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German Pages 180 Year 1978
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 345
Koalitionsfreiheit und Gemeinwohl Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit staatlicher Einwirkung auf die tarifautonome Lohngestaltung
Von
Jürgen Knebel
Duncker & Humblot · Berlin
JÜRGEN KNEBEL
Koalitionsfreiheit und Gemeinwohl
Schriften zum ö f f e n t l i c h e n Band 345
Recht
Koalitionsfreiheit und Gemeinwohl Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit staatlicher Einwirkung auf die tarifautonome Lohngestaltung
Von Dr. Jürgen K n e b e l
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
Alle Rechte vorbehalten © 1978 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1978 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 04206 9
Dem Andenken meiner lieben Mutter
Vorwort Wenn zu Beginn eines jeden Jahres die Sozialpartner aufgerufen sind, neue Tarifverträge abzuschließen, w i r d immer wieder die Forderung erhoben, die neuen Tarifdaten mögen sich i n die gesamtwirtschaftliche Situation einpassen. Der Ruf nach der „Gemeinwohlverantwortlichkeit" w i r d immer dann laut, wenn die gewerkschaftlichen Forderungen oder der ausgehandelte Kompromiß „das gesamtwirtschaftlich Verantwortbare" überschreiten. Die Frage, ob eine Gemeinwohlpflicht der Koalitionen besteht und wie sie gegebenenfalls realisiert werden kann, ist Gegenstand dieser Arbeit, die dem Fachbereich 9 der Freien Universität Berlin i m Wintersemester 1977/78 als Dissertation vorlag. Z u besonderem Dank verpflichtet b i n ich meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Michael Kloepfer, der die Arbeit initiierte und m i r zahlreiche wertvolle Anregungen zuteil werden ließ. Dank schulde ich auch dem Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Rupert Scholz. Schließlich möchte ich Herrn Ministerialrat a.D. Prof. Dr. J.Broermann für die freundliche Aufnahme der Arbeit i n die von i h m betreute Schriftenreihe danken. Jürgen
Knebel
Inhaltsverzeichnis I . Volkswirtschaftliche Bedeutung der tariflichen Normsetzung 1. Personeller Geltungsumfang
13 14
2. B r u t t o l o h n - u n d Gehaltssumme i m Verhältnis z u m Bruttosozialprodukt
15
3. Gesamtwirtschaftliche Folgen einer Lohnerhöhung
16
Π . Lohnpolitik der Gewerkschaften
20
1. Anfänge gewerkschaftlicher P o l i t i k u n d Reichswirtschaftsrat . .
20
2. T a r i f - u n d lohnpolitische Konzeptionen a) Expansive L o h n p o l i t i k b) A k t i v e L o h n p o l i t i k
22 22 23
3. Grenzen der L o h n p o l i t i k a) Theorie der produktivitätsorientierten L o h n p o l i t i k b) Theorie der kostenniveauneutralen L o h n p o l i t i k c) Tauglichkeit beider Theorien f ü r eine stabilitätsgarantierende Lohnpolitik
27 27 28
Ι Π . Die staatliche Einwirkung auf die tarifliche Datensetzung
30 32
1. I n d i k a t i v e Lenkung
32
2. Influenzierende E i n w i r k i m g
33
3. Konzertierte A k t i o n u n d Tarifautonomie
34
4. Imperative L e n k u n g a) Selbstsetzen des Tarifdatums b) Aktualisierung der Autonomiegrenzen
35 36 37
I V . Staatliche Wirtschaftslenkung
38
1. Staatliche Wirtschaftslenkung u n d Marktwirtschaft
38
2. Verantwortung des Staates f ü r das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht a) Die Staatszielbestimmung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Art. 109 I I GG) b) Das Sozialstaatsprinzip
41 43
3. Kompetenzzuweisung f ü r wirtschaftslenkende akte
46
Gesetzgebungs-
V. Umfang der Koalitionsfreiheit
41
49
1. Koalitionsfreiheit als individualrechtliche Verbürgung
50
2. Koalitionsfreiheit als kollektivrechtlicher Bestandsschutz
50
Inhaltsverzeichnis
10
3. Koalitionsfreiheit als kollektivrechtliche Betätigungsgarantie . .
51
4. Konkretisierung der kollektivrechtlichen Betätigungsgarantie . . a) Koalitionszweck u n d Kernbereichslehre b) Wirtschaftspolitisches Mandat der Gewerkschaften c) Die Betätigungsgarantie der verbandsmäßigen Lohngestaltung
52 52 58
V I . Die Vorbehaltsfrage i m Rahmen des Art. 9 Π Ι G G .
61 63
1. Immanenter Gemeinschaftsvorbehalt
64
2. Anwendung der Schranken des A r t . 2 1 G G
65
3. „Allgemeines Gesetz" als Schranke der Kommunikationsgrundrechte
68
4. A r t . 9 I I G G als Grenze der Koalitionsfreiheit
71
5. Die Rechtsmißbrauchsschranke
73
6. Die Immanenzlehre des Bundesverfassungsgerichts lungnahme
u n d Stel-
V I I . Gemeinwohlbindung der Koalitionen i m Spiegel der Meinungen . .
75 78
1. Gegner einer Gemeinwohlbindung
79
2. Befürworter einer Gemeinwohlbindung
81
3. Theorie der eigenverantwortlichen Gemeinwohlkonkretisierung durch die Koalitionen
86
V I I I . Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff
88
1. Die F u n k t i o n des Gemeinwohlbegriffs i n den Verfassungen u n d i n gesetzlichen Tatbeständen
88
2. Die F u n k t i o n des Gemeinwohlbegriffs i n der Rechtsprechung . .
90
3. Zwischenergebnis
95
4. Definitionen des Gemeinwohls
96
5. Die Offenheit der Bedeutungsinhalte
99
6. Ansatzpunkte einer Gemeinwohlkonkretisierung
101
7. Erforderlichkeit einer Gemeinwohlbindung
104
8. öffentlicher Status u n d Gemeinwohlbindung
106
9. Zusammenfassung
109
I X . Ableitung einer Gemeinwohlbindung als Grenze tariflicher Regelungsbefugnis aus demLegitimationserfordernis 110 1. Übertragung Koalitionen
verfassungsrechtlicher
Grundprinzipien
auf
die
111
2. Der herkömmliche Repräsentationsbegriff
114
3. Der erweiterte Repräsentationsbegriff
115
Inhaltsverzeichnis 4. Legitimation gegenüber den Koalitionsmitgliedern
116
5. Legitimation gegenüber den Außenseitern a) Gesamtrepräsentation der Gewerkschaften b) Gesamtrepräsentation u n d Legitimationsprinzip aa) Legitimation durch A r t . 9 I I I G G oder durch sonstige Rechtsnormen bb) Legitimation durch Entgegennahme der Vorteile durch die Außenseiter cc) Ordnungsfunktion u n d Legitimation
116 116 122
123 123
6. Spannungslage zwischen Repräsentation u n d Legitimation
124
122
X . Gemeinwohlkonkretisierung in wirtschaftlicher Hinsicht
128
1. Die Verfassung als „normative Gemeinwohlordnung"
128
2. Ansatzpunkte zur Auslegung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts i m Sinne des A r t . 109 I I G G a) Die Legaldefinition des § 1 StabG b) Verhältnis von Verfassungsrecht zu einfachem Gesetzesrecht aa) Stellungnahmen der L i t e r a t u r bb) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts cc) K r i t i k u n d Lösungsvorschlag c) Folgerungen f ü r das Verhältnis des A r t . 109 I I G G zu § 1 StabG 3. V o t u m des Sachverständigenrates
131 131 133 133 136 137 140 141
4. Entwicklung des Bruttosozialprodukts
142
5. Komponenten des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts a) Stabilität des Preisniveaus b) Hoher Beschäftigungsstand c) Außenwirtschaftliches Gleichgewicht d) Stetiges u n d angemessenes Wirtschaftswachstum e) Verhältnis der Ziele zueinander f) Ergebnis
143 144 146 147 148 149 150
6. Konkretisierung durch die Orientierungsdaten des §3 StabG bzw. durch die Projektionen des § 2 StabG 151 a) I n h a l t der Orientierungsdaten u n d der Projektionen 151 b) Bestimmtheit der Projektionsdaten 154 c) Geeignetheit zur Gemeinwohlbestimmimg 155 X I . Negative Gemeinwohlkonkretisierung 1. Zulässigkeit der Negativtechnik
160 160
2. Negative Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Sicht 161 X I I . Staatliche Kontrolle der Gemeinwohlbindung und Ergebnis
Literaturverzeichnis
166
169
I . Volkswirtschaftliche Bedeutung der tariflichen Normsetzung Die tarifautonome Lohn- und Gehaltsbestimmung der Sozialpartner setzt wirtschaftliche Daten, die nicht isoliert für sich existieren, sondern für das wirtschaftliche Verhalten aller am Wirtschaftsverkehr Beteiligten von maßgebender Bedeutung sind. Die Koalitionen haben durch die Befugnis, die Einkommen der abhängig Beschäftigten festzulegen, die Möglichkeit, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung entscheidend zu beeinflussen. Jede lohnpolitische A k t i o n ist zudem geeignet, die W i r k samkeit staatlicher Konjunkturpolitik i n Frage zu stellen. Auch die die Tarifauseinandersetzungen begleitenden öffentlichen Diskussionen u m die Vertretbarkeit gewerkschaftlicher Forderungen und u m die stabilitätsgerechten Erhöhungsraten unterstreichen die staats- und gesellschaftspolitische Brisanz tarifautonomer Normsetzung i n der Bundesrepublik. I n diese öffentliche Diskussion werden sowohl politische als auch rechtliche Gesichtspunkte einbezogen. I m Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist i m Interesse methodischer Sauberkeit eine Beschränkung auf die rechtlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte erstrebt. Andererseits aber liegt das hier zu behandelnde Thema i m Schnittpunkt von Verfassungsrecht und Wirtschaftspolitik, so daß sich zwangsweise die Notwendigkeit ergibt, wirtschaftliche bzw. konjunkturelle Zusammenhänge und darauf aufbauende Gedankengänge und Argumente m i t i n die Diskussion einzubeziehen, u m damit auch den zweifellos vorhandenen Beziehungspunkten zwischen Recht und Wirtschaft hinreichend Rechnung zu tragen, ohne dabei die verfassungsrechtliche Präponderanz aus den Augen zu verlieren. Die regelmäßig neu erhobene Forderung nach einer am gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht orientierten tarifvertraglichen Lohndatensetzung ist eng verknüpft m i t dem Problem des wirtschaftlichen Stellenwerts einer tariflichen Einkommenserhöhung. Deshalb erscheint es zunächst angebracht, kurz die volkswirtschaftliche Relevanz der tariflichen Normsetzung zu beleuchten.
14
I. Volkswirtschaftliche Bedeutung der tariflichen Normsetzung 1. Personeller Geltungsumfang
Rechtlich normunterworfen sind die beiderseits Tarifgebundenen 1 , also zunächst all diejenigen Arbeitnehmer, die gewerkschaftlich organisiert sind. Von den 1974 i n abhängiger Arbeit Beschäftigten 22,92 M i l lionen Arbeitnehmer waren 8,63 Millionen Gewerkschaftsmitglieder, so daß also für weniger als ein Drittel der i n der Bundesrepublik Beschäftigten die Lohnhöhe von den Tarifvertragsparteien unmittelbar und zwingend festgelegt wurde. Uber diese personelle Grenze des Tarifvertrages hinaus besteht die Möglichkeit, durch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung gemäß § 5 T V G die Rechtsnormen — und damit auch die Lohndaten — des Tarifvertrages auf die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer zu erstrecken 4 , wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 °/o der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer beschäftigen und die Allgemeinverbindlichkeitserklärung i m öffentlichen Interesse geboten erscheint 5 . Damit w i r d durch einen Staatsakt die Zahl der rechtlich an die vertragliche Tarifvereinbarung Gebundenen und damit auch die gesamtwirtschaftliche Bedeutung dieser Normsetzung erweitert. Die normierende Wirkung der Kollektivvereinbarungen hat nicht nur Bedeutung für diejenigen Arbeitsverhältnisse, die unmittelbar oder kraft Allgemeinverbindlichkeitserklärung der Tarif norm unterf allen; vielmehr w i r k t die Vereinbarung i m Rahmen ihres persönlichen (Arbeitnehmerkategorien), fachlichen (Wirtschaftszweige oder Teile von diesen), betrieblichen und räumlichen Geltungsbereichs faktisch auch auf die anderen Arbeitsverhältnisse ein. Der Arbeitgeber bietet den in seinem Unternehmen beschäftigten nichtorganisierten Arbeitnehmern regelmäßig die den tariflichen Abschlüssen entsprechenden Lohnbedingungen an 6 . Daran w i r d deutlich, daß das Ordnungsinstrument Tarifvertrag auch über seinen unmittelbaren Geltungsbereich hinaus weitgehende Ordnungswirkungen für die gleichgearteten Arbeitsverhält1
Vgl. § 4 1 Tarifvertragsgesetz. 2 Statistisches Jahrbuch f ü r die Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 152. « Statistisches Jahrbuch, 1975, S. 165. 4 Vgl. dazu Reichel, Tarifvertragsgesetz, 2. Aufl., F r a n k f u r t 1974, A n m . 19 b zu § 5 u n d Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, Tarifvertragsgesetz, 4. Aufl., M ü n chen—Berlin 1964, §5, Rdn. 30. 5 Darüber hinaus bedarf es eines Antrages einer Tarifvertragspartei sowie des einvernehmlichen Zusammenwirkens eines aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber u n d der Arbeitnehmer bestehenden Ausschusses, vgl. § 5 TVG. 6 Vgl. dazu Hirsch, Die öffentlichen Funktionen der Gewerkschaften, Stuttgart 1966, S.45; Müller, D B 1967, S. 903.
2. L o h n - u n d Gehaltssumme i m Verhältnis zum Bruttosozialprodukt
15
nisse besitzt, insofern also das kollektivrechtliche Vorbild auch das rechtliche Leitbild für alle Einzelarbeitsverträge darstellt 7 . Ein wesentlicher Grund für diese Gleichbehandlung 8 aller Arbeitnehmer dürfte wohl darin zu sehen sein, daß die Arbeitgeber nicht gewillt sein dürften, Nichtorganisierte durch Schlechterbehandlung zum E i n t r i t t i n die Gewerkschaften zu bewegen 9 . Dies läßt erkennen, daß die i n den Tarifverträgen ausgehandelten Arbeitsbedingungen für fast alle Arbeitnehmer — rechtliche oder faktische — Geltungskraft besitzen, die Tarifpartner also weit über den ihnen von Rechts wegen verliehenen Normsetzungsbereich hinaus einen maßgeblichen Einfluß auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen annähernd aller abhängig Beschäftigten ausüben. Aber auch die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber sind i n Zeiten guter Konjunktur (faktisch) gezwungen, ihre Arbeitnehmer „nach Tarif zu bezahlen, u m dem Abwerbungsdruck seitens der organisierten Arbeitgeber standhalten zu können. 2. Bruttolohn- und Gehaltssumme im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt Der gesamtwirtschaftliche Stellenwert der tarifvertraglichen Lohndatenfestsetzung w i r d i n materieller Hinsicht dadurch deutlich, daß die Bruttolohn- und Gehaltssumme m i t dem Bruttosozialprodukt verglichen wird. Das Statistische Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland 1975 weist für das Jahr 1974 ein Bruttosozialprodukt i n Höhe von D M 995,5 Milliarden 1 0 aus. Dem steht eine Bruttolohn- und Gehaltssumme von DM464,1 1 1 Milliarden gegenüber. Knapp die Hälfte des gesamten Bruttosozialproduktes ist somit faktisch Ausgangspunkt gewerkschaftlicher Forderungen. Geht man davon aus, daß die ausgehan7 Müller, D B 1967, S. 903. 8 Es steht dem Arbeitgeber frei, ob er auch den Nichtorganisierten die tarifvertraglich vereinbarte Einkommensverbesserung gewährt. Keinesfalls können die Nichtorganisierten aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes Gleichstellung m i t den Organisierten verlangen (vgl. dazu Hueck / Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, I . Band, 7. Aufl., Berlin— F r a n k f u r t 1963, S. 426; Söllner, Arbeitsrecht, 5. Aufl., S t u t t g a r t — B e r l i n Köln—Mainz 1976, S. 221). E i n rechtlicher Gleichstellungsanspruch ergibt sich allenfalls aus einer betriebsüblichen oder ausdrücklichen Gleichstellungsabrede. • So Hirsch, S. 45 m. w . Nachw. 10 S. 508. 11 I n dieser Z a h l sind sowohl die Einkommen der Beamten als a u d i die der sonstigen Nichtarbeitnehmer i. S. d. Tarifvertragsgesetzes (vgl. dazu Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, § 1 Rdn. 46) enthalten, obwohl ihre Arbeitsbedingungen nicht durch Tarifverträge geregelt werden können. I h r e Einbeziehung ist aber i m vorliegenden Zusammenhang gerechtfertigt, da auch deren E i n kommen regelmäßig der allgemeinen Einkommensentwicklung (z.B. durch die jeweiligen Besoldungserhöhungsgesetze) angeglichen werden.
16
I. Volkswirtschaftliche Bedeutung der tariflichen Normsetzung
delte Einkommenserhöhung nur 5 % beträgt, so entscheiden die autonomen Tarifpartner damit bereits über den Zufluß von D M 23,2 M i l l i a r den i n den Wirtschaftsprozeß. Die lohnpolitische Zielsetzung der Gewerkschaften, eine Umverteilung der Realeinkommen zugunsten der Arbeitnehmer über eine extensive Reallohnpolitik zu erreichen, führte i m Jahre 1974 zu einem durchschnittlichen Bruttolohn- und Gehaltszuwachs von 11,5 °/o gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum 1 2 . Damit entschieden die Sozialpartner über eine Größenordnung von D M 53,4 Milliarden, ein Datum, das die gesamtwirtschaftliche Relevanz tariflicher Lohnfindung unterstreicht.
