Sozialstruktur und Organisation europäischer Nationalbewegungen 9783486819922, 9783486472615


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German Pages 175 [180] Year 1971

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Inhalt
Vorwort
Probleme der Nationalismus-Forschung
Soziologische Theorien zum Nationalstaatsproblem
Problemi storico-sociali del movimento nazionale in Italia
Problems of Organization and Social Questions in the Irish National Movement
Einfluß der sozialen Struktur auf den Charakter der Nationalbewegung in den kroatischen Ländern im 19. Jahrhundert
Sozialgeschichtliche Probleme der nationalen Bewegung in Deutschland
Das Erwachen kleiner Nationen als Problem der komparativen sozialgeschichtlichen Forschung
Zur Organisations- und Sozialgeschichte dänischer nationaler Bewegungen im 19. Jahrhundert
Zur Organisations- und Sozialgeschichte der finnisch-nationalen Bewegung im 19. Jahrhundert
Verzeichnis der Tagungsteilnehmer
Personen- und Autorenregister
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Sozialstruktur und Organisation europäischer Nationalbewegungen
 9783486819922, 9783486472615

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Sozialstruktur und Organisation europäischer Nationalbewegungen

Studien zur Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts Abhandlung der Forschungsabteilung des Historischen Seminars der Universität Köln Band 3

»Neunzehntes Jahrhundert« Forschungsunternehmen der Fritz Thyssen Stiftung

Sozialstruktur und Organisation europäischer Nationalbewegungen

unter Mitwirkung von Peter Burian herausgegeben von Theodor Schieder

R. O L D E N B O U R G • M Ü N C H E N - W I E N 1971

© 1971. R. Oldenbourg, München Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege sowie der Speicherung und Auswertung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Werden mit schriftlicher Einwilligung des Verlages einzelne Vervielfältigungsstücke für gewerbliche Zwecke hergestellt, ist an den Verlag die nach § 54 Abs. 2 U G zu zahlende Vergütung zu entrichten, über deren Höhe der Verlag Auskunft gibt. Gesamtherstellung: R. Oldenbourg, Graphische Betriebe G m b H , München

ISBN 3-486-47261-5

Inhalt

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Vorwort Theodor Schiedet

9

Probleme der Nationalismus-Forschung Eugen Lemberg Soziologische Theorien zum Nationalstaatsproblem Diskussion

19 31

Rosario Romeo Problemi storico-sociali del movimento nazionale in Italia Zusammenfassung Diskussion

39 48 5o

Kevin B. Noivlan Problems of Organization and Social Questions in the Irish National Movement Diskussion Mirjam

53 64

Gross

Einfluß der sozialen Struktur auf den Charakter der Nationalbewegung in den kroatischen Ländern im 19. Jahrhundert Diskussion

67 93

Wolf gang Zorn Sozialgeschichtliche Probleme der nationalen Bewegung in Deutschland Diskussion

97 116

Miroslav Hroch Das Erwachen kleiner Nationen als Problem der komparativen sozialgeschichtlichen Forschung Diskussion

121 140 5

Povl Bagge Zur Organisations- und Sozialgeschichte dänischer nationaler Bewegungen im 19. Jahrhundert Diskussion

143 153

Pentti Renvall Zur Organisations- und Sozialgeschichte der finnisch-nationalen Bewegung im 19. Jahrhundert Diskussion

155 168

Verzeichnis der Tagungsteilnehmer

169

Personen- und Autorenregister

171

6

Vorwort

Im Zusammenhang mit dem von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Forschungsprojekt „Organisations- und Sozialgeschichte europäischer nationaler Bewegungen im 19. Jahrhundert" fand am 28. Februar und 1. März 1969 in Köln ein Kolloquium statt, an dem sich Historiker aus acht europäischen Ländern beteiligten. Die Absicht dieses Gesprächs ging vor allem dahin, Gelehrte, die mit der Erforschung der Nationalbewegungen befaßt und dabei sehr oft auf ihre eigenen nationalstaatlichen Probleme konzentriert sind, miteinander in Berührung zu bringen, sie zur Anwendung eines vergleichenden Verfahrens anzuregen und damit sowohl Grundlagen für die Erfassung des Gesamtphänomes Nationalismus wie auch die Vertiefung der Untersuchung der einzelnen nationalen Bewegungen zu erreichen. Wenn dabei nicht von den ideologischen Problemen des Nationalismus ausgegangen wurde, so lag das nicht nur in der Richtung des ganzen Forschungsprojekts, dessen Durchführung der Forschungsabteilung des Historischen Seminars der Universität Köln übertragen ist, sondern es war auch durch die wissenschaftliche Situation geboten, die einen großen Rückstand der sozial- und organisationsgeschichtlichen Erforschung nationaler Bewegung aufweist. Eine Begegnung zwischen Historikern verschiedener Länder, die oft keinen Kontakt untereinander hatten und auch ihre Probleme gegenseitig meist gar nicht kennen, schien ein geeignetes Mittel, um auf dem Wege zu dem angestrebten Gesamtüberblick über die Nationalbewegung in Europa als ein in wesentlichen Zügen durchgehendes und einheitliches europäisches Phänomen weiterzukommen. Diese Erwartung hat nicht getrogen: aus der Gegenüberstellung verschiedener nationaler Verläufe erwuchs nicht nur die fruchtbare Diskussion für den Augenblick, sondern ergaben sich auch Anregungen für die weitere wissenschaftliche Arbeit. Es darf etwa nur auf den starken Eindruck hingewiesen werden, den die Darstellung des irischen Nationalismus hinterlassen hat. Sie machte deutlich, daß die herkömmliche Trennung des Nationalismus in einen westlichen staatsnationalen und östlichen volksnationalen Zweig in dieser Form nicht aufrechtzuerhalten ist. Der reiche Ertrag des Kolloquiums legte es nahe, die dort gehaltenen Referate — in mitunter erweiterter und durch Anmerkungen und Literaturangaben ergänzter Form — zusammen mit einigen weiterführenden Diskussionsbeiträgen der Öffentlichkeit vorzulegen, um so zu einer Fortführung des in kleinem Kreis geführten Gesprächs vor einem größeren Forum anzuregen. Der Fritz Thyssen Stiftung muß sowohl für die Förderung des Forschungsunternehmens und der Tagung wie auch für die Ermöglichung des Drucks aufrichtiger Dank ausgesprochen werden. Theodor Schieder 7

Theodor Schieder

Probleme der Nationalismus-Forschung

Die Nationalismus-Forschung hat unter dem Eindruck vor allem der europäischen Katastrophe, aber auch der Ereignisse in den anderen Weltteilen nach dem Zweiten Weltkrieg großen Auftrieb erhalten. Die von ihr behandelten Probleme liegen dabei auf ganz verschiedenen Feldern : einmal im Bereich genereller Fragestellungen nach dem Wesen des Nationalismus. Die vorherrschende Richtung geht hier im wesentlichen von der Analyse einer pathologischen Erscheinung aus, als der der Nationalismus in allen seinen Formen beschrieben wird 1 , während auf der anderen Seite der Einfluß moderner sozialpsychologischer und sozialwissenschaftlicher Methoden bei der Untersuchung der Phänomene des Nationalismus zu spüren ist 2 . Beides kann auch kombiniert werden und wird in vielen Fällen kombiniert, wenn auch die soziologischen Analytiker wertneutraler urteilen als die Repräsentanten einer ethisch gerichteten historischpolitischen Nationalismus-Forschung, zu denen ich vor allem Hans Kohn und Carlton Hayes rechnen möchte. Das zweite Feld der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Nationalismus-Problemen bilden die neuen außereuropäischen Nationalbewegungen, vornehmlich in Afrika und Asien, in geringerem Maße in Lateinamerika, der new nationalism, wie ihn ein amerikanischer Forscher, Louis L. Snyder, genannt hat, oder der Prozeß des nation-building. Die Zahl der hier zu nennenden Untersuchungen wäre Legion 3 , sie überwiegt bei weitem nicht nur der Zahl nach in der gegenwärtigen Nationalismus-Literatur, sie wird 1

2

Beispiele dafür: W. SULZBACH: Imperialismus und Nationalbewußtsein. Frankfurt a. M. 1959, und mit gewissen Modifikationen auch B. C. SHAFER: Nationalism. Myth and reality. New York 1955. Zurückhaltender urteilt H. KOHN: Die Idee des Nationalismus. Ursprung und Geschichte bis zur Französischen Revolution. Heidelberg 1950. Vgl. dazu den Bericht desselben Vfs. auf dem XII. Internationalen Kongreß für Geschichtswissenschaften in Wien 1965: Nationalism and Internationalism in the nineteenth and twentieth centuries. In: XII e Congrès International des Sciences Historiques. Vienne ... 1965. Rapports. I. Grands Thèmes. Horn u. Wien 1965. S. 191 ff. Darüber vor allem E.LEMBERG: Nationalismus. Bd. I: Psychologie und Geschichtc. Bd. II: Soziologie und politische Pädagogik. München 1964; K.W.DEUTSCH: Nationalism and social Communication. An inquiry into the foundations of nationality. New York u. London 1953; F. ZNANIECKI: Modern nationalities. A sociological study. Urbana (111.) 1952.

3

Ich greife nur folgende heraus: J. COLEMAN: Nigeria. Background to Nationalism.Berkeley u. Los Angeles 1958; TH. HODGKIN: Nationalism in Colonial Africa. London 5 1963; L. MAIR: New Nations. London 1963; N. A. ZIADEH: Origins of nationalism in Tunesia. Beirut 1962. - Über lateinamerikanische Probleme vgl. die Kölner Dissertation von G. KAHLE: Grundlagen und Anfänge des paraguayischen Nationalbewußtseins. 1963.

9

nur nicht immer in gebührendem Maße für ältere europäische Fragestellungen herangezogen. Sie bieten gegenüber älteren Untersuchungen völlig neuartigen Stoff und ermöglichen neue Erfahrungen, sie bringen die nationale Problematik in Verbindung mit geschichtlichen Phänomenen wie Imperialismus und Kolonialismus und reizen zu Vergleichen mit den europäischen Bewegungen im 19. und 20. Jahrhundert 4 , deren Problematik hauptsächlich die Untersuchungen der Nationalbewegungen und Nationalismen in der Zwischenweltkriegszeit bestimmt hat. Eine dritte Richtung der National-Forschung wurde angeregt durch die seit den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts auftretenden totalitären und integralen Erscheinungsformen des Nationalismus, die unser an den nationalbürgerlichen Bewegungen orientiertes Vorstellungsvermögen völlig verändert haben. Von hier gehen die Verbindungslinien zu der wissenschaftlichen Erforschung des Faschismus und der historischen Bedingungen, unter denen es entstand und sich zu verschiedenen Typen ausformte. Es sei namentlich an das große Werk von Ernst Nolte erinnert 5 . Aus alledem ergibt sich, daß alle Formen wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Nationalismus zur Berührung mit neuartigen Problemen des historischen Lebens führen müssen und sich nicht auf Fragestellungen des 19. Jahrhunderts und auch nicht auf Europa einengen lassen, sollen sie modernen Anforderungen genügen. Nationalismus kann als Gesinnung, Ressentiment, politische Triebkraft für die Gestaltung der inneren und äußeren Politik oder Ideologie von politischen Einheiten oder auch als desintegrierendes Element von äußerster Wirkungskraft, als Sprengmittel für »übernationale« politische Gebilde - seien sie auch ideeller Art wie Kirchen - aufgefaßt werden. Alle diese Interpretationen treten in der wissenschaftlichen Welt in oft verwirrender Fülle auf. Über dem Nationalismus als Bewegung und Tendenz ist aber oft sein Ergebnis, sein Produkt: der Nationalstaat, vergessen worden. Seine geschichtliche Erscheinung verdient aber weit mehr Aufmerksamkeit, als ihr bisher zuteil geworden ist, und zwar nicht in seiner Vereinzelung als konkreter Nationalstaat, sondern als historischer Typus, der in mancher Hinsicht überzeitliche Züge aufweist. Das Wort Nationalstaat bezeichnet nicht eine Staatsform im traditionellen Sinne der Staatslehre, sondern einen zugleich ideologischen wie soziologischen Staatstypus, der bestimmte Wesenszüge ausgeprägt hat, so schwierig es sein mag, diese auf einen gemeinsamen Nenner zurückzuführen. Der GegenbegrifF ist sowohl der ein umfassenderes Prinzip verwirklichende Universalstaat wie der von einer anderen, unter der Nation liegenden Begründung herkommende dynastische Partikularstaat. Jedoch führen solche Abgrenzungen sogleich mitten hinein in terminologische und mehr noch substantielle Unterschiede, die ihren Ursprung in der Regel in sehr weit auseinandergehenden Definitionen der Nation haben. Ihrer Bestimmung als subjektive Bekenntnis- und Willenseinheit steht eine andere nach einer objektiven - sprachlich-ethnischen - Homogenität gegenüber; solche Differenzen haben weit größere als nur theoretische Dazu der interessante Versuch von R. EMERSON: From Empire to Nation. The rise to selfassertion of Asian und African peoples. Cambridge (Mass.) 1960. ' E. NOLTE: Der Faschismus in seiner Epoche. München 1963.

1

10

Bedeutung gehabt, aber sie spiegeln doch nur eine in Europa bereits überwundene und nicht mehr existierende Lage wider, nachdem sich die Nationen hier weithin angeglichen haben. Auch Unterscheidungen wie die von Kulturund Staatsnation oder historischer und »natürlicher« Nation bleiben heute im letzten unbefriedigend, da sie sich zu sehr auf die historischen Erfahrungen des europäischen 19. Jahrhunderts beschränken6. In jüngster Zeit sind zwei soziologisch gerichtete Theorien des Nationalismus vorgetragen worden: die eine von Eugen Lemberg, sie sucht den Begriff des Nationalismus über sich selbst hinaus zu erweitern und auf die Ausbildung, Integration und Abgrenzung großer staatsbildender oder der Staatsbildung wenigstens fähiger gesellschaftlicher Gruppen anzuwenden, welcher Art immer die sie konstituierenden Merkmale sein mögen7. Was eine Nation zur Nation mache, sei nicht die Gemeinsamkeit irgendeines Merkmals, sondern umgekehrt ein System von Vorstellungen, Wertungen und Normen, ein Welt- und Gesellschaftbild, und das bedeute: eine Ideologie, »die eine durch irgendeines der erwähnten Merkmale gekennzeichnete Großgruppe ihrer Zusammengehörigkeit bewußt macht und dieser Zusammengehörigkeit einen besonderen Wert zuschreibt, mit anderen Worten: diese Großgruppe integriert und gegen ihre Umwelt abgrenzt«. In eine Formel gefaßt erscheint der Nationalismus damit als die Integrationsideologie jener Großgruppen oder Großgesellschaften, in die sich die Menschheit seit Anbeginn gegliedert habe und aller Voraussicht nach auch weiterhin gliedern werde 8 . Die zweite Theorie wurde von dem Amerikaner Karl W. Deutsch vorgetragen. Sie konzentriert den Nationsbegriff auf den Begriff der communication, der Mitteilung, oder Verbindung durch Mitteilung. »Membership in a people essentially consists in wide complementarity of social communication«. Diese communication vollziehe sich in physikalischen Prozessen und sei meßbar, unterliege Testmöglichkeiten verschiedener Art. Diese Thesen, die sich selbst als soziologische Theorien des Nationalismus verstehen, zeigen einen bemerkenswerten Fortschritt gegenüber allen bisherigen Versuchen, das Wesen der Nation und des ihr als Mentalität zugeordneten Nationalismus wissenschaftlich zu bestimmen, sie machen unabhängiger von Denkschemata, wie sie sich im Laufe von anderthalb Jahrhunderten europäischer Geistesgeschichte herausgebildet haben. Indessen wird man doch daran festhalten müssen, daß Nationalismus und Nation nicht nur formal verstanden werden und nicht als Bezeichnung für jede beliebige Integrationsideologie politischer Großgruppen oder auch beliebige Form der Kommunikation gelten können. Nationalismus ist vielmehr eine spezifische Integrationsideologie, die immer eine »Nation« in irgendeinem Sinne im Auge hat, nicht etwa eine nur am Sozialen oder Religiösen orientierte Gruppe. Ein sozialistisches Staatswesen z. B. oder ein theokratisches können in der sekundären Wirkung Nation bilden, dann aber treten zu ihren ursprünglichen staatsbegründenden Ideen andere »nationaler« Art, auch wenn es sich dabei zunächst nur um unterschwellige 6

Vgl. das in Anm. 2 genannte Werk von Lemberg.

' L E M B E R G , a . a. O . , B d . I I , S . 2 7 . S

LEMBERG, a. a. O . , B d . I I , S. 5 3 .

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Vorgänge handeln mag. Charakteristisch für solche Vorgänge ist etwa die Entstehung des sogenannten Sowjetpatriotismus und die Nationalisierung des Kommunismus in ihren verschiedenen Formen. Folgende Momente wird man als unerläßlich bezeichnen müssen, damit von einer »nationalen« Integrationsideologie gesprochen werden kann: 1. Es muß sich immer um eine Homogenität irgendwelcher Art handeln, die einer politischen Gruppe das Bewußtsein eines Anders- und Besonders-Seins gegenüber anderen Gruppen oder Einheiten verleiht. Eine solche Homogenität kann ethnisch oder sprachlich, sie kann kulturell oder religiös, aber auch einfach die eines gemeinsamen historischen Schicksals sein. In anderer Weise kann es sich auch um gemeinsame Wertvorstellungen ideeller Art handeln, die zwar primär einen universalen Anspruch erheben, aber sich dann auf einen bestimmten »nationalen« Träger verengen. Dies dürfte sich etwa an der Nationalisierung der französischen Revolutionsideen aufweisen lassen. 2. Homogenität allein braucht keine Nation zu begründen, es gibt geschichtliche Beispiele genug dafür, daß homogene Gruppen auseinanderstreben und verschiedene nationsähnliche Gebilde schaffen. Entscheidend für den Nationalbildungsprozeß ist die Entstehung eines Bewußtseins, das die Besonderheit eines Wertes, einer politischen Aufgabe oder eines geschichtlichen Auftrages an eine bestimmte »nationale« Gruppe bindet, diese mit allen anderen konfrontiert und ihre »Eigenart« zum Inhalt einer bestimmten nationalen Ideologie macht. Es versteht sich, daß die verschiedensten Inhalte hier verwendbar und auch tatsächlich in der historischen Erfahrung hervorgetreten sind. »National« sind sie nur alle insoweit, als sie ihre Verwirklichung mit einer bestimmten Gruppe identifizieren. 3. Die uns zur Verfügung stehenden geschichtlichen Beispiele lehren, daß das Bewußtsein des »Besonders-Seins« überwiegend die Tendenz hat, sich auf gemeinsame natürliche oder historische Ursprünge, also auf Abstammungsgemeinschaft oder historische Gemeinschaft, zurückzuführen. In solchen Versuchen liegt geradezu der Kern nationaler Ideologien. Es scheint nicht so, als ob dieser im wesentlichen aus der Entwicklung der europäischen Nationen gewonnene Eindruck durch die Prozesse der außereuropäischen Nationsbewegungen im grundsätzlichen korrigiert werden müßte. Auch hier ist durchgehend die Tendenz bemerkbar, durch das Zurückgehen auf Ursprünge, Anfänge und historische Traditionen aus der vorkolonialistischen Zeit, wenn auch oft sehr fragwürdiger Art (nicht anders als bei den europäischen Nationen!) Nationsbewußtsein zu begründen, wie es etwa Namen wie Mali oder Ghana ankündigen wollen, die auf alte vorkolonialistische autochthone politische Gebilde zurückgreifen. Man kann auch daran erinnern, welche Bedeutung z. B. die indianische Vergangenheit für nationales Bewußtsein im heutigen Lateinamerika hat. Die Künstlichkeit der Abgrenzungen der emanzipierten »Nationalstaaten« in Afrika, die fast überall auf die Grenzen der kolonialistischen Epoche zurückgehen, erschweren sehr oft solche traditionalistisch-historischen Begründungen, aber man muß feststellen, daß wir hier erst am Anfang einer Entwicklung stehen und noch keine abschließenden Urteile fällen können. 12

In vielen Fällen ist es auch ein sozialrevolutionärer oder ökonomischer Entwicklungsbegriff, auf den Nation gegründet wird, also mehr ein Vorgriff auf die Zukunft als ein Rückgriff auf Vergangenheit. Man kann daher von Entwicklungsnationen sprechen. Diese Überlegungen sind wichtig für die Verständigung über die Frage, was eigentlich ein Nationalstaat ist, von der wir ausgegangen sind. Die Staatsidee des Absolutismus, so sehr sie in vielen Fällen dem »Nationalstaat« vorgearbeitet hat, beruht in der ideellen, politischen und sozialen Hervorhebung des Fürstentums als der Quelle der Macht des Staates und in der Mehrung des Ansehens und der politischen Autorität des Herrschers. Das kann sich mit nationaler Ideologie verbinden, muß es aber keineswegs. Von Nationalstaat beim alteuropäischen Fürstenstaat ohne weitere Differenzierung zu sprechen, wie es manchmal geschehen ist, ist daher irrig. Die Staatsidee des Kommunismus dagegen beruht in der Verwirklichung der sozialen und politischen Macht der Arbeiter und Bauern, die die sozialistische Gesellschaftsordnung gewährleisten, solange bis die klassenlose Gesellschaft des Kommunismus hergestellt ist. Auch hier ist die Amalgamierung mit »nationalen« Bewußtseinsinhalten wie etwa dem von der besonderen Rolle eines nationalen Proletariats im Vollzuge der Weltrevolution oder von einem besonderen Wege zum Kommunismus möglich und ja auch tatsächlich nachweisbar; aber von einem Nationalstaat kommunistischen Typs kann man erst dann sprechen, wenn in diesem nationale Gehalte in dem Maße vorherrschend werden, daß sie das Staatsbewußtsein von Grund auf bestimmen, daß also der besondere nationale Inhalt eines nationalen Kommunismus geradezu einen besonderen Staatstypus mit besonderer gesellschaftlicher Verfassung schafft. Das ist besonders in Jugoslawien gelungen, in der Tschechoslowakei ist es versucht worden. Die Beispiele des absoluten Fürstenstaates und des kommunistischen Staates sind gewählt, um die Schwierigkeiten zu zeigen, den »Nationalstaat« als eigenen historischen Typus zu bestimmen. Es steht fest, daß die Staatsidee des Nationalstaats an der »Nation« orientiert sein muß, gleich was diese immer im konkreten Falle darstellen mag. Der Nationalstaat will diese Nation repräsentieren oder verwirklichen, was bedeutet, daß er seine »Staatsräson«, wenn man in diesem Zusammenhang von ihr sprechen kann, mit dem »Volksgeist« der Nation in Übereinstimmung bringt. Die Erfolge und Siege des Nationalstaats dienen dem Ruhme der Nation, erhöhen ihr Prestige in der Welt und gegenüber anderen Nationen. Im Sinne der demokratischen Identitätslehre, wie sie Rousseau begründet hat, stellt die Nation im Nationalstaat die volonté générale dar und ist so unbegrenzt wie diese. Die totalitäre Konsequenz, die aus der Lehre Rousseaus vom Gemeinwillen, in dem jeder einzelne sich total entäußert hat (aliénation totale), gezogen werden konnte, ist in dem Augenblick naheliegender, wo nicht mehr einfach vorausgesetzt wird, daß der Gemeinwillen die Verwirklichung der Freiheit will, sondern die Verwirklichung der Nation. Hier liegen die Ansatzpunkte für die Ideologie eines totalitären Nationalstaats, während auf der anderen Seite doch beachtet werden sollte, daß die ursprüngliche ältere Theorie des Nationalstaats eher von einem Begriff der Beschränkung gegenüber dem »Universalstaat« ausging und das Heil eines nationalen Staats 13

in seiner Begnügung mit einfachen, von der Natur gesetzten Grenzen sehen wollte. Der Verzicht auf einen totalitären Anspruch im Innern war im liberalen Nationalstaatsgedanken durch die fortdauernden individualrechtlichen Vorbehalte gegenüber einer unbeschränkten Staatsgewalt ohnehin gegeben, wenn man auch, wie die deutschen Liberalen es taten, bereit war, auf »Freiheit« zugunsten von »Einheit« Verzicht zu leisten. So ergeben sich von vornherein verschiedene Auslegungen des nationalstaatlichen Prinzips, wie sie auch seither in der Geschichte aufgetreten sind. Sie haben ihren Ursprung im Ideologischen, und so könnte man sagen, daß man den Nationalstaat in erster Linie als ideologisches System verstehen muß. Hier liegt eine Forschungsaufgabe, für die bereits manche Vorarbeiten geleistet sind und die am ehesten mit der Nationalismus-Forschung in Beziehung gesetzt werden kann, wenn es sich auch z. T. um andere Probleme handelt als bei dieser 9 . Einer Ideen- und Ideologiengeschichte der Nationalstaaten geht es vor allem um die institutionellen Verfestigungen des Ideologischen, um offizielle Staatslehren, Staatsideologien bis hin zu den Leitbildern im Geschichtsunterricht der Schulen, aber auch um Staatssymbolik in jeder Form. Im einzelnen ist vieles davon aus den einzelnen Nationalgeschichten bekannt, nur daß ihnen noch die Zusammenfassung unter einem bestimmten Horizont der Reflexion fehlt. Ein zweiter Fragenkomplex läßt sich mit den Worten »der Nationalstaat als Rechtsbegriff« bezeichnen. Diese Formulierung stammt schon aus den Jahren um die Jahrhundertwende, als deutsche Juristen in eine Diskussion um die Sprachenprobleme im deutschen Nationalstaat eintraten. Dies läßt darauf schließen, daß die Rechtsprobleme des Nationalstaats zuerst auf dem Felde des Sprachenrechts bewußt geworden sind, und manches davon hat sich bis heute erhalten. Indessen deutet schon die Problematik einer Nationalsprache in den nach dem Zweiten Weltkrieg neuentstandenen Ländern darauf hin, daß die alten Sprachenrechtsfragen wie die der rechtlichen Durchsetzung einer Staatsoder Nationalsprache oder die der Sicherung von Sprachenrechten für die Minderheiten zum Teil durch andere Fragestellungen überholt sind. Es sei nur an die Einführung ganz neuer oder künstlich erneuerter Nationalsprachen wie in Israel, Indonesien, Indien erinnert oder an die Weitergeltung von Weltsprachen wie des Englischen oder Französischen als Verständigungsmittel in neuen Staaten mit einem Sprachenpluralismus wie in Indien und in Afrika. Zudem ist die Problematik des Nationalstaats als Rechtsbegriff heute keineswegs mehr mit dem Sprachenrecht erschöpfend zu behandeln. Vielmehr entwickelte der totalitäre Nationalstaat Praktiken der Verfolgung von nichthomogenen Minderheiten, die über alles im bürgerlichen Nationalstaat Vorstellbare hinausgehen. So entstand eine nationalistische Verfolgungspraxis gegen die nicht der herrschenden Nationalität Angehörenden, die sich wenigstens teilweise noch eines rechtsförmigen Verfahrens bedient, teilweise aber reine außerlegale Willkür ist. Es ist zwar unleugbar, daß sich für solche Maßnahmen theo9

Über Deutschland dazu meine Untersuchung Das Deutsche Kaiserreich von 1871 als Nationalstaat. Köln u. Opladen 1961. (Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. 20.)

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retische Hinweise und auch auf Teilgebieten praktische Vorbilder in früheren Zeiten finden lassen, aber der Umfang und die Durchführung dieser Verfahren widerspricht doch allem, was in der Tradition des europäischen Nationalstaates bisher aufgetreten war. Der Rahmen eines überlieferten nationalstaatlichen Rechtsbegriffs, selbst wenn man darunter noch die radikalsten Verwirklichungen nationaler Homogenität versteht, ist damit gesprengt und so eine neue Dimension eröffnet, in der der Nationalstaat gerade jede rechtliche Bindung verneint oder Rechtsförmigkeit nur noch als Mittel benutzt, um rechtsstaatliche Bindungen zu durchbrechen. Es ist ein wissenschaftlich kaum haltbarer Schluß, daraus zu schließen, daß dies eine jedem nationalstaatlichen System an sieb immanente Erscheinung gewesen ist; die Entwicklung vom nationalliberalen zum nationaltotalitären Staat stellt mit anderen Worten keine unbedingte geschichtliche Notwendigkeit dar. Sie läßt sich keineswegs überall verfolgen und ist unter ganz bestimmten Bedingungen zustande gekommen, die zu analysieren eine dringende Aufgabe der wissenschaftlichen Historie ist. Ein drittes Forschungsproblem wird durch die Frage nach dem Nationalstaat als gesellschaftliche Einheit gestellt. Kann man überhaupt davon sprechen, daß sich nationalstaatlichen Bildungen bestimmte gesellschaftliche Systeme zuordnen lassen, oder bleibt es offen, welche soziale Ordnung in jedem einzelnen Nationalstaat vorhanden ist? Der bürgerliche Charakter der Nationalbewegungen im 19. Jahrhundert könnte dazu verleiten und hat oft genug dazu verleitet, eine notwendige Verbindung zwischen dem bürgerlich-liberalen und dem nationalstaatlichen Prinzip herzustellen und das eine als den Ausdruck des anderen zu verstehen. Daran ist soviel richtig, daß der »klassische« Nationalstaat des 19. Jahrhunderts in einer unauflöslich erscheinenden Ehe mit liberalen und bürgerlichen Elementen stand und seine politisch-soziale Ordnung mit seinem noch fast überall beschränkten Wahlrecht, mit Gewerbefreiheit und zuerst noch freihändlerischen Wirtschaftsprinzipien das Bürgertum in vieler Hinsicht privilegierte. Doch gehört auch zum Bild des älteren Nationalstaats, daß in ihm starke agrargesellschaftliche aristokratische Einflüsse lebendig waren, die auf dem Wege über die nationalen Armeen noch vermehrt wurden. Es gehört auch dazu, daß die Idee von der Nation als allgemeiner Bürgergesellschaft, wie sie die nationalen Parteien fast überall vertraten, sehr verschiedene Deutungen zuließ. Für die einen war die Nation ein Gesinnungsverband, zu dem alle, gleich welcher sozialer Herkunft, gehörten, die die rechte, d. h. nationale, Gesinnung hatten. Ausgeschlossen waren dann alle diejenigen, die die Nation und den Nationalstaat verneinten oder von denen man annahm, daß sie ihn verneinten wie die »Ultramontanen« oder die »Reichsfeinde« auf der sozialistischen Seite. Für die anderen war der gesellschaftliche Aufbau der Nation das Primäre und die volle Aktivbürgerschaft im Nationalstaat von bestimmten Voraussetzungen abhängig, z. B. von der beruflichen »Selbständigkeit«, wie sie im Wahlrecht der deutschen Nationalversammlung von 1848 erscheint. Diese Abstufung der politischen Rechte sollte aber nicht die Zugehörigkeit auch der Minderberechtigten zur Nation in Frage stellen; denn grundsätzlich wurde die Nation im Nationalstaat als das Ganze, Umfassende verstanden, nur mit ständischen Abstufungen. 15

Trotz des vorwiegend bürgerlichen Charakters des Nationalstaats in seinen früheren Phasen wäre es unzutreffend, in ihm einfach einen bürgerlichen Interessenverband zu sehen. Diese Gleichung geht schon deshalb nicht auf, weil das, was das bürgerliche Interesse war, ein sehr differenziertes Problem darstellt. Jedenfalls gab es hier von Anfang an Unklarheiten und Divergenzen, so etwa hinsichtlich der freihändlerischen Politik und ihres problematischen Verhältnisses zur dogmatischen Idee des Nationalstaats. Es schien vielmehr der nationalstaatlichen Ideologie zu entsprechen, wenn die Wirtschaftspolitik des Nationalstaats nach den Grundsätzen eines nationalen Protektionismus geführt wurde, wie es dann seit dem Ende der siebziger Jahre nicht nur in Deutschland geschah. Muß man also schon erhebliche Differenzierungen versuchen, sobald man den Nationalstaat nur in seiner bürgerlichen Phase betrachtet, so vermehren sich die Schwierigkeiten, ihm eine bestimmte Sozialordnung zuzuordnen, wenn man seine Geschichte bis in die neueste Zeit verfolgt. Ohne Zweifel haben alle nationalstaatlichen Lösungen versagt, als es darum ging, die Wirtschafts- und Sozialordnung auf die Erfordernisse seit der großen Weltwirtschaftskrise und der »zweiten industriellen Revolution« einzustellen. Hier waren nur noch übernationale Lösungen möglich. Trotzdem ist der Nationalstaat als politische und wirtschaftlich-soziale Organisationsform auch im Zeitalter übernationaler wirtschaftlicher und politischer Zusammenschlüsse nicht verschwunden, sondern hat sich in seinen Zielsetzungen und Aufgaben den Wandlungen geschichtlicher Entwicklung angepaßt. So bildet sich im Westen der Typus des nationalen Wohlfahrtsstaates namentlich in den skandinavischen Ländern heraus, bei dem der nationalstaatliche Charakter sich auf die besondere Form der Wohlfahrtssicherung einschränkt, abgesehen von den historisch-traditionalistischen Begründungen einer fortdauernden nationalstaatlichen Ordnung z. B. in der Monarchie. Innerhalb der kommunistischen Welt entspricht dem der Typus des Nationalstaats, der als sein Ziel den eigenen Weg zum Sozialismus verkündet, d. h. also eine besondere nationale Form kommunistischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Hier sind wir weit vom bürgerlichen Nationalstaat des 19. Jahrhunderts entfernt, aber sicher haben wir es noch mit nationalstaatlichen Formen überhaupt zu tun. Die soziale Integrationskraft der nationalstaatlichen Ordnung hatte sich schon früher seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert erwiesen, als auch die nichtbürgerlichen Schichten mehr und mehr oft entgegen ihren eigenen Ideologien in die nationalstaatliche Welt hineinwuchsen; jetzt im 20. Jahrhundert setzte sie sich auch nach revolutionären Umbrüchen und nach dem Einbruch von Fremdherrschaften durch und schuf einen völlig neuen Typus des Nationalstaats. Sein Betätigungsfeld ist nicht mehr die große Politik nach außen, sondern die gesellschaftliche Ordnung im Innern, die unter sehr verschiedenen ideologischen Vorzeichen neu geschaffen wird. Eine neue Problematik entsteht durch die Entstehung neuer Nationalstaaten in Entwicklungsländern mit vorindustrieller Wirtschaft und Sozialverfassung. Es taucht in der wissenschaftlichen Literatur darüber die Frage auf, ob die nationalstaatliche Struktur solcher Gebiete sich abschwächt oder verliert, sobald sie einen wirtschaftlichen Entwicklungsprozeß durchlaufen haben, worauf bis jetzt wenig hindeutet. 16

In den drei Fragestellungen nach dem Nationalstaat als Ideologie, als Rechtsbegriff, als Gesellschaftsform, hat man bereits eine Reihe von Ansätzen für wissenschaftliche Untersuchungen gewonnen, die über die bloße historische Materialsammlung oder Einzelforschung hinausgehen. Es kann noch weiterführen, wenn man es unternimmt, eine Typologie des Nationalstaats in Europa auch noch auf andere Weise zu versuchen. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, so zuerst die Möglichkeit einer Gruppierung der Nationalstaaten nach dem genetischen Prinzip ihrer Entstehung, das auf eine Gliederung in drei Stufen hinführt: am Anfang steht der integrierende Nationalstaat des westeuropäischen Typs, der aus einer revolutionären Umformung des bestehenden absolutistischen Fürstenstaats entsteht und die Nation aus einer inneren nationaldemokratischen Neubegründung schafft. Dem folgt der aus der Vereinigung von Teilstaaten hervorgehende unifizierende Nationalstaat im wesentlichen in Mitteleuropa mit einem starken Nachdruck auf dem Prinzip der nationalen Einheit, während in der dritten Phase der sezessionistische Nationalstaat geboren wird, der aus der Herauslösung aus übernationalen Großstaaten erwächst, wie zum Beispiel die Nachfolgestaaten der Habsburgischen Monarchie. Dieses Schema ist nicht widerspruchsfrei und höchstens idealtypisch verwendbar, es gestattet aber weit mehr als nur eine historische Ableitung, nämlich den Nachweis der Entstehung von bestimmten nationalen oder nationalistischen Mentalitäten, die den drei Stufen zugehören. Im formalen Sinne läßt sich eine andere Gruppierung nach dem jeweils innewohnenden verfassungspolitischen Prinzip vornehmen, wodurch man etwa zu der Unterscheidung von nationaldemokratischen, nationalmonarchistischen und nationaltotalitären Nationalstaaten kommen kann. Auch sie geht über das nur Formale hinaus, weil sich hinter diesen drei Typen sehr voneinander abweichende Strukturprinzipien verbergen, wie sie sich etwa im Unterschied des französischen - nationaldemokratischen - und deutschen - nationalmonarchistischen - Typus zeigen. Es stellt sich heraus, daß die Rolle der Monarchien in der Geschichte des europäischen Nationalstaats im 19. Jahrhundert eine weit bedeutsamere gewesen ist, als in der Regel angenommen wird. Die als Monarchien im 19. Jahrhundert neu entstehenden Nationalstaaten sind dafür historische Zeugnisse; sie werfen im übrigen jede in ihrer Art das Problem der nationalen Integrierung der Monarchie auf, was sich am deutschen Kaisertum nicht weniger als an den kleineren Nationalstaaten mit fremden Dynastien nachweisen läßt. Untersuchungen darüber fehlen im allgemeinen, sind aber für einige Länder eingeleitet. Eine andere Problematik verbindet sich mit dem nationaltotalitären Staat. Kann er überhaupt noch unter den Begriff des Nationalstaats gefaßt werden? Oder ist er nicht gerade, was die entgegengesetzte Meinung wäre, die reinste Verkörperung nationaler Politik, die von Anfang an ihre radikalsten Konsequenzen zu verwirklichen trachtete 10 ? Es ist schon daraufhingewiesen worden, in welchem Maße durch den nationaltotalitären Staat der traditionelle Rahmen 10

Mit dem Sprung des Nationalstaats in den Imperialismus, der zu dieser Frage gehört, hat sich vor allem H. ARENDT : Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Frankfurt a. M. 1955, beschäftigt.

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nationalstaatlicher Politik im üblichen Sinne gesprengt wird, was auf einen Wesensunterschied hindeutet. Auf der anderen Seite ist der nationaltotalitäre Staat mit dem „klassischen" Nationalstaat sicher historisch verknüpft und benutzt z. T. seine Ideologien: so will sich der Faschismus als Fortsetzung und Vollendung des Risorgimento oder der nationalsozialistische Staat als Vollendung der Reichsidee erklären. Diese historischen Verknüpfungen können nicht übersehen werden, wenn sich auch nachweisen läßt, daß sie in der Regel nur deklatorischen Charakter haben und mit ihnen Zerstörungen der Tradition, die man gerade zu bewahren angibt, Hand in Hand gehen. Hier lassen sich bisher noch nicht immer eindeutige Antworten geben, und die Rolle der historischen und pseudohistorischen Rechtfertigungen im totalitären Staat erfordert noch genauere Untersuchungen. Es muß der Vollständigkeit halber noch darauf hingewiesen werden, daß neben dem nationaltotalitären Staat als gemäßigte Form der nationalautoritäre Staat in der Zwischenweltkriegszeit entsteht, für den es Beispiele in Ostmitteleuropa (Polen, Litauen, Lettland, Estland, Rumänien, Jugoslawien), aber auch in den iberischen Ländern gibt. Sein Stil und seine Ideologie erheischen noch besondere Aufmerksamkeit, vor allem aber muß die Frage gestellt werden, wieweit dieser Nebentypus Anleihen beim nationalmonarchistischen oder auf der anderen Seite beim nationaltotalitären Staat macht. Eine typologische Unterscheidung, die noch vorgeschlagen werden könnte, wäre die von alten und jungen Nationalstaaten, d. h. solchen mit ungebrochener historischer Tradition in eine weit zurückliegende Vergangenheit - wie in Frankreich oder England - und solchen ohne ältere Tradition oder nur mit einer künstlich erborgten, wie bei den meisten neuen Staaten im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts. Diese Unterscheidung könnte von Bedeutung werden im Hinblick auf die außereuropäischen Staatsgründungen im 20. Jahrhundert, bei denen sich eine ähnliche Teilung in »alte« und »junge« Staaten zeigt (z. B. die afrikanischen Staaten auf der einen, China auf der anderen Seite), deren Auswirkungen bis in die praktische Politik gehen.

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Eugen Lemberg Soziologische Theorien zum Nationalstaatsproblem

Was ich im folgenden versuchen möchte, ist nicht eine Zusammenstellung und Kritik verschiedener soziologischer Theorien über den Nationalstaat. Es sind vielmehr einige Thesen zur Definition, Ortsbestimmung, Funktionsweise, Problematik und vielleicht auch Perspektive des Nationalstaates, wie sie sich aus bekanntem und vergleichend analysiertem historischen Material ergeben. Obwohl es sich also, laut Tagungsprogramm, um die Geschichte des W.Jahrhunderts handelt, wird dabei, schon um der Typik, der Ortung und Abgrenzung des damaligen Nationalstaats willen, auch von Beispielen aus früheren Epochen und, andererseits, von der Gegenwart die Rede sein müssen. Das Programm spricht von nationalen Bewegungen. Das wiederum verrät, daß es sich bei diesen Thesen nicht nur um Staaten handeln kann, da diese Bewegungen doch zum beträchtlichen Teil revolutionärer Natur, gegen bestehende Staaten und Staatensysteme, auch gegen Nationalstaaten, gerichtet waren. Aber gehen wir vom Nationalstaat aus! 1. Vom Nationalstaat ist erst in neuerer Zeit die Rede, wohl erst, als Bevölkerungen aus Objekten der Politik zu deren Subjekten geworden waren. Voraussetzung für diesen Begriff scheint das Bewußtsein seiner Problematik gewesen zu sein, nämlich die Erfahrung, daß es auch Staaten auf anderer Basis als auf der einer Nation gab und gegeben hatte, und daß ein Nationalstaat erst unter Kämpfen zu gewinnen war - oder auch verloren gehen konnte. Wo man diese Problematik nicht kennt - in England und in Frankreich etwa - ist auch die Vokabel „Nationalstaat" so gut wie unbekannt. Während also Begriffe wie Rechtsstaat, Wohlfahrtsstaat ihr Bestimmungswort von der Verfahrensweise des betreffenden Staates ableiten, bezieht sich der Nationalstaat auf das menschliche Substrat des Staates, auf die gesellschaftliche Gruppe, die diesen Staat zum Staat macht, ihn rechtfertigt, auf die Staatsursache. Sie wird als Nation definiert, d. h. als eine durch irgendein Merkmal als zusammengehörig ausgewiesene, von anderen Bevölkerungsgruppen unterschiedene und abgegrenzte, integrierte Gesellschaft oder Großgruppe. Der Sinn einer solchen Definition wird klar, wenn wir den Nationalstaat gegen andere, nach ihrer Staatsursache definierte Typen des Staates abgrenzen, etwa gegen den dynastischen Staat, den organisierten Machtbereich, den Besitz, das Erbe einer Familie. Der Nationalstaat setzt also das Bestehen, ja die - aktive oder passive - Beteiligung einer Nation oder Gesellschaft voraus. Er ist darum erst in einer Epoche möglich, in der es - aufgrund von Produktionsverhältnissen, Bildungs19

stand und Kommunikationsmöglichkeiten - solche bis zu einem Mindestgrad integrierte und dieser Integration bewußte Gesellschaften gibt, und nicht etwa nur dünne, durch die Bindung an eine Dynastie geeinte Führungsschichten. 2. Eine grundlegende - und doch sekundäre - Frage ist, welcher Art, an welchem Kriterium erkennbar integriert eine solche Gesellschaft oder Großgruppe ist, die zur Staatsursache wird oder zumindest potentiell werden kann. Als Gesellschaften dieser Art haben wir im europäischen 19. - und zum Teil 20. - Jahrhundert vornehmlich ethnische Gruppen erlebt, also Gruppen, die sich durch Merkmale wie Sprache, wirkliche oder vermeintliche Abstammungsgemeinschaft, Kultur, Charakter, Brauchtum und Bewußtsein von anderen abgrenzten und in sich integrierten. Aber ein Blick über diesen Zeitabschnitt und Kulturkreis hinaus zeigt, daß diese ethnische oder völkische Natur der Staatsursache reiner Zufall ist, daß es auch andere als ethnische Gruppen gibt, die zur Nation und zur Staatsursache werden können. Ein bekanntes Beispiel aus der Gegenwart ist Pakistan, dessen nationales Unterscheidungsmerkmal religiöser, nicht ethnischer Natur ist. Man wird auch zögern, die aus verschiedenen Völkern und Kulturen zusammengeströmten Träger des Nationalstaates Israel als eine ethnische Gruppe zu bezeichnen. Wenn es also verschiedene, auch nicht-ethnische Kriterien gibt, auf deren Grundlage sich große gesellschaftliche Gruppen zu nationähnlichen Gebilden integrieren und zu Staatsursachen werden können, so. müssen auch ideologische Gruppenbildungen - gegebenenfalls ohne gemeinsame Sprache oder Rasse - als Staatsursachen anerkannt werden, die von ihnen getragenen Staaten als eine Art Nationalstaaten. Die Vereinigten Staaten, China, die Sowjetunion sind Beispiele dafür. Ihnen ermöglicht der Verzicht auf ethnische Kriterien und die Verwendung einer Ideologie als Integrationskraft die Zusammenfassung jeweils mehrerer ethnischer Gruppen zu einer Art Großnation. Die Entstehung der Nation der Vereinigten Staaten würde man ethnosoziologisch als eine Ethnogenese durch colluvies gentium (W. E. Mühlmann) bezeichnen - also als das Zusammenströmen und die Assimilation asylsuchender ethnischer Gruppen. Obwohl das auch eine Art von Nationbildung ist, spricht der Deutsche hier nicht von einem Nationalstaat - ein Zeichen, daß in seiner Vorstellung Nation und ethnische Gruppe noch automatisch assoziiert werden, wie der westeuropäischen Vorstellung Nation und Staat identisch erscheinen. 3. Zwischen (National-)Staat und Staatsursache besteht so ein eigentümlich dialektisches Verhältnis. Gesellschaftliche Gruppen (ethnische Gruppen, Völker, Nationen) treten als Staatsursachen auf, bilden Staaten und grenzen sie gegen ihre Umwelt ab. Andererseits sind es Staaten, die zufällig zusammengefügte - unterworfene, ererbte, zugewanderte - Bevölkerungen zu Nationen formen, erziehen, integrieren. Diese beiden gegenläufigen Prozesse vollziehen sich nicht selten zu gleicher Zeit. Im europäischen 19. Jahrhundert ist die ethnische Gruppe, aufgrund der industriellen Revolution und in Gestalt des sogenannten nationalen Erwachens (»Risorgimento«) ihrer Eigenart so deutlich bewußt geworden, daß sie in einem bis dahin unerhörten Grad zur Staatsursache, Trägerin und Rechtferti20

gung des (National-) Staates wurde. Sie hat altüberlieferte dynastische Staaten und Reiche zerstört (Österreich-Ungarn, Rußland, Türkei), andere nach Maßgabe ihrer ethnischen oder Sprachgemeinschaft zusammengefügt(Deutschland, Italien), und sie hat sich dabei den alten Gewalten - Militär, Tradition, Verwaltung, Wirtschaftsstruktur - regelmäßig als überlegen erwiesen. Dagegen sind die so mächtig gewordenen ethnischen (und ähnliche) Gruppen ursprünglich oft selbst wiederum Ergebnisse staatlicher Organisation und Erziehung, so daß sie sich auf frühere selbständige (National-)Staaten berufen konnten auf in Wirklichkeit dynastische Staaten, die sie, mehr oder weniger gewaltsam, zu Nationalstaaten im modernen Sinne umdeuten. Da die beiden Prozesse - Nationbildung durch den Staat und Staatsbildung durch die (aufgrund welcher Merkmale oder Vorgänge immer zustandegekommene) Nation - zu allen Zeiten am Werke sind, muß auch heute mit der Integration zufälliger Verwaltungseinheiten zu Nationen, und also mit der Entstehung neuer Nationen aus dem - freiwilligen oder erzwungenen - Zusammenschluß ehemals selbständiger wie aus der - freiwilligen oder erzwungenen Spaltung ehemals zusammengehöriger Gesellschaften gerechnet werden. Nationen oder Völker sind nichts Ewiges; aus der Entstehung neuer Nationen (Ethnogenese) und aus ihrer Desintegration besteht die Geschichte der Menschheit. Ein vergleichender Überblick über diesen ständigen Prozeß der Ausbildung und Auflösung (Integration und Desintegration) von Nationen läßt die heutigen Nationalstaaten - und damit die uns geläufigen Nationen - als Ergebnisse einer zeitweiligen Fixierung großer gesellschaftlicher Gruppen an einem zufälligen Punkt dieses Prozesses erscheinen. So sind auf der iberischen Halbinsel zwei Staaten, Spanien und Portugal, erstarrt und haben entsprechende Nationen ausgebildet, während die Entwicklung ebensogut zur Zeit der Personalunion (1581-1668) auf einer gesamtiberischen Nation, vor der Vereinigung von Kastilien und Aragon (1479) auf drei iberischen Nationen hätte stehenbleiben können. Man kann sich aber auch ein Mißlingen der französischen Einigung um Paris und als Folge davon das Bestehen zweier Nationen und Nationalstaaten auf heute französischem Boden vorstellen, wie den tatsächlich erfolgten und heute möglicherweise noch weiter fortschreitenden staatlichen Pluralismus der Deutschen (Deutschland, Niederlande, Schweiz, Österreich; dazu heute Bundesrepublik und DDR). Zumindest theoretisch war zeitweise eine gesamtslawische Nation- und Staatsbildung nach Analogie des deutschen Wartburgfestideals nicht auszuschließen: eine Vorstellung, die die sowjetische Invasion und Souveränitätsdoktrin von 1968 - wenn auch auf Grundlage eines anderen Wertbegriffs - wieder aktuell gemacht hat. 4. Das hier angedeutete dialektische Verhältnis zwischen Staat (Nationalstaat) und Staatsursache (Nation) führt zu dem Streit über den Nationsbegriff, der die Soziologie der nationalen und quasinationalen Gruppen beherrscht. Soll als Nation - mit einem gewissen Anspruch auf Legitimität, Selbstbestimmung, Autonomie, Gruppenrechte - nur die Summe der Bürger eines Staates (Staatsnation) gelten oder auch schon eine in einem fremden oder »übernationalen« Staat lebende oder auf mehrere Staaten verteilte ethnische (religiöse, ideologi21

sehe) Gruppe von beträchtlichem Bewußtseins- und Integrationsgrad (Kulturnation; nach Friedrich Meinecke)? Die Antwort auf diese Frage hat erhebliche Konsequenzen für die politische und moralische Beurteilung nationaler oder quasinationaler Bewegungen : Wer die Nation als Staatsbevölkerung definiert, muß solche auf Autonomie oder Souveränität gerichtete Bewegungen als unberechtigt, nationalistisch, separatistisch verurteilen. Sein Standpunkt ist legitimistisch, wenn auch nicht auf der Basis des Ancien régime, so doch auf der der inzwischen errichteten Nationalstaaten. Wer dagegen auch jene Kulturnation als Subjekt von Rechten wie den oben angeführten anerkennt, der huldigt im Grunde einem revolutionären Prinzip und stellt unter Umständen das bestehende Staatensystem und seine vertraglich festgelegten Grenzziehungen in Frage. Es ist schwer zu sagen, welcher von diesen beiden Standpunkten nationalistischer ist. Philosophische Pioniere des Nationalstaates, von Hegel angefangen, aber auch Denker aus Westeuropa und Amerika, wo der Nationalstaat nur in Ausnahmefällen zum Problem geworden ist, neigen zur ersten Auffassung, d. h. zur Gleichsetzung von Staat und Nation, so auch Max Weber, der aber neben den Staatsnationen die ethnischen Gruppen eindringend charakterisiert; von neueren deutschen Theoretikern Walter Sulzbach. Die Franzosen hat der Verlust von Elsaß-Lothringen 1871 und der Anspruch auf das Franzosentum der deutschsprachigen Elsässer zur berühmten Definition Ernest Renans (plébiscite de tous les jours) veranlaßt. Von den Engländern hat den am Staat orientierten Nationsbegriff zuletzt besonders scharf Elie Kedourie vertreten - kennzeichnenderweise mit indischem Hintergrund, weil Indien in seinem Selbstverständnis als Nation auf die Ausschaltung ethnischer Kriterien angewiesen ist. Wenn man in Indien ethnisch dächte, gäbe es kein Indien mehr. Ethnische oder andere außerstaatliche Kriterien des Nationsbegriffs spielen dagegen dort eine besondere Rolle, wo der Nationalstaat im allgemeinen Bewußtsein nicht verankert ist, weil es ihn entweder nicht gibt - in übernationalen, auf anderer als ethnischer Grundlage beruhenden etwa dynastischen »Reichen« - oder weil die sich als Nationalstaaten rechtfertigenden Staaten in Wirklichkeit Nationalitätenstaaten sind, d. h. neben dem »Staatsvolk«, das dem Staat Namen und Rechtfertigung gibt, verschiedene um Autonomie oder Souveränität ringende Nationalitäten beherbergen. Diese Lage war im 19. und 20. Jahrhundert vor allem in Mittel- und Osteuropa gegeben, so daß man wenn auch mit Einschränkungen - von einem osteuropäischen Volksbegriff sprechen konnte. Das nationale Erwachen der hier lebenden Völker hat die ethnischen Merkmale dieses Begriffs hervorgehoben. Hier hat Max Hildebert Boehm mit seinem »eigenständigen Volk« der überlieferten Staatslehre eine Volkstheorie gegenüberzusetzen versucht. Die Theoretiker des an Sprache und Kultur orientierten Volksbegriffs stammen seit Johann Gottfried Herder vorwiegend aus dem östlichen Mitteleuropa. Sie und ihre Anhänger sind vor allem unter den minderheitlichen Volksgruppen zu finden, die sich in der Zwischenkriegszeit in Genf zum sogenannten Nationalitätenkongreß zusammenschlössen, aber auch unter den Juden - bezeichnenderweise nur unter den aus Ostmitteleuropa stammenden oder von dort nach Amerika ausgewanderten Juden, zum Unterschied von denen, die sich in Westeuropa assimiliert hatten und hier 22

den »westeuropäischen« Volksbegriff vertreten. Die gegensätzlichen Konzeptionen von Minderheitenschutz, die diese beiden Gruppen bei den Pariser Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg verfochten, kennen wir aus der Darstellung von Erwin Vief haus. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte man einen ähnlichen Dualismus des Volks- und Staatsbegriffs zwischen den Westdeutschen und den unter sie verteilten Vertriebenen aus den nichtdeutschen Nationalstaaten Ostmitteleuropas feststellen. Dem nationalstaatlichen Legitimitätsdenken gegenüber, das eine solche Orientierung des Nationsbegriffs an ethnischen Merkmalen als irrational und faschistisch denunziert, können deren Verfechter auf den unzweifelhaften Nationscharakter staatenloser Völker, der Polen durch 125 Jahre, der Juden durch zweitausend Jahre, verweisen. Übrigens gibt es auch in Westeuropa, und gerade in Frankreich, einen Zweig der politischen Soziologie, der die Bedeutung und Rechte der ethnischen Gruppen hervorhebt und föderalistische Verfassungen befürwortet, auch er freilich in der Gefahr, als romantisch und regionalistisch abgewertet zu werden. 5. Das Verhältnis zwischen Nationalstaat und ethnischer Gruppe als Staatsursache ist nicht nur eine Frage der soziologischen Theorie, sondern auch der politischen Praxis: man kennt sie in Gestalt des Nationalitätenproblems und der Nationalitätenpolitik. Die Geschichtsforschung hat immer wieder Beispiele einer richtigen oder falschen Nationalitätenpolitik zu behandeln, z. B. die preußische und deutsche Polenpolitik, die Nationalitätenpolitik der österreichungarischen Nachfolgestaaten. Die isolierte Behandlung solcher Fälle hat schon manchen Nationalstaat auf die Anklagebank versetzt. Sie verschleiert, daß hier ein aufgrund unzureichender Nationalitätentheorie beinahe gesetzmäßiges Gruppenverhalten vorliegt. Auch hier also erweist sich internationaler Vergleich als notwendig. Wird eine ethnische Gruppe zur Staatsursache - was für den Nationalstaat ex definitione zutrifft dann werden die anderen im gleichen Staat wohnenden ethnischen Gruppen zu potentiellen Gegnern dieses Staates, zumal wenn sich ein eine solche Gruppe repräsentierender Nationalstaat in der Nähe befindet. Der Nationalstaat muß also, mangels einer außerethnischen Staatsrechtfertigung (Staatsideologie), schon um seiner Selbsterhaltung willen auf die ethnische (sprachlich-kulturelle) Homogenität seiner Bewohner bedacht sein. Er sucht deshalb seine ethnischen Minderheiten durch Überredung oder Gewalt an die als Staatsursache fungierende Gruppe zu assimilieren, wenn er sie nicht, in extremen Fällen, aus dem Lande jagt. Erst Staaten, die auf einem andern als dem ethnischen Prinzip beruhen, die also nicht Nationalstaaten im eigentlichen Sinne sind, können in ihrem Bereich verschiedene ethnische Gruppen dulden, ja fördern, weil ihre Staatsursache gewissermaßen auf einer anderen Ebene liegt und durch ethnische Unterschiede nicht beeinträchtigt wird. Beispiel: die Sowjetunion, deren Zusammenhalt nicht auf einem ethnischen (sprachlich-kulturellen), sondern auf einem gesellschaftsideologischen Prinzip, nämlich dem Kommunismus, beruht. Sie hat in ihrem Namen eine nationale Bezeichnung streng vermieden und, wenigstens anfänglich, die Nationalitäten und ihre Sprachen gefördert, wenn sie auch immer in 23

