Soziales Rückschrittsverbot und Grundgesetz: Aspekte verfassungsrechtlicher Einwirkung auf die Stabilität sozialer Rechtslagen [1 ed.] 9783428459995, 9783428059997


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German Pages 273 Year 1986

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Soziales Rückschrittsverbot und Grundgesetz: Aspekte verfassungsrechtlicher Einwirkung auf die Stabilität sozialer Rechtslagen [1 ed.]
 9783428459995, 9783428059997

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 79

Soziales Rückschrittsverbot und Grundgesetz Aspekte verfassungsrechtlicher Einwirkung auf die Stabilität sozialer Rechtslagen

Von

Rolf-Ulrich Schlenker

Duncker & Humblot · Berlin

ROLF-ULRICH

SCHLENKER

Soziales Rückschrittsverbot und Grundgesetz

S c h r i f t e n z u m Sozial· u n d A r b e i l s r e c h t Band 79

Soziales Rückschrittsverbot und Grundgesetz Aspekte verfassungsrechtlicher Einwirkung auf die Stabilität sozialer Rechtslagen

Von D r . R o l f - U l r i c h Schlenker

DUNCKER

&

H U M B L O T

/

BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schlenker, Rolf-Ulrich: Soziales Rückschrittsverbot u n d Grundgesetz: Aspekte verfassungsrechtl. E i n w i r k u n g auf d. Stabilität sozialer Rechtslagen / v o n Rolf-Ulrich Schlenker. — Berlin: Duncker u n d Humblot, 1986. (Schriften zum Sozial- u n d Arbeitsrecht; Bd. 79) I S B N 3-428-05999-9 NE: GT

Alle Redite vorbehalten © 1986 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Gedruckt 1986 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3-428-05999-9

Vorbemerkung Die Arbeit wurde im Sommer 1984 als Manuskript abgeschlossen. Die bis September 1984 erschienenen Beiträge zum sozialrechtlichen Beratungsthema des 55. Deutschen Juristentages in Hamburg „Möglichkeiten der Fortentwicklung des Rechts der sozialen Sicherheit zwischen Anpassungszwang und Bestandsschutz" konnten noch berücksichtigt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat inzwischen seine Rechtsprechung zu einer begrenzten grundrechtsorientierten Schutzwirkung gegenüber Rücknahmemaßnahmen im Sozialrecht im Urteil vom 16. 7.1985 zur Krankenversicherung der Rentner (BVerfGE 69, 272) behutsam weiterentwickelt. Stuttgart, im Januar 1986

Der Verfasser

Grobgliederung 1. Teil:

Politische und rechtliche Dimensionen der „Grenzen des Sozialstaates" .

15

2. Teil:

Die Stabilisierung des Sozialstaates kraft grundgesetzlicher Einwirkung im Licht von Rechtsprechung und Literatur

51

A. Zur Frage einer Grundgesetzgarantie zugunsten der gegenwärtigen Gestalt und des erreichten Niveaus deutscher Sozialstaatlichkeit

51

B. Einzelne Orientierungspunkte des gebotenen sozialen Mindeststandards in den Elementarbereichen des sozialen Netzes

91

3. Teil:

Das Kernstück sozialstaatlicher Rückschrittsgerechtigkeit: Grundrechtlicher Bestandsschutz für Teilhabepositionen am System sozialer Sicherheit — Ansatzpunkte für ein Konzept stärkerer Grundrechtsorientierung des Sozialrechts 130 A. Art. 14 G G als „Grundrecht auf soziale Sicherheit" in der Sozialversicherung 130 B. Das „Grundrecht" auf Kontinuität und Vertrauensschutz im Sozialrecht 193 C. Art. 6 GG als mehrdimensionale Rückschrittsgerechtigkeitsnorm für soziale Regelungen des „Familienkreises" 209 D. Die Garantie amtsangemessener Besoldung und Versorgung in Art. 33 V GG als Modell multifunktionaler Grundrechtsverbürgung zugunsten eines zeitgerechten Standards des Systems sozialer Sicherheit 215

Zusammenfassung

238

Literaturverzeichnis

256

Inhaltsverzeichnis î. Teil Politische und rechtliche Dimensionen der „Grenzen des Sozialstaates" I. Die grundgesetzliche Gefahrdungslage „sozialer Rückschritt" 1. Soziale Rücknahmen als Herausforderung für das Verfassungsrecht 2. Zum Begriff des Sozialrechts und der sozialen Rücknahme a) Weites Verständnis des „Sozialen" b) „Rückschritt" im Bereich der Sozialgesetzgebung 3. Ziel und Gang der Untersuchung a) Ziel der Arbeit b) Gang der Untersuchung c) Zum zugrundegelegten Verfassungsverständnis II. Die Ursachen sozialer Rücknahmen 1. Verschlechterung der ökonomischen und demographischen Rahmenbedingungen 2. Fehlentwicklungen innerhalb des sozialen Netzes und Ansatzpunkte für eine Neuorientierung der Sozialpolitik

15 15 18 18 20 24 24 26 27 29 29 32

III. Instrumente zur Stabilisierung des Sozialstaates ohne Sozialabbau 1. Wachstumsvorsorge 2. Staatsverschuldung 3. Steigerung der Abgabenquote

36 36 37 39

IV. Abbauwirklichkeit 1. Die Filterfunktion des demokratischen Prozesses: Politischer Pragmatismus als effiziente Rückschrittsbarriere 2. Die Realität des Sozialabbaus in der Spargesetzgebung seit 1981 a) Sparoperation 1982 durch sozialliberale Regierung b) Lambsdorff-Papier, Regierungswechsel, Sparoperation 1983 c) Sparoperation 1984 d) Rücknahmepläne 1985

43 43 45 45 48 49 50

2. Teil Die Stabilisierung des Sozialstaates kraft grundgesetzlicher Einwirkung im Licht von Rechtsprechung und Literatur A. Zur Frage einer Grundgesetzgarantie zugunsten der gegenwärtigen Gestalt und des erreichten Niveaus deutscher Sozialstaatlichkeit 51 I. Institutionelle Sicherheit?

Gewährleistung der bestehenden Gestalt des Systems sozialer 51

Inhaltsverzeichnis

10

1. Verfassungsnormative Einbindung des Sozialstaates

2.

3.

4. 5.

a) Bestimmungen des Grundgesetzes und Verbürgung eines sozialen Mindeststandards in der Europäischen Sozialcharta (ESC) b) Die Figur einer sozialstaatlichen institutionellen Garantie im Schrifttum Leading case: Die AOK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9.4. 1975 (BVerfGE 39, 302) a) Art. 74 Nr. 12, Art. 87 II, Art. 12014 GG als „bloße Zuständigkeitsvorschriften" b) Keine institutionelle Garantie durch das Sozialstaatsprinzip Die Reformoffenheit des Grundgesetzes für den Bereich der sozialen Sicherung: Keine starre Bindung an ein im Gleichheitssatz verwurzeltes Systemkonsequenzgebot Folgerungen für die Frage der Ablösung des bestehenden Sozialversicherungssystems durch alternative Modelle sozialer Sicherheit Wenig Beachtung für die sozialstaatsfestigende Relevanz des SGB-AT und der sozialen Verbürgungen der Landesverfassungen

51 51 53 56 57 59

61 64 67

a) Das stabilisierende Selbstbindungselement des SGB-AT 67 b) Die Sozialaufgaben in den Landesverfassungen, insbesondere die Sozialversicherungsartikel 68 II. Die Realisierung des Sozialstaatsgebots im Verständnis des Bundesverfassungsgerichts: Pflicht zu sozialer Aktivität 1. Verneinung eines „absoluten sozialen Rückschrittsverbots" als Teilkomponente des Sozialstaatsprinzips 2. Mittelbare Festlegung eines sozialen Mindeststandards durch die Verpflichtung zu sozialer Aktivität 3. Betonung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Bereich der sozialen Ordnung 4. Das folgenorientierte Sozialstaatsverständnis des Bundesverfassungsgerichts und der „Vorbehalt des Möglichen" als Begrenzungsformel der sozialen Verpflichtung des Staates 5. Verteilungsgerechtigkeit am Maßstab des „Art. 3 I G G i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip" 6. „Rückschrittsgerechtigkeit" auf dem Boden des Willkürdogmas, insbesondere BVerfGE 60, 16 und die Perspektive der Erhaltung eines Zustandes „sozialer Gleichheit" 7. Einengung der Rückholfreiheit des Gesetzgebers durch individualbezogene Verfassungsmaßstäbe B. Einzelne Orientierungspunkte des gebotenen sozialen Mindeststandards Elementarbereichen des sozialen Netzes I. Die Garantie des Existenzminimums

71 71 75 77

78 83

84 89 in den 91 91

II. Die staatliche Fürsorge- und Schutzpflicht oberhalb des Existenzminimumbereichs 96 1. Die Verortung der Fürsorge- und Schutzdimension im Grundgesetzgebot zu sozialer Aktivität 96 a) Felder der staatlichen Fürsorge- und Schutzpflicht 96 b) Abstützung im Sozialstaatsprinzip ohne grundrechtliche Orientierung 98 Exkurs: Die Nähe der Fürsorge- und Schutzpflicht zu Art. 2 I I GG 99

Inhaltsverzeichnis 2. Die Wahrung eines zeitgemäßen und funktionsgerechten Niveaus der Leistungs- und Schutzgesetzgebung 100 3. Zum Vertrauensschutz von Fürsorgepositionen 102 III. Die grundgesetzlich geforderte Qualität und Stabilität des Sozialversicherungssystems 103 1. Pflicht zur Schaffung und Beibehaltung eines umfassenden Systems sozialer Sicherheit 103 a) Die „nasciturus"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 45, 376): Effektivierung des „Sozialstaatsprinzips i.V.m. Art. 3 G G " zugunsten eines komplexen Sozialversicherungssystems 103 b) Bestands- und Vertrauensschutz für individualisierte Rechtsstellungen des Sozialversicherungssystems 106 2. Lebensstandardsicherung und Generationenvertrag als Fixpunkte der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung 108 a) Das Prinzip der Lebensstandardsicherung 108 b) Die Garantie der Rentenanpassung 111 c) Konkretisierung der Solidarpflichten im Generationenvertrag 114 3. Hinterbliebenenversorgung zwischen Fürsorge- und Versicherungsprinzip 116 a) Systemlinien der Hinterbliebenenversorgung 116 b) Die Einwirkung von Art. 6 I GG auf die Hinterbliebenensicherung 118 c) Hinterbliebenenrente als „Sozialeigentum" 119 4. Die Sicherstellung eines zeitgerechten Krankheitsversorgungssystems . . 120 a) Gewährleistung einer optimalen Krankenversorgung 120 b) Hohes Bestandsinteresse der Krankenversicherten bei Rechtsänderungen 123 5. Die grundgesetzliche Verbürgung der Arbeitslosenversicherung 124 a) Erhaltung der Funktionsfahigkeit der Arbeitslosenversicherung als Verfassungsaufgabe 124 b) Grundgesetzgebot einer „angemessenen" sozialen Sicherung bei Wegfall des Arbeitsplatzes, insbesondere BVerfGE 51,115 126 3. Teil Das Kernstück sozialstaatlicher Rückschrittsgerechtigkeit: Grundrechtlicher Bestandsschutz für Teilhabepositionen am System sozialer Sicherheit — Ansatzpunkte für ein Konzept stärkerer Grundrechtsorientierung des Sozialrechts A. Art. 14 GG als „Grundrecht auf soziale Sicherheit"

in der Sozialversicherung

I. Die leistungsstaatliche Dimension der Grundrechte und deren Gefahrdung durch soziale Rücknahmen 1. Grundrechtssichernde Geltungsfortbildung durch Anerkennung der Grundrechtsrelevanz sozialer Positionen 2. Die Existenz einer individualisierten Rechtsposition als Voraussetzung eines subjektiven grundrechtsgesteuerten Schutzes sozialer Rechte . . . a) Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Abbaugesetz . b) Die Existenz eines Anwartschaftsrechts c) Exkurs: Zur Stellung des Bürgers beim Abbau sozialgestaltender Regelungen; die Subjektivierung der objektiven Dimension der Grundrechte

.. 130 130 135 135 137 138

130

12

Inhaltsverzeichnis II. Die Ausdehnung der Eigentumsgarantie auf Teilhabeberechtigungen am Sozialversicherungssystem 141 1. Durchbruch zu einem an der sozialen Wirklichkeit orientierten Eigentumsverständnis im Versorgungsausgleichsurteil 141 2. Zur Entwicklung der Sozialeigentumsjudikatur: Stärkeformel und Offenhaltungsmethode 143 3. Die funktionsgesteuerte Auslegung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs 145 4. Die Eingrenzung der funktionalen Eigentumssicht durch die Merkmale der „Privatnützigkeit", „Verfügungsbefugnis" sowie das „Eigenleistungskriterium" 148 5. Das Zusammenspiel des „Arbeitsgrundrechts" Art. 12 GG mit dem „Erfolgsgrundrecht" Art. 14 GG: „Eigentum als geronnene Arbeit" .. 6. Folgerungen für die Eigentumsfahigkeit sozialer Rechtsstellungen . . . a) Kein Eigentumsschutz für ausschließlich einseitige, fürsorgerische Staatsleistungen b) Die Feststellung der Eigentumswürdigkeit von Positionen des Sozialversicherungssystems anhand des „Äquivalenzkriteriums": Einbeziehung aller Sozialversicherungsberechtigungen in die Eigentumsgarantie

150 152 152

154

III. Die Schutzintensität der Eigentumsklausel für Sozialrechtsstellungen

159

1. Abwägung zwischen personalem und sozialem Bezug anhand der Richtlinie eines „sozialen Schonungsgebots" 159 2. Die Ermittlung des Umfangs des gesetzgeberischen Rückschrittsermessens: Kernbereichsformel, Wesensgehaltbestimmung, Institutsgarantie 163 Inkurs: Die objektiv-institutionelle Relevanz von Sozialeigentumspositionen 166 3. Folgen eines Überschreitens der Abbaubefugnis und Abfederung des Rückschritts durch schonendes Übergangsrecht 4. Der bestandsstärkende personale Bezug des Sozialeigentums a) Der Aggregatzustand von Sozialpositionen als Anknüpfungspunkt eigentumsrechtlicher Abstufungen b) Der Schutz der Sicherungserwartungen der Bürger 5. Umgestaltungsbefugnis in Ausfüllung des sozialen Bezugs: Der Funktions- und Leistungsfahigkeitsvorbehalt 6. Konkretisierung des Gemeinwohlbezugs: Sozialpolitik-externe und sozialpolitik-interne Abbaugründe 7. Sozialpolitik-interne Rücknahmegründe: Beseitigung von Doppel- und Überversorgungslagen, Privilegienabbau, Verschiebung sozialer Bedarfslagen, Mißbrauchsabwehr 8. Sozialabbau aus finanziellen Gründen a) Das Finanzierungsargument als wichtiger Gemeinwohlbelang b) Die beschränkte finanzielle Leistungsfähigkeit der öffentlichen Hand als Kürzungstopos in der neueren Abbaujudikatur c) Vom Grundsatz der sparsamen Haushaltsführung zum sozialen Rückschrittsgebot d) Orientierung des Sozialgesetzgebers an der Direktive des „sozialen Schonungsgebots" in der Finanzierungskrise des Sozialstaats

168 172 172 175 176 179

180 184 184 187 189 191

Inhaltsverzeichnis Β. Das „Grundrecht"

auf Kontinuität

und Vertrauensschutz

im Sozialrecht

I. Die grundgesetzliche Verbürgung der Kontinuitätserwartung der Bürger 1. Unverbrüchlichkeit und Verläßlichkeit des Sicherungsversprechens des Sozialgesetzgebers 2. Der Standort des Vertrauensschutzes im Grundgesetz und das Verhältnis zum eigentumsgesteuerten Sozialrechtsschutz 3. Vorschläge im Schrifttum für ein rechtsstaatsorientiertes Kontinuitätsgebot und Plädoyer für einen umfassenden grundrechtsspezifischen Sozialrechtsschutz II. Dichte des Vertrauensschutzes 1. Abschichtung des Sozial Vertrauens anhand der Abwägungsmaxime . . 2. Graduelle Abstufungen der Vertrauensdichte 3. Vertrauensabschwächende Gesichtspunkte a) Der Sozialerwartungshorizont der Bürger zwischen Stabilität und Veränderlichkeit der Sozialordnung b) Das Voraussehbarkeitskriterium im Sozialrecht C. Art. 6 GG als mehrdimensionale Regelungen des „Familienkreises"

Rückschrittsgerechtigkeitsnorm

193 193 193 196

199 201 201 202 205 205 206

für soziale 209

I. Leistungsstaatliches Verständnis von Art. 6 I, IV GG II. Rückholbefugnis des Gesetzgebers im Rahmen des Art. 6 I, IV GG

209 212

D. Die Garantie amtsangemessener Besoldung und Versorgung in Art. 33 V GG als Modell multifunktionaler Grundrechtsverbürgung zugunsten eines zeitgerechten Standards des Systems sozialer Sicherheit 215 I. Art. 33 V GG als abbauhemmendes Gegengewicht zur Staatsabhängigkeit der Beamtenalimentation 215 II. Die Multifunktionalität der Versorgungszusage des Art. 33 V GG 1. Objektiv-institutionelle Bedeutung 2. Individualbezogene Schutzrichtung 3. Die Verdrängung der allgemeinen sozialstaatlichen Direktiven III. Der Umfang der Alimentationsgarantie 1. Die Direktive der Angemessenheit von Besoldung und Versorgung als Konkretisierung des „Vorbehalts des Möglichen" 2. Nähere Bestimmung der Angemessenheit a) Keine ziffernmäßige Garantie des höchsten Niveaus der Alimentierung b) Kerngehalt und Untergrenze des Angemessenheitsrahmens c) Die Anpassung der Bezüge d) „Katalog der Wohlstandsgesellschaft" in der Kindergeldentscheidung (BVerfGE 44, 249 (265))

218 218 219 221 223 223 224 224 226 228 230

IV. Modellcharakter der Alimentationsgarantie des Art. 33 V G G für eine grundrechtsgesteuerte Verbürgung eines zeitgerechten Standards des Sozialrechts 232

Zusammenfassung

238

Literaturverzeichnis

256

1. T e i l

Politische und rechtliche Dimensionen der „Grenzen des Sozialstaates44 I. Die grundgesetzliche Gefährdungslage „sozialer Rückschritt44 1. Soziale Rücknahmen als Herausforderung für das Verfassungsrecht Begnügt m a n sich nicht m i t der durch vollzogene Rückholungen inzwischen widerlegten Behauptung, der Prozeß, i n dem sich der Sozialstaat expansiv fortentwickle, sei ohnehin faktisch irreversibel u n d bedürfe daher keiner verfassungsrechtlichen Sicherungen 1 , so stellt sich die Frage, ob u n d inwieweit das Recht, allem voran das Grundgesetz, Abbauhemmnisse zugunsten der existerenden Sozialstaatlichkeit i n ihren vielfaltigen Erscheinungsformen, der i n zähem Ringen seit der Entdeckung der sozialen Frage erzielten sozialen Errungenschaften, bereithält. Diese an die politische Realität der Gegenwart anknüpfende verfassungsrechtliche Problemstellung ist zumindest für die Bonner Republik n e u 2 . 1 So die These Forsthoffs in: Festgabe C. Schmitt, S. 185 (193); dagg. ausdr. Suhr, Der Staat 1970, S. 67 (92); ähnl. Aussagen finden sich, teilweise noch unter dem Einfluß der Wachstumsphase, bei: W. Weber, Der Staat 1965, S. 409 (432); Isensee, Der Staat 1980, S. 367 (383); Grimm, AöR 1972, S. 489 (499); Degenhart, FS Scupin, S. 573 (540): „Doch ist zur Entfaltung der Staatszielbestimmung der Sozialstaatlichkeit ein ausdifferenziertes System verfassungsrechtlicher Sicherungen nicht erforderlich, ist der Sozialstaat in seiner Realisierung faktisch weitgehend unabhängig von der Dichte seiner verfassungsrechtlichen Normierung". 2 A m Ende der Weimarer Republik gab es in Anbetracht einer gegenüber der heutigen Situation wesentlich drastischeren Wirtschaftskrise sehr harte Eingriffe auf allen Gebieten des damals ohnehin nicht so dichten Geflechts sozialer Sicherung sowie im Bereich der öffentlichen Verwaltung. Reichskanzler Brüning betrieb eine konsequente Politik der Deflation, die vor allem das Ziel hatte, Staatsaufgaben einzuschränken. Rechtliches Instrumentarium waren nicht parlamentarisch, demokratisch legitimierte Abbaugesetze, sondern diverse Notverordnungen aufgrund Art. 48 WRV „zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen". In der Art und Weise der damaligen Abbaumaßnahmen zeigen sich auffallende Parallelen zu den heutigen Sparaktionen. Von den Leistungskürzungen am härtesten betroffen war die Arbeitslosenversicherung. Die Leistungsvoraussetzungen wurden erheblich erschwert, u. a. durch Verlängerung der Wartezeiten; der Unterstützungssatz der mittleren Lohnklasse wurde von 44% im Jahr 1927 auf 23% im Jahr 1932 abgesenkt; die Leistungsbezugdauer wurde von ursprünglich 6 Monate auf 6 Wochen reduziert; der Beitrag wurde von 3% auf 6,5% erhöht. Ausführliche Nachweise zu den Notverordnungen und ihren Wirkungen bei D. Zöllner, SF 1983,49; s. auch Stolleis, Sozialversicherung und Interventionsstaat, S.60 (68 m. Fn. 23); Wannagat, SGb 1983,133 Fn 2; Karl Erich Born, Die deutsche Bankenkrise 1931, 1967,S. 42 ff; speziell zu Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst, die im Jahre 1931 23% betrugen, s. C. Schmitt, Wohlerworbene Beamtenrechte, S. 174 ff.

16

Teil 1 : Grenzen des Sozialstaates

I m Zeichen wirtschaftlichen Wachstums mit laufend höheren Staatseinnahmen und Beitragszahlungen in die Sozialversicherung konnte sich die Auslegung des Grundgesetzes in Bezug auf die Verwirklichung des Sozialstaatsgebotes darauf beschränken, den staatlichen Organen grobe Richtlinien für die positive Ausfüllung des nur ungenau abgesteckten verfassungsrechtlichen Rahmens zum Zwecke der Vermeidung sozialer Ungerechtigkeiten bei der Verteilung neuer Leistungen und Wohltaten an die Hand zu geben. Wegen des bei sozialen Rücknahmen angezeigten, erheblichen personalen Gefahrdungspotentials zulasten der auf soziale Darreichungen angewiesenen Bürger müssen nunmehr infolge der gewechselten Vorbedingungen dem Grundgesetz schärfere Konturen abgerungen werden, um dem abbauwilligen Sozialgesetzgeber aus der Ebene des Verfassungsrechts möglichst deutliche Grenzen für die Ausübung seines Rücknahmeermessens aufzuzeigen. Den Interpreten des Grundgesetzes obliegt die Aufgabe, in Befolgung eines wirklichkeitsoffenen, materiellen Verfassungsverständnisses eine zeitgerechte Antwort auf die Gefahrdungslage „sozialer Rückschritt" zu gewinnen. Das demokratisch legitimierte Bedürfnis und die Notwendigkeit nach Flexibilität und Anpassung, Reformierbarkeit und Änderbarkeit sozialer Normgeflechte ist mit dem gegenläufigen Interesse der Bürger, aber auch des Staates selbst, nach stabilen, verläßlichen Sozialgesetzen und Institutionen mit zeitangemessen gutem Niveau zu praktischer Konkordanz zu vereinen. In den Jahren stetigen und kräftigen Ausbaus des Sozialstaats auf der Grundlage einer florierenden Wirtschaft ohne Arbeitsmarktprobleme stand das Thema „soziale Rückholung" weder auf der politischen noch auf der juristischen Ebene zur Diskussion. Seit die materiellen Ressourcen, die den Sozialstaat speisen, knapper geworden sind, treten seine Grenzen für die Bürger, ihre Repräsentanten in Parlament und Regierung, aber auch für die kontrollierende dritte Gewalt schmerzlich hervor. Aller Orten wird der „Ernstfall des Sozialstaats"3 festgestellt und ein Überdenken und eine Sanierung sowohl seiner qualitativ-inhaltlichen Erfüllung als auch seines formellen Gewandes gefordert 3*. Die Säulen, auf denen der Sozialstaat ruht, haben sich als brüchig erwiesen. Kontinuierliches Wirtschaftswachstum mit lediglich kurzfristigen konjunkturellen Einbrüchen ohne nennenswerte Folgen für das soziale Gefüge hat bei Politikern und Bürgern über Jahrzehnte die Illusion genährt, der in den 3 Benda ZIP 1981, 221 (227); zur Sozialstaatskritik u. Reformplänen s. Nachw. unten bei II.2. 3a So hat sich die sozialrechtliche Abteilung des 55. DJT1984 dem Thema „Möglichkeiten der Fortentwicklung des Rechts der Sozialen Sicherheit zwischen Anpassungszwang und Bestandssschutz " angenommen; s. dazu das Gutachten von M. Heinze und das Referat von M. Stolleis; s. ferner die „flankierenden" Aufsätze von Gitter N Z A 1984,137; Haverkate ZRP 1984, 217; P. Krause DÖV 1984, 740; Rüfner JZ 1984, 801; Schulin NJW 1984, 1936; Stober DVB1 1984, 857.

I. Sozialer Rückschritt als Verfassungsproblem

17

Leistungs- und Schutzgesetzen ausgeformte Sozialstandard könne nur noch dichter werden, eine partielle oder sogar breit angelegte Absenkung sei jedoch nach „Natur der Materie" ausgeschlossen. Es wurden unbemerkt mit jedem neuen Sozialgesetz Wechsel auf die Zukunft zulasten späterer Generationen gezogen4, deren Einlösung bereits in der ersten größeren Wirtschaftskrise der Bundesrepublik infrage gestellt ist. Vorerst noch behutsame Versuche einer Freizeichnung des Staates durch Abbau von in Rechtsnormen gegossenen Sozialpflichten im Rahmen der Sparoperationen seit 1981 sind bereits Sozialstaatsrealität. Die Wegmarken des Aufbaus des bundesdeutschen Sozialstaats nach dem 2. Weltkrieg können hier nicht ausführlich beschrieben werden 5 . Nur soviel: Hatten sich die konservativen Regierungen unter Adenauer und Erhard vor allem um eine effektive Kriegsopferversorgung und eine zeitgemäße Entwicklung des Sozialversicherungssystems, insbesondere im Rahmen der großen Rentenreform von 1957 bemüht, ergriff der Reformeifer der sozialliberalen Koalition das ganze Spektrum möglicher Sozialgestaltung durch den Staat 6 . Die Sozialversicherung wurde in allen Gliedern ausgebaut und neuen Bevölkerungsgruppen zugänglich gemacht. Insbesondere die Rentenversicherung erfuhr eine starke Ausdehnung durch Einführung der flexiblen Altersgrenze, der Rente nach Mindesteinkommen und der Öffnung für Selbstständige und Hausfrauen. In der gesetzlichen Krankenversicherung wurde der Leistungsrahmen der medizinischen Versorgung sowie der Gesundheitsvorsorge erheblich ausgeweitet. Die Leistungsarten und der Leistungsumfang in der Arbeitslosenversicherung wurden verbessert. Schüler und Studenten wurden in die gesetzliche Unfallversicherung einbezogen. Die Familienförderung und der Mutterschutz wurden wesentlich erweitert, insbesondere durch Schaffung des Instituts \ des Mutterschaftsurlaubs. Auch das letzte Netz des Sozialstaats, die Sozialhilfe, wandelte sich von der bloßen Armenhilfe zwecks physischer Menscherhaltung zu einem komplexen Gewebe von Unterstützungsmaßnahmen für Behinderte, alte und kranke 4 Zu den verfassungsrechtlichen Aspekten zukunftsbelastender Parlamentsentscheidungen s. Henseler AöR 1983, 489 ff, speziell zur Sozialstaatsproblematik S. 499; zur folgen- bzw. generationsorientierten Interpretation des G G s. Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 331. 382 ff; ders., Zeit und Verfassungskultur, S. 289, insb. S. 302, 333 ff; vgl Schmitt Glaeser AöR 1982, 337 (354). 5 Zur Entwickung des Sozialrechts im Nachkriegsdeutschland s. Bley, Sozialrecht, S. 135 ff; Gitter, Sozialrecht, S. 20 ff; Zacher, SF1984,1; ders., Sozialpolitik, Verfassung und Sozialrecht im Nachkriegsdeutschland, in: FS Meinhold, S. 123; Stolleis, Sozialvers. u. Interventionsstaat, S. 60 ff; Merten, Hdb.d. VerfR., S. 771 ff. 6 Überblick über 10 Jahre sozialliberaler Rechtspolitik bei H.-J. Vogel, ZRP 1980, 1; kritisch dazu aus der Sicht der CDU/CSU: B. Erhardt, ZRP 1980,23; zur Sozialpolitik der SPD/FDP-Reg. s. auch Spiegel-Serie zur Bilanz der sozialliberalen Koalition, in: Der Spiegel Nr. 42 v. 18. 10. 1982, S. 56.

2 Schlenker

18

Teil 1 : Grenzen des Sozialstaates

Menschen, sowie alle diejenigen, die den Belastungen der Arbeitswelt nicht mehr gewachsen sind 7 . Das Recht der sozialen Entschädigung und das Schwerbehindertenrecht wurden expansiv reformiert, mit der Folge, daß es 1982 ca. 7,3 Millionen, das sind 11,4% der Bevölkerung, anerkannt Schwerbeschädigte gab, was zu dem diskriminierenden Vorwurf geführt hat, die Deutschen seien ein „Volk der Behinderten". Besonders intensiv waren auch die Bemühungen um eine breite Förderung von Bildung und Ausbildung, ζ. B. durch das BAFÖG und die Förderungsmaßnahmen des AFG, mit dem Ziel der Herbeiführung größerer Chancengleichheit im Berufsleben 8. Erheblich verdichtet wurde durch die sozialliberale Regierung der Bereich sozialstaatlicher Einwirkung durch Erlaß sozialer Schutzgesetze, die Privatrechtsbeziehungen sozial ordnen und sich schützend vor den potentiell Schwächereij stellen. Erinnert sei hier an das weite Feld der Arbeitsschutzgesetzgebung, aber auch das soziale Mietrecht und das Verbraucherschutzrecht.

2. Zum Begriff des Sozialrechts und der sozialen Rücknahme a) Weites Verständnis des „Sozialen" Schon diese Skizze moderner Sozialstaatsrealität macht deutlich, daß die umfassende Tätigkeit des Staates in Erfüllung des Sozialstaatsgebotes kaum mit der herkömmlichen Einteilung des Sozialrechts in Versicherung, Vorsorge und Fürsorge erfasst werden kann 1 . Ohne hier den Begriff des Sozialrechts abklären zu können, wird in dieser Untersuchung eine weite und offene Sozialrechtsdefinition zugrunde gelegt, denn potentiell sind alle Vergegenständlichungen aktiver staatlicher 2 Sozialge7

S. Adamy / Naegele / Steffen, SF 1983, 193. S. Rüfner, ZRP1980,114; „Zeit-Dossier": Bildung nur für die Betuchten? in: Die Zeit v. 11.2.1983, S. 33; „Zeit-Serie": Ist der Sozialstaat noch zu retten? in: Die Zeit v. 11. 2. 1983, S. 29. 1 Zum Begriff des Sozialrechts s. Gitter, Sozialrecht, S. 1 ff; Rüfner, Einführung, S. 2 ff; Henke ZSR 1976, 434 (439); Bley, Sozialrecht, S. 22 ff; Merten, Hdb. d. VerfR, S. 766 f; Heinze, DJT-Gutachten, S. 19. 2 Der Sozialstaat realisiert sich auch in Tarifverträgen. Tarifverträge sind sowohl Lohnfestlegungsinstrument, als auch Grundlage zahlreicher sozialer Regelungen, wie ζ. B. für das Weihnachts- und Urlaubsgeld, Prämien, Gratifikationen, Regelungen über die Arbeitszeit, Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitskleidung, Modalitäten der Urlaubsgewährung, Zulagen u. Zuschüsse, besseren Kündigungsschutz usw.,s. Birk, Tarifverträge über Sozialleistungen VSSR 1977, 1; aufgrund einer gewissen Mutlosigkeit des Gesetzgebers werden immer häufiger soziale Vorhaben den Tarifvertragsparteien zur Regelung überantwortet, z.B. die Vorruhestandsregelung oder die Einführung der 35-StundenWoche. Das Tarifrecht überlappt sich teilweise mit dem Regelungskreis der Sozialgesetzgebung, was für die Frage einer Ersetzungsbefugnis des Gesetzgebers Bedeutung hat, dazu Biedenkopf Grenzen der Tarifautonomie, S. 168, 210 ff., Birk, aaO, S. 6 ff; soweit der 8

I. Sozialer Rückschritt als Verfassungsproblem

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staltung u n d Gesellschaftspolitik rückschrittsbedroht. I m S G B - A T hat der Gesetzgeber z u m A u s d r u c k gebracht, was er als Sozialrecht i m engeren Sinn verstanden wissen w i l l u n d welche Gesetze diesen Sozialrechtsbegriff derzeit ausfüllen 3 . Rüfner bezeichnet dies als den „formellen B e g r i f f des Sozialrechts 4 . O b w o h l das S G B - A T die wichtigsten Materien klassischer Leistungsstaatlichk e i t 5 umfasst, deren Gesamtheit als das „soziale N e t z " bezeichnet werden kann, erscheint der S G B - K a t a l o g immer noch zu eng, u m alle sozialstaatlichen Färbungen, v o r allem das Feld der sozialen Schutzgesetzgebung, der indirekten Sozialleistungen kraft steuerlicher Bevorteilung 6 sowie auch die kommunale Daseinsvorsorge, die mittelbaren sozialen Charakter t r ä g t 7 , abzudecken. F ü r das „neue" Thema sozialer Rückschritt soll ein Begriff des Sozialrechts zugrundegelegt werden, der alle Rechtsgebiete einbezieht, die sich, wie Zacher 8 es formuliert, „ d u r c h eine gesteigerte Intensität ihres sozialpolitischen Gehalts" auszeichnen. Der damit weit gefasste Bogen der bestehenden Sozialstaatswirklichkeit k a n n auch „soziale I n f r a s t u k t u r " genannt werden, die Stern i n all den Einrichtungen u n d Vorkehrungen erblickt, „ d i e i n einem bestimmten, fortgeschrittenen Entwicklungsstadium der Gesellschaft als Grundausstattung notSozialstaat sich im Gewand von Tarifverträgen zeigt, bietet der Einigungszwang der Koalitionen bei Abschluß oder Änderung einer Gesamtvereinbarung eine effektive Rückschrittsbarriere, die unter Umständen der parlamentarischen Filterfunktion beim Abbau von Sozialgesetzen überlegen ist. Unterstrichen wird das rückschrittshemmende Element von Tarifverträgen durch den expliziten "Wahrungsauftrag" des Art.9 Abs. 3 G G an die Gewerkschaften, vgl. Wiedemann / Stumpf \ TVG, Einl. Rn. 3: Schutzfunktion des Tarifvertrages, welche angemessene Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen garantiert. Vor diesem Hintergrund sind Bestrebungen der Gewerkschaften verständlich, einzelne rückschrittsgefahrdete, gesetzlich verankerte Errungenschaften in den Tarifbereich zurückzuholen, um dadurch eine höhere Rückschrittsresistenz zu erhalten, wie das ζ. B. für das erst 1969 verabschiedete Lohnfortzahlungsgesetz vorgeschlagen wird, dazu: Der Spiegel v. 16.8.1982, S. 51; zur rechtlichen Absicherung des Tätigkeitsbereiches der freien und kirchlichen Wohlfahrtspflege s. Stolleis, DJT-Thesen, These 12. 3 Das SGB-AT nennt folgende Leistungsbereiche: § 3 Bildungs- und Ausbildungsförderung, § 4 Sozialvers. incl. Mutterschutz, § 5 soziale Entschädigung, § 6 Familienlastenausgleich, § 7 Wohngeldrecht, § 8 Jugendhilfe, § 9 Sozial hilfe, § 10 Behindertenförderung. Das GG setzt, wie Art. 20, 28 GG zeigt, den Begriff des Sozialen voraus, nennt nur in den Zuständigkeitsvorschriften punktuell einzelne Sozialtätigkeiten; zum Begriff der „Sozialverfassung" s. E. R. Huber, DÖV 1956, 97 ff; Müller-Vohlbehr ZRP 1984, 262 (263). 4 Rüfner, Einführung, S. 4. 5 Typologie der Leistungsgesetzgebung bei Häberle, FS Küchenhoff\ S. 453 (456 ff). 6 Die Abgrenzung zwischen sozialer Intervention und wirtschaftspolitischer Lenkungsmaßnahme ist fließend; so lassen sich die Gesetze zur Vermögensbildung und zur Mitbestimmung sowohl dem Sozialbereich als auch der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik zurechnen. 7 Zum klassischen Begriff der Daseinsvorsorge s. Forsthoff\ Staat der Industriegesellschaft, S. 78 ff; heute wird der Daseinsvorsorgebegriff in der Regel weit gefasst und nicht nur auf die kommunale Leistungsverwaltung bezogen. Vgl. Schmitt Glaeser, DÖV 1980,1 (5), ders. AöR 1982, 337 (355); Suhr, Staat 1970,67 (77); Häberle, Leistungsstaat, S. 53; Stern, Staatsrecht I, S. 898 f; Grabbe, S. 61; Gromoll, S. 71 ff; s. auch Dürig, JZ 1953, 193; BVerfGE 21, 245 (251). 8 Zacher, VSSR 1976,1 (7); zu eng: Merten, Hdb. des VerfR., S. 769.

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Teil 1: Grenzen des Sozialstaates

wendig sind, um eine angemessene wirtschaftliche und personale Entfaltungsmöglichkeit des Individiums zu gewährleisten" 9. Da diese Arbeit nicht alle Felder sozialstaatlicher Imprägnierung behandeln kann, konzentriert sich die Darstellung auf die klassischen und für die Bürger wichtigsten Sozialleistungsbereiche der Sicherung des Existenzminimums, der "einseitigen ", staatlichen Fürsorge - und Schutzdimension sowie dem Standardversorgungssystem der Sozialversicherung. Das Sozialversicherungssystem steht dabei im Mittelpunkt der Untersuchung, verkörpert dieses doch das Hauptnetz staatlicher Sicherung vor den existenziellen "Wechselfällen des Lebens" 10 , das die Standardrisiken des Alters, der Krankheit, der Invalidität, des Todes des Familienernährers, des Mutterschutzes sowie der Arbeitslosigkeit abdeckt. b) „Rückschritt

im Bereich der Sozialgesetzgebung

Soziale Rücknahmen setzen dort an, wo der Sozialstaat Vergegenständlichungen erfahren hat. Diese finden sich in erster Linie in der sozialen Gesetzgebung (s. § 31 SGB-AT), die die wesentlichen Elemente sozialer Ordnung, Leistung und Verfahren in Gestalt einer Vielzahl komplexer und detaillierter Rechtsgeflechte mit untergesetzlichen Ergänzungen und Verfeinerungen durch die Sozialrechtsjudikatur 1 1 verwirklicht. Soziale Leistungs- und Schutznormkomplexe repräsentieren das Sozialniveau einer Zeitepoche sowohl in seinem materiellinhaltlichen Standard als auch in der formell-organisatorischen Perspektive. Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Änderung von Sozialgesetzen durch parlamentarische Instanzen, welche eine Absenkung des in den Gesetzesbestimmungen enthaltenen Sozialstandards sowohl im Rahmen einer großen Reform, eines breit angelegten Umbaus sozialer Einrichtungen, als auch in der detaillorientierten Dimension einer Kürzung oder Beseitigung einzelner Leistungs- oder Gestaltungsmomente durchzusetzen beabsichtigen. Sozialer Rückschritt kann allerdings auch unterhalb des Fundaments der Sozialgesetzgebung stattfinden. Im Regelfall vollziehen die Sozialakte der Administrative lediglich als individualisierender Vollstreckungsarm die zunächst auf der gesetzlichen Ebene vorgenommenen Veränderungen und Rücknahmen 12 , die sich ihrerseits unmittelbar vor dem Grundgesetz legitimieren müssen. 9

Stern, Staatrecht I, S. 892. Diese Formel verwendet Art. 161 WRV im Zusammenhang mit der Sozialversicherung; ebenso Art. 171 Verf. Bay.; Art. 53 Verf. Rheinland-Pfalz; vgl. Diemer, VSSR 1982, 31 (34): Der Sozialstaat realisiert sich in Gestalt eines "Sozialversicherungsstaates". 11 Die Rechtsprechung kann eine partielle Vorreiterrolle für die Verwirklichung des Sozialstaats übernehmen, indem nicht bloß bestehende Sozialgesetze ausgelegt, sondern evolutionär fortgebildet werden, wie dies insb. für das Arbeitsrecht durch das BAG geschieht; F. Wassner hat in diesem Zusammenhang den Vorwurf eines "Strickens mit der kleinen Masche " erhoben, FAZ vom 7. 11. 1982, S. 14. 12 Nach § 47 Abs.l Nr. 1 SGB X, § 49 BVwVfG darfein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, wenn der Widerruf 10

I. Sozialer Rückschritt als Verfassungsproblem

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Soweit der Leistungsverwaltung in Bund, Ländern, Kommunen und Landkreisen, Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts ein Regelungsspielraum durch Ausübung von Verwaltungsermessen beziehungsweise Auslegung unbestimmter Rechtssbegriffe verbleibt 13 oder der Exekutive beziehungsweise den Selbstverwaltungsorganen von Sozialträgern 14 eine eigene Regelungskompetenz eingeräumt ist, sind auch in diesem Bereich soziale Rücknahmen möglich. So werden die Regelsätze für die Sozialhilfe grundsätzlich nicht durch das BSHG selbst, sondern durch die zuständigen Landesbehörden festgesetzt, wenngleich diesen infolge der gesetzlichen Eingrenzungen in § 22 Abs. 3 BSHG nur ein beschränkter Gestaltungsraum verbleibt. Selbständige Entscheidungsbefugnisse hat zum Beispiel auch die Bundesanstalt für Arbeit, was im Falle der Verschärfung der Zumutbarkeitsanordnung im Jahre 1982 auf politischer Ebene zu heftigen Auseinandersetzungen geführt hat 1 5 . Die verfassungsrechtliche Beurteilung solcher untergesetzlicher Abbaumaßnahmen knüpft an die Maßstäbe an, die das Grundgesetz für unmittelbar gesetzesbezogene Rücknahmen bereithält 16 , allerdings modifiziert durch die kompetenzielle und im zugehörigen Gesetz festgelegte Begrenzung der Entscheidungsfreiheit des Verwaltungsträgers. "Rückschritt" auf der Ebene der Sozialgesetzgebung zeigt sich rechtstechnisch in verschiedenem Gewand, je nach Art und Umfang des beabsichtigten Abbaus sozialer Verwirklichungen. Strengste Eingriffsform ist die völlige Streichung einer Sozialfunktion, sei sie leistender oder schützender Natur. Ein solcher Schritt kommt dort in Betracht, wo eine Sozialgestaltung aus welchen Gründen auch immer als nicht mehr sinnvoll beziehungsweise sozialpolitisch unerwünscht bewertet wird 1 7 . durch Rechtsvorschriften zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist; maßgeblich ist also das Gesetzesrecht, das seinerseits nicht gegen verfassungsrechtliche Wertungen verstoßen darf; konsequent BVerfGE 59,128 (166 ff), wo die Frage der Zulässigkeit einer Rücknahme oder eines Widerrufs von Verwaltungsakten in die verfassungsrechtliche Vertrauensschutzdogmatik integriert ist. 13 Vgl. BVerfGE 59, 128 (165), wo die Anforderungen des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzcs auch auf Verschärfungen von Anspruchsvoraussetzungen im Wege einengender Rechtsprechungsinterpretation von Rechtsnormen erstreckt werden. 14 Die Sozialversicherungsträger haben nur noch ganz bescheidene Kompetenzen in Wahrnehmung ihres Selbstverwaltungsrechts; durch Satzung werden vor allem vorbeugende Gesundheitsprogramme und Reha-Maßnahmen geregelt, siehe Gitter, Sozialrecht, S. 46 f; Rüfner, VVDSTRL 28, 187 (194); ders., Einführung, S. 90 f. 15 Die Zumutbarkeitsanordnung nach § 103 Abs. 2 A F G enthält gesetzesausfüllende Vorschriften; die Anordnung wird durch den drittelparitätisch besetzten Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit erlassen; der DGB hat die Verschärfung der Zumutbarkeitsanordnung u.a. durch Einführung von Qualifikationsstufen als Vorstoß gegen das Sozialstaatsprinzip gewertet, da eine Herabstufung der Arbeitnehmer aufgrund der Aussichtslosigkeit der Vermittlung zu einem sozialen Abstieg führe. 16 Die Verschärfung der Zumutbarkeitsanordnung stellt sich als Eingriff in die Berufsfreiheit und den kraft eigener Leistungen verdienten Arbeitsstatus dar und muß sich daher vor Art. 12 u. 14 bewähren. Vgl. Isensee, FS Broermann, S. 365 (384). 17 ζ. B. völlige Abschaffung der Graduiertenförderung auf Bundesebene im Jahr 1981 ; Umstellung des BAFÖG-Systems auf Darlehensbasis.

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Regelmäßig wird die Abschaffung einer sozialen Ordnung Hand in Hand mit der Einführung eines "funktionalen Sozialäquivalents" gehen, das im Rahmen einer großen Sozialreform die bisherige Regelung durch eine neuartige, anders strukturierte Gestaltung, zum Beispiel das Sozialversicherungssystem durch eine allgemeine Staatsbürgerversorgung, ersetzt, wobei das Niveau der Neuregelung je nach politischer und finanzieller Lage besser, gleichgelagert oder niedriger als der bisherige Standard sein kann 1 8 . Dieser Problemkreis steht in engem Zusammenhang mit der -in dieser Arbeit kurz angesprochenen Frage-, ob das Grundgesetz mittels des Sozialstaatsprinzips sowie der Zuständigkeitsvorschriften eines „institutionelle Garantie" herkömmlicher Sozialeinrichtungen, insbesondere des Sozialversicherungssystems, errichtet (dazu 2. Teil Α. I.). I m Sozialleistungssektor dominiert unter den gegenwärtigen und absehbaren Bedingungen der Volkswirtschaft freilich nicht die Beseitigung einer bestimmten Sozialaufgabe oder -institution in ihrer Gesamtheit, vielmehr beschränkt sich der rücknahmewillige Gesetzgeber regelmäßig auf eine Absenkung einzelner Leistungsstandards unter Beibehaltung der generellen Sicherungsfunktion. Die Reduktion kann instrumental 19 an vielen Punkten der bisherigen Regelung ansetzen. In Betracht kommen unter anderem unmittelbare, ziffernmäßig ausgedrückte Leistungskürzungen, eine strengere Fassung von Bezugsvoraussetzungen oder eine nachteilige Veränderung der Bemessungsgrundlagen von Sozialleistungen20. Eine versteckte Form des Sozialabbaus ist die Nichtanpassung von Sozialleistungen an gestiegene Lebenshaltungskosten. Sozialer Rückschritt durch „eingefrorene", „gekappte" oder „zeitlich hinkende" Anpassungen in Ausfüllung vorhandener einfachgesetzlicher Dynamisierungsklauseln kann vor allem im Rahmen der den Lebensstandard sichernden Einkommensersatzleistungen sehr einschneidende Wirkung auf die Betroffenen zeigen (dazu unten 2. Teil Β I I I 2 b; 3. Teil A I I I 4; D I I I 2 c). Das Spektrum möglicher Ansatzpunkte für Lockerungen innerhalb des sozialen Netzes ist sehr breit, vor allem wenn das Feld möglicher Ausdünnungen bei sozial gestaltenden Schutzgesetzen ohne Leistungskomponente berücksichtigt wird 2 1 . 18

Dieser Aspekt findet Niederschlag in der Forderung nach einer Gesamtschau bzw Gesamtwürdigung einer sozialen Versorgungslage s. etwa BSGE 9,127 (130); 15, 71 (75); 24,285 (290); 41,43 (14); 46,49 (94); Krause, Eigentum, S.170,179; Stober, Sozialrechtslehrertagung, S. 53; Meydam, Eigentumsschutz, S. 16, 107. 19 Zum Arsenal der Rücknahmetechnik s. näher Zacher, SF 1984, 1 (2 f). 20 ζ. B. Kürzungen einzelner Sozialhilfeleistungen, Reduktion des Arbeitslosengeldes oder der Arbeitslosenhilfe, Absenkung des Mutterschaftsgeldes; Einführung von Wartezeiten und einer Höchstbezugsdauer beim Arbeitslosengeld; Einkommensgrenzen beim Kindergeld; engere Berechnungsmodalitäten für Rentenleistungen; Nichtanrechnung oder geringere Bewertung von Ersatz- und Ausbildungsausfallzeiten. 21 ζ. B. Abbau arbeitsrechtlicher Schutznormen durch Zulassung befristeter Arbeitsverträge oder Lockerungen des Jugendarbeitsschutzes; dazu Entwurf eines „Beschäftigungsförderungsgesetzes", das zum Januar 1985 in Kraft treten soll; Einführung von Zeitmietverträgen und Staffelmieten im sozialen Mietrecht.

I. Sozialer Rückschritt als Verfassungsproblem

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Die bereits durchgeführten Rückholmaßnahmen im Zusammenhang mit den Haushaltssicherungs-, Struktur- und Begleitgesetzen22 zeigen die Variationsbreite denkbarer Rückschrittstechniken und -instrumente, ein Bereich, dessen Entwicklung und Verfeinerung sicher noch nicht abgeschlossen ist 2 3 . Die verfassungsrechtliche Kontrolle durch die Rechtsprechung hat an dem jeweiligen Rücknahmeakt, der auch in einem Unterlassen (Nichtanpassung) bestehen kann, anzuknüpfen und die Wirkung der Abbaumaßnahmen auf die aktuell oder potentiell betroffenen Bürger abzuschätzen. Die Bewertung einer abbauenden Maßnahme als „sozialer Rückschritt" und die Gewichtung und Abwägung der Kürzungsbelange obliegt als nachträglicher Prüfungsinstanz den Gerichten, allen voran dem Bundesverfassungsgericht, in eigener Kompetenzverantwortung. Auf der politischen Ebene wird die Einstufung reduzierender sozialpolitischer Maßnahmen regelmäßig unterschiedlich ausfallen, je nach politischem Standort und Rolle des Betrachters. Das im Sprachgebrauch negativ besetzte Etikett „sozialer Rückschritt" dürfte die jeweilige Regierungsmehrheit selbst bei ganz evidenten Rückholaktionen weit von sich weisen. Im Gegenteil: Die Abbaumaßnahme präsentiert sich aus der Sicht der Regierung wohl immer als notwendiger Schritt für eine gerechtere Sozialordnung oder als zwingende Antwort des Staates auf eine neue gesellschaftspolitische Lage oder zum Zweck der Konsolidierung und Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des sozialen Netzes. So betont Sozialminister Blüm im Vorwort des Sozialberichts 1983, „ daß es in der Sozialpolitik der Bundesregierung trotz der notwendigen Konsolidierungen keinen Stillstand und schon gar keine Demontage des Sozialstaates geben wird", eine in Anbetracht bereits vollzogener, nicht unerheblicher Kürzungen im Sozialbereich etwas realitätsfremde Feststellung. Im folgenden werden die Begriffe sozialer Rückschritt, soziale Rücknahme oder Rückholung, Sozialabbau, sowie die Kennzeichnung als Beschneidung, Absenkung, Reduktion, Kürzung oder Ausdünnung „wertfrei" als Synonyme zur Charakterisierung eines Vorgehens des Sozialgesetzgebers verwendet, das in seiner praktischen Wirkung für den Bürger ein Weniger an sozialer Leistung 22 Zum Typus „Haushaltsstruktur oder -begleitgesetz" s. v. Mutins , VVDSTRL 42,147 (188 f, 207); Schuppert, W D S T R L 42,216 (228 f); dieser Gesetzestypus ist ein Kind des zu Einsparungen gezwungenen Leistungsstaates. Haushaltsstruktur und -begleitgesetze sind im Regelfall materielle „negative Sozialgesetze", die im Wege einer Sammelnormierung Sparmaßnahmen in verschiedenen Sozialbereichen durchsetzen; vgl. v. Mutius, aaO, S. 188 f; Häberle, Disk. Beitrag, VVDSTRL 42, 292, der wegen der mangelnden Publizität dieses Gesetzestypus von einer „verwilderten Praxis" spricht; Zacher, ebenda,S.300; v. Mutius, ebenda, S. 207; s. Zusammenstellung neuerer Haushaltskonsolidierungsgesetze bei Zacher, SF 1984, 1 (2 mit Fn 11). 23 Eine häufig praktizierte Technik zur zeitweiligen Abstützung einzelner in finanzielle Not geratener Sozialleistungssysteme unter Umgehung von direkten Abbaumaßnahmen und einer echten Strukturreform besteht darin, Finanzmassen von einem gerade gesunden auf einen momentan kranken Sozialträger zu verlagern (sog. „Verschiebebahnhöfe", ζ. B. die Überschüsse aus Beiträgen für die Bundesanstalt für Arbeit auf die defizitäre Renten Versicherung, s. Zacher, SF 1984, 1 (3); Heinze, DJT-Gutachten, S. 40 f.

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oder Schutzdichte gegenüber dem bisherigen Regelungszustand zur Konsequenz hat.

3. Ziel und Gang der Untersuchung a) Ziel der Arbeit Die mit dem Thema der Arbeit aufgeworfene Frage nach der Existenz und Qualität verfassungsrechtlicher Sicherungen zugunsten der bestehenden beziehungsweise eines zeitgerechten Niveaus sozialer Errungenschaften kann sich nicht darauf beschränken, einer im Schrifttum gelegentlich erwähnten Figur eines „sozialen Rückschrittverbotes" nachzuspüren. Als politische Maxime interessierter Kreise hat die Formel vom sozialen Rückschrittsverbot sicher ihren Platz. Als rechtliche Kategorie erscheint sie kaum hinnehmbar. Bei näherer Beschäftigung mit der Problemlage Sozialabbau stößt man rasch auf die Erkenntnis, daß es ein soziales Rückschrittsverbot kraft Verfassungsrecht im Sinne einer statisch-konservierenden, absoluten Abbau- und Veränderungssperre für einzelne Sozialinstitutionen und ihre Leistungs- und Schutzstandards niemals geben kann und von den Autoren, die diesen Gedanken aussprechen, auch nie in einer solchen Bedeutung vertreten wird. Die Figur des sozialen Rückschrittsverbotes wird vielmehr immer in Beziehung zur demokratisch legitimierten Gestaltungsmacht des Parlaments und zur tatsächlichen Lage der Volkswirtschaft mit den daraus resultierenden Rahmenbedingungen gebracht, also dem begrenzenden „Vorbehalt des Möglichen" unterstellt 1 . In der Formel eines „begrenzten sozialen Rückschrittsverbotes" verbirgt sich das Bemühen um die Suche nach grundgesetzlichen Wertungsvorgaben, die den sozialen Prozeß aus der Verfassungsebene steuern und ihm in Zeiten der Verschlechterung der Ausgangsbedingungen Stabilität zu leihen vermögen. In Ausfüllung des Denkmodells eines „begrenzten" Rücknahmeverbotes fahndet diese Untersuchung daher nach grundgesetzlichen Maßstäben und Kriterien, die als Verfassungsfilter bei Rückholungen des Sozialgesetzgebers zur Anwendung kommen. Soziale Rücknahmen bewegen sich im prinzipiellen Spannungsfeld zwischen der im Demokratieprinzip wurzelnden Veränderungsmacht der legitimierten Organe des Staates und dem sozialen Geltungswillen des Grundgesetzes, der seine Entfaltung in der zunächst objektiv-rechtlichen Dimension als Sozialgestaltungsanweisung und der individualbezogenen Komponente des subjektiven Bestands- und Vertrauensschutzes gegründeter Sozialpositionen findet. Objektive und subjektive Wirkschicht lassen sich nicht voneinander trennen, sondern 1 s. Suhr, Der Staat, 1970, 67 (92); Wege, Positives Recht und sozialer Wandel, S. 201; Häberle, Leistungsstaat, S. 111, Fn 292; ders., AöR 1982,1 (7) Fn 13; ders., LVA-Mitt., S. 485; näher dazu unten 2. Teil A I I 1.

I. Sozialer Rückschritt als Verfassungsproblem

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sind in Gestalt aufeinander bezogener Wertungsvorgaben miteinander verwoben. Sie konstituieren zusammen das Wertgerüst der Verfassung, welches soziale Rücknahmen richtungsweisend in Befolgung des Leitbildes eines „sozialen Schonungsgebotes" eindämmen oder gegebenenfalls auch abblocken kann. Gesucht werden widerstreitende Beweglichkeits- und Erhaltungsmaximen, die die allgemeine sozialstaatliche Begrenzungsformel des „Vorbehalts des Möglichen" konkretisierend ausfüllen und so den jeweils einschlägigen Grundgesetzdirektiven einen „wahrenden" Inhalt geben. Diese Arbeit kann und möchte keine neue methodische oder inhaltliche Konzeption für die Realisierung des sozialstaatlichen Gehalts des Grundgesetzes im Anblick der Gefahrdungslage sozialer Rückholungen entwickeln. Beabsichtigt ist vielmehr primär eine Bestandsaufnahme und Analyse der Verfassungsdeterminanten, die Rechtsprechung und Schrifttum auf der Basis der bisherigen faktischen Sozialstaatsverwirklichungen anwenden, um dem Gesetzgeber unter Respektierung seiner demokratischen Wertungsprärogative Zeichen zu geben, wo der soziale Geltungsanspruch des Grundgesetzes eine bestimmte Richtung und Qualität seines sozialpolitischen Handelns begehrt. Da der soziale Prozeß bis Ende der 70er Jahre ausschließlich expansive Züge trug, müssen die hierfür entwickelten Grundgesetzmaßstäbe auf ihre Tauglichkeit als rückschrittsleitende Gewährleistungen abgeklopft werden. Rechtsfiguren und Leitprinzipien, die potentielle Eignung als Kontinuitätsdirektiven und Abbaufilter zeigen (institutionelle Garantie, Systemkonsequenzgebot, Rückschrittsgerechtigkeitsmaxime, Bestands- und Vertrauensschutzpostulate) sind näher darauf zu untersuchen, welche Erhaltungskraft sie auf Abbaumaßnahmen ausstrahlen. Ihre normativen Anknüpfungspunkte auf den verschiedenen Ebenen der Verfassung (Sozialstaatsprinzip, Grundrechte, Kompetenzartikel) sind ebenso festzustellen, wie die Ordnung und Gewichtung der maßgeblichen Rückschrittskriterien, sowie das methodische Konzept der Ausbalancierung der widerstreitenden Belange. Schließlich sollen exemplarische Anwendungsproben in den elementaren Sozialbereichen anhand der schon vollzogenen Rückschrittsprojekte sowie der Pläne für kleine und große Sozialreformen die Wirkung und den Nutzen verfassungsrechtlicher Rücknahmedeterminaten für die Betroffenen aufzeigen. Die Darstellung erfolgt auf der Basis der vorliegenden Sozialstaatsjudikatur, die freilich überwiegend noch im Zeichen der Verteilungsproblematik expansiver Sozialressourcen steht. Erst in Ansätzen, die sich vor allem in der individualbezogenen Bestands- und Vertrauensschutzperspektive zeigen, ist die dritte Gewalt mit der Gefahrdungslage „sozialer Rückschritt" konfrontiert. Eine enge Anlehnung an die bisherige Sozialstaatsrechtsprechung wird deshalb gewählt, weil vor allem die Entscheidungen des BVerfG ein im Ergebnis doch recht klares Bild grundgesetzlicher Einschnürung des sozialen Prozesses zeichnen. Besonders im Bereich des subjektiven Rückschrittsfilter können seit den Sprüchen zum Versorgungsausgleich, zu den Ausbildungsausfallzeiten und zur

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Rentenanpassung2 sowohl methodisch als auch inhaltlich relativ feste Linien einer Rückholjudikatur registriert werden. Hingegen fehlt im Schrifttum bislang eine komplexe Untersuchung zu den möglichen Rücknahmedeterminanten der Verfassung 3.Lediglich im Rahmen des eigentumsspezifischen Bestandsschutzes finden sich nähere Darlegungen über die Rückschrittsfestigkeit des sozialen Netzes.

b) Gang der Untersuchung Diese Arbeit entfaltet im Anschluß an die folgenden Bemerkungen zur Rückschrittsrealität im zweiten Teil zunächst in groben Zügen den vom BVerfG auf der generellen, primär objektiv-rechtlichen Schiene gesteckten Grundgesetzrahmen, soweit dieser Erheblichkeit für soziale Rücknahmen besitzt. Dies geschieht auf der Grundlage der Rechtsprechung zu den sozialgebietsorientierten Kompetenznormen, dem Sozialstaatsprinzip, dem Gleichheitssatz sowie den grundgesetzergänzenden Bestimmungen der Landesverfassungen und des SGBAT. Die Untersuchung bewegt sich dabei von den konkreten Bezugspunkten des Grundgesetzes, die das institutionelle Gerüst des Sozialstaats konstituieren (2. Teil A I ) , über die Erörterung der Verdichtungswirkung, welche das „Sozialstaatsprinzip in Verbindung mit Art 3 I " auf den Rücknahmeprozeß ausübt beziehungsweise ausüben könnte (2. Teil A II), hin zur Darlegung einzelner Orientierungspunkte, die sich für die Rückschrittsresistenz der Hauptfelder der Sozialstaatlichkeit (Existenzminimum, allgemeine Fürsorge- und Schutzdimension, Sozialversicherungssystem) aus der vorhandenen Sozialstaatsjudikatur ergeben (2. Teil B). Nach dieser Bestandsaufnahme folgt im 3. Teil eine Analyse und der Versuch einer Weiterentwicklung der grundrechtsgesteuerten Wertungsfaktoren, welche im Sinne von Stabilisatoren ein angemessenes Niveau des sozialen Netzes mit verläßlichen Rechtspositionen gewährleisten. Die Schlüsselstellung des Eigentumsschutzes individualisierter Teilhabepositionen des Sozialversicherungssystems für ein grundrechtsorientiertes Konzept sozialstaatlicher Verfestigung wird auf der Grundlage der richtungsweisenden Entscheidungen des BVerfG zum Versorgungsausgleich und den Ausbildungsausfallzeiten aufgefächert (3. Teil A). Der subjektive Aspekt zeitgerechter Partizipation des einzelnen an der Sozialversicherung steht dabei zwar im Vordergrund, doch soll diese Dimension auch Anlaß von Überlegungen für eine umfassende, multifunktionale , auch in 2

BVerfGE 53, 257 (289 ff); 58, 81 (109 ff); 64, 87 (97 ff). Ansätze für eine nicht bloß punktuelle Beschäftigung mit der Rückschrittsproblematik bei Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 22 ff; Isensee, FS Broermann, S. 365 ff; Degenhart, FS Scupin, S. 537. 3

I. Sozialer Rückschritt als Verfassungsproblem

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der objektiven Ebene wirkenden Verankerung von Sozialrechten in den bestehenden Grundrechtsnormen sein (dazu 3. Teil A I ; I I I 2). Herausgearbeitet werden anhand der einschlägigen Rechtsprechung sowohl die Elemente, die eine Einbeziehung von Sozialpositionen in den Schutzbereich des Art. 14 G G begünstigen als auch das Abschichtungsmodell, das eine einzelfallbezogene Gewichtung und Balance des personalen Schutzmoments rückschrittsbetroffener Rechte mit den gegenläufigen Abbaukriterien eher sozialpolitischer und finanzieller Natur erlaubt, wobei der Schwerpunkt insoweit auf der bisher in der Staatslehre vernachlässigten Zielsetzung der Einsparung von Kosten und der Konsolidierung der Finanzhaushalte liegt (3. Teil A III). M i t dem Eigentumsschutz von Sozialpositionen aufs Engste verzahnt, ist der Gedanke einer starken Kontinuitäts- und Vertrauenssschutz-Komponente des Grundgesetzes zugunsten der geweckten Sozialerwartungen der Bürger, die in die Leitformel eines „sozialen Schonungsgebotes" einmündet. Diese Perspektive wird in einem eigenen Abschnitt als „Grundrecht" behandelt, obwohl eine solche explizite Verbürgerung im Grundgesetz nicht existiert (3. Teil B). Die Verläßlichkeitsdimension hat im Sozialrecht eine herausragende Bedeutung, die sich in relativ extensiven Aussagen in Rechtsprechung und Schrifttum ausdrückt, so daß insofern eine Hervorhebung als eigenes Grundrecht im Rahmen des Rückschrittsproblems gerechtfertigt erscheint. Die Sonderstellung des Art. 6 GG als speziellem sozialen Grundrecht für den Familienkreis im ansonsten abwehrrechtlich konzipierten Grundrechtssystem weist dieser Vorschrift eine wichtige Rolle als paradigmatischer mehrdimensionaler Rückschrittsgerechtigkeitsnorm zu (3. Teil C). Abschließend behandelt diese Arbeit die auf den ersten Blick ohne Bezug zum Thema „soziale Rücknahmen" stehende Garantie amtsangemessener Besoldung und Versorgung in Art. 33 V G G (3. Teil D). Bei näherer Betrachtung von Normstruktur und Inhalt entpuppt sich die Alimentationsgarantie geradezu als Modell einer grundrechtsgesteuerten Sicherung eines Sozialsektors, was sich in einer dichten Kasuistik niedergeschlagen hat. Das multifunktionale Konzept der Maßstabsnorm des Art. 33 V GG gibt wesentliche Impulse und ist Vorbild für die methodische und systematische, wie auch die inhaltliche und verfahrensrechtliche Erfassung der Gefahrdungslage sozialer Rückschritt durch die bestehenden sozialstaatsrelevanten Grundrechtsnormen.

c) Zum zugrundegelegten

Verfassungsverständnis

Obwohl diese Arbeit in erster Linie eine darstellende und ordnende Zielsetzung verfolgt, sei an dieser Stelle noch ein Wort zur zugrundegelegten verfassungstheoretischen Position gesagt. Ausgangspunkt ist ein wirklichkeitsbezogenes Verfassungsverständnis 4, das in Bezug auf das gestellte Thema

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Teil 1: Grenzen des Sozialstaates

versucht, die grundgesetzliche Gefahrdungslage „sozialer Rückschritt" auf der Basis der existierenden Grundgesetzvorschriften durch eine offene, leistungsstaatliche Interpretation der jeweils sachbezogenen Verfassungsbestimmungen aufzufangen 5. In Anbetracht des Fehlens spezieller sozialer Verbürgungen werden dabei alle sachnahen grundgesetzlichen Vorgaben nebst außergrundgesetzlichen (Europäische Sozialcharta, Landesverfassungen, SGB -AT) Ergänzungen strapaziert, um eine möglichst dichte verfassungsrechtliche Fundierung und Stabilisierung des in der Sozialgesetzgebung aufgefächerten sozialen Netzes zu erreichen. Zentraler Punkt ist dabei das Konzept einer multifunktionalen Realisierung der bestehenden Grundgesetzgrundrechte, deren Hauptkomponenten die objektivrechtliche, die subjektive und die verfahrensrechtliche Wirkschicht sind 6 . Diese Grundrechtsperspektiven sind in einer leistungsstaatlichen Sicht, die die Sozialstaatswirklichkeit als Bezugspunkt und Maßstab hat, zu entfalten. Die leistungsstaatliche Betrachtung , die bislang ausschließlich verfassungsrechtliche Defizite in Anbetracht expandierender Sozialstaatsressourcen im Auge hatte, muß sich nunmehr im Zeichen des Wechsels der tatsächlichen Ausgangslage einer Bewährungsprobe unterziehen. Die Verknappung der vorhandenen Mittel und festzustellende Fehlsteuerungen des Sozialstaats zwingen zu einer stärkeren Orientierung an den „Grenzen des Sozialstaats". Der „Vorbehalt des Möglichen" muß durch konkretisierende Gemeinwohlerwägungen ausgefüllt werden, die das Flexibilitäts- und Anpassungsinteresse der Allgemeinheit mit dem grundrechtlich verbürgten personalen Daseinssicherungsmoment zu schonendem Ausgleich zu bringen versucht. Mittels der Methode grundrechtsspezifischer Interessenabwägung ist der jeweils verfassungsrechtlich gebotene rückschrittsfeste Gehalt sozialer Funktionen sowohl auf der generellen, objektiven Ebene der Erfüllung von Sozialaufgaben als auch unter dem individuellen Aspekt des Bestands- und Vertrauensschutzes gegründeter Sozialpositionen auszuloten. Angestrebt werden zur Erreichung dieses Zieles, dies ist die Leitlinie der Arbeit, keine statisch-institutionell oder qualitativ fixierenden grundgesetzlichen Gewährleistungen, sondern funktionelle, dynamische und elastische grundrechtsorientierte Wertungshorizonte, die das soziale Netz auf einem zeitgerecht - angemessenen, verläßlichen Niveau stabilisieren.

4 Dazu etwa Grimm, Grundrechte und soziale Wirklichkeit, S. 39 (45 ff); ders., AöR 1972, 489; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 36 ff; Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 213 ff, 351. 5 Zum leistungsstaatlichen GG-Verständnis s. an dieser Stelle nur BVerfGE 33, 303 (330 ff); Häberle, Leistungsstaat, S. 69 ff; Grimm, Grundrechte und soziale Wirklichkeit, S. 39 (62 ff). 6 s. nur Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 352, 356, 359 ff, 370; Leistungsstaat, S. 75; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 279 ff; Schmitt Glaeser, AöR 1982, 337 (369 0-

II. Ursachen sozialer Rücknahmen

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II. Die Ursachen sozialer Rücknahmen 1. Verschlechterung der ökonomischen und demographischen Rahmenbedingungen Stetiges Wirtschaftswachstum seit Kriegsende, steigendes Bruttosozialprod u k t 1 , laufend höhere Einnahmen des Staates u n d der Sozialversicherungsträger aus Steuern u n d Sozialabgaben waren bis Ende der 70er Jahre Voraussetzungen eines „Sozialbooms", der den „social standard o f l i v i n g " aller Bevölkerungskreise spürbar anhob. Sozialbudget u n d Sozialleistungsquote 2 kletterten i n der Wachstumsphase kontinuierlich , nahmen i m Vergleich z u m Bruttosozialprodukt zeitweise überproportional zu 3 U m eine Vorstellung v o n der Interdependenz zwischen der Leistungsfähigkeit der Systeme sozialer Sicherung u n d ihrem Nährsubstrat, einer gesunden, a u f Wachstum bauenden Volkswirtschaft zu bekommen, muß man sich einige Daten des sozialstaatlichen Umverteilungsprozesses vergegenwärtigen. D e n größten A n t e i l a m Sozialbudget m i t 60 % u n d Leistungen i m Jahr 1983 i n H ö h e v o n 330 M i l l i a r d e n D M repräsentiert das System sozialer Sicherung i m engeren Sinn, das den Sozialversicherungsbereich u n d das Kindergeld u m s p a n n t 4 . D i e gesetzliche Rentenversicherung partizipiert, incl. der Ausgaben für Hinterbliebene, daran alleine m i t 1/3, was Leistungen i m Jahr 1983 i n H ö h e v o n 162 M i l l i a r d e n D M u n d einer Quote v o n 10 % a m Bruttosozialprodukt entspricht. ,. 1 Bis 1980 war das Bruttosozialprodukt (BSP) mit Ausnahme des Jahres 1975 (Ölpreisschock) ständig gewachsen. 1981 sank das bereinigte, reale BSP um 0,3%, nachdem 1980 noch ein Wachstum von 1,8% und 1979 von 4,4% erzielt worden war. 1982 sank das BSP gegenüber 1981 um weitere 1.2%, während es 1983 real wiederum um ca. 1 % gestiegen ist, Quellen: Sozialbericht 1983. S. 51; StZ v.8. 1. 1982 ; 11. 1. 1983. 2 Das Sozialbudget umfaßt nicht nur alle direkten und indirekten „klassischen Sozialleistungen" für Ehe und Familie, Gesundheit, Beschäftigung, Alter und Hinterbliebene, Folgen politischer Ereignisse, Wohnen, Sparen, allgemeine Lebenhilfen, sondern auch Leistungen nach beamtenrechtlichen Vorschriften (Pensionen, Familienzuschläge, Beihilfen), direkte Arbeitgeberleistungen wie Entgeltfortzahlung für Krankheit und Mutterschaft und Leistungen der betrieblichen Altersversorgung und indirekte staatliche Maßnahmen zur Vermögensbildung, Steuerermäßigungen, sozialen Wohnungbau. Zur Definition des Sozialbudgets: Sozialbericht S. 49, 127; Gitter, Sozialrecht, S. 35. Die Sozialleistungsquote gibt das rechnerische Verhältnis in Prozent der Summe der Sozialleistungen, wie sie im Sozialbudget abgegrenzt werden, zur Summe aller Güter und Leistungen an, die im gleichen Zeitraum hergestellt und nicht mehr im Produktionsprozeß verbraucht werden (BSP). 3 Das Sozialbudget betrug 1960: 62,8 Mrd., 1970:174,7 Mrd., 1980:449,5 Mrd., 1983: 512,5 Mrd. (ohne Ehegattensplitting); zum Vergleich: Bundeshaushalt 1983: 246,7 Mrd. Während das BSP zwischen 1960 und 1980 um das fünffache stieg, wuchs das Sozialbudget um das 7-fache; die Sozialleistungsquote erhöhte sich in diesen Jahren von 21 auf 30 %. Bis 1987 peilt die Bundesregierung eine Sozialleistungsquote von nur noch 29 % an; Material aus: Sozialbericht 1983, S. 53 ff; Gitter, Sozialrecht, S. 34-39 m.w.N. 4 s. Sozialbericht 1983, S. 75 ff; vgl. Analyse aus sozialwissenschaftlicher Sicht bei Schäfer, Anpassung des Systems der sozialen Sicherung an Rezession und Unterbeschäftigung, SF 1983, 121.

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Die übrigen Sozialversicherungszweige aus (1983): Krankenversicherung: 100 Milliarden Unfallversicherung: 11 Milliarden Arbeitsförderung: 42 Milliarden

nehmen sich insofern fast bescheiden entsprechend 6% des BSP entsprechend 0,67% des BSP entsprechend 2,53% des BSP

Auffällig ist die Steigerung der Ausgaben für die Arbeitsförderung, welche von 15 Mrd. im Jahr 1977 auf 42 Mrd. für 1983 zunahmen 5 . Die Leistungen des Sozialbudgets werden zu etwa 2/3 durch Beiträge und 1/3 durch Zuweisungen der öffentlichen Hände finanziert. Der Anteil der Beiträge an der Finanzierung des Sozialbudgets wächst. Er betrug 64 % im Jahr 1977 und soll auf 66 % im Jahr 1987 steigen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber brachten 1977 160 Milliarden D M und 1982 schon 228 Milliarden D M an Beiträgen auf. Bis 1987 werden sich die Beiträge auf voraussichtlich 287 Milliarden D M erhöhen 6 . In den einzelnen Sozialversicherungszweigen ist der Beitragsanteil recht unterschiedlich: Die Rentenversicherung wird derzeit (1983) zu 3/4 aus Beiträgen und 1/5 durch Bundeszuschüsse finanziert. Die Krankenversicherung ist ausschließlich beitragsfinanziert (95 %). Starke Veränderungen in den Finanzierungsquoten hat es wegen der hohen Arbeitslosigkeit bei der Bundesanstalt für Arbeit gegeben: Waren die Leistungen 1977 noch voll beitragsfinanziert, sank der Beitragsanteil 1981 auf rund 2/3 ab, was durch einen Bundeszuschuß in Höhe von 8 Milliarden D M ausgeglichen werden mußte. 1983 ist infolge der Sparmaßnahmen und Beitragerhöhungen eine Konsolidierung eingetreten, so daß der Bundeszuschuß auf 3,6 Milliarden gesenkt werden konnte 7 . Verteilt nach Haushalten ergeben sich folgende Quellen für die Finanzierung des Sozialbudgets (gerundet, mit Ehegattensplitting) 8 : Haushalt Unternehmen Bund Länder Gemeinden Sozialversicherung private Organisationen private Haushalte

1977

1983

125 93 47 29 1 3 106

171 122 61 40 1 3 154

Im Bundeshaushalt 1982 wies der Titel „Arbeit und Soziales" einen Anteil von 34%am Gesamtetat mit Ausgaben i. H. v. 82 Mrd. aus 9 . 5 6 7 8 9

Sozialbericht S. 87 f. Sozialbericht S. 115 f. Sozialbericht S. 89 f. Sozialbericht S. 117 f. Informationsschrift der Bundesregierung zum Bundeshaushalt 1982.

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Diese Zahlen zeigen nicht bloß den enormen Finanzbedarf für die Aufrechterhaltung des existierenden Sozialsystems, sondern belegen seine unmittelbare Abhängigkeit von der Leistungskraft der Volkswirtschaft. Die Höhe des zur Verfügung stehenden Transferhaushalts 10 ist elementare Bestimmungsgröße für den Verteilungsrahmen des Sozialbudgets, die weder von den politisch Verantwortlichen, noch den Hütern des Verfassungsrechts ignoriert werden kann. Eine florierende Wirtschaft, die durch hohe Abgaben und Lohnzahlungen die Voraussetzung für den leistungsstaatlichen Verteilungsprozeß schafft, entpuppt sich als der wahre Souverän des sozialen Rechtsstaats11. M i t dem Ausbleiben gesamtwirtschaftlichen Wachstums seit Frühjahr 1980, sinkendem Bruttosozialprodukt im Jahr 1981 und 1982, einer gegenüber der Vergangenheit stark abgeschwächten Wachstumsrate für 1983, sowie pessimistischen Wirtschaftsprognosen für die Zukunft 1 2 , zeichnet sich eine tiefe Krise des Sozialstaats ab. Eine Kettenreaktion ist ausgelöst. Infolge der volkswirtschaftlichen Schwäche und verminderter Lohnsteigerungsraten stagnieren oder schrumpfen die Einnahmen des Staates wie auch der Sozialversicherungsträger. Aufgrund zunehmender Arbeitslosigkeit 1 3 , die immer häufiger auch Konsequenz technologischer Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt ist, sind immer mehr Menschen auf das Netz sozialer Sicherheit angewiesen, was zu einer Erhöhung der Ausgaben der Sozialinstitutionen führt. Da frühere Beitrags- und Steuerzahler wegen Arbeitslosigkeit ausfallen und nunmehr selbst die jahrelang versprochenen und finanzierten Leistungen in Anspruch nehmen, sinken die Einnahmen und vergrößern sich gleichzeitig die Ausgaben. Dem sozialen Netz droht der finanzielle Kollaps und ein Reißen seines Gewebes gerade in dem Augenblick, in dem viele Bürger erstmals ernsthaft auf seine Engmaschigkeit angewiesen sind 1 4 , was den Verdacht nährt, Sozialleistungsgesetze seien bloße „Schönwettergesetze".

10 Die Transferströme sind aufgezeigt im Bericht der Transfer-Enquete-Kommission von 1981; zur Umverteilung im Sozialstaat s. Zacher DÖV1970,3; Isensee, Umverteilung, bes. S. 60 f, 74 f; ders., FS Ipsen, S. 409 (432 ff); ders., Rolle des Beitrags, S. 461 ff; Kirchhof, JZ 1982, 305; v. Arnim VVDSTRL 39 (1981), 286 (339ff); vgl. die Mackenrothschc Regel, wonach es für einen sozialen Aufwand keine andere Quelle als das laufende Volkseinkommen gibt, dazu Schäfer, SF 1983, 121 (127). 11 Zur Ressourcenabhängigkeit des Sozialstaats: Zacher, ZStaatsW 1978,15 (24); ders., FS Ipsen, S. 207 (247); Herzog, M D , Art. 20 V I I I Rn. 23; Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 9, 33, 35; Starck, BVerfG und GG, S. 480 (516ff); Häberle, Leistungsstaat, S. 65, 85, 89, 107f, 110, 113 f; Merten, Hdb. des VerlR., S. 765 (793); Isensee, FS Broermann, S.365 (368); Degenhart, FS Scupin, S.537 (545); Ipsen, FS Zweigert, S. 747 (756); Stern, Staatsrecht I, S. 918 ff; Transfer-Enquete-Kommission, Ziff. 544f; Sozialbericht 1983, S. 6. 12 Zur Sozialprognose bis 1987 s. Sozialbericht S. 51, Ziff. 14 ff. 13 Zahl der Arbeitslosen 1970:170 000,1982:1,8 Mill., Okt. 1983:2,14 Mill., Mai 1984: 2,13 Mill, (entspr. 8,6 %). 14 Aus diesem Gedanken leiten die „Grünen" ein totales Abbauverbot für Sozialleistungen ab, s. Wirtschaftsprogramm der Grünen v. 16.1. 83, vorgestellt in: Der Spiegel v. 10.1. 83, S. 34 und FAZ v. 17. 1. 83, S. 2.

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Teil 1: Grenzen des Sozialstaates

Neben die Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Rahmendaten treten langfristig wirksame Probleme der Bevölkerungsentwicklung. Die geburtenstarken Jahrgänge der 50er und 60er Jahre führen derzeit zu einem erheblichen Anstieg des Erwerbspersonenpotentials, dem in den 90er Jahren ein deutlicher, nach der Jahrtausendwende verstärkter, Rückgang folgen wird. Auf lange Sicht ergeben sich hieraus Ungleichgewichte in der Bevölkerungspyramide, die voraussehbare Äquivalenzstörungen des der Sozialversicherung als Strukturmodell zugrundeliegenden Generationenvertrages verursachen werden 15 . Dies hat Folgen besonders für die Rentenversicherung: Das zahlenmäßige Verhältnis der Beitragszahler zu den Rentnern verschiebt sich aufgrund des sich ändernden Bevölkerungsaufbaus zulasten der finanzierenden Erwerbsbevölkerung. Mußten 1980 1000 Pflichtversicherte für 555 Rentner sorgen, werden dies im Jahr 2000 711 und im Jahr 20301199 Rentner sein, wenn die demographische Entwicklung sich in den bisherigen Bahnen fortsetzt. Die möglichen Konsequenzen aus diesem voraussehbaren Rentnerberg für Struktur- und Leistungskraft der Sozialversicherung fließen in die jetzt inganggesetzte Diskussion um eine große Strukturreform der Rentenversicherung ein 1 6 . 2. Fehlentwicklungen innerhalb des sozialen Netzes und Ansatzpunkte für eine Neuorientierung der Sozialpolitik Ausgelöst durch diese negativen Veränderungen der Bedingungen eines „guten" Niveaus der bestehenden Sozialeinrichtungen ist eine Lawine der Kritik im politischen, politikwissenschaftlichen, sozialwissenschaftlichen 1 und staats15 Vgl. Sozialbericht S. 6,7,14,51 f; zum Generationenvertrag als Regulator der Sozialversicherung s. Häberle, Zeit und Verfassungskultur, S. 336; näher s. u. 2. Teil Β I I I 2 c. 16 Vgl. Sozialbericht S. 6,7,15; Gutachten des Sozialbeirats der Bundesregierung über Probleme der langfristigen Alterssicherung in der BRD, BT-Drucksache 9/632; Bericht der Transfer-Enquete-Komm. S. 249 ff;Bericht der Sachverständigenkomm. Alterssicherungssysteme v. Dez. 1983, S. 17 ff; Bericht in: Der Spiegel v. 21. 2. 1983, S. 80 ff „Rentenversicherung vor dem Bankrott"; Rische/Terwey, DRV 1983, 273 ff. 1 Vgl. Michalsky SF 1984, 134 ff; Blüm\Sehr oeder, Grenzen des Sozialstaats 1976; Greven/Prätorius/Schiller, Sozialstaat und Sozialpolitik, Krise und Perspektiven, 1980; Johano Strasser, Grenzen des Sozialstaats? 1979; Ehrenberg/Fuchs, Sozialstaat und Freiheit, 1980; Ulrich Matz, Der überforderte Staat: Zur Problematik der heute wirksamen Staatszielvorstellungen, in: W. Hennis / Kielmannsegg / Matz, Regierbarkeit, Band 1,1977, S. 82 ff; Rauscher (Hrsg.), Krise des Sozialstaats, 1977; Helmut Schelsky,Die Arbeit tun die anderen, 1975; Niklas Luhmann, Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, 1981; Nell-Breuning, Was kostet der Sozialstaat?, SF 1982, S. 1; J. Alber, Wohlfahrtsstaat in der Krise? Eine Bilanz nach 3 Jahrzehnten Sozialpolitik in der BRD, Zeitschrift für Soziologie 1980, S. 313; S. Mosdorf(Hrsg.) Sorge um den Sozialstaat, 1982; sonstige Beiträge: Renate Merklein, Der Griff in die eigene Tasche. Hintergeht der Bonner Sozialstaat seine Bürger? Spiegel - Buch 1980; „Zeit-Serie" 1982, „Ist der Sozialstaat noch zu retten?"; P. Koslowski, FAZ v. 2.7.83 „Über die Grenzen staatlicher Fürsorge hinaus"; Otto Graf Lambsdorff, Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachsstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, 1982 (sog. Lambsdorff-Papier); Heimo

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rechtlichen 2 Schrifttum über das derzeitige Sozialstaatskonzept hereingebrochen 2 3 . Eckpunkte fundamentaler Sozialstaatszweifel sind Erwägungen, die eine generelle Überforderung des Staates als Folge der Expansion sozialer Leistungsaktivitäten des Staates erblicken u n d die Gefahr einer freiheitsbedrohenden E n t m ü n d i g u n g des Bürgers durch eine Totalabhängigkeit v o m Wohlfahrtsstaat beschwören. Es werden vielfaltige Krankheitssymptome des Sozialstaats konstatiert 3 . Der soziale Prozeß w i r d als eigendynamische Sozialspirale dargestellt, die aus wahltaktischen Gründen immer neue Wohltaten über den Bürger ergießt, diesen damit i n immer größere Abhängigkeit v o n staatlichen Sozialmechanismen bringt u n d den Finanzbedarf des Staates, der letztlich v o m Bürger selbst u n d den Unternehmen aufgebracht werden muß, immens steigert 4 . D i e Sozial- u n d Kostenspirale gehe H a n d i n H a n d m i t der Anspruchsspirale 5 , weil der Bürger immer mehr soziale Leistungen auf immer sozialstaatsferneren Gesellschaftsbereichen fordere u n d anstelle einer Bedarfsdeckungs- eine Bedarfsweckungspolitik betrieben werde 6 , der aber kein gleichgewichtiges volkswirtschaftliches Erarbeiten gegenüberstehe. D i e behauptete völlige U m h e g u n g des Bürgers durch eine dichte Sozialgesetzgebung m i t komplexen SozialinstituGeorge, Wie kann die Arbeitslosigkeit eingedämmt werden? in: Arbeit und Sozialpolitik 1983, S. 267; Ernst Albrecht, 10 Thesen zum Problem der Arbeitslosigkeit, in: Arbeit und Sozialpolitik 1983, S. 334. 2 s. Starch ZRP 1981,97; ders. D V B L 1978,937; Herzog, M D , Art. 20 V I I I Rn 23,46; Zeidler, DJT-Vortrag 1980,1,16 ff; Merten, VSSR 1980,101; Hdb.d. VerfR., S. 765 (780 f u. 793 ff); Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 77 ff; Isensee, FS Broermann, S. 365 ff; Schmitt Glaeser AöR 1982, 337 (353 ff); v. Hippel, Krisen als Herausforderungen und als Chance, ZRP 1982, 312; ders.,Zur Krise des Wohlfahrtsstaates, ZfS 1983, 121; Zacher, Sozialstaat und Recht, Grundlagen-Entwicklungen- Krise, VSSR 1983, 119; ders., Der gebeutelte Sozialstaat in der Wirtschaftskrise, SF 1984,1; Degenhart, FS Scupin, S. 537; Benda, ZIP 1981, S. 221; Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, S. 8 ff; ders., Selbstbindungen der Verwaltung, DÖV 1981, 503 (504 f); Stern, Staatsrecht I, S. 918 ff. 23 Heinze, DJT-Gutachten, S. 7ff hat auf der Basis seiner Forderung einer Rückführung des Sozialrechts auf die Abwehr von Notlagen (s. bes. S. 30, 34, 44, 78) ein umfangreiches „Sündenregister" des Sozialstaats in seiner gegenwärtigen Gestalt entworfen, das in vielen Punkten jedoch überzogen erscheint; in der Tendenz wie Heinze: Stober DVB11984,357 ff; Kritik am „reduktionistischen" Sozialrechtsverständnis von Heinze bei Haverkate ZRP 1984, 217 (219); den DJT - Thesen von Stolleis liegt im Gegensatz zum DJT-Gutachten Heinzès eine „sozialstaatsfreundliche" Auffassung zugrunde. 3 Eine Reihe von Beiträgen widerlegt aufgrund sozialwissenschaftlicher Analyse die These, daß der Sozialstaat hypertroph gewachsen sei und seine eigentliche Aufgabe, die Gewährleistung umfassender sozialer Sicherheit, nicht mehr erfüllen könne, s. J. Alber, Wohlfahrtsstaat in der Krise?, Zeitschrift für Soziologie 1980, S. 313; Schäfer, SF 1983, 121; Michalsky, SF 1984, 134; Nell-Breuning, SF 1982, 1; Bieback, Kritische Justiz 1984, 257. 4 s. Merten, VSSR 1980,101 (105); ders., Hdb. d. VerfR., S.794; Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 11 \Starck, D V B L 1978, 937 (940); Leisner, Demokratie-Selbstzerstörung einer Staatsform, S. 154 ff. 5 In BVerfGE 60,16 (43) spricht der 2. Senat von „Zeiten gesteigerten Anspruchsdenkens"; Warnung vor unbegrenztem subjektiven Anspruchsdenken auf Kosten der Allgemeinheit schon im 1. NC-Urteil, BVerfGE 33, 303 (334). 6 Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 11. 3 Schlenker

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Teil 1 : Grenzen des Sozialstaates

tionen denaturiere den Sozialstaat zum absoluten Versorgungsstaat 7. Dieser äußere sich durch eine Aufblähung des Staatsapparates mit einer permanent wachsenden Bürokratie und einer zunehmenden Quote im öffentlichen Dienst beschäftigter Bürger 8 . Die Komplexität des sozialen Netzes führe zu einer für Bürger, Politiker und Juristen nicht mehr überschaubaren Normenflut, einer totalen Verrechtlichung der Sozialpolitik 9 . Der zunehmende Alterungsprozeß des Sozialstaats lasse innere Widersprüche, Spannungen und Unzulänglichkeiten hervortreten, die immer öfters die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit und Effektivität infrage stellen 10 . Vom Gesetzgeber nicht bemerkte oder nachvollzogene Verschiebungen sozialer Bedarfslagen, Fehlentwicklungen innerhalb des sozialen Netzes, die zu einer Überversorgung einzelner Gruppen führten, sowie zahlreiche legale und illegale Mißbrauchsquellen beim Bezug von Sozialleistungen werden als Krisenzeichen gewertet, die das Gemeinwohl gefährden 11 . Das böse Wort vom „Sozialstaat als Ruhekissen und Hängematte" orientiert sich an solchen Fehlsteuerungen der Sozialstaatswirklichkeit 12 . Jeder Versuch Betroffener, die Berechtigung sozialer Rücknahmen unter politischem oder rechtlichem Aspekt anzuzweifeln, wird vom Standpunkt der Sozialstaatsskeptiker als egoistisches Besitzstandsdenken13 abgestempelt. M i t der umfassenden Einstrickung des Einzelnen in das Netz sozialer Sicherheit gerate der Bürger in eine Totalabhängigkeit von staatlichen Leistungssystemen, in eine „selbstverschuldete Unmündigkeit" 1 4 mit der Folge eines Verlustes des realen individuellen Freiheitsraumes. Eine dichte Sozialstaatswirklichkeit stellt sich aus dieser Warte als Bedrohung der bürgerlichen Freiheit dar, die in Angst der Abhängigen umschlage, wenn das Netz sozialer Sicherung dauernden Änderungen oder gar Ausdünnungen unterworfen werde. 7 Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht S. 9; Benda, ZIP 1981, 221 (225); Giersch, Artikel: Die gefesselte Marktwirtschaft, FAZ v. 19. 2. 1983, S. 13. 8 Von 1970 bis 1980 stieg die Zahl der im öffentl. Dienst Beschäftigten um 1/3. Ende 1982 gab es, ohne Soldaten, 4,4 Mio. im öffentlichen Dienst Beschäftigte, davon 1,8 Mio. Beamte. Bei Fortschreibung der bisherigen Zuwachsraten müßten im Jahr 2037 alle deutschen Erwerbstätigen im öffentl. Dienst beschäftigt sein, Quelle: FAZ v. 7. 1. 1983, S. 2. 9 Zur Verrechtlichung des Sozialstaats s. Krumsiek, DÖV 1983, 481; Degenhart, FS Scupin, S.537 (550); Kloepfer, W D S T R L 40, S. 68 ff. 10 s. Zacher VSSR 1983,119; ders., SF 1984,1 (5) ff; Stettner VSSR 1982,155 ff, 169 ff; Merten, Hdb. des VerfR., S. 795 ff. 11 vgl. Häberle, Leistungsstaat S. 65: „Es gibt eine Grenze, von der ab ein mehr an Leistung und Gefalligkeitsstaat ein zuviel wird, das nicht nur sozial ethisch korrumpiert, sondern auch die grundrechtseffektivierende Demokratie selbst gefährdet". 12 s. Merten, Hdb. des VerfR, S.795; y.Arnim, W D S T R L 39,286 (344):„Sozialschnorrer". 13 s. Polemik Zeidlers gegen das Besitzstandsdenken, DJT-Vortrag 1980, 1,17 ff; Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, S. 11; ders, DÖV 1981, 503 (505); Zacher, VSSR 1983,119 (131); ders., SF 1983,1 (6); Degenhart, FS Scupin, S. 537 (549 0; Isensee, FS Broermann, S. 365 (368 f). 14 Benda, ZIP 1981, 221 (225); Degenhart, FS Scupin, 537 (545); Kirchhof, JZ 1982, 305 ff.

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Das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte in ihrer klassisch abwehrrechtlichen Dimension sollen die „natürlichen" Freiheitsbereiche des Bürgers gegenüber der angeblich übermächtigen Sozialstaatlichkeit garantieren und diese auf ein gesundes, reduziertes Maß zurückführen 15 . Die Einschränkung personaler Freiheit durch Sozialabhängigkeit von staatlichen Leistungssystemen führe auch dazu, daß der Bürger jegliches Gefühl für eigene Verantwortlichkeit und Vorsorge gegenüber den elementaren Lebensrisiken verliere 16 . Für die Unternehmen bedeute eine komplexe Sozialstaatlichkeit mit hohen Sozialabgaben und einer Vielzahl sozialintervenierender Gestaltungsgesetze eine Fessel, die die freie Marktwirtschaft und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie infrage stellten 17 . Vor dem Hintergrund dieses sozialstaatsfeindlichen Szenarios sind Bestrebungen erklärlich, die das existierende soziale Netz auf einen Kreis „echter", unbedingt notwendiger Sozialaufgaben des Staates zurückführen wollen. Von liberal-konservativer Seite wird die Forderung nach weniger Staat und einem Abbau von Staatsaufgaben erhoben 18 , was vorrangig auf eine Ausdünnung sozialer Aktivitäten des Staates zielt. In der Regierungserklärung vom 4.5.1983 formulierte Bundeskanzler Kohl dieses Ziel als eine von sieben Leitdirektiven künftiger Politik der Bundesregierung mit folgenden Worten: „Wir führen den Staat auf den Kern seiner Aufgaben zurück, damit er sie wirklich zuverlässig erfüllen kann. Ansprüche können nicht stärker wachsen als Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitscliaft der Bürger. Wer Rechte hat, der hat auch Pflichten". Obwohl die Bundesregierung immer wieder bekräftigt, ein System sozialer Sicherung für die zentralen Lebensrisiken sei unverzichtbar und eine soziale Demontage sei nicht gewollt 19 , betont sie und eine Vielzahl von Autoren aller Orten das Subsidiaritätsprinzip 20 als wesentliches Ordnungselement der Sozialstaatlichkeit. Deshalb müßten die Gesichtspunkte der Mitverantwortung, 15 vgl. Weber, Der Staat 1965, 40? ff; Merten VSSR 1980,101 (110 fi); ders, Hdb. d. VerfR, S. 780 f: „Sozialstaatliches Übermaßverbot"; Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 25, 47; Degenhart, FS Scupin, S. 537 (549 0; Isensee, FS Broermann, S. 365 (390). 16 Stettner, aaO, S. 172:„Vollkaskomentalität"; Starck, D V B L 1978, 937 (941); ders, ZRP 1981, 97 (98, 100); v. Hippel, ZfS 1983, 121 (123 f). 17 Dazu etwa die Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft, Bericht in STZ v. 16.4. 1984, S. 2; Merten,, Hdb. des VerfR, S. 793. 18 s. hierzu 14. Bitburger Gespräche, 1984, zum Thema „Möglichkeiten und Grenzen eines Abbaus von Staatsaufgaben", zitiert nach FAZ-Bericht vom 16. 1. 1984, S. 7. Forderung von Justizminister Engelhardt nach einem generellen Abbau von Staatsaufgaben auf der Tagung des Deutschen Beamtenbundes 1983, zitiert nach FAZ v. 7. 1. 1983, S. 2. 19 Sozialbericht 1983, S. 6; ebenso schon SPD/FDP-Regierung in einer Informationsschrift zum Sparhaushalt 1982. 20 Zum Subsidiaritätsprinzip vgl.: BVerfGE 17, 38 (56); 22, 180 (200 fi); Isensee, Subsidiaritätsprinzip una Verfassungsrecht, 1968; ders, FS Broermann, S. 365 (383); Dürig JZ 1953,193 (198); ders, M D , Art. 1 I, Rn 54; Bull, Staatsaufgaben, 190 ff; Benda ZIP 1981, 221 (226); Heinze, DJT-Gutachten, S. 21, 78 ff; Stober D V B L 1984, 857 (864).

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Teil 1: Grenzen des Sozialstaates

Eigeninitiative und Eigenvorsorge in der Sozialpolitik für die Zukunft einen höheren Stellenwert erlangen 21 . Neben einer Verschiebung von der staatlich-kollektiven zu mehr privater Eigenvorsorge wird auch die Verlagerung einzelner sozialer Dienste auf private Träger sowie eine Privatisierung kommunaler Daseinsvorsorgeeinrichtungen 22 erwogen. Diese Bemerkungen zur zunehmenden Sozialstaatsskepsis zeigen, daß die Finanzierungskrise des Sozialstaats einen Denkprozeß zunächst auf politischer Ebene eingeleitet hat, der am Anfang einer Neuorientierung der Sozialpolitik stehen dürfte, die bewußt eine anspruchsverkürzende Anpassung bestehender Sozialstandards an die verminderte volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit einer primär politisch motivierten Reform des sozialen Netzes verbindet 23 . Vor allem die Haushaltsbegleitgesetze 1983 und 1984 sind sichtbares Resultat dieser Vorstellungen.

I I I . Instrumente zur Stabilisierung des Sozialstaates ohne Sozialabbau 1. Wachstumsvorsorge Rezepte für eine Festigung des Sozialstaats durch wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen, die einer verschlechterten wirtschaftlichen Geschäftsgrundlage und drohenden sozialen Rücknahmen entgegensteuern sollen, fehlen nicht. Auf politischer Ebene favorisiert 1 wird, trotz zunehmender Zweifel an der 21 s. Sozialbericht S. 7; Transfer-Enquete-Komm. Ziff. 554; vgl. auch Entwurf eines neuen Grundsatzprogrammes der FDP, das sich gegen einen überzogenen sozialstaatlichen Schutz und zugunsten erweiterter Eigenvorsorgemöglichkeiten ausspricht; es bedürfe einer Rückbesinnung auf die eigentlichen Ziele des sozialen Leistungssystems, eines Abbaus verzichtbarer Leistungen und einer Orientierung am wirtschaftlich Möglichen, zitiert nach SZ vom 28. 3. 1984; auch aus „linker" Sicht wird die Bildung „kleiner Netze" und die Stärkung der Hilfe zur Selbsthilfe empfohlen, so J. Strasser, Grenzen des Sozialstaats; zur Sozialpolitik in den Programmen deutscher Parteien s. näher Michalsky, SF 1984, 134. 22 Zu den verfassungsrechtlichen, insb. auch im Sozialstaatsprinzip wurzelnden Grenzen einer Privatisierung kommunaler Daseinsvorsorgeaufgaben s. vor allem Grabbe, Verfassungsrechtliche Grenzen der Privatisierung kommunaler Aufgaben, 1979; Gromoll, Rechtliche Grenzen der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1982. 23 Zu Vorschlägen zur Bewältigung der Sozialstaatskrise s. noch Zacher, SF 1984, 1 (8 ff); v. Hippel, ZfS 1983, 121 (123 ff); Merten, Hdb. des VerfR., S. 804; Aus Sicht der Parteien s. aie Beiträge von Heinz Franke (CDU), Eugen Glombig (SPD), Hansheinrich Schmidt (FDP) in: FS Meinhold, 1980, S. 7ff, 27ff, 39ff; s. auch Michalsky SF 1984,134 (141 f); Heinze, DJT-Gutachten,S. 72 ff, der Leitlinien für eine „Resozialisierung", „Personalisierung" und inhaltliche Reduktion (Subsidiaritätsprinzip) des Sozialsystems entwickelt; ähnlich Stober D V B L 1984, 857 (864 ff); wesentlich zurückhaltender Stolleis, DJT Thesen 13 - 21; vorsichtiger auch Rüfner JZ 1984, 801 (804 ff); Schulin NJW 1984, 1936 (1938 ff). 1 s. Sozialbericht 1983, S. 8, Ziff. 5:„Vordringliches Ziel ist die Rückkehr zu einem dynamischen, sich selbst tragenden Wirtschaftswachstum"; s. auch Stern, Staatsrecht I, S. 890 f; Scholz, Rezessionsgesellschaft S. 9; Starck, D V B L 1978, 937 (939).

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Realisierbarkeit, eine Wachstumsstrategie, die der deutschen Wirtschaft wieder zu alter Blüte verhelfen soll. M i t Blick auf die Erfolge der Vergangenheit wird in der Erhaltung stetigen Wirtschaftswachstums die Grundvoraussetzung eines gesunden sozialen Netzes gesehen. Dementsprechend ist die „Wachstumsvorsorge" als Instrument sozialstaatlicher Realisation früh von Ipsen zur Staatsaufgabe aus dem Sozialstaatsprinzip erklärt worden 2 . Im Grundgesetz ist dieses Ziel als immanente Säule des „Gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" nach Art. 109 I I GG proklamiert und auf einfachgesetzlicher Ebene als Eckpunkt des „magischen Vierecks" in § 1 StWG 3 sowie in § 1 A F G ausformuliert worden. Wachstum mag der Motor der Entwicklung des Sozialstaats gewesen sein, in Krisenzeiten taugt allein eine aktive Wachstumspolitik kaum dazu, dem sozialen Netz die notwendige Stabilität und Verläßlichkeit zu verleihen. Die Wirtschaftspolitik hängt von einer Vielzahl externer Faktoren, wie Weltwirtschaftslage, Zinsniveau, Rohstoffversorgung, stukturellem und technologischem Standard, Markterschließung und -Sättigung ab, die eine kontinuierliche Wachstumsvorsorge zur Illusion werden lassen4. Gewichtig sind vor allem auch ökologische Einwände gegen eine weitere Wachstumsförderung, weshalb die Partei „Der Grünen" konsequent einen Ausstieg aus der Wachstumswirtschaft fordert 5 . Außerdem hat sich das Instrumentarium staatlicher Wirtschaftsankurbelung in der Praxis als stumpf erwiesen. Die Keynes'sche Wirtschaftstheorie einer Stützung von Konjunktur und Wachstum mittels staatlicher Ausgabenprogramme wird daher nicht nur unter markwirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern vor allem wegen ihrer mangelnden Effizienz angezweifelt 6. 2. Staatsverschuldung Staatliche Wirtschaftsprogramme zur Förderung des Wirtschaftswachstums bedürfen ihrerseits erheblicher finanzieller Mittel, die sich der Staat wiederum 2 Ipsen, Disk.-Beitrag, W D S T R L 24, S. 221 f; ders, FS Zweigert 1981,747 (755, 760); ebenso Badura, FS Ipsen, S. 367 (376 ff); Scholz, Rezessionsgesellschaft S. 9 ff. 3 dazu Badura, aaO, S. 369 ff; Scholz, aaO, S. 10. 4 Zu den Grenzen fiskalpolitischer Steuerungsmöglichkeiten des Wirtschaftsprozesses s. Maunz, M D , Art. 109 Rn 32, 35; Art. 115 Rn 46; Nach Expertenmeinung bestehen für fast alle Volkswirtschaften der Industriestaaten keine Aussichten auf nennenswertes reales Wirtschaftswachstum zum Ende des Jahrhunderts, vgl. Vortrag R. Dahrendorf bei „DreiKönigs-Treffen" der FDP am 4. 1. 1983, zitiert aus STZ v. 5. 1. 1983, S.l. 5 Vgl. Club-of-Rome-Bericht über „Grenzen des Wachstums", 1972. 6 Zu den Positionen des Fiskalismus und des Monetarismus. Janson, ZRP 1973, 139 (140 f); Schäfer, SF 1983, 121 (125 f); die gegenwärtige Bundesregierung sieht in kreditfinanzierten Beschäftigungsprogrammen kein geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, weil die bisherigen Beschäftigungsprogramme kaum einen meßbaren Effekt erzielt und zur Erhöhung der Staatsverschuldung beigetragen hätten, so Sozialbericht 1983, S. 8 Ziff. 5.

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Teil 1: Grenzen des Sozialstaates

durch höhere Kreditaufnahme oder durch eine Anhebung von Steuern verschaffen muß. Der Staat wird zwangsläufig zu einer höheren Verschuldung gezwungen, wenn er einerseits Haushaltsdefizite zur Erfüllung vorhandener Staatsaufgaben auf dem bisherigen Niveau stopfen muß, andererseits noch neue Ausgaben im Rahmen eines Wirtschaftsförderungsprogrammes entstehen1·2. So ist die Verschuldung des Bundes durch die „Schuldenpolitik" der sozialliberalen Regierungen stark angestiegen. Im Jahr 1970 betrug die Nettokreditaufnahme rund 1,1 Milliarden, erreichte 1981 einen Höchstwert von 37,4 Milliarden, fiel in den folgenden Jahren bis 1984 auf 29,5 Milliarden und soll 1985 auf knapp 24 Milliarden unter Berücksichtigung des Bundesbankgewinnes sinken. Der Schuldendienst bildet 1985 mit 33,8 Milliarden den drittgrößten Ausgabeposten des Bundeshaushalts und wird bis 1988, dies läßt sich aufgrund der eingegangenen Verpflichtungen präzise voraussagen, auf 37,5 Milliarden anwachsen3. Wo die Grenzen der Staatsverschuldung festzulegen sind, ist eine primär politisch zu lösende Aufgabe 4 , die von den konservativen Regierungen seit 1983 anders beurteilt wird als durch die sozial-liberalen Vorgängerregierungen. Das Grundgesetz gibt in Art. 115 I 2 GG durch Verknüpfung von Kreditrahmen und im Haushaltsplan veranschlagten Investitionsausgaben einen quantitativen Hinweis für ein Schuldenlimit des Bundes, das aber wegen der Ausnahmeregelung in Art. 11512 Halbs. 2 GG und der Interpretationsweite des Investitionsbegriffes doch recht vage bleibt 5 . Das staatsrechtliche Schrifttum hat sich zwar des Problems angenommen, doch sind bisher noch keine konsensfahigen und überzeugenden Formeln für eine präzisere Einschränkung der finanzpolitischen Gestaltungsmacht der Regierung in Sicht 6 . 1 Art. 109 I I und Art. 115 I 2 GG sind Grundlage der Politik des „Deficit-Spending", vgl. Maunz, M D , Art. 115, Rn 44 ff; v. Arnim, Bay VBL 1981, 514 (516). 2 vgl. v. Arnim, aaO, 519; Schuppen, VVDSTRL 42, 216 (251); 3 Quelle: Die Zeit v. 3. 8.1984, S. 22; Der Spiegel v. 18.10.1982, S.20 u.63; FAZ v. 11. 12. 1982, S.2. Je Einwohner war der Bund 1981 i. H. v. 8.700 D M verschuldet. Vergleichzahlen für Schweden: 18.500 D M , USA: 13.600 D M , Japan: 10.000 D M , Italien: 6.700 D M , Frankreich: 3.300 D M ; Quelle: Schäfer, SF 1983, 121 (123). 4 Dies betont Maunz, M D , Art.110, Rn 56; Art. 115 Rn 30: Politische Bremsfunktion. 5 Zu Art 11512: Maunz, M D , Art. 115 Rn 28 ff, der die Verbindung zu Art. 109 I I und eine enge Auslegung des Investitionsbegriffs hervorhebt; ähnlich Henseler AöR 1983,489 (511 ff); Janson ZRP 1983, 139 (141 ff); v. Arnim, BayVBl 1981, 514 (521); Schuppert VVDSTRL 42, 216 (246). 6 A m deutlichsten wohl Püttner, Staatsverschuldung als Rechtsproblem 1980, der aus dem demokratischen Grundprinzip „Macht auf Zeit" aas an den Gesetzgeber adressierte Gebot ableitet, nur über die endgültigen Einnahmen seiner Amtsperiode zu befinden und nicht auf die Einnahmen künftiger Amtsträger vorzugreifen (S. 11); ähnlich Häberle, Zeit und Verfassungskultur, S. 339 u; v. Arnim, aaO, S. 519; a.A. insb. Henseler, aaO, S. 497 ff, der unter Hinweis auf das Sozialstaatsprinzip in der Bindung zukünftiger Amtswalter an vorausgegangene politische Grundentscheidungen und Planungen ein unvermeidbares Tribut erblickt, den die im Demokratieprinzip wurzelnden Flexibilitätsinteressen dem

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Eine richtungsweise Tendenz geht dahin, - dem Problem der Staatsverschuldung u n d des übermäßigen Abgabenzugriffs gleichsam vorverlagert -, eine grundrechtliche, speziell eigentumsrechtliche Bindung des Ausgabengesetzgebers an den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit u n d Sparsamkeit 7 zu erreichen 8 , sind es doch die materiellen Leistungsgesetze, die die Haushaltsentscheidungen jeweils stückweise vorwegnehmen. U n t e r dem grundrechtsnahen Aspekt der Vermeidung einer übermäßigen Belastung der Zukunftsgestaltungsmöglichkeiten folgender Generationen dürfte eine, freilich wiederum nur relative u n d flexible, Begrenzung der Verschuldungskompetenz des Staates zu suchen sein 9 . Jedenfalls sind der Staatsverschuldung faktische, politische u n d rechtliche Grenzen gesetzt, die deren Eignung als Stabilisierungsfaktor für das sozialstaatliche Gefüge m i t nicht bloß kurzfristiger, konjunkturfördernder Perspektive, auf ein M i n i m u m reduziert.