3. Gesamtwirtschaftliche Folgen einer Lohnerhöhung
Die wirtschaftlichen Folgen einer Lohnerhöhung sind eng verknüpft m i t der Doppelfunktion des Lohnes: Er ist als ein und dieselbe nominelle Größe einerseits Einkommen für den Arbeitnehmer und damit Grundlage für die private Nachfragekraft und andererseits eine Größe, die i n den unternehmerischen Kostenrechnungen eine große Rolle spielt. Eine Lohn- und Gehaltsverbesserung führt damit zu einer Erhöhung der betrieblichen Kosten auf der Unternehmerseite und zu einem A n stieg der monetären Nachfragekraft nach Konsumgütern auf der Arbeitnehmerseite. Die Anpassungsreaktionen der Unternehmer auf lohnbedingte Kostenerhöhungen können vielfältig sein, sie hängen von verschiedenen U m ständen ab 1 3 . Zunächst ist denkbar, daß die Lohnerhöhung aus den Gewinnen des Unternehmens getragen wird. Dieser wohl recht selten realisierte Weg ist nur gangbar, wenn das Ausmaß der Lohnsteigerung sowie der Lohnkostenanteil am Produkt gering sind 1 4 . Ferner ist erforderlich, daß die branchenübliche Gewinnrate sich ohne schwerwiegende Änderung der Wirtschaftsordnung herabdrücken läßt 1 5 . Eine andere Möglichkeit der Kostenkompensation liegt darin, die Lohnerhöhung auf die Preise abzuwälzen 16 . Erst dann, wenn die Abwälzung bei Aufrechterhaltung des Absatzes nicht gelingt oder aus Konkurrenzgründen von vornherein aussichtslos erscheint, w i r d der Unternehmer den Weg der 12
Vgl. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1974/75, S. 69. Vgl. Arndt, Theoretische Grundlagen der Lohnpolitik, Tübingen 1957, S. 144. Ebd., S. 144. 15 Siehe dazu Streissler, Möglichkeit u n d Grenzen einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik, W i e n 1960, S. 26. 1β Wobei Arndt, Grundlagen der Lohnpolitik, S. 147, zwischen Rückwälzung (zu Lasten v o n Preisen der Vorprodukte) u n d Vorwälzung (auf den Preis des Absatzproduktes) unterscheidet. 13
3. Gesamtwirtschaftliche Folgen einer Lohnerhöhung
17
Leistungskompensation (zum Beispiel Rationalisierung) und Faktorensubstitution beschreiten müssen 17 . Es ist i m Regelfall davon auszugehen und die wirtschaftliche Entwicklung und Erfahrung bestätigen dies, daß bei einer allgemeinen Lohnerhöhung die Unternehmer versuchen werden, die erhöhten Betriebskosten auf die Verbraucherpreise abzuwälzen und damit zu einer Verminderung der Kaufkraft des Geldes beitragen 18 . Die primär durch Abwälzung der höheren Betriebskosten entstandene Kosteninflation w i r d i n den Wirtschaftswissenschaften auch als sogenannte „cost push inflation" bezeichnet 19 . Nach den bisherigen Erfahrungen i n der Bundesrepublik besteht zwischen dem verfügbaren Einkommen und dem privaten Konsum eine direkte Beziehung i n dem Sinne, daß eine Erhöhung des verfügbaren privaten Einkommens 20 den Konsum (und damit die gesamte wirtschaftliche Nachfrage) erhöht 21 · 2 2 . Reichen die vorhandenen Güter bzw. Kapazitäten zur Nachfragebefriedigung aus, so führt die Nachfragesteigerung nicht oder nur unwesentlich zu einer Preiserhöhung. Sind hingegen alle Produktionskapazitäten und -reserven erschöpft, so daß das Warenangebot nicht kurzfristig erweitert werden kann, führt das zu einer relativen Warenknappheit. Da i n unserer marktwirtschaftlich strukturierten Wirtschaftsordnung Angebot und Nachfrage die entscheidenden wirtschaftlichen Regelungsfaktoren darstellen, reagiert der M a r k t auf eine erhöhte kaufkräftige Nachfrage bei gleichbleibendem Güterangebot m i t Preissteigerungen 23 . I n diesem Fall handelt es sich um eine sogenannte Nachfrageinflation, auch „demand p u l l inflation" genannt. 17 Ebd., S. 147. Z u m Abwälzungsverhalten der Unternehmer vgl. das Sondergutachten des Sachverständigenrates v o m 24. 5. 71, Ziffer 3 u n d 11. 19 Kullmer: Produktivität, L o h n u n d Inflation, Meisenheim am Glan 1965, S. 102 m. w. Nachw.; vgl. zu diesem Problemkreis auch Arndt, Währungsstabilität u n d Lohnpolitik, Tübingen 1973, S. 39 ff. 20 Dies gilt natürlich i m m e r unter der Voraussetzung, daß die Preiserhöhungen nicht die Einkommenssteigerung erreichen. Die bisherige E n t wicklung zeigt, daß die Arbeitnehmer alljährlich eine reale Einkommensverbesserung verzeichnen können; so beispielsweise f ü r 1972 plus 3,6 °/o, für 1973 plus 5,2 °/o u n d f ü r 1974 plus 4 °/o, vgl. Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1974/75, S. 68, Tabelle 12. 21 Vgl. dazu ausführlich das Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1975/76, Anhang V I , Tabelle 20; ferner Jahresgutachten 1971/72, S. 23, Ziff. 44 u n d S. 24, Ziff. 46; sowie Arndt, Grundlagen der Lohnpolitik, S. 250 ff.; v. Arnim, Volkswirtschaftspolitik, F r a n k f u r t a. M. 1974, S. 116. 22 Die Höhe der Verbrauchssteigerungsraten hängt zwar nicht n u r von der Steigerung des verfügbaren Einkommens, sondern (auch) von der Sparbereitschaft der Haushalte, welche bislang k o n j u n k t u r e l l bedingten Schwankungen unterlag, ab. (Siehe dazu eingehend das Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1975/76 S. 51 ff.) Gleichwohl zeigt sich trotz u n t e r schiedlichen Sparverhaltens, daß die Konsumfunktion durch das Sparverhalten n u r i n geringem Maße beeinflußt w i r d . 23 Arndt, Grundlagen der Lohnpolitik, S. 263; diese Chance nehmen die 18
2 Knebel
18
I. Volkswirtschaftliche Bedeutung der tariflichen Normsetzung
I m Rahmen dieser Arbeit kann nun nicht auf den alten, immer noch einer Lösung harrenden Streitstand eingegangen werden, ob die Lohnforderungen der Gewerkschaften das Preisniveau i n die Höhe treiben („cost push") oder umgekehrt die erweiterte Nachfrage das Preisniveau nach oben zieht („demand p u l l " ) 2 4 . Entscheidend ist für den vorliegenden Zusammenhang jedenfalls, daß Lohn- und Gehaltserhöhungen unter bestimmten Voraussetzungen stabilitätsgefährdende Wirkungen zeitigen können, die zu einem gesamtwirtschaftlich unerwünschten Geldwertschwund führen können. So geht die amtliche Wirtschaftspolitik sowie das Stabilitätsgesetz auch von der Notwendigkeit aus, Elemente der Lohnbildung i n die zur Gewährleistung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erforderliche Globalsteuerung einzubeziehen. M i t der Festsetzung der Lohnhöhe w i r d nun nicht nur ein wesentlicher Einfluß auf die Preis-, Kaufkraft- und Währungsentwicklung ausgeübt. Zugleich w i r d auch die Wirtschafts- und Sozialpolitik i m allgemeinen, die Wettbewerbsfähigkeit sowie die Beschäftigungsgrundlage durch die Lohnbildung entscheidend beeinflußt. Darüber hinaus entscheiden die Sozialpartner auch (mittelbar) über den Anteil aller übrigen Teile der Bevölkerung am Sozialprodukt, also insgesamt über lebenswichtige Interessen der Gesamtheit der Gesellschaft und damit des Staates überhaupt. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß verbreitet die These aufgestellt wird, die Gewerkschaften seien heute die mächtigste K r a f t i m Lande. A u f jeden Fall aber kann, i m Gegensatz zu den „klassischen Gewerkschaften", die Störungsmacht befestigter Großverbände heutiger Prägung „ w i r k l i c h alle Räder stillstehen lassen" 25 und damit weitgreifend fundamentale gesellschaftliche Interessen tangieren. Unternehmer auch regelmäßig wahr, vgl. das Sondergutachten des Sachverständigenrates v o m 24.5.71, i n dem i n Ziffer 11 ausgeführt w i r d , „daß die Unternehmer die verstärkte Nachfragebelebung m i t Kostenüberwälzung beantworteten". 24 Beide Ansichten werden nicht nur von den Sozialpartnern entsprechend ihrer Interessenlage vertreten, sondern sind auch Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Kontroversen. Das Gutachten des Sachverständigenrates 1965/66, Ziffer 182, spricht von der Lohn-Preisspirale als v o n jener „Spirale, v o n der i n hinreichend langfristiger Betrachtung niemand objektiv sagen kann, ob sie als Preis-Lohn-Spirale oder als Lohn-Preis-Spirale begonnen hat . . . " . Vgl. zu diesem Problemkreis noch Arndt, Grundlagen der L o h n politik, S. 266; Stachels, Das Stabilitätsgesetz i m System des Regierungshandelns, B e r l i n 1970, S. 89 f.; Kühne, Gewerkschaftliche Monatshefte 1955, S. 398 ff. — Dies hat (nur) mittelbar m i t der tarifpolitischen Frage zu tun, ob die Gewerkschaften ihre Lohnforderungen m i t gestiegenen Preisen begründen können oder die Unternehmer ihre Preiserhöhungen m i t L o h n steigerungen. 25 Götz Briefs „Gewerkschaften I " i n : Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 4, Stuttgart—Tübingen—Göttingen 1965, S. 557 unter Gliederungspunkt (3).
3. Gesamtwirtschaftliche Folgen einer Lohnerhöhung
19
Vor diesem Hintergrund wächst der Frage nach der bisherigen und der künftigen Lohnpolitik der Gewerkschaften besondere Bedeutung zu. Von ihr und der Bereitschaft der Gewerkschaften, sie durchzusetzen, hängt maßgeblich die Entwicklung unserer Volkswirtschaft ab.
I L Lohnpolitik der Gewerkschaften Ein wichtiges gewerkschaftliches Betätigungsfeld ist seit jeher die Lohnpolitik 1 , die die Aufgabe hat, durch periodische Einkommenserhöhungen die Lebensbedingungen der abhängig Beschäftigten zu verbessern. Ob die hinter dieser Lohnpolitik stehenden Ziele m i t Geboten der Erhaltung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vereinbar sind oder nicht, kann nicht nur für die verfassungsrechtliche Beurteilung des gewerkschaftlichen Koalitionshandelns Bedeutung haben, sondern auch Indizien für das zukünftige lohnpolitische Gebaren der Gewerkschaften abgeben. Es ist deshalb i m Rahmen der vorliegenden Untersuchung angezeigt, die gewerkschaftlichen Lohnkonzeptionen und damit auch die Problematik der Einkommensverteilung sowie die Frage nach den Grenzen der Lohnpolitik zu behandeln. Da die Gewerkschaftsseite bei Tarifverhandlungen tatsächlich stets als fordernder aktiver Teil auftritt und die Höhe und A r t der Ausgangsforderung i m wesentlichen davon abhängt, welche tarifpolitische Konzeption verfolgt w i r d und letztere wiederum Ausdruck der Rangfolge gewerkschaftlicher Zielsetzungen ist, erscheint es angebracht, zunächst diese gewerkschaftlichen Programmpositionen aufzudecken.
1. Anfänge gewerkschaftlicher Politik und Reichswirtschaftsrat Bis zum Beginn des ersten Weltkrieges konzentrierte sich die Gewerkschaftspolitik — insbesondere i m Hinblick auf den großen Nachholbedarf — fast ausnahmslos auf die Verbesserung der Löhne und der allgemeinen Arbeitsbedingungen i m Rahmen von Kollektivverhandlungen. M i t Beginn der Weimarer Republik erweiterte sich das gewerkschaftliche Rollenverständnis. Man suchte über die Regelung der Arbeitsverhältnisse hinaus Einfluß auf die gesamte Sozial- und W i r t schaftspolitik des Staates zu gewinnen. So wurde die aus den schweren gesellschaftspolitischen Spannungen der damaligen Zeit geborene Forderung nach Sozialisierung der Wirtschaft aufgestellt 2 . Die Gewerk1 Arndt i n : Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 7. Band, L o h n I I , Stuttgart—Tübingen—Göttingen 1961, S. 16, definiert L o h n p o l i t i k als „alle zweckrationalen Maßnahmen lohnpolitischer Instanzen . . . , die auf eine Änderung der sich unter den Bedingungen des freien Arbeitsmarktes ergebenden nominalen Lohnsätze abzielen".
1. Anfänge gewerkschaftlicher P o l i t i k u n d Reichswirtschaftsrat
21
Schäften erblickten i m Sozialismus gegenüber der kapitalistischen W i r t schaft eine höhere Form der volkswirtschaftlichen Organisation 3 . Voraussetzung für eine Sozialisierung war die Einführung der „Wirtschaftsdemokratie", wodurch die Beteiligung der Arbeiterschaft an der Gestaltung des Wirtschaftslebens erreicht werden sollte 4 . Die Arbeitnehmerschaft sollte nicht nur gleichberechtigt an der unternehmerischen Leitungsmacht teilhaben, sondern auch in überbetrieblichen Selbstverwaltungsorganen wirtschaftliche Planungs-, Lenkungs- und Kontrollaufgaben übernehmen. Diesem Gewerkschaftsziel kam das i n A r t . 165 WRV aufgestellte „Räteprogramm" 5 entgegen. Hierbei handelte es sich um eine Wirtschaftsverfassung, die i n einem abgestuften System von Betriebsarbeiterräten über Bezirksarbeiterräte und Bezirkswirtschaftsräte zu einem Reichsarbeiterrat und einem — m i t bestimmten politischen Rechten versehenen — Reichswirtschaftsrat führen sollte. Von den i n Art. 165 WRV vorgesehenen Einrichtungen wurden lediglich die Betriebsvertretungen sowie der Reichswirtschaftsrat eingerichtet 6 . I m Reichswirtschaftsrat konnten die Arbeiter und Angestellten gleichberechtigt i n Gemeinschaft m i t den Unternehmern 7 an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte m i t w i r k e n und auf die staatliche Gesetzgebung Einfluß ausüben. Hierbei handelte es sich um eine verfassungsrechtlich abgesicherte institutionalisierte M i t w i r k u n g der Verbände und Interessengruppen an der politischen W i l lensbildung 8 . Damit wurde den Gewerkschaften erstmalig ein verfassungsrechtlich abgesichertes Mandat zur Mitbestimmung i n der Volkswirtschaft und i m Staatsleben gewährt, ein Recht, wie es auch durch die demokratische Staatsform und das allgemeine Wahlrecht so nicht gesichert gewesen wäre 9 . Die galoppierende Inflation des Jahres 1923 und 2 Vgl. Entschließung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Wirtschaftsdemokratie, September 1928; abgedruckt i n : B l a n k e / E r d / Mückenberger / Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, Hamburg 1975, S. 276; Breuer, Die Gewerkschaften — Werden — Wesen — Wirken, H a n nover 1960, S. 70 ff. 3 So die Entschließung des A D G B , i n : Blanke / E r d / Mückenberger / Stascheit, S. 276. 4 Vgl. dazu Otto, Gewerkschaftsbewegung i n Deutschland, K ö l n 1975, S. 81 ff.; Breuer, S. 89 ff. 5 So die übliche Bezeichnung, vgl. dazu beispielsweise Anschütz, Die V e r fassung des Deutschen Reichs, v. 11. August 1919; 4. Bearbeitung, 14. Aufl., B e r l i n 1933, A r t . 165, A n m . 1; Huber, E. R., Wirtschaftsverwaltungsrecht Bd. I I , 2. Aufl., Tübingen 1954, S.479. β Vgl. Hub er, E. R., Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I I , S. 479. 7 Z u r Zusammenstellung des Rates vgl. Anschütz, A r t . 165, Anm. 6. 8 Eine derartige Institutionalisierung der Verbände i n ihrer Eigenschaft als Subjekte der Wirtschaftspolitik i n einem „Wirtschaftsrat" nach dem V o r b i l d des Reichswirtschaftsrates w i r d auch heute wieder diskutiert; vgl. dazu Meinhold, Volkswirtschaftspolitik, T e i l 1, München 1970, S. 89. 9 Anschütz, A r t . 165, A n m . 1.
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I I . L o h n p o l i t i k der Gewerkschaften
die damit verbundene Unsicherheit für die Arbeitnehmer sowie die 1929 m i t aller Macht einsetzende Weltwirtschaftskrise schwächte allerdings die K r a f t der Gewerkschaften und reduzierte damit auch die politische Bedeutung des Reichswirtschaftsrates, ohne daß die Gewerkschaften vorher ihre ordnungspolitischen Vorstellungen hätten realisieren können 1 0 . I m Mai 1933 wurden schließlich die Gewerkschaften durch das nationalsozialistische System aufgelöst. Eine freie deutsche Gewerkschaftsbewegung gab es nicht mehr.
2. T a r i f - und lohnpolitische Konzeptionen a) Expansive Lohnpolitik
Die den Gewerkschaften i n den ersten Jahren der Bundesrepublik zunächst durch den Bizonenwirtschaftsrat, dann durch die Bundesregierung eingeräumten weitgehenden institutionalisierten Einflußmöglichkeiten auf die wirtschaftliche und politische Lage ließen die Annahme zu, daß eine Umformung der Staats- und Wirtschaftsverfassung nach ihren wirtschaftsdemokratischen Grundsätzen ein durchaus realisierbares Ziel gewerkschaftlicher Politik sein könnte 1 1 . Nach einer w i r t schaftlichen und politischen Konsolidierungsphase und damit einhergehenden Stärkung der Position der damaligen Bundesregierung mußten die Gewerkschaften aber alsbald einsehen, daß ihre wirtschaftspolitischen Demokratisierungsvorstellungen von denen der Bundesregierung abwichen und keine Verwirklichkeitschancen hatten 1 2 . Enttäuscht und resigniert wegen ihres Einflußverlustes auf die gesamtpolitische Gestaltung zogen sich die Gewerkschaften auf ihr traditionelles Tätigkeitsfeld, das der Tarif- und Sozialpolitik, zurück. Vor diesem Hintergrund hatte bereits i m Jahre 1950 Viktor Agartz, der damalige Leiter des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts des DGB, die erste tarifpolitische Konzeption, nämlich die der expansiven Lohnpolitik, formuliert 1 3 . Der unfreiwillige Verlust gewerkschaftlicher Verantwortung für das Staatsganze führte nach Agartz dazu, daß sich die Verantwortung der Gewerkschaften i n erster Linie auf die Interessen ihrer Mitglieder zu erstrecken habe. „Die Gewerkschaften müssen die höhere Verantwortung zunächst denen überlassen, die i m Besitz der Rechte und der Macht sind. Unter diesem Gesichtswinkel bekommt 10 Vgl. zur politischen Bedeutung des Reichswirtschaftsrates Otto, S. 74 f.; Huber, E. R., Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I I , S. 479; Anschütz, A r t . 165, A n m . 1 ff. 11 Vgl. dazu Hirsch, S. 113 f.; Bergmann / Jacobi / Müller-Jentsch, Gewerkschaften i n der Bundesrepublik, F r a n k f u r t — K ö l n 1975, S. 124 ff. 12 Hirsch, S. 114. ι« Agartz, Gewerkschaftliche Monatshefte 1950, S. 441 ff.
2. T a r i f - u n d lohnpolitische Konzeptionen
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die lohnpolitische Haltung der Gewerkschaften ihr besonderes Gesicht 14 ." Diese auf die eigennützige Mitgliederinteressen Wahrnehmung beschränkte Verantwortungsbereitschaft war die Reaktion der Gewerkschaften auf das Scheitern ihrer wirtschaftsdemokratischen Reformvorstellungen. Weiterhin wies Agartz die Behauptung zurück, höhere Löhne würden zu höheren Preisen führen, vielmehr gäben die durch die gewerkschaftliche Lohnpolitik steigenden Produktionskosten den Unternehmern die Möglichkeit, „unter Beweis zu stellen, was Unternehmerbegabung und Unternehmerinitiative vermag" 1 5 . Auf die Preispolitik der Unternehmer eingehend, führt er aus, daß die Lohnpolitik künftig so geführt werden müsse, daß einer beabsichtigten Preiserhöhung automatisch eine Tarifkündigung folgen werde 1 6 . Diese A n satzpunkte einer gewerkschaftlichen Lohnpolitik konkretisierte Agartz 1953 i n einem Beitrag zur expansiven Lohnpolitik 1 7 . Auch hier macht er deutlich, daß die Gewerkschaften ihre Lohnpolitik ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Situation durchsetzen würden und alle nur möglichen Markt- und Machtchancen eigennützig ausnützen würden 1 8 . Trotz der wissenschaftlichen Unhaltbarkeit dieser Lohnstrategie, die, in der Praxis angewandt, zu starken inflationären Prozessen bzw. zu stagnierendem Wachstum m i t einhergehender Unterbeschäftigung geführt hätte, vermochte sie für einige Jahre als die offizielle lohnpolitische Konzeption das gewerkschaftliche Rollenverhalten zu beeinflussen 19. b) Aktive Lohnpolitik
Mitte der fünfziger Jahre wurde die Konzeption der „expansiven Lohnpolitik" durch die Formel der „aktiven Lohnpolitik" ersetzt 20 . I h r theoretischer Unterbau sowie die m i t dieser Formel exakt zu verbindenden wirtschaftlichen und politischen Programmatiken wurden von den Gewerkschaften bislang nicht hinreichend dargestellt 21 , so daß " Ebd., S. 442. i« Ebd., S. 446. ie Ebd., S. 446. 17 Agartz i n : Mitteilungen des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften 1953, S. 245 f. 18 So f ü h r t er u. a. aus, daß v o n preistheoretischen Überlegungen her der L o h n f ü r die Gewerkschaften kein Kostenproblem sei, sondern ein Element der Einkommenspolitik; jeder L o h n sei i n einer kapitalistischen Ordnung stets ein politischer Lohn, der durch eine aggressive L o h n p o l i t i k erkämpft werden müsse, so Agartz i n : Mitteilungen des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften 1953, S. 245 f. 19 Vgl. zu den Gründen Bergmann / Jacobi / Müller-Jentsch, S. 159 f. 20 Vgl. dazu Nickel, Z u m Verhältnis von Arbeiterschaft u n d Gewerkschaft, K ö l n 1972, S. 74 ff.; Leminsky / Otto, P o l i t i k u n d Programmatik des Deutschen Gewerkschaftsbundes, K ö l n 1974, S. 180; Bergmann / Jacobi / Müller-Jentsch, S. 160 ff.; Hirsch, S. 118 ff. 21 Vgl. Bergmann / Jacobi / Müller-Jentsch, S. 160.