Versuchung ist, zu einer Art großrussischen Nationalstaats zu werden. Dagegen ist sie gegen Abweichungen von der kommunistischen Staatsideologie um so empfindlicher. Auch die Schweiz rechtfertigt sich bekanntlich nicht als Staat einer ihrer ethnischen Gruppen; deshalb war es ein Mißverständnis, wenn sich einzelne Nationalstaaten - wie die erste Tschechoslowakei - auf die Schweiz als Modell für die Lösung ihres eigenen Nationalitätenproblems beriefen. Daß die gleiche Problemstruktur auch in Hinsicht auf andere als ethnische Gruppen und ihr Verhältnis zum Staat gilt, offenbart sich an der Religionspolitik von Staaten, deren Staatsursache oder Staatsideologie eine bestimmte Religion oder Konfession ist. Ihre Intoleranz liegt auf konfessionellem Gebiet. Für einen Nationalstaat ist es dagegen keine Kunst, religiöse oder gesellschaftsideologische Toleranz zu üben. Nationalitätenpolitik ist also nicht so sehr eine Frage der politischen Moral als vielmehr eine Frage der Ebene, auf der sie sich abspielt: auf der Ebene der Staatsrechtfertigungsideologie oder auf einer in dieser Hinsicht neutralen Ebene. Daß das dynastisch begründete Preußen zu seiner polnischen Bevölkerung ein besseres Verhältnis hatte als der deutsche Nationalstaat, hat Theodor Schieders Buch über das Deutsche Kaiserreich als Nationalstaat gezeigt. In dem seit 1918 durchgehend in Nationalstaaten aufgeteilten Mittel- und Ostmitteleuropa konnte man umgekehrt beobachten, wie Teile des gleichen Sprachvolkes in verschiedenen Rollen auftreten: Wo es als Mehrheitsvolk (Staatsvolk, Staatsursache) auftritt, veranlaßt es »seinen« Staat zu einer assimilierenden Nationalitätenpolitik; im Nachbarstaat, wo es eine der minderheitlichen Volksgruppen darstellt, kämpft das gleiche Volk verzweifelt um das entgegengesetzte Prinzip, um Autonomie oder Selbstbestimmungsrecht der ethnischen Gruppen. Der Genfer Nationalitätenkongreß (1925-1936) konnte mit seiner diesen Widerspruch aufdeckenden Logik die Staatsvölker nicht umstimmen. Unter dieses Zweischichtenmodell nationalstaatlichen Verhaltens fallen nicht die Konflikte zwischen zwei Gruppen innerhalb eines auf einer anderen Staatsursache beruhenden Staates. Beispiel dafür: der Rassenkonflikt in den Vereinigten Staaten. Auch hier allerdings kann die eine Gruppe darum kämpfen, sich allein mit dem Staat zu identifizieren und ihn damit zum eigenen »Nationalstaat« zu machen, womit dann die charakteristische Situation einer nationalstaatlichen Nationalitätenpolitik - hier genauer: einer rassenstaatlichen Rassenpolitik - gegeben wäre. Richard Nixons Ausspruch bei der Amtsübernahme, es müsse sich in den Vereinigten Staaten um eine Nation handeln, nicht um zwei, kennzeichnet den fast schon verzweifelten Versuch, es nicht dahin kommen zu lassen. 6. Beim Nationalitätenproblem im Nationalstaat geht es, wie sich hier schon gezeigt hat, im Grunde um ein Problem der Identifikation. Die Frage lautet: Gelingt es dem Staat, alle Gruppen seiner Bevölkerung zu veranlassen, sich mit diesem Staat zu identifizieren? Das aber ist eine Frage der adäquat oder nichtadäquat konstruierten Staatsideologie. Schließt diese Ideologie eine der genannten Gruppen aus oder konstruiert sie sogar einen Gegensatz zwischen dem Staat und einer dieser Gruppen, dann kann sich eine solche Gruppe mit dem Staat nicht identifizieren, sie kann sich ideologisch nicht in die Staatsnation 24

integrieren. Sie wird dann als illoyal, irredentistisch oder separatistisch angeklagt; aber die Schuld liegt bei ihren Anklägern, die ihr keine geistige Existenz ermöglicht haben. Der Nationalstaat nämlich, der sich als Staat einer bestimmten ethnischen Gruppe rechtfertigt, übernimmt im allgemeinen auch die, im Risorgimento entwickelte, Geschichts- und Sendungsideologie dieser Gruppe. Diese aber ist, ethnisch orientiert, nicht selten auf dem Gegensatz gegen die Umwelt und also gegen die anderen ethnischen Gruppen aufgebaut, die nun gegebenenfalls im gleichen Staate wohnen. Die schönste Volksideologie des RisorgimentoNationalismus aber reicht als Staatsideologie nicht aus, weil sie einen Teil der Staatsbevölkerung ideologisch aus dem Staat ausschließt, an der Selbstidentifizierung mit ihm hindert. Man kann also eine Staatsideologie richtig oder falsch konstruieren. Die Nationalstaatsideologien sind im allgemeinen falsch konstruiert. Dafür nur zwei einander entgegengesetzte Beispiele: Die erste tschechoslowakische Republik, als Staat des - fiktiven - tschechoslowakischen Volkes konzipiert, beruhte auf Masaryks von Palacky abgeleiteter, romantisch-idealistischer Ideologie von der demokratisch-humanitären Sendung der Tschechen gegenüber der feudalistisch-militaristischen deutschen Umwelt. An dieser Ideologie konnten die Deutschen dieses Staates keinen Anteil haben, ja sie figurierten darin als die Gegner. Auch den Slowaken war das tschechische, den Hussitismus kanonisierende Geschichtsbild fremd. Kennzeichnenderweise haben um 1930 einige Tschechen die Insuffizienz dieser Staatsideologie erkannt und - etwa mit dem Motiv des Großmährischen Reiches - eine Staatsideologie zu entwickeln versucht, mit der sich Deutsche und Slowaken hätten identifizieren können. Es war freilich zu spät. Das andere Beispiel betrifft das Verhältnis der deutschen Elsässer zur französischen Nation. Hier hatte Frankreich neben dem zweifellos ebenfalls vorhandenen ethnischen Motiv eine ethnisch neutrale Ideologie zur Verfügung, die Ideologie der Großen Revolution. Sie war es, die es den deutschen Elsässern - und anderen Nationalitäten Frankreichs - ermöglichte, sich mit der grande nation zu identifizieren. Es gibt Beispiele dafür, daß die Staatsideologie bewußt nur auf einen Teil der Staatsbevölkerung beschränkt, der übrigen Bevölkerung vorenthalten wird. Das bekannteste dafür ist das alte Osmanische Reich, das man allerdings nicht als Nationalstaat bezeichnen kann. Hier blieb die Teilhabe an der Staatsideologie, dem Islam, bewußt nur einem Teil der Staatsbevölkerung vorbehalten, weil sie Steuerfreiheit bedeutete. Der Staat war also schon aus finanziellen Gründen auf das Bestehen einer ideologisch nicht integrierten Bevölkerungsschicht oder Klasse angewiesen. Die christliche Rajah war zu dieser Rolle verurteilt. Das aber ergab ein ideologisches Zweiklassensystem, wie es heute — mutatis mutandis - in kommunistischen Staaten besteht. Auch hier nämlich stehen den organisierten Kommunisten die Parteilosen gegenüber. Daher die Versuchung, mit Milovan Djilas die Kommunisten als eine Klasse zu bezeichnen. Das Problem für einen solchen Staat ist auch hier, ob er eine andere ideologische Basis findet, um auch der ideologisch nicht integrierten Gruppe eine Selbstidentifizierung mit dem Staat zu ermöglichen. Im Osmanischen Reich ist diese Integrationsideologie weder gesucht noch gefunden worden, weshalb 25

sich der Aufstieg der Unterschichten gegen diesen Staat gerichtet hat. In den kommunistischen Staaten scheint es, als hätte ein gesamtstaatlich orientierter Nationalismus, der Sowjetpatriotismus, die Rolle dieser Ersatzideologie übernommen. 7. Im marxistischen Denken haben nationale Bewegungen und Nationalstaaten eine widersprüchliche Beurteilung gefunden. Da eine zur Staatsideologie gewordene Doktrin zu Konservativismus neigt, stehen die beiden Theorien teils unreflektiert nebeneinander, teils im Widerspruch zur gewandelten Wirklichkeit. Die zum Nationalstaat führenden nationalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts stehen in kausalem Zusammenhang mit dem Wandel von der agrarischen zur gewerblich-industriellen Produktion. Sie erscheinen deshalb als das Werk jener Schicht, die diesen Wandel vollzogen hat, des Bürgertums. Das macht die marxistische Theorie verständlich, Nationalismus sei eine Eigenschaft der Bourgeoisie, während sich das Proletariat, dessen Interessen über alle nationalen Grenzen hinweg identisch seien, durch einen Internationalismus auszeichne. Dem steht allerdings gegenüber, daß sich gerade die nach dem Zweiten Weltkrieg in Mittel- und Osteuropa zur Macht gekommenen proletarischen Führungsgruppen gegen den Nationalismus als keineswegs immun erwiesen haben. Der hier in den meisten kommunistischen Parteien immer wieder auftretende Wunsch nach einem eigenen, nationalen Weg zum Sozialismus verrät deutlich, daß gewisse Vorstellungen und Tendenzen des angeblich bürgerlichen Risorgimento-Nationalismus vom Proletariat rezipiert worden sind. Das Dogma vom bourgeoisen Charakter des Nationalismus läßt sich also nicht aufrechterhalten und wird auch, insbesondere unter jüngeren marxistischen Historikern und Soziologen, kritisiert. Es stammt aus einer Zeit, in der tatsächlich die sich erst formierende Bourgeoisie, um über kleinstaatliche Zersplitterung hinweg einen nationalen Markt zu gewinnen, an einem nationalen Zusammenschluß, zugleich aber, um die junge Industrie gegen ausländische Konkurrenz zu schützen, an Abschirmung gegen die anderen Nationalwirtschaften interessiert war. Diese Zeit ist aber vorbei. Schon lange ist die gleiche Bourgeoisie an wirtschaftlichen Großräumen und darum an internationalen Zusammenschlüssen interessiert. Auf der anderen Seite hat das Proletariat, in der Donaumonarchie besonders deutlich, seine jeweiligen nationalen Interessen entdeckt. Tschechische Arbeiter etwa standen deutschen und jüdischen Unternehmern gegenüber und erlebten ihren sozialen Emanzipationskampf zugleich als einen nationalen. Heute lassen sich diese Arbeiter an nationalem Widerstand gegen die sowjetische Okkupation und damit an nationalstaatlichem Denken kaum überbieten. Daß solches den marxistischen Theoretikern bekannt ist, verrät die in den anderen Staaten Ostmitteleuropas, etwa in Polen und in Rumänien, mit Erfolg praktizierte Verwendung nationaler Motive in der Staats- und Parteipropaganda, in Jugoslawien die durch Föderalismus nur wenig beschwichtigte Brisanz des Nationalitätenproblems. Das trotzdem weiter verkündete Dogma vom proletarischen Internationalismus, schon im Stil seiner Verkündung mehr als Postulat denn als Feststellung 26

eines Sachverhalts erkennbar, steht in einer gewissen Spannung zur marxistischleninistischen Nationalitätentheorie, wie sie von Lenin und Stalin - im Gegensatz zur Rennerschen Lehre der österreichischen Sozialdemokratie — formuliert worden ist. Während Renner mit dem personalen Prinzip einer ethnisch orientierten Kulturautonomie arbeitet, treten Lenin und Stalin für eine territoriale Autonomie und damit für ein im Grunde nationalstaatliches Prinzip ein, das dann die Sowjetunion mit ihren Teilrepubliken und ihrem Nationalitäten- (in Wirklichkeit Teilstaaten-) Parlament realisiert hat. Daß nach dem Zweiten Weltkrieg in Ostmitteleuropa das System der Nationalstaaten, wie ein Relikt aus der bürgerlichen Epoche, erhalten blieb, war ein Akt notwendiger politischer Klugheit, wurde aber auch durch die territorial orientierte Lenin-Stalinsche Nationalitätentheorie ermöglicht und gerechtfertigt. 8. Den erwachenden ethnischen Gruppen oder Völkern war der Nationalstaat als das höchste Ziel ihres Strebens erschienen. Nie hätte er jene gewaltigen, den überlieferten Mächten überlegenen Energien für sich mobilisieren können, hätte er im Bewußtsein dieser Völker nicht die Rolle der verheißenen, eschatologischen Gesellschaftsform gespielt, in der jeder Konflikt bereinigt, jedes Problem gelöst, jedes Unrecht beseitigt sein würde. Heute, da wir die Erfolge, aber auch die Probleme eines ganzen Systems von Nationalstaaten überblicken, fragt es sich, ob der Nationalstaat diese Verheißung erfüllt hat, ob er tatsächlich die beste und höchste Form nationalen Daseins geworden ist. Von den Nationalitätenproblemen abgesehen, die er dadurch heraufbeschwört, daß er eine ethnische Gruppe zur Staatsursache hat, ist diese Frage jetzt auch von dem Volk aus zu stellen, das seine Staatsursache bildet, das sich ihn geschaffen hat oder dem zuliebe er errichtet worden ist. Einige Beispiele sollen diese Frage beleuchten: Mit der Errichtung des Nationalstaates Israel im Jahre 1948 ist nicht nur die Rettung dieses durch Jahrtausende staatenlos lebenden Volkes gelungen, sondern auch ein Effekt erzielt worden, der den Nationalstaat überhaupt in seiner Relativität und Problematik zeigt: eine früher in allen Nationen einflußreiche, eine eigene geistige Physiognomie und Kulturmission in der Welt repräsentierende ethnische Gruppe ist jetzt in einen verhältnismäßig kleinen Nationalstaat gebunden, der sie auf einen viel engeren Wirkungskreis beschränken würde, wenn nicht die vielen, zum Teil an ihre Wirtsnationen assimilierten Juden in der übrigen Welt die Ausstrahlung des jüdischen Geistes immer noch gewährleisteten. Diese einschränkende Wirkung des erstrebten Nationalstaates wird noch deutlicher am Beispiel der Griechen, deren Sprache und Kultur die Märkte Südosteuropas und des Orients beherrschte, bis die geistige und wirtschaftliche Energie dieses Volkes vom Aufbau seines kleinen Nationalstaates absorbiert und im wesentlichen auf diesen eingeschränkt wurde. Auch für die Deutschen bedeutet die Errichtung des Nationalstaats von 1871 nicht, wie sie jahrzehntelang glaubten, Ziel und Höhepunkt ihrer Geschichte. Mit ihr ging - gewiß nicht ohne kausalen Zusammenhang - ein Verfall des deutschen geistigen Einflusses vor allem in Osteuropa Hand in Hand. Eine Zeitlang hält die deutsche Sprache als Verständigungsmittel unter den osteuropäischen Völkern die an 27

sich schon verlorene Stellung. Aber auch sie unterliegt der Beschränkung von einem Kulturkreis auf einen Nationalstaat. Diese Beispiele, die sich vermehren ließen, zeigen die Relativität und Ambivalenz des Nationalstaates auch vom Gesichtspunkt des Volkes aus, als dessen Staat er sich rechtfertigt. Die Ordnung, die Machtfülle und die gewiß auch kulturelle Energiesteigerung, die er für dieses Volk bedeutet, wird vielfach durch die Einengung auf bewachte Grenzen und sicher auch durch eine ideologische Uniformierung entwertet. Gerade die Gegenwart zeigt deutlich, wie schwer dann die aus wirtschaftlichen, technischen, kulturellen Gründen lebensnotwendige Überwindung dieser Grenzen zugunsten größerer Raumordnung fällt. Die Überlegenheit staatlicher Großraumorganisationen, die nicht an eine ethnische Staatsursache gebunden sind, ist offensichtlich. 9. Wenn so der Nationalstaat aufgrund der über sein Format hinausgreifenden technischen, wirtschaftlichen und geistigen Entwicklung auch zeitlich relativiert erscheint, als für eine bestimmte Epoche charakteristisch und an sie gebunden, dann erhebt sich die Frage nach der Funktion, die ihm und der ihn rechtfertigenden ethnischen Gruppe in einer mit anderen Größenordnungen arbeitenden Epoche zukommen wird. Für die Beantwortung dieser Zukunftsfrage gibt schon die Gegenwart deutliche Hinweise. Seit langem sind die Nationalstaaten daran, eine ihrer zum ursprünglichen Begriff der Souveränität gehörenden Funktionen nach der anderen an großräumige Organisationen abzugeben. Bei den kleineren ist dieser Trend weiter gediehen als bei den größeren, die sich zum Teil noch Illusionen darüber hingeben können; bei den unter Einfluß eines totalitär-ideologischen Systems geratenen weiter als im Bereich liberalerer Formen. D a aber - trotz des offensichtlichen, von West nach Ost fortschreitenden Abbaus des RisorgimentoNationalismus - die im 19. Jahrhundert ausgebildeten nationalen Gesellschaften infolge ihres hohen Bewußtseins- und Integrationsgrades nicht aus der Welt zu schaffen sind, werden sie offenbar bestimmte andere Funktionen behalten. Worum es sich also in der kommenden Epoche handeln wird, ist eine neue Verteilung der Funktionen zwischen den ideologisch orientierten Großreichen und den ethnisch orientierten Nationalstaaten. Welche Perspektiven ergeben sich für diese neue Rollenverteilung? Es sind vor allem die einen bisher unbekannten Aufwand an Energien und Kosten erfordernden Funktionen in Wirtschaft, Atomtechnik, Weltraumfahrt, Verteidigung, Weltentwicklung und Hungerbekämpfung, die die Möglichkeit selbst der großen Nationalstaaten überfordern. Sie sind zum Teil schon an Bündnissysteme, Gemeinsame Märkte, übernationale Organisationen und eben an die beiden Weltmächte übergegangen und werden das in steigendem Maße weiter tun. Dagegen neigen diese Großorganisationen, soweit sie über das Wirtschaftlich-Technisch-Militärische hinaus politische und ideologische Herrschaft ausüben, zu dogmatischer Erstarrung, zu ideologischem Konservativismus. Das läßt sich nicht nur an der Sowjetunion, sondern auch an den Vereinigten Staaten beobachten. Ihnen gegenüber fällt die Rolle des Revisionismus, der Experimente, der geistigen und künstlerischen Impulse jenen kleineren Gesellschaften, den ethnischen Gruppen, den Nationen der Nationalstaa28

ten zu. Das zeigt etwa die Bedeutung der kleineren Nationen Ostmitteleuropas für die Revision und Weiterentwicklung des Sozialismus gegenüber seiner sowjetischen Form. Das spitzt sich auf die Verteidigung nationalstaatlicher Souveränität durch die Tschechen gegen die Sowjetmacht zu. Im ganzen mag das Bestehen von Nationalstaaten mit eingeschränkter Souveränität in einem System von Weltmächten auf eine Art Föderalismus hinauslaufen, der ja auch gewisse Funktionen der Auflockerung, der Differenzierung, des kulturellen Nährbodens und Quellgebietes hat. Er entwickelt Binde- und Produktivkräfte, die das Großsystem nicht hervorbringt, eher unterdrückt. Mit anderen Integrationskräften und -prinzipien, etwa religiösen, ethnischen, regionalen zusammen, ergibt er ein mehrschichtiges System von Bindungen und Impulsen, die für die Entwicklungs- und Erneuerungsfähigkeit des Ganzen unentbehrlich sind. 10. Heute ermöglicht die weit fortgeschrittene Auseinandersetzung zwischen den Nationalstaaten und den großen Weltmächten schon einen Blick über die Epoche des Übergangs von einem System absolut souveräner Nationalstaaten zu den hegemonialen Großsystemen, die sie auf bestimmte Funktionen reduzieren. Dieser Übergang ist durch zwei scheinbar gegenläufige Prozesse gekennzeichnet: einmal durch die Spaltung überlieferter oder gerade erst zustandegekommener Nationalstaaten nach Maßgabe der zwischen den Weltmächten errichteten Interessengrenzen (Deutschland, Korea, Vietnam), zum zweiten durch Versuche der Nationalstaaten, sich in Form von Föderationen, Konföderationen, sogar Unionen zu größeren Machtgebilden zusammenzuschließen, um sich jenen Großsystemen gegenüber zu behaupten. Solche Versuche, bis jetzt immer noch ganz oder halb gescheitert, sind nicht nur im Westen, sondern auch im Osten unternommen worden, und deshalb in Hinsicht auf ihre Voraussetzungen, Methoden und Probleme, aber auch auf die Reaktion der jeweils zuständigen Weltmacht vergleichbar. Vergleichsmaterial sind im Westen die bekannten Verteidigungsbündnisse und gemeinsamen Märkte, von den Vereinigten Staaten zunächst, aber vermutlich nur bis zu einem gewissen Punkt, gefördert, im Osten die Versuche einer Föderation oder Konföderation zwischen Polen und Tschechoslowakei noch während des Zweiten Weltkriegs, zwischen den Balkanstaaten - besonders Bulgarien und Jugoslawien - unmittelbar danach, jene Versuche, die die noch von Stalin regierte Sowjetunion rücksichtslos unterdrückt hat. Das sowjetische Veto, zunächst erfolgreich, hat - auch das ist für die hier gegebene Alternative charakteristisch - das politische wie ideologische Emanzipationsstreben der betroffenen Nationalstaaten auf die Dauer gefördert. Die Tschechoslowakei, zwar durch jenes Veto und die konsequent gleichgerichtete Sowjetpolitik isoliert, hat 1968, wenn auch vergeblich, einen bedeutend höheren Anspruch an Souveränität stellen können als jene vereinigungswilligen Staaten vor 1950. Hinter diesem Kräftespiel steht offensichtlich eine Selbstregulierung der ideologischen Kräfte in großem Maßstab, nach Gesetzen, die zu erforschen wären wie die des Marktes durch Adam Smith: Das Machtsystem, um einer großen Ideologie willen, revolutionär, zustande gekommen, verfremdet diese Ideologie zum Mittel seiner Herrschaft und Rechtfertigung und läßt sie da29

durch dogmatisch erstarren. Damit gibt es aber den im Namen der Ideologie unterworfenen Teilsystemen (Nationen, Nationalstaaten) das Stichwort für die Revision und Weiterentwicklung der so verfremdeten und erstarrten Ideologie. Die Teilsysteme aber haben dadurch eine neue Mission bekommen, was ihre Bedeutung und ihren Selbständigkeitsanspruch wieder hebt. Sowjetische Invasion und Breshnew-Doktrin wie ihre schweigende Anerkennung durch den Westen können diese Dialektik auf die Dauer nicht ausschalten. Zugleich aber hat sich ein Wandel des weltgeschichtlichen Themas vollzogen, der an den Wandel von der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Reformation und Gegenreformation zum Kampf zwischen Ständeherrschaft und aufsteigendem Absolutismus erinnert. Marxismus im Westen und Revisionismus im Osten beginnen die ideologischen Grenzen zu verwischen. Damit kommt der lange verhüllte Antagonismus zwischen Nationalstaat und Weltmacht wieder zutage. Wie die geschichtliche Entwicklung damals dem Absolutismus, so wird sie heute vermutlich der Weltmacht den Sieg zusprechen, aber ebenfalls einen sehr modifizierten Sieg, der die ideologisch zunächst anspruchsvollere Weltmacht an Integrationsgrad hinter den ideologisch primitiven Nationalstaat zurückverweist. Dabei ist heute schon eines erkennbar: Mit den geistigen Mitteln des Risorgimento-Nationalismus können die erwachten Völker, die Staatsursachen der Nationalstaaten, diese Auseinandersetzung nicht gewinnen. Das bedeutet: Verzicht auf nationale Sendungsideologien zur Begründung von Selbstbewußtsein und Existenz, dafür Übergang zur Mitwirkung mit eigenen Argumenten an der Lösung der großen Weltprobleme.

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Diskussion

Pentti Renvall So interessant und tiefgreifend die prinzipiellen Auseinanderlegungen durch Eugen Lemberg auch sind, meine ich, daß man doch einige Randbemerkungen machen kann. Bei der Problemdefinition scheint er von einer Identifikation von Nation und Staatsursache auszugehen, die ihn in Schwierigkeiten verwickelt, welche meiner Meinung nach durch einen andersartigen Griff zu vermeiden sind. Er beschränkt sich hauptsächlich auf zwei Aspekte des Verhältnisses zwischen Staat und Nation, nämlich Staatsbildung durch Nation und Nationsbildung durch den Staat, scheint aber - trotz einiger Hinweise zu übersehen, daß diese Zweiteilung nicht die ganze Wirklichkeit deckt. Hier können, glaube ich, die finnischen Verhältnisse eine wichtige Komplettierung bringen. Die finnische Nationsbildung hatte zwar eine ziemlich starke sprachlichethnische Verankerung, indem eine große Mehrzahl der Bevölkerung finnisch sprach. Als aber die frühmoderne Nationsbildung im 18. Jahrhundert begann, wurde »die finnische Nation« nicht sprachlich-ethnisch aufgefaßt, sondern zunächst territorial als Gesamtheit aller derjenigen, die in Finnland wohnten oder von dort stammten, ungeachtet ob sie finnisch oder schwedisch sprachen. Hier war es also die Bevölkerung eines ziemlich geschlossenen Gebietes, die wegen gemeinsamer Schicksale und wegen des Gefühls der Gemeinsamkeit sich zu einer Nation entwickelte, und auf dieser nicht-ethnischen Nation gründete sich dann die Staatsbildung. Es kommt also hier eine Stufe zwischen Nation und Staat vor, die Züge von den beiden aufweist ohne mit ihnen zusammenzufallen. Es ist nicht ein zufällig zusammengefügter Staat, der zur Nationsbildung führt, sondern ein natürliches territorial-soziales Gebilde ist als Substrat aufzufassen, das den Ausgangspunkt für eine gleichzeitige Entwicklung sowohl in Richtung auf die Nation als in Richtung auf den Staat gibt. Nation ist somit nicht nur die Summe der Bürger eines Staates oder in einem fremden Staat lebende ethnische (oder religiöse bzw. ideologische) Gruppen, sondern es besteht auch die dritte Möglichkeit, daß sie die Summe der Bürger auf einem Gebiet ist, falls sich diese Gruppe aus irgendwelchen Gründen als eine Einheit auffaßt. Der Endpunkt einer derartigen Entwicklung sind auch nicht immer »in Wirklichkeit Nationalitätenstaaten« mit einem Staatsvolk und um Autonomie und Souveränität ringenden Minderheiten. Wie wieder in Finnland zu sehen, können alle Mitbürger sich als Mitglieder derselben Staatsnation auffassen, obwohl sie daneben auch verschiedene - dem Staatsnationsgedanken untergeordnete - sprachnationale Interessen haben. 31

Auf dieser Grundlage versteht man meiner Meinung nach auch in anderen Ländern solche Phänomene besser, die sich nicht gut in die anfangs angeführte Zweiteilung einfügen lassen, wie die polnische Nation im 19. Jahrhundert, aber auch den russischen Nationalismus derselben Zeit, der, obwohl er nicht ethnisch war und auch nicht, wie später in der Sowjetunion, auf einem ideologischen Prinzip aufbaute, schon früher doch als Nationsauffassung bezeichnet werden muß. Die hier angeführten Erwägungen geben vielleicht auch eine ein wenig andersartige Nuancierung bei anderen an sich sehr wertvollen Bemerkungen Eugen Lembergs. Es ist nicht immer so, daß der Staat bewußt danach strebt, alle Gruppen seiner Bevölkerung zu veranlassen, sich mit dem Staat zu identifizieren. Die Identifizierung kann sich auch, falls die Gefühle der Gemeinsamkeit genug stark sind, in natürlicher, organischer Weise entwickeln. Auch kann ein Staat eine Sendungsideologie haben, die sich nicht vorwiegend auf die Ideologie einer ethnischen Gruppe stützt. Der Gegensatz zwischen Rußland und Finnland im 19. Jahrhundert war — obwohl er auch ethnische Züge h a t t e nicht vorwiegend ein Gegensatz zwischen großrussischem und finnischem bzw. schwedischem Nationalismus, sondern zwischen den aus mehreren Komponenten bestehenden russischen und finnischen - für die beiden Sprachgruppen gemeinsamen - Staatsnationsgedanken.

Günter Kahle Zu Abs. 3: In Lateinamerika haben in der Regel die Staaten die Nationen geformt. Zu Abs. 5: In Lateinamerika können wir beobachten, daß »die anderen im gleichen Staat wohnenden ethnischen Gruppen« durchaus nicht immer »zu potentiellen Gegnern dieses Staates« werden, sondern daß sie sich in eine resignierende Passivität zurückziehen, was schließlich heißt, daß sie trotz aller Bemühungen seitens der Staatsführung nicht in diesen Staat zu integrieren sind und notwendigerweise als ethnische Fremdeinwohner behandelt werden müssen, oder, um es mit den Worten eines ecuadorianischen Historikers auszudrücken: das Verhalten der indianischen Rasse ähnelt dem eines riesigen kollektiven Selbstmordes. Zu Abs. 8: Der Referent spricht von Staaten, die »dem Volk zuliebe errichtet worden sind«, als Staatsursache. Er knüpft dabei an die Sulzbachsche Vorstellung von der Verwaltungsnation an, die sich ebenfalls in differenzierter Ausbildung in Lateinamerika findet.

Juraj Kramer Ich hätte gern an einige Punkte des Referats von Herrn Professor Lemberg angeknüpft, vor allem an die Punkte 7 und 8, an die Frage der marxistischen Interpretation der nationalen Bewegungen. Es besteht meiner Ansicht nach kein Zweifel darüber, daß die klassischen nationalen Bewegungen und die Entstehung der Nationalstaaten Westeuropas, die ja Marx vor allem zu interpretieren versuchte, in mancher Hinsicht in 32

einem gewissen kausalen Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Interessen der Bourgeoisie standen, wie es auch Professor Lemberg betont. Es besteht aber ebensowenig Zweifel darüber, daß die nationalen Bewegungen, die zu einem späteren Zeitpunkt in Erscheinung traten, vor allem die nationalen Bewegungen der Nationalitäten der österreichisch-ungarischen Monarchie oder die gegenwärtigen nationalen Bewegungen der Entwicklungsländer nicht einfach und eindeutig auf die Interessen der Bourgeoisie der Nationalitäten zurückzuführen sind. Ein markantes Beispiel für diese Tatsache aus neuester Zeit ist eben die Entwicklung in der Tschechoslowakei im Jahre 1968. Bei der Auslösung der dortigen Ereignisse spielte bekanntlich die Frage des slowakischen Nationalismus eine wesentliche Rolle. Das Merkwürdige und aus orthodoxer kommunistischer Sicht völlig Unfaßbare an der dauernd steigenden Intensität der slowakischen nationalen Bestrebungen war der Umstand, daß sich diese zu einem Zeitpunkt entwickelten, als die Bourgeoisie als Klasse bereits überhaupt nicht mehr existierte, und in einem Land, wo es sich sogar nicht einmal mehr um den Aufbau des Sozialismus handelte, sondern um eine nach offizieller Darstellung bereits vollendete sozialistische Gesellschaft, in der einfach keine nationalen Gegensätze sein konnten und durften. Trotz aller Versuche der Gruppe Novotny, die sich jahrelang bemühte, diese Regungen als bloße »Überreste des ideologischen Einflusses der Bourgeoisie« bzw. näher nicht identifizierter »reaktionärer Kräfte« abzutun, wurde es immer klarer, daß im Hintergrund der slowakischen nationalen Bestrebungen jene neuen wirtschaftlichen und sozialen Kräfte und Gruppen standen, die sich bereits in dieser neuen sozialistischen Gesellschaft entwickelten. Um eine Bourgeoisie als treibende Kraft der nationalen Bewegung konnte es sich also hier überhaupt nicht mehr handeln. Kehren wir jedoch zur Geschichte zurück! Wir müssen nämlich nicht bis zur Gegenwart gehen, um die Unhaltbarkeit der marxistischen These über die nationalen Bewegungen zu erklären und zu widerlegen. Bereits die tschechische nationale Bewegung im 19. Jahrhundert bietet genügend Anhaltspunkte, um dies klarzustellen. Bei der Interpretation der tschechischen nationalen Bewegung geriet nämlich die tschechische marxistische Historiographie in einen unlösbaren Widerspruch: einerseits mußte diese Bewegung aufgrund der marxistischen These als bourgeoise Angelegenheit bewertet werden; zugleich konnte jedoch aus propagandistischen Gründen das Verdienst der Errichtung des selbständigen tschechoslowakischen Staates - durch alle Schichten der Bevölkerung als höchste politische Errungenschaft empfunden und gepriesen - nicht der bekämpften und verhaßten Bourgeoisie überlassen werden: deshalb sprach man zugleich von dem Verrat der Bourgeoisie an der nationalen Sache. Man warf ihr dauernd Feigheit und Laxheit bei der Verfolgung nationaler Ziele vor und erklärte die Entstehung der tschechoslowakischen Republik als »Verdienst der arbeitenden Massen«. Interessanterweise können jedoch eben aus diesem klaren und ungelösten Widerspruch einige brauchbare Anhaltspunkte für den Versuch einer Interpretation der tatsächlichen Beweggründe dieser nationalen Bewegungen abgeleitet werden. Es waren nämlich tatsächlich immer breitere Schichten der Bevölkerung, die die eigentlichen Wortführer und Träger der nationalen Be33

wegung wurden. Nach der Bourgeoisie im eigentlichen Sinne des Wortes, der die Leitung der nationalen Bewegung um die Mitte des 19. Jahrhunderts oblag, schlössen sich im Verlaufe der Jahrzehnte immer neue soziale Schichten der nationalen Bewegung an: die Masse der Landbevölkerung, das Kleinbürgertum und später die Arbeiterschaft. Ihre Teilnahme an der nationalen Bewegung führte notgedrungen zur Intensivierung und Verschärfung des Nationalitätenkampfes. Der Schwerpunkt der nationalen Bewegung verlagerte sich dauernd zu den neuen sogenannten »unteren« sozialen Schichten, während auf der anderen Seite das Interesse der sozial, wirtschaftlich und politisch einigermaßen saturierten sozialen Schichten am nationalen Kampf teilweise nachgelassen hat. Dies geschah nicht nur in Böhmen und Mähren um die Jahrhundertwende, sondern dreißig Jahre später auch in der Slowakei, wo nicht die (übrigens ganz dünne) Schicht der eigentlichen Bourgeoisie an der Spitze der nationalen Bewegung stand, sondern die breiten Volksschichten, während die eigentliche slowakische Bourgeoisie im klassischen Sinne des Wortes tschechoslowakisch, also zentralistisch und nicht slowakisch nationalistisch orientiert war. Der nationale Kampf wurde für diese neu ins politische Leben tretenden sozialen Schichten identisch mit dem Kampf um soziale und wirtschaftliche Emanzipation und politische Demokratisierung; ob mit Recht oder Unrecht, das ist eine Frage, die separat behandelt werden muß. Ich halte jedenfalls die engste Verknüpfung der nationalen Bewegungen eines Teiles der Nationalitäten der österreichisch-ungarischen Monarchie mit den Bestrebungen um eine Demokratisierung der Gesellschaft für eindeutig bewiesen. Die enge Verknüpfung der nationalen und demokratischen Bewegung - (auch wenn diese oft durch besondere Umstände in einem ausgesprochen reaktionären Gewände auftreten) - ist jedoch nur eine ganz allgemeine Charakteristik, hinter der sich eine außerordentliche Vielschichtigkeit der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Hintergründe und Triebkräfte der nationalen Bewegungen verbirgt. Sie sind von Land zu Land völlig verschieden, ja sie sind sogar in ein und demselben Land aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt und haben meiner Ansicht nach sogar in verschiedenen Epochen und Entwicklungsphasen derselben nationalen Bewegung einen ganz anderen sozialen und wirtschaftlichen Inhalt. Einen Beweis dafür liefert bereits vielleicht ein kurzer Blick auf die landschaftliche, soziale und wirtschaftliche Karte der österreichisch-ungarischen Monarchie. Trotz der verschiedensten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsstufen in verschiedenen Gebieten der Monarchie entwickelten sich hier nationale Bewegungen, die am Ende des Weltkriegs praktisch dieselbe Intensität erreichten. Eine tatsächlich exakte und allgemein gültige sozialökonomische Determinierung der nationalen Bewegungen ist also meiner Ansicht nach aufgrund des heutigen Standes der Forschung unmöglich und ausgeschlossen, und es ist fraglich, ob dies überhaupt jemals möglich sein wird. Obgleich es sicher zutrifft, daß der Nationalismus am Ende des 19. und vor allem im 20. Jahrhundert nicht mehr ausschließlich eine bourgeoise Bewegung 34

ist, sondern die Ziele verschiedener so2ialer Gruppen ausdrückt, soll damit in keinem Fall behauptet werden, daß diese Bewegung auch tatsächlich immer den eigentlichen Interessen seiner Anhänger entspricht. Und hier ist ein weiterer Umstand zu charakterisieren, den Herr Professor Lemberg ebenfalls schon angeschnitten hatte, allerdings mit der sehr höflichen Umschreibung »über die Relativität und die Ambivalenz des Nationalstaates auch vom Gesichtspunkt des Volkes aus, als dessen Staat er sich rechtfertigt«. Ich halte den Nationalismus für eine jedermann leicht zugängliche (weil vor allem emotionell ansprechende) Form der sozialen Aktivität, durch die die von verschiedenen sozialen Schichten ersehnten und wegen der Kompliziertheit und Undurchschaubarkeit der tatsächlichen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht näher artikulierbaren Veränderungen angestrebt werden. Es handelt sich oft um eine völlig irrationale Bewegung, die sogar im krassesten Widerspruch zu den eigentlichen Interessen der durch seine Ideologie begeisterten Völker stehen kann. Es geht oft um eine Art von naivem Glauben, der in nur sehr geringem oder auch überhaupt keinem Zusammenhang zu den wirklichen Erfordernissen des Lebens steht. Es handelt sich praktisch in den meisten Fällen um eine Ersatzlösung. Ein Beweis dafür ist vielleicht der Umstand, daß nach der Erreichung des nationalen Zieles - des Nationalstaats - die große Ernüchterung eintritt und neue weitere und meist erst die eigentlichen Probleme sichtbar werden. Trotzdem ist es erstaunlich, welche Verbreitung die Ideologie des Nationalismus erreichte und welcher Erfolg sie begleitet, Erfolg allerdings nur im Sinne seiner Intensität und in der Menge seiner Anhänger. Es ist eine Tatsache, daß diese Phase der Entwicklung praktisch keine Nation umgehen kann. Die zwei großen politischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts - der Liberalismus und der Sozialismus - erlitten die größten Rückschläge eben als Folge des Umstands, daß sie das nationale Problem auszuklammern versuchten bzw. sich seiner Bedeutung überhaupt nicht oder nur allmählich bewußt wurden. Und im Gegenteil, aus dieser Erfahrung erklären sich die oft überraschenden Erfolge des heutigen Kommunismus, der im Gegensatz zu der Politik der kommunistischen Internationale zwischen den zwei Weltkriegen heute praktisch bedingungslos jede nationale Bewegung, sei sie auch noch so reaktionär, sogar auch faschistisch, unterstützt. Ich bin der Ansicht, daß das große und erstrebenswerte Ziel des Teils der Arbeit des Historikers, das der politischen Meinungsbildung gewidmet ist, unter anderem darin besteht, die einzelnen nationalen Bewegungen konkret und detailliert zu analysieren, um sie auf ihre konkrete Zweckmäßigkeit zu durchleuchten. Ich bin fest davon überzeugt, daß dadurch ein Beitrag zur Völkerverständigung geleistet werden kann. Miroslav Hroch Ich wollte zum Vortrag von Herrn Professor Lemberg von einer anderen Seite kommen und ergänzend von zwei methodischen Fragestellungen sprechen, die mir wesentlich zu sein scheinen, auch wenn sie nicht den ganzen Vortrag bestimmt haben, und zwar einerseits von dem Problem der wertenden oder 35

wertungsfreien Analyse des Nationalen und zweitens von der Gegenwartsbezogenheit der Erforschung der nationalen Entwicklung. Beide Fragen hängen eng zusammen. Meine erste Frage ist, inwieweit wir als Historiker methodisch bei der geschichtlichen Betrachtung die politische Wertung, das politische Moralisieren überhaupt hineinbringen dürfen. (Für Politologen liegen die Dinge vielleicht etwas anders.) Es war in dem Vortrag mehrmals davon die Rede, daß etwas »falsch« oder »richtig« war. Ich meine, diese immer wieder auftauchende Einmischung von Begriffen wie »gut« und »falsch« kann ein Politiker machen, aber meiner Meinung nach muß sich ein Historiker sehr dagegen wehren, solche Urteile hineinzubringen, wenn er nicht imstande ist, nach festen Kriterien zu belegen, was »richtig« oder »falsch« heißt. Besonders vage scheint mir auch die unreflektierte Benutzung des Begriffs Nationalismus zu sein in dem Sinne, daß man diesen Begriff - zum Teil bewußt und zum Teil im Unterbewußtsein einerseits als terminus technicus, andererseits aber als ein Pejorativum benutzt, also als Schimpfwort. Wenn man das nicht auseinanderbringt und zugleich den Begriff »Nationalismus« als Ausgangspunkt der Forschung nimmt, dann kann man meiner Meinung nach als Historiker nicht sehr weit kommen. Als politischer Moralist kann man vielleicht anders denken, d. h. entweder wollen wir den Nationalismus bekämpfen - das ist z. B. der Ausgangspunkt von Hans Kohn - oder wir wollen die Entwicklung der modernen Nation analysieren, ohne zu werten, also ohne entscheiden zu wollen, ob und wo der Nationalismus etwas »Falsches« ist oder ob es einen »guten« oder »schlechten« Nationalismus gibt. Bei diesem Nationalismus ist doch die Frage, ob wir da zwischen einem nationalen Bewußtsein, also einer wertbewußten nationalen Zugehörigkeit, und einer unkritischen, mit Xenophobie gekoppelten Liebe zu der eigenen Nation unterscheiden sollen. Es liegen in dieser Frage zwei meiner Meinung nach unvereinbare Ebenen, einerseits die Optik des »Geschichtsmachens«, also der Leute, die im Nationalitätenstreit engagiert waren, und andererseits die kritische Betrachtung eines Historikers. Wir müßten doch bemüht sein, daß wir nicht in die erste Ebene hineinfallen, daß wir nicht als unsere Argumente in unserer Betrachtung die Argumente und die Denkart der Geschichtsmacher benutzen. Wir wollen uns davor hüten, das 19. Jahrhundert und seine Ansichten unbewußt und unreflektiert hineinzunehmen. Daher scheint mir eben der Nationalismusbegriff als Ausgangspunkt der Forschung sehr gefährlich zu sein. Ich kann nur die Meinung wiederholen, daß wir uns als Historiker künftig darüber klar sein sollten, die Nation als das Primäre zu analysieren. Man kann natürlich einen Einwand bringen und sagen, wie kann man das Aktuelle an der Analyse der Nationalitätenfrage für die Gegenwart völlig ausschalten. Und da bleibe ich die Antwort schuldig; jedenfalls scheint es mir aber sehr wichtig zu beachten, daß ein wesentlicher Unterschied zwischen dem 19. Jahrhundert (sagen wir bis zum Ersten Weltkrieg) und der Gegenwart besteht. Das 20. Jahrhundert unterscheidet sich von den »klassischen« Zeiten der Nationalbewegung besonders dadurch, daß hier die Kommunikation eine qualitativ andere Rolle für die Integrierung bzw. Desintegrierung der modernen Nationen spielt und daß man heute die Kommunikation völlig unabhängig von der sozialen Mobilität als einen national erziehenden Faktor (Rundfunk, Fernsehen) gelten lassen kann. Man kann auch in einer völlig stabilen 36

Gesellschaft ohne soziale Mobilität durch den Rundfunk jeden mit jedem verbinden; das hat man früher nicht gekonnt. So läßt sich auch ohne national relevante Gegensätze ein Nationalismus verbreiten, so kann man auch die Leute manipulieren, daß sie sich Überzeugungen aneignen, die als Forschungsgegenstand gar nicht ernst zu nehmen sind.

Eugen Lemberg Zu Herrn Hrochs Einwand, ich hätte in die Behandlung der Nationalitätenfrage moralisch wertende Gesichtspunkte eingeführt, kann ich nur sagen, daß das auf einem Mißverständnis beruhen muß. Ich habe im Gegenteil betont, es sei keine Sache der politischen Moral, wie ein Nationalstaat seine Minderheiten behandelt, sondern der ideologisch verschiedenen Ebenen: Ein Staat, der sich ideologisch als Organisation eines Sprachvolkes rechtfertigt, ermöglicht es seinen anderssprachigen Volksgruppen nicht, sich mit ihm zu identifizieren. Die Frage an die Staatsideologie eines Nationalstaats ist also keine moralische, sondern eine Frage nach ihrer Zweckmäßigkeit, d. h., ob sie den gegebenen Nationalitätenverhältnissen adäquat ist. Ich bin durchaus gegen die verfrühte Einführung moralischer Gesichtspunkte. Das hat mir sogar Vorwürfe eingebracht; denn als ich in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg über den Nationalismus sprach, ohne ihn von vorneherein als Verbrechen zu proklamieren, da geriet ich sofort in den Ruf eines Verteidigers des Nationalismus. Hier gehörte also die moralische Entrüstung offenbar zu dem von der Öffentlichkeit erwarteten Standard, den aber auch ich - wie Herr Hroch - für unwissenschaftlich halte. Darf ich zum Schluß noch einen Gesichtspunkt betonen, der mir methodologisch wichtig war: Viele Einsichten in die hier behandelten nationalen Bewegungen, staatsbildenden und nationbildenden Prozesse, die in Europa verhältnismäßig abgeschlossen und also schon Historie sind, lassen sich erst gewinnen, wenn man die entsprechenden, heute im Gang befindlichen Prozesse in Afrika, in Lateinamerika und in Asien zum Vergleich heranzieht. An dem Modell Südamerikas oder Afrikas (Nigeria z. B.) und Asiens kann man die Erscheinungen der Akkulturation, der Integration neuer und Desintegration alter Gesellschaften (Nationen, Völker) besser studieren, als man sie selbst in Europa erlebt hat, weil sie an krasseren Niveaugegensätzen und auf wenige Generationen zusammengedrängt zu beobachten sind, im Grunde aber den gleichen Tendenzen folgen, die im Risorgimento der europäischen Nationen wirksam waren. Der so begrüßenswerte, von dieser Tagung erstmals versuchte Vergleich so vieler nationaler Erwachensbewegungen sollte auf diese außereuropäischen Erscheinungen ausgedehnt werden.

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Rosario

Romeo

Problemi storico-sociali del movimento nazionale in Italia

Il movimento per l'unità italiana fu la risultante di un insieme assai vario di fattori regionali, sociali e culturali : e appunto per questo occorre rinunciare fin dall'inizio al tentativo di intenderlo come una proiezione delle esigenze economiche di una borghesia mirante alla formazione del mercato nazionale. Lo sviluppo dell'economia italiana fino al 1860 e oltre è ancora troppo arretrato per porre in termini concreti l'esigenza di relazioni più strette tra le varie regioni della penisola. Indubbiamente, quella esigenza é visibile nelle regioni che formeranno poi il nucleo più avanzato del sistema economico dell'Italia unita. L'aspirazione a stabilire rapporti commerciali più intensi e più facili tra Milano e il grande porto di Genova; l'importanza del mercato lombardo per le esportazioni vinicole piemontesi ; l'unità strettissima della grande agricoltura irrigua lombardo-piemontese, al di qua e al di là del confine tra il Regno sardo e il Lombardo-Veneto ; l'importanza assunta da certe produzioni, come la seta, e dalle relative esportazioni per buona parte della pianura padana centro-occidentale, possono essere ricordati come stimoli alla formazione di legami più forti tra Piemonte, Lombardia e Liguria. Ma altrove è assai più difficile riscontrare tendenze analoghe, ché ciascuna regione resta legata a un ambito di scambi strettamente locali o tendenti semmai a stabilire rapporti più importanti con i paesi industrializzati dell'Europa occidentale e con la Mitteleuropa che non con altre regioni italiane. Fin verso il 1880 l'industria lombarda testimonierà un interesse assai scarso per il mercato a sud del Po, che resterà in larga misura aperto, in regime di libero scambio, alla penetrazione dei prodotti dell'industria francese e inglese. Le regioni meridionali resteranno suddivise in una serie di compartimenti economici con scarsi rapporti interni; e per ciò che riguarda i rapporti con i paesi al di fuori del Regno di Napoli, basti ricordare per es. che nel decennio 1830—40 le esportazioni dell'isola di Sicilia erano dirette per il 40,4% verso la Gran Bretagna e i suoi domini e per il 14% verso la Francia, mentre solo il 15,5 % andava agli Stati Sardi e il 9,2% ai territori sotto dominio austriaco, comprendenti, com'è noto, quasi tutta la restante Italia settentrionale. Di unità economica della penisola, di un sistema italiano di ferrovie, di dogane, di legislazione commerciale, di pesi e misure si parlò molto prima del 1848, specie nei programmi del partito moderato : ma le analisi più recenti confermano che, anche nelle regioni più progredite, si trattò di esigenze proposte dai gruppi intellettuali più avanzati e ansiosi di additare al paese mete di progresso economico che gli ambienti economici erano ancora lontani dal proporsi. Il momento decisivo del moto per l'unità italiana resta dunque l'iniziativa politica e intellettuale dei gruppi di avanguardia; e ogni tentativo di ricostruirlo in funzione di problemi economici è condannato inevitabilmente a fallire. 39

Tutto ciò va detto non certo per negare l'importanza dell'analisi dei rapporti tra questa iniziativa intellettuale e politica e la realtà economica e sociale del paese: ma come necessario avviamento a una corretta impostazione del problema, che sfugga al pericolo di soluzioni fondate su elementari rapporti di tipo causalistico, e riesca invece a cogliere la ricca serie dei reciproci condizionamenti che legano insieme e danno un significato coerente e unitario alla spinta risorgimentale. E in effetti è facile osservare che, se comuni sono spesso le formule ideologiche e politiche tra gli esponenti del moto nazionale, da un capo all'altro della penisola; se analoghi obbiettivi economici sono proposti da economisti meridionali come Francesco Ferrara e Antonio Scialoja e da uomini politici settentrionali come Cavour; se tutto il pensiero politico del Risorgimento attinge alla comune matrice culturale del liberalismo europeo e soprattutto francese e inglese: è tuttavia assai diversa l'efficacia e la risonanza di queste posizioni nei diversi ambienti regionali. In regioni come la Lombardia e il Piemonte il graduale progresso delle strutture economiche proponeva infatti agli intellettuali e ai politici l'immagine di una diversa Italia, il cui inserimento nel mondo europeo più avanzato appariva una meta concretamente realizzabile, una volta rovesciati gli ostacoli politici che vi si opponevano. Da ciò derivava una ricchezza di temi e aspirazioni di questo tipo, nella cultura di tali regioni, che non trova riscontro in quella delle zone più arretrate; e soprattutto una struttura delle forze politiche e sociali che rese assai più efficace e più seguita l'iniziativa dei gruppi di avanguardia. Le regioni dell'Italia nord-occidentale - comprendenti all'incirca Piemonte, Lombardia e Liguria - avevano infatti potuto realizzare, tra Sette e Ottocento, una serie di progressi che davano loro già prima dell'unità una fisionomia nettamente diversa da quella del resto d'Italia. Vi contribuivano i risultati ereditati dalla rivoluzione comunale del Basso medioevo, che in queste regioni aveva già travolto le strutture feudali della proprietà terriera e aperto la via a uno sviluppo economico-sociale i cui risultati non andarono perduti neanche nei secoli della decadenza, tra la metà del XVI e la metà del XVIII secolo. Lo sviluppo cittadino - e l'Italia resterà sino al 1850 il paese europeo che conta il maggior numero di città con popolazione superiore a 50,000 abitanti - aveva creato in effetti un mercato urbano per i prodotti agricoli che spiega in buona parte la sopravvivenza di larghi settori di agricoltura commerciale, legata alla formazione di redditi in denaro ; e su questa base si realizza una lenta evoluzione che condurrà, tra Sette e Ottocento, alla formazione delle strutture più avanzate dell'agricoltura italiana. La grande azienda agricola fondata sull'irrigazione e sulla produzione di foraggi, base indispensabile di un largo allevamento di bestiame da carne e da latte, è testimoniata fin dal XVII secolo nella bassa pianura milanese e lodigiana; e da quella zona viene gradualmente estendendosi alle province di Pavia, di Novara, di Vercelli e più tardi a quelle di Alessandria, di Mantova e di Cremona. Si tratta di una agricoltura altamente produttiva, che si fonda su complessi e razionali avvicendamenti agrari, sull'uso di una vasta rete di canali in buona parte ereditati anch'essi dall'età comunale, e soprattutto sulla gestione unitaria di grandi aziende agricole, condotta con l'investimento di estesi capitali di esercizio. Esse sorgono su fondi appartenenti per gran parte a famiglie della grande aristocrazia, che talora se ne fa diretta 40

conduttrice; ma il fatto più diffuso e caratteristico è la graduale sostituzione, in queste zone, dei vecchi rapporti mezzadrili che avevano sino allora assicurato la utilizzazione del suolo, con rapporti di affitto in cui acquista rilievo preminente la figura del grande affittuario. Si tratta, all'origine, di affitti assai spesso meramente speculativi, in cui l'affittuario si frappone tra proprietario e coltivatori con funzioni soltanto intermediarie; ma ad essi si sostituisce man mano l'affitto imprenditoriale, in cui tutta l'azienda è condotta con mano d'opera salariata e con capitali messi a disposizione dal Attuario, che in tal modo realizza le condizioni necessarie per la creazione della moderna azienda agraria capitalistica. Nasce cosi, a costo di un intenso sfruttamento del lavoro contadino, uno dei raggruppamenti sociali che saranno più attivi ed influenti nel moto risorgimentale. Legati a un livello di produttività abbastanza elevato, e dunque fautori di una politica commerciale liberista, dotati di una supremazia sociale che resterà indiscussa sino alla diffusione del socialismo agrario nella Val padana, questi settori forniranno alcuni degli esponenti più attivi del liberalismo risorgimentale, di origine borghese o provenienti dall'aristocrazia imborghesita, a cominciare da Cavour: e la loro impronta resterà a lungo su tutta la struttura politica del nuovo Stato. Ma anche al di fuori di queste zone più progredite importanti trasformazioni si realizzano nell'agricoltura settentrionale, tanto nella pianura destinata prevalentemente a coltivazioni in asciutto quanto nella vasta regione collinare del Piemonte e della Lombardia. Qui l'introduzione del mais durante i secoli XVI e XVII aveva già profondamente modificato la vecchia rotazione biennale e assicurato, con la quasi totale eliminazione dei terreni a riposo, un sostanziale incremento delle disponibilità alimentari. Era peraltro una agricoltura che, a differenza di quella della zona irrigua, incontrava un limite insuperabile nella scarsa disponibilità dei foraggi e quindi del bestiame ; e la situazione non muterà sino alla seconda metà del secolo XIX. Ma in queste zona di colture asciutte e di terreni collinari una funzione decisiva fu assolta dalla diffusione delle piante legnose, in primo luogo del gelso e poi della vite, che d'altronde acquistò una decisa preminenza in certe zone specialmente della collina piemontese. L'incremento della domanda di sete da parte dei paesi in via di industrializzazione, Francia e Inghilterra soprattutto, porta infatti alla diffusione del gelso e del connesso allevamento del baco in zone estesissime, creando una corrente di esportazioni che sarà presto la voce attiva più importante del commercio estero italiano, e che produrrà un flusso di redditi i cui effetti si avvertiranno in tutta l'economia delle regioni settentrionali. Attraverso la divisione a metà del prodotto i contadini vengono direttamente cointeressati all'allevamento del baco ; e le aziende ne ricavano una integrazione di reddito che in molti casi è all'origine della diffusione della proprietà piccola e media ovvero del consolidamento di un ceto di mezzadri benestanti che in più casi impiegano lavoro estraneo al nucleo familiare e si avviano ad assumere perciò anch'essi fisionomia di produttori capitalisti. Altrettanto si dica poi della diffusione del vigneto, e della produzione vinicola anch'essa destinata in parte all'esportazione. In più zone di questi territori si realizza un tipo di azienda abbastanza complesso, in cui al vigneto e al gelso si associa la cultura granaria e il prato per l'allevamento del bestiame. Un più vasto ceto di benestanti, spesso di recente origine contadina, 41

si viene formando per questa strada: e dalla sue file esce in buona parte quella borghesia degli impieghi e delle professioni liberali, avvocatura e medicina in primo luogo, che costituirà la base più larga del moderatismo e della democrazia non mazziniana e non rivoluzionaria fino al 1860. Le forze sociali che saranno alla testa del moto risorgimentale nell'Italia del Nord, e in cui troveranno eco più larga le formule degli intellettuali e dei politici liberali, appaiono dunque caratterizzate da una netta prevalenza dei settori agrari o in qualche modo legati all'agricoltura : un'agricoltura per certi aspetti assai avanzata, che in talune zone presentava dimensioni e complessità tecniche tali da scoraggiare ogni aspirazione contadina al possesso terriero (come anche accadeva per es. in Inghilterra e nelle Fiandre), mentre in altre associava alla proprietà strati abbastanza larghi da garantire una stabilità sociale che si traduceva, per il ceto dirigente, in altrettanta forza politica e solidità delle istituzioni. In questi ceti trova alimento quella aspirazione a mettere la vita italiana al passo con la più avanzata civiltà europea che costituisce uno degli elementi più caratteristici del liberalismo di un Cavour o di un Cattaneo ; e da essi trae anche origine, in buona parte, quella persuasione che la direzione politica e sociale debba restare nelle mani di gruppi relativamente ristretti e con salde basi di potere locale, che parimenti caratterizza la visione politica della Destra storica. Ma le origine agrarie di questi ceti ebbero gran peso anche nel determinare l'indirizzo di sviluppo economico che caratterizza i primordi dello Stato italiano. Legati alla terra e all'agricoltura, i ceti dirigenti dell'Italia del Nord tardarono alquanto a superare la generale diffidenza per il progresso industriale e i problemi umani e sociali che esso comportava; e anche gli elementi più avanzati, che abbracciavano nella sua interezza la dottrina del progresso nella libertà che caratterizza l'Ottocento europeo, erano convinti che ad esso l'Italia era destinata a partecipare con lo sviluppo della sua agricoltura in regime di libertà commerciale, ma escludevano che al paese potesse spettare un avvenire industriale. E in effetti i ceti industriali, anche in queste regioni, sono ancora troppo deboli per far valere le loro esigenze. Le tradizionali industrie alimentari, un discreto sviluppo nei settori cotoniero e laniero, in quello del lino e della canapa, per non parlare della seta; alcune attività collegate alla costruzione di vetture ferroviarie (mentre locomotive e binari sono per gran parte importati) ; i residui di una antica siderurgia in declino, consentono infatti di parlare di un certo livello di attività industriale anche nell'Italia pre-unitaria : ma gli interessi che ad essa fanno capo sono troppo deboli per imporre una politica che tenga conto in misura adeguata delle esigenze dell'industria. Già nella Lombardia austriaca è universalmente diffuso il lamento contro una politica doganale e fiscale che favorisce, a scapito della regione lombarda, le imprese della Stiria, della Carinzia, della Boemia; e nello stesso Piemonte cavouriano le misure liberiste del governo, se riscuotono facili consensi da parte della maggioranza delle Camere, legata agli interessi terrieri, ledono direttamente, nonostante le isolate proteste, le posizioni di mercato delle industrie locali, se si eccettuano quelle, come la seta, che lavorano in gran parte per l'esportazione. N o n che uomini come Cavour escludessero interamente un avvenire industriale per l'Italia: ma ritenevano che andasse limitato alle sole industrie «naturali», che fossero cioè in grado di procurarsi in paese la materia 42

prima: che, in un paese come l'Italia, cosi povero di tali risorse, potevano avere solo uno sviluppo limitato. Nel ceto dirigente che fin qui si è venuto analizzando nelle sue componenti principali si scorgono dunque alcuni elementi atti a delineare i caratteri dominanti del nuovo Stato fondato sulla soluzione monarchica e moderata: che si ispirava alla più avanzata cultura e ai più avanzati ideali liberali del X I X secolo, ma era guidato da ceti ristretti più o meno strettamente legati alla terra, e in fondo estranei ai problemi del grande sviluppo industriale che caratterizzerà la seconda metà del secolo. Un liberalismo, insomma, in larga misura affine a quello della monarchia di luglio, anche se la base elettorale su cui si reggeva fu sin dall'origine assai più larga, ammettendo al voto chi pagava 40 lire d'imposta invece dei 200 franchi previsti dalla Carta riveduta di Luigi Filippo. Questi caratteri spiegano anche la politica di conservazione all'interno e di pace all'estero perseguita dal nuovo Stato nei primi venticinque o trent'anni della sua esistenza, fino a quando con l'avvento del Crispi una nuova e più moderna Italia, con altri problemi e altri caratteri, si affaccerà stilla scena. Accanto però al liberalismo moderato va analizzata la composizione della democrazia radicale di impronta mazziniana e garibaldina, che nel 1860 restò soccombente di fronte al liberalismo moderato, ma che per prima aveva dato la spinta decisiva al movimento nazionale, e che nel nuovo Stato assumerà subito una funzione intorno alla quale verranno a riunirsi, sino all'avvento del socialismo, tutte le principali forze di opposizione. Anche qui, sarebbe impossibile riportare a una origine sociale omogenea tutte le forze che confluiscono nella Giovine Italia e più tardi nel partito d'azione. Non pochi aristocratici e borghesi benestanti, agricoltori, industriali, si faranno seguaci del Mazzini, specie all'inizio, quando egli sarà il solo leader di un movimento a carattere dichiaratamente nazionale e unitario; e anche più tardi la composizione del movimento sarà quanto mai varia, come mostra per es. la provenienza sociale dei Mille di Garibaldi. Ma è possibile individuare i centri di forza del moto mazziniano soprattutto negli ambienti artigiani e piccolo-borghesi cittadini, sia pure con larghissime varietà da una regione all'altra, sicché ad es. sino al 1860 il grosso dei ceti operai piemontesi sarà schierato dietro le società di mutuo soccorso di indirizzo monarchico-costituzionale, mentre Genova sarà sempre un centro di radicalismo sociale e nazionale, tra i primi a superare il municipalismo antipiemontese nella aspirazione all'unità italiana. Caratteristica di questo radicalismo risorgimentale la sua estrazione presso che esclusivamente cittadina, restando del tutto ignorati gli strati dei contadini poveri e i problemi delle campagne: e sarà questo, come è noto, il tema principale delle critiche che Antonio Gramsci muoverà all'impostazione politica del partito d'azione. In realtà, come si è visto, le strutture sociali delle campagne settentrionali erano assai poco adatte a favorire una penetrazione democratico-radicale tra i contadini; e i problemi del Mezzogiorno, come meglio si dirà, sono per gran parte diversi. L a scarsa omogeneità sociale del mazzinianesimo, del resto, era resa presso che inevitabile dalla struttura delle città italiane, anche le più avanzate, dove accanto a nuclei ancora assai scarsi di operai industriali convivevano strati popolari numerosi con occupazioni prevalentemente artigianali, o inseriti nella struttura della fabbrica disseminata alle dipendenze di un mer43

cante imprenditore: come accade anche nei centri di Genova, Torino e Milano, che sono stati meglio studiati negli ultimi anni. Ciò spiega anche perchè il movimento democratico risorgimentale non abbia mai assunto posizioni decisamente classiste. D i socialismo si parlò bensì nel 1848, più che nel 1860: e il timore della sovversione sociale occupa una pagina non trascurabile nella storia di quell'anno, anche in Italia. Ma si trattava, più che altro, di riflessi degli avvenimenti francesi ; mentre le testimonianze in quel senso che possono raccogliersi non riescono a mutare le linee fondamentali del quadro. Tuttavia, l'appello di Mazzini resterà fino all'ultimo così potente che ancora nel 1860 le sorti della nuova Italia saranno incerte, tra repubblica e monarchia; e il trionfo della soluzione cavouriana lascerà dietro di sè uno strascico di esigenze insoddisfatte che saranno all'origine della polemica contro quello che subito si cominciò a chiamare il Risorgimento incompiuto. Se poi si tralasciano, per brevità, le altre regioni settentrionali e quelle dell'Italia centrale, che rivelano una estrema varietà di situazioni, dall'agricoltura povera e semifeudale delle campagne venete alla Toscana della mezzadria, ai latifondi della Campagna romana, e che comunque ebbero nel processo risorgimentale una parte di minore rilievo ; il problema più importante resta quello del Mezzogiorno. Una lunga tradizione polemica, legata alla battaglia dei meridionalisti, tuttora assai viva, ha reso difficile per molti decenni una precisa determinazione dei rapporti tra iniziativa moderata settentrionale, legata alla monarchia dei Savoia, e il Risorgimento meridionale. In anni recenti si è anzi tornato ad affermare con vigore che al momento dell'unità le regioni appartenenti al Regno delle Due Sicilie non erano, nell'insieme, a un livello troppo inferiore a quello delle regioni settentrionali, e che il gravissimo squilibrio tra queste due parti del nuovo Stato, che doveva prendere il nome di questione meridionale, trasse origine proprio dal fatto dell'unità, realizzata sotto la guida e alle condizioni imposte dal liberalismo moderato settentrionale. Un tentativo di misurazione quantitativa del dislivello nel 1860, compiuto alcuni anni fa dallo Eckaus, ha creduto di poterlo determinare nel 15-20%: ma si tratta di calcoli assai poco attendibili. E ' certo, peraltro, che se non può più valere la formula di un Risorgimento realizzato da un Nord industriale, che ancora non esisteva, messosi alla guida del Mezzogiorno agricolo, resta tuttavia indiscutibile che le strutture agrarie meridionali erano a un livello assai più arretrato di quelle settentrionali. Spostamenti importanti si registrano anche nel Sud durante il Sette e l'Ottocento, specialmente nella parte continentale del Regno, dove si assiste a un vasto tracollo della proprietà nobiliare, sostituita in larga misura da nuovi borghesi: ma questo processo non determina un sostanziale mutamento nei metodi di conduzione agricola. L'affittuario dei latifondi meridionali, ad agricoltura estensiva e a pascolo, conserva una fisionomia di semplice intermediario ; la produttività rimane a un livello bassissimo, ostacolata da condizioni naturali e dall'irrazionalità di secolari ordinamenti agrari; il rapporto tra popolazione e risorse assume un carattere nettamente squilibrato, che lega il numeroso bracciantato a condizioni di netta inferiorità nel mercato del lavoro, e che darà luogo dopo alcuni decenni di regime unitario a una delle maggiori ondate emigratorie dell'Europa ottocentesca. Anche le zone costiere o più vicine ai centri abitati, dove si sviluppano in questo periodo colture

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ortofrutticole specializzate che attivano correnti di esportazioni assai redditizie, sono per gran parte nelle mani della borghesia cittadina, e testimoniano una singolare convivenza di elevata produttività del suolo ed estrema miseria della popolazione contadina. Ed è qui che si scorge la radice della fondamentale debolezza che da ultimo relegò il liberalismo meridionale a una funzione subordinata rispetto a quello settentrionale. Cultura e ideali, aspirazioni europee e volontà di lotta sono comuni alle borghesia napoletana e siciliana non meno che a quella settentrionale; e la storia delle battaglie risorgimentali ne offre ampie testimonianze. Ma invece della articolata struttura artigianale e commerciale delle città settentrionali, i grandi centri del Sud, da Palermo a Catania a Napoli, che pure rimarrà ancora per parecchi decenni la più popolosa città d'Italia, presentano un grado elevatissimo di disgregazione sociale, in cui la nota dominante è fornita da una plebe esclusa da ogni effettiva partecipazione ai meccanismi produttivi, e legata per gran parte ad attività terziarie a carattere sostanzialmente parassitario, e a condizioni di esistenza precarie. A Napoli, scriveva il 9 dicembre 1860 Pasquale Villari, che qualche anno dopo aprirà, con le sue Lettere meridionali, la serie della grande letteratura meridionalistica, «gli abitanti d'un quartiere passano metà della vita senza andare in un altro. Il vivere, le abitudini, le idee sono come di paesi diversi : onde fra di loro non si conoscono . . . Io non saprei parlare d'altro che di (via) Toledo e dei suoi vicoli; il resto mi è ignoto assai più di quelle città d'Italia che non ho visitato. So bene che in quel resto si agita il nucleo principale della popolazione di N a p o l i . . . quella è un'altra popolazione. Bisognerebbe quindi aprire strade per far nascere quella civiltà che viene solo dal contatto degli uomini e dagli interessi comuni ». In questo ambiente la diffusione di un movimento caratterizzato da un grado così elevato di impegno politico collettivo come quello mazziniano incontrava ostacoli insuperabili, ed esso non raggiungerà mai nel Sud le dimensioni e soprattutto la continuità e la persistenza che fecero la sua forza principale nelle regioni settentrionali. Ma soprattutto al fondamentale squilibrio delle campagne meridionali si deve una instabilità di fondo dell'edificio politico-sociale del Mezzogiorno che finirà per rendere impossibile la creazione di uno Stato liberale nel Mezzogiorno affidata alle sole forze meridionali. Nel 1799, nel 1815, nel 1821, nel 1848, fino al 1860 e al primo decennio post-unitario, la minaccia o la realtà della rivolta contadina interverrà infatti a paralizzare e a respingere su posizioni conservatrici ogni iniziativa rivoluzionaria della borghesia meridionale. La macchina dell'assolutismo borbonico apparirà ogni volta insostituibile garanzia di ordine, in un paese dove i ceti terrieri sono privi di efficaci strumenti di controllo sociale su masse contadine sempre al limite della rivolta e della sovversione; e quando la monarchia borbonica apparirà ormai incapace di assolvere quella funzione ci si rivolgerà allo Stato sabaudo come sola alternativa accettabile. Già prima, del resto, fin dal 1848, una autonoma soluzione meridionale era apparsa irrealizzabile ad uomini come Silvio Spaventa e Francesco De Sanctis. L'unità ebbe dunque aspetti complessi e parzialmente contraddittori per il Sud d'Italia: il quale si trovò da un lato inserito in una comunità politica e civile di livello certo più avanzato, e potè partecipare, nei primi decenni del Regno, dei vantaggi di una politica libero scambista nettamente favorevole ad un'agricoltura esportatrice come 45

quella meridionale; ma dovette sopportare il peso della successiva svolta protezionista, e, più in generale, subordinare le proprie esigenze di sviluppo a quelle di regioni che, proprio perchè giunte ad un livello di sviluppo diverso, avevano esigenze diverse, ed erano in grado di farle prevalere nel quadro complessivo della politica del nuovo Stato. Si è spesso parlato delle conseguenze di una mancata rivoluzione agraria nel Sud, la cui responsabilità si è fatta risalire da Gramsci, come si è ricordato, alla incapacità del partito d'azione di porsi come partito giacobino del Risorgimento. Ma non va dimenticato che il nucleo del partito d'azione era formato, nel Mezzogiorno, di piccola borghesia terriera o di intellettuali legati alla piccola borghesia terriera, che anch'essi vivevano essenzialmente sugli esistenti rapporti semifeudali nelle campagne, ed erano dunque una forza sostanzialmente conservatrice; senza parlare delle scarse prospettive di una rivoluzione agraria in un paese dove mancavano quasi dovunque le condizioni necessarie per il consolidamento di una prospera azienda contadina. Il risultato fu l'accumularsi nel Mezzogiorno, durante i primi decenni, delle maggiori forze di opposizione al nuovo Stato italiano: radicali amareggiati dalla sconfitta subita nel 1860, nostalgici dell'autonomia meridionale uniti ai fautori della dinastia borbonica, contadini ancora una volta mobilitati nella protesta sociale del grande «brigantaggio », piccolo-borghesi intellettuali scontenti del nuovo assetto politico, che non meglio del vecchio era riuscito a risolvere i loro problemi. Di fronte ad essi il gruppo degli intellettuali liberali e lo strato più alto della borghesia e del possesso terriero, voltisi allo Stato unitario come suprema garanzia di ordine e di graduale progresso civile, resteranno a lungo in minoranza, fino a quando l'opposizione non verrà man mano assorbita nel trasformismo che presto diverrà caratteristico della politica meridionale. Il nuovo Stato unitario italiano nasce dunque dall'opera di una élite intellettuale e politica decisa a fare della penisola un membro attivo della Europa moderna, ma fondata su basi sociali solo in certa misura adeguate a sostenere una coerente politica in questa direzione; e al di fuori di questa élite rimangono strati assai larghi del paese, specie nelle campagne più arretrate e nel Mezzogiorno. La vicenda storica del Regno d'Italia fino alla prima guerra mondiale, con i suoi progressi e le sue contraddizioni, sarà per buona parte la risultante di questa complessa realtà.

Bibliografia essenziale Per un panorama complessivo delle vicende economiche italiane nel periodo del Risorgimento, cfr. A. FOSSATI, Lavoro e produzione nell'Italia dalla metà del sec. XVIII alla seconda guerra mondiale, Torino, 1951; B. CAIZZI, Storia dell'industria italiana dal XVIII secolo ai giorni nostri, Torino, 1965; M. BANDINI, Cento anni di storia agraria italiana, 2a ed., Roma, 1963. La questione del rapporto tra vita economica e movimento politico per l'unità nazionale, già posta alla vigilia del primo conflitto mondiale (cfr. per es. A. AGNELLI, Il fattore economico

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nella formazione dell'unità italiana, nel Risorgimento italiano, 1913), è stata trattata, da punti di vista diversi, in lavori come quelli di R. CIASCA, L'origine del «Programma per l'opinione nazionale italiana» del 1847-48, Milano/Napoli, 1916 (nuova ed., con ampia introduzione, Milano, 1965), e di K. R. G R E E N F I E L D , Economics and Liberalism in the Risorgimento. A Study of Nationalism in Lombardy 1815-1848, Baltimore 1934, trad. ital., Bari, 1940; cfr. la 2a ed., Bari, 1964, con introd. di R. Romeo), che vi sviluppa la tesi accennata nel testo. Per la formazione del ceto agrario moderato nella Valle padana, accanto al lavoro del Greenfield, che si riferisce principalmente alla Lombardia, si può vedere il vecchio studio dedicato all'ambiente piemontese da G. PRATO, Fatti e dottrine economiche alla vigilia del 1848. L'Associazione agraria subalpina e Camillo Cavour, Torino, 1921. Sui precedenti storici della questione meridionale una buona esposizione generale si troverà in F . V Ò C H T I N G , Die italienische Siidfrage, Berlin, 1951. Cfr. inoltre R. V I L L A R I , Mezzogiorno e contadini nell'età moderna, Bari, 1961 ; P. V I L L A N I , Mezzogiorno tra riforme e rivoluzione, Bari, 1962; G . G A L A S S O , Mezzogiorno medievale e moderno, Torino, 1965; ID., Dal Comune medievale all'Unità. Linee di storia meridionale, Bari, 1969; in particolare, sulla Sicilia, R. ROMEO, Il Risorgimento in Sicilia, Bari, 1950; 2a ed., Bari, 1970. Per la tesi di A . G R A M S C I sul Risorgimento e la mancata rivoluzione agraria, cfr. spec. il suo voi. Il Risorgimento, Torino, 1950, e le discussioni a cui ha dato luogo specie dopo il volume di R. ROMEO, Risorgimento e capitalismo, Bari, 1959, e che sono state in parte raccolte nei volumi miscellanei La formazione dell'Italia industriale, a cura di A. Caracciolo, Bari, 1963 ; Problemi storici della industrializzazione e dello sviluppo, a cura di A. Caracciolo, Urbino, 1965.