3. Steigerung der Abgabenquote Soziale Rücknahmen aus finanziellen Gründen sind prinzipiell auch durch eine entsprechende Steigerung der Steuerquote bzw. der Sozialabgaben i n der Sozialversicherung, also auf der Einnahmenseite, abzuwenden. I m Abgabenstaat zeigt sich die Kehrseite des Leistungsstaats 1 , der sich die M i t t e l für versorgenden Sozialstaat zu zollen haben (S. 500, 507); Henseler erwägt allerdings als demokratisches Minimalpostulat ein Verbot an den amtierenden Gesetzgeber, künftigen Amtsnachfolgern die Wahl für eine alternative politische Entscheidung unwiderruflich abzuschneiden (S. 500); ähnlich Maunz, M D , Art. 110, Rn 56; Zu den Grenzen der Staatsverschuldung s. noch Kratzmann, Der Staatsbankrott, JZ 1982, 319; Stern, Staatsrecht II, S. 1271 ff; Scholz, Rezessionsgesellschaft S. 29; vgl. auch BVerfGE 45, 1 (32), wo implizit „vorgegebene und überkommene rechtliche Verpflichtungen, mittel- und langfristige Planungen und ihre finanziellen Zwangsläufigkeiten" als selbstverständliche Einengung des Entscheidungsspielraumes des Gesetzgebers hingenommen werden. 7 Zum Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit s. ausdr. § 6 I HGrG, § 7 I BHO; aus dem Schrifttum v. Arnim, W D S T R L 39,286 (317); v. Mutius, W D S T R L 42, 147 (175, 177, 206 ff); Häberle, Disk.-Beitrag, W D S T R L 42, S.291; Breuer, ebenda, S. 307; Grupp, JZ 1982, S. 231 ff; Kirchhof, NVwZ 1983, 505 (511 f); V G H Ba-Wü NVwZ 1983, 552. 8 s. v. Arnim BayVBL, aaO, S. 522; ders, W D S T R L 39, 286 (317), der aber eine Justiziabilität des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes in individueller Richtung verneint und die Kontrolle den Rechnungshöfen bzw. dem BVerfG über die abstrakte Normenkontrolle überantwortet; gg. v. Arnim: Disk-Beiträge in: W D S T R L 39 von Püttner, S. 380; Breuer, S. 384; Badura, S. 395; Wilke, S. 403 bis 405. 9 vgl. Henseler, aaO, S. 507, 530 ff; Kirchhof, Artikel: „Spendabel auf Kosten der Zukunft", FAZ v. 2. 4. 1983, S. 13; Häberle, Zeit und Verfassungskultur, S. 342; ders, Wesensgehaltgarantie, S. 383, der aus der generationenorientierten Dimension der Grundrechte eine Belastungsbegrenzung zugunsten künftiger Generationen ableitet, da in der Generationskette die Erfüllung von Grundrechtsaufgaben in der Zukunft durch eine übermäßige Staatsverschuldung gefährdet sei. 1 s. Tomandl, FS Wannagat, S. 625 (635); Degenhart, FS Scupin, S.537 (546); Merten VSSR 1980,101 (110); Kirchhof, JZ 1982, 305; ders, NVwZ 1983, 505 (507); Isensee, FS Ipsen, S. 409 (433); Scholz, Rezessionsgesellschaft S. 29; Friauf, DÖV 1980, 480; Papier, M D , Art. 14 Rn 158; v. Arnim W D S T R L 39, S. 286 (293).

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Sozialleistungen und Einrichtungen aus den Taschen der Bürger und den Kassen der Unternehmer holt und diese in großem Stil umverteilt. Die Heranziehung von Bürgern und Unternehmen zur Finanzierung des sozialen Netzes ist zugleich Voraussetzung, Instrument und Grenze sozialer Umverteilung 2 . Die soziale Aktivität des Staates wird durch die ökonomische Leistungsfähigkeit der Gesellschaft, die in der Abgabenquote zum Ausdruck kommt, bestimmt. Die Kapazität des Steuerhaushalts bzw. der Haushalte der Sozialversicherungsträger bildet eine allgemeine, konkretisierungsbedürftige Schranke staatlicher Sozialpflichten, ohne daß aufgrund dieser Interdependenz ein gleichsam automatischer Widerrufsvorbehalt für Sozialleistungen bei verringerten Staatseinnahmen bestünde3. In der Vergangenheit wurden mittels einer ständig zunehmenden Abgabenquote neue Aufgabenfelder für den Sozialstaat erschlossen und das Qualitätsund Leistungsniveau der bestehenden Sozialeinrichtungen angehoben. Innerhalb des Sozialversicherungssystems wuchs sowohl die Beitragslast der Versicherten und Arbeitgeber als auch der Zuschußbedarf aus Steuermitteln, was vorwiegend seinen Grund in einer vermehrten Hereinnahme von „Fremdlasten" in die Sozialversicherung 4 infolge einer Gewichtsverlagerung vom Versicherungs- zum sozialen Ausgleichsprinzip hatte. Im Zeichen schrumpfender Einnahmen wegen verschlechterter Wirtschaftslage kommt sowohl der Besteuerung als auch den Sozialversicherungsbeiträgen eine neue Dimension zu. Nicht mehr die Finanzierung neuer oder besserer Sozialleistungen für immer weitere Bevölkerungsgruppen wird durch eine steigende Abgabenlast angestrebt, sondern die Sicherung des vorhandenen Leistungsniveaus rückt in den Vordergrund der Einnahmepolitik des Staates. Die hektischen Beitragserhöhungen nebst Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen in der Sozialversicherung und die Erhöhung wesentlicher Steuern (ζ. B. Mehrwertsteuer) belegen dies 5 . 2 Isensee, FS Ipsen, aaO, S.434; Starck D V B L 1978, 937 (939); JïïrcAAo/NVwZ 1983, aaO, 507. 3 In Richtung eines permanenten ökonomieabhängigen Widerrufsvorbehalts für Sozialleistungen, der einen Sozialabbau im Wege der Gesetzesänderung erleichtern oder entbehrlich machen könnte, gehen die Erwägungen von Kirchhof NVwZ 1983, aaO, 511; ders., Disk.-Beitrag VVDSTRL 42, 288; ders. FAZ v. 2. 4.1983, S. 13; berechtigte Kritik hieran bei H off mann-Riem, VVDSTRL 42, Disk-Beitrag, S.285 ff; s. noch zum „Vorbehalt des Möglichen": 2. Teil A I I 4 und 3. Teil A III. 4 ζ. B. die Einbeziehung der Studenten in die gesetzliche Krankenversicherung mit nicht deckenden Beitragssätzen, dazu Isensee, Umverteilung, passim, der in der studentischen Krankenversicherung einen Verstoß gegen die Prinzipien der Globaläquivalenz und Gruppenhomogenität erblickt; a. A. hierzu Kloepfer, Sozialversicherungsbeiträge und Gruppensolidarität, VSSR 1974,156; zum Problem der „Fremdlasten" in der Sozialversicherung und ihrer evtl. Verfassungswidrigkeit unter den Aspekten der Systemwidrigkeit, Lastengleichheit und Lastenproportionalität s. Merten, Hdb. des VerfR, S. 799 ff; Krause, Fremdlasten in der Sozialversicherung, VSSR 1980,115; Meydam, Eigentumsschutz, S. 70 ff; Pitschas, VSSR 1978, 357 (382 f); Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 30 f. 5 Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung im Jahr 1982 um 1 %, zum 1.1. 1983 um weitere 0,6% auf jetzt 4,6%; 1974 lag der Beitragssatz noch bei 1,7%; Erhöhung

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Höhere Abgaben zur Finanzierung des bestehenden sozialen Netzes bedeuten im Grunde nichts anderes als eine indirekte, verschleierte Form sozialen Rückschritts, denn durch eine vergrößerte Abgabenquote mindert sich im Regelfall das frei verfügbare Einkommen und damit der Lebensstandard der Betroffenen, soweit dies nicht durch einen überproportionalen Einkommenszuwachs ausgeglichen wird. Diese Art des Sozialabbaus ist subtiler als der gezielte Angriff des Gesetzgebers auf eine einzelne Sozialleistung, weil er sich infolge seiner unspezifischen Breitenwirkung auf der Einnahmenseite nicht als direkte Demontage des Sozialstaats darstellt. Während das Grundgesetz im Falle „echter" Abbaumaßnahmen bei Sozialgesetzen zumindest potentiell Rücknahmefilter zur Eindämmung des Kürzungsbegehrens des Gesetzgebers bereithält, schweigt es scheinbar zur Frage der Grenzen zulässiger Abgabenbelastung6. Das Bundesverfassungsgericht beharrt auf der Linie seiner vorsichtigen „Erdrosselungsrechtssprechung", wonach ein Verstoß gegen Art. 14 erst dann in Betracht kommen soll, wenn Geldleistungspflichten den Bürger „übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen würden, ein Eingriff in die Kapitalsubstanz vorläge" 7 . Daneben bietet der aus Art. 3 I abgeleitete Grundsatz der Steuer- und Beitragsgerechtigkeit eine weitere Handhabe zur Zügelung des Abgabengesetzgebers, ohne daß hieraus allerdings Höchstgrenzen für die Belastung des Bürgers festgestellt werden könnten 8 . Im Schrifttum wird vorwiegend eine stärkere Sensibilisierung der Eigentumsgarantie für Abgabepflichten gefordert 9 , weil der Abgabeneingriff funktionell den durch Art. 14 gewährleisteten Freiheitsraum eigenverantwortlicher Lebensgestaltung auf vermögensrechtlichem Gebiet im Effekt in gleicher Weise berühre, wie zielgerichtete Beeinträchtigungen konkreter Vermögenswerte. Ferner wird Art. 12 als „Erwerbs- und Leistungsgrundrecht" zur Hemmung der Abgabenbegehrlichkeit des Staates aktiviert 10 , denn dem Arbeitenden soll der des Rentenversicherungsbeitrags von 18 auf 18,5% ab September 1983; z. 1.1.1984 ergibt sich eine Gesamtbeitragsbelastung in Höhe von ca. 34%. 6 vgl. Art. 106 I I I Nr. 2 GG, wonach ausdrücklich „eine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden" werden muß. 7 BVerfGE 63, 343 (368); 63, 312 (327); 50, 57 (104); 38, 61 (102). 8 Zum Grundsatz der Steuergerechtigkeit s. BVerfGE 9,291 (297 ff); 50, 57 (76 ff); 61, 319 (343); 63, 343 (368); v. Arnim, W D S T R L 39, 286 (318 ff); zum Grundsatz der Beitragsgerechtigkeit s. BVerfGE 36, 73 (81); Pitschas, VSSR 1978, 357 (382 0; Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 30 f; Krause, Eigentum, S. 122 ff. 9 s. Kirchhof ! v. Arnim, Besteuerung und Eigentum, W D S T R L 39, 213 ff, 286 ff; Papier, M D , Art. 14 Rn 156 ff; Friauf\DÖV 1980, 480; Rüfner, FS Broermann, S. 349; Wendt, NJW 1980, 2111; Isensee, FS Broermann, 365 (389 ff); Kirchhof, JZ 1982, 305. 10 Zum Ansatz aus Art. 12 GG s. Merten VSSR 1980,101,110; Papier, M D , Art. 14, Rn 160; Häberle, Disk-Beitrag W D S T R L 39, S. 406.

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überwiegende Teil seines Einkommens zu eigenen Händen verbleiben, ein Grundsatz, der in Art. 47 Verf. Hessen ausdrücklich Niederschlag gefunden hat. Dies korreliert mit der Erkenntnis, daß eine extrem hohe Abgabenquote die Leistungs- und Integrationsbereitschaft der Bürger lähmt 1 1 . Exakte Richtlinien oder gar Obergrenzen für den Abgabenzugriff des Staates sind bislang aus verfassungsrechtlicher Sicht freilich nicht gefunden worden, vor allem weil der verfassungsrechtliche Maßstab nicht an einer konkreten Abgabe angelegt werden kann, vielmehr immer die Summe aller öffentlich-rechtlichen Geldleistungspflichten, die den Bürger belasten, beachtet werden muß. Vorläufig dürfte daher das vage Verbot der Übermäßigkeit, wie es vom Bundesverfassungsgericht angedeutet ist, als allgemeine Direktive für den Abgabengesetzgeber maßgeblich bleiben 12 . Für die Beitragspflicht zur Sozialversicherung werden sich allerdings aus dem bei Art. 12, 14 und 3 I GG angesiedelten Gesichtspunkt einer generellen Äquivalenz von Lohn und individueller Beitragslast konkrete Maßstäbe für eine Eindämmung des Zugriffs der Sozialversicherungsträger entwickeln lassen13. Insofern ist auf die Kehrseite der Beitragspflicht, den relativen Eigentumsschutz für Teilhabepositionen des Sozialversicherungssystems hinzuweisen14, in dem sich das Gegenseitigkeitsverhältnis von Beitragsleistungen und sozialer Absicherung niederschlägt 143 . Einen absoluten, fixen Grundrechtsschutz vor Beitragserhöhungen gibt es allerdings ebensowenig, wie die Verfassung das Vertrauen der Mitglieder auf eine gleichbleibende Höhe der Sozialversicherungsbeiträge gewährleistet 15. Trotz der noch nicht hinreichend präzise gezogenen Linien des Verfassungsrechts für die zulässige Abgabenbelastung der Bürger dürfte heute weitgehend Einigkeit bestehen, daß mit der jetzt erreichten Quote die politisch durchsetzbare und sinnvolle Belastungsgrenze erreicht ist 1 6 . Der Weg, drohenden Abbau 11 s. Tomandl, FS Wannagat, S. 625 (635); Merten, aaO, S.l 11; Isensee, FS Ipsen, S. 409 (435);Meinhold, SF 1984, 49 (51). 12 vgl. Rüfner, FS Broermann, S. 349 (362 013 vgl. Diemer, VSSR 1982, 325 (344); Pitschas, VSSR 1978, 357 (383): Sozialversicherung ist kein „Verein mit unbeschränkter Nachschußpflicht". 14 s. die Rechtsprechung des BVerfG zu Rechtsstellungen der gesetzlichen Renten Versicherung seit dem Versorgungsausgleichsurteil, BVerfGE 53, 257 (289 ff), die auf dem „Eigenleistungskriterium" aufbaut; ausf. s. 3. Teil A. 14a Zum partiellen Abschwächungseffekt beim personalen Bestandsschutz von Sozialversicherungsberechtigungen bei Einführung eines sog. „Maschinenbeitrags" s. Isensee, FS Broermann, S. 365 (381); Heinze, DJT-Gutachten, S. 70; Krause, DÖV1984,740 (743); Gitter N Z A 1984, 137 (142). 15 So BVerfGE 11, 221 (226); 11, 310 (319); 22, 241 (253); 31, 185 (191); 36, 73 (81); Pitschas VSSR 1978, 357 (383). 16 So gehen Meinhold, SF 1984, 49 (51) und die Sachverständigenkommission „Alterssicherungssysteme" davon aus, daß jetzt die Belastungsgrenze der Bürger durch Lohnsteuer und Sozialabgaben erreicht sei und deshalb eine Stabilisierung des Sozialversicherungssystems durch eine weitere Steigerung der Abgaben außer Betracht bleiben muß.

IV. Abbauwirklichkeit

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von Sozialleistungsgesetzen aus finanziellen Gründen durch weitere Abgabensteigerungen zu vermeiden, ist daher kaum gangbar.

IV. Abbauwirklichkeit 1. Die Filterfunktion des demokratischen Prozesses: Politischer Pragmatismus als effiziente Rückschrittsbarriere Mögen Wachstumsvorsorge, Höherverschuldung und steigende Abgabenquote von vornherein nicht ungeeignete Instrumente darstellen, um den sozioökonomischen Nährboden des Sozialstaats zu festigen, längere Krisen aufgrund mangelnder Prosperität der Wirtschaft einerseits, verstärkter Inanspruchnahme des sozialen Netzes andererseits, münden zwangsläufig in Rückschrittsströmungen ein, die die vorhandenen sozialen Errungenschaften, das gegenwärtige Niveau und die gegenwärtige Gestalt des grundgesetzlich gebotenen Sozialstaats infrage stellen1. Die demokratisch legitimierten Gesetzgebungsorgane besitzen die primäre „Rückschrittskompetenz" 2. Die Demokratie obläßt den gewählten Repräsentanten des Volkes die Entscheidung, ob die von ihnen selbst geschaffenen Sozialgesetze geändert, teilweise abgebaut oder ganz zurückgenommen werden. Der Gesetzgeber besitzt die Novellierungsfreiheit im positiven, wie im negativen Sinn 3 . Die Verfassung konstituiert, dies dürfte der Minimalkonsens aller Verfassungsinterpreten sein, nur den formellen und, im prinzipiellen, den materiellen Rahmen für die politische Initiative und Prioritätensetzungsbefugnis der gewählten Organe des Staates, ohne im Regelfall selbst präzise Handlungs- oder Unterlassungsanweisungen zu geben4. Dementsprechend kommt der Regierung und dem Parlament die originäre Befugnis, aber auch Verantwortung zu, den Stellenwert einer sozialen Funktion nebst ihrer näheren qualitativen Ausgestaltung im Gesamtzusammenhang der Staatsaufgaben zu definieren und über ihre Erhaltung bei geänderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu entscheiden. Bei aller Differenzierung im Hinblick auf die einzelnen Felder und die Teilregelungen des sozialen Gefüges hat der Gesetzgeber kraft demokratischer Legitimation ein zunächst weites Gestaltungsermessen im Bereich der Erfüllung sozialer Grund1 s. Wege, Positives Recht und sozialer Wandel, S. 201: Demontage des sozialstaatlich Erreichten als „ultima ratio" bei negativem Wirtschaftwachstum. 2 Hingegen vollzog sich die rigide Abbaugesetzgebung Brünings außerhalb des Parlaments in Gestalt von Notverordnungen nach Art. 48 WRV und dürfte auch aus diesem Grunde so einschneidend ausgefallen sein. 3 s. an dieser Stelle nur BVerfGE 63, 343 (357); 63, 312 (331); 50, 299 (338); 53, 224 (253); Grimm, Sozialrechtslehrertagung, S. 226 (231). 4 vgl. SV-Kom. Staatszielbestimmungen S. 13, 17, 30.

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Teil 1 : Grenzen des Sozialstaates

gesetzaufgaben (dazu ausführlich 2. Teil A I I 3), ein Leitmotiv, das im Grundsatz auch für den Fall sozialer Rücknahmen gilt. Die demokratische Verantwortung der politischen Führung dürfte der wichtigste und effizienteste Rückschrittsfilter sein, der die inhaltlich determinierenden Normen der Verfassung für den sozialen Prozeß „ins zweite Glied verweist", ihnen lediglich die Funktion eines potentiellen und groben Wertungsrasters zuweist. Politischer Pragmatismus wird bereits im Vorfeld gesetzgeberischer Festlegung eine Vielzahl von Rücknahmeprojekten im Bereich sozialer Leistungs- und Schutzgesetzgebung verhindern oder auf ein gemeinverträgliches Maß zurückstutzen 5 . Welche Partei oder welcher Abgeordnete wird ohne Not dem potentiellen Wähler Positives und Vorteilhaftes wieder entziehen, soll nicht ein Denkzettel bei der nächsten Wahl riskiert werden 6 . Dem Politiker wird dabei das Bild eines Bürgers vor Augen stehen, der jede Kürzungsmaßnahme als Verrat empfinden muß 7 . Hat dieser Bürger sich doch aufgrund der von der politischen Ebene geweckten Erwartungen und der bisherigen, expansiven sozialstaatlichen Entwicklung darauf verlassen und darauf investiert, daß das soziale Sicherungsversprechen des Staates auf alle Zeiten eingelöst bleibt und keine Erosionen erfährt. „Sein Staat" und dessen Gesetze scheinen zu versagen, wenn nunmehr in Anbetracht erster Krisenerscheinungen der Wirtschaft und Unstimmigkeiten innerhalb des sozialen Netzes Leistungen abgebaut oder Schutznormen ausgedünnt werden 8 . Jeder Politiker wird versuchen, den Bürger vor solchen Enttäuschungen zu bewahren, um nicht die demokratisch begründete „Vertrauensübertragung" an ihn und seine Partei zu gefährden. Reduktionen in der Sozialgesetzgebung werden in der Demokratie daher nie leicht aus den Händen der politisch Verantwortlichen gehen9. Massive Einflußnahme von Verbandslobbyisten, Interessenvertretern und Funktionären auf „ihre" Partei, und „ihre" Abgeordneten, unterstützt durch 5 Dies läßt sich durch eine Gegenüberstellung der im Rahmen der Sparoperationen seit 1982 geplanten und schließlich durchgesetzten Abbauvorhaben belegen. 6 Grimm AöR 97 (1972), S.489 (499): „Politische Akklamation ist heute vorwiegend durch Versprechung und Verteilung von Mitteln erhältlich. Dieser Antrieb wirkt stärker als jede verfassungsrechtliche Garantie";ders.,Sozialrechtslehrertagung S. 235: „ I n Systemen, die über die Parteienkonkurrenz mit verhältnismäßig rasch wiederkehrenden Wahlen gesteuert werden, kann sich keine Partei den Rückzug aus dem System der sozialen Sicherheit leisten"; Schuppert, VVDSTRL 42, 216 (251): „Es gibt in der politischen Rollenverteilung keinen Anwalt des Sparens, wohl aber mehrere des Ausgebens". 7 Einen eklatanten Fall des „Rentenbetrugs" behandelt BVerfGE 37, 363, wo eine vorteilhafte Neuregelung vor der Bundestagswahl 1972 in Gesetzesform gegossen worden war, unmittelbar nach der Wahl aber wieder zurückgenommen wurde; dazu v. Schlabrendorff SV, ebenda, S. 414 ff: „Kein ehrbarer Kaufmann würde so handeln". 8 Allerdings wird der Bürger im Falle einer echten Krise bzw. offener Unzulänglichkeiten im Sozialrecht latent Bereitschaft und Einsicht zeigen, Korrekturen und auch maßvolle Kürzungen von Sozialleistungen zu akzeptieren. 9 Zur Sozialpolitik der Parteien in der BRD s. Michalsky SF 1984,134;überzogen ist die Befürchtung Leisners, Demokratie-Selbstzerstörung einer Staatsform 1979, S. 154 ff, wonach eine Rücknahme sozialer Errungenschaften in der Demokratie praktisch ausgeschlossen ist und daher eine totale Versteinerung des Sozialrechts die Folge sei.

IV. Abbauwirklichkeit

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eine Mobilisierung der öffentlichen M e i n u n g 1 0 , bilden zusätzliche, gewichtige Bremsklötze 1 1 gegen einen vorschnellen u n d rigorosen Einschnitt i n das bestehende soziale Gewebe, was andererseits die Tendenz eines „Besitzstandsdenkens" f ö r d e r t 1 2 . I m politischen Prozeß außerhalb der Parlamente oder noch i m Gesetzgebungsverfahren selbst w i r d daher eine nicht unerhebliche Z a h l v o n Beschneidungsplänen auf der Strecke bleiben oder aber wesentlich zurückgestutzt. Das demokratische Prinzip u n d der offene politische Prozeß, nebst einem für Bürgersorgen hellhörigen Gesetzgebungsverfahren, sind daher -noch v o r der H ü r d e des Grundgesetzes- 1 3 beste Garanten für die W a h r u n g einer qualifizierten, zeitgerechten, verläßlichen u n d stabilen Sozialordnung.

2. Die Realität des Sozialabbaus in der Spargesetzgebung seit 1981 a) Sparoperation

1982 durch sozialliberale

Regierung

Demokratisches Procedere konnte nicht verhindern, daß erstmals i n der Geschichte der B R Deutschland, wie auch i n anderen vergleichbaren westlichen Industriestaaten 1 , auf breiter Basis i m Vorfeld des Bundeshaushalts 1982 ein 10 Erinnert sei hier nur an die Protestaktion des DGB gegen „Soziale Demontage" in Stuttgart und Hannover am 30. 10. 1982 unmittelbar nach der „Wende " von der sozialliberalen zur konservativen Regierung; in Stuttgart nahmen an der Demonstration 150.000 Menschen teil. Die Beamtenverbände operieren gegen jede Leistungseinschränkung mit der stereotypen Behauptung, den Beamten werde ein „Sonderopfer" auferlegt. 11 Zur „Mediatisierung" der schweigenden Mehrheit durch Verbandsfunktionäre und zur These, in der pluralistischen Demokratie heutigen Zuschnitts litten die Gemeinschaftsinteressen an notorischer Durchsetzungsschwäche gegenüber Sonder- und Gruppeninteressen s. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen 1977, S. 152 ff; ders. Bay VBL1981, 514 (522). 12 s. Leisner, aaO, S. 155: Demokratie ist auf immer größere Besitzstandswahrung angelegt; Zeidler DJT-Vortrag 1980,1,17 - 20; Rüfner JZ 1984,801 (804): „Überhaupt ist der rechtliche Schutz des Besitzstandes wesentlich schwächer als der politische. Nirgends findet sich eine so stark konservative reformfeindliche Haltung wie beim Festhalten an sozialen Besitzständen"; Isensee, FS Broermann, S. 366; Zacher SF 1984,1 (5): faktische politische Besitzstände. 13 ebenso Grimm, AöR, aaO, S. 499; Weber, Der Staat 1965,409 (432): „Die Kräfte, die die sozialstaatliche Entwicklung weitertreiben, entwickeln aus sich selbst heraus einen weit stärkeren Schwung, als eine als Verfassungsrechtsnorm wirkende Formel jemals vermöchte". 1 Wirtschaftspolitische Gründe liegen den teilweise drastischen Einschnitten in das ohnehin nicht sehr dichte Netz der Social Security in den USA zugrunde. Erhebliche Abstriche in der Sozial- und Arbeitslosenunterstützung bei gleichzeitiger Steigerung der Militärausgaben sind das Resultat einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik der Reagan-Administration. In Detroit mußte im Dez. 1982 der Hungernotstand ausgerufen werden, da die Stadt keine ausreichenden Mittel für die Austeilung der Armenhilfe besaß, Bericht dazu in FAZ v. 17. 12. 1982, S. 3. Die sozialistische Regierung Mitterand hat in Frankreich eine grundlegende Reform der Sécurité Sociale eingeleitet, was zunächst zu zahlreichen Kürzungen von Sozialleistungen sowie einem Einfrieren von Leistungsanpassungen geführt hat. Die Eingriffe ähneln in der Art der Rücknahmetechnik denen, die in der BRD im Rahmen der Sparoperationen

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Teil 1: Grenzen des Sozialstaates

groß angelegtes Einsammeln von Sozialleistungen gefordert wurde, was schließlich, in reduziertem Umfang, in einem „Haushaltsstrukturgesetz" auch Niederschlag fand. Zwar hatte es bereits 1975 im Gefolge des Ölpreisschocks und eines negativen Bruttosozialproduktes im Jahre 1974 kleinere Abstriche in einzelnen Leistungsgesetzen und aufgrund des ersten „Haushaltsstrukturgesetzes" gegeben2. Diese Rücknahmen waren jedoch vergleichsweise unbedeutend. Auch gab es in der sozialpolitischen Entwicklung der Bundesrepublik 3 an verschiedenen Stellen des sozialen Netzes, vor allem im Sozialversicherungsbereich, einzelne Kürzungen oder Streichungen, womit sich auch das Bundesverfassungsgericht zu beschäftigen hatte 4 . Begründet waren solche Reduktionen jedoch nicht in erster Linie aus dem Zwang zur Erzielung größerer Einsparungen, sondern aus dem Bestreben, evidente soziale Ungerechtigkeiten, ζ. B. einen unerwünschten Doppelbezug von Sozialleistungen, zu beseitigen. Ab 1977 sah sich dann der Sozialgesetzgeber zu verstärkten Konsolidierungsbemühungen, vorrangig auf dem Gebiet der Renten- und Krankenversicherung veranlaßt. Das 20. und 21. Rentenanpassungsgesetz sowie das Krankenversicherungskostendämpfungsgesetz vom 30.6.1977 zeugen von diesem Bemühen5. Wichtige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Rücknahmefestigkeit sozialversicherungsrechtlicher Positionen knüpfen an diese Reformgesetze an 6 . I m Jahr 1981 war dann die sozialliberale Regierung aufgrund der wirtschaftsund sozialpolitischen Entwicklung gezwungen, Eingriffe auf nahezu allen Gebieten des sozialen Netzes mit parallelen Abgabenerhöhungen vorzunehmen. Die Operation 1982 sollte allein für den sozialen Leistungssektor Einsparungen seit 1981 verfolgt werden, s. Bericht in FAZ v. 24.11.1982, S. 6 und 26.3.1983, S. 9. Auch in Italien und in den Niederlanden wird versucht, mittels strikter Spar- und Kürzungsprogramme die Ausgaben für Sozialleistungen zu senken; s. näher Schulte, Reformen der sozialen Sicherheit in West-Europa 1965 bis 1980, VSSR 1980, 323 (358 ff). 2 1. HaushaltsstrukturG. v. 18. 12. 1975, BGBl 1, 3091; 1974 war das BSP um 0,4% gegenüber dem Vorjahr gefallen; Leistungseinschränkungen gab es u.a. für die Bundesanstalt für Arbeit sowie in der Ausbildungsförderung; „Nachhutgefecht" zum Haushaltsstrukturgesetz 1975 in BVerfGE 60, 16. 3 Zur sozialpolitischen Entwicklung im Nachkriegsdeutschland speziell unter dem Aspekt der Rücknahmegesetzgebung vgl. Zacher, FS Meinhold, S. 123 ff; ders., SF 1984, 1; D. Zöllner, SF 1983, 49; Michalsky, SF 1984, 134. 4 s. etwa BVerfGE 31,185: Verrechnung von Altersruhegeld und Arbeitslosengeld zur Vermeidung eines Doppelbezugs; E 36, 73: Abschmelzung des Knappschaftsruhegeldes. 5 20. Rentenanpassungsgesetz v. 27. 6. 1977, BGBl 1,1040; 21. Rentenanpassungsgesetz v. 25. 7.1978, BGBl 1,1089; Krankenversicherungskostendämpfungsgesetz v. 30. 6. 1977, BGBl 1, 1069. 6 BVerfGE 58, 81: Ausbildungsausfallzeit, zum 20. Rentenanpassungsgesetz; BVerfGE 60,360:Krankenversicherung, zum Krankenversicherungskostendämpfungsgesetz; BVerfGE 63, 152: Reha-Beschluß zum 20. Rentenanpassungsgesetz; BVerfGE 64, 87: Rentenanpassung zum 21. Rentenanpassungsgesetz.

IV. Abbauwirklichkeit

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im Jahr 1982 in Höhe von 5,7 Mrd. D M und 1983 in Höhe von 6,4 Mrd. D M bringen. Aufgrund gleichzeitiger einnahmepolitischer Maßnahmen durch Abgabenerhöhungen war insgesamt für 1982 eine Entlastung des Bundeshaushalts in Höhe von 19 Mrd. D M und 1983 in Höhe von 23 Mrd. D M geplant 7 . Die Konsolidierungsgesetzgebung 1982 bestand aus einem Bündel sozialer Rücknahmegesetze. Als wichtigste seien genannt: Rentenanpassungsgesetz vom 1.12. 1981 (BGBl I 1205), Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz vom 22. 12. 1981 (BGBl I 1497); 2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22. 12. 1981 (BGBl I 1523), Krankenhauskostendämpfungsgesetz vom 22.12.1981 (BGBl 1 1568), Kostendämpfungsergänzungsgesetz vom 22. 12. 1981 (BGBl I 1578). Im 2. Haushaltsstrukturgesetz waren als „Artikelgesetz" die Mehrzahl der Eingriffe „gesammelt". Wichtige Kürzungen betrafen 8: 1. Verschärfung der Bezugsvoraussetzungen von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe durch Verlängerung der Wartezeit, Abschaffung der Anrechnung von Mehrarbeitszuschlägen und Sondervergütungen (Weihnachts-, Urlaubsgeld). 2. Kürzung des Kindergeldes für das 2. und 3. Kind um 20,— D M . 3. Begrenzung der Regelsatzanhebung der Sozialhilfe auf 3%; Senkung der Mehrbedarfszuschläge, Einfrierung des Blindengeldes. 4. Beschränkungen für die Inanspruchnahme von Mutterschaftsurlaub und Mutterschaftsgeld. 5. Abschaffung von Steuervorteilen aus sozialen Gründen durch geringere Ausbildungsfreibeträge und Streichung des Haushaltsfreibetrages für Alleinstehende über 49 Jahre. 6. Senkung der Arbeitnehmersparzulage. 7. Zahlreiche Einsparungen im öffentlichen Dienst 9 , insbesondere durch Verringerung der Anwärterbezüge, Verzögerung der Besoldungs- und Versorgungsanpassung um 3 Monate und verschärfte Anrechnung beim Zusammentreffen von Beamtenpensionen und Renten. Eine strengere Fassung erhielt auch die Zumutbarkeitsanordung durch Beschluß des Verwaltungsbeirats der Bundesanstalt für Arbeit vom 16. 3.1982. Parallel zu den Leistungsminderungen wurden Steuern (Tabak- und Brandweinsteuer) und Sozialabgaben erhöht (Arbeitslosenversicherung von 3 auf 4%). 7

Zum makroökonomischen Effekt der Operation 1982 s. Heilemann, SF 1982, 159. Vollständiger Katalog in Sozialer Fortschritt 1982, 63. 9 Dazu ausführlich 3. Teil D; auf Landesebene gab es ebenfalls Kürzungsmaßnahmen im öffentlichen Dienst, ζ. B. in Ba-Wü durch Einführung einer Eigenbeteiligung der Beamten an den Krankheitskosten. 8

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Teil 1 : Grenzen des Sozialstaates

b) Lambsdorff-Papier,

Regierungswechsel,

Sparoperation 1983

Im Herbst 1982 kam es zum Bruch der sozialliberalen Koalition und zur Übernahme der Regierung durch CDU/CSU und FDP. Auslöser der „Wende" war nicht zuletzt das Sparpapier des damaligen Wirtschaftsministers Lambsdorff, das umfangreiche Leistungseinschnitte auch in den Elementarbereichen des Systems sozialer Sicherung sowie im Arbeitsschutz vorsah 10 . Im Lambsdorff-Papier war unter anderem vorgeschlagen: — Streichung des Schülerbafög — Umstellung des Studentenbafög auf Darlehen — Einführung von Karenztagen ohne Leistungsbezug im Krankheitsfalle und im Falle von Arbeitslosigkeit — Senkung des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe und Einschränkung des Bezugszeitraumes für Erwerbsunfähigkeits- und Berufsunfähigkeitsrente — Kürzung der Rente bei Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze — Einengung der Anerkennungsvoraussetzungen für Schwerbehinderte — Einfrieren der Sozialhilfesätze. Einige der Abbauvorschläge des Lambsdorff-Papiers sind bereits in die Spargesetzgebung für das Haushaltsjahr 1983 eingegangen. Ein Teil der Kürzungsmaßnahmen beruhte freilich noch auf Plänen, die bereits die SchmidtRegierung entworfen hatte 11 . Das Haushaltsbegleitgesetz 1983 vom 10. 12. 1982 (BGBl 1, 1857) und das Rentenanpassungsgesetz 1983 vom 20.12.1982 (BGBl 1,1888) enthielt folgende wichtige soziale Rücknahmen: 1. Verknüpfung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld mit der Dauer der Beitragsleistung; Herabsetzung des Übergangsgeldes für Teilnehmer an Reha-Maßnahmen um 5 % 2. Verzögerung der Erhöhung der Renten vom 1.1. auf 1. 7.1983; stufenweise Einführung eines Krankenversicherungsbeitrages für Rentner 3. Begrenzung der Sozialhilferegelsatzerhöhung auf 2 %; Verschiebung der Regelsatzanpassung von Januar auf Juli 1983 4. Kürzung des Kindergeldes für Besserverdienende 5. Weitgehende Streichung des Schülerbafögs und Umstellung des Studentenbafögs auf Darlehen

10 Otto Graf Lambsdorff Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, 1982; ähnlich später das sogenannte Albrecht-Papier, 10 Thesen zum Problem der Arbeitslosigkeit, abgedruckt in: Arbeit und Sozialpolitik 1983, 334; H. George, Wie kann die Arbeitslosigkeit eingedämmt werden?, abgedruckt: Arbeit und Sozialpolitik 1983,267; vgl. Die Thesen v. Hippels, ZRP 1982,312; ders., ZfS 1983, 121. 11 Dazu Michalsky, SF 1984, 134 (141); Die SPD lehnte als Oppositionspartei den Bundeshaushalt 1983 ab.

IV. Abbauwirklichkeit

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6. Ausschluß bestimmter Medikamente aus dem Leistungskatalog der Krankenversicherung; Eigenbeteiligung bei Krankenhausaufenthalt und Kuren. Wiederum gingen diese Leistungskürzungen Hand in Hand mit Abgabenerhöhungen. So wurde die Mehrwertsteuer von 13 auf 14% und der Arbeitslosenbeitrag von 4 auf 4,6% sowie der Beitrag zur Rentenversicherung zum 1.9.1983 von 18 auf 18,5% angehoben. Weiterhin gab es Einschnitte im sozialen Mietrecht durch Zulassung von Zeitmietverträgen und Staffelmietpreisvereinbarungen im „Gesetz zur Erhöhung des Angebots von Mietwohnungen". c) Sparoperation Î984 Unter der konservativ-liberalen Regierung von Bundeskanzler Kohl wurde die strikte Sparpolitik im Sozialbereich für den Haushalt 1984 fortgesetzt. Die Konsolidierung des Staatshaushalts durch Verminderung der Schuldenlast, Einschränkung der Ausgaben sowie die Sanierung der Finanzen der Sozialversicherung gehört zu den erklärten Zielen der Regierung 12 . Das „Gesetz über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung" vom 22. 12. 1983 (BGBl 1,1532) enthielt vor allem Eingriffe im Rentenrecht, in der Arbeitslosenversicherung und beim Mutterschaftsgeld. Es sollen Einsparungen in Höhe von 6,6 Mrd. im Jahr 1984 und zwischen 1984 und 1987 in Höhe von 28 Mrd. erzielt werden. Wesentliche Maßnahmen waren: 13 1. Aktualisierung der Rentenanpassungsformel durch Bezugnahme auf den Lohnanstieg des Vorjahres, was praktisch zu einer Verminderung der Anpassung führt; diese Maßnahme hat für viele dynamisierten Sozialleistungen wegen der Verkoppelung mit der Rentenanpassung Folgen, so unter anderem für die Unfallversicherungsrenten, das Arbeitslosengeld und die Versorgungsrenten nach dem BVG. 2. Einschränkung der Bezugsvoraussetzungen für Erwerbsunfahigkeits- und Berufsunfahigkeitsrenten; die Versicherten müssen jetzt in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Minderung der Erwerbsfahigkeit mindestens drei Jahre eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt haben 14 . 3. Volle Einbeziehung des Krankengeldes in die Beitragspflicht und verschärfte Anrechnung von Sonderzahlungen (Weihnachts-, Urlaubsgeld) zur Beitragspflicht; Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen in der Sozialversicherung. 4. Kürzung des Mutterschaftsurlaubsgeldes von 25,— auf 17,— D M je Tag bzw. von 750 auf 510 D M im Monat. 12 So Bundeskanzler Kohl in der Regierungserklärung vom 4. 5.1983; vgl. Sozialbericht 1983, S. 6, 7, 14. 13 Zusammenfassung bei Borchmann NJW 1984, 708; Sozialbericht 1983, S.10,16-18. 14 Dazu kritisch Platzer SGb 1984, 179.

4 Schlenker

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Teil 1: Grenzen des Sozialstaates

5. Absenkung des Arbeitslosengeldes, Kurzarbeitergeldes und Schlechtwettergeldes von 68 auf 63% und der Arbeitslosenhilfe von 58 auf 56% für Leistungsbezieher ohne Kinder. 6. Verminderung des Unterhaltsgeldes (§ 44 AFG), des Übergangsgeldes (§ 59 AFG) und der Ausbildungsbeihilfe. 7. Einschränkungen im Schwerbehindertenrecht durch Verringerung des Kreises der Freifahrtberechtigten in öffentlichen Verkehrsmitteln und Einführung einer Eigenbeteiligung der freifahrtsberechtigten Behinderten 15 . d) Rücknahmepläne 1985 M i t dem Kürzungskatalog des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 soll vorläufig die Phase der Leistungsbeschneidungen im Sozialbereich abgeschlossen sein. Rücknahmen soll es in Zukunft dafür verstärkt auf dem Gebiet sozialer Schutznormenkomplexe geben, um den behaupteten Bedürfnissen des Marktes und den gewandelten gesellschaftlichen Bedingungen Rechnung zu tragen. So soll das Arbeitsrecht flexibler gemacht werden, indem „Beschäftigungshemmnisse" beseitigt werden. Hierzu sind im Rahmen des „Beschäftigungsförderungsgesetzes" auch Bestimmungen des Arbeitsschutzrechts gelockert worden, vor allem durch die begrenzte Zulassung befristeter Arbeitsverträge.

15

Dazu Fromm NJW 1984, 649.

2. T e i l

Die Stabilisierung des Sozialstaates kraft grundgesetzlicher Einwirkung im Licht von Rechtsprechung und Literatur A. Zur Frage einer Grundgesetzgarantie zugunsten der gegenwärtigen Gestalt und des erreichten Niveaus deutscher Sozialstaatlichkeit I . Institutionelle Gewährleistung der bestehenden Gestalt des Systems sozialer Sicherheit? 1. Verfassungsnormative Einbindung des Sozialstaates a) Bestimmungen des Grundgesetzes und Verbürgung eines sozialen Mindeststandards in der Europäischen Sozialcharta (ESC) Der Grundgesetztext enthält weder eine ausdrückliche Verbürgung zugunsten gegenwärtig bestehender sozialer Institutionen, der Gliederung und Organisation des sozialen Netzes, noch weisen die Verfassungsbestimmungen eine explizite Gewährleistung des vorhandenen materiellen Sozialstandards, der in den sozialen Leistungs- und Schutzgesetzen verwirklicht ist, aus 1 . Das Bonner Grundgesetz steht im Hinblick auf eine stabilisierende soziale Komponente im deutlichen Gegensatz zu den vorgrundgesetzlichen Landesverfassungen (Bayern, Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, ehemalige Südwestverfassungen) und zur WRV, die in Art. 161 u.a. eine ausdrückliche Garantie zugunsten eines umfassenden Sozialversicherungswesens kannte 2 . Es 1 Vgl. aber Art. 9 III GG in Bezug auf die Tarifvertragsparteien: Recht zur Wahrung (!) und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen; s. auch Art. 26 Verfassungsentwurf Schweiz, abgedruckt in AöR 1979, S. 475 (479): 1. Der Staat trifft Vorkehrungen, a damit jedermann sich nach seinen Fähigkeiten und Neigungen bilden und weiterbilden kann; b damit jedermann seinen Unterhalt durch Arbeit zu angemessenen Bedingungen bestreiten kann, und damit jeder Arbeitnehmer vor einem ungerechtfertigten Verlust seines Arbeitsplatzes geschützt ist; c damit jedermann an der sozialen Sicherheit teilhat und besonders gegen die Folgen von Alter, Invalidität, Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Verlust des Versorgers gesichert ist; d damit jedermann die für seine Existenz unerläßlichen Mittel erhält; e damit jedermann eine angemessene Wohnung zu tragbaren Bedingungen finden kann, und der Mieter vor Mißbräuchen geschützt ist. 2. Der Staat schützt die Familie und die Mutterschaft. 2 Zur Bedeutung der Sozialbestimmungen in den Landesverfassungen s.n. I 5 b). 4*

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

fehlen Vorschriften, die soziale Mindeststandards formeller u n d inhaltlicher Qualität definieren 3 , wie dies einige völkerrechtliche Vereinbarungen 4 , insbesondere die ESC u n d diverse I L O - A b k o m m e n 5 a u f einem, wegen des internationalen Anspruchs, niedrigen N i v e a u versuchen. Die ESC definiert für wichtige Sozialbereiche mittelbar ein „begrenztes soziales Rückschrittsverbot". So verpflichtet A r t . 12 ESC i.V. m i t I L O A b k o m m e n N r . 102 völkerrechtlich verbindlich die Vertragsstaaten zur Beibehaltung eines Systems sozialer Sicherheit, dessen Mindeststandards teils präzise u n d teils i n F o r m situativer Rahmenklauseln festgeschrieben s i n d 6 . Z w a r mag das durch die ESC vorgegebene soziale M i n i m u m für die Sicherung des Sozialstandards der B R Deutschland i n der überschaubaren Z u k u n f t keine praktische Relevanz besitzen, doch verbürgt es einen potentiell aktualisierbaren Sockel sozialer Mindestgarantien, der den Gesetzgeber b i n d e t 7 , i h n an seine „Wahrungskompetenz" erinnert u n d „ausfüllende" Bedeutung für das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes hat. Das Grundgesetz zeigt seinen sozialen Anspruch indirekt auf. So geben vor allem die Kompetenzzuweisungsnormen sowie die Verwaltungszuordnungsu n d Finanzierungsbestimmungen Hinweise a u f die v o m Gesetzgeber zu erfül3 Das „Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen" v. 11. 1. 1952 enthält selbst keine inhaltlichen Festlegungen von Arbeitsstandards, sondern ist Verfahrensgesetz, welches das Prozedere regelt, wenn tarifvertragliche Vereinbarungen fehlen, vgl. § 1 I I b: Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen zur Befriedigung der notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Arbeitnehmer. 4 Katalog sozialer Basisrechte in Art. 22 - 28 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte v. 10. 12. 1948, wo u.a. soziale Sicherheit und Betreuung in den Wechselfallen des Lebens versprochen wird, ausführlicher UNO-Pakt über wirtschaftliche und kulturelle Rechte v. 19. 12. 1966; der EWG-Vertrag kennt in Art. 117 ff. lediglich Harmonisierungsvorschriften für die gemeinsame Sozialpolitik; zur sozialen Sicherung der Wanderarbeitnehmer s. Art. 51 EWGV, dazu Pernice , Grundrechtsgehalte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 146ff. 5 ESC v. 18.10.1961, deutsches Zustimmungsgesetz v. 19. 9.1964, inkraftgetreten für die BRD am 26.2.1965; zur ESC s. Wiese, JIR16 (1973) S.328 ff; Zuleeg, ZaöRV 35 (1975) S. 341; Tomandl, FS Wannagat, S. 625 (627). 6 Art. 12 ESC: U m die wirksame Ausübung des Rechts auf soziale Sicherheit zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien, 1. ein System der sozialen Sicherheit einzuführen oder beizubehalten; 2. das System der sozialen Sicherheit auf einem befriedigenden Stand zu halten der zumindest dem entspricht, der für die Ratifikation des Übereinkommens Nr. 102 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Mindestnormen der sozialen Sicherheit erforderlich ist; 3. sich zu bemühen, das System der sozialen Sicherheit fortschreitend auf höheren Stand zu bringen. Das Abkommen Nr. 102 ist für die BRD am 21. 2.1959 inkraftgetreten, abgedruckt bei Zacher, Int.u.Europ. Sozialrecht, 1976, S. 31 ff; Sozialfelder, die durch das Abkommen abgedeckt sind, u.a. : Ärztliche Betreuung, Krankengeld, Arbeitslosenversicherung, Alterssicherung, Leistungen bei Arbeitsunfallen u. Berufskrankheiten, Familienlastenausgleich, Mutterschaft, Leistungen bei Invalidität u. an Hinterbliebene. 7 vgl. Tomandl, aaO, S. 627,637; Zuleeg, aaO, S. 346; zur Subjektivierung der ESC, die von der herrschenden Meinung abgelehnt wird, s. Zuleeg, aaO, S. 356 ff; Wiese, aaO, S. 341 f; Schambeck, S. 98, 100.

.I. Institutionelle Garantie des Systems sozialer Sicherheit?

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lenden Sozialaufgaben, deren organisatorische, aber auch qualitative Grundstruktur. Zu nennen sind insbesondere: Art. 74 Nr. 6,7,9,10,12,13,16,18,19 a; Art. 75 Nr. 1 a; Art. 87 II; Art. 91 a, b; Art. 95 I; Art. 120 I 4 GG. Diese formellen Vorschriften konkretisieren und ergänzen den Sozialstaatssatz des Art. 20 I, 28 I GG, das Sozialgerechtigkeitspostulat des Art. 3 I GG, sowie die bereichsspezifischen Sozialinhalte der Grundrechte, seien diese offener (Art. 1 I, Art. 6 I, IV GG) oder, hinter einem abwehrrechtlichen Gewand, versteckter Natur (Art. 2 II, 12, 14 GG). Aus dem Zusammenspiel organisationsrechtlicher und materieller Normen konstituiert sich das sozialstaatsdeterminierende Gerüst des Grundgesetzes 8, das dem expandierenden, wie auch dem rückholenden Sozialgesetzgeber Grenzen setzt.

b) Die Figur einer sozialstaatlichen

institutionellen

Garantie im Schrifttum

Es liegt nahe, in der Zusammenschau von Zuständigkeitsnormen und Sozialstaatsklausel eine Grundgesetzgewährleistung für das existierende Sozialgefüge in seiner bereichsspezifischen organisatorischen Aufiacherung und damit aufs engste verbunden auch einer bestimmten qualitativen Ausstattung der einzelnen Sozialordnungen zu erblicken 9. Die damit angesprochene Problemlage mündet in die wohl zuerst von Ipsen 10 gestellte Frage ein, ob das Grundgesetz die existierenden Sozialeinrichtungen und deren Leistungsstandards institutionell garantiert.

8 Bericht der Sozial-Enquete-Komm. Ziff. 110 ff; SV-Kom. Staatszielbestimmungen S. 18, Rn 3; zu einem „positiven Kompetenzverständnis" s. Ehmke, VVDSTRL 20 (1963) S. 53 (69 ff); Weber, Der Staat 1965, S. 409 (410); Häberle, Öff. Interesse, S. 468 ff, 618,666 ff; ders., Leistungsstaat, S. 46,93,104; J. P. Müller, Soziale Grundrechte in der Verfassung ?, S. 89 ff, 240; Bleckmann, DÖV 1983, 129 (131); Müller-Volbehr, ZRP 1984, 262 (263). 9 Organisatorisch-strukturelle und materielle Seite von Sozialfunktionen lassen sich nicht trennen. Aufbau und Gliederung eines Sozialsystems zeichnen die Sozialinhalte vor, wie umgekehrt die Qualität des Sozialstandards bestimmte verfahrensrechtliche Formen fordert. 10 Ipsen, DÖV 1952, 218; vgl. schon Hamburger Rektoratsrede v. 1949, abgedr. in: Hamburger Universitätsreden 1950, S. 20; ders. VVDSTRL 10 (1952), S. 74 f; ders., Die Grundrechte, Band 2 (1954), S. 173; Disk-Beitrag VVDSTRL 28 (1970), S. 249; abschwächend jetzt in: FS Zweigert, S. 747 (754); Ipsen, DÖV, aaO, ging von einer normativen Verdichtung der Sozialstaatsklausel zu einer institutionellen Garantie aus, die, wie die staatliche Daseinsvorsorge, die Sicherung des Arbeitsertragspotentials, des Rechts auf Arbeit, die Arbeitslosenfürsorge, Familien- und Kinderfürsorge sowie die soziale Gestaltung des Schul- und Bildungswesens über Art. 79 I I I GG in das gegen Änderung geschützte Verfassungsminimum hineinwachsen sollte; Zur Gegenposition: Forsthoff VVDSTRL 12 (1954), S. 8 (25 ff); später ders. in Festgabe C. Schmitt, 1968, Band 2, S. 185 (193); ähnl. heute: Starck, BVerfG u. GG, S. 480 (519); ders., Leibholz-Symp., S. 51 (68); Herzog, M D , Art. 20 V I I I Rn 6, 24, 28, 51; Merten, VSSR 1980, 101 (105); Isensee, FS Broermann, S. 365 (368); Stolleis, DJT-Thesen, These 4.

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Die Rechtsfigur der institutionellen Garantie ist i m Schrifttum, v o r allem der Nachkriegsphase 1 1 , zu einem Stabilisierungsinstrument entwickelt w o r d e n 1 2 , das dem Sozialstaat i n Anbetracht des Fehlens präziser sozialer Verfassungsverbürgungen H a l t u n d Gestalt, K o n t i n u i t ä t u n d Verläßlichkeit gegenüber dem Gesetzgeber verleihen s o l l 1 3 . D i e Figur der institutionellen Garantie erscheint als die klassische Rechtsform, mittels deren aus dem unterverfassungsrechtlichen Rechtssubstrat i m Wege eines Rückkoppelungsprozesses, eines Rezeptions- u n d Anwachsungsvorganges, wertvolle u n d typische Kerninhalte sozialer Rechtsgeflechte auf die Verfassungsebene i n die thematisch zugeordneten Normbereichsgarantien transponiert werden u n d dort eine A u f w e r t u n g zu höherer Beständigkeit u n d Dauerhaftigkeit erfahren 1 4 . O b w o h l die dogmatischen Grundlagen sowie der systematische Zusammenhang zu der a u f C. Schmitt zurückgehenden Lehre der Institutsgarantien bzw. institutionellen G a r a n t i e n 1 5 nie abgeklärt wurde, fand u n d findet der Gedanke einer Grundgesetzverbürgung des Kernbereichs der vorhandenen Sozialeinrichtungen u n d ihrer Strukturen u n d Leistungsstandards zahlreiche B e f ü r w o r t e r 1 6 . 11

Zur Deutung des Art. 161 WRV als institutioneller Garantie s. K. Loewenstein, Erscheinungsformen der Verfassungsänderung, 1931, S. 289; E.R. Huber, Bedeutungswandel der Grundrechte, AöR 23 (1933), S. 1 (72 ff): Garantie des bestehenden Versicherungswesens und seiner einzelnen Zweige in ihrer korporativen Struktur und ihren wesentlichen sachlichen Aufgaben, so daß „eine Beseitigung des Versicherungswesens als Gesamtheit und in den prinzipiellen Teilen unmöglich" sei. Vgl. auch Dersch, Die Grundrechte, Band 3, Halbb. 1, Kap. „Sozialversicherung", S. 505, wo eine „Erhaltungswirkung" des Art. 161 angenommen wird; die h. M. ging von einem unverbindlichen Programmsatzcharakter der sozialen Verbürgungen der WRV aus, s. Anschütz, Kom. WRV, Art. 161; Abel,S. 58. 12 s. außer Ipsen: E. R. Huber, DÖV 1956,202; ders., Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft, 1965, S. 589 (610 f); Rohwer-Kahlmann, FS Lenz, S.339 (363 ff); ders., FS W. Bogs, 1967,109 (111); ders., NJW 1960,1641 (1645); W. Bogs, DJTReferat 1960, G 13/14; ders., Rechtsprinzipien sozialer Sicherung 1967, S. 4 f; Die SozialEnquete-Kom. S. 57, Ziff. 123, bejahte eine verfassungsmäßige Garantie der Institutionen der Sozialversicherung, der Kriegsopferversorgung und der Fürsorge kraft Sozialstaatsprinzip und Zuständigkeitsvorschriften. 13 Charakteristisch für die institutionelle Garantie ist ihre „Festlegungs-, Stabilisierungs-, Fixierungs- und Konfirmierungsfunktion" für wichtige Strukturen eines Normgeflechts, s. C. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, S. 227; ders., instit.G., S. 149,155; F. Klein, Inst. G. und Rechtsinstitutsgarantien, 1934, S. 161: „Konservierungsfunktion"; Schmidt-Jortzig, S. 25; Weber, Die Grundrechte, Bd. 2, S. 356: Institutionen sollen etwas im Wandel Bleibendes festlegen; Schambeck, S. 108: Die Einrichtungsgarantie sichert einmal Erreichtes gegen Rückschritt ab; Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 103: Das Dauerhafte ist dem Institutionellen immanent; ders., ZfP 1974, 111 (113): Institutionen sollen der Zeit trotzen. 14 Vgl. C. Schmitt, inst.G., S. 166, ders., Grundrechte und Grundpflichten, S.213; Quaritsch, Ev. Staatslex., Sp. 1022; Dürig, ZStaatsW 109 (1953), 327 (333); Bleckmann, Grundrechtslehren, S. 196, Schambeck, S. 108, Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 168 ff; Lerche, Übermaß, S. 239 ff; ders., Festgabe Maunz, S. 325 ff. 15 Die Lehre von den Einrichtungsgarantien der Verfassung geht im deutschen Rechtskreis auf M . Wolff und C. Schmitt zurück, s. M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum, Festgabe Kahl, 1923, S. 5 f; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 170 ff; ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 181 ff; ders., instit.G., S. 140ff; ders., Wohlerworbene Beamtenrechte und Gehaltskürzungen, S. 174 ff.

Α. I. Institutionelle Garantie des Systems sozialer Sicherheit?

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Verfassungsrechtlicher Ansatzpunkt u n d zugrundegelegtes Verfassungsverständnis 1 7 variieren, bleiben häufig i m d u n k e l n 1 8 , ebenso wie der G r a d der Verdichtung, der U m f a n g der Gewährleistungswirkung der institutionellen Garantie i m Regelfall nicht erörtert wird. D u r c h die sogenannte leistungsstaatliche Verfassungstheorie hat der institutionelle Ansatz zugunsten einer Sicherung gewachsener sozialer Einrichtungen nebst adäquatem Qualitätsniveau neue Impulse erfahren 1 9 . E i n neuer Begründungsansatz zur Herleitung einer institutionellen Garantie der Sozialversicherung i n ihrem derzeitigen Gewand scheint aus der v o m Bundesverfassungsgericht i m Versorgungsausgleichsurteil vollzogenen Anerkennung „sozialversicherungsrechtlichen Eigentums" i n A r t . 14 I G G zu erwachsen. D u r c h ein „Zusammenlesen" kompetenzrechtlicher Vorschriften des Grundgesetzes, dem Sozialstaatsprinzip sowie dem sozialstaatlich interpretierten Eigentumsgrundrecht soll auch die I n s t i t u t i o n Sozialversicherung als Ordnungsprinzip gewährleistet s e i n 1 9 a .

16

s. Hesse, VerfR, Rn 213: Das Sozialstaatsprinzip gewährleistet in seinem Kern diejenigen Rechtsbereiche, die zum Wesen des sozialen Rechtsstaates gehören, wie etwa das Arbeitsschutz- und Arbeitszeitrecht, das Sozialhilfe-, Versorgungs- oder Sozialversicherungsrecht, das Betriebsverfassungs- oder Tarifvertragsrecht. Eine grundsätzliche Abkehr von den zum Grundbestand des sozialen Rechtsstaats gehörenden Einrichtungen ist verfassungsrechtlich ausgeschlossen; Lerche, Übermaß, S. 231: Die institutionelle Garantie als Teilkomponente des Sozialstaatsprinzips besagt, daß ein Mindestmaß gewisser vorhandener sozialer Institutionen bestehen bleiben muß; Weber, Der Staat 1965, 409 (416): Inst. Gewährleistung des überlieferten Systems sozialer Sicherheit in seiner Ausprägung als Versorgung, Versicherung und Sozialhilfe; Lücke, AöR 1982,15 (35, 46); Müller-Volbehr, ZRP 1984, 262 (266); ders., JZ 1984, 6 (12); ders, JZ 1982, 132 (137); Heinze, DJT-Gutachten, S. 62; Rische/Terwey DRV 1983, 273 (289). 17 Zum „Anwachsungs- bzw. Erfüllungsgedanken" s. Hesse, EuGRZ 1978, All (434): Realisierung eines Programms sozialer Grundrechte gerinnt zu einer Verfassungsgarantie des erreichten sozialen Besitzstandes; Schwer dtfeger, FS Wannagat, S.534 (548): Soziale Grundrechte werden zu Garantien des Erreichten, wenn der Gesetzgeber deren Verheißung eingelöst hat; Bröckenförde in: Soziale Grundrechte, S. 7 (14): Einmal erfolgte Regelungen und Maßnahmen auf ein soziales Ziel hin werden verfassungsrechtlich „unterfangen"; vgl. auch Pitschas, VSSR 1977,141 (166); Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 201 ff, 212 ff; ders, Leistungsstaat S. 47 f, 111. 18 s. Fechner, RdA, 1955, 161 (167); Hecklinger, S. 32 ff, die ein „Notwendigkeitsbewußtsein", eine „Sozialüberzeugung" der Bürger als institutionenbildendes Kriterium annehmen, das u. U. zu einer „Sperrklinkenwirkung" (Hecklinger S. 32) gegen Erosionen der Sozialgesetzgebung führen soll; vgl. Hueck/Nipper dey, Arbeitsrecht I I Halbb. 1,1967, S. 43; Rüthers, Streik und Verfassung, 1960, S. 67 f; Nikisch, Arbeitsrecht, S. 37; Gerstenmaier S.68; Benda, RdA 1979, 1 (5): Durch die Sozialstaatsklausel sind alle diejenigen arbeitsrechtlichen Institute verfassungsrechtlich gesichert, die auf einer längeren Rechtstradition beruhen und allgemeine Anerkennung gefunden haben; ders, ZIP 1981, 221 (224). 19 s. Häberle, Leistungsstaat, S. 76 ff, 83 ff, 91 ff, 111 ; ders, DÖV 1972,730 Fn 13; ders, AöR 1982, 1 (7 m. Fn 13); L V A - M i t t , S. 485; Burmeister, Vom staatsbezogenen Grundrechtsverständnis,' S. 22, 98; anders ders. später in: Vertrauensschutz im Prozeßrecht, S. 11, 22; DÖV 1981, 503 (505); Kloepfer, Entstehenssicherung, S. 15 f; Schambeck S. 108. 19a so Heinze, DJT-Gutachten, S. 63; Rische/Terwey D R V 1983, 273 (289); Häberle LVA-Mitt. S. 485; Gitter N Z A 1984, 137 (141); s. dazu unten 3. Teil A I I I 2.

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

In jüngerer Zeit mehren sich allerdings auch Stimmen, die eine institutionelle Garantie der gegenwärtigen „Erfüllungen" des Sozialstaats wegen der vermuteten Versteinerungs- und Blockadewirkung gegenüber kleinen und großen Sozialreformen ablehnen 20 . Diese Petrifizierungsfurcht wurzelt überwiegend in einem statisch-konservativen Verständnis institutioneller Prozesse 21, welches die Wandlungsfähigkeit, Entwicklungsoffenheit und Gegenwartsrelevanz des Wechselbezüglichkeitsverhältnisses von leitbildgebender Verfassungsnorm und unterverfassungsrechtlichen Erfüllungen übersieht. Dies ist an dieser Stelle nicht näher darzulegen (s. u. I I 1; 3. Teil A I I I 2).

2. Leading case: Die AOK-£ntscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. 4. 1975 (BVerfGE 39, 302) Während im Schrifttum konträre Positionen zur Frage einer institutionellen Garantie wichtiger sozialer Normkomplexe festgestellt werden können, hat das Bundesverfassungsgericht insoweit in Bezug auf das Sozialversicherungssystem eindeutig Stellung genommen. Leading case ist die AOK-Entscheidung vom 9.4.19751.

Das Bundesverfassungsgericht spricht sich in dieser Entscheidung klar gegen eine verfassungsrechtliche Verbürgerung des überkommenen Strukturmodells der Sozialversicherung aus: „ Eine Verfassungsgarantie des bestehenden Systems der Sozialversicherung oder doch seiner tragenden Organisationsprinzipien ist dem Grundgesetz nicht zu entnehmen."

20 s. Tomandl, FS Wannagat, S. 625 (638); ders., Einbau, S. 41 ff; Isensee, FS Broermann, S. 365 (366 f); Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 32 f; Merten, VSSR 1980,101 (105); Stolleis, DJT-Thesen, These 4; unklar Stern, Staatsrecht 1, S. 894 f; ders., Ev. Staatslex., Sp. 2407. 21 s. etwa Abel, aaO, S.58,61,72; Schmidt-Jortzig, aaO, S. 38 ff, 48,64: Verkrustungseffekt; Tomandl, Einbau, S. 43 f, Fn 22; zum flexiblen Institutionenbegriff s. Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 167 ff, 213 ff; Lerche, Übermaß, S. 239ff; ders.,Festgabe Maunz, S. 285 ff; Degenhart, Systemgerechtigkeit, S. 81 ff. 1 BVerfGE 39, 302 (314 f); ebenso : Wannagat, FS Jantz, S. 55, 61; ders., FS Fechner, S. 207, (220); ders., Lehrbuch, S. 224 ff; Scholz, FS Sieg, S. 507 (512); H. Bogs, Staat der Gegenwart, S. 620 f; Gitter, Sozialrecht, S. 27; Rüfner, Einführung, S. 9; vgl. aber Benda, NJW 1979, 1001 (1003), der die Entscheidung abschwächend dahin interpretiert, daß es offensichtlich unmöglich sei, „das System sozialer Sicherung ersatzlos zu beseitigen"; Kritik und eingehende Interpretation der AOK-Entscheidung auch bei Heinze, DJTGutachten, S. 61.

.I. Institutionelle Garantie des Systems sozialer Sicherheit?

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a) Art. 74 Nr. 12, Art. 87 II, Art. 12014 GG als „bloße Zuständigkeitsvorschriften" Das Gericht verneint zunächst eine Festschreibung des traditionellen Bildes der Institution Sozialversicherung in Art. 74 Nr. 12, Art. 87 I I und Art. 12014 GG. Diese Bestimmungen können nicht als Indiz für eine verfassungsrechtliche Garantie der Sozialversicherung begriffen werden, sondern dienten als „bloße Kompetenznormen" der formellen Abgrenzung von Zuständigkeiten 2 . Das Bundesverfassungsgericht setzt sich damit in Gegensatz zu der im Schrifttum vor allem von W. Bogs und Rohwer-Kahlmann vertretenen Ansicht, die gerade in den Kompetenznormen des Grundgesetzes im Zusammenhang mit der Sozialstaatsklausel eine institutionelle Garantie des sozialen Hauptnetzes erblicken 3 . Zu Art. 1201 GG hat das Gericht an anderer Stelle ausgeführt, daß der Sinn dieser Vorschrift sich darin erschöpfe, eine bundesstaatliche Vorschrift über die Aufteilung der Lasten der Sozialversicherung zwischen Bund und Ländern zu treffen 4 . Das Bundessozialgericht sieht in Art. 120 I 4 GG zwar eine Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips, doch interpretiert es diese Norm ebenfalls nicht im Sinne einer Fortbestandsgarantie für die gegenwärtige Gestalt des deutschen Sozialversicherungssystems. Das Grundgesetz verpflichte lediglich dazu, für das Funktionieren „eines" staatlichen Sozialversicherungssystems zu sorgen, Art. 120 I 4 GG komme insofern nur die Bedeutung einer Lasten Verteilungsregelung zu 5 . Auch die Erwähnung der Institution „Sozialversicherung" im Rahmen der Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis in Art. 74 Nr. 12 GG 2 So für Art. 87 I I schon BVerfGE 21, 362 (371); nach BVerfGE 36, 383 (393) hat die gewerbliche Gliederung der Unfallversicherung keinen Verfassungsrang; der Gesetzgeber könne daher nach Art. 87 I I auch die gesamte gesetzliche Unfallversicherung bei einem einzigen Träger als bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts zusammenfassen. 3 s. Sozial-Enquete-Komm. Ziff. 123; W. Bogs, DJT-Referat 1960, G 13/14; ders. Rechtsprinzipien sozialer Sicherung, S. 4; Rohwer-Kahlmann, FS Lenz, S.339 (363 ff); ders,NJW 1960,1641 (1645); ders,FS W. Bogs, S.109 (111); Köngen, Festgabe Muthesius, S. 33 ff; Isensee, Umverteilung, S. 44 f, 50; Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 27 f; Pitschas, VSSR 1978, 357 (368); Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 175; Häberle, Leistungsstaat, S. 46, 93; ders, L V A - M i t t , S. 485; Rische/Terwey, D R V 1983, 273 (289). 4 BVerfGE 14, 221 (234). 5 BSGE 47,148 (157) m. Anm. v. Starck, SGb 1979,337 u. Diemer, VSSR 1982,31 (55); das Bundessozialgericht leitet eine bürgschaftsähnliche Eintrittspflicht des Bundes unmittelbar aus Art. 12014 GG und dem Sozialstaatsprinzip ab, wenn eine existenzbedrohende Lage des Sozialversicherungsträgers eintritt. Der Abgeordnete Dr. Seebohm hatte bei den Beratungen des Hauptausschusses des parlamentarischen Rates (41. Sitzung S. 516) zum späteren Art. 120 I daraufhingewiesen, daß der Bund als Treuhänder für alle Menschen auftreten müsse, die der Sozialversicherung unterliegen und daher eine Garantie zu übernehmen habe, wonach „die Leistungen der Sozialversicherung unter allen Umständen aufrechterhaltenbleiben" (!).

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

hat für das Verfassungsgericht nur formell zuständigkeitsabgrenzenden Charakter 6 . Das Bundesverfassungsgericht geht allerdings von einem in das Grundgesetz rezipierten Bild der „klassischen" Sozialversicherung aus. In der Kindergeldentscheidung vom 10. 5. I960 7 orientiert sich das Gericht bei der Definition der Materie Sozialversicherung an den traditionellen Wesenszügen dieser Institution: „Diese Kompetenznorm ermöglicht die Einbeziehung neuer Lebenssachverhalte in des Gesamtsystem Sozialversicherung, wenn die neuen Sozialleistungen in ihren wesentlichen Strukturelementen, insbesondere in der organisatorischen Bewältigung ihrer Durchführung dem Bild entsprechen, das durch die klassische Sozialversicherung geprägt ist". Die Organisationsform ist für das Bundesverfassungsgericht das maßgebliche Kriterium zur Abgrenzung der Sozialversicherung von anderen Sektoren sozialstaatlicher Aufgabenerfüllung. Kennzeichnend ist die Art und Weise, wie die Aufgabe organisatorisch bewältigt wird, nämlich durch selbstständige Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts als Träger der Sozialversicherung sowie die Aufbringung der Mittel durch die Beteiligten. Das Gericht erkennt durchaus den Aufgabenwandel, den die Sozialversicherung seit ihrer Errichtung erfahren hat. Deshalb beschränke sich der von der Sozialversicherung abzudeckende Bedarf nicht mehr auf die Hilfestellung bei Notlagen von Arbeitern und Angestellten mit geringem Einkommen 8 , sondern schon in Anbetracht der von Art. 151 WRV geforderten Entwicklung zum sozialen Rechtsstaat habe sich der Kreis der Betreuten immer mehr ausgeweitet. Das Bundesverfassungsgericht konnte daher in dieses Bild einer modernen Sozialversicherung auch das System der Kindergeldleistungen als einen neuen „Sozialtatbestand" eingliedern. Die Fixierung der entwickelten Struktur der deutschen Sozialversicherung auf ein bestimmtes, durch traditionelle Ordnungselemente geprägtes Modell, steht auf den ersten Blick in Widerspruch zur Verneinung der Verfassungsgarantie für das bestehende System der Sozialversicherung in der AOK-Entscheidung. Die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ist jedoch nicht widersprüchlich, weil das Kindergeldurteil die Frage einer Fortbestandsgarantie zugunsten der Sozialversicherung nicht aufgeworfen hat. Es ging vielmehr ausschließlich um die Abgrenzung der Materienbezeichnung Sozialversicherung von anderen Sozialfeldern, die gegebenenfalls einer anderweitigen Zuständigkeitsordnung des Grundgesetzes, z.B. der in Art. 74 Nr. 7 GG genannten „öffentlichen 6

BVerfGE 39, 302 (314). BVerfGE 11,105 (111 ff); kritisch dazu Diemer, aaO, S. 62, der aus kompetenzrechtlichen Gründen eine Präzisierung des Verfassungsgesetzgebers über seine Vorstellungen von den wesentlichen Strukturelementen einer Sozialversicherung verlangt. 8 s. aber BVerfGE 18, 257 (270), wo die Sozialversicherung als Schutzsystem für „wirtschaftlich und sozial schwache Bevölkerungskreise" bezeichnet worden ist; anders aber BVerfGE 45, 376 -nasciturus-, dazu unten Β I I I 1 a). 7

.I. Institutionelle Garantie des Systems sozialer Sicherheit?

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Fürsorge", angehören. Demgegenüber war im AOK-Beschluß zu entscheiden, ob das traditionelle Organisationsprinzip der Sozialversicherung durch Grundgesetzvorschriften in die Zukunft hinein „verewigt" ist. Eine solche echte Bestandsverbürgerung hat das Gericht in Übereinstimmung mit der im Parlamentarischen Rat geäußerten Ansicht 9 verneint. Es hat damit aber andererseits nicht das Verständnis der Materienbezeichnungen der geltenden Kompetenzbestimmungen aufgeweicht, denn die dort gegebenen Abgrenzungsformeln bleiben maßgeblich, solange ein Modell der sozialen Sicherung entsprechend dem geläuterten Bild der Sozialversicherung auf einfachgesetzlicher Ebene tatsächlich existiert.

b) Keine institutionelle

Garantie durch das Sozialstaatsprinzip

. Das Bundesverfassungsgericht erblickt auch im Sozialstaatsprinzip keine institutionelle Garantie der gegenwärtigen Form der deutschen Sozialversicherung. Der AOK-Beschluß führt dazu aus: Das Gebot des sozialen Rechtsstaates enthalte „für den einzelnen keinen Anspruch auf soziale Leistungen durch ein so und nicht anders aufgebautes Sozialversicherungssystem" 10. Trotz dieser, in dem vorliegenden Zusammenhang nicht angezeigten, subjektiven Einkleidung 11 wird damit die Auffassung des Gerichts zur formellorganisatorischen Determination des Systems sozialer Sicherheit durch den Sozialstaatssatz deutlich: Das Bundesverfassungsgericht sieht keine „Verdichtung" oder „Auffüllung" des Sozialstaatsprinzips durch die gewachsenen Normordnungen des Systems sozialer Sicherheit, die rückkoppelnd auf die Verfassungsebene der Generalklausel „Sozialstaat" die Bedeutung einer institutionellen Garantie zugunsten der vorhandenen, einfachgesetzlich herausgeschälten Sozialstrukturen geben.

9 Der Abgeordnete Dr. Strauß wies im Hauptausschuß darauf hin, daß durch die Aufnahme des Wortes „Sozialversicherung" in Artikel 74 Nr. 12 keine Entscheidung über die inhaltliche Gestaltung der Sozialversicherung, ob Einheitsversicherung oder traditionelles System, getroffen worden sei, Nachweis in JöR, Band 1,1951, S. 521 ; ebenso Dersch, Art. „Sozialversicherung" in: Die Grundrechte, Band 3, Halbb. 1, Seite 516. 10 BVerfGE 39, 302 (315) 11 Subjektive, mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbare Ansprüche unmittelbar aus dem Sozialstaatsgebot werden vom Bundesverfassungsgericht und der herrschenden Lehre grundsätzlich nicht anerkannt, s. BVerfGE 1, 97 (105); 33, 303 (333); SV-Kom. Staatszielbestimmungen, Rn 5, 6, 29, 59 f; Martens, W D S T R L 30, 7 (30); Häberle, ebenda, S. 43 (95,112); ders., FS Küchenhoff, S. 453 (470); Stern, Staatsrecht, Bd. 1, S. 409; Herzog, M D , Art. 20 V I I I Rn 28; Scheuner, DÖV 1971,505 (511); J.P. Müller, Soziale Grundrechte, S. 61 (64); Zacher, FS Ipsen, S. 207 (229); Grimm, Grundrechte und soziale Wirklichkeit, S. 39 (69 ff); Rüfner, FS Wannagat, S. 382 (387); Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 35; Isensee, FS Broermann, S. 365 (371); Böckenförde, Soziale Grundrechte, S. 7 (12); Schmitt Glaeser AöR 1982, 337 (353); Heinze, DJT-Gutachten, S. 13. Zur Subjektierung des Sozialstaatsprinzips über Art. 2 I u. 3 I GG s. W. Schmidt, Der Staat 1981, Beiheft 5, S. 9 (13, 18 f, 22 f).

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts liegt erkennbar das Bestreben zugrunde, jegliche Zementierung des sozialpolitischen Prozesses kraft einengender Grundgesetzinterpretation zu vermeiden, um folgenorientiert 12 dem sozialen Wandel ohne verfassungsrechtlichen Hemmschuh kraft demokratischer Legitimation Raum zu verschaffen. M i t der Betonung der inhaltlichen Offenheit des Sozialstaatssatzes korrespondiert die vom Bundesverfassungsgericht aus dem Blickwinkel des Demokratieprinzips anerkannte weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Bereich der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung, die unumstößliche Fortbestandsgarantien aus der Ebene des Verfassungsrechts nicht verträgt. Das Gericht will dem Gesetzgeber viel Freiheit im Bereich der organisatorischen und materiellen Bewältigung sozialstaatlicher Daseinsvorsorge belassen, denn gerade auf dem Gebiet der sozialen Sicherung verlangten die sich ständig wandelnden Verhältnisse ein hohes Maß an Flexibilität, um Veränderungen im Interesse der Erhaltung einer angemessenen sozialen Sicherung gegebenenfalls mittels neuer Lösungen Rechnung tragen zu können 13 . Das Bundesverfassungsgericht verneint auch in seiner jüngeren Sozialstaatsjudikatur eine grundgesetzliche Garantie für das gegenwärtig bestehende soziale Netz. So verwehren es nach einer Entscheidung zur Arbeitslosenversicherung die „Anforderungen einer sozialstaatlichen Ordnung" dem Gesetzgeber nicht, „in Abwägung von Interessen des einzelnen und der Allgemeinheit zum Schutz gegen soziale Risiken Formen der sozialen Sicherung zu wählen, die von herkömmlichen Modellen abweichen" 14 . Obwohl es im konkreten Fall lediglich um eine minimale Modifikation ging, nämlich eine das Versicherungsprinzip ergänzende Präventivkonzeption gegen Arbeitslosigkeit und eine damit verbundene Ausdehnung des Kreises pflichtversicherter Personen, ist das Bestreben des Verfassungsgerichts erkennbar, dem Gesetzgeber keine hohen Hürden für eine Neuordnung des Sozialsystems zu errichten. Es betont die Reformoffenheit und will jedenfalls in Bezug auf die formalorganisatorische Bewältigung der zu erfüllenden Sozialaufgaben der sozialpolitischen Phantasie in Regierung und Parlament kein enges Korsett einschnürender verfassungsrechtlicher Direktiven überstülpen. 12 Zur „Folgenorientierung" s. Häberle, DÖV 1972, 737 mit Fn 73; ders, Zeit und Verfassungskultur, S. 302; ders, Wesensgehaltgarantie, S. 330; Henseler, AöR 1983, S. 489 ff. 13 So BVerfGE 39, 32 (315); das Gericht hat konsequent die Grundrechtsfahigkeit einzelner A O K als Träger der gesetzl. Krankenversicherung aus Art. 19 I I I G G verneint; obwohl die AOK-Entsch. sehr allgemein gehaltene Feststellungen zu einer Garantie des Sozialversicherungssystems enthält, darf nicht übersehen werden, daß es im konkreten Fall lediglich um das vergleichsweise unbedeutende Problem einer Bestandsgarantie für eine einzelne A O K ging, die in Folge einer Gebietsreform aufgelöst werden sollte. Bejahung der Grundrechtsfahigkeit der Sozialversicherungsträger bei: Heinze, DJTGutachten, S. 59, 64. 14 BVerfGE 53, 313 (326), zu d. Entsch. näher unten Β I I I 5.

.I. Institutionelle Garantie des Systems sozialer Sicherheit?

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Dies bestätigt auch die Entscheidung zur Rentenversicherung von Ausländern vom 20. 3.1979 15 . Das Sozialstaatgebot verpflichtet den Staat danach nur, „eine (!) soziale Sicherheit zu garantieren". Das Gericht sieht also keine sozialstaatliche Verbürgung zugunsten einer bestimmten Form sozialer Aufgabenerfüllung, sondern beläßt es bei der Forderung nach einer funktionellen und sozialgerechten Durchführung des zu ordnenden Sozialbereichs. Obwohl speziell für den Bereich sozialer Institutionen noch keine einschlägige Entscheidung vorliegt, dürfte das Bundesverfassungsgericht sich für die Frage der strukturell-formellen Bewältigung sozialstaatlicher Aufgabenfelder von den Vorstellungen leiten lassen, die es in seiner neueren Rechtsprechung 16, zurückgehend auf Literaturvorschläge 17 , zu einer verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte entwickelt hat. Danach muß sich der Gesetzgeber gerade auch bei der Gewährleistung sozialer Sicherheit an der Idee einer effektiven Verwirklichung der jeweiligen Sachbereichsgrundrechte (Art. 2 II, 6 I, IV, 12, 14 GG) orientieren, die eine zeitangemessen-funktionelle Organisations- und Verfahrensgestaltung verlangen. M i t diesem Anspruch wird eine Unveränderlichkeitsgarantie für die bestehenden Strukturen des sozialen Netzes vermieden und der Weg auch für „funktionale Äquivalente" zur Erfüllung des Sozialversprechens des Grundgesetzes eröffnet. I m modernen Sozialstaat bedeutet diese flexible leistungsstaatliche Dimension des „status activus processualis" in Befolgung eines multifunktionalen Grundrechtsverständnisses eine tragende Säule grundrechtlicher Stabilisierung des sozialen Netzes.

3. Die Reformoffenheit des Grundgesetzes für den Bereich der sozialen Sicherung: Keine starre Bindung an ein im Gleichheitssatz verwurzeltes Systemkonsequenzgebot Der aus dem Sozialstaatsprinzip und aus den Kompetenzvorschriften gewonnene Negativbefund zur Frage einer Verfassungsgarantie bestehender Sozialinstitutionen wird durch die Judikatur zur Systemkonsequenz untermauert. 15 BVerfGE 51, 1 (27); vgl. Art. 12 ESC: Ein (!) System sozialer Sicherheit muß beibehalten werden. 16 Zum Grundrechtsschutz durch effektive Organisation und Verfahrensgestaltung Art. 2 I I GG: BVerfGE 53,30 (65); 55,171 (179); zu Art. 12: BVerfGE 39,276 (294); 41,251 (265); 50,16 (30); 52, 380 (390); zu Art. 14: BVerfGE 24, 367 (401); 35, 348 (361); 37,132 (141,148); 45, 297 (322, 333); 46, 235 (334); 49, 220 (225); bes. auch SV Simon/Heussner BVerfGE 53, 30 (69 ff), insb. S. 80. 17 Aus der Literatur s. Häberle, Leistungsstaat,S. 86 ff, 121 ff; ders., Wesensgehaltgarantie S. 373 ff; H.H. Rupp, AöR 1976, S. 161 (187 ff); Pitschas, VSSR 1977,141 (167 f); Redeker, NJW 1980, 1593; Bethge, NJW 1982, 1; v. Mutius, NJW 1982, 2150 (2156); Goer lieh, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981; Starck, JuS 1981,237 (242); Hesse, Verfassungsrecht, Rn 358 ff; ders., EuGRZ 1978,427 (434 ff); Schmitt Glaeser AöR 1982, 337 (370 ff).

s. zu

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Vor allem in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Sozialrecht wird häufig eine Bindung des Gesetzgebers an die von ihm selbst statuierte Sachgesetzlichkeit erwogen. Diese Vorstellung erscheint grundsätzlich geeignet, die tragenden Säulen des gegenwärtigen Systems sozialer Sicherheit, ähnlich dem Anliegen einer sozialstaatlichen institutionellen Garantie, zu festigen 1. Der Topos der Systemkonsequenz operationalisiert den Gleichheitssatz und das in ihm liegende Sachgerechtigkeitspostulat unter dem Blickwinkel bereichsspezifischer Folgerichtigkeit 2 . Das Systemtreue-Argument konkretisiert das Willkürverbot für einzelne Ordnungsbereiche, die durch ihren Regelungszweck, ihre Komplexität ausgeprägte Eigengesetzlichkeiten entfalten, wie dies ζ. B. im Steuerrecht, aber vor allem im Sozialversicherungsrecht, deutlich ist. Zunächst bleibt es der Entscheidung des Gesetzgebers überlassen, nach welchem System er eine Materie ordnen und welche zweckmäßigen Regelungen er treffen will. Ein späteres Abweichen von der vom Gesetz ursprünglich selbst gewählten Sachgesetzlichkeit, die ein bestimmtes Werte- und Vernünftigkeitsraster enthält, soll vor Art. 31 GG nur dann Bestand haben, wenn das Gewicht der für die Abweichung sprechenden Gründe der Intensität des Systembruchs entspricht 3 . Indessen soll die Systemwidrigkeit per se noch keinen Verstoß gegen Art. 3 I GG bedeuten, vielmehr lediglich Indiz dafür sein, daß die mit einer Novellierung verfolgte Zielsetzung nicht sachgerecht im Sinne des Willkürdogmas ist 4 . Der Gesetzgeber darf ein von ihm selbst errichtetes und lange Zeit strikt eingehaltenes System teilweise oder vollständig verlassen, wenn die Reformintention das Abgehen von der bisherigen Regelungslinie trägt und rechtfertigt 5 . „Systembruch" und „Systemüberwindung" sind dem Gesetzgeber also nicht prinzipiell untersagt 6 . Nach der auf das Willkürverbot reduzierten Auffassung 1 Überblick zur Systemtreue-Judikatur bei Wilke / Schachel, VSSR 1978, 297; Katzenstein, VSSR 1982, 167 (17802 Zum Systemkonsequenztopos aus dem Schrifttum: Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat 1976; Battis , Systemgerechtigkeit, FS Ipsen, S. 11 ; H. H. Rupp, BVerfG und GG, S. 364 (379 - 383); Dürig, M D , Art. 3 I, Rn 311 -313a; ders, Zeit und Rechtsgleichheit, S. 30; Pieroth, Rückwirkung, S. 155 ff; Starck, Leibholz-Symp,S. 70 ff; Häberle, Disk.-Beitrag, Leibholz-Symp, S. 105; speziell für sozialrechtliche Regelungskomplexe: H .Bogs, Staat der Gegenwart, S. 6, 23 f; ders, RdA 1973, 26 (33); Pitschas, ZRP 1979,119 (122 ff); Isensee, Umverteilung, S. 65; ders, Rolle des Beitrags, S. 490, ders, ZRP 1982, 137 (140 f). 3 BVerfGE 13,331 (340); 15, 313 (318); 18,366 (372); 20,374 (377); 59,36 (49); 61,138 (148). 4 BVerfGE 24, 75 (100); 34, 103 (115); 61, 138 (148); 62, 354 (370); aus der IndizRechtsprechung folgt eine Beweislastumkehr, s .Pieroth, aaO, S. 155; Degenhart, aaO, S. 25. 5 BVerfGE 36, 383 (393): Kein Systemverstoß bei bloßer Fortentwicklung oder Ergänzung eines Systems. 6 Vgl. Zacher AöR 1968, 341 (354); Rupp, aaO, S. 381; Battis, aaO, S. 17.

Α. I. Institutionelle Garantie des Systems sozialer Sicherheit?

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zum Gedanken der Systemkonsequenz sind sowohl partielle Abweichungen von einem prinzipiell beibehaltenen Sozialsystem, als auch tiefere Einschnitte in soziale Regelungskomplexe zulässig, wenn entsprechend wichtige Gründe für ein Abweichen vom bisherigen System zugunsten eines generellen Umbruchs, einer Neuorientierung der Sozialpolitik sprechen. Vor diesem Hintergrund erhält der abbaubedrohte Sozialstaat durch das Systemtreue-Prinzip nur geringen Halt, der über die Folgerungen aus dem Gleichheitssatz als willkürausschließendem Sachgerechtigkeitspostulat im Grunde nicht hinausgeht7. Gerade in Anbetracht von Finanzierungsschwierigkeiten soll der Systemtreue-Topos nur geringe Direktionskraft auf den rückholenden Gesetzgeber erzeugen. Im Beschluß des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. 2.1982 heißt es dazu 8 : Der Gedanke der Systemgerechtigkeit dürfe nicht zu einer Verkrustung der Gesellschaftsordnung führen, indem er dem Gesetzgeber bei „schwindenden Mitteln und siechen Haushalten" eine neue Ausrichtung seiner Vernünftigkeitskriterien und eine Neubewertung bislang anders bewerteter Sachverhalte abschnitte. Die Furcht vor einer Zementierung der gegenwärtigen Sozialgestaltungsformen und dem gegebenen „ social standard" bei sich wandelnden Rahmenbedingungen führt zu einer zunehmend restriktiven Interpretation des Systemwahrungsgebots. Dies zeigt sich auch in der Gewichtung der elementaren Ordnungsfaktoren der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Prinzip des sozialen Ausgleichs und das Versicherungsprinzip bilden nach überkommenem Verständnis die strukturellen Hauptpfeiler der gesetzlichen Altersversorgung 9. In einer Entscheidung zum Zumutbarkeitsbegriff des § 1246 RVO wird die leitbildgebende Funktion dieser Konstitutionsprinzipien abgeschwächt. Nicht jede Regelung brauche sich dem einen oder anderen Strukturprinzip zuordnen lassen, weil das System der Rentenversicherung sich nicht in der Verwirklichung dieser beiden Prinzipien erschöpfe 10. I m Gegensatz zu einer verbreiteten Strömung in der Literatur, die eine strikte Befolgung dieser prägenden Ordnungselemente bei Novellierungen verlangt 11 , 7 ebenso Battis , aaO, S. 18, 27, 29; Pieroth, aaO, S. 155; vgl. Hesse, Disk.Beitrag, Leibholz-Symp., S. 77: Systemgerechtigkeit als bloßer Hilfsgesichtspunkt, der keine tragende Bedeutung hat und nicht zu sehr betont werden sollte; Stolleis, DJT-Thesen, These 4: Systemgerechtigkeit ist ein wichtiges sozialpolitisches Ziel, aber kein selbstständiges Prinzip mit Verfassungsrang. 8 BVerfGE 60, 16 (43). 9 s. etwa BVerfGE 11,105 (113); 17,1 (9); 21,362 (378); 39,169 (186); 43,13 (23); 48,346 (358); weitere Nachweise bei Katzenstein, VSSR 1982,179; Meydam, Eigentumsschutz, S. 70 ff. 10 BVerfGE 59, 36 (50). 11 s. Isensee, ZRP 1982,137 (141), der die Einschränkung der Sozialversicherungsfreiheit bei geringfügiger Beschäftigung (390,—DM-Grenze) als willkürlichen Verstoß des

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

wird damit dem reformwilligen Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht wohl bewußt - die Tür für eine breit angelegte Strukturreform der Alterssicherungssysteme unter dem Blickwinkel des Systemtreueaspektes geöffnet allerdings unter Preisgabe stabilisierender Verläßlichkeitsfaktoren. Die Zurückdrängung des Systemwahrungstopos wird noch durch ein, in der Literatur häufig kritisiertes, „Binnendenken" des Bundesverfassungsgerichts unterstrichen 12 , das zu einer Reduktion der Systemgerechtigkeitsprüfung auf eine systemimmanente Gleichbehandlung unter Parzellierung auf kleine Subsysteme führt 1 3 . Letztlich bleibt von der Verläßlichkeit und Berechenbarkeit versprechenden Funktion des Systemkonsequenzgedankens nicht viel übrig, beschränkt sich dessen Bedeutung auf eine willkürausschließende Vernünftigkeitsprüfung bei Aus- oder Abbau eines Regelungskomplexes. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Systemargument zeichnet sich, wie die gesamte Gleichheitssatzjudikatur, durch das in die Zukunft blickende Bemühen aus, den demokratischen Handlungsorganen des Staates möglichst keine neuen Wege für Neugestaltungen im Sozialbereich, seien sie expansiver oder reduzierender Natur, zu verbauen. Durch eine nur lockere, im Rahmen des Willkürpostulats verbleibende Bindung an den Gedanken der Folgerichtigkeit stellen sich dem reformierenden Gesetzgeber nur niedrige verfassungsrechtliche Hürden entgegen. 4. Folgerungen für die Frage der Ablösung des bestehenden Sozialversicherungssystems durch alternative Modelle sozialer Sicherheit Aus der Zusammenschau der Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zu einer Verbürgungsfunktion des Sozialstaatsprinzips, der Zuständigkeitsvorschriften des Grundgesetzes und der Verpflichtung des Gesetzgebers zur Systemtreue ergibt sich für die zunächst gestellte Frage nach einer Garantie des Gesetzgebers gegen die von ihm selbst gesetzten Prämissen bewertet; Pitschas, ZRP 1979, 119 (122 ff), der u. a. wegen des Systemelements „Versorgungsäquivalenz" ein Abkoppeln der Leistungen an Hinterbliebene von den vorangegangenen Beiträgen des Versicherten für unzulässig hält (S. 125); H. Bogs, Staat der Gegenwart, S. 623; ders, RdA 1973,26 (33), wonach der Sozialgesetzgeber seinen verlautbarten Sozialplanungen die Treue halten muß; vgl. auch Degenhart, VSSR 1982, 229 (240 ff), der die Festschreibung der zwischen den Leistungserbringern und den Krankenkassen vereinbarten Leistungsentgelte über die vertraglich festgelegte Geltungsdauer hinaus durch das Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz v. 22.12.1981 als systemwidrigen Eingriff innerhalb der Schutzzonen von Art. 31,91, 12, 14 G G und des Rechtssicherheitsprinzips wertet. 12 BVerfGE 21, 239 (349, 352); 39, 169 (185); 40, 121 (139); 43, 13 (21); beim systemtranszendenten Vergleich stellt sich die Frage, ob und inwieweit traditionell unterschiedliche Versorgungssysteme „überhaupt" miteinander verglichen werden können, was vor allem ein Problem im Verhältnis von Beamtenversorgung und Sozialversicherung ist, s. dazu noch 3. Teil D IV. 13 Battis , aaO, S. 15; Degenhart, aaO, S. 15; Rupp, aaO, S. 383; Zacher, AöR, aaO, 351 ff, (361); Dürig, M D , Art. 3 I Rn 313a; Starck, Leibholz-Symp, S. 72f.

Α. I. Institutionelle Garantie des Systems sozialer Sicherheit?

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gegenwärtigen Sozialsystems in seiner strukturellen Gestaltung und seinem generell-qualitativen Niveau eine klare Antwort 1 : Das Verfassungsgericht erblickt im Grundgesetz keine Determination zugunsten eines bestimmten Modells sozialer Sicherheit und gestattet aus dieser Perspektive - die strikte Einbindung der gesetzlichen Gestaltungsfreiheit durch das personale Schutzmoment der Verfassung, vor allem der Grundrechte und des Vertrauensschutzprinzips, außer Acht gelassen - einen weiträumigen Um-, aber auch Abbau des Sozialsystems. Das Bundesverfassungsgericht verneint insbesondere konsequent eine institutionelle Gewährleistung des traditionellen deutschen Sozialversicherungssystems, obwohl bereits Art. 161 WRV sowie die Mehrzahl der deutschen Landesverfassungen und das SGB-AT das in der Sozialgesetzgebung im Laufe einer über 100jährigen Entwicklung gewachsene Bild einer auf Selbstbeteiligung und Selbstorganisation aufbauenden, genossenschaftlich struktuierten, nach elementaren Sicherungsbereichen gegliederten, sowie qualitativ umfassenden Sozialversicherung rezipiert haben. Damit wird dem Reformgesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, das vorhandene Sozialversicherungssystem durch alternative Sicherungsmodelle für die Wechselfälle des Lebens, wie sie u.a. von der Sozial-Enquete-Kommission la in ihrem Bericht erörtert worden sind, abzulösen. Der Übergang zu einer auch in der aktuellen sozialpolitischen Diskussion erörterten allgemeinen Staatsbürgerversorgung, finanziert aus Steuermitteln und einem gegenüber dem existierenden Sozialversicherungssystem erheblich reduzierten Leistungsstandard 2, erscheint nach dieser Rechtsprechung grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Ebensowenig wird eine allmähliche Harmonisierung der verschiedenen sozialen Sicherungssysteme durch das Grundgesetz blockiert, sieht man von dem kraft der Sondergewährleistung des Art. 33 V GG festgeschriebenen Beamtenversor1 Ebenso Stolleis, DJT-Thesen, These 4: Die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers wird weder durch eine geschlossene „Sozialverfassung" innerhalb des Grundgesetzes noch durch ein mit Verfassungsrang ausgestattetes Prinzip der „Systemgerechtigkeit" oder durch institutionelle Garantien der Sozialversicherung samt ihrer Selbstverwaltung eingeengt; ähnlich: Wannagat, Lehrbuch, S. 224 ff; ders., FS Jantz, S. 55 (61); ders., FS Fechner, S. 207 (220); H. Bogs, Staat der Gegenwart, S. 621; ders., RdA 1973, 26 (27); Zacher, Sozialpolitik im 1. Jahrzehnt, S. 778 ff, bes. S. 781. la Die Sozial-Enquete-Kom. unterscheidet 4 Grundmodelle sozialer Sicherung der Bürger, dazu Bericht Ziff. 325-402; die Empfehlungen der SV-Kom. Alterssicherungssysteme, S. 140 ff tragen keinen „systemsprengenden" Charakter. 2 Zur Unterscheidung zwischen dem gegenwärtig existierenden Sozialversicherungssystem und den Modellen einer allgemeinen Staatsbürgerversorgung s. Gitter, Sozialrecht S. 47 f; Wannagat, Lehrbuch, S. 225; Zacher, Sozialpolitik, S. 778 ff. Die FDP strebt eine Zweiteilung der Sozialversicherung an. Die Standardrisiken Krankheit, Alter, Unfall und Arbeitslosigkeit soll eine generelle staatliche Basissicherung abdecken, ergänzend soll eine zwangsweise Selbstvorsorge durch private Zusatzversicherungen hinzutreten s. FAZ v. 21. 2.1983, S. 2; Die „Grünen" wollen ein alternatives Rentenmodell, nach dem jeder Bürger über 60 Jahre einen Anspruch auf eine Mindestrente von 1.200 D M im Monat hat. Diese aus Steuermitteln finanzierte Grundrente soll durch eine beitragsfinanzierte Zusatzversicherung ergänzt werden; zitiert nach StZ v. 31.1.1984, S. 2; Stolleis, DJT-Thesen, These 19 schlägt für die Altersversorgung eine Grundrente aus Beiträgen und Steuermitteln (Bundeszuschuß) ergänzt durch eine voll beitragsfinanzierte Leistungsrente vor.

5 Schlenker

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

gungsmodell ab, das jedoch auch eine begrenzte Reformoffenheit besitzt (s. dazu noch 3. Teil D I I 1, IV). Das Modell einer Staatsbürgerversorgung, ggf. in Gestalt einer Grundversorgung der Bevölkerung für die elementaren Daseinssicherungsfelder in Verbindung mit obligatorischen oder freiwilligen Formen öffentlich-rechtlicher oder privater Zusatzversicherungen, kann sich auf variantenreiche Vorbilder im internationalen Raum, vor allem in Skandinavien, Großbritannien oder den USA berufen. Die deutsche Pflichtversicherung für Handwerker lehnt sich ebenfalls an ein 2-Stufen-Modell sozialer Sicherung an 3 . In der Literatur ist die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Übergangs vom gegenwärtigen Sozialversicherungssystem auf ein Sicherungsmodell in Anlehnung an das Leitbild der Staatsbürgerversorgung umstritten. Nach wohl herrschender Lehre ist ein solcher Umbau der Sozialordnung grundsätzlich ausgeschlossen, was vor allem Ausfluß der Meinung ist, die aus dem Sozialstaatsprinzip und dem Zuständigkeitsgerüst des Grundgesetzes eine institutionelle Garantie der Sozialversicherung in ihrer traditionellen Form und Qualität ableitet 4 . Aufgrund der vor allem im AOK-Beschluß deutlich gewordenen Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bestehen unter dem Aspekt einer institutionellen Garantie auf der Grundlage des Sozialstaatsprinzips, der Zuständigkeitsnormen sowie des Systemkonsequenztopos keine prinzipiellen Hemmnisse gegen eine derartige „große" Sozialreform, die, das darf nicht übersehen werden, zu einer erheblichen Qualitätseinbuße des sozialen Sicherungssystems verglichen mit dem gegenwärtigen Sozialniveau führen könnte. Indirekte Hemmnisse gegen tiefere Einschnitte im Sozialstandard ergeben sich allerdings aus dem Individualschutzsystem der Verfassung, das jedenfalls abrupte Änderungen und radikale Kürzungen in einem Schritt verhindert. Bei „Altbetroffenen" mit „gegründeter" Sicherungserwartung müssen komplexe Übergangsregelungen mit schonenden Ausgleichsvorschriften eine weiche Überleitung bei einer generellen Absenkung des Sozialniveaus unter Wahrung des bisherigen Lebensstandards sicherstellen 5. Die Notwendigkeit eines gleitenden Überganges zu einem neuen Sozialmodell wird zumindest eine nicht unerhebliche Bremswirkung für die Umsetzung komplexer Reformvorhaben des Sozialgesetzgebers zeigen. 3 Das Handwerkerversicherungsgesetz von 1960 sieht eine bloße „Sockelversicherung" vor, die einer ergänzenden, freiwilligen Besserversicherung der selbstständigen Handwerker Raum läßt; nach BVerfGE 52, 264 (274 f) durfte der Gesetzgeber aufgrund der Eigenart des zu ordnenden Lebensbereichs wegen der breiten Gestaltungsbefugnis auf sozialem Gebiet eine derartige, vom allgemeinen Sozialversicherungssystem abweichende Basisversicherung einführen. 4 s. etwa: Sozial-Enquete-Kom, Ziff. 123; W. Bogs, DJT-Ref. 1960, G 13/14; ders, Rechtsprinzipien sozialer Sicherung, S. 4 f; Rohwer-Kahlmann, FS Lenz, S. 339 (363 ff); Heinze, DJT-Gutachten, S. 61 ff, bes. S. 63, 71; Rüfner JZ 1984, 80 (806).

5

s. ausführlich unten 3. Teil A I I I 3.

A . I . Institutionelle Garantie des Systems sozialer Sicherheit?

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5. Wenig Beachtung für die sozialstaatsfestigende Relevanz des SGB-AT und der sozialen Verbürgungen der Landesverfassungen Wendet man den Blick vom Grundgesetz ab und zieht die Verbürgungen der älteren Landesverfassungen über die soziale Ordnung im Staat sowie die allgemeinen Leitlinien des SGB-AT als einfachgesetzlicher, generalisierender Grundordung klassischer Gebiete des Sozialrechts mit in die verfassungsrechtliche Betrachtung ein, drängen sich Zweifel auf, ob strukturelle oder qualitative Änderungen des gegenwärtig bestehenden Sozialsystems tatsächlich in dem vom Bundesverfassungsgericht gezogenen sehr weiten Rahmen zulässig sind. a) Das stabilisierende

Selbstbindungselement des SGB-AT

So fehlt es bislang an einer ausreichenden Würdigung der sozialstaatsfestigenden und rückschrittseindämmenden Relevanz des SGB-AT. Dort haben die Elementarfelder sozialer Sicherung eine normative Auffächerung erfahren. Die gegenwärtige Gestalt der deutschen Sozialversicherung ist speziell in den „Gemeinsamen Vorschriften" im 4. Buch des SGB verankert. Es liegt nahe, in diesem Normkorsett nach Art eines einfachgesetzlichen Grundgesetzes des Sozialrechts eine gewisse, dem Systemkonsequenz- und Institutionengedanken verwandte, Selbstbindung des Gesetzgebers zu erblicken, die rückkoppelnd über die Verfassungsebene eine stabilisierende Kraft auf die gesetzlich niedergelegten Sozialstrukturen zeigt. Einige Literaturbeiträge 1 erblicken dementsprechend in den sozialen Grundsätzen des SGB-AT nicht bloß deskriptive Konkretisierungen der Sozialstaatsklausel, sondern auch richtungsweisende Determinanten für den Reformgesetzgeber. Als Schöpfer des SGB hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, was er als maßgebliches Destilat einer langjährigen Entwicklung und Erfahrung sozialer Gestaltung betrachtet und was daher als vor die Klammer der Detailregelungen des Sozialrechts gezogener „Wertungsschatz" im Sinne objektiv-rechtlicher Leitbilder auch für spätere Änderungen als „Befehl des Gesetzgebers an sich selbst" Relevanz haben soll. Die Wertungsvorgaben des allgemeinen Teils des Sozialrechts zielen als nachvollziehendes Resultat einer Entwicklungskette nicht auf evolutionäre Umformung, sondern haben in erster Linie bewahrenden Charakter im Sinne einer formellen und materiellen Plattform, die einen gehobenen Sozialstandard repräsentiert und fixiert 2 . 1 Vgl. Henke, ZSR 1976,434 (436,440); May dell DVBL 1976,1 (4); Haines, Soziale Rechte - ein Beitrag zur Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips, in: Das neue SGB 1972, S. 51 ff; Hauck-Haines, SGB-Kom., § 2, Rn 10; Gitter, FS Fechner, S. 223 (236); Schwerdtfeger, FS Wannagat, S. 543 (546 ff, 562 f); Rüfner, Einführung S. 24. 2 Schwerdtfeger, aaO, S. 548: SGB-AT als „geronnene Sozialpolitik".

5*

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Diese soziale Basis entfaltet gegenüber dem späteren Rücknahmegesetzgeber eine gewisse Bindungswirkung, die das Abbauermessen unter Umständen erheblich einschränken kann, obgleich das SGB in § 2 I 2 schon selbst einen Ausfüllungsvorbehalt 3 , aber eben auch eine begrenzte Ausfüllungspflicht, kennt 4 . Solange einzelne Grundsätze des SGB-AT durch das Parlament nicht wieder gänzlich beseitigt werden, was eine völlige Kursänderung in der Sozialpolitik voraussetzen würde, setzen diese positiven Wertungsvorgaben Zeichen für den rückholenden Gesetzgeber, die dessen Abbaufreiheit wesentlich einengen und einen breit angelegten Rückzug des Staates bei der Lösung sozialer Aufgaben verhindern können 5 . Während im Schrifttum diese Stabilisierungsfunktion des SGB wenigstens teilweise erkannt wird, fehlt es, bisher jedenfalls, an einer Rechtsprechung, die die Kontinuitätsrelevanz aufgrund des Selbstbindungsmoments im SGB-AT effektiviert. b) Die Sozialaufgaben in den Landesverfassungen, Sozialversicherungsartikel

insbesondere die

Stärkere Beachtung als das SGB-AT finden im Hinblick auf eine rückschrittseindämmende Verdichtung der Sozialstaatsklausel die Vorschriften der Landesverfassungen über wesentliche Institutionen und Sozialstandards. Wichtig ist hier vor allem die Auslegung der Sozialversicherungsartikel, die in den Verfassungen von Bayern (Art. 171), Bremen (Art. 57), Hessen (Art. 35), Rheinland-Pfalz (Art. 53), Saarland (Art. 46) und Berlin (Art. 14) enthalten sind. Zurückgehend auf Art. 161 WRV schreiben diese Landesverfassungen die Existenz eines im Niveau „ausreichenden" Sozialversicherungssystems vor, das 3 Der Maßgabevorbehalt der §§ 2 I, 31 SGB-AT soll, wenigstens für den Regelfall, judizielle, subjektive Individualrechte unmittelbar aus den allgemeinen Vorschriften des SGB-AT ausschließen, was freilich die objektiv-rechtliche Bedeutungsschicht nicht mindert; insofern besteht eine strukturelle Parallele zwischen den Rechten des SGB-AT und verfassungsrechtlich gewährleisteten sozialen Grundrechten, die ebenfalls unvollständigen, not-self-executing Charakter haben; s. Henke, aaO, S. 434 ff; Schwerdtfeger, aaO, S. 46 ff; Gitter, aaO, S. 235 f; Rüfner, aaO, S. 23. 4 vgl. § 1 I I SGB-AT: Das Recht des Sozialgesetzbuches soll auch dazu beitragen, daß die zur Erfüllung der in Abs. 1 genannten Aufgaben erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen; dazu Pitschas, VSSR 1977, 141 ff. 5 Als „auch" rückschrittshemmende Faktoren werden die sozialen Rechte des SGB begriffen bei Schwerdtfeger, aaO, S. 548 f: „Wie bei eingelösten sozialen Grundrechten geht es dabei um die Sicherung des Erreichten und um die Anpassung an sich verändernde tatsächliche Verhältnisse"; Henke, aaO, S. 441 : „... von den einmal formulierten Leitlinien und Zielvorstellungen gibt es kaum ein zurück"; w.Maydell, aaO, S. 4, der wegen des Maßgabevorbehalts in § 212 freilich nur eine geringe Determination auf den Gesetzgeber bei der Kürzung von Sozialleistungen anerkennt.

.I. Institutionelle Garantie des Systems sozialer Sicherheit?

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die Bürger vor den Wechselfallen des Lebens, wie Alter, Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Mutterschaft, Berufsunfahigkeit und Tod schützen soll 6 . Da die Väter der Landesverfassungen das bereits bestehende Sozialversichungssystem vor Augen hatten, wurde bereits im Verfassungstext ein gewisser materieller Sozialstandard, die Aufgliederung der überkommenen und typischen Sicherungssektoren der Sozialversicherung sowie deren organisatorische Bewältigung festgeschrieben. So verlangen Art. 57 Verf. Bremen, Art.35 Verf. Hessen, Art. 53 Verf. Rheinland-Pfalz, Art. 46 Verf. Saarland ausdrücklich eine das gesamte Volk verbindende Sozialversicherung, die eine „ausreichende" Versorgung der Mitglieder oder die „erforderliche" Unterstützung sicherstellt und organisationsmäßig auf dem Selbstverwaltungsprinzip aufbaut. In Anbetracht dieser im Verfassungstext gewährleisteten Vorschriften zur Struktur der Sozialversicherung haben einige Staatsgerichtshöfe konsequent diesen Normen die Bedeutung einer institutionellen Garantie für das bestehende Sozialversicherungssystem beigelegt. So hat der bayerische Verfassungsgerichtshof in einigen älteren Entscheidungen Art. 171 Verf. Bayern im Sinne einer institutionellen Garantie der Sozialversicherung interpretiert 7 . Eine Stellungnahme zur rechtlichen Relevanz der institutionellen Garantie und der damit bewirkten formellen und materiellen Verdichtung der Verfassungsdeterminierung zugunsten des sozialen Hauptnetzes findet sich in diesen Entscheidungen nicht 8 . Die Bestimmungen zur Sozialversicherung, aber auch jene Sozialdirektiven in den Landesverfassungen, die Leitsätze zu anderen sozialen Aufgaben des Staates enthalten, haben allerdings heute aufgrund des Vorrangs des Bundes-

6 Zu den Sozialversicherungsbestimmungen der Landesverfassungen s. Dersch, Art. „Die Sozialversicherung" in: Die Grundrechte, Band 3, Halbb.l, 1958, S. 517ff; im Text der Sozialversicherungsartikel der Verfassungen der ehemaligen Länder WürttembergBaden (Art. 24), Baden (Art. 42), Württemberg-Hohenzollern(Art. 89) ist eine „bewahrende" Komponente ausdrücklich festgeschrieben: Jeder durch Krankheit, Alter oder andere Ursachen unverschuldet in Not geratene Mensch hat Anspruch auf Schutz und Hilfe durch Staat und Gemeinde. Die Sozialversicherung ist zu erhalten (!), weiter auszubauen und in besonderen Notfallen durch staatliche Hilfen zu unterstützen; abgedr. in: Dennewitz, Die Verfassungen der modernen Staaten, 2. Band. 7 BayVerfGH v. 27. 4. 1951, 29. 1. 1954, 30. 9. 1959, 30. 9. 1960, abgedr. in: Giese/Schunck/Winkler, Art. 171 Verf. Bayern; ebenso Hessischer Staatsgerichtshof v. 27. 3.1953, in: Giese, aaO, Art. 35 Verf. Hessen, Nr. 1. Eine institutionelle Garantie erblicken in Art. 171 Verf. Bayern: Mang/Maunz/Mayer/Obermaier, Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, S. 110; Meder, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 171; Häberle, FS H. Huber, S. 211 (233). Weitere Nachweise bei K . Lange, Soziale Grundrechte, S. 49 (58). 8 Es ist zu vermuten, daß mit der Interpretation der Sozialversicherungsartikel der Landesverfassungen als „institutionelle Garantie" lediglich ein Gegensatz zum subjektiven Recht auf bestimmte Sozialleistungen ausgedrückt werden sollte, nicht jedoch eine Zementierung bestehender einfachgesetzlicher Strukturen beabsichtigt wurde. Die sozialen Verbürgungen der Landesverfassungen werden regelmäßig als n bloße", unverbindliche Programmsätze verstanden, s. etwa BayVerfGH v. 12.7.1962, DOV1963,146; s. auch Lange,aaO, S. 57 ff; Badura, Der Staat 1975, 17 (28).