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I I . L o h n p o l i t i k der Gewerkschaften
insoweit keineswegs von einer geschlossenen lohntheoretischen Konzeption gesprochen werden könnte. Aus den zahlreichen Grundsatz- und Aktionsprogrammen des DGB kann jedoch als wesentliches Element der aktiven Lohnpolitik die Forderung nach einer gerechten Einkommensverteilung herausgelesen werden 2 2 . Hierbei geht es einerseits um „eine für die Arbeitnehmer gerechte Aufteilung des Produktionsfortschrittes" und andererseits „ u m eine langfristige Veränderung der Einkommensrelation zwischen Selbständigen und abhängig Beschäftigten" 2 3 . Damit ist ein Zentralpunkt gewerkschaftlicher Programmatik angesprochen: Lohnpolitik als Verteilungspolitik. Letztere stellt die komplexe Frage nach der ökonomischen Zurechnung des Produktionsertrages auf die bei der Produktion mitwirkenden Faktoren 2 4 . Statistische Orientierungseinheit hierfür ist die sogenannte Lohnquote, welche den Anteil des Einkommens aus unselbständiger Arbeit am Gesamteinkommen widerspiegelt und damit die Einkommensposition der Unselbständigen i n Relation setzt zu derjenigen der Selbständigen 25 . Ziel einer verteilungsorientierten Lohnpolitik ist es nun, diese Lohnquote zugunsten der Arbeitnehmerschaft zu erhöhen. Die Bruttolohnquote, also das Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit i n von Hundert des Volkseinkommens ist von 1950 bis 1975 von 58,4% auf 71,7% gestiegen 26 , mithin war ein absoluter Bruttolohnquotenzuwachs von 12,3 % zu verzeichnen. Diese Zuwachsrate hingegen vermag die Gewerkschaften nicht zu befriedigen 27 . Sie beruht i m wesentlichen darauf, daß der Anteil der Arbeitnehmer an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen von 68,6 % i m Jahre 1950 auf 84,3 % i m Jahre 1975 zunahm 28 . Ein realistisches B i l d über den Erfolg verteilungspolitischer Strategien ergibt sich erst, wenn man die um den Einfluß von Änderungen der Beschäftigtenstruktur bereinigte Lohnquote ermittelt. Danach ergibt die Entwicklung bei konstant gehaltenem Anteil der Arbeitnehmer an den Erwerbs22 Vgl. dazu die Zusammenstellung bei Leminsky / Otto, S. 181 u n d die Zielprojektion des D G B 1973 bis 1977, abgedruckt i n Leminsky / Otto, S. 259. Entscheidend ist das Grundsatz- u n d Aktionsprogramm des D G B v o m November 1963, abgedruckt i n Leminsky / Otto, S. 48, w o es heißt: „Die gegenwärtige Einkommens- u n d Vermögensverteilung ist ungerecht . . . Die aktive L o h n - u n d Gehaltspolitik u n d andere tarifpolitische Maßnahmen der Gewerkschaften sind auf eine gerechte Verteilung des Sozialprodukts gerichtet." 23 So ausdrücklich der DGB-Vorsitzende Vetter i n : Christmann / Hesselbach / Jahn / Mommsen, Sozialpolitik, K ö l n 1974, S. 442. 24 Vgl. Arndt i n : Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 7. Band, L o h n I I , S. 19. 2 s Vgl. Knorring ί Krol i n : Wachstumszyklus u n d Einkommensverteilung, Tübingen 1974, S. 31. 26 Statistisches Jahrbuch 1975, S. 508 u n d Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1975/76, S. 66, Tabelle 16. 27 Vgl. Vetter i n : Christmann / Hesselbach / Jahn / Mommsen, S. 435. 2 ® Jahresgutachten, 1975/76, Ziffer 131.
2. T a r i f - u n d lohnpolitische Konzeptionen
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tätigen i m Jahre 1950 eine Reduzierung des Lohnquotenanteils von 58,6 «/β i m Jahre 1950 auf 56,8 °/o i m Jahre 197129. Errechnete man einen bereinigten Lohnquoten vergleich zwischen 1950 und 1975, so ergäbe sich, daß die jetzige Lohnquote wieder die Höhe erreicht hat, die sie 1950 schon einmal hatte 3 0 . Dieses Ergebnis weist auf die bisherige Ineffektivität gewerkschaftlicher Verteilungsstrategien hin. I n der Tat gelang es den Gewerkschaften nicht, durch Lohnerhöhungen, die den Produktivitätsfortschritt überstiegen, die Verteilungsposition der Arbeitnehmer zu verbessern. Dies lag zum großen Teil daran, daß es den Gewerkschaften nicht möglich war, durch periodisch wiederkehrenden Lohndruck die Gewinnraten der Unternehmer zu schmälern, da sie ihrerseits die Kostensteigerungen durch Preiserhöhungen auf den Markt abwälzen konnten 3 1 , was wiederum zu einer Verschlechterung des Reallohns führte und damit die gewerkschaftliche Nominallohnpolitik unterlief 3 2 . Die traditionelle, den Produktivitätszuwachs überschreitende Nominallohnpolit i k war so ein untauglicher Versuch, auf die Verteilungsproportionen korrigierend Einfluß zu nehmen. Hinzu kommt, daß exorbitante Lohnforderungen zwar neue Verteilungsperspektiven eröffnen, andererseits aber die Preisstabilität, die Vollbeschäftigung sowie das Wirtschaftswachstum gefährden. Diese drei wirtschaftspolitischen Grundsätze sind nach dem Grundsatz- und Aktionsprogramm des DGB vom November 1963 33 ebenfalls Ziele der gewerkschaftlichen Wirtschaftspolitik. Damit ist die Gewerkschaftsführung verpflichtet, bei der Lohnfindung konjunkturelle Entwicklungen zu beachten, deren Berücksichtigung unter Umständen zu Lasten einer verteilungsorientierten Lohnstrategie gehen kann. Diese gewerkschaftliche Zielbindung an gesamtwirtschaftliche Kategorien führte deshalb zu der folgerichtigen Erkenntnis, daß m i t einer aktiven Lohnpolitik allein die immer noch anstehende Frage der gerechteren Einkommensentwicklung und -Verteilung nicht gelöst werden kann 3 4 , vielmehr neue Wege beschritten werden müßten, um einen gerechten Anteil am Sozialprodukt zu gewährleisten 35 . Daß die Gewerkschaften i n Anbetracht ihrer sich selbst auferlegten Gesamtverantwor2 » Vgl. dazu Bergmann / Jacobi / Müller-Jentsch, S. 356, Tabelle 17 u n d Knorring / Krol, S. 41, Tabelle 1. 30 So das Jahresgutachten, 1975/76, Ziffer 131; kritisch zur Aussagekraft der Lohnquote Bombach i n : A r n d t , H., L o h n p o l i t i k u n d Einkommensverteilung, B e r l i n 1969, S. 815 f.; andererseits Teichmann, Lohnpolitik, Stuttgart— Berlin—Köln—Mainz 1974, S. 86, Bergmann ! Jacobi ! Müller-Jentsch, S. 112. si Vgl. Teichmann, S. 23 f. u n d S. 62; Nickel, S. 75 u n d S. 78. 32 Vgl. Steger, Gewerkschaftliche Monatshefte 1975, S. 231 f. 33 Abgedruckt i n : Leminsky / Otto, S. 48 f. 34 So Tacke, Die Quelle, 1971, S. 4. 35 So Köpping, Gewerkschaftliche Monatshefte 1961, S. 472; vgl. auch Gahlen, Gewerkschaftliche Monatshefte, 1973, S. 526.
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tung für die Vollbeschäftigung, für das Wirtschaftswachstum und für die Stabilität des Geldwertes das Ziel einer gerechteren Einkommensund Vermögensverteilung aus den Augen verloren haben, ist nicht anzunehmen: i m Gegenteil w i r d m i t Hinweis auf die seit 1950 nicht gestiegene Lohnquote die aktuelle Relevanz dieses Ziels immer wieder unterstrichen 36 . Unklar bleibt dabei, welchen Stellenwert das Umverteilungsziel gegenüber den übrigen gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen einnimmt. So fehlt beispielsweise i m Grundsatz- und Aktionsprogramm vom November 1963 jeder Hinweis auf wahrscheinliche Zielkonflikte, etwa zwischen Wachstum und Stabilität einerseits und Umverteilung andererseits. Zwar fehlt i n den Reden der Vorstände selten der Hinweis auf die verteilungspolitische Funktion der Lohnerhöhungen, es w i r d aber andererseits deutlich gemacht, daß verteilungsorientierte Konzeptionen nicht die Vollbeschäftigung gefährden dürften 3 7 . Empirische Untersuchungsergebnisse über die Abhängigkeit des Lohnsatzes vom Beschäftigungsniveau bzw. Reagibilität auf Änderungen i m Beschäftigungsgrad lassen den Schluß zu, daß die Tarifpartner bei der tariflichen Datensetzung die konjunkturelle Veränderung des Beschäftigungsgrades zwar berücksichtigen, damit ist aber nicht nachgewiesen, daß Verteilungsanstrengungen ihre Grenze am V o l l beschäftigungsziel finden 38. So ist es durchaus denkbar, daß die Gewerkschaften ein Optimum zwischen verteilungs- und konjunkturpolitischer Zielsetzung zu finden versuchen oder i m Einzelfall das stabilitätspolitische Ziel der Umverteilung opfern. Letzteres wäre dann denkbar, wenn die Gewerkschaften i m Interesse ihres organisatorischen Zusammenhaltes gezwungen würden, kurzfristig orientierte, von den Mitgliedern herangetragene Umverteilungsziele zu verfolgen, welche ihren eigenen längerfristigen, auf Vollbeschäftigung und Geldwertstabilität gerichteten Zielen widersprechen 39 . Diese inhaltliche Unbestimmtheit der auf die Vermögensumverteilung gerichteten aktiven Lohnpolitik eröffnet der Gewerkschaftsspitze einen von den Mitgliedern relativ schwer kontrollierbaren Betätigungsspielraum. Sowohl eine primär auf Umverteilung gerichtete Lohnpolitik unter Hintanstellung des Beschäftigungsund Stabilitätszieles als auch umgekehrt die Außerachtlassung der Um36 So deutlich Vetter i n : Christmann / Hesselbach / Jahn / Mommsen, S. 442. Der IG-Metall-Vorsitzende Loderer betonte i n einer Stellungnahme Ende 1975, die Höhe der gewerkschaftlichen Forderungen werde sich an der Inflationsrate des Jahres 1975 sowie an der Sicherheit der Arbeitsplätze orientieren. Eine Lohnpause werde es allerdings nicht geben, da die I G M e t a l l auch i n Zeiten wirtschaftlicher Rezession an der Grundposition der Fortsetzung des Umverteilungskampfes festhalte; siehe dazu Gewerkschaftsreport des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Jahrgang 9, Nr. 12, 1975, S. 14; vgl. dazu auch Steger, Gewerkschaftliche Monatshefte, 1975, S. 231 ff. 37 Vgl. dazu Teichmann, S, 62 m. w. Nachw. 38 Teichmann, S. 66. 3» Vgl. Teichmann, S. 66 f.
3. Grenzen der L o h n p o l i t i k
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Verteilungskomponente zugunsten der übrigen gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen ist vom Grundsatzprogramm her als gedeckt anzusehen. Damit ist die „aktive Lohnpolitik" gleichsam wegen ihrer Unberechenbarkeit ein „Drohpotential" gegenüber dem Unternehmer und dem Staat, die dem Kontrahenten signalisieren, daß die Gewerkschaften jederzeit i m Interesse einer effektiven Umverteilungsstrategie auf einen härteren lohnpolitischen Kurs umschwenken können 4 0 . 3. Grenzen der Lohnpolitik Nicht nur die Vagheit lohnpolitischer Konzeptionen, sondern auch die bisherigen tariflichen Lohnerhöhungen werden immer wieder zum A n laß genommen, die Grenzen gewerkschaftlicher Lohnpolitik zu diskutieren. So stellt sich die Frage, ob der lohnpolitische Handlungsspielraum der Gewerkschaften nicht durch bestimmte volkswirtschaftliche Grenzdaten beschränkt werden müßte. Erster Ansatzpunkt hierfür wäre das Datum der durchschnittlichen volkswirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung; ein weiterer Beschränkungsansatz könnte sich aus der Theorie der kostenniveauneutralen Lohnpolitik ergeben. a) Theorie der produktivitätsorientierten Lohnpolitik
Die gewerkschaftliche Nominallohnerhöhungspolitik kann w o h l vor den Mitgliedern nur Bestand haben, wenn sie nicht nur die künftigen Preiserhöhungen antizipiert, sondern die Kaufkraft ihres Einkommens erhöht. Demnach ist also der Reallohn entscheidend, also das Verhältnis zwischen Nominallohn und Preisniveau. Die Entwicklung der Reallohnerhöhungen der letzten Jahre zeigt, daß die Gewerkschaften die Forderung nach erhöhter Arbeitnehmerkaufkraft realisieren konnten 4 1 . Trotz erhöhten Preisniveaus verblieb eine reale Einkommensverbesserung. Diese Lohnpolitik orientiert sich an dem zu erwartenden Preisniveauanstieg sowie an den Aussichten, über die Preiserhöhungen hinaus reale Einkommensgewinne erzielen zu können. Derartiges Gewerkschaftsverhalten ist einseitig einkommenspolitisch orientiert, Zielsetzungen der Konjunkturpolitik wie Vollbeschäftigung und Preisniveaustabilität treten i n den Hintergrund. Insbesondere w i r d unter solchen Voraussetzungen die Verknüpfung und Abhängigkeit zwischen der Erhöhung der Lohnsätze und der Arbeitsproduktivität übersehen. So geht ein großer Teil der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung davon aus, daß Preisniveaustabilität nur erreicht werden könne, wenn sich die 40 So Bergmann / Jacobi / Müller-Jentsch, S. 163. Vgl. die entsprechenden Tabellen i n : Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1974/75, S. 68, Tabelle 12 u n d Bergmann / Jacobi l MüllerJentsch, S. 350, Tabelle 11. 41
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I I . L o h n p o l i t i k der Gewerkschaften
vereinbarten Lohnerhöhungen i m Rahmen der erwirtschafteten Produktivitätssteigerung halten 4 2 . Die Kosten für die Produktionseinheit blieben dann konstant, und es entsteht kein Kostendruck, der sonst von überproportionalen Lohnsteigerungen ausgehen könnte. Nach dieser Theorie brauchten die Unternehmer die Preise nicht zu erhöhen, um den Kostendruck bei Sicherung des Kapitaleinsatzes, des Unternehmerlohns und des Gewinns abzufangen. Die produktivitätsorientierte Lohnsatzsteigerung soll danach Garant für Geldstabilität und für ein gleichgewichtiges Wirtschaftswachstum sein. Diese sogenannte „naive" 4 3 Form der Produktivitätslohnpolitik ging — so einleuchtend sie auch zunächst klingen mag — irrtümlich davon aus, daß die nicht marktgerechten, die Produktivitätsgrenzen übersteigenden Löhne die alleinige Ursache für die Preissteigerungen seien. I n Wahrheit aber kann eine Bindung der Einkommenszuwachsrate an den Produktivitätsfortschritt höchstens dann Preisstabilität gewährleisten, wenn neben den Löhnen auch alle anderen Bereiche der Volkswirtschaft m i t der Rate des Sozialprodukts wachsen 44 . Die Forderung nach einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik kann ernsthaft nur dann diskutiert werden, wenn eine marktgerechte Lohnpolitik durch eine ebenso nicht inflationäre Haushalts-, Investitions- und Außenhandelspolitik ergänzt wird. Die um diese Merkmale erweiterte produktivitätsorientierte Lohnpolitik kommt der nun zu erörternden Theorie der kostenniveauneutralen Lohnpolitik nahe. b) Theorie der kostenniveauneutralen Lohnpolitik
Die Theorie der kostenniveauneutralen Lohnpolitik, die der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung i n seinen lohnpolitischen Ausführungen vertritt 4 5 , betrachtet das Lohnproblem i m Rahmen einer Preisstabilitätspolitik und w i l l — so wie die naive Produktivitätstheorie — die Lohnsteigerungen grundsätzlich an einer gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsziffer orientieren. Darüber hinaus — und insoweit ist die kostenniveauneutrale Lohnpolitik eine Weiterentwicklung der naiven Produktivitätstheorie — sind die Ziele 42 Arndt, Grundlagen der Lohnpolitik, S. 271: „eine Erhöhung der L o h n sätze w i r d . . . bei gleichbleibender Arbeitsproduktivität über eine Erhöhung der durchschnittlichen Lohnkosten Anpassungsprozesse auslösen, die — bei unveränderter Lohnquote — das Preisniveau gleichfalls anheben." — Vgl. derselbe i n : Währungsstabilität u n d Lohnpolitik, S. 40 ff.; Haller i n : Verein für Sozialpolitik, N F B a n d i i , B e r l i n 1955, S. 43; Riese i n : Stiller, E., L o h n p o l i t i k u n d Vermögensbildung, Basel—Tübingen 1964, S. 222. Kritisch gegenüber dem Wert der produktivitätsorientierten L o h n p o l i t i k : Schneider i n : A r n d t , L o h n p o l i t i k u n d Einkommensverteilung, Schriften des Vereins für Sozialpolitik, NF, Band 51, S. 245 ff. 43 Vgl. die Terminologie bei Schoeppner, Grenzen der Lohnpolitik, München 1971, S. 50. 44 Vgl. Schoeppner, S. 58 m. w . Nachw. 45 Vgl. insbesondere das Jahresgutachten 1964/65, Ziffer 248.