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Sozialhistorische Probleme der nationalen Bewegung in ItaEen (Zusammenfassung) Die italienische Einigungsbewegung war das Ergebnis eines sehr mannigfaltigen Zusammenwirkens regionaler, sozialer und kultureller Faktoren. Weil aber die italienische Wirtschaft bis 1860 und darüber hinaus noch sehr wenig entwickelt war, war auch das Bedürfnis nach engeren Verbindungen zwischen den verschiedenen Regionen der Halbinsel noch nicht geweckt, so daß auch die italienische Einigung selbst nicht mit wirtschaftlichen Erwartungen des Bürgertums erklärt werden kann, die die Errichtung eines einheitlichen Marktes zum Ziele gehabt hätten. Allerdings sind solche Tendenzen zur Vereinheitlichung schon früher in denjenigen Regionen festzustellen, die später dann das am weitesten entwickelte Zentrum des wirtschaftlichen Systems im geeinten Italien gebildet haben, also in Piemont, in Ligurien und in der Lombardei. In den anderen Regionen hingegen verharrte man im lokal eng begrenzten Wirtschaftsaustausch oder neigte eher dazu, wichtigere Wirtschaftsbeziehungen mit den Industrieländern West- und Mitteleuropas als mit anderen Regionen Italiens anzuknüpfen. So etwa gingen in dem Jahrzehnt zwischen 1830 und 1840 die Ausfuhren Siziliens zu 4 0 , 4 % ins britische Weltreich und zu 1 4 % nach Frankreich, hingegen nur zu 15,5% nach Sardinien und nur zu 9 , 2 % in die unter österreichischer Herrschaft stehenden italienischen Länder. Die wirtschaftliche Situation in Norditalien zur Zeit des Risorgimento ist als Folge der Entwicklung in den Jahrhunderten zuvor gekennzeichnet durch das Vorherrschen einer Landwirtschaft, die sehr fortgeschritten war und einerseits in einigen Gebieten einen solchen Umfang und eine solche technische Kompliziertheit aufwies, daß sie jeden bäuerlichen Wunsch auf Bodenbesitz entmutigte, während in anderen Gebieten genügend breite Schichten am Besitz beteiligt waren, so daß hier gesellschaftliche Stabilität, politische Macht und Festigkeit der Institutionen gesichert waren. In diesen sozialen Schichten, die an der Spitze der Bewegung des Risorgimento in Norditalien standen und die Forderungen der liberalen Intellektuellen und Politiker bereitwillig unterstützten, war der Wunsch lebendig, das italienische Leben auf ein und dieselbe Stufe mit der fortgeschritteneren europäischen Kultur zu heben. Mit dem für agrarisch bestimmte Schichten charakteristischen Mißtrauen gegenüber dem industriellen Fortschritt und den menschlichen und sozialen Problemen, die dieser mit sich bringen würde, standen diese Kreise jedoch der Entwicklung der Industrie, die die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts kennzeichnete, im Grunde fremd gegenüber, und sie hielten es deshalb auch lange Zeit hindurch

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für ausgeschlossen, daß ihr Land eine industrialisierte Zukunft haben könne. In diesen am weitesten entwickelten Regionen verband sich bei den den neuen Staat bestimmenden Schichten mit dieser beharrenden wirtschaftlichen Einstellung im Bereich des Politischen ein gemäßigter Liberalismus, was die konservative Politik im Innern und die Friedenspolitik nach außen zu erklären vermag, die der neue Staat in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens verfolgte. Auch in dem ebenfalls agrarisch bestimmten Süditalien war im 18. und 19. Jahrhundert der grundbesitzende Adel in seinen wirtschaftlich bestimmenden Positionen durch ein neues Bürgertum ersetzt worden, aber dieser Wechsel führte hier nicht zu wesentlichen Änderungen in den landwirtschaftlichen Methoden, so daß die Produktivität auf sehr niedrigem Stand blieb, das Verhältnis von Bevölkerung und Hilfsquellen nach wie vor unausgewogen war und zahlreiche Arbeitskräfte an Bedingungen gefesselt waren, die ihre vollständige Unterlegenheit auf dem Arbeitsmarkt bedeuteten. Für Süditalien hatte die Einigung der Halbinsel verwickelte und teilweise widersprüchliche Aspekte: Süditalien war jetzt einerseits eingefügt in eine bürgerliche und politische Gesellschaft von unstreitig höherem Rang und zog mit seiner exportierenden Landwirtschaft Vorteile aus der Freihandelspolitik; auf der anderen Seite mußte Süditalien aber auch die Last der folgenden Wendung zum Schutzzoll tragen und die eigenen Entwicklungswünsche denjenigen anderer Regionen unterordnen, in denen andere Kräfte, eben weil diese Territorien eine höhere Entwicklungsstufe erreicht hatten, andere Ziele verfolgten und auch imstande waren, diese im umfassenden Rahmen der Politik des neuen Staates zur Vorherrschaft zu bringen. Das Ausbleiben einer Agrarrevolution in Süditalien hat zur Verfestigung dieser Situation und der aus ihr resultierenden Spannungen beigetragen, nicht zuletzt auch deshalb, weil hier die Anhänger der nationalen Bewegungspartei ihrerseits als Angehörige des ländlichen Kleinbürgertums von der überkommenen ökonomischen Struktur profitierten und sozial konservativ blieben. Der geeinte italienische Staat entstand als Werk einer intellektuellen und politischen Elite, die entschlossen war, aus der Halbinsel ein aktives Glied des modernen Europa zu machen, die aber auf gesellschaftliche Grundlagen gestützt war, die nur sehr beschränkt eine konsequente Politik in dieser Richtung tragen konnten. Außerhalb dieser Elite blieben sehr breite Schichten des Landes, vor allem in den rückständigeren Gebieten und in Süditalien. Der historische Weg des Königreichs Italien bis zum Ersten Weltkrieg mit seinen Fortschritten und seinen Widersprüchen war zu einem guten Teil die Auswirkung dieser verwickelten Realität.

(Karl-Egon Lonne und Peter Buriati)

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Diskussion

Rudolf LiII Einige wenige Bemerkungen zu den letzten Abschnitten des Vortrags: 1. Die zur Einigung Italiens entschlossene Elite war, wie wir hörten, klein und heterogen. Gerade diese Tatsache sollte hervorgehoben werden. Sie erklärt, daß die großen Schritte auf dem Weg zur Bildung und Konsolidierung des italienischen Nationalstaates immer nur dann erfolgen konnten, wenn es dieser Elite gelang, sich in große europäische Krisen einzuschalten und deren Wirkung auf Italien auszunutzen: 1848/49, 1859/60, 1866, 1870. Auch die selbständige Lösung für Süditalien war wohl machtpolitisch nur solange und nur insofern denkbar, als Napoleon III. willens und fähig war, eine Dreiteilung Italiens durchzusetzen, eine Lösung, die er bekanntlich vor allem erwogen hat, um den Kirchenstaat, wenngleich in stark reduzierten Grenzen, zu retten. 2. Es scheint mir nötig zu betonen, daß zwischen der italienischen und der deutschen Nationalbewegung trotz mancher wechselseitiger Sympathien nur sehr wenige konkrete Beziehungen bestanden haben. Über die Ursachen dafür wird vielleicht die derzeitige Untersuchung von Herrn Dr. Lucas neue Aufschlüsse bringen; aber ein wichtiger Grund für die Zurückhaltung vieler Nationalliberaler in Deutschland war eben die Tatsache, daß das neue Italien sich so eng an das Frankreich Napoleons III. anlehnte und anlehnen mußte. Auch sei auf einen wirtschaftlich begründeten Gegensatz zwischen den der italienischen Einigung an sich keineswegs abgeneigten süddeutschen Liberalen und der italienischen Nationalbewegung hingewiesen. Nicht nur den konservativen Politikern Österreichs, sondern auch den Liberalen anderer süddeutscher Staaten schwebte ein großer Wirtschaftsraum vor, der einige zum geschlossenen italienischen Siedlungsraum gehörende Gebiete, besonders Triest, einschloß. 3. Die Rechnung der süditalienischen Grundbesitzer, die sich aus Furcht vor revolutionären Ansätzen schließlich an den savoyischen Staat und deren über die der Bourbonen weit hinausgehende Macht anschlössen, scheint mir aufgegangen zu sein. Piemont-Italien hat diese Unterstützung gut honoriert und trotz seines liberalen Selbstverständnisses die illiberalen und rückständigen Sozialstrukturen des Südens durch Jahrzehnte bestehen lassen. Weil gleichzeitig der ökonomische Fortschritt im Norden vorangetrieben wurde, während 50

im Süden nunmehr die bis 1860 von der bourbonischen Regierung ausgegangenen Impulse fehlten, hat sich der wirtschaftlich-soziale Abstand zwischen dem Norden und dem Süden Italiens nach der nationalen Einigung eher noch vergrößert. Daß sich nunmehr nicht wenige Vertreter des nord- und mittelitalienischen Bürgertums an der Ausnutzung - vielleicht darf man auch sagen: Ausbeutung - des Südens beteiligten, hat die Gegensätze weiter verschärft.

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Kevin B. Nowlatt Problems of Organization and Social Questions in the Irish National Movement

Until the end of the eighteenth century, the Kingdom of Ireland enjoyed a measure of legislative independence under the same crown as Great Britain. But thanks to the conflicts of the sixteenth century, and even more so of the seventeenth century, political and economic power had passed largely into the hands of an Anglo-Irish Protestant landed class. This class and the urban Protestant merchant and professional groups were divided in traditions and outlook, to a large degree, from the Irish Catholic population which was still Gaelic-speaking in many areas. The laws penalising the Catholics helped to preserve power in Protestant hands, but these laws and a number of economic and political grievances created widespread dissatisfaction with the existing order. It is not surprising that the French Revolution influenced Ireland. The year 1798 saw outbreaks of revolutionary violence, aimed at the creation of an independent Irish Republic, in several parts of the country. These outbreaks involved not only many discontented Catholics but also some Protestant elements, especially among the Ulster Presbyterians, who favoured radical reforms in the political system 1 . The events in Ireland alarmed the British government and the project for a full constitutional union between Great Britain and Ireland was brought forward by the British prime minister, William Pitt, primarily as a means of strengthening the connections between the two countries and of so defeating French intentions. Through political pressures, financial inducements and landlord fears of further rebellion, the union of the two countries was accomplished. In January 1801, the new United Kingdom of Great Britain and Ireland came into existence and with it a new phase in Anglo-Irish relations 2 . The task of making the Union work was a difficult one. Catholic emancipation still remained a central political issue after the Union and by the eighteentwenties it had become of critical importance. From being a question for debate within a narrow upper and middle-class circle, it became an issue involving a substantial section of the Irish rural and urban population. In making Catholic 1

2

For Ireland in the eighteenth century see: W. H. LECKY: A History of Ireland in the eighteenth century. Vols. I-V. London 1913; R. B. MCDOWELL: Irish Public Opinion 1750-1800. London 1944; D. CORKERY: The Hidden Ireland. Dublin 1956; M. R. O'CONNELL: Irish Politics and Social Conflict in the Age of the American Revolution. Philadelphia 1965; M. WALL: The Penal Laws 1691-1760 (Dublin Historical Association 1961); J. C. BECKETT: Anglo-Irish constitutional relations in the later eighteenth century. In: Irish Historical Studies. 14 (1965). 20; H. SENIOR: Orangeism in Ireland and Britain 1795-1836. London/Toronto 1966; F. MACDERMOT: Theobald Wolfe Tone. London 1939. See: G. C. BOLTON: The Passing of the Irish Act of Union. Oxford 1966. 53

emancipation a mass political question the role of Daniel O'Connell and his Catholic Association can hardly be overestimated. But behind the agitation of the years between 1824 and 1829 lay more than the issue of Catholic representation in parliament. O'Connell's career was, in fact, bound up with two great questions: Catholic emancipation and the ending of the political union between Great Britain and Ireland, by the restoration of the old Irish parliament suitably reformed. O'Connell, a landlord and a lawyer of old Catholic Irish descent, was able to count on the support of the peasantry and of the Catholic clergy in his campaign for Catholic rights. The economic and social grievances of the country people, overpopulation in some areas and widespread poverty added force to the popular demand for emancipation 3 . There is reason to believe that the methods of extra-parliamentary, nonviolent agitation, which the Catholic Association employed, influenced the techniques of the Anti-Corn Law League in Britain and the Irish methods and policies were closely observed by nationalists and liberals in France, Germany and Italy. From 1824 onwards, the Catholic Association was organised on the basis of getting the mass of the people politically involved. This was done by enrolling all who paid a 'penny per month' as associate members. In the task of bringing the people into the movement, the Catholic priests were of high importance and, indeed, as we shall see, throughout the nineteenth century, the Catholic priest was able, on many occasions, to play a very active part in popular politics. The lay leadership of the Association was predominantly middle-class, often drawn from the small body of Catholic professional men, but the speeches made during the campaign stressed not merely the religious and political issues but the social grievances of the ordinary people as well. By 1828, the local organisers had enrolled some 3,000,000 associate members 4 . In the end, under pressure from English liberals and fearing open violence in Ireland, the conservative or Tory administration, of Wellington and Peel, finally conceded emancipation in 1829. In practical terms it was of no great significance except that, for the future, Catholics could sit in either house of parliament. But in symbolic terms it was regarded as a considerable victory. The campaign had seen the ordinary people of the countryside being brought into constitutional politics, as an effective force, for the first time in modern Irish history. 3

4

See: W. E. H. LECKY: Leaders of Public Opinion in Ireland. Vol. II. London 1912; M. TIERNEY (ed.): Daniel O'Connell. Nine centenary essays. Dublin 1949; S. O'FAOLÄIN: King of the Beggars. London 1938. See: J. A. REYNOLDS: The Catholic Emancipation crisis in Ireland 1823-29. New Haven/ London 1954; K. B. NOWLAN: The meaning of Repeal in Irish History. In: G.A.HayesMcCoy (ed.): Historical Studies. IV. London 1963; K . HOLL: Die irische Frage in der Ära Daniel O'Connells und ihre Beurteilung in der politischen Publizistik des deutschen Vormärz. Disseration. Mainz 1958; R. B. MCDOWELL: Public Opinion and Government Policy in Ireland 1801-1846. London 1952; J. F. BRODERICK: The Holy See and the Irish Movement for the Repeal of the Union with England 1829-1847. Rome 1 9 5 1 ; J. H. WHYTE: The influence of the Catholic clergy on elections in nineteenth century Ireland. In: English Historical Review. 75 (1960). 239.

54

Daniel O'Connell quickly realised that it would prove difficult to arouse the same popular enthusiasm, in the early eighteen-thirties, for the second of his political aims: the repeal of the Act of Union between Great Britain and Ireland. The Union was still relatively untried and the demand for its repeal lacked the emotive power of the emancipation issue. Besides, virtually no British politician was prepared to support repeal. O'Connell, ever a practical politician, quietly pushed the repeal question into the background in the years between 1835 and 1840. Leading a far from well-disciplined party of 32-34 members in parliament, he hoped that he could win substantial reforms, such as a wider franchise, by supporting the Whig administration. But the results of cooperation with the Whigs did not meet Irish expectations and the late eighteen-thirties saw a decline in O'Connell's popular influence and a growing dissatisfaction with the Union in Ireland. Aware, by 1840, that the weak Whig government would soon give way to a strong and potentially anti-Irish Tory administration under Sir Robert Peel, O'Connell decided to recommence the repeal agitation in Ireland 6 . It was a formidable task. It would have to depend for its success on massive popular support outside parliament. As the Irish electorate only numbered about 100,000 out of a total population of some 8,000,000, O'Connell knew that he could at no time command more than a limited parliamentary following. Landlord power and the limited number of voters made it difficult for nationalists to win elections. After a ten year interval, could popular enthusiasm be again aroused? The eighteen-forties were of critical importance in the social as well as the political history of Ireland. The early years were marked, after a slow start, by a vigorous agitation in favour of an independent Irish parliament and the closing years of the decade were overshadowed by the tragedy of the Great Famine, which followed the successive failures of the potato crops in 1845-6 and 1846-7. Using much the same tactics as in the eighteen-twenties, the O'Connellite Repeal Association, from 1841 onwards, built up a nationwide movement, though it failed to make any headway in the Protestant areas of Ulster where suspicion of any Catholic-led political movement was already strong. The Repeal Association was based on Dublin, but every Catholic parish had its 'Repeal Warden' or local organiser and many repeal reading rooms were established for the distribution of nationalist newspapers. Again, as during the Catholic emancipation agitation, systematic efforts were made to involve the ordinary people in the activities of the repeal movement. A 'Repeal Rent', for example was collected, to help finance the campaign, and the rent reached the considerable weekly total of £ 2,205 by the end of May 1843. The same year also saw a series of orderly but massive public meetings at points throughout the country. They were attended by many thousands of small farmers and labourers who formed the firm foundation of O'Connell's remarkable power. The constant theme of speakers at these "Monster Meetings" was that there 5

See: A. MACINTYRE: The Liberator: Daniel O'Connell and the Irish Party 1830-47. London 1965.

55

could be no effective social and economic reform unless the Act of Union was repealed 8 . The year 1843 marked the climax in the repeal agitation. Unwilling to use force to achieve his aim of an independent Irish parliament, O'Connell, in the face of a steady British refusal to grant a repeal of the Union, had to retreat from the advanced position he had taken up. The disappointing years that followed were to be characterised by a growing opposition to O'Connell's policies among a section of the members of the Repeal Association 7 . Though the following of the Repeal Association was largely made up of peasants and small holders, the clergy and the Catholic middle and upper classes constituted a very important factor in a movement which never assumed too radical a character on social questions such as land reform. Again, it must be remembered that the small repeal party in parliament (some 18 members after the 1841 elections) was drawn largely from among the Catholic professional men and the landed gentry. The vast majority of repealers, as the followers of O'Connell came to be called, were Catholics. The movement contained few Protestants or major landowners, but it did include a number of young men who might be described as the 'intellectuals' of the Association. Some of them were Protestants, but the majority were Catholics and all came from an essentially middle-class background 8 . These intellectuals formed the nucleus of a small group within the Repeal Association which soon became known as 'Young Ireland' and their longterm influence on the shaping of modern Irish nationalism was to be quite considerable. As the name 'Young Ireland' would suggest, they were deeply influenced by the romantic movement and by the ideas which were current among the advocates of national rights in continental Europe. They pledged themselves to propagate a comprehensive nationality which would embrace all Irishmen regardless of ultimate ancestry or religion. In their writings they sought to strengthen the people's sense of individuality by recalling the glories of a past conceived in a rather poetic way. The Young Irelanders believed that national aims could not be compromised. In contrast, O'Connell was prepared to put the repeal issue oneside, if only for a time, in order to win substantial reforms from parliament. The years between 1844 and 1846 were marked by growing friction between O'Connell and the Young Irelanders over a variety of questions, but the basic quarrel was about the issue as to whether or not the repealers should cooperate in the future with the English Whigs. O'Connell favoured cooperation and the Young Irelanders rejected it. In the end, the Young Irelanders and the O'Connellites parted ways. As an independent movement, from 1847 onwards, the 6

7

8

See: K . B. NOWLAN: The Politics of Repeal: a Study in the Relations between Great Britain und Ireland 1841-50. London/Toronto 1965; T. W. MOODY and J. C. BECKETT (eds.): Ulster since 1800: a political and economic survey. London 1955. See: L. J. MCCAFFREY: Daniel O'Connell and the Repeal Year. University of Kentucky Press 1966. See: J. H. WHYTE: Daniel O'Connell and the Repeal party. In: Irish Historical Studies. 11 (1961). 297; SIR H. BLACKALL: O'Connell and the Repeal party. In: Irish Historical Studies. 12 (1962). 129.

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Young Irelanders made little progress outside the cities where their political clubs won some influence among young working men and students. The vast bulk of the rural population and the Catholic clergy and middle class remained loyal to O'Connell until his death in 18479. The potato blight struck Ireland in the winter of 1845-6 for the first time and the hardship of the year 1846-7 was still greater. In an age of liberal economic principles, the government relief measures proved in many ways inadequate to meet the disaster. It is difficult to assess the total number of deaths through starvation and disease, but the deaths may have reached a million and they were hardly less than 500,000. The famine brought with it, too, the beginnings of that emigration to North America which was to remain a constant feature of the Irish social pattern throughout the remainder of the nineteenth century 10 . The disaster of famine finally helped to kill the old Repeal Association. But the famine and the obvious defects in the Irish social system also helped to stimulate a more radical spirit among the Young Irelanders. In their newspaper, the Nation, one can trace a growing concern about the economic and social ills of the country, but many of the more conservative Young Irelanders were slow to advocate a militant policy. The decisive step in this direction was taken by John Mitchel, an Ulster Protestant and a prominent contributor to the Nation. Angered by the failure of the landlords to join with the nationalists in order to win repeal of the Union and land reform, Mitchel and his followers argued in favour of a vigorous campaign to improve the lot of the small farmers by securing for them a legal right to the land which they worked. His advocacy of a policy of rural resistance to the public authorities and the landlords met with no popular response in 1847. The French Revolution, of February-March 1848, however, had a direct effect on the divided and discouraged Irish nationalists. John Mitchel, at once, proclaimed himself to be a republican and, indeed, with his enunciation of the doctrine of republican separatism may be said to begin, in modern terms, the movement for the total political separation of Ireland from Great Britain. Mitchel considered that he was returning to the principles of the republicans who took to arms in 1798. It must, however, be stressed that Mitchel's influence on his contemporaries was limited, though increasingly, in 1848, the Young Irelanders came to favour revolutionary action of some kind. In the summer of 1848, a group of Young Irelanders attempted a rising in the south of Ireland, but the response from the country people was slight and the armed demonstration was a failure 11 .

9

Sec: K. B. NOWLAN: Charles Gavan Duffy and the Repeal Movement. Dublin 1964; T.W.MOODY: Thomas Davis 1814-45. Dublin 1945; R.CLARKE: Relations between O'Connell and the Young Irelanders. In: Irish Historical Studies. 3 (1941/42). 18.

10

See: R.D.EDWARDS and T.D.WILLIAMS (eds.): The Great Famine: studies in Irish History 1845-52. Dublin 1956, New York 1957; R. D. COLLISON BLACK: Economic Thought and the Irish Question 1817-1870. Cambridge 1960; C. WOODHAM-SMITH: The Great Hunger, Ireland 1845-49. London 1962; A. SCHRIER: Ireland and the American Emigration 1850-1900. Minneapolis 1958.

11

See: D. GWYNN: Young Ireland and 1848. Cork 1949.

57

In many ways the Great Famine marked a dividing line in the history of Irish nationalism. It is probably fair to say that material grievances provided the practical basis for the O'Connellite movement, but the social demands, other than Catholic emancipation were not clearly formulated. The Great Famine helped to concentrate attention on a central problem, the Irish agrarian system. Already, in 1847-8, one finds that the demand for security of possession for the tenant-farmer had assumed almost as much importance as the demand for the restoration of an Irish parliament. N o t surprisingly, the decade after 1848 was dominated, on the constitutional level, by the 'tenant-right' question, by the demand that the tenant-farmer should have a legal right to his farm, as a protection against eviction by the landlord. The eighteen-fifties, in terms of non-revolutionary politics, were characterised by an essentially agrarian problem to the exclusion of strictly nationalist aims. The members of the Tenant-Right League sought to bring together all tenant-farmers regardless of religious and political differences. By 1852, despite much landlord hostility and the failure of the movement to make really effective progress among the Protestant farmers in Ulster, some 48 members were elected to parliament with tenant-right sympathies. As with the O'Connellite members, we find that landowners, lawyers and other professional men made up the bulk of the Irish party at Westminster. At a time when members of parliament received no remuneration for their services, this social structure of the Irish party is not surprising. The election results do, however, suggest that the cause of land reform was making some progress in social groups which might hardly have been expected to be enthusiastic about changes in the structure of land ownership. The tenant-right movement, in practice, produced no leaders of quality, its local organisation was weak, and the Irish party in parliament soon broke into factions which were often motivated by selfinterest. Before the end of the decade, the movement was in process of disintegration without having obtained any relief for the tenant-farmers 12 . It was on a different, a revolutionary plain, that the demand for full political independence was advanced in the eighteen-fifties and eighteen-sixties. Already, as we have seen, the year 1848 brought with it a renewed interest in republican separatism. Among the Irish emigrants in the United States of America, resentful of British policies during the famine years and hostile towards the Irish landlords, republicanism gained a considerable measure of support. The spread of republicanism was signified by the establishment of the Fenian Brotherhood in America and of its sister organisation, the Irish Republican Brotherhood, in Ireland. Both were secret or semi-secret societies and as such incurred the hostility of the Catholic Church. A great deal more work needs to be done in connection with the history of Fenianism (as the movement came to be known in both Ireland and America), but certain aspects of the history of Fenianism are reasonably clear. The Fenian movement, though essentially 12

Sec: J. H. WHYTE: The Independent Irish Party 1850-59. Oxford 1958; also by the same author: The Tenant League and Irish Politics in the eighteen-fifties. Dublin Historical Association 1966; and: Political problems 1850-60. In: A History of Irish Catholicism. Vol. V/2. Dublin 1967; C. GAVAN DUFFY: The League of North and South. London 1886.

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political in its aims, found its strongest support, in Ireland, among the working class. In the cities and towns, employees in business houses provided the hard core of the membership and, in the country districts, the Fenians may have been partly recruited from the old agrarian secret conspiracies which had, for long, fought against high rents and insecurity of possession. It is difficult to ascertain accurately the strength of the Fenian movement, but by the mid-eighteen-sixties, it may have had as many as 80,000 members in Ireland and Britain. The Fenians were organised in rather elaborate 'circles'. In theory, a Fenian only knew the members of his own small circle and his immediate superior. The system was so devised to defeat the activities of police agents, but its practical value was doubtful. The British authorities were well informed about the Fenians' plans. March 1867 saw an ineffective Fenian rising and the proclamation of an Irish Republic, but government agents and inadequate leadership defeated the republicans' intentions. The Fenian movement, in 1867, failed to achieve its objective, but from this period onwards, despite many vicissitudes, republicanism was to remain a factor in the history of Irish nationalism. It was men in the Fenian tradition, members of the Irish Republican Brotherhood, who made possible the Rising of Easter Week 1916. More immediately, many Fenians were to become involved in a remarkable agrarian-political struggle between the years 1878 and 1882 13 . In terms of constitutional politics of a nationalist kind, the eighteen-sixties were a time of inaction but the political climate was to change rather rapidly in the following decade, with the emergence of the Home Rule movement. Home Rule at first attracted a measure of Protestant support, when the movement was first launched in 1870 by Isaac Butt, a Protestant lawyer and one time conservative. Protestant opinion had been, to some extent, alienated from the British government because of the disestablishment, in 1869, of the Protestant state church in Ireland and some landlords feared that the English liberals would come out in support of land reform in Ireland. But Home Rule rapidly lost its conservative character, and from the foundation of the Home Rule League, in 1873, the Home Rule cause became increasingly identified with the issue of agrarian reform as well as with nationalist ambitions. The Home Rule movement's purpose was to win a measure of political autonomy for Ireland, a so-called 'federal' or subordinate parliament within the constitutional structure of the United Kingdom. This was a more modest objective, therefore, than the full repeal of the Act of Union which the Repeal Association had sought in the eighteen-forties. But the term Home Rule was elastic and could 13

See: T.W.MOODY (ed.): T h e Fenian Movement. Cork 1968; D . R Y A N : T h e Phoenix Flame. L o n d o n 1937; W. D'ARCY: The Fenian Movement in the United States. Washington 1967; E . R. NORMAN: T h e Catholic Church and Ireland in the A g e of Rebellion 1859-1873. L o n d o n 1965; P. J . CORISH: Political Problems 1860-1878. In: A History of Irish Catholicism. Vol. V/3. Dublin 1967; C. CRUISE O'BRIEN (ed.): T h e Shaping of M o d e m Ireland. L o n d o n 1960; T . W. MOODY: Irish-American nationalism. In: Irish Historical Studies. 15 (1966). 438; T . N . BROWN: Irish-American

Nationalism. Philadelphia/New

York

1966; M. BOURKE: J o h n O ' L e a r y : a study in Irish separatism; D . RYAN: T h e Fenian Chief: a biography o f J a m e s Stephens. Dublin 1967. T h e name Fenian is derived from that o f a warrior force in the early Irish sagas.

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easily be interpreted as something more substantial than a mere measure of local autonomy. The widening of the franchise in the United Kingdom, in 1869, and the introduction of the secret ballot, in 1872, helped to lessen the landlords' power to influence voters and this development put the Home Rule nationalists in a much stronger position than that of the repealers a generation earlier. Again, Catholic clerical opinion, which had for a number of years favoured Gladstone's liberals, now began to swing away from the liberals because of disagreements on educational questions. As during the Catholic emancipation campaign, the Catholic priests became a decisive element in organising popular support for the Home Rule cause. In the Irish counties, farmers clubs and local political associations lent aid to the Home Rule candidates at election times. The candidates, in turn, in their electoral addresses, were usually careful to add agrarian reform to the call for Home Rule. The results of the new agitation were soon apparent. At the general election of 1874, out of the 105 Irish seats in the United Kingdom parliament, the Home Rulers won 59, including two Ulster seats. As in earlier elections, the nationalist members were drawn from among the professional classes and the lesser landlords. The nationalist political machine was taking shape and in contrast to the eighteen-thirties and forties, Irish constitutional nationalism was beginning to escape from the bonds of a narrow franchise which had long favoured its enemies. The Home Rule League which had been established to organise popular opinion was, however, poorly managed and the mid-eighteen-seventies saw much tension within the movement, the advocates of land reform feeling that not enough was being done by the rather cautious parliamentary party to press for land reform in parliament. The failure of the liberals' land legislation, of 1870, to provide adequate protection for the Irish tenant-farmer only added to the irritation felt in Ireland. Surprisingly it was the Home Rule Confederation of Great Britain, set up in 1873, which showed the most vitality at this time. The aim of the Confederation was to organise the many Irish voters as a 'pressure group' in the British constituencies so as to return to parliament members favourable to Home Rule for Ireland. The Confederation won the support of the Irish working class in Britain, the factory workers and the labourers. It was a measure of the significance of the Confederation that the election of Charles Stewart Parnell as President, in place of Isaac Butt, was seen, by contemporaries as an important advance in Parnell's bid for the leadership of the Home Rule movement as a whole 14 . In parliament, the Home Rulers formed a compact political party, but Isaac Butt's attempts to persuade the House of Commons, by reasoned arguments, to consider Home Rule met with little response. A section of the party adopted the tactics of obstruction, of using complicated procedurial devices to hinder the discussion of the government's business. If Home Rule proposals were not 14

See: L. J. MCCAFFREY: Irish Federalism in the 1870's: a study in conservative nationalism. In: Transactions of the American Philosophical Society. New Series. Vol. 52, part 6 (1962); D. THORNLEY: Isaac Butt and Home Rule. London 1964.

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to be considered, then British interests should also suffer. Charles Stewart Parnell, first elected to parliament in 1875, soon became the leader of the more aggressive section of the Home Rulers. Parnell came of a landed family and was a Protestant, but in the eighteenseventies he identified himself closely with Irish nationalism and he looked upon Home Rule as something more than a narrow measure of political autonomy. A man of striking personality and possessed of considerable qualities of leadership, he rapidly achieved a dominant position in the Home Rule movement. By 1878-9, he had become the key figure in Irish nationalism. But by that time certain developments had taken place which altered considerably the political climate in Ireland. The late eighteen-seventies were a period of economic depression, especially for agriculture. Low prices and increasing competition from overseas in the British market brought hardship to the Irish farmers. Many fell into arrears in the payment of rent and eviction was often the landlords' answer. This new clash between landlords and tenant-farmers added to the tensions in Irish life and, in 1879, Michael Davitt, the son of a small farmer and a Fenian who had served a long prison sentence, established the Land League, which aimed at securing ultimate ownership of the land by the tenant-farmers. This rather aggressive movement caught the imagination of the countryside and Parnell was quick to realise the tremendous political possibilities of a link between the Land League and the Home Rule movement. The Land League's position was further strengthened by the powerful support it received from many IrishAmerican Fenians, and following Davitt's lead a number of Irish Fenians also became involved in the agrarian politics of the late eighteen-seventies. This formidable combination of political nationalism and agrarian agitation produced a period of widespread unrest and open conflicts with the police, the 'Land War'. This Home Rule - Land League coalition, through the local branches of the Land League became a nationwide movement. It had the massive support of the farming population, outside of the Protestant areas in Ulster, and it won the support, increasingly, of the Catholic middle classes too. At Davitt's invitation Parnell became the leader of the Land League, a situation which also enabled Parnell to ensure that in the struggle for land reform, the interests of political nationalism would not be forgotten. Irish unrest continued throughout 1880-81 to be a serious challenge to British authority, but in 1882 a truce was arranged between Gladstone and Parnell on the basis of further concessions to the Irish farmers: a land act had been passed in 1881 which met in part the Irish farmers' demands. In the years after 1881, further legislation followed which had the effect of permitting an increasing number of farmers to purchase their holdings from the landlords on reasonable terms. The land acts were to alter the whole structure of Irish agrarian society. In making the farmer the legal owner of his land, the land purchase measures helped to remove the economic factor to a considerable extent from radical politics in Ireland. Socialism was not destined to become a force in rural Ireland. The Church and the land acts ensured this, while emigration to North America and Great Britain eased the pressure on the resources of the countryside. 61

In October 1882, a new nationalist organisation, again under Parnell's leadership was established, the Irish National League, and it replaced the Land League and allied groups. It was essentially a Home Rule body with the agrarian issue now taking second place. In its general structure it had more of the character of a modern political party than any of the earlier Irish political movements. There was an organising committee to coordinate the League's activities, local branches were founded and the selection of parliamentary candidates rested largely with county conventions of the League in which the Catholic clergy took an active part. Previously, the choice of nationalist candidates had rested with ad hoc committees and a variety of local political clubs. This firmer political structure, the substantial funds received from Irish nationalists in America and the extension of the parliamentary franchise to the farm labourers, in 1884, helped to strengthen significantly the position of the Home Rule party. At the 1885 general election, 86 Home Rulers were elected compared with the 61 returned in 1880, when the party was by no means a united one. In 1885, in contrast, the members were bound by a strict pledge to support Home Rule and party discipline was well enforced. It is also possible to detect a change in the social structure of the nationalist representation in parliament. It was becoming more democratic and the fact that the League could afford to pay the parliamentary members an allowance, in certain cases, no doubt helped the process. In 1880, for example, only two farmers, shopkeepers and wage earners - taking them as a group - were elected. By 1885, this group's representation had jumped to 22. In contrast, landlords (owning over 1000 acres) declined in numbers slightly, from 8 to 5. Against these changes must be set, however, the fact that the professional element increased its representation from 29 in 1880 to 41 in 1885. The Home Rule party was, therefore, very firmly entrenched among the farming and urban communities and its position was further improved by Gladstone's decision to support Home Rule for Ireland. The Parnell divorce affair, in 1890, and his refusal to give up the leadership of the party led to a maj or split in the nationalist camp. Parnell died in 1891, and the rest of the decade was filled by arid controversies between Parnellites and anti-Parnellites, until the two factions were brought together in a rather uneasy partnership in February 1900. Inevitably these controversies damaged the Home Rule cause, and the movement lost much of its earlier character and vitality. But the republican movement, in the eighteen-nineties was also faced with many difficulties. The IrishAmerican Fenian organisation was riven by factions whose differences were not resolved until the same year, 1900. In Ireland, the Irish Republican Brotherhood, much reduced in numbers, appeared to be dying 15 .

15

See: R. B. O'BRIEN: The Life of Charles Stewart Parnell. London 1899 and 1910; C. CRUISE O'BRIEN: Parnell and his Party 1880-90. Oxford 1957 and 1964; F. S. L. LYONS: The Fall of Parnell. London 1960; T. W. MOODY: Michael Davitt and the "pen" letter. In: Irish Historical Studies. 4 (1943). 224; L. P. CURTIS: Coercion and conciliation in Ireland 1880-1892. Princeton/London 1963; F. S. L. LYONS: The Irish Parliamentary Party 1890-1910. London 1951.

62

The quality, then, of political nationalism, both of the Home Rule and the republican separatist kind, was thin and not very effective in the eighteennineties. In contrast to this political stagnation, the draw of the great Englishspeaking communities, Britain and the United States, remained an ever present factor in Irish social life. Educational and economic changes, emigration, ? fuller participation in the life of the Victorian age and the rapid decline of the Irish language, brought the Irish people inevitably into closer touch with English standards and attitudes. Not surprisingly, there were elements at this time, who were troubled by the growing Anglicisation of Ireland. The remarkable thing we now realise about the eighteen-nineties was the appearance of a number of new, often apparently marginal cultural societies which helped to give a new dimension to the nationalist movement and, in the long-term, helped to alter its character substantially. It is fair to speak of the emergence of a conscious cultural nationalism at this time, somewhat belatedly, perhaps, as compared with other European countries. There had been some interest among scholars in the old Gaelic language in the first half of the century, and the Young Irelanders had drawn attention to the Gaelic past, but it was not until the Gaelic League (Connradh na Gaedhilge) was founded, in 1893, that the movement was put on a really popular basis, and its activities were helped, too, by the influence enjoyed by the Gaelic Athletic Association which was established in the mid-eighteen-eighties to encourage native Irish games. The new interest in the Gaelic past had a considerable effect on the AngloIrish literary revival at the turn of the century but it also had an abiding influence on the young men who moved away from parliamentary politics to seek through a reorganised Irish Republican Brotherhood a solution to the ancient conflict between Britain and Ireland. All these movements attracted men and women from many social classes. The co-founder of the Gaelic League, for example, was a Protestant, the son of a clergyman and many of the writers associated with the Anglo-Irish literary revival came from a Protestant Ascendancy background. But as in the case of the Home Rule movement, the bulk of the leaders and members of the new societies and clubs were drawn from among the Catholic working and middle-classes in town and country 16 . Cultural nationalism not socialism was the novel factor in Irish politics at the end of the nineteenth century, for except to a limited extent in the bigger urban centres, socialism was to remain marginal to Irish popular politics and Irish nationalism. When revolution came to Ireland, between 1916 and 1921, it was to remain resolutely middle-class in character, despite the remarkable part played by James Connolly, the socialist leader in the Rising of 1916.

16

See: B. O'Cuiv: The Gaelic cultural movements and the new nationalism. In: K. B. Nowlan (ed.): The Making of 1916: studies in the History of the Rising. Dublin 1969; F.X.MARTIN: Leaders and men of the Easter Rising: Dublin 1916. London 1967; E. LARKIN: James Larkin 1876-1947. Irish Labour Leader. London 1965; E.BOYD: Ireland's Literary Renaissance. 2. ed. 1922, republished Dublin 1968.

63

Diskussion

Eugen

Lemberg

Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Darstellung eines auf dem Kontinent weniger bekannten, aber den hiesigen Nationalbewegungen doch ähnlichen und für ihr Verständnis lehrreichen Prozesses. Ich würde aber nicht sagen, wie Sie es in Ihrer nationalen Bescheidenheit formuliert haben, daß die irische Bewegung später kommt als die nationalen Bewegungen auf dem Kontinent, im Gegenteil: das nationale Erwachen in Mitteleuropa sieht in der irischen Bewegung sogar ein Vorbild. Bis in Einzelheiten des Stils, der Organisationsformen und der Nomenklatur reicht die Anlehnung. So, wenn etwa die Tschechen in der Bewegung um 1848 einen liberalen Klub »Repeal« nennen. Dagegen ergibt ein Vergleich gerade etwa der tschechischen mit der irischen Bewegung, wie sehr der Verlauf und die Phasenfolge solcher Prozesse von den Gegebenheiten und Traditionen des jeweiligen Landes abhängt. Während etwa die tschechische Bewegung um 1848 aus dem Stadium des Literarisch-Ideologisch-Romantischen in das Stadium der politischen Aktion eintrat, hatte Irland, wohl infolge der dort gegebenen parlamentarischen Traditionen angefangen und vollzog die Wendung ins Literarische erst später. Die beiden Bewegungen verliefen also geradezu in umgekehrter Reihenfolge. Das kann aber nicht nur ein Unterschied der Situation sein, sondern es ist wohl auch die Brille, durch die man in den einzelnen Gebieten die nationalen Bewegungen betrachtet. In Mitteleuropa hat man diese Bewegungen mit der Brille Herders betrachtet und deshalb vor allem das Sprachlich-Literarisch-Folkloristische an ihnen wahrgenommen, das ja in der Tat zunächst die einzige Ausdrucksmöglichkeit der erwachenden Völker darstellte. In Irland sieht man - das wurde aus der Darstellung von Herrn Nowlan deutlich - mit der Brille eines Parlamentariers westeuropäischer oder amerikanischer Art. So kommen zwei ganz verschiedene Bilder zustande. Mit diesem Unterschied der Akzentuierung hängt wohl auch die von der mitteleuropäischen so sehr abweichende Situation der gälischen Sprache und ihrer Erneuerung zusammen. Ich habe neulich mit Herren aus dem St. Patrick'sCollege in Dublin, die sich sehr um die Erneuerung der gälischen Sprache bemühen, herausgefunden, daß sich diese Sprache heute in einer Situation befindet, die der tschechischen Situation um 1810 oder 1820 parallel ist. Meiner Ansicht nach hat die gälische Sprache aber weniger Aussicht, als sie damals die tschechische hatte, zur gesellschaftlich akzeptierten Hoch- und Literatursprache zu werden, da inzwischen die Souveränität der irischen Nation eta64

bliert ist, weshalb die Sprache kein so unentbehrliches Kriterium der nationalen Integration und Abgrenzung darstellt, wie das bei den Tschechen lange Zeit der Fall war. Rudolf

Uli

Ich möchte nur eine kurze Frage stellen. Ist die sehr stark konfessionell geprägte Bewegung O'Connells nicht sehr gehemmt und behindert worden dadurch, daß die römische Kurie das ganze 19. Jahrhundert hindurch ausgesprochen antirevolutionäre, reaktionäre Politik betrieb? Soviel ich weiß, ist im päpstlichen Rom die Begeisterung für O'Connell nur im Jahre 1848, im Jahre der Revolution gegen die päpstliche Herrschaft, ganz deutlich hervorgetreten. Peter

Alter

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die nationalen Bewegungen in den meisten europäischen Ländern in enger Verbindung mit sozialen Emanzipationsbestrebungen stehen. Diese Beobachtung trifft in Irland ganz besonders für die von Ihnen erwähnte Irische Parlamentspartei zu, deren wichtigste Programmpunkte die Forderungen nach Home Rule für Irland und nach Landreformen waren. Die Partei machte sich mit diesen Forderungen zur Sprecherin der Masse der Landpächter, die die Mehrheit der Bevölkerung bildeten. Nun scheint es aber so zu sein, daß der gälische Nationalismus, der sich Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte, nicht vor dem Hintergrund eines sozialen Emanzipationsprozesses entsteht. Gibt es dafür spezifische Gründe, auch dafür, daß die kleine, aber sehr aktive irische Arbeiterbewegung weder vom gälischen Nationalismus noch von der Parlamentspartei integriert werden konnte? Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil z. B. in Ländern mit ähnlicher Sozialstruktur, etwa den baltischen Ländern, der sozialistische Faktor in der Nationalbewegung eine wichtige Rolle spielte. In Irland entwickelten sich hingegen konstitutioneller Nationalismus, gälischer Nationalismus und Arbeiterbewegung nebeneinander. Liegt dieser Tatsache vielleicht eine gegenüber den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts erheblich größere soziale Differenzierung zugrunde? Miroslav

Hroch

Wir haben es hier mit dem Typus der Nationalbewegung zu tun, in der sich die politischen Forderungen parallel mit den kulturellen (oder sogar zeitlich vor ihnen) entwickelten. Daher bestand die Möglichkeit, die sich neu anbahnenden Interessengegensätze durch politische Forderungen auszudrücken; das Kulturelle kommt also in das Nationalprogramm als Begleiterscheinung des Politischen. Diesen Typus kennen wir auch in Norwegen, wo erst etwa eine Generation nach den politischen Unabhängigkeitsbestrebungen die Bemühungen um eine eigenständige norwegische Sprache und Literatur einsetzte 65

(die Wergeland-Bewegung in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts). Es ist charakteristisch, daß diese Bemühungen in den breiten Schichten wenig Interesse fanden. Noch tiefer ging ein solcher Mißerfolg im Falle der flämischen Bewegung. In den liberalen belgischen Zuständen, die das freie politische Leben ermöglichten, konnte die sprachlich-kulturelle Bewegung Sprache und Kultur nicht mehr an die Spitze aller Werte setzen. Die flämische Bewegung selbst ist im 19. Jahrhundert immer wieder gescheitert, als sie versuchte, die Liberalen und Klerikalen unter einem Dach des flämischen Patriotismus zu integrieren. Von diesen beiden Fällen unterscheidet sich die irische Bewegung, die im Grunde auch zu diesem Typus der Nationalbewegungen kleiner Nationen gehört, nicht nur durch die hervorragende Organisation, sondern einmal durch die integrierende Rolle der Kirche und zum zweiten dadurch, daß die sozialen Interessengegensätze weitgehend durch die national formulierten politischen Programme artikuliert gewesen sind.

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Mirjam

Gross

Einfluß der sozialen Struktur auf den Charakter der Nationalbewegung in den kroatischen Ländern im 19. Jahrhundert*

1 Die Grundlagen der späteren Konstituierung der südslawischen Nationen haben sich schon im Mittelalter herausgebildet. Im Rahmen der Probleme, die hier untersucht werden, muß man unbedingt auf die sozialen Strukturen des 16. bis 18. Jahrhunderts hinweisen, da sie entscheidend zum Charakter der nationalen Wiedergeburt beigetragen haben. D i e gesellschaftliche Entwicklung im nördlichen Kroatien, das seit dem 12. Jahrhundert zu den Ländern der ungarischen K r o n e gehörte, unterschied sich grundlegend v o n derjenigen in Dalmatien, das zwischen 1409 und 1 4 8 0 venezianisches Gebiet geworden war, während die Halbinsel Istrien in ihrem westlichen Teil Venedig, im östlichen aber Osterreich gehörte. Hinzu k o m m t noch die Tatsache, daß sich seit dem 16. Jahrhundert Serben aus den v o n den Türken besetzten Ländern in den Grenzgebieten Kroatiens, die allmählich * Für die Tagung hatte ich »Thesen«, das heißt eine Problemliste unter dem Titel »Einfluß der sozialen Struktur auf den Charakter der Nationalbewegungen bei den Südslawen der Habsburgermonarchie« zusammengestellt als Beitrag für eine Diskussion über allgemeine Fragen der Konstituierung und Entwicklung der kleinen europäischen Nationen im 19. Jahrhundert und im besonderen über die Frage, warum sich ethnisch verwandte Gruppen unter gegebenen Verhältnissen nicht zu einer, sondern zu mehreren Nationen konstituieren. Ich halte diese Fragen für sehr wichtig, nicht nur für das Verständnis der Verhältnisse im heutigen Jugoslawien, sondern auch als Vergleichsmaterial für Untersuchungen über die »neuen« Nationen in den außereuropäischen Weltteilen. Ich hatte schon im vorhinein darauf aufmerksam gemacht, daß es im Falle einer Drucklegung nicht möglich wäre, alle die angedeuteten Probleme in einem kurzen Beitrag zu bearbeiten und daß ich mir nach der Diskussion überlegen würde, wie das Thema zu begrenzen sei. Das habe ich nun mit diesem Aufsatz getan, in dem ich nicht davon abgekommen bin, auf die Fülle der Probleme im südslawischen Raum aufmerksam zu machen, sondern sie durch die Entwicklung auf einem der südslawischen Gebiete illustrieren wollte. Unter dem Terminus »kroatische Länder« ist die heutige Republik Kroatien gemeint: das einstige Kroatien und Slawonien (im Zeitalter des Dualismus im ungarischen Teil der Habsburgermonarchie, damals ohne den Hafen Rijeka (Fiume) und die Murinsel, die unmittelbar zu Ungarn gehörten), das der Kürze und Klarheit wegen Kroatien oder Nordkroatien genannt wird, Dalmatien und Istrien, zu dessen Gebiet in der Monarchie die westlichen Teile mit slowenischer Bevölkerung gehörten, die heute zur Republik Slowenien gehören. Außerdem findet man in dem Aufsatz auch einige Hinweise auf die Probleme der kroatischen Nationalbewegung in Bosnien und der Herzegowina. Die Leser werden gebeten, sich des besseren Verständnisses wegen der beigelegten Karte der kroatischen Länder im Zeitalter des Dualismus zu bedienen.

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in das von Kroatien abgesonderte Gebiet - die Militärgrenze - einbezogen wurden, und in Teilen Dalmatiens ansiedelten. Die Serben brachten ihre eigene Gesellschaftsordnung mit. Die türkischen Verwüstungen der alten kroatischen Länder - Dalmatien und seines Hinterlandes - im 16. Jahrhundert veranlaßten die Migration des kroatischen Adels nach Norden und mit ihm auch die des kroatischen Namens. Dieser Adel verschmolz mit dem alten Adel nördlich der Save und entwickelte sich zum Hüter der kroatischen staatsrechtlichen Tradition, die im mittelalterlichen kroatischen Königreiche (bis 1102) ihre Wurzel hatte. Das kroatische Staatsrecht oder die iura municipalia hatten die Funktion, die feudalen Privilegien des kroatischen Adels, des Populus politicus, zu wahren. Daher widersetzte sich dieser Adel in seinen ständischen Organisationen dem Prozeß der Errichtung der Militärgrenze als eines besonderen Territoriums mit eigenen gesellschaftlichen Einrichtungen, die nicht seiner Herrschaft unterstanden, und den Versuchen des ungarischen Adels, seinen Einfluß auf das kroatische Gebiet zu verbreitern, besonders durch Unterbindung der unabhängigen Gesetzgebung der kroatischen Stände. Der kroatische Adel stellte sich mit der kroatischen Pragmatischen Sanktion von 1712 auf den Standpunkt der staatlichen Selbständigkeit der kroatischen Länder gegenüber Ungarn. Zusammen mit dem ungarischen Adel widersetzte sich der kroatische Adel dem Absolutismus der Habsburger, im 17. Jahrhundert sogar mit dem Versuch eines Aufstands der kroatischen Magnaten Zrinski und Frankopan. Während die Macht der österreichischen Stände zur Zeit Maria Theresias gebrochen wurde, war dies in Ungarn und Kroatien nicht der Fall. Auch wenn der kroatische Adel, unter dem Eindruck des Absolutismus und Zentralismus Josephs II., einen Teil seiner Gesetzgebung auf den ungarischen ständischen Landtag übertrug, hinterließ er doch der entstehenden kroatischen Nationalbewegung ein kontinuiertes, ungebrochenes Bewußtsein von der kroatischen Staatlichkeit und den Wunsch, die verstreuten Teile des mittelalterlichen kroatischen Königreiches wieder zu einer Einheit zusammenzufügen. Der Widerstand des kroatischen Adels gegen die Zentralisationsversuche der Habsburger ließ bei diesem nicht das Gefühl einer innigeren Bindung an die Monarchie aufkommen, besonders nach dem Ende der Türkengefahr. Zum Verständnis des mehr oder weniger schmerzlosen Prozesses des Übergangs einer feudalen staatsrechtlichen Tradition zum modernen Nationalbewußtsein muß man noch hervorheben, daß die iura municipalia ihre entschlossensten Vorkämpfer nicht in der Aristokratie, sondern im mittleren Adel hatten, aus deren Reihen sich zu Ende des 18. Jahrhunderts allmählich eine Gesellschaftsschicht entwickelte, deren Tätigkeit und Lebensweise eigentlich der des Bürgertums glich. Bei den anderen Schichten der kroatischen feudalen Gesellschaft war der Wunsch nach Vereinigung der kroatischen Länder mit einer eigenen Staatlichkeit (kroatisches Staatsrecht) nicht vorhanden. Der fortwährende Türkenkampf hemmte die wirtschaftliche Entwicklung auch jener Städte, die nicht unmittelbar unter der Türkenherrschaft gewesen waren. Das Bürgertum interessierte sich im allgemeinen nur für die Wahrung der Freiheit seiner Stadt und konnte erst allmählich zum Bewußtsein einer gemeinsamen regionalen An-

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geüörigkeit gelangen. Erst am Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Bürgertum zum Träger eines modernen Nationalbewußtseins, das durch die adelige Tradition geprägt war. Den Bauern-Untertanen war die Verbesserung ihrer materiellen Lage in den Verhältnissen der feudalen Gesellschaft das einzig wichtige. Sie flohen oft aus Zivilkroatien, dem Gebiet ihrer kroatischen Feudalherren, in die Militärgrenze, wo sie sich als freie Bauern-Soldaten ein besseres Leben erhofften. Die Mentalität der Bauern-Untertanen der Feudalherren bedeutete ein großes Hemmnis für die Entwicklung des modernen Nationalbewußtseins. Andererseits trugen die Bauern mit ihren Unruhen und Aufständen objektiv zur Schwächung der feudalen Gesellschaft als Hindernis für die Nationalbewegung bei. Außerdem hat sich auch unter den Verhältnissen des Feudalismus die alte BauernKultur mit ihren Bräuchen und Volksliedern erhalten, so daß die nationale Wiedergeburt auch in ihr eine Quelle für die Affirmation der kroatischen Nation fand. Die nationale Wiedergeburt konnte sich, auf die staatsrechtliche Tradition des kroatischen Adels gestützt, nur in Zivilkroatien entfalten. Die gesellschaftliche Struktur des venezianischen Dalmatiens erlaubte dies vorerst nicht. Die kroatische nationale Bewegung in Dalmatien hatte daher eine andere und gegenüber Nordkroatien etwas verspätete Entwicklung. Unter der venezianischen Herrschaft war die Förderung der wirtschaftlich gesunden dalmatinischen Kommunen mit breiter Autonomie unterbunden. Eine Ausnahme bildete nur die Freie Republik Ragusa (Dubrovnik), die bis zur Zeit Napoleons bestand. Der dalmatinische Besitz war für Venedig vor allem als Sicherung seiner Macht an der Adria wichtig. Die völlige Handelsfreiheit der dalmatinischen Städte hätte zur Konkurrenz mit Venedig führen müssen, daher wurde die Verbindung der dalmatinischen Städte mit dem Hinterlande nicht gefördert oder sogar verhindert. Ihre Waren mußten in Venedig verkauft werden. Der Abbruch einer wirtschaftlichen Kommunikation mit dem Hinterlande, d. h. der Türkei, und auch die Unmöglichkeit einer Verbindung mit Nordkroatien haben natürlich behindernd auf die nationale Wiedergeburt gewirkt, obwohl im Rahmen der großen Migrationen im Mittelalter und während der Türkenkriege die kroatische Bevölkerung des Hinterlandes die Städte an der Adria besiedelte und ihnen größtenteils einen kroatischen Charakter gab, so wie auch Serben Norddalmatien besiedelten. Der Träger einer Tradition, auf welche sich später die moderne Nationalbewegung teilweise stützen konnte, war der städtische Adel, der alle Verwaltungsfunktionen allein ausübte und daher oft den Widerstand der bürgerlichen Bevölkerung hervorrief. Zum Unterschied von der eigentlichen politischen staatsrechtlichen Tradition des Adels in Nordkroatien wurzelte die Tradition in Dalmatien mehr auf kulturellem Gebiet, da dort eine hochentwickelte Renaissance-Kultur mit Literatur in kroatischer Sprache entstand, die zum großen Teil von der Notwendigkeit der Solidarität der Slawen gegen die Türkenmacht durchdrungen war. Neben dem politischen staatsrechtlichen Bewußtsein wurde diese kulturelle Tradition zur Grundlage der nationalen Wiedergeburt bei den Kroaten. Der späteren nationalen Bewegung kam noch 69

die Tatsache zugute, daß bei einem großen Teil der Pfarren Nord- und Mitteldalmatiens sowie Istriens die Messe in der Volkssprache gelesen wurde und die kirchlichen Bücher in der Glagoliza verfaßt waren. Die venezianische Herrschaft hat ein schweres Hindernis für die spätere Einbeziehung der Bauern in die nationale Bewegung hinterlassen, das Kolonat. Große Teile des Landbesitzes gehörten dem städtischen Adel und Bürgertum sowie der Kirche. Sie durften ihn aber nicht veräußern, da der Staat der oberste Besitzer war. Die Bauern-Kolonen bebauten das Land der »Herren«, wofür diese ihnen einen Teil des Ertrages überlassen mußten. Ähnlich wie bei den serbischen und kroatischen Untertanen der moslemischen Feudalherren in Bosnien und der Herzegowina blieb das Kolonat auch im 19. Jahrhundert erhalten und erschwerte die Entwicklung einer freien Bauernschaft und damit auch der Nationalbewegung. Während also die gesellschaftliche Struktur in der vorkapitalistischen Zeit in Nordkroatien das Bild einer »vollkommenen« feudalen Gesellschaft zeigt und die Dalmatiens das Bild einer Gesellschaft, wie sie ähnlich auch in den italienischen Städten bestand, ist die soziale Schichtung in den beiden anderen Gebieten, wo Kroaten wohnen - in Istrien und in Bosnien und der Herzegowina viel enger. Die kroatische und slowenische Bevölkerung Istriens bestand bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ausschließlich aus dem Bauerntum. Im östlichen Istrien waren die Feudalherren Deutsche. Im venezianischen Istrien waren die Küstenstädte von einem italienischen Bürgertum bewohnt, so daß auch hier die Kroaten und Slowenen freie Bauern oder Kolonen waren. Ausschließlich dem Bauerntum gehörte auch die Raja, die christliche Bevölkerung Bosniens und der Herzegowina, an. Da die ungünstigen Verhältnisse auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Istrien und in Bosnien und der Herzegowina (zum Unterschied von den slowenischen Ländern) keine Entwicklung des Bürgertums zuließen, konnte die nationale Bewegung hier erst später beginnen und unterschied sich auch sehr von der nationalen Bewegung in Nordkroatien und Dalmatien. Ein Vergleich der vorkapitalistischen sozialen Strukturen bei den Kroaten und Serben in den kroatischen Ländern zeigt, wie entscheidend die verschiedenen gesellschaftlichen Ordnungen zur Tatsache beitrugen, daß sich auf kroatischem Gebiete zwei Nationen, d. h. die kroatische und die serbische, entwickelten. Die Verwüstung der Gegenden mit Ackerbau hatte unter anderem die Folge, daß sich die orthodoxe Bevölkerung aus dem Bergland (dem türkischen Gebiet), die sich nur mit Viehzucht befaßte, dort ansiedelte. Der Prozeß der Anpassung der Viehzüchter an die neuen Verhältnisse war lang und schwierig, nicht nur wegen der ganz anderen wirtschaftlichen Grundlage. Der gesellschaftliche, kulturelle und religiöse Unterschied zwischen der neuen und alten Bevölkerung wurzelte in der voneinander verschiedenen mittelalterlichen Tradition: den mittelalterlichen Staaten, den verschiedenen kulturellen Einflüssen Byzanz' bzw. des katholischen Europa und vor allem im Religionsunterschied zwischen den Katholiken und Orthodoxen. Hinzu kommt noch, daß der Bedarf an Soldaten, die gegen die Türken zu kämpfen hatten, die Dynastie und die Militärstellen Österreichs dazu brachte, die Gesellschaftsordnung der neuen serbischen Bevölkerung nicht zu hart anzufassen, ja sie

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sogar in ihren wichtigsten Teilen bestehen zu lassen. Erst im 18. Jahrhundert wurde die alte Autonomie der Grenzer mehr und mehr beschränkt 1 . Jedenfalls konnte sich die serbische Bevölkerung der Militärgrenze außerhalb der feudalen Gesellschaft entwickeln und mit Hilfe der österreichischen Militärstellen dem Druck des kroatischen Adels, sie zu Untertanen zu machen, widerstehen wie auch den Versuchen der katholischen Kirche, sie zum Übertritt zu bewegen. Im 17. Jahrhundert wurde den Grenzern allmählich eine Selbstverwaltung erlaubt, die sich eigentlich auf der Tradition der dörflichen Selbstverwaltung im türkischen Gebiet gründete. Im Einklang mit den Grundlagen der türkischen Gesellschaft und ihrer moslemischen Kultur, die sich völlig von den Christen absonderte, hat der türkische Feudalismus zum großen Teil die innere Selbstverwaltung des christlichen Dorfes bestehen lassen, während das Dorf in Kroatien völlig in die feudale Gesellschaftsordnung miteinbezogen wurde, obwohl sich natürlich auch hier Traditionen aus der Zeit, als die Bauern von den Feudalherren noch weniger abhängig waren, erhalten hatten. Man kann daher zusammenfassend feststellen, daß die Gesellschaft der Serben zu Beginn der nationalen Wiedergeburt aus freien Bauern bestand, großenteils Soldaten unter Führung des orthodoxen Klerus, der eine große Rolle in der Erhaltung der Tradition der Einheit der Serben gespielt hatte. Dennoch kann man den Prozeß der Entwicklung der alten gesellschaftlichen und kulturellen Tradition zum modernen serbischen Nationalbewußtsein bei den Serben in den kroatischen Ländern nicht verstehen, wenn man nicht den Einfluß der anderen serbischen Länder in Betracht zieht. So wie bei den Kroaten, wo die Nationalbewegung im gesellschaftlich am weitesten entwickelten Teil, nämlich Nordkroatien, begann, um dann entscheidenden Einfluß auf die nationale Wiedergeburt in den anderen Ländern, in denen die Kroaten leben, zu nehmen, war es auch bei den Serben. Vor allem muß man auf den Einfluß der Serben in Ungarn, in der Vojvodina, hinweisen. In den Türkenkriegen des 17. und 18. Jahrhunderts nahm die Bevölkerung Serbiens aktiv an der Seite der österreichischen Truppen teil und zog sich zusammen mit diesen Truppen auf ungarisches Gebiet zurück. Es handelte sich vor allem um Kaufleute, Handwerker, Klerus und Dorfvorsteher, die an der Spitze der Aufstände gegen die Türken gewesen waren. Sie siedelten sich in Ungarn an und verlangten kirchliche und politische Autonomie für alle Serben im Habsburgerreich. Dem serbischen orthodoxen Patriarchen wurde die Jurisdiktion über alle Serben der Monarchie und eine Schul- und Kirchenautonomie gestattet. Im Laufe des 18. Jahrhunderts konnte sich ein fortgeschrittenes serbisches Bürgertum entwickeln, dessen aufblühende Kultur ausschlaggebend war für die Physiognomie und für die Beschleunigung der serbischen nationalen Bewegung auch in den ärmsten Teilen der Militärgrenze. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelten sich rege Handelsverbindungen zwischen dem türkischen Serbien und der Habs1

Allerdings gab es auch katholische Viehzüchter-Walachen. Jedenfalls waren die orthodoxen und die katholischen Grenzer in allen Widerständen gegen den feudalen Druck einig. Die berühmten Kroaten, die Grenzer, die in den europäischen Kriegen des 17. und 18. Jahrhunderts für die Habsburger kämpften, waren zum großen Teil Serben.

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burgermonarchie, die auch nicht ohne Einfluß auf die Serben in Kroatien geblieben sind. Am meisten waren sie allerdings durch die serbische Revolution am Anfang des 19. Jahrhunderts beeindruckt, die den Grundstein zu einem freien serbischen Staat gelegt hat.

