bedarf, d i e das M o t i v für d i e B e t e i l i g u n g e i n z e l n e r P e r s o n e n a m a k a d e m i s c h e n P r e i s f r a g e g e s c h e h e n in u n t e r s c h i e d l i c h e n Orten E u r o p a s b i l d e n . A l l e i n die ü b l i c h e n B e z i e h u n gen v o n Akademien und Sozietäten z u m Z w e c k e des Schriftenaustauschs - auf die hier nicht e i n g e g a n g e n w u r d e - v e r w e i s e n n o c h nicht darauf, daß z w i s c h e n d i e s e n

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Accademia di Scienze, lettere ed arti / Padova: 1. Si ricerca se una piena assoluta e illimitata libertä d'importazione, esportazione, e circolazione di generi, e prodotti di natura ed arte possa riuscire generalmente vantaggiosa ad ogni stato: e se paragonando la totalitä degli effetti, gl'inconvenienti che potessero risultarne siano piü ο meno considerabili dei vantaggi opposti. 2. In caso che questa indefinita libertä non si trovasse indistintamente utile a tutti i Governi, si doraanda quali sieno i principj generali da seguirsi nelle modificazioni e restrizioni che dovessero apporvisi, secondo i caratteri, e le condizioni fisiche e politiche de'varj Stati. Neben Villaume bewarben sich nachweislich Giovanni Battista d'Arco, Giuseppe Emanuele Torre und Francesco Silesio um das günstigste Votum der Preisrichter Matteo Franzoja, Antonio Gardin, Francesco Maria Colle, Roculini und Alessandro Barca. Eine Preisvergabe ist nicht eindeutig nachweisbar. Im Archiv der Akademie zu Padua befinden sich heute 21 Manuskripte zu dieser Preisfrage, die überwiegend anonym sind. Vgl. auch Peter Villaume, Abhandlung über die Preisfrage der Akademie zu Padua von der Freiheit der Handlung, in: ders., Vermischte Abhandlungen. Faksimile [d. Ausg.] Berlin 1793. Königstein / Ts. 1981. S. 1-128. Vgl. DIE ZEIT in den Ausgaben 20 /1999 bis 44 /1999. „[...] daß zwei beliebige Bewohner der Erde nicht mehr als sechs Freunde von einander entfernt seien. Man könnte behaupten, daß es eine Art von Internet schon gab, bevor jeder ein Modem hatte. Menschen sind nicht nur durch Glasfaserkabel miteinander verbunden, sondern auch durch Freundschaften und Bekanntschaften: Zwischen Ihnen und jedem beliebigen anderen Menschen auf der Welt - dem Papst, der Frau neben Ihnen im Flugzeug, einem chinesischen Bambusflötenschnitzer, Slobodan Milocevic oder eben Marlon Brando - stünde nach dieser Theorie maximal eine Kette von sechs Leuten, die sich jeweils kennen."; Heike Faller, Sind Sie eigentlich auch mit Marlon Brando befreundet?, in: Die Zeit, Nr. 20 /1999.

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auch ein aktiver Ideenaustausch stattgefunden hat. Bei dem in der letzten Zeit etwas inflationär bemühten Terminus des „Netzwerks" scheint darüber hinaus Vorsicht geboten, da er meiner Ansicht nach eher für eine zwischen den einzelnen Akademien, Gesellschaften und arkanen Sozietäten stärker auf konkreter Absprache beruhende, intentionale Aufteilung von Tätigkeitsfeldern bezogen werden sollte. Ebensowenig wie das von der ZEIT vorgeführte Experiment einem Selbstzweck diente (es ging um den praktischen Nachweis einer These der Kommunikationswissenschaften und darum, die oft aberwitzigen Windungen zwischen den einzelnen Bekanntschaften zu zeigen), war auch die Kommunikation unter den Gelehrten des 18. Jahrhunderts natürlich nicht frei von Intentionen. Die Einsendung einer Schrift, mit der man sich um den von einer Sozietät oder Akademie ausgesetzten Preis bewarb, war neben dem aufklärerischen Ziel, die Erkenntnisse und das Wissen zu mehren, mit der Hoffnung verbunden, den Preis auch zu gewinnen und durch die damit verbundene Popularität, je nach regionaler oder internationaler Breitenwirkung der Institution, soziales Prestige zu erlangen und vielleicht sogar Mitglied einer Akademie zu werden. Die hierfür genannten Beispiele illustrieren aber auch, daß personelle Kontinuitäten ohne ein Netzwerk gleichartiger Ideen oder Fragestellungen kaum denkbar sind. Der Nachweis der Verbindung eines bestimmten Personenkreises innerhalb eines institutionellen Netzes muß, wenn er über die bloße Nennung von Namen und Orten hinaus aussagekräftig sein soll, notwendigerweise um die Perspektive der thematischen Kontinuitäten und des Austauschs von Ideen ergänzt werden.

Anhang: Die Preisschriften der drei behandelten Gesellschaften Preisschriften der Accademia Napoleone, Lucca Classe delle Belle lettere 1806: Carmignani, Giovanni. Dissertazione Accademica sulle Tragedie di Vittorio Alfteri dell'avvocato Giovanni Carmignani, professore nella universitä di Pisa. Coronata dall 'accademia Napoleone di Lucca il 18 maggio 1806. Firenze 2 1807. [Der Autor erhielt den Preis.] Carmignani, Giovanni. Dissertazione critica sulle tragedie di Vittorio Alfieri. Pisa 21822. Decoureil, Giovanni Salvatore. Memoria del Sig. Gio. Salvatore de Coureil che ha ottenuto l'accessit. in: Atti della solenne Adunnaza dell 'Accademia Napoleone in occasione di celebrarsi il giorno di nascitä di sua altessa serenissima il principe Feiice Primo il di 18 maggio 1806. Lucca 1806, S. I-LVIII. [Der Autor erhielt das Accessit.] Economia politica 1806: Moscheni, Domenico Luigi. Devise: res negociosa difficilis, in qua multum sit negotii. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Poesia 1806: Decoureil, Giovanni Salvatore. Carme Secolare per il secolo decimono. in: Atti della solenne Adunanza dell'Accademia Napoleone in occasione di celebrarsi il giorno di nascitä di sua

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Altezza Imperiale la Principessa Elisa il di 3 gennaio 1806. Lucca 1806, S. 25-32. [Der Autor erhielt den Preis.] Calimeri, Teofilo. Ode relativa alle vittorie di S.M. l'imperatore de' Francesi e re d'Italia. ebd. S.33-38. [Der Autor erhielt das Accessit.] Economia politica 1807: Moscheni, Domenico Luigi. Delle Arti e Manifatture lucchesi Memoria presentata all'accademia Napoleone di Lucca per il concorso alpremio di Economia politica dell'anno 1807, e dalla medesima onorata dell'accessit nella sua seduta del 18 maggio dell'anno medesimo. Lucca s.a. [Der Autor erhielt das Accessit.] Devise: Accipe qua ratione auas ditescire. Horat. Ms. nicht nachgewiesen. [Der anonyme Autor bewarb sich um den Preis.] Poesia 1807: Stay di Ragusa, Giovanni [Rosini. Giovanni]. Devise: Forse avverra che L'animosa penna ose scrivere di te quel che or ne accenna. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor erhielt das Accessit.] Poesia 1808: Stay di Ragusa, Antonio Giovanni [Rosini, Giovanni]. I Vaticinj del Secolo XIX. Canzone del Sig. Gio. Antonio Stay premiata nel Concorso di Poesia dall'Accademia Napoleone in Occasione di celebrarsi il giorno di nascitä di sua Altezza Imperiale la Principessa Elisa il di 3 gennaio 1808. Pisa s.a. [Der Autor erhielt den Preis.] Classe delle Belle lettere 1808: Carmignani, Giovanni. Dissertazione critica sulle Traduzioni, coronata dall'Accademia Napoleone. in: Atti della Accademia italiana. 1(1808). S. 263-354. [Der Autor erhielt den Preis.] Decoureil, Giovanni Salvatore. Ragionamento accademico sopra le traduzioni. in: ders. Opere. Livomo 1819, Bd. 5, S. 251-327. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Poesia 1811: Moscheni, Costanza. II Castruccio. Devise: in magnis voluisse sat est. Ms. nicht nachgewiesen. [Die Autorin erhielt den Preis.] Benedetti, Francesco. II Telegone. Devise: Carmine qui tragico certavit. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor erhielt das Accessit.] Architettura 1812 Pellicier, Francesco. Devise: In modum Provinciarum extracta lavora. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor erhielt das Accessit.] Devise: Desio d'onor mi spinse. Ms. nicht nachgewiesen. [Der anonyme Autor bewarb sich um den Preis.] Classe delle Belle lettere 1812: Schedoni, Pietro. Assegnare quali sieno i pregi ο i difetti del Panegirico di Plinio a Trajano, Ε svolgere le cagioni α quell 'epoca della decadenza della Romana facondia. Memoria di Pietro Schedoni, onorata nel 1812 di premio dall'Accademia Napoleone di Lucca. Modena 1812. [Der Autor erhielt das Accessit.] Architettura 1813: Devise: Di natura arte par che per diletto I 'imitatrice sua scherzando imiti. Ms. nicht nachgewiesen. [Der anonyme Autor bewarb sich um den Preis.]