3. Grenzen der L o h n p o l i t i k
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der kostenniveauneutralen Theorie i m Zusammenhang m i t den übrigen Konzeptionen des Sachverständigenrates zur gesamten Wirtschaftspolit i k zu sehen. So sollen jene lohnpolitischen Voraussetzungen aufgezeigt werden, unter denen Geldwertstabilität ohne Arbeitslosigkeit oder Vollbeschäftigung ohne Inflation zu erreichen sind 4 6 . Das Problem der Geldwertstabilität w i r d als Problem der Stabilisierung des gesamten volkswirtschaftlichen Kostenniveaus angesehen. Ein Ansteigen des Kostenniveaus führt danach zu einer Erhöhung des volkswirtschaftlichen Preisniveaus. Deshalb sollen die Tarifpartner eine Lohnpolitik betreiben, die das volkswirtschaftliche Kostenniveau konstant hält. Dies ist nach der Vorstellung des Sachverständigenrates dadurch zu verwirklichen, daß die Effektiveinkommen dem Durchschnitt nach grundsätzlich nicht stärker erhöht werden als um den Prozentsatz, u m den sich i n der Gesamtwirtschaft das Produktionsergebnis je Stunde erhöht 4 7 . Eine über den Produktivitätsfortschritt hinausgehende Einkommensverbesserung soll nur zulässig sein, soweit für sie ein zusätzlicher Spielraum — ζ. B. durch Reduzierung der Kapitalkosten oder durch Verbesserungen des „terms of trade" 4 8 — existiert, dessen Ausnutzung kostenniveauneutral bleiben müsse 49 . Damit sind nach der Vorstellung des Sachverständigenrates die Voraussetzungen dafür erfüllt, daß von der Lohnseite her kein Druck auf das Kostenniveau ausgeübt wird. Hiermit ist natürlich noch nicht ausgeschlossen, daß andere destabilisierende Einflüsse die Preisniveaustabilität gefährden. M i t einer kostenniveauneutralen Lohnpolitik müssen noch weitere stabilisierende Bemühungen einhergehen. Da nicht nur die Löhne betriebliche Kosten darstellen, müssen auch die anderen Kostenfaktoren wie beispielsweise der Kapitaleinsatz je Produktionseinheit, die „terms of trade", der Zinssatz als der Preis für den Produktionsfaktor Kapital konstant bleiben 5 0 . Weiterhin sind die öffentlichen Haushalte auf die Prinzipien einer stabilisierenden Haushaltsgebarung zu verpflichten 51 ; der Staat hat auch zur Flexibilitätssteigerung der Preise durchgreifende wettbewerbspolitische Maßnahmen zu treffen 5 2 und für eine außenwirtschaftliche Absicherung dieser Maßnahmen zu sorgen. — M i t dieser kostenniveauneutralen Lohnpolitik w i r d erstmals der Versuch gemacht, eine — global gesteuerte — Einkommenspolitik zu realisieren; hierbei ist die Begrenzung des lohnpolitischen Spielraumes durch den Produkte Vgl. Jahresgutachten 1964/65, Ziffer 248. 47 v g l . Jahresgutachten 1964/65, Ziffer 248. 48 „Terms of trade" bezeichnet die Entwicklung des realen Austauschverhältnisses m i t dem Ausland. « Vgl. Jahresgutachten 1964/65, Ziffer 248. so Vgl. Jahresgutachten 1964/65, Ziffer 248. ei Vgl. Jahresgutachten 1964/65, Ziffer 242. 52 Vgl. Jahresgutachten 1964/65, Ziffer 246.
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I I . L o h n p o l i t i k der Gewerkschaften
tivitätsfortschritt eines der vielen untereinander abzustimmenden M i t tel, u m Geldwertstabilität zu erreichen. c) Tauglichkeit beider Theorien für eine stabilitätsgarantierende Lohnpolitik
Die Theorien der produktivitätsorientierten und der kostenniveauneutralen Lohnpolitik verfolgen den realen Zweck, durch Begrenzung des einkommenspolitischen Spielraumes lohninduzierte inflationäre Prozesse zu vermeiden. Obgleich die Erhaltung der Währungsstabilität auch ein Ziel gewerkschaftlicher Wirtschaftspolitik ist 5 3 , haben sich die Gewerkschaften die am Produktivitätsfortschritt orientierten lohnpolitischen Grundsätze nicht zu eigen gemacht. Ein Blick auf die tarifliche Lohnfestsetzung der letzten Jahre zeigt, daß die realen Lohneinkommen stets die reale jährliche Zuwachsrate des Sozialprodukts überstiegen 54 . Die Gewerkschaften machen geltend, daß eine am Produktivitätsfortschritt ausgerichtete Lohnpolitik an den gegebenen Verhältnissen i n der Einkommensverteilung nichts ändere; die Einfrierung der Lohnquote ist also danach m i t gewerkschaftlichen Umverteilungsstrategien unvereinbar 5 5 . Entscheidend dürfte sein, daß sich die Gewerkschaften solange nicht auf eine Begrenzung ihrer Lohnpolitik einlassen dürften, wie die Richtigkeit, Effizienz und praktische Durchsetzbarkeit dieser Theorien nicht gewährleistet erscheint. So ist noch heute unklar, ob die Verwirklichung der Geldwertstabilität durch die kostenniveauneutrale Lohnpolitik bereits an mangelnden statistischen Grundlagen scheitern müßte 5 6 . Auch ist zweifelhaft, ob eine am gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt orientierte globale Lohnniveausteuerung überhaupt die einzelnen Wettbewerbslöhne beeinflussen kann. Deshalb ist es nicht ausgeschlossen, daß trotz entsprechender Lohndisziplin der Gewerkschaften die Löhne insgesamt über das kostenniveauneutrale Maß hinaus steigen 57 . Dies würde unter Umständen zur Folge haben, 53
Vgl. das Grundsatzprogramm des D G B i n : Leminsky / Otto, S. 49. β 4 Vgl. das Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1975/76, S. 64, Tabelle 14; Bergmann / Jacobi / Müller-Jentsch, S. 355, Tabelle 16. Die Lohnrunde des Jahres 1975, i n der die Bereitschaft der Tarifparteien zu verzeichnen war, geringere Einkommensverbesserungen zu vereinbaren als i m Jahre zuvor, zeichnete sich nach Meinung des Sachverständigenrates dadurch aus, daß die den Arbeitnehmern verbleibende Reallohnerhöhung nahezu dem Spielr a u m entsprach, der f ü r Lohnsteigerungen offen stand, ohne daß dadurch das gesamtwirtschaftliche Kostenniveau weiter gestiegen wäre; vgl. Jahresgutachten 1975/76, Ziffer 125. D a r i n eine Anerkennung produktivitätsorientierter Lohnkonzeptionen zu sehen, wäre unrealistisch; der G r u n d f ü r die zurückhaltenden Lohnforderungen dürfte darin zu sehen sein, daß die Gewerkschaften die hohen Beschäftigungsrisiken i n Rechnung stellten. 55 Dazu Tacke, Die Quelle, 1968, S. 8; Steger, Gewerkschaftliche Monatshefte 1975, S. 235; vgl. auch Rasch, B B 1972, S.545. 56 So Schoeppner, S. 96 f.
3. Grenzen der L o h n p o l i t i k
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daß die Spannung zwischen tariflicher und betrieblicher Lohnfestsetzung zunimmt, indem die Schere zwischen Effektiv- und Tariflöhnen („wage-drift") sich besonders weit öffnet, was zu einer unerwünschten, für den organisatorischen Bestand der Arbeitnehmerkoalitionen gefährlichen Einflußverminderung der Gewerkschaften auf die tarifpolitische Lohngestaltung führen kann. Solange all dies nicht m i t hinreichender Sicherheit vermieden werden kann, erscheint es nicht einsichtig und für die Gewerkschaften unzumutbar, ihre lohnpolitische Freiheit einer (noch) dubiosen Stabilitätsstrategie zu opfern.
Vgl. Schoeppner,
S. 99 f.
I I I . Die staatliche Einwirkung auf die tarifliche Datensetzung Vor diesem Hintergrund, insbesondere i n Anbetracht der weitreichenden gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen einer tariflichen Einkommenserhöhung und der Vagheit lohnpolitischer Konzeptionen kommt der Frage Bedeutung zu, ob der Staat zur Abwehr gruppenegoistisch übersteigerter (gemeinwohlwidriger) Tarifverträge oder zur Effizienzsteigerung seiner eigenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf die tarifliche Lohnfestsetzung Einfluß nehmen kann. Das Spannungsverhältnis zwischen staatlicher Konjunktur Steuerung einerseits und der tarifautonomen Lohn- und Gehaltsdatensetzung andererseits r ü h r t daher, daß jede lohnpolitische A k t i o n der Tarif partner die Wirksamkeit staatlicher Konjunkturpolitik i n Frage stellen kann. Durch die Befugnis, die Einkommen der abhängig Beschäftigten autonom festzulegen, sind die Tarifpartner i n der Lage, die am gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht orientierten wirtschaftspolitischen Zielsetzungen des Staates zu durchkreuzen und i n einer das Gemeinwohl gefährdenden Weise einseitig interessenorientiert vorzugehen. Aus diesem Grunde muß die Frage diskutiert werden, welche Einfluß- bzw. Einwirkungsmöglichkeiten der Staat hat, u m derartigem Tarifgebaren entgegenzuwirken.
1. I n d i k a t i v e L e n k u n g
Der Staat kann sich bei der Einflußnahme auf die tarifliche Datensetzung m i t der indikativen 1 Lenkung begnügen, indem er sich auf die Darbietung wirtschaftlicher Daten und Prognosen beschränkt, ohne Ziele und Forderungen aufzustellen 2 . Der Setzer der Indikatoren verbindet m i t der Datenangabe dann die Hoffnung, daß sich die Tarifpartner an ihnen orientieren; ob sie es tun, unterliegt ihrem eigenen Ermessen. Beispiele für eine derartige Einflußnahme sind die Jahres1 Die hier vorgenommene Unterscheidung, die sich an der Intensität der Einflußnahme orientiert, ist der Terminologie der französischen „planification" entnommen; vgl. dazu Scheuner i n : Planung I, Baden-Baden 1965, S. 83 ff., Stern i n : Verhandlungen des 47. DJT, Bd. I, Gutachten, T e i l E , München 1968, E 27 ff. 2 Ob Zielangaben m i t der Natur eines indikativen Plans vereinbar sind, ist w o h l n u r eine Frage der Terminologie; vgl. einerseits Stern i n : V e r handlungen, E 28, u n d andererseits Scheuner i n : Planung I, S. 83.
2. Influenzierende E i n w i r k u n g
33
gutachten des Sachverständigenrates oder die von der Bundesregierung gemäß § 3 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabG) zu erstellenden Orientierungsdaten 3 . Wenn auch auf manchen Gebieten diese A r t der Lenkung einen bedeutsamen Einfluß ausüben kann 4 , liegt der Nachteil dieser Wirtschaftslenkung darin, daß der Staat auf das Wohlwollen, die Kompromißbereitschaft und die Einsichtsfähigkeit der Tarifpartner angewiesen ist. Es gibt aber tarifpolitische Situationen, i n denen die Interessengegensätze zwischen den Tarifpartnern besonders groß sind 5 . I n diesen Fällen dürfte die Bereitschaft der Tarifpartner, völlig unverbindlichen staatlichen Vorschlägen zu folgen, besonders gering und damit die Wirksamkeit indikativer Lenkung in Frage gestellt sein. Deshalb sind verbindlichere Lenkungsinstrumente zu diskutieren. 2. Influenzierende
Einwirkung
Die Einwirkung des Staates auf die Datensetzung der Tarifpartner könnte auch i m Bereich der influenzierenden Einwirkung liegen. Hier setzt der Staat die M i t t e l seiner Wirtschaftspolitik ein, u m bestimmte Zielvorstellungen auf wirtschaftlichem Gebiet zu realisieren, wobei die konkrete Maßnahme zwar noch nicht rechtlich verbindlich ist, aber bereits einen stark beeinflussenden, empfehlenden und Direktiven setzenden Charakter hat 6 . Ein bekanntes Beispiel für ein derartiges Lenkungsinstrument ist die „Konzertierte A k t i o n " (§ 3 Abs. 1 StabG). I n ihr ist deutlich zu machen, welche Verantwortung jeder Beteiligte für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung trägt und welche wirtschaftlichen Konsequenzen die Entscheidungen der Beteiligten für die gesamtökonomische Entwicklung haben. Die wirtschaftspolitische Effizienz der Konzertierten A k t i o n ist zwar nicht (positiv) verifizierbar 7 , auch ist es nicht abschätzbar, wie die wirtschaftliche Entwicklung verlaufen wäre, wenn es bislang keine Kontakte der Tarifpartner i m Rahmen der Konzertierten A k t i o n gegeben hätte. Festzuhalten ist aber, daß die Konzertierte A k t i o n weder die Entstehung des „Lohn-lags" i n der Anfangsphase des 3
Hinsichtlich der Orientierungdaten zweifelnd Stern
E 28. 4
i n : Verhandlungen,
So Scheuner i n : Planung I, S. 83. M a n denke n u r an die harten tarifpolitischen Auseinandersetzungen des Jahres 1974, insbesondere an die Lohnrunde i m öffentlichen Dienst (durchschnittliche Einkommensverbesserung von reichlich 12%); vgl. dazu das Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1974/75, Ziff. 131. β So Stern i n : Verhandlungen, E 28. 7 So auch Münch i n : Stern / Münch / Hansmeyer, Gesetz zur Förderung der Stabilität u n d des Wachstums der Wirtschaft, 2. Aufl., Stuttgart— Berlin—Köln—Mainz 1972, S. 170. 5
3 Knebel
34
I I I . Die staatliche E i n w i r k u n g auf die tarifliche Datensetzung
konjunkturellen Aufschwungs nach 1968 noch den seit 1969 beschleunigten Preisanstieg sowie die (recht hohen) Lohnsteigerungen des Jahres 1974 zu verhindern vermochte. Der Einsatz der Konzertierten A k t i o n hat — wenn überhaupt — nur beschränkte wirtschaftspolitische W i r k kraft. Auch hier ist der Staat darauf verwiesen, an die Bereitschaft der Sozialpartner zu appellieren, sich nur i m Rahmen des „gesamtwirtschaftlich Vertretbaren" zu einigen. Er kann nicht verbindlich — i m Sinne einer rechtlichen Folgepflicht — i n die tarifliche Datensetzung eingreifen. 3. Konzertierte A k t i o n und Tarifautonomie Die indikative und die influenzierende Einwirkung sind verfassungsrechtlich nicht unproblematisch. Die Konzertierte A k t i o n beispielsweise, i n deren Rahmen Orientierungsdaten staatlicherseits dargeboten werden, begegnet i m Hinblick auf Art. 9 I I I GG verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar w i r d fast einhellig angenommen, die Tarifautonomie sei durch die Konzertierte A k t i o n nicht beeinträchtigt, weil sie keine Verpflichtungen begründe und die Koalitionen damit i n ihrer Entscheidung über die Einkommenserhöhungsraten (rechtlich) frei blieben 8 . Diese (eher formale) 9 Sicht läßt aber die m i t den Orientierungsdaten einhergehende „psychologische Grundrechtsbeeinflussung" der Grundrechtsträger unerwähnt. Es können sich durch die bloße Existenz von Orientierungsdaten Auswirkungen auf die Position der Tarifvertragsparteien (Selbstbindung o. ä.) ergeben 10 . Durch die Bekanntgabe der Daten werden die Entscheidungen der Koalitionen i n gewisser Hinsicht (faktisch) präjudiziert, indem wesentliche Abweichungen von den Daten von der öffentlichen Meinung kaum hingenommen werden dürften. Daraus resultiert eine spezifische Bindungswirkung, die den Entscheidungsrahmen der Koalitionen einengt 11 . Diese aus dem Druck der öffentlichen Meinung β Münch i n : Stern / Münch / Hansmeyer, S. 169; Möller, Kommentar zum Gesetz zur Förderung der Stabilität u n d des Wachstums der Wirtschaft, 2. Aufl. 1969, S. 113; Badura, Wirtschaftsverfassung u n d Wirtschaftsverwaltung, F r a n k f u r t a. M. 1971, S. 65 f.; Rinck, Wirtschaftsrecht, 4. Aufl., K ö l n Berlin—Bonn—München 1974, S. 74; Löwisch, R d A 1969, S. 136. » Vgl. dazu Biedenkopf, B B 1968, S. 1008. 10 Vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch (ζ. T. andeutungsweise) Biedenkopf, B B 1968, S. 1008; Badura, Wirtschaf tsverfassung u n d Wirtschaftsverwaltung, S. 65 f., ohne daß daraus weitere verfassungsrechtliche Konsequenzen gezogen wurden. 11 So wurde seitens der Gewerkschaft eine Lohndatenvorgabe i n der „ K o n zertierten A k t i o n " regelmäßig abgelehnt, w e i l damit gewollt oder ungewollt eine Einengung der Tarifautonomie verbunden sei, so Mayr, Der Arbeitgeber 1969, S. 466; vgl. zusammenfassend zu den übrigen gewerkschaftlichen Stellungnahmen Lutz, Die Konzertierte A k t i o n als Beispiel für den K o n f l i k t
4. Imperative Lenkung
35
und aus anderen Ursachen 12 resultierende Bindungswirkung kann so faktisch grundrechtsverkürzende Folgen haben und damit die verfassungsrechtliche Zulässigkeit derartiger Daten i n Frage stellen. Andererseits kann es keinem dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht verpflichteten Staat verwehrt sein, den für die Realisierung dieses Gleichgewichts Mitverantwortlichen unverbindliche gesamtwirtschaftliche Orientierungsdaten an die Hand zu geben. Dabei darf nun aber nicht der Eindruck erweckt werden, als handele es sich u m verbindliche und richtige Daten, deren Überschreitung notwendig w i r t schaftspolitisches Fehlverhalten der Gewerkschaften bedeutet. Nur wenn die Unverbindlichkeit, die Fehlbarkeit und der makroökonomische Charakter der Daten evident ist, w i r d ihr „faktischer Verbindlichkeitsgrad" und damit ihr vorfixierender Charakter abnehmen. I m übrigen ist die aus (unverbindlichen) Daten resultierende Bindungswirkung lediglich mittelbare Folge der staatlichen Datensetzung, deren Eintritt vom Willen des Datensetzers unabhängig ist und die ihm daher rechtlich auch nicht zuzurechnen ist. Diese Reaktion der Öffentlichkeit als mittelbare Folge staatlichen Handelns offenbart gerade die exponierte Stellung des Grundrechtsträgers. Genauso wie jeder andere gesellschaftliche Macht ausübende Großverband müssen sich auch und gerade die Gewerkschaften der Öffentlichkeit stellen und gegebenenfalls auf sie Rücksicht nehmen. Derartige soziale Zwänge mögen zwar (faktisch) freiheitsverkürzend wirken, sind aber andererseits ein Garant gegen eine selbstherrliche, gemeinwohlungebundene, gruppenegoistisch orientierte Interessendurchsetzung.