2 Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die geographische Lage und die Notwendigkeit, sich gegen den Druck des ungarischen Nationalismus unter Führung des liberalen Adels zu wehren, trugen dazu bei, daß die kroatische Nationalbewegung in Nordkroatien beginnen mußte. Es nahmen teil der mittlere Adel (die Aristokratie wähnte ihre Privilegien zum größten Teil nur durch einen engen Anschluß an den ungarischen Adel gesichert), die reicheren Kaufleute, die Intelligenz, die sich aus Angehörigen des Adels und des Bürgertums zusammensetzte, und der katholische Klerus, hauptsächlich der niedere Klerus. Diese gesellschaftliche Zusammensetzung hat dazu geführt, daß die Nationalbewegung in ihren Anfängen in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts sich nicht scharf gegen das feudale System wenden konnte und daher auch keine Unterstützung der Bauern erhielt. Dennoch wurde im Rahmen des schnellen Verfalls der feudalen Gesellschaft in der Monarchie auch die kroatische Nationalbewegung immer mehr »verbürgerlicht«, so daß sich ihr politisches Programm in den vierziger Jahren aus den typischen Forderungen des europäischen liberalen Bürgertums zusammensetzte. Der Illyrismus als kroatische Nationalbewegung, die die Grundlagen zur Konstituierung der modernen kroatischen Nation und ihrer Ideologien gelegt hat, trug also den Stempel einer Gesellschaft, in der das Bürgertum noch am Anfang seiner Entwicklung stand. Der mittlere Adel wurde zur Hauptstütze des Illyrismus. Der Landbesitz dieser Schichten war verschuldet und im Verfall, und ähnlich wie in Ungarn sahen sie ihre Rettung in liberalen Reformen, die allmählich zum Loskauf der Bauern führen mußten. Der verarmte kroatische Adel strebte Beamtenstellen an, die er in den Verhältnissen der Abhängigkeit Kroatiens vom ungarischen Adel nicht sichern konnte. Zum großen Teil wollte diese Adelsschicht die feudale Gesellschaft nur modernisieren und nicht abschaffen. Der kroatische Adel hatte sich vorerst den Magyarisierungsversuchen des ungarischen Adels durch Festhalten an der lateinischen Sprache widersetzt, in welcher ja alle seine Privilegien verfaßt waren. Doch schon am Anfang der illyrischen Bewegung sah ein Teil des Adels ein, daß nur die Affirmation der Nationalsprache als Literatursprache ein Bollwerk gegen die Magyarisierungsbestrebungen des ungarischen Adels sein konnte. Alle Gesellschaftsschichten in der illyrischen Bewegung vereinte ja das Bewußtsein, daß sie sich nicht nur für eine Besserung der Verhältnisse in Kroatien einsetzten, sondern vor allem für die Erhaltung ihrer nationalen Eigenart. Obwohl ein großer Teil des kroatischen Adels die feudale Gesellschaft nur reformieren wollte, half er dennoch, die Schranken, die sich der bürgerlichen Gesellschaft entgegensetzten, zu lockern, indem er sich die nationale Idee in illyrischer Form zu eigen machte. Die Tradition des kroatischen Staatsrechts,

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die bisher dazu gedient hatte, den Landbesitz und die politschen Rechte des kroatischen Adels zu sichern, verwandelte sich unter dem Einfluß der Ideen der europäischen Romantik zur Grundlage für die Vereinigung der in verschiedenen Verwaltungsgebieten zerstreuten kroatischen Nation. So wie alle jungen europäischen Nationen im Zeitalter der Romantik auf ihre mittelalterlichen Staaten zurückblickten, rankten sich auch das kroatische Nationalgefühl, das Selbstbewußtsein und der Nationalstolz am alten kroatischen Staatsrecht empor. Der Träger und Verbreiter der nationalen Idee war die Intelligenz adeliger und bürgerlicher Herkunft, während der Klerus meistens aus dem Bauerntum stammte. Die Intelligenz war nicht zahlreich, konzentrierte sich aber in den politischen und kulturellen Zentren und hatte daher einen ziemlich großen Einfluß. Vor allem die Juristen, aber auch andere Vertreter der Intelligenz traten an die Stelle des noch schwachen Handelsbürgertums, das sich aus niederem Adel, Bürgertum und Bauerntum entwickelt hatte. Die Kaufleute einiger Städte, die begeisterte Anhänger des Illyrismus waren, hatten dasselbe Interesse wie der Adel, d. h. Förderung des Korn- und Holzhandels und Ausdehnung ihres Marktes, wobei sie sich von den Interessen des ungarischen Adels bedroht fühlten. Neben der weltlichen Intelligenz spielte der katholische Klerus eine große Rolle, war aber nur ein Teil der gesellschaftlichen Struktur, auf die sich die illyrische Bewegung stützen konnte, im Unterschied zur nationalen Wiedergeburt in den gesellschaftlich rückständigeren Ländern. Schon in Dalmatien, wo die bürgerliche Intelligenz als Träger der nationalen Wiedergeburt auftrat, waren die Zahl und die Bedeutung des Klerus größer als in Nordkroatien. In Istrien und in Bosnien und der Herzegowina, wo die Kroaten nur Bauern waren, hatte der Klerus die ausschließliche Führung inne, d. h. der Weltklerus in Istrien und die Franziskaner in Bosnien und der Herzegowina. So wie die nationalen Wiedergeburten bei den anderen kleinen slawischen Nationen, die sich, ihrer Schwäche bewußt, aufeinander stützen wollten, begeisterten sich auch die Illyrier für die slawische Solidarität, nämlich die kulturelle und sprachliche Gemeinsamkeit der Slawen. Die kleine Zahl der Kroaten, ihre Zersplitterung in verschiedenen administrativen und politischen Einheiten mit verschiedenen Dialekten (es gab bis zum Illyrismus eine Literatursprache in drei Dialekten), sozialen Strukturen und verschiedenen regionalen Namen führten dazu, daß die nationale Wiedergeburt der Kroaten im Rahmen der slawischen Solidarität unter dem traditionellen illyrischen Namen für alle Südslawen (als angeblich autochthone Bevölkerung und Nachkommenschaft der alten Illyrier) in Erscheinung trat. Nach der Überzeugung der Illyrier waren die Südslawen eine Kulturnation, die eine einheitliche Kultur und eine einheitliche Literatursprache haben sollte. Da nun die serbische und die slowenische Nation schon ihre eigene Kultur und ihr eigenes Nationalgefühl entwickelt hatten, lehnten ihre Ideologen die südslawische kulturelle Idee ab. (Es gab aber einige Ausnahmen.) Die Folge der Bemühungen der Illyrier für eine gemeinsame südslawische Kultur war daher die Erneuerung der alten kroatischen Kultur und die Entstehung einer soliden Grundlage für die moderne Kultur der kroatischen bürgerlichen Gesellschaft. Dies mußte um 73

so mehr der Fall sein, als der Illyrismus auch auf dem politischen Kroatismus auf Grund der adeligen iura municipalia sein Programm aufbaute. Als Antwort auf den ungarischen Druck verlangten die Illyrier die Vereinigung der kroatischen Länder in der Monarchie, wenn auch im Rahmen der ungarischen Konstitution als Schutzwall gegen den österreichischen Absolutismus. In der Revolution von 1848 verwirklichte der Illyrismus sein politisches Programm, nämlich die Unabhängigkeit Kroatiens von Ungarn, während die Nationalsprache zur offiziellen Sprache wurde. Diese Errungenschaften gingen natürlich im Zeitalter des Bachschen Absolutismus verloren. Der Zerfall der feudalen Gesellschaft schuf aber eine neue soziale Grundlage für die kroatische Nationalbewegung und Ideologie. Bis 1848 hatte der Illyrismus nur wenige Verfechter außerhalb Nordkroatiens gefunden, und zwar im Bürgertum sowie im katholischen und orthodoxen Klerus in Dalmatien, im katholischen Klerus in Istrien und bei den Franziskanern in Bosnien und der Herzegowina. Der Ideengehalt der Nationalbewegungen in Dalmatien und Istrien in den sechziger Jahren ruhte jedoch auf der Grundlage der illyrischen Errungenschaften.

3 Die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und der kapitalistischen Produktionsweise in Stadt und Land nach der Revolution im Jahre 1848 umfaßte die ganze Monarchie, in besonderer Weise auch die kroatischen Länder. In Nordkroatien sind die Anfänge einer industriellen Revolution zu bemerken. Einheimische Unternehmer gründeten kleine Zuckerwerke und Mühlen, nutzten die Forstbestände und bauten die ersten Dampfsägen. Jedoch schon zur Zeit des österreichisch-ungarischen bzw. kroatisch-ungarischen Ausgleichs, besonders aber in den siebziger Jahren wurde diese Entwicklung unterbunden. Eine weitere Industrialisierung verlangte große Kapitalkonzentration, um der Konkurrenz der fortgeschrittenen Industrie in den anderen Ländern der Monarchie standhalten zu können, eine günstige Handels- und Verkehrspolitik, besonders aber Eisenbahnpolitik, die zum Vorteil der kroatischen und serbischen Kaufleute und Unternehmer gewesen wäre, und Unterstützung der Interessen des Bürgertums durch den Staat. Im Gegensatz zu den Interessen des einheimischen Bürgertums kam die Wirtschaftspolitik durch den kroatischungarischen Ausgleich völlig in die Hände der ungarischen Regierung und des ungarischen Parlaments und richtete sich ausschließlich nach den Erfordernissen des ungarischen Kapitals, deren Vertreter in Kroatien nur das Gebiet sahen, durch das ihr Weg zur Adria und zum Balkan führte. Die wirtschaftliche Entwicklung Kroatiens wurde systematisch durch den Ausgleich gehemmt 2 . Die ungarische Regierung übte einen starken politischen Druck auf wirtschaftlichem Gebiet aus. Besonderen Schaden richtete sie mit ihrer berüchtigten 2

5 6 % der Einnahmen Kroatiens gingen an die »gemeinsamen« Angelegenheiten, d. h. für Investitionen ausschließlich auf ungarischem Gebiet, während man nicht kontrollieren konnte, ob die kroatische Autonomie auch wirklich über die restlichen 4 4 % der Einnahmen verfügte.

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Eisenbahntarifpolitik an, die es ermöglichte, die Ware billiger auf Umwegen über das ungarische Territorium zu schaffen als auf direkter Strecke über das kroatische. Es ist daher klar, daß die finanzielle Selbständigkeit zum größten Wunsch des kroatischen Bürgertums wurde und daß es sich, an die staatsrechtliche Tradition des Adels anknüpfend, nach seinem eigenen Staat sehnte, der es unterstützen und nicht, wie der bestehende, hemmen würde. Unter diesen Umständen mußte jede Produktion, die eine größere Kapitalkonzentration verlangte, in die Hände fremder Unternehmer fallen. Die Voraussetzungen für eine kapitalistische Entwicklung auf dem Dorf waren auch sehr ungünstig. Die einstigen Bauern-Untertanen hatten zwar ihre Sessionen als Eigentum erhalten, die Frage des Waldes, der Weiden und Weinberge blieb aber lange ungelöst und war eine Quelle von Zusammenstößen zwischen den einstigen Untertanen und Feudalherren. Die ständige Unsicherheit des Besitzes hemmte jede Organisation des Kredites, ermöglichte es aber vielen Kauf leuten, sich als Bauern-Wucherer zu bereichern. Hinzu kamen noch die großen Schwierigkeiten des Verfalls und der Teilung der Hausgemeinschaften (zadruga) und die Tatsache, daß die Organisation des modernen bürgerlichen Staates besonders nach dem Ausgleich viel kostete. Dies führte auch zur Erhöhung der Steuern gerade zur Zeit der großen Getreidekrise der siebziger bis neunziger Jahre, die zur Herabsetzung der Getreidepreise führte. Daher war die Kaufkraft der Bauern äußerst gering, was Handel und Produktion hemmte. Noch in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg verkauften die Fabriken ihre Produktion fast ausschließlich ins Ausland, ausgenommen alkoholische Getränke. Obwohl die gesellschaftliche Entwicklung in verschiedenen Teilen des Landes größere Unterschiede aufwies, kann man doch im allgemeinen feststellen, daß das Hauptproblem des Dorfes der kleine Bauer geworden war, dessen Familie von seinem kleinen Landbesitz nicht leben konnte. Ebensowenig konnte dieses »Halbproletariat« Verdienst in den Städten finden, da es fast keine Industrie gab und die Möglichkeiten, bei den Handwerkern Arbeit zu finden, äußerst begrenzt waren wegen der geringen Kaufkraft der Bevölkerung und der Konkurrenz der fremden Industrieprodukte. Es verwundert daher nicht, daß die große Welle der Auswanderung schon in den achtziger Jahren begann. Man muß noch hinzufügen, daß die Militärgrenze erst 1881 an Kroatien und Slawonien angeschlossen wurde und daß die Entstehung eines einheitlichen Verwaltungsgebietes und Marktes auch nach dieser Vereinigung auf große Schwierigkeiten stieß, nachdem nach jahrhundertlanger Abgesondertheit große Unterschiede zwischen dem ehemaligen Zivilkroatien und der Militärgrenze bestanden. Auf Grund der wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen der fünfziger bis neunziger Jahre konnte sich nur ein Kleinbürgertum entwickeln. Die Modernisierung Kroatiens im Sinne einer bürgerlichen Gesellschaft, der Verfall der Naturalwirtschaft und die Entstehung einer kapitalistischen Wirtschaft mußten trotz der geringen Kaufkraft und Produktionsmöglichkeiten der Bevölkerung zum steten Wachstum der Zahl der Handwerker, Kleinhändler und Kaufleute in Städten und Dörfern führen. Es gab wohl auch reiche Kaufleute und Unternehmer, aber es war vor allem die Mentalität des Kleinbürgertums, 75

die der nationalen Bewegung und den politischen Verhältnissen bis zur Jahrhundertwende ihren Stempel aufdrückte. Diese Psyschologie war es, die sich die staatsrechtliche Tradition des kroatischen Adels auf besondere Weise zu eigen machte. Dalmatien war im wirtschaftlichen Sinne noch rückständiger, obwohl es auf Grund seiner traditionellen sozialen Struktur eine bürgerliche Schicht hatte, die sich mit Schiffsbau, Seehandel und Weinverkauf befaßte. Jedoch verfügte dieses Bürgertum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über keine Voraussetzungen für einen Fortschritt. Der Bau der Segelschiffe war natürlicherweise im Verfall. Für den Bau von Dampfern waren die einheimischen Unternehmer viel zu schwach. Eine Kapitalkonzentration für den Dampferbau wäre nur mit Staatshilfe möglich gewesen, und auf diese konnte das Bürgertum in Dalmatien ebensowenig wie jenes in Kroatien hoffen. Der Seehandel war unterbunden, obwohl die geographische Lage der dalmatinischen Häfen sehr günstig für einen Welthandel nach Eröffnung des Suezkanals war. Wegen der politischen Gegensätze und Machtinteressen des deutschösterreichischen und ungarischen Kapitals hatte Dalmatien keine Verbindung mit seinem Hinterland, d. h. mit Bosnien und der Herzegowina und Nordkroatien, und auch nicht mit Österreich. Der größte Wunsch des dalmatinischen Bürgertums, nämlich die Eisenbahnverbindung mit seinem Hinterland, konnte nicht in Erfüllung gehen. Unter dem Druck dieser Verhältnisse konzentrierte sich das schwache einheimische Kapital hauptsächlich auf die Landwirtschaft, d. h. auf den Weinbau, dessen Auf und Ab von den Konjunkturen und Krisen der europäischen Weinwirtschaft und den Krankheiten der Weinberge abhing. Die Modernisierung der Landwirtschaft war nicht möglich wegen der Kolonatsverhältnisse, die in mehreren Teilen des Landes vorherrschten. Auch in der Landwirtschaft mußte das dalmatinische Bürgertum die schmerzliche Erfahrung machen, daß es in einem Staat lebte, auf den es keinen Einfluß hatte, denn der Handelsvertrag zwischen Österreich-Ungarn und Italien vom Jahre 1891 erlaubte es Italien, seinen Wein unter minimalen Zollgebühren in die Habsburgermonarchie einzuführen. Dieser politische Vertrag im Rahmen der Maßnahmen, die die Italiener fester an den Dreibund binden sollten, vernichtete den dalmatinischen Weinbau und damit eine letzte Chance für einen bescheidenen wirtschaftlichen Fortschritt. Ebenso wie in Kroatien kam auch in Dalmatien eine Investitionspolitik nicht in Frage. Die beiden Handelshäfen der Monarchie, Triest und Rijeka (Fiume), das nach dem Ausgleich zwar nicht de iure, aber de facto unmittelbar an Ungarn gefallen war, genügten vorerst den Interessen des österreichischen bzw. ungarischen Kapitals. Die ungarische Regierung bemühte sich nach Kräften, den wirtschaftlichen Fortschritt in Dalmatien zu unterbinden, um das Monopol ihres Hafens nicht zu gefährden. Österreichische Investitionen, die einen Profit erbracht hätten, waren auf dem dalmatinischen Karst nicht möglich. Erst nach der Jahrhundertwende gab es einige Industrieunternehmen aus ausländischem Kapital. Daher sehnte sich auch das kroatische Bürgertum Dalmatiens nach seinem eigenen Staat, d. h. vorerst nach der Vereinigung mit dem im ungarischen Teil der Monarchie gelegenen Kroatien, und stützte sich in seiner Nationalbewegung auf die staatsrechtliche Tradition des kroatischen Adels. 76

Wenn man also alle diese Hemmnisse für einen wirtschaftlichen Fortschritt in Betracht zieht, kann es nicht verwundern, daß die erste großangelegte Volkszählung und Statistik der Habsburgermonarchie im Jahre 1890 beweist, daß die beiden kroatischen Länder die wirtschaftlich rückständigsten der Monarchie waren, daß sie nämlich den größten Prozentsatz der Bevölkerung hatten, die sich mit Landwirtschaft befaßte, und daher auch den kleinsten Prozentsatz der Berufe in Industrie, Handel und Verkehr. Kroatien hatte 1890 84,64% und Dalmatien 86,12% der Bevölkerung in der Landwirtschaft, während dieser Prozentsatz für das rückständigste Land in Ungarn (Siebenbürgen) 82,88% und für die rückständigsten Länder in Österreich (Galizien und die Bukowina) 77,38% bzw. 75,71% betrug. Istrien hatte 1890 nur 72,84% der Bevölkerung in der Landwirtschaft, jedoch der Teil der Bevölkerung, der in Handel, Verkehr usw. beschäftigt war, gehörte in diesen Jahren noch fast ausschließlich dem italienischen Bürgertum an, während die Kroaten und Slowenen Bauern, die Führer der Nationalbewegung Geistliche waren.

4 Die kroatische Nationalbewegung und die Ideologien, die allmählich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Erscheinung traten, entwickelten sich daher im allgemeinen Rahmen einer rückständigen Gesellschaft und Wirtschaft und hatten drei Hauptmerkmale: 1. Die ausschließliche staatsrechtliche Politik des kroatischen Bürgertums, 2. Beginn und Entwicklung der kroatischen Nationalbewegung verliefen ungleichmäßig und zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen gesellschaftlichen Verhältnissen, 3. Konstituierung mehrerer Nationen neben den Kroaten, nämlich der Serben und Italiener und das besondere Problem der Moslems in Bosnien und der Herzegowina, die keine nationale Entscheidung trafen. In der auf dem Legitimitätsprinzip beruhenden Monarchie, in der die Nationen mit Staatsrecht eine bessere Lage hatten als jene, die nur auf das Naturrecht pochen konnten, mußte die kroatische Nationalbewegung ihren Wunsch nach Vereinigung der kroatischen Länder mit dem alten kroatischen Staatsrecht begründen. Das kroatische Bürgertum konnte nicht alle Schichten der Bevölkerung in die Nationalbewegung hineinziehen, weil dies nur im Kampfe um die Lösung der brennenden gesellschaftlichen Fragen möglich gewesen wäre. Für eine solche Tätigkeit war das Bürgertum aber viel zu schwach. Die nationalen Ideologien und die konkrete Politik beschränkten sich daher auf die Forderung nach Vereinigung der kroatischen Länder - wobei das kroatische Staatsrecht auf verschiedene Weise interpretiert wurde bis hin zu der Forderung nach Vereinigung Kroatiens, Dalmatiens, der Stadt Rijeka, Istriens, der Murinsel und Bosniens und der Herzegowina - ohne ein soziales Programm, d. h. ohne Vorbereitung der Volksmassen für den Nationalkampf. Obwohl der kroatisch-ungarische Ausgleich das kroatische Bürgertum in seiner Tätigkeit hemmte, hat er es dennoch in seiner staatsrechtlichen Nationalbewegung bestärkt, weil die Kroaten außer den beiden herrschenden Nationen die einzigen 77

waren, denen wenigstens Elemente einer eigenen Staatlichkeit zuerkannt wurden. Sie erhielten mit dem Ausgleich eine staatliche Autonomie, allerdings zum größten Teil auf dem Papier, womit sich Nordkroatien von Dalmatien und Istrien unterschied, die doch nur, wie alle Länder in Österreich, eine lokale Autonomie hatten. Allerdings wurde diese Autonomie von der ungarischen Regierung systematisch und gesetzwidrig untergraben, bestärkte das kroatische Bürgertum aber eben deshalb darin, immer lauter den Ausbau seiner eigenen Staatlichkeit zu verlangen. Die nationale Wiedergeburt der Kroaten trat zuerst in Nordkroatien in Erscheinung, wie wir gesehen haben noch im Rahmen der feudalen Gesellschaft. Als Träger des kroatischen Staatsrechtes sollte Nordkroatien das Zentrum sein, um welches sich die anderen kroatischen Länder vereinigen müßten. Es ist daher klar, daß die wichtigsten kroatischen nationalen Ideologien in Nordkroatien entstehen mußten und daß sie von der nationalen Bewegung in den anderen kroatischen Ländern mit verschiedener gesellschaftlicher, aber auch politischer Lage in mehreren Varianten aufgenommen wurden. In Dalmatien kann man die ersten Elemente der kroatischen und serbischen nationalen Wiedergeburt schon im Jahre 1848 bemerken, doch die eigentliche Nationalbewegung begann am Anfang der sechziger Jahre, gemeinsam getragen vom kroatischen und serbischen Bürgertum und vom katholischen und orthodoxen Klerus. Auch in Istrien begann die nationale Wiedergeburt der Kroaten und Slowenen in den sechziger Jahren unter ausschließlicher Führung des katholischen Klerus, da die Kroaten Bauern waren und es noch kein Bürgertum gab. Die bürgerliche Intelligenz erhielt erst in den achtziger Jahren eine bedeutende Rolle in der kroatischen Nationalbewegung Istriens. In Bosnien und der Herzegowina konnte die kroatische Nationalbewegung erst nach der Okkupation unter Führung der Franziskaner beginnen, da der katholische Weltklerus erst nach der Okkupation in das Land kam und keine Wurzel im Volke hatte. Die katholische Bevölkerung bestand ungefähr zur Hälfte aus freien Bauern und »Kmeten«, die den Landbesitz der moslemischen Feudalherren bebauten. Erst in den neunziger Jahren wurde auch die bürgerliche Intelligenz zum Träger der kroatischen Nationalbewegung in Bosnien und der Herzegowina, während sich das serbische Bürgertum zum Teil schon während der Türkenzeit entwickelt hatte. Die großen Unterschiede in der sozialen Struktur, die zum Teil noch aus der Zeit des Feudalismus stammten, konnten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht ausgeglichen werden, da es in der Monarchie nicht zur Vereinigung der kroatischen Länder kommen konnte. Im Gegenteil, Dalmatien war durch den Ausgleich an Österreich, Kroatien an Ungarn gefallen, und die Konstante in der Politik aller dualistischen Faktoren bestand darin, eine politische Zusammenarbeit der inneren Kräfte der beiden Länder zu verhindern. Ihre Vereinigung, deren Möglichkeit im kroatisch-ungarischen Ausgleich angedeutet war, würde ja das Ende des Dualismus bedeuten. Die Besonderheiten der nationalen Bewegung in den kroatischen Ländern und in Bosnien und der Herzegowina wurden dadurch stark beeinflußt, daß die einzelnen Etappen der nationalen Bewegung jeweils unter veränderten politischen und gesellschaftlichen Bedingungen standen. Vom gesellschaftlichen

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Standpunkt aus gesehen besteht die größte Ähnlichkeit darin, daß die nationale Bewegung überall durch die Intelligenz geführt wurde. Es waren hauptsächlich Advokaten, Professoren, Journalisten, die das Interesse des reicheren Bürgertums oder des Kleinbürgertums vertraten, sowie der niedere und höhere Klerus, der aber nicht einheitlich auftrat, sondern sich verschiedenen nationalen Ideologien anschloß. Außerdem war überall, wenn auch auf verschiedene Art, die Frage der Einbeziehung der großen Mehrheit der Bevölkerung in die Nationalbewegung, nämlich des Bauerntums, schwer zu lösen. Arm, rückständig, des Lesens und Schreibens unkundig (der Schulzwang hatte erst am Ende des 19. Jahrhunderts diese Lage ein wenig gebessert), wirtschaftlich noch immer mit den Schwierigkeiten des Übergangsprozesses zwischen Feudalismus und Kapitalismus kämpfend oder gar noch in den feudalen Resten befangen (in Teilen Dalmatiens, Istriens und Bosniens und der Herzegowina), schlössen sich die Bauern erst allmählich an die Nationalbewegung an. Die nationale Propaganda des Bürgertums befaßte sich ja sowieso wenig mit ihren wirtschaftlichen Nöten. Am schnellsten ging dieser Prozeß noch in Nordkroatien vor sich, wo die Bauern sehr bald nach dem Ausgleich die ungarische Herrschaft für ihre Schwierigkeiten verantwortlich machten und es schon 1883 zu großen Bauernunruhen gegen die Ungarn kam. Wie gesagt haben sich in den kroatischen Ländern mehrere Nationen entwickelt. Vor allem wurden die nationalen Ideologien stark durch das Verhältnis zwischen dem kroatischen und serbischen Bürgertum beeinflußt. Auf die serbische Nationalbewegung in den Ländern der Habsburgermonarchie mußte das Bestehen des serbischen Fürstentums, das allerdings formell bis 1878 unter türkischer Oberhoheit stand, bzw. ab 1882 des serbischen Königreiches den größten Einfluß ausüben. Für die Serben in Dalmatien war in dieser Hinsicht auch das Fürstentum Montenegro wichtig. Natürlich mußte die serbische Nationalbewegung in der Monarchie mit der konkreten Machtpolitik des serbischen Staates zusammenhängen bzw. mit den Verhältnissen zwischen Serbien und Österreich-Ungarn. Die serbische nationale Ideologie, die in den sechziger Jahren in der Vojvodina entstand, wurde allmählich durch die Nationalbewegung der Serben in allen Ländern der Monarchie aufgenommen. Das serbische liberale Bürgertum in der Vojvodina hatte besonders durch die serbische Jugendbewegung in den sechziger Jahren als sein Ziel die Befreiung und Vereinigung aller Serben in einem Staat proklamiert. Als Argument diente die serbische mittelalterliche staatliche Tradition, die mit der kroatischen zusammenstoßen mußte, da dieselbe, durch Ante Starcevic formuliert, auf alle südslawischen Gebiete Anspruch erhob. Allerdings beriefen sich die Führer der serbischen Nationalbewegung in Kroatien auf das Naturrecht, weil der serbische Staat nicht auf dem Territorium der Monarchie existiert hatte. Die wirtschaftliche Schwäche des kroatischen und des serbischen Bürgertums bildete eine feste Grundlage von Ideologien, die für die serbische oder die kroatische Nation das ganze südslawische Gebiet oder den größten Teil desselben als einheitliches nationales Territorium und als Markt in Anspruch nahmen. Dennoch besaßen die Serben auf dem Gebiet der Vojvodina und Nordkroatiens ein historisches Recht, nämlich die Kirchen- und Schulautonomie mit einer serbischen Versammlung, wobei Bürger und orthodoxer Klerus ge79

meinsam die Fonds der Kirchengüter und Schulen kontrollierten. Für das junge serbische Bürgertum waren diese Fonds ein sehr wichtiger Teil der Kapitalakkumulation und nicht nur materielle und kulturelle Grundlage für die Förderung der serbischen Nationalbewegung. Daher interessierte sich das serbische Bürgertum bis zur Jahrhundertwende mehr für die Kirchen- und Schulautonomie als für die aktuellen politischen Probleme Kroatiens. Obwohl die serbische Frage schon in den sechziger Jahren in Nordkroatien aktuell war, konnte das serbische Bürgertum erst nach der Vereinigung der Militärgrenze und Zivilkroatiens 1881 zu einem wichtigen politischen Faktor werden. In Dalmatien dagegen hatten sich die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen den Ankömmlingen aus türkischem Gebiet und der alten Bevölkerung verwischt. Kroaten und Serben lebten dort im selben Verwaltungsgebiet und im Rahmen derselben gesellschaftlichen Struktur. So konnte es im Gegensatz zu Nordkroatien zu einer gemeinsamen nationalen Bewegung am Anfang der sechziger Jahre kommen, und zwar vorerst unter slawischem Namen. Das Ziel dieser nationalen Wiedergeburt waren die Vereinigung Dalmatiens mit Kroatien und die Nationalsprache als offizielle Sprache in Verwaltung und Unterricht. Durch den Konstituierungsprozeß der kroatischen und serbischen Nation mußte die serbische und kroatische nationale Ideologie auch hier bald die Oberhand gewinnen und in den Verhältnissen nach dem kroatisch-ungarischen Ausgleich und während des bosnisch-herzegowinischen Aufstandes und der Okkupation zur Spaltung und zum Gegensatz zwischen der kroatischen und der serbischen Nationalbewegung führen. Bosnien und die Herzegowina, auf welche das kroatische und serbische Bürgertum in allen Ländern Anspruch erhob, wurde zum Zankapfel zwischen dem serbischen und dem kroatischen Bürgertum. In Bosnien und der Herzegowina selbst hatte sich das serbische Bürgertum früher als das kroatische entwickelt. Beide nationale Ideologien entfalteten sich hier im Streit um die nationale Entscheidung der moslemischen Grundbesitzer, zu der es allerdings, obwohl sich viele zu den Serben oder Kroaten schlugen, nicht kommen sollte. Im allgemeinen kann man aus der Entwicklung der kroatischen und serbischen Nationalbewegung, des Nationalbewußtseins und der nationalen Ideologie in den kroatischen Ländern folgern, daß es erst zu Ende der siebziger Jahre und am Anfang der achtziger Jahre zum Gegensatz zwischen ihnen kam, der bis zur Jahrhundertwende andauern sollte. Zwei Hauptgründe lassen sich für diese Tatsache feststellen. Die rückständige wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage, die, wie wir gesehen haben, teilweise noch aus dem Zeitalter des Feudalismus stammte und teilweise dadurch bestimmt wurde, daß sich die kroatischen Länder wegen der ungarischen und österreichischen Wirtschaftsund Machtpolitik nicht schneller entwickeln konnten, ließ hauptsächlich nur ein stetes Anwachsen des Kleinbürgertums zu. In einer Bauernbevölkerung, deren Kaufkraft minimal war, konnten große Teile dieser Krämer, kleinen Kaufleute, Handwerker und unteren Beamten keinen Verdienst finden. Die große Konkurrenz in ihren Reihen mußte sich unbedingt auch in einem nationalistischen Gegensatz ausdrücken. In dieser Hinsicht hatte der niedere katholische und der orthodoxe Klerus auch eine wichtige Rolle. Allerdings hielten sich das reichere kroatische Bürgertum und auch Teile des höheren katho-

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lischen Klerus von diesen Tendenzen zurück, indem es der südslawischen Idee des Bischofs Strossmayer anhing. Der nationale Gegensatz wurde natürlich auch durch die höchsten Stellen der Habsburgermonarchie gefördert. Was die kroatischen Länder anlangt, waren die dualistischen herrschenden Faktoren aufs äußerste bedacht, die Vereinigung Nordkroatiens mit Dalmatien zu verhindern, weil das zum Ende des Dualismus führen müßte. Deshalb war es wichtig, daß wenigstens die serbische Nationalbewegung sich gegen diese Vereinigung wandte, was dann in den achtziger Jahren auch tatsächlich geschah. Die dritte Nation, die sich in den kroatischen Ländern, d. h. in Dalmatien und Istrien, entwickelte, ist die italienische. Die Kultur und die offizielle Sprache des Bürgertums des einstigen venezianischen Dalmatiens waren italienisch, obwohl es, wie gesagt, auch eine Literatur in der Nationalsprache gab. Während sich nun ein Teil dieses Bürgertums für den Anschluß an das Hinterland Dalmatiens, eben Kroatien, entschied und auch durch den Einfluß der italienischen Wiedergeburt zum Träger der Wiedergeburt der Slawen Dalmatiens wurde, blickte ein anderer Teil über das Adriatische Meer, wo sich eben der Prozeß der Vereinigung Italiens abwickelte, während es auf der Autonomie Dalmatiens im Rahmen Österreichs bestand, d. h. sich gegen die Vereinigung der kroatischen Länder wandte. Vorerst hatten die Autonomisten kein ausgesprochenes Nationalbewußtsein, sie fühlten sich eher als Slawen mit italienischer Kultur. Jedoch zur Zeit der Vereinigung Italiens, besonders aber in den darauffolgenden Jahren entstand bei ihnen ein ausgesprochen italienisches Nationalbewußtsein, um so mehr, als sie bei Beendigung der kroatischen und serbischen nationalen Wiedergeburt die Verwaltung fast aller dalmatinischen Gemeinden verloren hatten und allmählich auch auf allen anderen Gebieten zu einer Minderheit zusammenschrumpften. In Istrien hatte sich das italienische Nationalbewußtsein des Bürgertums in den Städten viel früher als jenes in Dalmatien entwickelt und gefestigt, weil ja Istrien an das italienische Gebiet grenzt und sich die italienische nationale Wiedergeburt auch auf das Bürgertum in Westistrien erstreckte. Zum Unterschied von Dalmatien gab es in Istrien auch italienische Bauern. Die gesellschaftliche Struktur drückte hier der italienischen und slowenisch-kroatischen Nationalbewegung einen besonderen Stempel auf. Der Gegensatz zwischen der nationalen Bewegung und Ideologie des italienischen Bürgertums und des kroatischen und slowenischen Klerus sowie etwas später auch der Intelligenz an der Spitze eines zurückgebliebenen kroatischen und slowenischen Bauerntums mußte sich auch als Klassengegensatz zwischen den Bauern und den Wucherern in der Stadt, die sie ausbeuteten, d. h. dem italienischen Bürgertum, niederschlagen. Wichtig war auch der Gegensatz zwischen dem Antiklerikalismus des italienischen liberalen Bürgertums, der besonders betont wurde, weil der katholische Klerus an der Spitze der kroatischen und slowenischen Nationalbewegung stand, und des kroatischen und slowenischen Klerus, der sich für die Erhaltung des päpstlichen Staates ereiferte, allerdings mehr, um sich dem italienischen liberalen Bürgertum entgegenzusetzen, als aus religiösen Gründen. D a die wirtschaftliche Rückständigkeit nur einen sehr langsamen Prozeß der gesellschaftlichen Differenzierung erlaubte, kann man die kroatischen

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nationalen Ideologien nicht immer als Ausdruck einer bestimmten sozialen Schicht bewerten. Dennoch beeinflußte die soziale Struktur den Charakter und die Form der nationalen Bewegung und Ideologie auf das entschiedenste. Im Rahmen dieses Beitrags kann man natürlich nicht auf die verschiedenen Varianten der nationalen Bewegung und Ideologie in allen kroatischen Ländern hinweisen. Da sie jedoch in Nordkroatien entstand und sich entwickelte, um ihren Einfluß allmählich in allen kroatischen Ländern zu verbreiten, muß man vor allem auf ihre gesellschaftliche Grundlage in Nordkroatien aufmerksam machen. Am Anfang der sechziger Jahre wurden die beiden großen kroatischen nationalen Ideologien, aus denen die ganze weitere Entwicklung hervorging, formuliert, nämlich die südslawische Idee des Historikers Franjo Racki und des Bischofs von Djakovo (Slawonien), Josip Juraj Strossmayer, sowie die großkroatische Idee Dr. Ante Starcevic' und Eugen Kvaterniks. An die illyrische Idee anknüpfend, wähnten Racki und Strossmayer, daß die nationale Affirmierung und der Fortschritt der Kroaten nur im allgemeinen slawischen bzw. südslawischen Rahmen möglich seien. Das größte Hindernis dazu sahen sie im Gegensatz zwischen Katholizismus und Orthodoxie und wünschten daher eine Annäherung 3 . Wie alle politischen Gruppen in Kroatien und bei den kleinen Nationen überhaupt setzten sie eine Lösung der nationalen Frage nur durch eine günstige Konstellation der Großmächte voraus. Die endgültige politische Lösung in oder außerhalb der Monarchie überließen sie der Zukunft, obwohl sie eine Zeitlang Kontakte mit der Regierung Serbiens hatten, waren aber überzeugt, daß die inneren Kräfte dazu auf kulturellem Gebiet beitragen müßten. So entstand die Jugoslawische Akademie (1867) mit dem Ziel, Wissenschaft, Literatur und Kunst bei den Südslawen zu fördern und eine Annäherung auf kulturellem Gebiet anzubahnen, die allmählich zur kulturellen Einheit der Südslawen führen sollte. Diese Idee wandte sich natürlich an die Intelligenz, die höheren Schichten des Bürgertums und des Klerus. Es handelte sich ja um die Annäherung der gebildeten Südslawen als Grundlage für die spätere Verbreitung der südslawischen Idee in den Volksmassen. Strossmayers Idee war daher beim Kleinbürgertum und Bauerntum wenig bekannt, unter anderem auch darum, weil bis zur Jahrhundertwende nicht das Bürgertum, sondern das Kleinbürgertum der politischen und nationalen Atmosphäre seinen Stempel aufdrückte, und diesen Schichten diente eben die Idee Ante Starcevic'. Starcevic schuf vor allem ein Geschichtsbild, welches das kroatische Nationalbewußtsein stärken sollte. Als Schüler Rousseaus bog er die staatsrechtliche Tradition des Adels für das Verständnis des kroatischen Kleinbürgertums zurecht. Er lehrte, daß sich die Habsburger, als sie im 16. Jahrhundert Herrscher über Kroatien (und Ungarn) wurden, verpflichtet hätten, die Vereinigung und Selbständigkeit der kroatischen Länder zu gewährleisten und daß daher Kroatien ein selbständiger Staat sei und nicht im Rahmen der Habsburgermonarchie 3

Strossmayer und der Führer der nationalen Wiedergeburt in Istrien, Bischof Josip Dobrila, sprachen sich auf dem Vatikanischen Konzil gegen das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit aus, weil sie voraussahen, daß sich dadurch die genannten Gegensätze vertiefen würden.

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existiere, daß es daher keine gemeinsamen Angelegenheiten, weder mit Österreich noch mit Ungarn, habe außer den gemeinsamen Herrschern, d. h. der Personalunion. Diese Ideologie ließ zwei Interpretationen zu: einen Schritt vorwärts, d. h. Bruch auch dieser Personalunion und Lösung der kroatischen Frage außerhalb der Monarchie, oder einen Schritt rückwärts, d. h. Anerkennung der gemeinsamen Angelegenheiten mit den anderen Teilen der Monarchie als Voraussetzung der Lösung der kroatischen Frage im Rahmen der Monarchie, jedoch mit eigener Staatlichkeit. Die Anhänger der Rechtsparteien, die sich aus Starcevic' Ideologie weiter entwickelten, wurden immer wieder vor diese beiden Alternativen gestellt. Die entschiedene antiösterreichische Einstellung Starcevic', die aus der Erfahrung mit dem Bachschen Absolutismus entstanden war, wurde jedoch allmählich gemildert, weil die Nationalbewegung in Nordkroatien sich vor allem gegen den ungarischen Druck wenden mußte. Vorher aber hatte der zweite Ideologe der Rechtspartei, Eugen Kvaternik, allerdings ohne Starcevic' Wissen, versucht, einen Aufstand gegen die Habsburgermonarchie zu entfachen mit dem Ziel eines selbständigen kroatischen Staates, wobei er auch ums Leben kam. Starcevic wollte die kroatische Nation nicht nur dadurch stärken, daß er ihr ihre ruhmvolle Vergangenheit vor Augen führte, sondern auch durch die Behauptung, daß alle Südslawen Kroaten seien. Wie Strossmayer und Racki wollte auch er die Südslawen zusammenfassen, während jedoch die Vertreter der südslawischen Idee nicht das Erlöschen der nationalen Individualitäten der Serben, Kroaten und Slowenen vor Augen hatten, war Starcevic' Idee kroatisch-unitaristisch. Für ihn waren z. B. die Slowenen »Bergkroaten« und die Serben aller Länder, d. h. auch Serbiens, Kroaten. Die kleinbürgerliche Mentalität wird in vielen Elementen der Starcevic-Idee sichtbar; unter anderem ist es eines der Merkmale des Kleinbürgertums als soziale Schicht, daß sie immer in Fluktuation begriffen ist, so daß dessen Klassensolidarität hinter der nationalen Solidarität zurücksteht. Deshalb wollte sich Starcevic' Rechtspartei, obwohl bürgerlich-demokratisch gesinnt, erst nach der Vereinigung und Befreiung Kroatiens mit den brennenden sozialen Problemen befassen. Allerdings ließen das Gefühl der eigenen wirtschaftlichen Schwäche bei dem Kleinbürgertum und der Druck des fremden Staates nicht die leiseste Hoffnung auf einen Fortschritt in der Lösung der sozialen Fragen zu. Nach der Vereinigung der Militärgrenze mit Zivilkroatien im Jahre 1881 mußten auch die serbische Nationalbewegung und Politik an Bedeutung gewinnen. Die Tatsache, daß das neue Königreich Serbien nach dem Berliner Kongreß in die Machtzone Österreich-Ungarns geraten war, ließ das schwache serbische Bürgertum hoffen, daß ihm die Machthaber freundlich gesinnt sein würden. Das Klasseninteresse des serbischen Bürgertums ließ daher keine gemeinsame nationale Bewegung und Politik mit dem oppositionellen kroatischen Bürgertum zu. Die serbische Politik widersetzte sich auch dem kroatischen Programm der Vereinigung Dalmatiens und Kroatiens. Diese Taktik brachte dem serbischen Bürgertum in Nordkroatien relativ bessere Entwicklungsmöglichkeiten als dem kroatischen, da seine wirtschaftlichen Versuche im allgemeinen nicht dem politischen Druck der ungarischen Mach.haber ausgesetzt waren. Allerdings konnte das serbische Bürgertum ebensowenig wie das kroatische 83

jene Grenze überschreiten, die der wirtschaftlichen Entwicklung Kroatiens von der ungarischen Regierung gesetzt war. Diese Tatsache mußte dann um die Jahrhundertwende wieder zur Annäherung des kroatischen und serbischen Bürgertums führen. Das serbische D o r f verblieb in denselben schwierigen Verhältnissen wie das kroatische. In Dalmatien jedoch war die österreichische Regierung freundlicher dem kroatischen Bürgertum gesinnt, ohne jedoch dessen wirtschaftliche und sprachliche Forderungen zu erfüllen.

5 Erst in den neunziger Jahren begann sich allmählich eine neue differenzierte Sozialstruktur zu entwickeln, die neue politische Parteien und nationale Ideologien hervorbrachte. Während des allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs in der Habsburgermonarchie Ende der sechziger und am Anfang der siebziger Jahre wurden einige Kreditinstitute auch in Kroatien gegründet. Der Börsenkrach im Jahre 1873, besonders aber die Lage des einheimischen Bürgertums nach dem Ausgleich und das dualistische Regime verhinderten jedoch die Akkumulation des einheimischen Kapitals. Nach einer zwanzigjährigen Stagnation kam es endlich zum Wachstum der Kreditinstitute und zu einer Kapitalakkumulation, auf Grund derer allmählich ein Bürgertum entstehen konnte. Die ungarische Hegemonie hatte wie gesagt die Entwicklung der reicheren Schichten des Bürgertums aufs äußerste gehemmt, konnte sie jedoch im Zeitalter der Krise des Dualismus nicht mehr verhindern. Obwohl die Kreditinstitute, Konten, Hypotheken und Profite im stetigen Wachsen begriffen waren, stand die wirtschaftliche Kraft des Bürgertums nicht auf festem Grund. Eine Konzentration des Kapitals mittels großer Banken war kaum möglich und Investitionen in die Industrie bedeuteten ein großes Risiko, solange die ungarische Regierung jedes Industrieunternehmen mit politischen Mitteln stören oder, gar verhindern konnte, die Kaufkraft der Bevölkerung gering war und die Unternehmer auf keinen Staatsschutz gegen die Produkte der fremden Industrie hoffen konnten. Der Fortschritt in der Akkumulation des einheimischen Kapitals, des kroatischen wie des serbischen, war zum großen Teil von der Hilfe des tschechischen Kapitals abhängig. Das tschechische Kapital drang über Slowenien und Kroatien nach Bosnien und der Herzegowina und nach Serbien und wehrte sich gegen seine österreichischen und ungarischen Konkurrenten, unter anderem auch durch Förderung des südslawischen Kapitals. Die Politik und die nationale Ideologie, die den Impuls vom Bürgertum erhielten, mußten sich natürlich von der bisherigen hauptsächlich kleinbürgerlichen Atmosphäre und Psychologie unterscheiden. Die bescheidene wirtschaftliche Entwicklung hatte bei dieser Schicht das Gefühl einer relativen Stärke verursacht, die Hoffnung, daß sie auch mit eigener Kraft Erfolg im politischen und Nationalkampf würde erreichen können, besonders mit Ausnützung der Krise des Dualismus, die um die Jahrhundertwende schon für jeden sichtbar geworden war. Die Unzufriedenheit des Kleinbürgertums mit der Tatsache, daß Kroatien weit hinter den wirtschaftlich fortschrittlichen

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Ländern der Monarchie nachhinkte, wurde beim Bürgertum noch verstärkt und war auch eine der Grundlagen für das allmähliche Anwachsen einer Ideologie, die die Lösung der nationalen Frage außerhalb der Monarchie anstrebte. Das neue Bürgertum brachte neue Elemente in die bisherige nationale Bewegung: die Preisgabe der ausschließlich staatsrechtlichen Politik mit Nachdruck auf der Lösung der brennenden sozialen Fragen, den Versuch, mit eigenen Kräften zu handeln, dabei aber Verbündete zu suchen, vor allem in einem innigen Zusammengehen der Politik und der Nationalbewegung Dalmatiens und Nordkroatiens, der Kroaten und der Serben und der Südslawen überhaupt, deren Existenz gefährdet sei, besonders durch den Drang nach Osten des erstarkten Deutschen Reiches, von dem die Monarchie abhängig war. Wie schon betont, hatte sich die nationale Politik des Kleinbürgertums wegen seiner wirtschaftlichen Schwäche hauptsächlich auf Deklarationen und Forderungen gegründet, die die Vereinigung der kroatischen Länder und Lösung aller Aspekte der nationalen Frage auf Grund des kroatischen Staatsrechtes verlangten. Eine Wirtschafts- und Sozialpolitik im Sinne der breiten Schichten, als ihre Vorbereitung für eine erfolgreiche Nationalbewegung, konnte sich das Kleinbürgertum nicht leisten. Die jugendliche Intelligenz der neunziger Jahre jedoch, die unter dem Einfluß der tschechischen Verhältnisse und Masaryks stand, wandte sich an die Öffentlichkeit mit einem Programm, in welchem sie die Grundlage der Nationalbewegung nicht in staatsrechtlichen Forderungen, sondern in der Hebung der Volkskraft durch Lösung der sozialen Fragen sah. Die Politik im Sinne des Bürgertums trat mit einem offiziellen demokratischen Programm hervor, wie es in der bisherigen kleinbürgerlichen Atmosphäre nicht zu finden war. Allerdings konnte sich keine Politik in Kroatien von nationalen Forderungen auf Grund des kroatischen Staatsrechts völlig distanzieren, wenn sie im Rahmen einer auf dem Legitimitätsprinzip beruhenden Monarchie existieren wollte. Es hing daher von der politischen Lage ab, welchen Platz das staatsrechtliche Element in den nationalen Forderungen haben würde. Die bescheidene Konzentration des einheimischen Kapitals erfaßte teilweise Nordkroatien, Dalmatien und auch Istrien, wo sich in der Zwischenzeit ein kroatisches Bürgertum entwickelt hatte, und bildete eine der Grundlagen für eine gemeinsame Nationalbewegung und Politik in den kroatischen Ländern. Die antiösterreichische Gesinnung in Dalmatien und die antiungarische in Kroatien war im Wachsen begriffen, mit Ausnahme der Jahre 1905/06, als man umsonst gehofft hatte, daß die ungarische Unabhängige Partei die Südslawen als Verbündete in ihrem Kampf gegen Österreich und die Dynastie betrachten und ihren nationalen Forderungen entgegenkommen würde. Eine größere Investition zur Hebung der wirtschaftlichen Kraft Dalmatiens war unmöglich. Die »politischen« Investitionen der österreichischen Regierung, die den innigen Anschluß Dalmatiens an Nordkroatien verhindern und es wieder zu Österreich »zurückführen« sollten, trugen zur wirtschaftlichen Hebung Dalmatiens nicht bei. Allerdings war das Bürgertum in Nordkroatien und in Dalmatien viel zu schwach für eine systematische oppositionelle Politik und mußte sich in seinem Klasseninteresse des öfteren zu einer regierungsfreundlichen Politik bequemen. 85

Auf Grund ihrer Erfahrungen in Wirtschaft und Politik war es den kroatischen und serbischen bürgerlichen Kreisen um die Jahrhundertwende klar geworden, wie sehr ihr bisheriger Gegensatz sie geschwächt und es den Machthabern ermöglicht hatte, gegen ihre Interessen zu regieren. Außerdem verlor Österreich-Ungarn schon in den neunziger Jahren seine Hegemonie über das Königreich Serbien, so daß das serbische Bürgertum in der Monarchie nicht mehr auf eine serbenfreundliche Politik der dualistischen Faktoren rechnen konnte und sich allmählich in der gemeinsamen Opposition mit dem kroatischen Bürgertum finden mußte. Allerdings führte die beengte wirtschaftliche Basis immer wieder zur gegenseitigen Konkurrenz im Kleinbürgertum; trotzdem war das Bedürfnis des Bürgertums nach einer Zusammenarbeit entscheidend für das Anwachsen der südslawischen Idee, das ja auch zum großen Teil dem anschwellenden Druck in den Vorkriegsjahren in allen südslawischen Ländern der Monarchie zu verdanken war. In der serbischen Gesellschaft konnte es zu keiner größeren Differenzierung in Politik und Nationalideologie zwischen dem Bürgertum und Kleinbürgertum kommen, wie es in der kroatischen der Fall war. Das serbische Bürgertum übte durch seine wirtschaftlichen Organisationen und auch kulturell einen großen Einfluß auf das Kleinbürgertum und Bauerntum aus. Die verschiedenen nationalen Standpunkte in den Reihen der serbischen Gesellschaft gründeten sich eher auf geographischer Basis. Das serbische Bürgertum in den östlichen Teilen Kroatiens fühlte sich nämlich an das Serbentum in der Vojvodina gebunden und konnte sich nur vorübergehend oder überhaupt nicht zu einer kroatenfreundlichen Politik und Zusammenarbeit entschließen. Im Gegensatz dazu billigte das serbische Bürgertum im engeren Kroatien und Dalmatien eine politische Verbindung mit den Kroaten. Es muß allerdings betont werden, daß es zwar zur Zusammenarbeit des kroatischen und serbischen Kapitals in mehreren wirtschaftlichen Unternehmen kam, aber im allgemeinen entwickelten sich die kroatischen und serbischen Unternehmen und Kapitalanlagen nicht gemeinsam, sondern getrennt, wobei das jüdische Kapital auf Seiten des kroatischen stand. Eine typische politische Gruppe des Bürgertums war die kroatisch-serbische Koalition (seit 1905), die auch einen Teil des katholischen und orthodoxen Klerus umfaßte. Als Vertreter des Bürgertums bemühte sie sich ständig, an die Macht zu gelangen, um auf die kroatische Autonomie Einfluß nehmen zu können und sie im Interesse des Bürgertums zu vergrößern, d. h. den Ausgleich zu revidieren, vor allem im Sinne der Erlangung der finanziellen Selbständigkeit Kroatiens von Ungarn. Der Gegensatz zwischen dem ungarischen und dem kroatisch-serbischen Kapital sowie die Tätigkeit der höchsten Stellen der Monarchie, die in der kroatisch-serbischen Zusammenarbeit eine Gefährdung der Monarchie sahen, veranlaßte die Koalition jedoch, in verschiedenen politischen Situationen in der Opposition zu bleiben. Jedenfalls gab es für die Machthaber nur zwei Regierungsmöglichkeiten in Kroatien: entweder ein verfassungsmäßiges Regime mit der Koalition oder Absolutismus. Obwohl die Intelligenz, die die Interessen des reicheren Bürgertums vertrat, entscheidenden Einfluß auf Politik und nationale Ideologie ausübte, drückte die kleinbürgerliche Gesellschaft den politischen Verhältnissen noch immer ihren Stempel auf. Zum Verständnis der sozialen Struktur kann vielleicht die

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Tatsache beitragen, daß in Nordkroatien noch im Jahre 1900 die Zahl der kleinen Handwerker ohne Hilfskraft größer war als die der handwerklichen Arbeiter, deren Zahl wieder größer war als die der industriellen Arbeiter. Erst 1910 war die Zahl der handwerklichen Arbeiter etwas größer als die Zahl der kleinen Handwerker ohne Hilfskraft, deren Zahl wiederum größer war als die der industriellen Arbeiter. Eine Schicht richtiger Industriearbeiter gab es überhaupt nicht. Die Landwirtschafts- und Holzindustrie beschäftigte hauptsächlich ungelernte Arbeiter, d. h. das bäuerliche Halbproletariat, das im allgemeinen noch kein Klassengefühl hatte und von der Sozialdemokratischen Partei fast leichter zu Hause auf dem D o r f organisiert werden konnte. Die gesellschaftliche Basis der Arbeiterbewegung waren daher die handwerklichen Arbeiter und die kleinen Handwerker, die oft zwischen der Sozialdemokratie und den kleinbürgerlichen Parteien schwankten. V o n den kleinbürgerlichen nationalen Ideologien soll hauptsächlich auf die der Frankpartei und der Bauernpartei hingewiesen werden. Wie gesagt war Starcevic' Rechtspartei in den achtziger Jahren der Ausdruck der Unzufriedenheit des anwachsenden kroatischen Kleinbürgertums. Von den zwei Konsequenzen der Starcevic-Idee, nämlich der Lösung der kroatischen Frage außerhalb oder innerhalb der Monarchie, war der Wunsch nach einem kroatischen Staate auf den Ruinen der Monarchie vorherrschend, der mit Hilfe Rußlands zustande kommen sollte, wie es der Fall mit Serbien und Montenegro war. Als sich aber Rußland vom Balkan zurückziehen mußte und die Krise des Dualismus ihren Anfang nahm, trat an die Stelle der Hoffnung auf einen Zerfall der Monarchie die Erwartung ihrer Reorganisation, in deren Rahmen auch die Lösung der kroatischen Frage nicht mehr unglaubwürdig erschien. Das Ziel würde ein dritter kroatischer Staat innerhalb der Monarchie sein auf Grund der bürgerlichen Interpretation des kroatischen Staatsrechtes, die außer den kroatischen Ländern auch einen Teil der slowenischen Länder und Bosnien und die Herzegowina umfaßte. Der Trialismus wurde zum Programm fast aller kroatischen Parteien, um so mehr, als dieser Wunsch von den antidualistischen hohen Stellen in Österreich in ihrer Propaganda ausgenützt wurde, vor allem vom Kreise um den Thronfolger Franz Ferdinand, der in den Kroaten Verbündete gegen die Ungarn und die Serben finden wollte. Allerdings konnten sich diese Kreise nicht wirklich für den Trialismus einsetzen, weil ein südslawisches Gebiet mit eigener Staatlichkeit im Gegensatz zu Groß-Österreich, d. h. zu einer fest zusammengefügten Monarchie als Großmacht, stand und sich die kroatischen Politiker nicht nur mit einem Verwaltungsgebiet auf Grund lokaler Autonomie, wie es der Fall in den österreichischen Ländern war, begnügen wollten. Die gesellschaftliche Differenzierung in den neunziger Jahren, die zum Anwachsen des Kleinbürgertums und der Entstehung eines Bürgertums führte, mußte neben den veränderten politischen Verhältnissen entscheidend zur Änderung des Inhalts der nationalen Ideologie der Rechtspartei beitragen. In der Mitte der neunziger Jahre kam es zur ersten Spaltung in der Rechtspartei. Ein Teil näherte sich der Strossmayerpartei, mit der er 1903 unter dem Namen Kroatische Rechtspartei fusionierte. Sie war die Vertreterin des kroatischen Bürgertums und eines Teiles des höheren Klerus und trat als solche der

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kroatisch-serbischen Koalition bei. Der andere Teil der Rechtspartei wurde von dem Advokaten jüdischer Abstammung Dr. Joseph Frank geführt, der sich als typischer kleinbürgerlicher Ideologe hervortat. Das Gefühl der Schwäche des Kleinbürgertums nämlich, das überzeugt war, daß es mit eigener Kraft nichts zu erreichen vermochte, diktierte den Wunsch nach einem starken Verbündeten, der es systematisch unterstützen würde. Diesen Verbündeten sah Frank in der Dynastie und bei den hohen Militärs, in deren Interesse es, nach Franks Interpretation, sein mußte, das kroatische Volk zufriedenzustellen, da es das Gebiet bewohnte, über welches der Weg der Monarchie auf den Balkan und gegen Osten führte. Daher sollten die Kroaten bedingungslos alle Wünsche der Dynastie erfüllen (z. B. gegen die Ungarn kämpfen oder, wenn nötig, sich mit den ungarischen Machthabern gut stellen, sowie die antiserbische Politik der Monarchie durch systematische Serbenhetze unterstützen) und darauf warten, daß ihnen die Dynastie aus Dank einen kroatischen Staat im Rahmen der Monarchie schenke. Natürlich war das eine Ideologie, die nicht vom Bürgertum vertreten werden konnte. Im Einklang mit dem Fortschritt der sozialen Differenzierung kam es zu weiteren Spaltungen der Rechtspartei. Auch die Vertreter des reicheren Bürgertums in den Rechtsparteien wollten eine Lösung der kroatischen Frage im Rahmen der Habsburgermonarchie, aber keine bedingungslose Unterstützung der Dynastie, sondern wenigstens minimale Garantien für die Vereinigung der kroatischen Länder. Daher konnte der Versuch der großösterreichischen Kreise, die Rechtsparteien in allen kroatischen Ländern und in Bosnien und der Herzegowina zu einer Stütze des künftigen Kaisers zusammenzuschließen, keinen Erfolg zeitigen. Die großösterreichischen Kreise konnten kein Vertrauen in die Rechtsparteien haben, da sie einen kroatischen Staat, wenn auch im Rahmen der Monarchie, wünschten, der sich jedoch unter gewissen Bedingungen von der Monarchie lösen könnte. Darum wollten sie die Rechtsparteien unter Führung des slowenischen Klerikalismus organisieren, was auch nicht gelingen konnte, obwohl es zu einer Stärkung des Klerikalismus in den kroatischen Ländern führen mußte. In der schweren Vorkriegszeit, die von den Machthabern nur noch durch Absolutismus gemeistert werden konnte, entstand in Teilen der Rechtsparteien der Wunsch nach der »Rückkehr« zu den Ideen Starcevic', was praktisch bedeutete, daß man sich nicht auf die Lösung der kroatischen Frage in der Monarchie festlegen wollte, sondern auch eine staatliche Gemeinschaft mit den anderen Südslawen ins Auge faßte, in der sich jedoch die kroatische Staatlichkeit voll würde entfalten können. Um die Jahrhundertwende betrat auch die Bauernpartei der Brüder Antun und Stjepan Radic die politische Bühne, erlangte allerdings erst in Jugoslawien ihre volle Geltung. Die kroatischen Bauern hatten in den antiungarischen Unruhen in Nordkroatien im Jahre 1903 gezeigt, daß sich das kroatische Nationalgefühl bei ihnen gefestigt hatte, obwohl die staatsrechtliche Politik des kroatischen Bürgertums dazu wenig beigetragen hatte. Zum größten Teil war dies auch der Fall in Dalmatien, obwohl es noch immer Kolonen im gebirgigen Hinterland gab, die von der Nationalbewegung nicht erfaßt werden konnten. Dies war der Fall auch bei einem Teil der kroatischen Bauern in Istrien, besonders aber im rückständigen Bosnien und der Herzegowina. Es ist inter-

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essant zu vermerken, daß die erste politische Gruppe, die an eine systematische Organisation der Bauern dachte, die Sozialdemokraten waren. Wie die schon erwähnte gesellschaftliche Struktur der Arbeiterschaft beweist, waren sie dazu viel zu schwach. Von der Tatsache ausgehend, daß die Mehrzahl der kroatischen Bevölkerung dem Bauerntum angehörte, wollten die Brüder Radic die kroatische Gesellschaft auf der Grundlage des Fortschritts des Bauern-Kleinbesitzers organisieren und die, wie sie meinten, von der gesunden Bauernkultur abgefallene Intelligenz wieder zu dieser, allerdings modernisierten Kultur zurückführen. Die Lösung der kroatischen Frage dachte sich auch die Bauernpartei im Rahmen der Habsburgermonarchie, allerdings nicht als Geschenk der Dynastie. Stjepan Radic war überzeugt, daß die Slawen Österreichs die Oberhand über die Deutschen gewinnen würden und eine slawische Monarchie mit föderalistischer Organisation zustande bringen könnten, in welchem auch die kroatische Frage zu lösen wäre. Wie wir gesehen haben, waren die großkroatische und die südslawische Ideologie feste Bestandteile der kroatischen Nationalbewegung, die zueinander in Gegensatz standen, aber auch eine von der anderen beeinflußt wurden, weil sie zusammen immer wieder vor der Alternative der Lösung der kroatischen und südslawischen Frage innerhalb oder außerhalb der Monarchie standen. Die südslawische Idee Rackis und Strossmayers, die sich an die höheren Gesellschaftsschichten gewandt hatte, wurde von der Fortschrittlichen Jugend demokratisiert und vorerst als Propaganda für die kroatisch-serbische Zusammenarbeit gegen die fremde Hegemonie in den breiten Schichten popularisiert. Obwohl sich die Kroaten, Serben und Slowenen objektiv als drei Kulturnationen konstituiert hatten, war diese nationale Struktur in den nationalen Ideologien noch immer unklar. Die südslawische Idee hatte daher mehrere Varianten: Zusammenarbeit der Serben und Kroaten gegen die fremde Übermacht mit Erhaltung der beiden nationalen Individualitäten; eine stufenweise Lösung des südslawischen Problems, d. h. zuerst im Habsburgerreich, die sich dem Trialismus der Rechtsparteien näherte. Allerdings bestand der Unterschied darin, daß die südslawische Idee das Bestehen der serbischen Nation in den kroatischen Ländern und in Bosnien und der Herzegowina anerkannte, während die Rechtsparteien im allgemeinen die ganze Bevölkerung als kroatische politische Nation betrachteten. Der zweite Unterschied lag darin, daß der Trialismus oder Föderalismus für die Vorkämpfer der südslawischen Idee nur als erster Schritt zu einer südslawischen staatlichen Gemeinschaft gedeutet wurde und nicht als Endlösung. Es war dies eine Vorstellung, die beim Bürgertum Anklang finden konnte, da es durch die Vorkriegsverhältnisse nach der Annexion Bosniens und der Herzegowina die Hoffnung auf Befriedigung seiner Interessen in der Monarchie verloren hatte, jedoch vor einer revolutionären Entstehung eines südslawischen Staates zurückschrak. In den letzten zehn Jahren vor dem Weltkrieg breitete sich die Uberzeugung aus, daß sich die Südslawen zu einer Kulturnation entwickeln müßten, die ihre volle Entfaltung nur im eigenen Staate finden könne. Diese Idee wurde besonders von der intellektuellen Jugend der Vorkriegszeit vertreten. Eine solche Ideologie war eigentlich eine Integration der Tradition der südslawischen Idee und der Idee Starcevic', der ja alle Südslawen unter kroatischem Namen zusammen-

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fassen wollte. Der jahrhundertalte Wunsch nach einem eigenen kroatischen Staat wandelte sich durch die Vorkriegsverhältnisse in die Sehnsucht nach einem südslawischen Staat um, den sich die Jugendlichen mehr als eine föderalistische Republik denn als eine einheitliche Monarchie unter der serbischen Dynastie vorstellten. Für einen solchen Staat schoß der Jungkroate (jugendlicher Anhänger der Rechtspartei) Luka Jukic auf den kgl. Komissär für Kroatien, Cuvaj, im Jahre 1912, und auch die drei anderen kroatischen Attentäter wurden von ähnlichen Gefühlen geleitet. Die südslawische unitaristische Idee lief zwar den objektiven Verhältnissen entgegen, aus denen ja mehrere südslawische Nationen sich entwickelt hatten. Ihre Grundlage bestand aber in der Psychologie des Bürgertums, welches nach Westeuropa blickte, an seiner eigenen staatsrechtlichen Tradition hing und aus den Erfahrungen in Österreich-Ungarn schöpfte. Es konnte sich daher keine andere Lösung vorstellen als diejenige, in welcher jede Kulturnation auch zu einer politischen wird, d. h. ihren eigenen nationalen Staat erlangt. Diese einheitliche Kulturnation war für das kroatische Bürgertum entweder die kroatische oder die neue südslawische. Allerdings kam die Tatsache der Entwicklung mehrerer südslawischer Nationen in den Formulierungen der südslawischen Idee doch immer wieder zum Ausdruck. Die Überzeugung vieler bedeutender kroatischer Politiker ging dahin, daß eine Annäherung und ein gemeinsamer Staat der Südslawen die Voraussetzung für ihre Existenz seien und daß man eventuell miteiner Integration in weiter Zukunft rechnen könne, nachdem sich alle nationalen Individualitäten kulturell vollkommen entfaltet haben würden und sich dann als gleichberechtigte Teile in eine südslawische Nation integrieren könnten. Es muß noch hervorgehoben werden, daß die südslawischen Sozialdemokraten der Habsburgermonarchie sich auch für eine einheitliche südslawische Kulturnation ereiferten, obwohl sie das Problem der politischen Lösung (in oder außerhalb der Monarchie) der Zukunft überlassen wollten.

Vielleicht kann dieser kurze Überblick zur Einsicht in den großen Einfluß der sozialen Struktur auf die Nationalbewegung der Kroaten und Serben in den kroatischen Ländern verhelfen. Dies ist um so mehr notwendig, als sich die bisherige Literatur besonders vieler nichtjugoslawischer Autoren weitgehend über die soziale Problematik hinwegsetzte und der Lage der Südslawen in der Habsburgermonarchie und ihren nationalen Ideologien aus einseitiger politischer Sicht nicht gerecht werden konnte. Allerdings konnte in diesem Aufsatz die kulturelle Komponente der nationalen Bewegung nicht umrissen werden, ohne die ein vollständiges Verständnis nicht möglich ist. Der Schwerpunkt dieses Beitrags liegt in dem Versuch zu zeigen, wie die vorkapitalistische und kapitalistische soziale Struktur, deren Charakter mehr von äußeren als von inneren Kräften bestimmt wurde, eine kroatische Nationalbewegung beeinflußte, deren höchstes Ziel logischerweise ein kroatischer oder südslawischer selbständiger Staat außerhalb der Monarchie sein mußte.