Die Preisfragen

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Devise: Ingenium studio si non amatur hebescit. Ms. nicht nachgewiesen. [Der anonyme Autor bewarb sich um den Preis.] Classe delle Belle lettere 1813: Lucchesini, Cesare. Deila illustrazione delle lingue antiche e moderne e principalmente dell'italiana procurata nel secolo XVIII dagli italinani, ragionamento storico e critico. 2 Bde. Lucca 1819. [Der Autor erhielt den Preis] Lucchesini, Cesare. Deila illustrazione delle lingue antiche e moderne e principalmente dell'italiana procurata nel secolo XVIII dagli italinani, ragionamento storico e critico. 2. Auflage. Lucca 1826. Lucchesini, Cesare. Deila illustrazione delle lingue antiche e moderne e principalmente dell'italiana procurata nel secolo XVIII dagli italinani, ragionamento storico e critico. 3. Auflage. Lucca 1832. Poesia 1813: Cavelli, Giovanni. La felicitä Campestre. Devise: Beatus ille qui procul negatus. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor hat das Accessit erhalten], Scienze 1813: Prato, Anselmo. Memoria coronata dall'Accademia Napoleone il 18 maggio 1813 e pubblicata con un discorso preliminare da Giacomo Franceschi. Lucca s.a. [Der Autor erhielt den Preis.]

Preisschriften der Accademia di agricoltura, scienze e lettere di Verona Preisfrage 1770: Betti, Zaccaria. Dissertazione del Nobile Signor Conte Zaccaria Betti. Segretario Perpertuo della Pubblica Accademia di Agricoltura Arti e Commercio di Verona coronata il di 16 marzo 1771. Parte presa nella pubblica Accademia di Agricoltura Arti e Commercio di Verona il giomo 17 Settembre 1770. Venezia 1790. [Der Autor erhielt den Preis.] Betti, Zaccaria. Della moltiplicazione de' buoi nel territorio Veronese. Verona 1771. Progetto per la moltiplicazione dei buoi. in: Raccolta di memorie delle pubbliche Accademie di Agricoltura, Arti, e Commercio dello Stato Veneto. Venezia 1789, S. 191-203. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Preisfrage 1771: Zeviani, Giovanni Verardo. Deila moltiplicazione delle legne nel territorio Veronese con l'Arte di fare il Carbone. in: Raccolta di memorie delle pubbliche Accademie di Agricoltura, Arti, e Commercio dello Stato Veneto. Venezia 1792, Bd. IV, S. 73-103. [Der Autor erhielt den Preis.] Zeviani, Giovanni Verardo Deila moltiplicazione delle legne nel territorio Veronese con I'arte di far carbone. Verona 1792. Su la penuria delle legne e sul modo di ripararvi. Devise: Principis arboribus varia est natura. Ms. XI.2 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Sulla scarsezza delle legne e sul modo d'aumentarle. Devise: Fluminibus salices crassisq[ue], paludibus alni nascuntur; steriles saxosis montibus orni. Georg, lib. Π. Ms. XI. 9 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Preisfrage 1772: Locatelli, M. Su la corrente malattia dei gelsi. in: Atti e Memorie dell'Accademia di agricoltura, commercio ed arti di Verona. Verona 1807. [Der Autor erhielt den Preis.] A quali cagioni attribuir se debba il morbo che presentemente accenna a distruggere le intiere file di mori; e quali siano i sintomi che lo accompagnano, gl 'indizi e i rimedi per prevenirlo.

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Devise: Conemur tarnen, si qua ratione possumus, mederi nobismet ipsis et domesticae subvenire calamitati. M.Tullii Cie. consol. Ms. XII. 15. AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Preisfrage 1774: Locatelli, M. Dei modi di riattare le strode del Veronese. Verona 1777. [Der Autor erhielt den Preis.] Preisfrage 1782: Gregis, Giannantonio. Su lo spaccio delle sete veronesi. Verona 1797. [Der Autor erhielt den Preis.] Devise: Cum esse quaestum in animus induxi maxumum / quam maxume servire vestris comodis. Terentius in Hecyra Prologo. Ms. XII.28 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Devise: Omnibus utilior morus, me judice, plantis - Frustus ille prosunt frondibus hec etiam. Ms. XI. 13 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Devise: Ne quis hoc me magis accusatorie quam libere discisse arbitretur. Cicer. IV in Verr. Ms. XI. 18 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] II modo di procurar un maggior esito, ed un piü grande consume della nostra seta. Ms. XI.20 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Devise: Proba merx facile emptorem reperit. Palut. Poen. 2.129. Ms. XII.27 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Preisfrage 1783: Quali providenze e quali allettamenti si potrebbero imaginare a persuadere Ii pastori montani a stazionare fuori delle pianure anche nell'inverno, con le loro pecore alimentate nelle stalle. Ms. XI.3 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Parere intorno alle Providenze per alimentäre le pecore nella stagione dello inverno nelle stalle alpine e colä dimorare tutto l'anno senza cangiare clima ne qualitä di pastura con la penalitä de' pastori e loro premio. Ms. ΧΠ. 17 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Quali provvidenze, e quali allettamenti si potrebbero imaginare α persuadere Ii pastori montani α stazionare fuori delle pianure anche nell'inverno con le loro pecore allimentate nelle stalle. Ms. ΧΠ.10 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Antonini, Giuseppe. Opuscolo sopra i comunali di Monte, in: Raccolta di memorie delle pubbliche Accademie di Agricoltura, Arti, e Commercio dello Stato Veneto. Venezia 1789, Bd. 1, S. 109-190. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Per quali premj, ο con quali penalitä facili da verifflearsi si potessero condurre i possessori ο comunisti a rimettere a prato ο a bosco Ii terreni svegrati contro il pubblico divieto: nonche a conservare quelli che restano ancora in essere. Devise: Conemur tarnen, si qua ratione possumus, mederi nobismet ipsis et domesticae subvenire calamitati. M.J.C. consol. Ms. XI.5 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Dissertazione sopra l'argomento che fu proposto per comando dell'Eccma: Deputazione all 'agricoltura il quale risguarda prmo. Quali provvidenze e quali allettamenti si potrebbero imaginare α persuadere Ii pastori Montani α stazionare fuori delle pianure anche nell 'Inverno con le loro pecore alimentate nelle stalle. Secdo. Ε per quali premj e con quali penalitä facili da verificarsi si potessero condurre i possessori a rimmettere α prato, ed a bosco Ii terreni svegrati contro il pubblico divieto, non che α conservare quelli che restano ancore in essere. Ms. XI. 10 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Preisfrage 1787: dal Toso, Alessandro. Deila utilitä delle pecore. Verona 1789. [Der Autor erhielt den Preis.] Castiglione, P. Devise·. P.K.C. Ms. ΧΠ.29 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.].