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

rechts (Art. 31 GG) jedenfalls in einem formell-rechtlichen Sinn keine selbstständige Bedeutung mehr 9 . Da der Bund im Rahmen seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit die Materie Sozialversicherung detailliert und abschließend geregelt hat, ist das Landesverfassungrecht insoweit durch Bundesrecht überlagert 10 . Es bleibt aber die Frage, inwieweit die sozialen Gewährleistungen der Landesverfassungen die Staatszielbestimmung des grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzips über den Weg einer zusammenschauenden „gemeindeutschen" Verfassungsinterpretation „aufladen" können und den bestehenden sozialen Einrichtungen durch Zusammenlesen sozialstaatlicher Wertungen aus BundesGrundgesetz und Landesverfassungen Stabilität und Abbauresistenz zu verleihen vermögen 11 . M i t den Sozialvorschriften der Landesverfassungen dürfte unter dem Interpretationstopos „Einheit der Rechtsordnung" eine ähnliche Wertungsverdichtung der sozialrechtlich relevanten Komponenten des Grundgesetzes zu erzielen sein, wie dies bei den sozialen Rechten des SGB-AT festgestellt werden kann. Der dadurch bewirkte Stabilisierungseffekt trägt jedenfalls zu einer gewissen Rückschrittsresistenz zugunsten eines angemessenen Sozialstandards mit effizienten Institutionen bei und gewährleistet dadurch einen sozialen Mindeststandard, der auch vom rückholenden Bundesgesetzgeber zu beachten ist.

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Zur „Konkordanznorm" des Art. 142 GG, die nach herrschender Meinung objektivrechtliche Gewährleistungen nicht erfassen soll, s. BVerfGE 53,185 (195 ff); Hess.StGH NJW 1982, 1381 (Hess.Oberstufenreform); Maunz, M D , Art. 142, Rn 9 u. 14; Böckenförde I Gr awert, DÖV 1971, 119 (121); im Gegensatz zur herrschenden Meinung muß in Art. 142 eine Fortgeltungsanordnung für alle Verbürgerungen der Landesverfassungen, auch die sozialen Grundsätze, gesehen werden, da Art. 142 einen Mindeststandard gegenüber dem Bundesrecht sicherstellen will, auf Bundesebene aber ein Katalog sozialer Gewährleistungen fehlt. 10 Allg. Meinung: BVerfGE 1, 264 (281); BAG NJW 1980, 1642 (1646); Böckenförde ! Gr awert, aaO, S. 123; Lange, aaO, S. 60; Badura, aaO, S. 28; Beutler, JöR 1977, S. 1 (3, 35). 11 Vgl. zu einem „gemeindeutschen Verfassungsverständnis": Häberle, FS Huber, S. 211; ders, Wesensgehaltgarantie, S. 297, 408; ders, Leistungsstaat, S. 94: Soziale Grundrechte der Landesverfassungen als Formulierungshilfe leistungsstaatlicher Grundrechtsprobleme

Α. II. Das Grundgesetzgebot zu sozialer Aktivität

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IL Die Realisierung des Sozialstaatsgebots im Verständnis des Bundesverfassungsgerichts: Pflicht zu sozialer Aktivität 1. Verneinung eines „absoluten sozialen Rückschrittsverbots" als Teilkomponente des Sozialstaatsprinzips Der Sozialstaatssatz verbürgt in der Sicht des Bundesverfassungsgerichts, wie besonders die AOK-Entscheidung deutlich gemacht hat, die gegenwärtig bestehenden Strukturen und Organisationslinien des Systems sozialer Sicherheit nicht. Ebensowenig anerkennt das Gericht ein „soziales Rückschrittsverbot", welches als „wahrende" Teilkomponente des Sozialstaatsprinzips im Falle drohenden Abbaus gesetzlich verankerter sozialer Leistungs- und Schutzstandards eine Rücknahmesperre errichtet. In keinem Fall ist das Gebot des sozialen Rechtsstaats in Artikel 20 I, 28 I GG im Sinne einer Bestandsgarantie des erreichten oder eines sonstwie bestimmt definierten Niveaus materieller Sozialstaatlichkeit ausgelegt worden. Dies betrifft sowohl die primär objektivrechtliche Direktionsfunktion als auch eine mögliche subjektive Dimension als individueller Besitzstandsklausel1. In Konsequenz einer in der Tendenz restriktiven Sozialstaatsjudikatur 2 wird eine Auslegung vermieden, die dem Sozialstaatsgrundsatz eine „konservierende" Richtung gibt. Weder die Modalitäten der Leistungsgesetze noch die „Dichte" der sozialen Schutzgesetzgebung sollen im Sozialstaatsprinzip festgeschrieben sein. Es soll nicht als statisches oder ziffernmäßiges „Besitzstandswahrungsprinzip" mißverstanden werden 3 . Vor dem Hintergrund der expansiven Sozialstaatsentwicklung der letzten drei Jahrzehnte fehlte es freilich an einer tatsächlichen Herausforderung, die die Rechtsprechung gezwungen hätte, der Generalklausel des Sozialstaatsprinzips präzise und bestimmende Sozialgehalte „bewahrenden Charakters" abzugewinnen. In Anbetracht drohender Umdrehung des sozialen Prozesses aufgrund geänderter Rahmendaten ist eine Aufgabe der zurückhaltenden Interpretation 1 s. BSGE 15, 71 (76); 24, 285 (289):Dem Sozialstaatsprinzip kann eine Verpflichtung zur Besitzstandswahrung sozialer Rechte nicht entnommen werden. 2 Deutlich BVerfGE 59, 231 (263) - Rundfunkmitarbeiter -; 65,182 (193) - Sozialplanabfindung -: Wegen seiner Weite und Unbestimmtheit enthält das Sozialstaatsprinzip regelmäßig keine Handlungsanweisungen und ist deshalb richterlicher Inhaltsbestimmung weniger zugänglich als die Freiheitsgrundrechte des GG; ähnl.: SV-Kom. Staatszielbestimmungen, Rn 12, 29; Herzog, M D , Art. 20 V I I I Randnr. 18 ff; ScholzIPitschas, FS BSG, S. 628 f; Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 24, 32 f, 35 f; Martens, VVDSTRL 30, 7 (31); Isensee, FS Broermann, S. 365 (367, 371, 374); Degenhart, FS Scupin, 537 (539); Merten, VSSR 1980,101 (105); ders, Hdb.d.VerfR, S. 788; Starck, BVerfG und GG, S. 480 (519); ders, Leibholz-Symp, S. 51 (68). 3 s. aber SV Rupp- v. Brünneck, BVerfGE 32,129 (139 0, wo das Sozialstaatsprinzip im Sinne eines „wahrenden" Rechtsprinzips interpretiert wird.

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

des Sozialstaatsprinzips angezeigt, soll eine „degressive Abschreibung" der Normativität der Sozialstaatsklausel4 vor der Gefahrdungslage sozialer Rücknahmen verhindert werden. Im Schrifttum finden sich Vorschläge, die eine „Auffüllung" des Sozialstaatsprinzips durch ein auf Erhaltung des erreichten Sozialniveaus drängendes Beharrungselement 5 befürworten. Figuren wie ein „soziales Rückschrittsverb o t " 6 oder ein „Verbot ersatzloser Beseitigung" vorhandener Sozialstandards und Sozialeinrichtungen 7 sollen dem Sozialstaatsprinzip eine Richtung geben, die ihm eine Filterfunktion auch gegen Abbröckelungsvorgänge an der bestehenden Sozialgesetzgebung zuweisen. Soweit für die Kategorien des sozialen Rückschrittsverbots oder des Verbots ersatzloser Abschaffung überhaupt eine Begründung mitgeteilt ist, wird diese primär im Wechselbezüglichkeitsverhältnis von verfassungsnormativer Zielvorgabe „Sozialstaat" und dessen unterverfassungsrechtlichen Realisierungen gefunden. Dieses führe zu einer gewissen Festigung und Festlegung von „Sozialwerten", zu einem allmählichen Heranwachsen der einfach-rechtlichen „Erfüllungen" in die höherrangige Ebene des Verfassungsrechts. Dem Sozialstaatsprinzip oder speziellen sozialen Verbürgungen wachsen gleichsam „von unten her" Inhalte in Form sozialer Leistungs- und Schutzgesetze zu, die ihrerseits die Normativität der ausfüllungsbedürftigen Staatzielbestimmungen konkretisierend prägen 8 . Dieser Rückkoppelungsprozeß, aus dem 4

So Häberle, AöR 1982, 1 (7 Fn 13). Zur Vorstellung eines „Janus-Kopfes", einer situationsabhängigen Ambivalenz des Sozialstaatsprinzips mit aktiv-motorischem und erhaltend-rückschrittseindämmendem Charakter s. Lücke, AöR 1982, 15 (35, 46): Statisches Moment; Benda, ZIP 1981, 221 (222): Konservative Funktion des Sozialstaatsprinzips; Schwerdtfeger, FS Wannagat, S. 543 (548); Wege, Positives Recht und sozialer Wandel, S. 223: Stabilisierung des sozial Erreichten; Gerstenmaier, Sozialstaatsklausel, S. 66: Statisch-konservative Funktion; Stern, Ev. Staatslex., Sp. 2407: Bewahrende Natur; Zacher, Sozialpolitik im ersten Jahrzehnt, S. 710: Positver und negativer Schenkel des Sozialstaatsprinzips; MüllerVolbehr, ZRP 1984,262 (266): nicht nur gestalterisch-dynamische, sondern auch statischbewahrende Natur. 5

6 Zu einem „sozialen Rücksschrittsverbot" s. Ramm, Arbeitskampf und Gesellschaftsordnung nach dem GG, 1965, S. 158 f: Soziales Rückschrittsverbot, das einen sozialen Bestandsschutz verspricht, der die Aufhebung oder Verschlechterung gesetzgeberischer Maßnahmen, die zugunsten der sozial Schwächeren bestehen, ausschließt; Suhr, Der Staat 9 (1970), S. 67 (92); Pitschas, VSSR 1977, 141 (166); ders., VSSR 1978, 357 (377); Wege, aaO, S. 201; Häberle, Leistungsstaat, S. 111, Fn 292; ders., DÖV 1972, 729 (730 Fn 13); ders., AöR 1982,1 (7 Fn 13); ders., LVA-Mitt. S. 485; Grabbe, aaO, S. 66; Gromoll, aaO, S. 219 im Zusammenhang mit einem Privatisierungsverbot öffentl. Einrichtungen; Lenz, Die unbehagliche Nähe der Koalitionsgarantie zum Sozialstaat, S. 229: Verbot der sozialen Konterevolution; Hecklinger, aaO, S. 32 ff: Sperrklinkenwirkung kraft Sozialüberzeugung; Müller-Vohlbehr, ZRP 1984, 262 (266). 7 Von einem „Verbot ersatzloser Abschaffung" vorhandener Sozialeinrichtungen sprechen: Wannagat, Lehrbuch,S. 224; Bley, Sozialrecht, S. 41; Gerstenmaier, Sozialstaatsklausel, S. 67 ff; Benda, NJW 1979,1001 (1003); ders., ZIP 1981,221 (224); Böckenförde in: Soziale Grundrechte, S. 7 (12,14,16); Zacher, FS Ipsen, S. 201 (230); ders., VSSR 1976,1 (32); ders., Sozialpolitik im ersten Jahrzehnt, S.709 ff, 732; 778 ff: „Verbot unsozialen Handelns"; vgl. schon Huber, DÖV 1956, 202; Thieme, ZStaatsW 1957, 289 f.

.II. Das Grundgesetzgebot zu sozialer Aktivität

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soziale Rückschrittsverbote gewonnen werden, erklärt sich in erster Linie aus einem institutionellen Ansatz, der das Gegenseitigkeitsverhältnis von Verfassungsrecht und Gesetzesrecht flexibel-situativ über das Instrument der Abwägung auslotet und hieraus gegenwartsbezogene Gewährleistungen mit erhöhter Beständigkeit bzw. Rücknahmeresistenz gegenüber dem ändernden Gesetzgeber gewinnt 9 . M i t der Kategorie der institutionellen Garantie in ihrem klassisch statischen Verständnis ist diese Vorstellung nicht identisch, denn die auf C. Schmitt zurückgehende, auf einzelne Verfassungsgewährleistungen beschränkte Lehre der institutionellen Garantie bestimmt ihre Inhalte ausschließlich traditionsbezogen aus überlieferten Strukturen im Sinne einer Status-quo-Garantie, ohne diese in der Zeitachse zu „dynamisieren". Dementsprechend betonen einige Vertreter des sozialen Rückschrittsverbotes den Gegensatz zur Figur der institutionellen Garantie und heben die größere -Elastizität, den Zeitbezug und die Funktionsorientierung des sozialen Rücknahmeverbots hervor 10 , die sich besonders in der Zulässigkeit „funktionaler Sozialäquivalente" äußert, was in der Formel des Verbots „ersatzloser" Abschaffung bestehender Sozialstaatsverwirklichungen zum Ausdruck kommt. Der Begriff des sozialen Rückschrittsverbotes legt ein Verständnis als absoluter Bestandskategorie nahe, die keinerlei Kürzungen oder Streichungen im gegebenen Sozialniveau erlaubt. Bei näherer Betrachtung der Stellungnahmen zu einem sozialen Rückschrittsverbot oder einem Verbot ersatzloser Beseitigung läßt sich jedoch feststellen, daß die „Anwachsungen" des Sozialstaates immer relativ zu den sozio-ökonomischen Vorbedingungen und in Respektierung der demokratischen Wertungsprärogative des Gesetzgebers gesehen werden 11 , denn in der nur bedingten Fähigkeit des Gemeinwesens, 8 Vgl .Häberle, Leistungsstaat, S. 111; ders, FS Küchenhoff, S.456; Pitschas, VSSR 1977, 141 (166); Schwerdtfeger, FS Wannagat, S. 543 (548); Hesse, EuGRZ 1978, 427 (434); Böckenförde in: Soziale Grundrechte S. 7 (14): Einmal erfolgte Regelungen und Maßnahmen auf das soziale Ziel hin werden verfassungsrechtlich „unterfangen"; SchulzeFielitz, D V B L 1982, 328 (333 0; ders, JZ 1982, 798 (800): Begrenztes soziales Rückschrittsverbot als Ausdruck von „Selbstbindungen" des Gesetzgebers. 9 Zu diesem Ansatz s. allgem. Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 167 ff, 201 ff, 213 ff; Lerche, Übermaß, S. 99 ff, 240 ff; ders, Festgabe Maunz, S. 285ff; Degenhart, Systemgerechtigkeit, S. 81 ff; Ehmke, VVDSTRL 20 (1953), S. 53, (68 f); Göldner, Verfassungsprinzip, S. 88 ff; 126 ff; vgl. in diesem Zusammenhang die Warnung vor einer „Verfassung nach Gesetz" bei Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzesmäßigkeit der Verfassung, bes. S. 10 f, 52; ders. Der Staat 8 (1969), S. 273 (284 0; Degenhart, DOV 1981,477 (481); Wahl, Der Staat 20 (1981), S. 485 (499 ff); Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1533). 10 Suhr, aäO, S. 92: Eine Garantie der Grundstruktur des überlieferten Systems sozialer Sicherheit ist der offenen Staatszielbestimmung „Sozialstaat" nicht angemessen; Wege, aaO, S.201 : Fixierung des sozialrechtlichen Status-quo widerspricht nicht nur demokratischen Erwägungen, sondern ignoriert auch den geistigen und sozio-ökonomischen Wandel. 11 Suhr, aaO, S. 92: In jedem Fall muß die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers respektiert werden; Pitschas, VSSR 1977, 141 (166): Außerordentlich weiter Ermessens-

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Strukturerschütterungen nationaler wie internationaler Art zu überstehen, liegt die faktische Grenze des sozialen Rückschrittsverbotes. Unmögliches schuldet auch der Sozialstaat nicht 1 2 . Der die Ressourcenabhängigkeit und das demokratische Element berücksichtigende „Vorbehalt des Möglichen" stellt über das Abwägungsschema den erforderlichen Realitätsbezug der abbauhemmenden Teilschicht des Sozialstaatsprinzips her und läßt daher gegebenenfalls auch Anpassungen und Absenkungen des Sozialstandards zu. Anliegen der Kategorie des sozialen Rückschrittsverbotes bleibt aber die Abwehr von Abbaumaßnahmen, die nicht durch ein, das personale Sicherungsund Schutzmoment überragendes Gemeinwohlinteresse gerechtfertigt sind. Insofern statuiert es die Richtlinie eines „sozialen Schonungsgebots"13. Den normativen Gehalt des sozialen Rückschrittsverbots sieht Wege insofern darin, daß es eine Demontage des sozialstaatlich Erreichten nur als „ultima ratio" zulasse14. Die Vorstellung eines „sozialen Rückschrittsverbotes" bringt also den hohen Stellenwert sozialer Sicherung im Sozialstaat in Ansatz und verlangt dringliche, unausweichliche „öffentliche" Belange, wenn der Gesetzgeber rückholend in soziale Leistungs- und Schutznormengeflechte eingreift. In diesem Sinne besteht also immer nur ein „relatives" oder „begrenztes" soziales Rückschrittsverbot das eine Schonung der bestehenden Sozialregeln und Sozialleistungsgesetze auch bei sich verschlechternden Rahmenbedingungen intendiert. Die Rechtsprechung realisiert ein derartiges Verständnis einer rückschrittshemmenden Funktion des Sozialstaatsprinzips allerdings - noch - nicht, wenngleich die Judikatur zum eigentumsrechtlichen Bestands- und Vertrauensschutz subjektiver Rechtsstellungen des Sozialversicherungssystems Züge trägt, die dem eines „begrenzten" sozialen Rückschrittsverbotes nahekommen.

rahmen für den Gesetzgeber; Häberle, Leistungsstaat, S. 111: Konkretisierungen des Sozialstaatsprinzips können modifiziert, aber im Prinzip nicht mehr rückgängig gemacht werden; ders., JZ 1984, 345 (353 Fn 70): Keine organisationsrechtliche oder ziffernmäßige Status-quo-Garantie, dem Gesetzgeber bleibt Gestaltungsfreiheit; Zacher, FS Ipsen, aaO, S. 230; ders., ZStaatsW 1978,15 (24); ders., Sozialpolitik im 1. Jahrzehnt, S. 712 ff: Primat des Gesetzgebers über die Verteilung vorhandener Mittel; Böckenförde in: Soziale Grundrechte, S. 12, 14, 16; Müller-Volbehr, ZRP 1984, 262 (266 Q: Keine Sperrwirkung wegen des Vorbehalts des Möglichen. 12 So Wege, aaO, S. 201. 13 Von einem „sozialen Schonungsgebot" sprechen, allerdings im Zusammenhang mit rechtsstaatlichen Rückschrittsbarrieren: H. Bogs, RdA 1973, 26 (27, 33); Kloepfer, W D S T R L 40 (1981), 63 (85 0; ders., DÖV 1978, 225 (227, 230). 14 Wege, aaO, S. 201: Nur wenn tatsächlich alle dem Staate zur Verfügung stehenden Instrumente des Vermögens- und Einkommensausgleichs ausgeschöpft seien, könne bei „negativem Wirtschaftswachstum das sozial Erreichte infrage gestellt werden". 15 So Häberle, AöR 1982,1 (7 Fn 13); ders., L V A - M i t t , S. 485; Pitschas, VSSR 1978, 377.

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2. Mittelbare Festlegung eines sozialen Mindeststandards durch die Verpflichtung zu sozialer Aktivität Das Sozialstaatsprinzip bleibt in der restriktiven Auslegung durch die Rechtsprechung allerdings nicht völlig ohne rücknahmebremsende Relevanz für den Sozialgesetzgeber. Dies folgt mittelbar aus seinem Charakter als „motorischem Antriebsprinzip" für den sozialen Prozeß. Schon in einer der ersten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist das Bekenntnis des Grundgesetzes zum Sozialstaat als verbindliches Verfassungsgebot zu „sozialer Aktivität" begriffen worden 1 . Art und Inhalt der sozialen Aktivität sollen dem Gesetzgeber von der Verfassung aber nicht vorgegeben sein. Das Verfassungsgericht hat dies im Urteil zum Jugendwohlfahrtsgesetz auf die Formel gebracht, daß das Sozialstaatsprinzip nur das „Was", das Ziel, die gerechte Sozialordnung bestimme, das „Wie", die Wege zur Erreichung dieses Zieles dem Gesetzgeber aber offen lasse 2 . Die Schutzausstrahlung des Sozialstaatsprinzips zugunsten einer zeitangemessen guten Qualität der sozialen Sicherungssysteme bringt das Bundesverfassungsgericht nicht über eine spezifisch bestandswahrende Komponente zur Geltung. Das Gericht dürfte - einschlägiges Fallmaterial speziell zur Wirkung des Sozialstaatssatzes auf Rücknahmegesetze fehlt bisher - die krisenfesten Ausstattungsmerkmale des Sozialstaats in einer bestimmten Zeitepoche gegebenenfalls mittelbar aus der motorisch-dynamischen Zielsetzung des Sozialstaatsprinzips ableiten, die für alle soziale Intervention, soziale Daseinssicherung oder Existenzvorsorge verlangenden Lebensbereiche eine leistende oder gestaltende Tätigkeit des Staates auf „gutem" Niveau begehrt. Über die Aktivitätsformel kann „indirekt" ein rücknahmeresistenter sozialer Mindeststandard erschlossen werden, denn ein unbegrenzter, nicht situationsangemessener Abbau sozialer Leistungs- und Schutzgesetze kommt einer „ Vernachlässigung" der motorischen Zielsetzung des Sozialstaatsprinzips gleich 3. Ein Verstoß gegen das Gebot zeitangemessener sozialer Tätigkeit kann sowohl durch einen Nichtausbau des Sozialstaats bei entsprechenden Vorbedingungen und Bedarfslagen angezeigt sein, wie auch in der umgekehrten 1 BVerfGE 1,97 (105); ebenso: 41,126 (155); 43,213 (226); 53,164 (184); 59,231 (263); vgl. Bachof; VVDSTRL 12 (1953), 37 (40, 43). 2 BVerfGE 22,181 (204); ähnlich 53,164 (184); häufig formuliert das Gericht verkürzt, daß die „Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips im wesentlichen dem Gesetzgeber obliege", so z.B. BVerfGE 36, 73 (84); 59, 232 (263). 3 Ähnlich Böckenförde in: Soziale Grundrechte, S. 7 (14 f), der zugleich eine beschränkte Subjektivierung im Sinne von „ Vernachlässigungsabwehransprüchen" erwägt; Lücke, AöR 1982,15 (19,25,49,54 f); zur Vernachlässigung der Schutzpflicht aus Art. 2 I I s. BVerfGE 56, 54 (70 ff); ausführlich dazu unten Β 11.

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Konstellation eines rücksichtslosen, nicht durch wichtige Gemeinwohlbelange indizierten sozialen Rückschritts. Insofern ist es nur eine Frage des methodischen Konzepts, ob man mit einem Teil des Schrifttums eine eigene bewahrende Teilkomponente des Sozialstaatsprinzips anerkennt oder mittelbar aus der Aktivitätsdimension eine rückschrittshemmende Funktion gegen Vernachlässigung herleitet 4 . Inhaltlich dürften sich insofern unabhängig vom jeweiligen Blickwinkel übereinstimmende Ergebnisse erzielen lassen, deren Inhalt sich nach dem jeweiligen Verständnis für die „Verdichtung" des Sozialstaatsprinzips durch die vorhandenen Sozialgesetze bestimmt. Das Bundesverfassungsgericht scheut bisher auf der Basis seiner Aktivitätsjudikatur eine direkte Strapazierung des Sozialstaatsprinzips, wenn es um Korrekturen des Sozialgesetzgebers geht. Das Gericht will diese Staatszielbestimmung nicht als „kleine Münze" interpretieren, mittels deren einzelne Korrekturen der Gesetzgebung oder auch der Fachgerichtsrechtsprechung vollzogen werden 5 . Da bisher einschlägige Entscheidungen zu einer „abbaubremsenden" Funktion des Sozialstaatsprinzips fehlen, kann vermutet werden, daß das Gericht diesen Staatsfundamentalsatz als rückschrittshemmenden Faktor nur bei besonders tiefgreifenden, rigiden oder abrupten Rücknahmen, sei es im Bereich der Leistungsgesetzgebung, der Schutznormgeflechte oder sonstiger Sozialeinrichtungen zur Anwendung bringen wird. Weil drastische Formen sozialer Rückholung in der sozialpolitischen Entwicklung der Bundesrepublik bis heute, auch unter Berücksichtigung der Spargesetzgebung seit 1981, ausgeblieben sind, brauchte das Verfassungsgericht auf das Sozialstaatsprinzip nicht zurückgreifen, hat dies gewissermaßen für „schwere Fälle" auf Eis gelegt. Die dem Verfassungericht, aber auch den Instanzgerichten vorgelegten Abbaufalle konnten durchweg mit individualisierenden Bestands- und Vertrauensschutzerwägungen auf der Grundlage der grundrechtsorientierten Maßstäbe der Art. 14, 6 u. 33 V GG, dem Kontinuitätsgebot des Rechtsstaatsprinzips sowie Sachgerechtigkeitsbewertungen aus Art. 31 GG bewältigt werden. In allen Fällen wurde das Sozialstaatsprinzip als unmittelbarer Rückschrittsfilter nicht bemüht. Demgemäß haben die grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Kontrollinstrumente auf der Ebene des Schutzes subjektiver Sozialpositionen die wichtige Funktion sozialstaatsfestigender Faktoren übernommen, die der Sozialgesetzgebung derzeit entscheidend Verläßlichkeit, Stabilität und Rückschrittsresistenz verleihen. 4

Zweifel an der Vereinbarkeit des dynamischen Charakters des Sozialstaatsprinzips mit einer bewahrend-rückschrittseindämmenden Komponente äußern: Tomandl, Einbau, S. 42 f; ders., FS Wannagat, S. 637 f; J. P. Müller, Soziale Grundrechte in der Verfassung?, S. 190; ders., in: Soziale Grundrechte^. 61 (69); Degenhart, FS Scupin, S. 537 (541, 546); Scholz/Pitschas, FS BSG, S. 628, 650; Zacher, FS Ipsen, S. 207 (230, 257). 5 BVerfGE 36, 73 (84); 59, 231 (263); 59, 287 (301).

Α. II. Das Grundgesetzgebot zu sozialer Aktivität

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3. Betonung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Bereich der sozialen Ordnung Die Einwirkung des Sozialstaatsprinzips als festigendes Element für das erreichte Niveau sozialer Errungenschaften muß auch deshalb gering bleiben, weil das Bundesverfassungsgericht und die herrschende Lehre unter dem Aspekt demokratisch legitimierter Entscheidungsfreiheit dem Gesetzgeber gerade im Sozialbereich einen sehr großen Ermessensspielraum zubilligen. Die Prioritätensetzungsbefugnis der demokratisch gewählten Staatsorgane wird besonders betont, wenn es um die Ausgestaltung des sozial- und gesellschaftspolitischen Bereichs geht 1 . Vor allem hat das Verfassungsgericht nicht zu entscheiden, ob der Gesetzgeber in Verfolgung des Sozialgestaltungsauftrags die zweckmäßigste und sozialpolitisch vernünftigste Lösung für eine Sozialaufgabe gefunden hat 2 , was den vom Gewaltenteilungs- und Demokratiegrundsatz geforderten Respekt des Verfassungsgerichts vor dem Parlament, den „judicial self-restraint" ausdrückt 23 . Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt ein 2-Stufen-Modell sozialstaatlicher Bindung des Gesetzgebers zugrunde 3 . Ob Sozialleistungen erbracht oder sozialgestaltende Normen erlassen oder beibehalten werden müssen, richtet sich von Verfassungswegen nach der jeweils entsprechend den Zeitumständen zu bestimmenden Dichte der Pflicht zu sozialer Aktivität. Die Durchdringung der staatlichen Ordnung mit sozialen Leistungs- und Schutznormkomplexen ist von der Verfassungsebene insofern vorgezeichnet, als durch das Sozialstaatsprinzip eine „angemessen gute" Grundausstattung mit sozialen Regelungskomplexen für die aktuellen oder potentiellen Gefahrdungslagen menschlichen Daseins und den dadurch hervorgerufenen Bedarf an sozialer Sicherheit gefordert ist 4 , die jedenfalls in ihrer generellen Sicherungsfunktion nicht angetastet werden darf. A u f einer zweiten Stufe steht die Frage der näheren Ausgestaltung, der Qualität einer sozialen Ordnung 5 . 1 s. BVerfGE 17,1 (23); 17, 210 (216); 39, 316 (326); 44, 70 (89); 50, 290 (338); 53, 313 (326, 330); 59, 232 (263). 2 s. BVerfGE 51, 257 (268); 51, 295 (300); 53, 313 (330); 59, 287(300). 2a Zur Parallelproblematik einer „Economical-Question-Doktrin", die die verfassungsgerichtliche Zurückhaltung in Fragen der wirtschaftlichen Gestaltung anzeigen soll, s. Spanner, DÖV 1972,217; Lerche, Grundrechtsverständnis und Normenkontrolle, S. 49; Betonung der funktionellen Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit bei Hesse, FS H. Huber 1981, S. 261 (263 ff). 3 Deutlich BVerfGE 22,180 (204); 43,13 (19); 51,115 (124), 53,163 (184); 59,232 (263). 4 s. BVerfGE 45, 376 (387) -nasciturus-; dazu ausf. unten Β I I I la. 5 Entgegen der Zweistufenvorstellung des BVerfG läßt sich die Frage der generellen Erledigung einer Sozialaufgabe (ob) nicht vom Problem der näheren inhaltlichen Gestaltung (wie) der Sozialmechanismen trennen. Gerade in den zeitbezogenen Detailregelungen zeigt sich die Qualität eines sozialen Sicherungssystems und dementsprechend

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Das Sozialstaatsprinzip ist für die Frage der Art und Weise der Erfüllung einer Sozialaufgabe nach der Rechtsprechung offen, bietet kaum richtungsweisende Direktiven für den Gesetzgeber bei Eingriffen in das soziale Gefüge. Dazu heißt es im Urteil zur Altershöchstgrenze beim Bezug von Waisenrente 6: Zwar gehöre es zu den „selbstverständlichen" Pflichten des Sozialstaats, den hilfebedürftigen Bürgern die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu sichern und darüberhinaus zu bemühen, eine soziale Hilfe am jeweils vorhandenen Bedarf zu gewähren. Doch bestünden „vielfaltige Möglichkeiten, den gebotenen Schutz zu verwirklichen. Es liegt grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, den ihm geeignet erscheinenden Weg zu bestimmen, besonders zwischen den verschiedenen Formen finanzieller Hilfe für den Unterhalt und die Betreuung gebrechlicher Menschen zu wählen und entsprechend die Anspruchsberechtigung festzulegen. Ebenso hat er, ..., zu entscheiden, in welchem Umfang soziale Hilfe unter Berücksichtigung der vorhandenen Mittel und anderer gleichrangiger Staatsaufgaben gewährt werden kann und soll".

4. Das folgenorientierte Sozialstaatsverständnis des Bundesverfassungsgerichts und der „Vorbehalt des Möglichen" als Begrenzungsformel der sozialen Verpflichtung des Staates Die zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Höchstaltersgrenze für den Bezug von Waisenrente zeigt den „folgenorientierten" Ansatz des Gerichts, soweit es um die Festlegung konkreter Standards und Formen der Sozialgesetzgebung geht. Es soll eine zu starke Fesselung des Gesetzgebers durch gegensteuerndes, auf Einhaltung bestimmter Leistungen und Gestaltungselemente drängendes Verfassungsrecht vermieden werden, um unter veränderten sozioökonomischen Ausgangsbedingungen dem Parlament nicht die Entscheidungsfreiheit für eine angemessene Reaktion auf neue wirtschaftsund sozialpolitische Herausforderungen zu rauben. Der Staat müsse „handlungsfähig gegenüber dem unvermeidlichen oder politisch gezielt gewollten Wandel der Lebensverhältnisse" bleiben und daher befugt sein, die Rechtsordnung zu ändern, um eine sinnvolle Konjunktur-, Sozial-, Bildungs- und Gesellschaftspolitik betreiben zu können 1 . Die unabweisbaren Notwendigkeiten der Änderbarkeit und Anpassung des Rechts dürften durch die Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht einseitig eingeschränkt werden, sonst würde der dem Gesamtwohl verpflichtete knüpft die verfassungsrechtliche Wertung an den konkreten Einzelnormierungen an. Eine Ausgestaltungsstufe mit situationsunabhängigem, breitem „Erfüllungsermessen" des Gesetzgebers gibt es nicht. 6 BVerfGE 40, 121 (133). 1 So BVerfGE 63, 343 (357) -Rechtshilfevertrag-.

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demokratische Gesetzgeber in wichtigen Bereichen gegenüber den Einzelinteressen gelähmt und das Gesamtwohl schwerwiegend gefährdet 2. Die Folgen einer petriflzierenden Besitzstandswahrungs-Judikatur, einer zu konservierenden Auslegung des Sozialstaatsprinzips sowie der rechtsstaatlichen Verfassungsdeterminanten hat das Bundesverfassungsgericht deutlich vor Augen. Dem Gesetzgeber soll ein - durch das personale Sicherungsinteresse konkret rückschrittsbetroffener Bürger gegebenenfalls stärker begrenzter Rückzug von bestehenden Leistungshöhen und Modalitäten der Gesetzgebung prinzipiell offengehalten werden, wenn die ökonomische Basis des Sozialstaats schrumpft bzw. eine Veränderung sozialer Bedarfslagen oder eine mißbräuchliche Inanspruchnahme sozialer Leistungen Korrekturen, Anpassungen oder gar große Reformen verlangt 3 . In der Entscheidung vom 9. 2. 1982 billigt der 2. Senat dem Gesetzgeber ausdrücklich auch die Entscheidungsfreiheit zu „grobrastigen Gesamtmaßnahmen, wie sie bei Haushaltssanierungen unausweichlich sind" zu, maßgeblich eingeschränkt allerdings durch die Willkürgrenze des Gleichheitssatzes4. Das Bundesverfassungsgericht verwendet als Ausdruck seines folgenorientierten Sozialstaatsverständnisses im Zusammenhang mit der Kontrolle von Rückholmaßnahmen die Leitformel, daß die „Funktion und Leistungsfähigkeit des Systems sozialer Sicherheit im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern oder veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen" sei5. Aus diesem Topos gewinnt das Gericht bereichsspezifisch und einzelfallbezogen rücknahmelegitimierende Gründe, die dem personalen Bestandsinteresse der kürzungsbetroffenen Bürgergruppen gegenübergestellt werden. Die Funktions- und Leistungsfahigkeitsformel, die das Gericht im Rahmen seiner Abbaujudikatur im Sinne eines „generellen Rückschrittstopos" benützt, stellt eine Anwendungsform des allgemeinen leistungsstaatlichen „Vorbehalt des Möglichen" dar. Die Figur eines Vorbehalts des Möglichen hat das Bundesverfassungsgericht in seiner NC-Entscheidung vom 18. 7. 1972, zurückgehend auf Anregungen der Regensburger Staatsrechtslehrertagung, in seine Rechtsprechung eingeführt 6 . 2

So BVerfGE 63, 312 (331) -Beseitigung von Steuerfreiheiten. Teilaspekt des folgengesteuerten Verfassungsverständnisses ist eine „generationenorientierte" Dimension der Grundrechte, die eine in die Zukunft blickende Interpretation der Grundrechte in Bezug auf die Belastung künftiger Generationen mit Verpflichtungen von Vorgängergenerationen verlangt; s. Haberle, Wesensgehaltgarantie, S.382 ff; zur „Folgenverantwortung" des BVerfG s. Hesse, FS H. Huber 1981, S. 261 (269). 4 BVerfGE 60,16 (43): Dem BVerfG obliege größte Zurückhaltung, dem Gesetzgeber im Bereich darreichender Verwaltung über den Gleichheitsgrundsatz zu verwehren, einmal gewährte Leistungsarten und Leistungshöhen wieder ganz oder teilweise zurückzunehmen ; zu dieser Entscheidung noch unten 5. 5 BVerfGE 53, 257 (293); 58, 81 (110) 6 BVerfGE 33, 303 (333): Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann. Dies hat in erster Linie der 3

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Der Vorbehalt des Möglichen kennzeichnet die faktische Begrenztheit sozialstaatlicher Forderungen durch deren Abhängigkeit vom realen Leistungsvermögen des Staates, die Abbild der volkswirtschaftlichen Entwicklung ist, sowie dem Vorhandensein anderer wichtiger Staatsaufgaben und der dadurch notwendigen Prioritätensetzung durch die demokratisch legitimierten Organe. Es handelt sich um ein spezifisch verfassungsrechtliches Instrument 7 , das leistungsstaatlichen Forderungen abgeleitet aus dem Sozialstaatsprinzip, sozial interpretierten Freiheitsgrundrechten, dem Gleichheitssatz oder auch expliziten sozialen Verbürgungen Grenzen setzt. Diese Grenzen werden methodisch anhand der Stufungen des Übermaßverbotes ermittelt, die normbereichsspezifisch im Abwägungsmodell entfaltet und als Optimierungsaufgabe zunächst an den Gesetzgeber weitergegeben werden 8 . Gegebenenfalls kommt der dritten Gewalt eine, durch das demokratische Element allerdings eingeschränkte, Kontrollbefugnis über die konkreten Abschichtungsvorgänge zu. Die Figur des Vorbehalts des Möglichen, die auch im Schrifttum 9 Anerkennung gefunden hat, vereint zwei Wesenskomponenten einer sozialen Demokratie: Sie stellt auf die immer vorhandene Ressourcenabhängigkeit und Knappheit der Mittel ab und schraubt damit die Wünsche und Erwartungen der Sozialbürger auf ein verträgliches Maß zurück, das auch andere Staatsaufgaben und die Bedürfnisse anderer Grundrechtsträger berücksichtigt 10 . Den Gedanken des „in - einem - Boot - sitzen", der Relativität sozialer Erwartungen hat das Bundesverfassungsgericht in seiner NC-Entscheidung besonders hervorgehoben. Er kann letztlich auf das Gesellschaftsvertragsmodell im Sinne einer gegenseitigen Rechte- und Pflichteneinbindung der Sozialbürger zurückgeführt werden 11 . Der Vorbehalt des Möglichen trägt mit dieser gesellschaftlichen Gesamtsichtsfunktion und Situationsrelevanz zugleich dem demokratischen Element Gesetzgeber in eigener Verantwortung zu beurteilen, der bei seiner Haushaltswirtschaft auch andere Gemeinschaftsbelange zu berücksichtigen und nach der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 109 I I GG den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen hat, s. Häberle, Leistungsstaat, S. 65, 113; ders., DÖV 1972, 731 (733). 7 Ausdrückliche Leistungsfahigkeitsvorbehalte finden sich auf einfachgesetzlicher Ebene in Bezug auf die Errichtung und Erhaltung kommunaler Versorgungseinrichtungen (z. B. § 10 I I GO BaWü) und im SGB-AT (§§2 12, 31). 8 Vgl. die Darstellung dieses Konzepts für das „Verfassungsrecht auf Gesundheit" bei Seewald, VerfR auf Gesundheit, S. 235 ff; ders., Gesundheit als Grundrecht, S. 24. 9 S. etwa Ipsen, FS Zweigert, S. 747 (756); Scholz, Rezessionsge sellschaft, S. 33, 35 ; ScholzjPitschas, FS BSG, S. 627 (668); Isensee, Der Staat 1980, S. 367 (381); Hesse, EuGRZ 1978,427 (424); Böckenförde, Soziale Grundrechte, S. 13; Grimm, Grundrechte u. soziale Wirklichkeit, S. 39 (71); F. Müller, Leistungrechte, S. 128, 161; Starch , D V B L 1978, 937 (940); ders., BVerfG u.GG, S. 480 (518). 10 Vgl. Dürig, JZ 1953, 193 (196 f)> der von der politisch-demokratischen und ökonomisch-demokratischen Gemeinwohlverantwortlichkeit des einzelnen in der sozialen Demokratie spricht. 11 Zum Vertragsgedanken im Staatsrecht s. Häberle, Verfassungsgerichtsbarkeit als politische Kraft, in: Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 427 (438 ff); ders., Zeit und Verfassungskultur, S. 336.

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des Grundgesetzstaates Rechnung, indem dem Parlament der Vorrang bei der Festlegung von Ausgabenprioritäten eingeräumt und insofern sein Budgetrecht respektiert wird. Im Sinne eines Konkretisierungsvorbehalts wird damit auch der primär objektiv-rechtliche, not-self-executing-Charakter des Sozialstaatsgrundsatzes bzw. sozialer Grundrechte umschrieben, die im Regelfall ohne speziellen gesetzlichen Umsetzungsakt mangelnde Vollziehbarkeit und damit korrelierend die fehlende Einklagbarkeit 12 . Der Vorbehalt des Möglichen war zunächst als Begrenzungsformel für neue sozialpolitische Forderungen entwickelt worden. Bei der Rücknahme sozialer Leistungen nimmt der Möglichkeitsvorbehalt das Gewand des maßgeblichen Gemeinwohltatbestandes an 1 3 , der sozialen Rückschritt nach Maßgabe einer Abwägung mit den Beharrungsbelangen Betroffener rechtfertigen kann. Der generelle leistungsstaatliche Möglichkeitsvorbehalt verwandelt sich bei rücknehmenden Akten des Gesetzgebers in ein die soziale Sicherungserwartung der Bürger rechtlich begrenzendes Element, das die solidarische Gebundenheit des Sozialbürgers und damit eine „soziale Grundpflicht" sichtbar macht 1 4 . Die Funktions- und Leistungsfahigkeitsformel, die das BVerfG im Rahmen der Rechtsprechung zu verschlechternden Eingriffen im Bereich der Sozialversicherung verwendet, ist also eine allgemeine, durch einzelfallbezogene Wertung ausfüllungsbedürftige Rückschrittsklausel, die den faktischen Möglichkeitsvorbehalt bei Erosionen der Sozialgesetzgebung verwirklicht. Eine Wider rufsautomatik, die einen Abbau von Leistungsstandards bei schrumpfenden Mitteln ohne spezifisches Rückholgesetz allein aus Haushaltsgesichtspunkten zuließe, wird durch die Formel des Möglichkeitsvorbehalts aber keinesfalls institutionalisiert. In Richtung einer automatischen Rückholermächtigung bei Sozialleistungsgesetzen weisende Vorschläge Kirchhofs 15 sind nicht bloß politisch verfänglich, 12 S. v. Mutius, Verwaltungsarchiv 1973, 183 (191); Martens, W D S T R L 30, 7 (30 f); Böckenförde, Soziale Grundrechte, S. 13. 13 S.Häberle, DÖV 1972, 735 Fn 58, der den Vorbehalt des Möglichen im Sinne eines „Instruments sowohl zur Begrenzung der klassischen Stoßrichtung von Grundrechten als auch ihres um die Teilhabeseite erweiterten Gehalts" begreift; ders., Rechtstheorie 1983, 257 (274). 14 S. BVerfGE 4, 7 (15); 33, 303 (334): Der einzelne muß sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des allgemein Zumutbaren vorsieht, vorausgesetzt, daß dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt; Zur „Grundpflichtendiskussion" s. Ref. v. Götz u. Hofmann in W D S T R L 41 (1983), S. 7 ff, 42 ff; Häberle, Zeit und Verfassungskultur, S. 332, 338; ders., Wesensgehaltgarantie, S. 402 mit Fn 367; Bethge, NJW 1982, 2145. 15 Kirchhof JZ 1982,305 (306); NVwZ 1983,507 (511); einschränkend im Hinblick auf Anspüche zur Sicherung des Existenzminimums und solche, die durch eigene Arbeit

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sondern schlicht verfassungwidrig 16. Ein grundgesetzfreies Abbaubelieben des in Bedrängnis geratenen Leistungsstaates unter finanziellem Aspekt gibt es nicht. Gerade der kürzende oder streichende Staat ist strikt an die formellen und materiellen Vorgaben des Grundgesetzes gebunden, die die Erhaltung eines zeitangemessen guten Niveaus der Systeme sozialer Sicherung verlangen und in der individuellen Dimension das konkrete Kontinuitäts- und Bestandsschutzinteresse betroffener Bürger in Ansatz bringen 17 . Eine Befreiung des Rückholstaates von seinen „Rücksschrittsgerechtigkeit" verwirklichenden verfassungsrechtlichen Abbaudirektiven über die Figur des Vorbehalts des Möglichen ist nicht denkbar und wird vom Bundesverfassungericht auch nicht in dieser Weise praktiziert. Diese Formel weist vielmehr den Gesetzgeber auf eine im Einzelfall abwägende Betrachtung, welche die Anforderungen der Zeit , die eben auch in einer gesunkenen Leistungsfähigkeit des Staatshaushalts bzw. der Sozialversicherungsträger Ausdruck finden können, mit dem grundgesetzlich garantierten Anspruch auf ein realitätsgerechtes und verläßliches soziales Netz zu harmonisieren hat. Einschnitte im Sozialsektor sind daher immer im Wege spezieller, demokratisch legitimierter Abbaugesetze, welche einzelfallbezogen an ein bestehendes Sozialgesetz anknüpfen, zu vollziehen, die sich ihrerseits an den grundgesetzlichen Rückschrittsdirektiven und den dadurch gesetzten Gestaltungsrahmen messen lassen müssen 18 .

verdient sind, in: Disk.-Beitrag VVDSTRL 42, S. 288; zustimmend Schuppert, VVDSTRL 42, 216 (254). 16 So zu Recht H off mann-Riem, Disk.-Beitrag VVDSTRL 42, S. 285-287. 17 Ob Kirchhof tatsächlich eine völlige Lösung des Rücknahmegesetzgebers von sozialstaatlichen Erhaltungsbelangen anstrebt, ist unklar; seine Ausführungen dürften jedenfalls dahin zu verstehen sein, daß über Vorbehaltsklauseln in Leistungsgesetzen eine engere Kopplung zwischen den finanziellen Vorbedingungen und den Leistungsstandards von Sozialgesetzen erzielt wird, die spezielle Rücknahmegesetze überflüssig macht; vgl. Kirchhof Disk.-Beitrag, aaO, S. 288: Es sei ein „Vorbehalt des Finanzierbaren anzuerkennen, der das Leistungsrecht in den Binnenbereich der Finanzplanung einbindet und den Bestand der Leistungsplanung von ihrer finanziellen Grundlage - der Haushaltsplanung - abhängig macht". Im übrigen übersieht Kirchhof offenbar die Möglichkeit, Haushaltsmittel zu verlagern und damit Gelder ζ. B. aus dem Verkehrshaushalt zugunsten stabiler und verläßlicher Sozialleistungen einzusetzen! 18 So zu Recht Hoffmann-Riem, aaO, der eine Steuerung des sozialen Leistungsstaates ausschließlich durch den Haushaltsplan und die Finanzexekutive ohne ausdrückliche Änderung der jeweiligen Sozialleistungsgesetze in einem parlametarischen Verfahren für verfassungswidrig hält (S. 287); ähnl. F. Müller, Leistungsrechte, S. 160 f.

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5. Verteilungsgerechtigkeit am Maßstab des „Art. 3 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip" Die Sozialrechtsjudikatur hatte sich in der wirtschaftlichen Expansionsphase kaum mit verschlechternden Eingriffen oder gar großflächigen und strukturverändernden Abbauprojekten des Sozialgesetzgebers zu beschäftigen. Korrigierende Einwirkung von der Verfassungsebene auf den sozialen Prozeß war nur dort angezeigt, wo die Austeilung neuer Sozialleistungen nicht sozial ausgewogen erschien, etwa einzelne Bevölkerungsgruppen nicht oder nicht ausreichend bei einer sozialen Besserstellung berücksichtigt worden waren 1 . Derartige Verteilungsprobleme konnten und können von der Rechtsprechung durchweg über den sozialstaatlich interpretierten Gleichheitssatz gelöst werden 2 , der zugleich „verfahrensrechtliches Einfallstor" sich benachteiligt fühlender Bürger für die Rüge einer Verletzung des Rechts auf soziale Sicherheit darstellt 3 . Die häufig mit der Formel „Art. 3 I i.V. mit dem Sozialstaatsprinzip" normativ umschriebenen Anforderungen sozialer Gerechtigkeit begehren insofern eine sachgerechte Abgrenzung des Kreises der Empfanger staatlicher Leistungen und eine Berücksichtigung aller ins Gewicht fallenden Personengruppen, die bei einer funktionellen Gesamtbetrachtung einer Sozialaufgabe schutzbedürftig erscheinen 4. Die Rechtsprechung gesteht dem Gesetzgeber bei der Bewältigung „des Verteilungsgerechtigkeitsproblems" eine sehr weite Gestaltungsbefugnis zu, die nach bisher herrschender Meinung wegen des „Gewährungscharakters" sozialer Austeilungen tendenziell größer sein soll als bei der eingreifenden Tätigkeit des Staates5. Diese Rechtsprechung stößt zunehmend auf K r i t i k 6 . 1 S. BVerfGE 44,283 (287): Grundsätzlich obliegt dem Gesetzgeber die Entscheidung, ob , in welchem Umfang und wann er eine Verbesserung (!) gesetzlicher Sozialleistungen gewähren will. 2 Zu einem „materiellen" Verständnis des Gleichheitssatzes s. Zacher, AöR 93 (1968), S. 341 (360 ff); Häberle, Leistungsstaat, S. 90 ff, 120; ders., Disk.-Beitrag, Leibholz-Symp., S. 84, 105; J. P. Müller, Soziale Grundrechte in der Verfassung?, S. 220 ff; Hesse, Disk.Beitrag, Leibholz-Symp., S. 78; Rupp-v. Brünneck, SV,BVerfGE 36, 247 (248); Katzenstein, SV, BVerfGE 62,256 (289 f): Da es um den Schutz der Arbeitnehmer gehe, dürfe der Gleichheitssatz nicht nur restriktiv mit einem auf das Willkürverbot reduzierten Verständnis angewendet werden; eine enge, formell-rechtsstaatliche Interpretation des Gleichheitssatzes im Zusammenhang mit Rücknahmegesetzen befürworten u.a. Starck, Leibholz-Symp., S. 57, 63, 67 ff; Isensee, FS Broermann, S. 365 (367). 3 Zur „Subjektivierung" des Sozialstaatsprinzips über Art. 21 u. 31 GG s. W. Schmidt, Der Staat, 1981, Beiheft 5, S. 9 (13, 18 f, 22 04 S. etwa BVerfGE 38, 187 (197); 39, 316 (326); 40, 121 (134); 42, 176 (188); 44, 283 (287); 45, 376 (387); 55, 100 (112); zur BVerfG-Rechtsprechung zu Art. 3 s. noch: Wand/Rüfner, VSSR 1974, 52 (58-61, 81-89); Rupp, BVerfG u. GG, S. 346 ff; Bley, SGb 1974,321 (325 ff); Katzenstein, VSSR 1982,167, (177 ff); zur Rechtsprechung am Maßstab des „Art. 31 i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip" s. Wilke/Schachel, VSSR 1978,271 (383 ff); Scholz/Pitschas, FS BSG, S. 627 (634, 638f). 5 S. BVerfGE 17,210 (216); 29, 51 (56); 36,230 (235); 44, 70 (91); 49, 280 (283); 60,16 (42); s.auch BVerwG NJW 1983, 1651; BayVerfGH NVwZ 1984, 97 (98); aus dem Schrifttum Martens, W D S T R L 30, 7 (22); Rüfner, SGb 1984, 147.

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I m Rahmen rückholender Beschneidungen des Sozialgesetzgebers verwischen dabei die Grenzen zwischen darreichendem und eingreifendem Engagement des Staates, da Sozialleistungen funktionell zwar gewährender Natur sind, ihre Rücknahme aber die Wirkung eines Eingriffsaktes des Gesetzgebers in die Bürgersphäre hat. Der Topos erweiterter Entscheidungsfreiheit bei Sozialgesetzen dürfte jedenfalls schon wegen dieses „Belastungseffekts" für sozial abbauende Maßnahmen nicht anwendbar sein. Unter den Gesichtspunkten unumgänglicher und sachgebotener Typisierung, Generalisierung und Praktikabilität 7 wird in der Sozialrechtsjudikatur der Maßstab der Verteilungsgerechtigkeit erheblich gelockert, was im Ergebnis zur Tolerierung „kleiner Ungerechtigkeiten" führt. Weitere Differenzierungskriterien konkretisieren die Willkürgrenzen aus Art. 3 I GG im Sinne des Maßstabs sozialer Gerechtigkeit 8 ' 9 . 6. „Rückschrittsgerechtigkeit" auf dem Boden des Willkürdogmas, insbesondere BVerfGE 60, 16 und die Perspektive der Erhaltung eines Zustandes „sozialer Gleichheit" Das Verteilungsermessen des Gesetzgebers wird durch das aus dem Sozialstaatsprinzip und dem Gleichheitssatz abgeleitete Sozialgerechtigkeitspostulat nur in relativ weiten Grenzen gebunden. Dies mag in der Phase expansiver Sozialtätigkeit verständlich und hinnehmbar erscheinen. I m Rahmen von Leistungskürzungen in Anbetracht schrumpfender Finanzierungsquellen erhält das Gleichheitspostulat eine spiegelbildliche Bedeutung. Es geht nicht mehr darum, ob anläßlich einer Begünstigung eine Gruppe gegenüber einer vergleichbaren anderen übergangen wird, sondern darum, ob kürzungsbetroffene Sozialleistungsempfanger gegenüber anderen, denen keine oder nur geringere Leistungseinbußen zugemutet werden, in gleichheitswidriger Weise benachteiligt werden. 6 Andeutungen für eine Aufgabe dieser Rechtsprechung in BVerfGE 61,138 (147); vgl. SV, Rupp-v. Brünneck, BVerfGE 36,237 (250); H. H. Rupp, BVerfG u. GG, S. 372 f, 387 f; Katzenstein, VSSR 1982, 167 (185); Hesse, Disk.-Beitrag, Leibholz-Symp., S. 77. 7 S. etwa BVerfGE 17,1 (23); 26,265 (275); 39, 316 (326); 40,141 (136); 43,108 (124); 44,283 (288); 58; 68 (79); 63,255 (262); einschränkend: BVerfGE 40,65 (82); 42,176 (188); 60,16 (51); 60,68 (78): Gesichtspunkte der Verwaltungspraktikabilität können im Bereich sozialer Leistungen nur in engen Grenzen Ungleichheiten rechtfertigen; vgl. H.H. Rupp&aO, S. 378 f; Katzenstein, aaO, S. 181; Zacher, aaO, S. 377 ff; Benda, ZIP 1981,221 (224, 227); Scholz / Pitschas, FS BSG, S. 627 (662 0; Rüfner, SGb 1984, 147. 8 S. BVerfGE 49, 142 (208): Niemand kann allein daraus, daß einer Gruppe aus besonderem Anlaß besondere Vergünstigungen zugestanden werden, für sich ein verfassungsrechtliches Gebot herleiten, genau dieselben Vorteile in Anspruch nehmen zu dürfen. 9 Die „Lastendimension" im Sozialstaat wird durch den im Gleichheitssatz verwurzelten Topos der „Lastengleichheit" bzw. „Beitragsgerechtigkeit" strukturiert, der eine „sozial ausgewogene" Belastung der Bürger mit Steuern und Sozialabgaben verlangt; s. dazu Pitschas, VSSR 1977, 357 (382 f); Isensee, Rolle des Beitags, 1980; ders., FS Broermann, S. 365 (385 f); Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 30f.

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Nach der bisherigen Rechtsprechungstendenz kann nicht erwartet werden, daß bei Rücknahmegesetzen die dem Gesetzgeber von der Verfassungsebene angelegten Zügel unter einem Topos der „Rückschrittsgerechtigkeit" kürzer gefaßt werden. Das Bundesverfassungsgericht und das Bundessozialgericht geben dem vor allem durch den Gleichheitssatz determinierten Maßstab sozialer Gerechtigkeit keine Richtung, die eine Relevanz als spezifischem „Rückschrittsfilter" mit abbauhemmender, stabilisierender Wirkung auf den sozialen Prozeß erkennen lassen könnte 1 . Es geht dabei nicht um die Sicherstellung einer „Übergangsgerechtigkeit", welche die Folgen des Bruches zwischen „besserem" alten und „schlechterem" neuen Recht abmildert 2 . Das Gebot einer schonenden Abfederung der unumgänglichen Vorher/Nachher-Ungleichheit ist in erster Linie Konsequenz grundrechtlicher bzw. rechtsstaatlicher Kontinuitätserwägungen zum Bestandsschutz erworbener Sozialpositionen. Vielmehr stellt sich die Frage nach im Gleichheitssatz wurzelnden Grenzziehungen, die eine Absenkung des erreichten Sozialstandards verhindern oder jedenfalls abbremsen können. Das Bundesverfassungsgericht (2. Senat) hat in einigen neueren Entscheidungen zwar festgestellt, daß der Gleichheitssatz sich nicht nur bei der Vergabe von Überfluß, sondern gerade auch in Zeiten der Verknappung der dem Staat zur Verfügung stehenden Mittel,die ihn zur „Verwaltung von Mangel" zwinge, bewähren müsse3. Das Gericht drängt diesen potentiell rückschrittshemmenden Gedanken jedoch sogleich wieder in die Bahnen des Willkürdogmas zurück. Dazu heißt es im Beschluß vom 9. 2. 1982 4 : Vor Art. 3 I reiche jeder nicht völlig unvernünftige Grund, zumal aber ein Zwang zur Sanierung der Staatsfinanzen, aus, um normativ eröffnete Aussichten durch Gesetz beschneiden oder beseitigen zu dürfen. Dem Bundesverfassungsgericht obliege größte Zurückhaltung, dem Gesetzgeber im Bereich darreichender Verwaltung über den Gleichheitsgrundsatz zu verwehren, 1 BVerfGE 63, 152 (166 ff); 59, 36 (51); 60, 113 (119); ebenso Rüfner SGb 1984, 147 (150). 2 s. Dürig, Zeit und Rechtsgleichheit, S. 24; ders., M D , Art 3 I Rn 200 f: Jede Rechtsänderung bedeutet Rechtsungleichheit in der zeitlichen Dimension; da die Ungleichbehandlung im Zeitpunkt der Rechtsänderung (vgl. Stichtagsproblematik, dazu insb. Kloepfer, DÖV 1978, 225 (229)) wesenstypisch ist, kann der Bruch im bisherigen Rechtszustand alleine keinen Verstoß gegen Art. 3 I bedeuten; der Gleichheitssatz kann Gesetzesänderungen als solche nicht verhindern wollen; vgl. Kloepfer, aaO, S. 227; Preuß, JA 1977, 265 (270);. Götz, BVerfG u. GG, S. 421 (439); Pieroth, S. 146,158; zur Notwendigkeit von Ubergangsrecht s. unten 3. Teil A I I I 3. 3 So BVerfGE 60,16 (43); 61, 43 (63); 64,158 (169); zu allgemeinen Gesichtspunkten der „Verwaltung von Mangel" s. W. Berg, Der Staat 1976, 1. 4 So BVerfGE 60, 16 (39, 42 f).

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einmal gewährte Leistungsarten oder Leistungshöhen wieder ganz oder teilweise zurückzunehmen, wenn anders nicht der Gleichheitssatz zur offenen Flanke der Gesellschaftsordnung werden solle. Zwar betraf diese Entscheidung eine eher periphere, nach Ansicht des Gerichts „noch nicht rechtlich verdichtete" Position des sozialen Netzes, nämlich den Ausschluß einer rückwirkenden Gewährung von Härteausgleichszahlungen nach § 89 I I I BVG wegen langer Bearbeitungsdauer 5, doch hält der zweite Senat6 die Diktion des Beschlusses so allgemein und formuliert so eindringlich, daß der Entscheidung wohl Signalcharakter für die Bewältigung des Problemkreises „Sozialstaat im Rückschritt" wenigstens unter dem Aspekt der Anforderungen von „Art. 3 I in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip" zugewiesen werden muß. Dies unterstreicht die weitere Bemerkung 7 , wonach der Betroffene durch die Beschneidung von Sozialleistungen nur wieder in jenen Zustand allgemeiner Gleichheit zurückversetzt werde, der darin besteht, daß jedermann grundsätzlich die Risiken seines Schicksals zu tragen hat - die Kehrseite der Freiheit zur Entfaltung der Person des Art. 2 Abs. I GG. M i t diesem verhängnisvollen Satz wird ein Stück auf dem Sozialstaatsprinzip aufbauender Verfassungsentwicklung ignoriert, die zu jenem „positiven" Staatsverständnis geführt hat, das eben nicht mehr die sozialen Gegebenheiten in materieller und ideeller Hinsicht übergeht, sondern das Förderung, Schutz und Hilfe für bedürftige Bürger zu seinen Hauptanliegen zählt. Die Auffassung des 2. Senats zum Verhältnis von Art. 21 GG zu Art. 3 I GG führt dazu, daß der „Hauptwert" der Gleichheit einer ausschließlich formalen Betrachtung der „Rechtsgleichheit" geopfert wird, die der „natürlichen Freiheit des Schicksals", und sei sie noch so ungleich und ungerecht, untergeordnet ist 8 . Sozialabbau stellt sich unter diesem Blickwinkel als bloße Rückführung eines gleichsam „künstlich" gewährten Zustands in den generellen Status der allgemeinen Freiheit dar, in dem jeder die Bürde seines Schicksals selbst zu tragen hat 83 . Im Lichte der Rechtsprechung des 2. Senats schmilzt der 5 Im Ergebnis hat das Gericht eine Verletzung der Willkürgrenze angenommen, weil die lange Bearbeitungsdauer zu einem nicht sachgerechten Ausschluß von Sozialleistungen geführt habe, der weder durch den Gesichtspunkt der Praktikabilität noch der Typisierung gerechtfertigt sei (aaO, S. 45 ff). 6 A u f Differenzen bei der Auslegung des Art. 3 I zwischen den beiden Senaten des Verfassungsgerichts weist Hesse, Disk.-Beitrag, Leibholz-Symp., S. 77, hin. 7 BVerfGE 60, 16 (39). 8 Zu Dürigs Auffassung einer „Präponderanz der Freiheit" s. Dürig, M D , Art. 3 I Rn 135; Art. 2 1 Rn 2; Dürig geht allerdings von einem breiten Sockel sozialer Startchancengleichheit und sozialer Auffangrechte als Basis seines Gleichheitsmodells aus (s. Art.31 Rn 140,142); dazu auch Willke, Stand und Kritik der neueren Grundrechtstheorie, 1975, S. 36 ff. 8a Aus dem Gedanken der „Präponderanz der Freiheit" will Heinze, Ό JT Gutachten, S. 12, 14, 78, 101, dem Netz sozialer Sicherheit lediglich „Auffangcharakter" zumessen. Kritik an dieser Auffassung unter Hervorhebung der freiheitssichernden Bedeutung der Sozialversicherung bei Haverkate ZRP 1984, 217 (219).

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verfassungsgebotene „Sockel sozialer Gleichheit" für jedermann auf ein soziales Minimum zusammen, das die über dem Existenzminimum liegenden qualifizierten Standards des Systems sozialer Sicherheit grundgesetzlich ungeschützt läßt. Der 2. Senat vertritt zumindest in der Entscheidung vom 9.2.1982 ein extrem restriktives Sozialstaats- und Gleichheitsverständnis, das sich in einer formalen Rechtsgleichheitsprüfung erschöpft 9 und das folglich auch keine Wertungsimpulse für eine Entfaltung des Gleichheitssatzes im Sinne eines rückschrittseindämmenden Faktors gibt. M i t den Ausführungen zur nur in den Bahnen des Willkürdogmas wirkenden Filterfunktion des Gleichheitssatzes im Rahmen sozialabbauender Maßnahmen, -der konktrete Fall bot an sich überhaupt keinen Anlaß für eine grundlegende Erörterung dieses Problemkreises-, wollte der 2. Senat offensichtlich „psychologisch vorbeugend" Erwartungshaltungen der Bürger entgegentreten, die das Grundgesetz als absolute Garantie sozialer Besitzstände mißverstehen könnten. In seiner rigiden Diktion und seinem auf den „reinen" Gleichheitssatz beschränkten dogmatischen Ansatz erscheint die Entscheidung der Bewältigung der grundgesetzlichen Gefährdungslage „sozialer Rückschritt" nicht angemessen. Wie an anderer Stelle ausgeführt, verschließt sich das Bundesverfassungsgericht keineswegs völlig der Annahme einer - auch - sozialen Dimension des Gleichheitssatzes, was schon die häufig benutzte Formel „Art. 3 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip" belegt. Insbesondere in der nasciturus-Entscheidung (BVerfGE 45,376) und der den Aspekt der Chancengleichheit hervorhebenden NC-Rechtsprechung hat das Gericht eine über das bloße Willkürdogma hinausgehende Interpretation des Gleichheitssatzes gegeben, die ein umfassendes, zeitangemessenes Tätigsein des Gesetzgebers zur Realisierung eines Mehr an sozialer Gleichheit - über das letzte Netz der Sozialhilfe hinausgehend - fordert. Eine positiv verstandene soziale Komponente des Gleichheitssatzes könnte Art. 3 I GG aus seiner „Verharmlosung als Willkürverbot" herauslösen 10 und dem Sozialstaat dort rücknahmeeindämmenden Halt geben, wo das Erfordernis eines nach den gesellschaftlichen Umständen angemessenen Maßes sozialer Gleichheit für alle Bürger auch in schlechten Zeiten verletzt erscheint. I m Schrifttum 11 gibt es für eine derartige Aufwertung des Gleichheitssatzes, speziell für den Bildungssektor 12 , Ansätze, die dem Sozialstaat sowohl auf der 9 In diese Richtung auch Starck, Leibholz-Symp., S. 51, 67 ff; dagg. Häberle, Disk.Beitrag, Leibholz-Symp., S. 84, 105. 10 So Häberle, Leistungsstaat, S. 120. 11 s. Bachof, W D S T R L , 12 (1953), S. 37 (41); J. P. Müller, Soziale Grundrechte in der Verfassung?, S. 220 ff; Häberle, Leistungsstaat, S. 90 ff; Zacher, AöR 1968, S. 341 (360ff, 383); Hesse, Disk.-Beitrag, Leibholz-Symp., S. 78; Rupp-v. Brünneck, SV, BVerfGE 36, 247 (248). 12 Zum Einfluß des Gleichheitssatzes auf die Bereithaltung von Bildungseinrichtungen s. J. P. Müller, aaO, S. 204ff; Häberle, aaO, S. 108; Reuter, D V B L 1974, 7; Rüfner, ZRP

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

generell-direktiven Ebene als auch im Rahmen eines individualisierten Rückschrittsschutzes Stabilität verleihen können. Die Garantie eines zeitangemessenen, qualifizierten Standards sozialer Gleichheit soll zwar keine petrifizierende, Leistungen und Organisationsformen festschreibende Wirkung haben. Doch soll dem Staat ein beliebiger Rückzug aus den Bereichen sozialstaatlichen Wirkens verwehrt werden, die gerade in Verfolgung des Sozialgerechtigkeitsgedankens ausgebaut worden sind 13 . In der Rechtsprechung zum Gleichheitssatz überwiegt allerdings eine restriktive Grundhaltung gegenüber einer Anreicherung des Art. 3 I G G mit materiellen, sozialstaatsorientierten Wertungsgesichtspunkten, was oben auch schon im Zusammenhang mit der Systemgerechtigkeitsjudikatur festgestellt wurde. Das Willkürschema grenzt das Rückschrittsermessen des Gesetzgebers nur im Falle offensichtlicher Verletzung des Sachgerechtigkeitserfordernisses oder nicht plausibler Erfassung des Kreises von „Rücknahmebetroffenen" ein. Die Rechtsprechung legt dabei einen großzügigen Maßstab im Sinne einer Evidenzkontrolle an, die nur die Überschreitung äußerster Grenzen bei Fehlen sachlicher, einleuchtender Gründe für eine Differenzierung mißbilligt 1 4 . „Systemübergreifende" Vergleiche zwischen verschiedenen sozialen Versorgungssystemen15, insbesondere im Verhältnis von gesetzlicher Sozialversicherung und beamtenrechtlicher Versorgung 16 werden regelmäßig vermieden. I m Rahmen der Erwägungen zum Verfassungsschutz individualisierter Sozialrechtsstellungen ist die gleichheitsspezifische Willkürprüfung regelmäßig Ergänzung zum grundrechtlichen bzw. rechtsstaatlichen Abwägungsprozeß. Die widerstreitenden Erhaltungs- und Abbaubelange nehmen das Gewand von Sachgerechtigkeitskriterien an, ohne damit neue Wertungsimpulse für eine Festigung sozialer Rechtlagen zu geben 17 . Als eigenständiger Rückschrittsgerechtigkeitsfaktor mit stabilisierender und kontinuitätswahrender Kraft auf die Sozialgesetzgebung kann das Sozialgerechtigkeitsmoment „Art. 3 GG i.V. mit dem Sozialstaatsprinzip" in der Auslegung der herrschenden Meinung kaum begriffen werden. 1980, 114; s. auch BSGE 41, 34 (36), wo ein Verfassungsanspruch auf individuelle Ausbildungsförderung anerkannt wird, was freilich bloß im Sinne eines derivativen Teilhabeanspruchs gemeint sein dürfte. 13 Bedenklich daher die erheblichen Leistungseinschränkungen beim Bafög durch das Haushaltsbegleitgesetz 1983. 14 s. BVerfGE 61,43 (63); 61,138 (147); 63,255 (262); 64,158 (168); vgl. Rupp, BVerfG u. GG, S. 364 (371); zur Unterscheidung zwischen den Anforderungen des Gleichheits satzes als materiellem Grundprinzip und seiner funktionellen, „reduzierten" Bedeutung als Kontrollmaßstab des Verfassungsgerichts, s. Hesse, FS H.Huber, 1981, S. 261 (269). 15 s. BVerfGE 43, 13 (21): Der allgemeine Gleichheitssatz enthält kein verfassungsrechtliches Gebot, ähnliche Sachverhalte in verschiedenen Ordnungsbereichen mit anderen systematischen und sozial-geschichtlichen Zusammenhängen gleich zu regeln; s. auch Rupp, aaO, S. 383; Zacher, AöR 1968, 341 (361). 16 Dazu unten 3. Teil D IV. 1 . 17 s. etwa BVerfGE 31, 185 (193); 36, 73 (79); 40, 65 (82); 48, 403 (420); 58, 81 (126).

Α. II. Das Grundgesetzgebot zu sozialer Aktivität

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7. Einengung der Rückholfreiheit des Gesetzgebers durch individualbezogene Verfassungsmaßstäbe Die dem Sozialstaatsprinzip in seiner objektiv-direktiven Dimension zugesprochene Pflicht zu sozialer Aktivität entfaltet in der Interpretation der Rechtsprechung und herrschenden Lehre nur geringe Bindungskraft für das Gestaltungs- und Rücknahmeermessen des Sozialgesetzgebers. Das Bundesverfassungericht realisiert eine eigenständige auf Erhaltung eines bestimmten Sozialstandards drängende Komponente des Sozialstaatsprinzips im Sinne eines auf einem bestimmten Niveau fixierenden „sozialen Rückschrittverbots" nicht. Vielmehr stellt es auf die dynamische Bedeutung des Sozialstaatssatzes als Verpflichtung zu zeitgerechter sozialer Aktivität ab. Es erscheint mit Blick auf die Rechtsprechung zur Schutzpflicht aus Art. 2 I I GG methodisch allerdings möglich, daß das Gericht bei drastischen Einschnitten in die Leistungsstandards des Systems sozialer Sicherheit unmittelbar auf das Sozialstaatsprinzip zurückgreift, um hieraus Maßstäbe zu gewinnen, die einer groben, evident situationsunangemessenen Vernachlässigung der Pflicht des Staates zu sozialer Daseinssicherung der Bürger entgegensteuern. Anlaß für einen direkten Rückgriff auf das Sozialstaatsprinzip sah das Bundesverfassungsgericht in den bisher vorgelegten Abbaufallen nicht. Diese betrafen, so schmerzlich sie sich im Einzelfall ausgewirkt haben mögen, nie Elementarfunktionen oder vom Umfang her beträchtliche Einschnitte des sozialen Netzes, sondern bezogen sich auf Detailreduktionen durch Verschärfung von Bezugsvoraussetzungen oder vergleichsweise geringfügige Abschmelzungen von Leistungshöhen1. Die durch die Haushaltsbegleitgesetze seit 1981 bewirkten Rücknahmen von Sozialleistungen umfassen zwar zahlreiche punktuelle Eingriffe des Gesetzgebers mit durchaus spürbaren Verschlechterungen für die betroffenen Bürger. Gemessen am verbleibenden Leistungs- und Schutzniveau ist jedoch die Erfüllung der jeweiligen staatlichen Sozialpflichten nicht ernsthaft in Frage gestellt, wenngleich in der individuellen Perspektive Anlaß für verfassungsrechtliche Bedenken bestehen können. Solche „kleinen" Rückholmaßnahmen werden aus der Verfassungsebene nicht unmittelbar über das Sozialstaatsprinzip gesteuert, vielmehr wenden Rechtsprechung und herrschende Lehre das rechtsstaatliche, subjektive Abwehrinstrumentarium des Grundgesetzes an, um damit das personale Schutzmoment der Verfassung gegenüber Kürzungen und Verschlechterungen des Sozialstandards zur Wahrung des sozialen Schutzbedürfnisses der Bürger zur Geltung zu bringen. 1 s. BVerfGE 36,73 (79) - Abschmelzung des Knappschaftsruhegeldes -; 58,81 (109 ff) verringerte Anrechnung von Ausbildungsausfallzeiten -; 64, 87 (97 ff) - reduzierte Anpassung bei Sozialversicherungsrenten -.

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Da das Sozialstaatsprinzip als subjektive Besitzstandsklausel ausscheidet, greifen die Grundrechte des Grundgesetzes, soweit ihrem Normbereich funktionell soziale Rechtspositionen zugeordnet werden, das allgemeine rechtsstaatliche Vertrauensschutzprinzip sowie ergänzend und inhaltlich auf das Willkürdogma reduziert der Gleichheitssatz als Gerechtigkeitspostulat im Sinne von verfassungsrechtlichen „Rückschrittsfiltern" ein. Rechtsstaatliche, insbesondere grundrechtliche (Art. 1, 6, 14 GG) Verfassungskategorien übernehmen individualbezogen das Anliegen der grundgesetzlichen Forderung nach Verwirklichung zeitgerechter, den realen Gegebenheiten angepaßter Sozialinstitutionen mit angemessenen Leistungsstandards 2, ohne allerdings im Sinne eines mehrdimensionalen Grundrechtsverständnisses „offen" die Rolle verbindlicher objektivrechtlicher Direktiven für die demokratischen Organe zugunsten eines situationsadäquaten Sozialniveaus anzunehmen3. Das Sozialstaatsprinzip tritt bei einem Abbau bestehender Sozialgesetze als unmittelbare verfassungsrechtliche Richtlinie mit rücknahmebremsender Funktion zurück zugunsten des rechtsstaatlich-individualistischen „bewahrenden" Moments des Grundgesetzes. Der objektiv-rechtliche sozialstaatliche Geltungsanspruch für ein möglichst gutes Niveau des sozialen Sicherungssystems fließt mittelbar in Gestalt sozialer Leitvorstellungen in diese subjektiven Bestandskategorien ein. Die Abwägungsmaxime, abgeschichtet anhand der Stufungen des Übermaßverbotes, bildet das methodische Instrument, um den sozialen Schutzgedanken (personaler Bezug) im Sinne eines „Schonungsgebotes" gegen das demokratisch legitimierte Veränderungs- und Abbauinteresse grundrechtsbezogen bzw. über das Vertrauensschutzprinzip in Ansatz zu bringen. Grenzen erfahrt die Rückholfreiheit des Gesetzgebers also primär nicht durch direkte Einwirkung des Sozialstaatsprinzips, sondern das individualbezogene Schutzsystem des Grundgesetzes bildet bei Antastung konkretisierter Sozialpositionen das Einfallstor für soziale Bestandswertungen aus der Verfassungsebene. Dieses stellt das Kernstück grundgesetzlicher Stabilisierung des Sozialstaates dar und steht daher im Mittelpunkt der Suche nach rückschrittshemmenden Determinanten des Grundgesetzes (dazu 3. Teil). Der in diesem Sinne indirekt sozialstaatlich geprägte Bestands- und Vertrauensschutz für Rechtsstellungen des sozialen Netzes konstituiert in Zusammenschau mit den prinzipiellen Anforderungen abgeleitet aus dem „Sozialstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 31 G G " sowie den Kompetenznormen des Grundgesetzes das Bild eines verfassungsgebotenen „sozialen Mindeststandards" in der materiell-qualitativen und formell-organisatorischen Perspektive. 2

Vgl. Degenhart, FS Scupin, S. 537 (547); Isensee, FS Broermann, S. 365 (376ff). So wird Art. 14 jetzt zwar als individualbezogenes „Grundrecht der Sozialversicherung" interpretiert, nicht jedoch seine komplementäre, aus der multifunktionalen Zielrichtung des Grundrechts folgende objektivrechtliche Anweisungsdimension erkannt, was darin Ausdruck findet, daß die Institutsgarantie des Eigentums sich nach herrschender Meinung nicht auf öffentlich-rechtliche Sozialpositionen erstrecken soll, s. näher unten 3. Teil, A I I I 2. 3

Β. I. Existenzminimum

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Dessen Niveau und Rückschrittsfestigkeit soll für die Elementarzweige des sozialen Netzes4 nachfolgend anhand der punktuellen Aussagen der Rechtsprechung zu den klassischen Sozialbereichen zumindest tendenziell ermittelt werden.

B. Einzelne Orientierungspunkte des gebotenen sozialen Mindeststandards in den Elementarbereichen des sozialen Netzes I. Die Garantie des Existenzminimums Verfassungsrechtlich verfestigt scheint auf den ersten Blick die Gewährleistung des Existenzminimums. Art. 1 und 2 I I G G und das Sozialstaatsprinzip verbürgen nach allgemeiner Auffassung die staatliche Eintrittspflicht bei individueller Hilfsbedürftigkeit in Notlagen und geben dem Bürger einen korrespondierenden, verfassungsunmittelbaren, einklagbaren Leistungsanspruch 1 . Auf der untersten Stufe des bestehenden Sozialsystems paaren sich objektiv-rechtliche Garantie und subjektives Durchsetzungsrecht kraft Grundgesetz2, was dem Ideal einer mehrdimensionalen, leistungsstaatlichen Effektuierung der Grundgesetz-Grundrechte entspricht. M i t der Feststellung der Verankerung eines Rechts auf individuelle Existenzsicherung im Grundgesetz ist die Reichweite dieser Gewährleistung und die Abbauresistenz ihrer gegenwärtig vorhandenen gesetzlichen Konkretisierungen nicht bestimmt. Das eigentliche Problem der verfassungsrechtlichen Garantie des Existenzminimums liegt heute nicht mehr in der Anerkennung eines entsprechenden Individualanspruchs, sondern im Umfang seiner funktionellen Risikoerfassung sowie der Ermittlung der grundgesetzlich gebotenen Leistungsdichte. 4 Behandelt werden die klassischen Bereiche des Systems sozialer Sicherheit: Existenzminimum, allgemeine sozialstaatliche Fürsorge- und Schutzpflicht, Sozialversicherungssystem; ausgeklammert sind damit wichtige staatliche Tätigkeitsfelder mit sozialem Bezug, wie insbesondere das Gebiet der kommunalen Daseinsvorsorge und der Bildungsbereich. 1 In BVerfGE 1, 97 (104 f) war die Frage eines gerichtlich durchsetzbaren Individualanspruchs aus dem Grundgesetz noch offen gelassen worden; Anerkennung eines solchen Rechts dann in BVerwGE 1,159 (161); ebenso BSGE 27,197 (199); 43,128 (133); s. auch BVerfGE 20,31 (32); 40,121 (131): Selbstverständliche Pflicht des Sozialstaates zur Fürsorge von Hilfsbedürftigen. A u f einfachgesetzlicher Ebene enthält § 4 I BSHG die Bestimmung, daß auf obligatorische Sozialhilfeleistungen ein Anspruch besteht. Die Gewährleistung des Existenzminimums findet sich auch in den meisten Landesverfassungen. Es kommt dort entweder zum Ausdruck im Recht auf Fürsorge (Art. 168 Verf.Bay., Art. 58 Verf. Bremen, Art. 14 Verf. Berlin) oder implizit im Versprechen auf Sicherung des notwendigen Unterhalts bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit (Art. 49 I I I Verf. Bremen, Art. 28 I I I Verf. Hessen, Art. 12 12 Verf. Berlin, schon Art. 163 I I 2 WRV). 2 s. Bachof, W D S T R L 12 (1954), S.37 (42); Dürig, M D , A r t . l I Rn43, Art. 2 I I Rn26f; ders., JZ 1953,193 (198); Breuer, Festgabe BVerwG, S. 89 (96); Starck, BVerfG und GG, S. 480 (522); Zacher/Peltner, FS BSG, S. 695 ff; Scholz/Pitschas, FS BSG, S.627 (649); Benda, NJW 1979, 1001 (1005); Ingo v. Münch, Kom., Art. 1 Rn 27.

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Das Sozialhilfesystem hat einen Funktionswandel vom bloßen „Ausfallbürgen" im Notfall zur elementaren Grundsicherung immer größerer Bevölkerungskreise vollzogen 3 . Hat man unter dem Begriff des Existenzminimums nur die physische Menscherhaltung zu verstehen oder zählt dazu auch ein „gehobenes konventionelles Existenzminimum"? Gehören zum grundgesetzlich gewährleisteten Existenzminimum auch die vielfaltigen, besonders kostenintensiven Leistungsarten der „Hilfe in besonderen Lebenslagen", die das Bundessozialhilfegesetz in seinem dritten Abschnitt beschreibt 4? Unterliegen die Sozialhilfesätze kraft Verfassungsrecht einem Dynamisierungsgebot? Die Klärung dieser Fragen hat keineswegs bloß theoretische Bedeutung, denn in Anbetracht der enormen Summen, die die Städte und Landkreise als Träger der Sozialhilfe vor allem in den letzten Jahren ausgeben mußten 5 , hat sich bereits in den Spargesetzen seit 1981 die Befürchtung bewahrheitet, daß auch das Basisnetz des Sozialstaats nicht von Erosionen verschont bleibt. Im Gegenteil das Sozialhilfenetz ist zum bevorzugten Terrain der Haushaltskonsolidierungspolitik sowohl der sozialliberalen als auch der konservativ-liberalen Regierungen geworden 6. Eine Abgrenzung und nähere verfassungsrechtliche Bestimmung des Sozialtatbestandes „Existenzminimum" ist daher angezeigt. I m Sozialbericht 1983 der Bundesregierung (Ziff. 146) ist die Aufgabe der Sozialhilfe vage dahin umschrieben, daß sie Personen, die in eine Notlage geraten sind und sich daraus nicht selbst befreien können, ein „menschenwürdiges Leben" sichern soll. 3 Hauptursachen für die Hilfegewährleistung außerhalb von Einrichtungen waren 1981: 1. Unzureichende Rente = 30%; 2. Unzureichende Unterhaltsleistungen durch geschieden oder getrennt lebende Ehegatten bzw. durch Kindesvater oder Kindesmutter = 17%; 3. Unzureichende Arbeitslosenunterstützung = 10,5%; vgl. Adamy/Naegele/ Steffen, SF 1983, 193 (195). 4 Auf die Hilfe zum Lebensunterhalt entfallen z. Zt. nur 1/3 aller Sozialhilfeausgaben, während die Hilfe in besonderen Lebenslagen die überwiegenden Kosten verursacht. Die Zahl der Sozialhilfeempfanger stieg von 1,5 Mio. im Jahr 1970 auf 2,14 Mio. im Jahr 1980 und 2,3 Mio. im Jahr 1982; Quelle: Sozialbericht 1983, S.107; Adamy u.a., aaO, S. 193. In Ba-Wü wurden 1982 438 Mio. D M für die Hilfe zum Lebensunterhalt und 1,3 Mrd. D M für die Hilfe in besonderen Lebenslagen ausgegeben; Quelle: StZ v. 3. 8. 1983, S. 5. 5 Die gesamten Sozialhilfekosten betrugen 1970 noch 3,25 Mrd. D M , während 1982 16,3 Mrd. D M aufgewendet werden mußten. Nicht richtig daher die Feststellung Starcks, aaO, S. 480, (522) und Breuers, aaO, S. 98, daß die Sicherung des Existenzminimums die öffentlichen Haushalte nicht vor unlösbare Probleme stelle. 6 Wesentliche Sparmaßnahmen seit 1981 im Sozialhilfebereich waren: Haushaltsstrukturgesetz 1982: — Einfrierung der Regelsatzanhebung für 1982 auf 3% — Senkung des Mehrbedarfszuschlags von 50 auf 40% bzw. 30 auf 20% des Eckregelsatzes — Einfrierung des Blindengeldes und der Pflegegeldsätze. Haushaltsbegleitgesetz 1983: — Verschiebung der Regelsatzanpassung v. 1. 1. 1983 auf 1. 7. 1983 — Plafondierung der Regelsätze bei 2% statt 3% (§ 22 IV BSHG) — Verschiebung der Anpassung der Blindenhilfe und Pflegegeldsätze vom 1.1. 1984 auf 1. 7. 1984. Haushaltsbegleitgesetz 1984: — Einschränkung bei der Heimaufnahme behinderter Kinder, § 3a, BSHG.

Β. I. Existenzminimum

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Die Sozial-Enquete-Kom. hat in ihrem Bericht den Begriff des „konventionellen Existenzminimums" geprägt 7 . Damit soll ein Minimum an Bedürfnisbefriedigungsmitteln bezeichnet werden, das für eine menschenwürdige Existenz erforderlich ist. Definiert werden sollte dadurch aber bereits ein „gehobener" Standard jenseits der klassischen Existenzabsicherung, der nach Meinung der Sozial-Enquete-Kom. Grundlage einer Staatsbürgerversorgung aus Steuermitteln bilden sollte. Das verfassungsrechtlich im Menschenwürdesatz, dem Sozialstaatsprinzip und in Art. 2 I I GG gewährleistete Existenzminimum dürfte sich nach Rechtsprechung und herrschender Lehre auf die physische Existenzerhaltung mittels Nahrung, Bekleidung und Obdach beschränken, also im wesentlichen auf die Hilfe zum Lebensunterhalt im Sinne des 2. Abschnittes des BSHG (vgl. § 12 BSHG) 8 . Dies folgt indirekt aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. 5. 19759. Dort wird es als selbstverständliche Pflicht des Sozialstaates bezeichnet, dem hilfsbedürftigen einzelnen „jedenfalls die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein" zu sichern und sich „darüberhinaus" zu bemühen, weitergehende soziale Leistungen und Hilfen bereitzuhalten. Das Gericht geht also von einer Abstufung aus, die mit dem harten Kern der „Überlebensgarantie" beginnt, welche schon unmittelbar durch den Menschenwürdesatz gesichert wird und der die grundgesetzliche Existenzminimumsverbürgung ausfüllt. Die hierauf aufbauenden Sozialfunktionen werden danach nicht mehr mit dem Begriff des Existenzminimums charakterisiert, sondern fallen verfassungsrechtlich in die Kategorie der allgemeinen sozialstaatlichen Fürsorge- und Schutzpflicht bzw. zählen zum System der Sozialversicherung. Aber auch in der Begrenzung auf die „ökonomische Daseinserhaltung", evtl. unter Einbeziehung gewisser „soziokultureller Vitalbedürfnisse" (Dürig) 10 bleibt der Begriff des verfassungsrechtlich gesicherten Existenzminimums relativ, weil die erforderliche Gütermenge vom allgemeinen Lebensstil und Verbrauchsniveau einer jeweiligen Zeitepoche und der gesellschaftlichen Entwicklung abhängig ist 1 1 . 7

Bericht der Sozial-Enquete-Kom., Ziff. 329. So Dürig, M D , Art. 1 I Rn 43 f; Art 2 I I Rn 27; zu allgemein Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 35: Das unabdingbare Existenzminimum entspreche der heutigen Sozialhilfe; im Sinne eines umfassenden Existenzminimumsbegriffs der sämtliche Leistungen des BSHG beinhaltet: Seewald, Gesundheit als Grundrecht, S. 20,22,83; ders., Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 69, 137 f; ähnl., jedoch abschwächend, Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 265 f; ders., NJW 1969, 2274 (2275). 9 BVerfGE 40, 121 (133); s. auch BVerfGE 61, 18 (25), wo der Anspruch auf eine bestimmte Unterstützungsleistung im Rahmen der Hilfe zur Pflege (§ 69 BSHG) an Art. 6 I, nicht aber an Art. 1 I oder 2 I I GG gemessen wird; BSGE 11, 209 (211), wo die Herabsetzung einer BVG-Rente nicht an Art. 1 I G G gemessen wird, weil „noch nicht alles, was in einem Gesetz verbesserungsbedürftig und hart erscheint" schon gegen den Menschenwürdesatz verstoße. 10 Dürig, M D , Art. 1 Rn 43 GG. 8

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Das zeigt ein Blick auf den Warenkorb, der vom „Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge" erstellt wird und die Grundlage für die Bemessung der Regelsätze nach § 22 BSHG i.V. mit der Regelsatzverordnung und den Regelsatzerlaßen der Länder bildet. Der 1970 letztmals novellierte Warenkorb enthält u.a. folgende monatliche Posten 12 :225 Gr. Schweinebraten; 90 Gr. Salami; 3 Fl. Bier; 2385 Gr. Mischbrot; 100 Gr. Spinat; 100 K W Strom; 0,083 Glühbirnen; 0,25 Damenstrümpfe; 0,0835 lange Herrenunterhosen; 1,25 Rasierklingen; 0,5 Haarschneideeinheiten; 65 Gr. Waschpulver; 5 Briefumschläge; 0,5 Kino- oder Theaterkarten. In fixen Geldbeträgen läßt sich das durch diese Sachgüter definierte Existenzminimum kaum ausdrücken, da der Sozialhilfeanspruch individualisiert und regionalisiert ist (§ 22 I I I BSHG). Nach den Regelsatzerlaßen der Landesbehörden ergab sich für 1983 ein Höchstanspruch für einen alleinstehenden Haushaltsvorstand in Höhe von ca. 340,— D M . Inwieweit das derzeit festgelegte Niveau der Hilfe zum Lebensunterhalt durch das Gebot des sozialen Rechtsstaates und den Menschenwürdesatz grundgesetzlich gestützt ist, hat das Bundesverfassungsgericht bisher nicht zu entscheiden gehabt. Das Gericht dürfte jedoch auch beim letzten Auffangnetz des Sozialstaates keine absolute, ziffernmäßige Beibehaltungspflicht oder Rücknahmesperre annehmen, da dies der zeitbedingten Relativität auch der physischen Daseinssicherung widerspräche. Allerdings dürfte die Gestaltungsfreiheit des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers bei der Bestimmung des konkreten Inhalts des Sozialhilfeanspruchs gering bleiben, fehlt es bei der Definition des Existenzminimums doch am realfaktischen Spielraum für „Ausdünnungen", wie die Liste der Versorgungsgüter des Warenkorbs deutlich zeigt. Verfassungsrechtlich bedenklich sind daher vor allem die in den Jahren 1982 bis 1984 unterbliebenen oder zeitlich „hinkenden" Anpassungen der Sozialhilfeleistungen an die gestiegenen Lebenshaltungskosten13. Das Grundgesetz verlangt gerade für den sensiblen Bereich des Existenzminimums eine strikte 11 Dürig, M D , Art. 3, Rn 71-73; Schmitt Glaeser, DÖV 1980, 1 (4); vgl. OVG Berlin, NJW 1980, 2485; OVG Münster, NJW 1982, 1415; nach § 12 BSHG umfaßt der notwendige Lebensunterhalt die Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens, inkl. der Beziehungen zur Umwelt und einer Teilnahme am kulturellen Leben. 12 Sozialhilfeexperten sind sich einig, daß der Warenkorb dringend neu „gepackt" werden muß, da das Bedarfsmengenschema nicht mehr den gewandelten Lebens- und Verbrauchsgewohnheiten entspricht, s. Adamy u.a., aaO, S. 196 und 198. Der Warenkorb sollte nach der „Wesentlichkeitstheorie" (dazu Hesse, Verfassungsrecht, Rn 509) in Gesetzesform geregelt sein! 13 Zacher, SF 1984, 1 (6 m. Fn 32), der Unverständnis für die „Deckelung" der Regelsätze äußert; Adamy u.a., aaO, S. 198, die die Einfrierung der Sozialhilfesätze sowie die weiteren Kürzungs maßnahmen im Sozialhilfebereich unter sozialpolitischen Gesichts punkten für „völlig unverantwortlich" halten und in der Abbau politik der Bundesregierung eine Degradierung der Sozialhilfe zum Spielball ökonomischer und haushaltspolitischer Entwicklungen erblicken; ebenso Bieback, Kritische Justiz 1984, 257 (267).

Β. . Existenzminimum

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Anpassung der Sozialhilfesätze an die veränderten Lebenshaltungskosten, wie dies das Bundesverfassungsgericht für das qualifizierte Leistungssystem der Sozialversicherung und die Beamtenversorgung gefordert hat. Alle existenziellen Sozialleistungen, die den Lebensunterhalt der Bürger sichern, unterliegen von Verfassungswegen einem Dynamisierungsgebot 14 . A u f einfachgesetzlicher Ebene wird über § 22 I I I BSHG die Höhe der Regelsätze an die tatsächlichen Lebensverhältnisse angekoppelt. Mangels präziser Indexierung bleibt dem Verordnungsgeber aber ein, verfassungsrechtlich durch das Anpassungsgebot begrenzter Ermessensrahmen für die Festlegung des in einer gesellschaftlichen Situation jeweils Existenznotwendigen. Die Instanzgerichte üben allerdings Zurückhaltung bei der Absteckung der Ermessensgrenzen, wie dies eine neuere Entscheidung des OVG Münster zeigt 15 . Das OVG hat die Klage eines Sozialhilfeempfangers auf Erhöhung der Regelsätze abgewiesen, obwohl dieser dargelegt hatte, daß ihm die Regelsätze in ihrer bisherigen Höhe nicht die Führung eines menschenwürdigen Lebens ermöglichten. Ohne in die Bedarfsprüfung einzusteigen, verneinte das Gericht einen Anspruch des Klägers schon deshalb, weil aufgrund des Gewaltenteilungsprinzips ein Gericht den Regelsatzverordnungsgeber nicht zwingen könne, eine bestimmte Rechtsverordnung zu erlassen. Dies gelte auch für die Änderung einer bestehenden Rechtsverordnung, soweit die Ermächtigungsnorm nicht zwingend die angestrebte Änderung vorschreibe oder aufgrund der Umstände des Einzelfalles nur eine Möglichkeit zu einer bestimmten Änderung gegeben sei. Da § 22 BSHG die Höhe der Regelsätze nur unpräzise von den allgemeinen Lebenshaltungskosten abhängig mache, stehe dem Verordnungsgeber ein eingeschränktes Ermessen zu, das im konkreten Fall nicht fehlerhaft ausgeübt worden sei. Das OVG hat in seiner Entscheidung keinen Rekurs auf das Grundgesetz gemacht, sondern ausschließlich auf die Relativitätskriterien des § 22 BSHG abgestellt. In der sehr großzügigen Auslegung des Gerichts ergibt sich im Ergebnis ein sehr breites Bestimmungsrecht des Staates auch für die Festlegung der Mittel zur Sicherung des Existenzminimums 16 . Das Grundgesetz respektiert im Lichte der Rechtsprechung auch auf der untersten Stufe des Sozialstaats eine gewisse Bandbreite für die Befugnis des Staates zur Festlegung der zwingend notwendigen Leistungen zur Wahrung der physischen Existenz in eine Notlage geratener Bürger 17 . Die leistungsstaatliche 14

s. BVerfGE 36, 73 (83); 58, 68 (78); näher unten III. 2.b. OVG Münster, NJW 1982, 1415. 16 Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge hat auf der Grundlage des Warenkorbes von 1970 bereits im Jahr 1980 daraufhingewiesen, daß die Regelsätze über 30% erhöht werden müßten, um den gestiegenen Lebenshaltungskosten Rechnung zu tragen, s. Adamy, u.a., aaO, S. 198. 17 Konkretisierungsversuch für die Festlegung des Niveaus der Sozialhilfe bei Isensee, ZRP 1982, 137 (142), der auf den typisierenden Bedarf nach dem BAFÖG und den Pfandungsfreigrenzen der ZPO hinweist; ders., FS Broermann, S. 367, 374, sehr stark 15

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Effektuierung der Verfassung bleibt also bereits im Bereich des letzten Netzes des Sozialstaates eher dürftig, obwohl der Menschenwürdesatz, Art. 2 I I GG und das Sozialstaatsprinzip sich zu einem vergleichsweise dichten „Wertungspolster" verbinden und Art. 1 GG insofern schon unmittelbar eine zeitangemessen ausreichende Qualität der materiellen Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums verlangt 1 8 ' 1 9 .

II. Die staatliche Fürsorge- und Schutzpflicht oberhalb des Existenzminimumbereichs 1. Die Verortung der Fürsorge- und Schutzdimension im Grundgesetzgebot zu sozialer Aktivität a) Felder der staatlichen Fürsorge- und Schutzpflicht Verläßt man den unmittelbar durch den Menschenwürdesatz geprägten Bereich materieller Existenzsicherung im individuellen Notfall, entfaltet das Grundgesetz seine sozialstaatsformende Ausstrahlung zugunsten existierender sozialer Normkomplexe über die aus dem Sozialstaatsprinzip geforderte Pflicht zu sozialer Aktivität. Die oberhalb des Existenzminimumbereichs angesiedelte Fürsorge- und Schutzdimension erfaßt alle Lebensbereiche, auf denen ein Bedürfnis nach sozialleistender oder sozialordnender Einwirkung des Staates besteht, wo der einzelne die Wechselfalle des Lebens nicht ohne staatliche Unterstützung bewältigen kann oder dem Diktat des wirtschaftlich Stärkeren ohne Rücksicht auf seine Persönlichkeitsbelange ausgeliefert wäre. Diese Sozialpflichtigkeit des Staates gliedert sich zunächst funktionell in zwei Grobbereiche, nämlich einmal das Feld klassischer Fürsorge, wo der Staat als unmittelbar Leistender auftritt, zum anderen der rechtsgestaltende, drittintervenierende Aufgabenbereich, wo soziale Schutzgesetze erträgliche Bedingungen zwischen Privatrechtssubjekten herstellen. Letzteres geschieht in allen Lebensrelativierend: Der Anspruch auf Sozialhilfe besteht nur dem Grunde, nicht aber der Höhe nach, er sei „situationselastisch und krisenresistent"; Breuer, aaO, S. 97 nennt drei Grundsätze für die Bemessung eines Minimalstandards für Hilfebedürftige: 1. Abdeckung der individuellen Bedürfnisse in typisierender Weise; 2. Berücksichtigung der allgemeinen Lebensverhältnisse; 3. Gewährung der Hilfeleistung in Geld. 18 s. BVerfGE 20, 31 (32): Art. 1 garantiert das für ein menschenwürdiges Dasein „erforderliche" Mindestmaß an soz. Sicherheit; ebenso BSGE 20, 169 (171); vgl. Dürig, M D , Art. 1 I Rn 1 ff; Häberle, Rechtstheorie 1980, 389 (391, 397 ff). 19 Deutlich Stolleis, DJT-Thesen, These 6: Das Konstitutionsprinzip „Menschenwürde" verbietet in der heutigen Situation weitere Kürzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt, hs gebietet gleichzeitig eine menschenwürdige Ausgestaltung dieser Hilfe. Ein Minimum an Entscheidungs- und Auswahlfreiheit muß gewährleistet bleiben.

Β. II. Fürsorge- und Schutzpflicht des Staates

97

Ordnungen durch ausgestaltende Gesetze (BGB, HGB), ist aber besonders ausgeprägt im Arbeitsrecht aufgrund der zahlreichen Schutzvorschriften (z.B. AZO, KSchG, MuSchG, SchwbG, JArbschG, BBiG, L o h n F G ) 1 , im sozialen Mietrecht 2 und Verbraucherschutzrecht (ζ. B. AbzG, AGB-Gesetz). Neben diese Funktionen tritt zur Absicherung der Normalrisiken eines jeden Lebens das Sozialversicherungssystem (Alter, Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Invalidität), das kennzeichnend eine genossenschaftliche Struktur mit dichtem Versorgungsstandard aufweist 3 . Die grundgesetzliche Umhegung des Sozialversicherungsrechts, dessen Abbau- und Rückschrittsfestigkeit wird wegen seines elementaren Charakters und seiner rechtlichen Besonderheiten, an die das Verfassungsrecht anknüpft, ausführlich an anderer Stelle behandelt (s. u. I I I u. 3. Teil A). Das Gebiet „einseitiger", im Gegensatz zum Selbstfinanzierungssystem der Sozialversicherung staatlicher, primär aus Steuermitteln gespeister Sozialleistungen und Einrichtungen erstreckt sich aufbauend auf dem Auffangnetz der Sicherung des physischen Existenzminimums vom weiten Spektrum sozialer Hilfe für Bürger, die wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen an ihrer persönlichen Entfaltung gehindert und außer Stande sind, sich selbst zu unterhalten 4 , über das Schwerbehindertenrecht, die Jugendhilfe, den Familienlastenausgleich und das weite Feld der Bildungsförderung bis hin zum komplexen System sozialer Entschädigung (Kriegsopferversorgung, Impfschäden, Opferentschädigung) 5, das aufgrund seines Versorgungscharakters jedoch Parallelen zum Sozialversicherungssystem zeigt. Die „Hilfen in besonderen Lebenslagen" nach dem 3. Abschnitt des BSHG erfassen heute einen wichtigen Teil klassischer staatlicher Unterstützungsleistungen, die die Fürsorgekomponente abdecken, ohne daß diese qualifizierten Leistungssektoren nach herrschender Meinung dem unmittelbaren Bereich des 1 S. BVerfGE 5, 85 (206)-KPD-Urteil: Der Staat hat von Verfassungswegen die Aufgabe, soweit diese nicht von den Tarifvertragsparteien erfüllt wird, durch arbeitsrechtliche Regelungen die Ausnutzung der Arbeitskraft zu unwürdigen Bedingungen und unzureichendem Lohn zu unterbinden. 2 Zum sozialen Mietrecht s. BVerfGE 37, 132 (140); zur Wohnungsbauförderung s. BVerfGE 21, 117 (130). 3 Vgl. BVerfGE 9, 124 (133), wo das Sozialversicherungsrecht „zum Recht der Fürsorge im weiteren Sinn" gezählt wird. 4 So BVerfGE 40, 121 (133); 44, 353 (376); 45, 376 (387); vgl. auch BVerfGE 42, 263 (298) - Contergan -, wo es als Gebot sozialer Solidarität bezeichnet wird, den mit Chemie Grünenthal geschlossenen privatrechtlichen Vergleich durch eine bessere gesetzliche Regelung zu ersetzen; BVerfGE 56,139 (153): „Art. 3 GG i.V. mit dem Sozialstaatsprinzip" gebietet eine weitgehende Angleichung der Stellung von bemittelten und unbemittelten Parteien im Bereich des Rechtsschutzes. 5 Zum System der sozialen Entschädigung zählten 1983 ca. 1,8 Mio. Versorgungsberechtigte, denen Versorgungsbezüge in Höhe von 10,6 Mrd. D M zustanden, Quelle: Sozialbericht 1983, S. 103; zur „institutionellen Garantie" der Kriegsopferversorgung kraft Sozialstaatsprinzip s. u.a. W. Bogs, DJT-Ref. 1960, G 13 f; ders.,Rechtsprinzipien sozialer Sicherung, S. 4 f; Rohwer-Kahlmann, FS Lenz, S. 339 (363 ff); ders., FS W. Bogs, S. 109 (111); Sozialenquête-Kom., Ziff.123; vgl. Müller-Volbehr, ZRP 1982, 270.

7 Schlenker

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

durch Art. 1 G G geprägten Existenzminimums zugerechnet werden können (s.o.I). Neben der auf unmittelbare Staatsleistung gerichteten Fürsorgeebene steht die grundgesetzliche Verpflichtung zu sozialgestaltender Tätigkeit auf dem Gebiete der Privatrechtsordnung. Der Erlaß sozialer Schutzgesetze zur Herbeiführung einer gerechten Gesellschaftsordnung stellt heute die zweite tragende Säule sozialstaatlicher Aktivität ergänzend zum klassischen Leistungsrecht dar 6 . Die Besonderheit des sozialordnenden Aufgabenbereichs liegt darin, daß der Bürger durch Änderungen und Ausdünnungen der Schutzgesetzgebung immer nur mittelbar betroffen ist, weil ein direktes Band zum Staat im Sinne eines „Sozialrechtsverhältnisses" fehlt 7 . Für eine umfassende Absicherung der Interventionsgesetzgebung mit komplementären verfahrensrechtlichen Positionen der Bürger bedarf es insoweit einer Aktivierung der objektiven verfassungsrechtlichen Schutzdimension mit korrespondierender subjektiver Komponente im Sinne von feststellenden „Vernachlässigungsabwehransprüchen". Dieser Problemkreis kann hier nicht ausdiskutiert werden 8 .

b) Abstützung im Sozialstaatsprinzip

ohne grundrechtliche

Orientierung

Die Fürsorge- und Schutzpflicht des Staates findet nach herrschender Meinung ihre verfassungsrechtliche Grundlage im Gebot zu sozialer Aktivität, das seine Wurzel im Sozialstaatssatz hat 9 . Unmittelbar grundrechtsgesteuert ist kraft der sozialen Verbürgungen des Art. 6 I und I V G G der Lebensaussschnitt „Familienkreis" und der „Mutterschutz" (dazu 3, Teil C). Weiterhin fangt die Basisnorm des Art. 1 G G den unmittelbaren Bereich der Menscherhaltung ab und erfaßt Art. 33 V G G als Spezialnorm multifunktional die Daseinssicherung der Berufsbeamten. Ansonsten fehlt eine breite grundrechtliche Radizierung des Sozialrechts, sieht man von der im NC-Urteil von 1972 forcierten leistungsstaatlichen 6

Dazu Hesse, Verfassungsrecht, Rn 349 ff; Suhr, Der Staat 1970, S. 67 (850; Zacher, Sozialpolitik im ersten Jahrzehnt, S. 782ff; Häberle, JZ 1984, 345 (350ff); Pietzcker, NVwZ 1984, 550 (554). 7 Zur „mittelbaren Drittwirkung" von Grundrechten s. nur BVerfGE 7, 198 (206) Lüth -; Dürig, M D , Art. 1 I I I Rnl27ff; Art.2 I Rn56ff; Art.3 I Rn505ff; Hesse, Verfassungsrecht, Rn 351 ff; unmittelbare Wirkung zeigen die Grundrechte in ihrer objektiv-rechtlichen Dimension, da diese den Staat und den Gesetzgeber in seiner Ausgestaltungsfunktion verpflichtet, vgl. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 221 ff; Bethge, Zur Problematik von Grundrechtskollisionen, S. 395 ff; Suhr, Der Staat 1970, S. 67 (89); Häberle, Leistungsstaat, S. 109. 8 s. unten I I I 5 a) im Zusammenhang mit der Arbeitsschutzgesetzgebung und 3. Teü A I 3 zur verfahrensrechtlichen Stellung der Bürger beim Abbau sozialgestaltender Gesetze. 9 s. BVerfGE 1, 97 (105); s. oben A I I 2.

Β. II. Fürsorge- und Schutzpflicht des Staates

99

Betrachtung des Bildungssektors aus Art. 12 G G sowie der Öffnung des Eigentumstatbestandes für individuelle Berechtigungen der gesetzlichen Rentenversicherung ab. Exkurs: Die Nähe der Fürsorge- und Schutzpflicht

zu Art. 2 II GG

Außerhalb des Bereichs des Sozialrechts leitet das Bundesverfassungsgericht und die wohl herrschende Lehre seit dem Urteil zur Fristenlösung, den Atomrechts- sowie verschiedenen Umweltentscheidungen eine positive Schutzpflicht des Staates grundrechtsbezogen vorrangig aus Art. 2 I I G G ab 1 0 . Entsprechend einem mehrdimensionalen Verständnis von Grundrechtsnormen 1 1 bildet Art. 2 I I GG nicht nur ein subjektives Abwehrrecht, sondern konstituiert aus seiner objektiv-rechtlichen Wirkschicht die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die im Grundrechtstatbestand angesprochenen Rechtsgüter zu stellen 12 . Dem Staat wird dabei im Regelfall ein weites Auswahlermessen bei Erfüllung des Schutzauftrages unter dem Aspekt des Vorbehalts des Möglichen zugestanden13. Inwieweit mit dem objektiv-rechtlichen Förderungs- und Schutzgebot ein subjektiver, mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbarer Anspruch auf Verwirklichung der Verpflichtung korrespondiert, ist noch nicht ausdiskutiert 14 . In der Rechtsprechung wird auf das „Evidenzkriterium" zurückgegriffen, wonach ein Grundrechtsverstoß erst dann in Betracht kommt, wenn die Verletzung des Schutzgebots „eklatant" ist 1 5 . Erst dann verdichtet sich das objektiv-rechtliche Postulat zu einem mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbaren subjektiven Recht. Das Evidenzkriterium hat Eingang in die Rechtsprechung zum Alimentationsgebot des Art. 33 V GG, zum Bildungsauftrag des Grundgesetzes aus Art. 10 s. BVerfGE 39,1 (47) - Fristenlösung -; 46,160 (164) - Schleyer -; 49,89 (141) - Kalkar -; 53, 30 (57) - Mühlheim-Kärlich -; 56, 54 (73) - Fluglärm -; Vorprüfungsausschuß NJW 1983, 2931 - Luftverschmutzung -. 11 S. Häberle, Leistungsstaat, S. 69 ff; Wesensgehaltgarantie, insb. S. 357 ff; Hesse, Verfassungsrecht, Rn 279 ff. 12 Im Mitbestimmungsurteil betont das BVerfG, E 50, 299 (337) dagegen den primär abwehrrechtlichen Charakter der Grundrechte; zur Mehrdimensionalität des Art. 2 I I s. Schmidt-Assmann, AöR 106 (1981), S. 205 (214 ff); Seewald,, Gesundheit als Grundrecht, S. 21, 84, 86. 13 Deutl. BVerfGE 56, 54 (81); Vorprüfungsausschuß NJW 1983, 2932; Hesse, Verfassungsrecht, Rn 350. 14 Im Schrifttum wird überwiegend eine subjektiv-judizielle Komponente als „Pendant" zur objektiv-rechtlichen Dimension des Sozialstaatsprinzips, spezieller oder interpretativ abgeleiteter sozialer Grundrechte prinzipiell verneint, vgl. Martens, VVDSTRL 30, S. 7 (31); Herzog, M D , Art. 20 V I I I Rn 28; Starck, Leibholz Symp., S. 51 (67 f); Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 35; SV-Kom. Staatszielbestimmungen, Rn 59 f, wonach in „krassen" Fällen eine Verfassungsbeschwerde gegen gesetzgeberisches Unterlassen im Betracht kommen soll. 15 BVerfGE 56, 54 (80); Vorprüfungsausschuß NJW 1983, 2932.