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Literatur Die Etfotschung der Geschichte der kroatischen Länder im 19. Jahrhundert hat sich bis jetzt hauptsächlich mit politischer Geschichte befaßt, jedoch finden sich fast überall mehr oder minder wichtige Daten und Hinweise auch auf die gesellschaftlichen Probleme ; deshalb müßte man fast die ganze Produktion der letzten zwanzig Jahre zitieren und auch einige frühere Arbeiten. Darum können die bisher erschienenen Bibliographien als Information dienen: Ten Years of yougoslav historiography 1945-1955. Beograd 1955 ; Historiographie yougoslave 1955-1965. Beograd 1965. Der Literaturbericbt von K. D. G R O T H U S E N (Literaturbericht über die Geschichte Jugoslawiens. Veröffentlichungen 1945-1966. In: Historische Zeitschrift. Sonderheft 3 (1969)) informiert nicht über die neue jugoslawische Erforschung der Geschichte der kroatischen Länder im 19. Jahrhundert, da sie dem Autor leider unbekannt geblieben ist, weist aber auf einige Arbeiten hin, die außerhalb Jugoslawiens zu diesem Thema erschienen sind. Hier möchte ich nur eine kleine Auswahl aus der Literatur geben, auf die sich mein Beitrag hauptsächlich stützt, im besonderen aus der Literatur in deutscher Sprache. Zum Verständnis der Konstituierung der südslawischen Nationen gibt es einen wichtigen Beitrag von B. G R A F E N A U E R : Die ethnische Gliederung und geschichtliche Rolle der westlichen Südslawen im Mittelalter. Ljubljana 1966; die wichtigsten Daten für das 16.-18. Jahrhundert enthält Historija naroda Jugoslavije [Geschichte der Völker Jugoslawiens]. II. Zagreb 1959, dort auch eine ausführliche Bibliographie. Für Arbeiten, die nach 1959 erschienen sind, siehe Historiographie yougoslave... Aufschlußreich für unsere Problematik ist das Buch: F . Z W I T T E R , J. S I D A K , V. B O G D A N O V : Les problèmes nationaux dans la monarchie des Habsbourg. Beograd 1960. Das neueste Werk über den Illyrismus hat die russische Historikerin 1.1. L E S C I L O V S K A J A verfaßt: Illyrizm. K istorii horvatskogo nacionaljnogo Vozrozdenija [Der Illyrismus. Zur Geschichte der kroatischen nationalen Wiedergeburt], M o s k v a l 9 6 8 ; sie hat der sozialen Grundlage des Illyrismus besondere Aufmerksamkeit gewidmet. In diesem Buch wird die gesamte große Literatur über den Illyrismus zitiert. Der erste Versuch einer Synthese der politischen Geschichte der Kroaten in allen Ländern, in denen sie leben ( J . S I D A K , M. G R O S S , I. K A R A M A N , D. S E P I C : Povijest hrvatskog naroda g. 1860-1914 [Geschichte des kroatischen Volkes 1860-1914]. Zagreb 1968) bemüht sich, auch die gesellschaftliche Problematik zu untersuchen. Im Anhang ist ein ausführlicher Literaturbericht, in dem die ältere und neuere Literatur zitiert und kritisch beleuchtet wird. Es folgt eine Auswahl von Aufsätzen in deutscher bzw. italienischer Sprache: Classi sociali e partiti politici in Croazia nella seconda meta del secolo X I X . In: Annali délia Facoltà di Lettere e Filosofia di Trieste. III (1966-67). S. 115-128. M . G R O S S : Uber die nationale Frage in Kroatien während der Krise des Dualismus. In: Die nationale Frage in der österreichisch-ungarischen Monarchie. 1900-1918. Budapest 1966. S. 217-231. M . G R O S S : Erzherzog Franz Ferdinand und die kroatische Frage. In: Österreichische Osthefte. 1966. S. 277-299. M . G R O S S : Die nationale Idee der kroatischen Rechtspartei und ihr Zusammenbruch (1861-1895). In: Österreichische Osthefte. 1964. S. 374-388. M. GROSS: Die »Welle«. Die Ideen der nationalistischen Jugend in Kroatien vor dem I. Weltkrieg. In: Österreichische Osthefte. 1968. S. 63-86. I . K A R A M A N : Das kroatische Handelsbürgertum. Seine sozialwirtschaftliche Rolle zur Zeit der nationalen Wiedergeburt. In: Österreichische Osthefte. 1969. S. 85-94. L. K A T U S : Über die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen der Nationalitätenfrage in Ungarn vor dem Ersten Weltkrieg. In : Die nationale Frage in der österreichischungarischen Monarchie... S. 149-216. M . GROSS:

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J. SIDAK: Die jugoslawische Idee in der kroatischen Politik bis zum Ersten Weltkrieg. In: Donauraum - gestern, heute, morgen. Vorträge und Diskussionsbeiträge des V. Internationalen Seminars. Europahaus Wien. Wien Frankfurt Zürich 1967. S. 93-111. J. SIDAK: Die kroatische Politik in den sechziger Jahren des XIX. Jahrhunderts bis zum kroatisch-ungarischen Ausgleich. In: österreichische Osthefte. 1967. S. 349-383. Da es in diesem Rahmen nicht möglich war, auch die Problematik in Bosnien und der Herzegowina ausführlicher zu behandeln, möchte ich noch zuletzt hinweisen auf die Arbeit M. GROSS: Hrvatska politika u Bosni i Hercegovini 1878-1914 [Die kroatische Politik in Bosnien und der Herzegowina 1878-1914]. In: Historijski Zbornik. XIX-XX. (1966-67). S. 9 - 6 8 .

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Diskussion

Theodor Schieder Mir scheinen einige terminologische Fragen wichtig: was bedeutet »Nation« bei den jugoslawischen Völkern? Ist Nation bestimmt vom Willen zu eigener Staatlichkeit, also zur »Staatsnation«, oder geht es nur um das Bedürfnis, eine Art Autonomie zu gewinnen? Wir haben im 19. Jahrhundert auch in der deutschen Geschichte verschiedene Anwendungen des Begriffes Nation, die soweit gehen, daß die Angehörigen eines deutschen Mittel- oder Kleinstaates als Nation bezeichnet werden; so wird von »lippischer« Nation gesprochen. In Bayern ist die Schwelle vom Land zum »Nationalstaat« im 19. Jahrhundert oft undeutlich gewesen. Auch hier ergibt sich das Problem, ob die deutsche Nation insgesamt nur als eine »Kulturnation« aufgefaßt wurde, die aus kleineren Staatsnationen bestand, oder ob das deutsche Nationalbewußtsein von Anfang an den deutschen Nationalstaat anstrebte, der die »Teil-Nationen« aufsaugte. Auf Jugoslawien angewandt würde dies heißen: ist Montenegro als Republik eine politische Teilnation innerhalb der jugoslawischen »Kulturnation« oder wird es auch als eine kulturelle, literarische Einheit verstanden, also als montenegrinische Kulturnation? Mirjana

Gross

Auch Verfechter der Idee, daß die Jugoslawen eine Kulturnation seien oder sich dazu entwickeln sollten, beriefen sich als Analogie auf die Tatsache, daß die Bewohner der deutschen bzw. italienischen Staaten sich nach der Einigung Deutschlands bzw. Italiens zu einer Kulturnation konstituiert haben. Im jugoslawischen Staat ist jedoch gerade das Gegenteil geschehen. Trotz des Druckes im jugoslawischen Staat der Vorkriegszeit haben sich die verschiedenen nationalen Individualitäten nur verstärkt, und so entstand im Befreiungskampf auch einer der Grundsätze des neuen jugoslawischen Staates, nämlich die Idee von der freien, unbehinderten kulturellen Weiterentwicklung der nationalen Eigenarten, obwohl dies aus verschiedenen Gründen in der Praxis nicht immer der Fall war. Es stimmt, daß das heutige Nationalgefühl und auch Elemente des exklusiven Nationalismus unter anderem auch aus dem Bedürfnis hervorgehen, eine Autonomie zu haben, d. h. über materielle Einkünfte voll zu entscheiden und eine Selbstverwaltung zu besitzen. Die Kompetenzen der jugoslawischen Föderation werden immer kleiner und konzentrieren sich in den Republiken und 93

Gemeinden in einem langwierigen Prozeß, dessen Ziel es ist, die besten Formen der Selbstverwaltung zu finden und zu festigen. Dabei spielen wirtschaftliche Probleme eine große Rolle. Dennoch kann man das komplexe Problem der jugoslawischen Nationen nicht nur aus dieser Sicht verstehen. Die kulturelle Seite ist ebenso wichtig. Obwohl die jugoslawischen Nationen eine lange kulturelle Tradition in Literatur, Kunst und Wissenschaft haben, war die kulturelle Entwicklung während der Türkenzeit und auch durch die Hemmnisse im 19. Jahrhundert beengt. Erst heute besteht in Jugoslawien eine gesellschaftliche Struktur, die trotz großer materieller und auch anderer Schwierigkeiten eine große Zahl Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler sowie ein Netz von Institutionen hervorbringen kann: wissenschaftliche Institute, Archive, Museen, Galerien, Denkmalschutz, Theater, künstlerische und wissenschaftliche Fachgesellschaften usw. Alle diese Elemente können sich nur im Rahmen der eigenen Nation entwickeln und stärken dadurch die Nationalkultur und das nationale Selbstgefühl, nicht nur bei den »alten«, sondern besonders bei den »neuen« jugoslawischen Nationen, den Mazedoniern und Montenegrinern. Wenn es noch immer Nationalismus bei den europäischen Nationen gibt, die schon genügend Zeit hatten, sich »auszuleben«, kann man nicht erwarten, daß die kleinen Nationen, die ihre Kultur erst heute voll affirmieren können, davon verschont bleiben. Auch ich sehe meine Aufgabe darin, das kulturelle Erbe der kroatischen Nation durch meine bescheidenen historischen Forschungen affirmieren zu helfen. Allerdings hoffe ich, dadurch auch die exklusiven nationalistischen Auffassungen untergraben zu helfen. Mit Nation meine ich das, was unter dem Begriff »Kulturnation« verstanden wird. Die Affirmation der nationalen Kulturen in Jugoslawien führt keineswegs zur Gründung besonderer »Staatsnationen«, d. h. nationaler Staaten. Wem sollte es heute nicht klar sein, daß keine der südslawischen Nationen allein für sich existieren kann?

Eugen Lemberg Eines der wesentlichen Elemente in einer solchen nationalen Bewegung ist das Geschichtsbewußtsein oder das Geschichtsbild, die Vorstellung, die man sich von der eigenen Geschichte macht. Nun ist bei solchen Völkern - die sehr verschieden zusammengesetzt sind, bei denen man noch nicht weiß, ob aus ihnen eine große Nation wird oder mehrere kleine - das Problem immer wieder: wie interpretieren sie ihre Geschichte? Deshalb wäre es sehr interessant zu wissen, ob es Kontroversen gibt zwischen einer gesamtjugoslawischen Geschichtsauffassung und den Geschichtsbildern der einzelnen Gruppen. Ich kann mir z. B. nicht vorstellen, daß Serben, die ja eine ganz andere politische Geschichte haben als die Kroaten, mit ihnen das Geschichtsbild teilen. Mir ist am Schulwesen in Jugoslawien aufgefallen, daß dort das Bewußtsein vom Partisanenkampf Titos gegen die deutsche Besatzung sehr gepflegt wird. Es scheint, daß man darin die einzige historische Gemeinsamkeit entdeckt hat, die alle jugoslawischen Nationalitäten miteinander verbindet, ein Geschichtsbild, das all94

gemein geglaubt wird und das zur Rechtfertigung des eigenen modernen politischen Daseins dient. Gibt es Kontroversen zwischen den einzelnen Geschichtsbildern und wie sehen diese aus ? Mirjam

Gross

Es gibt heute kein gemeinsames jugoslawisches Geschichtsbild, ausgenommen das Bewußtsein, daß die kleinen südslawischen Nationen in der Vergangenheit, als sie getrennt lebten, in ihrer nationalen und gesellschaftlichen Entwicklung stark gehemmt wurden und daß es heute in ihrem ureigenen Interesse ist, zusammen zu leben und auf die schweren Probleme der Gegenwart - die auch für viel größere und fortgeschrittenere Nationen und Staaten nicht leicht sind gemeinsame Antworten zu finden. In der Vergangenheit, zur Zeit der Konstituierung der jugoslawischen Nationen, war ihre Struktur den Ideologen der verschiedenen nationalen Ideen völlig unklar. Es kam da auch zur Entstehung gemeinsamer südslawischer Geschichtsbilder, z. B. die kroatische Nationalbewegung, der Illyrismus, sah in allen Südslawen Nachkommen der Illyrier. Es kam auch zur Übernahme des Geschichtsbildes der einen Nation durch die andere. Der Erste Balkankrieg wurde von den Serben, aber auch von den Kroaten und Slowenen als »Rache für das Amselfeld« - die Schlacht im 14. Jahrhundert, in der die Türken die Reste des mittelalterlichen serbischen Reiches zerstört hatten - gedeutet und hat bei den letzteren die Hoffnung verstärkt, daß auch ihre mittelalterlichen Staaten auferstehen würden, d. h. daß die Nationalbewegung doch ihre Ziele erreichen würde. Der Ideologe der jugoslawischen Idee, Kanonikus Dr. Franjo Racki (Präsident der Jugoslawischen Akademie), hegte zusammen mit Bischof J. J. Strossmayer die Hoffnung, daß die Südslawen sich zu einer Kulturnation entwickeln und eventuell auch einen gemeinsamen Staat bilden würden. Als bedeutendster kroatischer Historiker des 19. Jahrhunderts bemühte sich Racki allerdings, geschichtliche Begebenheiten zu untersuchen, in denen es zu Kontakten zwischen den verschiedenen südslawischen Völkern gekommen war. Jedoch hat er vor allem entscheidend zur Interpretation eben des besonderen kroatischen Geschichtsbildes beigetragen, weil er sich hauptsächlich mit dem Zeitalter der kroatischen nationalen Dynastie bis 1102 befaßt hat. Im Prozeß der Entwicklung der Individualitäten der südslawischen Nationen erstarkten auch die besonderen Geschichtsbilder, die sich bei den Serben auf dem serbischen mittelalterlichen Staat, bei den Kroaten aber auf dem kroatischen mittelalterlichen Staat gründeten. So übernahm z. B. der Ideologe der Rechtspartei, Dr. Ante Starcevic, die staatsrechtliche Tradition des kroatischen Adels, die er, unter dem Einfluß der Ideen der europäischen nationalen Wiedergeburten, in eine bürgerliche »Sprache« übersetzte. Auf diesem Geschichtsbild begründete Starcevic das Recht der Kroaten auf einen eigenen Staat, und zwar nicht im Rahmen der Habsburgermonarchie, denn dieser selbständige kroatische Staat sollte mit Österreich und Ungarn nur durch Personalunion verbunden sein. Es muß gesagt werden, daß diese Geschichtsbilder und Mythen noch heute eine große Rolle im kulturellen Leben der jugoslawischen Nationen spielen. 95

Irmgard Wilharm Mir ist in Ihrem Vortrag nicht ganz klar geworden, ob und inwieweit Sie die herkömmliche sozialistische These vom grundsätzlich bürgerlichen Klassencharakter des Nationalstaats für richtig halten.

Mirjana Gross Ich wollte in meinen Ausführungen betonen, daß jeder Staat sein junges Bürgertum unterstützte: der österreichische das österreichische und der ungarische das ungarische. Das kroatische und serbische Bürgertum in beiden Teilen der Habsburgermonarchie hatte nicht nur keine staatliche Unterstützung, sondern wurde durch die wirtschaftlichen Maßnahmen, auf die es keinen Einfluß hatte, oft geschädigt. Nordkroatien war für die ungarischen herrschenden Klassen nur das Land, über welches der Weg zur Adria führte, Dalmatien dagegen für Osterreich nur eine strategisch wichtige Position für die Monarchie als Großmacht. Deshalb kann es nicht verwundern, daß sich das kroatische Bürgertum nach seinem eigenen Staat in oder außerhalb der Monarchie sehnte.

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Wolfgang Zorn

Sozialgeschichtliche Probleme der nationalen Bewegung in Deutschland

Im großen Zusammenhang der Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts hat die deutsche Bewegung nur insofern ein besonderes Gewicht, als von ihr die größte Bevölkerungsgruppe einer einheitlichen Sprache in Europa erfaßt wurde, die noch keinen Nationalstaat moderner Art besaß. Das Ziel der Schaffung dieses gestrafften Nationalstaates soll hier die Abgrenzung des Themas bedeuten. Alldeutsche und imperialistische Strömungen haben zwar besonders am Ende des 19. Jahrhunderts die innere Nationalbildung gewissermaßen auf dem Umweg über das Weltmachtstreben befördert. Sie gehören aber trotz der begründeten Vordatierung durch Hans-Ulrich Wehlers Buch über Bismarck und den Imperialismus und trotz der um 1900 verbreiteten Begriffsvermengung m. E. nicht zum breiten Grundbestand der Nationalbewegung. Diese selbst spaltete sich bekanntlich in eine kleindeutsche, schließlich siegreiche, und in eine großdeutsche Richtung 1 . Auch die kleindeutsche Nationalbewegung hatte mit dem Traditionserbe des alten Reichsföderalismus zu kämpfen, d. h. mit dem historisch gewachsenen eigenen Staatscharakter und Staatsnation-Bewußtsein der deutschen Einzelmonarchien und der verbliebenen Freistädte: Mit dem »Germanism« rang, wie es in der bayerischen Reichsrätekammer 1840 formuliert wurde, der »Territorialism« 2 . Der deutschen Nationalstaatsbewegung, die im Kampf mit diesem staatlichen Sonderwillen stets nationale Einheitsbewegung war, ist es aus ihrer eigenen Kraft nicht gelungen, diese Teilstaaten von unten her zu zerstören. Wo einzelne Staaten wie Hannover oder Schleswig-Holstein wenigstens für Generationen von der politischen Landkarte verschwanden, da war dies das Werk der siegreichen preußischen Militärmacht. Neben der Einzelstaatstradition gab es dann noch, mit dieser sich überschneidend, diejenige der historischen Provinz oder Landschaft, also den Regionalismus 3 . Schließlich haben auch konfessionelle Minderheitensituationen im Einzelstaat einen Einfluß auf die Haltung zur Nationalstaatsbewegung gehabt. 1

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Zu den politisch-historischen Aspekten vgl. auch die Quellenbibliographie von H. ROSENBERG u. K.-G. FABER : Die nationalpolitische Publizistik Deutschlands 1858-1866. München Berlin 1935; 1866-1871. Düsseldorf 1963. TH. SCHIEDER: Partikularismus und nationales Bewußtsein im Denken des Vormärz. In: Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz (Hrsg.: W. Conze). Stuttgart 1962. Wenig ergiebig R. ULLNER: Die Idee des Föderalismus im Jahrzehnt der deutschen Einigungskriege. Lübeck 1965. Vgl. auch G. MEYER: Unitarismus und Föderalismus im Spiegel der Münchner Presse zur Zeit des ersten Kanzlers. Diss. Erlangen 1928. H. GOLLWITZER: Die politische Landschaft in der deutschen Geschichte des 19./20. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte. 27 (1964). (Festschrift K. A. v. Müller).

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Uber die geistige Gesamtentwicklung der deutschen Nationalbewegung liegen nicht wenige gedankenreiche Studien vor, so Theodor Schieders Aufsätze über Partikularismus und nationales Bewußtsein im Denken des Vormärz (1962) und über das deutsche Kaiserreich von 1871 als Nationalstaat (1961), und Werner Conzes Aufsatz über Nation und Gesellschaft als Grundbegriffe der revolutionären Epoche und sein Büchlein über die deutsche Nation, Ergebnis ihrer Geschichte (1963). Für die problemgeschichtliche Analyse hat Schieder die drei Problemkreise der verfassungs- und verwaltungsgeschichtlichen, der sprachpolitischen und der soziologisch-sozialpolitischen Fragestellung unterschieden. Nur die letztere, nach Eugen Lemberg zugleich eine sozialpsychologische, soll hier aufgegriffen werden. Sie war im Anschluß an einen Vortrag von Werner Conze auf dem Duisburger Historikertag 1962 schon in meinem Diskussionsbeitrag angeführt worden 4 . Seitdem sind manche wertvollen Klärungen erfolgt 41 . Die sozialgeschichtliche Forschungsfrage lautet aber noch immer, wie sich in den verschiedenen Schichten des deutschen Volkes der Wille zum Nationalstaat und die Anhänglichkeit an den Einzelstaat gegenüberstanden, also einerseits das im Grunde revolutionäre Streben auf eine zukünftige Einheitsform, eine politisch stärker organisierte nationale Großgruppe hin und andererseits das Beharren im gegenwärtigen Zustand der staatlichen Kleinunterteilung der Kulturnation.

1 Man wird nach Lage der Dinge von vornherein nicht erwarten können, innerhalb einer Sozialgruppe in allen deutschen Einzelstaaten gleiche Haltungen vorzufinden. Die vorherrschend oder ganz deutschsprachigen Einzelmonarchien reichten größenmäßig vom Millionenstaat Preußen bis zu Zwergstaaten wie Reuß und Lippe. Immerhin sollen zunächst die wichtigsten Sozialgruppen als solche betrachtet werden. 1. Längst ist es üblich, vom »bürgerlichen Nationalstaat« des 19. Jahrhunderts zu sprechen. Das ist nicht eigentlich falsch. Bei Conze kann man nachlesen, wie um 1800 die traditionelle ständische Form der Nationauffassung von nationalrevolutionärer Bewegung abgelöst wurde, wie der Beginn der modernen deutschen Nation eigentlich durch die preußischen Reformer seit 1806 geprägt wurde, wie die Nation gewissermaßen zur Form der Emanzipation der nachständisch-industriellen Gesellschaft wurde und wie der Kern dieser Nation 4

4a

W. ZORN: HZ. 198 (1964). S. 80ff. Vgl. W. ZORN: Wirtschafts- und sozialgeschichtlichc Zusammenhänge der deutschen Reichsgründungszeit 1850-1878. In HZ. 197 (1963), etwas ergänzt zuletzt in: Probleme der Reichsgründungszeit 1848-1879 (Hrsg: H. Böhme). Köln u. Berlin 1968, und DERS.: Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland in der Zeit der Reichsgründung. In: Reichsgründung 1870/71. Tatsachen, Kontroversen, Interpretationen (Hrsg.: Th. Schieder u. E. Deuerlein). Stuttgart 1970. Eine neue zusammenfassende Darstellung zum Thema in englischer Sprache gibt das Buch von TH. S. HAMEROW: The Social Foundations of German Unification 1858-1871. Ideas and Institutions. Princeton/New Jersey 1969.

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eine Gesinnungsgemeinschaft der »Gebildeten« war 5 . Man kann dazu das zweifelnde Wort Goethes an Eckermann von 1813 stellen 6 : »Sie sprechen von dem Erwachen, von der Erhebung des deutschen Volkes und meinen, dieses Volk werde sich nicht wieder entreißen lassen, was es errungen und mit Gut und Blut teuer erkauft hat, nämlich die Freiheit. Ist denn wirklich das Volk erwacht? Weiß es, was es will? . . . Und ist denn jede Bewegung eine Erhebung? Erhebt sich, wer gewaltsam aufgestöbert wird? Wir sprechen nicht von den Tausenden gebildeter Jünglinge und Männer, wir sprechen von der Menge, den Millionen.« Auch nach der Enttäuschung von 1815 und im Kampf mit der Metternichschen Restaurationspolitik im Deutschen Bund dauerte die nationalrevolutionäre Bewegung als solche an, doch es ist allbekannt, wie die Gebildeten auch jetzt darin mächtig blieben bis hin zum »Professorenparlament« der Paulskirche 1848. L. B. Namier hat ganz richtig von der »Revolution of the Intellectuals« gesprochen und R.T. Hinton ganz zutreffend, den Hinweisen Schnabels folgend, die gesamtdeutschen Gelehrtenkongresse als Stufen zur deutschen Einigung dargestellt 7 . Das waren zunächst die Naturwissenschaftlerund Ärzteversammlungen, die des Vereins deutscher Philologen und Schulmänner, auch die zentralen Wanderversammlungen deutscher Land- und Forstwirte und besonders natürlich die Germanistentreffen seit 1846. Mit stärker politischem Akzent setzten noch der liberale Kongreß deutscher Volkswirte von 1858 und der deutsche (und österreichische) Juristentag von 1860 diese Reihe fort. 1856 entstand als modern geprägte Vereinigung der Verein deutscher Ingenieure. Entfaltung, Unterdrückung und Wirksamkeit der nationalrevolutionären Studentenbewegung, der Deutschen Burschenschaft von 1814/15, sind weitgehend erforscht. Auch ein erster deutscher Studententag, ein zweites Wartburgfest ohne konfessionelle Beschränkung, fand 1848 in Eisenach statt8. Die burschenschaftliche Welle war zugleich Jugendbewegung, 5

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7

Aus mehreren Gründen ist es nötig, diesen Begriff zu erläutern. Nach deutschem Brauch werden darunter Akademiker verstanden, auch Menschen, die Latein bis zur Lektürefähigkeit gelernt haben. Die Grenze lag in Preußen bei der Anerkennung als »EinjährigFreiwilliger« für den Heeresdienst. Durch das Vordringen technischer höherer Bildungswege wurde diese Grenze allerdings immer unsicherer. S. auch L. O'BOYLE: Klassische Bildung und soziale Struktur in Deutschland zwischen 1800 und 1848. In: HZ. 207 (1969), und F. K. RINGER: Higher education in Germany in the 19th Century. In: Journal of Contemporary History. 2 (1967). Über die Stellung der Volksschullehrer vgl. weiter unten. Gedenkausgabc (Hrsg. E. Beutler). 24: J. P. ECKERMANN: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Zürich 1948. Dazu als Dissertationen aus der Schule G. Ritters u.a. K. KINDLER : Die Entstehung des neudeutschen Nationalismus in den Befreiungskriegen. Freiburg 1950, und K.-U. MEURER: Die Rolle nationaler Leidenschaft der Massen in der Erhebung von 1813 gegen Napoleon. Freiburg 1953. R. T. HINTON: Liberalism, Nationalism and German Intellectuals 1822-1847. Cambridge 1952.

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Grundlegend noch immer P. WENTZCKE - G. HEER: Geschichte der Deutschen Burschenschaft. I. Heidelberg 2 1965; II/III. Heidelberg 2 1965 und 1929; P. WENTZCKE: Das zweite Wartburgfest. In: Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung (Hrsg.: P. Wentzcke). 17. Heidelberg 1940. S. 208-238. K. GRIEWANK: Deutsche Studenten und Universitäten in der Revolution von 1848. Weimar 1949.

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Auflehnung gegen die Elterngeneration und ihre Ordnungsvorstellungen. Sie geriet insofern in gewisse innere Schwierigkeiten, als sie, dem Lebensbundprinzip der deutschen Studentenbünde folgend, selbst eine wachsende Altherrenschaft angliederte. Der Altburschenschafterkreis bedeutete andererseits für ihre politische Wirkung eine Verstärkung, da das berufstätige Akademikertum über vielfache Honoratiorenverankerungen im Volksleben verfügte. Das allgemeine Problem der Generationenfolge für die Nationalstaatsbewegung kann hier nicht weiter verfolgt werden. Die Nationalbewegung der Gebildeten als der Hauptträger hatte stets ein starkes ideelles Element, d. h. sie war positiv auf ein Zukunftsziel ausgerichtet. Auf das »Freischweben« der Intelligenz möchte ich dabei noch kein so großes Gewicht legen, weil das Akademikertum, von der katholischen Geistlichkeit am meisten abgesehen, doch auch noch weitgehend einen erblichen Standeskreis bildete. Bei Betrachtung der anderen Schichten muß genauer darauf geachtet werden, inwieweit der Wunsch nach dem Nationalstaat etwa auch mehr negativen Ursprungs aus der Kritik am souveränen Einzelstaat heraus war, inwieweit also primär der Wunsch nach politischer Veränderung mittels eines national-politischen Gegenprinzips zugrundelag, anders gesagt der Wunsch, den Einzelstaat von oben her gewissermaßen in die Zange zu bringen. Nach dem in der Bewegung führenden Bildungsbürgertum ist nun von den Gruppen Adel, Wirtschaftsbürgertum, Bauern, Manufaktur- und Fabrikarbeiter zu sprechen. 2. Beim Adel dürfen zunächst die regierenden Fürstenhäuser und die Standesherren, d. h. die bis 1806 selbst regierenden Häuser, beiseite bleiben. Die Standesherren dachten, wie das Buch von Gollwitzer gezeigt hat 9 , in ihrer Mehrzahl bis 1866 großdeutsch, verfolgten aber besondere Ranginteressen. Die eigenartige Stellung des sogenannten roten Fürsten Waldburg-Zeil in der 1848 er Revolution und im Stuttgarter Rumpfparlament sei hier nur erwähnt. Als niederer Adel können für unsere Frage im Grunde nur die grundbesitzenden Familien zählen. Eine Gesamtdarstellung des deutschen Landadels im 19. Jahrhundert besitzen wir noch nicht. Von einer lebendigen Tradition einer gesamtdeutschen »Adelsnation« konnte jedenfalls nicht die Rede sein. Am besten ist noch der preußisch-ostelbische Junkeradel erforscht, der trotz Bismarck bekanntlich noch über 1866 hinaus preußisch-einzelstaatlich eingestellt war und nicht nur 1849, sondern auch noch 1871 gegen das deutsche Kaisertum seines Herrscherhauses ernste Bedenken hatte. Gleich stark waren die Vorbehalte des Junkertums gegen ein Aufgehen Preußens in Deutschland, ja selbst gegen die nach den Einigungskriegen einsetzende, Polen und Dänen treffende deutsche »Nationalisierung Preußens«. Bismarck selbst sagte noch 1848 in der preußischen Kammer: »Das Volk, dessen wahrster Repräsentant diese (preußische) Armee ist, hat kein Bedürfnis, sein preußisches Königtum verschwimmen zu sehen in der fauligen Gärung süddeutscher Zuchtlosigkeit« 1 0 . Die bürgerlichen Großgrundbesitzer Ostelbiens paßten sich im all9 10

H. GOLLWITZER: Die Standesherren. Göttingen 2 1964. O.V.BISMARCK: Die gesammelten Werke. X.Berlin 1928. Zur preußisch-konservativen Bismarckgegnerschaft zuletzt H. J. SCHOEPS: Der Weg ins Deutsche Kaiserreich. Berlin 1970.

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gemeinen der Meinung des Adels an, waren aber gesamtdeutschen Gedanken eher zugänglich, besonders wenn sie auch wirtschaftspolitisches Interesse hatten. So traten dem Nationalverein von 1859, der eine »feste, starke und bleibende Zentralregierung Deutschlands« und eine neue Nationalversammlung forderte, zahlreiche, überwiegend bürgerliche Gutsbesitzer aus Ostpreußen bei, namentlich im Zeichen der freihändlerischen Zollvereinspolitik Preußens seit 1862 11 . Auch im außerpreußischen Deutschland war der adlige Großagrarierstand aber nationalpolitisch doch im allgemeinen mehr auf die historischen Landschaften und Gegenwartsmonarchien orientiert als auf das nationalstaatliche Zukunftsziel. Besondere Berücksichtigung verlangt hier der ehemals reichsfreie, reichsritterschaftliche Adel Süd- und Westdeutschlands. Wie der Reichsfreiherr vom Stein in der Zeit der Befreiungskriege, so spielten die Reichsfreiherren v. Gagern vor und in der 1848er Revolution eine maßgebliche Rolle. Der Tod Paul Wentzckes hat hier wohl breiter angelegte Studien abgeschnitten 12 . Der ritterschaftliche Adel, der gegen die Rheinbundstaaten, die ihn mediatisierten, noch lange grollende Zurückhaltung übte, trat in der Paulskirche mit mehreren Vertretern auf. Er hegte noch zeitlich darüber hinaus Hoffnungen auf die Wiederherstellung seiner verfassungsmäßigen Gesamtvertretung. Weder zu einer solchen noch überhaupt zu einem gesamtdeutschen Adelsverein ist es aber vor der Reichsgründung gekommen. Der Junker Bismarck wurde als Kanzler ohne Empfindungen der Adelssolidarität betrachtet. In der Paulskirche saßen zwar 91 Abgeordnete mit Adelstitel, ein Sechstel der Abgeordneten, doch waren nur etwa 6 % Gutsbesitzer im Hauptberuf einschließlich der Polen. Der schlesische Graf Reichenbach, der wegen Teilnahme am Stuttgarter Rumpfparlament verurteilt wurde, war auch hier die Ausnahme. Der Reichstag von 1871 hatte 147 Abgeordnete mit Adelstitel, 40%, wobei aber selbst in der Teilgruppe der politisch konservativen Großgrundbesitzer die Hälfte zugleich als höhere Staatsbeamte im Einzelstaatsdienst stand 13 . Ein gewisses Anzeichen mag der Eintritt von Grundadel in den Reichsdienst gleich nach 1867/71 abgeben. Das Auswärtige Amt blieb freilich auch bei seiner Umwandlung 1870 wesentlich preußisch und gleichzeitig eine Art internationale aristokratische Standesangelegenheit. Im Kanzleramt und in den übrigen Reichsbehörden spielte der alte Adel zunächst kaum eine Rolle neben nationalliberalem norddeutschem Beamtentum 14 . 3. Das Wirtschaftsbürgertum muß in den zwei Hauptgruppen der größeren Kaufleute und Industriellen und der Handwerksmeister und Kleinhändler betrachtet werden. Die Angestelltenschicht war ja noch klein. Was das Unter11

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Vgl. u. Anm. 17 und W. O. HENDERSON: Prince Smith and Free Trade in Germany. IN: The Economic History Review. 2 n d series. 2 (1949/50). S. 294-302. Vgl. seine Biographie Heinrichs v. Gagern bis 1849 in: Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im 19. und 20. Jahrhundert. 1 - 3 . Heidelberg 1957-59. Zu den Parlamenten zuletzt E.MASCHKE: Die Industrialisierung Deutschlands im Spiegel der Parlamentszusammensetzungen von 1848 bis heute. In: Tradition. 10 (1965). R. MORSEY: Die oberste Reichsverwaltung unter Bismarck 1867-1890. Münster 1957.

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nehmertum betrifft, so läßt es sich vom Bildungsbürgertum oft nur nach der beruflichen Funktion, nicht nach der Familienherkunft scheiden. Es kann kein Zweifel bestehen, daß es aus wirtschaftlichen Interessen heraus den Wunsch nach Integration eines vergrößerten politischen Raumes, also nach der Bildung eines größeren nationalen Marktes hatte. Der älteste gesamtdeutsche gewerbliche Fachverband von Dauer war kennzeichnenderweise der Börsenverein der deutschen Buchhändler zu Leipzig von 1825. Die unternehmerischen Wünsche wurden freilich, soweit sie Aufhebung der Binnenzölle und auch das Instrument wirksamer Außenzölle betrafen, bereits durch den deutschen Zollverein von 1833 befriedigt. Sein A u f b a u erfolgte unter kräftiger »Los-von-England«Propaganda, die, wie wir heute zu erkennen beginnen, das Bild der deutschbritischen Handelsbilanz erheblich verzeichnete. Das Fehlen Österreichs im Zollverein wurde vor allem in Süddeutschland bedauert, doch zeigte schon das Schicksal von Brucks Plan der Mitteleuropa-Zollunion, daß die großdeutsche Kritik am erreichten kleindeutschen Marktraum nicht überschätzt werden darf; die Pro-Kopf-Kauf kraft der Donaumonarchie und Südosteuropas war doch gering. Unternehmerverbände für das ganze Zollvereinsgebiet wie ein Baumwollindustriellen- und ein Rübenzuckerfabrikantenverband von 1841 hatten engbegrenzte Steuer- und zollpolitische Sonderzwecke 15 . Eisenstucks Leipziger Allgemeiner Deutscher Industrieverein von 1843 war eine Gruppe von ListAnhängern. In der Paulskirche waren die Unternehmer, alle Kaufleute eingeschlossen, nach Maschkes Berechnung mit 6% der Abgeordneten ebenso stark vertreten wie die Gutsbesitzer. Der Bremer Reeder Duckwitz, der Krefelder Bankier Beckerath, dann der Hamburger Kaufmann-Bankier Merck wurden Reichsminister, doch kamen schon die Beratungen über ein Reichszollgesetz in der Nationalversammlung zu keinem Ergebnis mehr. Der sächsische Abgeordnete Fabrikant Evans wurde in Sachsen als Oppositioneller bestraft. Manche wirkten im Ausschuß für Arbeiter-, Gewerbs-, Zoll- und Handelsverhältnisse, dem sogenannten volkswirtschaftlichen Ausschuß der Versammlung mit 1 6 . Doch es fällt auf, daß keine Versammlung deutscher Handelskammern, der frühen Interessenvertretungen der Unternehmerschaft, auftrat und für stärkere Reichseinheit wirkte. Der auf einer Frankfurter Versammlung von etwa hundert schutzzöllnerischen Industriellen im November 1848 gegründete, das »Vereinsblatt für deutsche Arbeit« verbreitende Allgemeine deutsche Verein zum Schutze vaterländischer Arbeit unter Vorsitz des Prinzen F. Hohenlohe spielte trotz Neugründung 1852 später keine Rolle mehr. Neue Einzelinteressenver15

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Unvollständig H . E . K R U E G E R : Historische und kritische Untersuchungen über die freien Interessenvertretungen von Industrie, Handel und Gewerbe in Deutschland. I n : Schmollers Jahrbuch. 32 (1908). P. A L B R E C H T : Die volkswirtschaftlichen und sozialen Fragen in der Frankfurter Reichsversammlung. Halle (Saale) 1914; W. S C H N E I D E R : Wirtschafts- und Sozialpolitik im Frankfurter Parlament 1848/49. Frankfurt 1923; H.BONN: Studien zur Geschichte der Handelspolitik auf der Frankfurter Nationalversammlung. Diss. Hamburg 1923; H . P Ä H L : Hamburg und das Problem einer deutschen Wirtschaftseinheit im Frankfurter Parlament 1848/49. H a m b u r g 1930; F. W I E L A N D T : Die Frankfurter Bundesversammlung und die Frage der Münzeinheit. In: Blätter für Münzfreunde und Münzforschung 80 (1956).

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bände wie der Zollvereinsländische Eisenhüttenverein von 1852 zu Düsseldorf kamen auf. Der Wunsch nach deutscher Währungseinheit wurde 1857 mit dem Taler-Gulden-Münzvertrag zwischen dem Zollverein und Österreich weitgehend abgefunden. Im kleindeutschen Nationalverein von 1859 fanden sich nicht wenige norddeutsche Unternehmer mit bekannten Namen, so Werner und William Siemens in Berlin und London, der Gründer des Norddeutschen Lloyd H. H. Meier in Bremen, der Hanomag-Gründer Egestorff in Hannover, der Maschinenbauer H. Gruson in Magdeburg-Buckau, die rheinisch-westfälischen Fabrikanten Seyffardt (Krefeld) und Müllensiefen (Iserlohn), der Berliner Bankier Adelbert Delbrück, der Großhändler Th. Molinari in Breslau, Freytags großer Kaufmann Schröter in »Soll und Haben«, der Buchhändler Franz Duncker in Berlin, als Träger eines Adelstitels H. V. v. Unruh, Mitbegründer der Dessauer Continental-Gasgesellschaft und Direktor der Berliner Eisenbahnbedarfsgesellschaft. Zum 25er-Ausschuß des Nationalvereins zählten aber 1860 nur vier Vertreter der Unternehmergruppe, nämlich Delbrück, Duncker, Müllensiefen und Seyffardt, ein Hinweis auf ihr vergleichsweise geringes Gewicht 17 . Im Gründerkreis der Nationalliberalen Partei vertraten die Unternehmer 1867 Unruh und der Wirtschaftsjurist im Ruhrbergbau Fr. Hammacher 18 . Im ersten Reichstag des Bismarckreichs waren die Unternehmer wiederum nur mit 8 % der Sitze vertreten, darunter Fr. Harkort aus Wetter (Ruhr) und der Bankier Ludwig Bamberger. In ein hohes Reichsamt trat vorerst keiner über. Mittlerweile war allerdings 1861 in Heidelberg der Deutsche Handelstag als zunächst großdeutsche Dachorganisation der Handelskammern begründet worden. Die Einladung ging vom Badischen Handelstag, einem Einzelstaatsverband, aus. Die Begründung des dafür eingebrachten Antrags lautete: »Die fast unüberwindlichen Schwierigkeiten, die politische Einheit Deutschlands herzustellen, liegen in den souveränen Rechten der deutschen Fürsten und insbesondere in dem großen Übelstande, daß Deutschland einen Staatenbund und nicht einen Bundesstaat mit einer einheitlichen Gewalt bildet. Eine Einheit dagegen in handelspolitischen Beziehungen zu erzielen, liegt keineswegs im Bereiche der Unmöglichkeit, da solche auf der einen Seite den sämtlichen Regierungen Deutschlands in ihren souveränen Rechten keinen Eintrag bringen wird und auf der anderen Seite der deutschen Nation nur Wohlfahrt gewähren und für den Handel und die Industrie Vorteil schaffen wird. Je weiter die Grenzen gezogen sind, in denen sich in gleichen Verhältnissen Handel und Industrie bewegen können, um so gedeihlicher und leichter werden deutscher Handel, Industrie und Gewerbe sich entfalten, emporschwingen und ausdehnen können . . . Es dürfte daher dem allgemeinen deutschen Handelstage die schöne Aufgabe gestellt sein, im Einklang mit den Staatsregierungen das große merkantile und soziale Gebäude Deutschlands zu vollenden.« Das klang sehr nationalstaatlich. Die Heidelberger Gründungsversammlung beschränkte sich 17

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H. ONCKEN: R. V. Bennigsen. I. Stuttgart u. Leipzig 1910. S. 467. Vgl. L. O'BOYLE: The German National verein. In: Journal of Central European Affairs. 16 (1957). S. 333ff. W. SCHUNKE: Die preußischen Freihändler und die Entstehung der nationalliberalen Partei. Diss. Leipzig 1914.

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dann aber auf Angelegenheiten des bestehenden Zollvereins, mit Ausnahrae der gesamtdeutschen Punkte Einführung eines einheitlichen Maß-, Gewichtsund Münzsystems und Annahme eines allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches. Die vorläufige Satzung des Deutschen Handelstags sprach nur von einem Organ des gesamten deutschen Handels- und Fabrikantenstandes, schied also den badischen Anstoß zu Nationalstaats Wirksamkeit wieder aus. Nach dem Anschluß der Handelstagsmehrheit an Preußen im Kampf der beiden Großmächte um die wirtschaftspolitische Führung Deutschlands und nach dem Austritt der österreichischen Kammern verengte man 1867/68 den Aufgabenkreis weiter auf Angelegenheiten des kleindeutschen Zollparlaments 19 . Eine Fülle von neuem Einzelmaterial zu den Verflechtungen zwischen Unternehmerinteressen und Politik in der Reichsgründungszeit haben die Forschungen von H. Böhme beigebracht 20 . Gelegentlich wurde - von Twesten - auch das Argument vorgebracht, eine staatlich »zusammenfassende Organisation werde auch den steuerlichen Verwaltungsaufwand vermindern«. Das Gesamtbild bleibt ziemlich deutlich, daß die Interessen am Nationalstaat einerseits und an den wirtschaftlichen Vorteilen der vollen nationalen Zollunion und einer vereinheitlichten Wirtschaftsgesetzgebung andererseits selten ganz miteinander verschmolzen. Zwar lag ein positives nationales Einigungsinteresse vor, doch war es zweckgebunden und der Anteil der Unternehmer an der Nationalbewegung darum von wesentlich geringerer Folgerichtigkeit wie jener des Bildungsbürgertums 21 . Ein ganz materiell begründeter Reichsgründungsgedanke der Unternehmer hätte, worauf schon W. Sulzbach aufmerksam machte, überhaupt auf die staatliche Abgrenzung idealer, übernationaler Wirtschaftsräume abzielen müssen 22 . 4. Wesentlich schwieriger ist die Frage nach der Rolle des deutschen Kleinbürgertums in der Nationalbewegung zu beantworten. Die Handwerksmeister und der sonstige wirtschaftlich selbständige gewerbliche Mittelstand waren natürlicherweise noch stärker an einzelstaatliches Denken gebunden, wenn man sich auch ihre Bildungswelt keineswegs zu eng vorstellen darf. Unzufriedenheit mit dem Einzelstaat war eine starke Triebkraft für die Beteiligung von Kleinbetriebsinhabern an revolutionären Ausbrüchen wie Hambacher Fest oder Frankfurter Wachensturm 23 . Die Initiative zur Bildung von Gesamt-Interessenverbänden im Zollvereinsgebiet war gering. In der Frankfurter Paulskirche saß aus dem Kleingewerbe ein einziger württembergischer Schlosser19 20

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W. FISCHER: Unternehmerschaft, Selbstverwaltung und Staat. Berlin 1964. S. 63FF. H. BÖHME: Deutschlands Weg zur Großmacht. Studien zum Verhältnis von Wirtschaft und Staat 1848-1881. Köln u. Berlin 1966. Unbefriedigend auch infolge des anspruchsvollen Titels C. HILDEBRAND: Der Einbruch des Wirtschaftsgeistes in das deutsche Nationalbewußtsein zwischen 1815 und 1871. Diss. Heidelberg 1934. W. SOLZBACH: Imperialismus und Nationalbewußtsein. Frankfurt 1959. S. 48. E. Süss: Die Pfälzer im »Schwarzen Buch«. Heidelberg 1956. S. 152FF.; M. HROCH: Der soziale Charakter des Frankfurter Wachensturms 1833. In: Aus 500 Jahren deutschtschechoslowakischer Geschichte. Berlin 1958. S. 149 ff. Vgl. auch R. HOPPE U. J. KUCZYNSKI: Analyse der Märzgefallenen 1848. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte. 1 9 6 4 . 4 .

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meister. Zwar trat bekanntlich ein Allgemeiner deutscher Handwerker- und Gewerbekongreß in Frankfurt zusammen, der aber durch die bereits bestehende verfassunggebende Nationalversammlung und den Wunsch zur Einflußnahme auf diese veranlaßt war und keine nationalpolitischen Ziele aufstellte 24 . Ebenso verhielt sich ein besonderer Schneiderkongreß. Auf die kleinbürgerlichen sächsischen Vaterlandsvereine der Revolutionszeit und auf den starken Anteil verlegter Hausindustrieweber sowie städtischer Schneider und Schuster an der Revolution hat 1965 R. Weber in Leipzig aufmerksam gemacht. Die Führer dieser Vaterlandsvereine waren jedoch in den Städten Angehörige der Bildungsschicht und auf dem Lande Lehrer 25 . Die Handwerkerbewegung ist dann von der Vorderbühne der Nationalbewegung ziemlich verschwunden. Der jährliche Deutsche Handwerkertag des 1862 in Weimar gegründeten Deutschen Handwerkerbundes wich 1866 einem Norddeutschen Handwerkertag. Erst nach 1871 wurde wieder ein allgemeiner deutscher Handwerkertag in Dresden einberufen. Auffallend war nun aber die Abspaltung einer besonderen Gesellenbewegung im Vormärz und eines besonderen deutschen Gesellenkongresses in Frankfurt 1848. Auf die Handwerksgesellen als Träger der Nationalbewegung hat sich denn auch die besondere Aufmerksamkeit der Forschung gerichtet. Sie waren bei dem stockenden Vordringen der Gewerbefreiheit nicht nur aufgrund ihrer sozialen Stellung ein Element der Unruhe, sondern wurden auch durch die Pflicht des Gesellenwanderns zwangsläufig zur Anknüpfung überlandschaftlicher Verbindungen im deutschen Sprachgebiet hingeführt 26 . Zweifellos gab es hier stärkere nationalstaatliche Interessen als bei den Meistern. Belege sind verhältnismäßig leicht zu finden. Nur zwei Beispiele: Der Hamburger Schneidergeselle Michaelsen wählte 1834 als erstes Wanderziel Leipzig wegen der Völkerschlacht. Als der rheinische Gerbergeselle Dewald 1838 auf der Wanderschaft nach Lindau i. B. kam, schrieb er in sein oft zitiertes Tagebuch: »Hier fiel mir mit eins ein, wie die Studenten in Freiburg doch in manchem recht gehabt hatten. Diese ewigen Grenzen im Deutschen Reich (!) sind wahrhaft vom Teufel erfunden. Das unaufhörliche Passieren von Schlagbäumen und das Durchschnüffeln des Wanderbuches von Constablern und Stadtsoldaten aller Art ist mit viel Verdruß verbunden und lästig genug für einen ordentlichen Gesellen . . . Wie ein Spinnennetz, darin sich der ehrliche Kerl verfangen kann, laufen die Zollschranken über das Land.« 27 Die Anklänge an die Einstellung der Kaufleute fehlen also nicht, doch ist die Beimischung rationaler Interessen geringer. Eine Sonderstellung in der gewerbebürgerlichen Nationalbewegung nahmen die Zusammenschlüsse deutscher Handwerker im Ausland ein. Diese Auslands24

H . MEUSCH: D i e H a n d w e r k e r b e w e g u n g 1 8 4 8 / 4 9 . A l f e l d 1 9 4 9 .

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R. WEBER: Die Beziehungen zwischen sozialer Struktur und politischer Ideologie des Kleinbürgertums in der Revolution von 1848/49. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. 13 (1965). S. 1186ff. H. BOPP: Die Entwicklung des deutschen Handwerksgesellentums im 19. Jahrhundert. Paderborn 1932; H. LENHARDT: 150 Jahre Gesellenwandern nach Frankfurt a. M. Frankfurt 1938. Biedermeier auf Walze (Hrsg.: G. M. Hofmann). Berlin 1936. S. 81.

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vereine im Jahrzehnt 183CMO und in Paris, in der Schweiz und in London sind vor wenigen Jahren in dem Buch von Wolfgang Schieder gründlich untersucht worden 28 . Es hat dargetan, wie diese aus allen Einzelberufen gemischten Vereine keine Standesvereine alter Art mehr waren und sich in eine größere Gesamtheit der »Arbeitenden« einordneten, wie sie einmal als »Vereinigung der deutschen patriotischen Handwerker«, ein andermal als Gemeinschaft deutscher »Arbeiter« angesehen wurden, wie sie sich auch mit den Bestrebungen deutscher Auslandsintellektueller verbanden. So wichtig dieser Anfang einer bewußt deutschen Arbeiterbewegung für die nationale und die soziale Bewegung insgesamt war, so darf man ihre zahlenmäßige Grundlage im Jahrzehnt ihres Haupteinflusses doch nicht höher als auf vielleicht 50000 Köpfe ansetzen. Zu diesem Bild des gewerblichen Mittelstandes passen nun allerdings nicht mehr einige Dokumente, die Ernst Deuerlein 1966 in einem Büchlein über die Auflösung des Deutschen Bundestages in Augsburg ediert hat 29 . Es sind Eingaben der Stadträte der kreisfreien Städte Bayerisch-Schwabens an den König nach Königgrätz, in welchen Kriegsbeendigung und Ablehnung des Südbundplanes erbeten werden. Dabei wünschte die Stadt Memmingen, 6500 Einwohner, seine Mitwirkung an der Gründung eines »volkstümlichen Bundes..., welcher alle übrigen deutschen Länder mit Inbegriff von Ost- und Westpreußen, von Posen und von Schleswig umfaßt und unter Mitwirkung eines nach dem Reichswahlgesetze vom 12. 4. 1849 zu wählenden Parlaments zu einem konstitutionellen Staatswesen, nach dem Vorbilde der von der deutschen Nationalversammlung beschlossenen Reichsverfassung vom 28. 3. 1849 gestaltet wird, dessen Organe, soweit es zum Schutze und im Interesse des Ganzen erforderlich ist, einen genau umschriebenen Wirkungskreis im Bereiche der militärischen, diplomatischen und handelspolitischen Angelegenheiten selbständig und unabhängig von den Staatsgewalten der Einzelstaaten ausüben.« Dasselbe wünschte Nördlingen. Beides waren protestantische Städte, aber man liest auch im Schreiben der noch kleineren, rein katholischen Stadt Neuburg (Donau): »Wie niemals zuvor bedarf jetzt nach den erschütternden Kämpfen die deutsche Nation der Zusammenfassung aller ihrer Kräfte zu einem mächtigen Staatsganzen.« Das Nationalstaatsbewußtsein in dieser Schicht ist also doch 1866 schon auf der Meisterebene - Gesellen saßen nicht in den Stadträten - recht deutlich faßbar, ohne daß diese Beobachtung verallgemeinert werden soll. 5. Zum Dritten Stand der Gesellschaft gehören im Deutschland des 19. Jahrhunderts auch die bäuerlichen Landwirte. Ihr Anteil an der Nationalbewegung war - von den Volkstumskämpfen der Grenzgebiete abgesehen - offenbar sehr gering. Die Bindung der Bauern an die Einzeldynastien und an kleinräumliche Heimatgebiete herrschte vor, soweit nicht wie in der Pfalz und im Rheinland oppositionelle Grundhaltungen gegen den in einer weitentfernten Residenzstadt verkörperten Einzelstaat vorlagen oder wie in Preußen 1845-47 eine Agrarkrise den Monarchismus anschlug. In der Paulskirche vertrat ein einziger Kleinbauer aus Oberösterreich die große Gruppe, die keine nationalstaatlichen 28 28

W. SCHIEDER: Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung. Stuttgart 1963. E. DEUERLEIN: Augsburg 1866. Augsburg 1966. S. 101 ff.

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Anliegen an die Verfassungsversammlung herantrug 30 , und 1871 waren die 28% »Landwirte« zum größten Teil Gutsbesitzer. Der nach Aufrichtung des Kaiserreichs geschaffene Deutsche Landwirtschaftsrat wurde natürlich gleichfalls vom Großgrundbesitz beherrscht. Das Gewicht des etablierten sogenannten III b-Standes (Stadelmann) in den deutschen Nationalrepräsentationen war somit außerordentlich gering. 1848 reichte es gerade aus, um dem Abgeordneten von Stendal, Wichmann, die Behauptung zu gestatten, in der Nationalversammlung seien alle Stände und Berufsklassen vertreten »vom Fürsten an bis zum Bauer, vom Minister bis zum Bierbrauer und Schlossermeister, von den Koryphäen der Wissenschaft bis zum Zeitungsredakteur und literarischen Proletarier'«. Das war nicht nur Zufall oder Ungeschick, sondern Folge ständischer Hemmnisse; es war 1871 kein ganz zutreffender Spiegel der Interessenstärke mehr. Wenn 1871 die Wahlbewegung nicht lebhafter war, so spricht das zwar für Angleichung der einmal bürgerlich seßhaft gewordenen Gesellen an die ältere Generation, aber u. U. auch für deren eigenes Einschwenken in die Nationalbewegung. 6. Schließlich ist der sogenannte Vierte Stand, die sich erst als Gruppe herausbildende Fabrikarbeiterschaft, häufig auf ihre Stellung zur nationalen Frage hin untersucht worden. Die Anfänge der Arbeiterbewegung verflochten sich bekanntlich auch in Deutschland selbst untrennbar mit der Gesellenbewegung. Erst die 1848er Revolution ließ Arbeiterbildungs- und Wanderunterstützungsvereine in großer Zahl hervortreten und führte zu einem Allgemeinen deutschen Arbeiterkongreß in Berlin und zur Gründung der »Arbeiterverbrüderung« mit 12000 Mitgliedern und Sitz in Leipzig. Das Programm des Berliner Zentralkomitees forderte aber - in weitem Abstand zum revolutionären Radikalismus von Marx und Engels - nicht einmal die Beseitigung der deutschen monarchischen Einzelstaaten, sondern nur volle Freizügigkeit vor allem für Handwerksburschen 31 . Der Neuansatz der Arbeiterbewegung mit Lassalles Allgemeinem deutschen Arbeiterverein von 1863 führte bis zu deren Programm von 1867 mit dem ersten Programmpunkt: »Gänzliche Beseitigung jeder Föderation, jedes Staatenbundes, unter welcher Form es auch sei. Vereinigung aller deutschen Stämme zu einer innerlich und organisch durchaus verschmolzenen Staatseinheit, durch welche allein das deutsche Volk einer glorreichen nationalen Zukunft fähig werden kann: durch Einheit zur Freiheit.« Das Büchlein von Conze-Groh über Arbeiterbewegung und nationale Bewegung 3 2 hat den Zu30

31

32

G. FRANZ: Die agrarische Bewegung im Jahre 1848. In: Zeitschrift für Agrargeschichte. 7 (1959). M. QUARCK: Die erste dcutschc Arbeiterbewegung. Leipzig 1924; F. BALSER: Sozialdemokratie 1848/49-1863. Stuttgart 1962; neuerdings D. DOWE: Organisation und Ideologie. Arbeiterbewegung, sozialistische und kommunistische Bewegung in der preußischen Rheinprovinz 1820-1852. (Diss. Bonn 1969; im Druck.) W. CONZEU. D. GROH: Die Arbeiterbewegung in der nationalen Bewegung. Stuttgart 1966. Die Entgegnung von H. BARTEL: Die Haltung der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung zur Reichsgründung von 1871. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. 16 (1968). S. 430ff., ist recht unergiebig. Zuletzt H.-J. STEINBERG: Sozialismus, Internationalismus und Reichsgründung. In: Reichsgründung 1870/71. Stuttgart 1970.

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sammenhang der deutschen Sozialdemokratie der 1860er Jahre mit der großdeutsch-nationaldemokratischen Bewegung näher dargetan. Teilweise wäre wohl auch hier das negative Motiv der Gegnerschaft zum bestehenden Staate Preußen hervorzuheben. Auch der schließlich siegreiche marxistische Flügel erblickte in der kleindeutschen Einigung mit allgemeinem, gleichem Reichstagswahlrecht immerhin einen erwünschten Fortschritt, eine Voraussetzung. Das Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei von 1869 verneinte eine nationale Lösbarkeit der sozialen Frage, duldete aber vorerst trotz dieses Internationalismus die deutschen Einzelstaaten. Allerdings schied die organisierte Arbeiterschaft als Trägerin des Nationalstaates eben durch die Art seiner Bismarckschen Verwirklichung aus. Die Führer der Sozialdemokratischen Partei erlebten die Reichsgründung als »Reichsfeinde« im Gefängnis, während der Führer der Lassalleaner, J. B. Schweitzer, seinen Rücktritt von der Parteiführung nach schwerer Wahlniederlage mit der Erklärung begründete, der nationale Gedanke, »der durch einen freiheitlichen Aufschwung des Volkes hätte verwirklicht werden sollen«, scheine nun »mit der Sache der Reaktion verknüpft.« Der sozialgeschichtliche Überblick ergibt zwar keine Gleichsetzung von Nationalbewegung und bürgerlicher Interessenvertretung, aber doch eine Bestätigung des bürgerlichen Schwergewichts in der Volksmeinung für die Entstehung des Kaiserreichs von 1871. 2 Ist der Kreis eigentlicher Träger der Nationalstaatsbewegung vor 1871 und jedenfalls 1866 auf die Gebildeten und einige mehr oder weniger lebhaft unterstützende Teilgruppen begrenzt gewesen, so stellt sich sofort die zweite Hauptfrage: Wie gelang es dieser begrenzten Trägerschicht, ihren Einfluß in der Reichsgründungszeit so weit auszudehnen, daß die nationalstaatliche Willensmeinung maßgeblichen Einfluß nicht nur auf die liberalen Parteien erlangte, sondern daß diese öffentliche Meinung 1870 als eine moralische Kraft erschien, die auch sehr souveränitätsbewußten Monarchen und Regierungen keine andere Wahl mehr zu lassen schien als den Beitritt zum preußisch geführten Deutschen Reich ? Mit welchen Mitteln wirkte die Nationalstaatsbewegung als Emanzipations- und als Integrationsbewegung ? 1. Die Parteien waren, wie man namentlich aus Nipperdeys Parteienbuch weiß, jedenfalls vor 1863 sämtlich Honoratiorenparteien. Daraus ergab sich die Vorrangstellung des Bildungsbürgertums in ihnen bei der Willensbildung von selbst. Allerdings war es notwendig, für die Wahlvorgänge auch die Masse der überhaupt wahlbereiten Urwähler und deren Versammlungen zu erreichen und zu überzeugen. Da aber damit die Ausbreitung der Nationalbewegung nicht erklärt werden kann, ist auch an andere Kommunikationsmittel zu denken. Mehr Aufmerksamkeit als bisher verdienen die geselligen Vereine 33 . Eine wesentliche 33

Angesichts des »in unserer Zeit so mächtig gewordenen Versammlungs- und Vercins•wesens« ließ sich König Max II. von Bayern seit 1861 jährlich Verzeichnisse darüber vorlegen (Allgemeines Staatsarchiv München. Ministerium des Innern. Nr. 46069).

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örtliche Stätte der Begegnung zwischen Bildungs- und Kleinbürgertum wurden die seit der preußischen Reformzeit belebten und zu Anfang der 1860er Jahre gewaltig vermehrten Turn- und Schützenvereine und die Sängervereine oder Liedertafeln, welche schon auf dem ersten Allgemeinen Deutschen Sängerfest in Würzburg 1845 von Vereinigung der deutschen Stämme durch den Gesang sprachen. Maßmanns Doppelstellung als Germanist und Turnvater war nicht zufällig. Beim Einzug der Nationalversammlung in die Paulskirche standen Turner Spalier. Höhepunkt dieser Vereinsbewegung wurden das erste Allgemeine Deutsche Turnfest 1860 in Coburg und das dritte, das zum 50jährigen Jubiläum der Völkerschlacht in Leipzig und mit Festrede Treitschkes stattfand, das Deutsche Sängerfest 1861 in Nürnberg und das zweite 1862 in Coburg mit Gründung des Deutschen Sängerbundes, das erste deutsche Schützenfest und Bundesschießen 1861 in Gotha mit Gründung des Allgemeinen Deutschen Schützenbundes und das Frankfurter Schützenfest von 1862, das durch J . B. Schweitzer planmäßig politisiert wurde. Auf diesem pries H. Schulze-Delitzsch einen Schützen- und Turnerbund als den Weg zu einem gesamtdeutschen Parlament. Der Vers »Die Turner und die Schützen sind des Reiches Stützen« traf die Sache gut; in Südwestdeutschland sprach man vor 1866 auch von »Wehrturnern« 3 4 . An der Turnerei und Sängerei nahm auch die wiederauflebende Arbeiterbewegung Anteil. Eine ähnliche Rolle, jedoch ohne zentrale Versammlungen, spielten teilweise die seit 1841 entstehenden freiwilligen Feuerwehren. 2. Von politisch-historischen Büchern und Zeitschriften wurden die Mittelund gar die Unterschichten trotz steigender Erzeugung und trotz Leihbibliotheken und Lesezirkeln nur in sehr begrenztem Umfang erreicht. Selbst die Tageszeitungen waren dafür zu teuer. Sowohl Gervinus' »Deutsche Zeitung« wie die Berliner »Nationalzeitung« von 1847/48 waren und blieben liberale Honoratiorenblätter. Der Massenaufschwung der zensurfreien Tagespresse von 1848 war vorübergehend. Auch nachher nahm die ältere Grundschichtengeneration Zeitungen noch oft durch Vorlesen oder gar durch mündliche Weitergabe des Gastwirts zur Kenntnis. R. Engelsing hat in einem Aufsatz über die politische Bildung der deutschen Unterschichten 1789-1863 kürzlich für die anhaltende Unempfänglichkeit des breiten Volkes für solche direkte Beeinflussung weitere Belege beigebracht, freilich die Reichsgründung als Auslösung vermehrter Zeitungslektüre erkannt 35 . Wanderredner, sogenannte 34

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F. ECKARDT: D i e turnerische B e w e g u n g v o n 1848/49. F r a n k f u r t 1 9 2 5 ; F. RITTWEGER:

Das erste (!) deutsche Schützenfest in Frankfurt 1862. Frankfurt 1962. Aus der Zeit neben den Erinnerungen des »Schützenherzogs« Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha z. B. O. ELBEN: Der volkstümliche deutsche Männergesang, seine Geschichte, seine gesellschaftliche und nationale Bedeutung. Tübingen 1855. R. ENGELSING: Zur politischen Bildung der deutschen Unterschichten 1789-1863. In: HZ. 2 0 6 (1968). S. 337F.; DERS.: M a s s e n p u b l i k u m u n d J o u r n a l i s t e n t u m im 1 9 . J a h r h u n d e r t in

Nordwestdeutschland. Berlin 1966. S. 127ff. (Reichsgründung und Tageszeitung).

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»Wühler«, traten abgesehen von der Revolutionszeit erst wieder in der Sozialistenbewegung auf. 3. Die Kirche hatte allein die Möglichkeit, durch die Predigt Massen von Erwachsenen regelmäßig immer wieder mit bestimmten Anregungen zur eigenen Überlegung zu erfassen. Die evangelischen Staatskirchen waren jedoch, wiewohl sie 1848 einen ersten Deutschen evangelischen Kirchentag in Wittenberg veranstalteten, viel zu sehr an das Prinzip »Thron und Altar« gebunden, um als selbständige nationalpolitische Kraft auftreten zu können. Davon hebt sich erst in den Reichsgründungsjahren das Kleindeutschtum der württembergischen Kirche ab 36 . Die Katholiken, 1848 zum ersten deutschen Katholikentag in Mainz versammelt, und ihre rührigen Vereine konnten den Nationalstaat und schon gar den kleindeutschen von vornherein nicht als vorrangiges Ziel ansehen 37 . Der sogenannte Deutschkatholizismus war nur eine revolutionäre Episode. Auch das aus Landeskindern rekrutierte stehende Heer war als mehrjährige sogenannte Erziehungsschule 38 von vornherein doch auf die Treue zum Herrscher des Einzelstaates festgelegt, noch mehr als die Zivilbeamtenschaft, deren höhere Ränge zugleich der Schicht der »Gebildeten« angehörten und insofern nicht selten widersprüchliche Grundhaltungen zu vereinigen hatten. Die Meuterei von Linientruppen für die Reichsverfassung in Baden 1849 war eine Ausnahme. Erhebungen von Landwehrtruppenteilen waren damals nicht ganz so selten, selbst in der preußischen Rheinprovinz, doch verschwand diese militärisch wenig brauchbare Landwehr älterer Ordnung überall durch die Heeresreformen der 1860er Jahre. Die seit den 1830er Jahren in Preußen entstehenden Kriegervereine waren Militärbegräbnis-Vereine der Veteranen unter Aufsicht der Militärbehörden; erst seit 1864 blühten sie stark auf mit dem Zweck, das Gedächtnis des Militärerlebnisses zu erhalten. Sie waren eng an die einzelstaatlichen Heere gebunden und entwickelten bis 1870 kaum ein unmittelbares Nationalbewußtsein 39 . Weder der 1872 gegründete Deutsche Kriegerbund noch ein Kartellbündnis deutscher Kriegerverbände konnten eine gesamtdeutsche Verschmelzung erreichen, ja der 1877 vom Kaiser mit der Vereinigung unter höchstem Protektorat beauftragte General scheiterte. 4. So richtet sich der Blick, der nach Einwirkungen auf das breite Volk sucht, auf den deutschen Volksschullehrer des Vormärz. Die Lehrer waren sozial und 36

W . DELIUS: Die evangelische Kirche und die Revolution v o n 1848. Berlin 1948. Der nicht kirchenoffizielle Pietismus hatte z. B. in Württemberg zum Nationalgedanken ein engeres Verhältnis. Starke Preußenneigungen belegt G. SCHÄFER : D i e württembergische Landeskirche und

die deutsche Einigung 1 8 6 4 - 1 8 7 1 . I n : Zeitschrift f ü r württembergische

Landesgeschichte. 26 (1967). 37

E. DEUERLEIN: D e r katholische Klerus in der ersten deutschen Nationalversammlung. Diss. München 1947. Für das Rheinland K . REPGEN: K l e r u s und Politik 1848. In: A u s Geschichte und Landeskunde (Festschrift F. Steinbach). Bonn 1960.

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R. HÖHN: D i e A r m e e als Erziehungsschule der Nation. Bad Harzburg 1963.

39

H . HENNING: Kriegervercine in den preußischen Westprovinzen. In: Rheinische Vierteljahrsblätter. 32 (1968).