4. Imperative L e n k u n g
Dem Verbindlichkeitsdefizit helfen die sog. „imperativen Maßnahmen" ab. Sie zeichnen sich durch rechtlich verbindliche Festlegungen aus. Es werden hoheitlich-zwingend Ziele festgelegt und Weisungen und Eingriffe zu ihrer Verwirklichung angewandt 13 . Das moderne Konjunktursteuerungsinstrumentarium enthält zum großen Teil solche verbindlichen Einflußnahmen. Hierher gehören zunächst A r t . 109 GG sowie die Regelungen des Stabilitätsgesetzes, soweit sie unmittelbar normative Verhaltenspflichten i m Hinblick auf das Budget und seine Ausgestaltung normieren; außerdem sind zahlreiche Maßnahmen, die aufgrund des Stabilitätsgesetzes getroffen werden, imperativer Natur 1 4 . zwischen marktwirtschaftlicher Ordnung u n d staatlicher Planung, Diss. j u r . Tübingen 1973, S. 130 ff. 12 Vgl. dazu noch Biedenkopf, B B 1968, S. 1008. 13 Scheuner i n : Planung I, S. 85. 3*
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I I I . Die staatliche E i n w i r k u n g auf die tarifliche Datensetzung
Was nun die konkreten imperativen Einwirkungsmöglichkeiten auf die tarifliche Datensetzung anbelangt, ist zunächst danach zu unterscheiden, ob der Staat selbst an Stelle der Tarifpartner den Lohn setzt, oder ob er lediglich — bei Anerkennung der Tarifautonomie und damit der selbstverantwortlichen Regelung der Entgeltfrage auf dem Arbeitsmarkt — die Einhaltung der Grenzen überwacht, die den Tarifpartnern von der Rechtsordnung gezogen sind. a) Selbstsetzen des Tarifdatums
I m ersten Fall würde den Koalitionen ihr angestammtes Betätigungsfeld, das der Regelung der Arbeitsentgeltfrage vollständig entzogen sein, ein Ergebnis, das m i t der Tarifautonomiegewährleistung nicht vereinbar sein kann. Dem entspricht es, daß staatliche Lohndiktate — und damit auch ein staatlich verordneter Lohnstopp 1 5 — sowie staatliche Zwangsschlichtungen von Tarifverträgen, also die Möglichkeit einer Verbindlichkeitserklärung des staatlichen Schiedsspruchs ohne freiwillige Unterwerfung, als unzulässig 16 , weil m i t der Tarifautonomie des A r t . 9 I I I GG unvereinbar, angesehen werden 1 7 . Hier setzt der Staat autoritativ seine Entscheidung an die Stelle der Sozialpartner; er bestimmt letztlich das konkrete Lohnerhöhungsdatum. Die Sozialpartner sind damit um das Aufgabengebiet gebracht, um deretwillen ihnen Autonomie verfassungsrechtlich eingeräumt wurde. Nicht nur, daß den Koalitionen der ihnen durch A r t . 9 I I I GG geschützte Kernbereich verbandsmäßiger Lohngestaltung vollständig entzogen würde, gleichsam ist m i t Wegfall der Hauptaufgabe die Fähigkeit der Gewerkschaften zur Selbsterhaltung minimiert. Eine auf tarifpolitischem Gebiet einflußlose Gewerkschaft muß um ihren organisatorischen Bestand fürchten. Die von A r t . 9 I I I GG mitumfaßte Koalitionsbestandsgarantie würde so unterlaufen und auf ein formales Recht ohne Durchsetzungschance reduziert werden. 14 So alle Rechtsverordnungen (§§ 15, 19, 26, 27, 30 StabG) u n d bestimmte Anordnungen (z.B. §§11 S. 2, 13 I I , 16 I I , 21 S. 2, 22 I I u n d I I I , 26 Nr. 1 u n d 28 Nr. 1 StabG). Vgl. zur Unzulässigkeit eines administrativen Lohnstopps v. Zezschwitz, D B 1973, S. 1438 ff. 16 Vgl. zur Unzulässigkeit staatlicher Zwangsschlichtung Rüthers, T a r i f autonomie u n d gerichtliche Zwangsschlichtung, Konstanz 1973, S. 9, 27; Hueck / Nipperdey f Lehrbuch des Arbeitsrechts, I I . Bd. 1. Halbbd., 7. Aufl., B e r l i n — F r a n k f u r t 1967, S. 29, 41; Söllner, S. 102; Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, Düsseldorf 1969, S. 80. 17 Hierbei soll unberücksichtigt bleiben, daß i n Fällen extremer wirtschaftlicher u n d sozialer Notlagen ein Lohnstop bzw. eine Zwangsschlichtung u. U. zulässig sein könnten, vgl. dazu Hueck / Nipperdey, L B , I I , 1, S. 45; Rüthers, T a r i f autonomie, S. 31 f. Es geht i m folgenden nicht u m die A b w e h r eines akuten wirtschaftlichen u n d sozialen Notstandes, sondern u m die „ t a r i f politische Normalsituation" i n der Bundesrepublik.
4. Imperative Lenkung
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b) Aktualisierung der Autonomiegrenzen
I m zweiten Fall geht es nicht darum, daß ein staatlicher Entscheidungsträger an Stelle der autonomen Tarifpartner das Einkommenserhöhungsdatum festsetzt. Vielmehr soll das von A r t . 9 I I I GG geforderte freie Aushandeln der Arbeitsbedingungen (prinzipiell) unangetastet bleiben. Wohl aber könnte dann der Staat das Recht beanspruchen, etwaig bestehende Begrenzungen zu aktualisieren, die der Autonomie der Sozialpartner durch die Rechtsordnung gesetzt sind. Da kein Grundrecht bindungslose (absolute) Freiheit gewährt, ist auch hier bei A r t . 9 I I I GG zu klären, welchen rechtlichen Begrenzungen die Tarifautonomieverbürgung unterliegt und wie sie durchgesetzt werden können. Dabei kommt der Frage, ob und gegebenenfalls warum die Tarifpartner bei der Tarifdatensetzung gemeinwohlgebunden sind bzw. das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zu beachten haben, i m Rahmen dieser Arbeit entscheidende Bedeutung zu. So wäre also daran zu denken, eine Genehmigungspflicht für Tarifverträge einzuführen oder die Wirksamkeit eines Tarifvertrages von der Nichtausübung eines staatlichen Widerspruchsrechts abhängig zu machen, wobei die Nichtgenehmigung bzw. der Widerspruch nur dann zulässig sein sollen, wenn die tarifvertraglich vereinbarte Einkommenszuwachsrate das i m öffentlichen Interesse gesamtwirtschaftlich (noch) Verantwortbare übersteigt. M i t einer derartigen Regelung würde der Staat das (verfassungswidrige) Selbstsetzen des Tarifdatums vermeiden, andererseits aber auch nicht auf die Möglichkeit imperativer Einwirkung verzichten. Der Staat hätte so die Möglichkeit, gruppenegoistisch übersteigertem Tarifgebaren entgegenzuwirken. Zugleich könnte auch m i t einer solchen Regelung ein Konkordanzrahmen zwischen staatlicher Konjunktursteuerung und tarifautonomer Lohngestaltung gefunden werden. Es soll deshalb i m folgenden geklärt werden, ob und m i t welcher (rechtlichen) Begründung die tarifautonome Lohn- und Gehaltsdatensetzung gemeinwohlgebunden ist und ob der Staat gemeinwohlwidrigen Tarifverträgen die rechtliche Anerkennung versagen kann.
I V . Staatliche Wirtschaftslenkung Wenn es hier u m die Frage geht, ob eine imperative Staatseinwirkung auf die tarifliche Lohngestaltung verfassungsrechtlich zulässig ist, erscheint es angebracht, die Frage nach der wirtschaftspolitischen Kompetenz des Staates zu stellen. Denn nur wenn der Staat zu wirtschaftslenkender A k t i v i t ä t berechtigt oder sogar verpflichtet ist, ist eine weitergehende verfassungsrechtliche Prüfung sinnvoll.
1. Staatliche Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft
Staatliche Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, beide Begriffe stehen — verabsolutiert — stellvertretend für zwei grundverschiedene wirtschaftliche Ordnungsvorstellungen. Während das Leitmodell der Zentralverwaltungswirtschaft geprägt ist durch ein System der Unterordnung sämtlicher Wirtschaftssubjekte unter einen zentralen Planträger, geht es bei der marktwirtschaftlichen Ordnung um die Steuerung des Wirtschaftsprozesses durch einen i m freien Wettbewerb gebildeten Marktpreis. Zentralplanerische Wirtschaften findet man heute i n den Volkswirtschaften des sozialistischen Blocks verwirklicht, während die westlichen Volkswirtschaften zum großen Teil m a r k t w i r t schaftlichen Ordnungsprinzipien verhaftet sind. Auch die Wirtschaft der Bundesrepublik ist an marktwirtschaftlichen Grundsätzen orientiert. Wenn nun i m vorliegenden Zusammenhang die verfassungsrechtliche Zulässigkeit staatlicher Wirtschaftslenkung diskutiert wird, so geht es nicht um die Einführung einer totalen zentral-planerischen Wirtschaftslenkung östlicher Provenienz; vielmehr stellt sich die Frage, inwieweit die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft durch Hinzutreten staatlichplanerischer Elemente verbessert werden könnte. Das setzt voraus, daß es überhaupt eine realisierbare und effektive Kombination beider W i r t schaftsmodelle i m Rahmen einer prinzipiell an marktwirtschaftlichen Grundsätzen ausgerichteten Wirtschaftsordnung geben kann. Die bis i n die sechziger Jahre hineinreichende neoliberale Richtung der Nationalökonomie verneinte die Vereinbarkeit zentraler staatlicher Planung m i t der Marktwirtschaft 1 . Sie ging von einem unüberbrückbaren Gegensatz 1 Die maßgeblichen Vertreter dieser Schule waren Walter Euchen, vgl. denselben i n : Die Grundlagen der Nationalökonomie, 7. Aufl. 1959, u n d i n : Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 2. Aufl. 1955, sowie Franz Böhm, vgl.
1. Staatliche Wirtschaftslenkung u n d Marktwirtschaft
39
beider Ordungsstrukturen aus. Ihrer Meinung nach müßten alle Versuche, beide Wirtschaftsmodelle miteinander zu kombinieren, notwendigerweise wegen ihrer Instabilität und ihrer spezifischen Tendenz zur Transformation i n eine reine Zentralverwaltungswirtschaft abgelehnt werden 2 . Die Aufgabe des Staates besteht dieser Ansicht nach nur darin, „ f ü r die ordungsgemäße Gestaltung eines ,freien' Wettbewerbs zu sorgen, nicht aber selbst lenkend auf den Wirtschaftsprozeß Einfluß zu nehmen" 3 . Dieser recht einflußreiche Ordoliberalismus hatte zur Folge, daß bis zur Mitte der sechziger Jahre keine wesentlichen global-lenkenden Wirtschaftsgesetze verabschiedet wurden; der Staat zeichnete sich durch wirtschaftslenkende Zurückhaltung aus. Dies endete, als sich eine neue wirtschaftspolitische Richtung durchsetzte, die das Ziel hatte, die Stabilität und Effektivität der marktwirtschaftlichen Ordnung durch Einbau zentral-planerischer Elemente zu optimieren 4 . Diese Wendung von der wirtschaftslenkenden Abstinenz des Staates zu planvoller Globalsteuerung des Wirtschaftsprozesses hat verschiedene Ursachen. Das allmähliche Anwachsen der wirtschaftspolitischen Funktionen des öffentlichen Haushalts führte zu der Erkenntnis, daß die Haushaltspolitik aus dem Zustand einer „splendid isolation" gegenüber der Gesamtwirtschaft 5 entlassen ist und zu einem wesentlichen M i t t e l der Konjunktursteuerung geworden ist. Die frühere Vorstellung, der Haushalt sei lediglich lästiger Kostgänger der Wirtschaft 6 und habe deshalb niedrig und neutral zu sein und ausschließlich die Aufgabe, die unbedingt notwendigen Kosten zur Erfüllung der Staatsaufgaben zu binden 7 , kann heute angesichts des Volumens staatlicher Haushalte nicht mehr aufrechterhalten werden 8 . Die öffentlichen Haushalte und damit denselben i n : ORDO, Band I I I , 1950, S. X V ; vgl. auch Zacher i n : Wirtschaftsordnung u n d Rechtsordnung, Festschrift zum 70. Geburtstag von Franz B ö h m (1965), S. 63 ff.; vgl. dazu auch Scheuner i n : Die staatliche E i n w i r k u n g auf die Wirtschaft, Einführung, F r a n k f u r t 1971, S. 10; Lenel i n : ORDO, Band 26, 1975, S. 24. 2 Euchen, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 2. Aufl. 1955, S. 198. 3 Euchen, Grundsätze, S. 336; Böhm, S. X X I V u n d X X V , w o ausgeführt w i r d , daß beide Wirtschaftssysteme sich „nicht ohne schwere Ordnungsstörungen u n d vernunftwidrige Friktionen miteinander kombinieren lassen" . . . Weiter f ü h r t er aus, die Geschichte zeige, „daß i n jedem Mischsystem jede der beiden Ordnungen die Tendenz hat, die andere zu verdrängen, daß jeder von ihnen ein unwiderstehlicher Drang zur Ausschließlichkeit u n d Totalität innewohnt". So Böhm, S. X X V . 4 V o r b i l d w a r die französische „planification", die bereits frühzeitig nach dem Kriege eine Globalsteuerung unternahm; vgl. dazu Hoenisch, P l a n i fikation, Recht zwischen Plan u n d Freiheit, B e r l i n 1974, S. 16 ff. u n d Heinrich, Wirtschaftspolitik, 1. Band, 2. Aufl. B e r l i n 1964, S. 432. ß Friauf, V V D S t R L 27, S. 2. β Wagner, W D S t R L 27, S. 62. 7 Vgl. Friauf, S. 3 f. 8 Vgl. Vogel i n : Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Zweitbearbeitung, Oktober 1971, A r t . 109, Rdn. 101.
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. Staatliche Wirtschaftslenkung
die staatliche Finanzplanung stellt heute einen Planfaktor allerersten Ranges dar 9 . Damit ist der öffentliche Haushalt zum wichtigsten W i r t schaftslenkungsinstrument geworden. Ein verantwortungsvoller Staat muß dieser Aufgabe durch eine planvolle, die Auswirkungen der Haushaltswirtschaft auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung abschätzende Haushaltspolitik gerecht werden. Ein weiterer Grund für die Notwendigkeit des Einbaus zentralplanerischer Elemente i n die marktwirtschaftlich konzipierte W i r t schaftsordnung ist der Ruf nach einem effizienteren Einsatz wirtschaftspolitischer Instrumente. Genauso wie jedes Wirtschaften planvolles Handeln voraussetzt, muß auch jede staatliche Wirtschaftspolitik, die diesen Namen verdient, planvoll sein 10 . Das heißt, es ist die Notwendigkeit anzuerkennen, das wirtschaftlich relevante Verhalten des Staates nicht dem Zufall zu überlassen, sondern die wirtschaftlichen Aktivitäten an einem bewußt durchdachten ordnungspolitischen Konzept auszurichten. Dies ist nur durch vorausschauende, berechnende und koordinierende Tätigkeit, also durch Planung 1 1 , möglich. So zeigen auch die bisherigen Erfahrungen, daß m i t Hilfe des Planes (beispielsweise durch gesamtwirtschaftliche Zielprojektionen) die Koordinierung der verschiedenen wirtschaftspolitischen Aktionen wesentlich erleichtert werden kann 1 2 . Damit w i r d Planung als ein „ins allgemeine Bewußtsein aufsteigender Schlüsselbegriff unserer Zukunft", als der „große Zug unserer Zeit" angesehen 13 . Wenn staatliche Konjunkturpolitik i n der Vergangenheit sich nur darauf beschränkte, bereits eingetretene w i r t schaftliche Unregelmäßigkeiten reaktiv i n antizyklischer Weise zu bekämpfen, w i r d heute gefordert, Aufgabe staatlicher Wirtschaftspolitik dürfe sich nicht nur auf die Reaktion auf wirtschaftliche Schwierigkeiten beschränken, sondern müsse auch das künftige Entstehen w i r t schaftlicher Krisen zu verhindern suchen, insoweit also „die repressive Krisenbeseitigung" einer „präventiven Krisenverhütung" weichen müsse 14 . Zur Erreichung dieses Zieles bedarf es einer aktiven, makroöknomisch orientierten staatlichen Wirtschaftsplanung, die die entscheidenden wirtschaftlichen Faktoren in die Planung aufzunehmen hat. Mitentscheidend für die partielle Abkehr vom neoliberalen Gedankengut war nicht zuletzt die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung » Friauf, S. 4. 10 Ipsen i n : Kaiser, Planung I, S. 39. u Siehe ausführlich zum Planbegriff Kaiser i n : Planung I I , S. 21 ff. ι 2 Vgl. dazu Schlecht i n : Kaiser, Planung I I I , S. 120. 13 Kaiser, V o r w o r t i n : Planung I, S. 7 u n d derselbe i n : Einleitung. Exposé einer pragmatischen Theorie der Planung, Planung I , S. 11. 1 4 So Stern, Grundfragen der globalen Wirtschaftssteuerung, B e r l i n 1969, S. 4; vgl. zu diesem Aspekt auch Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart—Berlin—Köln—Mainz 1966, S. 588 f.
2. Der Staat u n d das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht
41
i n der Bundesrepublik. Während unter den spezifischen Bedingungen i n der Zeit des Wiederaufbaus der deutschen Wirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg wirtschaftslenkende, insbesondere konjunktursteuernde Maßnahmen fast ganz unterblieben, ohne daß die deutsche W i r t schaft daran Schaden nahm, führte die wirtschaftspolitische Behandlung des Booms der Jahre 1964/65 und der sich daran unmittelbar anschließenden ersten scharfen Rezession der Jahre 1966/6715 zu einer kritischen und lebhaften öffentlichen Diskussion u m den Wert bzw. Unwert bisheriger staatlicher Wirtschaftspolitik. Es wurden politische Debatten u m den künftigen Kurs der bis dahin auf so unproblematische Weise funktionierenden Gesamtwirtschaft geführt; die Zeit schien reif für eine wirtschaftspolitische Richtungsänderung i m Sinne einer planvollen, makroökonomisch orientierten antizyklischen und präventiven Konjunkturpolitik. Diesem neuen Ziele diente der vom Bundeswirtschaftsministerium und vom Bundesfinanzministerium gemeinsam erarbeitete und von der Bundesregierung beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität sowie die vorgeschlagene Änderung des A r t . 109 GG 1 6 . Die i m Laufe der Ausschußberatungen vorgenommene Regierungsumbildung, die zu der sogenannten „Großen Koalition" zwischen der CDU/CSU und der SPD führte, ermöglichte eine schnelle parlamentarische Behandlung und Verabschiedung der Gesetzentwürfe, so daß bereits Mitte 1967 ein global-wirtschaftslenkendes Instrumentarium zur Verfügung stand. M i t diesem Gesetzeswerk und der einhergehenden Änderung des A r t . 109 GG fanden die Bemühungen der Politiker und Wirtschaftsfachleute, neue und umfassendere Lenkungsinstrumente zum Nutzen der Volkswirtschaft und der Stabilität des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts einzusetzen, eine normative Grundlage. Damit sind die Weichen für eine vorausschauende Gesamtplanung des Wirtschaftsgeschehens und gegen die Unvereinbarkeitslehren ordo-liberalistischer Prägung gestellt worden. 2. Verantwortung des Staates für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht a) Die Staatszielbestimmung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Art. 109 Π GG)
I m zeitlichen Gleichklang m i t der Verabschiedung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft erweiterte Nach dem Sachverständigengutachten 1967/68, Ziffer 1, lag das reale Bruttosozialprodukt i m ersten H a l b j a h r 1967 u m fast 2°/o unter dem entsprechenden Vorjahresstand; bis zur M i t t e des Jahres 1967 gab es fast 300 000 mehr Arbeitslose als ein Jahr zuvor. 16 Z u r Entstehungsgeschichte: Möller, V o r w o r t zur 1. Aufl., S. 12 ff.