7*

100

Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

12 i. V. mit dem Sozialstaatsprinzip sowie bereits in die Entscheidung des Verfassungsgerichts vom 19. 12. 1951 zur Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips gefunden 16 . Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die soziale Fürsorge- und Schutzdimension nicht auch grundrechtsorientiert in Art. 2 I I GG festgezurrt werden sollte. Gegenüber der ausschließlichen Verankerung im Sozialstaatsprinzip bietet das „Gesundheitsgrundrecht" eine bereichsspezifische Verortung für Elementarfunktionen des Sozialrechts, die in materieller und formeller Hinsicht dem Parlament und der kontrollierenden dritten Gewalt eine dichtere Wertungsbasis zur Verfügung stellt. Die extensive Auslegung des Tatbestandes von Art. 2 I I GG, die vom Bundesverfassungsgericht in der Fluglärmentscheidung angedeutet worden ist, eröffnet Raum für eine Einbeziehung wichtiger Sozialfelder in das grundrechtliche Wertungsspektrum, ohne dessen thematischen Geltungsanspruch überzustrapazieren 17. Auf diese Weise ist es vorstellbar, daß Art. 2 I I GG das Sozialstaatsprinzip für wesentliche Elemente der einseitigen sozialstaatlichen Leistungs- und Schutzpflicht konkretisiert. Art. 2 I I GG könnte damit mehrdimensionale Wertungsnorm für eine breitere Entfaltung des Grundgesetzes im sozialen Bereich werden, die dem Sozialstaat Stabilität mit zeitgerechten, angemessenen Rechtsgeflechten und Institutionen sichert und diese vor Vernachlässigung durch „übermäßige" Rücknahmegesetze bewahrt, ohne den demokratischen Gesetzgeber zu sehr einzuengen (Evidenzkriterium) 18 .

2. Die Wahrung eines zeitgemäßen und funktionsgerechten Niveaus der Leistungs- und Schutzgesetzgebung Die Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts legt sich auf keinen fixen sozialen Mindeststandard für die Erfüllung der allgemeinen sozialen Schutz16 BVerfGE 8, 1 (19) zu Art. 33 V; BVerfGE 33, 303 (333) NC-Urteil; BVerfGE 1, 97 (105) zum Sozialstaatsprinzip. 17 s. BVerfGE 56, 54 (74 ff), das Gericht befürwortet ein weites Verständnis des Gesundheitsbegriffs und erwähnt auch das „soziale Wohlbefinden" als mögliches Schutzgut; weite Auslegung des Gesundheitsbegriffes im Sinne von Art. 2 I I bei Seewald, Gesundheit als Grundrecht, S. 84, 86; H .Bogs, ZfS 1983, 99; einschränkend SchmidtAssmann, aaO, S. 210; ebenso: Jaeger u. Suhr, Überlegungen zur Kodifikation eines Grundrechts auf Gesundheit, in: Soziale Grundrechte, S. 99 ff und 111 ff. 18 Vgl. die Konzeption, die ein mit der objektiven Ebene des Grundrechts korrelierendes Individualrecht dann annimmt, wenn auf der objektiven Stufe eine Verdichtung zu Handlungs- bzw. Erhaltungspflichten stattgefunden hat, die dann mittels eines subjektiven Rechts gegen eine grobe, evidente Vernachlässigung oder ersatzlose Beseitigung bestehender Sozialregeln geschützt werden sollen, s. dazu F. Müller, Leistungsrechte, S. 167 ff; Böckenförde in: Soziale Grundrechte, S. 14 f; Schmidt-Assmann, aaO, S. 217; Seewald, Gesundheit als Grundrecht, S. 27 ff, 33; Lücke, AöR 1982,15 (18,48 f); vgl. schon Dürig, Art. 2 I I , Rn 26 f: Genau so weit, wie das staatliche Müssen reicht, reicht ein subjektives Recht auf Seiten des Bürgers.

Β. II. Fürsorge- und Schutzpflicht des Staates

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und Fürsorgepflicht fest. Wie oben ausgeführt, anerkennt das Gericht keine im Sozialstaatsprinzip verankerte, an konkrete Bezugsgrößen anknüpfende Wahrungskomponente, die den Erhalt eines bestimmten Sozialniveaus gebietet. Es legt jedoch insofern mittelbar einen grundgesetzlich gebotenen sozialen Mindeststandard fest, als es die klassischen Aufgaben der Sozialpolitik als „selbstverständliche" Pflicht des Staates bezeichnet1. Die Qualität, die Leistungshöhen, den materiellen Sozialstandard unterstellt es aber ohne deutliche Grenzziehung dem Vorbehalt des finanziell Machbaren und sozialpolitisch Wünschenswerten, dessen Konkretisierung in erster Linie dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber im Rahmen seiner Prioritätensetzungsbefugnis obliegt. Die sozialstaatliche Fürsorgepflicht muß sich in Ausfluß des Sozialgerechtigkeitspostulats am jeweils bereichsspezifischen Bedarf sozialer Hilfe orientieren 2 . Den Weg, die Form, den Kreis der Anspruchsberechtigten und den Umfang der Leistungen kann der Gesetzgeber aber unter Berücksichtigung der vorhandenen Mittel und anderer gleichrangiger Staatsaufgaben in eigener Verantwortung festlegen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht sehr klar in seinem Urteil zur Höchstaltersgrenze in der Waisenversorgung exemplarisch für alle Bereiche der Sozialpolitik herausgearbeitet 3. Bestätigt ist diese Grundhaltung in einigen Entscheidungen zu speziellen Feldern des von der Fürsorgekomponente geprägten sozialen Aufgabenprogramms, wie der Kriegsfolgenüberwindung und Kriegsopferversorgung, den modernen Sozialsektoren der Resozialisierung Strafgefangener und der Heilung und Integration Suchtkranker 4 . Die aus der allgemeinen Pflicht zu sozialer Aktivität abgeleitete Fürsorge- und Schutzdimension erfahrt aus der generell-direktiven Perspektive in qualitativer Hinsicht keine scharfen Konturen. Solange gemessen am allgemeinen Lebensniveau und den ökonomischen Ausgangsdaten zeitgerechte Sozialleistungen gewährt werden, besteht kein Anlaß für eine Korrektur des Sozialgesetzgebers durch das Verfassungsrecht. Wo der Bereich der „Vernachlässigung" der sozialen Leistungs- und Gestaltungspflicht durch soziale Rücknahmen beginnt, ist vom Bundesverfassungsgericht bisher nicht gesagt worden. Nach der bislang erkennbaren Rechtsprechungstendenz wird hierfür ein stark situationsbezogener und bereichsspezifisch „abwägender Relativitätsfaktor" als 1

So BVerfGE 40, 121 (133); 43, 13 (19); 44, 353 (375). BVerfGE 17, 1 (11): Es entspricht dem Sozialstaatsprinzip am besten, wenn öffentliche Mittel nur dorthin gelenkt werden, wo im Einzelfall ein Bedarf festgestellt wird; ebenso BSGE 47,259 (263); BVerfGE 18,257 (267): Kriterium der sozialen Schutzbedürftigkeit zur Bestimmung dessen, was als rechtsverbindlicher Inhalt des Sozialstaatsprinzips zu gelten hat. 3 BVerfGE 40, 121 (133); ebenso E 43, 13 (19). 4 BVerfGE 27,253 (283, 285); 38, 187 (197): Kriegsopferversorgung; BVerfGE 35,202 (236): Resozialisierung; BVerfGE 44, 353 (375): Suchtkranke. 2

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

verfassungsrechtlicher Maßstab dienen. In Anlehnung an die erwähnte Umweltund NC-Rechtsprechung wird nur eine evidente und grobe Mißachtung der sozialstaatlichen Fürsorgepflicht nach Auslotung aller Realgesichtspunkte zu einem Verfassungswidrigkeitsurteil einer sozial abbauenden Maßnahme führen. Das Grundgesetz hält im Lichte der Rechtsprechung dem Sozialgesetzgeber den Weg für einen Leistungsabbau bis zur groben Vernachlässigung seiner Fürsorgepflicht offen. Es besteht keine statische, sondern nur eine relativsituationsabhängige Rückschrittssperre, die nicht tangiert ist, solange ein an der allgemeinen ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung orientierter Sozialstandard beibehalten wird. Es kann daher gesagt werden, daß das Grundgesetz in seiner direktiven Sozialstaatsdimension die Erhaltung eines zeitgerechten Sozialstandards verbürgt und insofern die vorhandenen Sozialleistungsgesetze nebst entsprechenden Sozialinstitutionen einem relativen und funktionsbezogenen Rückschrittsverbot unterwirft. M i t der objektiv-rechtlichen Gewährleistung eines situativ-flexiblen Sozialstandards dürfte in Parallele zur neueren Umweltjudikatur aus Art. 2 I I G G ein positiver, mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbarer Anspruch auf Beibehaltung des nach den Zeitumständen angemessenen Standards korrespondieren, der eine grobe und evidente Vernachlässigung der Sozialpflicht des Staates ausschließen soll. Fallmaterial aus dem Bereich des Sozialrechts hierzu liegt noch - nicht vor. 3. Zum Vertrauensschutz von Fürsorgepositionen Neben der primär objektiven Garantie eines guten, zeitgerechten Sozialstandards mit der „Kehrseite" eines relativen, situationsabhängigen Rückschrittverbots entfaltet der in der Rechtsprechung zur Rückwirkungslehre verwirklichte subjektive Vertrauensschutz sowie ein individualbezogener grundrechtlicher Bestandsschutz, soweit man diesen grundrechtstheoretisch für möglich hält, bei Beschneidungen gegründeter subjektiver sozialer Fürsorgestellungen Schutzwirküng für rückschrittsbetroffene Bürger. Seit dem Versorgungsausgleichsurteil werden zwar die Versichertenrenten aus der gesetzlichen Altersversorgung in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie einbezogen. Das Bundesverfassungsgericht hält aber entsprechend seiner älteren Rechtsprechung daran fest, daß die lediglich „einseitigen" Sozialleistungen in Verfolgung der allgemeinen staatlichen Fürsorgepflicht jedenfalls nicht kraft Eigentumsgrundrecht gegen Abbaumaßnahmen geschützt sind 1 . Die Abbauresistenz individualisierter Sozialpositionen, die nicht durch ein, wenn auch nur abstraktes Äquivalenzverhältnis zwischen Empfänger und 1 BVerfGE 53,257 (292); zur älteren Rechtsprechung s. BVerfGE 1,264 (277 f); 2, 380 (402); 14, 288 (294); 16, 94 (113); 18, 392 (397); ausf. unten 3. Teil A u. B.

.III. Sozialversicherungssystem

103

öffentlicher Hand charakterisiert sind, ermittelt sich nach der Rechtsprechung ausschließlich anhand der Abstufungen des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzips, wie sie in der Rückwirkungslehre Ausdruck gefunden haben 2 , soweit nicht die speziellen Verbürgungen des Art. 61 und IV G G sowie ergänzend der Gleichheitssatz als „Rückschrittsfilter" Anwendung finden. Die Unterscheidung zwischen allgemeiner rechtsstaatlicher Vertrauenssicherung für einseitige Leistungsgewährungen gegenüber einem dichteren grundrechtlichen Bestandsschutz bei Rechtsstellungen des Sozialversicherungssystems belegt die nach der Rechtsprechung zu verzeichnende, tendenziell schwächere verfassungsrechtliche Verfestigung fürsorgerischer Sozialleistungen im Vergleich zu den „erdienten" Teilhabeberechtigungen des Sozialversicherungssystems, eine verfassungsrechtliche Differenzierung, die in Anbetracht gleichgelagerter Daseinssicherungsfunktion von Sozialversicherungsleistungen und fürsorgerischen Rechtsstellungen nicht einzuleuchten vermag 3 .

I I I . Die grundgesetzlich geforderte Qualität und Stabilität des Sozialversicherungssystems 1. Pflicht zur Schaffung und Beibehaltung eines umfassenden Systems sozialer Sicherheit a) Die „nasciturus"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE45, 376): Effektivierung des „Sozialstaatsprinzips i.V. m. Art. 3 GG" zugunsten eines komplexen Sozialversicherungssystems Die Ergebnisse zur grundgesetzlich gebotenen Fürsorge- und Schutzpflicht des Staates können nicht ohne weiteres auf das System der deutschen Sozialversicherung fortgeschrieben werden, weil dieses eine gänzlich andere Struktur sowie dichtere Sicherungsintention besitzt. Das klassische System sozialer Sicherheit ist nicht an der individuellen Bedürftigkeit im Einzelfall ausgerichtet, sondern deckt typisierend die „Jedermannsrisiken" des Alters, der Krankheit, des Unfalls und der Arbeitslosigkeit als solidarische Gemeinschaft ab 1 , wobei die Kosten primär von den Versicherten selbst und ihren Arbeitgebern aufgebracht werden. 2

s. BVerfGE 30, 367 (391) -Bundesentschädigungsgesetz -; 48, 403 (413) -Wohnungsbauprämie -; 41,126 (150) -Lastenausgleich -. Den Fürsorgeleistungen gleichgestellt hat das BVerfG in seinen älteren Entscheidungen auch bestimmte Positionen der Rentenversicherung, die nicht durch ein Gegenseitigkeitsverhältnis geprägt sein sollen, s. BVerfGE 14, 288 (294): Selbstversicherungsrecht; 24,220 (227): Weiterversicherungsrecht; 29,22, (33): Fremdrentengesetz; 51, 356 (362): Weiterversicherungsrecht für Ausländer; eine Aufgabe dieser Rechtsprechung ist zu erwarten, da das Gericht jetzt davon ausgeht, daß eine Sozialversicherungsberechtigung immer insgesamt grundrechtlich zu würdigen ist. 3 Ebenso Meyer-Abich, Schutzzweck der Eigentumsgarantie, S. 57. 1 s. BVerfGE 18,257 (268), wo der Vorteil der gesetzlichen Sozialversicherung gegenüber privaten Versicherungsformen gegen Krankheit und Alter betont ist: zur Konkurrenz von

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Die Sozialversicherung ist die „dickste Masche" im sozialen Netz, welche rückkoppelnd die übrigen Ausformungen des Sozialstaats mitprägt. Ihr heute erreichter Qualitätsstandard ist nicht nur historisch gesehen die wohl bedeutungsvollste Errungenschaft eines modernen, das reale Dasein des arbeitenden Bürgers berücksichtigenden Staatsverständnisses, sondern spiegelt auch im internationalen Vergleich die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft und die Effizienz ihrer sozialpolitischen Gestaltungsinstrumente wider. Trotz der nahezu die gesamte Bevölkerung betreffenden elementaren Sicherungsfunktion, der zentralen Stellung im sozialen Gefüge des Staates und der große Finanzmassen umverteilenden Relevanz hat die Sozialversicherung im Grundgesetztext nur sporadische Erwähnung im Rahmen der Zuständigkeitsnormen gefunden. Während die älteren Landesverfassungen in ihren Sozialversicherungsartikeln das überkommene Bild der Sozialversicherung aus der Weimarer Zeit rezipiert haben (Art. 171 Verf.Bay., Art. 57 Verf.Bremen, Art. 35 Verf.Hessen, Art. 53 Verf.Rheinland-Pfalz, Art. 46 Verf.Saarland), nennt das Grundgesetz die Sozialversicherung nur in den Formalvorschriften der Art. 74 Nr. 12, Art. 87 II, Art. 120 I 4 GG, schweigt aber in Bezug auf die nähere qualitative Ausgestaltung. Das Bundesverfassungsgericht hat hieraus den schon behandelten (s. A I 1), im AOK-Beschluß formulierten Schluß gezogen, daß eine Grundgesetzgarantie zugunsten der gegenwärtig bestehenden strukturell-organisatorischen Gestalt - und daraus hervorgehend auch bestimmten Qualitätsstandards der Sozialversicherung - nicht angenommen werden kann. Obwohl das Bundesverfassungsgericht das Sozialstaatsprinzip nicht im Sinne einer institutionellen Bestandsgarantie für das existierende Sozialversicherungssystem interpretiert, hat es doch die Grundsatzrichtlinie des „Sozialstaatsprinzips i.V. mit Art. 3 I G G " dahin verstanden, daß darin auch eine Pflicht zur Bereithaltung umfassender Systeme sozialer Sicherheit verbürgt wird. Im nasciturus-Beschluß vom 22. 6. 19772 bezeichnet es der erste Senat ausdrücklich als „zu eng", die Einwirkung des Sozialstaatsprinzips auf das Regelungssystem der gesetzlichen Unfallversicherung nur als Schutz besonders Schwacher zu begreifen Das Gericht trennt damit deutlich zwischen der allgemeinen, einseitigen sozialstaatlichen Fürsorgepflicht und der komplexen qualifizierten Struktur der Sozialversicherung, die den in einem normalen Arbeitsleben erworbenen wirtschaftlichen und sozialen Status aufrechterhalten soll. Begründet wird diese, schon in einem Sondervotum Rupp-v.Brünnecks vertretene Auffassung 3 damit, daß die mit dem Arbeitsleben der Industriegesellöffentlicher Sozialversicherung und Privatversicherung s. Scholz, FS Sieg, S. 507; Heinze, DJT-Gutachten, S. 79 f, 101,114, der von der Gleichrangigkeit dieser Versicherungssysteme ausgeht; dagg. mit Recht: Haverkate, ZRP 1984, 217 (219). 2 BVerfGE 45, 376 (387).

.III. Sozialversicherungssystem

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schaft zwangsläufig verbundenen Risiken eines jeden Lebens regelmäßig nicht v o m einzelnen Arbeitnehmer getragen werden könnten, sondern „ d u r c h umfassende Systeme sozialer Sicherheit aufgefangen oder doch gemildert" werden müßten. Das Bundesverfassungsgericht sieht es unter dem Aspekt des Sozialstaatsprinzips als nicht ausreichend an, den Schutz des ungeborenen Lebens allein über die Ansprüche des Sozialhilferechts sicherzustellen, sondern stellt ausdrücklich ein verfassungsrechtliches Gebot fest, den nasciturus i n die gesetzliche Unfallversicherung einzubeziehen 4 . Die Forderung nach umfassendem sozialen Schutz i n einem System sozialer Sicherheit ist nicht a u f die i m nasciturus-Beschluß konkret angesprochene gesetzliche Unfallversicherung beschränkt, sondern das Gericht bezieht dies auf alle Fälle sozialer Schutzbedürftigkeit 5 , die regelmäßig auftreten u n d herkömmlich v o n einem System sozialer Sicherheit aufgefangen werden 6 . Allerdings betraf die Frage der Einbeziehung des nasciturus i n die gesetzliche Unfallversicherung eine eher periphere Zone des Sozialversicherungssystems, die zudem keine nennenswerten finanziellen Folgen nach sich zog. Dies mindert aber nicht die verfassungsdogmatische u n d sozialpolitische Relevanz dieser Entscheidung, i n der erstmals eindeutig die Bereithaltung eines komplexen 3

Rupp- v. Brünneck, SV, BVerfGE 36, 237 (250). s. BVerfGE 45, 376 (392); hingegen besteht nach BSGE 27, 197 (199) keine Verpflichtung aus dem Sozialstaatsprinzip, Strafgefangene in die Sozialversicherung aufzunehmen; auch verstößt es gem. BSGE 43, 128 (133) nicht gegen den Sozialstaatsgrundsatz, wenn arbeitslos gewordene Arbeitnehmer nach Vollendung des 65. Lebensjahres wegen Fehlens eines Leistungsanspruchs aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf Leistungen der Sozialhilfe verwiesen werden. Das BSG ist also im Vergleich zu der im nasciturus-Beschluß zum Ausdruck kommenden Auffassung des BVerfG zurückhaltender gegenüber einer Verdichtung des sozialstaatlich Gebotenen; allerdings können die Entscheidungen des BSG wohl nicht verallgemeinert werden, da das BSG an anderer Stelle ausdrücklich einen Auftrag aus dem Sozialstaatsprinzip ableitet, für das Funktionieren eines staatl. Sozialversicherungssystems zu sorgen, so BSGE 47, 148 (157); zur BSGRechtsprechung s. WilkejSchachel, VSSR 1978,271 ff, 313 ff; Scholz!Pitschas, FS BSG, S. 627 (646 ff); Benda, NJW 1979, 1001; Heussner/Steinmeyer, JÖR 1981, 405 (444 ff). 5 Wortlaut des nasciturus-Beschluß, aaO, S. 387: „...müssen durch umfassende Systeme der sozialen Sicherung, wie insb. durch die gesetzliche Unfallversicherung..."; vgl. Kindergeldentscheidung vom 10. 5.1960, BVerfGE 11,105 (113), wonach die Sozialversicherung einen Ausgleich für die durch die moderne gesellschaftliche Entwicklung bestehenden Belastungen anstrebe, die eine Beschränkung auf Arbeitnehmer mit geringem Einkommen und soziale Notlagen nicht kenne und eine solche Beschränkung sogar dem „Wesen der Sozialversicherung" widerspreche. 6 Zur qualitativen Abstufung des Niveaus der Sozialversicherung als Versorgungssystem, das an das Erwerbsleben der Bürger anknüpft, gegenüber der Gewährleistung des Existenznotwendigen s. Sozialenquete-Kom. Ziff. 388, 518; Wannagat, FS Bogs, S. 199 (203); Rüfner, Einführung, S. 80; Gitter, Sozialrecht, S. 48; Badura, Der Staat 1975, S. 17 (41); W. Bogs, FS Jantz, S. 71 (79 f, 82); a. A. scheinbar Pitschas, ZRP 1979,119 (120), der die Sozialhilfe „zu einer den Leistungen der Sozialversicherung gleichrangigen und prinzipiell zumutbaren Existenzsicherung" zählt; zur These, daß die grundgesetzlich gewährleistete soziale Sicherheit nur eine Grundsicherung elementarer Lebensrisiken umfasse, vgl. Heinze, DJT-Gutachten, S. 12 f, 30 f, 44, 78; Stober, D V B L 1984, 857 (859,865); dagg. mit Recht Haverkate, ZRP 1984, 217 (219). 4

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

sozialen Sicherungssystems durch Effektivierung des Sozialgerechtigkeitspostulats aus dem „Sozialstaatsprinzip i.V. mit Art. 31 G G " gefordert ist, das in seiner Schutzdichte, seinem Ausstattungsstandard über die allgemeine sozialstaatliche Fürsorge- und Hilfspflicht hinausgeht. Eine institutionelle Festlegung auf die bestehenden Gestaltungsformen des Sozialversicherungssystems kann dem nasciturus-Beschluß aber nicht entnommen werden, denn der verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkt ist funktionsbezogen auf „ein" System sozialer Sicherheit gerichtet. Das Bundesverfassungsgericht bindet den Leistungsumfang nicht an ein vorgegebenes, unabänderliches Niveau, sondern wählt einen relativierenden Begriff, nämlich „umfassend", eine Formel, die deutlich ein situatives, zeitbezogenes Moment in die Sozialstaatsinterpretation einbringt. Aus dem Wertungsansatz des nasciturus-Beschluß kann nicht auf eine aus dem Sozialstaatsprinzip abgeleitete statische Veränderungs- oder Rückschrittssperre bei den Leistungarten und Leistungshöhen in der Sozialversicherung geschlossen werden. Vielmehr hat der Gesetzgeber einen Gestaltungsrahmen situationsabhängig auszufüllen, der aber immer auf die Erhaltung eines zeitgemäß umfassenden Schutzes sozialer Sicherheit für die Normalrisiken menschlichen Daseins gerichtet ist. b) Bestands- und Vertrauensschutz für individualisierte des Sozialversicherungssystems

Rechtsstellungen

Neben der primär objektiv-rechtlichen Verbürgung umfassender sozialer Sicherung verwurzelt im Sozialstaatsprinzip i.V. mit Art. 3 I GG erfahrt das Sozialversicherungssystem weitere verfassungsrechtliche Abstützung durch den grundrechtlichen bzw. rechtsstaatlichen Bestands- und Vertrauensschutz für schon gegründete Rechtsstellungen der Sozialversicherten. Da die gegenwärtige Struktur des deutschen Sozialversicherungssystems wesentlich auf dem Grundsatz der Eigenfinanzierung der Versicherten, die an den vorgängigen Arbeitseinsatz der Arbeitnehmer anknüpft, aufbaut, sind die Positionen des Hauptnetzes des Sozialstaats stark durch eine personal-leistungsbezogene Komponente geprägt, die auch den grundgesetzlichen Maßstab für die Kürzungs- und Abbaufahigkeit konkreter Rechtstellungen bestimmt. Sozialversicherungsberechtigungen genießen einen über den Vertrauensschutz aus dem Rechtssicherheitsgebot hinausgehenden grundrechtlichen Bestandsschutz, da die freiheitswahrende Funktion der Grundrechtstatbestände sich gerade sozialer Sachverhalte und der darin begründeten, soziale Freiheit verwirklichenden Rechtsstellungen annehmen muß. Das Bundesverfassungsgericht befürwortet seit den Entscheidungen zum Versorgungsausgleich und zu den Ausbildungsausfallzeiten einen Eigentumsschutz für die Anspüche und Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversiche-

Β. III. Sozialversicherungssystem

107

rung. Dieser gründet einerseits auf die daseinssichernde Funktion der Eigentumsgarantie, nämlich dem einzelnen einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zur eigenverantwortlichen Gestaltung seines Lebens zu sichern, und andererseits auf die Eigenleistung, die auf den durch Arbeit verdienten Beiträgen der Arbeitnehmer zugunsten „ihrer" Sozialversicherung aufbaut 7 . Bisher zögert das Bundesverfassungsgericht, das mit den genannten Entscheidungen die Schrittmacherrolle zugunsten eines Grundrechtsschutzes sozialer Positionen übernommen hat, weitere Berechtigungen des Sozialversicherungssystems in Grundrechtstatbestände, sei es die Eigentumsgarantie oder andere sozialbezogene Grundrechte (z.B. Art. 12 oder 2 I I GG) hineinwachsen zu lassen8. Es begnügt sich vorläufig mit dem, weitgehend inhaltlich parallel zur Erhaltungsabwägung anhand des Art. 14 GG verlaufenden, rechtsstaatlichen Kontinuitätsschutz. Der in der Rückwirkungslehre verwirklichte Vertrauensschutz und der grundrechtliche Bestandsschutz für Sozialversicherungsberechtigungen bildet den Kern grundgesetzlicher Absicherung gegen abrupte und tiefe, nicht zeitangemessene Erosionen im Qualitätsniveau des existierenden Sozialversicherungssystems. Zwar bezieht sich die wahrende Funktion des Vertrauens- und Bestandsschutzes auf konkrete subjektive Rechtsstellungen der einzelnen Sozialversicherten und ist damit in erster Linie ein individualisierter gruppenumspannender 9 Verfassungsschutz. Doch wächst dem System sozialer Sicherheit als solchem durch die subjektiv-rechtliche Bestandsschutzdimension indirekt Stabilität zu. Dies folgt schon aus der Vielzahl konkret geschützter Rechtsstellungen, deren verkürzende Antastung nur mit Rücksicht auf eine Bestandsabwägung erfolgen darf, was einen schnellen Abbau von Sozialversicherungspositionen und damit Umstellungen des Gesamtsystems ausschließt. Der personale Erhaltungsschutz zeigt aber auch objektiv-institutionalisierende Wirkung, da im Rahmen des subjektiven Bestandsschutzes Leitprinzipien für die Änderungsbefugnis des Gesetzgebers herausgeschält werden, die das System sozialer Sicherheit insgesamt festigen und ihm hieraus Gestalt verleihen. Eckpunkte sind hier insbesondere das Leitbild der Lebensstandardsicherung und der Generationenvertrag, was nachfolgend näher dargestellt ist. Das Zusammenspiel subjektiver und objektiver Verfassungsfaktoren, die sich gegenseitig wertungsbezogen befruchten und verdichten und dadurch ein komplexes Bild des Normgeflechtes „Sozialversicherung" aus der Verfassungsebene zeichnen, entspricht der Vorstellung einer mehrdimensionalen Wirkung 7

BVerfGE 53, 257 (289 ff); 58, 81 (109 ff); 64, 87 (97); ausführl. 3. Teil A. BVerfGE 55,114 (131) zur Hinterbliebenenrente; 53,313 (331) zum Arbeitslosengeld. 9 Zum „status activus corporativus" als weiterer Dimension grundrechtlicher Wirkungskraft, die die „Freiheit durch und als Teilhabe an Gruppen" sicherzustellen hat, s. Häberle, Z H R 145 (1981) S. 473 (481 ff); ders., Wesensgehaltgarantie, S. 376 ff. 8

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

der Grundrechte, bereichsspezifisch konzentriert in speziellen Grundrechtsbestimmungen 10 . Als vor die Klammer der einzelnen Teilsysteme gezogene Generallinie kann formuliert werden: Der durch das Grundgesetz gewährleistete Rückschrittsschutz für das soziale Hauptnetz realisiert sich im Lichte der Rechtsprechung durch die im „Sozialstaatsprinzip i.V. mit Art. 3 I G G " wurzelnde Verbürgung eines, nicht des derzeit existierenden, funktionell und qualitativ zeitgerechten, umfassenden Systems sozialer Sicherheit und einer individualbezogenen, rechtsstaatlichen und grundrechtlich fundierten Schutzdimension, die konkret den Vertrauens- Und Bestandsschutz von Anwartschaftsrechten und Ansprüchen innerhalb des Sozialversicherungssystems gewährleistet. So verbinden sich auf der Verfassungsebene objektive und subjektive Wertungselemente, die eine adäquate, den ökonomischen und gesellschaftlichen Zeitumständen entsprechende Daseinssicherung des Bürgers für die Wechselfalle des Lebens garantieren. Die nachfolgend wiedergegebenen Grundlinien der Verfassungsrechtsprechung zur Alters-, Unfall-, Hinterbliebenen-, Krankheits- und Arbeitslosenversicherung können nur skizzenhafte Andeutungen zur gebotenen „Verfassungswertigkeit" der bestehenden Sozialversicherungssektoren und ihrer dadurch verliehenen, grundgesetzlich gewährleisteten Stabilität in Zeiten drohenden Sozialabbaus sein.

2. Lebensstandardsicherung und Generationenvertrag als Fixpunkte der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung a) Das Prinzip der Lebensstandardsicherung Die Rentenversicherung dient der Erfüllung einer „typischen Aufgabe des Sozialstaates, nämlich der zu den Fundamenten unserer sozialen Ordnung gehörenden Daseinsvorsorge" in den Fällen des Alters, der Erwerbs- und Berufsunfahigkeit oder des Todes des Ernährers der Familie 1 . In der Entscheidung vom 20. 3. 1979 zur Auszahlung von Renten an im Ausland lebende Ausländer hat das Bundesverfassungsgericht die Aufgabe der Renten- und Unfallversicherung dahin umschrieben, daß die Renten den Berechtigten die Aufrechterhaltung des Lebensstandards nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben gewährleisten sollen 2 . Konkretisiert sind die Konsti10 Zur multifunktionalen Abstützung des Sozialversicherungssystems in Art. 12,14 i.V. mit dem Sozialstaatsprinzip s. Häberle, LVA- Mitt., S. 485; ders., JZ 1984, 345 (352 0; ähnl. Saladin, Grundrechte im Wandel, S. 402; Scheuner, DÖV 1971, 505 (512 0; ders., Disk.-Beitrag, VVDSTRL 28, S. 232; vgl. jetzt Heinze, DJT-Gutachten, S. 63; RischejTerwey DRV 1983, 273 (289); s. näher unten 3. Teil A I I I 2. 1 BVerfGE 21, 362 (375). 2 BVerfGE 51, 1 (28).

.III. Sozialversicherungssystem

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tutionsprinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung in der Entscheidung zur Besteuerung des Altersruhegeldes vom 26. 3. 19803: Die in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten erwerben danach einen „staatlich garantierten Anspruch gegen die Versichertengemeinschaft, nach Erreichen der Altersgrenze durch die dann Erwerbstätigen ebenfalls versorgt zu werden (Generationenvertrag)". Der Anspruch aus der Rentenversicherung gehe auf eine „angemessene, aber noch nicht genau bestimmte und von der Entwicklung der Verhältnisse — z.B. der Leistungsfähigkeit der jeweils Erwerbstätigen — abhängigen Versorgung". Dieser Anspruch auf Versorgung bei Erreichen der Altersgrenze sei „kein Geschenk der Allgemeinheit, sondern die für die Zahlung der Beiträge im Rahmen des Rentenversicherungsverhältnisses gesetzlich zugesicherte Gegenleistung der Versichertengemeinschaft". Die Zahlung der Beiträge stehe dabei in keinem festen Äquivalenzverhältnis zum später erworbenen Rentenrecht, sondern die „absolute Höhe der Beiträge legt die Rangstelle des Versicherten innerhalb der Versichertengemeinschaft fest". Verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für diese Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts war nicht, wie es zunächst naheliegt, das Sozialstaatsprinzip oder Art. 14 GG, sondern der Gleichheitssatz, der als Konsequenzgebot zur Aufdeckung der Systemlinien4 des derzeit existierenden Rentenversicherungsmodells zwang. Prägend für den Qualitätsstandard des gegenwärtig bestehenden Alterssicherungssystems ist demnach die Funktion der Rente als Lebensstandardsicherung einerseits, und andererseits die Einbindung der Berechtigten in einen Solidarverbund, der im sogenannten Generationenvertrag speziellen Ausdruck findet. Diese Strukturprinzipien muß der Sozialgesetzgeber bei jeder Änderung beachten, sei diese auf einen Aus-, Um- oder Abbau der bestehenden Regelungen gerichtet. Eine Veränderung von Rechtsstellungen des bestehenden Rentenversicherungssystems muß zunächst immer am Leitprinzip der Lebensstandardsicherung durch Rentenzahlungen bei Alter, Erwerbsunfähigkeit oder Unfall orientiert sein5. Der Grundsatz der Lebensstandardsicherung bildet eine verfassungsrelevante Direktive an den Sozialgesetzgeber, die nicht bloß im Rentenrecht ausgeprägt ist, sondern Beachtung im gesamten Bereich der 3

BVerfGE 54, 11 (28 0 Zum Systemkonsequenzgebot s. näher oben A I 3. 5 Die Zielsetzung der Rentenversicherung als einer Lebensstandardsicherung betont das BVerfG jetzt auch im Rentenanpassungsbeschluß, BVerfGE 64, 87 (98); ebenso im Zusammenhang mit der betrieblichen Altersversorgung BVerfGE 65, 196 (212); s. auch Gitter, Sozialrecht, S. 48; Wannagat, Lehrbuch, S. 225 f; W.Bogs,FS Jantz, S. 71 (97 f, 82); Ruland JuS 1983, 972; Stolleis, DJT-Thesen, These 15 a. In § 4 I I 2 SBG-AT wird nur unklar vom Recht auf „wirtschaftliche Sicherung" bei Alters- und Erwerbsunfähigkeit gesprochen; s. auch Art. 57 Verf.Bremen, Art. 35 Verf.Hessen: „Ausreichende Versorgung". 4

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

sozialen Sicherung für die Normalrisiken des Lebens (Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Unfall) finden muß. Dies hatte schon 1967 die Sozial-Enquete-Kommission gefordert 6 : Aufgabe der Sozialpolitik sei demnach, „nicht mehr die Sicherung von Notlagen, sondern die Aufrechterhaltung des in einem normalen Arbeitsleben errungenen wirtschaftlichen und sozialen Status". Die Sachverständigenkommission „Alterssicherungssysteme" hat mehrheitlich das Ziel befürwortet, dem Bürger nach 40 bis 45 Versicherungsjahren einen Lebensstandard zu gewährleisten, der auf einem Nettoalterseinkommen zwischen 70 und 90% des Nettoarbeitseinkommens beruht 7 . Die an der Direktive der Lebensstandardwahrung orientierte Versorgung durch die Solidargemeinschaft der Rentenversicherten mißt sich nach geltendem Recht im Einzelfall nach dem individuellen Einkommen, das in die jeweiligen Beitragsleistungen einfließt, dem Zeitraum der Zugehörigkeit zum Rentenversicherungssystem und der allgemeinen volkswirtschaftlichen Entwicklung, die Richtschnur für das generelle Rentenniveau ist. Die vielfach so bezeichnete „Lohnersatzfunktion" der Rente ist sozialpolitisch8 und verfassungsrechtlich vorgegebenes Versorgungsziel der gesetzlichen Alters- und Unfallversicherung. Es ist auf einfachgesetzlicher Ebene in der geltenden Rentenformel (§ 1255 RVO; § 32 AVG) implizit niedergelegt. Verfassungsrechtliche Grundlage ist nach der jetzt gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in erster Linie das Eigentumsgrundrecht, Art. 12 GG (Leistungskriterium), unter dem Systemaspekt auch Art. 31 G G und letztlich die objektiv-rechtliche Dimension des Sozialstaatsprinzips. In diesen Verfassungsnormen, die variierend nach der konkreten Fallgestaltung Anknüpfungspunkt verfassungsrechtlicher Prüfung sein können, realisiert sich das maßgebliche Leitbild der Rentenversicherung. Dieses Leitbild konstituiert zugleich den grundgesetzlich verbürgten „institutionellen Kern" und unangreifbaren „Wesensgehalt", den der Sozialgesetzgeber bei jeder Änderung beachten muß.

6

Sozial-Enquete-Kom., Ziff. 388 ff, 518. s. SV-Kom. Alterssicherungssysteme S. 31, 141; Meinhold, Ergebnisse der Sachverständigenkom., SF 1984, 49 (51). 8 Im Sozialbericht 1983, S. 15, Ziff. 42, ist es als eigentliche Aufgabe der Rentenversicherung bezeichnet, bei Minderung oder Verlust des Erwerbseinkommens infolge vorzeitiger Invalidität, Alter oder Tod, Lohn- und Unterhaltsersatzleistungen in angemessener Höhe zu gewährleisten. Vgl. Erklärungen der Bundesregierung und der Oppositionsparteien in der sozialpolitischen Debatte des Bundestages vom 5. 5. 1983, wonach die Rentenversicherung auch in Zukunft ein Versorgungsniveau orientiert an der innegehabten Lebensstellung nach Maßgabe der allgemeinen Arbeitnehmereinkommen garantieren soll, s.Bericht in FAZ vom 6. 5. 1983, S.2. Zum Prinzip der Lebensstandardsicherung und der Angemessenheit von Sozialversicherungsleistungen nach geltendem Schweizer Recht s. Tschudi, FS Eichenberger, 1982, S. 107 (112). 7

Β. III. Sozialversicherungssystem

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Der U m f a n g der Altersversorgung hat das i m Erwerbsleben erreichte N i v e a u der Lebenshaltung m i t gewissen Abstrichen, die durch eine typischerweise verringerte Bedarfssituation indiziert s i n d 9 , i n Relation zur allgemeinen Einkommens· u n d Lebenssituation sicherzustellen 1 0 . D i e so umschriebene F u n k t i o n u n d Qualität der sozialen Sicherung bei A l t e r u n d Invalidität k a n n als grundgesetzlich garantierter „sozialer Mindeststand a r d " bezeichnet werden. D e r rücknehmende Sozialgesetzgeber trifft also i m Prinzip der Lebensstandardsicherung auf eine relativierende, zeitbezogene Rückschrittsbarriere i m Bereich der Renten- u n d Unfallversicherung. b) Die Garantie der Rentenanpassung Das Leitprinzip der Lebensstandardsicherung schließt notwendig eine flexible Anpassung sowohl der Zugangs- (§§ 1255 I I R V O , 32 I I A V G ) als auch der Bestandsrenten (§§ 1272 I I R V O , 49 I I A V G ) ein, denn durch unterbliebene Anpassungen würden Rentenansprüche i n kurzer Zeit durch den Kaufkraftverlust ausgehöhlt u n d verlören d a m i t ihre daseinsgewährleistende F u n k t i o n 1 . 9 S. BVerfG, Vorprüfungsausschuß, NJW 1982,553 (554): Sowohl im Beamtenrecht als auch im Rentenrecht ist der allgemeine Grundsatz verwirklicht, daß Versorgungsleistungen in einem angemessenen Abstand hinter den zugrundegelegten aktiven Arbeitseinkommen zurückbleiben müssen. Das Rentenniveau hat derzeit gemessen an den verfügbaren Arbeitnehmereinkommen einen Stand von 65 % nach 40 Versicherungsjahren (Sozialbericht S. 15 Ziff. 44, S. 78 Ziff. 91); zum Ergänzungscharakter der betrieblichen Altersversorgung s. BVerfGE 65, 196 (212). 10 Auch in der Literatur wird ein Verfassungsgebot auf Lebensstandardsicherung durch die Rentenversicherung befürwortet. Dabei wird neben Art. 14, 3 und dem Sozialstaatsprinzip auch Art. 12 und ein „rechtsstaatliches Kontinuitätsgebot" als verfassungsrechtliche Grundlage genannt; a) s. zur Lebensstandardgarantie des Art. 14 im Anschluß an das BVerfG: P. Krause, Eigentum an subjektiv-öffentlichen Rechten, S. 164 f, 183, 185,187, 195; Diemer, VSSR 1982,325 (334,338 ff); Zacher/Ruland, SGb 1974,441 (442); Degenhart, BayVBL 1984,65 (68); Rische/Terwey, D R V 1983, 273 (293); vorsichtig: Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 182 f, 186; ders., LVA-Mitt., S. 486; Ecker, ZRP 1983, 45 (46, 48); b) Zum Verfassungsauftrag einer lohnbezogenen Rente aus Art. 12: Pitschas, VSSR 1978,357 (375 ff); Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 42; vgl .Häberle, JZ 1984,345 (351 ff); c) zur rechtsstaatlichen Kontinuitätsverpflichtung: Papier, VSSR 1973, 33 (49 ff); ders., Sozialrechtslehrertagung S.204; ders., M D , Art.14, Rn 144; ders., SGb 1984, 411 (412); Η .Bogs, RdA 1973, 26 (30 ff); Meydam, Eigentumsschutz, S. 95; Nicolaysen, FS Schack, S. 107 (119 ff); W. Bogs, FS Jantz, S. 71 (90 f); Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, S. 11 ff; ders., DOV 1981, 503 ff. 1 Eine grundgesetzliche Garantie der Rentenanpassung bejahen: W.Bogs, FS Jantz, S. 71 (83 ff); ders., FS Braess, S. 11 (21 ff); Meydam, Eigentumsschutz, S. 102 ff; Zacher/Ruland, SGb 1974,441 (442); Krause, Eigentum, S. 195 ff; Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 181; ders., JZ 1984,801 (803); Papier, Sozialrechtslehrertagung, S. 204; ders., M D , Art. 14 Rn 141ff; ders., SGb 1984, 411 (412), Pitschas, VSSR 1978, 357 (377); Saladin, Grundrechte im Wandel, S. 402; Haverkate, ZRP 1984, 217 (223); Badura, SGb 1984, 389 (401); Gitter, N Z A 1984,137 (141); ablehnend: Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 45; ders. NVwZ 1982,337 (349); Isensee, Rolle des Beitrags, S. 488 (492); Stober, D V B L 1984, 857 (862); Rische/Terwey D R V 1983, 273 (290).

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Das Bundesverfassungsgericht hat eine verfassungsrechtliche Dynamisierungspflicht im Rentenanpassungsbeschluß vom 10. 5. 1983 festgestellt 2. Das Gericht läßt allerdings offen, ob die Anpassungspflicht als Element des grundrechtlichen Eigentumsschutzes zu betrachten ist oder lediglich über das allgemeine Vertrauensschutzprinzip aus dem Rechtsstaatsprinzip gesichert wird. Bei Anpassung der Renten verbleibt dem Gesetzgeber nach dieser Entscheidung sowohl unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsgarantie als auch des Vertrauensschutzes ein begrenztes Anpassungsermessen, das nach Maßgabe einer situationsbewertenden Abwägung zwischen der individuellen Sicherungsfunktion der Rente und den gemeinwohltypischen Belangen der Leistungsfähigkeit des Solidarsystems auch zu geringeren Steigerungsquoten der Renten gegenüber der allgemeinen Einkommensentwicklung und einem im Vergleich zu den vergangenen Jahren verlangsamten Tempo bzw. einer verminderten Höhe der Anpassungsleistungen führen kann 3 . Die bisherigen Anpassungsraten 4 in Anbetracht einer florierenden Wirtschaft und gesicherter Rentenfinanzen dürfen jedenfalls nicht als Automatik (miß-)verstanden werden 5 . Es sollen keine fixen, verfassungsrechtlich beachtlichen Vertrauenstatbestände geschaffen werden, die den Sozialgesetzgeber im Sinne eines unverrückbaren, nicht modifizierungsfahigen Planes als „Befehl des Gesetzgebers an sich selbst" binden 6 . Andererseits verlangt das Grundgesetz eine Berücksichtigung des Dynamisierungsvertrauens als Ausfluß seines personalen Schutzmoments. 2 BVerfGE 64, 87 (98), mit Anmerkung von Rüfner, JZ 1983, 755; Badura SGb 1984, 398; Papier SGb 1984, 411; Ruland JuS 1983, 972; ebenso schon BVerfGE 36, 73 (82 ff), dazu kritisch Zacher/Ruland, SGb 1974,441; vgl. BVerfGE 20, 52 (54) zur Änderung der persönlichen Bemessungsgrundlage. 3 M i t dem Haushaltsbegleitgesetz 1983 ist u.a. der Termin für die Rentenanpassung vom 1.1. auf den 1. 7. eines jeden Jahres verlegt worden; außerdem wurde ein zunächst 1 %iger Eigenanteil der Rentner zur Krankenversicherung eingeführt. Die im Haushaltsbegleitgesetz 1984 vorgesehene Rentenerhöhung kommt real einer Kürzung der Renten gleich. Von der Erhöhungsquote i.H.v. 3,4% entfallen 2% als weiterer Eigenanteil auf die Krankenversicherung der Rentner; die effektive Erhöhung i.H.v. 1,3% wird durch die Inflationsrate i.H.v. über 3% völlig aufgezehrt. Trotz des faktischen Rentenabbaus kann die Finanzierung der Renten für 1984 nur durch einen vorzeitig ausgezahlten Bundeszuschuß (§ 1384 RVO) sichergestellt werden, da auch die Schwankungsreserve auf 1,1 Monatsgehälter geschrumpft ist. Die Finanzierungslücke in der Rentenversicherung beträgt 1984 voraussichtlich 7 Mrd. D M , Quelle: Bericht StZ v. 28. 7. 1984, S. 1. 4 M i t dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 ist die Rentenformel (§§ 1255 I I RVO, 32 I I AVG) „aktualisiert" worden. Für die Rentenanpassung zum 1. 7. eines jeden Jahres ist jetzt der Lohnanstieg des jeweiligen Vorjahres maßgeblich, während früher eine Orientierung am vorausgehenden 3-Jahres-Zeitraum vorgeschrieben war. Praktisch wirkt sich diese Änderung im Sinne einer Verlangsamung der Rentensteigerungen wegen der geringen Entgeltsteigerungen der Arbeitnehmer in den letzten Jahren aus. 5 So BVerfGE 36, 73 (83); 64, 87 (99). 6 Der „Plangewährleistungsgedanke" wird in der Literatur auch im Zusammenhang mit einem Verfassungsgebot auf dynamisierte, zeitgerechte Sozialleistungen erörtert, s. bes. W. Bogs, FS Braess, S. 11 (21 ff); ders., FS Jantz, S. 71 (85 ff); Badura, FS BSG, S. 673 (693); ders., SGb 1984, 398 (401).

.III. Sozialversicherungssystem

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Im Falle des 21. Rentenanpassungsgesetzes wurde das Anpassungsvertrauen aufgrund der verschlechterten Finanzierungssituation der Rentenversicherung und der negativen Wirtschaftsdaten gering bewertet: Dem Vertrauen des einzelnen auf die stets unveränderte Fortgeltung einer gesetzlichen Regelung — was den Zeitpunkt und die Höhe der Anpassung betrifft — komme bei der gebotenen Abwägung keine erhebliche Bedeutung zu 7 . Die Verfassung verbürgt nur einen Anpassungsrahmen innerhalb dessen der Sozialgesetzgeber die gesamtgesellschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen der Leistungsgewährung zu berücksichtigen hat. „Anpassungen nach unten" an eine verschlechterte Situation der Volkswirtschaft und speziell der Solidargemeinschaften sind verfassungsrechtlich unbedenklich, solange die soziale Sicherung der betroffenen Bürger in ihrem qualitativen Niveau nicht von der generellen Einkommens- und Lebensentwicklung der Erwerbsbevölkerung „abgekoppelt" wird 8 . Die Ausfüllung des Anpassungsrahmens muß sich nach dem Vorgesagten am Leitbild der flexiblen Lebensstandardteilhabe der Sozialversicherten orientieren 9 . Insofern ist der Gesetzgeber von Verfassungs wegen determiniert, darf er also keinen schleichenden Sozialabbau durch Nichtanpassung zulassen. Zur Ermittlung konkreter Anpassungskriterien kann auch auf die BAGRechtsprechung zur Anpassung der Renten der betrieblichen Altersversorgung nach § 16 BetrAVG zurückgegriffen werden, wenngleich der bloße Ergänzungscharakter der Betriebsrenten nicht außer Acht gelassen werden darf 1 0 . Verfassungsrechtlich geboten ist nicht nur die Anpassung der Renten der gesetzlichen Altersversicherung, sondern sämtlicher Sozialleistungen, die den Empfangern die Grundlage ihres Daseins im Sinne eines „Lebensunterhalts" sichern 11 . Grundgesetzlich verbürgt ist daher die dynamische Gewährung aller existenzsichernden Leistungen des Sozialversicherungsrechts, insbesondere in der Arbeitslosen- und Unfallversicherung, des Rechts der sozialen Entschädigung 12 sowie des Sozialhilferechts 13. 7

So BVerfGE 64, 87 (105). Der Sicherstellung des Ankoppelungsprozesses dienen die gesetzlich vorgeschriebenen jährlichen Rentenanpassungsberichte der Bundesregierung (1273 RVO) auf deren Grundlage die jeweiligen Rentenanpassungsgesetze ergehen. Zum „Koppelungsgedanken" s. Papier, M D , Art. 14 Rn 141,144; ders., SGb 1984,411 (412 0; Pitschas, VSSR 1978, 357 (376); Rüfner JZ 1983, 756. 9 So auch Krause, Eigentum, S. 195; Badura, SGb 1984, 398 (401). 10 Grundlegend zur Anpassung von Betriebsrenten s. BAG NJW 1977, 2370; näher Schaub, NJW 1982, 362 (365 011 S. Saladin, Grundrechte im Wandel, S. 402; W.Bogs, FS Jantz, S. 71 ff; zur in Art. 33 V verbürgten Anpassungspflicht für die Besoldungs-und Versorgungsbezüge der Beamten s. BVerfGE 8, 1 (18); 58, 68 (78); näher unten 3. Teil D I I I 2 c). 12 Die Anpassungsklauseln in der Unfall- und Arbeitslosenversicherung sowie im Versorgungsrecht beziehen sich auf die Anpassungsformel der Rentenversicherung, s. § 8

8 Schlenker

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Gerade die Annahme einer Garantie angepaßter, zeit- und situationsgerechter Sozialleistungen zeigt die Dynamik verfassungsrechtlicher Bindung des Sozialgesetzgebers. Statische Qualitätsverbürgungen kraft Verfassungsrecht gibt es nicht. Die grundgesetzliche Einwirkung folgt vielmehr der realen Entwicklung der Volkswirtschaft und den speziellen Bedingungen der Solidargemeinschaft. Insofern besteht immer ein dynamischer Grundgesetzschutz aus allen Normschichten, die den sozialen Prozeß verfassungsrechtlich strukturieren. Fixpunkt dynamischer Verfassungsgewährleistung bleibt aber immer das personale Daseinssicherungsmoment, das dem Sozialbürger eine „angemessene" Koppelung an die gesamtgesellschaftliche Entwicklung verbürgt. c) Konkretisierung

der Solidarpflichten

im Generationenvertrag

Systemimmanenter Änderungsfaktor ist in der gesetzlichen Rentenversicherung der Generationenvertrag, ein „contrat social" {Ecker) zwischen arbeitenden und aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Bürgern. Dieser ist nicht nur einfachgesetzliches Strukturprinzip und politische Denkfigur, sondern besitzt verfassungsrechtliche Relevanz als Grundlage der Solidarpflichten der von der Sozialversicherung erfaßten Bürger 1 . Der Generationenvertrag strukturiert das gegenwärtige Modell der Rentenversicherung und nimmt in Zeiten wirtschaftlich oder demographisch bedingter knapperer Beitragszahlungen durch die Erwerbsbevölkerung die Rolle eines Gemeinwohlfaktors an, der Absenkungen oder verringerte Anpassungen von Rentenleistungen rechtfertigen kann. Aus dem Prinzip der Umlagefinanzierung im Rahmen des Generationenvertrags folgt nach der Rechtsprechung zunächst, daß die Leistungen der Rentenversicherung nicht in einem starren Verhältnis zur ziffernmäßigen Höhe der Beiträge stehen können, vielmehr nach den Bedingungen der jeweiligen Erwerbsgesellschaft variieren 2 . I m Generationenvertrag spiegelt sich der „soziale Bezug" von Rentenanspüchen und Anwartschaften wider, der den Solidarverbund zwischen den Mitgliedern der Rentenversicherung herstellt und die Abhängigkeit der jeweiligen Rentenleistungen von den Einkommensverhältnissen der finanzierenden Er579 RVO (Unfallvers.), § 112 a A F G (Arbeitslosenvers.), § 56 BVG (Soziale Entschädigung). 13 Für den Bereich der Sozialhilfe s. § 22 I I I u. IV BSHG; gerade in diesem existenziellen Bereich sind die Regelsatzerhöhungen der Jahre 1982 —1984 hinter der Entwicklung der Lebenshaltungskosten aufgrund „hinkender" bzw. „kupierter" Erhöhungsquoten zurückgeblieben; s. dazu oben I. 1 Zum Generationenvertrag als Strukturprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung s. bes. Ecker, ZRP 1983, 45 (46 φ , der die Rechtsfigur des Generationenvertrags „in die Nähe einer Verfassungsnorm rücken" will; Diemer, VSSR 1982, 31 (57 ff); Degenhart, BayVBL 1984, 65 ff, 193 ff; Gitter, Sozialrecht, S. 50 f. 2 BVerfGE 51, 1 (27); 54, 11 (28); ebenso Degenhart, aaO, S. 67, 104.

Β. III. Sozialversicherungssystem

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werbsbevölkerung und den demographischen Gegebenheiten zum Ausdruck bringt 3 . Der Generationenvertrag ist spezielle Erscheinungsform des Gesellschaftsvertrags in der Zeitdimension 4 , welcher die „Pflichtenimmanenz" der Mitgliedschaft in der Solidargemeinschaft der Sozialversicherten auch im Sinne eines verfassungsrechtlichen Rückschrittstopos in den Abwägungsprozeß einführt. Die soziale Funktion des Gedankens des Generationenausgleichs bestimmt nach der Rechtsprechung wesentlich die „Kürzungsanfalligkeit" von Rentenberechtigungen und ist damit „Gegenspieler" des grundrechtlich (Art. 14 GG) oder kraft Rechtssicherheitspostulats verbürgten personalen Moments der Besitzstandswahrung 5. Der Generationenvertrag kann als verfassungsrechtliche Gemeinwohlkategorie Eingriffe des Gesetzgebers in erworbene Rechtsstellungen mit dem Ziel der Erhaltung einer leistungsfähigen Sozialversicherungsgemeinschaft legitimieren, soweit nicht überwiegende soziale Sicherungsinteressen der betroffenen Bürgergruppen entgegenstehen. In seiner Funktion als Begrenzungsformel für individualisierte Rentenpositionen erweist sich der Generationenvertrag zugleich als eine Konkretisierung des leistungsstaatlichen Vorbehalts des Möglichen, der die Anbindung der grundgesetzlichen Sozialaufgabe „Alters- und Erwerbsunfahigenversorgung" an die nationalökonomischen und demographischen Voraussetzungen umschreibt. Die Generationenperspektive kann in einer generationsorientierten Dimension der Grundrechte {Häberle) 6 verdeutlicht werden, die den Blick in die Zukunft richtet und die Berücksichtigung der Folgen heutigen Handelns begehrt. Dieser „Konsequenzen-Aspekt" in der zeitlichen Ebene fließt in das Abwägungsschema in Ausfüllung der grundgesetzlichen sozialen Bestandsgewährleistungen ein. Unter diesem Blickwinkel erhalten die Teilhabepositionen der gesetzlichen Rentenversicherung eine relative, dynamische Komponente, die in Anbetracht absehbarer Ausfalle der kommenden Erwerbsgenerationen ein 3 Daher birgt die Mitgliedschaft in der Sozialversicherung systembedingt sowohl Chancen als auch Risiken hinsichtlich des Niveaus der Teilhabeberechtigung. Insofern unterscheidet sich die Mitgliedschaft in der Sozialversicherung vom Privatversicherungsverhältnis, welches fixe Vertragssummen anbietet; vgl. BVerfGE 58,81 (123); 64,87 (105); zu den Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten zwischen Privat- und Sozialversicherung, s. Heinze, DJT-Gutachten, S. 57 f. 4 s .Häberle, Verfassungsgerichtsbarkeit als politische Kraft, in: Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 439 f; ders., Zeit und Verfassungskultur, S. 336; ders., Disk.Beitrag, LVA-Mitt., S. 488. 5 s. BVerfGE 53,257 (292); 58,81 (110); vgl. Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 383 Fn 285: Generationenvertrag im Rentenrecht als Paradigma zur Konkretisierung der sozialen Funktion des Eigentums; s. näher unten 3. Teil A I I I 5. 6 s. Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 382 ff.

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

potentiell leistungsbeschränkendes Moment zu Lasten der Rentenberechtigungen in sich birgt 7 .

3. Hinterbliebenenversorgung zwischen Fürsorge- und Versicherungsprinzip a) Systemlinien der Hinterbliebenenversorgung Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber im Witwerurteil vom 12. 3.1975 (BVerfGE 39,169(185 fl))den Auftrag zur Reform der Hinterbliebenenversorgung gegeben, weil es für die Zukunft die unterschiedlichen Voraussetzungen des Bezugs von Witwen- und Witwerrente nicht mit Art. 3 II, I I I GG für vereinbar hielt. Infolge dieses Verfassungsauftrags war ursprünglich eine umfassende Neuordnung nicht bloß des Hinterbliebenenrechts, sondern des Rentensystems insgesamt ins Auge gefaßt worden 1 . Zwischenzeitlich ist aus finanziellen Gründen die große Strukturreform zu einer eher leistungsreduzierenden Novellierung zusammengeschrumpft 2. Das Risiko des Versterbens des Familienernährers zählt zu den klassischen Wechselfallen des Lebens, die ein System sozialer Sicherheit in Anbetracht der Bedingungen der arbeitsteiligen Industriegesellschaft abfangen und den Betroffenen Schutz gewähren muß 3 . Die soziale Sicherung des Ehepartners und der Kinder hat das Bundesverfassungsgericht daher als besonders prägnanten Ausdruck des Sozialstaatsprinzips bezeichnet4. Diese Absicherung gehört damit zu den unverzichtbaren Sozialaufgaben des Staates. In ihrer qualitativen Ausgestaltung hebt sich die Hinterbliebenensicherung zunächst von der Fürsorge zugunsten sozial schwächerer Bevölkerungskreise und der Abwehr ausgesprochener Notlagen ab 5 . Als wesentliches Element des Sozialversicherungssystems 6 unterliegt die soziale Sicherung der Angehörigen 7 Degenhart, aaO, S. 104; der leistungsreduzierende Charakter ist eine Seite des Generationenvertrags; die andere bezieht sich spiegelbildlich auf die Beitragskomponente: eine extrem hohe Belastung der Erwerbsbevölkerung durch Sozialabgaben zur Finanzierung der Rentnergeneration widerspricht dem Modell des Generationenvertrags! 1 zum Gutachten der SV-Kom. zur Reform der Hinterbliebenenversorgung vom 21. 5. 1979, s. Kaltenbach, Die Angestelltenversicherung, 1980, S. 263; Thieme, FS Wannagat, S. 599; Gitter, Sozialrecht, S. 143 f; Pitschas, ZRP 1979, 119 (121). 2 Das Projekt einer sogenannten „Teilhaberente", das von der SPD favorisiert wurde, ist aus Kostengründen fallengelassen worden. Verwirklicht ist jetzt ein Anrechnungsmodell, das den Hinterbliebenen 100% der eigenen Rente und zusätzlich 60% der erworbenen Anwartschaften des verstorbenen Ehegatten gewährt. Die Hinterbliebenenrente soll jedoch nicht voll ausgezahlt werden, wenn das eigene Einkommen eine Freigrenze von 900 D M überschreitet. 3 s. Art. 57 Verf.Bremen, Art. 35 Verf.Hessen, Art. 59 - 64 IAO-Abk. Nr. 102 i.V. mit Art. 12 ESC. 4 BVerfGE 28, 324 (348);62, 323 (332). 5 So BVerfGE 28, 324 (348); BSGE 20, 252 (253).

Β. III. Sozialversicherungssystem

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eines Arbeitnehmers anderen Strukturregeln und Leistungsstandards als die Sozialhilfe. Das gegenwärtig bestehende System der Hinterbliebenenabsicherung ist durch eine Zwitterstellung zwischen Versichertenprinzip und sozialem Ausgleichsgedanken charakterisiert. Die grundgesetzliche Determination der Hinterbliebenenversorgung in ihrer derzeitigen Gestalt knüpft einerseits an die Stellung des sozialversicherten Arbeitnehmers an, der durch seine einkommensproportionalen Beiträge eine lohnersatzorientierte Lebensstandardsicherung für sich selbst, aber auch seine Familienangehörigen verdient 7 . Im Falle des Todes des Sozialversicherten strahlt das Versichertenprinzip auf die Hinterbliebenen aus, wird aber qualitativ maßgeblich durch den sozialen Ausgleichsgedanken, der freilich auch schon die Versichertenrente entscheidend mitkonstituiert (ζ. B. Berücksichtigung von Ausfallzeiten), überlagert. Demgemäß tritt bei der Versorgung der Angehörigen des Verstorbenen der konkrete Unterhaltsbedarf als vorrangiges Bestimmungskriterium für die Höhe der Leistungen in den Vordergrund. Während das Bundesverfassungsgericht in seinem Heiratsklauselurteil vom 27. 5.1970 8 den auf den Versicherten bezogenen Eigenleistungsanteil betont hat, sieht es in seinem Witwenurteil vom 6. 6.1978 den fürsorglichen Charakter der Witwen- und Waisenversorgung als vorrangig an 9 . Da der den begünstigten Familienangehörigen zukommende Versicherungsschutz von diesen nicht selbst erkauft werde und bei der individuellen Beitragsbemessung des Versicherten ebenfalls außer Betracht bleibe, könne der Schutz der Hinterbliebenen abweichend von den Leistungen an den Versicherten geregelt werden. Die Hinterbliebenenrente dürfe daher nach dem Gedanken des Unterhaltsersatzes niedriger bemessen werden als die im Sinne des Lohnersatzes gedachte Versichertenrente. Dem Bild des Unterhaltsersatzes entspreche es, wenn der verwitweten Ehefrau die Quote gewährt wird, die ihr nach ihrer Stellung in der Familie vermutlich aus der Rente des Versicherten zugeflossen wäre. Die Quote von 60% der Versichertenrente deckt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls den üblichen Mindestbedarf des Ehegatten ab. Diesen Mindestbedarf setzt das Bundesverfassungsgericht mit dem typischen Bedarf unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen gleich, so daß es im Ergebnis keine Verletzung der Anforderungen des Art. 31 GG i.V. mit dem Sozialstaatsprinzip wegen der Höhe der Hinterbliebenenrenten feststellen konnte 1 0 . 6 So BVerfGE 28, 324 (348); 48, 346 (360); 51,1 (22); einfachgesetzliche Regelung in §§ 1263 ff RVO, 40 ff AVG. 7 s. BVerfGE 28, 324 (349); BSGE 20, 252 (253); vgl. Pitschas, ZRP 1979, 119 (124): „Grundsatz der Versorgungsäquivalenz aus dem Gesichtspunkt des erarbeiteten Erfolgsschutzes". 8 BVerfGE 28, 324 (349); ebenso BSGE 20, 252 (254), wo die Vorleistung des Versicherten, aber auch die des Hinterbliebenen selbst, herausgestellt ist. 9 BVerfGE 48, 346 (358), zustimmend Pitschas, aaO, S. 123; zur Waisenrente s. BVerfGE 40, 121 (1340-

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Das aus dem Sozialstaatsprinzip folgende Gebot einer angemessenen Hinterbliebenenversorgung durch ein System sozialer Sicherheit wird in Bezug auf das von diesem zu gewährleistende Niveau nach der Rechtsprechung entscheidend durch die Gewichtung der Systemaspekte Versicherung und Fürsorge definiert. Solange das System einer vom sozialversicherten Arbeitnehmer abgeleiteten Hinterbliebenensicherung besteht, darf der Gesetzgeber also einerseits die Hinterbliebenenrente nicht völlig von den vorausgegangenen Beitragsleistungen des Versicherten (Grundsatz der Versorgungsäquivalenz) abkoppeln, andererseits genügt es nach dem Gedanken des sozialen Ausgleichs, wenn der Umfang der Rente sich am typischen Bedarf der Hinterbliebenen aufgrund durchschnittlicher Erfahrungswerte orientiert. Dies ist der durch das Sozialstaatsprinzip und Art. 3 I GG garantierte Mindeststandard, dessen nähere Ausgestaltung wieder dem Sozialgesetzgeber obliegt, der die bedarfstypischen Elemente für die danach adäquate Versorgung entsprechend den jeweiligen Zeitumständen festzulegen hat.

b) Die Einwirkung

von Art. 6 I GG auf die Hinterbliebenensicherung

Weiter verfassungsrechtlich „umhegt" wird dieser Mindeststandard durch das soziale Grundrecht des Art. 6 I GG, das eine angemessene Versorgung des überlebenden Ehepartners und der Kinder gebietet. Dem entspricht das gegenwärtig existierende Modell einer vom versicherten Ehegatten abgeleiteten Witwen- und Waisenrente, die einen öffentlich-rechtlichen, von der Solidargemeinschaft der Sozialversicherten getragenen „Unterhaltsersatzanspruch" darstellt 11 . Allerdings ist der Gesetzgeber durch Art. 6 I GG weder auf den derzeitigen Leistungsumfang noch die Modalitäten des Bezugs einer Hinterbliebenenrente festgelegt. Gerade für den Bereich der materiellen Unterstützung der Familie, zu der auch die soziale Sicherung der Kinder und des nicht arbeitenden Ehepartners gehört, ist dem Staat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge10 BVerfGE 48, 346 (364); 40, 121 (135); entgegen Pitschas, aaO, S. 124 darf das grundgesetzgebotene Niveau der Hinterbliebenenversorgung nicht mit dem Sozialhilfe standard gleichgesetzt werden. Das BVerfG stellt auf die typische Bedarfssituation der Witwen ab, die durch den Tod des unterhaltsleistenden Familienernährers im Durchschnitt entsteht. Der Umfang der Hinterbliebenenversorgung muß von Verfassungs wegen an den üblichen, normalerweise anfallenden Aufwendungen und Ausgaben der Angehörigen orientiert sein. Dieser Mindeststandard darf für den Regelfall nicht unterschritten werden. Eine Existenzgefahrdung, die auf keinen Fall eintreten darf, sieht das BVerfG jedenfalls dann, wenn das Sozialhilfeniveau unterschritten wird (BVerfGE 48, 346 (361)). Damit wird aber das Sozialhilfesystem nicht zur Leitlinie für die grundgesetzlich gebotene Ausstattung der Hinterbliebenensicherung. 11 Deutl. BVerfGE 48,346 (359,367): Ausgangspunkt für die Qualität der Sicherung im System der Sozialversicherung ist der Unterhaltsersatzcharakter der Hinterbliebenenrente für den Ausfall des sonst der Familie zufließenden Einkommens des Familienernährers; s. auch BVerfGE 17, 1 (22); 28, 324 (348); 40, 121 (134); 43, 13 (21); 62, 323 (332).

.III. Sozialversicherungssystem

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richts eine weite Gestaltungsfreiheit zur Verwirklichung des grundgesetzlichen Schutzgebots eröffnet, die sich auch auf die Art und Weise der Einbeziehung der Familienmitglieder in ein System der Sozialversicherung bezieht 12 . In einer neueren Entscheidung hat der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts dabei ausdrücklich offengelassen, ob es verfassungsrechtlich geboten ist, den Schutz der Frau in der seit 1911 in Deutschland bekannten Form des sozialversicherungsrechtlichen Anspruchs auf Witwenrente zu verwirklichen 13 . Aufgrund der Betonung der sozialpolitischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und infolge der strikten Ablehnung einer formell-organisatorischen „Wahrungskomponente" des Grundgesetzes durch das Verfassungsgericht dürfte eine institutionelle Verdichtung des Art. 61 GG oder des Sozialstaatsprinzips zugunsten des gegenwärtigen Strukturmodells ausgeschlossen sein 14 . c) Hinterbliebenenrente

als „Sozialeigentum"

Soweit subjektive Rechtsstellungen aufgrund der Vorschriften zur Hinterbliebenensicherung für Familienangehörige begründet sind, unterliegen diese dem individuellen Abbauschutz kraft rechtsstaatlichem Vertrauensschutzgebot bzw. eigentumsrechtlicher Bestandssicherung. Obwohl das Bundesverfassungsgericht die Renten des Sozialversicherten seit dem Versorgungsausgleichsurteil der Eigentumsgarantie unterstellt, zögert es bisher auch die Hinterbliebenenrente in den Schutztatbestand des Art. 14 GG einzubeziehen. In einer neueren Entscheidung des Gerichts ist ausdrücklich offengelassen, ob auch die Positionen von Hinterbliebenen dem Eigentumsgrundrecht zugeordnet werden können 15 . Diese abwartende Haltung erklärt sich aus dem Begründungsansatz, den das Gericht für eine Ausdehnung des Schutzbereichs des Art. 14 GG zugunsten von sozialen Rechtsstellungen gegeben hat. Das Bundesverfassungsgericht stellt im Anschluß an Dürig und die ältere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wesentlich darauf ab, ob ein Recht durch eigenen Leistungseinsatz „verdient" ist 1 6 . 12 s. BVerfGE 48, 346 (366); 43,108 (124); 55,114 (127): Art. 61 G G gebietet nicht die Zahlung einer Heiratsabfindung bei Wiederverheiratung. Ein ersatzloses Erlöschen der Witwenrente bei Wiederverheiratung ist daher mit dem Eheschutzgebot vereinbar. 13 BVerfGE 62, 323 (332). 14 Das BVerfG hat in seinem Witwerrentenurteil selbst schon Reformvorschläge gemacht, die teilweise völlig von der bisherigen Gestalt der Hinterbliebenensicherung abweichen. Danach soll der Gesetzgeber vom bisherigen System abgeleiteter Anspruchstatbestände überhaupt abgehen und beispielsweise eine eigenständige soziale Sicherung der Frau einführen dürfen, BVerfGE 39,169 (191 ff); a.A. Pitschas, aaO, S. 124, der eine Verfassungsgarantie zugunsten des Systems der abgeleiteten Hinterbliebenenrente aus Art. 12 i.V. mit dem Sozialstaatsprinzip annimmt. 15 BVerfGE 55, 114 (131); ebenso BSGE 47, 249 (263); unrichtig Plagemann, NJW 1982,559, der den Gründen des Ausbildungsausfallzeitenbeschlusses entnehmen will, daß auch die Hinterbliebenenrenten tatbestandlich von Art. 14 erfasst werden. 16 BVerfGE 53, 257 (291); näher hierzu unten 3. Teil A I.

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Da die Hinterbliebenenversorgung nach dem bestehenden System eine aus der Versichertenstellung abgeleitete Versorgung ist und zumindest nach der jüngeren Rechtsprechung der fürsorgerische Charakter der Witwen- und Waisenrente gegenüber dem Versicherungselement überwiegt, fehlt es bei strenger Betrachtung (striktes Äquivalenzerfordernis) an einer unmittelbaren persönlichen Vorleistung der Hinterbliebenen und damit an der maßgeblichen eigentumskonstituierenden Voraussetzung. Jedoch ist diese Sicht zu eng. Der Versicherte trägt mit seiner Arbeit und den daran anknüpfenden Beitragszahlungen in die Sozialversicherung nicht nur zur Schaffung seiner eigenen sozialen Sicherung bei, sondern erbringt dadurch auch „Vorleistungen" zugunsten der Lebensbasis seiner Familie. Arbeit und Vorleistung kennzeichnen damit auch die Versorgungsstellung der Hinterbliebenen, weshalb ihnen Eigentumsqualität zu bescheinigen ist. Die jüngere Rechtsprechung definiert die Eigentumsqualität auch keineswegs ausschließlich mittels des Verdienensmerkmals. Vielmehr hat auch die funktionelle Bedeutung einer Sozialleistung für die individuelle Existenzabsicherung eigentumsbegründenden Charakter 17 . Die Hinterbliebenenversorgung stellt eine elementare, wie es das Bundessozialgericht ausgedrückt hat, „Existenzsicherung nach Maßgabe des Versicherteneinkommens" dar 1 8 . Daher ist zu erwarten, daß das Bundesverfassungsgericht und das Bundessozialgericht — auch unter dem Blickwinkel eines aus Rechtssicherheitsgründen gebotenen einheitlichen grundrechtlichen Bestandsschutzes aller Sozialversicherten — die Eigentumswürdigkeit der Rechtsposition von Hinterbliebenen in Übereinstimmung mit der Mehrheit des neueren Schrifttums 19 anerkennen wird.

4. Die Sicherstellung eines zeitgerechten Krankheitsversorgungssystems a) Gewährleistung einer optimalen Krankenversorgung Während die gesetzliche Rentenversicherung einschließlich der Hinterbliebenenversorgung in der Rechtsprechung eine schärfere verfassungsrechtliche Konturierung zum einem über die objektivrechtlichen Anforderungen des Sozialstaatsprinzips i.V. mit Art. 3 GG zum anderen durch den grundrechtlichen Bestandsschutz für erworbene Anwartschaftsrechte und Ansprüche der 17

BVerfGE 53, 257 (290). Vgl. schon BVerfGE 28, 324 (349): Die Hinterbliebenenrente „beruht" auf den Eigenleistungen der Versicherten; s. BSGE 20, 252 (254): Vorleistungen des Versicherten selbst und seiner Ehefrau, weil diese ihn beruflich unterstützt bzw. den Haushalt führt. 19 s. Meydam, Eigentumsschutz, S. 35; Stober, Sozialrechtslehrertagung, S. 35; Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 184; Krause, Eigentum, S. 197 ff, der differenziert: Anwartschaftsrechte der Hinterbliebenensicherung bilden eigentumsgeschützte Rechtspositionen des Versicherten selbst, laufende Rentenansprüche bilden eigentumsfahige Rechtsstellungen der Hinterbliebenen; ähnl. Papier, VSSR 1973, 33 (45); ders., M D , Art. 14 Rn 137. 18

Β. III. Sozialversicherungssystem

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Rentenversicherung erfahren hat, gibt es bislang nur sehr vereinzelte Aussagen des Verfassungsgerichts zur gesetzlichen Krankenversicherung. Die Bereithaltung eines zeitangemessenen Krankenversicherungssystems ist für das Bundesverfassungsgericht und das Bundessozialgericht unmittelbares Gebot aus dem Sozialstaatsprinzip 1, ohne daß allerdings die gegenwärtige Gestalt des Krankenversicherungswesens institutionell durch das Grundgesetz garantiert ist 2 . Der Bund muß nach Art. 201 und Art. 12014 G G zu den Lasten der sozialen Krankenversicherung mit Zuschüssen beitragen, wenn die Kosten nicht mehr von den Trägern der Krankenversicherung alleine aufgefangen werden können 3 . Die in § 21 SGB-AT genannten Leistungssektoren dürften in ihrer funktionellen Sicherungsintention, nicht aber ihrer institutionell-organisatorischen Ausgestaltung den verfassungsrechtlich gewährleisteten sozialen Mindeststandard einer staatlichen Krankenversorgung darstellen 4. Die Gewährung entsprechender Sach- und Geldleistungen ist im Sinne der Angemessenheitsdirektive dem Grunde nach, wenn auch nicht in den Modalitäten der Bezugsvoraussetzungen sowie dem Leistungsumfang durch das Sozialstaatsprinzip garantiert. Dementsprechend ist in einer älteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt, daß das Sozialstaatsprinzip „eine möglichst gute ärztliche Versorgung" in der sozialen Krankenversicherung verlangt 5 . Ein breiter Leistungsabbau auf dem Gebiet der sozialen Krankenversicherung ist bereits wegen des vorrangigen Sachleistungsprinzips, das die erforderliche medizinische Behandlung und pflegerische Versorgung unmittelbar sicherstellt, wesensmäßig ausgeschlossen. Die nach dem Stand der Wissenschaft bestmögliche und im Interesse des Patienten sinnvollste medizinische Versorgung bei Krankheit zählt schon zum unmittelbar aus Art. 1 GG gewährleisteten physischen Existenzminimum 6 . 1 BVerfGE 16, 286 (304); BSGE 47, 148 (153); s. auch BVerfGE 45, 376 (387): Umfassende Systeme sozialer Sicherheit erforderlich; vgl. BVerfGE 18, 257 (267): Dem Sozialstaatsprinzip entspricht es, wenn diejenigen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Schwäche zur eigenen Lebensvorsorge nicht in der Lage sind, in das Zwangsversicherungssystem der sozialen Krankenversicherung einbezogen werden. 2 So das BVerfG in der AOK-Entscheidung = E 39, 302 (315). 3 BSGE 47,148 (157), danach ist die Bundesgarantie zwar unmittelbares Verfassungsgebot, ihre Ausgestaltung obliegt aber vorrangig dem Gesetzgeber; hierzu Starch , SGb 1979, 337; Diemer, VSSR 1982, 31. Die gesetzliche Krankenversicherung ist wie die Unfallversicherung bisher weitgehend ohne Staatszuschüssse ausgekommen. 4 Vgl. den Regelleistungs-Katalog des § 179 RVO: Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, Krankenhilfe, Mutterschaftshilfe, sonstige Hilfen, Sterbegeld, Familienhilfe; ebenso der Leistungskatalog des IAO-Abkommens Nr. 102 Teil I I und III. 5 BVerfGE 16,286 (304); vgl. § 182 I I RVO: Die Krankenpflege muß ausreichend und zweckmäßig sein; sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. 6 s. Sozial-Enquete-Kom., Ziff. 356; Seewald, Gesundheit als Grundrecht, S. 20; Heinze, DJT-Gutachten, S. 106.

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Die Bedeutung des von der Krankenkasse zu zahlenden einkommensersetzenden Krankengeldes ist durch das Lohnfortzahlungsgesetz von 1969 geschrumpft. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gehört nach der BAGRechtsprechung zu den „unentbehrlichen" Bestandteilen der Sozialgesetzgebung 7 . Die gesetzliche Krankenversicherung muß kraft grundgesetzlicher Gewährleistung nicht alle Nachteile von Gesundheitsschäden absichern 8. Der in dieser Formulierung versteckte „Angemessenheitsvorbehalt" räumt dem Gesetzgeber in Konkretisierung des generellen „Vorbehalts des Möglichen" einen gewissen, wenn auch aus der Natur des Versorgungszweckes der Krankenversicherung heraus relativ schmalen Raum für Leistungseinschränkungen im Gesundheitsbereich ein. In der medizinischen Versorgung Kranker ist demgemäß ein Abrücken aus Kostengründen vom jeweils optimalen Standard ärztlicher und pflegerischer Betreuung ausgeschlossen, wenngleich „Luxusbehandlungen" kraft des Angemessenheitspostulats nicht zum verfassungsverbürgten Sicherungsstandard gehören 8a . M i t dem Kostendämpfungsgesetz 1977 und dem Kostendämpfungsergänzungsgesetz v. 22.12. 1981 sind unter anderem eine Eigenbeteiligung des Sozialversicherten bei den Kosten von Arzneimitteln, Krankenhausbehandlungen und Kuren, neue einschränkende Voraussetzungen für die Bewilligung von Kuren eingeführt sowie sogenannte Bagatellmedikamente aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen herausgenommen worden. Diese Maßnahmen dienen erklärtermaßen sowohl Einsparungszwecken als auch zur Verhinderung mißbräuchlicher Inanspruchnahme von Leistungen9. M i t dieser Begründung sind die Leistungseinschränkungen verfassungsrechtlich jedenfalls dann nicht bedenklich 10 , solange sie nur geringfügige, auch 7 BAGE 15, 121 (125); NJW 1982, 2790; das Lohnfortzahlungsgesetz zählt systematisch zur Arbeitsschutzgesetzgebung, überschneidet sich jedoch in seiner Zielsetzung mit der Sicherungsintention des Sozialversicherungsrechts. 8 BVerfGE 36,237 (245); vgl. BVerfGE 16,286 (304): „Ausreichende Versorgung"; SV Rupp-v. Brünneck, BVerfGE 36, 237 (250), das aus dem Gebot „sozialer Gleichheit" eine Verpflichtung des Staates ableitet, „eine angemessene soziale Sicherung bei Alter und Krankheit" bereitzuhalten, die in den Einzelheiten der Ausgestaltung „sozialgerecht" sein müsse; auch in diesen Formulierungen steckt ein situationsbezogener Maßgabevorbehalt; vgl. Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 245, der ebenfalls auf das Angemessenheitskriterium als Maßstab des Mitteleinsatzes im Gesundheitswesen abstellt. 8a Die Grenzziehung zwischen medizinisch notwendiger und nicht unbedingt erforderlicher Behandlung läßt sich mit objektiven Kriterien kaum nachvollziehen. Auch Schlaftabletten und Kopfschmerztabletten können aus der Perspektive des Patienten und seines behandelnden Arztes angezeigt sein. Diese Medikamente können, entgegen Heinze, DJTGutachten, S. 106, nicht pauschal dem „Bereich der persönlichen Lebensführung" zugeordnet werden. Unabdingbar ist die Kostendämpfung im Gesundheitswesen durch Stärkung der Verhandlungsmacht der Krankenkassen gegenüber der pharmazeutischen Industrie, den Krankenhausträgern und den Kassenärztlichen Vereinigungen, so auch Stolleis, DJT-Thesen, These 17a. 9 s. Stettner, VSSR 1983, 155.

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einkommensschwächeren Bürgern zumutbare Modifikationen am bisherigen Leistungsumfang mit sich bringen, wovon bei den Eingriffen der genannten Kostendämpfungsgesetze ausgegangen werden kann 1 1 . b) Hohes Bestandsinteresse der Krankenversicherten

bei Rechtsänderungen

Entsprechend der elementaren Versorgungsfunktion genießt der einzelne für seine aktuellen und potentiellen Rechtsstellungen in der sozialen Krankenversicherung einen besonders hohen Vertrauensschutz. Der Gesetzgeber muß nach der Entscheidung zur Krankenversicherung der Knappschaftsrentner bei einer Verschlechterung des Krankenversicherungsschutzes das „in der Regel hohe Interesse am Fortbestand der geltenden Rechtslage beachten und besonders sorgfältig prüfen, ob Belange der Allgemeinheit von solchem Gewicht vorhanden sind, daß die Enttäuschung gerade älterer und kranker Bürger zu rechtfertigen ist" 1 2 . Das Sozialstaatsprinzip wird in diesem Beschluß ausdrücklich als kontinuitätsstärkender Faktor im Rahmen der Bestandsschutzabwägung nach der Rückwirkungslehre genannt. Hieraus sei es geboten, das Vertrauen der Bürger umso höher anzusetzen, wenn er durch eine Abbaumaßnahme in eine Lage gerät, die er, wie normalerweise bei der Krankheitsvorsorge, aus eigener Kraft nicht mehr bewältigen kann. Das Bundesverfassungsgericht hat erwogen, die Rechtsstellungen der Krankenversicherten in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie einzubeziehen, wie dies auch im Schrifttum gefordert wird 1 3 . Im Ergebnis hat es dies jedoch 10

Zur Legitimationskraft der Rücknahmemotive s. näher unten 3.Teil, A I I I 6-8. Unverhältnismäßig erscheinen die Vorschläge u.a. des Lambsdorff-Papiers, die Karenztage ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle sowie die Staffelung der Höhe des Krankengeldes nach der Bezugsdauer befürworten, weil solche Maßnahmen nur unwesentliche Einsparungen bringen und in ihrem praktischen Effekt „Bestrafungscharakter" tragen, was dem verfassungsrechtlich hohen Stellenwert der Gesundheitsvorsorge widerspricht. Nach Art. 181 ILO-Abk. Nr. 102 ist die Nichtzahlung von Krankengeld für die ersten 3 Tage des Verdienstentganges allerdings zulässig; auch Heinze, DJT-Gutachten, S. 110 f bejaht die Einführung von Karenztagen und eine zeitliche Staffelung des während der Krankheit fortzuzahlenden Arbeitsentgelts. 12 BVerfGE 40, 65 (76); s. auch BVerfGE 60, 360 (369), der erste Senat hat bei Stimmengleichheit die Unzulässigkeit von Verfassungsbeschwerden gegen das Krankenversicherungskostendämpfungsgesetz von 1977 festgestellt, mit denen die Beschwerdeführer, die noch nicht Rentner waren, eine Verschlechterung in der Krankenversicherung der Rentner als Verstoß gegen Art. 14 gerügt hatten. Zwar seien die Beschwerdeführer durch die Neuregelung nachteilig unmittelbar selbst betroffen, jedoch genüge das „virtuelle" Selbstbetroffensein nicht für die Annahme einer „gegenwärtigen" Verletzung von Rechtspositionen in der Krankenversicherung der Rentner. Zur verfahrensrechtlichen Stellung der Sozialversicherten s. unten 3. Teil A I 2 a). 13 Für eine Einbeziehung der Pflichtansprüche auf Sach-, Dienst- und Geldleistungen in der sozialen Krankenversicherung in den Tatbestand der Eigentumsgarantie Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 174; Papier, M D , Art. 14 Rn 148; Heinze, DJT-Gutachten, S. 66, der allerdings die Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, die Empfängnisverhütung, die legale Sterilisation und den legalen Schwangerschaftsabbruch von der Bestandsgarantie des Art. 14 ausnehmen will. 11

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

offengelassen, weil es schon eine Verletzung des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes durch die Umstellungen in der Krankenversicherung der Knappschaftsrentner annahm 14 . Bestands- und Vertrauensschutz aufgrund des Rechtsstaatsprinzips oder nach Art. 14 schließt allerdings, trotz des hohen Sicherungsbedürfnisses der Bürger gerade in der Krankenversicherung, nicht aus, daß einzelne Versorgungspositionen maßvoll und den Betroffenen zumutbar gekürzt oder Umstellungen im Krankenversicherungssystem durchgeführt werden. In einer älteren Entscheidung zur freiwilligen Zusatzsterbegeldversicherung betont das Bundesverfassungsgericht die Abhängigkeit der Krankenversicherung von der gesellschaftlichen Entwicklung. Daher dürfe der Gesetzgeber grundsätzlich auch eine benachteiligende Neugestaltung des Krankenversicherungsverhältnisses vornehmen, vor allem wenn dies aus finanziellen Gründen zur Herstellung eines annähernden Gleichgewichts von Einnahmen und Ausgaben geschehe15. Diese wenigen Hinweise aus der Rechtsprechung belegen einerseits die Novellierungsoffenheit des Krankenversicherungssystems, die, wie in den übrigen Zweigen des Systems sozialer Sicherheit auch zu Kürzungen von Leistungen und Vorteilen des sozialen Krankenschutzes führen kann, wenn solche Erschwerungen durch ein dringliches öffentliches Interesse geboten und den Betroffenen zumutbar sind. Andererseits ist ein Leistungsabbau in der Krankenversicherung wegen der besonders ausgeprägten Abhängigkeit des einzelnen von einer medizinisch optimalen, qualitativ kaum variablen Behandlung und Pflege 16 und den vom Bürger im Normalfall nicht tragbaren Kosten der Heilbehandlung, aber auch im Hinblick auf eine existenznotwendige finanzielle Absicherung des Versicherten während eines krankheitsbedingten Arbeitsausfalls, nur unter sehr sorgfaltiger Wahrung des Sicherungsinteresses der betroffenen Bürger von Verfassungs wegen zulässig.

5. Die grundgesetzliche Verbürgung der Arbeitslosenversicherung a) Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Arbeitslosenversicherung als Verfassungsaufgabe Die Milderung der Folgen von Arbeitslosigkeit sowie die Verschaffung eines neuen Arbeitsplatzes gehört zu den dem Staat obliegenden, ihm durch das Gebot der Sozialstaatlichkeit vom Grundgesetz besonders aufgegebenen Bereichen öffentlicher Daseinsvorsorge 1. 14 BVerfGE 40, aaO, S. 82 ff; s. auch BVerfGE 51, 257 (265); 60, 360 (368), wo von „krankenversicherungsrechtlichem Eigentum" in der Stellungnahme der Bundesregierung gesprochen wird. 15 BVerfGE 11, 221 (227, 230); vgl. BVerfGE 51, 257 (266). 16 Zu den verschiedenen Vorschlägen zur Absicherung des „Pflegefallrisikos" s.Heinze, DJT-Gutachten, S. 96 f.

Β. III. Sozialversicherungssystem

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Bundesverfassungsgericht und Bundessozialgericht haben es daher als ein sozialstaatliches Gebot bezeichnet, die „Funktionsfähigkeit" der Arbeitslosenversicherung zu gewährleisten 2. Da Arbeitslosigkeit seit Beginn der 80er Jahre zu einem Massenphänomen geworden ist, wird das Netzwerk der Arbeitslosenversicherung als einer Elementarstütze des Sozialstaats mit existenzieller Sicherungsfunktion einer harten Bewährungsprobe unterzogen. Der Staat hat auf die enorme Belastung der Arbeitslosenversicherung mit Leistungsminderungen, Verschärfungen bei den Bezugsvoraussetzungen und Modalitäten der Mittelgewährung (ζ. B. durch neue einengende Gruppierungen der Zumutbarkeitsanordnung sowie der Staffelung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes nach Beitragszeiten) auf der Ausgabenseite sowie Beitragserhöhungen auf der Einnahmenseite rasch reagiert. Das Grundgesetz trifft im Bereich der Arbeitslosenversicherung auf eine heteronome Materie: Einerseits ist sie nach heutigem Verständnis Teil des klassischen Sozialversicherungssystems 3, andererseits zählt sie im weiteren Sinn auch zum staatlichen Arbeitsgestaltungsrecht 4, das wiederum den in Art. 9 I I I GG vorbehaltenen autonomen Regelungsbereich der Tarifvertragsparteien tangiert. Das Arbeitsgestaltungsrecht ist ebenso wie das Sozialrecht in engerem Sinn von „Auflockerungstendenzen" bedroht, die das Etikett „Sozialabbau" verdienen 5 . Im A F G spiegelt sich die Verzahnung von Arbeitsrecht und Sozialrecht besonders deutlich wider. Das Sozialrecht, speziell das Sozialversicherungsrecht stellt sich gewissermaßen als Fortsetzung des „Grundzustands" Arbeit dar, wenn dieser aus irgendeinem Grund „notleidend" wird, sei dies aufgrund Krankheit, Arbeitslosigkeit, Unfall oder Alter. Der sozialversicherungsrechtliche Bestandsschutz steht daher im Schnittpunkt zwischen dem Grundrecht der

1 So BVerfGE 21,245 (251,254); 51,115(125); 59,231 (266); zum „Recht auf Arbeit" u. dem Verfassungsauftrag für eine aktive Beschäftigungspolitik s. SV-Kom. Staatszielbestimmungen, Ziff. 87 ff; Scholz in: Soziale Grundrechte, S. 75 ff; Kittner in: Soziale Grundrechte, S. 91 ff, s. auch Häberle, JZ 1984, 345 ff; Bryde, NJW 1984, 2177 (2182 ff). 2 BVerfG, Vorprüfungsausschuß, NJW 1984,912; BSG, NJW 1983, 701 (703), ebenso unter Hinweis auf Art. 74 Nr. 12 Pitschas, NJW 1984, 889 (893). 3 s. BVerfGE 51, 115 (125): Die Arbeitslosenversicherung gestaltet als Zweig der Sozialversicherung das Sozialstaatsprinzip ganz wesentlich aus. Eine „institutionelle Garantie" für die gegenwärtige Form der Arbeitslosenversicherung lehnt das BVerfG aber ab, s. E 53, 313(326); a.A. Häberle, FS Huber, S. 211 (233); ders., JZ 1984, 345 (353). 4 Zur BAG-Rechtsprechung s. Benda, NJW 1979, S. 1 ff, der aus der Kasuistik des BAG ableitet (S. 5), daß „zumindest diejenigen arbeitsrechtlichen Institutionen, die seit langem anerkannt und in der Praxis durchgesetzt sind, nicht ohne Verstoß gegen die Sozialstaatsklausel außer acht gelassen oder abgebaut werden dürften". 5 Lockerungen des Arbeitsschutzrechts durch das „Beschäftigungsförderungsgesetz", wonach befristete Arbeitsverträge zulässig sind.

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Arbeit und seinen „Nachwirkungen" in Form von Sozialteilhaberechten, die in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie einfließen 6. Der Arbeitsvermittlung, die in Art. 74 Nr. 12 GG neben dem Arbeitsrecht und der Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung genannt ist, kommt die Funktion einer Nahtstelle zu. Sie ist auf Beendigung des Zustands der Arbeitslosigkeit und damit der Eintrittspflicht der Arbeitslosenversicherung gerichtet, so daß die „Normalbefindlichkeit Arbeit" wieder wahrgenommen werden kann. Sie ist aber auch Instrument einer effektiven Arbeitsmarktpolitik, weshalb das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 4. 4.1967 7 , gestützt auf den Sozialstaatsgedanken, ein Monopol des Staates auf dem Gebiet der Arbeitsvermittlung für notwendig erachtet hat.

b) Grundgesetzgebot einer „angemessenen" sozialen Sicherung bei Wegfall des Arbeitsplatzes, insbesondere BVerfGE 51, 115 Im engeren Bereich der Arbeitslosenunterstützung hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluß vom 3. 4. 1979 die Grenzen der Abbaubefugnis des Gesetzgebers am Maßstab des Sozialstaatsprinzips i.V. mit Art. 3 I GG abgesteckt8: Es genüge den Anforderungen des Art. 20 I GG, wenn den Arbeitslosen „angemessener Ersatz" für den Ausfall eines tarifvertraglich bezahlten Arbeitsplatzes geleistet wird. Das Angemessenheitserfordernis wird vom ersten Senat in dieser Entscheidung negativ dahin bestimmt, daß der Gesetzgeber durch das Gebot des sozialen Rechtsstaates nicht verpflichtet sei, dem Versicherten ein Arbeitslosengeld zu gewähren, das ihm annähernd die Aufrechterhaltung seines bisherigen Lebensstandards ermöglicht. Die Ausgestaltung der Arbeitslosenversicherung obliege in den Einzelheiten dem Gesetzgeber, der das Sozialstaatsprinzip nicht verletze, „wenn die Nichtberücksichtigung von Überstundenentgelt in Einzelfallen dazu führt, daß das Arbeitslosengeld, gemessen am Nettogehalt vor der Arbeitslosigkeit, nicht unerheblich unter dem Regelsatz von 68 v. H. liegt". Obwohl es im konkreten Fall lediglich um die Nichtberücksichtigung von Überstundenlöhnen bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes ging und das Gericht den einzelfallbezogenen Charakter seiner Entscheidung hervorgehoben hat, wurde diese auf der politischen Ebene als Signal dafür verstanden, daß der bisher innegehabte Leistungsstandard der Arbeitslosenversicherung für die 6 Zum Zusammenspiel von Arbeits- und Sozialrecht s. Häberle, JZ 1984,345 (351,353); Scheuner, Disk.-Beitrag VVDSTRL 28, (1970), S. 232. 7 BVerfGE 21, 245 (251 ff); s. auch BSGE 20, 169 (170 ff); 43, 128 (132). Das Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit wird auf der politischen Ebene wegen seiner angeblichen Ineffektivität infrage gestellt, s. Bericht in FAZ v. 6. 4. 1983, S. 3. 8 BVerfGE 51, 115 (124 f); 62, 255 (262).

.III. Sozialversicherungssystem

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Zukunft wenigstens unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel nicht beibehalten werden muß. Das Haushaltsbegleitgesetz 1984 hat zu erheblichen Einschränkungen der Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit zu Lasten eines großen, von der Wirtschaftskrise besonders hart betroffenen Personenkreises geführt. So wurde unter anderem das Arbeitslosengeld für Leistungsbezieher ohne Kinder von 68 auf 63%, die Arbeitslosenhilfe von 58 auf 56% gesenkt. Mögen diese sowie weitere Einschränkungen aufgrund der vorausgegangenen Haushaltskonsolidierungsgesetze, wie die Staffelung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes nach der Anzahl der belegten Beitragsmonate und die Begrenzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf ein Jahr, wegen ihrer relativ geringfügigen verschlechternden Auswirkung bei isolierter Betrachtung noch innerhalb der sozialpolitischen Ermessensbefugnis des Gesetzgebers liegen, so bewegt sich die Minderung der Arbeitslosenleistungen in ihrer Gesamtheit doch hart an der Untergrenze der „angemessenen" Sicherung beim Verlust des Arbeitsplatzes. Die Angemessenheit der Unterstützungsleistungen aus der Arbeitslosenversicherung kann nach dem durch Art. 12 G G geschützten Leistungskriterium nicht losgelöst von den Beitragszahlungen des Versicherten aus seinem Arbeitseinkommen beurteilt werden. Insofern unterscheidet sich die soziale Sicherung gegen Arbeitslosigkeit in ihrer Funktion, ihrem systematischen Aufbau und ihrem Leistungsstandard von den einseitigen Fürsorgeleistungen des Staates außerhalb der Sozialversicherung 9. Demgemäß dürfen sich auch die Leistungen bei Arbeitslosigkeit grundsätzlich nicht vom Leitbild der Lebensstandardsicherung entfernen 10 , wenn auch die Spanne für einen Abschlag am bisherigen Einkommensniveau wegen des im Regelfall nur vorübergehenden Daseinssicherungscharakters der Arbeitslosenleistungen größer ausfallen kann als auf den anderen Sicherungssektoren der Sozialversicherung 11. 9 Art. 163 WRV und einige Landesverfassungen (Art. 168 I I I Verf.Bay., Art. 49 I I I Verf. Bremen, Art. 12 Verf. Berlin) zählen die Sicherung bei Arbeitslosigkeit noch zum Recht der Fürsorge. 10 Die Arbeitslosenhilfe ist im Gegensatz zum Arbeitslosengeld systematisch wegen der Bedürftigkeitsabhängigkeit eine qualifizierte Sozialhilfeleistung. Aus dem Gesichtspunkt der Lebensstandardsicherung im Falle von Arbeitslosigkeit bestehen verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Verlagerung der Arbeitslosenunterstützung auf die Sozialhilfe durch eine enge Fassung der Bezugsvoraussetzungen und eine zeitliche Begrenzung des Arbeitslosengeldanspruchs auf ein Jahr. Es ist nicht einsichtig, weshalb ein Arbeitsloser, der 30 Jahre Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bezahlt hat, bereits nach einem Jahr kein Arbeitslosengeld mehr erhalten soll; vgl. dazu die DGB-Studie zur „neuen Armut" von längerfristig Arbeitslosen, s. Der Spiegel v. 16. 7.1984, S. 21; dagg. will Heinze, DJTGutachten, S. 90, 108 die Arbeitslosenhilfe voll in den Leistungsbereich der Sozialhilfe eingliedern und damit vom Lebensstandardsicherungsprinzip abkoppeln! 11 Die existenzsichernde Funktion des Arbeitslosengeldes betont BVerfGE 63, 255 (262). Die Höhe des Arbeitslosengeldes und erst recht der Arbeitslosenhilfe liegt heute real häufig unter dem Sozialhilfeniveau, was kaum mit dem Versicherungscharakter der Arbeitslosenversicherung zu vereinbaren ist; s. Art. 20 ILO-Abk. Nr. 102: Die Leistungen bei Arbeitslosigkeit haben den Verdienstentgang zu umfassen.

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Teil 2: Grundgesetzgarantie für soziale Errungenschaften?

Das Bundesverfassungsgericht hat gerade für die Arbeitslosenversicherung festgestellt,daß die Leistungen der Höhe nach nicht in voller Äquivalenz zu den Beiträgen stehen müssen, „weil die individuellen Beiträge angesichts der für die Arbeitslosenversicherung typischen kurzen Anwartschaftszeiten, des extrem kurzen Bemessungszeitraums und der üblicherweise kurzen Leistungsbezugszeit ohnehin als vorrangiger Maßstab nicht in Betracht kommen" 1 2 . Die tatsächlich fehlende individuelle Beitragsäquivalenz darf und kann aber keine Rechtfertigung dafür sein, den Umfang der Leistungen der Arbeitslosenversicherung vom erarbeiteten Verdienst der Vergangenheit, dem über Art. 12 G G und „fortsetzend" in Art. 14 GG eine hohe personale Verfassungswertigkeit zuzumessen ist, abzukoppeln. Das Schutzsystem bei Arbeitslosigkeit beruht wie die anderen Zweige der Sozialversicherung zunächst auf dem Versicherungsprinzip, das an den Arbeitseinsatz des einzelnen anknüpft. Das Niveau der Berechtigungen aus der Arbeitslosenversicherung kann nicht unabhängig von der vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bestehenden Einkommenssituation festgelegt werden, sondern muß mit dieser korrelieren 13 . Dementsprechend hat das Bundessozialgericht den Anspruch auf Arbeitslosengeld als „verdientes" Recht in Ausfluß des Gedankens vom „Eigentum als geronnene Arbeit" {Dürig) in den Tatbestand der Eigentumsgarantie einbezogen, wodurch ein dichter, individueller Abbauschutz an der Richtlinie eines sozialen Schonungsgebots für erworbene Rechtspositionen gewährleistet ist 1 4 . Nach der primär durch den Maßstab des Sozialstaatsprinzips i.V. mit Art. 31 G G gesteuerten Rechtsprechung zur Arbeitslosenversicherung besitzt der Sozialgesetzgeber freilich ein sehr weites Gestaltungsermessen für die Festsetzung von Modalitäten und Umfang der Unterstützungsleistungen 15. 12

BVerfGE 51, 115 (124 f); 53, 313 (328); 60, 68 (77). Vgl. BVerfGE 60, 68 (77); 42, 176 (182 ff), wo ein Verstoß gegen das „Prinzip der sozialen Besitzstandswahrung" darin erblickt wurde, daß der Arbeitnehmer, dem aufgrund eines Vergleichs bei vorzeitiger Auflösung eines Arbeitsverhältnisses eine Abfindung zugestanden worden war, im Falle der Arbeitslosigkeit gezwungen war, diese Abfindung voll aufzuzehren, bevor er Arbeitslosengeld erhielt. 14 BSGE 46, 89 (97); 41,177 (185); das BVerfG zögert noch mit der Anerkennung der Eigentumsfahigkeit für Ansprüche und Anwartschaften aus der Arbeitslosenversicherung, s. BVerfGE 42, 176 (191); 53, 313 (331). Aufgrund der „Globaläquivalenz" der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung befürworten einen Eigentumsschutz: Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 169 (175); Papier, M D , Art. 14 Anm. 148; Häberle, JZ 1984, 345 (351,353); nach Heinze, DJT-Gutachten, S. 67 soll ein eigentumsrechtlicher Bestandsschutz für die „eigentlichen" Versicherungsleistungen, wie Arbeitslosengeld, Konkursausfallgeld, Schlechtwettergeld, Wintergeld und Trennungsbeihilfe in Betracht kommen, während die Berufsberatung, die Arbeitsvermittlung, berufliche Ausbildungsmaßnahmen und vor allem die Arbeitslosenhilfe als sozialversicherungsfremde Leistungen keine eigentumsrechtliche Verfestigung genießen sollen; s. noch unten 3. Teil A II. 6 b. 15 BVerfGE 31, 185 (191); 63, 255 (262): Pauschalierung bei der Festsetzung von Arbeitslosengeld ist dem Gesetzgeber als typisierende Regelung einer Massenerscheinung grundsätzlich erlaubt. 13

.III. Sozialversicherungssystem

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Verfassungsrechtlich garantierter Mindeststandard muß aber immer eine funktionsfähige und zeitgerechte Absicherung durch die Sozialversicherung bleiben, die den Lebensunterhalt des Versicherten und seiner Familie im Falle von Arbeitslosigkeit sicherstellt 16 . Wie in allen Bereichen der Sozialversicherung beschränkt sich die verfassungsrechtliche Einwirkung auf die Gewährleistung eines vom Gesetzgeber auszufüllenden Gestaltungsrahmens, dessen Untergrenze durch das flexible, situationsbezogene „Angemessenheitskriterium" relativierend markiert wird.

16 s. BVerfGE 31, 185 (190); vgl. vage § 3 I I 4 SGB-AT, wo eine „wirtschaftliche Sicherung" bei Arbeitslosigkeit und Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers gefordert ist.