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wirtschaftlich gedrückt, von Staat und Kirche überwacht, durch ihr durch Grundbesitzlosigkeit gemindertes Bürgerrecht und ihre häufige Bewertung als »Halbgebildete« gekränkt; sie waren von daher als Berufsstand für Veränderungen im bestehenden System aufgeschlossen. Gesangvereine und Lehrerfeste wurden frühe Formen einer Lehrerbewegung, die 1848 deutlich ihre Stimme erhob für »eine Nationalschule, befreit von der Aufsicht der Geistlichkeit und der Juristen«. In Sachsen gelangten damals auffallend viele Lehrer in die Abgeordnetenkammer, während sich in der Paulskirche freilich der Gymnasiallehrer Rösler zum Sprecher eines allgemeinen Lehrerstandes machte. Im Sommer erging von Dresden aus an alle deutschen Lehrer und Jugenderzieher, gleichviel ob sie »dem Knaben das ABC aufschlössen oder den Jüngling in die heiligen Hallen der Wissenschaft einführten«, die Aufforderung zur Bildung eines Allgemeinen Deutschen Lehrervereins. Er kam im September 1848 in Eisenach zustande und bildete Landes- und Bezirksvereine, blieb freilich im wesentlichen auf die Volksschullehrer beschränkt. Nach der Revolution wurde die Lehrerbewegung von den Regierungen niedergedrückt, gewann aber 1871 sofort mit der Neubegründung des Vereines wieder festeren Stand. Das bereits umlaufende Wort vom Sieg des preußischen Schulmeisters bei Königgrätz kam ihm zugute. Ähnlich wie bei den Germanisten war natürlich auch bei den Lehrern das Nationalgefühl durch das berufliche Verhältnis zu Nationalliteratur und Volkskultur angeregt. Daß hier auf die Jugend nationale Anregungen mit lebenslänglichen Nachwirkungen übergingen, darf als sicher gelten 40 . Die ideellen Motive sind denen der Bildungsschicht am ähnlichsten, die innenpolitisch-sozialen jedoch andere. 5. Was die berufstätigen Erwachsenen betrifft, so formten sich ihre Überzeugungen offenbar weniger durch Gehörtes oder Gelesenes von programmatischem Inhalt, sondern weit mehr durch eigenes Erlebnis von nationalen Gemeinschaftsleistungen und Gemeinschaftsbegeisterungen. Dabei waren volkstümliche Symbole von großer Wichtigkeit. Wie schon erwähnt, darf die soziale Tiefe und Breite des Erlebens der Befreiungskriege trotz Arndt und Körner nicht überschätzt werden. Die politisch-militärische französische Vorherrschaft wurde nur in Teilen Deutschlands vor 1813 als eigentlich drückend empfunden. Das gilt auch noch für die Fernwirkung der französischen Julirevolution und des Polenaufstandes 1830. Immerhin schrieb der Freiherr vom Stein danach, kurz vor seinem Tode 4 1 : »Noch hat man es mit einem Geschlecht zu tun, das an die monarchisch bürokratischen Formen gewöhnt ist; aber es rückt ein neues Geschlecht heran, es drängt sich in alle Kanäle des bürgerlichen Lebens, es bildet sich unter dem Einfluss der neuesten Weltgeschichte (!), der 40

41

T H . NIPPERDEY : Volksschule und Revolution im Vormärz. In: Politische Ideologien und nationalstaatliche Ordnung (Festschrift Th. Schieder). München u. Wien 1 9 6 8 ; C H . W E I N L E I N : Geschichte der allgemeinen deutschen Lehrer Versammlungen. Leipzig 1 8 8 7 . R . R I S S M A N N u. C. L. A. PRETZEL : Geschichte des deutschen Lehrervereins. 1 . Leipzig 1 9 0 8 . S. auch E. WEYMAR: Das Selbstverständnis der Deutschen. Ein Bericht über den Geist des Geschichtsunterrichts der höheren Schulen im 19. Jahrhundert. Stuttgart 1961. K . F R E I H E R R VOM S T E I N : Briefe und amtliche Schriftcn (Hrsg.: W. H U B A T S C H ) . 7. Stuttgart 1969. 1074 (18.2.1831).

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Zeitungen, der politischen Schriften, es fühlt in sich Jugendkraft, Drang zum Handeln; Ehrgeiz, Habsucht, Neid unter den verschiedenen Ständen (der Nationen) beseelen es, religiöse Grundsätze werden durch den Rationalism untergraben.« Zu einem gewachsenen deutschen Nationalfeiertag kam es nicht, doch gewannen die national-liberalen Feste eine echte Bedeutung, und die zentralen Vereinsfeste kamen hinzu, sie alle das Erlebnis des Massentreffens in gehobener Stimmung vermittelnd. Der erste sehr weit reichende Erlebniseindruck des Gesamtvolkes war dann der Märzaufbruch von 1848 unter dem überstaatlich-gesamtdeutschen Symbol der schwarzrotgoldenen Fahne. Wären die örtlichen Petitionen an die Nationalversammlung wenigstens f ü r einige größere Reichsgebiete schon ediert, so würden sie für unser Thema manchen Aufschluß bringen 4 2 . Die Erinnerung an die volkstümliche Verbrüderung und Bürgerbewaffnung dieses Frühlings blieb auch da haften, wo ein republikanisches Weitertreiben der Revolution abgelehnt wurde. Ein bezeichnendes Nationalfest mit politischem Unterton wurde dann die Schillerfeier von 185 9 43 . Dann kamen die Völkerschlachtfeiern von 1863 und, auch in Süddeutschland überraschend kräftig, das Echo des Kampfes um Schleswig-Holstein (samt deutschem Flottengedanken). Der gewaltigste Eindruck wurde schließlich der siegreiche Kampf der verbündeten deutschen Truppen gegen die Franzosen, wie die Einsetzung des Sedantages als Nationalfeiertag des Kaiserreichs richtig ausdrückte 44 . Den eigenen Berichten der Feldzugsteilnehmer trat verstärkend eine spontane und auch gelenkte Berichterstattung in volkstümlicher Druckveröffentlichung und Bild zur Seite. Wie Bismarck mit scharfem Blick erkannte, war es für das Volksempfinden von größter Bedeutung, daß der neue, ohne Deutschösterreich besonders f ü r süddeutsche Begriffe »unvollständige« deutsche Nationalstaat wiederum in den traditionellen Formen von Kaiser und Reich »hergestellt« wurde, daß er also äußerlich als »Erneuerung« an 1806 anknüpfte: D e r Integrationswille der Nationalbewegung betraf also auch die zeitliche Verknüpfung von Vergangenheit und Zukunft. Es war von nicht geringerer Wichtigkeit, daß sein Hervorgehen aus dem siegreichen gemeinsamen Kriege und natürlich auch die Rolle der preußischen Armee dabei symbolkräftig festgehalten wurden: Die Kaiserproklamation im Schloß von Versailles geschah durch Fürsten in Uniform und Offiziers- und Fahnenabordnungen preußischer und bayerischer Feldregimenter. Sie erfolgte nicht ohne Anstimmung des Arndtschen Liedes von 1813 »Was ist des Deutschen Vaterland?«, aber sie erfolgte 12

Vorerst W. KLÖTZER: Die nassauischen Petitionen an die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49. IN: Nassau Annalen. 70 (1959). R. MOLDENHAUER: Resolutionen aus den preußischen Saarkreisen an die Frankfurter Nationalversammlung. I n : Zeitschrift für die G e s c h i c h t e der Saargegend.

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17 ( 1 9 6 9 ) . V g l . K . REPGEN: a . a . O .

IC v. RAUMER: Das Jahr 1859 und die deutsche Einheitsbewegung in Bayern. I n : Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung. 8. Heidelberg 1925. S. 273-327. G. MÜLLER: Friedrich v. Bodelschwingh und das Sedanfest. I n : Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. 14 (1963). S. IIS-, H. LEHMANN : F. v. Bodelschwingh und das Sedansfest. I n : H Z . 202 (1966); H . MÜLLER : Die deutsche Arbeiterklasse und die Sedansfeiern. I n : Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. 17 (1969).

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ohne Zulassung einer Parlamentsabordnung45. Auf diese Weise wurde der Gegensatz der zwei Haupterinnerungen der Nationalstaatsbildung tief eingeprägt: Das Scheitern der Gesamtstaatsbildung durch die Volksbewegung von 1848 und der Erfolg der nicht-revolutionären Reichsgründung von oben her, durch national gesinnte Monarchien und ihre Heere. Der Flaggenübergang von Schwarzrotgold zu Schwarz weißrot - bei Beibehaltung von Reichsadler und Germaniagestalt 46 - sollte das ganz bewußt anzeigen. Sicher hat auch die durchdringende Meinung, in der Nationalstaatsschaffung eine »verspätete Nation« zu sein, die Beistimmung des Volkes verstärkt. Traf auch nach Schieder diese Kategorie der Verspätung objektiv nicht zu, so hat Bismarck als politischer Redner mit dem Typusbild des gutmütigen, verspätet sein eigenes Interesse erkennenden Deutschen doch viel Echo gefunden. Er wurde auch selbst zum Nationalsymbol des »eisernen Kanzlers«. Der Vorgang von 1870/71 sollte - was bisher nicht geschehen ist - auch einmal in Stadtchroniken und Ratsprotokollen deutscher Mittel- und Kleinstädte verfolgt werden. Ich zitiere hier nur die Chronik der Stadt Memmingen von Clauss-Döderlein, 189447: »3. September 1870. Die Nachricht von der Eroberung Sedans ... erregte hier einen Jubel, wie er kaum jemals erlebt wurde. Beflaggen aller Häuser, Schießen in allen Straßen, Choral vom Martinsturm, Absingen deutscher Lieder am Marktplatz, Freudenfeuer auf den Höhen von Buxach und Memmingerberg ... Am gleichen Tage erließen der Magistrat und die Gemeindebevollmächtigten ein Glückwunsch-Telegramm an S.M. den König wegen des Sieges und eine Adresse mit der Bitte, es möge S. Majestät dahin wirken, daß dem deutschen Volke die Früchte des Sieges (Elsaß-Lothringen, Einigung Deutschlands, gemeinsame Volksvertretung, Sicherung künftigen Friedens) in keiner Weise verkümmert werden.« Auffallenderweise war, soweit man aus der Chronik ersehen kann, die Begeisterung über die Kaiserkrönung dann auf Beflaggen und Schießen beschränkt, also das Gefühl durch sie trotz allem weniger angeregt. Die Erlanger Geschichte von SteinMüller 48 berichtet zum 3. September: »Der Jubel und die Begeisterung waren ... ungeheuer. Aller Orten kamen die deutschen, bayerischen und norddeutschen (!) Fahnen zum Vorschein.« Sogar München bot nach dem Bericht des preußischen Gesandten in diesen Tagen ein ähnliches Bild 49 . Die ausschlaggebende Bedeutung des historischen Nationalerlebnisses ist auch L. Bamberger aufgefallen. In seinen Erinnerungen schrieb er vor 1894/98 45

46

47 48 49

Zur bildlichen Darstellung A . v. Werners vgl. P. THIELEN: Zur Historienmalerei der Bismarckzeit. In: Spiegel der Geschichte (Festgabe M. Braubach). Münster 1964; vgl. auch E. FEHRENBACH: Wandlungen des deutschen Kaisergedankens 1871-1918. München u. Wien 1969. Zur Geschichte des Hermannsdenkmals im Teutoburger Wald 1 8 1 9 - 1 8 7 5 vgl. TH. NIPPERDEY: Nationalidee und Nationaldenkmal im Deutschland des 19. Jahrhunderts. In: HZ. 206 (1968). F. CLAUSSU. F. DÖDERLEIN: Memminger Chronik 1826-1892. Memmingen 1894. S. 107f. F. STEIN U. L. MÜLLER: Geschichte der Stadt Erlangen. Erlangen 1898. S. 233. I. v . BARTON GEN. V. STEDMAN : Die preußische Gesandtschaft in München als Instrument der Reichspolitik in Bayern von den Anfängen der Reichsgründung bis zu Bismarcks Entlassung. München 1967. S. 29.

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rückblickend: »In den Zeiten großer Ereignisse tritt als deren Wirkung wohl das Partikularistische zurück und die Deutschen bilden dann eine Art moralischen Großstaates. Das täuscht auch den Unitarier in jenen großartig angeregten Epochen . . . Nur in den mit dem Gegensatz zum Ausland zusammenhängenden politischen Empfindungen und in dekorativen Demonstrationen bleibt die Gesamtstimmung lebendig; das übrige kehrt je eher und je mehr desto lieber zu der Weise der Abgesondertheit zurück.« 6 0 3 Die abschließende Zusammenfassung soll mit der Frage beginnen, welche Folgen für das Wesen des deutschen Nationalstaatsbewußtseins sich aus den eingangs erörterten sozialgeschichtlichen Voraussetzungen der Nationalbewegung ergaben. Steht es fest, daß die bürgerliche Emanzipation sich mit den Hoffnungen auf nationale Macht- und Ansehenssteigerung in gleicher Richtung bewegte, so müssen sich die Hauptkennzeichen des deutschen bürgerlichen Liberalismus auch im politischen Nationalbewußtsein spiegeln. Seine Hauptmerkmale waren wohl ein stark theoretischer Zug - W. Sulzbach wollte deshalb von einem ideologischen Nation-Typ sprechen - und ein ausgeprägter Moralismus. Wie dem Adel, so auch Frankreich gegenüber wollte der deutsche Bürger sich als bieder und christlich-tugendhaft, als sittlich unverderbt empfinden. Klassischen Ausdruck fand das 1870 in Geibels »Psalm wider Babel«, und sogar Freiliggrath griff dieses Paris-Bild auf. Damit wurde gern wieder der Germanen-Römer-Gegensatz im Sinne des Tacitusberichts in Verbindung gebracht. Hingegen fehlte dem deutschen Nationalstaatsdenken ein starkes und klares Gesellschaftsbewußtsein von Dauer, wie es 1848 kurz aufgeflammt war. Das weitgehend traditionalistische statt revolutionäre Gesellschaftsbild des deutschen Bürgertums spiegelte sich seit der Reichsgründung verstärkt auch in der Kunst 61 . Das spricht gegen die Meinung H. A. Winklers 62 , das nationale Pathos sei ein »Reflex der gesellschaftlichen Insuffizienz« des preußischen Bürgertums hinsichtlich der beanspruchten Ablösung der traditionellen Führungsschichten gewesen, also der Nationalstaat sozusagen ein Mittel zum Zweck. Die nächste Stufe der inneren nationalen Integration und damit der inneren Vollendung des neuen Deutschen Reiches wurde 1878/79 mit dem Abschwenken der Großlandwirtschaft und der Mehrheit der Industriellen zum wirtschaftlichen Abwehrprotektionismus, zur sogenannten Politik des Schutzes der nationalen Arbeit erreicht 63 . Erst jetzt, im Zeichen des nationalen Neumerkantilismus, wurden die preußischen politisch konservativen Gutsbesitzer Anhänger eines Reichseinheitsgedankens, und die agrarisch-industrielle Inter50 51

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63

L. BAMBERGER: Erinnerungen. Berlin 1899. S. 43. W. FRHR. v. LÖHNEYSEN: Der Einfluß der Reichsgründung auf Kunst und Kunstgeschmack in Deutschland. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte. 12 (1960). H. A. WINKLER : Bürgerliche Emanzipation und nationale Einigung. Zur Entstehung des Nationalliberalismus in Preußen. In: Probleme der Reichsgründung (Hrsg.: H. Böhme). Köln u. Berlin 1968. S. 226ff. Dazu tiefergehend jetzt vor allem H. ROSENBERG: Große Depression und Bismarckzeit. Wirtschaftsablauf, Gesellschaft und Politik in Mitteleuropa. Berlin 1967, w o nur m. E. das antisemitische Element im damaligen deutschen Nationaldenken überbewertet wird.

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essenkoalition wurde zum nationalen Gesamtinteresse überhöht (H. Kaelble). Der von Schieder angesprochene nationale Weg zur eigenen Sozialordnung zeichnete sich ab. Freilich vertiefte sich auch die Kluft zwischen den nun einschließlich des Kleinbürgertums vereinigten, Reich und Staat »besitzenden« Schichten hier und den unzureichend eingegliederten Unterschichten dort, die weitgehend in der Aufkündigung der nationalen Solidarität verharrten. Es braucht hier nur gestreift zu werden, wie dann im Blick auf diese sogenannten Vaterlandslosen im Sinne Naumanns das Kaiserreich als Volksstaat angesprochen wurde und wie sich in der Tat aus dem kommerziellen Imperialismus ein Sozialimperialismus zu entfalten begann. In der Lütge-Festschrift von 1966 habe ich versucht, dem Problem von Wirtschaft und Politik, von Gewinn- und Machtdenken im damaligen deutschen Imperialismus in den Grenzen eines Aufsatzes auch sozialgeschichtlich näher nachzugehen 64 . Für die wilhelminische Zeit hat nun Graf Stolberg-Wernigerode ein Buch über die politische Haltung der konservativen Führungsschichten vorgelegt, das einen allgemeinen sozialgeschichtlichen Überblick einschließt 55 . Für unsere Problemstellung ist namentlich seine Herausstellung einer unter dem Abschnitt Kleinbürgertum behandelten »Zwischenschicht« wichtig, die trotz allen Strebens nicht in die bildungsbürgerliche Akademiker-, Beamten- und Offiziersschicht aufzusteigen vermochte, die zu Minderwertigkeitskomplexen neigte und für extreme Verhaltensweisen, auch für überspannten Nationalismus, anfällig war. Hier scheint sich der Kreis zu schließen, und es sei erlaubt, das Ergebnis dieser Untersuchung in drei Thesen zusammenzufassen: 1. Die Stützung der Nationalbewegung geschah durch Gruppen, die im Emanzipationsstreben in Vormärz- und Reichsgründungszeit auf Hindernisse stießen, sei es parlamentarisch-politischer Art (Bildungsschicht), sei es sozialer Art (Volksschullehrer, Handwerksgesellen), die bei schwächerer Gruppenbindung an den Einzelstaat jedoch keine antibürgerliche »Gegenwelt« proklamierten, sondern in betontem Anschluß an den Nationalstaat einen Ausgleich des sozialen Selbstbewußtseins suchten: Sie vollzogen eine Selbstidentifizierung mit einer überbetonten Emanzipation der Nation und erlebten den Nationalismus als mögliche Kraft sozialer Mobilisierung. 2. Die Fabrikarbeiter wurden aus Mitträgern eines zeitbedingt irrealen Nationalstaatsideals zu »enttäuschten Patrioten im Nationalstaat« (These Conze); sie verschmähten die formelle Gleichheit der Nation-Genossen zugunsten der Proletariats-Mission der Zukunft. 3. Die Erfassung wirklich breiterer nicht-marxistischer Schichten durch die Nationalstaatsbewegung erfolgte erst durch Rückblick auf 1870/71 und Bismarckverehrung sowie später durch den »neudeutschen« nationalen Imperialismus und seine Propaganda. Hinzu kam für den kleinen Mittelstand das Motiv der ständischen Absetzung gegen die nun dem Internationalismus anhängende Arbeiterschaft. 64

55

W. ZORN : Wirtschaft und Politik im deutschen Imperialismus. IN: Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte (Festschrift F. Lütge). Stuttgart 1966. O. GRAF ZU STOLBERG-WERNIGERODE : Die unentschiedene Generation. Deutschlands konservative Führungsschichten am Vorabend des 1. Weltkrieges. München und Wien 1968, bes. S. 160ff.

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Diskussion

Eugen

Lemberg

Sie haben dargestellt, was auch für andere mitteleuropäische Völker gilt, nämlich das besondere Hervortreten von Turnvereinen und Feuerwehr, Gesangvereinen usw. im Verlauf der nationalen Bewegungen. Ich vermute - und darum möchte ich fragen, ob Sie Belege dafür haben - , daß darin auch eine Art Kompensation für nicht ermöglichte parlamentarisch-politische Betätigung steckt. Aus einer hessischen Untersuchung nämlich weiß ich, daß nach 1848 solche Vereinsgründungen mit Absicht von oben gefördert worden sind, um die vorher gefährlich gewordenen politischen Betätigungen in harmlosere Kanäle abzulenken. Otto Dann Ich möchte an die Frage von Herrn Professor Lemberg nach den nationalen Vereinen anknüpfen, denn wir haben in unserer Kölner Forschungsabteilung mit Unterstützung der Thyssen-Stiftung vor kurzem ein Programm in Angriff genommen, das auf die Erforschung der Vereinstätigkeit im Rahmen der europäischen Nationalbewegung konzentriert ist. Dieser Entscheidung zur Erforschung der nationalen Vereine liegen bestimmte Erfahrungen mit der bisherigen Nationalismusforschung zugrunde. Die Historiographie der deutschen Nationalbewegung im Vormärz beschäftigte sich bisher hauptsächlich mit der Politik der Regierungen und mit der Interpretation ideologischer Programme und literarischer Äußerungen. Damit kam vorwiegend ein relativ kleiner Personenkreis in den Blick, der zudem unter besonderen Bedingungen lebte: die Gruppe der Gebildeten. Es ist aber eine allgemein anerkannte Tatsache, daß an der deutschen Nationalbewegung im Vormärz alle Schichten des Bürgertums und darüber hinaus auch die beginnende Arbeiterbewegung aktiv teilgenommen haben. Die Diskrepanz zwischen dem Ziel der Nationalismusforschung und der Art, wie man bisher wissenschaftlich danach gefragt hat, ist auffällig und unbefriedigend. Es fehlen uns vor allem Untersuchungen, die die deutsche Nationalbewegung als einen gesellschaftlichen Vorgang erfassen, die also das Verhalten der einzelnen Bevölkerungsschichten als ganzes aufhellen, auch der, die damals zweifellos schon politisch engagiert waren, aber nicht literarisch tätig wurden. Methodische Überlegungen angesichts dieses Desiderats führten uns auf das Phänomen der nationalen Vereinsbildung; denn die Entstehung von organisierten Vereinen und die nationale Bewegung waren im frühen 19. Jahrhundert

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gleichzeitige Erscheinungen. Sie haben sich gegenseitig bedingt und bilden einen einheitlichen gesellschaftlichen Vorgang. Die Erforschung der Vereinsbewegung bietet sich damit als ein aussichtsvoller Weg an, um heute zu einigermaßen sicheren Daten über die nationalpolitische Aktivität breiterer Schichten zu kommen; deshalb haben wir darauf unser Forschungsprogramm ausgerichtet. Unsere Intention ist jedoch - das muß gegenüber einigen Aussagen von Professor Lemberg und Professor Zorn betont werden - nicht sosehr die Frage nach dem Verhalten einzelner Gruppen zum nationalen Staat, sondern vor allem die Frage nach dem Charakter dieser nationalen Vereinsbewegung selbst, nach ihrer politischen und gesellschaftlichen Bedeutung. Nach einem halben Jahr kann man von Ergebnissen unseres Programmes noch nicht viel sprechen, aber zu den Aussagen über die verschiedenen sozialen Schichten im Referat von Professor Zorn möchte ich gern an zwei Punkten einige Bemerkungen machen: einmal zur Gruppe der Arbeiter, Gesellen und Kleinbürger. Diese unterste und schwer zu fassende Schicht der damaligen Gesellschaft ist meines Erachtens in bezug auf ihre nationale Aktivität zu knapp veranschlagt worden. Wenn man die Vereinstätigkeit betrachtet, dann wird man hier zu anderen Akzentuierungen kommen; denn dann zeigt es sich, daß in diesen Bevölkerungsgruppen die nationalpolitische Organisation besonders stark entwickelt war. Dabei ist als erstes an die Auslandsvereine seit 1830 zu erinnern. V o r allem denke ich aber an die Zeit um 1848, in der eine Vereinsbildung sich auch in Deutschland ungestört entfalten konnte. Die Parlamentsbeteiligung freilich kann über die Aktivität dieser Schichten nur sehr wenig aussagen. Aber nehmen wir die Reichsverfassungskampagne von 1849: diese wurde ganz wesentlich von der Arbeiterverbrüderung, von Turnvereinen und von den demokratischen Vereinen getragen. Die in diesen Vereinen organisierten Schichten waren es also, die bis zuletzt zum nationalpolitischen Kampf entschlossen waren. Der zweite Punkt, den ich anschneiden möchte, ist die Beurteilung der Gebildeten. Diese Gruppe wurde pointiert an den Anfang gestellt, ihre besondere Rolle in der Nationalbewegung ist unbestritten. Es bleibt aber das Problem, wie man die nationalen Aktivitäten der Gebildeten bewerten soll und wie man sie sozialgeschichtlich fassen kann. Ich möchte in diesem Zusammenhang einerseits die Frage aufwerfen, wieweit es berechtigt ist, den Gebildeten bei ihren Aktivitäten vorwiegend ideelle Motive zu unterstellen, bei den anderen Gruppen dagegen mehr von einem zweckgebundenen Nationalismus zu sprechen. Auch bei den Gebildeten sind doch wohl soziale Bindungen und konkrete Interessen im Spiel; sie sind nur ideologisch mehr verdeckt als bei anderen Gruppen. Man müßte z. B. zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Positionen der Gebildeten differenzieren, also etwa zwischen Studenten und Justizbeamten, hohen und niederen Geistlichen, Professoren und Volksschullehrern. In diesem Zusammenhang möchte ich nun andererseits fragen, wieweit man die Gebildeten in ihrem Verhalten gegenüber anderen Bevölkerungsschichten als eine eindeutige Gruppe fixieren kann. Bis zum Jahre 1830 war zweifellos jede nationale Aktivität in Deutschland allein von den Gebildeten getragen. Aber ist es nicht danach mit der fortschreitenden Entwicklung so, 117

daß sich jeweils bestimmte Gruppen der Gebildeten mit größeren Gesellschaftsschichten, denen sie sozial nahestehen, politisch verbinden und sich häufig zu deren Sprecher machen? Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch die Unterschiede im Verhalten der Gebildeten in den verschiedenen Epochen der Nationalbewegung bis 1870 - etwa zwischen der demokratisch-liberalen Tendenz in den 40er Jahren und dem Überlaufen zu Bismarck in den 60er Jahren. Diese konkreten Anmerkungen führen mich nun noch zu einer grundsätzlichen Frage, und zwar: ob man nicht die deutsche Nationalbewegung dieser Zeit allgemein und durchgängig als eine Emanzipationsbewegung interpretieren muß. In den Schlußthesen des Referats wird diese Frage bejaht, doch im Verlauf der Ausführungen entstand oft der Eindruck, als wenn die Emanzipation etwas Nebenherlaufendes ist, ein Vorgang parallel zur Nationalbewegung. Die Unterscheidung zwischen gesellschaftlicher Emanzipation und nationaler Bewegung ist nach den Erfahrungen mit dem Nationalismus unseren Jahrhunderts, aber auch für die Zeit nach 1870 unbestreitbar notwendig. Für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts kann man jedoch meines Erachtens beide Phänomene nur schwer voneinander trennen; denn hier ist es doch eine durchlaufend zu beobachtende Tatsache, daß eine Auseinandersetzung innerhalb der Gesellschaft zugleich einen nationalpolitischen Akzent hat. Ein Vergleich als Beispiel: Als im Jahre 1790 die sächsischen Bauern unzufrieden waren, revoltierten sie gegen ihre Grundherren und zerstörten Güter. Im Jahre 1831 hatten die pfälzischen Weinbauern ebenfalls konkrete wirtschaftliche Schwierigkeiten; ihre Protestbewegung äußert sich aber jetzt im Hambacher Fest als eine nationalpolitische Aktion. Man könnte - pointiert - die nationale Bewegung des frühen 19. Jahrhunderts geradezu als die Erscheinungsform aller gesellschaftlichen Emanzipationsvorgänge bezeichnen, die sich in Deutschland bis 1871 bzw. 1864 abspielten. Deshalb zum Schluß noch eine Bemerkung zur Periodisierung dieses Zeitabschnitts : Sollte man nicht im Hinblick auf die gesellschaftlichen Aspekte der deutschen Nationalbewegung mit dem Jahre 1850 bzw. mit 1864, dem Scheitern der Schleswig-Holstein-Bewegung, eine Zäsur setzen? Bis dahin nämlich stellte die Nationalbewegung für alle beteiligten Schichten einen Emanzipationsvorgang dar. Nach 1864 aber organisierte sich die Arbeiterschaft um der sozialen Frage willen, und das vereinsbildende Interesse an der nationalen Einheit ging mehr auf das Besitz- und Bildungsbürgertum über und wurde durch Bismarck für diese Schichten saturiert. Die nationalpolitische Vereinstätigkeit in Deutschland verlor ihren sozialen und demokratischen Charakter; sie war nun nicht mehr Ausdruck einer Emanzipationsbewegung, sondern diente weitgehend deren Verhinderung.

Wolf gang Zorn Ich habe bei der Vorbereitung des Vortrags Vereinfachungen in Kauf genommen, um klare Linien zu zeichnen und damit die Diskussion anzuregen. Sie hat mir wertvolle neue Gesichtspunkte und Tatsachen gegeben, wofür ich sehr zu danken habe. Die Trennung zwischen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum ist 118

vielleicht etwas zu scharf herausgekommen. Selbstverständlich gibt es aus der gleichen Familie manchmal mehrere Söhne, von denen der eine Jurist, der andere Gelehrter und der dritte Kaufmann wird. Auch gibt es manchen Kaufmann, der einige Jahre Latein gelernt hat, manchen Bankier, der ohne Examensabsicht die Universität besuchte. Trotzdem ist die Intelligenz eine abgrenzbare Gruppe, die nicht in gleichem Maße wie die Geistlichkeit, aber doch grundsätzlich durch das Studium herausgehoben wird aus den primär oder doch aus den naiv materiellen Überlegungen. Sie hat irgendwie eine andere Grundkonzeption von Leben und Gesellschaft, ohne daß man diese zu sehr idealisieren müßte. Das höhere Beamtentum habe ich insofern doch zum Bildungsbürgertum gerechnet, wenn auch sein Nationaldenken in der Tat besonderen dienstherrlichen Bindungen unterlag. Im ganzen scheint sich zu bestätigen, daß nach der 48er Revolution stärkere nationale Kräfte auftraten, überhaupt stärkere Bewegungskräfte. Das zeigt sich eben zunächst in der Vereinsbewegung, und diese wurde von der Regierung in ihrer Bedeutung auch oft richtig erkannt. Sehr verdienstlich wird die angekündigte Studie über die Schleswig-Holstein-Bewegung als Anzeichen des erweiterten »Solidaritätsraumes« sein. In der großen Augsburger Spinnerei und Weberei wurde 1848/49 auch unter den Arbeitern ein größerer Betrag für die deutsche Flotte gesammelt. Die Winkler-These ist hier in der Aussprache nochmals unterstützt worden. Ich meine doch, daß für einen bewußten und so direkten Kausalzusammenhang von sozialem Geltungswillen und Reichsgründungsbegeisterung des Bürgertums auch unmittelbarere Belege aus privaten Erinnerungen, Briefen usw. erbracht werden müßten. Auch würde ich das Kleinbürgertum nicht zu den »unteren Schichten« rechnen, da es gerade ein ausgesprochen mittelständisches Bewußtsein pflegte. Ich hielte es in der Tat für möglich, daß Sozial- und Nationalbewegung in ihren Trägergruppen nicht immer parallel und gekoppelt liefen, sondern daß die erstere eindeutig von unten nach oben ging, die zweite auch von der oberen Mitte nach unten. Sie war doch wesentlich Emanzipationswille der Großgruppe nach außen. Wie sich ja auch 1918 gezeigt hat, gibt es übrigens einen Unterschied zwischen der dauernden Anhängerschaft einer revolutionären Bewegung und einer nur kurzfristig mobilisierbaren, auch nur kurzfristig von scheinbarem Erfolg begeisterten. 1848/49 spielt das eine offenkundige Rolle. Selbstverständlich werde ich mich über jede bessere Belehrung freuen, die sich aus den laufenden Kölner Quellenforschungen ergibt.

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Miroslav

Hrocb

Das Erwachen kleiner Nationen als Problem der komparativen sozialgeschichtlichen Forschung

Das zentrale Problem, dessen Beleuchtung dieser Beitrag versuchen will, betrifft die kausalen Zusammenhänge zwischen dem nationalen Erwachen (der nationalen Bewußtseinsbildung) kleiner Nationen und der sozialen, gesellschaftlichen Entwicklung dieser Nationen. Es wird dabei der Weg zur Verallgemeinerung durch Anwendung der (in dieser Problematik vernachlässigten) komparativen Methode gesucht. Ein solcher Weg steht unter dem Risiko, Unvergleichbares vergleichen zu wollen. Daher zuerst einiges zu den methodologischen Fragen. Für eine erfolgreiche Komparation ist es notwendig, in vergleichbaren Größen zu vergleichen, nach vergleichbaren Situationen und Erscheinungen zu fragen. Es müssen einige Regeln berücksichtigt werden 1 : 1. eine möglichst klare Definition der verglichenen Objekte, konzentriert darauf, was ihnen gemeinsam ist; 2. eine Überlegung, welcher der möglichen komparativen Vorgänge zu dem gestellten Ziel am besten paßt, d. h. besonders, ob wir den Vergleich in der chronologischen Horizontale oder in der Horizontale analoger historischer Situationen wählen; 3. welcher Zusammenhang, welche Erscheinung, die bei allen Objekten der Komparation als wesentliche erscheint, als Ausgangsdimension am besten gewählt werden sollte, als eine »Komparationssonde«; dieser Zusammenhang sollte a) bei allen verglichenen Objekten eine analoge Funktion gehabt haben und mit gleichen Maßen zu beschreiben sein; b) so eng wie nur möglich mit dem gestellten zentralen Problem verknüpft sein. Diese drei Fragen soll also der Forscher für sich selbst sowie für den Leser beantworten, bevor er sich der eigentlichen Komparation und deren Auswertung widmet. 1. Definitionen. Bei der heutigen Verwirrung um denNations- und Nationalismusbegriff gehört es sich auch bei einer nicht komparativen - und um so mehr bei einer komparativen - Forschung, gleich am Anfang zu sagen, was der Forscher unter der »Nation« versteht. Ohne zu der ganzen strittigen Frage des 1

Wie aus den folgenden Überlegungen ersichtlich wird, verstehe ich unter der komparativen Methode einen anderen Arbeitsvorgang als jenen, mit dem sich T H . S C H I E D E R kritisch auseinandersetzt (Geschichte als Wissenschaft. München 2 1968. S. 195ff.).

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Nationsbegriffs Stellung zu nehmen, möchte ich mich auf eine einfache Begriffsklärung beschränken. Unter der Nation verstehe ich eine soziale Großgruppe, welche durch historisch gefestigte Beziehungen unter den Menschen gekennzeichnet ist, und zwar durch eine feste, aber nicht unveränderliche Kombinierung der Beziehungen, seien es Beziehungen wirtschaftlicher, kultureller, religiöser, politischer oder sprachlicher Art. Die konkrete Kombination kann bei verschiedenen Nationen unterschiedlich sein. Solche Nation als soziale Großgruppe bildet ihre integrierende Ideologie in der Form eines wertbezogenen Nationalbewußtseins aus 2 . Den »Nationalismus« betrachte ich also als einen sekundären, abgeleiteten Faktor, der durch einen gewissen Stand der Entfaltung objektiver Beziehungen bedingt ist 3 , doch kann man nicht leugnen, daß eine Nation ohne Nationalbewußtsein nicht existieren kann. Eine erst tertiäre Bedeutung haben dann die konkreten Inhalte, an die das Wertsystem des Nationalbewußtseins gebunden ist, wie es Geschichte, Sprache, Eigenstaatlichkeit usw. ist. In solcher Auffassung bildet die Nation keine seit Jahrhunderten bestehende Gruppe, sondern stellt ein Phänomen dar, das sich während einer ziemlich exakt feststellbaren Zeit konstituiert hat. Das oben angeschnittene Problem unserer Untersuchung lautet also: wie kann man das wertbezogene Nationalbewußtsein mit der Integrierung einer sozialen Großgruppe - der Nation - verbinden; wie war der Zusammenhang zwischen dem objektiven sozialen Vorgang bei der Umgestaltung der ganzen Gesellschaft und der Sphäre des Bewußtseins der Menschen, in der sich das Nationale immer stärker fixiert? Dieses Problem war bisher allzuoft mit einem Kurzschluß gelöst, mit einem Kurzschluß, der die sozialen und ökonomischen Vorgänge als direkte, unmittelbare Ursache betrachtet und die nationale Ideologie dann als Begleiterscheinung, als Folge, ohne jedoch den Zwischenraum zwischen den beiden Sphären zu analysieren, ohne zu fragen, in welchen konkreten Vorgängen sich dieser kausale Zusammenhang realisiert hat. Manchmal hat man sogar aus einigen bisherigen Schilderungen den Eindruck gewonnen, daß es sich um zwei unabhängige Sphären handele. Dadurch wird aber der Weg zu dem anderen Extrem geöffnet, der Weg zu einer subjektivistischen Auffassung der Nation, als einem Resultat und Produkt des Nationalbewußtseins, des Willens zur Nation u. ä. In diesem Punkte treffen sich symptomatisch die vulgär-materialistischcn und die subjektivistischen Auffassungen in einem paradoxen Einklang. In besseren Fällen versucht man die Überbrückung der beiden Prozesse durch eine Reihe von willkürlich ausgewählten Einzelerlebnissen oder Ereignissen. Die hier vertretene Auffassung der Nation ist natürlich weder neu noch originell. Aus dieser Auffassung resultiert dann eine Vorstellung von der For2

Ausführlicher vgl. M. HROCH: K problematice f o r m o v á n í burzoazního národa v Evropé [Zur Problematik der Formierung einer bürgerlichen Nation in Europa]. In: Ceskoslovensky casopis historicky. 9 (1961). S. 374ff.

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Diese Auffassung wird man ohne Zweifel modifizieren müssen, w e n n man sich mit dem Nationalismus des 20. Jahrhunderts beschäftigen wird, jedenfalls mit dem Nationalismus in jener Situation, w o sich die Masscnkommunikationsmittel in die Bewußtseinsbildung massiv eingeschaltet haben.

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mierung dieser sozialen Großgruppe als von einem Bestandteil der gesamtgesellschaftlichen Umgestaltung an der Schwelle der modernen industriellen Gesellschaft. So wird der Vorgang bei Otto Bauer, so auch bei Werner Conze gesehen 4 . In diesem Modell führte der Aufstieg des Bürgertums im sozialen und wirtschaftlichen Bereich zu einem politischen Kampf gegen den Feudalismus, »ancien régime«, zu einem Kampf, der sich zugleich mit einem Sozialisierungsprozeß unter dem nationalen Vorzeichen verwirklichte : als Kampf um die Befreiung der Nation - geführt von dem Dritten Stand oder mit ihm identisch - von der Herrschaft der alten Feudalklasse. Diese alte herrschende Klasse wird also durch die Bourgeoisie (bzw. das sich zur Bourgeoisie umwandelnde Bürgertum) beseitigt und zugleich von ihr aufgelöst. Der Dritte Stand stellt sich an die Spitze der Gesellschaft, die er als Nation versteht. Der Kampf gegen die alte Ordnung gleicht also einem Kampf für die Ausbildung einer neuen Gemeinschaft, der modernen Nation. Wenn wir dieses Modell auf die konkreten nationalen Vorgänge in Europa anzuwenden versuchen, dann stellen wir fest, daß es nur für einen Teil dieser Nationsbildungen stimmt, denn außerdem sind in Europa viele Nationen entstanden, 1. die keinen »eigenen« Adel hatten, sondern durch eine anderssprachige, ja meist auch zu einer anderen mittelalterlichen Nation gehörenden Klasse beherrscht waren; sa 2. die zwar ein ethnisches, aber kein damit identisches eigenständiges politisches Ganzes bildeten (jedenfalls nicht an der Schwelle des nationalen Erwachens) ; 3. gab es bei diesen Nationen keine Tradition der Hochkultur in eigener Sprache, oder diese Tradition ist unterbrochen bzw. wesentlich geschwächt worden. Bei diesen Nationen verlief also der Prozeß der Gestaltung der modernen Gesellschaft nicht parallel mit jenem der modernen Nation. Die nationale Bewegung richtete sich hier nicht nur gegen eine ethnisch fremde, alte herrschende Klasse, sondern auch - mit dem zunehmenden Nationwerden - gegen die neue herrschende Klasse, Bourgeoisie, die ebenfalls fremd war oder als fremd empfunden wurde. Denn die Abschaffung des alten Feudalsystems geschah hier durch einen Dritten Stand, durch eine Bourgeoisie, die anders sprach und eine andere Kultur geschaffen hat als das Volk, das sich - auf einem von ihr beherrschten Teilgebiet - auch als eine moderne Gesellschaft etabliert hatte. Die soziale Struktur dieser Teilgesellschaft hat also der Bourgeoisie gefehlt. Auch dieser zweite Typus ist ein legitimer Teil der europäischen Entwicklung des 19. Jahrhunderts, bildet also keine »Ausnahme« oder »Abweichung« von der gesamteuropäischen Entwicklung. Wir können daher in dem europäischen Nationwerden des 19. Jahrhunderts zwei Grundtypen unterscheiden : 4

O.BAUER: Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie. Wien 1907; W. CONZE; Nation und Gesellschaft. In: HZ. 198 (1964). S. 1 ff.

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1. den Typus, für den das erste Modell gilt: die herrschenden oder »großen« europäischen Nationen, wie Franzosen, Engländer, Niederländer, Schweden, Spanier; 2. den Typus, den wir als »kleine Nation« bezeichnen, wobei wir »klein« nicht als quantitative, sondern als qualitative Charakteristik verstehen. Der Typus »kleine Nation« wird uns daher in unseren weiteren Untersuchungen interessieren. Für die komparative Untersuchung mußte ich jedoch noch eine weitere repräsentative Auswahl unter den kleinen Nationen durchführen, d. h. diejenigen wählen, die einen bestimmten Typus der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung darstellen könnten. Ohne die nationale Entwicklung auf dem Balkan zu berücksichtigen, wo es sich um ein in nationaler Hinsicht sehr spezifisches Gebiet handelt, habe ich folgende Nationen gewählt: die Tschechen (beschränkt auf Böhmen), Slowaken, Litauer, Esten, Finnen, Norweger und die flämische Bewegung; im geringeren Ausmaß wurde auch die Aufmerksamkeit den Weißrussen, Letten, Sorben und Walisern gewidmet. Die Begründung dieser Auswahl würde zu weit vom Zentralthema wegführen; jedenfalls sind hier aus technischen Gründen die Iren und die österreichischen Südslawen nicht vertreten. 2. Der vergleichbare Zeitabschnitt. Für unsere Fragestellung scheint der Vergleich in der chronologischen Horizontale (d. h. zu einem festen Datum) ungeeignet; wir wollen uns auf den Vergleich in der Horizontale analoger historischer Situationen beschränken. Wie wollen wir den Zeitabschnitt einer solchen Situation bestimmen? Der uns interessierende Zeitabschnitt des nationalen Erwachens kleiner Nationen liegt - überspitzt gesagt - zwischen der Nichtexistenz der Nation einerseits und dem Anfang einer Massenbewegung mit nationaler Zielsetzung andererseits. Innerhalb dieses Zeitabschnitts sollte man jedoch wieder weitere Phasen unterscheiden, wobei das Kriterium in der quantitativen Verbreitung des Nationalbewußtseins und im Grad seiner Wertbezogenheit besteht. An der Schwelle liegt die Phase des gelehrten Interesses und der Vorliebe einiger Einzelpersonen für das Nationale - etwa im Sinne des aufklärerischen Durstes nach neuen Erkenntnissen; diese Phase bezeichne ich als Phase A. Jenseits liegt die Zeit, wo die Massenbewegung der Nationalbewußten einsetzt (Phase C)5. Zwischen den beiden liegt dann die Zeit der zielbewußten nationalen Agitation, geführt von einer national bewußten Minorität (einer kleinen Patriotengruppe), die sich um die allgemeine Verbreitung des wertbezogenen Nationalbewußtseins bemüht, die also für die nationale Begeisterung die breiteren Schichten ihrer ethnischen Gruppe zu gewinnen versucht. Diese Phase B betrachte ich als entscheidend für die Erforschung der einsetzenden Nationalbewegung. Hier liegt im engeren Sinne das nationale Erwachen kleiner Nationen, wobei erst der Übergang zur Phase C ein Zeichen des erfolgreichen Erwachens liefert. Diese Phase B liegt bei den von uns ge5

Dabei sei die Frage offen gelassen, inwiefern die »Phase C« mit dem Zeitalter des »integralen Nationalismus« bei den einzelnen Nationen identisch ist.

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w ä h l t e n Nationen in unterschiedlichen Zeitabschnitten. O h n e ausführliche Beschreibung der nationalen V o r g ä n g e w o l l e n w i r uns hier mit der zeitlichen chronologischen Bestimmung der Phase B bei den einzelnen Nationen beg n ü g e n ; damit w e r d e n auch die G r e n z e n der Vergleichbarkeit angedeutet. U n t e r der Phase B verstehen w i r bei den Tschechen in B ö h m e n die Zeitspanne zwischen d e m zweiten Jahrzehnt des 1 9 . Jahrhunderts und dem J a h r e 1 8 4 8 ( A n f a n g der Phase C); bei den N o r w e g e r n setzt die Phase B etwa zu der gleichen Zeit ein, dehnt sich jedoch w e i t über die Mitte des 1 9 . J a h r h u n d e r t s aus. Bei den Finnen liegt sie zwischen den dreißiger u n d den sechziger b z w . siebziger Jahren, bei den S l o w a k e n kann sie z w a r ebenso datiert w e r d e n , der Übergang zur Phase C ist jedoch durch die W e l l e der Magyarisierung unterbrochen w o r d e n . In der flämischen B e w e g u n g können w i r zwar u m 1 8 4 0 den A u f s t i e g der nationalen A g i t a t i o n belegen, die Phase C ließ aber bis in das 20. J a h r h u n d e r t hinein auf sich w a r t e n (die flämische B e w e g u n g ist als T y p u s einer mißlungenen nationalen B e w e g u n g gewählt). D i e Phase B in der estnischen B e w e g u n g kann auf den A n f a n g der sechziger J a h r e datiert w e r d e n , w ä h r e n d sie bei den Litauern erst u m mindestens ein Jahrzehnt später, bei den W e i ß r u s s e n sogar u m drei Jahrzehnte später einsetzt. D i e Russifizierungswelle hat die Phase C bei den Esten über die achtziger J a h r e hinaus v e r s c h o b e n , bei den Litauern kann man sie auf den A n f a n g d e r neunziger J a h r e datieren 6 . 6

Für die erste Orientierung über die Geschichte der einzelnen hier erwähnten Nationen halte ich es für nützlich, einige bibliographische Hinweise zu geben. Die Auswahl richtet sich dabei nach der sprachlichen Zugänglichkeit für das deutsche Publikum, was aber leider nicht heißt, daß die in der deutschen Sprache (oder in einer anderen Weltsprache) verfaßten Arbeiten auch zugleich die zuverlässigsten Darstellungen der Geschichte kleiner Nationen bieten; der Wert der hier angeführten Werke ist also nicht immer der höchste. Zum tschechischen nationalen Erwachen vgl. E. L E M B E R G : Grundlagen des nationalen Erwachens in Böhmen. Reichenberg 1932; DERS. : Wege und Wandlungen des Nationalbewußtseins. Münster 1934; H. R A U P A C H : Der tschechische Frühnationalismus. Essen 1939; E. DENIS: La Boheme depuis la Montagne Blanche. 2 1930; zur norwegischen Nationalbewegung M. G E R H A R D T : Norwegische Geschichte. Bonn 2 1963; A. E L V I K E N : Die Entwicklung des norwegischen Nationalismus. Berlin 1930; K. P A B S T : Zur Vorgeschichte der Universität Oslo und zum Erwachen des norwegischen Nationalbewußtseins. In: Politische Ideologie und nationalstaatliche Ordnung. München 1968. S. 253ff.; zur finnischen Nationalbcwegung E. J U T I K K A L A : Geschichte Finnlands. Stuttgart 1964; M . G. S C H Y B E R G S O N : Geschichte Finnlands. Gotha 1898; P. S C H E I B E R T : Finnland zur Zeit Kaiser Nikolaus I. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. 5 (1940). S. 142ff.; H. W U O R I N E N : Nationalism in modern Finland. New York 1931; vgl. auch den Aufsatz von P. Renvall in diesem Bande; Zur slowakischen Entwicklung vgl. das entsprechende Kapitel bei R. A. K A N N : Das Nationalitätenproblem in der Habsburgermonarchie. I. Graz 2 1964; L. v. G O G O L Ä K : Beiträge zur Geschichte des slowakischen Volkes. I. Die Nationswerdung der Slowaken und die Anfänge der tschechoslowakischen Frage (1526-1790). II. Die slowakische nationale Frage in der Reformepoche Ungarns (1790-1848). München 1963, 1969; zum estnischen Erwachen H. KRUUS: Grundriß der Geschichte des estnischen Volkes. Tartu 1 9 3 2 ; H. R O S E N T H A L : Kulturbestrebungen des estnischen Volkes während eines Menschenalters ( 1 8 6 9 - 1 8 9 0 ) . Reval 1 9 1 2 ; E. U U S T A L U : The History of Estonian People. London 1952;

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3. Die Komparationssonde. Wir fragen nicht nur warum, sondern auch, unter welchen konkreten Bedingungen sich bei den kleinen Nationen der Weg von den objektiven gesellschaftlichen Prozessen zu der nationalen Bewußtseinsbildung verwirklicht hat. Unsere Komparationssonde sollte also in diesem Zwischenraum, in dem sich die Interaktion zwischen dem gesellschaftlichen Sein und der national gesinnten Geisteswelt verwirklichte, gesucht werden. In dieser Richtung liegen zwei konkrete Forschungsvorhaben als möglicher Weg zur Komparationssonde vor uns, beide bisher vernachlässigt: a) eine tiefgreifende soziale Interpretation eines der wesentlichen Inhalte des Nationalprogramms und des nationalen Denkens im breitesten Sinne des Wortes; also nicht nur der ausgewählten Spitzenleistungen des Geistes (z.B. ausgehend von den Programmen der nationalen Vereine, die dann vergleichend zu betrachten wären); b) eine konkrete quantitative Erforschung der biographischen Angaben der Patrioten; in jenem erwähnten Zwischenraum zwischen dem Wandel der Gesellschaft und dem Sich-Bewußtwerden als Nation lebten und wirkten Menschen, die sich zu Trägern der nationalen Agitation emporgearbeitet haben. Wer waren diese Menschen, wie sahen ihre Lebenserfahrungen, ihre sozialen Interessen bzw. ihre Erziehung aus? Es liegt außerhalb der Kräfte eines einzelnen, beide Vorhaben durchzuführen. Die Beschränkung auf eine einzige (meistens die eigene) Nation hat sich jedoch als ungünstig erwiesen, wenn wir nach dem Verhältnis zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen fragen wollen. Als den gegebenenfalls günstigsten Ausgangspunkt für die hier analysierte Problematik habe ich den zweiten Vorgang gewählt, wobei ich nicht behaupten will, daß es der einzig richtige Weg zur Erkenntnis ist. Eine reflektierte Einseitigkeit ist aber - besonders für den komparativen Vorgang - viel fruchtbarer als eine angestrebte Allseitigkeit, die noch dazu immer nur fiktiv zu bleiben droht. Daher besteht also meine Komparationssonde in der Suche danach, welche soziale Gruppen sich am stärksten bzw. am schwächsten an der nationalen Bewegung der Phase B beteiligt haben und unter welchen sozialen Schichten sich die nationale Agitation dieser Phase am schnellsten verbreitet hat; das alles mit dem weiteren Ziel festzustellen, welche sozialen bzw. wirtschaftlichen Kräfte integrierend und welche national desintegrierend gewirkt haben. Das konkrete faktographische Material wurde durch die biographische und soziale Identifizierung der Patriotengruppen bei den einzelnen nationalen Bewegungen zusammengebracht. Dabei habe ich es für wichtiger gehalten, das Maximum an Personen mit elementaren biographischen Angaben zu suchen zum litauischen Erwachen V. K A U P A S : Die Presse Litauens, unter Berücksichtigung des nationalen Gedankens und der öffentlichen Meinung. I. Klaipéda 1934; A . BEZZENBERGER : Der Werdegang des litauischen Volkes. In: Vierteljahrschrift für Sozialund Wirtschaftsgeschichte. 13 (1916). S. 1 ff.; K. J. CEGINSKAS: Die Russifizierung und ihre Folgen in Litauen unter zaristischer Herrschaft. In: Commentationes Balticae. 6/7 (1959). S . lff. u. 85ff.; C . R . J U R G E L A : History of Lithunian Nation. New York 1948; M. H E L L MANN: Grundzüge der Geschichte Litauens und des litauischen Volkes. Darmstadt 1966.

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und nicht etwa die maximale Ausführlichkeit der biographischen Angaben bei einigen ganz wenigen Spitzenpersönlichkeiten anzustreben. Ich habe mich auf drei Angaben bei der Identifizierung jedes Patrioten konzentriert: 1. seine soziale Angehörigkeit (auch ihre Entwicklung), 2. die soziale Herkunft und der Bildungsweg, 3. die teritoriale Charakteristik: die Wirkungsorte des Patrioten und sein Geburtsort (bzw. auch der Ort, wo er aufgewachsen ist). Als »Patrioten«, d. h. aktive Teilnehmer der Nationalbewegung habe ich solche Individuen betrachtet, die sich bewußt, aus eigener Entscheidung und dauernd der Tätigkeit zur Unterstützung nationaler Interessen gewidmet haben und die Verbreitung des Nationalbewußtseins auf direkte oder indirekte Weise zielbewußt unterstützten. Dabei ist die objektive Effektivität dieser Tätigkeit nicht so wichtig wie die subjektiv aufgewandte Energie, Ausmaß des persönlichen Opfers. Es wurden also die Mitglieder der patriotischen Vereine, Mitarbeiter der patriotischen Zeitschriften und ihre Abonnenten gesucht, weiter auch die Spender für patriotische Zwecke, national gesinnte Schriftsteller, Journalisten, Künstler usw. 7 Die Anzahl der auf diesem Wege identifizierten 7

Mehr illustrativ als mit Anspruch auf eine umfangreiche Ausführlichkeit möchte ich hier einige Beispiele der zu diesem Zweck benutzten Quellen zitieren: Böhmen: Mitgliederverzeichnisse der Matice Ceska (die zentrale Organisation für die Herausgabe der tschechischen patriotischen Bücher), Verzeichnisse der Spender für die Matice; beides publiziert im Casopis teskeho Museum; die Spender für die Sammlungen für eine tschechische Industrieschule. Zur Identifizierung der Herkunft der patriotischen Intelligenz wurden die Studentenmatrikel (bzw. Prüfungsprotokolle) im Archiv der Karlsuniversität Prag benutzt. Für Norwegen kann man größtenteils die schon durchgeführten Untersuchungen als Unterlage benutzen: The Professions in Norwegian Social Structure. II. Oslo 1962; W . MUNTHE: Fedrenepä Eidsvold. In: Norsk slektshistorisk tidsskrift.10 (1936). S.295 ff. ¡D.MANNSÄKER: Det norske presteskapet i det 19 ärhundret [Die norwegische Priesterschaft im 19. Jahrhundert], Oslo 1954; H. PALMSTR0M: Om en befolkningsgruppes utvikling gjennem de siste 100 är [Zur Entwicklung einer Bevölkerungsgruppe während der letzten 100 Jahre]. In: Statsokonomisk tidsskrift. 49 (1935). S. 161 ff.; Bedomelse over Kongeriket Norges . . . Stortings-Personale [Beurteilung der Mitglieder des Stortings im Königreich Norwegen]. In: Statsborgeren. 16 (1834/35). Finnland'. Förteckning öfver Finska Litteratur-Sällskapets i Helsingfors Ledamöter ifrän dess stifteise intill den lö.Mars 1856 [Verzeichnis der Mitglieder der Finnischen Literaturgesellschaft in H. von ihrer Gründung bis zum 16. 3. 1856]. Helsingfors 1856; die Tabellen und Verzeichnisse bei P. TOMMILA: Suomen lehdistön levikki ennen vuotta 1860 [Die Abonnenten der finnischen Zeitschriften bis zum Jahre 1860], Porvoo u. Helsinki 1963; biographische Angaben der führenden Patrioten u. a. nach Finsk biografisk Händbok. Helsinki 1903; die soziale Herkunft der Intelligenz aufgrund der Studentenmatrikel: A b o Akademis Studentmatrikel (Hrsg.: V. Lagus). II. Helsingfors 1895; Helsingfors Universitets Studentmatrikel 1820-1852 (Hrsg.: T. Carpelan). Helsinki 1928-30. Angaben für die slowakischen Patrioten konnte ich aus der bisher nur zum Teil gedruckten Arbeit von J . HUCKO schöpfen: Sociälne zlozenie a povod slovenskej obrodenskej inteligencie [Die soziale Zusammensetzung und Herkunft der slowakischen patriotischen Intelligenz], Maschinenschriftliches Manuskript. Bratislava 1966.

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Patrioten bewegt sich bei den einzelnen untersuchten Nationen zwischen 230 (Litauer) und über 2000 (Tschechen) ; wir dürfen annehmen, daß wir bei jeder nationalen Bewegung ein repräsentatives »Muster«, eine repräsentative Auswahl ihrer Träger gewonnen haben. Dabei ist die Charakteristik aller Gruppenmitglieder soweit homogen, daß eine Quantifizierung erlaubt ist. *

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Die quantitative statistische Bearbeitung der Patriotengruppen hat einen Reichtum an Angaben erbracht, die nicht nur einen faktographischen Wert an sich darstellen; sie dienen auch als Unterlage für eine komparative soziale Interpretierung, natürlich kombiniert mit anderen Angaben über den sozialen Charakter der Nationalbewegung und des nationalen Programms. Wir dürfen also die Resultate der quantitativen Analyse und der Komparation in drei Ebenen zusammenfassen. In der ersten Ebene finden wir die einfache Feststellung, wie die soziale Zusammensetzung der patriotischen Gruppen, ihre territoriale Gliederung und soziale Herkunft ausgesehen hat. Wir könnten daher die Besonderheiten der einzelnen nationalen Bewegungen von ihrer sozialen Unterlage her charakterisieren8. Diese quantitativen Angaben betrachten wir als signifikant, wir wollen sie nicht verabsolutieren. Sie sind jedoch der Ausgangspunkt, von dem aus wir zu der eigentlichen Komparation gelangen, die zuerst nach der Rolle der einzelnen sozialen Gruppen in der Nationalbewegung fragt; hier sehen wir die zweite Ebene unserer Resultate, die wir ausführlicher behandeln möchten. Flämische Bewegung : Verzeichnisse der Mitglieder patriotischer Vereine, besonders : Verslagen van den toestand en de werksamheten van het Tael- en Letteren-Genootschap Met Tijt en Vlijt 1855-1858,1864/65,1867/68. Willems-Fonds ; Verslag over de Werkzamheden van het bestuer gedurende het jaar 1852, 1856, 1861, 1865, 1869; Naamlijst der Leden van der Nederduitsche Bond Antwerpen. In : Archief voor het Vlaamse Cultuurleven. Die estnische Bewegung wurde in ihrer sozialen und auch territorialen Zusammensetzung aufgrund der Abonnenten und Mitarbeiter der zentralen patriotischen Zeitschrift Sakala mehrmals untersucht: E A J A N S E N : Rahva poliitilisest ja kultuurilisest aktiivsusest Eestis aastail 1878-1882 [Zur Frage der politischen und kulturellen Aktivität des estnischen Volkes in den Jahren 1878-1882], In: Eesti NSV Teaduste Akadecmia Toimctiscd. 12 (1963). S. 365ff.; DIES.: »Sakala« kaastööliste sotsiaalsest ja kutselisest jagunemisest [Die soziale und professionelle Gliederung der Mitarbeiter der Zeitung »Sakala«]. Ebenda. 14 (1965). S. 435ff.; M. KAHU: C. R. Jakobsoni »Sakala« levikust [Zur Verbreitung von C. R. Jakobsons Zeitung »Sakala«]. In: Keel ja Kitjandus. 1964. S. 138ff. u. S. 411ff. Litauen', als Kern der Patriotengruppe wurden die Mitarbeiter und Korrespondenten der Zeitschrift Ausra identifiziert und die Gruppe aufgrund der Angaben in der Lietuviii Encyklopedija ergänzt; dort auch die Angaben zum Geburtsort. 8

Die quantitativen Resultate dieser Untersuchung werden hier nicht dargestellt; vgl. dazu M. H R O C H : Die Vorkämpfer der nationalen Bewegung bei den kleinen Völkern Europas. Eine komparative Untersuchung der sozialen Zusammensetzung der patriotischen Gruppen. (Acta Universitatis Carolinae. Monographia. XXIV.) Praha 1968, bes. Kap. II.