Die Preisfragen

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Per il proposto Argomento della pubblica Illustre Accademia di Agricoltura, Commercis ed Arti in Verona Alii 12 di Maggie MDCCLXXXVII Se in ogni territorio il mantenimento e la moltiplicazione di pecore terriere sia utile all'agricoltura e agli altri usi necessari alia vita; e se per tali oggetti siano piit utili le pecore montane, ο sia che soffrono alia stagione estiva il pascolo de' monti, ο le pecore gentili, che devono essere di continuo mantenuto alle pianure. Rispettoso Parere con I'applicazione del Moto Virgiliano [...] superat pars altera cure Lanigeros agitare greges - Hinc labor laudem fortes sperate coloni (Georg. III. 285) Ms. XI. 12 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Preisfrage 1790: Se giovi ο no tener le Arti unite in Corpi, con discipline, privilegi e contribuzioni al corpo; e quali siano i vantaggi e disavantaggi, tanto generarli, come particolari, respettivamente al commercio, alia nazione e al pubblico erario. Ms. ΧΠ.12 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Marogna. Governo delle Arti. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Arduino, Giovanni. Se giovi ο no tener le Arti unite in Corpi, con discipline. Ms. XII. 13 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Vivorio, Agostino. Sopra i corpi delle arti risposta ad un quesito accademico. Verona 1792. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Se giovi ο no tener le Arti unite in Corpi, con discipline, privilegi e contribuzioni al corpo; e quali siano i vantaggi e disavantaggi, tanto generali, come particolari, respettivamente al commercio, alia nazione e al pubblico orario. Ms. ΧΠ.8 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Se giovi ο no tener le Arti unite in Corpi, con discipline, privilegi e contribuzioni al corpo; e quali siano i vantaggi e disavantaggi, tanto generarli, come particolari, respettivamente al commercio, alla nazione e al pubblico orario. Ms. ΧΠ.9 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Preisfrage 1790: Ponzilacqua, Pietro. Istruzione in forma di dialogo sulla maniera di fare il nitro: dissertazione del sig. Pietro Ponzilacqua, che ha rimportato il premio indi il titolo di socio ordinario dall 'Accademia d 'agricoltura, commercio ed arti di Verona. Verona 1792. [Der Autor erhielt den Preis.] Sul progetto di rendere universale la fabbrica del Nitro, divisa in due parti, istruttiva e politico. Ms. XII. 14 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Preisfrage 1791: Comparoni, Jacopo. Sopra il modo di aumentare il bestiame nelle nostre contrade e sopra l 'arte di migliorar le lane nostrane. Salö 1803. [Der Autor erhielt den Preis.] Preisfrage 1792 Barbieri, Matteo. Trattato intorno alle terme di Caldiero. Verona 1795. [Der Autor erhielt den Preis.] Illustrazione delle terme di Caldiero nel distretto Veronese. Ms. XII.21 AA Verona. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Preisfrage 1795: Zeviani, Giovanni Verardo. II riso ed il giavone: dissertazione. Verona 1796. [Der Autor erhielt den Preis.] Preisfrage 1796: Tommaselli, Giuseppe. Devise: Laudato ingentia[...], Exiguum colito (Virgil Georg. A) Ms. 1.3 AA Verona. [Der Autor erhielt das Accessit.]

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Preisfrage 1796: Dei modi di bandire l'ozio, e di promuovere [Der Autor bewarb sich um den Preis.].

Preisschriften der Societä Patriotica,

l'utile fatica

e l'industria.

Ms. ΧΠ.2 AA Verona.

Mailand

Preisfragen 1778: Palletta, Giambattista. Memoria sui gelsi. in: Atti della Societä Patriottica di Milano diretta all'avanzamento dell'agricoltura, delle arti, e delle manifatture. Bd. 1, S. 39-63. [Der Autor erhielt den Preis.] Torre, Pier Maria. Transunto della dissertazione sulla Piantagione delle brughiere. ebd. Bd. 1, S. 64-69. [Der Autor erhielt den Preis.] Caldarini, Giuseppe. Transunto della Dissertazione sulla Piantagione delle Brughiere. ebd. Bd. 1, S. 70-74. [Der Autor erhielt den Preis.] Preisfrage 1779: Lavezzari, Paolo. Devise: Locus est & pluribus umbris. Hör. in: Atti della Societä Patriottica di Milano diretta all'avanzamento dell'agricoltura, delle arti, e delle manifatture. Milano 1783, Bd. 1, unpaginiert. [Der Autor erhielt den Preis.] Devise: Nil sine magno Vita labore dedit mortalibus. Hör. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Preisfrage 1780: Pini, Ermenegildo. Memoria del P.D. Ermenegildo Pini Bamabita, R. Prof. di Storia naturale che riportö il premio proposto dalla Societä Patriotica nel Programma dell'anno 1780. in: Atti della Societä Patriottica di Milano diretta all 'avanzamento dell 'agricoltura, delle arti, e delle manifatture. Milano 1783. Bd. 1, S. 143-172. [Der Autor erhielt den Preis.] Torre, Pier Antonio. Devise: Collibus an piano melius sit ponere vites Quaereprius. Virg. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor erhielt den Preis.] Preisfrage 1782: Devise: Ipso veneno hominum utilitati prospexit Natura. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Preisfrage 1783 (potatura dei gelsi) Bruni, Girolamo. Dissertazione sulla potatura de'Gelsi del Sig. Don GirolamoBruni. in: Atti della Societä Patriottica di Milano diretta all'avanzamento dell'agricoltura, delle arti, e delle manifatture. Milano 1789, Bd. 2, S. 13—43. [Der Autor erhielt den Preis.] Devise: Tout est bien en sortant des mains de l'Autheur de la Nature, &c. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Devise: Quis tarn sine oculis, tarn sine mente vivit, &c. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Preisfrage 1783 (Pellagra): Albera, Giovanni Maria. Trattato teorico pratico delle malattie dell 'insolato di primavera volgarmente detta della Pellegra del medico Fisico Giov. Maria Albera. Varese 1784. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Devise: Nil sub sole novum. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor bewarb sich um den Preis.]

Die Preisfragen

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Preisfrage 1786: Maderna, Francesco. Breve analisi del Sig. Francesco Madema, premiata dalla societä. in: Atti della Societä Patriottica di Milano diretta all'avanzamento dell'agricoltura, delle arti, e delle manifatture. Milano 1783. Bd. 2, S. 52-67. [Der Autor erhielt den Preis.] Preisfragen 1788: Caronelli, Pietro. Devise: Hue pater ο Lenxe veni, nudatagum musto &c. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor erhielt den Preis.] Grondona, Gio. Pietro. Devise: Stagna, ne corrumpant aerem, implenda sun tsufficienter &c. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor erhielt den Preis.] Bramieri, Giulio. Devise: Salve magna parens frugum saturnia tellus &c. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor erhielt den Preis.] Devise: Quam altissimam vineam facito. Varr. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Devise: Hinc omnis largo pubescit vinea foetu. Virg. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Preisfrage 1790: Calvi, Stefano. Devise: Pater ipse colendi haud facilem esse viam voluit. Virg. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor erhielt den Preis.] Devise: Volvitur, & volvetur in omne volubilis aevum. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor bewarb sich um den Preis.] Preisfrage 1792: Marabelli, Francesco. Devise: Simplicia quaerit Medicus, farragines autem Empiricus.pessimus hostis humani generis. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor erhielt den Preis.] Devise: il faut conserver des enfans pour avoir des hommes. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor bewarb sich um den Preis fur die Armenapotheke.] Devise: valetudo humana exiguo admodum simplicium apparatu [...], regi atque restitui potest ec. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor bewarb sich um den Preis für die Armenapotheke.] Devise: Mille mali species, mille salutis erunt. Ms. nicht nachgewiesen. [Der Autor bewarb sich um den Preis fur die Armenapotheke.] Preisfrage 1796: Ceratelli, Ignazio. [modelletto da lui eseguito epresentato di macchina che serve all'irrigazione]. praktische Arbeit des Preisträgers. Fern, Carlo Giulio. [per aver immaginato, eseguito, e pubblicato un nuovo metododi estrarre il grasso dalle os-ra]. praktische Arbeit des Preisträgers Sacco, Luigi. [per aver preparati con un metodo suo proprio, e presentati alia Societä quattro quadretti contenenti la Storia Naturale d'alcuni insetti noeivi all'Agricoltura]. praktische Arbeit des Preisträgers. Luxoro, Francesco, [la manifattura di biacca fina da lui qui stabilita], praktische Arbeit des Preisträgers. Manner, Giorgio, [un nuovo telajo, alcuni novi torni per viti, e un nuovo congegno da alzarpesi, macchine da lui immaginate, ed eseguite.] praktische Arbeit des Preisträgers. Mainardi, Gaetano. [per aver presentati alcuni sassi del pese di bella macchia, e bei pulimento], praktische Arbeit des Preisträgers. Bonfanti, Antonio, [per la Sua Conceria dipelli all'inglese], praktische Arbeit des Preisträgers. Boselli, Francesco, [per la sua manifattura di bassi rilievi in pasta sostituibile all'intaglio in legno], praktische Arbeit des Preisträgers. Filippino, Giovanni, [per avere formato, e presentato un nuovo lavorod 'intarsiatura passata e colorata]. praktische Arbeit des Preisträgers.