9 Schlenker

3. Teil

Das Kernstück sozialstaatlicher Rückschrittsgerechtigkeit: Grundrechtlicher Bestandsschutz für Teilhabepositionen am System sozialer Sicherheit — Ansatzpunkte für ein Konzept stärkerer Grundrechtsorientierung des Sozialrechts A. Art. 14 GG als „Grundrecht auf soziale Sicherheit" in der Sozialversicherung I. Die leistungsstaatliche Dimension der Grundrechte und deren Gefährdung durch soziale Rücknahmen 1. Grundrechtssichernde Geltungsfortbildung durch Anerkennung der Grundrechtsrelevanz sozialer Positionen Im Mittelpunkt der bisherigen Untersuchung aktueller und potentiell wirksamer verfassungsrechtlicher Rückschrittsfilter stand die Festigungskraft der Sozialstaatsdirektive sowie die strukturierende Wirkung des Gleichheitssatzes. Hingegen fand ein „wahrendes" Element der Grundrechte des Grundgesetzes im Rahmen der Analyse der Verfassungsrechtsprechung nur punktuelle Erwähnung. Der über der Elementarbasis des in Art. 1 GG garantierten ökonomischen Existenzminimums liegende, qualifizierte Standard einfachgesetzlich niedergelegter sozialer Leistungs- und Schutzfunktionen wird aus der Verfassungsebene im Lichte der herrschenden Meinung nicht grundrechtsbezogen gesteuert. In objektivrechtlicher Richtung erfahren die allgemeine sozialstaatliche Fürsorge- und Schutzkomponente oberhalb des Existenzminimumbereichs und das Sicherungssystem der Sozialversicherung für die Normalrisiken menschlichen Lebens Struktur und Stabilität regelmäßig über die Anforderungen des „Sozialstaatsprinzips i. V. mit Art. 3 I GG". Nur soweit Regelungen des Familienkreises und des Mutterschutzes betroffen sind, ist Art. 6 I, IV GG spezielle soziale Verbürgung mit objektiver und subjektiver Wirkung. Affinität zu Art. 2 I I GG wurde in Anlehnung an die neuere Umweltjudikatur in Bezug auf die staatliche Pflicht zum Schutze des „sozialen Wohlbefindens" der Bürger festgestellt (s.o. 2. Teil Β I I 1 b), ein Ansatz der freilich noch keine breite Anerkennung gefunden hat. Bedeutung erlangen die Grundrechte des Grundgesetzes jedoch als subjektive Faktoren zum Schutze des individuell erworbenen „sozialen Besitzstandes". Als

A.I. Leistungsstaatliche Dimension der Grundrechte

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individualbezogener sozialer Rücknahmefilter, der den verfassungsgebotenen Bestands- und Vertrauensschutz rückschrittsbetroffener Bürger gewährleistet, wird nach bisher herrschender Auffassung allerdings nur Art. 14 G G interpretiert. Wie schon erwähnt (s.o. 2. Teil A I I 7, Β I I 3, Β I I I 1 b) beschränkt sich die Zuerkennung der Eigentumsfahigkeit derzeit noch auf Teilhabeberechtigungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Der sowohl thematisch als auch inhaltlich begrenzte Eigentumsschutz sozialer Rechtsstellungen im Sozialversicherungssystem ist ein erster Schritt zur Anerkennung der Grundrechtsrelevanz sozialer Leistungs- und Schutztatbestände. Die Einbeziehung von Positionen des sozialen Netzes in den Normbereich der Freiheitsgrundrechte des Grundgesetzes ist in Anbetracht der politischen Rückschrittsgefahrdung des Sozialstaates notwendige und dringliche Konsequenz eines wirklichkeitsoffenen Verständnisses grundrechtlich umsorgter Freiheit. Freiheit im Sinne des Grundgesetzes umfaßt nicht mehr nur die private, aufgrund zahlloser strukturierender Normgeflechte nur scheinbar staatsfreie Zone bürgerlichen Daseins, sondern gerade auch den sozialen Lebensraum, der entscheidend durch staatliche Leistungs- und Schutzgesetze nebst zuteilenden Einrichtungen geprägt ist 1 . Der grundrechtliche Achtungsanspruch kann daher nicht dort „ausklinken", wo der Staat selbst reale Freiheitszonen im Gewand öffentlichrechtlicher Zuteilungen oder Gestaltungsmechanismen schafft 2 . Die Teilhabe des einzelnen3 an einem komplexen, funktionierenden sozialen Netzwerk 38 mit dichtem Versorgungs- und Schutzniveau darf deshalb nicht ein 1 Vgl. SV Rupp-v. Brünneck, BVerfGE 32, 129 (140); Zacher, AöR 1968, 341 (376); Badura, FS BSG, S.673 (674); Häberle, LVA-Mitt,S. 485; ders., AöR 1984, 36 (67 ff); Haverkate, ZRP 1984, 217 (218 f). 2 s.aber noch BVerfGE 2, 380 (401): „Der Staat nehme von jeher für sich das Recht in Anspruch, solche Rechte, die er selbst einmal geschaffen hat, wieder zu entziehen". In diesem Sinne auch: Nicolaysen, FS Schack, S.107 (113); H. Schneider, Eigentumsschutz, S. 17 ff, 31; Meydam, S.38 ff, 88 f; Papier, VSSR 1973,33 (46); ders., M D , Art. 14, Rn 119 ff, 142; Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, S. 11 ff; ders., DÖV 1981, 503 ff. 3 Der Wandel vom bloßen Abwehr- zum Teilhabecharakter der Grundrechte vollzieht auf der grundrechtsdogmatischen Ebene nach, daß der Staat sich an den Bürger nicht mehr nur als Subjekt eingreifender Hoheitsgewalt wendet, sondern der Staat als freiheitsrealisierender Leistungsträger und Organisator sozialer Institutionen in den Vordergrund rückt; s. Badura, FS BSG, S. 673 (687); ders., SGb 1984, 398 (401); Häberle, Leistungsstaat, S. 112 f; ders., Wesensgehaltgarantie, 370 ff;JZ 1984, 345 (352); Martens, VVDSTRL 30,7 (21); Scheuner, DÖV 1971,505 (511); ders., Disk.-Beitrag, VVDSTRL 28 (1970), S. 232; v. Mutius, Verwaltungsarchiv 1973,183 ff; Rupp, AöR 101 (1976), 161 (176 ff); Redeker, Festgabe BVerwG, S. 511 ff; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 241 ff; Grimm, Grundrechte und soziale Wirklichkeit, S. 39 (56 ff, 71); ders., Sozialrechtslehrertagung, S. 226 (233); F. Müller u.a., Leistungsrechte, S. 60 ff; Papier, VSSR 1973,33 (38); ders., Sozialrechtslehrertagung S. 193,205; ders., M D , Art. 14 Rn 119 ff; Krause, Eigentum, S. 40 ff; Diemer, VSSR 1982, 325 (338). Zur Unterscheidung zwischen „orginärem" und „derivativem" Teilhaberecht s. bes. Martens, aaO, S. 21; F. Müller, aaO, S. 60 f; Schwabe, aaO, S. 248 ff. 3a Nach Haverkate, ZRP 1984, 217 (221) bedarf der Eigentumsschutz von Rentenansprüchen keiner teilhaberechtlichen Konstruktion des Eigentums, weil es in der genossen-

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Anliegen des zunächst konturenlosen Sozialstaatssatzes, allgemeiner rechtsstaatlicher Prinzipien oder des Gleichheitssatzes bleiben. „Je stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung und kulturellen Förderung der Bürger zuwendet, desto mehr tritt im Verhältnis zwischen Bürger und Staat neben das ursprüngliche Postulat grundrechtlicher Freiheitssicherung vor dem Staat die komplementäre Forderung nach grundrechtlicher Verbürgung der Teilhabe an staatlichen Leistungen". Dieser im NC-Urteil von 1972 mit Blick auf den Bereich von Bildung und Ausbildung formulierte Satz 4 , der die leistungsstaatliche Betrachtung des Grundgesetzes, speziell der Freiheitsrechte des Grundrechtskataloges im Anschluß an vorbereitende Arbeiten im staatsrechtlichen Schrifttum 5 prägnant zum Ausdruck bringt, ist auch Schlüssel für eine grundrechtsgesteuerte Stabilisierungsfunktion des Grundgesetzes zugunsten einfachgesetzlicher Leistungs» und Schutzgeflechte des Systems sozialer Sicherung im engeren Sinne. Da das Grundgesetz, abgesehen von Art. 6 GG keine speziellen sozialen Verbürgungen 6 kennt und eine Einfügung bereichsspezifischer sozialer Gewährleistungen in die bundesdeutsche Verfassung politisch zumindest derzeit nicht erwartet werden darf 7 , kommt einer sozialrechtsbezogenen Interpretation der Freiheitsgrundrechte vorrangige Bedeutung zu. Das personale Schutzmoment, welches die Grundrechte gegenüber den staatlichen Organen in Ansatz bringt, schaftlich konzipierten Sozialversicherung nicht um die Teilhabe an unmittelbaren Staatsleistungen gehe. In diesem engen Sinn darf der Begriff der Teilhabe jedoch nicht verstanden werden. Der Teilhabecharakter äußert sich auch in der Teilnahme des Bürgers an öffentlich-rechtlichen, staatlich organisierten, nicht überwiegend steuerfinanzierten Sozialsystemen, vgl. Badura, FS BSG, S. 675 (687). 4 BVerfGE 33, 303 (330). 5 s. bes. Häberle, Leistungsstaat, S. 43 ff. 6 Zur Diskussion über Sinn und Wirkung der Gewährleistung „sozialer Grundrechte" s. etwa J.P. Müller, Soziale Grundrechte in der Verfassung? 1982; Badura, Der Staat 1975, 17; Grimm, Grundrechte und soziale Wirklichkeit, S. 39 (62 ff); Beiträge in: Böckenförde / Jekewitz I Ramm, Soziale Grundrechte 1981; Isensee, Der Staat 1980, 367; J. Lücke, AöR 1982, 15 ; Tomandl, FS Wannagat 1981, S. 625; Stern, Staatsrecht I, S. 936 m.w.N. 7 Vgl. die halbherzigen Vorschläge der SV-Kom. „Staatszielbestimmungen, Gesetzgebungsaufträge" bezüglich einer Aufnahme prinzipieller Bestimmungen zum Thema „Arbeit", „Umweltschutz" und „Kultur" ins GG. Ausdrücklich wird im Gutachten, Ziff. 76 und 86 eine Auffacherung des Sozialstaatsprinzips in Einzelbestimmungen, die konkrete Sozialaufgaben festlegen, für „nicht vonnöten" gehalten. Anders verläuft die Reformdiskussion zur Schweizer Bundesverfassung. Dort formuliert Art. 26 des Entwurfs einer Totalrevision der Bundesverfassung von 1977 ein Grundrecht der sozialen Sicherheit, s. zum Text oben 2. Teil A l l . Zum Vorschlag eines Art. 14 a GG, der das „Recht der sozialen Sicherheit" formulieren soll, siehe Meydam, Eigentumsschutz, S. 107: 1. Das Recht auf soziale Sicherung wird gewährleistet. 2. Ein Entzug oder eine Kürzung von Leistungsansprüchen aus der sozialen Sicherung ist nur dann zulässig, wenn überwiegende Gründe des am Sozialstaatsgedanken ausgerichteten Gemeinwohls es unter besonderer Berücksichtigung des Vertrauens des Berechtigten erfordern. 3. Bei Abwägung des Vertrauensinteresses u. der Gemeinwohlerfordernisse hat eine Gesamtbetrachtung der Leistungen zu erfolgen, die der Berechtigte aus dem System der sozialen Sicherheit zu beanspruchen hat.

.I. Leistungsstaatliche Dimension der Grundrechte

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muß sich gerade auf jenen Feldern bürgerlicher Existenz bewähren, wo der einzelne sein Schicksal den „zuteilenden Funktionen" der öffentlichen Hand überantwortet und seine Lebensgestaltung hierauf eingerichtet hat. Im Wege grundrechtssichernder Geltungsfortbildung 8 sind die Tatbestände der Freiheitsrechte des Grundgesetzes zugunsten der Regelungen der Sozialgesetzgebung und sozialer Rechtsstellungen des Bürgers zu öffnen. Gerade die Gefährdungslage „sozialer Rückschritt" zeigt die Notwendigkeit einer stärkeren Grundrechtsorientierung des Sozialrechts, denn ohne eine solche das Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzip konkretisierende grundrechtliche Verwurzelung bliebe der „soziale Geltungsanspruch" des Grundgesetzes in einer prekären politischen Situation blaß, nicht integrationsfördernd und verlöre das personale Schutzmoment der Grundrechte in Zeiten abbauender Sozialstaatlichkeit ein eminent wichtiges Anwendungsfeld. Der Eigentumsschutz rentenrechtlicher Positionen ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer komplexen, mulitfunktionalen und bereichsspezifischen Grundrechtssteuerung des Sozialrechts, welche die allgemeinere Determination aus dem Sozialstaatsprinzip und Rechtsstaatsprinzip aufsaugt und im Interesse des Bürgers zeitgerechte Stabilität und Verläßlichkeit sozialer Rechtslagen verbürgt. Neben einer Öffnung des Eigentumsgrundrechts für alle mittels abstraktkausaler Leistung des Bürgers erworbene Rechtsstellungen des Sozialversicherungsrechts und des Rechts der sozialen Entschädigung ist die Relevanz von Art. 2 I I und Art. 12 G G für andere, auch einseitig-fürsorgerische Regelungen des Sozialstaats zu beachten. Die thematische Auffacherung des Sozialrechts auf verschiedene Grundrechtszonen muß durch ein multifunktionales Konzept grundrechtlicher Schutzausstrahlung 9 ergänzt werden. In der subjektiven Perspektive ist die klassische Abwehrfunktion der Grundrechte bei Eingriffen des rücknehmenden Sozialgesetzgebers gefordert, denn der Abbau einer individualisierten Rechtsstellung ist freiheitsbeschränkender Natur, mag der Staat auch selbst Schöpfer oder Organisator des Rechts gewesen sein. Die grundrechtliche Gewährleistung der individuellen Teilhabe des Bürgers an sozialen Einrichtungen realisiert sich bei sozialen Abbaumaßnahmen gerade durch die abwehrrechtliche Komponente der. Grundrechte. Die nachfolgende Darstellung eigentumsrechtlicher Bindung des Sozialgesetzgebers steht auf dem Boden der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge8 s. bes. Häberle, Leistungsstaat, S. 69 ff; Wesensgehaltgarantie, S. 356 ff, 369 ff, 422 ff; ders., AöR 1984, 36 (59 ff); ders., LVA-Mitt., S. 485; Grimm, Grundrechte und soziale Wirklichkeit, S. 39 (45 f, 54 ff); Rupp, AöR 1976, 161 ff; Scheuner, DÖV 1971, 505 ff. 9 s. Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 332, 356 ff, 370; ders., Leistungsstaat, S. 69ff; ders., JZ 1984, 345, (352); Scheuner, aaO, S. 507 ff; Saladin, Grundrechte im Wandel, S. 292 ff; Rupp AöR 1976, S. 161 ff; Hesse, EUGRZ 1978, 427 (430 ff); ders., Verfassungsrecht, Rn 279 ff.

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

richts seit dem Versorgungsausgleichsurteil, mit dem das Gericht den Wandel des Art. 14 GG hin zur „sozialen Daseinssicherungsgewährleistung" in vorbildlicher Weise vollzogen hat. Die sozialstaatliche Dimension der Grundrechte erschöpft sich nicht in ihrer Abschirmfunktion für bereits erworbene, individualisierte Rechtsstellungen des sozialen Netzes, wenngleich die herrschende Meinung nahezu ausschließlich diese Seite grundrechtsorientierter sozialer Bestandssicherung im Auge hat. Sozialbezogene Freiheitsgrundrechte besitzen vielmehr auch eine objektivrechtliche 10 sowie eine verfahrensrechtliche Komponente, welche den Charakter des Grundrechts als prinzipiellem, bereichsspezifischem Wertungsmaßstab und Leitbild gegenüber den ausgestaltenden staatlichen Organen zum Ansatz bringt 1 1 . Die objektivrechtliche Seite der Grundrechte ersetzt für den jeweiligen tatbestandlich erfassten Wirkungskreis die direktive Funktion des Sozialstaatsprinzips 12 , konkretisiert also die allgemeine Pflicht zu sozialer Aktivität bzw. kehrseitlich zur Wahrung eines zeitangemessenen Sozialniveaus. Das der neueren Bundesverfassungsgerichtsjudikatur zugrundeliegende methodische und inhaltliche Konzept der Einbeziehung, Gewichtung, Abwägung und Begrenzung von Sozialversicherungsberechtigungen am Maßstab des Eigentumsgrundrechts zeigt den richtungsweisenden Weg für die Bewältigung des Problemkreises „Sozialstaat in der Krise". Es ist Modell für eine verstärkte Grundrechtssteuerung des Sozialrechts und wird insofern als Paradigma einer grundrechtlichen Stabilisierung von Rechtslagen aller Gebiete sozialer Sicherheit begriffen' und im folgenden analysiert. Vorausgehen sollen Hinweise zur verfahrensrechtlichen Stellung rückschrittsbetroffener Bürger.

10 Vorsichtig BVerfGE 50, 299 (337) Mitbestimmung: Die Funktion der Grundrechte als objektiven Prinzipien besteht in der prinzipiellen Verstärkung der subjektiven Hauptstoßrichtung. Betonung des objektivrechtlichen Auftragscharakters aber in der Judikatur zu Art. 2 I I GG, s. BVerfGE 39,1 (47); 40, 89 (141); 53, 30 (57); 56, 54 (73); s. schon oben 2. Teil Β I I 1 b. 11 Die herrschende Meinung beschränkt — zu Unrecht — die „Institutsgarantie" des Eigentums auf privatrechtliche Rechtsstellungen, erfaßt also per definitionem öffentlichrechtliche und damit sozialrechtliche Positionen nicht, s. BVerfGE 24, 367 (389), 58, 300 (339); Papier, M D , Art. 14 Rn 11 ff, 276; Krause, Eigentum, S. 77; s. näher unten I I I 2 Exkurs. 12 Vgl. zur objektiven Dimension des Art. 14 als soziale Teilhabegarantie Badura, FS BSG, S.673 (687); ders., SGb 1984,398 ff; Saladin, aaO, S. 402; Häberle, LVA-Mitt. S. 485; ders., AöR 1984, 36 (71); Heinze, DJT-Gutachten, S. 63.

Α. I. Leistungsstaatliche Dimension der Grundrechte

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2. Die Existenz einer individualisierten Rechtsposition als Voraussetzung eines subjektiven grundrechtsgesteuerten Schutzes sozialer Rechte a) Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde

gegen ein Abbaugesetz

Voraussetzung eines grundrechtlichen Bestandsschutzes in der subjektiven Perspektive ist die Existenz einer „Rechtsstellung" des Bürgers. Ohne Individualisierung in Form eines subjektiven Bandes zwischen Leistungsempfanger und öffentlicher Zuteilungsstelle gibt es keinen personalen Grundrechtsschutz 1. Die Grundrechte entfalten in ihrer subjektiven Teilhabedimension rückschrittseindämmende Funktion erst dann, wenn ein konkretisiertes, begonnenes „Sozialrechtsverhältnis" vorliegt 2 . Das Bestehen einer Rechtsposition hat nicht nur materiell-rechtliche Relevanz für die Frage der Intensität des personalen Schutzes der Grundrechte, sondern auch und gerade im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Stellung des Sozialbürgers. So werden Akte des rückholenden Gesetzgebers erst dann im Wege der Verfassungsbeschwerde rügefahig, wenn eine gegenwärtige, unmittelbare Selbstbetroffenheit des einzelnen im Sinne von Art. 93 I 4 a GG in Verbindung mit § 90 I BVerfGG vorliegt. Der durch ein Rückschrittsgesetz beeinträchtigte Bürger muß also sowohl durch die Neuregelung hinreichend konkret „beschwert" sein, als auch die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde beachten. Soweit Vollzugsakte in Form von Versorgungsbescheiden ergangen sind, die eine verschlechternde Novellierung berücksichtigen, haben die Betroffenen vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde daher den Rechtsweg durch Klage gegen diese Bescheide auszuschöpfen 3. Das Bundesverfassungsgericht hält eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Kürzungsgesetz erst dann für zulässig, wenn ein aktuelles Betroffensein des Staatsbürgers in der Weise vorliegt, daß die Verschlechterung aufgrund des Abbaugesetzes schon gegenwärtig konkret absehbar ist 4 . Eine bloß 1 Die Frage des Vorliegens einer subjektiven Rechtsstellung „überhaupt" als Anknüpfungspunkt für den judiziellen Verfassungsschutz ist von der weiteren Frage zu unterscheiden, welche Merkmale eine Sozialposition aufweisen muß, damit sie funktionell einem bestimmten Grundrechtstatbestand, also etwa der Eigentumsgarantie zugeordnet werden kann. 2 Zum Problem der Individualisierung sozialer Austeilungen und der Feststellung einer rügefahigen Rechtsposition im Sozialrecht gibt es kaum Stellungnahmen, s. Stober, Sozialrechtslehrertagung, S. 24-29. 3 Daher waren die Verfassungsbeschwerden gegen § 32 AVG derjenigen Beschwerdeführer, die bereits einen Rentenbescheid erhalten hatten, unzulässig, s. BVerfGE 58, 81 (104 ff). Die Beschwerdeführer hätten zunächst den Sozialrechtsweg beschreiten müssen, erst dann wäre auch eine Vorabentscheidung gem. § 90 I I BVerfGG in Betracht gekommen. 4 BVerfGE 58, 81 (107); 60, 360 (372); unter den Gesichtspunkten mangelnder Entscheidungserheblichkeit und ausreichender Darlegung konkreter Rückschrittsbetrof-

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

„virtuelle" Wirkung hat der erste Senat — bei Stimmengleichheit — im Fall mehrerer Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen das Krankenversicherungskostendämpfungsgesetz von 1977 unterstellt 5 . Da die angegriffene Regelung (§ 165 RVO) sich für die Beschwerdeführer erst dann negativ auswirken könne, wenn der Versicherungsfall eingetreten sei, verneinte das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit der direkt gegen das Krankenversicherungskostendämpfungsgesetz gerichteten Verfassungsbeschwerden. Allein die Möglichkeit einer erst viel später, nach Eintritt weiterer Bedingungen wirksamen Verschlechterung des Krankenversicherungsschutzes genügte nach Ansicht des 1. Senats nicht für die Feststellung einer aktuellen Beschwer. Im Beschluß zur Abwertung der Ausbildungsausfallzeiten hatte das Gericht freilich eine großzügigere Auffassung vertreten: Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden gegen das 20. Rentenanpassungsgesetz wurde bejaht, obwohl die Beschwerdeführer noch keinen Rentenbescheid erhalten hatten und daher eine Verletzung ihres Anwartschaftsrechts rügten. Nach Ansicht des Gerichts war es in diesen Fällen für die Normadressaten unzumutbar, die endgültige Klärung der verfassungsrechtlichen Fragen bis zum Erlaß eines Rentenbescheids abzuwarten 6 . Ein schutzwürdiges Interesse an der alsbaldigen Prüfung der angegriffenen Regelung (§ 32 a AVG) wurde den Beschwerdeführern insbesondere deshalb zugesprochen, weil sie nur dann noch rechtzeitig Dispositionen für eine etwaige ergänzende Altersversorgung treffen konnten. Dabei ging es* allerdings um eine nach Art und Höhe bereits feststehende Minderung von Anwartschaften auf Versicherungsrenten aufgrund der Abwertung der Ausbildungsausfallzeiten, was den Unterschied zum Fall des Krankenversicherungskostendämpfungsgesetzes herstellt. Die Tendenz der Verfassungsgerichtsrechtsprechung geht offenbar dahin, strengere Anforderungen an die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Rücknahmegesetz vor allem unter dem Aspekt der aktuellen Betroffenheit zu fordern 7 , eine Linie, die vermutlich die befürchtete Flut von „Rückschrittsprozessen" in Zeiten des Sozialabbaus eindämmen soll.

fenheit sind die Vorlagebeschlüsse des BSG in Bezug auf das 20. Rentenanpassungsgesetz und das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz in BVerfGE 64, 192 (199 f) für unzulässig erklärt worden. 5 BVerfGE 60, 360 (369 ff); mit dem Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz sind die Voraussetzungen, unter denen Rentner beitragsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert waren, so verschärft worden, daß die Beschwerdeführer diese voraussichtlich nicht mehr erfüllen konnten. 6 BVerfGE 58, 81 (107); die Zulässigkeit unmittelbar gegen ein Gesetz gerichteter Verfassungsbeschwerden vor Erlaß eines Vollziehungsaktes wird vom BVerfG allgemein dann bejaht, „wenn das Gesetz die Normadressaten bereits gegenwärtig zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwingt oder schon jetzt zu Dispositionen veranlaßt, die sich nach dem späteren Gesetzesvollzug nicht mehr nachholen lassen". 7 Ebenso Katzenstein, FS Bachof, S. 63 (74 f)·

.I. Leistungsstaatliche Dimension der Grundrechte

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b) Die Existenz eines Anwartschaftsrechts Nach dieser Rechtsprechung kommt es für die Frage der Existenz eines subjektiven Sozialrechts und die darin anknüpfende verfahrensrechtliche Stellung des Bürgers, vor allem die Rügefahigkeit im Wege der Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen eine abbauende Norm, auf die bereichsspezifischen Eigenarten des betroffenen Sozialverhältnisses, die jeweilige Ausgestaltung der Bezugsvoraussetzungen und insbesondere die Art und Weise und konkrete Abschätzbarkeit der Verschlechterung aufgrund eines Rückschrittsgesetzes an 8 . Demnach ist in der Sozialversicherung nach Versicherungszweigen zu differenzieren, wobei als frühestes Kriterium für den Beginn des Individualschutzes auf den Eintritt in ein Beschäftigungsverhältnis mit der Entrichtung des ersten Beitrags und das dadurch begründete Sozialversicherungsverhältnis abzustellen sein dürfte 9 . Für das Gebiet der Rentenversicherung ist damit bereits ein Anwartschaftsrecht auf spätere Leistung begründet, wie dies das Bundesverfassungsgericht, allerdings nicht ganz eindeutig formulierend, im Versorgungsausgleichsurteil festgestellt hat 1 0 . Hinsichtlich der im ersten Abschnitt des SGB-AT genannten Sozialbereiche außerhalb des Sozialversicherungssektors 11 gibt § 40 SGB-AT einen allgemeingültigen Anhaltspunkt — das Vorliegen der jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen — für die Feststellung erstmaliger Subjektivierung von Sozialrechten. Wird eine hinreichende Individualisierung bei Leistungsgesetzen verneint, fehlt schon mangels „Subjektstellung" eine ausreichende Grundlage für einen individualbezogenen grundrechtlichen Bestands- aber auch einen rechtsstaatlichen Vertrauensschutz. Der Bürger besitzt dann nur eine Chance auf Inanspruchnahme von Sozialleistungen, jedoch keine Teilhabeberechtigung 12. Unberührt hiervon bleibt die Frage, ob der einzelne eine Subjektstellung aus der objektivrechtlichen Grundrechtsdimension erhält, wenn „potentielle" Sozialpositionen, die noch kein subjektives Recht vermitteln, zurückgenommen werden. Hier besteht eine Parallele zur Effektivierung des Art. 2 I I GG, der Verfahrensstellungen „erzeugt", sobald eine evidente und grobe Vernachlässigung des grundrechtlichen Schutzauftrags droht oder eingetreten ist (s. o. 2. Teil Β I I 1 b). 8

ebenso Stober, aaO, S. 25 ff. Rüfner, Einführung, S. 83; Gitter, Sozialrecht, S. 57. 10 BVerfGE 53, 257 (289); s. schon BVerfGE 22, 241 (253); 24, 220 (225), wo eine Rechtsposition im Sinne von Art. 14 GG schon vor Ablauf der Wartezeit für möglich gehalten wird; vgl. Platzer, SGb 1984,179 (182), der den Begriff der verfassungsgeschützten Anwartschaft auf den frühestmöglichen Zeitpunkt der Risikosicherung legen will. 11 Vgl. zur Verschärfung der Bezugsvoraussetzungen für die Inanspruchnahme der Bausparprämie BVerfGE 48, 403 (414). 12 Zum Vorliegen bloßer Chancen und Aussichten aus zeitlichen bzw. sachlichen Gründen s. Stober, aaO, S. 26, 29. 9

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Akut wird dieses Verfahrensproblem bei sozialen Ausdünnungsmaßnahmen, die keine Leistungsgesetze, sondern soziale Gestaltungsgesetze betreffen. Dies soll nachfolgend kurz angerissen werden.

c) Exkurs: Zur Stellung des Bürgers beim Abbau sozialgestaltender Regelungen; die Subjektivierung der objektiven Dimension der Grundrechte Neuralgischer Punkt für den Grundrechtsschutz des Sozialbürgers ist die Vielzahl sozialstaatlicher Ausprägungen, die in kein konkretes Gewährleistungsverhältnis zwischen staatlichem Träger und Begünstigten einmünden. Betroffen sind in erster Linie sozialgestaltende Normkomplexe, die das Verhältnis zwischen „einfachem" Bürger und wirtschaftlich Mächtigerem im Sinne des Schwächeren sozialgerecht ausformen, wo also der Staat drittintervenierend in Erfüllung des Sozialgestaltungsauftrags des Grundgesetzes tätig wird (s.o. 2. Teil Β I I 1 a). Dort wo der Staat nicht selbst als austeilender Wohltäter auftritt, fehlt es an einem unmittelbaren subjektivierten Band zum Bürger, so daß der individuelle Bestands- und Vertrauensschutz aus der Verfassung nicht eingreifen kann, wenn es zu einer Ausdünnung vorhandener sozialer Gestaltungselemente kommt. Aus der individuellen Perspektive liegt eine Erwartung in die Fortexistenz der bisherigen Regelung, etwa günstiger Vorschriften des sozialen Mietrechts, des Arbeitsschutzrechtes oder des Verbraucherschutzrechtes vor. Allein die politische Hoffnung in die Weitergeltung vorteilhaften Rechts begründet jedoch mangels eines konkreten Bandes zum Sozialträger keine grundrechtsrelevante, rügefähige Individualposition. Bei den nicht unmittelbar personenbezogenen Ausformungen des Sozialstaats ist die objektive Komponente verfassungsrechtlicher Einwirkung auf bestehende soziale Rechtslagen in ihrer direktiven, leitbildgebenden Funktion angesprochen. Trotz der praktischen Relevanz ist in Bezug auf die prozessuale Sicherstellung objektiver sozialstaatlicher Bestandkategorien ein dogmatisches Defizit festzustellen. Eine Befassung des Bundesverfassungsgerichts kommt insoweit zunächst im Wege eines abstrakten oder konkreten Normenkontrollverfahrens in Betracht, was zugleich die zunächst hinter der subjektiv-ausgrenzenden Funktion verdeckte, immer vorhandene objektiv-institutionelle Wirkschicht der Grundrechte sichtbar macht 1 3 .

13

So richtig: Rupp, AöR 1976, 161 (166); F. Müller, Leistungsrechte, S. 57.

A . I . Leistungsstaatliche Dimension der Grundrechte

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Eine „Prozeßstellung" des Bürgers eröffnet sich in der von W. Schmidt 14 festgestellten „Subjektivierung" des Sozialstaatsprinzips über Art. 2 I und 3 I GG. Allerdings bedarf es auch insofern für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde der Geltendmachung einer Verletzung einer aktuellen subjektiven Rechtsstellung15, die bei Rückholbewegungen in gestaltenden Sozialbereichen kaum auszumachen ist, es sei denn, man ließe die mögliche indirekte Benachteiligung von Bürgern als „Sozialposition" ausreichen 16. Der zukunftsweisende Weg ist die Anerkennung feststellender Sozialansprüche gegen eine grobe Vernachlässigung objektiver Sozialaufträge der Verfassung durch soziale Rückschrittsmaßnahmen. Die Konstruktion solcher „Vernachlässigungsfes tstellungsansprüche" wird auch im Schrifttum 17 befürwortet und findet in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bereits eine Grundlage. Das Verfassungsgericht bejaht grundsätzlich die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden, die sich gegen ein fortdauerndes gesetzgeberisches Unterlassen bzw. die Nichtvornahme von Nachbesserungen eines Gesetzeswerkes wenden. Dies hat das Gericht vor allem in seiner Rechtsprechung zur objektivrechtlichen Schutzpflicht des Staates für Leben und Gesundheit aus Art. 2 I I G G angesprochen 18. Eine Subjektivierung der objektivrechtlich-institutionellen Seite ist auch seit langem in Rechtsprechung und Literatur zu den Ausformungsaufträgen und Gewährleistungen des Art. 6 I, IV sowie Art. 33 V GG anerkannt. Im ersten NC-Urteil wird ein einklagbarer, nicht bloß partizipatorischderivativer Individualanspruch des Bürgers auf Schaffung von Studienplätzen für den Fall erwogen, daß der objektivrechtliche Verfassungsauftrag zur Bereitstellung ausreichender Ausbildungskapazitäten „evident" verletzt wird 1 9 . Bereits in der Fürsorgeentscheidung von 1951 zog das Verfassungsgericht einen mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbaren Anspruch in Betracht, wenn eine willkürliche Versäumung der allgemeinen Pflicht zu sozialer Aktivität aus

14

W. Schmidt, Der Staat, Beiheft 5, 1981, S. 9 (13, 18 ff). So auch Schmidt, aaO, S. 23. 16 Dagegen BVerfGE 60, 360 (371): Virtuelles Betroffensein des Staatsbürgers ist fast stets zu bejahen. 17 s. Böckenförde, Soziale Grundrechte, S. 7 (14 f); F. Müller, Leistungsrechte, S. 87 ff, 167 ff; Lücke, AöR 1982, 15 (24 f, 48 f); Grimm, Sozialrechtslehrertagung, S. 226 (233); ders., Grundrechte und soziale Wirklichkeit, S. 57; Seewald, Gesundheit als Grundrecht, S. 27 ff, 33; die SV-Kom. Staatszielbestimmungen, Rn 59, 60, erwägt eine Verfassungsbeschwerde gegen gesetzgeberisches Unterlassen, wenn in „krassen" Fällen ein Gesetzgebungsauftrag mißachtet wird. 18 s. BVerfGE 56, 54 (70 ff); bei interpretativ aus den Freiheitsgrundrechten des GG abgeleiteten Verfassungspflichten soll danach eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Unterlassen des Gesetzgebers dann möglich sein, wenn der Gesetzgeber seine Schutzpflicht „gänzlich" vernachlässigt; dies deckt sich mit der sonst benutzten „Evidenzformel", s. BVerfGE 33,303 (333). 15

19

BVerfGE 33, 303 (333).

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

dem Sozialstaatsbekenntnis zu befürchten sei 20 . In entsprechender Weise kann ein judizielles Recht des Bürgers gegen sozialen Rückschritt allein aus der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte verwirklicht werden, falls, gemessen an den Zeitumständen unangemessene, drastische Verschlechterungen des sozialen Standards durch Abbaumaßnahmen des Gesetzgebers eintreten. Wenn hierdurch eine evidente Vernachlässigung sozialer Verfassungsaufgaben droht, muß es zur Verhinderung einer Aushöhlung verfassungsdirektiver Funktionen, korrespondierend zum aktiven Verschaffungsauftrag auf eine positive Leistung, einen negativen Rückschrittsabwehranspruch geben 21 , ohne daß es eines aktuellen unmittelbaren Selbstbetroffenseins aufgrund eines individualisierten Sozialrechtsverhältnisses bedürfte. Bei Beschränkung auf Evidenzfalle wäre eine Grenzverwischung zum personalen Grundrechtsschutz im Rahmen konkretisierter Leistungsverhältnisse ebensowenig zu befürchten wie eine Aufweichung des Gewaltenteilungsgrundsatzes und eine Bedrohung der Normsetzungsprärogative des demokratisch legitimierten Souveräns. Im Anschluß an die Alimentationsjudikatur zu Art. 33 V GG sowie Schrifttumsvorschlägen, insbesondere von Böckenförde und F. Müller, wäre an einen Feststellungsantrag an das Bundesverfassungsgericht zu denken, der die Überprüfung der Einhaltung von Ermessensgrenzen des rückholenden Gesetzgebers, die diesem in Ausfüllung einer grundrechtlichen Sozialdirektive gesteckt sind, zum Ziele hätte 22 . Dadurch wäre für den Bürger das Grundgesetzgebot auf Erhaltung eines adäquat-zeitgerechten sozialen Mindeststandards auch außerhalb individualisierter Sozialrechtsverhältnisse mit den Mitteln des Rechtsstaats prozessual verfolgbar, ohne daß die Prioritätensetzungsbefugnis und das Gestaltungsermessen der demokratisch gewählten Organe durch eine zu strikte judizielle verfassungsrechtliche Bindung unterlaufen würde.

20

BVerfGE 1, 97 (105). S. Böckenförde, aaO; Lücke, aaO; Grimm, aaO; F. Müller, aaO. 22 Böckenförde, aaO, S. 15; F. Müller, aaO, S. 171 f; zur Feststellung der Angemessenheit der vom Dienstherrn geschuldeten Besoldung und Versorgung s. BVerfGE 8,1 (18 f)' Wenn sich ein eindeutiger Verstoß gegen die durch Art. 33 V GG gewährleisteten Mindestanforderungen ergibt, kann das Gericht eine Grundgesetzverletzung feststellen; s. ausf. zu Art. 33 V GG unten D. 21

A.I

Eigentumsschutz für Sozialversicherungspositionen

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II. Die Ausdehnung der Eigentunisgarantie auf Teilhabeberechtigungen am Sozialversicherungssystem 1. Durchbruch zu einem an der sozialen Wirklichkeit orientierten Eigentumsverständnis im Versorgungsausgleichsurteil Konsequenzen aus einem an der gesellschaftlichen Entwicklung orientierten „beweglichen" Eigentumsverständnis hat das Bundesverfassungsgericht — 1. Senat — in Bezug auf Teilhabeberechtigungen der Bürger am sozialen Netz im Versorgungsausgleichsurteil vom 25.2.1980 und vertiefend im Ausbildungsausfallzeitenbeschluß vom 1. 7. 1981 gezogen1. Die gewandelte realitätsbezogene und funktionsgesteuerte Eigentumssicht beschreibt das Bundesverfassungsgericht mit folgenden Worten 2 : „Die Garantie des Eigentums ist ein elementares Grundrecht, das in engem innerem Zusammenhang mit der persönlichen Freiheit steht. Ihr kommt im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und ihm dadurch eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens zu ermöglichen. In der heutigen Gesellschaft erlangt die große Mehrzahl der Staatsbürger ihre wirtschaftliche Existenzsicherung weniger durch privates Sachvermögen als durch den Arbeitsertrag und die daran anknüpfende solidarisch getragene Daseinsvorsorge, die historisch von jeher eng mit dem Eigentumsgedanken verknüpft war. Insoweit sind die Anrechte des einzelnen auf Leistungen der Rentenversicherung an die Stelle privater Vorsorge und Sicherung getreten". Bis zum Versorgungsausgleichsurteil ließ das Bundesverfassungsgericht 30 Jahre lang ausdrücklich offen, ob es einen eigentumsspezifischen Bestandsschutz subjektiv öffentlicher Rechte im System sozialer Sicherheit gibt. Trotz früher richtungsweisender Arbeiten vor allem von Ipsen, Scheuner, W. Weber, Dürig, Rohwer-Kahlmann und W. Bogs3, dem Sondervotum (SV) Ruppv. Brünnecks 4, dessen Argumentationslinie zur Mehrheitsmeinung des ersten Senats geworden ist, sowie Schrittmacherdiensten des Bundessozialgerichts in

1 BVerfGE 53,257 (289 ff) mit Anm. v. Krause, FamRZ 1980, 534; Rohwer-Kahlmann, SGb 1980, 325; Rüfner, SGb 1981, 107; Pitschas JA 1980, 535. BVerfGE 58, 81 (109 fï) m. Anm. v. Plagemann, NJW 1982, 558; Stober, JZ 1982,195; Katzenstein, VSSR 1982, 167 (196 ff); Rüfner, SGb 1982, 299. 2 BVerfGE 53, 257 (290). 3 Ipsen, JZ 1953, 663; ders., in: Die Grundrechte Band 2, S. 131; Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, 1954, S. 96 ff; ders., DÖV 1956, 575; W. Weber, in: Die Grundrechte Band 2, S. 352 ff; Rohwer-Kahlmann, ZSR1956,239; ders., FS Lenz, 1961, S. 339; Dürig, JZ 1954, S. 4 (9); ders., FS Apelt, 1957, S. 13; ders, JZ 1958,22; W. Bogs, DJTRef, G. 54-59; ders, FS Braess, 1969, S. 11; Bericht der Sozial-Enquete-Kom. 1967, TZ 125. 4

SV Rupp-\. Brünneck, BVerfGE 32, 129 (141 ff).

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

einigen älteren Entscheidungen5, hat das Bundesverfassungsgericht lange gezögert, die Eigentumsklausel auf moderne Daseinssicherungsrechte anzuwenden. Mehrere Faktoren dürften für die Zurückhaltung des Gerichts maßgeblich gewesen sein: Die Furcht vor einer weitgehenden Blockade der Sozialgesetzgebung durch eine Vielzahl grundrechtsfundierter sozialer Besitzstände6 dürfte ebenso eine Rolle gespielt haben, wie der fehlende faktische Zwang für eine Erweiterung der Eigentumsgarantie auf Sozialberechtigungen in Zeiten wachsender Prosperität und expandierender Sozialleistungen. Für das kaum nennenswerte Ausmaß von Streichungen und Kürzungen im Sozialleistungsbereich während der Wachstumsphase genügten die klassischen Verfassungsfilter des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes, des Gleichheitssatzes sowie der speziellen Verbürgungen des Art. 6 I, IV und Art. 33 V GG, um Beschneidungen, die regelmäßig priviligierende, sozialpolitisch nicht vertretbare Versorgungslagen betrafen, im Einzelfall auf ihre Verträglichkeit mit den verfassungsgebotenen Maßstäben sozialer Gerechtigkeit und individueller Verläßlichkeit zu prüfen 7 . Erst der zu Beginn der 80er Jahre sich abzeichnende Abschwung der Volkswirtschaft, der nicht mehr nur zyklisch-konjunkturelle, sondern strukturelle, demographische und technologische Ursachen aufweist, brachte die ökonomische Abhängigkeit des Sozialstaats und die daraus resultierende potentielle Abbaugelährdung der Leistungssysteme zu Tage. Die vor allem für die Altersversorgung in Zukunft absehbaren tiefgreifenden Einschnitte zwangen schließlich auch das Bundesverfassungsgericht dazu, den Schritt hin zur grundrechtlichen Verankerung existenzsichernder Teilhabeberechtigungen der Bürger zu wagen 8 . Durch die Diskussion um eine leistungsstaatliche Dimension der Grundrechte war der Weg für ein wirklichkeitsbezogenes Grundrechtsverständnis vorge5 BSGE 5, 40; 9, 127; 15, 71 (74); 25, 170 (172); 45, 251 (253); Überblick zur einschlägigen Rechtsprechung des BSG bei Weber, in: Rechtsschutz im Sozialrecht 1965, S. 279; W. Berg, FS W. Bogs, 1967, S. 13; Wilke/Schachel, VSSR 1978, 271 ff; 313 ff; Badura, FS BSG 1979, S. 673 ff; Heussner/Steinmeyer, JÖR 1981, S. 405. 6 BVerfGE 2,380 (402): „Würde man in jedem Falle einer Entziehung oder Verkürzung einer solchen Position eine Enteignung erblicken, so dürfte der Gesetzgeber solche Positionen auch für die Zukunft nur noch verbessern, nicht aber — ohne Entschädigung oder vorherige Änderung des GG—verschlechtern. Art. 14 G G könnte damit die einfache Gesetzgebung weitgehend blockieren und eine Anpassung des Rechts an die Veränderungen der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse nintanhalten"; s. auch BVerfGE 11,221 (226); 20, 52 (55); 22, 241 (253). 7

S. etwa BVerfGE 31, 185 (189 ff); BSGE 24, 285 (289 f); 46, 89 (94). Das Versorgungsausgleichsurteil betraf keine spezifisch sozialrechtliche Umgestaltungsmaßnahme, sondern Veränderungen der gesetzlichen Altersversorgung infolge des im Rahmen der Eherechtsreform von 1977 neu eingeführten Versorgungsausgleichs; s. auch BGHZE 74, 38; der BGH hat später auch die Zusatzversorgung der Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes der Eigentumsgarantie zugeordnet, s. BGH NJW 1981, 2693. 8

A . I I . Eigentumsschutz für Sozialversicherungspositionen

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zeichnet worden, das die Grundrechte aus ihrer bloß negativ-ausgrenzenden, klassisch liberal-bürgerlichen Zielrichtung herauslöste u n d ihnen i m Sinne multifunktionaler Verwirklichung Bedeutung als Teihabeverbürgungen für daseinssichernde Rechtsstellungen des Sozialstaats zuwies 9 . Die — kontroverse — grundrechtstheoretische E n t w i c k l u n g ging einher m i t einer Verfeinerung des dogmatischen Instrumentariums, das mittels der A b w ä gungstechnik 1 0 personalen, grundrechtsspezifischen Bestandsschutz u n d sozialen Gemeinwohlbezug v o n Sozialpositionen zu schonendem Ausgleich zu bringen versucht. D a m i t war der Grundstein für ein an den Realitäten des Sozialstaats orientiertes Eigentumsverständnis gelegt, das dem Bundesverfassungsgericht eine Öffnung seiner Eigentumsdogmatik zugunsten sozialer Positionen erlaubte 1 1 . 2. Zur Entwicklung der Sozialeigentumsjudikatur: Stärkeformel und Offenhaltungsmethode Bis z u m Versorgungsausgleichsurteil ließ das Bundesverfassungsgericht i m Ergebnis regelmäßig offen, ob es einen eigentumsspezifischen Bestandsschutz für soziale Berechtigungen gibt. N o c h unter dem Eindruck der ausschließlich a m 9

S. Häberle, Leistungsstaat, S. 43 ff. Zur Abwägungsmaxime s. Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 326 ff; F. Müller, Normstruktur und Normativität, S. 207 ff; kritisch: Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 319 ff; Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 128 ff; Lerche, Grundrechtsverständnis und Normenkontrolle, S. 37 ff. 11 a) Zur älteren „Sozialeigentumsjudikatur" siehe außer den oben bereits Genannten noch: Sozial-Enquete-Kom, S. 58 f; W.Bogs, FS Braess, S. 11 ff; Badura, BayVBL 1973,1; ders, FS BSG, S. 673 ff; Papier, VSSR 1973, 33; Zacher/Ruland SGb 1974, 441; Benda/Kreuzer ZSR 1974,15; v. Zezschwitz/Breitbach, VSSR 1974, 315; Dietlein, ZSR 1975, 129; Rohwer-Kahlmann, SGb 1975, 161; Wannagat, FS Peters, S. 171; Pitschas, VSSR 1978, 357; Pieroth, Rückwirkung, S. 310ff; b) Stellungnahmen nach dem Versorgungsausgleichsurteil, die einen bigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen grund sätzlich befürworten: Badura SGb 1984, 398; Degenhart, BayVBL 1984, 65; Diemer, VSSR 1982, 325; Gitter, N Z A 1984, 137; Grimm, Sozialrechtslehrertagung, S. 226; Häberle, L V A - M i t t , S. 483 ff; ders, AöR 1984, 36 (71); Haverkate, ZRP 1984, 217; Heinze, DJT-Gutachten, S. 46 ff; Katzenstein, VSSR 1982,167; ders, DRV 1982,177; ders, FS Bachof 1984, S. 63; Krause, Eigentum, 1982, der freilich nur eine analoge Anwendung von Art. 14 G G bejaht; Maunz, BayVBL 1981, 321 (324 f); Plagemann, NJW 1982, 558; Rische/Terwey, D R V 1983, 273; Rohwer-Kahlmann, SGb 1980, 325; Rüfner, SGb 1981, 107; ders,Sozialrechtslehrertagung, S. 169 ff; ders, SGb 1982,299; ders, JZ 1983,755; ders, JZ 1984,801; Sieveking, ZSR 1983,693; Stober, Sozialrechtslehrertagung, S. 12; ders, JZ 1982, 195; ders, DVB1 1984, 857; Stolleis, Sozialrechtslehrertagung, S. 104; ders, DJT-Thesen, These 9; c) Stimmen die einen eigentumsgesteuerten Sozialrechtsschutz ablehnen oder einem solchen überwiegend skeptisch gegenüberstehen: H. Bogs, RdA 1973, 26; ders, Staat der Gegenwart, S. 623 ff; Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, S. 22; ders, DÖV 1981, 503 (511); Isensee, FS Broermann, S. 365 (378 ff); F.-X. Kaufmann, Sozialrechtslehrertagung, S. 132 (147); Meydam, Eigentumsschutz, S. 89; Papier, VSSR 1973, 33; ders, Sozialrechtslehrertagung, S. 193; ders, M D , Art. 14 Rn 119ff; ders, SGb 1984, 411; H. Schneider, Der verfassungsrechtliche Schutz von Renten der Sozialversicherung, 1980; R. Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 41 ff; ders, NVwZ 1982, 337 (348010

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

zivilrechtlichen Sacheigentum orientierten Lehre und Rechtsprechung zu Art. 153 W R V 1 hatte das Verfassungsgericht — im Gegensatz zu einer allerdings nicht näher begründeten eigentumsfreundlichen Auffassung des Bundesgerichtshofs — zunächst eine Einbeziehung subjektiv öffentlicher Rechte in den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff kategorisch abgelehnt2. Die strikte Fixierung des verfassungsrechtlichen Eigentumstatbestandes auf Vermögensrechte des Privatrechts wurde später aufgegeben und durch die „Stärkeformel" ersetzt. Danach sollte sich die Eigentumswürdigkeit eines subjektiv öffentlichen Rechts danach bestimmen, ob dieses dem einzelnen eine Rechtsposition verschafft, die derjenigen eines Eigentümers entspricht und so stark ist, daß ihre ersatzlose Entziehung dem rechtsstaatlichen Gehalt des Grundgesetzes widersprechen würde 3 . Eine solche Verfestigung sah das Gericht dann als möglich an, wenn die vom öffentlichen Recht eingeräumte Rechtsstellung auf eine eigene Leistung zurückzuführen ist. Verneint wurde daher der Eigentumsschutz jedenfalls dann, wenn die öffentlich-rechtliche Position ausschließlich auf staatlicher Gewährung in Erfüllung der sozialstaatlichen Fürsorgepflicht beruhte 4 . M i t dem Topos „Eigenleistung", der Erforderlichkeit eines „Verdienenmüssens" der Eigentumsposition, hatte sich das Bundesverfassungsgericht damit der „arbeitsethischen" Auffassung Dürigs und des Bundessozialgerichts angeschlossen, die in der personalen Erwerbscausa einer Rechtsposition den eigentumskonstituierenden Faktor erblickte 5 . Ohne vorgängigen materiellen Leistungseinsatz oder ein besonderes persönliches Opfer 6 des Bürgers sollte die „Wohltat" eines eigentumsspezifischen Bestandsschutzes diesem nicht zugute kommen. 1 Zu Art. 153 WRVs. RGZ 129,246 (250 0; 139,182; vgl. Anschütz, Verfassung des Dt. Reiches, Art. 153 Rn 2; zur Kritik der damals herrschenden Meinung s. Städter, Öffentichrechtliche Entschädigung, 1933, S. 158 ff; später DÖV 1953, 98; zu den rechtsgeschichtlichen Grundlagen des Eigentumsbegriffs s. Ref. von Stolleis u. F.X. Kaufmann bei: Sozialrechtslehrertagung, S. 104 f, 132 ff; Meyer-Abich, S. 28 ff; Benda/ Kreuzer, ZSR 1974, 1. 2 BVerfGE 1, 264 (278); 2, 380 (399 ff); 4, 219 (239 ff). Zur Rechtsprechung des BGH, die alle Vermögenswerten Rechte, unabhängig von ihrer privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Wurzel, dem Eigentumsbegriff zuordnete, s. BGHZ 6,270 (278); 13,265; 15,17; 27, 69 (73); Überblicke zur älteren Rechtsprechung des BVerfG und des BGH bei: Dürig, FS Apclt, S. 19 1Ï; Weber, AÖR 1966, 383; Wandt Rüfner, VSSR 1974, 61 ff, 91 IT; Zacher, Sozialpolitik im ersten Jahrzehnt, S. 938 ff. 3 Zur „Stärkeformel" s. etwa BVerfGE 4,219 (240); 14,288, (293); 16,94 (111); 18, 392 (397); 24,220 (226); zur Kritik siehe Nicolaysen, FS Schack, S. 107 (108 ff); Papier, VSSR 1973, 43 f; ders., M D , Art. 14, Rn 126. 4 BVerfGE 1, 264 (277 f); 2, 380 (402); 14, 288 (29305 Dürig, FS Apelt, S. 13 ff; BSGE 5,40 -Kassenarztzulassung-, dazu: Dürig JZ 1958,22; Menger, Verwaltungsarchiv 49 (1957), 178 (186); ders., SGb 1957,377; Rohwer-Kahlmann, SGb 1958,145 ff; W.Bogs, DJT-Ref., G 55; s. auch BSGE 9,127 (128); 15, 71 (75); strikt gegen einen Eigentumsschutz Zimmer, BArBl, 1959, S. 587 ff. 6 Zum Eigentumsschutz der Kriegsopferrenten s. W.Berg, FS W.Bogs, 1967, S. 13 (19 ff); Rohwer-Kahlmann, ZSR 56,239 (241 ff); ders., FS W. Bogs, 1967, S. 109 (128); Dürig, FS Apelt, S.48 ff; W. Bogs, FS Braess, S. 19, Fn 27.

A . I I . Eigentumsschutz für Sozialversicherungspositionen

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Obwohl das Bundesverfassungsgericht das „Äquivalenzkriterium" in mehreren Entscheidungsbegründungen zur Abgrenzung des Eigentumtatbestandes angesprochen hatte, vermied es unter Anwendung der „Offenhaltungsmethode" — mit Ausnahme der Berufssoldatenentscheidung 7 — eine endgültige Subsumtion der Sozialversicherungsansprüche unter Art. 14 GG. Entweder wurde die zu prüfende Rechtsposition dem Bereich der einseitig fürsorgerischen Leistung zugeordnet 8 oder die Frage der Eigentumsqualität ausdrücklich offengelassen, weil die kürzungsbetroffene Sozialposition jedenfalls inhaltlich von der Regelungsbefugnis des Art. 14 I 2 GG gedeckt war 9 . Im Beschluß zur Knappschaftsrentenversicherung vom 9. 6. 1975 wurde die — den Verfassungsbeschwerden stattgebende — Entscheidung zwar auf den rechtsstaatlichen Vertrauensschutz gestützt und die Frage des Eingreifens von Art. 14 GG wiederum offengelassen, doch deutete das Gericht schon eine Neuorientierung seines Eigentumsverständnisses in Richtung einer mehr funktionalen Sicht an 1 0 . Die Aufgabe der Eigentumsgarantie, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung zu schützen, wird im Anschluß an das schon erwähnte Sondervotum Rupp-\. Brünnecks (BVerfGE 32,129 [141 ff]) nunmehr auch auf den „realen Freiheitssektor" der solidarisch getragenen Daseinsvorsorge in öffentlich-rechtlich organisierten Sozialleistungssystemen — wenn auch noch im Konjunktiv — erstreckt.

3. Die funktionsgesteuerte Auslegung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs Das Versorgungsausgleichsurteil verschmilzt die an der daseinssichernden Funktion der Freiheitsverbürgung „Eigentum" ausgerichtete Grundrechtsinterpretation mit dem griffigen, den Tatbestand des Eigentums eingrenzenden Eigenleistungserfordernis und erreicht so einen — bislang noch auf Rentenansprüche und Anwartschaften — beschränkten Eigentumsschutz für Sozialversicherungsberechtigungen. Ausgangspunkt für die Entscheidung des „ob" der Eigentumsqualität sozialer Rechtspositionen ist der Charakter der Eigentumsgarantie als personalem Freiheitsschutzprinzip für die individuelle Lebensgestaltung, die ihren Nieder-

7 BVerfGE 16,94 (116), wo letztlich die Parallele zu Art. 33 V ausschlaggebend war; zur Garantie der Versorgungsstellungen der Berufssoldaten aus Art. 14 s. aus neuerer Zeit BVerwG, D V B L 1983, 807; BVerfG, Vorprüfungsausschuß, NVwZ 1982, S. 553. 8 S. BVerfGE 14, 288 (294); 24, 220 (227); 29, 22 (33); 41,126 (150); 48, 403 (413); 53, 164 (175). 9 S. BVerfGE 30,367 (391); 31,185; 36,73 (85); 51,356 (369); BSGE 23, 59 (62); 41,13 (14); 47, 259 (263). BVerfGE , 5 ().

10 Schlenker

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

schlag in „Materialisierungen" privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher (Abführung von Lohnbestandteilen an die Sozialversicherung) Art findet. Der Daseinssicherungscharakter sozialer Berechtigungen, die den „sozialen Status" 1 in der gegliederten Arbeitsgesellschaft definieren und die Lebensgrundlage für den Normalbürger und seine Familie konstituieren, wird zum primären Kriterium für die Eigentumsqualität subjektiver Rechtsstellungen2. Auch im Schrifttum 3 wird der Eigentumsbegriff konsequent aus dem personal-existenzbezogenen Freiheitssicherungscharakter privatrechlich wie öffentlich-rechtlich geordneter Verfügungsrechte erklärt. Die funktionelle Betrachtung des Eigentumsgrundrechts, die das Eigentum von der sozialen Wirklichkeit her bestimmt und das Eigentum des „kleinen Mannes" in den öffentlich-rechtlich organisierten Sozialleistungssystemen erblickt, hat den historisch bedingten Denkansatz vom bürgerlichen Recht her verdrängt. Nicht die „Stärke" der öffentlichen Berechtigung, ihre Nähe zum Privateigentum formen den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff. Vielmehr begründet die Abhängigkeit des Bürgers von der Sozialgesetzgebung, den öffentlichen Zuteilungen aufgrund zahlreicher Leistungsgesetze und die dadurch vermittelte Daseinssicherung die grundgesetzliche Eigentumsqualität. Überholt ist daher auch jenes Eigentumsverständnis, das allein den vermögensschützenden Aspekt des Eigentumsgrundrechts als Interpretationsrichtlinie in den Vordergrund stellt 4 . Folge einer konsequent funktionellen Bestimmung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs müßte die Einbeziehung aller irgendwie daseinssichernden Zuteilungen sein. Nicht nur alle Ansprüche und Anwartschaften aus der gesetzlichen Renten-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung bildeten potentielles Verfassungseigentum, sondern auch sämtliche einseitigen Versorgungs- und Fürsorgeansprüche, da derartige Berechtigungen bevorzugt zur personalen Existenzsicherung und damit zum sozialen Freiheitsschutz der Bürger beitragen. Damit unterfielen dem Eigentumsgrundrecht insbesondere auch die fürsorgerischen Zuteilungen des Sozialstaats z.B. auf Sozialhilfe, 1 Zum „Status" als Anknüpfungspunkt für einen sozialrechtlichen Bestandsschutz, der seine dogmatische Grundlage primär in Art. 12 GG finden soll s. Preuss JA 1977, 265 ff, 313 ff. 2 Zur funktionalen Eigentumsinterpretation s. auch BVerfGE 42, 263 (293) — Contergan —. 3 S. Meyer-Abich, Schutzzweck der Eigentumsgarantie, S. 44 ff, 55 ff; Häberle, LVAMitt., S. 483; ders, AöR 1984, 36 (43 f, 71); Badura, FS BSG,S. 674 f; ders., SGb 1984,398; Wannagat, FS Peters, S.178f; v. Zezschwitz/Breitbach, VSSR 1974, 315 (317); RohwerKahlmann, SGb 1975, 161 (166); Saladin, Grundrechte im Wandel, S. 394, 402; RuppV. Brünneck, SV, BVerfGE 32, 129 (142); Benda/ Kreuzer, ZSR 1974, 1 (16); Scheuner, Disk-Beitrag, VVDSTRL 28, 1970, S. 232; Haverkate, ZRP 1984, 217 (219). 4 S. W.Schmidt, JuS 1973, 529, dazu kritisch: Kisker, VVDSTRL 32, 161 (180 fi); Pieroth, S. 135 ff; Preuss, JA 1977, 265 (270 f); vgl. Salzwedel, Verwaltung 1972, 11 (26); Papier, VSSR 1973, 33 (46); ders., Sozialrechtslehrertagune, S. 196 f; ders., M D , Art. 14 Rn 120, 128 f; Stolleis, Sozialrechtslehrertagung, S. 104 ff.

A . I I . Eigentumsschutz für Sozialversicherungspositionen

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Kindergeld, Wohngeld, Jugendhilfe und Bafög ebenso wie die Berechtigungen aus dem Bereich der sozialen Entschädigung. Die Freiheitsverwirklichung durch zugeteilte Bezugsrechte der öffentlichen Hand in Erfüllung der leistungsstaatlichen Dimension der Grundrechte würde damit zum alleinigen Kriterium für die Bejahung verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes. In der Literatur wird teilweise eine solch weitgehende Öffnung des Normbereichs von Art. 14 GG für alle sozialen Rechte aufgrund einer konsequent an der personalen Sicherungsfunktion ausgerichteten Interpretation der Eigentumsgarantie befürwortet 5 . Obwohl eine breite Verankerung sozialrechtlicher Berechtigungen und Funktionen im Grundrechtssystem des Grundgesetzes aufgrund seines personalen Sicherungsanspruches folgerichtig ist, bestehen Bedenken gegen eine zu weite Dehnung des verfassungsrechtlichen Eigentumstatbestandes. Allein die Berücksichtigung des Daseinssicherungscharakters als Normeingrenzungskriterium gefährdet die Konturen des Eigentumsgrundrechts. Zwar verlangt ein wirklichkeitsbezogenes Verfassungsverständnis eine offene und funktionsorientierte Grundrechtsinterpretation gerade auf dem Sektor eigentumsspezifischer „Außenweltsgüter" {Dürig). Doch darf dies nicht zu einer beliebigen Aufblähung und Verwischung grundrechtlicher Normbereiche führen 6 . Die Eigenart des Eigentumsgrundrechts muß sich auflösen, wenn ihm sämtliche Rechtsstellungen zugeordnet werden, die irgendwie zur Freiheit und Selbständigkeit der Lebensführung notwendig sind. Dann verlöre insbesondere das besondere Näheverhältnis zwischen Arbeit und Eigentum, welches gerade das personale Element des Eigentums in entscheidender Weise kennzeichnet, seine konstitutive, den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff näher eingrenzende Bedeutung7. Eine Öffnung des Art. 14 G G für alle denkbaren Vergegenständlichungen mit Existenzsicherungscharakter ist auch nicht erforderlich, da andere Grundgesetz-Grundrechte Stabilisierungswirkung für soziale Rechtsstellungen erzeugen können. So stehen zahlreiche Sozialansprüche in engem Bezug zum „Arbeitsgrundrecht" des Art. 12 GG, denkt man etwa an den Bildungs- und Ausbildungsbereich sowie die vielfaltigen Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz 8. 5 S. v. Zezschwitz/Breitbach, VSSR 1974,315 (317); Rohwer-Kahlmann, SGb 1975,161 (166); Wannagat, FS Peters, S. 171 (176); Häberle, AöR 1984, 36 (71); ders., L V A - M i t t , S. 485; Meyer-Abich, S. 55 ff; Dicke, in: v. Münch, G G - K o m , Art. 14 Anm. 21. 6 Ebenso schon die Bedenken bei W.Bogs, DJT-Ref. 1960, G 59. 7 s. Häberle, L V A - M i t t , S. 483 ff; ders, JZ 1984, 345 (351); ders, AöR 1984, 36, passim; s. schon Dürig, FS Apelt, S. 27 f, 31, 43; Meyer-Abich, S.44, 49, 55 ff; Haverkate, ZRP 1984, 217 (219).

10*

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Fürsorgeansprüche im weiteren Sinne müssen mehr an Art. 2 I I G G orientiert werden 9 . Auch das Schwerbehindertenrecht und das Recht der sozialen Entschädigung zeigt in seiner Zielsetzung einen dichten Zusammenhang mit dem „Grundrecht der Gesundheit". Ohne einer Grundrechtseuphorie das Wort zu reden, können so alle wesentlichen Berechtigungen des sozialen Netzes in eine Beziehung zu den thematisch aufgefächerten Einzelgrundrechten des Grundrechtskatalogs gesetzt werden, die damit subjektive und objektiv-rechtliche Schutzfunktion zugunsten freiheitsrealisierender Sozialgewährungen übernehmen. Die Fixierung auf Art. 14 GG als auschließlichem grundrechtlichem Schutztatbestand der Sozialbürger kann damit überwunden werden. 4. Die Eingrenzung der funktionalen Eigentumssicht durch die Merkmale der „Privatnützigkeit", „Verfügungsbefugnis" sowie das „Eigenleistungskriterium" Das Bundesverfassungsgericht läßt aufgrund der „überschießenden Aufgabenzuteilung" {Badura) 1 für das Eigentumsgrundrecht eine ausschließlich funktionale Betrachtung nicht genügen, sondern grenzt den Eigentumstatbestand durch die eigentumskonstituierenden Merkmale der Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis ein 2 . Das Kriterium der Verfügungsbefugnis wird dabei für soziale Rechtspositionen modifiziert durch den auf Dürig zurückgehenden „Eigenleistungstopos", der das Näheverhältnis einer öffentlichen Rechtsposition zum verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff umschreibt. Im Versorgungsausgleichsurteil prüft das Bundesverfassungsgericht kumulativ sowohl den funktional-personalen Bezug der Rentenrechte, ihren daseinsbestimmenden Charakter als auch die näher eingrenzenden eigentumskonstituierenden Merkmale der Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis und bejaht 8 Zu Art. 12 als Anknüpfungspunkt des verfassungsrechtlichen Kontinuitätsschutzes für Sozialberechtigungen s. Preuss, JA 1977,265 ff, 313 ff; Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 42; Pitschas, VSSR 1978, 357, (375 fif); ders, JA 1980, 535; ders., ZRP 1979,119 (124); ders., AöR 1982,149 (151); Rüfner, ZRP 1979,114 (115), der die Ausbildungsförderung in Art. 12 verankert sieht; Scheuner, Disk.-Beitrag, VVDSTRL 28, S. 232: „Die Arbeitslosenversicherung kann in ihrer eigentlichen Tiefe nur von dem Recht auf Arbeit her verstanden werden"; ähnlich Häberle, JZ 1984, 345 (353). 9 Vgl. Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 35, der von einer Aktualisierung des Sozialstaatsprinzips durch Art. 1 u. 2 I I GG zum „anspruchmäßig verfestigten Teilhaberecht" spricht, allerdings zu sehr die Verbürgung des Existenzminimums im Auge hat. Zur Funktion des Art. 2 I I GG als Garantienorm für fürsorgerische Sozialpositionen s. oben 2. Teil Β I I 1. b. 1 Badura, FS BSG, S. 673 (675). 2 Im Zusammenhang mit privatrechtlichen Regelungen s. BVerfGE 31, 229 (240) Urheberrecht-; 37,132 (140) -Soziales Mietrecht-; 42,263 (294) -Contergan-; 50,299 (399) -Anteilseigentum-; 52, 1 (30) -Kleingarten-.

A.I

Eigentumsschutz für Sozialversicherungspositionen

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diese Elemente für die Ansprüche und Anwartschaften der Versicherten aus der gesetzlichen Altersversicherung 3. M i t dieser Doppelprüfung wird zweierlei erreicht: Einmal gibt es jetzt keinen „gespaltenen" verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff mehr, je nachdem ob eine Rechtsstellung im privaten oder öffentlichen Recht wurzelt. „Eigentumsverdächtige" Positionen sind nach ihrer funktionellen Bedeutung im Sinne einer existenzsichernden Zielsetzung abzuklopfen und mittels der Merkmale Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis (Eigenleistung) auf ihren eigentumsspezifischen Gehalt zu reduzieren. Der Eigentumsbegriff erhält durch diese kumulative Betrachtung relativ scharfe Konturen und entgeht so der Gefahr einer Hypertrophie von Sozialeigentumsstellungen aufgrund einer bloß am Daseinssicherungscharakter orientierten Betrachtung des Art. 14 GG. Die Feststellung des Merkmals der Privatnützigkeit bereitet bei individualisierten sozialen Positionen keine Schwierigkeiten: Die Zuordnung der Rechtsstellung zu einem Rechtsträger, in dessen Hand es als Grundlage privater Initiative und eigenverantwortlicher Lebensgestaltung dient, folgt schon aus dem Daseinssicherungscharakter der betroffenen Sozialposition. Problematischer ist das am Leitbild des Zivilrechts angelehnte Eigentumskennzeichen der Verfügungsbefugnis. Bei den genossenschaftlichen Teilhabeberechtigungen des Sozialversicherungssystems fehlt weitgehend eine Verfügungsfahigkeit im Sinne einer Dispositionsmöglichkeit. Bei der Pflichtversicherung als Regelform genossenschaftlicher Absicherung des arbeitenden Menschen und seiner Familie mangelt es schon an der Möglichkeit einer freiwilligen Begründung des Versicherungsverhältnisses. Auch können soziale Rechtsstellungen inhaltlich nicht frei von den Betroffenen ausgestaltet und die Leistungsansprüche nach §§ 53 ff SGB-AT nur eingeschränkt übertragen und verpfändet werden. Gleichwohl kann man mit dem Bundesverfassungsgericht über einen methodischen Kunstgriff eine grundsätzliche Verfügungsbefugnis von Sozialversicherungsansprüchen bejahen, indem das Kriterium der eigenen Leistung gleichsam als Ersatzelement für die eingeschränkte Verfügungsfahigkeit definiert wird: Die Verfügungsfahigkeit kennzeichnet die Herrschaft über das Eigentumsobjekt. Diese Herrschaft kommt nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts in dem besonderen personalen Bezug des Inhabers zu einer Vermögenswerten Rechtsstellung zum Ausdruck. Dieser personale Bezug äußert sich bei Rentenberechtigungen dadurch, daß sich im Anspruch oder Anwartschaftsrecht die vorher erbrachte persönliche Arbeitsleistung über das Instrument der Beitragszahlungen niederschlägt 4. 3 BVerfGE 53, 257 (290 f): Die kumulative Betrachtung wird deutl. in dem Satz: „Sie weisen auch (!) die konstituierenden Merkmale des durch Art. 14 geschützten Eigentums auf*. Das BVerfG hat sich insoweit also nicht die rein funktionale Interpretation des Eigentumsgrundrechts zu eigen gemacht, die u.a. v. Rupp-w.Brünneck, SV, BVerfGE 32, 142 vertreten worden ist. 4 BVerfGE 53, 257 (291).

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Die eigene Leistung, der Arbeitseinsatz prägt das Sozialversicherungsverhältnis und kennzeichnet den besonderen personalen Bezug einer Teilhabeberechtigung, der wiederum causa für die Annahme einer Eigentümerposition im Sinne von Art. 14 GG ist 5 . Obwohl zwischen der hohen personalen Bedeutung von Sozialberechtigungen und dem Element der Verfügungsfahigkeit ein nur mittelbarer Zusammenhang besteht, erscheint diese Modifikation der eigentumskonstituierenden Voraussetzungen bei subjektiv öffentlichen Rechten als grundrechtsdogmatisch unbedenklicher Weg, eine begrenzte Einbeziehung sozialer Rechte in den Tatbestand des Art. 14 G G zu erzielen, zumal auch die privaten Vermögensrechte vielfachen Beschränkungen ihrer Verfügungsfahigkeit unterliegen, was das Beispiel des Anteilseigentums an einem Unternehmen zeigt 6 .

5. Das Zusammenspiel des „Arbeitsgrundrechts 64 Art. 12 GG mit dem „Erfolgsgrundrecht" Art. 14 GG: „Eigentum als geronnene Arbeit" Der Faktor „Arbeit" ist maßgebliches Kriterium für die Ausdehnung des Art. 14 GG auf daseinssichernde Positionen des sozialen Netzes. Art. 14 GG stellt die durch Arbeit erworbenen Teilhabeberechtigungen am solidarisch getragenen Sozialversicherungssystem unter „Ergebnisschutz". Die Beitragsleistungen sowohl der Arbeitnehmer selbst als auch der Arbeitgeber sind das Medium, welches die potentielle Teilhabe des einzelnen im Versicherungsfall und die Qualität seiner Versorgungspositionen innerhalb des Solidarverbands definiert. Das Eigentumsgrundrecht zieht auf grundrechtlicher Ebene die Konsequenz aus der im „Aktivitätsgrundrecht" des Art. 12 GG zum Ausdruck kommenden hohen Wertschätzung der persönlichen Leistungen des Bürgers 1. Grundrechtsmethodisch wird die durch Art. 12 G G geschützte Freiheit persönlicher Berufsanstrengung in das Eigentumsgrundrecht „hineingelesen".

5 BVerfGE 53,257 (291); Dürig, FS Apelt, S. 27 ff hat seinen anthropologischen Ansatz letzlich auf den Menschenwürdesatz gestützt, indem er den aus der Menschenwürde und der personalen Entfaltungsfreiheit fließenden „Wertschutz" auf alle eigenverantwortlichen Tätigkeiten und deren vergegenständlichtem Ergebnis in Form des privaten oder öffentlich-rechtlich gestalteten Güterbestandes ausgedehnt hat. 6 Im Ergebnis bleibt das BVerfG über die Aktivierung des Eigenleistungstopos als Ersatzkriterium für die verminderte Verfügungsfähigkeit sozialer Rechtspositionen auf der Linie seiner früheren Rechtsprechung zur Eigentumsqualität öffentlicher Rechte, die immer auf die Abgrenzung zwischen verdienten, erarbeiteten Rechtsstellungen und solchen aufgrund bloß einseitiger, fürsorglicher Zuteilung abgestellt hat. 1 s. BVerfGE 30, 292 (334): Art. 14 schützt das Erworbene, das Ergebnis der Betätigung, Art. 12 dagg. den Erwerb, die Betätigung selbst; BVerfGE 59, 302 (315): Art. 12 konkretisiert das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich individueller Leistung und Existenzerhaltung.

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A r t . 12 G G n i m m t , i m Gegensatz zu einer i m Schrifttum insbesondere v o n Preuss u n d Pitschas vertretenen Auffassung 2 , nicht selbst die Rolle der Schutznorm für „verdiente" Rechtsstellungen an, sondern konstituiert den ausschlaggebenden Wertungsgesichtspunkt, welcher Sozialpositionen — i m Anschluß an Dürig — als ein Stück „ z u Eigentum geronnener A r b e i t " begreifen läßt3. Das Zusammenspiel v o n Berufsfreiheitsgrundrecht u n d Eigentumsschutz ist i m Grunde nichts Neues 4 , es hatte bereits i n einigen älteren Landesverfassungen Ausdruck gefunden 5 . A u f die Grundrechtsrelevanz des „Fortsetzungszusammenhangs" zwischen der Stellung des Menschen i m Arbeitsprozeß u n d seiner Absicherung gegen die Wechselfalle des Lebens i n einem staatsorganisierten, jedoch nicht direkt staatsabhängigen Sozialsystem hat v o r allem die realitätsbezogene, leistungsstaatliche Grundgesetzinterpretation hingewiesen 6 . 2 Preuss und Pitschas sehen in Art. 12 die Grundlage des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes mittels Arbeit erworbener Sozialpositionen; Preuss, JA 1977, 313 (317 ff) knüpft an den statusbildenden Charakter des Berufs an und leitet hieraus eine „erhöhte" Schutzwürdigkeit sozialer Positionen, die den Status des einzelnen definieren, ab (S.319); dazu kritisch Pieroth, S. 138f. Für Pitschas, VSSR 1978,357 (375 ff); ders, ZRP 1979,119 (124); ders, AöR 1982,149 (151); ders, JA 1980,535 ist Art. 12 Erfolgsschutzgarantie erarbeiteter Vorsorgeleistungen des Bürgers. Er betont die Funktion von Art. 12 als Gewährleistung eines angemessenen materiellen Lebensstandards im Falle kurzfristigen oder dauernden Ausscheidens aus dem Arbeitsprozeß, was eine Koppelung von Einkommen und korrespondierenden Sozialversicherungsansprüchen verlange. Nach Pitschas gewährt Art. 12 ein „Mehr" an Verfassungsschutz sozialrechtlicher Rentenpositionen gegenüber Art. 14, das aber auf der anderen Seite durch das „verfassungsrangige Solidaritätsprinzip" wieder abgemildert werde. Konkret gelangt Pitschas zu einem Verfassunggebot der Orientierung des allgemeinen Rentenniveaus am Lohniveau und zu einem Verfassungsauftrag zur lohnbezogenen Rentenanpassung. Weiterhin erkennt er in Art. 12 ein „begrenztes soziales Rückschrittsverbot sozialer Sicherung durch gesetzliche Renten" (VSSR 1978,377). Diese Ergebnisse lassen sich freilich überzeugender aus Art. 14 herleiten. 3 Zum „arbeitsethischen" Verständnis der Eigentumsgarantie s. Dürig, FS Apelt, S. 13 (31); Häberle, L V A - M i t t , S. 483 ff; ders, AÖR 1984, 36 (48); ders, JZ 1984, 345 (350 ff); Meyer-Abich, Schutzzweck der Eigentumsgarantie, S. 28 ff; aus der Rechtsprechung s. nur BSGE 9, 127 (128); BVerfGE 40, 65 (84); 65, 196 (214), wo die Berechtigungen eines betrieblichen Altersversorgungswerkes als „verdiente Gegenleistungen" behandelt werden und demgemäß ein Widerruf einer Versorgungszusage von sachlich-legitimierenden Gründen abhängig gemacht wird. 4 Zur These der Gleichwertigkeit von Kapital und Arbeitseinsatz als causa verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes und dem Gedanken eines Erfolgsschutzes von Grundrechtsbetätigungen in Art. 14 s. schon Dürig, FS Apelt, S. 27, 33, 36, 41 ff; RohwerKahlmann,, NJW 1960,1641 (1645); ders, SGb 1975, 161 f. 5 Besonders deutlich in den ehemaligen Südwest-Staaten-Verfassungen, s. Art. 8 I I Verf. Württemberg-Baden von 1946: „Durch Arbeit und Sparsamkeit erworbenes Eigentum genießt besonderen Schutz". Ebenso Art. 1512 Verf. Württemberg-Hohenzollern v. 1947; Art. 15 I I Verf. Baden von 1946. Das Näheverhältnis von Arbeit und sozialer Sicherung findet Ausdruck auch in Art. 166 -177 Verf.Bayern; Art. 49 - 58 Verf. Bremen; Art. 27 - 37 Verf. Hessen; Art. 53 Verf. Rheinland-Pfalz; Art. 45- 48 Verf. Saarland; Art. 12, 14 Verf. Berlin; Art. 24 Verf. NRW. 6 S. besonders Häberle, Leistungsstaat, S. 101 f; ders, L V A - M i t t , S. 484 f; ders, Disk.Beiträge, W D S T R L 35 (1977), 122; 37 (1979), 288 f; Scheuner, DÖV 1971, 505 (512); ders. Disk.Beitrag, W D S T R L , 28 (1970), S. 231 f.

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Auch die spezifisch sozialversicherungsrechtlichen Strukturprinzipien der Lohnersatzfunktion der Rente, Lebensstandardsicherung kraft Einkommensersatzleistungen und der Beitragsäquivalenz von Sozialversicherungsleistungen drängen auf eine Transformation des Arbeitsgesichtspunktes in die Eigentumsgarantie, welche die Existenzsicherung des Arbeitnehmers durch Arbeit und hieraus resultierende Versorgungsansprüche miteinander verkoppelt 7 . Das Sozialversicherungsrecht kann nicht isoliert vom Regelzustand „Arbeit" betrachtet werden, denn ohne vorgängige arbeitsrechtliche Beziehung gibt es kein Sozialversicherungsverhältnis, das dem Einzelnen Teilhabeberechtigungen am genossenschaftlichen Versorgungswerk gewährt. Die Sozialversicherung setzt solidarisch im Generationenverbund, aufbauend auf einer Umlagefinanzierung das Arbeitsverhältnis fort, sobald die Normalbefindlichkeit Arbeit in der individuellen Perspektive infolge Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit oder Alter notleidend wird 8 . Das Aufeinanderbezogensein der Realitäts- und Normschichten von Arbeit und Sozialversicherung schlägt auf die Verfassungsebene durch, wird dort durch die sich ergänzenden Grundrechte des Art. 12 und 14 G G aufgefangen und fordert einen arbeitsbezogenen Sozialrechtsschutz kraft Eigentumsgarantie.

6. Folgerungen für die Eigentumsfähigkeit sozialer Rechtsstellungen a) Kein Eigentumsschutz för ausschließlich einseitige, försorgerische Staatsleistungen Da die persönliche Vorleistung wesentliche und unverzichtbare eigentumskonstituierende Voraussetzung jedenfalls in Bezug auf das Sozialrecht darstellt, können solche „einseitigen" Positionen, die der Staat in Erfüllung seiner sozialen Fürsorge- und Schutzpflicht außerhalb des Sozialversicherungssystems gewährt, nicht in den Tatbestand der Eigentumsgarantie hineinwachsen1. Wenn nicht wenigstens ein abstrakt-kausaler Leistungsbeitrag des Bürgers im Zusammenhang mit einer Sozialrechtsstellung festgestellt werden kann, bleibt eine stabilisierende Schutzausstrahlung von Art. 14 GG auf rücknahmebedrohte Sozialstaatsfelder außer Betracht. 7 S. Sozial-Enquete-Kom. Ziff. 388: „Aufgabe der Sozialpolitik ist nicht mehr die Sicherung von Notlagen, sondern die Aufrechterhaltung des in einem normalen Arbeitsleben errungenen wirtschaftlichen und sozialen Status"; ähnl. Wannagat, FS Bogs, S. 199 (203); ders., FS Peters, 171 (178); ders.,Lehrbuch, S. 115 f; Pitschas, VSSR 1978,357 (375) ff; ders., ZRP 1979, 119; H. Bogs, RdA 1973, 26 (32); Badura, SGb 1984, 398 (401); Kritisch zur These der Koppelung von Einkommens- und Rentenniveau über Art. 12 u. 14 GG s. Papier, Sozialrechtslehrertagung, S. 204 f; ders., M D , Art. 14 Rn 143; ders., SGb 1984,411 (412), der stattdessen eine rechtsstaatliche Kontinuitätsverpflichtung befürwortet. 8 S. Häberle, JZ 1984, 345 (350 ff). 1 Deutl. BVerfGE 53,257 (292); Gitter, N Z A 1984,137 (140); Heinze, DJT-Gutachten,

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Die bloße Zahlung von Steuern reicht als sozialeigentums-konstituierender, personaler Leistungsanteil nicht aus, da hierdurch keinerlei individualisiertes Band zum Sozialsystem geknüpft wird 2 . Ein vorgängiger individueller „Einsatz" kann allerdings bei den Positionen des sozialen Entschädigungssystems (vgl. §§ 5, 24 SGB-AT) bejaht werden. Im Wege einer weiten Interpretation des Vorleistungskriteriums bzw. einer — bereits von Dürig vorgeschlagenen — Gleichsetzung von materiellem Beitrag und persönlichem, schicksalhaftem Opfer ist auch den Leistungen und Hilfen des Bundesversorgungsgesetzes als zentralem Entschädigungsgesetz, des Bundesseuchengesetzes, des Opferentschädigungsgesetzes sowie auch den Unterstützungs- und Schutzansprüchen des Schwerbehindertengesetzes und des Rechts der Eingliederung Behinderter (s. §§ 10, 20, 29 SGB-AT) Eigentumscharakter zuzusprechen 3. Dagegen genießen die steuerfinanzierten, einseitigen Sozialleistungen trotz ihres teilweise sozialversicherungsähnlichen daseinssichernden Charakters keinen eigentumsspezifischen Erhaltungsschutz 4. Nicht eigentumsfähig sind danach u.a. alle Sozialhilfeansprüche 5, Bildungsund Ausbildungsbeihilfen z.B. nach dem Bafög 6, Wohngeld- 6a , Jugendhilfe- und Kindergeldansprüche sowie entsprechende Steuervorteile und sonstige soziale Unterstützungsmaßnahmen, die nicht auf einen persönlichen materiellen oder immateriellen Einsatz zurückgeführt werden können 7 . 2

Ebenso Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 171. So auch — teilweise aber noch beschränkt auf das Gebiet der Kriegsopferversorgung —: Rohwer-Kahlmann, NJW 1960,1641 (1645); ders, FS W.Bogs, S. 109 (128); ders, SGb 1975,161 f, 167; ders, SGb 1980, 325 (333); W. Thieme, ZSR 1959,149 f, 243 ff; W.Bogs, DJT-Ref, G 58; ders, Rechtsprinzipien sozialer Sicherung, 1967, S. 14; W. Berg, FS W.Bogs, S. 13 (19 ff); Diemer, VSSR 1982, 325 (350 0; Meyer-Abich, Schutzzweck der Eigentumsgarantie, S. 54; Stolleis, Sozialrechtslehrertagung, S. 104(121); Dürig, FS Apelt, S. 29, 48 ff, der sich wegen des alle Bürger umfassenden Kriegsopfers allerdings gegen einen Eigentumsschutz speziell der Kriegsopferrenten ausgesprochen hatte; ebenso Dietlein, ZSR 1975, 129 (143 ff); vgl. jetzt vorsichtig Gitter, N Z A 1984, 137 (140). 4 So schon Dürig, FS Apelt, S. 53; W.Bogs, DJT-Ref. 1960, G. 59; ders, FS Braess, S. 11 (19); Dietlein, ZSR 1975,129 (143); Papier, M D , Art. 14 Rn 129; Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 171; Stolleis, Sozialrechtslehrertagung, S. 124; Gitter, N Z A 1984,137 (140); Haverkate, ZRP 1984, 217 (219). 5 Soweit Ansprüche von Behinderten im Sozialhilferecht wurzeln, (s. §§ 39 ff, 68 f BSHG), sollte wegen des Ursprungs dieser Ansprüche in der persönlichen Schicksalhaftigkeit ein Eigentumsschutz erwogen werden. Insofern kann auf den verwandten OpferGedanken bei der eigentumsrechtlichen Berücksichtigung des Rechts der sozialen Entschädigung verwiesen werden. Zur — bedenklichen — Wahlmöglichkeit des Gesetzgebers, eine soziale Sicherung Behinderter mittels des Sozialhilferechts oder (besser!) des Sozialversicherungssystems zu verwirklichen s. BVerfGE 40, 121 (138). 6 Für eine Verankerung des BAFÖG-Systems in Art. 12 i.V. mit dem Sozialstaatsprinzip Rüfner, ZRP 1980, 114 (115). 6a Für Wohngeldansprüche und das Gebiet der Wohnungsbauförderung könnte Art. 13 G G als multifunktionale Verfassungsgrundlage aktiviert werden, vgl. Schulze-Fielitz, Sozialplanung im Städtebaurecht, S. 68 ff. 7 Vgl. BVerfGE 48, 403 (413) zur Wohnungsbauprämie als peripherer sozialer Leistung: Der Anspruch auf künftige Gewährung der Wohnungsbauprämie, der durch das 3

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Kommt für solche Sozialberechtigungen eine eigentumsrechtliche Sicherung nicht in Betracht, übernehmen die allgemeinen Wertungsmaßstäbe des Grundgesetzes die Rolle eines — begrenzt — bestandswahrenden Faktors. Soweit nicht Art. 6 GG familienbezogene Unterstützungen multilünktional erlabt, ist „Art. 31 i.V. mit dem Sozialstaatsprinzip" mehrdimensionale (Gebot zu sozialer Aktivität, Systemkonsequenz, Postulat einer spezifischen Rückschrittsgerechtigkeit) Verbürgung (s.o. bes. 2. Teil A I 3, I I 2 u. 6). Nach herrschender Auffassung präsentiert sich vor allem das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Rechtssicherheitsgebot als Kontinuitäts- und Verläßlichkeitsgarantie eines stabilen Systems sozialer Sicherheit, welches das gerechtfertigte Sozialvertrauen der Bürger wahrt 8 . Liegen die sozialeigentumskonstituierenden Voraussetzungen nicht vor, entbehren die Berechtigungen des Sozialstaats also nicht völlig einer verfassungsrechtlichen Abstützung. Allerdings ist eine Spezialisierung und Verdichtung des grundgesetzlichen „Wertungskorsetts" anzustreben, das gerade auch den, nach dem Eigenleistungstopos nicht eigentumsfähigen, daseinssichernden sozialen Austeilungen und Förderungen ein breites grundrechtliches Fundament, z.B. in Art. 2 I I oder 12 GG als Schutzschild vor Abbaumaßnahmen gibt.

b) Die Feststellung der Eigentumswürdigkeit von Positionen des Sozialversicherungssystems anhand des „Äquivalenzkriteriums" : Einbeziehung aller Sozialversicherungsberechtigungen in die Eigentumsgarantie Aufgrund der Beitragsfinanzierung durch die Mitglieder sind die Rechtsstellungen des genossenschaftlichen Sozialversicherungssystems prädestiniertes Sozialeigentum. Das Bundesverfassungsgericht hat bisher nur den Versichertenrenten und -anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung Eigentumsqualität zugesprochen. Offengeblieben ist die Frage, ob auch die Pflichtleistungen 9 der Hinterbliebenenversorgung, der Unfall-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung eigentumswürdig sind 1 0 . Wohnungsbauprämiengesetz 1975 für besserverdienende Einkommensbezieher gestrichen worden war, stelle kein Äquivalent eigener Leistung dar, sondern sei vielmehr ausschließlich aus sozial- und wirtschaftspolitischen Gründen gewährt worden, was eine Einbeziehung in die Eigentumsgarantie nicht rechtfertige. 8 S. Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 171; Krause, Eigentum, S. 51; Papier, M D , Art. 14 Rn 129; Degenhard BayVBL 1983, 103 (106); zum rechtsstaatgesteuerten Kontinuitätsschutz s. ausf. unten B. 9 Bei Ermessensleistungen der Sozialversicherung wird von der herrschenden Meinung — in einer funktionalen Sicht nicht unproblematisch — eine Eigentumsfahigkeit generell verneint, s. BVerfGE 63,152 (174) — Reha-Maßnahmen —; ebenso Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 172; Krause, aaO, S. 90; Gitter, N Z A 1984, 137 (140).

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Ob zugunsten dieser Sozialversicherungszweige eine Einbeziehung von Ansprüchen und Anwartschaften auf Versicherungsleistungen in Art. 14 G G in Betracht kommt, richtet sich nach dem Verständnis über die eigentumskonstitutive Qualität des „Äquivalenzkriteriums". Im Anschluß an eine ältere Auffassung einer streng „kapitalorientierten" Betrachtung 11 des Sozialversicherungsverhältnisses wird teilweise heute noch 1 2 eine Eigentumsfahigkeit von Sozialversicherungspositionen nur dann und insoweit bejaht, wie ein strikter Kausalbezug von Leistungen und Gegenleistungen festgestellt werden kann. Eine solch enge, auf ein synallagmatisches Band abstellende Sicht widerspricht zunächst einem funktionalen, wirklichkeitsbezogenen, Arbeit- und Daseinssicherung verschmelzenden Eigentumsverständnis, das nicht auf den vermögensrechtlichen Aspekt eines „do ut des" reduziert werden kann 1 3 . Das kapitalorientierte Konzept ist in Bezug auf Sozialversicherungsberechtigungen schon deshalb unhaltbar, weil die Sozialversicherung nicht auf dem individuellen Kapitaldeckungsprinzip wie in der Privatversicherung aufbaut, sondern dem Modell einer Umlagefinanzierung im Rahmen des Generationenausgleichs folgt, das kein privatvertragsähnliches, rechnerisches Gegenseitigkeitsverhältnis von individuellem Beitrag und Sozialanspruch kennt 1 4 . Außerdem ist die Sozialversicherung als elementare sozialstaatsgeforderte Institution für die Standardrisiken jeden menschlichen Lebens durch unver10 Ausdrücklich offengelassen ist die Frage des Eigentumsschutzes der Hinterbliebenenversorgung s. BVerfGE 55, 114 (131 0; BSGE 47, 259 (263) und der Ansprüche der Arbeitslosenversicherung s.BVerfGE 53, 313 (331); 42, 176 (190 f). 11 s. Ule, ZSR 1956,138 ff, der verlangte, daß Vermögenswerte Leistungen der Bürger das Vermögen des Staates vermehren. In der Konsequenz kam für Ule ein Eigentumsschutz ausschließlich bzgl. der beitragsabgedeckten Teile einer subjektiv öffentlichen Rechtsstellung in Betracht; ähnl. Forsthoff, NJW 1955,1249 (1251); Zimmer, DÖV 1963, 81; dagg. lehnte Dürig, FS Apelt, S. 43 f und JZ 1958, 23 die „wirtschaftlich-rechnerische" Äquivalenzmethode ab und erachtete den „Wertschutz" für Vergegenständlichungen aus der Einbringung von Arbeitskraft neben einem möglichen Kapitaleinsatz als eigentumskonstituierend. 12 Vgl. H .Schneider, Der verfassungsrechtliche Schutz von Renten der Sozialversicherung, S. 21; Isensee, Rolle des Beitrags, S. 493; ders., FS Broermann, S. 365 (379); Ρ .Krause, FamRZ 1980, 535; offener in: Eigentum an subjektiv öffentlichen Rechten, S. 160 f; Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 41 f; NVwZ 1982, 337 (349); Papier, VSSR 1973, 33 (46); ders., anders in: M D , Art. 14 Rn 129. 13 S. Häberle, AöR 1984,36 (insb. 48,71); ders., LVA-Mitt., S. 485; ein vermögensbezogenes Eigentumsverständnis wird vertreten u.a. bei Salzwedel, Die Verwaltung 1972, S. 11 (26); W.Schmidt, JuS 1973, 529; Papier, VSSR 1973, 33 (46); Sozialrechtslehrertagung, S. 196 f; ders., M D , Art. 14 Rn 120,128 f; zur Ablehnung der streng vermögensrechtlichen Auffassung des Eigentumsbegriffes s. schon oben I 1 u. I I 3 m. Fn 4. 14 S. näher Degenhart, BayVBL 1984, 67 f, 193 ff; Krause, Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten, S. 153 ff; Ecker, ZRP 1983, 45 (47); nach der geltenden Rentenberechnungsformel (§ 1255 RVO, § 32 AVG) haben die Beiträge als nominelle Größe keine Bedeutung, sondern bestimmen nur die Relation zwischen der Rente des einzelnen und dem gegenwärtigen Lohnniveau, s .Gitter, Sozialrecht, S. 139 ff; H. Schneider, aaO, S. 19 ff; Rische/Terwey, Deutsche Rentenversicherung 1983,273 (289 f) zur These einer bloßen Rangsicherung der Rentenberechtigung durch Art. 14.

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

zichtbare Komponenten des „sozialen Ausgleichs" 15 geprägt, die verschiedene versicherungsfremde Elemente, wie die Anrechnung von Ausfall- und Ersatzzeiten oder sogenannte „Fremdlasten", z.B. die studentische Krankenversicherung 1 6 in die Sozialversicherung hineintragen, was ein Verständnis des Sozialversicherungsverhältnisses als individueller Austauschbeziehung von vornherein nicht zuläßt 17 . Der in manchen Zweigen der Sozialversicherung periodisch erforderliche Staatszuschuß ist Ausdruck der umfassenden, realitätsgerechten und zeitgebotenen Sicherungsintention der Sozialversicherung, welcher die Sozialeigentümerstellung der Mitglieder der Sozialversicherung nicht prinzipiell infrage stellt 18 , andererseits aber eine enge vermögensverknüpfende Betrachtung des Sozialversicherungsverhältnisses ausschließt. Für die Frage der Eigentumsfahigkeit ist daher, wie dies jetzt auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat 1 9 , auf einen weiten Begriff des „Äquivalenzverhältnisses" in der Sozialversicherung abzustellen, der eine globale und abstrakte Gegenüberstellung von Beitrag und Versicherungsleistungen genügen läßt, ohne daß Berechtigung und Eigenleistung in der individualbezogenen Perspektive gleichwertig sein müßten 20 . Die „Globaläquivalenz" im Sozialversicherungsverhältnis ist ausreichendes, aber auch notwendiges Kriterium für eine Erstreckung des Eigentumstatbestandes auf Teilhabeberechtigungen am solidarischen Sozialversicherungssystem, weshalb potentiell allen Rechtsstellungen in der Sozialversicherung Eigentumscharakter zugesprochen werden kann. Erst auf der zweiten Stufe der Auslotung der konkreten Abbaufestigkeit von Sozialversicherungsberechtigungen, bei der Festlegung der eigentumsrechtlichen Grenzen nach Art. 1412 GG findet eine nähere Betrachtung der speziellen Eigenschaften und Bestimmungselemente der betreffenden Sozialversicherungsposition statt. Eine Sozialversicherungsstellung unterfallt zunächst immer insgesamt mit allen Bezugsgrößen dem Schutztatbestand des Art. 14 I 1 GG, ohne daß für die Frage der Eigentumsfahigkeit einzelne Komponenten des Sozialverversicherungsverhältnisses auseinandergehalten werden müßten 21 . Ei15 Dazu speziell Meydam, Eigentumsschutz und sozialer Ausgleich in der Sozialversicherung, insb. S. 70 ff; Gitter, Sozialrecht, S. 51; Ecker, ZRP 1983, 45 (49). 16 Hierzu Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, 1973; Kloepfer, Sozialversicherungsbeiträge und Gruppensolidarität, VSSR 1977, 156. 17 Ebenso Degenhart, aaO, S. 68 f. 18 S. Degenhart, aaO, S. 69; vgl. aber Stober, Sozialrechtslehrertagung, S. 33; H. Schneider, aaO, S. 21. 19 BVerfGE 53, 257 (292)-.Berechtigung und Eigenleistung müssen einander nicht entsprechen. 20 Vgl. Rohwer-Kahlmann, SGb 1975,161 (164 fï); ders, SGb 1980, 325 (333); Dietlein, ZSR 1975,143; Wannagat, FS Peters, S.178 ff, ZacherjRuland, SGb 1974,441 f; W.Bogs, FS Braess, S. 11 (17); Badura, FS BSG, S.686 f; Diemer, VSSR 1982, 325 (339); Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 170; Degenhart, aaO, S. 67 ff, 104; Haverkate, ZRP 1984,217

(220).

A . I I . Eigentumsschutz für Sozialversicherungspositionen

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ne konkrete Gewichtung der von einer Streichung oder Kürzung betroffenen Segmente einer Sozialversicherungsstellung wird erst innerhalb des Abwägungsprozesses zur Ermittlung der Reichweite des Eigentumsschutzes vorgenommen. Obwohl das Bundesverfassungsgericht noch zögert, weitere Positionen der Sozialversicherung neben den Versichertenstellungen der gesetzlichen Altersversicherung anzuerkennen, ist aufgrund des „Globaläquivalenzcharakters" die Einbeziehung aller Sozialversicherungsberechtigungen in Art. 14 I 1 GG zu erwarten und als konsequenter Schritt in Richtung eines modernen, zeitgerechten Sozialeigentumsverständnisses wünschenswert 22. In der Judikatur des Verfassungsgerichts ist der Grundstein für eine Öffnung des Eigentumsgrundrechts für weitere Sozialversicherungsstellungen bereits gelegt. Für den Anspruch auf Arbeitslosengeld hatte der erste Senat des Verfassungsgerichts schon in einer Entscheidung aus dem Jahr 1976 23 eine Öffnung des Eigentumstatbestandes angedeutet, da dem „Arbeitnehmer aufgrund seiner Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf die Zahlung von Arbeitslosengeld" zustehe. Der künftige Anspruch auf Arbeitslosengeld sei daher mit den sozialversicherungsrechtlichen Positionen, die jemand durch seinen Arbeitsertrag und die daran anknüpfende solidarisch getragene Daseinsvorsorge erlangt, vergleichbar. Wenn im Ergebnis die Einbeziehung von Berechtigungen aus der Arbeitslosenversicherung in Art. 14 GG auch offengelassen wurde, so spricht diese Argumentationslinie des Bundesverfassungsgerichts für eine folgerichtige Ausdehnung des Eigentumsgrundrechts auf die Berechtigungen der Arbeitslosenversicherung 24. Konsequent hat das Bundessozialgericht den Anspruch auf Arbeitslosengeld als auf eigener Leistung beruhend angesehenen und ihm daher Eigentumsqualität zugesprochen 25. 21 So auch BVerfGE 58, 81 (109); unverständlich ist die isolierte Betrachtung der Anpassungskomponente von Rentenansprüchen durch BVerfGE 64, 87 (98); die Offenhaltung der Frage, ob die Rentendynamisierung vom Tatbestand des Art. 1411 umfasst wird, dürfte auf Meinungsverschiedenheiten innerhalb des ersten Senats zurückzuführen sein; vgl. Stober, Sozialrechtslehrertagung, S. 33; Papier, M D , Art. 14 Rn 131; Degenhart, aaO, S. 69 f, 105; Rische/Terwey, aaO, S.280. 22 In diesem Sinn auch Häberle, LVA-Mitt,S. 485 f; ders., AöR 1984,36 (48); Dietlein, ZSR 1975,129 (143); Diemer, aaO, S. 340; Rüfner, aaO, S. 173 ff; Stober, aaO, S. 34 f, 45 f; Papier, M D , Art. 14 Rn 130 ff, 148; Heinze, DJT-Gutachten, S. 65 ff; Haverkate, ZRP 1984, 217 (219 f). ' 2 3 BVerfGE 42, 176 (191). 24 In BVerfGE 53, 313 (331) ist die Frage der Eigentumsqualität wiederum offengelassen worden; vgl. BVerfGE 51, 115 (124 f); die Eigentumsqualität der Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld, Kurzarbeiter-, Konkursausiall-, Schlechtwettergeld) bejahen Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 175; Papier, M D , Art. 14 Rn 148; Heinze, DJT-Gutachten, S. 67. 25 BSGE 46, 89 (97); 41, 177 (185).

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Die Ansprüche aus der Hinterbliebenenversorgung können im Lichte der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls der Eigentumsklausel zugeordnet werden, wenn auch das Bundesverfassungsgericht bislang im Ergebnis die Eigentumsqualität dieser Versorgungsansprüche offengelassen hat 2 6 . Dabei besteht kein unmittelbares Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen dem Empfänger der Hinterbliebenenleistungen und dem Sozialversicherungsträger vor Eintritt des Versorgungsfalles. Doch erarbeitet der Familienernährer eine Lebensgrundlage nicht nur für sich, sondern auch für seine Familie. Daran anknüpfend zahlt er im Rahmen seines Versicherungsverhältnisses auch Beiträge zugunsten seiner Angehörigen und finanziert damit eine „Familienversicherung". Die potentiellen Hinterbliebenenrenten beruhen daher entscheidend auf Eigenleistungen des Versicherten 27. Die durch den Tod des Ernährers bedingte Anspruchssituation der Hinterbliebenen ist nur eine Fortsetzung der Anspruchsberechtigung des Versicherten selbst durch Übergang auf die vom Familienverdienst abhängigen Personen. Durch diese Verlagerung der Anspruchssituation geht aber die Eigentumsqualität der Anwartschaftsrechte nicht verloren, sondern verschiebt sich nur das Gegenseitigkeitsverhältnis auf die Versorgung der von vornherein in das Versicherungsverhältnis einbezogenen Famlienangehörigen 28 . Gerechtfertigt ist auch ein Eigentumsschutz zugunsten der Ansprüche der gesetzlichen Unfallversicherung. Diese werden zwar ausschließlich vom Arbeitgeber finanziert. Doch tritt der Arbeitgeber nur als „Zahlstelle" auf, denn die Beitragsleistungen des Arbeitgebers für die Unfallversicherung sind auch Teil des Lohnes, für den der Arbeitnehmer zu arbeiten hat 2 9 , so daß das Äquivalenzkriterium erfüllt ist 3 0 . Zudem bedeutet der Eintritt der gesetzlichen Unfallversicherung nur ein „Umschlagen" des Arbeitsverhältnisses vom gesunden Normalzustand in ein 26

BVerfGE 55, 114 (131); BSGE 47, 259 (263). BVerfGE 17, 1 (9); 28, 324 (349); BSGE 20, 252 (254); im Schrifttum wird ein Eigentumsschutz befürwortet von Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 184; Papier, M D , Art. 14 Rn 137; Müller-Freienfels, JZ 1983, 230 (235); Rische/Terwey, D R V 1983, 273 (287); Krause, aaO, S. 197 ff: Anwartschaftrechte in der Hinterbliebenenversicherung sind Eigentum des Versicherten selbst, laufende Ansprüche auf Hinterbliebenenrente sind Eigentum der Hinterbliebenen; vgl. Meydam, aaO, S. 35; Stober, Sozialrechtslehrertagung S. 35; ders.,DVBL 1984, 857 (862); Pitschas, ZRP 1979, 119 (124), der einen Bestandsschutz auf Art. 12 G G zurückführt. 28 S. BVerfGE 48, 346 (359), wo der Unterhaltsersatzcharakter der Hinterbliebenenrente hervorgehoben wird; ebenso BSGE 20, 252 (253). 29 ebenso Degenhart, BayVBL 1984,65 (67); Heinze, DJT-Gutachten, S. 67; Haverkate, ZRP 1984, 217 (220). 30 So schon W.Bogs, DJT-Ref., 1960, G 56, Fn 147; ders., FS Braess, S. 11 (18) Fn 23; Papier, Sozialrechtslehrertagung, S. 201; ders., M D , Art. 14 Rn 136, 148; Stober, Sozialrechtslehrertagung,S. 134; Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 177; ders., a.A. in LVA-Mitt., S. 486. 27

.III. Schutzintensität der Eigentumsklausel

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durch die Vorleistungen und däs persönliche Opfer des Betroffenen geprägtes potentielles Auffangsjadiùm, gewissermaßen als Kehrseite des Arbeitsalltags. Dem personenbezogenen, an der Arbeitswelt orientierten Aspekt wird man auch für die Sach- und Geldleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung eigentumskonstitutive Relevanz zumessen müssen. Die soziale Krankenversicherung ist auf Wiederherstellung der Gesundheit und damit auch der Arbeitsfähigkeit gerichtet, umschreibt also in der Regel einen vorübergehenden Zeitabschnitt im Erwerbsleben. Dieser Gesichtspunkt sowie die existenzsichernde Bedeutung von Leistungen der Krankenversicherung rechtfertigen eine verfassungsrechtliche Steuerung der sozialversicherungsrechtlichen Daseinsvorsorge im Krankheitsfall durch das „Sozialeigentumsgrundrecht" des Art. 14 G G 3 1 .

I I I . Die Schutzintensität der Eigentumsklausel für Sozialrechtsstellungen 1. Abwägung zwischen personalem und sozialem Bezug anhand der Richtlinie eines „sozialen Schonungsgebots" Liegt eine eigentumsfahige Sozialposition vor, wird diese Rechtsstellung allein aufgrund ihrer Einbeziehung in den Tatbestand des Art. 14 I 1 GG keinesfalls gegen Abbaumaßnahmen des Gesetzgebers immun. Das Eigentumsgrundrecht ist keine status-quo-Garantie. Die konkrete Bestandsfestigkeit ist vielmehr über das Instrument der Abwägung zu ermitteln, mit dem das personale Interesse der Abbaubetroffenen an einer Beibehaltung ihrer bisherigen Position dem öffentlichen Interesse an einer Veränderung gegenüberstellt und grundrechtsspezifisch bewertet wird 1 . Für die Bestimmung von Inhalt und Grenzen verfassungsgeschützten Sozialeigentums ist auf die Abwägungsmethode2 zurückzugreifen, nach welcher der änderungsfeste Gehalt einer Rechtsposition nach Maßgabe einer konkreten Gewichtung der Elemente, die der Sicherung persönlicher Freiheit des Bürgers 31 Vgl. BVerfGE 60, 360 (368) zum Begriff des „krankenversicherungsrechtlichen Eigentums", s. Heinze, DJT-Gutachten, S. 66: die Krankenhilfe, Mutterschaftshilfe u. Familienhilfe genießt eigentumsrechtlichen Bestandsschutz. 1 Zur Abwägung bei Antastung von Eigentumspositionen außerhalb des Sozialrechts, s. etwa BVerfGE 31,229 (242); 31,275 (289,293); 42,263 (295); 50,299 (340 0; 52,1 (29). 2 Zur Abwägungsmaxime als methodischem Konzept zur Ermittlung des erlaubten Maßes einer Grundrechtsbegrenzung durch den Gesetzgeber s. grundlegend Häberle, Wesensgehaltgarantie, passim, insb. S. 51 ff, S. 326 ff; Y.Müller, Normstruktur und Normativität, S. 207 ff; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 319 ff; auf Abwägungsvorgänge als Lösungskonzept für Verteilungsprobleme stellt auch W.Berg, Der Staat 1976,1 (24 f, 28) ab; kritisch: Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 128 ff; vorsichtig auch: Lerche, Grundrechtsverständnis und Normenkontrolle, S. 37 ff; dazu Häberle, Disk.-Beitrag, ebenda, S. 65.

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

dienen und der Gemeinwohlfunktion, die die jeweilige Grundrechtsstellung in einer bestimmten gesellschaftlichen Lage kennzeichnet, herauszuschälen ist. Das Übermaßverbot strukturiert den Abwägungsprozeß, indem es zu einer am spezifischen Schutzzweck und der Sozialbindung ausgerichteten, abgestuften Betrachtung 3 der betroffenen Rechtspositionen zwingt und die gegenläufigen Interessen zu praktischer Konkordanz 4 zu optimieren versucht. Die Leitlinie für diesen Optimierungsprozeß kann in Bezug auf Daseinssicherungsrechte des sozialen Netzes mit dem Begriff eines „sozialen Schonungsgebots" gekennzeichnet werden 5 . Die Figur des „sozialen Schonungsgebots" stellt eine bereichsspezifische Ausprägung und Konkretisierung des grundrechtlichen Harmonisierungsinstrumentariums zum Ausgleich widerstreitender verfassungsrelevanter Bürgerund Gemeinwohlbelange dar, eine Formel, die als übergeordnete Direktive an den Gesetzgeber den Prozeß sozialer Rücknahmen inhaltlich-strukturierend begleitet. Die Legitimationserfordernisse für einen verschlechternden Eingriff in eine gegründete Sozialeigentümerposition werden nach zwischenzeitlich gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 14 G G 6 danach abgeschichtet, wie hoch bei der betroffenen Rechtsstellung der personale bzw. soziale Bezug ist 7 . Soweit die Funktion des Eigentums als Element der Sicherung der persönlichen Freiheit des einzelnen im Vordergrund steht, genießt diese einen besonders ausgeprägten Schutz, verengt sich die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und begehrt eine weitgehende Schonung der erworbenen Daseinssicherungsposition. Die Befugnis zur Inhalts- und Grenzbestimmung ist dagegen um so weiter, je mehr das Eigentumsobjekt in seiner gesamtgesellschaftlichen sozialen Einbettung in Erscheinung tritt. Die Kürzungsresistenz einer sozialen Rechtsposition 3 Die Stufentheorie bei Art. 14 ist, ebenso wie die bekannnte 3-Stufen-Lehre bei Art. 12 GG, s. BVerfGE 7, 377 (404 ff), 59, 302 (315), nur eine spezifische Ausprägung des Übermaßverbotes anhand der Eigenarten des jeweiligen Freiheitsgrundrechts und dem Charakter der geschützten Rechtsposition; vgl. SV Rupp-w.Brünneck, BVerfGE 32, 129 (143); Papier, Sozialrechtslehrertagung, S. 196; Stober, Sozialrechtslehrertagung, S. 48; Degenhart, BayVBL 1984, 103 (105); Häberle, AöR 1984, 36 (67 f). 4 „Praktische Konkordanz" {Hesse) und „Prinzip des schonendsten Ausgleiches" {Lerche) sind Optimierungsformeln, die den demokratischen Gestaltungsvorbehalt des Gesetzgebers und das im Grundrecht verkörperte personale Schutzmoment in Einklang zu bringen suchen, s. Hesse, Verfassungsrecht, Rn 72; Lerche, Übermaß, S. 125 ff; Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 328 f; kritisch: Wahl, Der Staat 20 (1981), 485 (504, 510); im Zusammenhang mit dem rentenversicherungsrechtlichen Eigentum ausdr. RischejTerwey, Deutsche Rentenversicherung 1983, 273 (291). 5 Der „Schonungsgedanke" ist angesprochen bei Degenhart, BayVBL,aaO, S. 105; H .Bogs, RdA 1973, 26 (27, 33); Kloepfer, VVDSTRL 40 (1981), S. 63 (85 f); ders., DÖV 1978, 225 (227, 230). 6 BVerfGE 42, 263 (294); 50, 299 (340); 53, 257 (292); 58, 81 (112); 64, 87 (101). 7 Auf Abwägungsprozeduren beruht auch das Konzept einer sozialrechtlichen Rückschrittssicherung aus dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot, s. unten B.

.III. Schutzintensität der Eigentumsklausel

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folgt aus einer wertenden Abwägung zwischen personaler Sicherungsfunktion und gemeinwohlgerichteter Einbindung in die „Leistungsgemeinschaft" Sozialstaat bzw. speziell in dem genossenschaftlichen Solidarverband Sozialversicherung 8 . Sozialrechtliche Eigentümerstellungen sind allerdings in höchstem Maße ambivalent 9 : Einerseits weisen sie stärksten personalen Bezug auf, da sie Grundlage der Lebensgestaltung und Lebensplanung des in staatliche Sozialsysteme integrierten Bürgers bilden. Die Vorsorge gegen Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit und Unfall, die die elementarsten Risiken eines menschlichen Lebens darstellen, gehört zum engsten Persönlichkeitsbereich, wo der einzelne tatsächlich existenziell betroffen ist. Der Gedanke eines „sozialen Schonungsgebots" soll auf der Ebene der Verfassung die hohe Wertigkeit dieses Existenzsicherungsaspektes hervorheben. Andererseits stehen Sozialberechtigungen auch in einem ausgeprägten gemeinschaftsorientierten Bezug, was insbesondere die Einbettung der Sozialversicherungsansprüche in einem Solidarausgleichssystem deutlich macht 1 0 . Dort ist die Abhängigkeit der individuellen Berechtigung von den Teilhabepositionen anderer Mitglieder der Solidargemeinschaft und die dadurch bewirkte Pflichtenimmanenz der jeweiligen Rechtsposition sehr augenscheinlich. Das Voneinanderabhängigsein, „ i n einem Boot sitzen", kommt in der Rentenversicherung prägnant in der Figur des Generationen Vertrags 11 zum Ausdruck, der die Altersstruktur und das Erwerbsniveau der Bevölkerung als maßgebliche Berechnungsfaktoren im Rahmen des Umlageverfahrens für die Rentenbemessung zugrundelegt. Der Vertragsgedanke 12 , der das Band zwischen Leistungsempfangern und Einzahlenden, die Relation von Anspruchsberechtigungen und Leistungsfähigkeit einer Sicherungsinstitution umschreibt, liegt unausgesprochen allen sozialen Austeilungen zugrunde, denn letztlich handelt es sich bei den Leistungen des sozialen Netzes um umverteilte Gelder anderer Grundrechtsträger, was in der 8 Zur sozialrechtlichen Inhaltsbestimmung des Eigentums anhand der Abwägungsmethode s. Degenhart, BayVBL, aaO, 105; Rische/Terwey, aaO, S. 291; Krause, Eigentum an subjektiv öffentlichen Rechten, S. 70 ff; Stober, Sozialrechtslehrertagung, S. 46 ff; Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 185 ff; Papier, Sozialrechtslehrertagung, S. 196; ders., M D , Art. 14 Rn 132 ff; Schulin, NJW 1984, 1936 (1941). 9 Das sieht auch das BVerfG s. E 53, 257 (292). 10 BVerfGE 58, 81 (123); 64, 87 (105). 11 Zum Modell des Generationen Vertrags als Grundlage der Funktionsfahigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung s. BVerfGE 51, 1 (27); 53, 257 (292); 54, 11 (28); 58, 81 (123); ebenso: Degenhart, aaO, S. 103 ff; Rische/Terwey, aaO, S. 291 f; Häberle, LVAMitt., S. 485; Ecker, ZRP 1983,45 (47 0; zum Generationenvertrag s. auch oben 2. Teil Β I I I 2 c. 12 Zur Wiederbelebung des Vertragsgedankens s. Häberle, Verfassungsgerichtsbarkeit als politische Kraft, in: Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 427 (insb. S. 439 ff); ders, Zeit und.Verfassungskultur, S. 336; ders, L V A - M i t t , S. 485,488; ders, JZ 1984,345 (354); ders, AÖR 1984,36 (72); zur generationenorientierten Dimension der Grundrechte s, ders, Wesensgehaltgarantie, S. 382 ff.