. Staatliche Wirtschaftslenkung
das 15. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 8. Juni 196717 den A r t . 109 GG um die Absätze 2 und 3 (alte Fassung) und 4, wobei der Grundsatz der geteilten und selbständigen Haushaltswirtschaften von Bund und Ländern zwar grundsätzlich in Abs. 1 beibehalten wurde, jedoch insoweit modifiziert wurde, als nunmehr Bund und Länder bei ihrer Haushaltsführung unmittelbar wirkenden verfassungsrechtlichen Pflichten unterworfen sind. Damit ist erstmalig eine finanzverfassungsrechtliche Norm i n den Dienst eines wirtschaftspolitischen Zwecks gestellt worden. Diese am gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht orientierte Harmonisierung des öffentlichen Finanzgebarens betrifft — formell gesehen — lediglich die Haushalte des Bundes, der Länder und Gemeinden 18 , also die interne Seite der öffentlichen Finanzwirtschaft 1 9 . Fraglich ist, ob und inwieweit Art. 109 I I GG darüber hinaus für eine allgemeine Wirtschaftssteuerung konjunktureller A r t i n Anspruch genommen werden kann. Dagegen spricht zunächst die Tatsache, daß A r t . 109 I I GG die für die Wirtschaftsverfassung entscheidende Relation zwischen dem Staat einerseits und den privaten Wirtschaftssubjekten andererseits nicht anspricht, vielmehr die Regelung sich auf den „intern-organisatorischen" Bund-Länder-Bereich beschränkt 20 . Diese zu einseitig auf formelle Gesichtspunkte abstellende Betrachtungsweise verkennt jedoch die grundsätzliche Bedeutung der i n Art. 109 I I GG enthaltenen Zielbestimmung. Zum einen erscheint es schwierig, bei der nahen Verbindung finanzwirtschaftlicher und allgemein-wirtschaftlicher Maßregeln, insbesondere i m Hinblick auf die maßgebende Bedeutung des Haushaltens i m wirtschaftslenkenden Instrumentarium, noch zwischen beiden Aufgaben sinnvoll zu unterscheiden 21 . Zum anderen ist auf die Zweckrichtung des A r t . 109 I I GG zu verweisen. Wenn das Ziel der Norm darin zu sehen ist, eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung zu sichern, und wenn dieses Ziel allein durch die am gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht orientierte Harmonisierung der Haushalte nicht erreicht werden kann, so muß der Auftrag des A r t . 109 I I GG auch die generelle wirtschaftslenkende Konjunkturpflege mitumfassen 22 , ande17 B G B l I, S. 581. is Darüber hinaus gilt die Verpflichtung des § 1 StabG auch für Sondervermögen u n d juristische Personen des öffentlichen Rechts, vgl. dazu die Erstreckungsnorm des § 13 StabG. ι» Vgl. Scheuner i n : Die staatliche E i n w i r k u n g auf die Wirtschaft, E i n führung, S. 65. 20 So Friauf, W D S t R L 27, S. 10 Fußn. 45. 21 Scheuner, i n : Die staatliche E i n w i r k u n g auf die Wirtschaft, Einführung, S. 65. 22 Vgl. Scheuner i n : Verfassung, Verwaltung, Finanzkontrolle (1975), S. 112; w i e hier Papier, AöR 98, S. 548, der begründungslos feststellt, daß die Stabilisierungsverpflichtung des A r t . 109 I I GG keine isolierte oder selbständige Rechtspflicht, sondern „Bestandteil des umfassenderen Verfassungsgebots zur Wahrung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" sei.
2. Der Staat und das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht
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renfalls das auf die Haushaltspolitik beschränkte staatliche K o n j u n k t u r lenkungsmandat von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung her gesehen Stückwerk bliebe. Diese weite Auslegung des A r t . 109 I I GG w i r d auch der Bedeutung des Sozialstaatsprinzips gerecht. Dies zu zeigen, w i r d die Aufgabe der folgenden Erörterungen sein. b) Das Sozialstaatsprinzip
Gemäß Art. 20 I GG ist die Bundesrepublik ein demokratischer und sozialer Bundesstaat; auch i n den Ländern muß — wie A r t . 28 I S. 1 GG normiert — die verfassungsmäßige Ordnung den Grundsätzen des sozialen Rechtsstaats entsprechen. Die Frage ist, ob aus diesem Sozialstaatsgebot eine Berechtigung oder Verpflichtung des Staates zu globalkonjunktursteuernder Wirtschaftslenkung abgeleitet werden kann. Der Begriff der „Sozialstaatlichkeit" ist ein Novum gegenüber der deutschen verfassungsrechtlichen Tradition 2 3 , so daß sich frühzeitig eine wissenschaftliche Diskussion um die Klärung des normativen Gehaltes der Vorschrift bemühte. Während die ersten Deutungsversuche dadurch gekennzeichnet waren, daß der Sozialstaatsklausel jeglicher normativer Gehalt abgesprochen und sie als „substanzloser Blankettbegriff" qualifiziert wurde 2 4 und man i n ihr lediglich einen „proklamierten Verfassungsgrundsatz ohne Aktualität" sah, der sogar noch hinter der Weimarer Verfassung zurückbleibe 25 , zeigte die darauf folgende Interpretationsphase insoweit Fortschritte, als die Sozialstaatsklausel bereits eine „sozial-karitative" Ausdeutung i n dem Sinne erhielt, daß sie eine positive Entscheidung darüber beinhaltet, ob der Staat überhaupt sozial-ordnungsgestaltend tätig werden darf und soll 2 6 , und ob der Staat zum Zwecke des Ausgleichs widerstreitender Interessen sozialer Gruppen und zur Inschutznahme der wirtschaftlich Schwachen tätig werden müsse 27 . War so der Beginn einer inhaltlichen Ausfüllung des Sozialstaatsbegriffs gemacht, dauerte es auch nicht mehr lange, bis sich eine neue Bedeutungserweiterung durchsetzte. Die moderne Auslegung des Sozialstaatsprinzips knüpft an die zunehmende Technisierung und Komplizierung heutiger Industriegesellschaften an, die eine weitgehende staatliche Planung und Vorsorge erfordern 28 . Damit stößt der Staat 23 Vgl. dazu ausführlich Hartwich, Sozialstaatspostulat u n d gesellschaftlicher Status quo, K ö l n u n d Opladen 1970, S. 21. 24 So die bekannte Formulierung von Grewe, D R i Z 1949, S. 351. 25 So deutlich Ipsen i n : Forsthoff, Rechtsstaatlichkeit u n d Sozialstaatlichkeit, S. 21. 2 « Forsthoff, W D S t R L 12, S. 27. 2 ? So Bachof, W D S t R L 12, S. 39 f.; vgl. zu dieser Entwicklung ausführlich Hartwich, S. 283 ff. 28 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 9. Aufl., Heidelberg—Karlsruhe 1976, S. 85.
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interventionistisch und vorsorgend-planerisch i n die bisher der Selbstregulierung überlassenen Bereiche, u m seiner Verantwortung für die Wohlfahrt des Staatsganzen gerecht werden zu können 2 9 . Darin kommt ein entscheidender Bedeutungswandel staatlicher Tätigkeit zum Ausdruck. Früher beschränkten sich die Aufgaben des Staates i m wesentlichen auf die m i t hoheitlichen Mitteln durchzusetzende Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung. Dem heutigen gewandelten Staatsverständnis entsprechend, hat das Gemeinwesen nicht nur diese klassische Aufgabe zu bewältigen, sondern darüber hinaus durch aktive Wohlfahrtspflege interventionistisch-verteilend dem Bürger die nach heutigen Vorstellungen unentbehrlichen Versorgungseinrichtungen zur Verfügung zu stellen. Dieser Daseinsvorsorgecharakter moderner Staatlichkeit findet heute seine aktuellste Ausprägung i m sogenannten „Etat Providence", dem Versorgungsstaat 3 ^, der sich durch globalsteuernde, planerischdatensetzende, dem Gemeinganzen verantwortliche Lenkung auszeichnet. Damit ist der leistende Staat der aktiven Wohlstandsförderung an die Stelle des nur wohlstandssichernden Staates getreten 31 . Diese Funktionsexpansion moderner Staatlichkeit kommt insbesondere auf w i r t schaftlichem Gebiet durch die dem Staat durch das Stabilitätsgesetz überantworteten Verpflichtung auf das „Gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht" zum Ausdruck 3 2 . Danach ist die gesamtwirtschaftliche Steuerung zu einer permanenten Aufgabe des Staates geworden; hierbei ist nicht nur eine fallweise, repressive, sondern auch eine umfassende, insbesondere auch präventive Einflußnahme geboten 33 . I m Zusammenhang m i t dem so skizzierten Funktionswandel staatlicher Obsorge ist auch der Bedeutungsinhalt der Sozialstaatsklausel zu sehen: Sozialstaatlichkeit ist eine Entscheidung der Verfassung für die Sozialpflichtigkeit des Staates; d. h., dem Staat ist eine soziale Gestaltungsaufgabe für das Gemeinwesen i n verfassungsrechtlich verbindlicher Weise zugeordnet worden 3 4 . Z u dieser „Sozialpflichtigkeit" 2» Ebd., S. 85. so Molnar i n : ORDO, 19. Band, 1968, S. 18. 31 Z u m Funktionswandel des modernen Gemeinwesens, vgl. Hesse, S. 85 f.; Scheuner i n : Die staatliche E i n w i r k u n g auf die Wirtschaft, Einführung, S. 18 ff.; Badura, Wirtschaftsverfassung u n d Wirtschaftsverwaltung, S. 31 ff.; Stern, Grundfragen, S. 2 ff.; Benda, Industrielle Herrschaft u n d sozialer Staat, Göttingen 1966, S. 69 ff. 32 Vgl. Möller, V o r w o r t zur 1. Aufl., S. 12 f.; Badura, Wirtschaftsverfassung u n d Wirtschaftsverwaltung, S. 45 ff. u n d 57 ff.; Münch i n : Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 35. 33 Stachels!, S. 3; Stern i n : Stern / Münch / Hansmeyer, S. 78. 34 Insoweit besteht heute Einigkeit; vgl. Stein, Staatsrecht, 4. Aufl., T ü b i n gen 1975, S. 194; Scheuner i n : Die staatliche E i n w i r k u n g auf die Wirtschaft, S. 63; Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 810 ff.; Hesse, S. 86; vgl. auch BVerfGE 1, 97 (105), wonach der Gesetzgeber durch das Sozialstaatsprinzip zu „sozialer A k t i v i t ä t " verpflichtet ist; i n BVerfGE 6, 32 (41) w i r d das Sozial-
2. Der Staat und das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht
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gehört die Pflicht zu sozialer Fürsorge, Daseinsvorsorge und sozialer Befriedung 3 5 . Die Realisierung dieser Hauptkomponenten moderner Sozialstaatlichkeit erfordert es nun, die anzustrebenden sozial- und w i r t schaftspolitischen Ziele zu disponieren und diese i n planmäßiger Koordination zu verwirklichen. Wenn so die Komplexität der modernen Industriegesellschaft eine qualitative Umorientierung i n Richtung auf mehr staatliche Planung erfordert, so wandeln sich damit auch die A u f gaben, die der sozial-verfaßte Staat zu bewältigen hat. Deshalb entspricht es dem heutigen Erwartungshorizont, wenn — wie Hesse schreibt — die soziale Aufgabe des modernen Staates sich nicht mehr „ i m Schützenden, Bewahrenden, nur gelegentlich Intervenierenden" erschöpft, sondern das Sozialstaatsprinzip heute einen planenden, lenkenden, leistenden und verteilenden Staat fordert 3 6 . Dieser Gesichtspunkt moderner Sozialstaatlichkeit erhält seine ganz besondere Bedeutung, wenn es sich um die Verantwortung des Staates für das w i r t schaftliche Gedeihen des Gemeinwesens handelt. Kein hochentwickelter Industriestaat kann es sich heute noch leisten, die Wirtschaft ausschließlich den freien Kräften des Marktes zu überlassen, da die dem unbeeinflußten Markt innewohnenden Mechanismen zur Korrektur wirtschaftlicher Fehlentwicklungen entweder nicht oder nicht genügend effizient sind oder sozial unerwünschte, den Staat belastende Erscheinungen, wie beispielsweise hohe Arbeitslosigkeit, Verringerung der Kaufkraft u. ä. nach sich ziehen können. Letzterem vorzubeugen oder eingetretene Störungen abzuwehren, liegt deshalb i m Interesse eines jeden Staates. Der aktuell i n der Bundesrepublik zu verzeichnende Konjunktureinbruch i n Form der schärfsten Rezession seit der Nachkriegszeit zeigt, welche enormen Folgelasten staatlicherseits abzufangen sind (Arbeitslosenunterstützung, Wegfall der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge), die dann u. U. das soziale Gefüge eines Staates belasten können. Konjunkturelle Fehlentwicklungen können i m Extremfall zu sozialer Unruhe führen, welche bis zur Existenzgefährdung des Staates gehen kann. Je mehr also i n den westlichen Industrienationen wirtschaftliche Kategorien das Denken bestimmen, je mehr der Bestand des gesamten sozialen Fundaments m i t wirtschaftlicher Prosperität gekoppelt ist, um so mehr ist es eine soziale Aufgabe des Staates, die wirtschaftliche Entwicklung ständig zu beobachten und gegebenenfalls repressiv oder präventiv konjunkturpflegerisch aktiv zu werden. W i l l der Staat dem verfassungsrechtlichen Sozialstaatsgebot zur Staatssicherung i n w i r t staatsprinzip zu den Grundentscheidungen des GG gerechnet; vgl. übrigen zur Rspr. des BVerfG: Weber i n : Der Staat, Bd. 4, 1965, S. 420. 35 Vgl. Hesse, S. 86. 36 Hesse, S. 86.
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schaftlicher Hinsicht gerecht werden, so darf er sich dieser Aufgabe nicht entziehen; sie ist für ihn eine von der Verfassung auferlegte Pflicht 37 . Als Ergebnis ist nunmehr festzuhalten: aus A r t . 109 I I GG sowie aus dem Sozialstaatsprinzip ist nicht nur die Legitimation, sondern auch die Pflicht des Staates herzuleiten, zum Zwecke der Wahrung und Förderung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts wirtschaftslenkend zu intervenieren. Damit stellt sich nun die Frage nach der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung auf wirtschaftspolitischem Gebiet. 3. Kompetenzzuweisung für wirtschaftslenkende Gesetzgebungsakte I n A r t . 74 Nr. 11 GG w i r d der Regelungsgegenstand „Recht der W i r t schaft" der konkurrierenden Bundesgesetzgebung zugeordnet. Die hier interessierenden wirtschaftslenkenden Gesetzgebungsakte, insbesondere die der staatlichen K o n j u n k t u r p o l i t i k 3 8 dienenden Maßnahmen sind aber nicht dem Wirtschaftsrecht, sondern der allgemeinen W i r t schaftspolitik zuzuordnen 39 , woraus teilweise der Schluß gezogen wurde, die Zuständigkeit zur wirtschaftspolitischen Gesetzgebung, insbesondere zur Konjunkturpolitik, könne sich mangels ausdrücklicher Kompetenzzuweisung nicht aus A r t . 74 Nr. 11 GG ergeben, sondern könne nur aus anderen Nummern des Zuständigkeitskataloges entnommen werden 4 0 . Diese auf die Wortlautdivergenz „Wirtschaftsrecht—Wirtschaftspolit i k " abstellende Betrachtungsweise überzeugt nicht, da zwischen dem Recht der Wirtschaft und wirtschaftspolitischen, insbesondere konjunkturpolitischen Maßnahmen kein Widerspruch besteht. Entscheidend ist, daß wirtschafts- und konjunktur poli tisch intendiertes gesetzgeberisches Handeln notwendigerweise das Recht der Wirtschaft betrifft. Denn ein i n irgendeiner Weise die Wirtschaft regelndes oder beeinflussendes Gesetz gehört kraft seines normativen Gehalts zum „Recht der Wirtschaft", 37 Ebenso: Stein, S. 194; Scheuner, Die staatliche E i n w i r k u n g auf die Wirtschaft, Einführung, S. 18 f.; Benda, Industrielle Herrschaft, S. 69 ff.; Badura, Wirtschaf tsverfassung u n d Wirtschaftsverwaltung, S. 31 ff.; ders. i n : JuS 1976, S. 212; vgl. auch Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 588 f., der auch eine Verpflichtung zu aktiver Konjunkturpflege annimmt, jedoch ohne das Sozialstaatsprinzip heranzuziehen. 38 Z u m Begriff der K o n j u n k t u r vgl. Stern i n : Verhandlungen, E13 f., m. w. Nachw. 3» Vgl. Schiller i n : Handwörterbuch der Sozialwissenschaf ten, Bd. 12, 1965, S. 210 ff. 40 So Maunz i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, Grundgesetzkommentar, Lieferungen 1 bis 14, München 1976, A r t . 74, Rdn. 61.
3. Kompetenzzuweisung für wirtschaftslenkende Gesetzgebungsakte
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unabhängig davon, ob es allein oder primär ein wirtschafts- bzw. konjunkturpolitisches Handeln des Gesetzgebers darstellt 4 1 . Dies liegt darin begründet, daß i n einem System kodifizierten Rechts die Kompetenzzuweisung nach Rechts- und nicht nach Politikgebieten erfolgt 4 2 , eine „Politik"-Kompetenz gibt es nicht. Weiterhin ist fraglich, ob A r t . 74 Nr. 11 GG nur die wirtschaftsregelnden Gesetzgebungsakte unterfallen, die sich auf die i m Klammerzusatz genannten konkreten Wirtschaftsbereiche beziehen 43 , oder ob der Norm auch global-konjunktursteuernde Gesetzesakte unterfallen. Die heute als gefestigt zu bezeichnende Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung wendet sich gegen eine restriktive Auslegung 4 4 und w i l l den Begriff „Recht der Wirtschaft" i n einem weiteren Sinne verstanden wissen 45 . Danach umfaßt der Begriff „Recht der Wirtschaft" nicht nur Regelungen, die sich nur an bestimmte am wirtschaftlichen Leben unmittelbar beteiligte Gruppen wenden, sondern auch solche gesetzgeberischen Maßnahmen, die global-konjunkturlenkend auf die Gesamtwirtschaft einwirken 4 6 . Zur Begründung w i r d angeführt, daß Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Vorschrift keinen Anhalt dafür böten, „die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes auf Gesetze zu beschränken, die lediglich organisatorischen Inhalt haben oder nur die Rechtsbeziehungen der i n A r t . 74 Nr. 11 GG einzeln aufgeführten Wirtschaftszweige regeln" 4 7 . I n der Tat erhellt die Entstehungsgeschichte der Norm, daß auch der Parlamentarische Rat den Begriff „Recht der Wirtschaft" extensiv ausgelegt wissen wollte. Das zeigt sich i n der Voranstellung des Begriffs „Recht der Wirtschaft" i n der Verfassungsnorm, wodurch verhindert werden sollte, daß spezielle Wirtschaftsbereiche der Bundeszuständigkeit entzogen werden könnten, wie das bei einer Einzelaufzählung möglich gewesen wäre. Bei der Interpretation der Vorschrift ist auch der hervorragenden Bedeutung, die der globalen, auf gesamtwirtschaftlichen Ausgleich bedachte, staatlichen Wirtschaftssteuerung Ä h n l i c h dazu Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, Karlsruhe 1961, S. 26: „Eine Gesetzgebungskompetenz i m Bereich der Wirtschaft stellt eine K o m petenz dar, i m Bereich der Wirtschaft diejenigen Regelungen zu treffen, die der Gesetzgeber für das Gemeinwohl erforderlich hält." 42 Vgl. Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, S. 26. « V g l . Maunz i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 74, Rdn. 62, für den der Klammerzusatz i n A r t . 74 Nr. 11 die Bedeutung einer Einschränkung des „Rechts der Wirtschaft" hat, da für i h n die Aufzählung der einzelnen Wirtschaftsbereiche nicht als beispielhaft, sondern als erschöpfend anzusehen ist. 44 Vgl. BVerfGE 4, 7 (13); 5, 25 (28 f.); 8, 143 (148); 8, 274 (317); 18, 315 (329); 28, 119 (146); 29, 402 (409). 4 5 Vgl. BVerfGE 5, 25 (28 f.). « BVerfGE 29, 402 (409). 4 7 BVerfGE 4, 7 (13).