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Bovara, Giuseppe, [per avere, a richiesta della Societä, fatto a proprie spesecostruire, e adoperare pel decorso d'un'anno il nuovolncannatojo da Seta}, praktische Arbeit des Preisträgers. Bovara, Giuseppe. [Cento lire alle fanciulle che hanno lavorato col nuovo Incannatojo presso il suddetto Sig. Bovara]. praktische Arbeit des Preisträgers. Fedeli, Giovanni, [alcune nuove macchine da far gomitoli da lui immaginate, e presentate], praktische Arbeit des Preisträgers. Damadis, Giuseppe, [per aver conciate, e messe in opera delle pelli aU'inglese]. praktische Arbeit des Preisträgers. Bonanome, Carlo, [premio alle fanciulle che hanno lavorato col nuovo Incannatojo, e Binatojo presso il Soc. Corr. Sig. CarloBonanome di Leccai\. praktische Arbeit des Preisträgers. Fratelli Monticelli. [la manifattura di Spille da essi accresciuta, e migliorata in Concorrezzo] praktische Arbeit der Preisträgers. Preisstiftung des Conte Carlo Bettoni, moralische Novellen: Soave, Francesco; Parea, Annibale; Bramieri, Luigi. Novelle morali di Francesco Soave, ad uso della gioventu. Nuova edizione. Accresciuta delle novelle morali di A. Parea e di L. Bramieri, coronate dalla Societä patriotica di Milano; - di otto novelle di Autore incerto; - e delle Memorie intorno alia Vita del Conte Carlo Bettoni nelle quale si sono accentate tutte le voci, per facilitar agli Stranieri il mododi imparare la prosodia della lingua italiana. Avignon 1812. [Parea und Bramieri erhielten den Preis.] Sammlung neuer moralischer wahrhafter und lehrreicher Begebenheiten in italiänischer Sprache verfaßt, mit deutschen Anmerkungen und nothwendigen Erläuterungen versehen, zum Nutzen der deutschen Jugend, die sich in solcher Sprache zu üben gedenkt, eingerichtet und ans Licht gestellt von Johann Jakob Schaz. Augsburg: Conrad Heinrich Stage, 1788.

Register Aufgenommen wurden Orts-, Personen- und Sozietätsnamen. Abramson, Abraham

58

Alzey

Academie des inscriptions et des belleslettres Paris

93

Academie des Sciences Academie Franfaise

13, 91, 276

245

Anderson, James

66

Andreae, Johann Valentin

13, 25, 27, 94

13

Anna Sophia, Gräfin zu Schwarzburg

Accademia Agraria degli Aspiranti di Conegliano

149

Amicistenorden

Arduino, Giovanni

272

Armanirus, zuvor Amadeus

Accademia d'Agricoltura di Verona

270,

272, 274, 278f., 286f., 293 Accademia degli Apatisti

270

Accademia degli Oscuri

274f.

(Rosenkreuzerzirkel) Arndt, Emst Moritz Artern

271

168, 171

125f.

67

Aschersleben

Accademia delle scienze Bologna

Augsburg

196f„ 202, 204, 208f.

285

Accademia dei Georgofili Florenz 271 f.

Aulich

Accademia dei Pugni

Autenrieth, Johann Heinrich Ferdinand

271

Accademia delle Scienze di Siena detta dei Fisiocritici

272 286

Accademia di Scienze, lettere ed Arti di 284,286

285

Baader, Ferdinand Maria Baasner, Rainer

152

257

Riforti di Capodistria

Baciocchi, Pasquale

272

Bacon, Francis

Accademia Fiorentina 270, 278

198f.

274

13, 76

Bahrdt, Karl Friedrich 51, 177, 183, 186,

270

191,225,256

Accademia Napoleone 274ff., 278, 291 Accademia Nazionale dei Quaranta Accademia Platonica Florenz

270

270

Bailly, Jean Sylvain

284

108

Baldinger, Emst Gottfried Barca, Alessandro

Accademia Reale di scienze e belle lettere diMantova

265

Bachmann, Heinrich Wilhelm

Accademia Economico-Letteraria dei

Accademia Italiana

183

Avignon

Accademia di Agricoltura di Brescia Padova

41

281

Barca, Roculini

109, 185

290

290

Bartholdy, Georg Wilhelm

224

Accademia Unanime Agraria di Salö 286

Basel

Accademia Virgiliana di Mantova

Batsch, August Johann Georg Carl 251 ff.,

Adelung, Johann Christoph

273

18

258, 262, 266ff.

Adolf Friedrich IV., Herzog von Mecklenburg-Strelitz Afrikanische Bauherren

Bayern

132

Aeneas (Rosenkreuzerzirkel) Leipzig

167

196

58

Alexander der Große Alfieri, Vittorio Altdorf

24,42

277

99

180

Bechtold, Johann Georg 47ff., 51 Becker, Rudolph Zacharias 91, 155f., 258 Beckmann, Johann

Wissenschaften Erfurt 17 Aldrovandi, Ulysse

14, 152, 154f.

Becher, Ursula

Akademie der gemeinnützigen Akademisches Lese-Institut Marburg

124

74

Behringer, Wolfgang 3 185

Bellermann, Johann Joachim Benedetti, Francesco Berge, Otto

86

276

64

300 Bergfeldt, Carl 241,244 Berghauer, Johann Christian Friedrich 206, 212 Berlin 8, 15, 17, 41, 57, 64, 67, 69f„ 133, 161, 167ff., 172f„ 193, 196, 198ff., 203ff., 216, 219f., 224f„ 241f„ 245, 247 Bemhardi, Karl 85, 112 Bertacci, Angelo 275 Bethlen, Elek (Alexius) von 264 Bettoni, Carlo, Conte di 280f., 284, 286ff. Bibra, Philipp Anton von 155 Bielefeld 206 Biester, Johann Erich 145 Bischoffwerder, Johann (Hans) Rudolph von 161, 174,203, 220ff„ 226 Blankenburg, Christian Friedrich von 18 Bloch, Markus Elieser 61,70 Blume, Johann Ludwig Theodor 204 Bode, Johann Eiert 61, 70 Bode, Johann Joachim Christoph 152ff., 228 Bodin, Jean 40 Böhmen 161 Bogliaco 286 Bologna 271 Bonanome, Carlo 284 Bonaporte, Mariannina 274 Bonnet, Charles 73f. Borcke, Adrian Heinrich Freiherr von 219, 225ff. Borcke, Friedrich Wilhelm Freiherr von 216,219 Bordeaux 209 Bosc, Franz du 161, 167, 169, 221, 222 Boscovich, Ruggiero Giuseppe 270 Bose, Johann Andreas 37 Both, Wolf von 86 Botta, Carlo 278 Böttiger, Carl August 258 Bourdieu, Pierre 139 Boyle, Robert 252 Bramieri, Luigi 285 Brandenburg - siehe auch Preußen 161, 193f., 196, 198,201,205,212 Brandenburgische Sozietät der Wissenschaften (Akademie) 14

Brandt, Peter 235 Braunschweig 204,217,220,260 Brescia 284ff. Breslau 168, 194, 196 Brown, John 277 Bruchsal 149 Brüdermann, Stefan 235 Brühl, Albrecht Christian Heinrich Graf von 172 Buch, Leopold von 79 Buck, August 270 Buddeus, Johann Franz 39 Buffon, Georg 58f., 74 Bülow, Heinrich Wilhelm von 171 Bünau, Graf Heinrich von 29 Buonvisi, Stefano 274 Bürgel, Peter 267 Burgsdorf, Friedrich August Ludwig 64 Buttstädt 259 Cagliostro, Alessandro (d.i. Giuseppe Balsamo) 217,223 Calderini, Giuseppe 284 Calonne, Charles de 216 Calvi, Stefano 284 Cambridge 21,237 Cämmerer, August Friedrich 263 Campanella, Tommaso 13 Campe, Christian 22 Carl Theodor, Kurfürst von der Pfalz 148, 155 Carmignani, Giovanni 276f. Caroline zu den drei Pfauen (Freimaurerloge) Neuwied 149 Caronelli, Pietro 284 Casparson, Johann Wilhelm Christian Gustav 89f., 99, 103ff., 1 lOf. Cavelli, Giovanni 276 Caylus, Anne Claude Philippe de Levis de Tubieres-Grimoard Comte de 97 Cazenove, Th6ophile 216 Cesari, Antonio 278 Cesarotti, Melchiorre 288 Charax (Rosenkreuzerzirkel) Herrnstadt 170, 171 Chätelet (eigentlich Chätelet-Laumont), Emilie Marquise du 121f., 276