11 Schlenker

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Sozialversicherung aufgrund der genossenschaftlichen Struktur besonders deutlich ist. Es liegt nahe, aufgrund der im Vertragsgedanken ausgedrückten Gemeinbindung sämtlicher Sozialberechtigungen auf deren hohe Sozialpflichtigkeit mit daran anknüpfend weiter Gestaltungs- bzw. Abbaufreiheit des Gesetzgebers zu schließen. Eine solche Sicht liegt dem schon erwähnten Topos der weiten Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers im Sozialbereich (s. oben 2. Teil A I I 3) zugrunde, der jedoch regelmäßig im Zusammenhang mit neuen leistungserweiternden Maßnahmen des expansiven Sozialgesetzgebers in der Wachstumsphase Erwähnung fand und findet. Beim Abbau von Sozialleistungen darf sich der grundrechtliche Freiheitssicherungsanspruch hingegen nicht hinter der demokratisch legitimierten politischen Prioritätensetzungsbefugnis des Parlaments verstecken, weil die personale Komponente des Grundrechtsschutzes aufgrund des Sich-Einstellens des einzelnen auf eine soziale Gesetzeslage, des Hinarbeitens auf eine „gute" soziale Sicherung in der Sozialversicherung und die dadurch bewirkte existenzielle Abhängigkeit des Bürgers besonders intensiv betroffen ist. Die in sozialen Rechtsstellungen wesensimmanent angelegte Sozialpflichtigkeit schließt zwar grundsätzlich auch die Novellierungsmöglichkeit „nach unten" ein, wird aber durch die die Persönlichkeitsentfaltung wahrende Schutzfunktion des Grundrechts im Sinne der Richtlinie des „sozialen Schonungsgebots" stark relativiert. Sozialleistungen stehen nicht allein wegen der wesenstypischen Dynamik des Sozialrechts und der finanziellen Ressourcenabhängigkeit unter einem permanenten Widerrufsvorbehalt (s.o. 2. Teil A I I 4), vielmehr bedürfen verschlechternde Maßnahmen einer Legitimation durch deutlich überwiegende öffentliche Interessen. Aufgrund der auf den ersten Blick bestehenden Gleichrangigkeit zwischen personalem und sozialem Bezug im Rahmen des eigentumsspezifischen Abschichtungsverhältnisses wird der eigentumsrechtliche Bestandsschutz, wie ihn jetzt das Bundesverfassungsgericht verfolgt, im Schrifttum mitunter generell infrage gestellt 13 . Diese Kritik ist aber nur zutreffend, wenn man Bestandsgarantie und Veränderungsbefugnis abstrakt gegenüberstellt. Für die eigentumsspezifische Abwägung zwischen Erhaltungs- und Veränderungsinteresse sind aber jeweils die individuellen bzw. richtiger: gruppenbezogenen Gesichtspunkte für eine Beibehaltung der eingeräumten Position und die Motive, die den Gesetzgeber zu einer Beschneidung der Grundrechtsstellung

13 Rüfner, SGb 1981, 107; Stober, aaO, S. 49; Rische/Terwey, Sozialrechtslehrertagung, S. 196.

aaO, S. 283; Papier,

Α. III. Schutzintensität der Eigentumsklausel

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veranlaßt haben, konkret bei den jeweils rücknahmebetroffenen Sozialpositionen zu ermitteln und gegeneinander abzuwägen. Dabei werden sich Kriterien anhand der jeweiligen Rechtsstellung herausschälen lassen, die die Rückschrittsfestigkeit unter verfassungsrechtlichem Aspekt relativ präzise bestimmen. Die Beschlüsse des Verfassungsgerichts zu den Ausbildungsausfallzeiten und zur Rentenanpassung haben dies exemplarisch gezeigt 14 .

2. Die Ermittlung des Umfangs des gesetzgeberischen Rückschrittsermessens: Kernbereichsformel, Wesensgehaltbestimmung, Institutsgarantie Zur Charakterisierung der eigentumsrechtlichen Grenzen gesetzgeberischen Abbauwillens verweisen Rechtsprechung und Literatur vielfach auf den Gedanken einer Kernbereichsgarantie 1. Die Kernbereichsformel ist bildhaftes Rechtsinstrument, mit dessen Hilfe grundrechtsfeste Zonen eines Regelungskomplexes gekennzeichnet werden, die der Gesetzgeber nicht antasten darf. Die Grundelemente, die typusbestimmend die Zielsetzung einer rechtlichen Ordnung prägen, sollen als vom „gesetzgeberischen Vernichtungswerk" nicht erreichbarer „Wertkern" geschützt werden 2 . Dieser Kern wird aus den Wesensmerkmalen der vorgefundenen, unterfassungsrechtlichen Regelungsgeflechte herausdestilliert, die eine rechtliche Ordnung charakterisieren und sich im Rechtsleben als besonders wertvoll und nutzbringend erwiesen haben. Durch Konzentration auf die typischen wesensmäßigen Strukturen und Inhalte eines Normgeflechts wird die Fixierungswirkung grundrechtlichen Schutzes beschränkt und dem Gesetzgeber Raum für die Ausgestaltung der Einzelregelungen belassen, was „Petrifizierungsängsten" 3 bei Annahme einer Grundrechtsgarantie von Sozialleistungen entgegensteuert. Der Kernbereichsgedanke steht in enger Verbindung zur Wesensgehaltsbestimmung sowie zur institutionellen Komponente von Grundrechten 4 , Rechtsfiguren, die das gemeinsame Bemühen auszeichnet, dem grundrechtlichen Geltungsanspruch negativ gegenüber staatlichen Eingriffen und positiv im Sinne einer Ausgestaltungsaufgabe in guten wie in schlechten Zeiten zu multifunktionaler Wirkung zu verhelfen. 14

BVerfGE 58, 81 (109 ff); 64, 87.(97 ff). Nachweise bei Häberle, Wesensgehaltgarantie, bes. S. 263, 291, 293 f. 2 So Dürig, ZStaatsW 109 (1953), 327 (333) im Zusammenhang mit der Institutsgarantie des Eigentums. 3 Dazu Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1533); Tomandl, Einbau. S.42; Isensee, Umverteilung, S. 28; Papier, SGb 1984, 412. 4 S. Häberle, aaO, S. 302: „Kernbereichsformel als funktionales Äquivalent des Wesensgehalts"; vgl. Schambeck, Grundrechte und Sozialordnung, S. 108. 1

11

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Im Zusammenhang mit sozialen Rückschrittsmaßnahmen repräsentiert die Kernbereichsthese einen modellhaften grundrechtsspezifischen Stabilitätsfaktor, der den existierenden sozialen Rechtslagen Halt verleiht 5 . Die Kernbereichsjudikatur erfaßt alle Grundrechtsverbürgungen des Grundgesetzes6. In Anlehnung an den durch Art. 33 V GG nach allgemeiner Auffassung gewährleisteten Kern des beamtenrechtlichen Anspruchs auf amtsangemessene Alimentation und Versorgung 7 wird der änderungsfeste Gehalt des Eigentumsgrundrechts auch in Bezug auf soziale Rechtsstellungen mit der Kernbestandsformel umschrieben 8. Nach der Kernbereichsthese ist zwar eine verschlechternde Änderung der ziffernmäßigen Höhe von Leistungsansprüchen, der Bezugsmodalitäten und der Berechnungsfaktoren zulässig, nicht jedoch eine Antastung der Substanz einer grundrechtserfaßten Rechtsstellung, ein Entzug der Rechtsposition „als solcher" 9 . Die Kernbestandsformel dient damit der bildhaften Kennzeichnung des rückschrittsresistenten Mindestgehalts einer eigentumsrechtlich umsorgten Sozialposition, den der Sozialgesetzgeber in Ausfüllung seiner Novellierungskompetenz nach Art. 14 I 2 GG zu respektieren hat. Das Bundesverfassungsgericht verwendet im Zusammenhang mit dem Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen die Kernbereichsformel seit dem Versorgungsausgleichsurteil nicht mehr. Es lotet den rückschrittsfesten Teil einer Sozialeigentümerposition immer einzelfallbezogen nach Maßgabe einer Abwägung zwischen personalem Sicherungsinteresse und den Gemeinwohlgründen, die für einen Abbau sprechen, aus. Das Gericht gelangt so zu einer situationsabhängigen Bestimmung der zu erhaltenden Substanz des Sozialeigentums anhand der Richtlinie eines „sozialen Schonungsgebots", wie dies in funktionaler Übereinstimmung herkömmlicherweise für die Versor-

5 Vgl. die parallele Fragestellung, ob dem Sozialstaatsprinzip eine „institutionelle Garantie" wichtiger sozialer Regelungen und Organisationsformen entnommen werden kann, dazu oben 2. Teil A l l und 2. 6 Nachweise bei Häberle, aaO, S. 291 mit Fn 14; S. 293 f. 7 Geschützt ist nach Art. 33 V GG sowohl der Kern der Strukturprinzipien der Institution des Berufsbeamtentums, s. BVerfGE 8, 332 (343); 43,242 (278); 56,146 (162); 64, 367 (379), als auch speziell ein Kernbestand des Anspruchs auf standesgemäßen Unterhalt, s. BVerfGE 16,94 (112,115); 21, 329 (344); 53,257 (307); zur Kernbereichsgarantie des Art. 33 V s. ausf. unten D I I I 2 b. 8 S. BVerfGE 42,263 (293) — Contergan —; 16,94 (12); Vorprüfungsausschuß, NVwZ 1982, S. 249 und S. 553 zu den Versorgungsansprüchen der Berufssoldaten; BSGE 33,177 (180); 37,199 (202); 39, 98 (103); BVerwG, D V B L 1983, 807; aus der Literatur s. Stober, Sozialrechtslehrertagung, S.40; Krause, Eigentum, S.70ff, 161 ff; 166, 185; Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 185; Wannagat, FS Weber, 819 (830); ders., FS Peters, 171 (178); W. Bogs, DJT-Ref. 1960, G 59; ders., Rechtsprinzipien sozialer Sicherheit, s. 15; Sozial-Enquete-Kom., S. 58, Ziff. 126. 9 S. Krause, aaO, S. 161 ff; zur Kritik an der Kernbestandsformel s. Papier, VSSR 1973, 33 (41 ff); Pitschas, VSSR 1978, 357 (373); W. Thieme, FS Wannagat, S. 599 (610); Meydam, Eigentumsschutz, S. 32 ff.

.III. Schutzintensität der Eigentumsklausel

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gungsstellungen der Beamten mit dem Erfordernis der „Angemessenheit" der Bezüge ausgedrückt wird 1 0 . Die Bestandsabwägung zwischen grundrechtsgefordertem Beibehaltungsinteresse und den jeweils vorliegenden Veränderungsbelangen bedeutet im Grunde nichts anderes als eine flexible, relative Kernbestandsermittlung bzw. Wesensgehaltsumschreibung einer konkreten, von Art. 14 G G erfaßten Rechtsstellung, die spiegelbildlich den rückschrittsfesten Teil einer sozialen Eigentümerposition zeitgerecht kennzeichnet11. Die Gewährleistung sozialer Rechtsstellungen im Eigentumsgrundrecht erfolgt nicht absolut 12 im Sinne eines „kleinen" fixen, für alle Zeiten unentziehbaren Mindestgehalts, der unter „Zuflucht zur Tradition" aus überkommenen Bedeutungsgehalten gewonnen wird 1 3 . Tabuisierte Traditionsinhalte und ungeschützte „Randzonen" einer Eigentümerposition, in denen der Gesetzgeber freie Hand für einen Sozialabbau neben änderungsfesten Kernzonen hat, existieren nicht. Der krisenfeste Kern einer Sozialposition ist nach richtiger Auffassung das Produkt einer abwägenden Grundrechtsbetrachtung 14 . Ein von den gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen nicht beeinflußbares, zeitresistentes Substrat einer Rechtsstellung des sozialen Netzes gibt es nicht. Verfassungsrechtlich geschützt ist immer nur das zeitabhängige, angemessene Niveau sozialer Berechtigungen 15, orientiert am sozialen Sicherungsziel des jeweils betroffenen Leistungs- und Schutznormkomplexes 16. Eigentumsrecht10

Dazu etwa BVerfGE 61, 43 (46 f); 55, 372 (392). Zum Zusammenhang von Abwägungsmaxime und Kernbereichsgedanken und zur Verbindung von „absoluter" und „relativer" Wesensgehalttheorie s. Häberle, aaO, S. 58 ff, 64,262, 291, 293 ff, 327 f; Krause, aaO, S. 72: Der Kernbereich des Eigentumsschutzes für Sozialpositionen ist variabel nach Maßgabe einer Abwägung zwischen Einzelinteresse und Gemeinwohl. 12 Zur „aboluten" Wesensgehaltstheorie s. Stein, Staatsrecht, S. 258 ff; SchmidtJortzig, Einrichtungsgarantien der Verfassung, S. 38 ff, 48; Abel, Bedeutung der Lehre von den Einrichtungsgarantien, S. 58,61,72; ausf. zum Streitstand Häberle, aaO; S. 326ff; vgl. im Zusammenhang mit der Wesensgehaltsbestimmung der Eigentumsgarantie Papier, M D , Art. 14 Rn 273. 13 S. Dürig, ZStaatsW 109 (1953), 327 (333); Schmidt-Jortzig, aaO, S. 64; Verkrustungseffekt; Quaritsch, Ev. Staatslex, Sp. 1022-1023; Häberle, aaO, S. 169f. 14 Häberle, aaO, S. 263: „Kerngehalt als Ergebnis eines Abwägungsprozesses"; zur „flexiblen" Wesensgehalttheorie s. Lerche, Übermaß, S. 239ff; ders, Festgabe Maunz, S. 285 ff; Häberle, aaO, S. 167ff, 326ff. 15 Vgl. BVerfGE 52, 1 (30) — Kleingarten —: Die jeweiligen Maßstäbe, die in den Abwägungsprozeß eingehen, haben nicht zu jeder Zeit und in jedem Zusammenhang dasselbe Gewicht. Regelungen, die in Notzeiten gerechtfertigt sind, können unter veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen eine andere verfassungsrechtliche Beurteilung erfahren. In jedem Fall fordert die verfassungsrechtliche Gewährleistung die Erhaltung der Substanz des Eigentums; vgl. auch Krause, aaO, S. 72, 185: Geschützt ist der Kernbestand eines „angemessenen" Versicherungsschutzes; Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 175; Wannagat, FS Peters, S. 178, 181. 16 Die Ausrichtung am Leitbild eines rechtlich geordneten Lebenssachverhaltes, im Sozialbereich also an der jeweiligen sozialen Zwecksetzung der Leistungsfelder und 11

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

lieh geschützte Kernzone ist in der Sozialversicherung vor allem das Leitbild der Lebensstandardsicherung in einem dynamischen Solidarverbund 17 . Der situativ bestimmte Kernbereichsschutz charakterisiert zugleich den Wesensgehalt einer Sozialeigentümerposition, ohne daß es eines Rückgriffs auf Art. 19 I I G G bedürfte, was das Bundesverfassungsgericht in seinem Naßauskiesungsbeschluß deutlich gemacht hat 1 8 .

Inkurs: Die objektiv-institutionelle

Relevanz von Sozialeigentumspositionen

A n dieser Stelle ist auf einen weiteren Zusammenhang hinzuweisen. Die These einer flexiblen Kernbereichsgarantie steht nicht nur mit der konkreten Wesensgehaltdefinition eines Grundrechts in seiner abwehrrechtliche Perspektive in Verbindung, sondern kennzeichnet auch und gerade die objektivrechtlichinstitutionell verbürgte Zone grundrechtlichen Schutzes19. I m Bereich des Art. 33 V GG ist diese Verschmelzung von institutioneller Garantie und Kernbestandsformel anerkannt 20 . Die herrschende Meinung verschließt sich weiterführender grundrechtsdogmatischer Einsicht, weil sie die Institutsgarantie bei Art. 14 G G in traditioneller Anknüpfung an die Weimarer Lehre auf das Privateigentum im Sinne des bürgerlichen Rechts beschränkt und demgemäß Positionen, die im öffentlichen Recht wurzeln, hiervon ausschließt21.

Schutzgeflechte, stellt das „absolute" Moment der Kernbereichs- oder Wesensgehaltsbestimmungen dar, das kraft verfassungsrechtlicher Schutzgarantie auf jeden Fall, freilich unter Einbeziehung möglicher funktionaler Äquivalente, erhalten bleiben muß, s. Häberle, aaO, S. 64ff, 326 ff. 17 S. oben 2. Teil Β I I I 2 a ; SV-Kom. Alterssicherungssysteme, S. 31, 141. 18 BVerfGE 58, 300 (348): „Die dem Gesetzgeber bei der Inhalts- und Schrankenbestimmung gezogenen Grenzen ergeben sich unmittelbar aus der Instituts- und Bestandsgarantie des Ärt. 1411 und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Werden diese Grenzen eingehalten, kann kein Verstoß gegen Art. 19 I I vorliegen"; vgl. Häberle, aaO, S. 290 ff, 302: „Verdeckte Wesensgehaltsjudikatur"; zur deklaratorischen Natur des Art. 19 I I s. schon Häberle, aaO, S. 234 ff; s. auch Stober, Sozialrechtslehrertagung, S. 40: M i t der Kernbereichstheorie trägt die Rechtsprechung auch bei sozialen Rechtspositionen nur dem Gedanken des Art. 19 I I Rechnung. 19 Vgl. Häberle, aaO, S. 167 ff, 325 ff; Lerche, Übermaß, S. 239 ff; ders, Festgabe Maunz, S. 285 ff. 20 BVerfGE 61, 43 (63): Rechtspositionen, die von der institutionellen Garantie des Art. 33 V erfasst sind, werden in ihrem Kern ebenso gesichert, wie das Eigentum durch Art. 14; ebenso BVerfGE 16,94 (115); 43,242 (278); 56,146 (162);vgl. Krause, aaO, S. 166. 21 BVerfGE 24, 367 (389); 58, 300 (339); zur „klassischen" Institutsgarantie des Eigentums: Martin Wolff, \ Festgabe Kahl, 1923, insb. S. 5; Dürig, ZStaatsW 1953, S. 327 (332 f, 344); Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 68 f; Weber, Die Grundrechte, Bd. 2, S. 355 ff; aus jüngerer Zeit: Pieroth, Rückwirkung, S. 293 ff; Rittstieg, NJW 1982, 722 f; Papier, M D , Art. 14 Rn 11 ff, 276; Krause, aaO, S. 77; Kimminich, Bonner Kommentar, Art. 14 Rn 92.

.III. Schutzintensität der Eigentumsklausel

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Außerdem realisieren Rechtsprechung und herrschende Lehre im Bereich der klassischen Freiheitsrechte bisher nicht konsequent eine mehrdimensionale Grundrechtssicht, die subjektives Abwehrrecht, objektiv-institutionellen Anweisungscharakter und eine verfahrensrechtliche Wirkrichtung des Grundrechts „zusammenliest", was eine Verkürzung grundrechtlicher Effizienz zur Folge hat. Begreift man mit der Rechtsprechung die Institutsgarantie des Art. 14 GG als objektivrechtlich-instrumentale Rechtsfigur zur Sicherung eines Grundbestandes von Normen, die als Eigentum im Sinne dieser Bestimmung bezeichnet werden 22 , so muß nach der jetzt erfolgten Einbeziehung von Rechtspositionen der Sozialversicherung in den Normtatbestand des Eigentumsgrundrechts konsequenterweise auch dessen objektiv-institutionelle Gewährleistungskomponente auf derartige Berechtigungen erstreckt werden 23 . Da die Teilhaberechte des Bürgers an der Sozialversicherung aufgrund ihrer auf Vorleistung beruhenden, dasseinssichernden Funktion eigentumsrechtliche Qualität besitzen, bedarf es auch einer Neubestimmung der institutionell verbürgten Zone der Eigentumsgarantie, die die Kongruenz zwischen Grundrechtstatbestand und mehrdimensionaler Grundrechtswirkung herstellt. Es müssen alle öffentlich-rechtlich gewährleisteten Sozialbezugsrechte, die funktionell vom Eigentumstatbestand erfaßt werden, in die „Institutsgarantie" des Eigentums einbezogen werden. Damit wird der objektivrechtliche Gehalt des Art. 14 G G zeitgerecht definiert. Das Eigentumsgrundrecht wandelt sich über seine durch Einordnung sozialer Teilhaberechte aktualisierte objektiv-institutionelle Seite von einem bloß subjektiven Abwehrrecht zu einem speziellen Wertungsbaustein der „Sozialverfassung", der das Sozialstaatsprinzip sowie die Kompetenznormen des Grundgesetzes ergänzt und konkretisiert 24 . 22

So BVerfGE 24, 367 (389). So auch Häberle, L V A - M i t t , S. 485; deutl. jetzt Heinze, DJT-Gutachten, S. 63; in Auseinandersetzung und in Ablehnung der „Institutionen-Lehre" von C. Schmitt kommt F. Müller, Leistungsrechte, S. 126 zu Recht zu dem Ergebnis, daß mit der traditionellen Interpretation des Art. 14 I 1 GG die Probleme der Aufnahme öffentlich-rechtlicher Positionen in die Eigentumsgarantie nicht angemessen behandelt werden können; Andeutungen für eine Verknüpfung der objektiv-institutionellen Wirkschicht des Eigentumsgrundrechts und eigentumsrelevanter öffentlich-rechtlicher Sozialpositionen finden sich bei: Saladin, Grundrechte im Wandel, S. 402, Wannagat, FS Peters, S. 171 (177); Rohwer-Kahlmann SGb 1975, 161 (166); Maunz, BayVBL 1981, 322; Gitter, N Z A 1984, 137 (141); Hingegen hält Rüfner, JZ 1984, 801 (803) u. vorsichtiger, Sozialrechtslehrertagung, S. 175 die Institutsgarantie des Art. 14 zugunsten sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche für „nicht relevant". 24 Einen Zusammenhang zwischen der Erfassung sozialer Berechtigungen in Art. 14 u. einer institutionellen Bestandsgarantie der deutschen Sozialversicherung mit ihren traditionellen Wesenszügen als solidarisch getragenem, überwiegend beitragsfinanziertem Sozialsystem erblicken: Heinze, DJT-Gutachten, S. 63; Gitter, N Z A 1984, 137 (141); Häberle, L V A - M i t t , S.485; Rische/Terwey, D R V 1983, 273 (289); eine Ewigkeitsgarantie für das bestehende Sozialversicherungssystem als formalem Ordnungstyp kann aus der 23

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Aus der Zusammenschau zwischen Sozialstaatsprinzip und Art. 14 GG sowie weiteren Grundrechten, die soziale Positionen speziell schützen, erwächst so bereichsspezifisch ein „Grundrecht auf soziale Sicherheit" und zwar in einem multifunktionalen Verständnis, das alle grundrechtlichen Wirkschichten umfaßt.

3. Folgen eines Überschreitens der Abbaubefugnis und Abfederung des Rückschritts durch schonendes Übergangsrecht Die Grenzen der Abbaubefugnis des Parlaments ergeben sich aus der grundrechtsspezifischen Abwägung zwischen dem Kontinuitätsinteresse der betroffenen Bevölkerungsgruppen und den Gemeinwohlbelangen, die Anlaß für eine Änderung des geltenden Rechts sind. Folgt aus der Abwägung, daß bestimmte Sozialpositionen nicht angetastet werden dürfen, dann ist der gesetzgeberische Eingriff insoweit grundsätzlich verfassungswidrig 1. Die Balance zwischen personaler Grundrechtssicherung und „öffentlichen" Rücknahmegründen ist mißlungen. Der Gesetzgeber muß anderweitige Möglichkeiten für die Realisierung seines sozialpolitisches Vorhabens oder die Realisierung seines Einsparungswillens suchen. In der älteren Rechtsprechung und Literatur ist in der Überschreitung der Regelungsbefugnis nach Art. 14 I 2 GG regelmäßig eine Enteignung im Sinne von Art. 14 I I I GG gesehen worden. Dies hätte zur Folge, daß die enteignete Rechtsposition „an sich" dem Bürger durch eine Entschädigungsleistung „abgekauft" werden müßte 2 . Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt in der „Kleingartenentscheidung" klargestellt, daß nicht jede unzulässige Inhaltsbestimmung des Eigentums eine Enteignung darstellt, weil das Rechtsinstitut der Enteignung in seinen Voraussetzungen und seiner Funktion eigenständige Bedeutung habe 3 . Die Überschreitung der Ausformungskompetenz des Gesetzgebers für soziale Rechte führt zu einem Verstoß gegen Art. 14 I 1 GG, welcher nicht mittels Umdeutung in eine Enteignung durch Zubilligung einer Entschädigung geheilt sozialeigentumsspezifischen Erweiterung des Art. 14 aber nicht konstruiert werden, da das Eigentumsgrundrecht zwar Sozialpositionen mehrdimensional schützen kann, eine fixierende organisatorische Festschreibung der Ordnungsprinzipien des gegenwärtigen Systems dadurch aber nicht bewirkt wird. Insofern kommt die elastische verfahrensrechtliche Komponente des Grundrechtsschutzes mit der Forderung nach zeitgemäßen, effektiven Organisationsformen zur Anwendung. 1

Deutlich SV Benda/ Katzenstein, BVerfGE 58, 129 (136). S. BVerfGE 11,221 (231); 16,94 (116); 20, 52 (54); 22,248 (253); BSGE 25,170 (173); vgl. aus der Literatur: Stober, Sozialrechtslehrertagung, S. 65; W.Bogs, FS Braess, S . l l , 23; ders., Rechtsprinzipien sozialer Sicherung, S. 14. 3 BVerfGE 52,1 (27 f); 58,137 (144); 58,300 (331); zum Enteignungsbegriff vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rn 450; Papier, M D , Art. 14, Rn 269; Schulze-Osterloh, NJW 1981, 2537; Rittstieg, NJW 1982, 721 (723). 2

Α. III. Schutzintensität der Eigentumsklausel

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werden kann — was gerade bei Kürzungsgesetzen mit finanzieller Motivation auch ein absurdes Ergebnis wäre 4 . Eine Geldentschädigung hätte für die betroffenen Bürger keinerlei Nutzen, weil diese danach trachten, ihre bisherige Stellung in einem umfassenden Sozialversicherungssystem beizubehalten, wohingegen allein ein Geldanspruch keine soziale Sicherheit vermittelt 5 . Aus der Perspektive des Gesetzgebers kann allerdings ein verschlechternder Eingriff in Sozialeigentümerpositionen auch dann durchgeführt werden, wenn zwar ein abrupter und ausnahmsloser Abbau vor Art. 14 G G keinen Bestand hätte, jedoch eine abgestufte, nach dem Grad der Rückschrittsbetroffenheit differenzierende Überführung vom alten zum neuen Rechtszustand im Sinne der Schonungsthese dem personalen Sicherungsverlangen der Verfassung genügt. Die Frage nach der Notwendigkeit und Qualität von Übergangsrecht ist in Zeiten rückholender Sozialstaatlichkeit von höchster Wichtigkeit, denn in überleitenden Regelungen wird dem grundrechtlich gebotenen Fortbestandsinteresse der Bürger am bisherigen Sozialstandard Rechnung getragen und das Vertrauensschutzpostulat der Verfassung verwirklicht. Sozialabbauende Gesetze, die schon begründete Rechtspositionen tangieren, sind ohne abfederndes Übergangsrecht kaum vorstellbar. Gerade in überleitenden Normen fallt die Entscheidung des Gesetzgebers, welche sozialen Besitzstände generell von einer Neuregelung verschont bleiben, welche Sozialpositionen „langsam" in zeitlichen Stufen abgebaut werden sollen und wo überhaupt kein bzw. nur kompensatorischer Schutz für betroffene Sozialbürger erforderlich sein soll. Eine den Bruch zwischen altem und neuem Recht abfedernde „Übergangsgerechtigkeit" {Kloepfer) 6, die die grundrechtsbewehrte Sicherungserwartung der Bürger berücksichtigt, ist in verschiedener Gestalt denkbar. In Betracht kommt adressatenbezogenes Übergangsrecht, das den Kreis der Kürzungsbetroffenen nach der Schutzbedürftigkeit abgrenzt (Härteklauseln). Zeitlich abgeschichtete Rückholstufen, die einen ratenweisen Vollzug eines Abbauprojekts bewirken, sind ebenso zu erwägen, wie ausgleichende (kompensatorische) Überleitungsnormen (Überleitungszulagen) 7, die die Folgen von Beschneidungen abfangen (Beitragserstattungen, Austrittrecht) und die Möglichkeit zur Realisierung einer anderweitigen sozialen Sicherungsform geben. Das Bundesverfassungsgericht hat ansatzweise eine Überleitungsjudikatur entwickelt 8 , die sozialen Rückschritt für den Bürger erträglicher machen kann 4 Vgl. Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 177; Meydam, Eigentumsschutz, S. 53 f; Krause, aaO, S. 77. 5 So richtig Papier, VSSR 1973, 33 (42). 6 Kloepfer, DÖV 1978, 225. 7 Zu kompensatorischen Überleitungszulagen im Beamtenrecht s. BVerfGE 56, 175 (183 0; 64, 367 (385 ff).

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

und gleichzeitig dem praktischen Regelungsinteresse des Sozialgesetzgebers dient. Während einzelne Stimmen in der Literatur die Übergangsgerechtigkeit als Element des Gleichheitssatzes9 behandeln, dabei primär aber die spezielle Stichtagsproblematik 10 im Auge haben, sieht die herrschende Meinung darin zu Recht die Konsequenz einer abwägenden Betrachtung zwischen personalem Bestandsschutz und gemeinwohlorientierten Änderungsbelangen. Das Eigentumsgrundrecht, soweit es erarbeitete Sozialrechtsstellungen betrifft, und im übrigen das allgemeine rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot sind daher die verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkte 11 sowohl für die generelle Pflicht zur Schaffung von Übergangsrecht als auch für die Art und Weise der differenzierenden Absenkung von Sozialstandards, also der zu wählenden Überleitungstechnik 12 . Der rücknehmende Gesetzgeber ist immer dann und insoweit zur schrittweisetemporären oder personell-begrenzten Einführung neuen, verschlechternden Rechts gezwungen, wenn er ohne solches Übergangsrecht Gefahr läuft, eine — teilweise — Unzulässigkeit seiner Abbaumaßnahmen hinnehmen zu müssen 13 . Dem Gesetzgeber steht zunächst ein breiter Spielraum für die Einführung neuen Rechts und die Überleitung bestehender Rechtslagen zu. Zwischen der sofortigen, übergangslosen Inkraftsetzung neuen Rechts und dem ungeschmälerten Fortbestand gegründeter subjektiver Rechtspositionen sind vielfache Abstufungen denkbar 14 . 8 BVerfGE 43, 242 (288); 51, 356 (363 ff); 53, 224 (353); 64, 367 (384 ff); s. auch SV Benda/ Katzenstein, BVerfGE 58, 81 (129 ff). 9 S. Dürig, Zeit und Rechtsgleichheit, S. 22,25,29 f; ders., Disk.-Beitr., VVDSTRL 32, 247 ff; ders., M D , Art. 1 Rn 200f, 222; Kloepfer, DÖV 1978,225 (227); die Zäsur zwischen altem und neuem Recht markiert eine Phase der Ungleichheit, die als Vorher/NachherUngleichheit in Konsequenz der Rechtsfolgenabgrenzung grundsätzlich hingenommen werden muß. 10 Dazu BVerfGE 24,220 (228); 36,174 (192); 44,1 (21); 58,81 (126); weitere Nachweise bei Kloepfer, aaO, S. 229; jeder Stichtag bedeutet zwangsläufig eine Härte, die einen „Willkürverdacht" {Dürig, Zeit und Rechtsgleichheit, S. 23 (25)) in sich trägt. Eine Stichtagslösung hat nach der Rechtsprechung vor Art. 3 I Bestand, wenn die Einführung des Stichtags notwendig und die Wahl des Zeitpunktes orientiert am gegebenen Sachverhalt, sachlich vertretbar ist. Ob die Nahtstelle zwischen altem und neuem Recht sachgerecht ist, ergibt sich bei sozialen Rückschrittsgesetzen allein aus Bestandsschutzerwägungen anhand des Eigentumsgrundrechts bzw. dem Vertrauensschutzgebot. 11 S. Lerche, Übermaß, S. 273 f, 193 f; Evers, Die Zeit — eine Dimension des Sozialrechts?, 1965, S. 63 (85); Salzwedel, Die Verwaltung 1972, 11 (12 ff); Leisner, FS Berber, S. 296 F; H .Bogs, RdA 1973, 26 (32); Götz, BVerfG u. GG, S. 421 (437, 441 ff); Pieroth, Rückwirkung, S. 149 ff; Kloepfer, aaO, S. 227 233; Böckenförde, Disk.-Beitrag, VVDSTRL 32, 245. 12 S. H .Bogs, aaO, S. 32; Kloepfer, aaO, S. 230; Dürig, Disk.-Beitr. VVDSTRL 32,257; ders.,Zeit und Rechtsgleichheit, S. 30 f; Musterbeispiel für eine schonende Überleitung bei Einschnitten in Sozialleistungen ist die tarifvertraglich vereinbarte Kürzungsregelung für die Zusatzversorgung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes ab 1985, dazu Bericht in FAZ v. 31. 5. 1983, S. 2. 13 Vgl. BendajKatzenstein, aaO, S. 132, 136.

Α. III. Schutzintensität der Eigentumsklausel

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Inwieweit der Gesetzgeber verpflichtet ist, „temporäres" oder „personelles" Übergangsrecht zu schaffen, folgt aus der einzelfallbezogenen Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs in soziale Sicherungstatbestände und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit des gesetzgeberischen Kürzungsvorhabens für das Wohl der Allgemeinheit 15 . Der mit dem Rentenreformgesetz von 1972 bewirkte übergangslose Fortfall der Möglichkeit für Ausländer, im Ausland ihre freiwillige Versicherung in der deutschen Sozialversicherung fortzusetzen, verletzte nach Ansicht des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts das im Eigentumsgrundrecht bzw. dem Rechtsstaatsprinzip verankerte Vertrauensschutzpostulat 16. Der Gesetzgeber wäre verpflichtet gewesen, eine angemessene Übergangsregelung zugunsten der Ausländer bereitzuhalten, die vom Recht auf freiwillige Weiterversicherung bereits Gebrauch gemacht hatten. Eine einfache Erstattung eingezahlter Beiträge, die in dem angegriffenen Gesetz vorgesehen war (§ 1303 I 1 RVO) .kompensierte nach Ansicht des Gerichts den verlorenen Versicherungsschutz nicht in ausreichendem Umfang 1 7 . Im Sondervotum Benda/ Katzenstein zum Ausbildungsausfallzeitenbeschluß wird im Anschluß an die vorgenannte Entscheidung ein Verstoß gegen die soziale Bestandsgarantie des Art. 14 GG darin erblickt, daß der Gesetzgeber kein Übergangsrecht zugunsten des von der Neuregelung besonders hart betroffenen Kreises der freiwillig in die Rentenversicherung eingetretenen Personen vorgesehen hatte. Zumindest ein Austrittsrecht hätte den in ihrem berechtigten Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Regelung Getäuschten nach Ansicht der Minderheitsmeinung zugestanden werden müssen 18 . Die verfassungsrechtliche Problematik einer wirkungsvollen Übergangsgerechtigkeit dürfte eine der Schlüsselfragen des „Sozialstaats im Rückschritt" darstellen 188 . Sowohl die Überleitung individualisierter Teilhabeberechtigungen 14 S. BVerfGE 31,275 (290); 36,281 (293); 58,300 (351); s. auch Salzwedel, aaO, S. 16, der das Reformbedürfnis gerade dann als vorrangig ansieht, wenn der Besitzstand langfristig angelegt ist, eine Prämisse, die für Positionen des sozialen Netzes wohl kaum gelten kann. 15 BVerfGE 43, 242 (288 f); 51, 356 (368 f); 53, 224 (253 0; s. auch BVerfGE 49, 192 (210); 51, 257 (268): Bei einschneidenden Neuregelungen mit langfristig zeitlichen Auswirkungen, z.B. einer großen Sozialreform, bedarf der Gesetzgeber eines angemessenen Spielraums zur Überleitung vom alten in den neuen Rechtszustand, wobei auch — hier kommt Art. 3 I GG ins Spiel — vorübergehende Unstimmigkeiten, die bei kleinen Neuregelungen nicht hinnehmbar wären, in Kauf genommen werden müssen. 16 BVerfGE 51, 356 (363, 368 f). 17 BVerfGE 51, 356 (364 f): Die Beitragserstattung setze die Betroffenen nicht in den Stand, den abgeschnittenen Schutz der Sozialversicherung durch eine ähnliche Altersvorsorge zu ersetzen, zumal bei Erreichung eines fortgeschrittenen Alters. 18 BVerfGE 58, 81 (131 ff); die Mehrheitsauffassung sah keine sinnvolle Möglichkeit für eine Übergangslösung, s., aaO, S. 125. 18a S. Stolleis, DJT-Thesen,. These 8: „Laufende" Sozialtatbestände dürfen nur mit langfristigen und schonenden Übergängen verändert werden. Die SV-Kom. Alterssicherungssysteme, S...177, sieht eine Realisierbarkeit ihrer Neuregelungsvorschläge nur im Rahmen langer Übergangszeiten zur Wahrung des sozialen Besitzstandes.

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

auf ein niedrigeres Niveau im Rahmen punktueller Kürzungsgesetze als auch ein größerer Umbau von Sozialinstitutionen in Vollziehung einer grundlegenden Sozialreform kann wegen der Vielzahl „gegründeter" Sozialverhältnisse nur schrittweise und langfristig verwirklicht werden 19 . Allerdings schafft jede Überleitungsregelung, dies sei hier abschließend bemerkt, wiederum neue Ungleichheiten aufgrund des Nebeneinanders verschiedener Rechtslagen zur Regelung eines Lebenssachverhaltes 20.

4. Der bestandsstärkende personale Bezug des Sozialeigentums a) Der Aggregatzustand von Sozialpositionen als Anknüpfungspunkt eigentumsrechtlicher Abstufungen Die Freiheit demokratisch legitimierter Änderung eines Sozialrechtsverhältnisses findet ihre Grenzen in der Kraft eines Grundrechts gesicherten personalisierten Rechtsstellung des Grundrechtsträgers. Bei Sozialpositionen ist hierfür ihre Daseinssicherungsfunktion kennzeichnend, weil diese das elementare Angewiesensein des Bürgers auf Teilnahmeberechtigungen an unmittelbaren oder mittelbaren (Sozialversicherung) staatlichen Systemen sozialer Sicherheit ausdrückt. Soziale Rechtsstellungen, denen verfassungsrechtlich Eigentumsqualität zu bescheinigen ist, also die Ansprüche und Anwartschaften des Sozialversicherungssystems, zeigen das Ausmaß der persönlichen Sicherungsfunktion und den Grad der Abhängigkeit von einer Sozialleistung in den Faktoren des individuellen Einsatzes, den der einzelne zur Erlangung des Rechts erbringt und der zeitlichen Verdichtung, die eine Versorgungsstellung erfahren hat. Für die Feststellung der Schutzintensität der eigentumsrechtlichen Bestandsgarantie kommt der stark personale Bezug von Sozialversicherungsberechtigungen aufgrund der eigenen Leistung bzw. des persönlichen Opfers zum Tragen: Je höher dieser Anteil ist, umso mehr verengt sich die Gestaltungsfreiheit des 19 Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit gegen die im Haushaltsbegleitgesetz 1984 vorgesehene Neuregelung der BU- und EU-Renten. Darin werden die Anspruchsvoraussetzungen insofern verschärft, als nur noch dann Renten wegen verminderter Erwerbsfahigkeit zuerkannt werden, wenn der Versicherte in den letzten 5 Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalles mindestens 3 Jahre eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt hat. Diese Maßnahme trifft vor allem freiwillig versicherte Hausfrauen und Selbständige. Das Gesetz enthält zwar schonendes Übergangsrecht, doch verbleiben unter dem Aspekt des Eigentums- und Vertrauensschutzes verfassungsrechtliche Zweifel, weil einem Teil der Versicherten schlicht der zunächst zugesagte Invaliditätsschutz nachträglich entzogen wird. Dies war bereits ein Streitpunkt in den Ausschußberatungen des Bundestages; s. näher Platzer, SGb 1984,179, der die Neuregelung für verfassungswidrig hält (S. 183). 20 Hierauf wird hingewiesen in BVerfGE 48, 403 (415, 419); 53, 224 (254); vgl. Ever s, aaO, S. 63 (64); Götz,, aaO, S. 438; Salzwedel, aaO, S. 11.

Α. III. Schutzintensität der Eigentumsklausel

173

Gesetzgebers, umso stärker wird die Gewährleistungskraft des Eigentumsgrundrechts 1 . Die personale Komponente in Form erbrachter Arbeit und daraus abgeleiteter Beitragsanteile tritt einmal als „überhaupt" eigentumskennzeichnender Gesichtspunkt, daneben auch als bestandsstärkendes Element bei der Abwägung zwischen persönlichem Erhaltungsinteresse und „öffentlichen" Abbaubelangen hervor. Die Stärke des personalen Moments schlägt sich im Rahmen eines Sozialversicherungsverhältnisses zunächst deutlich im Aggregatzustand der Rechtsstellung nieder 2 . Die Schutzintensität des Eigentumsgrundrechts verdichtet sich, je weiter sich das Recht von der gerade erst begründeten Anwartschaft hin zum Vollrecht nach Eintritt des Versorgungsfalles (Alter, Erwerbsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit) entwickelt hat. Die dadurch erzielten Abstufungen, die im einfachgesetzlichen Sozialversicherungsrecht in speziellen Rechtsfiguren zum Ausdruck kommen (ζ. B. Wartezeit, Halbbelegung, Versicherungsdauer, Beitragskoeffizienten) zeugen nicht nur von einer zeitlichen Kontinuitätsverstärkung, sondern drücken vor allem die immer größere Abhängigkeit des Bürgers von öffentlich-rechtlichen Versorgungspositionen aus, die ihm ein Umdisponieren auf anderweitige Versorgungssubstitute immer weniger erlaubt 3 . Außerdem sind sie Beleg für eine im Regelfall zunehmende materielle Eigenbeteiligung des Bürgers, auch wenn diese in einem komplexen Umlagefinanzierungssystem niemals individualbezogen leistungsäquivalent, sondern nur globaläquivalent sein kann. Die eigentumsrechtliche Bewertung umfaßt zunächst die Sozialposition insgesamt, eröffnet aber im Rahmen der Abwägungsprozeduren die Möglichkeit einer Differenzierung nach spezifischen Bemessungs- und Leistungsfaktoren, soweit diese von einer Kürzung oder Streichung erfaßt sind. I m Ausbildungsausfallzeitenbeschluß ist das rentenversicherungsrechtliche, beitragslose Berechnungselement „Ausfallzeit", dessen Anrechnung im 20. Rentenanpassungsgesetz eingeschränkt worden war, in seiner Ausprägung als Akt des sozialen Ausgleichs und nicht als Gegenleistung der Solidargemeinschaft für erbrachte Arbeitsleistungen gewürdigt worden 4 . Die Minderung der 1 So BVerfGE 53,257 (293); 58, 81 (112); ähnlich W.Bogs, DJT-Ref. 1960, G 59; ders., Rechtsprinzipien sozialer Sicherung, S. 15; Stober, Sozialrechtslehrertagung, S. 49; Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 186; Krause, Eigentum, S. 75, 168 f; Degenhart, BayVBL 1984,65 (68); Häberle, JZ 1984,345 (351); Heinze, DJT-Gutachten, S.66; Stolleis, DJT-Thesen, These 10; Badura SGB 1984, 398 (400). 2 Ebenso W. Bogs, aaO, G 57; Stober, aaO, S. 50; H. Bogs, RdA 1973, 26 (31); H. Schneider, Eigentumsschutz, S. 30; Rische/Terwey, Deutsche Rentenversicherung 1983, 273 (289); Empfehlung der Transfer-Enquete-Kom. Ziff. 552; kritisch: Krause, Eigentum an subjektivöffentlichen Rechten, S. 143 ff, 148, der „ i m Prinzip" keinen stärkeren Bestandsschutz für laufende Renten gegenüber Rentenanwartschaften erkennen kann. 3 Zu diesem Aspekt BVerfGE 51, 356 (365); vgl. auch die Empfehlung der TransferEnquete-Kom. Ziff. 552. 4 BVerfGE 58, 81 (1120-

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Anwartschaftsrechte war nach Ansicht des Verfassungsgerichts gerechtfertigt, weil die personale Komponente des Rentenrechts, die sich maßgeblich in den einkommensbezogenen Beitragsleistungen äußert, bei der ausschließlich auf die beitragslosen Ausfallzeiten konzentrierten Rückschrittsmaßnahme nicht unmittelbar angesprochen war. Bei der Abwägung fiel daher der personale Bezug nicht besonders in die Waagschale, zumal der Rentenverlust sich bei den Betroffenen nur geringfügig bemerkbar machte 5 . Als weiteres Kriterium für eine Differenzierung des personalen Gewichts einer Sozialversicherungsberechtigung bietet sich das temporäre Element des Eintritts der Fälligkeit des Rechts, also die Verwirklichung des Versicherungsfalles an. Allein der Übergang vom Stadium der Anwartschaft, das in sich wiederum Abstufungsmerkmale zeigt 6 , zur realisierten Versorgungsposition schließt aber die Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers nicht aus 7 . Umgekehrt erlaubt die noch fehlende Erstarkung eines Anwartschaftsrechts zum Vollrecht nicht beliebige Eingriffe in die bereits individualisierte Rechtsstellung, da das Anwartschaftsrecht potentielle, jederzeit realisierungsfahige Sicherungsfunktion hat. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings ausgesprochen, daß der bloßen Anwartschaft die Möglichkeit von Änderungen sowohl in der Beitrags- als auch der Leistungsdimension „von vornherein wesensmäßig anhaftet" 8 . Die prinzipielle Abänderbarkeit charakterisiert freilich jedes Stadium einer öffentlichrechtlichen Sozialposition, weil diese niemals „fix", ohne Bezug zur Entwicklung der allgemeinen Lebensbedingungen gewährt wird. Sowohl das Anwartschaftsrecht als auch die verwirklichte Versorgungsstellung bleiben variabel und dynamisch innerhalb der Grenzen, die das personale Bestandsschutzmoment der Grundrechtsposition nach Maßgabe der grundrechtsspezifischen Abwägung mit den für einen Abbau sprechenden Gemeinwohlbelangen aufgibt. Demgemäß müssen für Kürzungen einer grundrechtsgeschützten Rechtsstellung, sei diese erst Anwartschaft oder schon falliger Sozialanspruch in jedem Stadium hinreichend legitimierende Gründe vorliegen 9 . 5 Dazu die Berechnung des Gerichts BVerfGE 58, 81 (115 ff); vorsichtiger TransferEnquete-Kom., Ziff. 552: Auch bei einer Beseitigung beitragsloser Zeiten ist zu berücksichtigen, daß diejenigen, die dem System schon lange angehören, derartige Leistungen m ihre persönliche Lebensplanung eingerechnet haben, so daß insofern rückwirkende Korrekturen zu unterbleiben haben. 6 Ein Teil der Literatur spricht erst dann von einem Anwartschaftsrecht, wenn eine bestimmte Wartezeit erfüllt ist, so Papier, M D , Art. 14, Rn 146; Rohwer-Kahlmann, ZSR 1956, 239 (243); vgl. anders Stober, Sozialrechtslehrertagung, S. 27 f; Platzer, SGb 1984, 179 (182). 7 Anders die Empfehlung der Transfer-Enquete-Kom., Ziff. 552: Schon entstandene, auf Vorleistung beruhende Ansprüche und Anwartschaften sollten nicht angetastet werden; ebenso Stolleis, DJT-Thesen, These 8. 8 S. BVerfGE 11, 221 (226); 22, 242 (253); 58, 81 (110); ebenso BSGE 33, 177 (185). 9 BVerfGE 58, 81 (110).

.III. Schutzintensität der Eigentumsklausel

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Der Verdichtungsfaktor spielt für das Gewicht des personalen Elements in der Abwägungsprozedur allerdings eine ausschlaggebende Rolle 1 0 . Je größer die Abhängigkeit von einer Teilhabeberechtigung am System sozialer Sicherheit ist, umso größer muß der Grad der Verläßlichkeit und Nichtangreifbarkeit einer Rechtsstellung sein. Ist eine Sozialposition aufgrund langjährigen Hinarbeitens „zuteilungsreif', fehlt nur noch der auslösende Faktor des Eintritts des Versicherungsfalles, dann sind jedenfalls tiefere oder abrupte Einschnitte beim Anwartschaftsrecht ebenso ausgeschlossen, wie rigide Kürzungen bereits fällig gewordener Bezugsrechte. Die Rechtsstellungen des Systems sozialer Sicherheit realisieren dann den Lebensplan des einzelnen, der in seiner Lebensstellung voll auf seine verdienten Teilhaberechte angewiesen ist 1 1 . Die Direktive des sozialen Schonungsgebots stellt in diesem Fall höchste Anforderungen an die Legitimationskraft gemeinwohlgesteuerter Reduktionsbelange. Bei solchen erstarkten Positionen muß sich der Gesetzgeber im Falle darauf hinzielender Abbauprojekte, die auch in einer Nichtanpassung von Versorgungsrechten liegen können, am Prinzip der Lebensstandardsicherung orientieren, das als institutionelles Leitmotiv eine Minderung der Bezugsrechte auf ein Niveau stark unterhalb des bisherigen Lebensniveaus verbietet. Die Kürzungen dürfen also nur soweit gehen, daß dem Bürger eine Aufrechterhaltung seines bisherigen Lebensstandards in Relation zur allgemeinen Einkommens- und Lebenssituation ohne größere Abstriche möglich bleibt.

b) Der Schutz der Sicherungserwartungen

der Bürger

Eine Erwartung in die Einlösung des gesetzlich gegebenen Sicherungsversprechens ist beim Sozialbürger bereits dann geweckt, wenn er dem Sozialversicherungssystem freiwillig oder infolge gesetzlichen Zwanges beitritt 1 2 . Sein Kontinuitätsinteresse steigert sich, je länger er in das Versorgungsnetz eingesponnen ist und umso mehr Lohnbestandteile er zugunsten einer guten sozialen Sicherung abführt. 10 So auch Gutachten der Transfer-Enquete-Kom., Ziff. 552; Degenhart, BayVBL 1984,103 (104); W. Bogs, DJT-Ref., G 57; vgl. die parallelen und teilweise übertragbaren Maßstäbe, mit denen die Widerrufsfestigkeit von Versorgungszusagen der betrieblichen Altersversorgung beurteilt wird; s. u.a. BAG AP Nr. 157, 159, 175, 177 zu § 242 BGBRuhegehalt-; besonders jetzt BVerfGE 65, 196 (214 ff); vgl. auch § 7 I BetrAVG zum Schutz der Versorgungszusagen im Insolvenzfall; dazu Blomeyer RdA 1977, 1. 11 In diesem Sinne auch W. Bogs, FS Braess, S. 23; ders., FS Jantz, S. 71 (85 ff); Badura, FS BSG, S. 693; ders., SGb 1984, 398 (401); Meydam, Eigentumsschutz, S. lOOff; W. Thieme, FS Wannagat, S. 599 (610). 12 Keine verschiedenartigen Vertrauenspositionen bei freiwilligem Beitritt zur Sozialversicherung oder automatischer Mitgliedschaft kraft Arbeitsverhältnisses, so zu Recht BVerfGE 58, 81 (114).

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Das personale Schutzmoment verwirklicht sich unter dem Aspekt der Versorgungserwartung speziell in der Kategorie des verfassungsrechtlich gewährleisteten Vertrauensschutzes, der die „Verläßlichkeit der Sozialordnung" verbürgt. Die Verläßlichkeit der Sozialordnung stellt einen hochrangigen Wertungstopos im Rahmen der Ausbalancierung der Rückschrittsfestigkeit von Sozialpositionen dar, weil die Verläßlichkeit wesentliche Voraussetzung der Freiheit ist, „über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug" selbst zu bestimmen 13 . Soweit das Eigentumsgrundrecht in seinem Normbereich Sozialversicherungsrechte erfaßt, bildet es auch die verfassungsdogmatische Grundlage für den Schutz der legitimen Erwartungen der Bürger, im Versorgungsfall das in früheren Zeiten gesetzlich zugesagte Versprechen einer adäquaten, zeitgemäßen sozialen Sicherung auch tatsächlich eingelöst zu bekommen. Soweit Art. 14 G G Sozialpositionen tatbestandlich nicht erfaßt, gelten die Maßstäbe des rechtsstaatsgesteuerten Vertrauensschutzprinzips, das im Sozialrecht aufgrund der Änderungsempfindlichkeit von Daseinssicherungsberechtigungen besonderes Gewicht erhält. Das methodische Konzept der Abwägung öffentlicher Änderungs- und privater Verläßlichkeitsbelange an der Richtlinie des sozialen Schonungsgebots kennzeichnet sowohl den grundrechtsspezifischen Vertrauensschutz als auch die Vertrauensschutzformeln, die unmittelbar dem Rechtsstaatsprinzip entnommen werden 14 , so daß insofern, ungeachtet der verschiedenen verfassungsrechtlichen Anknüpfungen, von einem grundgesetzlich realisierten „Grundrecht auf Kontinuität" ausgegangen werden darf. Das ist unten (3. Teil B) näher dargestellt.

5. Umgestaltungsbefugnis in Ausfüllung des sozialen Bezugs: Der Funktions- und Leistungsfähigkeitsvorbehalt Der Eigentumsschutz von Positionen des Systems sozialer Sicherheit führt zu keiner Zementierung bestehender Leistungsstandards, Berechnungsmodalitäten, einzelner materieller oder formeller Ausformungen der Sozialversicherung. Ebensowenig erwächst aus der Zusammenschau aller grundrechtlich umsorgten Rechtsstellungen des sozialen Netzes sowie der Determination durch das Sozialstaatsprinzip, den Gleichheitssatz oder die Kompetenznormen eine Fortbestandsgarantie für die Gestalt und das Niveau der gegenwärtigen Ausprägungen des Sozialstaates. Das soziale und demokratische Element der 13 Vgl. BVerfGE 45,142 (168); 60,253 (268); 63,343 (357); Empfehlungen der TransferEnquete-Kom., Ziff. 551, 552. Im Sozialbericht der Bundesregierung 1983, S. 6 wird die Verläßlichkeit der sozialen Sicherung „über den Tag hinaus" als wichtiges Ziel der Sozialpolitik der Bundesregierung betont. 14 Deutl. BVerfGE 64, 87 (104).

Α. III. Schutzintensität der Eigentumsklausel

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Verfassung verbietet die Annahme eines statischen Rückschrittsverbots. Der Sozialstaat bleibt reformoffen. Soweit ein novellierendes Gesetz auf gegründete, konkretisierte und individualisierte Sozialbeziehungen stößt und diese einem Abbau unterwirft, bedarf dieser Eingriff in Anbetracht des grundrechtlichen Sicherungsanspruches zugunsten personaler Freiheit einer überwiegenden Legitimation durch ein öffentliches Kürzungsinteresse 1. Gegenspieler zur personalen Kontinuitätskomponente sind bei Eigentumseingriffen die Gemeinwohlbelange, die für eine Antastung der rückschrittsbetroffenen Sozialeigentümerpositionen sprechen. Das verfassungsrelevante Änderungsinteresse ist umso stärker anzusetzen, je höher der soziale Bezug der von einer Rückschrittsmaßnahme erfaßten Rechtsstellung ist 2 . Bei den eigentumsfahigen Rechten des Sozialversicherungssystems wird die soziale Einbindung einer Sozialposition in den Rechte- und Pflichtenzusammenhang mit den anderen Teilnehmern des Sozialsystems, die ebenfalls beitragszahlende Grundrechtsträger und daher Besitzer von Sozialpositionen sind, durch den charakteristischen Solidarverbund in einer genossenschaftlichen Gemeinschaft von vornherein mitgedacht 3 . Insofern unterscheiden sich die Rechtsstellungen in den Solidarsystemen generell von den unmittelbar steuerfinanzierten Austeilungen des Sozialstaates, deren sozialer Bezug nur durch die weite, undifferenzierte „Bürgergemeinschaft aller Steuerzahler" hergestellt wird. Der Gesetzgeber besitzt die prinzipielle Gestaltungsfreiheit zu Neuregelungen, die der Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems sozialer Sicherheit im Interesse aller dienen, was auch zu einer Anpassung auf ein niedrigeres Leistungsniveau führen kann. Insoweit umfaßt Art. 14 I 2 GG auch die Befugnis, Ansprüche und Anwartschaften zu beschränken, zu vermindern und umzugestalten4. M i t dem Topos der Leistungs- und Funktionsfähigkeit der Solidargemeinschaft bringt das Bundesverfassunggericht konkretisiert die Gemeinwohlbelange, die für eine Absenkung sprechen, gegenüber dem bestandsstärkenden personalen Bezug aufgrund der erbrachten Eigenleistungen und des Angewiesenseins der Bürger auf soziale Rechtsstellungen zur Geltung. Die Leistungsund Funktionsfahigkeitsformel stellt eine bereichsspezifische Konkretisierung des allgemeinen „Vorbehalts des Möglichen" dar, der die situationsgebundene Relativität verfassungsrechtlich verbürgter Sozialteilhaberechte ausdrückt. In der Rentenversicherung äußert sich der Möglichkeitstopos im Mödell des 1

BVerfGE 53, 257 (294); 58, 81 (110, 121); 64, 87 (103). BVerfGE 53, 257 (292);58, 81 (111); 64, 87 (101). 3 S. Zacherl Ruland SGb 1974, 242; Krause, aaO, S. 173, 180; Häberle, LVA-Mitt., S. 485; ders., AöR 1984, 36 (68); Degenhart, BayVBL 1984, 103 (104); vgl. schon Dürig, ZStaatsW 109 (1953), 326 (336). 4 BVerfGE 53,257 (293); 58,81 (110); vgl. kritisch zum Funktions- und Leistungsfähigkeitstopos Stober, JZ 1982, 196; Kraùse , aaO, S. 176 ff. 2

12 Schlenker

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Generationenvertrags, welcher den Altersaufbau, das Verhältnis von Erwerbszur Nichterwerbsbevölkerung zum maßgeblichen Bemessungsfaktor des Leistungsniveaus macht 5 . Leistung und Gegenleistung sind im Sozialversicherungssystem nicht wie in einem Privatversicherungsverhältnis vorab vertragsgemäß festgelegt, sondern durch die intergenerative Umlagefinanzierung an die demographische und wirtschaftliche Entwicklung, an Produktivität und Einkommenssituation (vgl. § 1272 I I RVO) angebunden und deshalb von vornherein flexibel auf Veränderungen angelegt. Dementsprechend kann kein Mitglied der Sozialversicherung erwarten, daß die Leistungen, ebenso wie die Beiträge auf Dauer unverändert fortbestehen 6. Die aufgrund des faktisch-politischen Bezugs notwendige Anpassung und Umformungsoffenheit des Sozialsystems und seiner Leistungsstandards ist zugleich Vorbedingung und Folge der wesenseigenen Dynamik des Sozialrechts, die statische Grundrechtssicherungen zugunsten sozialer Rechtspositionen unmöglich macht 7 . Im Gegensatz zur Abwehr von Eingriffen in ideelle Freiheitspositionen mittels Unterlassungsansprüchen ist die Filterwirkung des Grundrechtsschutzes für Sozialrechte zwangsläufig relativ 8 . Sie ist eine dynamische Gfundrechtssicherung 9, die einen nach Maßgabe der realen Gegebenheiten möglichst optimalen personalen Grundrechtsschutz orientiert an der Leitlinie des „sozialen Schonungsgebots" zugunsten der Sozialbürger verwirklicht.

5 S. Degenhart, aaO, S. 69,193 f; Häberle, LVA-Mitt., S. 488; ders., AöR 1984,36 (71); ders., Wesensgehaltgarantie, S. 382 ff; Ecker, ZRP 1983,45 (48) hebt den Kerngehalt des Generationenvertrags in den Rang einer Verfassungsnorm, die Determinante der Gesetzgebung sei (S. 51), welche Respekt vor dem Vertrauen der Bürger in eine Langzeitsicherung verlangt und die zugleich Stabilität und Verläßlichkeit, aber auch Elastizität intendiert (S. 50); eine mathematisch präzise Erfassung des Generationenausgleichs ist faktisch unmöglich, vgl. Diemer, VSSR 1982, 325 (337); zum Generationenvertrag s. schon oben 2. Teil Β I I I 2 c. 6 So BVerfGE 58, 81 (122); 64, 87 (105); s. schon BVerfGE 11, 221 (226): Die Unabänderlichkeit widerspricht dem Charakter des Sozialversicherungsverhältnisses, das auf dem Gedanken der Solidarität und des sozialen Ausgleichs beruht; vgl. BSGE 15,271 (277); 28,9 (12); 33,177 (180); Stober, JZ 1982,197; Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 183. 7 Dazu Zacher, FS Ipsen, S. 207 (257); ders., ZStaatsW 1978,15 (31); Badura, FS BSG, S. 693; ders., SGb 1984, 398 (401). 8 S. Papier, VSSR 1973, 33 (47); Sozialrechtslehrertagung, S. 194 (203); Grimm, Sozialrechtslehrertagung, S. 233; ders., in: Grundrechte und soziale Wirklichkeit, S. 39 (58); Häberle, AöR 1984, 36 (68); Degenhart, aaO, S. 104 f. 9 S. Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 40; Badura, FS BSG, S. 693; Degenhart, aaO, S. 104; zum Gedanken eines „dynamischen Grundrechtsschutzes" s. die Kalkar-Entsch., BVerfGE 49, 89 (137).

A . I I L Schutzintensität der Eigentumsklausel

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6. Konkretisierung des Gemeinwohlbezugs: Sozialpolitik-externe und sozialpolitik-interne Abbaugründe Im rückholenden Sozialstaat konkretisiert sich die Gemeinwohlbindung 1 des Sozialeigentums in Gestalt von Rückschrittsgründen, welche das „öffentliche" Interesse an einer Absenkung der bisherigen Gewährleistungsdichte im Rahmen des grundrechtsspezifischen Abwägungskonzeptes in Ansatz bringen. Die Gründe, die den Gesetzgeber zu einer Kürzung oder Beseitigung sozialer Leistungen bewegen, lassen sich typisierend und vergröbernd in zwei Kategorien einteilen. Es sind dies, in Anlehnung an die Terminologie Zachers 2, sozialpolitik-externe und sozialpolitik-interne Veränderungsbelange, welche die spezielle Dynamik des Sozialrechts kennzeichnen und zugleich die Funktions- und Leistungsfähigkeitsformel ausfüllen 3. Sozialpolitisch-extern sind solche Faktoren, die die Ressourcenabhängigkeit des sozialen Netzes hervorheben, also insbesondere das Finanzierungsproblem und andere faktische Vorgaben, wie Bevölkerungsentwicklung, Bildungsstand und Arbeitsmarktstruktur. Verwoben hiermit sind die sozialpolitisch-internen Rücknahmegründe, die Ungerechtigkeiten, Spannungen, Unzuträglichkeiten oder Fehlentwicklungen innerhalb des sozialen Gefüges charakterisieren. Stichworte sind: Privilegienabbau, Beseitigung von Überversorgungs- und Doppelbezugslagen, Mißbrauchsabwehr und Berücksichtigung der Verschiebung sozialer Bedarfslagen durch gesellschaftlichen Wandel. Ursache hierfür kann sein: die zufallige Kumulierung von Versorgungsstellungen mit gleichgerichteter Sicherungsintention aufgrund der Komplexität des Sozialsystems, der Wegfall oder die Verringerung sozialer Bedürftigkeit aufgrund der wirtschaftlichen oder gesellschaftspolitischen Entwicklung 4 oder aber auch „Alterungsprozesse" des Sozialstaats, die zu Unstimmigkeiten zwischen und innerhalb der Leistungssysteme führen 5 .

1 Zum Gemeinwohlbegriff als einem grenzenaufzeigenden Rechtsinstrument s. Häberle, Rechtstheorie 14 (1983), S. 257 (274). 2 Zacher, FS Ipsen, S. 207 (246 fl); ders, ZStaatsW 1978, 15 (24 ff); auch die Bundesregierung unterscheidet zwischen äußeren, von der Wirtschaftsentwicklung abhängigen Determinanten und den systemimmanten Faktoren sozialpolitischer Effizienz und Bedarfsgerechtigkeit, s. Sozialbericht 1983, S. 6, 14, 39 f. 3 Das BVerfG verweist dementsprechend regelmäßig darauf, daß soziale Rechtsstellungen sowohl aus sozialpolitischen als auch aus finanziellen Gründen modifizierbar sind, s. BVerfGE 31, 185 (193); 40, 65 (77); 58, 81 (111). 4 Unter dem Stichwort der sozialpolitischen Erwünscht- bzw. Unerwünschtheit verbirgt sich die originär-politische Gestaltungsbefugnis des demokratischen Gesetzgebers, dessen Freiheitsräume durch das Verfassungsrecht nicht zu sehr eingeschnürt werden dürfen, um dem Parlament nicht jegliche Initiativkraft zu rauben. 5 Dazu bes. Zacher, VSSR 1983, 119 ff; Badura,, FS BSG, S. 673 (690).

12*

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

In der Rücknahmepraxis der Vergangenheit überwogen solche Fälle, denen Kürzungen wegen punktueller sozialpolitischer Fehlentwicklungen im Sozialversicherungssystem zugrunde lagen. Der eher sozialpolitik-intern motivierte Angriff auf soziale Rechtsstellungen geht allerdings regelmäßig Hand in Hand mit dem Ziel, Einsparungen bei den Sozialausgaben zu erzielen. Dementsprechend schwingt bei der Korrektur einer „sozialen Ungerechtigkeit" immer auch der Wunsch einer Kostenreduktion mit 6 , ist wahrscheinlich sogar Hauptantriebsmoment und unter Umständen auch falsches Etikett für Rücknahmemaßnahmen. Umgekehrt werden Kürzungen mit dem primären Ziel der Einsparung bevorzugt dort ansetzen, wo Sozialleistungen vergleichsweise „üppig" ausgestaltet sind bzw. die soziale Sicherungsintention möglichst geringfügig berührt oder durch Zeitablauf fragwürdig geworden ist 7 . In Anbetracht der Finanzierungsschwierigkeiten der Solidarsysteme, wie auch der unmittelbar steuerfinanzierten Sozialinstitutionen, ist für die Zukunft zu erwarten, daß die Mehrzahl der Kürzungen sozialer Leistungen in erster Linie mit dem Kostenargument begründet werden wird (dazu unten 8). Die Bundesregierung bekennt sich in Konsequenz verschlechterter Rahmenbedingungen jetzt offen zu Rückschrittsmaßnahmen im Sozialbereich, die einer Anpassung der Sozialsysteme an schrumpfende Finanzierungsquellen dienen 8 .

7. Sozialpolitik-interne Rücknahmegründe: Beseitigung von Doppel- und Überversorgungslagen, Privilegienabbau, Verschiebung sozialer Bedarfslagen, Mißbrauchsabwehr Der Abbau einer sozialpolitisch nicht erwünschten Überversorgung gehört zu den wichtigsten Wertungsgesichtspunkten, die verschlechternde Eingriffe in soziale Rechtsstellungen legitimieren können. Dieser Rückschrittstopos begrenzt nicht bloß den eigentumsrechtlichen Bestands- und rechtsstaatsorientierten Vertrauensschutz, sondern ist auch orginärer „Rückschrittsgerechtigkeitsfaktor" gegenüber dem Gleichheitssatz1. Soziale Rechtsstellungen verdienen vor allem dann keinen besonderen Schutz durch das personale Daseinssicherungsmoment des Grundgesetzes, wenn sie Ausdruck einer Priviligierung eines bestimmten Personenkreises sind, der aufgrund seiner Sozialbiographie eher zufallig oder wegen einer Unbedachtheit 6 BVerfGE 55,207 (239): Aus dem Grundsatz der sparsamen Haushaltsführung folgt, daß Doppelbelastungen der öffentlichen Hand möglichst zu vermeiden sind. 7 BVerfGE 40, 65 (80); Benda, ZIP 1981, 221 (224): Wenn die Ressourcen knapp werden, müssen Sozialleistungen denen zukommen, die wirklich sozial schutzbedürftig sind. 8 Sozialbericht 1983, S. 6/7; Regierungserklärung vom 4. 5. 1983. 1 Zur mehrschichtigen Relevanz von Abbaugründen s. BVerfGE 31,185(189,193); 36, 73 (79, 84); 40, 65 (77, 84); 53, 313 (331); 58, 81 (111, 126); 64, 87 (103, 107).

A . I I I . Schutzintensität der Eigentumsklausel

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des Sozialgesetzgebers in den Genuß mehrerer Sozialleistungen mit gleichgerichteter Sicherungsintention kommt 2 . So durfte der Gesetzgeber die Kumulierung von Altersruhegeld und Arbeitslosengeld beseitigen, weil die Empfänger durch den Doppelbezug weit höhere Leistungen erhielten, als ihnen nach dem Grundgedanken der Sozialversicherung zugestanden werden muß te 3 . Die Streichung von Leistungen wegen einer Doppelversorgungslage ist gerade auch im Hinblick auf den Grundsatz der sparsamen Haushaltsführung ein berechtigtes Anliegen des Gesetzgebers, welches regelmäßig das Individualinteresse an einem Fortbestand der bisherigen Regelung überwiegt 4 . Auch die Verhinderung einer Überversorgung durch einzelne, besonders hohe Sozialleistungen kann Reduktionen legitimieren. In der Entscheidung zur Abschmelzung des Knappschaftsruhegeldes wird darauf verwiesen, daß die Knappschaftsrenten häufig nicht nur das Niveau des letzten Nettoverdienstes, sondern sogar den des letzten Bruttogehalts erreichten, was als sozialpolitisch unerwünscht eingestuft wurde 5 . Als „Kürzungs-Richtlinie" hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluß zur Einschränkung der Leistungen der Krankenversicherung von Knappschaftsrentnern formuliert, daß beachtenswerte Interessen der Allgemeinheit darin liegen, daß „sozialpolitisch unerwünschte Doppelbezüge oder unverhältnismäßig hohe Bezüge abgebaut werden" 6 . Gleichsam im Sinne eines „Rückschrittsgerechtigkeitspostulats" empfiehlt das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber, entweder Leistungen „generalisierend" oder „mit Maß" an solchen Stellen herabzusetzen, wo „Leistungen sozialpolitisch bedenklich oder unverhältnismäßig hoch sind". Die Feststellung einer Über- oder Doppelversorgung führt allerdings nicht automatisch zu einem Zurücktreten des personalen Bestandsschutzes. Vielmehr kommt es auch hier auf eine Abwägung mit den Sicherungsinteressen und Verläßlichkeitserwartungen der Rücknahmebetroffenen an. 2 Ruhensregelungen und Anrechnungsklauseln sind das einfachgesetzliche Instrumentarium zur Vermeidung von Überversorgungslagen; zu Überschneidungen von Sozialleistungen kommt es besonders häufig beim Zusammentreffen von Ansprüchen aus der Sozialversicherung und den beamtenrechtlichen Versorgungssystemen, s. dazu Krause, aaO, S. 183; BVerfG, Vorprüfungsausschuß, NVwZ 1982, 429 und 553. 3 BVerfGE 31, 185 (189 ff): Art und Weise der Beseitigung des Doppelbezugs obliegt der Entscheidung des Gesetzgebers, der hier das Ruhen der Altersrente bis zur Höhe des Arbeitslosengeldes angeordnet hatte, obwohl dies aus systematischen Gründen als wenig sinnvoll erachtet wurde. Das BVerfG hat dies zwar gerügt, aber unter dem Gesichtspunkt der Priorität des Gesetzgebers zur Entscheidung über die sozialpolitische Zweckmäßigkeit einer Regelung hingenommen. 4 BVerfGE 53, 313 (331); 55, 207 (239); Vorprüfungsausschuß, NVwZ 1982, 429 und 553; BSGE 41,177 (185); aus der Literatur s .Krause, aaO, S. 183; Katzenstein, VSSR 1982, 167 (189). 5 BVerfGE 36, 73 (80). 6 BVerfGE 40, 65 (79).

182

Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Eine präzise Prüfung ihrer Versorgungslage anhand einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung 7, die alle soziale Leistungen mit gleichgerichtetem Sicherungszweck erfaßt, muß der Abwägungsprozedur vorausgehen. „Funktionale Äquivalente" im Rahmen einer Neuregelung sind bei einer Gesamtschau ebenso zu berücksichtigen, wie kompensierende Leistungen und solche, die trotz Abschwächung eines Elements insgesamt sogar eine Verbesserung der sozialen Stellung des Bürgers bewirken 8 . Eine priviligierende Stellung, der regelmäßig keine eigentumsrechtliche Bestandskraft zukommen soll, wird auch dann angenommen, wenn sie Ausprägung des „sozialen Ausgleichsprinzips" ist 9 . Das Bundesverfassungsgericht hat im Ausbildungsausfallzeitenbeschluß die rentenerhöhende Anrechnung von Ausbildungsausfallzeiten als Akt des sozialen Ausgleichs und der sozialen Fürsorge gewertet, der eine schwächere Kürzungsresistenz zeige, als die unmittelbar einkommensbezogenen Rentenanteile. Im Ergebnis wurde aber offengelassen, ob die Anrechnung von Ausbildungsausfallzeiten als „Privileg" anzusehen ist, weil bereits das fiskalische Interesse an der Verminderung der Ausfallzeiten zur Herstellung der Funktions- und Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung alleine schon abbaulegitimierende Kraft besaß 10 . Zwar wird man fürsorgerischen Elementen, soweit man solche überhaupt aus einer Sozialversicherungsstellung herauszuschälen vermag, im Rahmen des gestuften Eigentumsschutzes ggf. eine geringere Beständigkeit zumessen können, doch darf dies nicht zu einer Gleichsetzung mit der Bewertung als Privileg führen. Denn auch Darreichungen aus dem Gesichtspunkt des sozialen Ausgleichs wurzeln in der Versichertenstellung und kompensieren im Regelfall lediglich besondere Belastungen des Arbeitnehmers, wie gerade der Katalog der Ausfallzeiten (§ 1259 RVO) zeigt 11 . Rücknahmeargumente mit primär sozialpolitischem Einschlag können sich auch daraus ergeben, daß aufgrund gewandelter wirtschaftlicher und sozialer Bedingungen Tatbestände sozialer Bedürftigkeit entfallen, die in der Vergangenheit als solche erkannt worden waren 12 . 7 Zur „Gesamtwürdigung": Stober, Sozialrechtslehrertagung, S. 53; Krause, aaO, S. 170, 179; Meydam, aaO, S. 16, 107. 8 s. BSGE 9, 127 (130); 15, 71 (75); 24, 285 (290); 41, 13 (14); 46, 89 (94); vgl. auch Badura, FS BSG, S. 673 (691); Wilke/Schachel, VSSR 1978,271 (345); Katzenstein, VSSR 1982, 167 (193); Sozial-Enquete-Kom., Ziff. 58. 9

20. 10

Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 183; Degenhart, aaO, S.106; Schneider, aaO, S.

BVerfGE 58, 81 (111 ff). Ähnl. Krause, aaO, S. 190. 12 Dazu allgemein Zacher, FS Ipsen, S. 207 (239 ff); ders., ZStaatsW 1978,15 ff; ders., VSSR 1983,119 ff; Krause, aaO, S. 174; Badura, FS BSG, S. 673 (690); Sozialbericht S. 6: Eine Reihe sozialpolitischer Instrumente und Wirkungsmechanismen hat im Zeitablauf eine Handhabung und Entwicklung erfahren, deren Rationalität unter den Gesichtspunkten sozialpolitischer Effektivität und eines wirtschaftlichen Mitteleinsatzes kritischer Aufmerksamkeit bedarf. 11

Α. III. Schutzintensität der Eigentumsklausel

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Den Gesichtspunkt des Wegfalls oder der Verschiebung sozialer Bedarfslagen hat das Bundesverfassungsgericht in einer mehr am Rande des Sozialrechts liegenden Konstellation behandelt. Es sah die Beseitigung der Wohnungsbauprämie für besserverdienende Bausparer als gerechtfertigt an, weil dies dem „sozial unerwünschten Umstand" Rechnung trage, daß „die Wohnungsbauprämie zunehmend Bevölkerungsschichten zugute kam, denen sie nach der Intention des Gesetzgebers aufgrund ihres höheren Einkommens nicht zukommen sollte" 13 . Da die Beseitigung oder Minderung „echter" sozialer Bedarfslagen zentrales Anliegen des Sozialstaatsprinzips ist, hat der Gesetzgeber prinzipiell auch die Aufgabe, einer Verschiebung von Bedarfslagen oder einem Wegfall sozialer Bedürftigkeit Rechnung zu tragen, um zu verhindern, daß knappe Mittel nicht an falscher Stelle eingesetzt werden. Insofern kann sogar eine grundsätzliche Verfassungspflicht zur Änderung oder ggf. Rücknahme sozialer Regelungen gleichsam als „Nachbesserung" aufgrund der gewandelten Ausgangsbedingungen erwachsen 14. Ein gewichtiges öffentliches Interesse, das im Regelfall Bestandsbelange verdrängt, ist die Beseitigung von Mißbrauchsquellen im Sozialrecht 15 . Der Ausschluß von Schwachstellen der Sozialgesetzgebung, die den Bürger zur sinnwidrigen Inanspruchnahme von Sozialleistungen verleiten, wird in der politischen Diskussion häufig gefordert 16 , doch ist die rechtliche Umsetzung der Absicht „legale Wege des Mißbrauchs" auszuschließen, schwer zu bewerkstelligen, weil die Gefahr besteht, daß die Mißbrauchsgegensteuerung überzogen wirkt und auch solche Personengruppen erfaßt, denen die soziale Vergünstigung gerade zufließen sollte. Die nicht unbeträchtlichen sozialen Beschneidungen aufgrund des Haushaltsstrukturgesetzes 1982 waren zum Teil ausdrücklich mit dem Zweck begründet worden, Mißbrauchsquellen im Sozialrecht auszuschließen17. Das Ziel einer Abschaffung von Mißbrauchsmöglichkeiten stellt einen wesentlichen Gemeinwohlbelang dar, denn es wird damit einer Fehlleitung von Mitgliedsbeiträgen in der Sozialversicherung bzw. Steuermitteln entgegengewirkt 1 8 . 13

BVerfGE 48, 403 (418 f); vgl. auch BVerfGE 64, 158 (170, 174). Vgl. BVerfGE 17,1 (11); BSGE 47,259 (263): Es entspricht dem Sozialstaatsprinzip, wenn soziale Ausgleichsleistungen nur dorthin gelenkt werden, wo im Einzelfall der entsprechende Bedarf auftritt; s. bes. BVerfGE 64, 158 (170). 15 S. Stettner, VSSR 1983, 155; Merten, Hdb.d.VerfR., S. 765 (796ff); Neil-Breunings SF 1982, 25; Heinze, DJT-Gutachten, S. 109 ff. 16 Im Sozialbericht 1983, S. 6 ist festgestellt, daß „individuelle u. kollektive Rationalität" in unserem Sozialsystem „nicht selten auseinanderfallen". 17 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des 2. Haushaltsstrukturgesetzes, BT-Drucksache 9/842 v. 28.9.1981, S. 1 und 67; unter der Flagge der Mißbrauchsabwehr stehen vor allem die Kürzungen in der Krankenversicherung, ζ. B. die schon verwirklichte Eigenbeteiligung bei Medikamenten, Kuren und Krankenhausaufenthalten sowie die diskutierte Einführung sogenannter Karenztage im Krankheitsfall. 14

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Das Bundesverfassungsgericht bringt das sozialpolitische Anliegen einer Verhinderung von Mißbrauch im Zusammenhang mit einer effektiven Verteilung öffentlicher Gelder zum Ausdruck. In einer neueren Entscheidung heißt es dazu 19 : Es widerspreche dem Gedanken des sozialen Rechtsstaates, wenn Mittel der Allgemeinheit, die zur Hilfe für deren bedürftige Mitglieder bestimmt seien, mangels genügender Kontrolle auch dann in Anspruch genommen werden könnten, wenn wirkliche Bedürftigkeit nicht vorliege. Dieser Satz könnte größere Folgewirkungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Bewertung von Rückschrittsgesetzen zeigen, die Sozialleistungen mit der Begründung abbauen, es liege keine soziale Bedürftigkeit — mehr — vor oder es müßten Fehlerquellen im Sozialsystem unter Hinweis auf eine größere Verteilungsgerechtigkeit beseitigt werden 20 . Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings die Gefahr, daß unter dem Deckmantel der Beseitigung eines angeblich sozialpolitisch unerwünschten Zustands Sozialfunktionen ausgedünnt oder einzelne Positionen abgebaut werden, die der Regierung aus rein politischen oder aber finanziellen Gründen, die aber nicht offengelegt werden sollen, mißliebig geworden sind. Die Bremsen der Verfassung müssen gerade bei Rückschrittsmaßnahmen, die mit einer sozialpolitischen Fehlentwicklung begründet werden, ggf. „hart ziehen", wenn ein Etikettenschwindel zur Begründung eines Abbaus sozialer Errungenschaften nicht ausgeschlossen werden kann.

8. Sozialabbau ausfinanziellen Gründen a) Das Finanzierungsargument

als wichtiger

Gemeinwohlbelang

Spielten in der Vergangenheit Kürzungen im Sozialbereich mit einem eher sozialpolitischen Akzent eine dominierende Rolle, liegt der Schwerpunkt von Rückschrittsmaßnahmen im Zeichen der Krise von Wirtschaft und Haushalten mehr auf der Finanzierungsseite. Sparhaushalte, die sich in „Haushaltssicherungs-, Haushaltsstruktur-, Haushaltsbegleit- und Haushaltskonsolidierungsgesetzen bzw. Kostendämpfungsgesetzen" niederschlagen 1, zeugen von einer Wende der Sozialpolitik, die den Abbau von Sozialleistungen aus finanziellen 18 Merten, aaO, S. 796 spricht von einer „Verpflichtung verfassungsorientierter Sozialpolitik zur Mißbrauchsabwehr". 19 BVerfGE 59, 36 (51) unter Hinweis auf BVerfGE 9, 20 (35). 20 Vgl. Stettner, aaO, S. 169, wonach „ein Quäntchen von Mißbrauch tolerabel und vom System zu verkraften ist"; ebenso Ν eil-Breunings aaO, S. 27. 1 Die Charakteristika der Sparhaushalte beschreibt Thiele, DÖV 1984, S. 129; zum Gesetzestypus der Haushaltssicherungs- und Haushaltsbegleitgesetze s. v. Mutius, VVDSTRL 42 (1984), 147 (188 f, 207); Schuppen, VVDSTRL 42, 216 (228 f); Häberle, Disk.-Beitrag, VVDSTRL 42, S. 292; s. dazu schon oben 1 .Teil 12 b; vgl. auch den Titel des Haushaltsbegleitgesetzes 1984: „Gesetz über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung...".

Α. III. Schutzintensität der Eigentumsklausel

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Gründen nicht mehr hinter vordergründigen Sozialgerechtigkeitsmotiven zu verstecken sucht, sondern als zwingenden gemeinwohlorientierten Legitimationsgrund für Leistungsbeschränkungen kennzeichnet. Das Argument der begrenzten Leistungsfähigkeit des Staatshaushalts bzw. der Solidargemeinschaften gewinnt als situativ-zeitabhängiger Relativitätstopos für soziale Teilhabeberechtigungen des Bürgers maßgebliche Bedeutung. Dies zeigt sich nicht bloß in der politischen Auseinandersetzung um das Prinzip der „sozialen Besitzstandswahrung" und die „Grenzen des Sozialstaats", sondern vor allem im Gewand von „negativen" Sozialgesetzen, die das primäre Ziel einer Einsparung von Ausgaben bezwecken2, sowie daran anknüpfenden verfassungsrechtlichen „Nachhutgefechten" durch die kontrollierende dritte Gewalt, die das Kostenargument als wichtiges Anliegen der Allgemeinheit begreift und in das Abwägungsschema einstellt. Der Aspekt nur beschränkt vorhandener und verteilbarer Haushaltsmittel mündet in den Gedanken eines sozialstaatlichen Finanzierungsvorbehaltes ein, der als wesentliches Element den allgemeinen „Vorbehalt des Möglichen" konkretisiert 3 . Der leistungsstaatliche Ressourcenvorbehalt wird teilweise als unbedingte, sich im Regelfall gegen Sicherungs- und Verläßlichkeitsinteressen der Bürger durchsetzende Gemeinwohlformel interpretiert 4 . Dem kann so nicht zugestimmt werden. Zwar werden Sozialleistungen aus öffentlichen (Steuern) oder „beschränkt öffentlichen" (Beitragsfinanzierung im Sozialversicherungssystem) Mitteln finanziert, so daß ein unmittelbarer Gemeinbezug aller sozialer Zuteilungen von vornherein systemimmanent mitgedacht werden muß. Doch zeigt der Umverteilungsgesichtspunkt auch die personale Seite der sozialstaatlichen Mittelverwendung, die beliebige Reduktionen in den Sozialgesetzen unter Berufung auf den Finanzierungstopos verbietet 5 . 2 So sind das 20. und 21. Rentenanpassungsgesetz, die erhebliche Einschränkungen in der gesetzlichen Altersversicherung bewirkt hatten, maßgeblich mit Einspargesichtspunkten im Hinblick auf eine langfristige Sicherung des Altersversorgungssystems begründet worden, vgl. zum 20. Rentenanpassungsgesetz BT-Drucksache 8/165, S. 34; vgl. auch die Begründung der Bundesregierung im Rechtsstreit um die Ausbildungsausfallzeiten, BVerfGE 58,81 (99 f): Die veränderte wirtschaftliche Gesamtsituation und die Finanzlage der Rentenversicherung hätten dazu geführt, daß mit dem 20. und später mit dem 21. Rentenanpassungsgesetz sozialpolitisch nicht mehr vertretbare Belastungen der Solidargemeinschaften hätten abgebaut werden müssen. 3

Zum Vorbehalt des finanziell Möglichen s. oben m.w.N. 2. Teil A 11 4. S. Isensee, FS Broermann, S. 365 (368, 371); ders., FS Ipsen, S. 409 (434); Starck, BVerfG und GG S. 480 (518 fi); ders, D V B L 1978, 937 (943); Herzog, M D , Art. 20 V I I I Rn 23; Martens, W D S T R L 30, 7 (31, 35); Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 35; vgl. die Erwägungen Kirchofs zu einem automatisierenden Widerrufsvorbehalt in Leistungsgesetzen bei Schrumpfung der Finanzgrundlagen: NVwZ 1983, 503 (511); Disk.-Beitrag W D S T R L 42,288; dagg. zu Recht Hoffmann-Riem, Disk.-Beitrag W D S T R L 42, S. 285 287; näher dazu schon oben 2. Teil A I I 4. 5 Vgl. F. Müller, Leistungsrechte, S.161: Relativität des Haushaltsvorbehalts; Böckenförde, Soziale Grundrechte, S. 7 (13 f) : Wirtschaftliche Unmöglichkeit als Grenze 4

186

Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Jeder Steuer- und sozialversicherungspflichtige Bürger ist zugleich Einzahler und potentieller Nutznießer von Sozialleistungen, woraus die subjektiv-individualistische Komponente der Mittelschöpfung des Staates in Erfüllung seiner Sozialpflichtigkeit resultiert. Es besteht in der personalen und zeitlichen Dimension ein vertragsähnliches Band zwischen Hingebenden und Empfangern sozialer Zuteilungen, was im Modell der Umlagefinanzierung und speziell im Generationenvertrag der Sozialversicherung deutlich wird 6 . Der Vertragsgedanke zeigt sowohl den sozialen als auch den personalen Bezug des Finanzierungsaspektes, was einerseits einen freien, ungebundenen Widerruf von Sozialleistungen ausschließt, anderseits aber den Begrenzungscharakter des Kostenarguments bei der Auslotung der Rückschrittsfestigkeit sozialer Positionen ausdrückt. Das Fiskalargument bildet einen gewichtigen, durch den immer vorhandenen personalen Aspekt jedoch seinerseits begrenzten Gemeinwohlfaktor. Fiskalische Gründe als wichtige öffentliche Interessen 7 überwiegen nicht automatisch soziale Kontinuitätsbelange der Bürger 8 , die ihren Lebensplan auf das staatliche Versprechen einer angemessenen und verläßlichen sozialen Sicherheit sowohl im Bereich der Standardrisiken der Sozialversicherung als auch für den Fall individueller sozialer Bedürftigkeit gegründet haben. Die gesetzgebungspolitische Zielsetzung der Erhaltung einer gesunden Leistungsfähigkeit des Sozialversicherungssystems bzw. der Sanierung der Staatsfinanzen ist nicht per se so stark, daß dadurch alle personalen Sicherungsinteressen dahinter zurücktreten müssen. Die Legitimation eines Rücknahmegesetzes allein aus Leistungsfahigkeitsgesichtspunkten ist verfassungsrechtlich allerdings schwerer faßbar und gewichtbar als eine Eingriffsbegründung aus überwiegend sozialpolitischen Motiven, wie z.B. die Beseitigung von Überversorgungslagen oder Mißbrauchsquellen. Dies hat seinen Grund darin, daß Haushaltsmittel zwischen und innerhalb der Ressorts prinzipiell verschiebbar sind 9 , was das Bundesverfassungsgericht im ersten NC-Urteil 1 0 zu der optimistischen Feststellung veranlaßt hat, im grundrechtlicher Gewährleistung einerseits, andererseits keine ersatzlose, beliebige Aufhebung verwirklichter Sozialstandards; Zacher, DÖV 1970,1 (9); Wege, Positives Recht und sozialer Wandel, S. 201; Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 235 ff; ders., Gesundheit als Grundrecht, S. 24. 6 Der so definierte Vertragscharakter hat modellhafte Bedeutung für die dogmatische Bewältigung der Rückschrittsproblematik im Rahmen des Abwägungsschemas, s. bes. Häberle, LVA-Mitt., S. 485; ders., JZ 1984, 345 (354); ders., AöR 1984, 36 (71). 7 Dazu Häberle, Öffentliches Interesse, S. 512 ff; ders., DÖV 1967, 220. 8 So auch BVerfGE 59,128 (170) im Zusammenhang mit der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte. 9 Vgl. F. Müller, Leistungsrechte, S. 161; Müller-Volbehr, JZ 1982,132 (137); Leisner, FS Berber, S. 273 (295): Der öffentliche Finanzbedarf rechtfertigt keine verdünnte Vertrauenssicherung. Der Staat muß sich dann eben die Mittel dort beschaffen, wo kein Vertrauen besteht. 10 BVerfGE 33, 303 (333).

.III. Schutzintensität der Eigentumsklausel

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Normalfall sozialstaatlicher Teilhabegewährung, nämlich bei finanziellen Begünstigungen könnten die nachteiligen Folgen einer Beschränkung auf vorhandene Mittel durch Umverteilung einigermaßen abgefangen werden. Aus der Möglichkeit der Umverteilung von Mitteln folgt aber nicht die Unbeachtlichkeit des Haushaltsarguments. Es kommt vielmehr auf eine Gegenüberstellung und Balance der widerstreitenden Sicherungs- und Reduktionsbelange an, die zu situationsangemessener, zeitgerechter Konkordanz an Hand der Leitlinie des „sozialen Schonungsgebots" zu optimieren sind 1 1 . Stabilitätsbelange in der objektiven und subjektiven Dimension kollidieren hart mit der im Demokratiepostulat wurzelnden Befugnis des Parlaments zur Entscheidung über die Prioritäten bei der Verteilung öffentlicher Gelder. A n den „vorwirkend-politischen" und „nachwirkend-judiziellen" Abwägungsprozeß zwischen grundgesetzlich verbürgter Teilhabe an einem komplexen Netz sozialer Sicherheit und fiskalischer Prioritätensetzungskompetenz des Gesetzgebers sind damit hohe Anforderungen gestellt. Die Leitlinie des „sozialen Schonungsgebots" bindet das demokratisch legitimierte Verteilungsermessen des Haushaltsgesetzgebers zugunsten eines in der objektiv-rechtlichen Perspektive zeitgerecht-angemessenen, in der individualbezogenen Dimension verläßlichen Systems sozialer Sicherheit.

b) Die beschränkte finanzielle Leistungsfähigkeit der öffentlichen Kürzungstopos in der neueren Abbaujudikatur

Hand als

Die jüngere Abbaujudikatur vewendet das Leistungsfahigkeitsargument nicht wie in der Vergangenheit als „verdecktes" Gemeinwohlkriterium, sondern bringt es offen als wichtigen Gemeinwohlbelang im Abwägungsschema zur Geltung. Der Gesichtspunkt der Erhaltung der Funktionsfahigkeit sozialer Leistungssysteme durch eine gesunde Finanzierungsbasis ist vor allem seit den Entscheidungen zum Versorgungsausgleich und den Ausbildungsausfallzeiten Leitmaxime des Bundesverfassungsgerichts, die das Interesse des Staates und der Träger der Sozialversicherung an einer soliden Ausgabenpolitik bzw. einer ausgeglichenen Finanzierungsbilanz in der Sozialversicherung auffangt. Dadurch erfahren alle Grundgesetzdeterminanten, die potentiell das soziale Netz und seine Teilhabeberechtigungen stabilisieren, eine begrenzende Komponente. Der eigentumsrechtliche Bestandsschutz sozialer Positionen wird ganz erheblich durch den sozialen Bezug relativiert, der sich bei Sozialleistungen vornehmlich im Kostengesichtspunkt äußert. Die Notwendigkeit von Einspa11

S. BSGE 47, 259 (263): Das Individualinteresse und die ökonomischen Belange der Allgemeinheit müssen in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden; vgl. Rische/ Terwey, DRV 1983, 273 (291); Degenhard BayVBL 1984, 103 (105 f).

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

rungen zur Sicherung der Funktionsfahigkeit des sozialen Netzes bildet einen echten Rücknahmetopos, der Beschneidungen von Sozialeigentumsstellungen in erheblichem Maße legitimieren kann. Das Bundesverfassungsgericht hat Schmälerungen von Ansprüchen und Anwartschaften aus finanziellen Gründen für zulässig erachtet: Die begrenzte finanzielle Leistungsfähigkeit der Versicherungsträger, die Konsolidierung der Rentenfinanzen, die Wiederherstellung des Ausgleichs zwischen Einnahmen und Ausgaben, die Verbesserung der Finanzstruktur der Rentenversicherung, die Belastbarkeit der Solidargemeinschaften sind Ausfüllungsformeln des Fiskalvorbehalts, die rückschrittslegitimierende Wirkung im Rahmen des Art. 14 I 2 GG entfalten 1 . Ebenso wird der grundrechtlich bzw. im Rechtsstaatsprinzip verbürgte Vertrauensschutz durch eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit abgeschwächt2. Der Bürger soll im Rahmen von Sozialbeziehungen immer mit einer Reduktion seiner Anwartschaftsrechte oder Bezugsrechte bzw. im Vergleich zur Vergangenheit verringerten oder gar ausgesetzten Anpassungsquoten bei beweglichen Sozialleistungen im Falle von Finanzierungsschwierigkeiten der öffentlichen Haushalte bzw. der Solidargemeinschaften rechnen müssen. Die verfassungsrechtliche Grenze verläuft dort, wo die Betroffenen durch Abbaumaßnahmen in eine Lage geraten, die ihren sozialen Standard abrupt oder nachhaltig verschlechtert 3. Dem subjektiven Moment der Erwartung in die Fortdauer einer bestimmten Qualität sozialer Leistungen kommt für eine zeitabhängig-variable Bandbreite beim Leistungsumfang, die die Sicherungsaufgabe als solche und das generelle Sicherungsniveau nicht antastet, in Anbetracht finanzieller Anpassungszwänge an veränderte Ausgangsbedingungen keine erhebliche Bedeutung zu 4 . Hierin besteht ein Unterschied zur Privatversicherung, wo in der Regel Leistungen und Gegenleistungen von vornherein feststehen 5. Sofern der mittels Abwägungsmaxime festzustellende Rahmen der Angemessenheit sozialer Leistungen durch Ausdünnungen nicht unterschritten wird, begründen absenkende Anpassungen zur Erhaltung gesunder Finanzgrundlagen keine Verletzung des „Sicherungsvertrauens" des Bürgers. Als Rückschrittsgerechtigkeitsfaktor bildet das Finanzierungsargument weiterhin ein Sachgerechtigkeitskriterium vor Art. 3 I GG, das ein willkürliches Verhalten des abbauenden Gesetzgebers regelmäßig ausschließt, es sei denn, er habe den Maßstab sozialer Gerechtigkeit evident verletzt 6 . 1 S. BVerfGE 11,221 (227); 31,185 (193); 36,73 (84); 51,1 (27); 58,81 (110 f, 118 f); 63, 152 (176); 64, 87 (193). 2 S. nur BVerGE 31, 185 (193); 36, 73 (84); 48, 403 (418); 63, 152 (176); 64, 87 (106); näher unten B. 3 BVerfGE 30, 367 (391); 40, 65 (80); 51, 356 (368). 4 S. BVerfGE 58, 81 (123); 64, 87 (105); ebenso Stober JZ 1982, 195 (197). 5 So BVerfGE 58, 81 (123).

Α. III. Schutzintensität der Eigentumsklausel

189

Zwar hat sich nach der Entscheidung des zweiten Senats vom 9.2.1982 der Gleichheitsatz gerade auch in Zeiten der Knappheit zu bewähren. Vor Art. 3 I GG soll aber grundsätzlich der Zwang zur Sanierung des Staatshaushalts genügen, um den Willkürverdacht bei einem Abbau sozialer Rechtsstellungen abzuwenden7. In dieser verharmlosenden Interpretation bleibt die Filterwirkung des Gleichheitssatzes gegenüber einem Sozialabbau aus finanziellen Gründen von vornherein blaß, kann kaum rückschrittseindämmende Funktion entfalten (s. oben 2. Teil A I I 6). Erhebliche Relevanz besitzen fiskalische Begründungen auch bei Leistungskürzungen in der Beamtenbesoldung und -Versorgung. Dies ist unten (D III) näher dargestellt. c) Vom Grundsatz der sparsamen Haushaltsführung Rückschrittsgebot

zum sozialen

Insgesamt lassen Rechtsprechung und Literatur die Tendenz erkennen, den Einspargedanken als besonders gewichtiges Anliegen der Allgemeinheit zu werten, das sich gerade auch gegenüber eigentumsrechtlichen „sozialen Besitzständen" und rechtsstaatlichen Sicherungserwartungen durchsetzen kann. Der Grundsatz der sparsamen Haushaltsführung 1 wird zur bedeutendsten Gemeinwohldirektive des rücknehmenden Sozialstaates. Ausgabeneinsparungen gelten als gewichtiges Anliegen der Allgemeinheit 2 , welches als Kürzungstopos den grundrechtlichen Bestandsschutz sozialer Berechtigungen stark abschwächt. Gesteigerte Bedeutung erhält der Einspargedanke in der Formel der „notwendigen Sanierung des Staatshaushalts" bzw. der Haushalte der Sozialversicherungsträger 3. Hiermit korrespondiert die Betonung des haushaltsrechtlichen Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, welcher dem Sozialgesetzgeber ein Leitmotiv zur Bewältigung des Sozialstaats in der Finanzkrise an die Hand geben soll 4 . 6 Vgl. BVerfGE 36, 73 (79 φ ; Vorprüfungsauschuß, NVwZ 1982, 429; in einer Entscheidung des Verfassungsgerichts im Jahr 1965 zum Beamtenrecht, BVerfGE 19,76 (84) heißt es noch: „Es ist zwar richtig, daß auch finanzielle Erwägungen sachgerecht und geeignet sein können, den Vorwurf der Willkür zu entkräften. In aller Regel sind jedoch, jedenfalls im Beamtenrecht, finanzielle Erwägungen und das fiskalische Bemühen, Ausgaben zu sparen, für sich genommen nicht als sachgerechte Gründe anzusehen, die eine differenzierte Behandlung verschiedener Personengruppen rechtfertigen könnte". 7 BVerfGE 60, 16 (39, 43); 61, 43 (63); 64, 158 (169). 1 Ausdrückliche Benennung in BVerfGE 55, 207 (239); 64, 158 (170). 2 So BVerfGE 48,403 (418); 58,81 (119,124); 62, 354 (372); 63,152 (176); 64,87 (106). 3 Zum Sanierungsgesichtspunkt BVerfGE 60, 16 (43); 64, 87 (103,106); BVerwGE D V B L 83, 805 (807). 4 Zum Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit s. §§ 61 HGrG, 71BHO; aus der Literatur: ν Arnim, W D S T R L 39 (1981), 286 (317); v. Mutius, W D S T R L 42 (1984),

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Haushaltsgesichtspunkte und Leistungsfahigkeitsargumente bemächtigen sich immer mehr der Sozialpolitik und beschwören die Gefahr, daß das Sozialrecht und die sozialrechtsspezifischen Direktiven des Grundgesetzes einseitig im Lichte des Kostenmoments ausgelegt und bewertet werden. Die stabilisierende Kraft der grundgesetzlichen Wertungsvorgaben für den Sozialgesetzgeber droht infolge der Finanzierungsprobleme des Sozialstaates zu verbleichen, wenn die Gemeinwohlbindung sozialer Leistungen auf der politischen und verfassungsrechtlichen Ebene durch das Finanzierungsargument zu sehr strapaziert wird. Das Modell eines situationsbezogenen gestuften Bestandsschutzes sozialer Rechte bietet grundsätzlich die Möglichkeit sehr tiefer Einschnitte aus finanziellen Gründen. Je krisenhafter die Lage der öffentlichen Hände sich darstellt, umso weiter erscheint der Spielraum des Gesetzgebers für eine Zurückdrängung der personalen Sicherungsfunktion durch Betonung des „sozialen Bezugs von Sozialleistungen"5 . Konsequent weitergedacht ergibt sich aus dem „Krisengedanken" 6 nicht bloß eine breite Rückholbefugnis für den Sozialgesetzgeber nach Maßgabe der Dringlichkeit des Einsparerfordernisses, sondern sogar eine positive Verpflichtung zur Einschränkung von Staatsleistungen, zur Absenkung vorhandener Sozialstandards. Ein solches „Rücknahmegebot" hat der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf eine allerdings außerhalb des sozialen Sicherungssystems stehende Dienstzeitprämie für Polizeivollzugsbeamte angenommen7: Ändere sich die Ausgangslage auf dem Bewerbermarkt durch ein Überangebot von Interessenten, sei „der Gesetzgeber nicht nur berechtigt, sondern im Interesse sparsamer Haushaltsführung auch gehalten, die der Werbung dienenden Gewährungen sachgerecht und unter Beachtung der durch die Rechtsordnung gezogenen Grenzen zurückzunehmen". Obwohl diese Argumentation im konkreten Fall durchaus angezeigt war, deutet sich damit eine weitere Dimension der Rückschrittsproblematik an: Aus dem Legitimationskriterium notwendiger Einsparungen im Rahmen sozialabbauender Maßnahmen erwächst ggf. eine sozialstaatliche Gemeinwohldirektive 147 (175,177,296 f); Häberle, Disk.-Beitrag, VVDSTRL 42, S. 291 ; Kirchhof, NVwZ 1983,

505 (507 f); Fischer, JZ 1982, 6; Grupp, JZ 1982, 231. 5 Degenhart, BayVBL 1984, 65 (68, 104); Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 182 f:

Negative globale Veränderungen der Volkswirtschaft lassen auch harte Eingriffe des Gesetzgebers zu. 6 Zum Krisengedanken in anderem Zusammenhang: BVerfGE 52,1 (30) -Kleingarten-: Regelungen, die in Kriegs- und Notzeiten gerechtfertigt sind, können unter veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen eine andere verfassungsrechtliche Bedeutung erfahren; vgl. sehr vorsichtig W.Bogs, FS Braess, S. 21: Rentenkürzungen aus fiskalischen Gründen sind nur in Krisenzeiten erlaubt. 7 BVerfGE 64, 158 (170); vg\.Hoffmann-Riem, Disk.-Beitr., VVDSTRL 42, 287: „Ich bezweifle überhaupt nicht, daß der Gesetzgeber berechtigt ist, — und evtl. verpflichtet sein kann —, Sozialleistungsgesetze um- und ggf. abzubauen-".

.III. Schutzintensität der Eigentumsklausel

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mit Gebotscharakter, die einen stärkeren Rückzug des Staates aus seiner sozialen Verantwortung vorbereiten kann.

d) Orientierung des Sozialgesetzgebers an der Direktive des „sozialen Schonungsgebots" in der Finanzierungskrise des Sozialstaats Der Tendenz einer auf den finanziellen Aspekt reduzierten, restriktiven Betrachtung der sozialen Leistungsgeflechte im Zeichen der Finanzierungskrise des Staates und der Sozialversicherungsträger muß das Grundgesetz sowohl seine primär objektiv-rechtliche, soziale Aktivitäts- und Daseinssicherungsfunktion als auch seine personale Teilhabe- und Verläßlichkeitsdimension entgegensetzen. Dabei ist auch die integrative und stabilisierende Relevanz eines den Bedingungen der Industriegesellschaft gerecht werdenden, komplexen und qualitativ „guten" sozialen Netzes zu erkennen, die wesentliche Voraussetzung für die Erhaltung des sozialen Friedens im Staat ist. Die umfassende sozialstaatliche Umsorgung des Bürgers stellt eine wesentliche Stütze des bestehenden politischen Systems dar. Das grundgesetzliche Gebot für einen sozialen Staat und seine konkrete Ausprägung im personalen, multifunktionalen Daseinssicherungsmoment der Grundrechte, speziell dem eigentumsspezifischen Sozialversicherungsschutz, ist Grundlage der hohen Sozialpflichtigkeit aller Staatsorgane, vor allem des Gesetzgebers. Das existierende soziale Netz zeigt, daß der Staat den ihm aufgegebenen sozialen Geltungsanspruch erfüllen will 1 . Aus der damit übernommenen, verfassungsrechtlich „unterlegten" Verantwortung kann sich der demokratisch legitimierte Gesetzgeber nicht unter Berufung auf verknappende Mittel und fiskalische Notwendigkeiten vorschnell zurückziehen 2, bietet eine Eigen Vorsorge des Bürgers außerhalb eines staatlich getragenen Systems sozialer Sicherung bei realistischer Betrachtung doch keine geeignete Möglichkeit adäquater sozialer Absicherung. Schärfere Verteilungskämpfe zwischen den Haushalten in Anbetracht der Mittelverknappung dürfen nicht einseitig auf Kosten des Sozialbereichs gehen. Die Sozialpolitik kann sich nicht dem vermeintlichen Diktat der Haushaltspolitik unterwerfen und die Ausgaben für Sozialleistungen gerade dann drosseln, 1 Die Bundesregierung betont im Sozialbericht 1983, S. 6, daß die Verläßlichkeit und Funktionsfahigkeit der Systeme sozialer Sicherheit unverzichtbares Ziel der Sozialpolitik sind. 2 Ebenso Rupp-v.Brünneck, SV, BVerfGE 32, 129 (140): „Das vorangegangene Tun verpflichtet ihn ( = den Staat) der freiwillig oder unfreiwillig übernommenen sozialen Verantwortung auch weiterhin gerecht zu werden, soweit nicht höherrangige Interessen des Gemeinwohls entgegenstehen". Vgl. Transfer-Enquete-Kom., Ziff. 551: Der Staat muß das Leistungsversprechen, das er dem Bürger gegeben hat, einhalten, selbst wenn ihm das aus finanziellen Gründen schwerfallen sollte.