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i n den letzten Jahren zugefallen ist, Rechnung zu tragen. Je mehr sich das Bewußtsein durchsetzt, daß der Staat eine große Verantwortung für die gedeihliche Entwicklung der Volkswirtschaft trägt und er dieser Verantwortung durch den Einsatz makroökonomisch wirkender Steuerungsinstrumente nachkommen kann, um so wichtiger ist es, die Interpretation des „Rechts der Wirtschaft" an diesen neuen Gegebenheiten zu orientieren. W i l l die Norm des A r t . 74 Nr. 11 GG auch heute noch ihrer Funktion gerecht werden, wirtschaftsfördernde Maßnahmen des Bundes kompetenzmäßig zu legitimieren, so unterfallen ihr konsequenterweise auch die die gesamte Wirtschaft beeinflussenden Gesetzesakte. Daraus folgt als Ergebnis, daß Art. 74 Nr. 11 GG dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für wirtschafts- und konjunkturpolitische Maßnahmen global-wirtschaftslenkender Natur zuweist. Damit erweist sich, daß der Bund für eine wirtschafts- bzw. konjunkturpolitisch motivierte gesetzliche Beschränkung der tariflichen Normsetzung zuständig ist.
V. Umfang der Koalitionsfreiheit Die Weite der durch A r t . 9 I I I GG gewährleisteten Koalitionsmacht ergibt sich nicht ohne weiteres aus dem knappen Text der Verfassung. Nach A r t . 9 I I I GG ist das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Damit w i r d der Umfang der Koalitionsfreiheit nur sehr vage und unvollständig aufgezeigt. Es bedarf daher einer eingehenden Interpretation, um den verfassungsrechtlich geschützten Tätigkeitsbereich aufzudecken. Das auf die Koalitionsfreiheit gerichtete Grundrecht hat — i m Gegensatz zu den sogenannten „klassischen Grundrechten" 1 — nicht die p r i märe Aufgabe, ein Abwehrrecht gegen staatliche Machtentfaltung zu sein, sondern ist vor allem Ausdruck einer von Verfassung wegen sanktionierten Notwendigkeit gegenüber der wirtschaftlichen Übermacht der Arbeitgeber, ein durch kollektiven Zusammenschluß begründetes Gegengewicht zu schaffen. Insoweit ist die Koalitionsfreiheit, insbesondere unter Berücksichtigung ihrer wechselvollen historischen Dimension 2 , i n erster Linie ein soziales Schutzrecht der abhängig Beschäftigten auf Durchsetzung und Sicherung ihrer sozialen Ansprüche 3 . Gleichzeitig, wenn auch nur sekundär, steckt die Koalitionsfreiheitsverbürgung auch den Rahmen zulässiger staatlicher Einwirkung auf eben diesem Freiheitsbereich ab. U m diese letzte Funktion der Koalitionsgarantie geht es i m folgenden Kapitel. Dazu ist zunächst einmal der Umfang (und damit auch gleichzeitig die Grenze) der aus A r t . 9 I I I GG folgenden Gewährleistung zu beleuchten.
1 Wie beispielsweise das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, A r t . 2 I GG, die Glaubens- u n d Gewissensfreiheit, A r t . 4 GG, Meinungsfreiheit, A r t . 5 GG. 2 Z u r geschichtlichen E n t w i c k l u n g des Koalitionsrechts siehe: Hueck / Nipperdey, L B , I I , 1, S. 113 ff.; Dietz i n : Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, I I I , 1, S. 422 ff.; Scholz, Die Koalitionsfreiheit als V e r fassungsproblem, München 1971, S. 23 ff.; v.Münch i n : Kommentar zum Bonner Grundgesetz Zweitbearbeitung, J u n i 1966, A r t . 91, Entstehungsgeschichte, S. 6 f.; Nikisch, Arbeitsrecht, I I . Band, 2. Aufl., Tübingen 1959, S. 17 ff. 3 Vgl. Maunz i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 9, Rdn. 91.
4 Knebel
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V. Umfang der Koalitionsfreiheit 1. Koalitionsfreiheit als individualrechtliche V e r b ü r g u n g
Dem Wortlaut entsprechend und der historischen Entwicklung gemäß ist die Koalitionsfreiheit i n erster Linie eine Freiheit des einzelnen, sich m i t anderen i n einer Koalition zusammenzuschließen. Damit beschränkt sich die ausdrückliche Gewährleistung auf die sogenannte individuelle Koalitionsfreiheit, d.h. „auf das Recht der freien Koalitionsbildung, Koalitionsauswahl und des Koalitionsaustritts und damit auf die Gewährleistung eines Koalitionspluralismus als jederzeit realisierbare Möglichkeit sowie auf das Recht, an der Willensbildung und an der Tätigkeit seiner Koalition teilzunehmen" 4 . Diese Individualverbürgerung ist zugleich Voraussetzung wie auch Anlaß für eine weit über den eigentlichen Wortlaut hinausgehende Gewährleistungserweiterung. 2. Koalitionsfreiheit als kollektivrechtlicher Bestandsschutz
Während früher teilweise davon ausgegangen wurde, daß sich die Koalitionsfreiheit auf die individualrechtliche Garantie beschränke 5 , führte die erste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung des A r t . 9 I I I GG 6 zu einer allgemein akzeptierten neuen Sicht: die Koalitionsfreiheit des A r t . 9 I I I GG garantiert nicht nur die Freiheit des einzelnen, sich zu koalieren, sondern auch das Ergebnis dieser Freiheit, nämlich die vorhandene Koalition als solche7. Die entscheidende Begründung 8 für diese Auslegung steht in unmittelbarem Zusammenhang m i t der bereits oben skizzierten — historisch begründbaren — sozialen Schutzrichtung der Koalitionsgewährleistung. War es das A n liegen der Schöpfer einer derartigen Garantie, daß die Arbeitnehmer 4 So Säcker, Grundprobleme, S. 35, unter Bezugnahme auf BVerfGE 19, 303 (312). 5 Vgl. dazu ausführlich Hueck / Nipperdey, L B , I I , 1, S. 134 ff. m. w . Nachw. β Sog. Tariffähigkeitsentscheidung, BVerfGE 4, 96 ff. 7 BVerfGE 4, 96 (101 f.); Hueck / Nipperdey, L B , I I , 1, S. 134 ff.; Dietz i n : Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, I I I , 1, S. 459; v.Münch i n : Kommentar zum Bonner Grundgesetz, A r t . 9, Rdn. 114, 142; Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, Bad Homburg v. d. H.—Berlin—Zürich 1968, S. 25 ff.; Säcker, Grundprobleme, S. 33 ff. m . w . Nachw. 8 Das Bundesverfassungsgericht begründete i n BVerfGE 4, 96 (101 f.) die „Bestandsgewährleistung" m i t einem entstehungsgeschichtlichen A r g u m e n t : bereits unter Geltung der Weimarer Reichsverfassung nahm die überwiegende Meinung i n der Rechtslehre an, auch der Koalitionszusammenschluß als solcher werde von der Koalitionsfreiheit erfaßt; daraus folge, daß es einer ausdrücklichen Anerkennung der Koalitionen i n A r t . 9 I I I GG nicht mehr bedürfe, w e i l das Bekenntnis des Grundgesetzes zum sozialen Rechtsstaat eine engere Auslegung der Koalitionsfreiheit, als sie sich i n der Zeit vor 1933 angebahnt habe, verbiete.
3. Koalitionsfreiheit als kollektivrechtliche Betätigungsgarantie
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i n ihrer Gesamtheit als kollektive Organisation auf die Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wirksam Einfluß nehmen können, die Verfassung also die soziale Gleichberechtigung 9 gegenüber den machtvollen Arbeitgebern herstellen w i l l , so ist dieses Ziel nur dann zu erreichen, wenn nicht nur der A k t der Koalitionsgründung und der des Koalitionsbeitritts, sondern auch die dann fertige, auf einen sozialen Interessenausgleich hinwirkende Vereinigung als solche geschützt ist. „Die Organisation ist Vorbedingung der Koalitionsfreiheit des einzelnen; diese wäre unvollkommen und ein Schattenbild, wollte man den Schutz der Berufsvereine durch das Grundrecht der Koalitionsfreiheit nicht anerkennen 10 ." Nur diese weite, die Bestandsgarantie mitumfassende Koalitionsgewährleistung w i r d dem Prinzip der möglichst i n weitem Umfang grundrechtlich abzusichernden Grundrechtseffektivit ä t 1 1 gerecht. Die Bestandsgarantie ist damit notwendig das Korrelat zur Individualgarantie; beides ist gleichermaßen durch A r t . 9 I I I GG gewährleistet. 3. Koalitionsfreiheit als kollektivrechtliche Betätigungsgarantie Die auf den Bestandsschutz gerichtete Koalitionsgarantie erweitert zwar die Verfassungsgewährleistung des A r t . 9 I I I GG i n einem entscheidenden Punkte, gleichwohl ist sie damit noch keineswegs perfekt. Dem trug die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung, indem sie den verfassungsrechtlichen Schutz der Koalitionen konsequent ausbaute 12 . Eine für das Verständnis der Koalitionsgewährleistung grundlegende, über die Bestandsgarantie hinausgehende Weiterentwicklung stellt hier die Personalvertretungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts dar 1 3 . Darin heißt es: „ A r t . 9 I I I GG gewährleistet für jedermann und für alle Berufe das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen (Koalitionen) zu bilden. Die Vorschrift schützt jedoch nicht nur das Recht des einzelnen Bürgers, sich zu Koalitionen zusammenzuschließen, sondern auch die Koalition als solche" (BVerfGE 4, 96, 101 f., 106). Die durch A r t . 9 I I I GG gewährleistete Koalitionsfreiheit ist nur dann sinnvoll, wenn die Rechtsordnung den Koalitionen die Möglichkeit gibt, durch spezifisch koalitionsgemäße Betätigung die i n A r t . 9 I I I GG genannten Zwecke zu verfolgen, nämlich die Arbeits- und Wirtschafts0
Vgl. zu dieser Komponente besonders Hueck / Nipperdey, L B , I I , 1, S. 138. Hueck / Nipperdey, L B , I I , 1, S. 130 unter Hinweis auf RGZ 111, 199. n Z u diesem Prinzip vgl. BVerfGE 6, 55 (72); v. Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, B a n d i , 2. Aufl., B e r l i n — F r a n k f u r t 1966, S. 118; kritisch Ehmke, W D S t R L 20, S . 8 7 1 ; Hesse, S.28f. 12 Säcker, Grundprobleme, S. 39. 13 BVerfGE 17, 319 ff. 4*
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V. Umfang der Koalitionsfreiheit
bedingungen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern 1 4 ." Danach umfaßt die kollektive Koalitionsfreiheit nicht nur den Bestandsschutz, sondern auch das Recht zur koalitionsgemäßen Betätigung i m Rahmen der i n A r t . 9 I I I GG vorgezeichneten Funktionsgarantie 1 5 . Hinter dieser Weiterung des von A r t . 9 I I I GG erfaßten Freiheitsbereiches steht die Erkenntnis, daß die institutionelle Garantie der Koalitionen unter Vorenthaltung der Betätigungsgewährleistung weitgehend wirkungslos bliebe, da die Koalitionen zur Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben wesensmäßig auf aktives Wirken nach außen angewiesen sind 1 6 . Eine nur auf ein „Verbotsverbot" 1 7 beschränkte kollektive Koalitionsfreiheit würde damit das für das Überleben der Koalitionen erforderliche Tätigwerden zum Zwecke der Förderung der Arbeits- und W i r t schaftsbedingungen verfassungsrechtlich völlig außer acht lassen und damit die Gefahr heraufbeschwören, daß koalitionsmäßige Tätigkeit durch normative Regelung i n einer den Bestand der Vereinigung gefährdenden Weise staatlicherseits reglementiert würde. M i t der Anerkennung dieser Koalitionsbetätigungsgarantie schließt sich nun der Kreis. Weder die individuelle Koalitionsfreiheit noch die kollektivrechtlichen Gewährleistungen i n Form der Bestands- und Betätigungsgarantie sind voneinander zu trennen. Sie ergänzen sich notwendig gegenseitig; keine von ihnen ist entbehrlich, w i l l man nicht die Koalitionsfreiheitsgewährleistung insgesamt i n Frage stellen. Ist so der allgemeine Rahmen der Koalitionsfreiheitsgarantie abgesteckt worden, interessiert nun die Frage, welchen konkreten Inhalt die von A r t . 9 I I I GG umfaßte Betätigungsgewährleistung hat, dies insbesondere i m Hinblick auf die tarifliche Lohndatensetzung.
4. Konkretisierung der kollektivrechtlichen Betätigungsgarantie a) Koalitionszweck und Kernbereichslehre
A r t . 9 I I I GG zeichnet sich i n besonderem Maße dadurch aus, daß die Grundrechtsgewährleistung ausdrücklich m i t einer Ziel- und Zweckbestimmung verbunden ist. Damit ist das den Koalitionen überantwortete Funktionsfeld — und damit auch der verfassungsrechtlich abgesicherte Regelungsbereich — vom Grundgesetz her vorgezeichnet: die 14 BVerfGE 17, 319 (333); vgl. auch BVerfGE 18, 18 (26); 19, 303 (319). is Vgl. Hueck/ Nipperdey, L B , I I , 1, S. 137 f.; Dietz i n : B e t t e r m a n n / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, I I I , 1, S. 459; Lerche, Zentralfragen, S. 25 f.; v. Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, Band I, S. 327; Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung u n d Bestandsschutz, München 1970, S. 82; Säcker, Grundprobleme, S. 39 f. m. w . Nachw. 16 Vgl. Hueck / Nipperdey, L B , I I , 1, S. 137 f. 17 Kloepfer, Grundrechte, S. 82.
4. Konkretisierung der kollektivrechtlichen Betätigungsgarantie
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Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Über den Umfang der tarifvertraglichen Regelungsmacht ist m i t diesen Worten jedoch noch nicht viel ausgesagt, da die Interpretation des Begriffs der „Arbeitsbedingungen" und insbesondere der der „ W i r t schaftsbedingungen" auch heute noch große Schwierigkeiten bereitet. Abzulehnen sind zunächst all die Meinungen, die beide Begriffe einheitlich-sinngleich verwendet sehen wollen 1 8 oder den Wirkungskreis der Koalitionen auf die „unmittelbaren Lohn- und Arbeitsbedingungen" beschränken wollen 1 9 . Damit w i r d i n ungerechtfertigter Weise der selbständige Begriff der „Wirtschaftsbedingungen" ignoriert, eine Ansicht, die der differenzierenden Funktionszuweisung der Koalitionen solange nicht gerecht werden kann, wie eine sinnvolle Unterscheidung zwischen beiden Begriffen i m Wege der Verfassungsinterpretation möglich ist. Auffallend ist i n diesem Zusammenhang, daß das Begriffspaar der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen", welches bereits i n A r t . 159 der Weimarer Reichsverfassung enthalten war, über lange Zeit hinweg in der rechtswissenschaftlichen Diskussion so gut wie unerörtert blieb und erst i n der M i t t e der sechziger Jahre zum Gegenstand literarischer Abhandlungen gemacht wurde 2 0 . Als wortführend und wohl auch die herrschende Meinung repräsentierend kann auf Nipperdey 21 Bezug genommen werden, der — auf die historische Entwicklung hinweisend und dem Wortlaut Rechnung tragend — zwischen Arbeits- und W i r t schaftsbedingungen trennte und beiden Begriffen verschiedene Sinninhalte zuwies. Danach fällt unter den Begriff der Arbeitsbedingungen „vor allem das, was tarif vertraglich geregelt werden kann". Dagegen läßt er den Begriff der Wirtschaftsbedingungen kontrastieren, der für ihn „eine Sammelbezeichnung für alle arbeitsrechtlich-sozialpolitischen Interessen der Koalierten" umfaßt 2 2 . Die weiterhin i n der Literatur auftauchenden Erklärungsversuche helfen angesichts der Unbestimmtheit vieler Formulierungen nicht sehr viel weiter 2 3 . So meint Bieden18 So Meissinger, R d A 1956, S. 405, der die Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen „ m i t dem global betrachteten Arbeitsrecht, m i t dem globalen Gebiet des Sozialrechts i m weiteren Sinne u n d damit auch m i t dem Gebiet sozialpolitischer Rechtsordnung i m ganzen" identifizieren w i l l . ι® Forsthoff, B B 1965, S. 385. 20 Insbesondere angeregt durch die Monographie Biedenkopfs über die Grenzen der Tarifautonomie sowie durch die Gutachten zum 46. DJT. über „ S i n n u n d Grenzen der Vereinbarungsbefugnis der T a r i f Vertragsparteien". 2 * I n Hueck / Nipperdey, L B , I I , 1, S. 103. 22 Ebd., S. 103; ebenso Maunz i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 9, Rdn. 97; v. Münch, Kommentar zum Bonner Grundgesetz, A r t . 9, Rdn. 122. 23 Vgl. beispielsweise v. Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. I, S. 329, w o es heißt: „unter Wirtschaftsbedingungen sind i n Abs. 3 n u r die wirtschaftlichen Bedingungen i m Verhältnis von Arbeitgebern u n d A r b e i t nehmern begriffen, u n d stehen n u r die wechselseitigen Interessen i m V e r hältnis der Sozialpartner zueinander i n Frage."
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V. Umfang der Koalitionsfreiheit
köpf, unter Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen müssen „alle rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Arbeitnehmern und ihrem Arbeitgeber, an denen der Unternehmer als Arbeitgeber beteiligt" ist, verstanden werden 2 4 . Ebenso wenig hilfreich ist seine Aussage, daß vom Arbeitnehmer aus gesehen all das Wirtschaftsbedingungen sind, „was auf den wirtschaftlichen Tatbestand ,Arbeitsverhältnis' einwirkt; anders ausgedrückt: alle wirtschaftlichen Umstände, die den Wert oder die Verwertbarkeit seiner Arbeitskraft betreffen" 2 5 . Galperin versteht unter dem Begriffspaar alle rechtlichen Beziehungen, die nach der heutigen Praxis des Arbeitsrechts m i t der Eigenart der Stellung des Arbeitnehmers zusammenhängen 26 . Richardi meint, der Bereich der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" könne nicht individualrechtlich vom einzelnen Arbeitsverhältnis aus konkretisiert werden, sondern müsse aus der gesamtwirtschaftlichen Zweckbestimmung der Koalitionen heraus gefunden werden; deshalb sei die Tarifmacht auf die Gegenstände zu beschränken, „die m i t der Teilhabe der abhängigen Arbeit am gesamtwirtschaftlichen Geschehen in einem inneren Zusammenhang stehen" 27 . Letztlich sei noch Len2 2 8 erwähnt, dessen extensive Interpretation der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen das Betätigungsfeld der Koalitionen erheblich erweitert. Danach umfaßt es „nicht nur die tarifliche Regelung von Arbeits- und Lohnbedingungen, sondern erstreckt sich durch die Verwendung des Tatbestandsmerkmals ,Wirtschaftsbedingungen' auf alle Sektoren der Wirtschaftspolitik" 2 9 . Hiermit erweist sich, daß die Literatur bislang keine annähernd sicheren Anhaltspunkte zur Konkretisierung der Begriffe der „Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen" gefunden hat; die Interpretation reicht von der Begrenzung des Koalitionsmandats auf die Lohn- und Arbeitsbedingungen bis h i n zur Wahrnehmung allgemeiner Wirtschafts- und Sozialangelegenheiten. Der Versuch, das Begriffspaar der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" aus sich selbst heraus m i t Sinninhalten zu erfüllen und zu definieren, muß insoweit als gescheitert angesehen werden. Der Verfassungswortlaut ist — und insoweit ist Scholz beizupflichten — zu vage, um aus i h m eine verbindliche Definition ableiten zu können 3 0 . 24 Biedenkopf, Sinn u n d Grenzen der Vereinbarungsbefugnis der T a r i f vertragsparteien, Gutachten f ü r den 46.DJT (1966) B d . I , T e i l 1, B e r l i n München 1966, S. 114. 2 5 Ebd., S. 160 f. 26 Galperin, Die Stellung der Gewerkschaften i m Staatsgefüge, Schriftenreihe Der Betrieb, Düsseldorf 1970, S. 13. 2 7 Richardi, K o l l e k t i v g e w a l t u n d I n d i v i d u a l w i l l e bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, München 1968, S. 180. 28 Lenz i n : H a m a n n / L e n z , Das Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland v. 23. M a i 1949, 3. Aufl., Neuwied—Berlin 1970, A r t . 9, Rdn. 1 ff. 29 Hamann l Lenz, A r t . 9, Rdn. 10.