301 Chemnitz 21 Chemnitz, Johann Hieronymus 257, 263 Chodowiecki, Daniel 58, 76 Chrisimundus (Rosenkreuzerzirkel) 168, 171 Christ, Johann Friedrich 39 Cicero, Marcus Tullius 52f. Clodius, Christian 39 Coburg 33, 162f„ 169f„ 172 Colle, Francesco Maria 290 Collegium Anthologicum Leipzig 3 3 f. Collegium concionatorium Leipzig 28 Collegium Conferentium Leipzig 25, 33 Collegium Disquirentium Jena 37 Collegium eruditorium London 31 Collegium Gellianum Leipzig 33ff., 37 Collegium insulanum Zürich 24 Collegium Philobiblicum Leipzig 35 Collegium poetarum Wien 24 Comedo, Giovanni 278 Comenius, Jan Arnos 13 Condorcet, Marie Jean 108 Cook, James 261 Costanzo, Marchese di 152, 156 Cramer, Johann Andreas 53 Crell, Christoph Ludwig 29 Creve, Caspar Ignaz 261 Crome, August Wilhelm 186,189 Crome, Christiane 190f. Crusca 270 Custine, Adam Philippe de 146 Cyprian, Emst Salomon 30 Czetritz, Georg Otto Freiherr von 167 D'Arco, Giovanni Battista 290 Darmstadt 55f., 154 Darnton, Robert 237 De Coureil, Giovanni Salvatore 276f. De la concorde (Freimaurerloge) Magdeburg 199 De la felicite (Freimaurerloge) Magdeburg 199, 201,206,211 De la sagesse (Freimaurerloge) Potsdam 210 De l'Esperance (Freimaurerloge) Hamburg 122

Den Haag 144 Deppe, Johann Jacob 122 Descours, Johann Peter 206 Dessau 103,155 Detharding, Georg Gustav 257, 262 Deutsche Gesellschaft Gießen 7,43, 45f., 49, 5Iff., 56 Deutsche Gesellschaft Helmstedt 23, 28f. Deutsche Gesellschaft Jena 23, 29, 32 Deutsche Gesellschaft Königsberg 29f. Deutsche Gesellschaft Leipzig (Collegium Poeticum Gorlicense, Teutschübende Poetische Gesellschaft) 28, 36f., 46f. Deutsche Union 177f., 183, 185f„ 189ff., 256 Deutschland 89,178,285 Diehl, Wilhelm 56 Dietrich, Johann Christian 206 Dillenburg 184, 186 Döbbelin, Karl Konrad Kasimir 211 Döbbelin, Karl Theophil 211 Doechimus (Rosenkreuzerzirkel) Frankfurt an der Oder 170 Dohm, Christian Wilhelm 93, 217 Donnerstägiges Predigerkollegium Leipzig 28 Dotzauer, Winfried 133 Dresden 161f„ 166f„ 169ff, 183, 219, 221 Dresser, Johann Philipp 122 Dubos, Jean-Baptiste 53 Duisburg 194 Dülmen, Richard van V, 131,267 Duncker, Albert 85 Duval, Jeanet 261 Ebell, Johann Christian 70 Ebersberg, Amand Philipp Ernst von 152 Eccard, Johann Georg 40 Ehrenberg, Christian Gottfried 79 Ehrmann, Marianne 182 Eisenach 154, 162f„ 169f„ 172 Elbing 206 Ellrich 155 Elsaß 148 England 98,265,271 Erfurt 17, 162f., 169f., 172

302 Erlangen 17,257 Ernesti, Johann August 39 Ernst Π. Ludwig, Herzog von SachsenGotha-Altenburg 152 Erxleben, Johann Christian Polycarp 74 Esterno, Comte d' 216 Etrurien 97 Fabricius, August Heinrich 211 Fabricius, Wilhelm 232 Farferus (Rosenkreuzerzirkel) Potsdam 203 Feder, Johann Georg Heinrich 152 Ferber, Johann Jakob 64 Ferdinand zur Glückseligkeit (Freimaurerloge) Magdeburg 196f., 200, 202ff„ 206ff. Ferdinand, Herzog von Braunschweig 202, 204, 206f., 210 Ferdinands-Gesellschaft Magdeburg 200 Fernow, Karl Ludwig von 266 Fichte, Johann Gottlieb 116, 123 Ficino, Marsilio 270 Firmian, Carlo Conte di 282 Flemming, Max 233 Florenz 271 Flörke, Heinrich Gustav 63, 265 Förster, Johann Christian 233 Förster, Wilhelm 81 Forster, Georg 87, 108, 145f., 224 Forster, Johann Reinhold 58, 102 Francke, August Hermann 35 Frankenberg 21 Frankenthal 149 Frankfurt an der Oder 67, 154, 167f., 170, 194, 24Iff., 247f. Frankreich 97f., 100, 154, 217, 264, 271 Frank, Ignaz 155 Franz I., römisch-deutscher Kaiser 88 Franz Friedrich Anton, Erbprinz von Sachsen-Coburg-Saalfeld 162, 169 Franzoja, Matteo 290 Freiberger, Johann Albrecht 171 Friedrich, Herzog von SachsenHildburghausen 132 Friedrich August, Herzog von Braunschweig 202f.,221

Friedrich Heinrich Eugen, Prinz von Württemberg 168 Friedrich Magnus, Graf zu Solms 168 Friedrich Wilhelm Π., König von Preußen 61, 63, 174, 203, 207, 217ff„ 226, 229 Friedrich Π., Landgraf von Hessen-Kassel 85, 88f., 91 f., 96, 99f„ 103f., 106, 108, 110 Friedrich Π., König von Preußen 30, 63, 69, 71, 87, 193f., 199, 202f„ 207, 215f., 227 Friedrich V. Ludwig Wilhelm Christan, I^andgraf von Hessen-Homburg 152 Friedrich zum weißen Pferde (Freimauerloge) Hannover 156 Fruchtbringende Gesellschaft 13 f., 2 5, 41, 135 Fulda 155 Fürstenwalde 242 Gardelegen 40 Gardin, Antonio 290 Gärtner, Augustus Amadeus Edler von 172 Gärtner, Johann Andreas Joachim 206 Geberius (Rosenkreuzerzirkel) 168, 171 Geffarth, Renko 223 Gelehrte Gesellschaft Coburg 30 Gelehrte Sozietät Arnstadt 25 Geliert, Christian Fürchtegott 53 Georgy, Johann Andreas Joachim 206 Gercken, Valentin Friedrich 204 Gerhard, Karl Abraham 64, 70 Gertner, Johann Emst 201 f. Gesellschaft der Alethophilen Weißenfels 28 Gesellschaft der Alterthümer Kassel 7, 8 5 ff., 101, 104, 106, 110, 112 Gesellschaft der Verschwiegenen Artern 67 Gesellschaft der Wissenschaften Göttingen (Akademie) 17 Gesellschaft des Ackerbaues und der Künste (Hessen) 88 Gesellschaft Naturforschender Freunde Berlin 7 , 5 9 , 6 1 , 8 1 Gießen 8, 43ff., 47, 50, 56, 177f., 183f., 186f., 189ff.

303 Gladigow, Burkhard Glaucha

75

Haller, Albrecht von 259, 267 Hamburg

209

Gleditsch, Johann Gottlieb

6 7 f , 70, 74

Gleim, Johann Wilhelm Ludwig Glogau

Hanau

198

Goeckingk, Leopold Friedrich Günther 155

Goltz, Graf Wilhelm von der

219

Gontard, Karl Philipp Christian von

210

20, 154f.

132

143

Hardtwig, Wolfgang

15f„ 119, 233ff.