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

wenn das Angewiesensein der Bürger auf soziale Leistungsmechanismen wächst und sie das früher gegebene gesetzliche Sicherungsversprechen einlösen wollen. Sozialgesetze sind keine bloßen Schönwettergesetze, sondern müssen soziale Sicherheit auf einem zeitgerechten Standard auf Dauer gewährleisten 3 . Gerade in der Finanzierungskrise muß der Staat seiner Verantwortung für ein funktionierendes Sozialsystem mit adäquatem Niveau gerecht werden, was behutsame Anpassungen an neue faktische Ausgangsbedingungen und Reduktionen auf Sozialfeldern mit vergleichsweise hohen Leistungen oder geringerer sozialer Bedürftigkeit und Abhängigkeit nicht ausschließt4. Einer drastischen und übereilten Ausdünnung des Sicherungsnetzes für die Wechselfalle des Lebens unter Hinweis auf das Finanzierungsargument steuert das Grundgesetz mit seinem in den Grundrechten besonders stark ausgeprägten personellen Daseinssicherungsmoment entgegen, das mittels der Richtlinie eines „sozialen Schonungsgebots" vor allem den Bereich der Elementarversorgungssysteme der Sozialversicherung, des sozialen Entschädigungsrechts und der Sozialhilfe vor tiefen und abrupten Einschnitten, die die Bürger nicht verkraften können, bewahrt. Das Grundgesetz setzt mit seinen menschbezogenen Sicherungen überall dort Zeichen 5 , wo der einzelne in seiner persönlichen Lebensstellung, die heute wesentlich durch soziale Leistungen und Schutznormkomplexe definiert wird, auf verläßliche Sozialfunktionen mit zeitgerechten Leistungsstandards angewiesen ist. Dem öffentlichen Interesse an gesunden Staatsfinanzen, der Sanierung des Staatshaushalts und einer finanziellen Konsolidierung der Sozialversicherungsträger darf und muß auch der Sozialgesetzgeber Rechnung tragen, allerdings nur in Orientierung an der Direktive des „sozialen Schonungsgebots"6, welche die Stabilität sozialer Einrichtungen im Bürger- und Staatsinteresse verbürgt. In der Richtlinie des sozialen Schonungsgebots findet die Verläßlichkeitserwartung der Bürger in die Festigkeit des sozialen Netzes eine verfassungsspezifische Grundlage, die durch fiskalische Belange, gerade in schlechten Zeiten, wo viele Menschen auf soziale Bezugsrechte angewiesen sind, nicht überspielt werden kann 7 . 3

Vgl. Krause, DÖV 1984, 740 (743); Zacher, SF 1984, .1 (8). S. BVerfGE 40, 65 (80): Eine Herabsetzung der Leistungen muß dort ansetzen, wo einzelne Leistungen sozialpolitisch bedenklich oder unverhältnismäßig hoch sind. 5 S. BVerfGE 50, 290 (338) — Mitbestimmung —: „Allerdings darf die Berücksichtigung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nicht zu einer Verkürzung dessen führen, was die Verfassung in allem Wandel unverändert gewähren will, namentlich nicht zu einer Verkürzung der in den Einzelgrundrechten garantierten individuellen Freiheiten, ohne die nach der Konzeption des GG ein Leben in menschlicher Würde nicht möglich ist"; schon Rupp-v.Brünneck, SV, BVerfGE 32, 129 (142). 6 Zum Gedanken eines sozialen Schonungsgebotes vgl. H .Bogs, RdA 1973 26, (27,33); Kloepfer, DÖV 1978, 225 (227, 230); W D S T R L 40, (1981) S. 63 (85 f); Degenhart, BayVBL 1984,193 (1050; vgl. Wege, Positives Recht und sozialer Wandel, S. 201: Soziale Rücknahmen als „ultima ratio", wenn keine anderen zumutbaren Möglichkeiten der Mittelbeschaffung bestehen. 7 Vgl. Leisner, FS Berber, S. 273 (295). 4

B.I. Das „Grundrecht" auf Kontinuität und Vertrauensschutz

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Den Finanzierungs- und Sanierungsgesichtspunkten als wichtigen Rückschrittsgründen ist das personale grundrechtsgeformte Daseinssicherungs- und Verläßlichkeitsargument für aktuelle und potentielle Rechtsstellungen im Sozialsystem entgegenzusetzen und anhand der Leitformel des Schonungsgebots zu gewichten und zu bewerten. Das Grundgesetz gewährleistet über das Instrument einer präzisen Abschichtung und Balance der widerstreitenden Belange8 die notwendige Flexibilität des sozialen Prozesses auch und gerade in Zeiten der Mittelknappheit, bei gleichzeitig hoher Einstufung der Interessen des Bürgers an stetigen und effektiven sozialen Institutionen mit angemessenen Leistungs- und Schutzstandards.

B. Das „Grundrecht" auf Kontinuität und Vertrauensschutz im Sozialrecht I. Die grundgesetzliche Verbürgung der Kontinuitätserwartung der Bürger 1. Unverbrüchlichkeit und Verläßlichkeit des Sicherungsversprechens des Sozialgesetzgebers Eng mit dem eigentumsrechtlichen Bestandsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen verzahnt, ist der Gedanke verfassungsrechtlicher Verbürgung berechtigter Erwartungen der Sozialbürger in die Fortexistenz eines bestimmten Standards sozialer Regelungen, die ihm soziale Sicherheit für die Wechselfalle des Lebens gewähren. Die Verläßlichkeit des sozialen Netzes auch in schlechten Zeiten bei Verknappung des ökonomischen Nährbodens des Sozialstaats bildet einen hochrangigen Wertungstopos, den das Grundgesetz über den Gedanken des Vertrauensschutzes gegenüber dem Dispositionsinteresse des Gesetzgebers zur Geltung bringt. Dazu führt das Gutachten der Transfer-Enquete-Kommission (Ziff. 551) aus: „Vertrauen in das Transfersystem heißt aber auch, daß der Staat Leistungsversprechungen, die er dem Bürger gegeben hat, einhält, selbst wenn ihm das aus finanziellen Gründen schwerfallen sollte. In vielen Bereichen der sozialen Sicherung müssen die Bürger langfristige Dispositionen treffen, die sie später nicht mehr oder nicht ohne materielle Nachteile korrigieren können. Glaubwürdig ist der Staat nur dann, wenn er zu den einmal getroffenen Regelungen steht, also die Kontinuität des geltenden Rechts wahrt". Auch die Bundesregierung bezeichnet die Verläßlichkeit des Systems sozialer Sicherheit „über den Tag hinaus" als unverzichtbares Ziel ihrer Sozialpolitik (Sozialbericht 1983, S. 6). 8 Vgl. RischejTerwey, DRV 1982, 177 (185).

13 Schlenker

D R V 1983, 273 (291): Praktische Konkordanz; Katzenstein,

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Aus den Gesichtspunkten der Beständigkeit des gesetzten Rechts und der Glaubwürdigkeit der staatlichen Ordnung formulierte Rupp-v. Brünneck eine „sozialstaatliche Kontinuitätsdirektive" 1 : Wenn der Staat einer bestimmten Gruppe von Bürgern Leistungen gewähre, um einem sozialen Bedürfnis Rechnung zu tragen, so dürfe er sich „nicht beliebig dieser Leistungen entziehen und die betroffenen einzelnen wieder sich selbst überlassen, das heißt, sie zum bloßen Objekt wechselnder Willensentscheidungen machen. Das vorausgegangene Tun verpflichtet ihn, der freiwillig oder unfreiwillig übernommenen sozialen Verantwortung auch weiterhin gerecht zu werden, soweit nicht höherrangige Interessen des Gemeinwohls entgegenstehen"2. Nach einer neueren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 3 realisiert der Gesichtspunkt der Verläßlichkeit der Rechtsordnung einen wichtigen Freiheitswert, nämlich das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und dessen Vollzug. Der Lebensplan des Bürgers wird heute mangels Eigenvorsorgemöglichkeit maßgeblich durch staatlich geordnete und—teilweise—finanzierte Sozialsysteme definiert, die nicht bloß Auffangfunktion für schicksalhafte Notlagen haben. Sie erklären vielmehr die Normalbefindlichkeiten eines jeden Lebens wie Alter, Krankheit, Invalidität, Unfall, Arbeitslosigkeit, Mutterschaft, aber auch die „Jedermannssituationen" wie Bildung und Ausbildung, Wohnen und sonstige Daseinsvorkehrungen zur elementaren Staatsaufgabe. In Zeiten verschlechterter ökonomischer Ausgangsbedingungen und eines kleiner werdenden „Finanzierungskuchens" kommt der verfassungsrechtlichen Verbürgung stabiler und verläßlicher Sozialsysteme höchste Bedeutung zu. Die gesetzlich fixierten Leistungs- und Sozialgestaltungsstandards dürfen nicht zum Spielball der Konjunktur werden, weil sonst ein gegen das Verläßlichkeitsgebot verstoßender Bruch des einmal abgegebenen Sicherungsversprechens vorliegt. I m Sinn eines rückschrittseindämmenden Wertungstopos hat der Vertrauensgedanke mehrschichtige Relevanz4, was ihn insofern als eigenständiges „Grund1

SV, BVerfGE 32, 129 (139); die Herleitung der Kontinuitätsverpflichtung aus der „Objektthese" Dürigs ist deutlich, s. Dürig, M D , Art. 1 I Rn 28. 2 Bezuggenommen wird auf das SV Rupp-v .Brünneck im SV des Richters v. Schlabrendorfl; BVerfGE 37, 414 (420 0 zum „Rentenbetrugsfall"; v. Schlabrendorff hielt — im Gegensatz zur Senatsmehrheit — die Beseitigung einer unmittelbar vor der Bundestagswahl 1972 eingeräumten Vergünstigung in der Rentenversicherung (vorgezogenes Altersruhegeld) schon kurz nach der Wahl für verfassungswidrig; der Rentenbetrugsfall gab auch Anlaß für die Erörterung Dürigs zur Staatsverdrossen heil im Hinblick auf die mangelnde Konstanz der Gesetzgebung, s. Zeit und Rechtsgleichheit, S. 21 (29); dort auch zur Objektthese im Zusammenhang mit der Deutung des Gleichheitssatzes als „Überraschungsverbot" und „Entzeitungsgebot"; s. auch Dürig, Disk.-Beitr., W D S T R L 32, 247 ff, 257 f. 3 BVerfGE 63,343 (357); s. auch BVerfGE 45,142 (168); 60,253 (268); vgl. Dürig, aaO, S. 26: Die Berechenbarkeit, Voraussehbarkeit und Meßbarkeit dessen, was einen erwartet, ist ein existenzielles Problem, weil jede rationale Lebensgestaltung davon betroffen wird.

B.I. Das „Grundrecht" auf Kontinuität und Vertrauensschutz

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recht auf Kontinuität" begreifen läßt. Dieses verbürgt in der subjektiven Perspektive Verläßlichkeit, welche die konkreten, vom Gesetzgeber geweckten Sozialerwartungen der Bürger im Hinblick auf die Fortdauer bestimmter sozialer Leistungen und Regelungen, auf die sie sich eingestellt haben, schützt. Gewährleistungsobjekt ist die Sicherheit und Beständigkeit des „eingerichteten und ausgeübten" individuellen Lebensplanes5. M i t dem subjektiven Vertrauensaspekt ist die Dimension umschrieben, die der Vertrauensschutzprüfung durch die Gerichte in den Bahnen der Rückwirkungslehre zugrundeliegt, welche einzelfall- bzw. gruppenbezogen an gegründete Sozialpositionen anknüpft 6 . Unverbrüchlichkeit, Stetigkeit, Berechenbarkeit und Verläßlichkeit der Sozialordnung sind aber auch objektivrechtliche Postulate an den Sozialgesetzgeber in der Zeitdimension 7 , die eine begrenzte Kontinuitätsverpflichtung im Hinblick auf die Einhaltung des einmal gegebenen Sicherungsversprechens begehren, eine Funktion, die das Gesetz selbst in Anbetracht der Schnellebigkeit der Lebensverhältnisse und rascher Reaktionen des Gesetzgebers offensichtlich nicht oder jedenfalls nicht mehr im gebotenen Umfang erfüllt 8 . Das vom Grundgesetz auf der objektiven und individualbezogenen Ebene verbürgte „Grundrecht des Sozialvertrauens" muß sich mit der letztlich vom Demokratiegebot 9 geforderten Anpassungs- und Veränderungsoffenheit der Rechtsordnung auseinandersetzen. U m eine zeitgerechte Sozial-, Gesellschafts-, Konjunktur- und Bildungspolitik betreiben zu können, bedarf auch die in den Sozialgesetzen versprochene Qualität sozialer Sicherheit einer begrenzten

4 Vgl. Pieroth, Rückwirkung, S. 137, 144 , der von einer subjektiven Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips als Vertrauensschutzgarantie und einer objektivrechtlichen Komponente der Rechtssicherheit ausgeht. 5 Zum Gedanken einer „Lebensplan-Sicherheit" durch staatliche Sozialsysteme s. Meydam, Eigentumsschutz, S. 99ff; Badura, FS BSG, S. 673 (693); Stober, D V B L 1984, 857 (863). 6 S. BVerfGE 45, 142 (168): Kraft des Rechtssicherungsgebotes darf der rechtsunterworfene Bürger nicht durch die rückwirkende Beseitigung erworbener Rechte über die Verläßlichkeit der Rechtsordnung getäuscht werden; s. auch BVerfGE 51, 356 (362); 59, 128 (164); 63,152 (175); zur Rückwirkungslehre s. Pieroth, aaO, S. 25 ff; Götz, BVerfG u. GG, S. 421 (423 ff); Grabitz, D V B L 1973, 673 (676 ff); Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 106 ff; Bauer, NVwZ 1984 220; s. näher unten I I 2. 7 Vgl. Dürig, M D , Art. 3 I Rn 194 ff, 219 ff; ders., Disk.-Beitrag VVDSTRL 32, 249; Leisner, FS Berber, S. 272 (294); Degenhart, Systemgerechtigkeit, S. 88,103 ff; ders., FS Scupin, S. 537 (545); ders., DOV 1981, 483; Kloepfer, DÖV 1978, 225 (230, 232); ders., VVDSTRL 40, S. 63 (81 ff); Ossenbühl, DÖV 1972,25 (27); Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, S. 14,22; ders., DÖV 1981,503 (506,508); Zacher, SF 1984,1 (8); Krause, DÖV 1984,740 (741); s. auch Häberle, ZfP 1974,111 ff,; ders., in: Zeit u. Verfassungskultur, S. 289; Schulin, NJW 1984, 1936 (1941). 8 Zum Umbau des Gesetzesbegriffes vom langlebigen Ordnungsinstrument zur ad hocWillensentscheidung der parlamentarischen Mehrheit s. Rupp-v. Brünneck, SV, BVerfGE 32,129 (139); Dürig, Zeit u. Rechtsgleichheit, S. 21, 29, 45 f; ders., M D , Art. 3 I Rn 225; der., Disk.-Beitrag VVDSTRL 32, 247 ff. y So richtig Leisner, aaO, S. 293; vgl. Preuss, JA 1977,265 (268); Pieroth, aaO, S. 122; Ossenbühl, DOV 1972, 25 (31 0-

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Variabilität, denn der Staat muß handlungsfähig gegenüber dem unvermeidlichen oder politisch gezielt gewollten Wandel der Lebensverhältnisse bleiben 10 . Trotz der Rücknahmeempfindlichkeit von Sozialgesetzen, die im Bereich der Elementarversorgungsfunktionen mit Existenz- oder Unterhaltssicherungscharakter besonders ausgeprägt ist, kann es keine starren, völlig rückschrittsresistenten Berechtigungen der Bürger geben. Die vom politisch verantwortlichen Gesetzgeber vorzunehmende Balance zwischen Statik und Dynamik des Sozialrechts, zwischen notwendiger Flexibilität der Sozialpolitik und dem sozialen Kontinuitätsvertrauen des Bürgers, das keine sprunghaften Veränderungen verträgt, wird sich an dem Leitbild des „sozialen Schonungsgebots" orientieren müssen 11 , eine Formel, die schon im Rahmen des Eigentumsschutzes von Sozialberechtigungen als rückschrittsdeterminierende Richtlinie vorgestellt worden ist (s. oben 3. Teil A I I I 1 und I I I 8 d).

2. Der Standort des Vertrauensschutzes im Grundgesetz und das Verhältnis zum eigentumsgesteuerten Sozialrechtsschutz Für die Exekutivakte rückholender Tätigkeit des Sozialgesetzgebers enthalten heute die allgemeinen oder besonderen Verwaltungs- bzw. Sozialverfahrensgesetze (s. §§ 48, 49 BVwVfG; §§ 47, 48 SGB-X) die Rücknahmevoraussetzungen, die das Vertrauensschutzprinzip konkretisieren. Die bereichsspezifischen Anknüpfungskriterien der gesetzlichen Widerrufsvorschriften für Verwaltungsakte entsprechen dem grundgesetzlichen Gebot des Vertrauensschutzes 1. Vorstufe von Eingriffen der Sozialverwaltung in individualisierte Sozialrechtsverhältnisse sind regelmäßig Veränderungen auf der Gesetzesebene, welche sich ihrerseits an dem durch die Verfassung gesteckten Rahmen halten müssen2. Allgemeine verfassungsrechtliche Grundlage des „Grundrechts auf Kontinuität", welches das Rücknahmeermessen des Sozialgesetzgebers relativ stark zügelt, ist das Rechtssicherheitsgebot des Art. 20 G G 3 . 10

So BVerfGE 63, 343 (357). S. Dürig, Zeit und Rechtsgleichheit, S. 27, der aus dem Gesichtspunkt der Bürgererwartung in die Konstanz von Gesetzen, den Gedanken eines Schonungsgebots entwickelt (S. 30)! 1 So BVerfGE 59,128 (167); eine undifferenzierte Übertragung der Vertrauensproblematik im Verwaltungsrecht auf die Stufe der Gesetzgebung ist allerdings nicht möglich, so zu Recht Kloepfer, W D S T R L 40, 63 (85); Pieroth, aaO, S. 122 f. 2 S. bes. § 4811 SGB-X; auch die Verschärfung der Kriterien für die Inanspruchnahme sozialer Vergünstigungen durch eine geänderte Rechtsprechung muß sich am Vertrauensschutzpostulat messen lassen, so BVerfGE 59, 128 (165). 3 S. EuGH DVBL 1984, 30 (32): Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit sind Bestandteil der Rechtsordnung der Gemeinschaft; vgl. H. Huber, FS 11

B.I. Das „Grundrecht" auf Kontinuität und Vertrauensschutz

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Allerdings bedarf es keines Rückgriffs auf das Rechtsstaatsprinzip, wenn eine Sozialposition vom Normbereich einer Verbürgung des Grundrechtskatalogs erfaßt wird 4 . Dann übernimmt das jeweilige Lebensbereichsgrundrecht als spezielle personale 5 Verfassungsgewährleistung in Konsequenz seiner multifunktionalen Bedeutung auch die Rolle einer Vertrauensschutzgarantie 6. Einer zusätzlichen Betrachtung über das Rechtssicherheitselement des Rechtsstaatsprinzips oder — wie es im Schrifttum mitunter vertreten wird — aus dem Sozialstaatsprinzip 7 oder dem Gleichheitssatz8 bedarf es neben der grundrechtsspezifischen Vertrauensschutzdirektive nicht. Für die erarbeiteten Rechtsstellungen des Sozialversicherungssystems hat der Vertrauensschutzgedanke im Eigentumsgrundrecht eine eigene Ausprägung gefunden 9. Dementsprechend realisiert sich der Gesichtspunkt der Erwartung in die prinzipielle Fortdauer des bisherigen gesetzlich gewährleisteten Versorgungsstandards als Teilelement des Eigentumsschutzes sozialrechtlicher Positionen. Grundrechtlicher Bestandsschutz für Sozialpositionen in ihrer daseinssichernder Funktion und der Vertrauensschutzaspekt sind nicht deckungsgleich. Die Vertrauensperspektive bildet vielmehr nur einen speziellen, freilich sehr wesentlichen Ausschnitt des sozialrechtlichen Bestandsschutzes10. Die Gewährleistung von Rechtsstellungen des sozialen Netzes kraft Grundrechtssicherung geht über den Verläßlichkeitsaspekt hinaus, da der grundrechtliche Bestandsschutz die daseinssichernde Bedeutung der Sozialposition als Teil einer SozialBVerwG, S. 313 mit einem Vergleich zur Verwirklichung des Vertrauensschutzprinzips nach deutschem u. schweizer Recht; s. auch Pernice , Grundrechtsgehalte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 186 ff. 4 Aus dem Schrifttum s. Kisker, VVDSTRL 32, 149 (162); Pieroth, aaO, S. 136; Degenhart, Systemgerechtigkeit, S. 103; Götz, aaO, S. 437; Grabitz, aaO, S. 678 (682). 5 Einseitige Betonung des vermögensrechtlichen Aspektes des Vertrauensschutzes bei W. Schmidt, JUS 1973, 529 ff, der konsequent ausschl.Art. 14 GG zum Vertrauensmaßstab macht; ähnlich Salzwedel, Die Verwaltung 1972, S. 11 (26); Papier, VSSR 1973, 33 (46); kritisch dazu Kisker, aaO, S. 181 ff; Preuss, JA 1977,271; Degenhart, Systemgerechtigkeit, S. 103 f; Pieroth, aaO, S. 125 ff. 6 Anders Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, S. 22; ders., DÖV 1981, 503 (511), der das Vertrauensschutzprinzip außerhalb der Grundrechte ansiedelt und von eimem rechtsstaatlichen Kontinuitätsgebot ausgeht; ebenso Leisner, aaO, S. 294. 7 Das Sozialstaatsprinzip erwähnt im Zusammenhang mit dem Vertrauensschutzgedanken Rupp-v.Brünneck, SV, BVerfGE 32,129 (139 ff); Götz, aaO, S. 422; Nicolay sen, FS Schack, S. 119 (123); Preuss, aaO, S. 316. 8 Zur Ableitung des Kontinuitätsgebots aus Art. 3 I GG s. Dürig, M D , Art. 3 I Rn 219 ff; ders., Zeit und Rechtsgleichheit, aaO, S. 29; Disk.-Beitr. VVDSTRL 32, 249; Degenhart, Systemgerechtigkeit, S. 104: Zurückbleiben des Gesetzgebers hinter dem von ihm selbst ausgeformten Standard grundgesetzlicher Sozialstaatlichkeit ist materielles Willkürindiz; dazu kritisch Preuss, aaO, S. 269 f; Kloepfer, DÖV 1978,215 (227); Pieroth, aaO, S. 145 f. 9 So die jetzt gefestigte Rechtsprechung, die auf die Entscheidungen zum Urheberrecht zurückgeht: BVerfGE 31,275 (293); 36,281 (293); 45,142 (168); 53,257 (309); 58,81 (121); 64, 87 (104); aus dem Schrifttum s. Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 178; Krause, Eigentum, S. 203; Katzenstein, VSSR 1982, 167 (199). 10 Deutlich BVerfGE 58,81 (109 ff, 120 ff); 64,87 (98 ff, 104 ff); Badura SGb 1984,398 f.

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

aufgabe erfaßt und nicht nur den subjektiven „Sozialerwartungshorizont" des Bürgers abdeckt. Neben dem eigentumsspezifischen Vertrauensschutz von Teilhabestellungen des Sozialversicherungssystems bilden Art. 61, IV sowie Art. 33 V GG spezielle Verläßlichkeitsgarantien für die von ihnen normbereichlich umfaßten Sozialund Versorgungsrechte 11. Da alle Grundrechte des Grundgesetzes als mehrdimensionale Wertungsfaktoren eine Vertrauensschutzkomponente besitzen, stellen sie alle potentielle Kontinuitätsverbürgungen dar, soweit ihnen grundrechtsfortbildend eine Schutzdimension für Sozialgüter zugesprochen wird. Erfaßt man daher soziale Fürsorge- und Schutzrechte über Art. 2 I I G G oder Teilhabeberechtigungen an staatlichen Bildungs- und Arbeitsförderungseinrichtungen über Art. 12 G G 1 2 , sind diese Grundrechte normbereichsspezifische Verläßlichkeitsgarantien. Im Zeichen der „Offenhaltungs-Rechtsprechung" zum Eigentumsschutz sozialer Rechtspositionen realisierte die Rechtsprechung den Vertrauensaspekt am Maßstab der Rückwirkungslehre 13 . Der aus dem Rechtsstaatsprinzip gesteuerte Vertrauensschutz hat Auffangfunktion für alle diejenigen Sozialpositionen, die in der Interpretation von Rechtsprechung und Schrifttum nicht grundrechtsspezifisch erfaßt werden, also nach herrschender Meinung vor allem in Bezug auf die Vielzahl steuerfinanzierter, einseitiger Sozialleistungen14. Auch solche Positionen innerhalb des Sozialversicherungssystems, denen — noch — keine Eigentumsqualität bescheinigt wird oder die Rechtsstellungen15 ohne ausreichende Nähe zum Leistungskriterium darstellen, werden von der rechtsstaatlichen Kontinuitätsverbürgung abgefangen. So ist der Ausschluß des Rechts zur freiwilligen Weiterversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 1233 RVO) für Ausländer, die in ihren Heimatstaat zurückkehren, aufgrund einer Vertrauensgewichtung im Rahmen der Rückwirkungslehre für verfassungswidrig erklärt und der Gesetzgeber zur Schaffung angemessener Überleitungsregelungen verpflichtet worden 16 . 11 Das Vertrauensschutzgebot hat für das Beamtenverhältnis in Art. 33 V GG eine eigene Ausprägung erfahren, s. BVerfGE 52,303 (345); 55,372 (396); dasselbe gilt für Art, 6 I, IV GG, s. dazu Pieroth S. 369. 12 In Konsequenz der Auffassung, daß sämtliche sozialrechtlichen Versorgungsansprüche statusbildenden Charakter besitzen, entwickelt Preuss, JA 1977, 265 ff, 315 ff ein umfassendes sozialrechtliches Kontinuitäts- und Vertrauensschutzgebot aus Art. 12. 13 S. etwa BVerfGE 31, 185 (192 f); 36, 73 (82 f); 37, 363 (397 ff); 40, 65 (75 ff) 14 S. Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 171; Wannagat, FS Weber, S. 819 (830); ders, FS Peters, S. 171 (179,181); aus der Rechtsprechung s. BVerfGE 30, 367 (386 ff); 48,403 (413). 15 Ob das BVerfG in Zukunft eine Aufspaltung von Sozialversicherungspositionen in Teilelemente befürwortet, erscheint zweifelhaft, da das Gericht im Ausbildungsausfallzeitenbeschluß, BVerfGE 58, 81 (109) betont hat, daß die sozialversicherungsrechtliche Position immer „insgesamt" Schutzobjekt der Eigentumsgarantie ist. 16 BVerfGE 51, 356 (362 ff); s. auch BVerfGE 24, 220 (225 ff) -Weiterversicherungsrecht-; 14, 288 (294 ff) -Selbstversicherungsrecht-; im Kurenbeschluß, BVerfGE 63, 152

B.I. Das „Grundrecht" auf Kontinuität und Vertrauensschutz

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Obwohl eine umfassende Einbeziehung sozialer Rechtsstellungen in grundrechtliche Schutzzonen erstrebenswert ist, sind die Maßstäbe des im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vertrauensschutzes und des grundrechtsspezifischen Kontinuitätsschutzes kongruent. Beide verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkte münden, dies hat das Bundesverfassungsgericht im Rentenanpassungsbeschluß hervorgehoben 17 , in eine Abwägung ein zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens oder besser: der Verletzung der personalen Sicherungserwartung und dem Gewicht, welches das gesetzliche Anliegen einer Absenkung des Sozialstandards für das Wohl der Allgemeinheit hat. Über die Abwägungsmaxime wird die Bürgererwartung für die Fortexistenz des vom früheren Gesetzgeber abgegebenen Sicherungsversprechens gegenüber dem rückholwilligen Gesetzgeber zur Geltung gebracht und diesem so eine relativ strenge personale Bindung aus dem Vertrauensschutzgedanken auferlegt.

3. Vorschläge im Schrifttum für ein rechtsstaatsorientiertes Kontinuitätsgebot und Plädoyer für einen umfassenden grundrechtsspezifischen Sozialrechtsschutz Teilweise wird in der Literatur die Auffassung vertreten, eine breite Vertrauenssicherung verankert im Rechtssicherheitsgebot des Rechtsstaatsprinzips genüge, um eine hinlängliche verfassungrechtliche Bindung des änderungswilligen Sozialgesetzgebers an die ihm aufgegebene Sozialverantwortung zu erzielen. Eine ausschließlich im Rechtsstaatsprinzip verwurzelte Determination des Gesetzgebers soll ein vor allem gegenüber dem Eigentumsschutz überzeugenderes und geschlosseneres Instrumentarium für eine grundgesetzliche Abstützung sozialer Berechtigungen bieten, das eine flexible und elastische Reaktion des Staates auf die Dynamik der wirtschaftlichen und sozialpolitischen Entwicklung erlaubt. Vor allem H. Bogs und Papier haben einige Jahre vor den in eine andere Richtung weisenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Versorgungsausgleich und den Ausbildungsausfallzeiten eine spezifisch sozialrechtliche Kontinuitätsdirektive in Aufwertung des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzips und seiner Ausprägung in der Rückwirkungslehre entwickelt 1 . Diese rechtsstaatsorientierte Linie in Absage an eine grundrechtliche Veranke(174 f) ist ein Eigentumsschutz wegen des Ermessenscharakters von Reha-Leistungen verneint worden und dafür eine Prüfung an der Kategorie der unechten Rückwirkung erfolgt. 17 BVerfGE 64, 87 (104); ebenso Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 179. 1 H. Bogs, RdA 1973,26; ders., Staat der Gegenwart, S. 612 ff; Papier, VSSR 1973, 33 (48 ff); später einschränkend in: Sozialrechtslehrertagung, S. 193 (195, 207 f); ders., M D , Art. 14, Rn 144,147; ders., jetzt wieder unter Betonung des Vertrauensschutzprinzips in SGb 1984,412; ähnlich Nicolaysen, FS Schack, S. 107 (119 ff); Meydam, Eigentumsschutz, S. 93 ff.

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

rung von Positionen des sozialen Netzes wird auch heute noch u.a. von H. Schneider und Burmeister vertreten 2. Inhaltlich lehnt sich das Modell einer durch das Rechtsstaatsprinzip gesteuerten Absicherung des sozialen Netzes dicht an die Struktur und die Maßstäbe an, die die Rechtsprechung zur Rückwirkungslehre entwickelt hat. Es wird im Grunde nur die abgestufte und abwägende Betrachtung zur echten und unechten Rückwirkung von Gesetzen übernommen und durch spezifisch sozialrechtliche Flexibilitäts- und Verläßlichkeitsaspekte angereichert 3. Die behauptete „Fremdheit" der Grundrechte des Grundgesetzes gegenüber sozialen Rechtstatbeständen, die vom Staat selbst geschaffen oder organisiert werden 4 , die mangelnde Eignung speziell des Eigentumsgrundrechts als Schutznorm für Sozialversicherungsberechtigungen aufgrund der fehlenden strikten Äquivalenz von Beitragszahlung und erworbener Sozialposition5 und immer wieder die Zementierungs- und Blockadefurcht im Falle eines grundrechtsbezogenen Sozialrechtsschutzes6 kennzeichnen die Stimmen, die das Vertrauensschutzelement des Rechtsstaatsprinzips als alleinigen Stabilitäts- und Verläßlichkeitsfaktor des Sozialstaats genügen lassen wollen. Diesen Bedenken kommt nach dem hier geforderten Konzept einer, alle Sozialfunktionen und Teilhabeberechtigungen umfassenden, nach Lebenssachverhalten differenzierenden, multifunktionalen Grundrechtssteuerung des Sozialstaats, keine Bedeutung zu. Ein ausschließlich im Rechtsstaatsprinzip verwurzeltes Konstanzgebot ignoriert den freiheitsverwirklichenden, existenzdefinierenden Stellenwert einer aufgrund der gesellschaftlichen Gegebenheiten notwendig komplexen und dichten sozialen Sicherung des Bürgers durch staatlich getragene Systeme. Es vernachlässigt den grundrechtlichen Anspruch einer umfassenden Gewährleistung der Freiheit des Bürgers, die heute eben gerade durch soziale Institutionen mit vielfaltigen Daseinssicherungsberechtigungen für die Wechselfälle des Lebens erst ermöglicht wird 7 . Die erklärte Absicht, durch eine rechtsstaatsgesteuerte Vertrauensschutzthese nur lockere, grobmaschigere Maßstäbe für eine verfassungsrechtliche Einbindung des Veränderungs- und Abbaubeliebens des Sozialgesetzgebers im Ver2 H. Schneider, Der verfassungsrechtliche Schutz von Renten der Sozialversicherung, S. 1 ff; Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, S. 11 ff; ders., DÖV 1981, S.503. 3 S. H. Bogs, RdA 1973, S. 26 (31 ff); ders, Staat der Gegenwart, S. 613 ff; Papier, VSSR 1973, 33 (49 ff); Meydam, aaO, S. 96; Nicolaysen, aaO, S. 119. 4 S.Meydam, aaO, S. 41 ff, 53 f; Nicolaysen, aaO, S. 110 ff; H. Bogs, Staat der Gegenwart, S. 610. 5 H. Bogs, RdA 1973,26 (29); ders, Staat der Gegenwart, S. 611; Meydam, aaO, S. 88 f; Schneider, aaO, S. 19 ff; Papier, VSSR 1973,33 (46); ähnlich auch Isensee, FS Broermann, S. 365 (378 f); Scholz, Rezessionsgesellschaft, S. 41 f. 6 S. etwa Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, S. 21; Papier, VSSR 1973, 33 (39); ders, Sozialrechtslehrertagung, S.194; ders, M D , Art. 14 Rn 121. 7 Berechtigte Kritik an der Konzeption von H. Bogs und Papier bei: Rohwer-Kahlmann, SGb 1975, 161 ff; zum leistungsstaatlichen Grundrechtsverständnis s. oben 3. Teil A l l .

Β. II. Dichte des Vertrauensschutzes

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gleich zu einer grundrechtsspezifischen Abstützung zu gewinnen 8 , kollidiert unversöhnlich mit dem sozialen Geltungswillen der Grundrechte. Nur die grundrechtliche Erfassung aller staatlichen Sozialleistungen, nicht nur der Eigentumsschutz von Sozialversicherungsberechtigungen, kann dem menschbezogenen Anspruch des Grundgesetzes gerecht werden, der den einzelnen nicht mehr nur als bloßes Zuweisungsobjekt staatlich eingeräumter Ansprüche auf Sozialhilfe im Falle der Not begreift, sondern als Mitglied eines faktische Freiheitsausübung erst ermöglichenden sozialen Netzes mit verläßlichen Sozialteilhaberechten sieht 9 . Flexibilitätserfordernissen des demokratischen Sozialstaats wird im Rahmen des grundrechtlichen Sozialrechtsschutzes über das Instument der Abwägung Rechnung getragen. Der vertrauensrechtliche Aspekt, der Basis des rechtsstaatlichen Kontinuitätsgebots ist, berücksichtigt nur ein, wenngleich wesentliches Element verfassungsrechtlicher Verbürgung sozialer Sicherheit, nämlich den der subjektiven Sozialerwartung in die Fortdauer schon gegründeter Sozialpositionen. Die funktionale, am Daseinssicherungscharakter orientierte Bedeutung sozialer Rechte findet bei einer nur an der individuellen Sozialerwartung ausgelegten Kontinuitätsdirektive keine ausreichende Beachtung. Der das Rechtsstaatsprinzip als Ausgangspunkt nehmende sozialrechtliche Verläßlichkeitsschutz ist daher kein adäquates Modell für die Bewältigung der Gefährdungslage des „Sozialstaats im Rückschritt".

II. Dichte des Vertrauensschutzes 1. Abschichtung des Sozialvertrauens anhand der Abwägungsmaxime Erwartungen des Bürgers in die Dauerhaftigkeit einer Rechtslage, die ihm soziale Sicherheit oder andere sozialrelevante Vorteile verspricht, können von Verfassungs wegen niemals absolut geschützt werden, sondern sind, wie andere Rechtsbeständigkeitshoffnungen, in die allgemeinen Zeitumstände hineingestellt 1 . 8 S. H. Bogs, RdA 1973, 26 (30 f)> der das Zurückbleiben der vertrauensrechtlichen Erhaltungskraft hinter dem eigentumsrechtlichen Bestandsschutz als „von der Sache her erwünschte" Zielrichtung begreift; Schneider, aaO, S. 29: Grobe Raster müssen in Kauf genommen werden; Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, S. 11 ; ders., DÖV 1981, 503 (505). 9 Vgl. SV Rupp-v. Brünneck, BVerfGE 32, 129 (142); Rohwer-Kahlmann, aaO, S. 163, 166; Wannagat, FS Peters, S. 171 (172,178 f); Bendai Kreuzer, ZSR 1974,1 (15 f); Häberle, Leistungsstaat, S. 80 ff; ders., JZ 1984, 345 (350 ff); Haverkate, ZRP 1984, 217 ff; anders die Auflassung von Heinze, DJT-Gutachten, S.44,78, der nur einen Auffangcharakter des Sozialsystems anerkennen will. 1 S. Degenhart, BayVBL 1984,103 (106): Auch die Gewährung von Vertrauensschutz muß unter dem grundsätzlichen Vorbehalt des Möglichen gesehen werden.

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Das Sozialrecht ist allerdings eine besonders änderungs- und vor allem abbausensible Materie, kollidiert hier doch hart das Prinzip der Verläßlichkeit der Sozialordnung als hochrangigem Freiheitswert, der die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und dessen Vollzug hervorhebt, mit der Dynamik des politischen Prozesses, dem die grundsätzliche Anpassungsfähigkeit an variierende externe Verhältnisse und einen Wandel der Lebensverhältnisse nicht durch statische Grundgesetzgarantien geraubt werden darf 2 . Die Konfliktlage zwischen individualbezogener Beharrungsperspektive und notwendiger, demokratisch legitimierter Offenheit und Flexibilität des sozialpolitischen Prozesses wird auf der Ebene der Verfassung in der Abwägungsmaxime aufgefangen, die konkretisierend die Anforderungen des Vertrauensschutzgebotes und das Dispositionsinteresse des Gesetzgebers zu schonendem Ausgleich auszubalancieren sucht. Über das Instrument der Abwägung wird der vertrauensrechtliche Gehalt rücknahmebetroffener Sozialrechte grundrechtsspezifisch ermittelt. 2. Graduelle Abstufungen der Vertrauensdichte Die Intensität verfassungsrechtlicher Verbürgung der Verläßlichkeitserwartung lehnt sich eng an die Gesichtspunkte an, die die eigentumsrechtliche Bestandsabschichtung von Sozialversicherungsberechtigungen markieren (s. oben A I I I 4-8). In den Kategorien der echten und unechten Rückwirkung erblickt die Rechtsprechung nach wie vor 1 vertrauensspezifische Abstufungen in der temporären Dimension, die Indiz für eine stärkere oder schwächere Vertrauensverdichtung auf Bürgerseite sind mit der Folge einer am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten engeren oder weiteren Kontinuitätsbindung des Gesetzgebers 2. Legt man den Maßstab der Rückwirkungslehre an, so kann festgestellt werden, daß im Sozialrecht eine echte, bereits verflossene Zeitabschnitte betreffende Rückwirkung kaum vorstellbar ist, da soziale Rechtsbeziehungen zwischen Bürger und Leistungsträger ein gegenwärtig noch nicht abgeschlossenes Sozialverhältnis darstellen, in das der rücknahmewillige Gesetzgeber regelmäßig nur mit Wirkung für die Zukunft verschlechternd eingreifen wird 3 . 2

BVerfGE 51, 356 (363);60, 253 (268); 63, 152 (175); 63, 343 (357). Vgl. aber BVerfGE 63,343 (353 ff) -Rechtshilfevertrag-; 64,158 (174) -Dienstzeitprämie-; in diesen Entscheidungen entfallt die ausdrückliche Differenzierung in echte und unechte Rückwirkung zugunsten des Prüfungsmaßstabes der „Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes i.V. mit Art. 21"; ob das Gericht allerdings dort seine Rückwirkungslehre aufgegeben hat, wie Bauer, NVwZ 1984, 220 (221) vermutet, erscheint fraglich. 2 In diesem Sinn auch Kloepfer, W D S T R L 40 (1981), S. 63 (83); Grabitz, D V B L 1973, 675 (678); Salzwedel, Die Verwaltung 1972, 11 (16). 3 Ebenso Zacherl Ruland, SGb 1974, 441 (444); Rüfner, VSSR 1974, 68 (89); Stober, Sozialrechtslehrertagung, S. 63; ders., D V B L 1984, 857 (863). 1

Β. II. Dichte des Vertrauensschutzes

203

Wenn Anwartschaften geschmälert werden, ist schon wesensmäßig ein nicht beendeter Rechtstatbestand gegeben, bei dem die Möglichkeit von Änderungen von vornherein angelegt ist 4 . Kürzungen schon falliger, zum Vollrecht erstarkter Sozialpositionen erfolgen regelmäßig durch zukunftsgerichtete Eingriffe, da eine nachträgliche Reduktion für eine bereits vergangene Gewährperiode bei sozialen Daseinssicherungsrechten kaum denkbar ist 5 . Soweit echte und unechte Rückwirkung im Sinne eines zeitlichen Abschichtungsmodells mit höchsten Schranken bei vergangenheitsbezogenen Eingriffen und lockerer Bindung bei zukunftsgerichteten Veränderungen verstanden wird, hat diese Differenzierung ihre Berechtigung 6. Gewichtiger als die Frage der echten oder unechten Rückwirkung ist bei Einschnitten in Sozialverhältnisse allerdings die Feststellung von Stufen der verfassungsverbürgten Vertrauensdichte nach dem Grad des Angewiesenseins und der Abhängigkeit des Bürgers von den betroffenen Rechtsstellungen. Der zeitliche Aspekt spielt hierfür eine ausschlaggebende Rolle, weil die Dauer der Einbindung in ein Sozialverhältnis die Abhängigkeit des Bürgers und das Verläßlichkeitsvertrauen in die Fortexistenz von Leistungen steigert. Ein erhöhtes Beständigkeitsvertrauen infolge des Angewiesenseins des Bürgers ist nicht nur im Sozialversicherungsrecht festzustellen, sondern bei sämtlichen Positionen des sozialen Netzes, die sich durch ein intensives Gebrauchtmachen seitens der Betroffenen auszeichnen. Die LebensunterhaltsLeistungen des Sozialhilferechts, des Rechts der sozialen Entschädigung und auch der Ausbildungsförderung zeigen dies 7 . Im Elementarversorgungssystem der Sozialversicherung ist die Erwartung der Versicherten in die Beständigkeit der Leistungen besonders ausgeprägt, denn der durchschnittlich verdienende Arbeitnehmer ist zwangsweise in die Solidargemeinschaft inkorporiert, was ihn gleichzeitig davon abhält, eine eigene Vorsorge für die Wechselfalle des Lebens aufzubauen, soweit ihm dies überhaupt aus eigener Kraft möglich wäre 8 . 4

BVerfGE 11, 221 (226); 22, 241 (248); 58, 81 (110); BSGE 33, 177 (185). Im Rentenbetrugsfall, BVerfGE 37, 363 (397 f), ging das BVerfG von einer echten Rückwirkung aus, weil das 4. Rentenversicherungsänderungsgesetz vom 30. 3. 1973 rückwirkend zum 1. 1. 1973 die günstigen Regelungen über die flexible Altersgrenze teilweise außer Kraft setzte; einen Vertrauenstatbestand erkannte die Senatsmehrheit aber nicht, da die Betroffenen mit einer Änderung der Vorschriften über das vorgezogene Altersruhegeld aufgrund des Parlamentsbeschlusses vom 20. 12. 1972 hätten rechnen müssen; vgl. aber SV v. Schlabrendorff\ S. 414 ff, wonach das 4. Rentenversicherungsänderungsgesetz „den Stempel des Verstoßes gegen Treu und Glauben an der Stirn" trage (S. 420); auch im Falle des Bundesentschädigungsgesetzes, BVerfGE 30, 367 (385 fï) wurde eine echte Rückwirkung angenommen. 6 S. Zacher/Ruland, SGb 1974, 441 (444); Stober, Sozialrechtslehrertagung, S. 62 ff; Katzenstein, VSSR 1982, 167 (175 f)· 7 So richtig H. Bogs, RdA 1973, 26 (32). 8 S. BVerfGE 51, 356 (363); 63, 152 (175); Rüfner, Sozialrechtslehrertagung, S. 179; ders., JZ 1984, 801 (803). 5

204

Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Der Bürger richtet sich gezwungenermaßen auf ein gutes und verläßliches Versorgungssystem ein, woraus die Transfer-Enquete-Kommission 9 den Schluß gezogen hat, daß der Staat sein Leistungsversprechen grundsätzlich einhalten und Kontinuität wahren muß, selbst wenn ihm dies aus finanziellen Gründen schwerfallen sollte. Vor allem den schon längere Zeit im Sozialversicherungssystem integrierten Bürgern ist daher ein großes Maß an „Vertrauendürfen" durch das „Grundrecht der Kontinuität" von Verfassungs wegen zugesichert, mit der Folge, daß insoweit ein dichtes Netz rückschrittsfester bzw. nur in geringem Umfang kürzungsfähiger Sozialpositionen besteht. Das Vertrauen in den Fortbestand der geltenden Rechtslage ist vor allem bei älteren und kranken Menschen ausgeprägt und folglich schutzbedürftig. Daraus folgt, daß das Vertrauen des Bürgers umso weniger enttäuscht werden darf, wenn er durch eine Änderung gegenüber den Risiken des Lebens, die durch die Sozialversicherung gerade abgedeckt werden sollen, in eine wesentlich ungünstigere Lage gerät, die er aus eigener Kraft nicht mehr bewältigen kann 1 0 . Einen Vertrauensverstoß nahm das Bundesverfassungsgericht im Fall der Streichung der Weiterversicherungsberechtigung für ins Ausland zurückgekehrte Ausländer an, denn die Mehrzahl der Betroffenen war dadurch außerstande gesetzt, eine neue adäquate Vorsorge aufzubauen, was auch nicht durch die hälftige Rückerstattung der eingezahlten Sozialversicherungsbeiträge kompensiert werden konnte 1 1 . Die Folgen einer Verletzung des Vertrauensschutzprinzips kann der Gesetzgeber ggf. dadurch abfangen, daß er Übergangsregelungen schafft, die Ausnahmen für besonders hart betroffene Personenkreise oder einen ratenweisen Vollzug des Rücknahmegesetzes vorsehen 12 . Gerade Vertrauensschutzabwägungen können Anlaß und Gebot für den Sozialgesetzgeber sein, Übergangsrecht einzuführen, das seinerseits Ausfluß der Abschichtung nach dem Grad der berechtigten Sicherungserwartungen des Bürgers ist 1 3 . 9 S. Transfer-Enquete-Komm., Teilz. 552: Personen, die dem jeweiligen sozialen Sicherungssystem schon längere Zeit angehören, sollten zwar keinen Anspruch darauf haben, auch in Zukunft Anwartschaften in derselben Höhe wie bisher zu erwerben. Bei Reformen ist jedoch zu berücksichtigen, daß diese Personen Reduzierungen des Versorgungsniveaus in der Regel nicht mehr durch private Vorsorge korrigieren können. 10 So BVerfGE 40,65 (76); vgl. auch BVerfGE 65,196 (214), wo im Zusammenhang mit dem Bestandsschutz von Rechtsstellungen der betrieblichen Altersversorgung festgestellt ist, daß der Vertrauensschutz im Altersversorgungsrecht besonders stark ausgeprägt ist. 11 BVerfGE 51, 356 (364 ff). 12 Zur Pflicht einer weichen Abfederung bei der Einführung neuen, verschlechternden Rechts als Resultat von Bestandsschutzerwägungen, s. oben A I I I 3; s. BVerfGE 51, 356 (368); SV Bendai Katzenstein, BVerfGE 58, 129 ff; H. Bogs, R d A . 1973, 26 (32): Teilregelung des Vertrauensschutzprinzips ist das Gebot zu gleitenden Übergängen. 13 S. BVerfGE 51, 356 (368 f)' Der Gesetzgeber ist gehalten, Übergangsregelungen zu treffen, die solchen Ausländern im Ausland, die bereits von ihrem Recht auf freiwillige Weiterversicherung Gebrauch gemacht haben, die Möglichkeit gibt, ihr Versicherungsverhältnis fortzusetzen. In der Gestaltung der Übergangsvorschriften ist der Gesetzgeber frei, jedoch muß er Eingriffe in bestehende Vertrauenstatbestände in Abwägung mit der

Β. II. Dichte des Vertrauensschutzes

205

Vertrauenswahrende Besitzstandsregelungen können vor allem große, strukturverändernde Reformen verzögern, was bei der Neuordnung der Alters- und Hinterbliebenenversorgung von Bedeutung sein wird.

3. Vertrauensabschwächende Gesichtspunkte a) Der Sozialerwartungshorizont Veränderlichkeit

der Bürger zwischen Stabilität und der Sozialordnung

Trotz hohen Kontinuitätsinteresses der Bürger an einem ungeschmälerten Fortbestand von Versorgungspositionen des sozialen Netzes muß der Gesetzgeber befugt bleiben, evtl. mittels abfedernder, Vertrauensbrüche mildernder Übergangsvorschriften, neues Recht einzuführen, das Umstellungen und Absenkungen im sozialen Standard bewirkt und insofern Enttäuschung bei den Betroffenen hervorruft. Gerade auch im Bereich der Sozialversicherung müssen aus Gründen des Allgemeinwohls neue Regelungen getroffen werden können, die auf gesellschaftspolitische Veränderungen, sozialpolitisch bedenkliche Fehlentwicklungen und schrumpfende Finanzressourcen der Solidargemeinschaften reagieren 1. Da der Bürger über derartige Veränderungsbelange generell Kenntnis hat, er lebt „in der Zeit", ist seine Rechtsbeständigkeitserwartung von vornherein in gewissem Umfang relativiert 2 , wenngleich sein Vertrauen auf stabile staatliche Sozialeinrichtungen mit angemessenem Niveau gerade in schlechten Zeiten groß ist. Das Abwägungsschema absorbiert auf der Verfassungsebene den Situationsfaktor und zeigt als Ergebnis des Abwägungsprozesses dem Sozialgesetzgeber die vertrauensspezifischen Grenzen auf, an denen seine Handlungs- bzw. Abbaufreiheit endet. Die Gemeinwohlbelange, welche die Erwartung der Bürger in die Fortdauer eines einmal vom Gesetzgeber abgegebenen Sicherungsversprechens relativieren und im Einzelfall auch überwiegen können, sind dieselben, welche die Formel des „sozialen Bezugs" eigentumsgeschützter Sozialversicherungsberechtigungen im Sinne von Rücknahme-Kriterien ausfüllen (s. oben A I I I 5-8). Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit abmildern; s. auch Bendai Katzenstein, aaO, S. 134 ff; Rüfner, JZ 1984, 801 (803); vgl. die Übergangsregelung im Haushaltsbegleitgesetz 1984 wegen der drastischen Einschränkungen für den Bezug von Erwerbsunfähigkeits- und Berufsunfahigkeitsrenten durch freiwillig Versicherte, dazu kritisch Platzer, SGb 1984, 179. 1

S. BVerfGE 51, 356 (363); 58, 81 (129); 63, 152 (175); 64, 87 (105). S. Sozialbericht 1983, S. 6: „ Die Bürger erwarten geradezu, daß unter realistischer Einschätzung der aktuellen und künftig sich abzeichnenden Entwicklungen Anpassungen im Bereich der sozialen Sicherung vorgenommen werden". 2

206

Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Vertrauensabschwächende Bedeutung kommt daher zunächst den sozialpolitik-internen Rückholmotivationen zu, die Fehlentwicklungen im sozialen Gefüge entgegensteuern sollen, also insbesondere die Gesichtspunkte des Abbaus unerwünschter Über- und Doppelversorgungslagen oder priviligierender Sozialstellungen, des Ausschlusses von Mißbrauchsquellen oder das gewichtige öffentliche Interesse einer Berücksichtigung „verschobener" sozialer Bedarfslagen 3. Das Finanzierungsargument, das mit den genannten sozialpolitischen Veränderungsgründen regelmäßig verwoben ist, macht auch vor Vertrauenstatbeständen nicht halt 4 . Der Grundsatz der sparsamen Haushaltsführung, der Zwang zur Konsolidierung der Ausgaben in den Solidargemeinschaften beeinträchtigt das Sozialvertrauen, denn auch der Finanzierungsaspekt geht nicht am Erwartungshorizont der Bürger vorbei. Dies gilt vor allem dann, wenn der Vertrauensaspekt nur schwach tangiert wird, weil die Reduktion von Sozialleistungen vergleichsweise geringfügig ausfallt 5 . b) Das Voraussehbarkeitskriterium

im Sozialrecht

Die allgemeine Voraussehbarkeit zeitweiliger oder längerfristiger Finanzierungsschwierigkeiten des Sozialhaushalts oder der Budgets der Solidargemeinschaften aufgrund einer Verschlechterung der ökonomischen Daten oder gesellschaftspolitischen Verschiebungen (demographische Entwicklung) erwächst aber nicht zu einem automatischen Änderungsfaktor. Das Bewußtsein der Bürger in die Begrenztheit der Mittel genügt keineswegs, um soziale Austeilungen einem unbegrenzten Leistungsfähigkeitsvorbehalt zu unterstellen, der den Widerruf oder die Reduktion von Leistungen zur Anpassung an die vorhandenen Mittel jederzeit erlaubte. Die Bürger haben ihr Vertrauen zwangsweise in die Stabilität der Sozialinstitutionen mit adäquatem Standard investiert, das nicht über das Kriterium der Voraussehbarkeit von Mittelschrumpfungen ohne weiteres aufzuweichen ist 6 . Das Voraussehbarkeitskriterium ist nach herrschender Meinung der maßgebliche Faktor, der Vertrauenspositionen entweder gar nicht entstehen läßt oder diese entscheidend schwächt7. 3

S. dazu oben A I I I 7. S. BVerfGE 48, 403 (418); 58, 81 (124); 63, 152 (176); 64, 87 (105); deutlich SV Bendai Katzenstein, aaO, S. 133: M i t Veränderungen vor allem besonders günstiger Positionen muß der Betroffene dann rechnen, wenn dies die verringerte Leistungsfähigkeit des sozialen Schutzsystems aufgrund gesamtwirtschaftlicher Entwicklungen erfordert. 5 Dazu die Berechnungen im Ausbildungsausfallzeitenbeschluß BVerfG 58, 81 (122). 6 Vgl. BVerfGE 40,65 (80); 59,128 (170): Das öffentliche Interesse an einer Beseitigung der Belastung der öffentlichen Haushalte wiegt nicht von vornherein schwerer als die individuellen Interessen der Betroffenen; Transfer-Enquete-Komm., Teilz. 551; F .Müller, Leistungsrechte, S. 161. 7 S. BVerfGE 14, 288 (298); 30, 367 (387); 36, 73 (82); 37, 363 (398). 4

.II. Dichte des Vertrauensschutzes

207

Der Topos der Voraussehbarkeit ist zumindest für den Bereich des Sozialrechts als Kriterium zur Ermittlung grundgesetzlich gefestigter Vertrauenszonen nur bedingt tauglich. Alle Bürger wissen über die „Lebendigkeit des Rechts", das sowohl auf außerrechtliche Gegebenheiten als auch auf Spannungen und Unzuträglichkeiten innerhalb des Rechtsgebäudes reagieren muß. Im Sozialrecht wird aufgrund der Abhängigkeit von sich ständig wandelnden faktischen Vorgaben, aber auch wechselnder Einschätzungen über das sozialpolitisch Richtige eine besondere, wesenseigene Dynamik festgestellt, die sich auch im Sozialerwartungshorizont der Bürger niederschlägt 8. Der Sozialversicherte kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 9 „von vornherein nicht erwarten, daß die gesetzlichen Vorschriften über die Leistungen der Rentenversicherung auf Dauer unverändert fortbestehen". Da die Solidargemeinschaften die Veränderungen der Wirtschaftslage, der demographischen Entwicklung im Rahmen des Generationenvertrags „anpassend" nachvollziehen müßten, würden mit dem in der Regel erzwungenen Beitritt nicht nur die mit einem solchen System verbundenen Chancen, sondern müßten auch solidarisch mit den andern Versicherten die zugehörigen Risiken getragen werden. Insofern unterscheidet sich die Zugehörigkeit zu einem solchen Sozialversicherungssystem deutlich von den Positionen, die aus privatrechtlichen Versicherungsverträgen folgen. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht auch das Anpassungsvertrauen in seinem Rentenanpassungsbeschluß dem Leistungsfahigkeitsvorbehalt unterworfen 10 : Zwar sei bei den Renten durch die regelmäßige, jährliche Festlegung des Anpassungstermins und der Anpassungshöhe die Erwartung geweckt worden, die Renten würden auch künftig wie 20 Jahre hindurch alljährlich nach der jeweiligen Veränderung der allgemeinen Bemessensgrundlage angepaßt werden. Indessen komme dem Vertrauen in die stets unveränderte Fortgeltung einer in Zeiten des Wohlstands jahrzehntelang praktizierten Anpassungsmechanik — was Zeitpunkt und Höhe der Anpassung betrifft — keine erhebliche Bedeutung zu, denn in Zeiten wirtschaftlicher Abschwächung unterlägen auch die Solidargemeinschaften anderen Bedingungen. Bei Anwartschaften ist die Möglichkeit von Änderungen wesensimmanent von vornherein in gewissen Grenzen angelegt, so daß der Versicherte stets auch mit einer Abwertung seiner Anwartschaften rechnen muß 1 1 . Eine konsequente Anwendung des Voraussehbarkeitskriteriums müßte in Ansehung der Dynamik des sozialen Prozesses dazu führen, daß der Sozialstaat jedenfalls unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes einem permanenten 8

Vgl. Zacher, FS Ipsen, S. 207 (246 ff); ders., ZStaatsW 1978, 15 fT. BVerfGE 58,81 (123); 64,87 (105); deutlich auch Benda/ Katzenstein, SV BVerfGE 58, 129 (133). 9

10 11

S. BVerfGE 64, 87 (105); ähnlich schon BVerfGE 36, 73 (83 f). BVerfGE 58, 81 (110); 22, 241 (253); 11, 221 (226).

208

Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Widerrufsvorbehalt unterläge 12 , denn der Bürger hätte ständig mit Änderungen und eben auch Verschlechterungen des Sozialstandards in volkswirtschaftlich schlechten Zeiten zu rechnen. Der Topos der Voraussehbarkeit würde damit den Verläßlichkeitsaspekt völlig relativieren und das Vertrauen in stabile, staatsgetragene Sozialeinrichtungen mit zeitangemessenem Niveau auf Null reduzieren, ein offensichtlich, in Anbetracht des einmal gesetzlich gegebenen und verfassungsrechtlich funktionell verbürgten Sicherungsversprechens des Staates unhaltbares Ergebnis 13 . Der vertrauensabschwächende Effekt des Voraussehbarkeitstopos muß daher immer im Rahmen des Abwägungsmodells gesehen werden 14 , das eine Balance zwischen den Sicherungserwartungen der Bürger und den Veränderungs- und Kürzungsbelangen, die der Gesetzgeber als Gemeinwohlgründe angibt, an der Richtlinie des „sozialen Schonungsgebots" versucht. Die Voraussehbarkeit von Änderungen im Sozialrechtsstandard, die sich aus der Perspektive des rücknahmebetroffenen Personenkreises häufig anders darstellt als aus dem Blickwinkel des abbauwilligen Gesetzgebers, kann folglich nur ein Gesichtspunkt unter anderen vertrauensstärkenden oder abschwächenden Kriterien sein, die in die Vertrauensabschichtung determinierend einfließen. Die generelle Voraussehbarkeit von Umstellungen und Anpassungen im Sozialrecht reicht nicht als Legitimation für einen Abbau von Sozialleistungen, sondern es bedarf der zusätzlichen, konkretisierenden Betrachtung von Rückholbelangen 15 . Besondere Bedeutung kann das Voraussehbarkeitsmerkmal allerdings dort bekommen, wo ein sozialer Vorteil ersichtlich und deutlich mit einer Zweckbestimmung oder im Hinblick auf eine bestimmte sozialpolitische Zielsetzung gewährt wurde und durch Erreichung oder Wegfall dieser Intention gleichsam die „Geschäftsgrundlage" entfallen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat unter diesem Gesichtspunkt im Bereich des Beamtenrechts die Unbeständigkeit von Dienstzeit- und Werbeprämien festgestellt 16 und auch andere Vergünstigungen des Sozialstaates in diesem Lichte gewürdigt 17 . 12 Dazu die Vorstellungen Kirchhofs, NVwZ 1983, 507 (511); ders., JZ 1982, 305 (306); ders, Disk.-Beitr, W D S T R L 42, S. 288; dazu oben 2. Teil A I I 4; bedenklich auch Stober, D V B L 1984,857 (862): M i t einer Minderung des Rentenniveaus und einer Aussetzung der Dynamik der Rentenanpassung hat der Sozialversicherte stets zu rechnen. 13 Kritik am Voraussehbarkeitskriterium äußern Rupp-v.Brünneck, SV BVerfGE 32, 129 (138); Grabitz, D V B L 1973, 675 (684); Leisner, FS Berber, S. 273 (278). 14 Ebenso Rupp-v. Brünneck, SV aaO, S. 138; Grabitz, D V B L 1973, 675 (684); BendajKatzenstein, SV BVerfGE 58, 129 (133). 15 So auch Grabitz, aaO; Rupp-v.Brünneck, aaO; Bendaj Katzenstein, aaO; das BVerfG stellt in seiner Rückwirkungsrechtsprechung den Voraussehbarkeitstopos immer in den Zusammenhang mit den Gründen, die als Rechtfertigung für die Rückschrittsmaßnahme genannt werden, s. BVerfGE 58, 81 (123 0; 63, 152 (176); 64, 87 (106). 16 S. BVerfGE 64, 158 (174): Der von Werbemaßnahmen angesprochene Bedienstete muß immer damit rechnen, daß die für die Werbung maßgebende Ausgangslage sich so verändert, daß für eine Aufrechterhaltung der als Anreiz dienenden vorteilsgewährenden Regelungen kein Raum bleibt.

C. I. Art. 6 GG als Rückschrittsgerechtigkeitsnorm

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Abgesehen von der Relevanz für ersichtlich zweckgebundene soziale Vorteile kann der Voraussehbarkeitstopos das Kontinuitätsinteresse der Bürger nicht im Sinne eines automatischen Abschwächungsfaktors für Sicherungserwartungen der Bürger begriffen werden. Im Gegenteil wird man dem Aspekt der Sozialerwartung vertrauensfestigende Kraft zubilligen müssen, wo die konkretisierende Bewertung sozialer Rechtsstellungen ergibt, daß die Betroffenen gerade im Hinblick auf die Fortexistenz einer sozialen Rechtslage Dispositionen getroffen oder unterlassen haben und insoweit ein besonders dichtes Sozialvertrauen hegen 18 . Das „Grundrecht auf Kontinuität und Vertrauensschutz" ist also, in strikter Kongruenz zum bereichsspezifischen grundrechtlichen Bestandsschutz von Sozialpositionen, welcher den Vertrauensschutzaspekt als speziellen Wertungsfaktor integriert, geprägt von einer individual- bzw. gruppenbezogenen Auslotung zwischen personalen vertrauensstärkenden Verläßlichkeitselementen und gemeinwohlgesteuerten Veränderungsbelangen. Der Gesetzgeber und die kontrollierenden Instanzen haben sich dabei an der Richtlinie des „sozialen Schonungsgebots" zu orientieren, die dem Gesetzgeber zwar Raum für Um- und auch Abbaumaßnahmen im sozialen Bereich beläßt, dem personalen Daseinssicherungsaspekt sozialer Leistungs- und Gestaltungsmomente aber höchste Priorität zuspricht.

C. Art. 6 GG als mehrdimensionale Rückschrittsgerechtigkeitsnorm für soziale Regelungen des „Familienkreises44 I. Leistungsstaatliches Verständnis von Art. 6 I, IV GG Während die verfassungsrechtliche Abstützung des Regelungskomplexes der Sozialversicherung in seiner derzeitigen Gestalt und seinem gegenwärtigen Leistungsstandard durch ein Zusammenwirken objektiv-rechtlicher Leitprinzipien und individualbezogener Bestands- und Vertrauensschutzgebote am Maßstab des „Sozialstaatsprinzips i.V. mit Art. 3 I GG", des Art. 14 G G und des 17 BVerfGE 48, 403 (416 ff), wo in Anbetracht der sozialpolitischen Zielsetzung des Wohnungsbauprämiengesetzes ein berechtigtes Vertrauen darauf, daß der Gesetzgeber die Vergünstigungen auch für Personen beibehalten werde, die im Laufe der Zeit die kleineren Einkommensstufen verlassen, nicht anerkannt wurde; ein vorläufiger Charakter wurde auch zahlreichen Wiedergutmachungs- und Kriegsentschädigungsgesetzen bescheinigt, s. BVerfGE 13, 39 (45); 18, 196 (202); 30, 367 (387); vgl. auch BVerfGE 63, 312 (331) zur Aufhebung von Freiräumen in der Steuergesetzgebung. 18 In diesem Sinn hat das BVerfG das Voraussehbarkeitsmerkmal „positiv" gefaßt im Falle des Weiterversicherungsrechts der Ausländer, s. BVerfGE 51, 356 (363); vgl. auch BVerfGE 45,142 (168): Der Bürger soll die ihm gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen können, sich dementsprechend einrichten und darauf vertrauen dürfen, daß sein dem jeweils geltenden Recht entsprechendes Verhalten auch fernerhin von der Rechtsordnung als rechtens anerkannt bleibt.

14 Schlenker

210

Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Rechtsstaatsprinzips gekennzeichnet ist, konzentriert sich die Determination des Grundgesetzes bei den Sozialleistungen und Gestaltungsformen zugunsten der Familie und im Falle der Mutterschaft auf die Sonderverbürgungen des Art. 6 I, IV GG. Entsprechend der leistungsstaatlichen Vorstellung einer mehrdimensionalen Wirkkraft der GG-Grundrechte fusionieren im Themenkreis des Art. 6 GG, objektive und subjektive Ebene der Verfassungseinwirkung auf die bestehenden unterverfassungsrechtlichen Regelungsgeflechte 1. In der Diktion des Bundesverfassungsgerichts ist Art. 6 G G wertentscheidende Grundsatznorm für den Bereich der Familie 2 . Das aus der objektiv-institutionellen Komponente folgende Schutz- und Förderungsgebot umfaßt einerseits den bindenden Auftrag an den Staat, Familie und Mutter durch positive Maßnahmen, besonders auf materiellwirtschaftlichem Gebiet und speziell durch das Sozialversicherungsrecht 3 zu unterstützen 4. In diesem Sinn stellt Art. 6 GG ein echtes soziales Grundrecht dar, das insoweit eine bereichsspezifische Verdeutlichung der allgemeinen Sozialstaatsklausel enthält 5 . Die objektivrechtliche Bedeutungsschicht entfaltet sich als Aktivitätspflicht an den Gesetzgeber, der durch einen Familienlastenausgleich6 familienspezifische Belastungen auszugleichen bzw. im Fall der Mutterschaft umfassenden Schutz zu gewähren hat 7 . 1 Art. 61 GG ist zunächst als Einrichtungsgarantie verstanden worden und erst später in den Prozeß der „Subjektivierung" eingetreten, s. BVerfGE 6, 55 (76); 51, 386 (396); Maunz, M D , Art. 6 Rn 6; Pieroth, Rückwirkung, S. 370; Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 93. 2 BVerfGE 6, 55 (72); 32, 273 (277); 53, 224 (248); 55, 114 (126); 61, 18 (25); 62, 323 (329); vgl. Häberle, Verfassungsschutz der Familie, S. 28. 3 S. BVerfGE 48, 346 (366); 55, 114 (127); 60, 68 (74). 4 Für Art. 61: BVerfGE 39, 316 (326); 40,121 (132); 48,346 (366); 55,114 (127); 61,18 (25); für Art. 6 I V : BVerfGE 32,273 (277); 37,121 (125); 52,357 (365); 55,154(156); 60,68 (74). 5 BVerfGE 32,273 (279); 62, 323 (332); Maunz, M D , Art. 6 Rn 42 f, 45; auch Art. 6 I I und I I I liegt eine sozialstaatliche Tendenz zugrunde, was sich z.B. in der Bereitstellung eines Schulsystems und von Bildungsförderungseinrichtungen niederschlägt. 6 Der Familienlastenausgleich wird heute in erster Linie durch die Gewährung von Kindergeld und steuerlichen Erleichterungen (Splitting-System) verwirklicht; zur Familienföraerung als wesentlichem Baustein der Sozialpolitik zählt in weiterem Sinn auch das BAföG, Wohngeld, die Sparförderung und der soziale Wohnungsbau; vgl. Ecker, ZRP 1983,45 zum Zusammenhang zwischen dem Generationen vertrag als Funktionsgrundlage des Sozialversicherungssystems und einer familienfördernden Politik als Investition für die Zukunft. 7 Erfüllt ist der Auftrag aus Art. 6 IV primär durch das Mutterschutzgesetz sowie die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen der Mutterschaftshilfe (§ 195 ff RVO); zum Mutterschaftsurlaubsgesetz von 1979 s. Buchner, NJW 1979, 1793; ders., NJW 1982, S. 800; s. auch BVerwG NJW 1982, 62 zum absoluten Kündigungsverbot des §9a Mutterschutzgesetz.

C.I. Art. 6 G G als Rückschrittsgerechtigkeitsnorm

211

„Wahrenden" Charakter nimmt die direktive Komponente an, wenn schrumpfende finanzielle Ressourcen oder neue sozialpolitische Vorgaben die bestehende Familien- und Mutterschutzgesetzgebung bedrohen 8. Dann bringt der Familienartikel des Grundgesetzes den — auch durch die Verbürgung in einem eigenständigen Grundrecht angezeigten — 9 hohen Stellenwert der Familienförderung im politischen Entscheidungsprozeß in Ansatz 10 . Dies führt zwar zu keinem absoluten Rückschrittsverbot oder einer Veränderungssperre in der Familiengesetzgebung. Jedoch verbürgt Art. 6 G G im Rahmen des situativen, durch Abwägung der Beibehaltungs- und Veränderungsbelange auszufüllenden Möglichkeitsvorbehalts, einen relativ dichten, zeitbezogenen sozialen Mindeststandard. Neben der positiven objektivrechtlichen Dimension des Art. 6 G G steht die klassische Stoßrichtung als individuelles Abwehrrecht gegenüber übermäßigen Beeinträchtigungen konkretisierter Freiheitszonen. Art. 61, IV G G ist begrenzte subjektive Bestandsgarantie und Vertrauensschutzgewährleistung 11 bei verschlechternden Eingriffen des Staates in erworbene familienrechtliche Rechtsstellungen. Allerdings dürfte ein Teil der materiell familienfördernden Gesetze bei Kürzungen nicht in erster Linie an Art. 6 G G sondern an der Eigentumsgarantie als „Grundrecht der Sozialversicherung" zu messen sein, sofern Rechte aus einem eigenen oder vom Ehegatten abgeleiteten Sozialversicherungsverhältnis betroffen sind (z.B. Mutterschaftshilfe nach §§ 195ff RVO, Hinterbliebenenansprüche) 1 2 . Die Mehrzahl familienfördernder staatlicher Maßnahmen (Kindergeld, Steuererleichterungen) stellen jedoch vom Sozialprinzip geprägte „einseitige", 8 Art. 6 hat als sozial-direktive Grundsatznorm — wie auch das Sozialstaatsprinzip — je nach zeitbedingter faktischer Gefahrdungslage ambivalente Zielrichtung: In guten Zeiten drängt sie auf eine Verbesserung der Familienförderung, in schlechten Zeiten zeigt sie sich als stabilisierende, abbauhemmende Gewährleistung; s. zu diesem Gedanken Lücke, AÖR 1982, 15 (29, 35). 9 Die Aufgliederung der Sozialstaatsklausel in einzelne bereichsspezifische „soziale Grundrechte" ist de constitutione ferenda wünschenswert, da durch ausdrückliche soziale Verbürgungen der Geltungsanspruch des G G als positiver Normordnung für alle Lebenslagen zugunsten aller Bürger verdeutlicht werden kann, s. zur Diskussion über soziale Grundrechte hier nur die Beiträge in: Böckenförde/ Jekewitz/Ramm, Soziale Grundrechte, 1981; i.V.Müller, Soziale Grundrechte in der Verfassung? 1981; Bericht der SV-Kom. Staatszielbestimmungen, Gesetzgebungsaufträge; vgl. den Vorschlag Meydams, Eigentumsschutz, S. 107 für ein „Grundrecht auf soziale Sicherung". 10 Der personale Bezug des Art. 61 G G wird hervorgehoben in BVerfGE 53,224 (250). 11 S. Pieroth, Rückwirkung, S. 367 ff zur Abgrenzung vom Art. 6 und Art. 14 GG sowie dem allgemeinen rechtsstaatlichen Vertrauensschutz; vgl. dazu auch BVerfGE 53, 224 (253 ff). 12 Art. 6 I GG verlangt insbesondere auch die Einbeziehung der Frau in das Schutzsystem der Sozialversicherung, s. BVerfGE 48,346 (366); 55,114 (127); 60,68 (74); 62,323 (332); ob die soziale Sicherung der Witwe gerade in der seit 1911 bestehenden Form eines abgeleiteten Sozialversicherungsanspruchs zu verwirklichen ist, hat das BVerfG jetzt, BVerfGE 62, 323 (332), offengelassen.

14*

212

Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

steuerfinanzierte Leistungen bzw. Gestaltungselemente dar, so daß wegen des fehlenden Eigenleistungscharakters Art. 14 G G als Abbaufilter nicht eingreift 13 . Verstärkt wird der mehrdimensionale StabilisierungsefTekt von Art. 6 GG durch zahlreiche familienbezogene Verbürgungen der Landesverfassungen, der Hervorhebung des Familien- und Mutterschutzes im SGB-AT sowie vergleichsweise deutlichen Vorschriften der Europäischen-Sozial-Charta 14. Diese Bestimmungen verdichten den normativen Geltungsanspruch des Grundgesetzes zugunsten guter und verläßlicher Institutionen der Familienförderung und des Mutterschutzes.

II. Rückholbefugnis des Gesetzgebers im Rahmen des Art. 6 I, IV GG Trotz der — im Gegensatz zu anderen Gebieten des Sozial- und Sozialversicherungsrechts — deutlichereren Konturierung des Grundgesetzes hat der Gesetzgeber auch im Bereich der sozialen Unterstützung für Familie und Mutterschaft einen Gestaltungsraum 1, der grundsätzlich auch zur Rückholung von Leistungen und Vorteilen berechtigt. In der objektiv-direktiven Bedeutungsschicht garantiert Art. 6 GG einen funktionellen sozialen Standard der Familien- und Mutterschaftsförderung im Rahmen effektiver Sozialinstitutionen, der nach den Gegebenheiten des Staatshaushalts und den gesellschaftspolitischen Vorbedingungen möglichst optimal auszubilden und auf einem zeitgerecht-angemessenen Niveau zu erhalten ist. Das Bundesverfassungsgericht verweist insofern auf seine 2-Stufen-Vorstellung, wonach der Gesetzgeber durch Art. 6 G G zwar prinzipiell zur Schaffung und Beibehaltung familienunterstützender Regelungen verpflichtet, nicht jedoch auf bestimmte Leistungshöhen und Modalitäten festgelegt sei2. Grundsätzliche Gestaltungs- und damit auch Kürzungsmöglichkeit besteht auch in Bezug auf individualisierte Familienpositionen. Verschlechternde 13 Vgl. Pieroth, aaO, S. 368; im Versorgungsausgleichsurteil, BVerfGE 53,253 (295) ist Art. 14 Prüfungsgrundlage, während Art. 61 im Sinne einer Rechtfertigungsnorm für die Umgestaltung der Ausgleichsansprüche im Rahmen der Inhaltsbestimmung des Eigentums behandelt wird. 14 S. Art. 124 f. Verf.Bayern; Art. 11, 13 Verf. Ba-Wü; Art. 12 I I Verf.Berlin; Art. 21 Verf.Bremen; Art. 33,35 Verf.Hessen; Art. 5,6 Verf.NRW; Art. 23 Verf.Rheinl.Pfalz; Art. 22 ff Verf.Saarland; s. schon Art. 119-122 WRV; das Landesrecht kennt eigene Förderungsmaßnahmen zugunsten der Familie, ζ. B. in Ba-Wü zinsvergünstigte Familiendarlehen oder das Mutterschaftsgeld für Hausfrauen; s. auch Art. 8, 16, 17 ESC. 1 S. etwa BVerfGE 55,114 (127); 43,108 (121,124); deutl.BVerfGE 37,121 (127): Der Gesetzgeber soll bei Verwirklichung seiner positiveh Schutz- und Fürsorgepflicht aus Art. 6 G G „nicht zu stark in seiner Gestaltungsfreiheit eingeengt werden". 2 BVerfGE 39, 316 (326).

C. II. Abbaubefugnis im Rahmen des Art. 6 GG

213

Eingriffe in konkretisierte Rechte können grundsätzlich nach Maßgabe einer Abwägung zwischen individuellen bzw. gruppenbezogenen Kontinuitätsbelangen und der am Gemeinwohl orientierten Notwendigkeit einer Reduktion bestehender Rechte legitimiert sein. Auch und gerade im Bereich der Familienförderung hat sich der Gesetzgeber an der Leitlinie des „sozialen Schonungsgebots" zu orientieren, das die Abbaubetroffenen vor tiefen und abrupten, sie schutzlos stellenden Verschlechterungen bewahrt. Das durch Art. 61, IV G G gewährleistete Niveau der Familienförderung und des Mutterschutzes ist aber ebensowenig wie die übrigen Bereiche der Sozialordnung auf dem jeweils höchsten oder einem anderweitig absolut definierten Stand eingefroren. Die verfassungsrechtlich verbürgte Kontinuitätsverpflichtung berücksichtigt gegenwartsbezogen die finanziellen Möglichkeiten und gesellschaftlichen Gegebenheiten im Staat, allerdings unter strikter Beachtung und in Abwägung zu dem in Art. 6 G G garantierten personalen Förderungs- und Schutzversprechen des Grundgesetzes. So wenig der Staat gehalten ist, jede Belastung von Ehe und Familie abzugleichen 3 , so wenig sind Umfang und Modalitäten familienbezogener Leistungen durch Art. 6 GG festgeschrieben. Der Gesetzgeber kann auch hier das Leistungsniveau den Umständen entsprechend absenken und die Art und Weise der Schutzgestaltung neu ordnen. Absolute Rückschrittsverbote dürften allerdings im Bereich der arbeitsplatzbezogenen Gestaltungsvorschriften des Mutterschutzes bestehen. So sind die Kündigungsverbote des Mutterschutzgesetzes (§ 9) in ihrer derzeitigen Gestalt durch Art. 6 IV GG gefordert 4 , mit der Folge, daß insofern eine Abbausperre kraft Verfassung existiert. Das Bundesverwaltungsgericht hat ergänzend ausgesprochen, daß während der Schutzfristen vor und nach der Entbindung die Bezüge in voller Höhe des Nettoeinkommens gesichert sein müssen, weil nur so die Schutzwirkung des Art. 6 IV GG erreicht werden könne 5 . Die im Zuge der Sparpolitik seit 1981 erfolgten Rücknahmen durch Änderungen der Bezugsvoraussetzungen und der Höhe familienfördernder Sozialleistungen sind vor Art. 6 I G G kaum zweifelhaft. So liegen die mit dem 3 So BVerfGE 43,108 (121); 40,121 (132); zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Bereich des Art. 6 GG s. auch: BVerfGE 37, 121 (127) Zuschuß des A G zum Mutterschaftsgeld; BVerfGE 39, 316 (326) Kinderzuschuß zur Rente; BVerfGE 40, 121 (132) Altersgrenze bei Waisenrente; BVerfGE 55, 114 (127) Heiratsabfindung; BVerfGE 61, 18 (25) Anspruch auf bestimmte Unterstützungsleistungen; BVerfGE 62, 323 (333) Soziale Sicherung der Witwen; BVerfGE 65,104 (113) Mutterschaftsurlaubsgeld nur für Berufstätige. 4 So BVerfGE 32,273 (277); 52,357 (366); 55,154 (158); s. auch Art. 8 ESC: 12 Wochen Mindestarbeitsbefreiung mit Lohnzahlungsanspruch, Kündigungsverbot während der Mutterschutzfristen, Beschäftigungsverbote zugunsten der werdenden Mutter; vgl. jetzt BVerwG NJW 1982, 62, wonach das absolute Kündigungsverbot während des Mutterschaftsurlaubs (§ 9 a Mutterschutzgesetz) ohne die Möglichkeit einzelfallbezogener Ausnahmen gegen die durch Art. 14 GG geschützten Arbeitgeberbelange verstößt. 5 S. BVerwGE 47, 23 (28); vgl. auch BVerfGE 37, 121 (125).

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Haushaltsbegleitgesetz 1983 eingeführten Einkommensgrenzen bei der Gewähr von Kindergeld ab dem 1. Kind und die Kürzung des Kindergeldes für das 2. und 3. Kind um 20.— D M innerhalb der Gestaltungsbefugnis des Familiengesetzgebers, weil diese Maßnahmen Ausfluß einer Präzisierung des Maßstabs „sozialer Bedürftigkeit" als wichtiger sozialpolitischer und auch verfassungsrechtlich beachtlicher Zielsetzung des Sozialgesetzgebers sind. Aus demselben Grund war die Einführung zusätzlicher Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Mutterschaftsurlaub und Mutterschaftsurlaubsgeld durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz zum 1.1. 1982 grundgesetzlich legitimiert 6 . Familienpolitisch fraglich, jedoch verfassungsrechtlich kaum bedenklich ist die im Haushaltsbegleitgesetz 1984 vorgesehene generelle Reduktion des Mutterschaftsurlaubsgeldes von insgesamt 3.000 D M auf 2.040,— D M bzw. von 750,— D M auf 510,— D M monatlich, da diese Absenkung des Leistungsstandards im Ergebnis keine erheblichen Auswirkungen auf die Betroffenen hat. Tiefere Einschnitte in die familienfördernde Gesetzgebung haben dann aber keinen Bestand vor Art. 6 GG, wenn sie nach Abwägung der Abbaugründe mit den Sicherungsinteressen der aktuell oder potentiell Betroffenen auf eine, gemessen an den Zeitumständen Vernachlässigung der Grundrechtsaufgabe der Familienförderung und des Mutterschutzes hinauslaufen oder gegen das Gebot der Kontinuitätsschonung bereits erworbener sozialer Versorgungsstellungen verstoßen. I m Ergebnis kann Art. 6 I, IV GG als Beispiel einer leistungsstaatlichen, mehrdimensionalen Entfaltung eines Grundrechts für einen abgegrenzten Sozialsektor gelten. Gegen Rücknahmen des Gesetzgebers errichtet das Grundgesetz aber auch durch diese spezielle Verbürgung keine statische Sperre, sondern obläßt grundsätzlich die Festlegung des Leistungs- und Schutzniveaus der parlamentarischen Mehrheitsentscheidung. Der Gesetzgeber besitzt die Rückholfreiheit, solange nicht nach Maßgabe der allgemeinen volkswirtschaftlichen Entwicklung die zeitgemäße Erfüllung der durch Art. 6 GG gestellten Grundrechtsaufgaben generell und evident in Frage steht oder nach dem sozialen Sicherungszweck einer Regelung, vor allem im Bereich des Art. 6 IV GG, die Ausdünnung der gegenwärtigen Schutzdichte einer Nichtbeachtung der verfassungsrechtlichen Schonungsdirektive gleichkommt. Im Geltungsbereich des Art. 6 I, IV GG kann aufgrund ausdrücklicher Gewährleistung allerdings eine Verdichtung der grundgesetzlichen Wertungsmaßstäbe zugunsten der Erhaltung des bestehenden Niveaus der Familien- und Mütterförderung festgestellt werden.

6

Dazu kritisch Buchnet, NJW 1982, 802.

D.I. Garantie angemessener Beamtenalimentation in Art. 33 V GG

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D. Die Garantie amtsangemessener Besoldung und Versorgung in Art. 33 V GG als Modell multifunktionaler Grundrechtsverbürgung zugunsten eines zeitgerechten Standards des Systems sozialer Sicherheit I. Art. 33 V GG als abbauhemmendes Gegengewicht zur Staatsabhängigkeit der Beamtenalimentation Kaum zu überschätzende Bedeutung für die methodische Erfassung und Lösung der Problemlage „sozialer Rückschritt" besitzt die Garantie der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums in Art. 33 V GG, eine Verfassungsbestimmung, die neben ihrem eigentlichen Wirkungskreis maßgebliche Rückschlüsse auf den dogmatischen Ansatz einer dichten verfassungsrechtlichen Abstützung des Rechts der sozialen Sicherheit nichtverbeamteter Bevölkerungskreise zuläßt. Dies gilt einmal in Bezug auf die Normstruktur dieser Verbürgung, die als lex specialis für den Bereich des Beamtenrechts multifunktionale Stabilisierungswirkung erzeugt. Über das Gebot „amtsangemessener" Versorgung der Beamten und ihrer Familien legt Art. 33 V G G auch einen inhaltlichen Maßstab für die Bemessung des Lebensniveaus dieses Personenkreises fest. Obwohl ungeschriebene, jedoch allseits anerkannte Komponente der hergebrachten Grundsätze, konstituiert der Alimentationsgrundsatz einen wesentlichen Maßstabsbegriff, der auf der Verfassungsebene die Aufforderung zur Schaffung und Erhaltung eines „angemessenen" Versorgungsniveaus enthält 1 . M i t der Verbürgung amtsangemessener Alimentation kennt das Grundgesetz wenigstens eine Gewährleistung, die für einen Teilbereich der sozialen Wirklichkeit den qualitativen Standard der materiellen Lebensbedingungen der Bürger anspricht. In Zeiten haushaltsbedingten Einsparungszwanges und dadurch hervorgerufener Reform- und Abbautendenzen ist der Alimentationsgrundsatz für die Beamtenschaft eine höchst aktuelle Kontinuitätszusage des Grundgesetzes. Die Beamtenschaft bedarf in besonderem Maße grundgesetzlicher Garantien, weil ihre gesamte Lebensstellung sowohl während der Aktivzeit als auch in der Ruhestandsphase ausschließlich durch den Besoldungs- und Versorgungsgesetzgeber definiert wird. Während Arbeiter und Angestellte in der Privatwirtschaft die Lohnzusage durch privatrechtliche Vereinbarung und tarifvertragliche Absicherung erhalten und soziale Sicherheit für die Wechselfalle des Lebens in erster Linie aus dem genossenschaftlich organisierten und finanzierten Sozialversicherungssystem 1 S. nur BVerfGE 8,1 (16); 11,203 (210); 44,249 (263); 49,249 (266); 55,272 (392); aus der Literatur s. Lecheler, AöR 1978, S. 349 (355,366); Maunz, M D Art. 33 Rn 69; Isensee, Hdb.d.VerfR., S. 1149 (1181); Thiele, D V B L 1981, 253 ff; Summer/Rometsch, ZBR 1981, Iff.

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

schöpfen, ist der Beamte und seine Familie völlig von der Versorgungsbereitschaft des Gesetzgebers abhängig. Die Festschreibung der Arbeits- und Sozialbedingungen in Gesetzesform bietet einer Regierung, die zu Einsparungen gezwungen ist, ein breites Exerzierfeld 2, denn Streichungen, Kürzungen oder Nichtanpassungen von Versorgungsleistungen können mittels einseitigen Gesetzesaktes ohne Rücksicht auf die durch Art. 9 I I I GG gewährleistete Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien durch einfache Parlamentsmehrheit vollzogen werden 3 . Der Verdacht eines „Sonderopfers", eines Eingriffes in den Besitzstand4 bei jeder noch so geringfügigen Änderung des Versorgungsstatus wird noch dadurch genährt, daß der Gedanke des öffentlichen Dienst- und Treueverhältnisses („Staatsdiener") eine erhöhte Bereitschaft der Beamten nahelegt, in schlechten Zeiten vor anderen Bevölkerungskreisen Abstriche in ihrem Versorgungsniveau hinzunehmen 5 . Schon in den Krisenjahren der Weimarer Zeit war die Beamtenversorgung bevorzugtes Kürzungsobjekt des Staates6. Die Gegenwart kennt ebenfalls bereits wieder Ausdünnungserscheinungen in der Beamtenversorgung im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Finanzkrise seit Ende der 70er Jahre. Da die Mittel für die Besoldung und soziale Sicherung der Beamten und ihrer Familien einen intensiven Ausgabenposten im Staatshaushalt darstellen 7, betrafen die Sparoperationen seit 1981 in Bund und Ländern gerade auch den Beamtenbereich 8. 2 S. Lecheler, ZBR 1982,1 ff; Isensee, aaO, S. 1149; Battis , NJW 1982, 973 (für 1981); ders., NJW 1983, 1768 (für 1982); ders., NJW 1984, 1332 (für 1983): auffällige Rückbesinnung auf Art. 33 V G G im Zeichen der Finanzkrise der öffentlichen Haushalte. 3 Nach herrschender Meinung dürfen sich Beamte nicht mittels des Instruments des Streiks gegen eine Verschlechterung ihrer Versorgungslage wehren, s. BVerfGE 44, 249 (263); BVerwG, NJW 1980, 1809; NJW 1981, 1283; Lecheler, ZBR 1982, 1 (3); Isensee, aaO, S. 1178. 4 Der Gedanke der Besitzstandswahrung schlägt sich im Beamtenrecht vielfach in Harmonisierungs-, Überleitungs- und Ausgleichszulagen nieder; vgl. § 13 BBesG; s. noch Clemens, ZBR 1982, 61 (63): „Harmonisierungszulagengeflecht"; zum Problem unzureichender Besitzstandswahrung durch frühzeitig aufgezehrte Überleitungszulagen bei Rückstufungen von Besoldungsämtern s. BVerfGE 56, 146 (166); 56, 175 (183); 64, 367 (386). 5 S. BVerfGE 52, 303 (346); Maunz, M D , Art. 33 Rn 69; Clemens, ZBR 1984,25 (28). 6 So wurden im Jahr 1931 die Gehälter im öffentlichen Dienst drei Mal um insgesamt 23 % gesenkt. Dadurch wurden die Haushalte des Reiches, der Länder und Gemeinden allein 1931 um 1,2 Milliarden R M entlastet, s. Born, Die deutsche Bankenkrise 1931, S. 46; weitere Nachweise zu Gehaltskürzungen unter der WRV bei C. Schmitt, Wohlerworbene Beamtenrechte und Gehaltskürzungen, S. 174 ff. 7 Ende 1982 gab es, ohne Soldaten, 4,4 Mio. Bedienstete beim Staat (incl. Arbeiter und Angestellte); das beamtenrechtliche Sozialsystem (Pensionen, Beihilfen, Familienzuschläge, ohne Besoldung) kostete 1983 50,5 Mrd. D M bei einem Gesamtbudget von 512,5 Mrd D M , Quelle: Sozialbericht 1983, S. 54. 8 Der Einspareffekt durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 soll allein für den öffentlichen Dienst in Bund, Ländern, Gemeinden, incl. Bahn und Post 5,6 Mrd. D M betragen,

D . I . Garantie angemessener Beamtenalimentation in Art. 33 V GG

217

D i e unter den Gesichtspunkten der Konsolidierung des Staatshaushalts u n d der Beseitigung gewisser Vorzugsstellungen der Beamtenschaft allein auf Bundesebene 9 ausgeführten Kürzungen der Beamtenbesoldung u n d «Versorgung spiegeln die ganze Palette möglicher Rücknahmeinstrumente des i n Bedrängnis geratenen Leistungsstaates w i d e r 1 0 . Als den Gesetzgeber an formelle u n d materielle Struktur- u n d Wertungsvorgaben bindendes Handlungsregulativ gewinnt A r t . 33 V G G die Bedeutung eines Gegengewichtes zur engen Staats- u n d Gesetzesabhängigkeit der Beamten, das ihnen die Partizipation an der allgemeinen volkswirtschaftlichen Entwicklung auf angemessenem Niveau unter Beibehaltung gewisser tradierter Besonderheiten des Berufsbeamtentums gewährleistet 1 1 .

was ca. 50 % der Gesamteinsparung im Rahmen des Sparhaushaltes 1984 (11,8 Mrd. D M ) entspricht, s. näher Clemens, ZBR 1984, 25. 9 Zu Reduktionen der Beihilfe in Ba-Wü, s. BVerfGE 58, 68 (78ff); BVerwG, DÖV 1981, 101, V G H Ba-Wü D V B L 1983, 511. 10 a) Zum Sparpaket 1982(2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22.12.1981 i.V.m. Bundesbesoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetz 1982 v. 20.12.1982) s. Clemens, ZBR 1982, 61; Battis , NJW 1982, 973; Käppner, ZBR 1983, 15; Claus, ZBR 1983, 109 (112); wesentliche Sparregelungen waren: — Verminderung der Besoldungs- und Versorgungsbezüge durch Kürzung des Ortszuschlages um 1 %; diese Maßnahme wurde im Laufe des Jahres 1982 im Hinblick auf eine Verrechnung mit künftigen Besoldungsanpassungen wieder ausgesetzt. — Herabsetzung der Anwärtergrundbeträge ab 1.1.1982 um bis zu 15 %. — Hinausschieben der Anpassung von Besoldung und Versorgungsbezügen um 2 Monate gegenüber dem tarifvertraglichen Bereich. — Generelle Kürzung der Planstellen um 1 %. — Abschmelzung der Hamonisierungszulagen um 1 % des Anfangsgrundgehalts. — Streichung der Sonderzulage für Berlin. — Beseitigung von Doppelversorgungslagen durch § 55 I I Beamtenversorgungsgesetz, s. dazu BVerfG, Vorprüfungsausschuß, NVwZ 1982, 429 u. 553; teilweise Milderung dieser Anrechnungsvorschriften im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes 1984, dazu Clemens, ZBR 1983, 25 (28). b) Sparpaket 1983 (Haushaltsbegleitgesetz v. 20.12.1982, dort in Art. 11 Besoldungsund Versorgungsanpassungsgesetz für 1983), s. Battis , NJW 1983, 1768; Käppner, ZBR 1983, 15 (22): — Generelle Begrenzung der Erhöhungsbeträge 1983 auf 2 % (Tarifbereich: 3,2 %) und Verschiebung der Erhöhung der Bezüge auf 1.7.1983. — Absenkung der steuerlichen Vorsorgepauschale. c) Sparpaket 1984 (Haushaltsbegleitgesetz v. 22.12.1983), s. dazu Clemens, ZBR 1984, 25; Battis , NJW 1984, 1332. — „Null-Runde 1984", d. h. Aussetzung von Erhöhungen durch Einfrieren der Besoldung auf dem seit 1.7.1983 gegebenen Niveau. — Wegfall von Essenszuschüssen ab 1.1.1984. — Herabstufung der Eingangsämter im gehobenen und höheren Dienst. — Abschaffung des Anpassungszuschlages für Versorgungsempfanger gem. § 80 Beamtenversorgungsgesetz. — Stellenbesetzungssperre auf 6 Monate. 11 S. BVerfGE 44, 249 (264); 55, 207 (237); 61, 43 (56); Isensee, aaO, S. 1180, 1186; Fürst/Loschelder, ZBR 1981, 1 (5).

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Π. Die Multifunktionalität der Versorgungszusage des Art. 33 V GG 1. Objektiv-institutionelle Bedeutung Art. 33 V GG enthält für den Regelungskreis des Beamtenrechts eine abschließende Sonderregelung, welche mehrdimensional verschiedene Wirkebenen der Verfassung vereint und die allgemeinen Wertungsnormen des Grundgesetzes bereichsspezifisch verdrängt. Die Alimentationsgarantie ist zunächst Teilkomponente der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums mit objektiv-institutioneller Relevanz1. Sie ist wesentliches Strukturprinzip des Berufsbeamtentums, das während eines längeren, traditionsbildenden Zeitraumes als verbindlich anerkannt und gewahrt worden ist 2 . Neben einer Vielzahl formeller Gestaltungsprinzipien 3 bildet die Alimentationsgewährleistung die maßgebliche materielle Versorgungszusage des Grundgesetzes, die den Lebensstandard der Beamten und seiner Angehörigen sichert. Einzelelemente der Versorgung sind regelmäßig keine selbständigen hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, sondern konzentrieren sich in der Alimentationsverbürgung bzw. der allgemeinen Fürsorgepflicht des Staates für seine Beamten 4 , was insbesondere für die Beihilferegelungen im Krankheitsfall gilt 5 . Als objektivrechtliche Direktive gibt die Alimentationsgarantie einen komplexen Ausformungsauftrag an den Besoldungs- und Versorgungsgesetzgeber zur zeitgemäßen Festlegung des Einkommensniveaus der Beamten und ihrer umfassenden Absicherung vor den Wechselfallen des Lebens. Art. 33 V G G gewährleistet institutionell eine situationsbezogen angemessene, statusrechtlich 1 Die institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums in Art. 33 V GG mit ihren verschiedenen Teilgarantien zählt zu den „klassischen" institutionellen Garantien des GG, die die herrschende Meinung, im Anschluß an C. Schmitt, ausdrücklich anerkennt, s. etwa Abel, Die Bedeutung der Lehre von den Einrichtungsgarantien, S. 17 ff, 77 ff; entgegen dieser herrschenden Auffassung ist allen Grundrechtsgewährleistungen eine objektivinstitutionelle Komponente zuzusprechen, s. dazu Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 4 ff, 70 ff, 165. 2 So etwa BVerfGE 46, 97 (117); 58, 68 (77). 3 s. ausf. Lecheler, AöR 1978, S. 348 ff; Thiele, DÖV 1981, 773 ff; Isensee, Hdb.d.VerfR., S. 1176 ff. 4 In der Kindergeldentscheidung, BVerfGE 44,249 (263), ist ein Negativ-Katalog nicht selbständiger hergebrachter Grundsätze aufgelistet, dazu zählen: 13. Monatsgehalt, Leistungszulagen, Urlaubsgeld, Überstundenvergütung, Entschädigung für Arbeitszeitverkürzung, Essenskostenzuschüsse, Gestaltung von Nebentätigkeiten, Gehaltszusammensetzung aus Grundgehalt, Orts- und Kinderzuschlag, bestimmte Besoldungsstrukturen; s. auch BVerfGE 64, 158 (169): Dienstzeitprämie ist kein hergebrachter Grundsatz. 5 S. BVerfGE 58,81 (77); BVerwG, DÖV 1981, S. 101; V G H Ba-Wü, D V B L 1983,511: Keine verfassungsrechtliche Verpflichtung, den Beamten und Versorgungsempfangern für Krankheitsfalle Unterstützung gerade in Form von Beihilfen i.S. der Beihilfevorschriften zu gewähren. Zur angemessenen Alimentation gehört jedoch eine solche Bemessung der Bezüge, die eine ausreichende Krankenversicherung ermöglicht.

D . I I . Multifunktionalität des Art. 33 V GG

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abgestufte Qualität der Besoldung sowie ein adäquates beamtenrechtliches Sozialsystem. Die Alimentationszusage des Grundgesetzes ist, ebenso wie die anderen Strukturprinzipien des Berufsbeamtentums, keine starre, den status quo zementierende Verfassungsgarantie 6, sondern in ihrer inhaltlichen Bedeutung und ihren Anforderungen an den Gesetzgeber begrenzt situationselastisch, auf Fluktuationen durch veränderte gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen angelegt.7 Dieser Gegenwartsbezug drückt sich einmal in der formellen Perspektive des Alimentationsgrundsatzes aus, welche das Besoldungs- und Versorgungsgefüge auch für grundsätzliche Neuregelungen offenhält 8 . Der materielle, durch Art. 33 V GG verbürgte Versorgungsstandard wird wesensmäßig, institutionsimmanent schon durch das dynamische, auf die Umstände einer Epoche abstellende „Angemessenheitskriterium" flexibel gehalten (siehe unten III. I ) 9 . So stellt die institutionelle Garantie amtsangemessener Besoldung und Versorgung eine thematisch auf den Beamtenbereich spezialisierte verbindliche Richtlinie für den Gesetzgeber dar, die diese Lebensordnung je nach den Zeitgegebenheiten motorisch oder bewahrend verfasssungsrechtlich einbindet.

2. Individualbezogene Schutzrichtung Beamte besitzen einen grundrechtsähnlichen Individualanspruch auf Beachtung ihrer durch die hergebrachten Grundsätze gekennzeichneten Rechtsstellung. Sie haben ein subjektives Recht auf angemessene Besoldung und 6 Allerdings liegt im Wesen „hergebrachter" Grundsätze ein konservatives Moment, s. Lecheler, AöR, aaO, S. 382: Ein Stück Beharrung im Wandel des Rechts; Maunz, M D , Art. 33 V Rn 61: Art. 33 V unternimmt den Versuch, den status quo rechtlich zu fixieren; siehe auch die Warnung in BVerfGE 61, 43 (62) vor der Gefahr der Aushöhlung der Grundlagen der Institution des Berufsbeamtentums. 7 I.d.S. BVerfGE 26, 141 (157); 43, 158 (168): Durch Auslegung werden die hergebrachten Grundsätze in gewissem Umfang elastisch gehalten; vgl. Ruland, ZBR 83, 313 (314) im Zusammenhang mit der Frage der Harmonisierung der Altersvorsorgesysteme: Forderung aus dem Demokratieprinzip, daß über die Auslegung der Begriffe „Berücksichtigung" und „zu regeln" in Art. 33 V G G dem Gesetzgeber ein möglichst großer Regelungsspielraum eingeräumt bleibt; s. auch Häberle, Disk.-Beitrag W D S T R L 37, 289. 8 BVerfGE 26,141 (157); 55, 372 (393); die Anfordérungen des Systetnkonsequenzgebots reichen nicht so weit, wie die Festschreibungswirkung der „hergebrachten" Grundsätze, da bei Vorliegen sachgerechter Gründe nach Art. 31 G G auch Systemabweichungen und ein Systembruch erlaubt sind. Das Traditionselement des Art. 33 V GG bringt insofern ein fixierendes, nur beschränkt wandelungsoffenes Moment zur Geltung. 9 S. Isensee, aaO, S. 1185: Das Alimentationsprinzip verweist gëradezu auf die allgemeinen Lebensbedingungen, die herrschenden Verbrauchs- und Lebensgewohnheiten.

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Versorgung zur Durchsetzung des zunächst objektivrechtlich verankerten Versorgungsversprechens des Art. 33 V G G 1 . Es kann also nach vorheriger Rechtswegerschöpfung ggf. das Bundesverfassungsgericht angerufen werden, wenn der Beamte eine gesetzliche Kürzung seiner Bezüge und Berechtigungen für verfassungswidrig hält oder wenn behauptet wird, die Versorgung entspreche, z.B. aufgrund des Geldwertschwunds, nicht mehr der Alimentationsgarantie 2 . Das Bundesverfassungsgericht kann zwar nicht die Beamtenbezüge außerhalb der gesetzlichen Regelung anstelle des Gesetzgebers für den Einzelfall festlegen. Es hat aber darüber zu entscheiden, ob die bestehende gesetzliche Regelung den Erfordernissen des Angemessenheitsgebots entspricht. Wird dies verneint, läßt sich also das bestehende Versorgungsniveau oder der mit einem Kürzungsgesetz angepeilte Standard nicht vor Art. 33 V GG mit sachlichen Gründen rechtfertigen, ist ein Verstoß gegen die Alimentationsgarantie festzustellen, mit der Folge einer Änderungsverpflichtung für den Gesetzgeber3. Diese Konzeption entspricht dem vorgeschlagenen Weg auf Feststellung gerichteter „Vernachlässigungs-Sozialansprüche" außerhalb des Beamtenbereichs 4. Diese dienen der Durchsetzung und Erhaltung eines zeitgerechten Niveaus der Sozialgeflechte auf der Grundlage der zunächst objektivrechtlichen Auftragsdimension der positiv verstandenen „sozialstaatsnahen" Grundrechte des Grundgesetzes (Art. 1, 2 II, 6 I und IV, 12, 14 GG) oder — folgt man der herrschenden Meinung — des Sozialstaatsprinzips in Art. 20 I GG. Mittels solcher feststellender Individualrechte soll am Maßstab des Evidenzkriteriums 5 die Einhaltung eines nach den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umständen angemessenen Standards der Systeme sozialer Sicherheit für den Fall des Sozialabbaus sichergestellt werden und zwar unabhängig von Eingriffen in bereits individualisierte „soziale Besitzstände". In Art. 33 V G G fusionieren objektiv-institutionelle Anweisungskomponente zugunsten eines angemessenen Niveaus der Beamtenversorgung und korrelierend damit das subjektive Recht des Beamten auf Feststellung der Einhaltung der dadurch gewährleisteteten Wertungsvorgaben 6. 1

BVerfGE 8, 1 (17); 12, 81 (87); 16, 94 (115); 35, 79 (146); 38, 1 (12); 43, 154 (167); Thiele, DÖV 1981,773; Summerl Rometsch, aaO, S. 4; a. A. Lecheler, AöR, aaO, S. 360 ff, der nur einen objektivrechtlichen Charakter der Alimentationsgarantie anerkennt, weil diese angeblich nicht im Interesse der Beamten, sondern nur des Staates willen besteht. 2 S. BVerfGE 8, 1 (18); Maunz, M D , Art. 33 Rn 82; Isensee, aaO, S. 1186. 3 BVerfGE 8, 1 (18 f); 44, 249 (282). 4 S. dazu oben A 1 2 c); vgl.. Böckenförde, in: Soziale Grundrechte, S. 7 (14f); F. Müller, Leistungsrechte, S. 169 ff; Seewald, Gesundheit als Grundrecht, S. 27 ff, 33; Grimm, Sozialrechtslehrertagung, S. 226 (233); ders., Grundrechte und soziale Wirklichkeit, S. 57. 5 Zum Evidenzkriterium, das die kraft Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip erforderliche Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers berücksichtigt; s. die neuere Rechtsprechung zur objektiven Schutzdimension des Art. 2 I I GG, etwa BVerfGE 56,54 (70 ff); NCUrteil, BVerfGE 33, 303 (333).

D.H. Multifunktionalität des Art. 33 V GG

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Die Alimentationsgarantie ist damit Vorbild für eine mehrdimensionale Verwirklichung von Grundrechtsverbürgungen mit sozialstaatsbekräftigender Funktion außerhalb des Beamtenrechts, ein grundrechtseffektivierendes Modell, das dem Bürger in der Krise des Sozialstaats ein Mehr an Gewissheit über die festigende, kontinuitätswahrende Kraft der Verfassung zugunsten sozialer „Errungenschaften" zu vermitteln vermag.

3. Die Verdrängung der allgemeinen sozialstaatlichen Direktiven In Konsequenz seines bereichsspezifischen multifunktionalen Geltungsanspruchs verdrängt die Alimentationsgarantie die Wertungsmaßstäbe des Grundgesetzes, die sonst soziale Sicherheit für die Masse der Bevölkerung versprechen 1. Zunächst absorbiert Art. 33 V GG das Sozialstaatsprinzip, weil die Alimentations· und Fürsorgepflicht des Staates für seine Beamten eine andere Qualität gegenüber der Verbürgung sozialer Sicherheit nach den allgemeinen Normen der Verfassung besitzt 2 . Es liegt kein Verhältnis der Spezialität vor, vielmehr stellt die Beamtenversorgung ein aliud dar 3 . Allerdings besteht partielle Deckungsgleichheit, was die gemeinsame Funktion einer Gewährleistung sozialer Absicherung gegen die Wechselfalle des Lebens betrifft 4 , die für die Arbeitnehmerschaft in erster Linie durch das solidarisch getragene Sozialversicherungssystem sichergestellt wird. Insofern korrelieren allerdings weniger Art. 33 V GG und das Sozialstaatsprinzip, sondern besteht eine Parallele zum Eigentumsschutz von Sozialversicherungsberechtigungen nach Art. 14 GG. Der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes hat für das Beamtenverhältnis in Art. 33 V G G eine eigene Ausprägung gefunden 5 . Der Alimentationsgrundsatz sichert das Vertrauen auf die Fortexistenz einer amtsangemesse6 Die Gleichrangigkeit von objektiver Garantie und Individualrecht aus Art. 33 V GG betont BVerfGE 43, 154 (167); Thiele, DÖV 1981, 774. 1 Zur Anwendung des Gleichheitssatzes im Rahmen des Art. 33 V GG, s. BVerfGE 54, 11 (25 ff); 56, 146 (162); 61, 43 (62); 64, 367 (379). 2 S. BVerfGE 21, 239 (344); 53, 257 (309); 58, 68 (79); 62, 354 (366); abweichend Schwandt, ZBR 1983, 54 (57); Ruland, ZBR 1983, 313 (315); Summer/Rometsch, aaO, S. 12f, die das Sozialstaatsprinzip neben die Alimentationsverpflichtung aus Art. 33 V G G stellen. 3 S. BVerfGE 21,329 (344); 44,249 (265); Lecheler, AöR, aaO, S. 362 m. Fn 98, S. 371; Thiele, DÖV 1981, S. III. 4 S. BVerfGE 21,329 (346): M i t der Wahrung des Interesses der Funktionsfahigkeit des Berufsbeamtentums und der entsprechenden verfassungsrechtlichen Sicherung durch Art. 33 V GG wird zugleich dem Sozialstaatsprinzip Genüge getan, was aber lediglich Folge der insoweit übereinstimmenden Interessenlage ist. 5 BVerfGE 52, 303 (345); 55, 372 (396); Pieroth, Rückwirkung, S. 364; s. aber jetzt BVerfGE 63, 367 (384), wo rechtsstaatlicher Vertrauensschutz und aus Art. 33 V GG folgender Bestandsschutz nebeneinander gestellt sind.

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

nen Besoldung und Versorgung. Die Schutzintensität ist dabei — entsprechend dem vertrauensspezifischen Abschichtungsmodell — bei in die Zukunft gerichteten Änderungen weniger dicht, als bei in die Vergangenheit hineinwirkenden Verschlechterungen im Dienst- und Versorgungsstatus. So darf die erdiente, durch Befähigung und Leistung im Wege förmlicher Beförderung erreichte statusrechtliche Stellung nicht ohne angemessenen Ausgleich zurückgenommen oder abgewertet werden 6 . Die Pflicht zur Schaffung schonenden Übergangsrechts ist ausschließlich aus Art. 33 V G G herzuleiten 7, wobei Überleitungsvorschriften ihrerseits ein ausreichendes Äqivalent für einen verlorenen Besitzstand status- oder besoldungsrechtlicher Art gewähren müssen8. Besonders eng korrelieren Art. 33 V GG und Art 14 G G als „Grundrecht der Sozialversicherung". Zunächst verdrängt die Alimentationsgarantie für den Bereich der Beamtenversorgung das Eigentumsgrundrecht, da Art 33 V G G insoweit abschließende Sonderregelung ist 9 . Für die strukturell und inhaltlich mit den Versorgungsrechten der Beamten übereinstimmenden Positionen der Berufssoldaten ist aufgrund der Entstehungsgeschichte und systematischen Gesichtspunkten (vgl. Art. 129 IV WRV) allerdings nicht Art. 33 V GG sondern Art. 14 GG verfassungsrechtliche Grundlage 10 . Zwischen dem in der Dienstpflicht der Beamten begründeten Anspruch auf Besoldung und Versorgung und den durch Arbeit 1 1 „erdienten" Berechtigungen des Sozialversicherungssystems besteht aufgrund ihrer gemeinsamen Wurzel in den Vorleistungen der Bürger eine im dogmatischen Wertungsansatz und in der inhaltlichen Gestaltung liegende, freilich durch die Besonderheiten des jeweiligen Regelungskreises geprägte Parallelität, die in der grundgesetzlichen Determination dieser Bereiche Ausdruck findet. Das Bundesverfassungsgericht sagt dementsprechend, daß Art. 33 V GG für die vermögensrechtlichen Ansprüche der Beamten die gleiche Funktion über6 BVerfGE 56,146 (167); 56,175 (183); 64,367 (385): Keine statusrechtliche Abstufung ohne ausreichendes Äquivalent; weitere Nachweise bei Pieroth, aaO, S. 365 ff. 7 S. BVerfGE 55, 372 (395); Vorprüfungsausschuß, NVwZ 1982, 429. 8 S. BVerfGE 56, 142 (167); 56, 175 (183); 64, 367 (385): Verfassungswidrigkeit einer Überleitungszulage wegen nicht ausreichender Besitzstandswahrung. 9 BVerfGE 3, 58 (153); 3, 288 (342); 8, 332 (360); 16, 94 (114); 52, 303 (344); 53, 257 (306); 55,372 (396); Pieroth, aaO, S. 361 Isensee Hdb. d. VerfR., S. 1189; anderer Ansicht ohne zwingende Begründung Thiele, DÖV 1984, 175 (179). 10 BVerfGE 16,94 (111,116); 53,257 (306); BVerwG, D V B L 1983,807; NVwZ 1984, S. 231. 11 Nach BVerfGE 52, 303 (345) ist Art. 33 V GG auch lex specialis gegenüber Art. 12 GG: Das Gericht stellt — hilfsweise — fest, daß die Beschneidung der Einkünfte leitender, beamteter Krankenhausärzte aus Nebentätigkeiten als bloße Berufsausübungsregelung durch vernünftige, auf das Gemeinwohl bedachte Erwägungen gerechtfertigt sei.