128

Vor allem sei eine wichtige negative Feststellung erwähnt: der Vergleich 80 hat ge2eigt, daß keine der Berufsgruppen in der sozialen Zusammensetzung der Patriotenschicht einen ständigen Platz einnahm, die bei allen kleinen Nationen gleich bedeutend wäre. Dazu zwei positiv formulierbare Verallgemeinerungen : a) die weitaus stärkste Komponente jedes Erwachens kleiner Nationen waren Mitglieder der Intelligenz, unter der ich nicht nur die akademisch Gebildeten, sondern alle diejenigen verstehe, die von geistiger Arbeit lebten (also auch die kleinen Beamten, Lehrer, Priester); b) das relativ regste Interesse an der nationalen Bewegung fanden wir insbesondere in den am höchsten gestellten Gruppen, die noch in der typischen sozialen Zusammensetzung der kleinen Nation in der Phase B vertreten waren; oder mit anderen Worten: dieses regste Interesse verlief dicht unter der oberen Grenze der wiederholt erreichbaren sozialen Aufstiegsmöglichkeiten, welche sich den Mitgliedern der gegebenen Nation eröffneten. 8a So2iale Zusammensetzung Tendenz stark Tschechen

Slowaken

Litauer

Esten

Finnen

Norweger

Flamen

Soziale Abstammung Beteiligung

mittel

gering

stark

mittel

gering

steigend

Studenten Beamte

Kleinbürger

Lehrer

Bauern Beamte

freie Berufe Arbeiter

sinkend

kath. Geistliche

freie Berufe

Adel

Kleinbürger

Lehrer

steigend

Lehrer Studenten

Bauern

Kleinbürger

ev. Geistliche Bauern

Lehrer

sinkend

ev. Geistliche

kath. Geistliche

freie Berufe

Kleinbürger

steigend

Studenten freie Berufe

Bauern

sinkend

kath. Geistliche

Gymnasiallehrer

Kleinbürger Beamte

steigend

Bauern

Kleinbürger

Studenten Gymnasiallehrer

sinkend

Lehrer

Beamte

steigend

Studenten

Gymnasiallehrer

sinkend

Beamte

ev. Geistliche Adel freie Berufe

steigend

Bourgeoisie

Bauern Studenten

Kleinbürger

Bourgeoisie

Kleinbürger

sinkend

Beamte

freie Berufe

Offiziere

Beamte

er. Geistliche Bauern Arbeiter

steigend

Beamte

Lehrer Bourgeoisie

sinkend

freie Berufe Studenten

kath. Geistliche

Bauern

Dorfbewohner Kleinbürger

Beamte

Kleinbürger

freie Berufe Arbeiter Bauern

ev. Geistliche Offiziere

Stadtbewohner

129

Dies sind jedoch allzu allgemeine Thesen, die wenigstens zur besseren Verständigung durch einige konkrete Angaben zur Rolle einzelner sozialer Gruppen ergänzt werden. Zu den wichtigsten negativen Teilergebnissen unserer Untersuchung gehört die Feststellung, daß die Bourgeoisie (als neue Klasse, gekennzeichnet durch ein neues Verhältnis zum Eigentum der Produktionsmittel, sei es in der Beteiligung an der industriellen Gesellschaft in der Produktion, in Handel, Finanzen oder Transport) keinen bemerkenswerten Anteil in der Phase B der nationalen Bewegungen, die wir verfolgt haben, aufweisen kann. Die einzige Ausnahme bildet hier die norwegische Handelsbourgeoisie. Dagegen finden wir in den meisten dieser Bewegungen das Kleinbürgertum mehr oder weniger stark vertreten. Auch wenn sein Anteil perzentuell nicht sehr hoch gewesen ist, bestand seine Bedeutung besonders darin, daß es potentiell einer der wichtigsten Träger des integralen Nationalismus werden sollte (in der Phase C und später) und auch für die spätere Zeit eine der wichtigen Quellen der nationalen Bourgeoisie wurde. Die Beteiligung des Bauerntums war in der Phase B bei verschiedenen Nationen sehr unterschiedlich; dort, wo die Phase B später einsetzte, war diese Beteiligung viel größer. Die nationale Agitation fand eine breitere Aufnahme unter den Bauern erst dort, wo die Leibeigenschaft und feudale Abhängigkeitsverhältnisse im wesentlichen abgeschafft worden waren. Die Beteiligung einzelner Berufsgruppen in der Phase B bietet viel Material auch für die Bedeutung institutioneller Umwandlungen an der Schwelle des industriellen Zeitalters. Wir können aber an dieser Stelle diese Ebene unserer Resultate nicht weiterverfolgen und wollen unsere Aufmerksamkeit auf die dritte Ebene konzentrieren. Hier stellen wir uns die Frage, wie sich die einzelnen Elemente der sozialen Struktur an dem Integrierungsprozeß der kleinen Nationen als funktionierende Strukturelemente beteiligt haben. Gerade diese Sphäre bietet nämlich die entscheidenden Ausgangspunkte zu der eigentlichen Verallgemeinerung aufgrund der durchgeführten Komparation. Auch hier bleibt natürlich unser Ausgangspunkt die quantitative Analyse und ihre Resultate, wobei jedoch die konkreten quantitativen Angaben immer mehr als signifikante Angabe, Symbole der national relevanten sozialen Beziehungen gelten. Wenden wir zuerst unsere Aufmerksamkeit einigen Grundproportionen des sozialen Lebens in der Phase B der Nationalbewegung zu; nehmen wir zuerst das Verhältnis Stadt-Land in der Phase B! Wir hörten gerade, daß die Bauern erst relativ spät in der nationalen Bewegung auftauchen. Nun, wie war die Bedeutung der ländlichen Bevölkerung im Vergleich mit der Bedeutung der städtischen? In den meisten nationalen Bewegungen der von uns analysierten Patriotengruppen beteiligten sich die Städte relativ viel stärker als das Land (»relativ« heißt hier verglichen mit der Proportion der städtischen Bevölkerung innerhalb der gesamten Mitglieder der kleinen Nation). Die Städte waren dabei nicht nur Organisationszentren, sondern meist auch echte Keime des nationalen Erwachens. Auch wenn die quantitativen Angaben schwanken, befindet sich der Prozentsatz der in den Städten wirkenden (oder aus den Städten kommenden) Patrioten meist hoch über dem Prozentsatz der städtischen Bevölkerung unter den Mitgliedern kleiner Nationen. Die Unterschiede in der quantitativen 130

Beteiligung der städtischen Patrioten 2eigen eine eindeutige Korrelation mit der Stelle der Phase B an der chronologischen Achse. 1820 Norweger Tschechen Finnen Slowaken Flamen Esten Litauer Weißrussen

1840

1860

1880

1900

Phase B: Übergewicht der Städte Phase B: Übergewicht der Städte Phase B: wichtiger Anteil der Stadt Phase B: wichtiger Anteil der Stadt Phase B: Ubergewicht der Städte Phase B: Übergewicht des Landes, teilweise der Stadt Phase B: Übergewicht der Landbevölkerung Phase B: Übergewicht der Landbevölkerung

Neben der allgemeinen wirtschaftlichen Dynamik der einzelnen Gebiete war natürlich entscheidend, inwiefern unter den Stadtbewohnern überhaupt Mitglieder der kleinen Nation (im ethnischen Sinne) vertreten waren bzw. inwiefern diese Leute überhaupt ihre ethnische Zugehörigkeit nach der Ankunft in der Stadt konserviert haben. Inwiefern hat sich in der Phase B das Generationsproblem gezeigt? Im Sinne ihres geistigen Inhalts war natürlich die Nationalbewegung eine junge Bewegung. Aber auch die quantitativen Angaben signifizieren die Bedeutung der jungen Generation: allgemein ist die Beteiligung junger Leute gestiegen (sofern wir die Angaben auffinden konnten); an allen untersuchten patriotischen Gruppen der Phase B beteiligte sich die Jugend (d. h. die etwa 18- bis 28jährigen) perzentuell stärker, als es dem perzentuellen Anteil dieser Altersgruppe in der ganzen Gesellschaft entsprechen würde; soweit die quantitativen Angaben vorhanden sind, zeigte sich allgemein eine Steigerung des Anteils der jungen Generation, und Hand in Hand damit ging die nationale Radikalisierung; wir können hier jedoch nur eine zeitliche Parallelität, also keinen kausalen Zusammenhang festlegen. Die für das nationale Bewußtwerden relevanten sozialen Bedingungen lassen sich längst nicht auf die soziale Stellung und den Beruf des einzelnen beschränken. Man muß auch nach dem Milieu fragen, in dem er aufgewachsen ist, nach seinem Elternhaus, nach seiner sozialen Herkunft. Dies läßt sich zwar nur mühsam feststellen, bleibt meistens auf die Patrioten beschränkt, die eine höhere Schule absolviert haben, und muß sich manchmal mit ganz allgemeinen, nicht in Zahlen und Prozentsätzen auszudrückenden Größen begnügen. Doch hat dies gut zu interpretierende Resultate erbracht. Den großen Unterschieden in der sozialen Zusammensetzung entsprechen auch große Unterschiede in der sozialen Herkunft patriotischer Gruppen der kleinen Nationen. Mehr als die Hälfte der tschechischen Patrioten stammte aus dem Kleinbürgertum (Handwerker, kleine Gewerbetreibende), etwa die Hälfte der slowakischen patriotischen Intelligenz stammte auch aus dieser Gruppe, doch es handelte sich im höheren Maße als bei den Tschechen um Dorfhandwerker. Von den norwegischen Patrioten stammte etwa 20% aus den Reihen der Bourgeoisie (Handels131

und Reedereiunternehmer, 2um Teil auch Industrie), weitere 3 0 % aus dem Kleinbürgertum; fast ausschließlich handelte es sich dabei um die Herkunft aus den Städten. Unter den ersten Generationen finnischer Patrioten finden wir dagegen überwiegend Söhne der Intelligenz (Beamte, Geistlichkeit), während etwa 2 0 % aus dem Bürgertum und Kleinbürgertum und bloß 5 % aus dem Bauerntum stammten. Die meisten Patrioten sind in der Stadt geboren oder wenigstens aufgewachsen. Dagegen stammten die estnischen und besonders dann die litauischen und weißrussischen Patrioten aus dem Dorfe; bei den litauischen Patrioten machte die Anzahl der in den Städten und Kleinstädten geborenen nicht einmal 5 % aller Patrioten aus. Diese Feststellung berechtigt uns zu einer allgemeinen Aussage: je später die Nationalbewegung kleiner Nationen einsetzte, desto stärker waren in ihr die Bauern- bzw. Dorfkinder vertreten. Diese Aussage kann natürlich bei dem gegenwärtigen Stand der Erforschung keinen Anspruch auf gesamteuropäische Gültigkeit machen. Unsere Generalisierung darf aber wohl doch soweit gehen, daß wir folgende Hypothese äußern: dort, wo die Mittelschicht der alten Gesellschaft am Ende der feudalen Epoche noch eine gewisse Aufstiegsmöglichkeit erreichte - soweit sie natürlich noch oder schon ethnisch zu der kleinen Nation gehörte - , dort setzte sich die nationale Bewegung, das wertbezogene Nationalbewußtsein früher durch. Neben der sozialen Abstammung sind die Faktoren, die das nationale Denken beeinflußt haben konnten, auch in den territorialen Besonderheiten innerhalb eines und desselben »nationalen« (d. h. von dem Ethnikum der zukünftigen kleinen Nation bewohnten) Gebietes zu suchen. Ich habe bei den Tschechen, Litauern, Esten, Finnen und Flamen die Verteilung der Wirkungsund Geburtsorte der Patrioten der Phase B innerhalb dieses »nationalen« Territoriums untersuchen können. Die Resultate der Untersuchung, projiziert auf eine Landkarte, haben gezeigt, daß: 1. die Intensität der nationalen Bewegung bei jeder der fünf untersuchten Nationen sehr unregelmäßig auf ihren Territorien verteilt war; 2. diese Ungleichmäßigkeit ein sinnvolles bzw. sinnversprechendes Bild gibt: in allen Fällen darf man einen relativ kleinen, kompakten Raum mit einem intensiveren nationalen Interesse von einem größeren Raum mit mäßigem bzw. geringem Interesse unterscheiden. Beides berechtigt uns also zur Frage, durch welche objektiv feststellbaren Besonderheiten sich diese Territorien mit unterschiedlicher Aktivität ausgezeichnet haben. Es wurden einige Angaben in die betreffenden Karten eingetragen, Angaben über Zustände, die nicht unmittelbar mit der nationalen Agitation verbunden waren: die territoriale Verteilung der Industrie, der handwerklichen Produktion, der Marktbeziehungen, Zustände der Landwirtschaft, Bevölkerungsdichte, sprachliche (bzw. ethnische) Reinheit des Gebietes, die Intensität der Schulbildung, verbunden mit der Dichte der Volksschulen, die Sprachund Verwaltungsgrenzen. Bei einigen dieser Angaben haben sich eindeutig negative Resultate gezeigt, d. h. die Entwicklung der Nationalbewegung stimmte mit diesen territorialen Angaben nicht überein (z. B. die Sprachgrenze, 132

die sprachliche Reinheit des Territoriums, Verteilung der neuen Zentren der industriellen Revolution, die Bevölkerungsdichte). Die Konfrontierung mit einigen anderen Angaben hat dagegen ziemlich überzeugende Korrelationen gezeigt, so daß wir für die national intensiven Gebiete bei den verfolgten fünf Nationen folgende allgemeine Charakteristika konstatieren dürfen 9 : 1. die Gebiete mit einem dichteren Schulnetz oder einer besseren Schulbildung (einer besseren Möglichkeit des Schulbesuches) waren in der Regel national aktiver; 2. auch wenn das national aktive Gebiet nicht oder nur zu einem geringen Teil mit dem Gebiete der industriellen Revolution identisch gewesen ist, handelte es sich doch um Gebiete mit einer überdurchschnittlichen Dichte der handwerklichen Kleinproduktion für den Markt; 3. das national aktive Gebiet lag zum größeren Teil oder ganz in dem relativ fruchtbarsten Teile des nationalen Territoriums, sei es dank der Getreideproduktion für den Markt, sei es dank der Produktion der Industriepflanzen; 4. es handelte sich um Gebiete mit einer regelmäßigen landwirtschaftlichen Produktion für den Lokalmarkt, eventuell auch für die entfernteren Märkte (hier darf man von einem indirekten Einfluß der Gebiete der Industrierevolution reden) und allgemein mit stärkeren Handels- und Verkehrsbeziehungen. Die national aktiveren Gebiete waren also von den großen Erscheinungen der gesellschaftlichen Umgestaltung berührt, doch waren sie nicht die wichtigsten Träger dieser Umgestaltung. Die hier vorgelegte Korrelation kann auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden: die national aktiveren Gebiete waren jene, wo sich die Kommunikation und horizontale soziale Mobilität stärker entwickelt hat. Damit werden zwei neue Erscheinungen in unsere Untersuchung gebracht, die als Faktoren der sozialen Bedingung der nationalen Bewegungen näher analysiert werden sollten. Untersuchen wir also die Patriotengruppen der Phase B von dem Standpunkt ihrer sozialen Mobilität und ihrer Stellung in der sozialen Kommunikation! Gehörten die Patrioten zu den relativ mobileren und stärker kommunizierten sozialen Gruppen? Wenn wir uns diese Frage für die soziale Mobilität stellen, dann müssen wir zuerst eine Differenzierung dieses Kriteriums unternehmen. Man unterscheidet nämlich zwischen der horizontalen (geographischen) und vertikalen Mobilität, und innerhalb beider Kategorien fragt man dann nach der Intragenerationsmobilität (innerhalb einer Generation) und Inter-Generationen-Mobilität 10 . Ganz eindeutig sind die Resultate in der horizontalen Intragenerationsmobilität: die Gruppen, deren Mitglieder sich am stärksten an der nationalen Aktivität beteiligt haben, gehörten innerhalb der gegebenen sozialen Struktur der ganzen Gesellschaft zu den geographisch mobileren sozialen Gruppen. Dies entspricht schon jener Tatsache, daß sich unter den Vorkämpfern der nationalen Bewe9 10

Die Karten vgl. ebenda, S. 69, 79, 93, 109 und 115. Terminologie vgl.: Soziologie (Das Fischer Lexikon). Hrsg. R. König. Frankfurt 1958. S. 206 ff.

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gung besonders stark die Intelligenz beteiligte. Schon das Studium und die Laufbahn eines Priesters, Beamten, Gymnasialprofessors usw. bedingt hier die Mobilität. Bei der horizontalen Inter-Generationen-Mobilität ist das Bild etwas nuancierter. Auch hier finden wir unter den Patrioten überwiegend Leute, die aus ihrem Geburtsort weggegangen sind, die anderswo wirkten als ihre Eltern; doch ist dieses Übergewicht bei den finnischen Patrioten nicht so stark wie in dem Falle der Intragenerationsmobilität, und bei den norwegischen und estnischen Patrioten fragen wir, ob die höhere Beteiligung der mobileren Gruppen zu beweisen ist; vorläufig kennen wir nicht Fakten genug, um dies zu entscheiden. Differenziert sieht die Lage bei der vertikalen Mobilität aus. Wenn wir die Resultate der Inter-Generationen-Mobilität mit jenen der Intragenerationsmobilität kombinieren, bekommen wir eine gewisse Polarität innerhalb der untersuchten Patriotengruppen. Mit einer gewissen Zuspitzung dürfen wir sagen, daß eine höhere vertikale Intragenerationsmobilität durch eine niedrigere Inter-Generationen-Mobilität bei derselben Patriotengruppe begleitet worden ist und umgekehrt. Daher konstruieren wir zwei Typen dieser Patriotengruppen: a) dort, wo ihre Mitglieder eine hohe Intragenerationsmobilität aufweisen (d. h. sie gehören zu Berufen mit hoher vertikaler Mobilität, mit größerem sozialen Aufstieg bzw. mit einer höheren Aufstiegsmöglichkeit), war die InterGenerationen-Mobilität niedriger (d. h. der patriotische Sohn steht öfters nicht höher als seine Eltern): norwegische, finnische, flämische Patrioten; b) andererseits war die hohe Inter-Generationen-Mobilität (d. h. wo die patriotischen Söhne in der Regel einen höheren Status als ihre Eltern erreicht haben) mit einer relativ niedrigeren Intragenerationsmobilität verbunden: die estnischen, slowakischen, weißrussischen Patrioten. Zwischen den beiden Typen liegen dann die tschechischen und die litauischen Patrioten, wo die beiden Fälle der vertikalen Mobilität zwar ziemlich hoch (d. h. höher als in beiden Extremfällen), jedoch nicht so hoch liegen wie bei den extremen oben angeführten Typen. So setzte sich also die Bedeutung der vertikalen Mobilität in der einen oder anderen Form als wichtiger Faktor der nationalen Identifizierung durch. Von den beiden Varianten der sozialen Mobilität war die horizontale näher mit der Kommunikation (als eine ihrer Bedingungen) verbunden, die vertikale spielte dagegen in der Entwicklung der für das Nationale potentiell relevanten sozialen Spannungen, Interessengegensätzen eine bedeutendere Rolle. Diesen beiden Faktoren - der Kommunikation und den für die nationalen Gegensätze relevanten Interessengegensätzen - wollen wir also in der folgenden Untersuchung einige Aufmerksamkeit widmen. Die außerordentliche Bedeutung der Kommunikation für die Formierung der modernen Nation ist keineswegs unsere Erfindung. Diesen Faktor hat schon vor Jahren Karl W. Deutsch als entscheidend betrachtet 11 . Er hat seine 11

K. W . DEUTSCH : Nationalism and Social Communication. A n Inquiry into the Foundations of Nationality. Cambridge (Mass.) 1953.

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These mit so überzeugender Argumentierung belegt, daß wir die Bedeutung der Kommunikation für die nationale Entwicklung wohl ohne weitere Ausführungen annehmen dürfen. Dies entbindet uns jedoch nicht von der Aufgabe, den Stellenwert der Kommunikation unter anderen objektiven Bedingungen zu untersuchen. Von den Resultaten dieser Untersuchung konzentrieren wir uns auf diejenigen, die sich aus der Analyse der Kommunikationsstufe unserer Patriotengruppen ergeben haben. Für die Bestimmung dieser Stufe übernehmen wir die Kriterien der Kommunikation, die Deutsch ausgearbeitet hat 12 . Als diese Kriterien auf die soziale Zusammensetzung einzelner Patriotengruppen der Phase B angewandt worden sind, hat sich ein eindeutiges Grundresultat gezeigt: die Patrioten aller untersuchten kleinen Nationen gehörten überwiegend zu jenen Gruppen, die innerhalb ihrer ethnischen Umgebung am stärksten kommuniziert waren. Dieses Resultat entspricht also unserer Charakteristik der territorialen Gliederung der nationalen Bewegung. Dagegen müssen wir feststellen, daß in der sozialen Herkunft das Bild anders aussieht: die Patrioten stammten bei den meisten Nationen (mit Ausnahme der Norweger, Finnen und Flamen) aus den relativ schwächer kommunizierten Schichten der Bevölkerung. Territorial gesehen stammten sie jedoch innerhalb dieser schwächer kommunizierten Gruppen aus demjenigen Teile ihrer Mitglieder, der auf einem Gebiet lebte, wo die Kommunikation und horizontale soziale Mobilität höher war als anderswo innerhalb des von der kleinen Nation bewohnten Gebietes. Unsere Untersuchung hat also - mit allen oben erwähnten Vorbehalten — die Bedeutung der Kommunikation und der sozialen Mobilität als national integrierende Faktoren bewiesen. Diese Feststellung bleibt jedoch eine Arbeitshypothese und muß noch weiter nachgeprüft werden. Sie ist zuerst von der negativen Seite auf ihre Stichhaltigkeit hin nachzuprüfen. Wie war die nationale Aktivierung in jenen Gebieten, wo sich die Kommunikation und soziale Mobilität extrem niedrig entwickelt hat? Für die Beantwortung dieser Frage stellt sich uns ein »Laborfall« zur Verfügung - die Entwicklung in Polesien. Als der polnische Staat im Jahre 1919 im Rahmen der Volkszählung nach der nationalen Zugehörigkeit gefragt hat, antworteten mehr als 700000 Einwohner in Polesien im damaligen polnischen Osten (seit 1939 Westteil der UdSSR), daß sie »tutejsi« (die Hiesigen) sind. Dies wiederholte sich nochmals im Jahre 1931, also zu der Zeit, wo sich fast ganz Europa im fieberhaften Rausch des Nationalismus befand. Die »tutejsi« sprachen zwar weißrussische Dialekte und waren sich ihrer religiösen Angehörigkeit bewußt, ihr Nationalbewußtsein bewegte sich jedoch um Null. Es handelte sich insbesondere um die Dorfbevölkerung (die meisten Bewohner der Städte haben ihre Nationalität identifiziert), und wir dürfen wohl mit Recht voraussetzen, daß der Grad ihres Nationalbewußtseins im 19. Jahrhundert nicht höher gewesen ist und daß es sich im Gegenteil um ein Relikt der Stellungnahme handelt, die wir für die vorkapitalistische (und sogar vielleicht noch frühkapitalistische) Zeit als charakteristisch auch für viele andere Gebiete betrachten dürfen, besonders für jene, die wir als national passiv erkannt haben. Wenn wir nach der Lage der 12

»Mobilizcd population« vgl. ebenda, S. 100.

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sozialen Mobilität und Kommunikation in diesem Raum fragen, dann stellen wir fest, 1. daß es sich um ein Gebiet handelt, wo die Marktbeziehungen zwischen Dorf und Stadt sehr locker gewesen sind (und dazu noch durch den jüdischen Zwischenhandel vermittelt, so daß der kleine Bauer kaum Grund hatte, die Stadt regelmäßig zu besuchen); 2. daß das Verkehrsnetz noch im 20. Jahrhundert am dünnsten von ganz Polen gewesen ist; 3. daß die Naturalwirtschaft und die Autarkie des Dorfes noch im 20. Jahrhundert überwiegen; 4. daß der Anteil der Lese- und Schreibkundigen unter den Dorfbewohnern noch um 1900 auch im Vergleich mit anderen weißrussischen Gebieten außerordentlich niedrig war (um 30 %) 13 . Der negative Labor-Fall bestätigt also unsere Hypothese von der entscheidenden Bedeutung der Kommunikation und sozialen Mobilität. Wir müssen bei der Nachprüfung jedoch auch von dem anderen Extrem aus fragen, wie sich die nationale Entwicklung bei einer besonders starken sozialen Mobilität und Kommunikation gestaltet hat. Dafür wollen wir zwei Beispiele kurz erwähnen, die allgemein bekannter sind als der Fall der »tutejsi«. Die industrielle Revolution hat sich in Großbritannien besonders früh und stark u. a. im südlichen Wales durchgesetzt. Die gesellschaftliche Umgestaltung ging hier unvergleichlich schneller vor sich als etwa in Böhmen. Zugleich war hier das politische Leben viel aktiver. Wie hat sich dies auf der nationalen Ebene ausgewirkt? Als die nationale Bewegung in Wales kurz vor der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte, war der Süden zum großen Teil für sie so gut wie verloren. Die hohe soziale Mobilität und Kommunikation haben hier als desintegrierende Faktoren für die nationale Entwicklung gewirkt. Einen ähnlichen Zusammenhang zwischen den beiden Erscheinungen dürfen wir wohl auch für die flämische Bewegung in dem wirtschaftlich und politisch hoch entwickelten Belgien voraussetzen. Unsere Vorstellung von den integrierenden Kräften der Nationalbewegung kann sich also nicht nur auf die soziale Mobilität und die Kommunikation beschränken. Wir müssen noch in unser Modell der objektiven Voraussetzungen für die Entstehung moderner Nationen einen weiteren Bestandteil einfügen: den Interessengegensatz und im Zusammenhang damit den (national relevanten) Inhalt der Kommunikation. Auch der Interessengegensatz, der uns interessiert, ist ein national relevanter; er ist der Gegensatz, der in der Phase B mit einem sprachlichen bzw. ethnischen, ja sogar religiösen Unterschied zusammenfiel. Durch Zusammenfallen hat sich dann der sprachliche Unterschied erst in einen sprachlichen »Gegensatz« umgeformt. Dieser Faktor hängt natürlich 13

Über die »tutejsi« vgl. M. B. DOVNAR-ZAPOLSKIJ : Narodnoje chozjajstvo Belorussii 1 8 6 1 - 1 9 1 4 [Die N a t i o n a l w i r t s c h a f t v o n W e i ß r u ß l a n d 1 8 6 1 - 1 9 1 4 ] , M i n s k 1 9 2 6 ; M . BÜR-

GENER: Pripet-Polessie. In: Petermanns Mitteilungen. Ergänzungsheft 237. Gotha 1939. S. 1 0 7 f f . u . 119FF.; J . TOMASZEWSKI: Z d z i e j ö w Polesia 1 9 2 1 - 1 9 3 9 [ A u s d e r G e s c h i c h t e d e s

Polessie-Gebiets]. Warszawa 1963. S. 70FF.

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mit den beiden objektiven Faktoren, mit denen wir uns beschäftigt haben, eng zusammen; denn wir fragen, welche Wertattribute, welches Bewußtsein von den Gegensätzen und Interessenunterschieden durch die Kommunikation (und wie intensiv) vermittelt werden. Wir fragen auch, welche neue Interessengegensätze durch die soziale Mobilität und ihre Wandlungen geschaffen, eventuell verschärft werden. Von den Klassengegensätzen ist für die nationale Bewegung der Phase B der kleinen Nationen nicht viel auszusagen. Der sich neu anbahnende Konflikt zwischen dem Arbeiter und der industriellen Bourgeoisie fiel zwar zum Teil mit dem sprachlichen Unterschied zusammen, wurde aber in dieser Phase noch zu keinem national relevanten Interessengegensatz. Der im Elend und ohne Bildung lebende Arbeiter hatte für das Nationale noch nicht viel übrig. Ähnliches gilt auch von dem anderen zentralen Klassengegensatz: dem Gegensatz zwischen dem Bauern und dem alten Adelsherren, dem Gutsbesitzer. Auch wenn im sozialen Bereich dieser Konflikt nicht zu unterschätzen ist, war seine Motivierung in der Phase B noch lange überraschend anational und hatte für das Nationale nur eine indirekte Bedeutung. Dies hat sich besonders in der Zusammensetzung der sozialen Kräfte ausgedrückt, die an der Nationalbewegung aktiv beteiligt waren. Die indirekte Bedeutung dieses Gegensatzes hat sich teils auf dem sozialen Gebiet - denken wir an die oben erwähnte Regel, daß die Phase B immer etwa eine Generation nach der Bauernbefreiung ihre ersten Schritte getan hat teils im nationalen Programm gezeigt: die meisten nationalen Programme haben sich fast überall mit der Agrarfrage sehr sorgfältig beschäftigt. Neben den Klassengegensätzen hat aber die moderne Gesellschaft eine ganze Reihe von Interessengegensätzen produziert, die oft übersehen oder in ihrer Bedeutung für die nationale Bewegung unterschätzt werden. Wir wählen hier als Beispiele zwei von ihnen aus. Der industrielle Aufschwung hat nicht nur neue spezifisch kapitalistische Klassengegensätze auf die Welt gebracht - den Gegensatz zwischen Proletariat und der Bourgeoisie sondern auch Reibungen und Gegensätze zwischen den alten und neuen gesellschaftlichen Kräften. Unter diesen Reibungen wurde bisher die nationale Relevanz des Widerspruchs zwischen der industriellen Großproduktion und der alten Kleinproduktion für den Lokalmarkt so gut wie unbeachtet gelassen. Es handelt sich dabei um den Widerspruch zwischen dem lokalen Markt einerseits und dem sich anbahnenden Großmarkt andererseits, wobei dieser Großmarkt sowie auch die Großproduktion der Industrie durch die Mitglieder der großen, herrschenden Nation beherrscht worden sind, während ein Teil der Lokalmärkte ethnisch zu der kleinen Nation gehörte. Der politische Gegensatz zwischen Provinz und dem Zentrum hat hier also eine interessante handelspolitische Analogie. Die Intensität und nationale Relevanz dieses Gegensatzes war natürlich von mehreren Faktoren abhängig: von der sozialen Zusammensetzung der zu der kleinen Nation gehörenden städtischen Bevölkerung, von dem Grade der Industrialisierung, von dem bisherigen Zustand und der Struktur der handwerklichen Kleinproduktion usw. Daher auch die Unterschiede in der Vertretung des Kleinbürgertums (und der Patrioten kleinbürgerlicher Herkunft) in den national aktiven Gruppen, die wir analysiert haben. 137

Als zweites Beispiel nennen wir den national wichtigen Interessengegensatz, der sich aus den Aufstiegsmöglichkeiten der Gebildeten ergab. Zur gesellschaftlichen Umgestaltung an der Schwelle der kapitalistischen Gesellschaft gehörte auch die Abschaffung der meisten außerökonomischen (und einiger wirtschaftlichen) Hindernisse, die den mittleren und zum Teil auch den unteren Schichten den Zugang zur höheren Bildung erschwert haben. Dadurch hat sich die Zahl der aus dem Ethnikum der kleinen Nation stammenden Gymnasiasten, Studenten und Akademiker allmählich ausgebreitet. Der Bedarf an Gebildeten ist zwar mit dem Durchbruch neuer Gesellschaftsstrukturen (in der Verwaltung, Produktion, in den freien Berufen) auch gestiegen, viel stärker jedoch in den unteren Kategorien, während die höheren Posten durch die alte - zur herrschenden Nation gehörende - Elite besetzt worden sind. Daher stand die neue Intelligenz, die aus den Mitgliedern kleiner Nationen stammte und sich nicht assimiliert hat, vor einem Hindernis, das ihren sozialen Aufstieg gebremst, erschwert hat. Die Intensität des daraus resultierenden Interessengegensatzes war wieder von mehreren Umständen abhängig; jedenfalls können wir diese Erscheinung als national irritierend bzw. mobilisierend bei den meisten hier analysierten Bewegungen kleiner Nationen aus den Quellen erfassen. Die beiden Beispiele der in ihrem nationalen Kontext bisher wenig beachteten Interessengegensätze können hier nur ganz kurz angedeutet werden. Es sollte an ihnen nur illustriert werden, welche weiteren Forschungsmöglichkeiten sich durch die quantitative Komparation der sozialen Strukturen der Nationalbewegung auf dem Wege zum allgemeinen Modell öffnen. Vorläufig bleiben wir also bei der Feststellung der integrierenden, bei jeder Nationalbewegung wirkenden Faktoren; die soziale Mobilität und die ansteigende Kommunikation (beide innerhalb der kleinen ethnischen Gruppe) haben in ihrem Aufstieg einen oder einige national relevante Antagonismen beeinflußt und diese als einen weiteren integrierenden Faktor mithineingezogen. Dies konnte nicht ohne Einfluß auf das Durchdringen der nationalen Elemente in die Kommunikationsinhalte bleiben. Je früher dieses Zusammenspiel zustande gekommen ist, desto früher setzte auch die erfolgreiche nationale Bewegung an. Abschließend sollten wir einige desintegrierende Faktoren bzw. Situationen erwähnen: 1. Die Fläche, die von den Mitgliedern der kleinen Nation bewohnt ist, hat ein allzu geringes Ausmaß; das »Minimum« der Fläche wird nicht durch die einfachen Maße beschrieben, sondern zugleich durch die ethnische, soziale und wirtschaftliche Struktur des betreffenden Gebietes bestimmt; 2. die schwache Kommunikation, allzu langsam aufsteigende soziale Mobilität (langsamer als bei der großen Nation und in der Beziehung zu ihr) und daher ein Ausbleiben der Parallele zwischen Interessengegensatz und Sprachenunterschied ; 3. die industriell unterbaute massive Kommunikation und steigende soziale Mobilität der großen Nation setzt früher ein als bei der kleinen Nation; die nationale Agitation der Patrioten, die später kommt, findet wenig Erfolg (Beispiel Wales); 138

4. wenn die neu entstehenden Interessengegensätze früher in den politischen Formen, die dann in den Inhalt der Kommunikation übergehen, ausgedrückt werden, findet die später begonnene nationale Agitation schon wenig Raum ; die Voraussetzung für eine solche Situation ist natürlich ein liberales politisches System (Beispiel: die flämische Bewegung in Belgien). * *

*

Dieser Beitrag hat sich bewußt und programmatisch nur mit einer Seite des Erwachens kleiner Nationen beschäftigt. Doch gibt es auf einer gewissen Stufe der Erforschung fast jeder Problematik Situationen, wo eine Einseitigkeit, wenn sie ihre Methoden reflektiert und ihre Grenzen anerkennt, mehr Nutzen bringen kann als eine proklamierte Vielseitigkeit, die mit allen denkbaren Faktoren arbeiten will, die alle Seiten des Lebens vergleichen will und dadurch ein ernstes Risiko eingeht, diese Faktoren durcheinanderzubringen und daher nur wenig mehr als ein Balancieren am Rande des sich selbst täuschenden Erkenntnisoptimismus vorführt. Diese Einseitigkeit war um so notwendiger, als sie zugleich auch den Bedürfnissen der komparativen Methode untergeordnet worden ist.

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Diskussion

Eugen Lemberg Das von Herrn Hroch entwickelte Schema ist sehr bestechend. Es scheint mir aber, daß es vor allem auf die in Mittel- und Ostmitteleuropa gegebene Situation zutrifft. Wenn ich aber gestern Herrn Nowlan richtig verstanden habe, so scheint es mir am irischen Modell in umgekehrter Reihenfolge zu gelten, da dort z. B. das gelehrte Interesse erst hinter C auftritt. Was macht man in einem solchen Falle? Fällt damit nicht das ganze System? Und eine andere Frage: wenn man diese Patriotengruppen nach der Häufigkeit nationalbewußter Äußerungen erfaßt, sind sie immer vergleichbar? Ich könnte mir vorstellen, daß das Stadium des Nationalbewußtseins in Böhmen sehr viel leichter erfaßbar ist, weil hier die Schriftlichkeit viel weiter entwickelt ist als in einer hauptsächlich aus Bauern zusammengesetzten Nation, wo es keine allgemeine Schulpflicht gibt und wo sich ein vielleicht sehr energisches und aggressives Nationalbewußtsein auch ohne literarische Äußerungen entwickeln kann. So zeigt die Hrochsche Methode wiederum sehr gut, welch eigentümlich literarisch intellektueller Charakter die von ihm verglichenen nationalen Bewegungen kennzeichnet. Man kann sich anders verlaufende und anders akzentuierte Bewegungen dieser Art denken. Miroslav

Hroch

Natürlich gibt es auch Besonderheiten und Unterschiede. Von diesen scheint mir besonders wichtig die Frage des Bauerntums zu sein. Jedenfalls sind die Bauern bei den von mir untersuchten Völkern immer sozial interessiert, sie wollen ihre Befreiung, aber unter den Programmen der Bauern finde ich während der ganzen Phase B kaum direkte nationale Forderungen. Das ist aber höchtswahrscheinlich ein Unterschied, der für Irland dadurch zu klären ist, daß sich Irland ja in einer Situation der freien Entwicklung des politischen Lebens befand, was bei den hier untersuchten Völkern eigentlich nicht der Fall ist. Wo es auch sein konnte - theoretisch ist es Norwegen da war das national gefärbte politische Interesse dadurch behindert, daß es keine Gutsherren gab; der Interessenunterschied spielte sich zwischen Stadt und Land ab, wobei in der nationalen Frage dann der Bauer zunächst uninteressiert bleibt. Zur Frage nach dem Unterschied zwischen führenden und anderen Patrioten ist zu sagen, daß es natürlich sehr schwer ist, eine genaue Grenze zu ziehen; für mich jedenfalls war das Kriterium der patriotischen Betätigung eine regel140

mäßige zielbewußte Anteilnahme an Aktionen, die auf nationale Ziele ausgerichtet waren, d. h. patriotische Vereine, Sammlungen für patriotische Zwecke, Geld zur Herausgabe von Büchern, zum Aufbau einer Schule - wie etwa in Estland einer estischen Oberschule oder eines Sprachgymnasiums für nationale Monumente usw., und natürlich findet man unter diesen so Tätigen kaum oder selten die Bauern (mit Ausnahme von Estland). Ist nicht eine der wichtigsten Besonderheiten die, daß in Irland die katholische Kirche eine Massenorganisation ermöglichte, einen religiösen Antagonismus, der zu dem sozialen Gegensatz hinzukam, und die Kirchenorganisation vielleicht eine Bedingung der Möglichkeit für die Politisierung brachte, was in anderen Ländern, soweit ich das übersehe, nicht der Fall war ? In dieser Hinsicht ist die Entwicklung anders auch als in Wales, weil dort die Religion nicht so integrierend für die nationale Einheit gewirkt hat wie in Irland. Wenn man zwei oder mehr Länder miteinander vergleicht, gibt es immer Übereinstimmungen, aber auch Unterschiede. Ich wollte nur zu diesem Vergleich mit dem Baltikum sagen, daß da kein Religionsunterschied besteht, aber die Kirche gehört zu der herrschenden Nation, so daß wir in diesem Gebiet eine interessante Funktionsverschiebung haben. Während der Priester in einer ganzen Reihe von nationalen Bewegungen, sei es in Irland, sei es in Böhmen, sei es in Litauen, die Rolle des Hauptvermittlers der Kommunikation zwischen den Spitzen und der breiten Schicht besorgt, gibt es diesen Priester bei den Esten und Letten nicht, und in dieser Situation springt der Lehrer ein, da haben wir plötzlich eine ganz mächtige Rolle des Lehrers; sonst sind die Lehrer gar nicht so wichtig (vgl. Tabelle). Ich möchte betonen, daß es ein Mißverständnis wäre, wenn Sie mich so verstanden haben würden, als ob ich eine Gleichung zwischen wirtschaftlich optimaler Größe und einer potentiellen Nation aufstelle; das mache ich nicht, denn das wäre eine der gefährlichsten Vereinfachungen, daß man, wenn man sich als Marxist betrachtet, direkt alles von den wirtschaftlichen Größen ableitet. Meine ganze Arbeit ist eben ein Versuch zu untersuchen, ob oder inwiefern dabei das materielle Interesse eine Rolle spielt. Die wirtschaftliche Entwicklung bestimmt meiner Meinung nach nicht direkt die nationale Entwicklung, sondern vermittels der sozialen Mobilität und der Kommunikation, die natürlich von der wirtschaftlichen Dynamik nicht zu trennen sind. Für eine steigende Konkurrenz ist es sehr wichtig, die Landessprache zu können; das ist noch keine Ideologie, das ist ein Automatismus des Kommunikationsprozesses. Das gleiche gilt auch für die Sozialdemokratie. Ich sage nicht, daß der ideologische Faktor unbedeutend wäre, sondern daß die konkreten Argumente, derer sich das national bezogene, das nationale Bewußtsein bedient, die Oberfläche sind, aber das nationale Bewußtsein tertiär betrachten. Jedenfalls wehre ich mich sehr gegen die Meinung, daß so ein Bild das Entscheidende ist, daß die kommunikative Strukturierung wichtiger ist für die Nationbildung als die ökonomischen Interessen. Das zweite ist ganz natürlich, aber das entspricht eben der Kommunikation, der Art und dem Tempo, dem ungleichmäßigen und unregelmäßigen Wachstumstempo der nationalen Bewegung. Die nationale Betätigung fängt erst dort an, erfolgreich zu werden, wo eben die Schule schon weiter entwickelt ist. 141

Wenn ich bei so vielen Völkern eine so analoge Handlung von Menschen finde, wobei ich gar nicht voraussetzen und beweisen kann, daß ein überirdischer Einfluß über Europa geflogen ist, dann muß ich in der objektiven gesellschaftlichen Sphäre eine analoge Entwicklung voraussetzen. Der Herdersche Geist genügt mir nicht.

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Povl Bagge

Zur Organisations- und Sozialgeschichte dänischer nationaler Bewegungen im 19. Jahrhundert

Keine von den dänischen nationalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts ist von unserem Blickpunkt aus systematisch untersucht worden. Das Folgende kann daher nur eine vorläufige, skizzenhafte Übersicht werden, in der Hauptsache auf Grund der Literatur und gedruckter Quellen. Für den Abschnitt über die Bewegung zur Landesverteidigung nach 1879 sind einige Einzelheiten aus einer Seminararbeit von H. F. Mortensen benutzt worden. Bis zum März 1848 war Dänemark eine absolute Monarchie, doch gab es von 1834 ab zwei beratende Provinzialständeversammlungen im Königreich, eine in Schleswig und eine in Holstein. Verwaltungsmäßig waren die Herzogtümer vom Königreich getrennt und miteinander verbunden. In Schleswig war die Volkssprache nördlich der jetzigen Grenze und in einem Teil von Südschleswig Dänisch, aber nur ein Teil des Gebiets mit dänischer Volkssprache hatte vor 1851 dänische Kirchen- und Schulsprache, und bis 1840 war die Gerichts- und Verwaltungssprache in ganz Schleswig Deutsch. Nach dem Krieg von 1848/50 wurde Schleswig verwaltungsmäßig von Holstein und vom Königreich getrennt, und Schleswig und Holstein erhielten konservativ zusammengesetzte Ständeversammlungen. Ein konservativ zusammengesetzter Reichsrat für die gemeinsamen Angelegenheiten der ganzen Monarchie (die Gesamtstaatsverfassung) wurde von der deutschen Bevölkerung der Herzogtümer sabotiert, was vom Deutschen Bund und den Großmächten unterstützt wurde. Die Bewegungen, die auf Grund ihrer Ziele und der breiten Zustimmung, die sie fanden, besonders in Betracht kommen können, sind: 1. Die eiderdänische Bewegung im Königreich (ca. 1840 - ca. 1864 oder 1870). Ziele: Eine gemeinsame freie Verfassung für Dänemark und ein als Provinz selbständiges Schleswig, Dänemark-Schleswig eventuell mit SchwedenNorwegen verbunden (Skandinavismus), Dänemark-Schleswigs größtmögliche Unabhängigkeit von den zum Deutschen Bund gehörenden Ländern der Monarchie (Holstein und Lauenburg) sowie Unterstützung der dänischen Nationalität in Schleswig. 2. Die dänische nationale Erweckung in Nordschleswig (beginnend ca. 1840), die in erster Linie die dänische Bevölkerung des Herzogtums nationalbewußt machen, sie kulturell entwickeln und ihre Rechte in bezug auf Sprache und Kultur sichern wollte. Manche Pioniere dieser Bewegung waren konservative Anhänger des Gesamtstaats und der selbständigen Stellung Schleswigs innerhalb der Monarchie, aber allmählich gewannen liberale eiderdänische Gesichtspunkte in ihr Verbreitung. 143

3. Die Grundtvigsche Volkshochschulbewegung im Königreich, die ihre größte Bedeutung nach 1864 bekam. Eines der Hauptziele dieser Schulform war die Erweckung der Liebe junger Menschen zur Muttersprache, zur dänischen Geschichte und Literatur, was alles zusammen als Ausdruck des dänischen Volksgeistes betrachtet wurde. Nach Grundtvigs Auffassung war ein lebendiges Nationalbewußtsein die Voraussetzung für eine lebendige Aneignung des Christentums. Er betrachtete die Bauern als den Kern des Volkes. 4. Die Bewegung zur Landesverteidigung (beginnend 1879) erhielt besonderen Auftrieb durch die Aufhebung des Artikels V des Prager Friedens und durch die Furcht vor einem deutschen Angriff auf Dänemark. Die Bewegung hatte daher eine deutschfeindliche Färbung. Ein Vorläufer dieser Bewegung zur Landesverteidigung war die Bewegung der Schützenvereine (beginnend 1861) 1 . Alle diese Bewegungen enthalten nichtnationale Elemente in sich. Diejenigen, die sich an der eiderdänischen Bewegung beteiligten, waren meist politisch Liberale oder Demokraten, aber etliche waren politisch konservativ, und die Verfassungspolitik der Nationalliberalen wurde allmählich von der Furcht geprägt, daß die Bauern die politische Macht erobern würden. Die dänische Bewegung in Nordschleswig hatte von Anfang an das Gepräge eines sozialen Gegensatzes zwischen der dänischsprechenden Bevölkerung und den deutschsprechenden und von deutscher Bildung geformten Beamten. Die politische Hauptperson der Bewegung in den 1840er Jahren, das Mitglied der Ständeversammlung P. Hiort Lorenzen, war Anhänger des liberalen Schleswig-Holsteinertums, bis er im Jahre 1840 zu der Überzeugung kam, daß die Chancen für eine freie Verfassung am größten bei einem Dänemark bis zur Eider waren. Von ihm und anderen, die wie er dachten, sagt der Historiker dieser Bewegung, P. Lauridsen: Es war nicht das Dänentum, sondern die Demokratie, die sie wählten. Die Aufgabe der Volkshochschule war nicht nur eine nationale Erweckung, sondern auch Mitteilung von Kenntnissen, religiöse Beeinflussung und Hilfe bei der menschlichen Entwicklung der Schüler; und die verschiedenen Lehrer konnten verschiedenes Gewicht auf die speziell nationale Seite des Unterrichts legen. Die Bewegung zur Landesverteidigung und die Bewegung der Schützenvereine waren beide als unpolitische Bewegungen geplant, aber erstere wurde schnell rein parteipolitisch, und in der letzteren entstand nach einer Reihe von Jahren ein parteipolitischer Kampf um die Führung. Dieser führte dazu, daß die Mitglieder der verlierenden Partei austraten. Diese Verhältnisse machen es z. B. unmöglich, die Abstimmungsprotokolle von den Wahlen zur Volksvertretung zu gebrauchen, um zu bestimmen, wie viele Wähler national engagiert waren. Ebensowenig zeigt eine Zählung der Volkshochschullehrer und -schüler, wie viele Lehrer besonderes Gewicht auf 1

Ein kurzer Bericht über den Ideengehalt der Volkshochschulbewegung und der Bewegung zur Landesverteidigung findet sich in meinem Aufsatz : Nationalismus und Antinationalismus in Dänemark um 1900. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. 14 (1964). S. 291-303.

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die nationale Erweckung gelegt haben, und noch weniger, wie viele Schüler davon beeinflußt worden sind. Ein ernstes Hindernis für die Untersuchung ist es, daß Vereine mit klarem nationalem Ziel - namentlich vor 1864 - gering an Zahl und klein sind. Während der Zeit des Absolutismus bestanden oppositionelle Vereine und Zeitungen nur unter schwierigen Bedingungen und liefen Gefahr, verboten zu werden: namentlich in dieser Periode mußten die nationalen Bestrebungen durch mündlichen und brieflichen Kontakt zwischen Einzelpersonen organisiert und koordiniert werden. Aber sowohl vor 1848 wie auch später traten die Bewegungen zu einem wesentlichen Teil durch Volksversammlungen und öffentliche Aufzüge, deren Umfang unsicher ist und deren Teilnehmer meist anonym sind, zutage, ferner durch Adressen an König, Regierung und Volksvertretungen - immer eine zweifelhafte Quelle für präzise Untersuchungen über die öffentliche Meinung und, wenn die Berufsangabe bei den Unterschriften fehlt, wertlos für eine sozialhistorische Untersuchung - und durch Geldsammlungen für nationale Zwecke - eine bessere Quelle, aber nur zur Beleuchtung eines augenblicklichen Engagements innerhalb der Bewegung. Außerdem sind viele Archivalien verlorengegangen. Daher stößt eine organisationsgeschichtliche Untersuchung auf große Schwierigkeiten, und eine eigentliche sozialgeschichtliche Untersuchung auf statistischer Grundlage ist unmöglich. Dagegen ist es nicht selten möglich, sich ein ungefähres Urteil darüber zu bilden, welche sozialen Gruppen in den Bewegungen vertreten waren, und es kann oft angegeben werden, wer die Initiatoren und Leiter waren. Normalerweise ist es eine kleine Gruppe, im Königreich bis 1864 meist Kopenhagener Nationalliberale, und es werden Zeitungen, bestehende nichtnationale Organisationen oder Vertrauensleute über das ganze Land hin gebraucht, um Aufforderungen und Anweisungen weiterzuleiten. Die lückenhafte Statistik, die zuwege gebracht werden kann, kann in gewissen Fällen die Schätzung des Umfangs einer Bewegung, ihres Anwachsens und ihres Abnehmens unterstützen. Aber eine eingehendere Untersuchung der sozialen Struktur der nationalen Bewegungen wird die Bearbeitung eines großen und zerstreuten Quellenmaterials erforderlich machen, und das Resultat wird wahrscheinlich sehr unvollkommen werden. 1 Von einem ersten, keimhaften Anfangsstadium aus entwickelte sich der eiderdänische Gedanke unter dem Eindruck der gespannten internationalen Lage des Jahres 1840, die die Gefahr aktualisierte, daß die ganze Monarchie durch ihre Länder, die Mitglieder des Deutschen Bundes waren, in einen europäischen Krieg verwickelt werden konnte, und dieser Gedanke erhielt seine berühmteste Formulierung in der Antwort des Mitglieds der Ständeversammlung Orla Lehmann vom Mai 1842 auf deutsche Zeitungsartikel über Dänemark als deutschen »Admiralstaat«. Als die Schleswigsche Ständeversammlung im November desselben Jahres den Abgeordneten Hiort Lorenzen daran gehindert hatte, Dänisch zu sprechen - sein Dänischreden war im übrigen eine be145

wußte nationale Demonstration - , alarmierte Lorenzen die Liberalen im Königreich, und von den liberalen Führern in Gang gesetzte Proteste erschienen gleichzeitig in der führenden Kopenhagener liberalen Zeitung, in Kopenhagener Adressen an den König und in den damals versammelten jütländischen Ständen. Damit erhielt der eiderdänische Gedanke eine breite Zustimmung, und die liberale Bewegung in Dänemark wurde nationalliberal mit einer freien Verfassung für Dänemark-Schleswig als wichtigstem Programmpunkt und als demjenigen Ziel, das mehr als irgendein anderes die Bewegung zusammenhielt. Die nationalliberale Partei dominierte im Märzministerium von 1848 - die eiderdänische Märzbewegung in Kopenhagen, die den Absolutismus zu Fall brachte, war von nationalliberalen Führern organisiert - und mit einer kurzen Unterbrechung in den Ministerien der Jahre 1856-1863. Die Partei war eine ausgesprochene Honoratiorenpartei mit ziemlich loser Struktur, selbst in den Volksvertretungen. Erst 1864/65 erhielt sie eine Landesorganisation mit einem dominierenden Hauptverein in Kopenhagen und Zweigvereinen in der Provinz. Der Hauptverein wählte eine Vertreterversammlung, die wiederum den Vorstand wählte, und die Zweigvereine mußten sich im Hauptverein durch Mitglieder von dessen Vertreterversammlung vertreten lassen. Die Landesorganisation kam niemals über eine Zahl von 3700 Mitgliedern hinaus, die hauptsächlich aus den Städten stammten. Den Kern der Partei bildeten Beamte und andere Akademiker, wohlhabende Geschäftsleute und größere Landeigentümer, mit Kopenhagenern aus der ersten Gruppe als den leitenden Personen. Die Wähler kamen besonders aus denselben sozialen Schichten und aus dem Bürgertum der Städte, in bestimmten Perioden müssen aber auch eine Anzahl Bauern nationalliberal gestimmt haben. Die Partei wurde von Kopenhagener Zeitungen unterstützt, die über das ganze Land verbreitet und zwischen den zwei Schleswigschen Kriegen in der dänischen Presse tonangebend waren. Das Ergebnis einer 1843 von führenden Nationalliberalen veranstalteten Sammlung zur Förderung des dänischen Unterrichts in Schleswig deutet darauf hin, daß die nationale Bewegung über die nationalliberalen und vielleicht auch über die eiderdänischen Kreise hinausreichte. Zirka 8000 Beitragzahler gaben eine den Umständen nach bedeutende Summe. Der Opferwille war unter den Akademikern größer als im Bürgertum, aber er war auch groß unter der Landbevölkerung, wo selbst einige Häusler und Dienstboten Beiträge spendeten. Und von den ca. 750 größten, 2weifellos in der Hauptsache konservativen Gutsbesitzern des Landes gaben ca. 100 zusammen eine recht bedeutende Summe. Mehrere der Führer der Bauernbewegung waren jedenfalls von ca. 1845 bis 1851 und nach 1854 eiderdänisch gesinnt. Die Bauernbewegung bildete von 1848 ab die Grundlage des linken Flügels der Volksvertretungen, sie war eine relativ gutdisziplinierte Interessenpartei mit Organisationen, die es den führenden Persönlichkeiten erlaubte, die Wähler systematisch zu beeinflussen. Da das Programm der Partei vor allem sozial und demokratisch war, ist es jedoch zweifelhaft, wie viele Wähler den nationalen Standpunkt der Führer teilten. Es ist sicher, daß große Teile der Bauernschaft an der umfassenden, aber wenig organisierten nationalen, antischleswigholsteinschen und antideutschen Be146

wegung während des Krieges von 1848/50 teilnahmen, und wahrscheinlich, daß viele Bauern dasselbe eiderdänische Friedensziel wie das Märzministerium hatten. Aber es ist nicht sicher, welche sozialen Gruppen unter den 26000 bzw. 30—40000 Unterzeichnern der zwei eiderdänischen Adressen an den Reichstag zum Schluß des Jahres 1848 und im Oktober 1851, unmittelbar vor dem Zusammenbruch der Eiderpolitik und der Wiederherstellung des Gesamtstaates, vertreten waren. Die eiderdänische Bewegung flammte 1861 wieder auf, u. a. als Reaktion auf die zunehmende ausländische Einmischung in den Charakter der dänischen Verwaltung in Schleswig. Viele erwarteten Krieg. Einige Grundtvigianer und Linkspolitiker gründeten eine eiderdänische Vereinigung, und auf Volksversammlungen bewogen Linkspolitiker viele Bauern dazu, eine Adresse betreffs einer demokratischen dänisch-schleswigschen Verfassung zu unterschreiben. Die Vereinigung und die Adresse waren antiministeriell, und sie bekamen nicht annähernd dieselbe Zustimmung wie eine mehr gemäßigte eiderdänische Adresse an die nationalliberale Regierung. Diese wurde von einem Ausschuß von Politikern, sowohl Nationalliberalen wie Linkspolitikern, abgefaßt und - mit Ausnahme von einigen wenigen Vertretern der äußersten Rechten - von allen Mitgliedern des Reichstages unterschrieben; sie erbrachte ca. 71000 Unterschriften aus dem ganzen Lande. Unzweifelhaft hatte die Bewegung im Jahre 1861 die Zustimmung politisch Interessierter in allen sozialen Schichten der Bevölkerung ; sie trug dazu bei, die Regierung in einen Bruch mit der Gesamtpolitik hineinzutreiben. Die nationalpolitische Zusammenarbeit zwischen führenden Nationalliberalen und Linkspolitikern ging weiter und wirkte sich u. a. 1863 in neuen Volksversammlungen und Adressen aus. Aber die Nationalliberalen hegten jetzt Bedenken hinsichtlich des allgemeinen Wahlrechts, während die Führer der Linken eine demokratische Eiderverfassung wünschten. Wenn sie gegen die Gesamtstaatspolitik waren, so war das besonders deswegen, weil diese ihrer Meinung nach auf reaktionäre Strömungen im Ausland Rücksicht nahm, eine allein auf das allgemeine Wahlrecht gegründete Verfassung verhinderte und daher soziale Reformen zugunsten der Bauern erschwerte. Als die erste eiderdänische Verfassung im November 1863 angenommen wurde, stimmten die eiderdänischen Führer der Linken mit einem Nein, weil sie nicht demokratisch genug war. 2 Dieselben sozialen Schichten, die im Königreich den Grundstamm der nationalliberalen Bewegung bildeten : Akademiker, Beamte und wohlhabende Bürger, wurden in Schleswig größtenteils Schleswig-Holsteiner. Es ist kennzeichnend, daß die erste dänisch-nationale Volksdemonstration 1845 in Aabenraa (Apenrade) von Seeleuten und Handwerksgesellen durchgeführt wurde. Diejenige soziale Gruppe, die vor allem Träger der dänischen Erweckung in Nordschleswig war - trotz des Widerstandes der Beamten und oft auch der absolutistischen Regierung - und die nach 1864 die Kerntruppe des Dänentums wurde, waren die Hofbesitzer. Zum Unterschied von den dänischen Bauern 147

waren sie niemals erbuntertänig gewesen, waren lange frei von Frondiensten gewesen, und sie waren fast alle Selbsteigentümer oder Erbpächter. Ihnen schloß sich ein Teil der Stadtbevölkerung an. Als Inspiratoren, Ratgeber und Führer wirkten in den ersten Jahren u. a. der Kieler Professor Chr. Paulsen (der von Herders Ideen von der Bedeutung der Muttersprache für ein Volk ergriffen worden war), ein Buchbinder, ein Uhrmacher und zwei Kaufleute (Koch, der das wichtigste dänische Blatt redigierte, und P. Hiort Lorenzen) sowie der Lektor für Dänisch in Kiel, Chr. Flor, der die koordinierende graue Eminenz der Bewegung war. E r war GrundtvigSchüler und erstrebte eine volkliche nationale Erweckung im Geiste Grundtvigs. Eine solche Erweckung erforderte nationale Aufklärungsarbeit, und Flor wirkte mit Erfolg dahin, daß die 1843 in Dänemark eingesammelte Geldsumme für die erste dänische Volkshochschule (in Rodding in Nordschleswig im Jahre 1844) gebraucht wurde und nicht, wie die dänischen Nationalliberalen es wünschten, für ein dänisches Gymnasium in Schleswig. Flor schrieb die ersten der nationalen Reden, durch die der beste Agitator der Bewegung, ein hochbegabter Bauer, in den Jahren 1843 und 1844 Berühmtheit erlangte, und Flor war hinter den Kulissen die ratgebende Persönlichkeit für die meisten nationalen Kundgebungen vor 1848. Es bestand eine recht regelmäßige Verbindung zwischen diesen Führern und den dänischen Nationalliberalen, aber die Schleswiger trugen den schwersten Teil der Last und handelten oft unabhängig von den Kopenhagenern. Flor und Paulsen nutzten den sozialen Gegensatz zwischen den dänischen Bauern und dem Beamtenstand aus, als sie 1836 einen dänischen Bauernabgeordneten dazu veranlaßten, in den Schleswigschen Provinzialständen die Einführung der dänischen Gerichts- und Verwaltungssprache in Nordschleswig zu beantragen. Paulsen schrieb Entwürfe für Adressen von nordschleswigschen Bauern zugunsten des Antrages, und Flor schrieb oder war Inspirator für die Rede, mit der der Antrag eingebracht wurde. Der Antrag wurde im Jahre 1840 Gesetz. Koch und Hiort Lorenzen ergriffen die Initiative zu der ersten wichtigen nationalen Organisation, die u. a. die Volkshochschule in Rodding unterstützte. Der Verein wurde 1843 von 23 Hofbesitzern und 2 Gastwirten gestiftet, und die Vorsitzenden und die große Mehrzahl der Mitglieder waren Hofbesitzer. Erst später kamen andere nationale Organisationen hinzu, auch in den Städten. Koch hatte wahrscheinlich die Idee zu den großen nationalen Treffen des Volkes auf der Skamlingshöhe, wo Nordschleswiger und Persönlichkeiten aus dem Königreich sprachen, aber es waren Bauern, die den notwendigen Grund und Boden kauften und die in großer Zahl an den Zusammenkünften teilnahmen. Es waren die Hofbesitzerheime, die die meisten Schüler auf die Volkshochschule in Rodding sandten, aber sie kamen fast ausschließlich von dem nördlichsten Teil von Nordschleswig. Erst mit dem bewaffneten Konflikt von 1848 schloß sich im südlichen Teil eine größere Anzahl der dänischen Bewegung an, aber verschiedene scheinen sich mehr aus altgewohnter Königstreue als aus bewußtem Nationalgefühl oder aus Liberalismus für die Dänen entschieden zu haben. Es war von großer Bedeutung für die nationale Aufklärungsarbeit und dadurch für die Erweckung, daß ein Kreis von Kopenhagenern, die in Nord-

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Schleswig geboren waren, 1839 einen Verein zur Ausbreitung dänischer Lektüre in Schleswig gründeten. Dieser bekam schnell ca. 1000 Mitglieder: im Königreich u. a. den König, einige Gutsbesitzer und eine Reihe von Gymnasiallehrern, die die örtlichen Vertrauensleute der Vereinigung waren, und in Schleswig mehrere Pfarrer, Volksschullehrer und Hofbesitzer. Im Laufe von einigen wenigen Jahren wurden in Nordschleswig 60-70 Leihbibliotheken errichtet, denen der Verein jährlich mehrere tausend dänische Bücher schenkte, darunter viele klassische und romantische Dichtwerke. Dadurch wurde die Kenntnis der dänischen Sprache, Geschichte und Kultur unter den dänischsprechenden Nordschleswigern verbreitet. Nicht zuletzt die Leselust der Bauern erwies sich als groß. 3 Nach 1864 verlor Kopenhagen etwas von seiner Bedeutung als Inspirationsund Organisationszentrum. Das zeigt sich in der Volkshochschulbewegung, die vor 1864 ihren Anfang nahm, aber durch den Krieg starken Auftrieb erhielt. Viele waren der Meinung, daß nach der Niederlage eine nationale Aufklärungsarbeit im Geiste Grundtvigs geboten war, und von 1864 bis 1870 wurden ca. 50 Volkshochschulen auf dem Lande errichtet, die meisten von ihnen als grundtvigsche Volkshochschulen. Die Zahl der Schüler stieg von 400-500 jährlich vor dem Krieg auf ca. 2000 im Jahre 1869 und betrug im Jahre 1900 ca. 5000. Alle Schulen waren privat; einige wurden von der örtlichen Bevölkerung errichtet und waren in deren Besitz, andere - und sie bildeten allmählich die Mehrzahl - wurden vom Vorsteher der Volkshochschule eingerichtet. Die Bewegung war unorganisiert, wenn auch eine lose Zusammenarbeit und eine gegenseitige Beeinflussung unter den grundtvigschen Volkshochschulen stattfand. Die meisten Schüler waren 18-25 Jahre alt. Sie kamen bis 1900 fast ausschließlich aus der Landbevölkerung. Die Mehrzahl waren Kinder von Hofbesitzern, aber viele waren auch Kinder von Häuslern, Landarbeitern und Handwerkern, und deren Anteil stieg allmählich in demselben Verhältnis, wie die staatliche Hilfe für arme Schüler sich erhöhte. Von den Lehrern war nur eine kleine Minderheit an der Universität ausgebildet, die meisten davon Theologen. Ungefähr die Hälfte hatte Volksschullehrerexamen. Alle Volkshochschulen waren Internate. Am Ende des Unterrichts wurde kein Examen abgelegt. Er bestand teilweise aus Vorträgen und dauerte normalerweise 5 Monate für junge Männer und 3 Monate für Mädchen. In den grundtvigschen Schulen gab es zwei Hauptfächer (normalerweise 14—16 bzw. 11-12 Stunden wöchentlich): Dänische Sprache samt Literatur (nordische Göttersagen, Volkslieder und -bailaden, die dänische klassische und romantische Dichtung, die isländischen Sagas und norwegische Dichtwerke) und Geschichte, besonders vaterländische Geschichte des Nordens, aber auch Weltgeschichte. Die Volkshochschule war »historisch-poetisch«. Nach 1864 ging es für viele Männer der Volkshochschule darum, das Selbstvertrauen des Volkes zu erwecken. Deshalb hoben sie im Geschichtsunterricht »die Bedeutung des nordischen Volksstammes in der Welt« hervor (die

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Grundtvigianer faßten ebenso wie die Nationalliberalen Norwegen und Schweden als Bruderländer auf) und was die Dänen im Laufe langer Zeiträume an Großem und Edlem geleistet hätten. Manche stellten ebenso wie Grundtvig die Dänen als ein von Gott auserwähltes Volk dar. Um 1900 verfeinerten und vertieften einige der bedeutendsten jungen Vertreter der Volkshochschule die nationale Tendenz. Die Verkündigung wurde sicherlich nüchterner, sollte aber auch weiterhin zur dänischen Gesinnung wachrufen. Und das Verständnis und die Liebe für das Dänische wurde bei vielen Schülern geweckt. Auch manche der Führer der dänischen Bevölkerung in Nordschleswig erhielten ihre nationale Inspiration als Schüler auf dänischen Volkshochschulen. In den ersten Jahren nach 1864 wollten mehrere Männer der Volkshochschule die Schüler auf die Teilnahme an einem Revanchekrieg vorbereiten, der, wie wohl viele hofften, ganz Schleswig für Dänemark gewinnen würde. Doch allmählich griff auf den Volkshochschulen der Gedanke um sich, daß die grundtvigsche Auffassung des Nationalen auch für andere Völker gelten müsse und daß eine Wiedervereinigung mit den Schleswigern daher nicht über die Grenze der dänischen Sprache und Gesinnung hinausgehen dürfe. 4 Die Bewegung der Schützenvereine ist ein Ausschlag der national erregten Bewegung und der Erwartung eines Krieges im Jahre 1861. Ein junger Offizier schlug 1861 vor, nach englischem Vorbild Vereine zu gründen, deren Mitglieder im Büchsenschießen geübt werden sollten. Ein »Zentralkomitee« in Kopenhagen mit mehreren Offizieren und bekannten Nationalliberalen als Mitglieder forderte öffentlich und privat dazu auf, solche Vereine zu bilden, der Innenminister, Orla Lehmann, ordnete an, daß die örtlichen Beamten sich für die Sache einsetzten, und der Staat gab einen bescheidenen Zuschuß zum Ankauf von Gewehren. Von 1861 bis 1864 wurden ca. 150 Vereine gegründet, davon ca. 90 auf dem Lande. Von 1865 ab wurde das Zentralkomitee von Delegierten der Vereine gewählt. Es wirkte als koordinierendes Organ und besaß bedeutende Autorität. Von 1865 bis 1870 war die Bewegung stark von dem Gedanken einer Revanche für die Niederlage und von der Hoffnung, Schleswig wiederzugewinnen, geprägt. In dieser Periode wurden die Mitglieder in einem Hauptverein für jeden Amtsbezirk - mit einheitlichen Statuten, die vom Zentralkomitee formuliert worden waren - und örtlichen Untervereinen fester organisiert. Im Jahre 1867 betrug die Zahl der Mitglieder 16-17000, im Jahre 1871 ca. 20000, dann ging sie zurück, stieg aber wieder von 1879 ab, d. h. nach der Aufhebung des Artikels V des Prager Friedens, (ca. 16000) und betrug im Jahre 1900 ca. 41000. Gewöhnlich waren ca. ein Drittel passive, aber zahlende Mitglieder. Es besteht keine Sozialstatistik mit Bezug auf die Mitglieder, aber da in den 1880er Jahren im Zentralkomitee die Bauernpartei »Die Linke« die Mehrheit erhielt, muß der Anteil der Bauern zu diesem Zeitpunkt bedeutend gewesen sein ; viele von diesen waren Grundtvigianer. Die Vereine hatten eine gewisse Verbindung mit dem Heer, und einige Offiziere der Linie und der Reserve, aber auch viele zivile Beamte, Gutsbesitzer, Geschäftsleute und Bauern saßen mit in den ört150

liehen Vorständen, und verschiedene Männer der Volkshochschulen und grundtvigsche Volksschullehrer waren sehr aktiv. »Die Bewegung zur Landesverteidigung« wurde schnell eine Stütze der Verteidigungspolitik der Rechtsregierung, für die die linke Mehrheit der Zweiten Kammer die Bewilligung versagte. Die Regierung wünschte - im Gegensatz zur Partei der Linken die Landesverteidigung um ein stark befestigtes Kopenhagen zu konzentrieren. Junge Offiziere, die von den Volksbewegungen in Holland und Deutschland zur Landesverteidigung inspiriert waren, begannen eine Agitation für die Sache, aber die Bewegung kam erst eigentlich zum Durchbruch, als ein agitatorisch begabter Pfarrer auf Fünen unter Einwirkung eines der Offiziere von dem Gedanken ergriffen wurde, den Geist der Verteidigungsbereitschaft im Volke wachzurufen. Im Jahre 1880 wurde auf Fünen nach seinem Plan der erste Verein zur Landesverteidigung gegründet, der durch Flugschriften und namentlich durch aufklärende und anspornende Vorträge von Offizieren wirken sollte. Mehrere Vereine in anderen Teilen des Landes kamen hinzu und begannen eine gewisse Zusammenarbeit, u. a. mit Bezug auf ein periodisch erscheinendes Blatt. Im Jahre 1885 hatten die Vereine 11-12000 Mitglieder. Im Jahre darauf begann die Regierung, mit nichtbewilligten Geldern Kopenhagen zur Festung auszubauen. Andere Auswirkungen der Bewegung in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts waren Adressen an den König und an die Regierung, die Verteidigungsbereitschaft zu verstärken, und Sammlungen. Die größte Adresse wurde von Kopenhagen aus in Angriff genommen und von 106000 Männern über 18 Jahren unterschrieben; davon waren 20000 aus Kopenhagen, 34000 aus anderen Städten und 52000 vom Lande; hier müssen viele Bauern dabei gewesen sein. Die Adresse war so vorsichtig formuliert, daß auch Leute der Linken unterschreiben konnten. Ein Kreis von Frauen auf Fünen machte sich daran, Geld unter Frauen einzusammeln; das ergab eine Summe zum Einkauf von acht schweren Kanonen. Ein Kopenhagener Großhändler ergriff die Initiative zu der größten Sammlung. Sie hatte ihre eigene straffe, stark zentralisierte Organisation, genannt »Verteidigung des Vaterlandes«, mit über 500 »Kreisvorstehern« im ganzen Land, große Ortskomitees, in denen alle Schichten der Bevölkerung vertreten sein sollten (und in denen auch einzelne Bauern und Arbeiter einen Platz hatten), und besondere Frauenkomitees. Es wurden zahlreiche Vorträge von Offizieren und anderen gehalten und viele patriotische Feiern um die Frage der Verteidigung abgehalten. Von den eingegangenen Geldern wurde ein Fort bei Kopenhagen gebaut. Aber da war die Bewegung zur Landesverteidigung ein Glied in der parteipolitischen Agitation der Rechten geworden, und als solche setzte die Bewegung sich ins 20. Jahrhundert hinein fort. Das 19. Jahrhundert endete mit einer anscheinend wenig organisierten Welle öffentlicher Proteste und Demonstrationen von Seiten aller Parteien und sozialer Gruppen gegen die brutale Germanisierungspolitik des Oberpräsidenten von Koller in Nordschleswig. Hier nahmen wahrscheinlich sozialdemokratische Arbeiter und Arbeiterführer zum erstenmal an einer nationalen Bewegung teil 2 .