Harmonie Magdeburg

Goethe, Johann Wolfgang von 116, 235f., 252, 254, 267 Gold-und Rosenkreuzerorden 8 , 1 3 2 , 135, 139, 159, 164, 172, 1 7 5 , 2 0 2 f f „ 228ff.

Gotha

14,39,204,224

Hannover, Kurfürstentum Hansen, Joseph

169,172

143

101, 109, 154

Hannover

168, 170

Göchhausen, Ernst Adam August Baron von

37, 121, 2 0 7 f „ 242

Hammermayer, Ludwig

Hartmann, Fritz

212

270

Hegesias (Rosenkreuzerzirkel) Eisennach - Coburg

1 6 1 f , 1 6 8 f , 172

Heidelberg

34, 41, 144, 1 4 6 f f , 154

Heilbronn

149

Heinrich, Prinz von Preußen (Bruder Friedrichs Π.)

215f,225f.

Göttingen 1 7 , 4 1 , 44, 94, 99, 121, 124, 194, 258

Heintze, Horst

Gottsched, Johann Christoph

Heinzmann, Johann Georg

3 6 , 4 6 , 52

Grasemann, Johann Gottfried Greifswald Greiz

171

Griechenland

261

95,97

Gronau, Karl Ludwig Großbritannien

70

144, 184, 186

Herder, Johann Gottfried Herrnstadt

195,201,203,

Hessen-Kassel

Großloge London

86, 98, 101

Hetzler, Johann Ludwig

Großloge Royale York de l'amitie Berlin 200f., 210 209,265

Gunkel, Justus Heinrich

50

Gurlitt, Christian Friedrich Guthmüller, Bodo

Haldensleben

87, 89, 9 4 f f ,

101,103 Hezel, Henriette Charlotte 187ff.

177, 1 8 2 f ,

Hezel, Johann Friedrich Wilhelm 188 Hildburghausen

Hirschberg Hof

194f„ 197, 208, 245, 288 209

Halem, Gerhard Anton von

189ff.

17, 32, 42, 130, 194ff„ 202f., 205,

208f., 2 3 I f f , 236, 2 3 9 f f , 243ff.

186,

129

Hille, Christian Ernst

44

260f.

Heyne, Christian Gottlob

Hildebrandt, Julius Wilhelm

255

183

Hainbund Göttingen Halberstadt

207,212

269

Gyarmathy, Samuel

152 184

Heyer, Johann Christian Heinrich

132

132

216

43, 45, 54

Heyer, Georg Friedrich

210 Großloge Dänemark

79

8 5 f , 94, 100

171

Hessen-Darmstadt

132, 193

Deutschland Berlin

Hadersleben

179

22,39

Hertzberg, Ewald Friedrich Graf von

Große Landesloge der Freimaurer von

Halle

269

Herbst, Johann Friedrich Wilhelm

183

Grens, Friedrich Albrecht Carl

Guinea

Helmstedt Herborn

126

168f.

Hegrilogena (Rosenkreuzerzirkel) Erfurt -

206

241, 245ff.

206

162

Hofmann, August Wilhelm von Hofmanii, Ernestine Home, Henry

81

182

53

Homerus (Rosenkreuzerzirkel) Frankfurt an der Oder 1 6 7 f , 170

304 Hommel, Johann Ludwig 259 Höpfner, Ludwig Julius Friedrich 50f. Horst, Julius von der 227 Hostovsky, Franz Alois 211 Hottinger, Johann Jakob 288f. Hoven, Friedrich Wilhelm von 256f. Huber, Ludwig Ferdinand 227 Humboldt, Wilhelm von 145 Illuminatenorden 8, 129, 139, 143f., 146ff., 151, 153, 159, 175, 204, 229 Ilmenau 177, 188 Im Hof, Ulrich 131,271 Indissociabilistenorden 8, 231, 240ff. Ingolstadt 151 Irenenloge Hamburg 121 Isenburg von Buri, Ernst Karl Ludwig 50 Iserlohn 206 Italien 98, 269, 27Iff. Jacquin, Franz Joseph von 263 Jaeger, Johann Wolfgang 39 Jahn, Friedrich Ludwig 125 Jarausch, Konrad H. 234 Jena 17, 23, 32, 37f., 42, 50, 67, 121, 123, 232, 235f., 251, 253f., 260, 262, 265ff. Johann Martin, Graf zu Stolberg-Roßla 148, 151f. Johann, Erzherzog von Österreich 65 John, Christoph Samuel 263 Joseph Π., römisch-deutscher Kaiser 15 5 Jungius, Joachim 14 Jussow, Johann Friedrich 91 Kaiserslautern - siehe Lautern Kapp, Johann Erhard 39 Karamsin, Nikolaj M. 18 Karl August, Herzog von Sachsen-WeimarEisenach 117 Karl Friedrich, Prinz von SchwarzburgRudolstadt 69 Karl, Herzog von Braunschweig 29 Karlsruhe 148f„ 154 Kassel 85, 87, 94, 109, 183f, 217 Katharina Π., Zarin von Rußland 69 Käthe, Heinz 236

Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton Fürst von 282 Kindleben, Christian Wilhelm 115 King, Wilhelm 39 Klaproth, Martin Heinrich 64 Kleemann, Johann August Friedrich 201 f. Kleinen, Andreas 136 Kleuker, Johann Friedrich 90,100 Klevesahl, Erich Christian 50 Klewitz, Johann Friedrich 204 Klopstock, Friedrich Gottlieb 53ff. Klug, Johann Christoph Friedrich 79 Klug, Johann Friedrich 64 Knebel, Karl Ludwig von 266 Knigge, Adolph Freiherr von 116, 147, 150ff. Knoblauch, Karl von 186 Koch, Cornelius Dietrich 39f. Kollegium der Vertraulichen Zürich 24 Kollegium der Wohlgesinnten Zürich 24, 32 König, Fritz 233 Königsberg 17,194,196,200 Konstantistenorden 123ff., 240ff. Kopenhagen 219 Koselleck, Reinhart V Kothen 13 Kreher-Hartmann, Birgit 251 Kreutz, Wilhelm 143 Krieger, Johann Christian Konrad 184 Krieger, Johann Philipp 184 Krieger, Justus Friedrich 183ff., 189 Kröber, Christian Carl 152 Kühn, August Christian 254 Kunstrechnungs-Liebende Societät Hamburg 37 Kunze, Christian Martin Ferdinand 208 Kurbayern 175 Kurpfalzische deutsche Gesellschaft Mannheim 145, 150 Kurpfalz 8, 14, 144, 148f., 155 Kursachsen 193 Kusel 149 La parfaite union Magdeburg 199 La Roche, Sophie 181 f., 189

305 Landwehr, Achim 138,239 Lange, Karl Heinrich 39 Laukhard, Friedrich Christian 44, 50, 119 Lautern 149f. Lavater, Johann Caspar 217, 223 Laveaux, Jean Charles Thibault de 227 Lecco 284 Legat, August Christian Heinrich von 207 Lehmann, Johann Gottlob 67 Leibnitz, Gottfried Wilhelm 14ff„ 25, 37, 39f., 42 Leipzig 17, 19, 22, 25, 27ff„ 32f„ 35ff„ 39, 41f., 46f., 171f„ 183,245 Lentzen, Manfred 269 Leopold I., römisch-deutscher Kaiser 128 Leopoldina, Deutsche Akademie der Naturforscher 14, 27, 41, 128 Leopoldo, Pietro 270 Lessing, Gotthold Ephraim 199 Lestwitz, Carl Rudolph von 167f. Lidlo, Heinrich Gotthilf Freiherr von 171 Lieberkühn, Philipp Julius 288 Liebing, Johann Georg 162,169 Lilien, Dorothea 182 Lindau, Heinrich Friedrich Carl Brand von 172 Lingen 144 Link, Heinrich Friedrich 64, 263 Linne, Carl von 58 Literarische Damen-Gesellschaft Oldenburg 190 Livius, Carl Gottlieb Bernhard 241 f., 244ff. Locatelli, Michelangelo 280 Loder, Justus Christian 117 Loge Karl zum Rautenkranz Hildburghausen 129, 132, 135 Lombardei 284 London 13,31,42,94,193 Loos, Philipp Werner 162,169 Lorgna, Antonio Maria 270 Lübeck 121 Lucca 274f., 278, 291 Lucchesini, Cesare 278 Luchet, Jean-Pierre-Louis de 87, 89, 98, 100