D. III. Umfang der Alimentationsgarantie

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nehme, die außerhalb von Beamtenverhältnissen Art 14 GG zukommt 1 2 . Der „Kernbestand" des Anspruchs auf standesgemäßen Unterhalt sei daher ebenso gesichert wie das Eigentum, das gemäß Art. 14 I 2 GG der inhaltlichen Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedürfe 13 . Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Alimentationsverpfliçhtung verläuft analog der situativen, am Prinzip der Lebensstandardsicherung ausgerichteten Bestimmung des Inhalts von Teilhabeberechtigungen der Sozialversicherung, die durch das Eigentumsgrundrecht verfassungsrechtlich abgedeckt werden 14 . Trotz der Wesensverschiedenheit der erfaßten Lebensbereiche ist ein prinzipieller Gleichschritt der Bewertungsmäßstäbe zu konstatieren 15 , welche die Rückschrittsanfalligkeit der beamtenrechtlichen Positionen und der Rechtstellungen im Sozialversicherungssystem definieren.

III. Der Umfang der Alimentationsgarantie 1. Die Direktive der Angemessenheit von Besoldung und Versorgung als Konkretisierung des „Vorbehalts des Möglichen" Die in Art. 33 V GG institutionell und individualbezogen garantierte „Angemessenheit" der Beamtenalimentierung, einschließlich eines adäquaten Sicherungssystems für die Wechselfalle des Lebens (Alters-, Hinterbliebenen-, Krankenvorsorge) 1 , gibt verfassungsrechtlich den Rahmen vor, den der Gesetzgeber in guten wie in schlechten Zeiten nicht verlassen darf. Der angemessene Lebensunterhalt der Beamten und Versorgungsempfanger richtet sich nach Dienstrang, nach der mit dem Amt verbundenen Verantwortung und der Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards 2. Das gesetzgeberische Leistungsermessen wird durch das Angemessenheitskriterium entscheidend eingeengt: Das Niveau der Besoldung und Versorgung darf 12 BVerfGE 16,94 (115); 21,329 (344); 53,257 (307); 61,43 (57); gem. Isensee, Rolle des Beitrags, S. 461 (494) ist das Grundrecht auf amtsgemäße Versorgung inhaltlich ein „Seitenstück" zur Eigentumsgarantie von Sozialversicherungsberechtigungen; vgl. schon Dürig, FS Apelt, S. 34; Weber. AöR 1966, S. 382 (398). 13 Weshalb Art. 33 V GG einen geringeren Schutz als Art 14 G G gewähren soll, wie Lecheler, AöR, aaO, S. 370 u. Thiele, D V B L 1981,253 (257) behaupten, ist nicht einsichtig; zur Kernbestandsthese und ihrer Identität mit dem Angemessenheitspostulat s. unten I I I 1 u. 2 b). 14 Ebenso Diemer, VSSR 1982, 325 (349). 15 So auch Pieroth, Rückwirkung, S. 362. 1 BVerfGE 58, 68 (77 0; 61, 43 (56). 2 BVerfGE 8, 1 (14); 55, 372 (392); 56, 146 (165); 63, 152 (169).

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

die Grenzen der Angemessenheit nicht unterschreiten, wodurch sowohl dem aktiven, rückholenden, als auch dem passiven, nichtanpassenden Abbaugesetzgeber verfassungsrechtliche Schranken gesetzt sind. Insofern errichtet Art. 33 V GG ein begrenztes „beamtenrechtliches Rückschrittsverbot", das zugleich den Kernbestand, den Wesensgehalt, den institutionellen, unantastbaren Gehalt einer Versorgungsstellung flexibel nach den realen Gegebenheiten im Staat kennzeichnet (dazu unten näher 2 b). Harmonisierungsinstrument zur Ausfüllung der Angemessenheitsdirektive ist die Abwägungsprozedur 3, in die sämtliche Wertungsfaktoren beamtenrechtlicher und volkswirtschaftlicher Art einfließen. Zunächst ist die statusrechtliche Forderung der Amts- und Funktionsangemessenheit (§18 BBesG) der Beamtenbezüge zu beachten4. Bestimmungskomponenten für das allgemeine, statusrechtliche abgestufte Niveau der beamtenrechtlichen Versorgung sind die Entwicklung der Wirtschafts- und Finanzlage sowie der Lebensstandard der nichtverbeamteten Arbeitnehmer 5 . Der „Vorbehalt des Möglichen" gerinnt auf dem Feld der Beamtenalimentierung über das Instrument der Angemessenheitsabwägung zu einem bereichsspezifischen Bestimmungsfaktor für die Bemessung des Lebensstandards und der Qualität der sozialen Sicherheit der Beamten und ihrer Familien 6 . Das Angemessenheitsgebot stellt eine verfassungsunmittelbare Relativitätsklausel in Konkretisierung des allgemeinen Vorbehalts des Möglichen dar, welche die systemimmanenten, im Status der Beamten liegenden Anforderungen mit den Gegebenheiten und Bedingungen einer Zeitepoche verschmilzt und als Optimierungsaufgabe an den Besoldungs- und Versorgungsgesetzgeber weitergibt.

2. Nähere Bestimmung der Angemessenheit a) Keine ziffernmäßige

Garantie des höchsten Niveaus der Alimentierung

Unter der Geltung von Art. 1291 WRV war zunächst angenommen worden, daß die Gewährleistung „wohlerworbener Rechte" eine ziffernmäßige Garantie auf Beibehaltung des jeweils erreichten, höchsten Bezugsniveaus der Alimentie-

3

S. näher Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 328 ff. Zu § 18 BBesG s. BVerfGE 64, 367 (377); Fürst/Loschelder, ZBR 1981, 1 (6); SummerIRometsch, aaO, S. 15 ff; zum Grundsatz der Versorgung in Anknüpfung an das letzte Amt s. BVerfGE 61, 43 (58, 60, 62). 5 S. die Anpassungsklauseln in § 14 BBesG; § 70 BeamtVG, dazu BVerfGE 55, 372 (392); 58, 68 (78). 6 Ähnlich Diemer, VSSR 1982, 325 (349). 4

D. III. Umfang der Alimentationsgarantie

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rung meine 1 . Art. 129 I 3 WRV hatte damit den Charakter eines absoluten Rückschritts verbo tes. Diese Auffassung fand nicht nur bei C. Schmitt in Konsequenz seiner Interpretation der Figur der „institutionellen Garantie" Widerspruch 2 , sondern ist vom Reichsgericht durch die Bezugnahme auf die bestehenden Besoldungsund Versorgungsgesetze entscheidend modifiziert worden. Danach sollten Kürzungen nach Maßgabe der Besoldungsgesetze zulässig sein, was letztlich einer völligen Relativierung des Verfassungssatzes von den „wohlerworbenen Rechten" durch das einfache Gesetzesrecht gleichkam 3 . Das Grundgesetz kennt eine statische Garantie „wohlerworbener Rechte" nicht und der Alimentationsgrundsatz des Art. 33 V GG wird nicht im Sinne einer „Höchststandsgarantie" für eine summenmäßig bestimmte Besoldung oder Versorgung interpretiert. Eine grundgesetzliche Verbürgung der Erhaltung des Besitzstandes in Bezug auf ein einmal erreichtes Einkommen gibt es weder als institutionell gewährleisteten hergebrachten Grundsatz noch im Sinne eines Individualrechts 4 . Der Gesetzgeber kann für die Zukunft aus sachgerechten Gründen die Bezüge und Unterstützungsleistungen modifizieren und herabsetzen 5. Er ist auch befugt, das existierende Besoldungs- und Versorgungsrecht grundlegend zu reformieren und innerhalb des Besoldungsgefüges Korrekturen und Neubewertungen vorzunehmen, die eine Absenkung von Bezügen beinhalten, wobei allerdings der erdiente amts- und besoldungsmäßige Status der Beamten nicht ohne angemessenen Ausgleich zurückgenommen werden darf 6 . Nichtanpassungen der Bezüge oder gezielte Rücknahmen bedürfen vor der Direktive der Amtsangemessenheit in gleicher Weise der Legitimation 7 , wie verschlechternde Eingriffe bei Positionen des Netzes sozialer Sicherheit außerhalb des Beamtenbereichs, wo die „soziale Dimension" der Grundrechte maßgeblicher Wertungsfaktor zugunsten zeitgerechter und verläßlicher Sozialeinrichtungen ist.

1 S. Anschütz, Verfassung des Deutschen Reiches, S. 592 ff mit weiteren Nachweisen ; E.R. Huber, AöR 23 (1933), 1 (55 ff). 2 Die „Institutionelle Garantie" des Art. 129 I S. 3 WRV beschränkte sich nach C. Schmitt auf die Gewährleistung des standesgemäßen Unterhalts, sollte also nicht Garantie eines Maximums sein, s. dazu C. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, S. 215; ders., Institutionelle Garantie S. 159; ders., Wohlerworbene Beamtenrechte S. 175. 3 S. RGZ 134, 1 (12); 141, 342 (347); 143, 77 (80). 4 Ständige Rechtsprechung s. BVerfGE 8, 1 (13); 16, 94 (115); 44, 249 (263); 55, 372 (392). 5 BVerfGE 18, 159 (166); 26, 141 (156); 44, 249 (263); 52, 303 (343); 55, 372 (392); Vorprüfungsausschuß NVwZ 1982, 429. 6 BVerfGE 56, 146 (166); 61, 43 (58); 64, 367 (385). 7 S. BVerfGE 58, 81 (87); Summer/Rometsch, aaO, S. 11, 13.

15 Schlenker

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Die A b b a u m o t i v e des Gesetzgebers, also haushaltsrechtliche G r ü n d e 8 bzw. eine primär sozial- oder beamtenpolitische Zielsetzung 9 , müssen an der Grundgesetzzusage einer zeitangemessenen A l i m e n t a t i o n gewichtet u n d abgewogen werden. b) Kerngehalt

und Untergrenze des Angemessenheitsrahmens

Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers endet, abgesehen v o n der Frage einer Antastung anderweitiger Strukturprinzipien des Berufsbeamtentums, dort, w o der Angemessenheitsrahmen verlassen w i r d 1 . D i e Untergrenze der Angemessenheit w i r d häufig m i t der Garantie des „Kernbereiches" des Anspruches auf standesgemäße Alimentation identifiziert 2 . I n Parallele 3 zur spezifisch eigentumsrechtlichen Kernbestandsformel für die Feststellung rücknahmeresistenter Zonen v o n Sozialversicherungsberechtigungen (dazu oben A I I I 2) dient die Vorstellung einer grundgesetzlichen Garantie des Kernes amtsangemessener A l i m e n t a t i o n der bildhaften Kennzeichnung jenes änderungsfesten Inhalts einer beamtenrechtlichen Versorgungsstellung, den der Gesetzgeber nach Maßgabe einer A b w ä g u n g zwischen statusabhängigem personalen Versorgungsversprechen, orientiert a m allgemeinen Lebensstandard, u n d den Gemeinwohlbelangen, die aus den Realdaten der haushalts8 S. BVerfGE 55,207 (239): Grundsatz der sparsamen Haushaltsführung; 64,158 (170): Pflicht zur Rücknahme einer Dienstzeitprämie im Interesse des Sparsamkeitsgrundsatzes; BVerwG DÖV 1981, 101 (104): Berücksichtigung der Haushaltslage bei Gestaltung des Beihilferechts; BVerwG D V B L 1983, 805 (807): Finanzierungsdefizit der öffentlichen Haushalte ist hinreichender Grund für Leistungseinschränkungen; V G H Ba-Wü D V B L 1983,511 (512): Öffentliche Haushaltslage ist bei der Bemessung der Beihilfe zu beachten; einschränkend Summer jRometsch, aaO, S. 11,13, wonach fiskalische Gründe allein keine ausreichende Legitimation für Abbaumaßnahmen darstellen, vielmehr ausschließlich der Vergleichsmaßstab der Entwicklung des Einkommens der nichtverbeamteten Arbeitnehmer gelten soll; Leisner, ZBR 1983, 141 (148): Keine Beihilfe nach Haushaltslage. 9 Auch im Beamtenbereich haben die Rücknahmekriterien der Beseitigung von Überund Doppelversorgungslagen, der Mißbrauchsabwehr oder der Verschiebung von Bedarfslagen Bedeutung, s. BVerfGE 55, 207 (239): Doppelbelastungen der öffentlichen Hand müssen vermieden werden; BVerfG, Vorprüfungsausschuß, NVwZ 1982, 429: Beseitigung der Doppelversorgung durch § 55 BeamtVG; BVerfGE 65,141 (148): Für die Regelung und auch Abschaffung von Zulagen besteht ein besonders weiter Ermessensspielraum des Gesetzgebers; auch die Zielsetzung einer Neuordnung oder Vereinheitlichung der Besoldungs- und Versorgungsordnungen kann Einschnitte im Beamtenverhältnis rechtfertigen, dazu BVerfGE 55, 372 (394); 56,146 (166); 56,175 (182); 64, 367 (377). 1 BVerfGE 25, 141 (158); 44, 249 (273); 55, 372 (392); 58, 68 (78); 61, 43 (57). 2 Vgl. BVerfGE 16, 94 (112,115); 51, 329 (344); 53, 257 (307); Vorprüfungsausschuß, NVwZ 1982, 429; Thiele, D V B L 1981, 253 (257); Die Reduktion des Alimentationsanspruchs auf einen „Kerngehalt" in der subjektiven Dimension korrespondiert mit dem Verständnis der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums als institutioneller Kernbereichsgewährleistungen, s. BVerfGE 43, 242 (278); 56, 146 (162); 58, 68 (76); 64, 367 (379); Lecheler, AöR 103 (1978), 349 (351 03 Der Anspruch auf angemessene Alimentation ist in seinem Kernbereich ebenso gesichert, wie das Eigentum durch Art. 14 GG. Art 33 V GG übernimmt daher die gleiche Funktion, die außerhalb von Beamtenverhältnissen Art. 14 GG zukommt, so BVerfGE 16, 94 (115); 21, 329 (344); 53, 257 (307); 61, 43 (57, 63).

D. III. Umfang der Alimentationsgarantie

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mäßigen und volkswirtschaftlichen Entwicklung gespeist werden, zu respektieren und zu schonen hat 4 . Die Kernbereichsthese ist im Zusammenhang mit Art. 33 V GG ebenso wie bei Art. 14 GG keine statische Richtgröße, sondern realitätsoffene und elastische Figur zur Charakterisierung dessen, was in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation als verfassungsfester „Versorgungswert" zu gelten hat 5 . Das Bundesverfassungsgericht hat die Untergrenze der Angemessenheit, den unantastbaren Kern negativ dahin umschrieben, daß die Alimentation „nicht eindeutig unangemessen, d. h. unzureichend" sein dürfe 6 . Diese Formulierung weckt den Verdacht, daß neben dem normalen, angemessenen Unterhalt eine weitere Kategorie einer gerade noch hinreichenden Mindestalimentierung existiert 7 . Demgegenüber ist festzustellen, daß verfassungsrechtlich nicht bloß eine Mindestbesoldung und -Versorgung geschuldet ist, vielmehr immer eine realitätsgerechte Alimentierung als durch Art. 33 V G G verbürgter „beamtenrechtlicher Mindeststandard" zu gewähren ist, der freilich „ i n sich" definitionsgemäß eine Erfüllungsbandbreite nach Maßgabe der allgemeinen Lebensumstände besitzt. In „Heller und Pfennig" läßt sich das jeweils amts- und situtionsangemessene Niveau der Besoldung und Versorgung nicht angeben, vielmehr kommt es auf die wechselnden Gegebenheiten der Volkswirtschaft und die jeweiligen beruflichen Standards der Gesellschaft (Arbeitszeit, Urlaub, Einkommen) an 8 . Die Kindergeldentscheidung vom 30. 3. 1977 gibt hierfür einige Anhaltspunkte (siehe unten d.). Weder das Grundgesetz noch die gesetzlichen Bestimmungen kennen eine Indexierung der geforderten zeitgerechten Alimentierung an statistische For4 Zur Frage der „absoluten" oder „relativen" Wesensgehaltermittlung bei den Grundrechten, die mit der Feststellung unantastbarer „institutioneller" Kernzonen einer Rechtsstellung identisch ist, s. oben A I I I 2; Darstellung des Streitstandes bei Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 325 ff. 5 S. BVerwG, DÖV 1981,101 (103); V G H Ba-Wü, D V B L 1983, 512 : „ N u r wenn die Beihilfe im Verhältnis zu den Aufwendungen insgesamt so gering ist, daß eine unerträgliche Belastung der amtsangemessenen Lebensführung der Beihilfeberechtigten eintritt, kann die Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern beeinträchtigt und eine derartige Regelung daher ungültig sein". 6 BVerfGE 26,141 (157); 52, 303 (343); 55; 372 (393); V G H Ba-Wü, D V B L 1983, 511 (512): Es darf keine unerträgliche Belastung der amtsangemessenen Lebensführung eintreten; Ruland, ZBR 1983, 313 (315) reduziert die Bedeutung des Alimentierungsprinzips im Versorgungsrecht auf die Garantie einer Mindestversorgung. 7 So auch Lecheler, AöR, aaO, S. 369; Fürst, ZBR 1983, 319 (328); Summer/Rometsch, aaO, S. 11. 8 So Isensee, Hdb. d. VerfR, S. 1184; ein absolutes Versorgungsminimum schreibt § 14 BeamtVG vor; danach besteht zunächst eine 35% Untergrenze nach Erfüllung der Wartezeit, sowie eine ziffernmäßige Mindestgarantie aufgrund von § 1413 u. 4 BeamtVG; nach Fürst, aaO, S. 329, ist die 35 %-Grenze verfassungsrechtlich verbürgter Mindeststandard für die Altersversorgung der Beamten.

15*

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

mein (Lebenshaltungskosten) oder andere allgemein anerkannte Unterhaltsdefinitionen, z.B. die BAFÖG-Sätze oder die Düsseldorfer Tabelle9. Jedenfalls muß der Alimentationsstandard in den unteren Besoldungsgruppen über dem Leistungsniveau der Sozialhilfe liegen 10 .

c) Die Anpassung der Bezüge Die fehlende Koppelung der Beamtenalimentierung an präzise Lebenshaltungsbezugsgrößen1 hat vor allem Bedeutung für die verfassungsrechtlich als Teilprinzip der Alimentationsgarantie verbürgte 2 und auch in Gesetzesform gebrachte 3 Anpassungspflicht der Besoldungs- und Versorgungsbezüge an die volkswirtschaftlichen und haushaltsrechtlichen Voraussetzungen einer Zeitepoche. Die beiden Anpassungselemente der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse werden durch eine Vielzahl situationsbezogener Einzelfaktoren ausgefüllt. Die wirtschaftlichen Verhältnisse bestimmen sich im wesentlichen durch die Relation zwischen der Gesamtwirtschaftslage, den Realeinkommen der unselbständig Beschäftigten (Tarifverträge) und der Kaufkraft des Geldes4. Die finanziellen Verhältnisse sind in erster Linie durch die Situation der Staatsfinanzen geprägt, welche die Leistungsfähigkeit des Dienstherrn abstecken5. Die schlechte Lage der öffentlichen Haushalte ist auch Bestimmungsgröße der Beamtenalimentierung, was in Anbetracht der Krise der Staatsfinanzen Eingang in die Alimentationsjudikatur gefunden hat 6 . Auch die Personalkosten folgen grundsätzlich der haushaltspolitischen Prioritätensetzung und zwar umso fühlbarer, je schärfer das Diktat knapper Kassen sich äußert 7 . Andererseits ist die geschuldete Alimentierung nicht eine dem Umfang nach beliebige Größe, die sich einfach nach den wirtschaftlichen Möglichkeiten der 9 Diese Unterhaltsmaßstäbe nennt BVerfGE 44, 249 (274) i.S. mittelbarer Richtgrößen. 10 BVerfGE 21, 329 (344); 44, 249 (265); Summer/Rometsch, aaO, S. 18. 1 Die Anpassungspflicht ist vom Gesetzgeber bewußt nicht an bestimmte Lebenshaltungsindices gebunden worden, da wegen der Bedeutung der Beamtenbesoldung als Richtschnur für andere Dienstleistungsentgelte, insbesondere auch den tariflichen Bereich, eine Dynamisierungsautomatik vermieden werden soll, s. Fürst, G K Ö D , § 14 BBesG, Anm. 1. 2 BVerfGE 8, 1 (14); 56, 323 (361); 58, 68 (78). 3 § 14 BBesG, § 70 BeamtVG; vgl. die Rentenanpassungsformel in § 1272 RVO, § 49 AVG, dazu den Rentenanpassungsbeschluß BVerfGE 64, 87 (97 ff). 4 Vgl. BVerfGE 56, 323 (361); Fürst/Loschelder, ZBR 1983, 1 (6). 5 Fürst, G K Ö D , § 14 Anm. 5. 6 S. BVerfGE 55, 207 (239); 64, 158 (170); BVerwG,DÖV 1981, 101 (104). 7 So Fürst!Loschelder, ZBR 1983, 1 (14); vgl. auch BVerfGE 62, 354 (372).

D . I I I . Umfang der Alimentationsgarantie

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öffentlichen Hand oder nach den politischen Dringlichkeitsbewertungen hinsichtlich der verschiedenen, vom Staat zu erfüllenden Aufgaben bemessen läßt 8 . Das Angemessenheitspostulat gebietet daher trotz knapper Staatsfinanzen immer die Verkoppelung des Besoldungs- und Versorgungsniveaus der Beamten mit dem Lebensniveau der nichtbeamteten Arbeitnehmer und ihrer Familien, was freilich die Möglichkeit einer Absenkung auch der Besoldungs- und Versorgungsbezüge in schlechten Zeiten einschließt9. Die durch das Haushaltsstrukturgesetz 1982 und durch die Haushaltsbegleitgesetze 1983 und 1984 gegenüber dem Tarifbereich zeitlich hinausgeschobenen Erhöhungen bzw. Einfrierungen der Besoldungs- und Versorgungsanpassung stellen Sparmaßnahmen dar, die zu einer Konsolidierung des Staatshaushaltes beitragen sollen 10 . In den in seinen praktischen Auswirkungen doch relativ geringfügigen Beschneidungen durch verzögerte und begrenzte Anpassungen der Beamtenalimentierung kann keine Verletzung der grundgesetzlich verbürgten Anpassungspflicht in Ausfüllung des Angemessenheitskriteriums gesehen werden 11 . Insofern ist zu berücksichtigen, daß die Beamten in den vorausliegenden Jahren einen überdurchschnittlichen Einkommenszuwachs zu verzeichnen hatten, durch die Arbeitsplatzgarantie einen risikofreien, insoweit priviligierenden 12 Status gegenüber der Masse der Arbeitnehmer besitzen und auch die Pensionsempfänger heute besser gestellt sind als die Rentner in der gesetzlichen Sozialversicherung 13. 8

So BVerfGE 44, 249 (264). S. § 70 BeamtVG, SummerjRometsch, aaO, S. 13: Strikte Koppelung zwischen Arbeitnehmereinkommen und Besoldung; nach Schwandt, ZBR 1983, 54 (57), darf sich der Gesetzgeber bei Festsetzung der Alimentation nicht primär von finanzpolitischen Erwägungen leiten lassen, solange sich in der Einkommenssituation der Arbeitnehmer keine entsprechende Veränderung vollzieht. 10 Näher Clemens, ZBR 1982,61; ders., ZBR 1984,25; Käppner, ZBR 1983,15 ff, 22 ff. 11 Auch die Kürzungen der Beihilfe durch Einführung von Selbstbeteiligungen sowie eine Staffelung der Beihilfequoten nach Gehaltsgruppen verletzt nicht die Alimentationsgarantie, s. BVerfGE 58, 68 (78); BVerwG, DÖV 1981, 101; V G H Ba-Wü, D V B L 1983, 511; kritisch aber Leisner, ZBR 1983, 141 ff. Zu den Forderungen und Stellungnahmen der Spitzenorganisationen des öffentlichen Dienstes im Zusammenhang mit den Spargesetzen s. ausführlich Käppner, ZBR 1983,15ff; Thiele, D V B L 1983, 253 (257); Battis, NJW 1984, 1333 bei Fn 14-16. 12 Dazu BVerfGE 55, 207 (239); Vorprüfungsausschuß, NVwZ 1982, 429 zu § 55 BeamtVG. 13 Vgl. den Hinweis in BVerfGE 63, 152 (170) auf die „nicht unbeträchtliche Grundsicherung" von Ruhestandsbeamten; die SV-Kom. Alterssicherungssysteme stellt fest (S. 121), daß die Pensionärshaushalte über ein relativ höheres Einkommen als die Rentner verfügen. Beamte kommen bereits nach 35 Dienstjahren auf ein Bruttoversorgungsniveau von 75 % des ruhegehaltsfähigen Bruttoentgeltes, während die in der Rentenversicherung Versicherten ohne betriebliche Zusatzversorgung nach 40 Versicherungsjahren nur auf ein Bruttorentenniveau von 45-50% des letzten individuellen Bruttoentgelts kommen (S. 59). Das Nettoniveau liegt für die Rentenversicherten nach 40 versicherten Jahren bei 64,4 %, für die Pensionäre nach 35 Dienstjahren bei 80 % (S. 63). 9

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Eine vorübergehende Abkoppelung der Alimentationsanpassung von der Entwicklung im Tarifbereich und in der Sozialversicherung erscheint mit Rücksicht auf die kompensierenden Vorteile des Beamtenstatus gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten und der überproportionalen Teilhabe der Beamten an der Lebensstandardsteigerung in den Jahren des Wohlstands vertretbar 14 .

d) „Katalog der Wohlstandsgesellschaff in der Kindergeldentscheidung (BVerfGE 44, 249 (265)) Zur näheren Kennzeichnung des einer Zeitepoche jeweils angemessenen Standards der Beamtenversorgung hat das Bundesverfassungsgericht — aus vergleichsweise unbedeutendem Anlaß—in der Entscheidung zur Ersetzung des steuerlichen Kindergeldfreibetragsystems durch direkte Kindergeldzahlungen einen Katalog von Lebensstandardkriterien der modernen Industriegesellschaft entworfen. Ausgangspunkt ist die Feststellung, daß die Amtsangemessenheit ein zeitabhängiger Maßstabsbegriff ist, dessen Ausfüllung in der Wohlstandsgesellschaft anders ausfallen müsse als in Zeiten allgemeiner Knappheit. Nach allgemeiner Anschauung gehörten zu den Bedürfnissen, die der arbeitende Mensch befriedigen können soll, nicht nur der Elementarbedarf für Nahrung, Kleidung und Unterkunft, sondern im Hinblick auf die allgemeinen Lebens- und Verbrauchsgewohnheiten auch ein „Minimum an Lebenskomfort". Dazu zählt nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts 1 (bezogen auf das Jahr 1977): Ausstattung des Haushaltes mit den üblichen elektrischen Geräten einschl. ihrer Unterhaltung, Radio und Fernsehgerät samt laufenden Kosten, Zeitungs- und Zeitschriftenbezug, Theaterbesuch und Besuch ähnlicher Veranstaltungen, Kraftwagen, Urlaubsreise, Bausparvertrag, Lebensversicherung und Krankenversicherung, Ausgaben für Fortbildung, soziale und politische Aktivitäten und vernünftige Freizeitbeschäftigung. Dieser beamtenrechtliche Warenkorb, der mit den Bestimmungsgrößen für die Feststellung der Regelsätze der Sozialhilfe nichts gemein hat 2 , umschreibt als zeitbezogene Komponente das Niveau des allgemeinen Lebensstandards, an das die Besoldung und Versorgung der Beamten und ihrer Familie nebst der Hinterbliebenenversorgung, abgestuft nach Bedeutung und Funktion des jeweiligen Amtes, angekoppelt sind. Im Kindergeldbeschluß nahm das Bundesverfassungsgericht aufgrund einer recht peniblen Prüfung der Auswirkungen der Umstellung vom Kinderfreibe14

Ebenso Isensee, Hdb. d. VerfR., S. 1187; vgl. Clemens, ZBR 1984, 25 (28). BVerfGE 44, 249 (266), dazu auch Summer/Rometsch, aaO, S. Iff. 2 Die angemessenen Bezüge müssen immer ein Niveau über dem der Sozialhilfe besitzen, selbst bei starkem Sinken des allgemeinen Lebensstandards, so Fürst, ZBR 1983, 319 (320). 1

D . I I I . Umfang der Alimentationsgarantie

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trags - auf das Kindergeldsystem eine Verletzung des Alimentationsprinzips an, weil die Dienstbezüge solcher Beamter mit mehr als 2 Kindern nach der Neuregelung „evidentermaßen" 3 nicht den Lebensstandard sicherstellen konnten, den die Beamtenkollegen mit 2 oder weniger Kinder genießen durften. Für die dadurch erlittenen Einschränkungen des Lebenszuschnittes, wozu das Bundesverfassungsgericht auch bescheidenere Kleidung oder den Verzicht auf einen Bausparvertrag zählte, sah das Gericht keine Rechtfertigung 4. Zur Ermittlung der in einer bestimmten Zeitepoche jeweils angemessenen Alimentation steigt das Bundesverfassungsgericht also realitätsbezogen in die Details moderner Lebensführung der Wohlstandsgesellschaft ein und orientiert sich an der tatsächlich vorhandenen wirtschaftlichen Belastung der Beamten. Eine derart minuziöse, auf die Lebenswirklichkeit abstellende Betrachtung ist an sich begrüßenswert, hinterläßt aber zumindest verfassungspolitisches Unbehagen, weil außerhalb des Beamtenrechts nur vergleichsweise dürftige Aussagen zur zeitangemessenen Gestalt und zum Niveau sozialer Leistungs- und Schutzkomplexe existieren. Das Auseinanderklaffen verfassungsrechtlicher Verdeutlichung der Maßstäbe für die Bemessung der Beamtenalimentation und des Sozialstandards nichtverbeamteter Bürger auf den verschiedenen Funktionsstufen (Existenzminimum im Notfall, soziale Fürsorgepflicht, Hauptnetz der Sozialversicherung) hat dann auch zum Vorwurf geführt, die Kindergeldentscheidung wirke wie ein Stück priviligierender „beamtenrechtlicher Selbstbedienung"5. Festzuhalten ist, daß der Gesetzgeber für die Bestimmung einer den Zeitumständen gerecht werdenden Besoldung und Versorgung zwar eine Einschätzungsprärogative besitzt, diese aber kraft der Alimentationsgarantie des Art. 33 V GG keineswegs die ständig hervorgehobene sehr große Bandbreite hat 6 , vielmehr der Entscheidungsspielraum im Vergleich zur grundgesetzlichen Determination des sozialen Sicherungssystems der nichtverbeamteten Arbeitnehmer eng ist.

3 BVerfGE 44, 249 (263); eine Unterschreitung der Angemessenheitsvorgabe ist also nur festzustellen, wenn eine grobe, offensichtliche Vernachlässigung der Alimentationsverpflichtung angezeigt ist. In Parallele hierzu ist das Evidenzkriterium auch funktioneller Eingrenzungsfaktor, wenn man „Feststellungsvernachlässigungsansprüche" aus der sozialen Dimension der Grundrechte bzw. dem Sozialstaatsprinzip in Bezug auf die Verwirklichung des Systems sozialer Sicherung außerhalb des Beamtenbereiches bejaht, dazu oben A I 2 c), D I I 2. 4 Das BVerfG, aaO, S. 267, bemüht Art 61 GG und das Sozialstaatsprinzip, um damit Art. 33 V GG wertungsmäßig „aufzuladen". Es gewinnt dadurch die Direktive, daß die „Beamten ohne Rücksicht auf die Größe der Familie sich annähernd das gleiche leisten können" müssen. 5 Häberle, Disk. Beitrag, W D S T R L 37, 289; Zacher, ebenda, S. 291 f. 6 S. etwa BVerfGE 55, 372 (392); 58, 69 (78); 61, 43 (57).

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

IV. Modellcharakter der Alimentationsgarantie des Art. 33 V GG für eine grundrechtsgesteuerte Verbürgung eines zeitgerechten Standards des Sozialrechts Die Grundgesetzvorschrift des Art. 33 V GG ist mit ihrem Alimentationsversprechen für den Bereich der Entlohnung und sozialen Sicherung der Beamten und ihrer Familien komplexe und multifunktionale Verfassungsgarantie, welche die demokratische Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers unter strukturellem und materiellem Aspekt relativ stark einengt. Eine solcherart konzentrierte grundgesetzliche Abstützung wird den sozialen Leistungs- und Schutznormgeflechten der nichtverbeamteten Arbeitnehmergesellschaft vorenthalten 1 . Das Sozialrecht beruht auf einem verfassungsrechtlichen Fundament, dessen normative Anknüpfungspunkte in Ermangelung eines Systems lebensbereichskonzentrierter sozialer Verbürgungen nach herrschender Auffassung zersplittert in den Zuständigkeitsvorschriften des Grundgesetzes, den Staatszielbestimmungen des Sozialstaats- und des Rechtsstaatsprinzips und den Grundrechten zu suchen sind. Eine objektivrechtlich-institutionelle Bindung des Sozialgesetzgebers wird formell durch das Kompetenzgerüst des Grundgesetzes und materiell nach herrschender Meinung maßgeblich durch das Sozialstaatsgebot, den Gleichheitssatz sowie speziell durch Art. 1 I und Art. 6 GG erzielt. Eingriffe in erworbene, individualisierte Sozialrechtsstellungen müssen sich partiell in Bezug auf Sozialversicherungsberechtigungen gegenüber dem eigentumsrechtlichen Bestandsschutz aus Art. 14 GG, ansonsten vor dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzpostulat legitimieren. Nur durch mühevolles Zusammenlesen der verschiedenen verfassungsrechtlichen Wirkschichten und der normativen Verankerungen läßt sich die Stabilisierungskraft und das Kontinuitätsversprechen des Grundgesetzes für in Gesetzesform geronnene soziale Errungenschaften ermessen. Die Schwächen nicht ausreichender normtextlicher bzw. — ersetzend und ergänzend — interpretativer Erfassung der sozialen Funktionen des Staates durch das Grundgesetz und seine Interpreten werden offenkundig 2 , wenn in Anbetracht eines Wandels der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und des 1 I. d. S. auch die Disk.-Beiträge, VVDSTRL 37: Badura, S. 285; Häberle, S. 289; Zacher, S. 291, Isensee, S. 319 f. 2 Entgegen der Mehrheitsauffassung der SV-Kom. Staatszielbebestimmungen, Gesetzgebungsaufträge, Rn 76 und der herrschenden Lehre (s. Nachweise oben 3. Teil A l l ) ist eine Auffacherung des Sozialstaatsprinzips in einzelne soziale Verbürgungen mit mehrdimensionaler Ausstrahlungskraft zur Verdeutlichung der sozialen Verantwortung des Staates wünschenswert! Vgl. Grimm. AöR 1972,489 (500): Legitimität muß die Verfassung aus ihren materiellen Bestimmungen schöpfen. Jede Aussparung eines wichtigen Sozialbereichs wäre darum Legitimitätsverlust.

D.IV. Modellcharakter des Art. 33 V GG

233

ökonomischen Nährbodens nicht mehr die Frage der Einhaltung einer Verteilungsgerechtigkeit bei neuen sozialen Leistungen im Vordergrund steht, sondern ein wahrendes, Verläßlichkeit, Stetigkeit und Beständigkeit des Sozialrechts und seiner Einrichtungen versprechendes Element des Grundgesetzes gesucht werden muß. Die Blaßheit und Inhomogenität des Grundgesetzes gegenüber sozialen Vergegenständlichungen wird zur Belastung, sobald der Ausbau des Sozialstaats ins Stocken gerät und die parlamentarische Mehrheit einen punktuellen oder auch breit angelegten Rückzug des Staates aus seiner sozialen Verantwortung beschließt. Der auf eine umfassende, auf Dauer angelegte soziale Absicherung vor den Wechselfallen des Lebens und der Ausbeutung durch den wirtschaftlich Mächtigeren angewiesene Bürger wird durch das liberalstaatlich geprägte Konzept des Bonner Grundgesetzes zwar nicht völlig alleingelassen. Doch mangelt es an hinreichend deutlichen normativen Aussagen, Wertungs- und Abwägungsrichtlinien, die das notwendige Maß an Stabilität und Kontinuität, Flexibilität und Elastizität unter Berücksichtigung der demokratischen Wertsetzungsprärogative des Parlaments in Bezug auf das Sozialrecht sicherstellen. Explizite Fixpunkte, die die Erhaltung eines bestimmten Standards der Sozialgesetzgebung sowohl bezüglich der materiellen Leistungs- und Schutznormdichte als auch der strukturellen und organisatorischen Bewältigung von Sozialaufgaben 3 im Sinne von — begrenzten — Rückschrittsverboten nahelegen, fehlen in der Verfassung. Eine interpretative Verdichtung der Sozialstaatsklausel und der Gewährleistungen des Grundrechtskataloges in Richtung auf eine verbindliche soziale Aktivitäts- und Wahrungsdimension ist bisher — in Konsequenz der stetigen Expansion von Wirtschaft und Sozialstaat — nur rudimentär und vereinzelt erfolgt 4 . Speerspitze ist dabei der in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichtes seit dem Versorgungsausgleichsurteil vollzogene Wandel im Hinblick auf eine beschränkte Einbeziehung von Sozialteilhaberechten des Sozialversicherungssystems in die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG und deren Auslegung als begrenzter, individualbezogener Bestandsschutzformel im Gefolge der Abwägungsprozedur zwischen personaler Daseinssicherungsfunktion und sozialer, gemeinwohlorientierter Ausrichtung der betroffenen Sozialrechtsstellungen. Ein klares, Verläßlichkeit und Situationsflexibilität harmonisierendes Konzept der Abstützung bestehender Sozialfunktionen und Institutionen durch das 3 Erinnert sei an die AOK-Entsch., BVerfGE 39, 302, (314), wo eine institutionelle Garantie der bestehenden Gestalt des Systems sozialer Sicherheit aus dem Sozialstaatsprinzip und den Zuständigkeitsvorschriften verneint wird, dazu oben 2. Teil A I 2. 4 s. besonders die nasciturus-Entsch., BVerfGE 45,376, mit dem Gebot „umfassender" Systeme sozialer Sicherheit abgeleitet aus dem „Sozialstaatsprinzip i.V.m. Art. 3 I".

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Grundgesetz, vor allem kraft der personalen, faktische Freiheit realisierenden Daseinssicherungsfunktion der Grundrechte kann bisher nicht festgestellt werden. Vor diesem Hintergrund ist das Versorgungsversprechen der Alimentationsgarantie des Art. 33 V GG zugunsten der Beamten methodischer Wegweiser für eine stärkere grundrechtliche Orientierung des Sozialgesetzgebers in einer Zeit, wo zum einen der Sozialbürger ein höheres Maß (verfassungs-)rechtlicher Gewißheit in Bezug auf die Rücknahmefestigkeit sozialer Vergegenständlichungen und Teilhabeberechtigungen begehrt, andererseits die gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Gegebenheiten viel Elastizität von den Organen des Staates verlangen. Die Sonderrolle des Art. 33 V GG, der als Gegenstück zur unbedingten Treuepflicht eine umfassende Verfasssungsgarantie zugunsten der in ihren Lebensbedingungen völlig vom Gesetzgeber abhängigen Beamtenschaft ausspricht, darf selbstverständlich nicht außer Acht gelassen werden. So ist die Beamtenversorgung durch traditionelle Strukturprinzipien geprägt, die zwar eine gewisse Wandlungsfähigkeit in der Zeitperspektive besitzen (s.o. I I 1), jedoch letztlich eine fixierende Wirkung im politischen Prozeß ausstrahlen, was sich jüngst in der Diskussion um eine Hamonisierung der bestehenden Alterssicherungssysteme 5, aber auch einzelne Prinzipien des Berufsbeamtentums, ζ. B. der Zulässigkeit von Teilzeitarbeit 6, gezeigt hat 7 . Die Versorgungszusage des Grundgesetzes für seine Beamten bildet auch insofern ein „aliud" gegenüber der staatlichen Sozialsicherung der Arbeitnehmer 8 , als sie die gesamte Lebensstellung des Beamten und seiner Familie erfaßt, 5 S. dazu die vorsichtigen Empfehlungen der SV-Kom. Alterssicherungssysteme, S. 144 ff, die von einer prinzipiellen Beibehaltung der Strukturunterschiede der Alterssicherungsinstitutionen ausgehen. Vorgeschlagen wird mehrheitlich u.a.: 1. Schrittweise Einführung eines „offenen" Altersversicherungsbeitrags der Beamten in Höhe des halben Beitragssatzes der Rentenversicherung. 2. Ein echt lineares Wachstum der Pensionsansprüche. 3. Ein neues einheitliches Besteuerungsmodell für alle Ruhegelder. 4. Eine Orientierung der Höhe der Beamtenpensionen an der Gesamtbeschäftigungszeit. S. dazu kontrovers Ruland, ZBR 1983,313 ff; Fürst, ZBR 1983,319 ff. Vgl. BVerfGE 40,121 (140), wo geäußert ist, daß die Unterschiede zwischen Beamtenversorgung und Sozialversicherung für die Arbeitnehmer rechtspolitisch nicht mehr voll überzeugen. 6 Dazu etwa Lecheler, AöR 1978, 348 (365); Isensee, Hdb. d. VerfR., S. 1183; Battis, NJW 1984, 1332 (1334 m. Fn 32). 7 Eine „große Sozialreform", die das Versorgungsrecht der Beamten einbezieht, ist nur im Wege einer GG-Änderung zu Art. 33 GG, die nicht durch Art. 79 I I I G G blockiert wird, vorstellbar, s. Thiele, DÖV 1981, 773 (775); Ruland, ZBR 1983, 313 (314); Fürst, ZBR 1983, 319; Stober, D V B L 1984, 857 (860). 8 Zum „systemtranszedenten Vergleich" zwischen Beamtenversorgung und dem Recht der sozialen Sicherung der Arbeitnehmer s. BVerfGE 21,329 (349,352 0; 39,169 (185); 40, 121 (139); 43, 13 (21); 52, 303 (345); 58, 68 (81); 64, 87 (107), wo eine Vergleichbarkeit schon wegen der sozialgeschichtlichen und systematischen Unterschiede dieser Ordnungsbereiche von vornherein verneint wird; vgl. aber BVerfGE 54, 11 (25 ff) — Besteuerung von Altersruhegeldern und Beamtenpensionen —; 63, 152 (166ff) — Kurenbeschluß —, wo eine systemvergleichende Untersuchung stattfindet; s. auch Katzenstein, VSSR 1982, 167 (1850; Diemer, VSSR 1982, 325 (349).

D.IV. Modellcharakter des Art. 33 V GG

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während das Sozialrecht nur einen Ausschnitt des Lebens der Bürger betrifft, nämlich die Absicherung, Unterstützung und Hilfe im Falle typischen (Sozialversicherung) 9 oder eher schicksalhaften sozialen Bedarfs. Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten kann speziell die Alimentationsverbürgung des Art. 33 V GG als „Modell der Grundrechtskonkretisierung" verstanden werden, das in einem bestimmten Lebensbereich konzentriert Richtschnur und Wertungsmaßstab für die Ausfüllung des Gestaltungsauftrags durch den Gesetzgeber ist 1 0 . Wie Art. 33 V GG für das Gebiet der Beamtenversorgung multifunktionale Verfassungsgewährleistung ist, sollten die vielfaltigen Sozialfunktionen des Staates möglichst umfassend grundrechtsgesteuert erfaßt und gewichtet werden. Das bedeutet zunächst, daß nicht nur den Bestimmungen der Art. 1 G G (Existenzsicherung im Notfall) und Art 6 GG (Schutz von Familie und Mutter) ein sozialer Wirkungsanspruch zugesprochen werden darf. Vor allem ist Art. 14 GG im Sinne eines „Grundrechts der sozialen Sicherheit" in einem solidarisch getragenen, auf Arbeit beruhenden Sozialsystem gegen die Wechselfälle des Lebens auszubauen und auf alle Leistungs- und Schutzmechanismen der Sozialversicherung, nicht nur auf die Rentenberechtigungen der Altersversorgung zu erstrecken. Ebenfalls eigentumsrechtlich sowie ergänzend über Art. 1 und Art. 2 I I GG ist das System der sozialen Entschädigung bei Gesundheitsschäden zur Geltung zu bringen, das ähnlich wie Sozialversicherungspositionen durch persönliche Vorleistungen und Opfer charakterisiert ist und die Daseinssicherungsfunktion von Art. 14 GG eng berührt. Andere soziale Leistungen und Schutzmaßnahmen, die nicht von Vorleistungen der Bürger geprägt sind, vielmehr „einseitig" steuerfinanziert gewährt werden, können soweit sie das Feld der Ausbildung und des Berufs tangieren von Art. 12 GG als „Grundrecht der Arbeit" 1 1 , ansonsten über den Gedanken des Schutzes des „sozialen Wohlbefindens" durch Art. 2 I I G G 1 2 verfassungsrechtlich untermauert werden 13 .

9 Das Sozialversicherungsverhältnis knüpft seinerseits an den durch das Vertragsprinzip und von Art. 9 I I I GG beherrschten Bereich der Lohn- und Arbeitsbedingungen an, wurzelt also letzlich in der privatautonomen Sphäre bürgerlicher Rechtsbeziehungen. Zur An näherung von Beamtendienstrecht und Arbeitsrecht s. Thiele, DÖV 1981, 773 (777); ders., D V B L 1981, 253 (254); Isensee, Disk.-Beitrag, W D S T R L 37, 320. 10 Ebenso Isensee, Rolle des Beitrags, S. 494. 11 S. jetzt dazu Häberle, JZ 1984, 345 (350 ff); Pietzcker, NJW 1984, 550. 12 S. oben 2. Teil Β I I 1 b) Exkurs. 13 Wohngeldansprüche sowie die Gestaltungsmechanismen des sozialen Mietrechts besitzen eine sachliche Nähe zum Freiheitswert „Wohnen", der grundrechtlich von Art. 13 GG erfaßt wird; zu Art. 13 GG als Verfassungsauftrag s. Schulze-Fielitz, Sozialplanung im Städtebaurecht. S. 68 ff.

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Teil 3: Grundrechtsschutz für soziale Rechte

Die im Wege grundrechtsfortbildender Interpretation erfolgende Zuordnung der sozialen Aufgaben des Staates zu einzelnen Lebensbereichsgrundrechten muß den fehlenden Katalog sozialer Gewährleistungen ersetzen (s. o. 3. Teil A I ) . Der soziale Geltungsanspruch des Grundgesetzes, der allein durch die Sozialstaatsklausel unzureichend ausgedrückt ist, erhält hierdurch eine bereichsspezifische, thematische Verdichtung, die auch die Wertungsmaßstäbe, welche grundrechtsbezogen die Daseinssicherungsfunktion und damit den realen Freiheitswert sozialer Berechtigungen umschreiben, konkretisierend beeinflußt. In Parallele zur Alimentationsgarantie des Art. 33 V GG ist die soziale Dimension der Gewährleistungen des Grundrechtskatalogs multifunktional zu begreifen 14. Der objektivrechtlich-institutionell verbindliche Anweisungscharakter, die individualbezogene Dimension als subjektiver Bestands- und Vetrauensschutzverbürgung bei Eingriffen in erworbene Sozialrechtsstellungen und die verfahrensrechtlich-organisatorische Komponente, welche effektive, zeitgemäße Sozialeinrichtungen verlangt (status activus processualis) 15, fusionieren als Hauptwirkschichten im jeweiligen Lebensordnungsgrundrecht und bringen grundrechtsgesteuert den sozialen Geltungswillen der Verfassung mehrdimensional in den politischen Prozeß bzw. auf der Kontrollebene durch die Gerichte ein. Der Modellcharakter des Art. 33 V GG für eine komplexe grundrechtsgesteuerte Abstützung des Sozialrechts erstreckt sich vor allem auch auf das qualitative Kriterium der „Angemessenheit" des Versorgungsniveaus. Das Angemessenheitspostulat hat nicht nur Bedeutung für die statusgemäße Festsetzung der Besoldungs- und Versorgungsbezüge der Beamten, sondern ist fundamentales, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Gegenwart integrierendes Wertungsprinzip für die Auslotung der Festigungskraft des Grundgesetzes zugunsten eines zeitgerechten, situationselastistischen Standards der Systeme sozialer Sicherung. Als situationsbezogene Konkretisierungsformel des „Vorbehalts des Möglichen" zwingt die Angemessenheitsdirektive den Sozialgesetzgeber zur Herstellung und Bewahrung eines nach den ökonomischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten einer Zeitepoche „guten" Niveaus sozialer Leistungen und Gestaltungsmomente. Angemessen im Sinne des Prinzips der Lebensstandardsicherung müssen nicht nur die Leistungen des Sozialversicherungssystems sein, sondern, abgestuft nach der personalen Daseinsvorsorgefunktion der zu erfüllenden Sozialaufgabe, auch die anderweitigen Gewährungen des Sozialstaats. Die Qualität der Existenzsicherung für den Notfall (Hilfe zum Lebensunterhalt), die vielfaltigen sonstigen fürsorgerischen Leistungen und Gestaltungsmechanismen, z.B. der Hilfen in besonderen Lebenslagen nach dem 3. Abschnitt des 14 Zur Multifunktionalität des grundrechtlichen Geltungsanspruchs s. nur Häberle, Wesensgehaltgarantie, insbes. S. 359 ff, 363, 370 ff. 15 Dazu Häberle, Leistungsstaat, S. 86 ff; ders., Wesensgehaltgarantie, S. 372 ff, s. schon oben 2. Teil A I 3.

D.IV. Modellcharakter des Art. 33 V GG

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Bundessozialhilfegesetzes, das Recht der sozialen Entschädigung, die Ausbildungsunterstützungen und alle sonstigen Leistungs- und Schutznormflechte müssen, abgeschichtet nach der Art der sozialen Sicherungsaufgabe, immer zeitangemesssen sein. Dem Gesetzgeber bleibt seine primäre, demokratisch legitimierte Gestaltungsbefugnis erhalten. Er darf das Sozialrecht und seine Schutzstandards ändern, umformen und auch absenken oder Teile ganz beseitigen, solange er nicht die Grenze der Vernachlässigung überschreitet, die durch die Relativitätsklausel des Angemessenheitsgebotes realitätsbezogen variabel markiert wird. In diesem Sinn ist das zunächst für den Beamtenbereich durch die Alimentationsgarantie des Art. 33 V GG postulierte Angemessenheitskriterium auch verbindliche, verfassungsrechtlich vorgegebene, dynamische, nicht zementierend-statische Rahmenrichtlinie für den gesamten Bereich des Sozialrechts. Sie bildet, neben möglicherweise engeren subjektiven Kontinuitätsmomenten, die maßgebliche Rückschrittsdirektive für den Sozialgesetzgeber, der sich zu Eingriffen und Umgestaltungen im System sozialer Sicherung veranlaßt sieht. Der rückholende Gesetzgeber wird durch den Leitgedanken des „sozialen Schonungsgebots" unter Berücksichtigung seiner politischen Bewertungsprärogative zur Darlegung und Gewichtung der Rücknahmebelange, die den Sozialabbau begründen, gezwungen, was einen vorschnellen und tiefgreifenden, von den Zeitumständen nicht angezeigten sozialen Rückschritt zulasten der auf soziale Leistungs- und Schutzsysteme angewiesenen Bürger „politisch vorbeugend" zu verhindern vermag. Die Alimentationsgarantie des Art. 33 V GG und insbesondere deren Angemessenheitsdirektive hat damit modellhafte Bedeutung für die Ableitung und das Verständnis verfassungsrechtlicher Wertungsvorgaben, welche das Rückschrittsermessen des Gesetzgebers im Bereich der sozialen Sicherung grundrechtsgesteuert eingrenzen und ihn zur Erhaltung eines zeitgerechten Standards des Sozialrechts auffordern.

Zusammenfassung Ι.

Nach 30 Jahren kontinuierlicher Expansion des Sozialstaats sieht sich die Bundesrepublik Deutschland mit Beginn der 80er Jahre einer Entwicklung gegenüber, die nicht bloß zu einem fast völligen Stillstand neuer sozialpolitischer Initiativen geführt hat, sondern die die bestehenden sozialen Errungenschaften, das erreichte Niveau bundesdeutscher Sozialstaatlichkeit infrage stellt. Vor allem die auf Bundesebene in das Gewand von Haushaltskonsolidierungs- und Haushaltsstrukturgesetzen gebrachten „Sparoperationen" seit 1981, die alle Felder sozialer Leistungsgesetzgebung, insbesondere den Sozialversicherungsund den Sozialhilfebereich sowie das Alimentationsgefüge der Beamten betrafen, zeugen von dieser Wende der Sozialpolitik. Die Verschlechterung der ökonomischen und demographischen Rahmenbedingungen, welche die realen Finanzierungs- und Umverteilungsvoraussetzungen eines gesunden Sozialsystems definieren und die damit Hand in Hand gehende stärkere Inanspruchnahme von Sozialleistungen sind primäre Ursachen der sich abzeichnenden Bewährungsprobe für die Festigkeit der existierenden sozialen Normgeflechte. Neben der „sozialpolitik-exteraen" Schrumpfung des faktischen Nährsubstrats eines stabilen sozialen Netzes zeichnen sich Fehlentwicklungen innerhalb der Systeme sozialer Sicherheit ab, die auf einer zunehmenden „Alterung" des Sozialstaates, fehlenden Abstimmungen zwischen den Sozialbereichen sowie einer Verschiebung sozialer Bedarfslagen beruhen. Immer hörbarer werden auch die Stimmen aus dem politischen Raum, die ein „Zurückschneiden" sozialer Leistungssysteme und Schutznormkomplexe unter Berufung auf den Subsidiaritäts- und Eigenverantwortlichkeitsgedanken fordern. Die im Normalfall des in abhängiger Arbeit stehenden Menschen tatsächliche Freiheit konstituierende und sicherstellende, nicht durch private Eigenvorsorgemaßnahmen adäquat ersetzbare Funktion und Bedeutung umfassender staatlicher Sicherung vor den „Wechselfallen des Lebens" wird vielfach angezweifelt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Fixpunkte und Stabilisatoren die rechtliche Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bereithält, um einem breit angelegten oder auch nur punktuell wirksamen Rückzug des Sozialstaats zu begegnen.

Zusammenfassung

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Konnte sich die grundgesetzliche Umrahmung des Sozialstaats in der Wachstumsphase darauf beschränken, eine optimale „Verteilungsgerechtigkeit" bei sozialen Verbesserungen vorrangig am Maßstab des „Artikel 31 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip" zu gewährleisten, sind vor der neuen „grundgesetzlichen Gefahrdungslage" sozialer Rücknahmen weitere Steuerungsmechanismen aus der Ebene des Verfassungsrechts gefordert. Da Abbaumaßnahmen im Sozialbereich die Persönlichkeitssphäre und den realen Freiheitsraum des auf soziale Darreichungen angewiesenen Bürgers akut und potentiell in elementarer Weise berühren, müssen dem Grundgesetz aus allen normativen Wirkungsebenen möglichst scharfe Konturen und Wertungsmaßstäbe abgerungen werden, die dem rücknahmewilligen Sozialgesetzgeber die rechtlichen Grenzen seines Rückholermessens aufzeigen und dem Bürger „Rechtsgewißheit" hinsichtlich der Rückschrittsresistenz sozialrelevanter Rechtsgeflechte geben. Damit ist die Aufgabe gestellt, in Befolgung eines wirklichkeitsoffenen, materiellen, die Multifunktionalität der Grundrechte betonenden, den Sozialstaatssatz und die rechtsstaatlichen Kontinuitätsmomente des Grundgesetzes effektivierenden Verfassungsverständnisses eine zeitgerechte Antwort auf die Herausforderung des „Sozialstaats im Rückschritt" zu finden. Dabei ist einerseits der von der politischen Bühne und vom Gesetzgeber geweckten, berechtigten Erwartung des Bürgers in grundsätzlich rücknahmefeste und verläßliche Sozialgesetze und Sozialinstitutionen mit zeitangemessen gutem Niveau Rechnung zu tragen — ein Interesse, das sich staatlicherseits mit den Stabilitätszielen des „sozialen Friedens" und der „sozialen Integration" paart. Andererseits muß die demokratisch legitimierte Notwendigkeit einer Anpassung, Reformier- und Änderbarkeit sozialer Normkomplexe und sozialorganisatorischer Strukturen, das Flexibilitätsbedürfnis zur Erhaltung der Reaktionsfähigkeit auf den sozialen und volkswirtschaftlichen Wandel berücksichtigt werden. Bereits die abstrakte Gegenübersetzung des Beharrungs- und Elastizitätsmoments zeigt die Unmöglichkeit statischer sozialer Rechtslagen, was die Annahme eines absoluten, auf volle Bestandswahrung angelegten „sozialen Rückschrittsverbotes" ausschließt. Ein totales Verbot sozialer Rücknahmen oder eine Unabänderlichkeitssperre im materiellen Niveau oder formalen Gewand sozialer Einrichtungen kann niemals verfassungsgebotene Vorgabe für einen dynamischen, „in der Zeit stehenden" sozialen Prozeß sein, sondern stellt sich allenfalls als Ergebnis einer konkreten Gewichtung von Kontinuitäts- und Erhaltungsbelangen dar, welche im Einzelfall das Abbau- und Veränderlichkeitsinteresse der gesetzgeberischen Zielsetzung überwiegen können. Das klassische Steuerungsinstrumentarium des Leistungsstaates vermag auf Dauer die volkswirtschaftlich oder gesellschaftspolitisch bedingten Schwierigkeiten des Sozialstaats nicht zu überspielen. Weder ein Konzept verstärkter Wachstumsvorsorge, einer höheren Staatsverschuldung als Ankurbelungs- und Defizitausgleichsmechanismus, noch eine ständig steigende Steuer- und Sozial-

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Zusammenfassung

abgabenquote können längerfristig verschlechternde Einschnitte im Sozialleistungsbereich verhindern. Die zunächst demokratisch legitimierte „Rückschrittskompetenz" der Gesetzgebungsorgane dürfte — bei real-politischer Betrachtung — im praktischen Ergebnis weniger durch verfassungsrechtliche Rücknahmedirektiven und Besitzstandserwägungen gehemmt sein, wenngleich das „Rechtskorsett" den politischen Prozeß zwingend ummantelt und als Argumentationsmuster („Prinzip der sozialen Besitzstands Währung", „Sonderopfer") die sozialpolitische Auseinandersetzung begleitet. Als effektivere Rückholfilter können sich die Einflußnahme von Interessenverbänden, eine Mobilisierung der öffentlichen Meinung sowie pragmatische Erwägungen der auf eine Wiederwahl spekulierenden Politiker und Parteien erweisen. Ein pluralistisches, demokratisches (Gesetzgebungs-) Verfahren ist gerade in Bezug auf die Problemlage des sozialen Rückschritts bester Garant für die Erhaltung funktionsfähiger, qualitativ guter, zeitgerechter Systeme sozialer Sicherheit mit verläßlichen Teilhabeberechtigungen der Bürger. II. 1. Der Text des Grundgesetzes enthält weder eine ausdrückliche Verbürgung zugunsten der gegenwärtig bestehenden sozialen Institutionen, der Gliederung und Organisation des sozialen Netzes, noch weisen die Verfassungsbestimmungen eine explizite Gewährleistung des erreichten materiellen Sozialstandards, der in den sozialen Leistungs- und Schutzgesetzen verwirklicht ist, aus. Ein aufgabenmäßig aufgefächerter sozialer Mindeststandard auf niedrigem Niveau wird völkerrechtlich verbindlich und innerstaatlich wirksam in der Europäischen Sozialcharta festgelegt. Das sozialstaatsdeterminierende Gerüst des Grundgesetzes, das den rücknahmewilligen Sozialgesetzgeber bindet, erschließt sich hinsichtlich der auszufüllenden Sozialaufgaben zunächst mittelbar aus den Zuständigkeitsnormen, die soziale Regelungsgegenstände ansprechen. Diese formellen Vorschriften konkretisieren und ergänzen die rechtsverbindliche Staatszielbestimmung des Sozialstaatsgebots in Art. 20 I, 28 I GG, das Sozialgerechtigkeitspostulat des Art. 3 I GG sowie die bereichsspezifischen Sozialinhalte des Grundrechtskataloges, seien diese offener (Art.l, Art. 6 I, IV GG) oder hinter einem abwehrrechtlichen Gewand, versteckter Natur (Art. 2 II, 12, 14 GG). I m Schrifttum wird vielfach schon seit der ersten großen — unter expansiven Vorzeichen stehenden — Reformphase des Systems sozialer Sicherung (insb. Rentenreform von 1957) und später unter dem Einfluß der leistungsstaatlichen Verfassungstheorie aus einer Zusammenschau der Kompetenznormen des Grundgesetzes und des Sozialstaatsprinzips, sowie neuerdings in Abstützung auf den in der Rechtsprechung seit dem Versorgungsausgleichsurteil des BVerfG

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(BVerfGE 53, 257) grundsätzlich anerkannten eigentumsrechtlichen Bestandsschutz von Sozialversicherungsberechtigungen in Art. 14 GG, eine „institutionelle Garantie" überlieferter, wesenstypischer Einrichtungen des Sozialstaats, insbesondere des bestehenden Sozialversicherungssystems in seinen gewachsenen organisatorischen, aber auch qualitativen Grundzügen abgeleitet. Eine starke Gegenmeinung verneint eine solche sozialstaatliche Einrichtungsgarantie primär unter Hinweis auf deren sozialpolitisch „zementierenden" Effekt. Das Bundesverfassungsgericht vertritt insofern seit der AOK-Entscheidung vom 9.4.1975 (BVerfGE 39, 302) eine eindeutige Position: Eine Verfassungsgarantie des bestehenden Systems der Sozialversicherung oder doch seiner tragenden Organisationsprinzipien wird weder den Zuständigkeitsnormen noch dem Sozialstaatssatz des Grundgesetzes entnommen. Das Gericht will — zu Recht — ersichtlich folgen- und zukunftsorientiert eine verfassungsrechtliche Festschreibung der Strukturen der existierenden Sozialordnung mit ihrer abgestuften, bereichsspezifischen Aufgliederung (Grobbereiche: Sicherung des physischen Existenzminimums, soziale Fürsorge- und Schutzdimension, Recht der sozialen "Entschädigung, „Standardvorsorgesystem" der Sozialversicherung) und den vorhandenen Organisationslinien vermeiden. M i t der Verneinung institutioneller Fortbestandsgarantien für die gegenwärtigen Ausformungen des Sozialstaats korrespondiert in der Rechtsprechung eine „reduzierende" Interpretation des in Art. 3 I G G verwurzelten SystemKonsequenz-Gedankens auf die Bahnen des Willkürkriteriums gerade auch unter dem Aspekt sozialrechtlicher Reform- und Haushaltskonsolidierungsgesetze. Sowohl unter dem Blickwinkel der auf „Bewahrung" zielenden Rechtsfigur der „institutionellen Garantie" als auch mit Rücksicht auf das moderne Systemkonsequenzpostulat ist dem Sozialgesetzgeber zumindest von der Rechtsprechung der Weg zu einem umfassenden Um- und Abbau der vorhandenen Sozialstrukturen, der Organisationslinien der bestehenden Einrichtungen und — damit untrennbar zusammenhängend — auch des jeweiligen bereichsspezifischen materiellen Sozialniveaus grundsätzlich nicht versperrt. In der Konsequenz ist dem Reformgesetzgeber speziell auch die Möglichkeit eröffnet, das traditionelle Sozialversicherungssystem durch alternative Sicherungsmodelle für die Wechselfalle des Lebens abzulösen, wie insbesondere durch Formen einer allgemeinen Staatsbürgerversorgung aus Steuermitteln auf niedrigem Niveau. Die klare und vom folgenorientierten Ansatz im Ergebnis zu begrüßende „entwicklungsoffene" Auffassung des Bundesverfassungsgerichts gibt allerdings zu Zweifeln Anlaß, wenn man den Blick von den grundgesetzimmanenten Stabilitätsgrundsätzen abwendet und das Selbstbindungselement der Vorschriften des SGB-AT sowie der sozialen Verbürgungen einiger Landesverfassungen mit in die verfassungsrechtliche Betrachtung einbezieht.

16 Schlenker

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2. Im Schrifttum wird mitunter auf dem Boden der Annahme einer situationsabhängig ambivalenten Bedeutung der Sozialstaatsklausel eine erhaltendrückschrittseindämmende Teilkomponente für„schlechte Zeiten" bejaht, die in den Figuren eines „sozialen Rückschrittsverbotes" und dem „Verbot der ersatzlosen Abschaffung" vorhandener Sozialeinrichtungen bevorzugt Ausdruck findet. Obwohl diese Formeln ein Verständnis als absolute Bestandskategorien für die existierenden Erfüllungen des Sozialstaatsgebots nahelegen, wird das „soziale Rückschrittsverbot" und das „Verbot ersatzloser Beseitigung" immer im Zusammenhang mit den sozio-ökonomischen Voraussetzungen und in Respektierung der demokratischen Wertungsprärogative des Parlaments gesehen. Die gesetzlichen und untergesetzlichen Erfüllungen und Anwachsungen des Sozialstaats sollen gerade nicht einer konservierend-statischen, rückwärtsorientiert-institutionellen Garantie unterliegen. I m Sinne eines situationselastischen „begrenzten" oder „relativen" sozialen Rückschrittsverbots wird vielmehr die „Schonung" des vorhandenen, funktionsbezogenen Sozialstandards begehrt, den der Gesetzgeber nur als „ultima ratio" bei Vorliegen dringlicher, unausweichlicher Gemein- oder Solidarwohlbelange antasten darf. Die Rechtsprechung realisiert eine solche am Ambivalenzcharakter des Sozialstaatsprinzips orientierte Schonungsvórstellung nicht unmittelbar. Eine Deutung als soziale „Besitzstandsklausel" wird sowohl in der objektivdirektiven, als auch der subjektivrechtlichen Perspektive abgelehnt. Stattdessen wird der Sozialstaatssatz — aufgrund der bisherigen sozialpolitischen Entwicklung durchaus folgerichtig—ausschließlich als objektivrechtliche Verpflichtung zu sozialer Aktivität begriffen, welche das Ziel einer gerechten Sozialordnung bestimme, die Wege zur Erreichung dieses Zieles dem Gesetzgeber aber grundsätzlich offenlasse. Obwohl bisher eine Rückschritts-Kasuistik zum Sozialstaatsprinzip nicht existiert, darf in Anlehnung an die neuere Rechtsprechung zu Art. 2 I I GG angenommen werden, daß jedenfalls dann, wenn eine den Zeitumständen nach unangemessene „Vernachlässigung" der Aktivitätspflicht angezeigt ist, die Feststellung eines Verstoßes gegen das Sozialstaatsprinzip ausgesprochen werden wird. Allerdings ist aufgrund der bisherigen, eher restriktiven Rechtsprechungstendenz kaum eine inhaltliche Verdichtung des Sozialstaatssatzes als strikte Rücknahmebremse mit streng bestimmender, auch in die Verästelungen und Details des sozialen Netzes reichender Determinationskraft zu erwarten. Das Bundesverfassungsgericht wird auch gegenüber sozialen Rücknahmen eine Interpretation des Sozialstaatsgebotes als „kleine Münze" vermeiden und nur im Falle eines wirklich tiefgreifenden, durch die konkreten Zeitgegebenheiten nicht zu rechtfertigenden Abbaus des Sozialstandards eine gegensteuernde, rückschrittshemmende Funktion entfalten. Die leistungsstaatliche, zunächst auf neue, verbessernde sozialpolitische Forderungen gemünzte Figur des „Vorbehalts des Möglichen" gewinnt im

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rückschrittsbedrohten Sozialstaat eine Dimension als allgemeine „RücknahmeGemeinwohlformel", welche die faktische Begrenztheit sozialer Leistungserbringung durch den Staat, deren Abhängigkeit von der volkswirtschaftlichen Entwicklung und die Notwendigkeit einer Berücksichtigung anderer wichtiger Staatsaufgaben und die dadurch erforderliche Prioritätenfestlegung durch demokratisch legitimierte Organe in die verfassungsrechtliche Bewertungs- und Abwägungsprozesse einfließen läßt. Ausgefüllt wird der „Vorbehalt des Möglichen" durch die Rücknahmemotive des Sozialgesetzgebers, welche einzelfallbezogen das Kürzungsanliegen im Interesse der Erhaltung und Anpassung des Systems sozialer Sicherheit an veränderte wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedingungen begründen. Eine Rückschrittsautomatik, welche die Befugnis zu einem Leistungsabbau bei schrumpfenden Mitteln ohne spezielles Abbaugesetz alleine unter Hinweis auf Haushaltsgesichtspunkte gibt, wird durch den Möglichkeitsvorbehalt nicht ausgelöst. Dieser zwingt den Rückholgesetzgeber vielmehr immer zu einer konkret abwägenden Betrachtung, welche bei Einschnitten im Sozialsektor die Anforderungen der Zeitumstände, vor allem die gesunkene Leistungsfähigkeit des Staatshaushalts oder der Haushalte der Sozialversicherungsträger mit dem gegenläufigen Interesse der Rückschrittsbetroffenen an verläßlichen und situationsangemessen guten Geflechten sozialer Sicherheit zu schonendem Ausgleich zu harmonisieren hat. Eine strenge „Rückschrittsgerechtigkeitsmaxime" als Ausfluß des Gebots „sozialer Gleichheit" realisiert die Rechtsprechung nicht. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, daß der Gleichheitssatz sich nicht nur bei der Vergabe von Überfluß, sondern gerade auch in Zeiten der Verknappung der dem Staat und den Sozialversicherungsträgern zur Verfügung stehenden Mitteln, bewähren müsse. Jedoch drängt das Gericht diesen Gedanken in die Bahnen des reinen Willkürdogmas zurück, denn vor Art. 3 I G G soll jeder nicht völlig unvernünftige Grund, zumal aber der Zwang zur Sanierung der Staatsfinanzen ausreichen, um normativ eröffnete Aussichten durch Gesetz beschneiden oder beseitigen zu dürfen. Dadurch werde der Betroffene nur wieder in jenen Zustand allgemeiner Gleichheit zurückversetzt, der darin bestehe, „daß jedermann grundsätzlich die Risiken seines Schicksals zu tragen hat — die Kehrseite der Freiheit zur Entfaltung der Person des Art. 2 I G G " (BVerfGE 60, 16 (39)). Soweit nicht drastische, von den Zeitgegebenheiten nicht angezeigte Einschnitte in das soziale Netz vorliegen, werden soziale Rücknahmen aus der Verfassungsebene nicht unmittelbar über das Sozialstaatsprinzip gesteuert, sondern greift als vorrangiger Abbaufilter das rechtsstaatliche Abwehrinstrumentarium ein, dessen materielles und verfahrensrechtliches Einfallstor die Antastung individualisierter Rechtsstellungen des Sozialsystems ist. Das Rückholermessen des Sozialgesetzgebers wird primär durch die Grundrechte des Grundgesetzes, sofern deren Normbereich funktional soziale Rechtspositionen zugeordnet werden, und das rechtsstaatliche Kontinuitäts- und Vertrauensschutzprinzip eingeengt, die damit das Kernstück grundgesetzlicher Stabilisierung des Sozialstaats bilden. 16*

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3. Die Orientierungspunkte eines grundgesetzgebotenen sozialen Mindeststandards auf den Hauptfeldern des sozialen Netzes lassen sich aufgrund der vorliegenden, noch dürftigen und punktuellen Sozialstaatsjudikatur wie folgt skizzieren. a) Während die normative Verankerung des physischen Existenzminimums als Auffangnetz des Sozialstaats in Art. 1, Art. 2 I I und dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes heute auch in der subjektiven Richtung nicht mehr bezweifelt wird, ist eine inhaltliche Verdichtung dieses „Wertungspolsters" bisher weitgehend ausgeblieben. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetz- bzw. Regelsatzverordnungsgebers ist bereits aufgrund des fehlenden real-faktischen Spielraums für die Festlegung des existentiell Notwendigen sehr eng, wie die Liste der Versorgungsgüter des Warenkorbes, dessen Novellierung dringend erforderlich ist, als Basisgröße des Sozialhilferechts zeigt. Die strikte Anbindung der Sozialhilfeleistungen an die jeweiligen Gebrauchsgewohnheiten und Lebenshaltungskosten muß gewährleistet sein und darf nicht durch zeitlich hinkende oder der Höhe nach kupierte (Nicht-) Anpassungen des Leistungsniveaus, wie in den Haushaltsbegleitgesetzen 1982 und 1983, unterlaufen werden. b) Oberhalb des vom Menschenwürdesatz geprägten Bereichs materieller Existenzsicherung im individuellen Notfall entfaltet das Grundgesetz seine sozialstaatsformende und festigende Ausstrahlung über die primär aus dem Sozialstaatsprinzip geforderte Pflicht zu sozialer Aktivität, die alle Lebensbereiche umfaßt, auf denen ein Bedürfnis nach sozialleistender oder sozialinterventionistischer Einwirkung des Staates besteht. Der steuerfinanzierte bzw. durch sozialgestaltende Ordnungselemente geprägte Fürsorge- und Schutzbereich des Sozialstaats, der neben dem komplexen, genossenschaftlich strukturierten Sozialversicherungssystem als Sicherungsform für die typischen Lebensrisiken steht, wird, abgesehen von dem Wirkungskreis des Art. 6 GG, nach herrschender Meinung weder in der objektiven noch in der subjektiven Dimension grundrechtlich gesteuert. In Anknüpfung an die neuere Rechtsprechung zum Gesundheits- und Umweltgrundrecht des Art. 2 I I GG könnte in dieser Grundrechtsverbürgung multifunktional über den Gedanken des Schutzes des „sozialen Wohlbefindens" eine das Sozialstaatsprinzip konkretisierende und verdichtende Grundlage für dieses weite Feld sozialstaatlichen Tätigseins gefunden werden. Das Bundesverfassungsgericht legt sich auf der Basis der Anforderungen des „Sozialstaatsprinzips in Verbindung mit Art. 3 I " auf keinen fixen sozialen Mindeststandard für die Erfüllung der sozialen Fürsorge- und Schutzpflicht fest. Es bezeichnet zwar die Unterstützung von Hilfsbedürftigen als „selbstverständliche" Pflicht des sozialen Rechtsstaats, doch unterstellt es die Erfüllung dieser funktionalen Verpflichtung ohne nähere bereichsmäßige Kennzeichnung und ohne Verdeutlichung von „Vernachlässigungsgrenzen" dem „Vorbehalt des Möglichen". Der Sozialgesetzgeber hat sich am jeweiligen Bedarf sozialer Hilfe zu orientieren, kann aber den Weg, die Form, den Kreis der Anspruchsberech-

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tigten und den Umfang der Leistungen weitgehend selbst in Ausfüllung des Möglichkeitsvorbehalts aufgrund seiner demokratisch-politischen Verantwortlichkeit definieren. Einem Abbau des gegenwärtigen Standards sozialer Hilfe und sozialgestaltender Intervention stehen daher zumindest solange keine verfassungsrechtlichen Hürden entgegen, wie, gemessen am allgemeinen Lebensniveau und den ökonomischen Realdaten, zeitgerechte, angemessene Sozialleistungen und Gestaltungsmomente auf den jeweiligen Bedarfsfeldern der sozialen Wirklichkeit bereitstehen. Die Abbauresistenz sozialer Normkomplexe und Einrichtungen ist danach immer das Produkt einer aktuell abwägenden Betrachtung zwischen den Gegebenheiten einer Zeitepoche und dem konkreten Bedarf der Menschen an sozialer Sicherheit, Unterstützung und Ordnung in einem bestimmten Lebenskreis. Insofern wird im Falle einer, orientiert an den Anforderungen der Angemessenheitsdirektive, Vernachlässigung eines Sozialgebiets durch Rückholakte oder Nichtanpassungen ein in seiner determinierenden Wirkung auf den sozialen Gesetzgebungsprozeß grobmaschiges „relatives soziales Rückschrittsverbot" statuiert, das keine starren Abbauschranken oder absolute, petrifizierende Erhaltungspostulate kennt. c) Die im Grundgesetz nur in den Zuständigkeitsvorschriften erwähnte, nicht institutionell-organisatorisch garantierte Sozialversicherung, darf nicht nur als Regelungssystem zugunsten sozial schwächerer Bevölkerungskreise begriffen werden, sondern muß eine komplexe, bedarfsorientiert gegliederte Struktur und einen qualifizierten Leistungsstandard aufweisen, der die mit dem Arbeitsleben der Industriegesellschaft zwangsläufig verbundenen Risikosituationen auf einem Niveau wesentlich über dem des Sozialhilfesystems auffangt und abmildert. Die im Sozialstaatsprinzip wurzelnde Forderung nach einem „umfassenden" System sozialer Sicherheit für die Wechselfälle eines jeden Lebens hat das Bundesverfassungsgericht im nasciturus-Beschluß vom 22. 6.1977 hervorgehoben (BVerfGE 45, 376). Die auf Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers und daran anknüpfende Beitragszahlungen beruhenden Rechtsstellungen innerhalb des Sozialversicherungssystems genießen einen über den rechtsstaatlichen Vertrauensschutz hinausgehenden eigentumsrechtlichen Bestandsschutz in Art. 14 GG, der die genossenschaftliche Struktur und Solidarbindung in der Sozialversicherung widerspiegelt. Die Renten der gesetzlichen Alters- und Unfallversicherung müssen den Berechtigten grundsätzlich die Aufrechterhaltung des erreichten, erarbeiteten Lebensstandards nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben gewährleisten („Lohnersatzfunktion der Rente"). Das Leitprinzip der Lebensstandardsicherung schließt zwingend eine flexible Anpassung sowohl der Zugangs- als auch der Bestandsrenten an die Entwicklung der allgemeinen Lebens- und Einkommensverhältnisse ein. Das Bundesverfassungsgericht hat im Rentenanpassungsbeschluß vom 10.5.1983 (BVerfGE 64; 87) offengelassen, ob das Dynamisie-

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rungsgebot Element des sozialversicherungsrechtlichen Eigentumsschutzes ist oder lediglich über das allgemeine Vertrauensschutzprinzip aus dem Rechtsstaatsgrundsatz gesichert ist. Systemimmanenter Änderungsfaktor in der Rentenversicherung ist das Strukturmodell des Generationenvertrages, welches verfassungsrechtliche Relevanz als Grundlage der Solidarpflichten der Mitglieder in der Sozialversicherung besitzt. Als spezielle Erscheinungsform eines Gesellschaftsvertrages in der Zeitdimension konkretisiert der Generationenvertrag den „Vorbehalt des Möglichen" und gerinnt damit zur maßgeblichen begrenzenden Gemeinwohlformel für Teilhabeberechtigungen des Altersversorgungssystems. Die Versorgung der Hinterbliebenen nach dem Tod des Familienernährers durch ein System sozialer Sicherheit gehört zu den tragenden Säulen des Sozialstaats. Das aus dem Sozialstaatsprinzip, Art. 6 I G G und — anerkennt man die Hinterbliebenenberechtigungen als Sozialeigentum — aus Art. 14 GG folgende Gebot einer angemessenen Versorgung der Hinterbliebenen wird nach der Rechtsprechung maßgeblich durch die Gewichtung der Systemaspekte „Versicherung" und „Fürsorge" näher definiert. Solange das System einer aus der Versichertenstellung abgeleiteten Hinterbliebenensicherung besteht, darf der Gesetzgeber einerseits die Hinterbliebenenrente nicht völlig von den vorausgegangenen Beitragsleistungen des Versicherten abkoppeln, andererseits soll es nach dem Gedanken des sozialen Ausgleichs genügen, wenn der Umfang der Rente sich am typischen Bedarf der Hinterbliebenen aufgrund durchschnittlicher Erfahrungswerte orientiert. In der gesetzlichen Krankenversicherung gewährleistet der Sozialstaatssatz eine „möglichst gute" Versorgung, die auf einem den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden optimalen Standard ärztlicher und pflegerischer Betreuung beruht. Da aber auch auf dem Gebiet der Krankenversorgung grundsätzlich das Angemessenheitspostulat gilt, verbürgt das Grundgesetz insofern nur „erforderliche" und „verhältnismäßige" Leistungen und Einrichtungen für kranke Menschen, was zum Beispiel „Luxusbehandlungen", die nicht medizinisch indiziert sind, ausschließt, aber vor allem kostendämpfende Maßnahmen gegenüber Krankenhäusern und Ärzten sowie den Anbietern von pharmazeutischen Produkten und Heil- und Hilfsmitteln verlangt. Obwohl auch im Bereich der Krankenversicherung aus finanziellen Gründen und besonders auch unter dem Gesichtspunkt der Mißbrauchsabwehr Einschnitte nicht generell ausgeschlossen sind, ist ein Leistungsabbau wegen der besonders ausgeprägten Abhängigkeit des einzelnen von einer guten, qualitativ kaum variablen Behandlung und Pflege und der vom Bürger im Normalfall nicht tragbaren Kosten der Heilbehandlung und Betreuung nur unter sehr strenger Berücksichtigung der Interessen der aktuell oder potentiell betroffenen Bürger zulässig. Die Milderung der Folgen von Arbeitslosigkeit sowie die Verschaffung eines neuen Arbeitsplatzes gehört zu den wichtigen dem Staat vom Sozialstaatsprin-

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zip aufgegebenen Bereichen öffentlicher Daseinsvorsorge. Es muß daher die Funktionsfähigkeit und ein Leistungsniveau der Arbeitslosenversicherung gewährleistet sein, das dem Arbeitslosen „angemessenen" Ersatz für den Ausfall des Arbeitsplatzes garantiert. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar einschränkend das Angemessenheitserfordernis dahin bestimmt, daß der Gesetzgeber durch das Gebot des sozialen Rechtsstaates nicht verpflichtet sei, den Versicherten ein Arbeitslosengeld zu gewähren, das ihm annähernd die Aufrechterhaltung seines bisherigen Lebensstandards ermöglicht. Diese Einzelfallentscheidung darf aber nicht dahin verstanden werden, daß der Umfang der Leistungen der Arbeitslosenversicherung vom erarbeiteten Verdienst der Vergangenheit (Art. 12 GG!) abgekoppelt und unabhängig von der vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bestehenden Einkommenssituation festgesetzt werden kann. Die mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 erheblich reduzierten Leistungen der Arbeitslosenversicherung bewegen sich insofern hart an der Unterschwelle der grundgesetzlich markierten Anforderungen an ein funktionierendes, zeitgerechtes Arbeitslosenversicherungssystem.

Iü. 1. a) Die grundgesetzliche Abstützung sozialer Rechtsgeflechte und Einrichtungen im Sozialstaatssatz mit dem hieraus entspringenden, unbestimmten und undifferenzierten Gebot zu sozialer Aktivität erscheint für eine Bewältigung der Herausforderung des Sozialstaats im Rückschritt nicht ausreichend. Die objektivrechtliche Weisungs- und Wahrungsfunktion des Sozialstaatsprinzips wird zwar durch die rechtsstaatlich-abwehrrechtliche Vertrauensperspektive der „begrenzten" Erhaltung des individuellen erworbenen sozialen Besitzstandes ergänzt. Die hieraus folgende Kontinuitätszusage wirkt jedoch nur punktuell im Rahmen schon gegründeter Sozialrechtsstellungen einzelner Bürger bzw. Bürgergruppen. Grundgesetzlich verbürgte Daseinssicherung in umfassenden, bereichsspezifisch abgestuften, verfahrensmäßig effektiven und qualitativ zeitangemessenen Netzen sozialer Sicherheit darf nicht ein Anliegen des Sozialstaatssatzes oder allgemeiner rechtsstaatlicher Grundsätze bleiben, sondern benötigt ein breites, thematisch aufgefächertes grundrechtliches Fundament. Die Kernthese des NCUrteils von 1972 (BVerfGE 33,303 (330)) enthält den verfassungsdogmatischen Schlüssel auch in bezug auf eine Stabilisierung, Verstetigung und Schonung der bestehenden sozialstaatlichen Aufgabenbereiche und des erreichten Niveaus der sozialen Leistungs- und Schutzgesetze in Anbetracht schrumpfender Ressourcen: Je stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung der Bürger zuwendet, desto mehr tritt im Verhältnis zwischen Bürger und Staat neben das ursprüngliche Postulat grundrechtlicher Freiheitssicherung vor dem Staat die komplementäre Forderung nach grundrechtlicher Verbürgung der Teilhabe auf und an sozialstaatlichen Leistungen.

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Da das Grundgesetz, abgesehen von Art. 6, keine expliziten sozialen Gewährleistungen kennt, kommt de constitutione lata einer sozial-ausfüllenden Interpretation der Freiheitsgrundrechte richtungsweisende Bedeutung zu. Das personale Schutzmoment, welches die Grundrechte des Grundgesetzes gegenüber staatlichem Wirken in Ansatz bringen, muß sich auch auf jenen Feldern bürgerlicher Existenz bewähren, wo der einzelne sein Schicksal den zuteilenden Funktionen der öffentlichen Hand überantwortet und seine Lebensgestaltung hierauf eingerichtet hat. Im Wege grundrechtssichernder Geltungsfortbildung sind die Normbereiche der Freiheitsrechte des Grundgesetzes zugunsten der Regelungen und Rechtsstellungen des Sozialrechts zu öffnen. Gerade die Gefahrdungslage „sozialer Rückschritt" zeigt die Notwendigkeit einer stärkeren Grundrechtssteuerung des Sozialrechts, denn ohne eine solche konkretisierende grundrechtliche Verwurzelung bliebe der real menschbezogene Geltungsanspruch des Grundgesetzes in einer prekären politischen Situation verschwommen, nicht stabilisierend und integrationsfeindlich und verlöre das personale Schutzmoment der Grundrechte daher in Zeiten abbaubedrohter Sozialstaatlichkeit ein eminent wichtiges Anwendungsfeld. Die thematische Auffacherung des Sozialrechts in den Normbereichen sozial relevanter Grundrechte (Art. 1, 2 II, 6, 12, 14 GG) muß mit einem Konzept multifunktionaler grundrechtlicher Schutzausstrahlung fruchtbar gemacht werden. Die soziale Dimension der Grundrechte erschöpft sich nicht in ihrer klassischen subjektiven Abschirmfunktion zugunsten erworbener Rechtsstellungen. Grundrechte besitzen gleichsam als Grundwirkschicht eine objektivrechtliche materielle und verfahrensrechtlich-organisatorische Komponente, welche den Charakter des Grundrechts als prinzipielle bereichsspezifische Leitdirektive zum Ausdruck bringt. Eine „Prozeßstellung" des Sozialbürgers besteht entsprechend dem Modell multifunktionaler Entfaltung eines Sozialbereichsgrundrechts nicht bloß unter dem subjektivrechtlichen Aspekt der Wahrung gegründeter Rechtsstellungen im Falle unmittelbarer gegenwärtiger Selbstbetroffenheit durch ein Kürzungsgesetz. Personaler Grundrechtsschutz mit judizieller Komponente kann auch bei Fehlen einer individualisierten, konkret rücknahmebetroffenen Sozialposition bejaht werden, was insbesondere Bedeutung im Hinblick auf die Vielzahl ebenfalls abbaugefahrdeter sozialgestaltender Regelungen hat. Durch Anerkennung feststellender Sozialansprüche gegen eine evidente Vernachlässigung der objektivrechtlichen Auftrags- und Wahrungsdimension von Grundrechten bzw. des Sozialstaatsprinzips wird die Einhaltung der Rücknahmeermessensgrenzen des Sozialgesetzgebers überprüfbar und damit ein Leerlaufen der verfassungsrechtlichen Schonungsintention zugunsten bestehender sozialer Errungenschaften verhindert. b) Das der neueren Bundesverfassungsgerichtsjudikatur zugrundeliegende Konzept der Einordnung, Gewichtung, Abwägung und Begrenzung sozialversicherungsrechtlicher Positionen am Maßstab des Eigentumsgrundrechts des Art.

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14 GG ist richtungsweisender Meilenstein auf dem Weg zu einer thematisch gegliederten, multifunktionalen und „wertungsdichten" Grundrechtssteuerung des Sozialrechts. Seit den Entscheidungen des Verfassungsgerichts zum Versorgungsausgleich und der Abwertung der Ausbildungsausfallzeiten wird den Anwartschaften und Ansprüchen der Versicherten der gesetzlichen Altersversorgung Eigentumsqualität zugesprochen. Eine am Daseinssicherungscharakter sozialer Berechtigungen ausgerichtete, funktionale Eigentumsinterpretation ist Ausgangspunkt eines zögerlichen über Jahrzehnte in kleinen Schritten vollzogenen Wandels des Eigentumsverständnisses hin zur Öffnung des Eigentumstatbestandes für im öffentlichen Recht wurzelnde Freiheitsvergegenständlichungen. Eine im Interesse der Vermeidung einer „überschießenden Aufgabenzuweisung" liegende Eingrenzung erfährt die funktionale Eigentumssicht durch das „Eigenleistungserfordernis", welches den eigentumskennzeichnenden besonderen personalen Bezug des einzelnen zu einer Vermögenswerten, öffentlich-rechtlichen Position ausweist. Im Eigenleistungstopos spiegelt sich das grundrechtliche Zûsammerispiel zwischen der Aktivitätsausstrahlung des Art. 12 GG als „Grundrecht der Arbeit" und dem „Erfolgsgrundrecht" des Art. 14 GG wider, welches das Sozialeigentum des kleinen Mannes in Gestalt von Berechtigungen aifi genossenschaftlichen Sozialversicherungssystem als „geronnene Arbeit" begreifen läßt. M i t Rücksicht auf die Notwendigkeit einer personalen Vorleistung kommt allen einseitigen, steuerfinanzierten Positionen, die der Staat in Erfüllung seiner sozialen Fürsorge- und Schutzpflicht gewährt, wie Sozialhilfe, Kindergeld, Wóhngeld oder BAFÖG-Leistungen sowie Steuervorteilen, kein im Eigentumsgrundrecht verankerter Rücknahmeschutz zu. Derartige Sozialleistungen können jedoch von anderen Grundrechten (z.B. Art. 2 I I für Fürsorgeleistungen, Art. 6 für Positionen des Familienkreises oder Art. 12 in Bezug auf Bildungsund Ausbildungsunterstützungen) aufgefangen und damit grundrechtsorientiert multifunktional gegen nicht gerechtfertigte Abbaumaßnahmen des Gesetzgebers geschützt werden. Aufgrund der Beitragsfinanzierung sind hingegen die Rechtsstellungen des Sozialversicherungssystems prädestiniertes Sozialeigentum. Alle potentiellen und aktuellen Positionen der Renten-, Unfall-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung stellen aufgrund des abstrakt global-äquivalenten Zusammenhangs zwischen Beitragsleistung und Sozialversicherungsteilhabe Sozialeigentum im Sinne von Art. 14 G G dar. Gleiches gilt für die Positionen des Rechts der sozialen Entschädigung, da auch hier im weiteren Sinne ein vorgängiger individueller Einsatz bejaht werden kann. c) Allein die Einbeziehung einer sozialen Daseinssicherungsposition in den Tatbestand des Art. 14 I 1 GG macht diese gegen Abbaumaßnahmen des Gesetzgebers keinesfalls immun. Die Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Sozialeigentums erfolgt über das Instrument der Abwägung, wonach der änderungsfeste Gehalt einer Sozialposition nach Maßgabe einer konkreten

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Gewichtung der Elemente, die der Sicherung persönlicher Freiheit durch staatliche Daseinsvorsorgenetze dienen und der Gemeinwohlfunktion, die die jeweilige Grundrechtsstellung in ihrer rechtlich strukturierten, gesellschaftlichen Einbettung in einer bestimmten sozioökonomischen Lage kennzeichnet, herauszuschälen ist. Das Übermaßverbot strukturiert den Abwägungsprozeß, in dem es zu einer am spezifischen Freihaltsgehalt und der Sozialbindung ausgerichteten abgestuften Betrachtung der betreffenden Grundrechtsposition zwingt und die gegenläufigen Interessen zu praktischer Konkordanz zu optimieren versucht. Die Leitlinie für diesen Optimierungsvorgang, der zuerst vom Sozialgesetzgeber und ggf. von der kontrollierenden Gewalt zu vollziehen ist, kann in Bezug auf Daseinssicherungsberechtigungen des sozialen Netzes mit dem Begriff eines „sozialen Schonungsgebots" charakterisiert werden. Das Ergebnis der Gewichtung und Abwägung zwischen Daseinssicherungsinteresse und den vorliegenden Veränderungs- und Rücknahmebelangen anhand der Schonungsdirektive zeigt den konkreten, situationsangemessenen, vom Gesetzgeber nicht berührbaren Gehalt einer sozialen Position. Die Bestandsabwägung kennzeichnet zugleich den gegenwartsorientiert und flexibel ermittelten, nach den Zeitumständen relativen Kernbereich, Wesensgehalt und die institutionell verbürgte Zone einer grundrechtlich umhegten sozialen Funktion. Aus einer Zusammenschau der Vielzahl im Eigentumsgrundrecht nach Maßgabe des Abwägungsprozesses verfestigter Sozialpositionen, welche die „Institutsgarantie" des Eigentums ausfüllen, erwächst so Art. 14 GG zu einem das Sozialstaatsprinzip und die Sozialbereichs- Kompetenznormen konkretisierenden „Grundrecht der sozialen Sicherheit" im Sozialversicherungssystem. Eine Absenkung des Sozialstandards kann vom Gesetzgeber auch dann durchgeführt werden, wenn zwar ein tiefer oder abrupter Einschnitt in eigentumsrechtlich erfaßte soziale Rechtsstellungen vor Art. 14 11 GG keinen Bestand hätte und damit verfassungswidrig wäre, jedoch eine abgestufte, nach dem Grad der Rückschrittsbetroffenheit in personeller und temporärer Hinsicht differenzierende Überführung vom alten zum neuen Rechtszustand nach der Schonungsthese der personalen Daseinssicherungsgewährleistung des Eigentumsgrundrecht genügt. Schonendes Übergangsrecht erhält überall dort eine — reform verzögernde—Schlüsselstellung, wo der grundrechtliche Bestandsschutz im Einzelfall mit Rücksicht auf die Abwägungsmaxime eine Antastung insbesondere schon realisierter Versorgungsstellungen überhaupt nicht, nur geringfügig oder nur mittels kompensatorischer Äquivalenzleistungen erlaubt. I m Eigentumsgrundrecht erfaßte Stellungen der Sozialversicherung sind in hohem Maße ambivalent. Einerseits weisen sie stärksten personalen Bezug auf, da sie Grundlage der Lebensplanung und Gestaltung des in das staatliche Sozialsystem zwangsweise oder auch freiwillig integrierten Bürgers sind. Die eigentumsrechtliche Schutzintensität ist aufgrund der daseinssichernden, nicht durch andere Vorsorgemechanismen adäquat zu ersetzenden Einbindung des Bürgers in das Leistungsgeflecht sozialer Sicherheit um so größer, je höher der

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von ihm eingebrachte Arbeits- bzw. Beitragsanteil (Art. 12!) ist, je weiter sich die zeitliche Verdichtung hin zur falligen Versorgungsposition fortentwickelt und damit die persönliche Abhängigkeit gesteigert hat. Das personale Bestandsschutzmoment des Eigentumsgrundrechts garantiert keine fixen, zeitunabhängigen Leistungen des Sozialversicherungssystems, sondern ist immer variabel und dynamisch innerhalb der Grenzen, welche die grundrechtsgeschütze Daseinssicherungsfunktion nach Maßgabe der grundrechtsspezifischen Abwägung mit den für einen Abbau oder eine Nichtanpassung von Sozialleistungen sprechenden Gemeinwohlbelangen (Rücknahmegründe) aufzeigt. Der änderungsermöglichende „soziale Bezug" der Eigentumsstellungen der Sozialversicherung wird durch den charakteristischen Solidarverbund, die gegenseitige Rechte- und Pflichteneinbindung der in einer genossenschaftlich strukturierten Gemeinschaft zusammengefaßten Mitglieder geprägt. Eine spezielle Äußerung des Solidargedankens in der zeitlichen Dimension findet sich im Struktur- und Finanzierungsmodell des Generationenvertrags der Rentenversicherten. Einschnitte im Leistungsgefüge der Sozialversicherung müssen der Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems sozialer Sicherheit dienen, eine Formel, die den allgemeinen sozialstaatlichen „Vorbehalt des Möglichen" konkretisiert. Die die Gemeinwohlbindung ausfüllenden Rückschrittsgründe können zum einen überwiegend sozialpolitisch-interner Natur sein. Zu nennen sind hier vor allem: Die soziale Gerechtigkeit anstrebende Zielsetzung einer Beseitigung von Doppel- und Überversorgungslagen, eines Privilegienabbaus, einer Abwehr von Mißbrauchsmöglichkeiten sowie die Berücksichtigung des Wegfalls eines Tatbestandes sozialer Bedürftigkeit aufgrund wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Wandels. Der Schwerpunkt der Begründung von Rückschrittsmaßnahmen im Zeichen der Krise von Wirtschaft, Staatsfinanzen und den Haushalten der Sozialversicherungsträger liegt auf der Finanzierungsseite. Haushaltssicherungs-, Haushaltsstruktur-, Haushaltsbegleit- und Haushaltskonsolidierungsgesetze und zahlreiche Kostendämpfungsgesetze zeugen von einer Wende der Sozialpolitik, die im Abbau von Sozialleistungen aus finanziellen Gründen ein eigenständiges, gemeinwohlorientiertes, eingriffslegitimierendes Rückholmotiv erblickt. Der „Grundsatz der sparsamen Haushaltsführung" wird zur bedeutendsten Gemeinwohlformel des in finanzielle Bedrängnis geratenen Sozialstaats. Dem „öffentlichen" Interesse an gesunden Staatsfinanzen, einer Sanierung des Staatshaushalts und der finanziellen Konsolidierung der Sozialversicherungsträger darf und muß der Sozialgesetzgeber Rechnung tragen, allerdings nur in Orientierung an der Richtlinie des „sozialen Schonungsgebots", welche Stabilität und Verläßlichkeit sozialer Einrichtungen und ihrer Leistungsstandards verbürgt.

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Kosten- und Einspargesichtspunkte überwiegen nicht automatisch die Daseinssicherungsbelange der Bürger, die ihren Lebensplan auf das staatliche Versprechen angemessener Sozialleistungen sowohl im Bereich der Risikoabsicherung durch die Sozialversicherung als auch im Falle individueller, nicht vorhersehbarer sozialer Bedürftigkeit eingestellt haben. Die Sozialpolitik darf sich nicht vorschnell dem vermeintlichen Diktat der Haushaltspolitik unterwerfen und die Ausgaben für Sozialleistungen gerade dann drosseln, wenn die Abhängigkeit der Bürger von guten und verläßlichen Sozialmechanismen wächst und sie das früher gegebene gesetzliche Sicherungsversprechen einlösen wollen. Gerade in der Finanzierungskrise muß der Staat seiner Verantwortung für ein funktionierendes Sozialsystem mit daseinssicherndem Leistungsniveau gerecht werden, was behutsame und schonende Anpassungen an verschlechterte faktische Ausgangsbedingungen und Reduktionen auf Sozialfeldern mit vergleichsweise hohen Leistungen oder geringerer sozialer Schutzbedürftigkeit nicht ausschließt. 2. Im „Grundrecht" auf Kontinuität und Vertrauensschutz verbürgt die Verfassung Unverbrüchlichkeit, Stetigkeit, Berechenbarkeit und Verläßlichkeit der Sozialordnung. Der Vertrauensschutzgedanke ist rückschrittseindämmender Wertungstopos mit mehrschichtiger Relevanz, was ihn insofern, trotz fehlender ausdrücklicher Benennung im Grundgesetz, als eigenständiges „Grundrecht" begreifen läßt. Er ist objektivrechtliches Postulat, das eine begrenzte Kontinuitätsverpflichtung im Hinblick auf die Einhaltung des einmal gesetzlich niedergelegten Sicherungsversprechens begehrt. In der subjektiven Perspektive garantiert das Grundrecht auf Kontinuität Verläßlichkeit, welche die konkreten vom Gesetzgeber geweckten „Sozialerwartungen" der Bürger im Hinblick auf die Fortdauer bestimmter sozialer Leistungen und Regelungen, auf die sie nach ihrem individuellen Lebensplan angewiesen sind, schützt. Standort des Vertrauensschutzes sind in erster Linie in Ausfluß ihres multifunktionalen Geltungsanspruchs die Grundrechtsnormen, die jeweils einen sozialrechtlich geordneten Lebensbereich aus der Ebene des Verfassungsrechts steuern. Dementsprechend findet der Vertrauensschutzgedanke für die erarbeiteten Rechtsstellungen der Sozialversicherung im Eigentumsgrundrecht eine eigene Ausprägung. Da alle Grundrechte des Grundgesetzes als mehrschichtige Wertungsfaktoren eine Vertrauenskomponente besitzen, stellen sie alle Kontinuitätsverbürgungen dar, soweit ihnen grundrechtsfortbildend eine Schutzdimension für „Sozialgüter" zugesprochen wird. Grundrechtlicher Bestandsschutz für Sozialpositionen in ihrer ganzheitlichen Sicherungsfunktion und der Vertrauenssóhutzaspekt sind nicht deckungsgleich. Die Grundrechtssicherung für Aufgaben und Positionen des sozialen Netzes geht über die Vertrauensperspektive hinaus, da der grundrechtliche Bestandsschutz die daseinssichernde Bedeutung einer Sozialposition als Teil einer bestimmten Sozialstaatsaufgabe insgesamt erfaßt und nicht nur den subjektiven Sozialerwartungshorizont des Bürgers abdeckt.

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Einer ausschließlich am Rechtsstaatsprinzip orientierten sozialrechtlichen Kontinuitätsdirektive, wie sie teilweise im Schrifttum vertreten wird, bedarf es in Konsequenz des Konzeptes einer alle Sozialfunktionen und alle Sozialteilhabeberechtigungen umfassenden, multifunktionalen Grundrechtsverwurzelung des Sozialstaats nicht. Unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip als auffangendem Verfassungsgrundsatz werden der Vertrauensschutz und das Verläßlichkeitsmoment nur insoweit gesteuert, wie soziale Positionen nicht grundrechtsspezifisch erfaßt werden, nach herrschender Meinung also vor allem in bezug auf die Vielzahl außerhalb des Sozialversicherungssystems stehender, steuerfinanzierter Sozialleistungen und Vorteile. Der Umfang des verfassungsrechtlich geschützten Sozialvertrauens ermittelt sich methodisch aus der Abwägungsmaxime, mittels welcher, in Parallele zur Abschichtung des grundrechtlichen Bestandsschutzes von Sozialpositionen, die Konfliktlage zwischen dem personalen Beharrungsinteresse und notwendiger, demokratisch legitimierter Flexibilität und Anpassung an sich wandelnde Umstände gegenwartsbezogen ausbalanciert wird. Die Abbausensibilität des Sozialrechts, insbesondere bei den lebensunterhaltsgewährenden Leistungen der Sozialversicherung, aber auch denjenigen der anderen Elementarversorgungssysteme (Sozialhilfe, Ansprüche nach dem BVG), äußert sich in einem starken, die Dauerhaftigkeit sozialer Rechtslagen betonenden Beständigkeitsvertrauen des Bürgers, welches als hochrangiger Wertungstopos über die rückschrittsleitende Direktive des „sozialen Schonungsgebots" im Abwägungsprozeß zur Geltung zu bringen ist. Die generelle Voraussehbarkeit von Änderungen im Sozialniveau bei einer Verschlechterung der Finanzierungsvoraussetzungen oder einem Wandel der gesellschaftspolitischen Vorbedingungen mündet in keinen automatischen Widerrufsvorbehalt für Sozialleistungen ein. Das Voraussehbarkeitsargument ist vielmehr unter Beachtung der Schonungsrichtlinie an den konkreten Verläßlichkeitselementen, die die Rücknahmefestigkeit einer sozialen Position indizieren, zu messen und zu gewichten. 3. Art. 6 I, IV GG ist als „orginäres" soziales Grundrecht mehrdimensionale Rückschrittsgerechtigkeitsnorm, welche für das Gebiet der Familienförderung und des Mutterschutzes stabile und verläßliche Sozialeinrichtungen, Unterstützungs- und Schutzmaßnahmen verbürgt. Obwohl die bereichsspezifische Verdeutlichung des Sozialstaatsprinzips in Art. 6 I, IV GG den hohen Stellenwert des Familienlastenausgleichs sowie des Mutterschutzes hervorhebt, errichtet das Grundgesetz durch diese spezielle Gewährleistung keine Sperre gegen Rücknahmen, sondern obläßt grundsätzlich die Festlegung des konkreten Leistungs- und Schutzniveaus der parlamentarischen Mehrheitsentscheidung. Die jeweilige vom Gesetzgeber zu beachtende Rücknahmefestigkeit folgt auch hier aus einem die Zeitumstände berücksichtigenden, den personalen Sicherungsanspruch der Grundrechtsnormen zur Geltung bringenden Abwägungsvorgang. Kein Rücknahmeermessen dürfte der Gesetzgeber allerdings in bezug auf die bestehenden arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften (Schutzfristen, Kün-

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digungsverbote, Lohnfortzahlung) für die Mutter besitzen. Insofern existiert ein „absolutes" soziales Rückschrittsverbot. 4. Wegweisende methodische Bedeutung für die Lösung der verfassungsrechtlichen Problemlage „sozialer Rückschritt" besitzt Art. 33 V GG als spezielle Verbürgung des Grundgesetzes, welche die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Beamtenrecht relativ engen Bindungen unterwirft. M i t der Garantie hergebrachter Grundsätze des Berufsbeamtentums erzeugt diese Bestimmung multifunktionale Stabilisierungswirkung für die tradierten Strukturen und materiellen Regelungen des Beamtenbereichs. Art. 33 V ist Gegengewicht zur völligen Abhängigkeit der Beamtenschaft vom Versorgungswillen des Gesetzgebers, der die gesamte Lebensstellung des Beamten und seiner Familie sowohl während der Aktivzeit als auch in der Ruhestandsphase definiert. Das Gebot amtsangemessener Besoldung und Versorgung ist zunächst objektiv-institutionelle Direktive, die einen komplexen Ausformungs- und Wahrungsauftrag an den Gesetzgeber zur zeitgemäßen, statusmäßig abgestuften Festlegung des Einkommensniveaus der Beamten und ihrer Absicherung vor den „Wechselfallen des Lebens" enthält. Hiermit korrespondiert auf der subjektiven Ebene ein grundrechtsähnlicher Individualanspruch zur Durchsetzung dieser Versorgungsgarantie. Diese Konzeption entspricht dem vorgeschlagenen Weg auf Feststellung gerichteter „Vernachlässigungs-Sozialansprüche" für das Gebiet der sozialen Sicherung außerhalb des Beamtenbereichs. Das gesetzgeberische Leistungs- und Rücknahmeermessen wird durch das „Angemessenheitskriterium" in guten wie in schlechten Zeiten entscheidend gebunden. Das Niveau der Besoldung und Versorgung darf die Grenzen der Angemessenheit nicht unterschreiten, wodurch sowohl dem unmittelbar kürzenden als auch dem nichtanpassenden, passiven Abbaugesetzgeber verfassungsrechtliche Schranken gesetzt werden, die insofern ein relatives „beamtenrechtliches Rückschrittsverbot" errichten. Harmonisierungsinstrument zur Ausfüllung der Angemessenheitsdirektive ist auch hier die Abwägungsprozedur, in die sämtliche Wertungsfaktoren beamtenrechtlicher, statusmäßiger und volkswirtschaftlicher Art einfließen. Das Angemessenheitsgebot stellt in bezug auf die sozio-ökonomischen Realdaten eine verfassungsunmittelbare Relativitätsklausel in Konkretisierung des allgemeinen „Vorbehalts des Möglichen" dar. Eine statische, ziffernmäßige Garantie der Beamtenbezüge auf dem jeweils erreichten Höchstniveau ist dadurch ebenso ausgeschlossen, wie eine Abkoppelung des Versorgungsstandards der Beamten vom Einkommens- und Lebensniveau der nichtverbeamteten Arbeitnehmer. Streichungen, Kürzungen und Nichtanpassung von Besoldungs- und Versorgungsleistungen bedürfen vor dem Gebot der Amtsangemessenheit in gleicher Weise der sachlichen Legitimation durch Rücknahmebelange, wie Verschlechterungen bei Positionen des sozialen Netzes außerhalb des Beamtenbereichs

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aufgrund überwiegender Gemeinwohlbelange haushaltsmäßiger oder sozialpolitischer Art gerechtfertigt sein müssen. Hinsichtlich der Rücknahmekriterien besteht eine deutliche Parallele zu den Abbaugründen, die den eigentumsrechtlichen Bestandsschutz von Positionen der Sozialversicherung situationsbezogen relativieren. Die Versorgungszusage des Art. 33 V G G kann trotz der strukturellen Besonderheiten, die aufgrund der Garantie der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums bestehen, als Modell einer sachbereichsspeziflschen, multifunktionalen grundrechtlichen Steuerung eines Lebensbereichs begriffen werden. Die Alimentationsgarantie ist mit dem Postulat angemessener Versorgungsleistungen methodisches und inhaltliches Vorbild für die Auslotung der Festigungskraft der Grundrechte zugunsten eines zeitgerechten, situationselastischen, das personale Daseinsvorsorgemoment schonenden Standards der Systeme sozialer Sicherheit. Dementsprechend ist der vom Bundesverfassungsgericht eingeschlagene Weg eigentumsrechtlicher Bestandsgewährleistung von Rechtsstellungen der Sozialversicherung fortzusetzen und durch ein umfassendes Konzept grundrechtsbezogener, multifunktionaler Abstützung des gesamten Sozialsystems der Bundesrepublik auszubauen. Nur auf diese Weise werden sich die anstehenden Probleme einer Reform und Anpassung der sozialstaatlichen Leistungs- und Schutzgeflechte an veränderte ökonomische, gesellschaftliche und sozialpolitische Ausgangsbedingungen aus der Ebene des Verfassungsrechts unter Wahrung und Schonung der das Sicherungsbedürfnis des Bürgers gewährleistenden Sozialfunktionen und Sozialrechtsstellungen bewältigen lassen. Allerdings kann und darf, dies ist abschließend hervorzuheben, auch eine striktere grundrechtliche Bindung des Sozialgesetzgebers nicht die demokratischen Gestaltungskräfte lähmen, die den Sozialstaat im Interesse der Sozialbürger fortentwickeln und an veränderte Zeitumstände anpassen. Ein für die sozialen Belange der Bürger offenes, die soziale Wirklichkeit berücksichtigendes, demokratisches Verfahren wird letztlich immer besserer Garant eines guten, zeitgerechten Sozialniveaus mit effektiven Sozialinstitutionen sein als eine noch so dichte verfassungsrechtliche Ummantelung des Sozialstaats.

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