(Aus dem Dänischen übersetzt von Hans-Martin Junghans) 2

Vgl. meinen oben genannten Aufsatz.

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Literatur Die eiderdänische Bewegung: Übersichtlich in R. SKOVMAND: Danmarks Historie 1830-1870. Kopenhagen 1964. (J. DANSTRUP u. H. KOCH (Hrsg.): Danmarks Historie. 11. Dieser Band wird ins Deutsche übersetzt.) P. BAGGE in: Johan Nicolai Madvig. Et Mindeskrift. Kopenhagen 1955. Die nationale Erweckung in Nordschleswig: P. LAURIDSEN: Da Sonderjylland vaagnede. 8 Bde. Kopenhagen 1909-22. K. FABRICIUS: Sonderjyllands Historie 1805-64. Kopenhagen 1937. (V. LA COUR u.a. (Hrsg.): Sonderjyllands Historie. 4.) G. JAPSEN : Den nationale Udvikling i Ábenrá [Apenrade] 1800-1850. Tondern 1961. (Skrifter udg. af Historisk Samfund for Sonderjylland. 23.) Die Volkshochschulbewegung: A. H. HOLLMANN : Die dänische Volkshochschule und ihre Bedeutung für die Entwicklung einer völkischen Kultur in Dänemark. Berlin 1909. H. BEGTRUP, H. LUND U. P. MANNICHE: The Folk High-Schools of Denmark. Oxford 21929. F. SKRUBBELTRANG: Die Volkshochschule. In: Handbücher der dänischen Gesellschaft. Kopenhagen 1950. E. SIMON: Reveil national et culture populaire en Scandinavie. Copenhague 1960. Die Bewegung der Schützenvereine: L. F. C. KROGH: Skyttesagen i Danmark gennem 50 Aar 1861-1911. Kopenhagen 1911. (Meine Darstellung der Verteidigungsbewegung gründet sich hauptsächlich auf die beiden Organe der Bewegung: Vort Forsvar, 1881 ff., und F sedrelandets Forsvar, 1885ff. Mein in Anm. 1 zitierter Aufsatz findet sich ausführlicher auf Dänisch und mit Quellen- und Literaturnachweisen in: Festskrift til Astrid Friis. Kopenhagen 1963.

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Diskussion

Eugen

Lemberg

Ich bin Ihnen besonders dankbar für die Anregung zu einer Art vergleichender Strukturanalyse der nationalen Bewegungen. Die dänische unterscheidet sich von vielen nationalen Bewegungen, vor allem Ost- und Mitteleuropas, dadurch, daß sie einen Staat schon hatte. Es ging ihr also nicht erst um die Organisierung einer Nation, sondern um die Erfüllung einer schon bestehenden mit einer besonderen Art von Bewußtsein. Aus diesem Unterschied ergibt sich wohl auch der Unterschied des Vorgehens, etwa der volksbildnerischen Arbeit von Grundtvig, die in den anderen nationalen Bewegungen keine Parallele hat. Theodor Schieder Es scheint mir, daß sich hier zwei nationale Bewegungen gegenüberstehen, die sich gegenseitig anregen oder auch aufregen und möglicherweise sogar in ihren Organisationsformen und in ihrem Stil beeinflußt haben. Darüber ist wenig bekannt, und das Thema wurde in der Epoche der nationalen Konfrontation auch ungern behandelt, aber heute ist es ein dringendes Desiderat. Es ist notwendig, daß wir uns gegenseitig einmal nur über die Fakten orientieren, um zu weiteren Ergebnissen zu kommen. Mit anderen Worten: wir sollten die nationalen Bewegungen auf beiden Seiten in ständigem Vergleich analysieren.

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Peniti Renvall

Zur Organisations- und Sozialgeschichte der finnisch-nationalen Bewegung im 19. Jahrhundert

Als Finnland bei der Verbindung mit Rußland im Jahre 1809 eine eigene staatliche Individualität erhielt, war die Einstellung der Bevölkerung schon auf eine derartige Entscheidung vorbereitet. Bereits in der vorangehenden Zeit war der Gedanke lebendig geworden, daß Schweden wegen seiner militärischen Schwäche früher oder später gezwungen sein würde, Finnland an Rußland abzutreten, ein Gedanke, der den Kreis um Sprengtporten veranlaßt hatte, um der Sicherheit Finnlands willen, allerdings vergeblich, diese Entwicklung voranzutreiben. Auf der anderen Seite herrschte unter den aufgeklärten Persönlichkeiten, die im schwedisch-finnischen Reichstag tätig waren, die Auffassung, daß, solange die Vereinigung mit Schweden fortbestand, die finnischen Interessen zu sehr hinter den von der Mehrheit vertretenen schwedischen Interessen zurückstehen müßten. Obgleich die neue Lage nicht erwünscht war, erwies es sich bald, daß sie auch viele Vorteile bot. Finnlands Sicherheit würde nach außen hin gewährleistet sein. Seine eigenen Angelegenheiten würde es nach seinen eigenen Bedürfnissen und Interessen ordnen können, denn Alexander I. bestimmte, daß die Verwaltung dieser Angelegenheiten unabhängig von russischen Organen sein solle. Die Staats- und Verwaltungsämter würden ausschließlich in finnischen Händen, ohne von außen kommende Konkurrenz, liegen, aber darüber hinaus boten sich in der Umgebung des Zaren-Großfürsten größere Laufbahnmöglichkeiten als früher. Die ganze Lage war geeignet, dem Gedanken der Sonderstellung Finnlands zu einer beherrschenden Stellung zu verhelfen oder der Idee, daß die finnische Bevölkerung eine Nation im politischen Sinn, ein Staatsvolk, sei. Wenn man untersucht, wie sich diese Denkweise in der Einstellung der verschiedenen sozialen Schichten widerspiegelte, erkennt man, daß sie in hohem Grade den Wünschen des im Staatsdienst befindlichen Adels und der obersten Beamtenschaft entsprach. Die Sonderstellung Finnlands sicherte ihnen ihre führende Stellung, und deren Aufrechterhaltung gab ihnen wiederum eine zutiefst sinnvolle Ideologie. Aber sie fühlten nicht nur Sympathie gegenüber der neuen Lage der Dinge, sondern die Rückkehr zum Alten erschien ihnen sogar bedenklich. Schweden schien zu den Parteikämpfen der Freiheitszeit zurückzukehren, und die einzige Möglichkeit zur Wiedergewinnung Finnlands bestand in der Hilfe von Seiten des der Oberschicht verhaßten Frankreich der Revolution. Aber die neue Lage fand auch Zustimmung in anderen Kreisen, deren Gunst man zudem dadurch zu gewinnen trachtete, daß man sie vor störenden Neuerungen schützte. Die Geistlichkeit und die Universitätskreise bewahrten ihre frühere bedeutende Stellung als Führer der öffentlichen Mei155

nung und als Ausbilder der Beamten. Die Bürgerschaft wurde aus der Abhängigkeit von den übermächtigen Kaufmannskreisen Schwedens befreit, ohne daß sich von russischer Seite entsprechende Benachteiligungen bemerkbar gemacht hätten. Und in bezug auf die Bauern gab der Umstand, daß die rechtlichen Verhältnisse nicht verändert wurden, die militärische Belastung durch die vorläufige Aufhebung des Rottensystems sich dagegen verringerte, der neuen Lage der Dinge eine positive Färbung. Alles sprach dafür, daß man danach streben müsse, so vorteilhafte Verhältnisse zu bewahren und die Anstrengungen auf die dem Staatsnationsgedanken entsprechende Wirksamkeit zu konzentrieren. Neue Gedanken und Änderungs wünsche, die sich auf die sprachliche Nationalität bezogen, konnten unter diesen Umständen nur aus zwingenden praktischen Gründen oder über zu nationalen Forschungsaufgaben anregende ausländische Einflüsse aufkommen, aber in beiden Fällen waren Kanäle nötig, auf denen sich diese Gedanken ausbreiten und Einfluß gewinnen konnten. Die Landtage kamen hierfür nicht in Frage, da sie nicht vor den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts einberufen wurden. Wünsche aus der Bevölkerung konnten zu den Ohren der Regierenden nur als Gesuche einzelner oder als Anregungen der örtlichen Selbstverwaltung dringen, die zwar viele Wege - kirchliche, judizielle oder provinzielle - darbot, jedoch stets solche, die von den Behörden vollständig überwacht waren. Eine um so größere Bedeutung kam den privaten Gesellschaften zu, die sich um eine neue Idee bildeten und die sich im besten Fall mit behördlicher Genehmigung aus Diskussionsgruppen zu Vereinigungen entwickeln konnten; sie konnten den neuen Gedanken wenigstens einen etwas größeren Resonanzboden bieten. Der wichtigste Kanal war trotz ihrer geringen Zahl die wöchentlich oder monatlich erscheinende Presse, hinter der oft eine Gesellschaft der eben beschriebenen Art stand, aber die Zensur hatte große Möglichkeiten, dem Auftreten unerwünschter Gedanken in den Zeitungen von Anfang an Halt zu gebieten. Ein auch organisiertes - und unter den gegebenen Umständen verhältnismäßig wichtiges - Forum für Ideendiskussion gab es in den studentischen Landsmannschaften, in denen die neuen Generationen, die später die Führung des geistigen Lebens übernehmen sollten, moderne Anregungen erhalten konnten und die auch die Möglichkeit boten, in der Heimatgegend das Interesse für die neuen Gedanken zu wecken. Auf allen diesen Wegen geriet die neue Sprachnationsideologie in Bewegung, und man kann eigentlich sagen, daß der Gedanke der sprachlichen Nationalität sich bis zu den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts gerade in diesem Rahmen entwickelte. Auf alten, in der Praxis auftretenden Ursachen beruhten die Beschwerden wegen der Sprache und die Gesuche um Ausweitung des Gebrauches der finnischen Sprache im öffentlichen Leben, die einzelne Bauern, Bauerngruppen und die lokale Selbstverwaltung von Zeit zu Zeit vortrugen. Während der dreißiger und zu Beginn der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts klagten Bauerndichter in den Zeitungen über die sprachlichen Schwierigkeiten des Volkes, weil die Behörden nicht genügend Finnisch konnten. Um die Mitte der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts war die Unzufriedenheit schon so groß, daß sieben finnische Gemeinden aus dem Innern Finnlands sich an den Senat mit dem Gesuch wandten, die finnische Bevölkerung müsse die Aus156

fertigungen der Behörden auf Finnisch erhalten. Als der Senat dieses Gesuch zurückwies, wandten sich die Bauern direkt nach St. Petersburg, wo sich der Erfolg auch als günstiger erwies. Diese von den Bauern vertretene praktisch-sprachpolitische Linie stieß auch bei der Regierung auf recht großes Verständnis, wenn diese auch nicht geneigt war, die am weitesten gehenden Forderungen zu verwirklichen. Der Senat hielt es für nötig, sowohl die Sprachkenntnisse der Beamten zu verbessern als auch den Unterricht der finnischen Sprache an der Universität. Im Jahre 1824 wurde verordnet, daß die Geistlichen, die sich um ein Pfarramt in einer finnischsprachigen Gemeinde bewarben, eine Prüfung in der finnischen Sprache ablegen sollten; aus diesem Anlaß wurde im Jahr 1828 an der Universität ein Lektorat für Finnisch eingerichtet. Im Jahr 1841 wurde gestattet, an den höheren Schulen Finnisch als zusätzliches Lehrfach einzuführen, und Lönnrot wurde eine langfristige Dienstbefreiung für die Abfassung eines finnischen Wörterbuches bewilligt. Zu Anfang der fünfziger Jahre wurde an der Universität eine Professur für die finnische Sprache, allerdings mit begrenzten Amtsbefugnissen, begründet und verordnet, daß die für finnische Gemeinden zu ernennenden Beamten nachweisen müßten, daß sie finnisch verstünden. Darüber hinaus wurde im Jahre 1858 Finnisch in finnischen Gegenden zur Sprache der Protokolle der Gemeindeversammlungen bestimmt. Jedoch muß darauf hingewiesen werden, daß diesen Maßnahmen keine neue Idee zugrunde lag, sondern daß sie nur die Bedürfnisse der Praxis berücksichtigten und auch dies nur in verhältnismäßig geringem Umfang. Ganz andere Möglichkeiten zur Eroberung der Geister boten sich den neuen Ideen in der Universitätswelt, wo gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Beschäftigung Henrik Gabriel Porthans und seiner Nachfolger mit nationalen Themen - Sprache, Volksdichtung, Volksglaube, Geschichte - einen für die Romantik günstigen Interessennährboden schuf. Gegen Ende des zweiten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts und zu Anfang der zwanziger Jahre begann in Universitätskreisen in Turku (Abo) das erste nationale Erwachen, eine Bewegung besonders aufgrund des Gedankens des sprachlichen Nationalismus. Hinter ihm standen viele jüngere Lehrer der humanistischen Fächer, von denen einige bei ihrem Studium in Uppsala mit den schwedischen Vertretern der Romantik in Berührung gekommen waren und andere in Turku Anregungen durch den dänischen Sprachforscher Rasmus Rask erhalten hatten. Im Jahre 1815 wurde auf ihr Betreiben eine private Gesellschaft gegründet, die in den Jahren 1817-1823 zuerst Kalender, später eine literarische Zeitschrift veröffentlichte, ein Mitglied dieses Kreises gab sogar die finnischsprachige Wochenschrift »Turun Viikko-Sanomat« heraus. Neben ihm veröffentlichte das leidenschaftlichste Mitglied des Kreises, der Dozent für Geschichte A. I. Arwidsson, ein eigenes Blatt, »Abo Morgonblad«, das jedoch bald eingestellt wurde, vielleicht weniger wegen der neuen nationalen Verkündigung als wegen der Forderung nach Pressefreiheit, denn eine Erschütterung des politischen und sozialen Aufbaus konnte nicht geduldet werden. Außer der starken Propaganda für den neuen sprachlichen Nationalismus sammelte dieser Kreis auch eifrig finnische Volksdichtung und gab so die Anregung für die Schöpfung des Kalevala-Epos durch den etwas jüngeren Elias Lönnrot. 157

Gerade dieses Interesse für die Volksdichtung und die Schwierigkeiten, die sich bei dem Versuch zeigten, die Ergebnisse auf Finnisch zu veröffentlichen, trieben die Organisation voran. Nachdem die Universität nach Helsinki verlegt worden war, beschlossen 12 jüngere Universitätslehrer, die Finnische Literaturgesellschaft zu gründen, um die finnische Sprache für literarische Zwecke zu schulen. Diese Gesellschaft, deren erster Sekretär Lönnrot war, wurde das Zentrum für die frühe Arbeit für das Finnentum und auf lange Zeit ihr führendes Organ. Das erste Ergebnis war Lönnrots Kalevala (1835), ein Werk, das auf einzigartige Weise das finnische nationale Selbstbewußtsein hob, denn es zeigte die alte Kultur des Volkes selbst. Ihr Einfluß erstreckte sich sogar bis in die Kreise der regierenden Beamtenschaft, von denen viele die Ehrenmitgliedschaft annahmen, obwohl sie nicht Anhänger der Idee des sprachlichen Nationalismus waren und sicher die andere Seite von Lönnrots Arbeit ebensowenig schätzten, als dieser in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre in seiner Zeitschrift »Mehiläinen« systematisch einen finnischen gebildeten Wortschatz entwickelte und so die Voraussetzungen für die gesteigerten Anforderungen beim Gebrauch der finnischen Sprache schuf. Hinter dem Umstand, daß sich die Einstellung der Universitätskreise von der Auffassung der Vertreter der herrschenden Bürokratie zu scheiden begann, lag eine bemerkenswerte Zweiteilung der Gesellschaft Finnlands. Die oberste Bürokratie ergänzte sich in großem Umfang aus ihren eigenen Kreisen, in erster Linie aus den führenden Familien des Adels, so daß dessen Mitglieder bereits als junge Menschen Beamtenstellungen erhielten, von denen sie dann in leitende Positionen aufsteigen konnten. Zwar mußten auch sie ihre Ausbildung auf der Universität erhalten, aber sie gingen im allgemeinen nicht in der Gemeinschaft der Universität auf. Die Söhne der obersten Schicht wählten dort im allgemeinen das juristische Studium und versuchten, so schnell wie möglich das Wissen zu erwerben, das für zivile Beamtenstellen gefordert wurde, denn eine Anstellung war ja fast sicher erhältlich. Sie blieben nicht für längere Zeit auf der Universität und übernahmen keine führenden Stellungen unter den Studenten. Für andere wiederum - in erster Linie für die mittleren Schichten der Gesellschaft - war die Universität der Weg, der Vorwärtskommen und eine gesicherte wirtschaftliche Stellung garantierte. Wenn sie schnell zu einem sicheren Auskommen kommen mußten, wählten sie die kurzen theologischen und Landmesserstudien und wurden dann Lehrer, Pfarrer oder kleine Beamte außerhalb der Hauptstadt, aber das bedeutete das Ende des Aufstiegs und wurde als eine Art Verbannung betrachtet. Die Söhne der Mittelklasse, die in besserer Lage waren, wählten den verhältnismäßig langen Weg der philosophischen Studien, und viele und offenbar die aktivsten blieben, um ihre Studien über das Staatsexamen hinaus fortzusetzen, oder blieben auch auf andere Weise unter den Fittichen der Universität, entweder in kleinen Universitätsaufgaben oder ernährten sich als Zeitungsredakteure und in anderen freien Berufen. Gerade in diesen sich weiter fortbildenden Studenten erhielten die studentischen Landsmannschaften die geeigneten Führer, die später allmählich in leitende Universitätsstellungen aufstiegen. Den Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen unterstrich noch ein sprachpolitischer Umstand. In den Augen der Bürokratie bedeutete die Kennt158

nis der russischen Sprache einen wichtigen Zusatz zum Befähigungsnachweis, handelte es sich nun um eine mögliche Karriere in Rußland oder um die höchsten Stellungen in Finnland, in denen man mit russischen Beamten in Berührung kam. Hinter den von Regierungsseite unternommenen Maßnahmen zur Vermehrung der Russischkenntnisse stand zum Teil auch das Bestreben, die Notwendigkeit, Russen wegen der mangelnden Russischkenntnisse der Finnen in finnische Beamtenstellungen einzusetzen, nicht aufkommen zu lassen, und deswegen fanden diese Bestrebungen der Regierenden leicht Widerhall in diesem Kreis. Dagegen hielten die Kreise der Geistlichkeit und der Universität das Studium des Russischen nicht für notwendig, und es gelang ihnen, für sich eine Ausnahme hiervon zu erlangen. Aber sie hegten auch den Verdacht, daß dahinter die Absicht der Russifizierung stand, und waren der Ansicht, daß diese Gefahr durch Vertiefung der Verbindung mit dem finnischen Volk selbst abgewehrt werden müsse. Da so die Frage einer Veränderung der sprachlichen Verhältnisse geweckt und das Schwedische, die allgemeine Umgangssprache der gebildeten Schichten Finnlands, von dieser oder jener Seite in die Debatte gezogen war, veranlaßte dies auch die Anhänger der finnischen Sprachlinie, ihrerseits über praktische Maßnahmen nachzudenken, d. h. über die sprachliche Vereinigung mit dem Volke. Es genügte nicht mehr, daß die finnische Gesinnung ein platonisches Interesse der schwedischsprechenden Gebildeten war, sondern sie mußte sich auch in der Tat zeigen; die Gebildeten mußten anfangen, finnisch zu sprechen. Die Sprache begann, in diesem Kreis das Symbol für vaterländische Gesinnung zu sein, aber zugleich fing man auch an, in ihr ein Mittel zur Verbreitung der Aufklärung zu sehen, ein Instrument, um die unteren Stände in eine Einheitsfront mit den oberen Ständen hinaufzuheben. In dieselbe Richtung wirkte auch der Hegelianismus, der sich unter den akademischen Kreisen ausbreitete, und seine Auffassung, daß die Entwicklung des Staates vom Nationalgeist und der Kultur abhängig sei. Die Sorge hierfür begann so sogar wichtiger zu erscheinen als die formale Verteidigung der Autonomie. Die Anschauungen der akademischen Kreise begannen, eine immer tiefere ideologische Akzentuierung anzunehmen, aber auch ihr Bedürfnis, in die Öffentlichkeit vorzudringen, wurde immer stärker, wenn auch gleichzeitig die Betonung des Hegelianismus geeignet war, sich von deutlich politischen Forderungen zurückzuhalten. Auch auf eine andere Weise erwies es sich, nachdem man in die vierziger Jahre gekommen war, daß ein vollständiges Auf-der-Stelle-Treten nicht mehr möglich war. Vor allem mußte das Wirtschaftsleben wegen der beginnenden Industrialisierung Auftrieb bekommen. Das erforderte vielseitigere Fachkenntnisse, als sie die ländliche Bevölkerung besaß, und dadurch kam auch bei den Regierenden die Frage der Schulung und Ausbildung auf die Tagesordnung. Auch dieser Umstand gab den Bemühungen um die finnische Sprache eine mehr praktische Richtung: anstatt Zeugnisse der Volkskultur zu sammeln, mußte man jetzt daran denken, das Volk zu bilden, und das konnte nur in der finnischen Sprache geschehen. Wegweiser für diese neue Richtung wurde J . V. Snellman, der schon als Studentenführer und Dozent der Philosophie den Herren in der Regierung ein Dorn im Auge geworden war. Er war nach einer Studienreise nach Deutsch159

land als Lehrer an einer höheren Schule in das abgelegene Kuopio gezogen. Dort begann er im Jahre 1844 in seinem Blatt »Saima« (auf schwedisch) seine auf praktische Maßnahmen drängende nationale Entwicklungsarbeit - er forderte die Gleichstellung der finnischen mit der schwedischen Sprache, den Übergang der Gebildeten vom Schwedischen zum Finnischen - und fügte zu der Forderung nach nationaler Erweckungsarbeit auch die nach sozialen Reformen hinzu. Da der Boden hierfür, wie wir sahen, sehr wohl vorbereitet war, erlangten diese Forderungen schnell lauten Widerhall in akademischen Kreisen. Aber gleichzeitig begannen sie den Herren in der Regierung immer gefährlicher zu erscheinen. Die Betonung der Sprachenfrage war ihrem Staatsnationalismus nicht nur fremd, sondern sie bedrohte in ihrer Schroffheit den alten Zustand, dessen Bewahrung für die Erhaltung der autonomen Stellung notwendig schien. Und dieser Gegensatz erhielt noch seine besondere Schärfe dadurch, daß Snellmans Forderungen auch im Widerspruch standen zu Nikolais I. sogenannter politischer »Prinzipienpolitik«, nach denen Finnland eine Barriere sein sollte gegen die verdächtigen westlichen Strömungen, und die der Generalgouverneur Menschikov seinerseits so verwirklichte, daß er dafür sorgte, daß aus Finnland nichts Alarmierendes zu hören war. Hinzu kam, daß Snellmans Tätigkeit schnell zu sichtbaren Erfolgen zu führen begann. Finnische Blätter traten ins Leben, und dies verursachte neue Schwierigkeiten, da die Regierung die Zensurbehörde nicht dazu bringen konnte, ihr Amt »intelligent« auszuüben. Die Zensoren konnten nicht genügend finnisch, aber entscheidender war vielleicht der Umstand, daß sie als Schullehrer oder aus ähnlichen Berufen kommend aus demselben akademischen Umkreis stammten, von seinen Anschauungen durchdrungen waren und die Dinge nicht mit den Augen der Regierung sahen. Die Regierung griff zu scharfen Maßnahmen gegen die Meinungsbildung durch die Presse, zuerst, indem sie 1846 »Saima« eingehen ließ, wahrscheinlich mehr wegen seiner »kommunistischen Gesinnung«, d. h. wegen seiner allgemeinen politisch-sozialen Erweckungsarbeit, als nur wegen seines nationalen Programms. Snellman durfte nämlich, allerdings unter dem Schutz von Lönnrots Namen, seine journalistische Arbeit im »Litteraturblad för medborgerlig bildning« [Literaturblatt für staatsbürgerliche Bildung], wenn auch mit sozial vorsichtigeren Plänen, fortsetzen. Aber vom Standpunkt der regierenden Kreise begann die Lage - gerade wegen der »Mängel« der Zensur - immer schwerer beherrschbar zu werden. Einige savo-karelische studentische Kreise hatten 1847 eine finnischsprachige Zeitung, »Suometar«, gegründet, und auch in Viipuri (Wiborg) erschien ein finnisches Blatt, das auch soziale Fragen berührte. Als dann noch die Finnische Literarische Gesellschaft begann, ihre Mitgliedschaft auf studentische und bäuerliche Kreise auszudehnen und die 1849 gegründete Kauniskirjallisuuden Yhdyskunta (Gesellschaft für schöne Literatur) dazu überging, gesellschaftskritische Romane ins Finnische zu übersetzen, konnte die Befürchtung entstehen, daß das soziale Erwachen - oder nach Ansicht der Regierenden die revolutionäre Gesinnung - auf das eigentliche Volk übergreifen würde, und daher schritt Menschikov zu einer radikalen Maßnahme. Alle derartigen finnischen Veröffentlichungen, soweit sie nicht der religiösen Erbauung oder dem wirtschaftlichen Nutzen dienten, wurden 1850 verboten. Die Verlegung der Idee 160

des sprachlichen Nationalismus auf ein praktisches soziales (oder politisches) Tätigkeitsfeld stieß auf ein effektives Hindernis. Während die öffentliche Meinungsbildung mit großen Schwierigkeiten kämpfte, hatten die Anschauungen, die sich spontan unter der studierenden Jugend in den Landsmannschaften bildeten, eine umso größere Bedeutung. In diesen sich selbst verwaltenden Organisationen konnte man frei über die die Zeit bewegenden Ideen diskutieren, eine intensive Studentenpolitik betreiben und auch eine konzentrierte Tätigkeit nach außen organisieren, vor allem aber lag ihre Bedeutung darin, daß sie die Schulungsstellen für die zukünftigen geistigen Führer waren. Darüber hinaus nahmen viele Mitglieder, wenn sie nach der Studienzeit in die Provinzzentralen übersiedelten, schließlich für ihr Leben unverlierbare Eindrücke mit. Wichtig war damals auch, daß der Gedanke des sprachlichen Nationalismus in den Landsmannschaften einen von den jüngeren Universitätsdozenten angefeuerten Widerhall fand. Schon zu Arwidssons Zeit, zu Beginn der zwanziger Jahre, konnte man zwei Drittel der Studenten organisieren und sie veranlassen, Unterricht in der finnischen Sprache zu fordern, und Snellman leitete 1833 eine gleichartige Aktion. Speziell diese gedankliche Richtung fand Anhänger in der savo-karelischen Landsmannschaft. Dort war das Interesse für das Sammeln von Volksdichtung stark, und aus diesem Kreis ging auch die Gruppe hervor, die »Suometar« gründete. Damals wandte sich der Strom, dank Snellmans Verkündigungen, bereits praktischeren Aufgaben, der Volksbildung, zu. Die Verhältnisse komplizierten sich, als 1848 die Unruhe in Europa einer liberalen Richtung zum Durchbruch verhalf, die sich zwar mit den Volksbildungsbestrebungen vereinigen konnte, aber in ihnen nicht, wie der sprachliche Nationalismus, eine zentrale Aufgabe sah, sondern nur einen Teil der viel weitergehenden liberalen Reformen zur Hebung des Volkes, mit denen sich laut vertretene Forderungen nach einer Verfassung verbanden. Diese Richtung fand zum Teil ihren Stützpunkt in der schwedischsprachigen Landsmannschaft von Uusimaa (Nyland), und ihr Einfluß machte sich darin bemerkbar, daß die Landsmannschaften anfingen, mit dem Konstitutionalismus zu experimentieren, indem sie ihre eigenen Statuten erneuerten. Schließlich führte die Unruhe in der studentischen Welt zur Aufhebung der Landsmannschaften im Jahr 1852. *

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Damals stand man schon vor einer neuen Änderung der Stromrichtung, die durch den Krimkrieg verursacht wurde. Die Verordnung über die Publikationen vom Jahr 1850 erwies sich als zu radikal, als daß sie in der Praxis hätte aufrecht erhalten werden können. Die Stimmung im finnischen Volke wurde gereizt, wenn die Zeitungen spaltenweise Erzählungen aus der biblischen Geschichte brachten zu einer Zeit, in der man über allgemeine Angelegenheiten unterrichtet werden wollte. Gleichzeitig wurden die Regierungsmitglieder überschüttet mit Ausnahmegesuchen in bezug auf Nachrichtenmaterial, Lehrbücher u. ä., und mit diesem Chor vereinigten sich die immer wiederholten Gesuche der Bauern um Verbesserung der Lage der finnischen Sprache. Den Anstoß zur Aufhebung des Publikationsedikts gab das Gesuch einer Bauerngruppe aus Savo im Jahre 1854. Der Regierungsantritt Alexanders I. war dann das äußere 161

Zeichen für eine Veränderung der Atmosphäre, und in seinen ersten Jahren gewann die Diskussion über politische und soziale Fragen sowohl spontan wie auch durch die Maßnahmen der Regierung eine vorher nie gekannte Belebung. Die Veränderung machte sich auch in der Einstellung des Herrschers zur Sprachenfrage bemerkbar. Snellman wurde in den Senat aufgenommen, und dieser Umstand sowie die Anfang der sechziger Jahre in St. Petersburg vorgetragenen Gesuche zweier Bauemdelegationen bezüglich des Gebrauchs der finnischen Sprache im Unterricht und vor Gericht und ein bäuerlicher Antrag 1862 in derselben Angelegenheit bei der Januarkommission, die die Landtagstätigkeit vorbereitete, bildeten den Hintergrund für den Erlaß des Zaren vom Jahre 1863, daß die finnische Sprache im Verlauf von zwanzig Jahren den gleichen Rang wie die schwedische im öffentlichen Leben erhalten solle. Schon in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde der finnische sprachliche Nationalismus zu einer deutlich politischen Bewegung, aber erst nachdem der Landtag zu Anfang der sechziger Jahre seine Tätigkeit aufgenommen hatte, wurden seine führenden Persönlichkeiten gezwungen, die Einzelheiten ihres in der Praxis durchzuführenden sprachlichen und nationalen Programms genauer zu prüfen, und sie mußten an seine organisatorische Durchführung gehen. Da zeigte es sich, daß sich die Bewegung deutlich in zwei Gruppen schied. Die eine war vertreten durch die Gruppe, die in den vierziger Jahren die führende Stellung innegehabt und »Suometar« gegründet hatte, um lehrreiche und allgemein nützliche finnische Lektüre zu bieten. Die Männer dieser Richtung, die man die »alten, redlichen Finnen« nannte, stammten hauptsächlich aus den östlichen Teilen Finnlands und aus dem Binnenland, wo allgemein finnisch gesprochen wurde, ihr gesellschaftlicher Hintergrund war verhältnismäßig einfach und ländlich und ihre akademische Bildung nicht sehr hoch. Hinter ihrer Einstellung stand die Furcht, die sie vor Rußland empfanden, um deretwillen das Volk geweckt und aufgeklärt werden mußte. Im Gegensatz dazu sahen sie in der Einstellung zu den Schweden und zu Schweden kein aktuelles Problem, eher hielten sie Schweden für einen Stützpfeiler der westlichen Kultur, der Dankbarkeit verdiente. In den sechziger Jahren gerieten sie jedoch in die Minderheit gegenüber einer schrofferen Richtung, die »Jungfennomanen« genannt wurde. Sie waren entschiedene Gegner der schwedischen Sprache und Schwedens. Nach ihrer Ansicht war die Dankesschuld gegenüber Schweden bereits vollständig abgetragen, und auf Gesichtspunkte des Schwedentums konnten keine Rücksichten genommen werden, wenn das finnischsprachige Bildungswesen vielseitig und möglichst hoch entwickelt werden mußte. Hierbei müsse man sich auf den Zaren-Großfürsten stützen, aber gleichzeitig vermeiden, das Mißtrauen der Russen zu wecken. Auch sie sahen in Rußland die zukünftige Bedrohung, aber der beste Schutz dagegen sei ein hoher Bildungsstand in der eigenen Sprache, und um diesen schnell zu schaffen, müsse die schwedisch gewordene gebildete Klasse wieder die finnische Sprache als Umgangs- und Bildungssprache annehmen. Mittel zur Verbreitung dieses Programms und zur Werbung von Anhängern sollten Zeitungen und Zeitschriften werden, deren Zahl jetzt beträchtlich wuchs und die gleichzeitig eine ausgesprochene Parteifärbung erhielten. Dies bedeutete jedoch nicht die Entstehung von organisierten Parteien, 162

die sowohl durch das eng begrenzte Stimmrecht wie durch die Aufteilung des Landtags in vier Stände erschwert wurde, denn der Bauernstand und die Geistlichkeit waren zum größten Teil finnischsprachig, während im Adels- und im Bürgerstand nur eine kleine Minderheit finnisch sprach. Die Blätter waren im allgemeinen die Sprachrohre bestimmter in der Ideenpolitik führender Persönlichkeiten, und diese sammelten um sich eine kleinere Gruppe Gleichgesinnter als Redakteure oder als Redaktionsstab, aber sie unternahmen nicht den Versuch, ihre Leserschaft fester zu organisieren. Dasselbe traf auch auf die liberale Richtung zu, die als Gegenspieler der Jungfennomanen auftrat und die bei der Schaffung einer Parteipresse voranging: »Helsingfors Dagblad« (1862, schwedisch); »Päivätär« (1863, finnisch). Die Presse der Jungfennomanen entstand dadurch, daß drei führende Männer dieser Richtung (Yrjö Koskinen, sein Bruder Jaakko Forsman und Agathon Meurman) aus der Zeitung »Suometar« ausschieden und 1863 ein eigenes Organ gründeten, »Heisingin Uutiset« [Helsinkier Nachrichten], aber schon ein Jahr später erhielten sie wieder die Bestimmungsgewalt über »Suometar«, und auch das liberale Blatt »Päivätär« wurde damit verschmolzen. Diese Zentralisierung der finnischsprachigen politischen Tätigkeit in der Hauptstadt um ein einziges Parteiblatt wurde nicht nur durch praktische Bedürfnisse diktiert, sondern hing auch mit der Einstellung der führenden Persönlichkeit dieser Richtung, Yrjö Koskinen, gegenüber einer parteipolitischen Organisierung zusammen. Nach seiner an Hegel und Snellman orientierten Auffassung konnte die Fennomanie keine eigentliche Partei sein, denn ihre Aufgabe war, das ganze finnische Volk zu vertreten und um ihre Idee zu sammeln. Erst wenn diese nationalpolitischen Grundziele erreicht waren, konnte man daran denken, das Volk in Parteien aufgrund verschiedener Ansichten in anderen Fragen aufzuspalten. Die Entstehung einer ausgesprochenen Parteipresse gestattete auch, besser zu erkennen, welcher Art die gesellschaftliche Zusammensetzung der hinter diesen Blättern stehenden Kreise war. Schon die Jungfennomanen unterschieden sich von den Männern des Kreises um das Blatt »Suometar« der fünfziger Jahre dadurch, daß sie aus den obersten Kreisen der akademischen Bildungsschicht stammten und daß Finnisch nicht ihre Alltagssprache war, sondern daß sie sich bemühten, sie sich anzueignen. Eine führende Stellung innezuhaben war für sie irgendwie selbstverständlich - was die Möglichkeit zu einer Vertretung im geistlichen Stand noch unterstrich deswegen waren sie empfindlich gegenüber der Konkurrenz anderer Richtungen, aber aus demselben Grund waren ihre Bemühungen, das Volk zu erwecken, im Grund nicht demokratisch, sondern sie wünschten das Volk zu wecken, um mit seiner Hilfe ihre führende Stellung gegenüber anderen Richtungen zu stützen. In dieser Beziehung waren die Liberalen wenigstens in ihren Grundsätzen echtere Demokraten, denn sie bemühten sich, weite Kreise in die politische Arbeit hineinzuziehen. In gesellschaftlicher Hinsicht stammten auch sie aus den obersten Schichten, sogar aus Adelskreisen, aber aus solchen, die nicht zu den regierenden Kreisen gehörten. Oft waren sie Ärzte oder Naturwissenschaftler oder Ingenieure, standen im Dienst der Holzindustrie oder des Geschäftslebens. Sie vertraten eine Art wissenschaftlicher, technischer und finanzieller Elite, die zwar, da sie außerhalb der im Landtag vertretenen Stände stand, im politischen 163

Leben kein Wort mitzusprechen hatte, die aber leicht Widerhall bei der städtischen Bevölkerung und beim Bürgerstand finden konnte. Die Anschauungen der herrschenden ständischen Denkweise waren ihnen fremd, aber ebenso fremd auch der Hegeische Idealismus und seine Idee vom Volk. Statt dessen neigten sie einem wissenschaftlichen Materialismus und einer individualistischen Auffassung vom Gemeinwesen zu, die in der Sprache nur eines der demokratischen Rechte eines Individuums sah. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre verursachten die schweren Hungerjahre eine Unterbrechung sowohl für die politische Tätigkeit wie für die Presse, und danach trat auf dem sprachpolitischen Feld ein neuer Faktor auf, eine regelrechte schwedisch-nationale Bewegung, der sogenannte Freudenthalismus. Der Begründer dieser Richtung, der Sprachforscher Freudenthal, war reichsschwedischer Abstammung, und seine Forschungen hatten ihn merken lassen, daß an der Süd- und Westküste Finnlands eine schwedisch sprechende Bevölkerung wohnte. Ihre Weiterbildung forderte, ebenso wie die der finnischen, eine kulturelle Arbeit in der eigenen, d. h. der schwedischen Sprache, und dieser Umstand lieferte auch Argumente für den Teil der gebildeten Klasse, dem der von den Fennomanen geforderte Sprachenwechsel widerstrebte. Das Zentrum der Bewegung wurde die Landsmannschaft von Uusimaa (Nyland), deren Kurator Freudenthal war, und sie war am stärksten zu Beginn der siebziger Jahre, als sie ihr eigenes Blatt, »Vikingen« [Der Vikinger] herausgab. Als um 1880 der Versuch der Liberalen, eine eigene Partei aufgrund eines verkündeten Parteiprogramms zu gründen, vollständig mißglückte, wurde die ganze Richtung schwächer, und ihre Anhänger schlössen sich der schwedischgesinnten Richtung an. In dieser trat danach ein deutlich erkennbarer Dualismus auf zwischen dem Freudenthalschen ländlichen Schwedentum und dem Kulturschwedentum, jedoch so, daß das letztere, dem ein Teil der gebildeten Klassen und der obersten Beamtenschaft anhing und das gewissermaßen liberal gesonnen war, bis zur Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1906 immer tonangebend blieb. Zur gleichen Zeit begann auch eine Neugruppierung innerhalb der finnischen Bewegung. Unter der Führung der Jungfennomanen, die als neue Blätter das Hauptorgan »Uusi Suometar« [Neue Suometar] (1869), das schwedische »Morgonbladet«, in dem Snellman schrieb, und die Zeitschrift »Kirjallinen Kuukauslehti« [Literarische Monatsschrift], die Yrjö Koskinens ideenpolitisches Forum war, erhalten hatten, war vom Anfang der sechziger Jahre, als Snellman in den Senat kam, bis zum Anfang der achtziger Jahre, als Yrjö Koskinen seinerseits einen Platz im Senat erhielt, die erste Phase des Sprachenkampfes verlaufen, deren Ergebnis einerseits der Beginn eines finnischen schnell wachsenden höheren Schulwesens und die Gleichberechtigung der finnischen Sprache im öffentlichen Leben war. Aber gleichzeitig entstand auch in den für das Finnentum kämpfenden Kreisen eine liberale Richtung, die stärker wurde, als die Gründung einer schwedischen liberalen Partei sich zerschlug. Ihre wachsende Bedeutung zeigte sich darin, daß, als die Literarische Monatsschrift (»Kirjallinen Kuukausilehti«) 1880 ihr Erscheinen einstellte, die Zeitschrift »Valvoja«, die von einer Gruppe redigiert wurde, die sich von den Jungfennomanen getrennt hatte, ihre Aufgabe erbte; und als das schwedischsprachige 164

liberale Hauptorgan »Helsingfors Dagblad« 1889 aufhörte, wurde als Vertreter der liberal-demokratischen Ideen das finnischsprachige Blatt »Päivälehti« [Tagblatt] gegründet. Die nuancierte ideenpolitische Diskussion verlagerte sich immer mehr in die finnische Presse, die schon am Anfang der siebziger Jahre die schwedische in bezug auf die Zahl der erscheinenden Blätter erreicht hatte, auf beiden Seiten erschienen ungefähr 20. Diese Entwicklung vollzog sich jedoch weiterhin in derselben unorganisierten Weise wie früher, indem man sich zu Kreisen um Blätter und ihre Redaktionen zusammenschloß. Symptome für die beginnende Organisierung von Parteien waren jedoch die Klubs, von denen mehrere in den Kreisen derselben Richtung entstehen konnten. Bei den Fennomanen kam man auf Anregung der jüngeren Generation sogar so weit, daß in der Hauptstadt in den siebziger Jahren ein gemeinsamer Klub - Heisingin Suomalainen Klubi entstand, der mit der Zeit seine Versammlungen sehr regelmäßig abhielt und die Zusammenarbeit regelte. Auch unter den Studenten, bei denen die Landsmannschaft von Uusimaa (Nyland) das Zentrum der schwedischen Richtung war und die nordfinnische österbottnische sowie zum Teil die binnenfinnische Landsmannschaft von Häme dieselbe Stellung für die finnische Richtung innehatten, während die westfinnischen Landsmannschaften eher eine liberale Linie vertraten, entstand zur Zusammenfassung der finnischen Richtungen 1875 ein eigenes Organ, »Suomalainen Nuija« [Die finnische Keule], das in der Studentenpolitik eine zentrale Rolle spielte. Klubs entstanden auch in den Provinzstädten - oft um ein lokales Blatt - , aber sie verknüpften sich nicht zu einem landumfassenden Parteinetz, sondern die Verbindung mit der Hauptstadt wurde durch Privatkorrespondenz aufrechterhalten. Zu Beginn der achtziger Jahre wuchs innerhalb der Finnentumsbewegung eine neue radikale Generation heran, die ein für allemal den Sprachenstreit zu einem solchen Ende führen wollte, daß die Sprache der Mehrheit des Landes die dieser Stellung entsprechende herrschende Bedeutung erhielt. Es entstand ein neuer Gegensatz zwischen Jungen und Alten, und er wurde immer tiefer, als nach Ansicht der alten ehemaligen Jungfennomanen wegen der immer drohender werdenden Aussichten in bezug auf Rußland und nachdem die finnische Sprache formale Gleichberechtigung erlangt hatte, alle Kräfte zu einer gemeinsamen vaterländischen Front zusammengeschlossen werden sollten. Zwischen diesen Richtungen war auch insofern ein sozialer Unterschied, als in der Führung der »Alten« die obersten finnisch gesinnten Universitätskreise standen und diese von der Geistlichkeit Unterstützung erhielten, deren Einstellung in sozialer Hinsicht einem immer strengeren Konservativismus zuneigte, während die »Jüngeren« aus anderen als akademischen Kreisen stammten oder am Anfang einer akademischen Laufbahn standen. Ihr Führer im Bauernstand war der in seinem Beruf langsam vorwärtskommende Jurist Jonas Castren und in der Bürgerschaft der seine juristischen Studien ebenso schwach betreibende Lauri Kivekäs. Letzterer gründete für die Richtung die Vereinigung K. P. T., eine Bezeichnung, in die die Deutung: »koko programmi toimeen« [Ans Werk mit dem ganzen Programm!] oder »Kansan pyhä tahto« [Des Volkes heiliger Wille] hineingelegt wurde, Deutungen, die also sprachlichen wie sozialen Radikalismus erkennen ließen. Hier konzentrierte sich das 165

Interesse und die Unterstüt2ung für alle neuen radikalen Ideen der Zeit: Frauen- und Arbeiterfrage, Glaubensfreiheit und die im Durchbruch begriffene naturwissenschaftliche Weltanschauung. Eine derartige Einstellung zog Schriftsteller und Künstler in diesen Kreis, und dies alles führte die Gruppe mit der Zeit näher an die gemäßigtere liberale finnische Valvoja-Gruppe. Als in den neunziger Jahren die Drohung aus dem Osten wirklich kam, drängte sie die Sprachenfrage immer mehr zur Seite, und so entwickelte sich aus diesen beiden Richtungen, in denen Juristen und Vertreter freier Berufe die Führung hatten, eine freisinnige und streng verfassungstreue jungfinnische Partei, die, als die Jahre der Unterdrückung (1899-1905) kamen, sich mit der schwedischen Partei zum passiven Widerstand gegen die russischen Maßnahmen verband. Aus den »Alten« dagegen, bei denen Historiker und führende Männer der Kirche die Leitung hatten, entstand die altfinnische Partei, die nach dem Namen des Blattes auch Suomettarelaiset hieß. Sie versuchte, durch Nachgiebigkeit gegenüber den russischen politischen Forderungen zu erreichen, daß die führenden Stellungen in finnischen Händen blieben, um die intensive Arbeit für die Hebung der finnischsprachigen Bildung möglichst lange fortsetzen zu können. Gleichzeitig verschärfte sie von neuem den Sprachenkampf, da sie glaubte, sie könne ihr Ziel nur erreichen, wenn sie sich als Vertreter der überwiegenden Mehrheit des finnischen Volkes auswies und die schwedische Partei mit ihrem »finnisch wedelnden Schwanz« - d. h. die Jungfennomanen - ihres politischen Einflusses beraubte. Die Parteien bekämpften sich sehr erbittert, weil der Sprachenkampf sich nun mit dem Kampf um die Mittel verband, durch die Finnlands Zukunft gerettet werden sollte. Damals hatten vom Ende des Jahrhunderts an fest organisierte Parteien sich zu bilden begonnen, aber zugleich war die Sprachenfrage zu einem untergeordneten - wenn auch wichtigen - Teil innerhalb des Parteiprogramms geworden. Eine Art Schlußpunkt erreichte diese Frage dank der Reform des Landtags und der Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1906, als das Verhältniswahlrecht Parteien voraussetzte und diese gezwungen waren, das ganze Land umfassende Organisationen zu bilden. Aber zugleich führte der Umstand, daß die Sprachenfrage zu einem Teil der größeren Gesamtheit der Parteiprogramme wurde, dazu, daß die Anhänger des finnischen Sprachennationalismus eine Organisation außerhalb der Parteien bildeten, Suomalaisuuden liitto (Verband des Finnentums), die selbständig und unabhängig von den Parteiberechnungen ihre Idee vertrat und die gleich bei ihrer ersten großen Aktion der Finnisierung der Familiennamen 1906 einen großen sichtbaren Erfolg errang (ca. 25000 Personen, mit Familienmitgliedern ca. 100000) und die danach fortfuhr, für die Reinheit der Sprache und ihre Weiterbildung für den Gebrauch auf allen Gebieten des Lebens zu kämpfen.

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Literatur A. ANTTILA : Kansallinen herääminen ja kielitaistelu [Das nationale Erwachen und der Sprachenstreit]. In: Suomen Kulttuurihistoria. 4 (1936). S. 363—442. M. KLINGE: Ylioppilaskunnan historia [Geschichte der Studentenschaft der Universität Helsinki]. I (1828-52). 1967. II (1852-71). 1967. III (1872-1917). 1968. L. KRUSIUS-AHRENBERG: Finnischer Separatismus und russischer Imperialismus im vorigen Jahrhundert. In: HZ. 187 (1959). S. 249-288. P. RENVALL: Die Entstehung einer Staatsnation. Finnland im achtzehnten Jahrhundert. In: Finnland - gestern und heute. Köln 1963. (Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. 26. S. 23-34.) DERS. : Uber die Wurzeln der finnischen Autonomie im 18. Jahrhundert. In : Sitzungsberichte der finnischen Akademie der Wissenschaften. 1960. S. 185-204. DERS. : Die Phasen der Entwicklung der finnischen Nation. In: X l l e Congrès International des Sciences Historiques. V i e n n e . . . 1965. Rapports. I. Grands Thèmes. Horn 1965. S. 241-250. P. ROMMI: Framveksten av de politiske partier i de nordiske land pâ 1800-talet: Finland. In: 0degärder - Politiske partier. Oslo 1964. S. 103-130. R. G. SELLECK: The language issue in finnish political discussion 1809-1863. Phil. Diss. Radcliff College. Cambridge (Mass.). April 1961.

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Diskussion

Eugen Lemberg Meine Frage betrifft das Verhältnis der beiden Sprachen Schwedisch und Finnisch. Ist es richtig, wenn ich es so sehe, daß die schwedische Sprache mit ihrer älteren Tradition früher den Charakter einer Hochsprache oder Literatursprache hatte, daß sie die Sprache der Gebildeten war und daß sich dieser Sprache gegenüber das Finnische im Laufe des 19. Jahrhunderts als Literatursprache und Hochsprache durchsetzen mußte? Das würde die Propaganda für die finnische Sprache erklären, die Herr Renvall angedeutet hat. Man müßte vergleichend die psychologische und soziologische Eigentümlichkeit studieren, die sich ergibt, wenn die staatsoffizielle Sprache weniger entwickelt ist als die Sprache einer minderheitlichen Gruppe. Miroslav Hroch Es wäre zu fragen, inwieweit sich als integrierend für die nationale Bewegung der Finnen die Tatsache erwiesen hat, daß man hier zwei herrschende Nationen hatte, die sich gegenseitig bekämpft haben. Der Druck war dadurch vielleicht geschwächt (eine Erscheinung, die wir auch in anderen Fällen der ostmitteleuropäischen kleinen Nationen finden), daß man die Gegensätze zwischen den herrschenden Naüonen ausspielen konnte. Eine weitere Vergleichsmöglichkeit bietet sich in dem Fall von Böhmen an, wo - ähnlich wie in Finnland - die auf einem kompakten Gebiet innerhalb des Landes lebende Minorität zu der herrschenden Nation gehörte und den entscheidenden Teil der herrschenden Klasse stellte. Zum Unterschied von den Deutschen in Böhmen hat die schwedische herrschende Klasse in Finnland nie im Ernst versucht, das ganze historische Finnland als einen Teil von Großschweden zu verwirklichen. Die Ursache liegt hier nicht nur auf dem ideologischen Gebiet (der schwedische Nationalismus hat nie die Agressivität des deutschen erreicht), sondern vor allem in den politischen und zum Teil auch in den geographischen Gegebenheiten. Die Folge war, daß sich die bisher herrschende schwedische Nation mit der Notwendigkeit eines Zusammenlebens mit den gleichberechtigten Finnen abfinden mußte. Man mußte sich irgendwie anpassen (wenn auch nicht ohne Reibungen), und das hat wahrscheinlich dazu beigetragen, daß sich in Finnland eine Tendenz zur Bildung einer Staatsnation mit zwei anderssprachigen Gruppen stärker als in Böhmen gezeigt hat.

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Verzeichnis der Tagungsteilnehmer

Peter Alter, Köln Prof. Dr. Povl Bagge, Kopenhagen Wolf D. Behschnitt, Köln Dr. Gerhard Brunn, Köln Dr. Francesco Carraciolo, z. Z. Köln Dr. Ernst Coenen, Köln Dr. Otto Dann, Köln Prof. Dr. Jacques Droz, Paris Dr. Elisabeth Fehrenbach, Gießen Prof. Dr. Lothar Gall, Gießen Prof. Dr. Mirjana Gross, Zagreb Dr. Leo Haupts, Köln Dozent Dr. Miroslav Hroch, z. Z. Freiburg (Breisgau) Prof. Dr. Günter Kahle, Köln Prof. Dr. Reinhard Koselleck, Heidelberg Dr. Juraj Kramer, Köln Prof. Dr. Eugen Lemberg, Wiesbaden Dr. Hans Lemberg, Köln Dr. Rudolf Lill, Rom Dr. Karl-Egon Lonne, Wevelinghoven Dr. Karl-Hermann Lucas, z. Z. Rom Prof. Dr. Kevin B. Nowlan, Dublin Dr. Erwin Oberländer, Köln Dr. Klaus Pabst, Köln Prof. Dr. Pentti Renvall, Helsinki Prof. Dr. Rosario Romeo, Rom Prof. Dr. Theodor Schieder, Köln Dr. Wolfgang Schieder, Heidelberg Volker Steffens, Köln Prof. Dr. Günther Stökl, Köln Prof. Dr. Adam Wandruszka, Köln Priv.-Doz. Dr. Hans-Ulrich Wehler, Köln Irmgard Wilharm, Köln Prof. Dr. Wolfgang Zorn, München 169

Personen- und Autorenregister

A Agnelli, Arnaldo 46 Albrecht, P. 102 Alexander I., Zar 155, 161 Anttila, Aarne 167 Arendt, Hannah 17 Arndt, Ernst Moritz 111 f. Arwidsson, Adolf Ivar 157, 161 B Bach, Alexander Freiherr von 83 Bagge, Po vi 144, 151 f. Baiser, Frolinde 107 Bamberger, Ludwig 103, 113 f. Bandini, Mario 46 Bartel, Horst 107 Barton gen. von Stedman, Irmgard von 113 Bauer, Otto 123 Beckerath, Hermann von 102 Becke«, J. C. 53, 56 Begtrup, Holger 152 Beutler, Ernst 99 Bezzenberger, A. 126 Bismarck, Otto Fürst 97, 100 f., 108, 112 f., 115,118 Black, Robert Dennis Collison 57 Blackall, Sir H. 56 Boehm, Max Hildebert 22 Böhme, Helmut 98, 104, 114 Bogdanov, Vasa 91 Bolton, Geoffrey Curgenven 53 Bonn, Hildegard 102 Bopp, Hartwig 105 Bourke, Marcus 59 Boyd, Ernest 63 Braubach, Max 113 Breshnew, Leonid Iljitsdi 30 Broderick, John F. 54 Brown, Thomas N. 59 Bruck, Karl Ludwig Freiherr von 102

Bürgener, Martin 136 Butt, Isaac 59 f. C Caizzi, Bruno 46 Caracciolo, Alberto 47 Carpelan, Tor Harald 127 Castrén, Jonas 165 Cattaneo, Carlo 42 Cavour, Camillo Benso, conte di 41 f. Ceginskas, K. J. 126 Ciasca, Raffaele 47 Clarke, R. 57 Clauss, Friedrich 113 Coleman, James S. 9 Connolly, James 63 Conze, Werner 97f., 107, 115, 123 Corish, Patrick Joseph 59 Corkery, Daniel 53 Cour, Vilhelm la 152 Crispi, Francesco 43 Curtis, Lewis Perry 62 Cuvaj, Slavko Baron 90 D Danstrup, John 152 D'Arcy, W. 59 Davitt, Michael 61 Delbrück, Adelbert 103 Delius, Walter 110 Denis, Ernest 125 De Sanctis, Francesco 45 Deuerlein, Ernst 98, 106,110 Deutsch, Karl W. 9 , 1 1 , 1 3 4 Dewald, Johann Eberhard 105 Djilas, Milovan 25 Dobrila, Josip 82 Döderlein, Friedrich 113 Dovnar-Zapolskij, M. B. 136 Dowe, D. 107

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Duckwitz, Arnold 102 Duffy, Sir Charles Gavan 58 Duncker, Franz 103 E Eckardt, Fritz 109 Eckaus, Richard S. 44 Eckermann, Johann Peter 99 Edwards, Robert Dudley 57 Egestorf!, Georg 103 Eisenstuck, Bernhard 102 Elben, Otto 109 Elviken, Andreas 125 Emerson, Rupert 10 Engels, Friedrich 107 Engelsing, Rolf 109 Ernst II., Herzog von Sachsen-CoburgGotha 109 Evans 102 F Faber, Karl-Georg 97 Fabricius, Knud 152 Fehrenbach, Elisabeth 113 Ferrara, Francesco 40 Fischer, Wolfram 104 Flor, Christian 148 Forsman, Jaakko 163 Fossati, Antonio 46 Frank, Josip 87 f. Frankopan, Fran Krsto 68 Franz Ferdinand, Erzherzog-Thronfolger 87 Franz, Günther 107 Freiliggrath, Ferdinand 114 Freudenthal, Axel Olof 164 G Gagern, Heinrich Freiherr von 101 Gagern, Maximilian Freiherr von 101 Galasso, Giuseppe 47 Garibaldi, Giuseppe 43 Geibel, Emanuel 114 Gerhardt, Martin 125 Gervinus, Georg Gottfried 109 Gladstone, William Ewart 60-62 Goethe, Johann Wolfgang von 99 Gogolak, Ludwig von 125 Gollwitzer, Heinz 97,100 Grafenauer, Bogo 91

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Gramsci, Antonio 43, 46 f. Greenfield, Kent Roberts 47 Griewank, Karl 99 Groh, Dieter 107 Gross, Mirjana 91 f. Grothusen, Klaus-Detlev 91 Grundtvig, Nicolai Frederik Severin 144, 147-151, 153 Gruson, Hermann 103 Gwynn, Denis Rolleston 57 H Hamerow, Theodore S. 98 Hammacher, Friedrich 103 Harkort, Friedrich 103 Hayes, Carlton 9 Hayes-McCoy, G. A. 54 Heer, Georg 99 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 22, 159, 163 f. Hellmann, Manfred 126 Henderson, W. O. 101 Henning, Hansjoachim 110 Herder, Johann Gottfried von 22, 64, 142, 148 Hildebrand, Christian 104 Hinton, R. T. 99 Hodgkin, Thomas 9 Höhn, Reinhard 110 Hofmann, Georg Maria 105 Hohenlohe, Felix Prinz zu 102 Holl, Karl 54 Hollmann, Anton Heinrich 152 Hoppe, Ruth 104 Hroch, Miroslav 37, 104, 122, 128, 140 Hubatsch, Walter 111 Hucko, J. 127

J Jansen, Ea 128 Japsen, G. 152 Joseph II., Kaiser 68 Jukic, Luca 90 Jurgela, Constantine R. 126 Jutikkala, Eino 125 K Kaelble, H . 115 Kahle, Günter 9 Kahu, M. 128

K a n n , Robert A. 125 K a r a m a n , Igor 91 Katus, László 91 Kaupas, V. 126 Kedourie, Elie 22 Kindler, K a r l 99 Kivekäs, Lauri 165 Klinge, Matti 167 Klötzer, Wolfgang 112 Koch, H a i 152 Koch, Peter Christian 148 Koller, Ernst Matthias von 151 König, René 133 Körner, Theodor 111 Kohn, H a n s 9, 36 Krogh, L . F . C . 152 Krueger, H e r m a n n Edwin 102 Krusius-Ahrenberg, Lolo 167 Kruus, H a n s 125 Kuczynski, Jürgen 104 Kvaternik, Eugen 82 f. L Lagus, Vilhelm Gabriel 127 Larkin, Emmet 63 Lassalle, Ferdinand 107 f. Lauridsen, Peter 144,152 Lecky, William E d w a r d H a r t p o l e 53 f. Lehmann, H a r t m u t 112 Lehmann, O r l a 145,150 Lemberg, Eugen 9, 11, 31-33, 35, 98, 116 f., 125 Lenhardt, H e i n z 105 Lenin, Wladimir Iljitsch 27 Lescilovskaja, Inna I v a n o v n a 91 List, Friedrich 102 Löhneysen, Wolfgang Freiherr von 114 Lönnrot, Elias 157 f., 160 Lorenzen, Peter H i o r t 144-146, 148 Louis Philippe, König der Franzosen 43 Lucas, Karl H e r m a n n 50 Ludwig II., König von Bayern 106, 113 Lütge, Friedrich 115 Lund, H a n s 152 Lyons, Francis Stewart Leland 62 M McCaffrey, L . J . 5 6 , 6 0 MacDermot, F r a n k 53 McDowell, Robert Brendan 53 f.

Macintyre, Angus 55 Mair, Lucy 9 Manniche, Peter 152 Mannslker, D . 127 Maria Theresia, Kaiserin 68 Martin, F. X . 63 Marx, Karl 32,107 Masaryk, Tomas Garrigue 25, 85 Maschke, Erich 101 f. Maßmann, H a n s Ferdinand 109 Maximilian II., König von Bayern 108 Mazzini, Giuseppe 43 f. Meier, H e r m a n n Henrich 103 Meinecke, Friedrich 22 Menschikov, Alexander Sergejewitsch Fürst 160 Merck, Ernst 102 Metternich, Klemens Fürst 99 Meurer, Karl Ulrich 99 Meurman, Agathon 163 Meusch, H a n s 105 Meyer, Gertrud 97 Michaelsen 105 Mitchel, John 57 Moldenhauer, R. 112 Molinari, Th. 103 Moody, Theodore William 56 f., 59, 62 Morsey, Rudolf 101 Mortensen, H . F. 143 Mühlmann, Wilhelm Emil 20 Müllensiefen, Theodor 103 Müller, Georg 112 Müller, H a r a l d 112 Müller, Karl Alexander von 97 Müller, L. 113 Munthe, W. 127

N Namier, Sir Lewis Bernstein 99 Napoleon I., Kaiser der Franzosen 69 Napoleon III., Kaiser der Franzosen 50 N a u m a n n , Friedrich 115 Nikolaus I., Zar 160 Nipperdey, Thomas 1 0 8 , 1 1 1 , 1 1 3 N i x o n , Richard M. 24 Nolte, Ernst 10 N o r m a n , E d w a r d Robert 59 N o v o t n y , Antonin 33 N o w l a n , Kevin B. 54, 56 f., 63 f., 140

173

o

S

O'Boyle, Lenore 99, 103 O'Brien, Donat Conor Cruise 59, 62 O'Brien, Richard Barry 62 O'Connell, Daniel 54-58, 65 O'Connell, Maurice R . 53 O'Cuiv, Brian 63 O'Faolain, Sean 54 Oncken, Hermann 103

Schäfer, Gerhard 110 Scheibert, Peter 125 Schieder, Theodor 14, 24, 98, 111, 113, 115, 121 Schieder, Wolfgang 106 Schnabel, Franz 99 Schneider, Walter 102 Schoeps, Hans Joachim 100 Schrier, Arnold 57 Schulze-Delitzsch, Hermann 109 Schunke, Werner 103 Sdiweitzer, Johann Baptist von 108 f. Schybergson, Magnus Gottfrid 125 Scialoja, Antonio 40 Selleck, R.G. 167 Senior, Hereward 53 Sepie, Dragovan 91 Seyffardt 103 Shafer, Boyd C. 9 Sidak, Jaroslav 91 f. Siemens, Werner von 103 Siemens, William 103 Simon, Erica 152 Skovmand, Roar 152 Skrubbeltrang, Fridlev 152 Smith, Adam 29

P Pabst, Klaus 125 Pähl, Hans 102 Palacky, Frantisele 25 Palmstrom, Henrik 127 Parnell, Charles Stewart 60-62 Paulsen, Christian 148 Peel d . J . , Sir Robert 54 f. Pitt d. J., William 53 Porthan, Henrik Gabriel 157 Prato, Giuseppe 47 Pretzel, C.L. A. I l l

Q Quarck, Max 107 R Racki, Franjo 82f., 89, 95 Radic, Antun 88 f. Radic, Stjepan 88 f. Rask, Rasmus 157 Raumer, Kurt von 112 Raupach, Hans 125 Reichenbach, Oskar Graf 101 Renan, Ernest 22 Renner, Karl 27 Renvall, Pentti 125, 167f. Repgen, Konrad 110, 112 Reynolds, James Aloysius 54 Ringer, Fritz Klaus 99 Rissmann, Robert 111 Ritter, Gerhard 99 Rittweger, F. 109 Rosier, Adolf 111 Romeo, Rosario 47 Rommi, Pirkko 167 Rosenberg, Hans 97, 114 Rosenthal, Heinrich 125 Rousseau, Jean Jacques 13, 82 Ryan, Desmond 59

174

Snellman, Johan Vilhelm 159-164 Snyder, Louis L. 9 Spaventa, Silvio 45 Sprengtporten, Georg Magnus 155 Stadelmann, Rudolf 107 Stalin, Jossif Wissarionowitsch 27 Starcevic, Ante 79, 82 f., 87-89, 95 Stein, F. 113 Stein, Karl Reichsfreiherr vom und zum 101, 111 Steinbach, Franz 110 Steinberg, Hans-Josef 107 Stolberg-Wernigerode, Otto Graf zu 115 Strossmayer, Josip Juraj 81-83, 87, 89, 95 Süss, Edgar 104 Sulzbach, Walter 9, 22, 32, 104, 114 T Tacitus, Publius Cornelius 114 Thielen, P. 113 Thornley, David 60 Tierney, Michael 54 Tito, Josip Broz 94

Tomaszewski, Jerszy 136 Tommila, Päiviö 127 Treitschke, Heinrich von 109 Twesten, Karl 104 U Ullner, Rudolf 97 Unruh, Hans Viktor von 103 Uustalu, Evald 125 V Viefhaus, Erwin 23 Villani, Pasquale 47 Villari, Pasquale 45 Villari, Rosario 47 Vöditing, Friedrich 47

Wellington, Arthur Wellesley, Herzog von 54 Wentzcke, Paul 99, 101 Wergeland, Henrik 66 Werner, Anton von 113 Weymar, Ernst 111 Whyte, J . H . 54,56,58 Wichmann, W. 107 Wielandt, Friedrich 102 Wilhelm I., Deutscher Kaiser, König von Preußen 110 Williams, T. Desmond 57 Winkler, Heinrich August 114, 119 Woodham-Smith, Cecil 57 Wuorinen, John H . 125 Y Yrjö-Koskinen, Sakari 163 f.

W Waldburg-Zeil, C. Fürst 100 Wall, Maureen 53 Weber, Max 22 Weber, Rolf 105 Wehler, Hans-Ulrich 97 Weinlein, Christian 111

Z Ziadeh, Nicola A. 9 Znaniecki, Florian 9 Zorn, Wolfgang 98,115,117 Zrinski, Petar 68 Zwitter, Fran 91

175

Z u m Beitrag M. Gross. Karte der Kroatischen Länder 1 8 6 8 - 1 9 1 8 . Gezeichnet von Wilhelm Schröder r

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DIE K R O A T I S C H E N L Ä N D E R 1868-1918

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Staatsgrenze Grenze zwischen Osterreich und Ungarn .pndergrenzen in Osterreich und zwischen Ungarn und Kroatien Militärgrenze (bis 1881)

oooooo Vojvodina