Ludwig Vin., Landgraf von Hessen-Kassel 48, 52 Ludwig XIV., König von Frankreich 121 f. Ludwig, Christian Gottlieb 31 Ludwig, Fürst von Anhalt-Köthen 41 Ludwigsburg 256 Madihn, Ludwig Gottfried 170 Madoneti, M. 68 Magdeburg 8, 195f„ 198, 200ff„ 205, 207ff., 211, 224 Magnus (Rosenkreuzerzirkel) Wildenfels 168, 172 Mailand 270ff„ 274, 281, 296 Mainz 14,41 Malachisio, Giuseppe 278 Malaga 209 Maler- und Bildhauerakademie Kassel 88 Mannheim 17, 146, 149, 150f. Mantua 263,281,284 Marabelli, Francesco 284 Marburg 17, 98, 101, 109, 124, 183ff. Maria Theresia, römisch-deutsche Kaiserin 282 Martin, Siegmund Peter 124 Martini, Friedrich Heinrich Wilhelm 57ff„ 62, 67ff„ 76ff. Marx, Arnold 165,229 Matteucci, Luigi 275 Mauvillon, Jakob 89, 217, 220 Mayer, Johann Christoph Andreas 167f., 170 Maylender, Michele 274f. Meckel, Johann Friedrich 67 Meidenbauer, Jörg 86 Meiners, Christoph 89, 99, 103 Meister, Heinrich 226 Mencke, Johann Burkhard 36, 40 Mencke, Otto 36 Mendelssohn, Moses 69 Mereau, Sophie 181 Merian, Johann Rudolph von 207 Merseburg 198,241 Metz 289 Meusel, Wilhelm Ludwig von 207 Micali, Giuseppe 278

306 Michaelis, Christian Friedrich (Professor) 109 Mieg, Johann Friedrich 8, 144ff., 157 Mihriffon (Rosenkreuzerzirkel) Leipzig 167, 171 f. Miliin, Aubin-Louis 259 Minerva (Freimauerloge) Potsdam 210 Mirabeau, Honore Gabriel de Riqueti Comtede 8, 215ff., 219, 227f. Mitteldeutschland 26, 161ff., 172, 205, 210 Mittelhessen 185 Mittrowsky, Johann Nepomuk Graf 262f. Mittwochsgesellschaft Berlin 159,199 Mittwochsgesellschaft Magdeburg 212 Modena 270 Moench, Konrad 262 Moll, Carl Marie Ehrenbert von 262 Möller, Horst 229 Mongez, Antoine de 89, 99 Montägiges Predigerkollegium (Großes Predigerkollegium) Leipzig 28, 30 Montagsklub Berlin 198,199 Montfaucon, Bernard de 97 Morgenstern, Friedrich August 206 Morus, Thomas 13 Moscheni, Costanza 276 Mosebach, Philipp Wilhelm 49 Mosheim, Johann Lorenz von 29 Moskau 151, 161 Mühlenbruch, Christian Friedrich Simon 125 Müller, Christian Heinrich 204 Müller, Johann Samuel 39 Müller, Johannes von 87 Müller, Justus Balthasar 50ff., 55 Müller, Karl Wilhelm 18 München 17,41,149 Münter, Friedrich Christian Carl Heinrich 154 Muratori, Ludovico Antonio 270 Murr, Christoph Gottlieb von 190f. Mutterloge Zu den drei Weltkugeln Berlin 64,71, 193, 199f., 202f.,221

Naturforschende Gesellschaft Halle 136f. Naturforschende Gesellschaft Jena 8, 25 Iff. Naumburg, Johann Samuel 258 Neapel 97 Neugebauer-Wölk, Monika VI, 60, 73, 75, 130, 143f„ 177 Neumeister, Sebastian 269 Neuruppin 210 Neusohl 167 Neustadt 149 Neuwied 148f. Nicolai, Friedrich Christoph 64, 70, 199, 218, 224, 227 Nietleben 241 Nocca, Domenico 263 Norddeutschland 161ff., 172 Nuland, Heinrich Christian 206 Nürnberg 183, 191 Oberlausitz 36 Oels 168 Oeser, Adam Friedrich 18 Ohrdruf 67 Oldenburg 183, 190f. Olearius, Gottfried 22 Orden der Hoffnung (de l'Esperance) 121 Ortosophus (Rosenkreuzerzirkel) Trollenhagen 167f., 172 Osnabrück 100 Österreich 161, 167 Österreichische Niederlande 147f. Österreich-Ungarn 146, 167 Osterwieck 207 Ouvrier, Ludwig Benjamin 55 Oxford 21 Padovani, Girolamo 285 Padua 281, 287f., 290 Pallas, Peter Simon 74 Palletta, Giambattista 284 Paragogus (Rosenkreuzerzirkel) Hof 162 Parea, Annibale 285 Parini, Giuseppe 285

307 Paris 21,42, 217, 219f„ 228,256,276 Pauli, Joachim 73 Pauls, Adolf 143 Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob 258 Perego, Gaetano Giuseppe 285 Persepolis 99 Persoon, Christoph Heinrich 258 Pestalozzi, Johann Heinrich 146 Peter I. (der Große), Zar von Rußland 20 Petersen, Johann Wilhelm 145 Pfaff, Christoph Heinrich 261 Philiverus (Rosenkreuzerzirkel) 168f. Philocrates (Rosenkreuzerzirkel) Glogau 167f., 171 Philomeleus (Rosenkreuzerzirkel) Glogau 167, 171 Physisch-Medizinisches Lese-Institut Marburg 185 Piderit, Johann Rudolf Anton 92ff. Pinckernelle, Johann Christian 206 Pinckemelle, Johann Christian Daniel 206 Pini, Ermenegildo 284 Pisa 278 Pitterlin, Friedrich Adolf 211 Plinius d. Ältere 58 Pommern 242 Potsdam 200,203,215 Prato, Anselmo 277 Preußen 14, 161, 193ff., 198ff., 205, 212, 216,218,242 Provence 228 Provinzialloge für Westfalen und Niedersachsen 200 Prüfende Gesellschaft Halle 32f. Pubblica Accademia di Agricoltura, Commercio ed Arti di Verona 272 Raccagni, Giuseppe Maria 285 Ramthoun, Carl Wilhelm von 170 Raspe, Rudolph Erich 265 Ratke, Wolfgang 14 Rebelt, Johann Andreas 61 Reder, Gustav Bernhard Friedrich Erdmann Graf von 171 Regis, Francesco 278 Reideburg 242 Reitemeier, Johann Friedrich 99

Ressource (Freimauerloge) Magdeburg 212 Rexon, Gottfried Fabian von 172 Rheinpfalz 149 Rheinsberg 228 Rinteln 98 Rinuccini, Alamanno 270 Robert, Carl Wilhelm 91,110 Robrahn, Johann Peter 206 Rohr, Julius Bernhard von 22 Rom 95ff., 270 Römer, Johann Jakob 266 Röpert, Georg Christoph von 168 Rosini, Giovanni 277f. Ross, Frisco 239 Rostock 14,50,124 Rottler, Johann Peter 263f. Rousseau, Jean-Jacques 50 Royal Society London 13, 252 Rüdiger, Christian Friedrich 204 Rudolphi, Friedrich 241 f., 244ff. Rügen 183 Rühlmann, Gottfried 25 Rumjanzow, Graf Sergej 215,220 Rumpf, Johann Friedrich Karl 206 Runde, Justus Friedrich 89, 102, 104 Rußland 98,161,242 Ry, Simon Louis du 89f., 103 Saalfeld 162 Sacco, Luigi 284 Sachsen 16lf., 220 Schäfer, Andreas Gottfried 152 Schaz, Johann Jakob 285 Schedifer (Rosenkreuzerzirkel) Magdeburg 203 Schenck, Wilhelm Friedrich von 241, 244, 246f. Scherbius, Johannes 262 Scherer, Alexander Nicolaus 258 Scheuchzer, Johann Jacob 26 Schewe, Christian Friedrich 203f., 207 Schiller, Friedrich 145, 189, 256, 266 Schlabrendorff, Hans Albrecht Alexander von 171 Schleiermacher, Friedrich 116f.

308 Schlesien 169 Schleswig 121 Schlettau 241 Schlettwein, Johann August 45,189 Schlözer, August Ludwig von 155 Schlumbohm, Jürgen 138 Schmager, Johann Heinrich Friedrich 206 Schmerfeld, Johann Daniel von 90, 92, 103, 108 Schmidt, Friedrich Ludwig 211, 242 Schmincke, Johann Hermann 90,105, 108, 111 Schmitz, Peter Friedrich 206 Schmölder, Friedrich Theodor 241,244 Schoepffer, Johann August Friedrich 241,245ff. Schönebeck 209 Schöpf, Johann David 61 Schräder, Wilhelm 233 Schrepfer (auch Schröpfer), Johann Georg 220f. Schröter, Johann Samuel 259 Schubart, Christian Friedrich Daniel 224 Schuch, Franz 211 Schulthess, Johann Georg 199 Schulze, Friedrich 232 Schulze, Johann Ludwig 240ff., 246f. Schuster, Georg 161 Schwab, Ernst 188 Schwartz, Paul 233 Schwartz, Peter August Ludwig 206 Schwarz, Friedrich Heinrich Christian 45 Schweiz 34, 148f. Seidel, Samuel 39 Sibiliato, demente 288 Siegfried, Friedrich Wilhelm 61, 70 Silesio, Francesco 290 Sinsheim 149 Snell, Friedrich Wilhelm Daniel 45 Snell, Johann Peter Ludwig 45 Soave, Francesco 285 Soc (Rosenkreuzerzirkel) Dresden 171 f. Societä agraria Turin 271 f. Societä Agraria di Vicenza 272 Societä d'Agricoltura Conegliano 284

Societä 272 Societä Societä Societä

d'agricoltura practica d'Udine italiana delle Scienze 270f. Italiana delle Scienze 271 Patriotica di Milano 272, 274,

282fr., 2 9 6

Societas Conantium Helmstedt 17,39 Societas Disputatoria (Medizinische Disputiergesellschaft) Leipzig 31 Societas Ereneutica Rostock 13 Societas Exquirentium Jena 23 Societas Fructifera - siehe auch Fruchtbringende Gesellschaft 25 Societas Latina Jena 38 Societas Pythagorea Jena 37 Societät für die gesammte Mineralogie Jena 251,254 Societe des Antiquites de Cassel - siehe auch Gesellschaft der Alterthümer Kassel 7, 85, 91f., 95, 99f., 113 Societe des antiquaires London 93 Societe Royale Metz 289 Sommer, Christian Johann 260 Sömmering, Samuel Thomas 102 Sophie, Kurfürstin von BraunschweigLüneburg (Hannover) 40 Sotzmann, Daniel Friedrich 209 Spallanzani, Lazzaro 74 Spandau 224 Spener, Johann Carl Philipp 57f. Speyer 149, 182 Ssymank, Paul 232 St. Petersburg 68, 94, 258 St. Theodor vom guten Rat (Freimauerloge) München 149,156 Stamm, Heinrich Gottfried 184 Stargard 194 Starhemberg, Franz Maria Graf von 152 Stegmann, Johann Gottlieb 109 Stein, Georg Wilhelm 109 Steinbart, Gotthilf Samuel 243 Steinert, Johann Gottfried 223 Steinke, Hubert 267 Stettin 196,200 Stockholm 226 Straßburg 149, 154

309 Stratico, Simone 288 Straubel, Rolf 206 Strieder, Friedrich Wilhelm 102f. Strikte Observanz 150, 154, 195, 201f. Stuttgart 148f. Suckow (Succow), Lorenz Johann Daniel 257 Süddeutschland 161, 163f. Sultzer, Georg Friedrich 206 Sulzer, Johann Georg 199 Szek, Dominik Teleki von 254 Taurus (Rosenkreuzerzirkel) Prag 167 Tholon (Rosenkreuzerzirkel) Glogau 167, 170f. Tiedemann, Dietrich 89f., 92, 102f., 109 Timm, Joachim Christian 255 Todenwarth, Karl Wolf von 255 Toland, John 39 Tommaselli, Giuseppe 280f. Torcellan, Gianfranco 271 Torre, Giuseppe Emanuele 290 Tranquebar 263f. Tresenreuter, Christoph Friedrich 24 Tresenreuterische philologische Gesellschaft Altdorf 24 Trew, Christoph Jacob 259 Trollenhagen 168, 172 Tugendliche Gesellschaft 41 Turin 271 f. Tychsen, Thomas 99 Udine 271 Ungarn 161, 167 Unger, Georg Christian 210 Unitistenorden 123ff., 240ff. Valjavec, Fritz 234 Vallmont de Bomare, Jaques Christophe 73 Vargas, Edoardo Romeo Conte di 270 Veltheim, Friedrich Wilhelm von 89ff., 103 f f , 108,260 Venedig 282 Verein für Hessische Geschichte und Landeskunde 85

Verevivus (Rosenkreuzerzirkel) Magdeburg 203 Vergennes, Charles Gravier Comte de 216 Vernois, Adrien Marie Francois du 90, 103 Verona 270ff.,281 Verri, Pietro 282 Versailles 215,217 Victrinus (Rosenkreuzerzirkel) Oels 168, 171 Vierhaus, Rudolf 270 Villaume, Peter 288ff. Vitzthum von Eckstädt, Christian Ernst Friedrich 171 Vivacius (Rosenkreuzerzirkel) Neusohl 167 Vogel, Hans 86 Völkel, Ludwig 90f„ 99, 105, 109ff. Voltaire (d.i. Francois Marie Arouet) 98, 276 Wachsende Gesellschaft Zürich 32 Wagenbronner, George Christoffel 50 Waitz, Jakob Sigismund von 91 Walch, Johann Ernst Immanuel 74 Waquet, Fran^oise 269f. Warschau 209 Weckel, Ulrike 181f. Weigel, Erhard 37 Weighart, Johann Adam 167 Weimar 152, 154, 163, 169, 177 Weis, Eberhard 143 Weishaupt, Adam 147f., 151, 153, 156 Weismann, Johann Heinrich 50 Weiße, Christian Felix 18 Wendisches Predigerkolleg Leipzig 28 Wepler, Johann Heinrich 109 Wesel 194 Wibel, August Wilhelm Eberhard Christoph 264f. Wiedemann, Wilhelm Rudolf Christian 261 Wien 24, 144, 152, 161f. Wildenfels 168, 172 Wilhelm IX., Landgraf von Hessen-Kassel (seit 1802 als Wilhelm I. Kurfürst) 87, 90, 101, 103f„ 108, 110

310 Wilson, W. Daniel

115,235

Winckelmann, Johann Joachim

86, 95ff.,

99f., 103 Winkopp, Peter Adolph

223

Wittenberg 42 Witzleben, Hartmann Ludwig August von 172 Wohlau

167, 172

Wolff, Christian

93

Wöllner, Johann Christoph

161, 165, 174,

202ff., 218, 2 2 2 , 2 2 9 Woltmann, Karl Ludwig Worms

124

149

Würzburg

124

Zaunstöck, Holger 43, 130f., 177, 286 Zedlitz, Carl Abraham Freiherr von 230, 236 Zelator (Rosenkreuzerzirkel) Wohlau 167f., 171 f. Zeviani, Giovanni Verardo 280f. Zimmermann, Christian Heinrich 50f., 54, 56

Zöllner, Johann Friedrich 64, 159 Zu den drei Adlern (Freimauerloge) Wien 146 Zu den drei Degen (Freimauerloge) Halle 196f„ 2 0 3 , 2 0 5 , 2 0 9 Zu den drei goldenen Schlüsseln (Freimauerloge) Halle

Zur Einsamkeit (Freimauerloge) Magdeburg

200

Zur grünen Linde (Freimauerloge) Magdeburg

203

Zur unverfälschten Weisheit (Freimauerloge) Magdeburg

Zimmermann, Eberhard August Wilhelm 261,266

Zürich

Zimmermann, Johann Georg 224, 227

Zweibrücken

Zinnendorf, Johann Wilhelm

Zwickau

201

197

Zu den drei Hammern (Freimauerloge) Halberstadt 197 Zu den drei Kleeblättern (Freimauerloge) Aschersleben 196f., 201 f., 204, 209 Zu den drei Säulen (Freimauerloge) Magdeburg 200 Zur Beständigkeit (Freimauerloge) Berlin 64 Zur Beständigkeit (Freimauerloge) Magdeburg 199f.

24,26,32,288

Zwackh, Franz Xaver von 168

149

151

200