4. Konkretisierung der kollektivrechtlichen Betätigungsgarantie
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Diese Feststellung rechtfertigt andererseits auch nicht die entgegengesetzte Position Krügers, der der Erwähnung der „Arbeits- und W i r t schaftsbedingungen" nur beispielhaften Charakter zumessen w i l l 3 1 . M i t diesem Begriffspaar sei — so Krügers Vorstellung — das Funktionsfeld koalitionsrechtlicher Betätigung noch nicht erschöpft, es ergebe sich aus „der Eigenart der Koalition und ihrer Stellung i n den konstitutionellen und sozialen Zusammenhängen" 32 . Dieser Rückgriff auf die Verfassungswirklichkeit führt jedoch dazu, daß Krüger dem Begriffspaar „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" jedwede konstitutive K r a f t abspricht und damit der normativen Bedeutung der i n A r t . 9 I I I GG ausdrücklich aufgeführten Funktionsbegrenzung nicht gerecht w i r d 3 3 . Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die sich bislang mangels streitiger Anlaßfälle nur selten m i t dem Begriffspaar der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" auseinanderzusetzen hatte, trug bislang zur Klärung des Problems wenig bei. I m Gegenteil dienten zur Beschreibung des Koalitionszweckes vielfach nur „vage, tautologische, paraphrasierende Formulierungen . . . , die keinen näheren A u f schluß über die den Koalitionen durch A r t . 9 I I I GG zugewiesene Regelungsthematik geben" 34 . So trennt das Bundesverfassungsgericht i n einer Entscheidung zwischen Lohn- und Arbeitsbedingungen 35 , während es i n einer anderen richtigerweise davon ausgeht, daß die tarifliche Lohngestaltung dem Oberbegriff der „Arbeitsbedingungen" zuzuordnen ist 3 6 . Der Zweck der Koalitionsfreiheit w i r d i n einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens 37 gesehen. Dieser i m öffentlichen Interesse 38 liegende Ordnungszweck habe die Aufgabe, „ i n dem von der staatlichen Rechtsetzung freigelassenen Raum das Arbeitsleben i m einzelnen durch Tarifverträge sinnvoll zu ordnen, insbesondere die Höhe der Arbeitsvergütung für die verschiedenen Berufstätigkeiten festzulegen, und so letztlich die Gemeinschaft sozial zu befrieden" 3 9 . U m dieser Aufgabe gerecht werden zu können, garantiere A r t . 9 I I I GG „einen verfassungsmäßig geschützten Kernbereich verbandsmäßiger Lohngestaltung" 4 0 . so Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 44. 31 Krüger, Sinn u n d Grenzen der Vereinbarungsbefugnis der Tarifvertragsparteien, Gutachten für den 46. D J T (1966) Bd. I, T e i l 1, Berlin—München 1966, S. 23. 32 E b d , S. 23. 33 Vgl. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 44, der i n diesem Zusammenhang von einer methodisch unzulässigen Überschreitung der Grenzen der Verfassungsinterpretation spricht. 34 So Säcker, Grundprobleme, S. 41. 35 BVerfGE 4, 96 (106). 3β BVerfGE 18, 18 (26). 37 BVerfGE 4, 96 (107). 38 BVerfGE 18, 18 (27). 3» BVerfGE 18, 18 (28). 40 BVerfGE 4, 96 (106, 110).
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V. Umfang der Koalitionsfreiheit
Dieses damit i n der Tariffähigkeitsentscheidung aufgestellte B i l d von verfassungsrechtlich geschützten Kernbereichen koalitionsmäßiger Betätigung w i r d auch i n den folgenden Entscheidungen des Gerichts zur Frage des Betriebsverfassungs- und Personalvertretungswesens sowie zum Problem der Grenzen innerbetrieblicher Mitgliederwerbung verwandt. So w i r d ausgeführt, daß Art. 9 I I I GG auch einen Kernbereich der Koalitionsbetätigung auf der Ebene des Personalvertretungswesens schütze 41 . Auch sei durch A r t . 9 I I I GG ein Kernbereich der Koalitionsbetätigung bei der Mitgliederwerbung garantiert 4 2 . I n der neuesten Heimarbeitsgesetz-Entscheidung läßt sich das Bundesverfassungsgericht erstmalig konkreter über den den Koalitionen zugewiesenen Regelungsbereich aus. I n dem Beschluß heißt es: „Das grundlegend Besondere i n diesem Bereich (Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen) ist, daß der Staat seine Zuständigkeit zur Rechtssetzung, soweit es sich um den Inhalt von Arbeitsverträgen handelt, weit zurückgenommen hat. Er hat kraft der Grundentscheidung des A r t . 9 I I I GG die Bestimmung über alle regelungsbedürftigen Einzelheiten des Arbeitsvertrages den i n den Tarifparteien organisierten Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu überlassen. Dieses Prinzip setzt voraus, daß es ,überall·, wo ein Bedürfnis dafür besteht, also der Individualarbeitsvertrag ein unzureichendes Instrument zur Begründung eines sozial angemessenen Arbeitsverhältnisses darstellt, solche organisierten Tarifparteien gibt. Die durch die Vereinbarung der Tarifparteien begründeten und nach Maßgabe des Tarifvertragsgesetzes verbindlichen Regeln für den Inhalt der davon erfaßten Arbeitsverträge sind, wie immer man das i m einzelnen begründen mag, Rechtsregeln . . . kraft Anerkennung durch die staatliche Gewalt, vorbehaltlich ihrer hier nicht weiter interessierenden Begrenzung durch die staatlichen Gesetze 43 ." Diese Entscheidung zeigt, daß nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur die tarifliche Lohndatenfestsetzung, sondern darüber hinaus alle aktuellregelungsbedürftigen Arbeitsbedingungen — wie beispielsweise die Länge der täglichen Arbeitszeit oder die Anzahl der Urlaubstage — von der kollektivrechtlichen Betätigungsgarantie als mitumfaßt anzusehen sind. Die Personalvertretungs- und Mitgliederwerbungsentscheidungen machen deutlich, daß nicht nur die unmittelbare Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, sondern auch deren mittelbare Förderung durch Einflußnahme auf die betrieblichen Umweltbedingungen, unter denen die Arbeitsleistung erbracht wird, zur verfassungsrechtlich geschützten Koalitionsbetätigung gerechnet werden kann 4 4 . « « « 44
BVerfGE 19, 303 (313 ff.). BVerfGE 28, 295 (305 ff.). BVerfGE 34, 307 (316 f.). So ausdrücklich BVerfGE 19, 303 (313).
4. Konkretisierung der kollektivrechtlichen Betätigungsgarantie
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Damit sind — zusammenfassend betrachtet — nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Kernbereiche der verbandsmäßigen Lohngestaltung, der Betätigung auf der Ebene des Personalvertretungswesens und der innerbetrieblichen Mitgliederwerbung sowie alle anderen aktuell-regelungsbedürftigen Arbeitsbedingungen i m Sinne der obigen Entscheidung als von A r t . 9 I I I GG geschützt anzusehen. Diese eben skizzierte Rechtsprechung zeichnet sich — ebenso wie die Literatur — dadurch aus, daß m i t allgemeinen, weiten und i n sich wenig begriffsscharfen und damit untauglichen Formeln eine Konkretisierung der Begriffe der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen versucht wird. Hierbei beschränkt sie sich aber i n zutreffender Weise bewußt auf die nur blankettartige Umschreibung des Koalitionszweckes. Es werden aus dem spezifischen Zweck koalitionsmäßiger Betätigung funktionelle Kernbereichsgarantien entwickelt, deren Zweck es ist, wichtige Koalitionsbetätigungen dem besonders eingriffsfesten Schutz des A r t . 9 I I I GG zu unterstellen. M i t der rechtlichen Qualifizierung einer Tätigkeit als zum koalitionsspezifischen Kernbereich gehörig ist gleichsam die Entscheidung für die Gewährleistung durch Art. 9 I I I GG gefallen, so daß alle staatlichen Eingriffe i n den Kernbereich an der Garantie des A r t . 9 I I I GG gemessen werden müssen. Anders verhält es sich m i t den außerhalb des Kernbereichs liegenden Koalitionsbetätigungen. Sie sind oft nicht in dem Maße eingriffsgesichert, wie die Kernbereiche der Koalitionsbetätigung. Für sie gelten die übrigen Grundrechte und deren — i m Verhältnis zu A r t . 9 I I I GG oft weiten 4 5 — Schranken. Die so skizzierten Kernbereichsgarantien vermögen allerdings noch keine abschließende Klarheit darüber zu vermitteln, welche der vielfältigen Regelungsmaterien nun der koalitionsrechtlichen Betätigungsgewährleistung unterfallen. Andererseits aber w i r d der Verzicht auf eine endgültige, umfassende definitorische Klärung der Koalitionszwecke gerade der Eigenart des Begriffspaares „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" gerecht. Denn es handelt sich hier um einen allgemeinen, einer detaillierten Inhaltsausfüllung und -abgrenzung nicht zugänglichen Verfassungsbegriff 46 , der insoweit als „offen" oder „variabel" bezeichnet werden kann 4 7 . Seine Funktion liegt darin begründet, den Koalitionen i n Zukunft die verfassungsrechtliche Möglichkeit zu geben, ihre Ordnungsaufgaben und ihr ordnungspolitisches Selbstverständnis freizuhalten, weiterzu45 M a n denke n u r an die Gesetzesvorbehalte des A r t . 2 1 GG, insbesondere an die Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung" i n der weiten Auslegung der herrschenden Meinung i. S. einer „verfassungsgemäßen Ordnung". 46 Vgl. dazu Säcker, Grundprobleme, S. 40; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 44 u n d S. 46, Fußn. 55. 47 Vgl. dazu Säcker, Grundprobleme, S. 40 f. u n d S. 92 f.; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 44; allgemein dazu Hesse, S. 12.
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V. Umfang der Koalitionsfreiheit
entwickeln und den historischen Umständen entsprechend anzupassen; die Auslegung beider Begriffe ist „ i n die Zeit hinein offen" 4 8 . b) Wirtschaftspolitisches Mandat der Gewerkschaften
Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die Frage, ob den Koalitionen über die bereits genannten Tätigkeitsfelder hinaus ein durch A r t . 9 I I I GG gewährleistetes allgemeines wirtschaftspolitisches Mandat zukommt. Zu denken wäre etwa an eine Kompetenz zur Gestaltung des gesamtwirtschaftlichen Geschehens. Dazu gehörte dann auch das Mandat, die Faktoren des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts i n den Tarifabschlüssen verbindlich definieren zu können. Gegen ein allgemein-wirtschaftspolitisches Mandat könnte zunächst eingewandt werden, die Koalitionen seien vom Koalitionszweck her betrachtet ausschließlich der Regelung der Arbeitsverhältnisse verpflichtet 49 ; die Koalitionsfreiheit sei ein Grundrecht des Arbeits-, nicht aber des allgemeinen Wirtschaftsrechts 50 . Das Begriffspaar der „Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen" sei also nicht alternativ, sondern kumulativ als funktionale Einheit zu verstehen, so daß der Verfassungsgarantie des Art. 9 I I I GG nur Betätigungen unterfallen, die eine Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen als verknüpften Tatbestand zu gestalten suchen 51 ; ein allgemeines wirtschaftspolitisches Mandat wäre m i t dieser Auslegung unvereinbar. Nun ist zweifellos zuzugeben, daß der Koalitionszweck i m Kern auf das Arbeitsverhältnis bezogen ist. Dies kann aber nicht dazu führen, die gesamte Koalitionsgewährleistung entsprechend eng auszulegen, etwa i n dem Sinne, daß der Funktionsgarantie nur Betätigungen auf dem tarif vertraglichen Gebiet unterfallen 5 2 . Eine derartige Auslegung w i r d dem Wortlaut des A r t . 9 I I I GG kaum gerecht. Denn unübersehbar bleibt trotz der Unschärfe i n der Begriffsbestimmung, daß die Verfassung eben nicht nur die Regelung der Arbeits-, sondern auch die Gestaltung der Wirtschaftsbedingungen m i t i n die Koalitionszweckbestimmung aufgenommen hat. Die Weimarer Verfassung wollte m i t der im 48 Hesse, S. 12 unter Hinweis auf Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte (1961), S. 27 ff.; Scholz, Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit, S t u t t g a r t München—Hannover 1972, S. 36; Scheuner, Die Verfassungsmäßigkeit des Zweiten Vermögensbildungsgesetzes, Rechtsgutachten, K ö l n 1968, S. 19. 4» So Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 44; vgl. auch Richardi, Kollektivgewalt, S. 180. so Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 46. 51 Siehe zu dieser Auslegung v. Münch i n : Kommentar zum Bonner G r u n d gesetz, A r t . 9, Rdn. 123; u n d Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 46. 52 Eine Beschränkung des Betätigungsrechts auf die Tarifautonomie nehmen beispielsweise an: Dietz i n : Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I I / l , S. 462; Weber i n : Göttinger Festschrift f ü r das OLG-Celle, Göttingen 1961, S. 246.
4. Konkretisierung der kollektivrechtlichen Betätigungsgarantie
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Vergleich zu § 152 GewO („Lohn- und Arbeitsbedingungen") vorgenommenen Weiterung auf die „Wirtschaftsbedingungen" verhindern, daß die Koalitionen und deren Mitglieder Repressionen ausgesetzt werden können, wenn sie über den rein arbeitsvertraglichen Bereich hinaus i m allgemein-wirtschaftspolitischen Bereich tätig werden 5 3 . Diesem A n liegen der erweiterten Funktionsgarantie entspräche es nicht, beide Begriffe gleichzusetzen oder die Interpretation der Koalitionsfunktion zu einseitig an Arbeitsverhältnissen zu orientieren. Die Funktionsbestimmung von A r t . 9 I I I GG ist weiter als der Bereich der Tarifautonomie 5 4 , da A r t . 9 I I I GG allgemein von „Wahrung und Förderung" und nicht nur von der „Regelung" der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen spricht. Wenn auch nicht alle Wirtschaftsbedingungen einer tarifvertraglichen Regelung zugänglich sind, folgt daraus noch keineswegs, daß sie damit aus der Funktionsgarantie des A r t . 9 I I I GG herausfallen. I m Gegenteil erfordert die den Koalitionen i n unserer Wirtschaftsordnung überantwortete Aufgabe, zur Ordnung des Wirtschaftslebens beizutragen, daß die Tätigkeitsbereiche, die dieser sozialen Ordnungsfunktion dienen, auch von der verfassungsrechtlichen Funktionsgarantie mitumfaßt werden 5 5 . Z u der Erfüllung dieser sozialen Ordnungsfunktion gehören mannigfaltige außertarifliche Aufgaben. So haben die Gewerkschaften auf verschiedenen Ebenen des wirtschaftlichen Geschehens Mitgestaltungsfunktionen inne, die gesetzlich verankert sind 5 6 . Die Vielzahl wirtschaftspolitischer ministerieller Beiräte i m Bereich des Wirtschafts-, des Ernährungs- und des Verkehrsministeriums sowie die gesetzlich abgesicherten Einflußnahmemöglichkeiten auf staatliche Gremien und Ausschüsse unterstreichen die Weite des von der Rechtsordnung anerkannten Betätigungsfeldes gewerkschaftlicher Arbeit. Über diese gesetzlich verankerten, institutionalisierten Einflußnahmemöglichkeiten hinaus versuchen die Gewerkschaften, durch Einwirkung auf das Parlament und die Regierung gesetzgeberische Entscheidungen m i t zu beeinflussen. Die Gewerkschaften verstehen sich insoweit als Lobby und unterhalten „Parlamentarische Verbindungsstellen", die die Funktion haben, i n institutionalisierten Kanälen die politischen Kontakte zu Parlamentariern und zur Regierung herzustellen und auszuVgl. dazu Seiter, Streikrecht u n d Aussperrungsrecht, Tübingen 1975, S. 118 f. u n d auch S. 54 ff. u n d S. 58 ff. 54 Das ist heute weitgehend anerkannt, vgl. beispielsweise BVerfGE 19, 303 (314, 319 ff.); 28, 304 (313); Hueck / Nipperdey, L B , I I / l , S. 105, 137 f., 231 f.; Rüthers, R d A 1968, S. 169; Hesse, S. 170; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 49 Fußn. 80, s. aber auch S. 44. 55 Vgl. dazu Rüthers, R d A 1968, S. 170. 56 Vgl. zu den gesetzlichen u n d faktischen Tätigkeitsbereichen der Gewerkschaften ausführlich Gießen, Die Gewerkschaften i m Prozeß der Volksund Staatswillensbildung, B e r l i n 1976, S. 20 ff.; 30 ff.; sowie Hirsch, S. 158 ff.
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V. Umfang der Koalitionsfreiheit
bauen 57 . Genauso wie die „Unternehmer lobby" ihre Verbandsinteressen i m Rahmen der Vorbereitung von Gesetzentwürfen durchzusetzen sucht, artikulieren die Gewerkschaften die Interessen der von ihnen repräsentierten Mitglieder auch gegenüber dem Staat 58 . Die Koalitionen sind nämlich keineswegs darauf beschränkt, nur gegenüber dem sozialen Gegenspieler die Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu betreiben 59 . Die Einflußnahme auf die zukünftige Wirtschaftsgesetzgebung kann in gleichem Maße zur Förderung der Arbeits- und W i r t schaftsbedingungen beitragen wie der Abschluß eines neuen Tarifvertrages. Damit erweitert sich die Koalitionsaufgabe: Auch die Tätigkeit der Koalitionen auf sozial- und wirtschaftspolitischem Gebiet ist insoweit von der Betätigungsgewährleistung umfaßt, als es sich bei der Einflußnahme auf die staatlichen Entscheidungsträger u m die Förderung der Mitglieder auf sozial- und wirtschaftspolitischem Gebiet handelt. Damit erhalten die Koalitionen ein sozial- und wirtschaftspolitisches Mandat i m Hinblick auf die Mitgliederinteressenwahrnehmung gegenüber dem Staat 60 . Damit ist aber nur die Einwirkungstätigkeit auf Staatsbereiche verfassungsrechtlich legitimiert. Die Koalitionen haben damit ein Mandat zur Mitgestaltung der Wirtschaftsordnung, nicht aber dazu, verbindlich i n der Tarifdatensetzung oder i n sonstigen Kompromissen über die Gestaltung des gesamtwirtschaftlichen Geschehens zu befinden. Für eine derartige Kompetenz, aufgrund derer die Tarifpartner verbindlich entscheiden können, was dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht dient bzw. dem Gemeinwohl auf wirtschaftlichem Gebiete entspricht, könnte angeführt werden, die Verfassung habe die Definition des wirtschaftlichen Gemeinwohls dem Koalitionsverfahren anvertraut, so daß die Koalitionen das Gemeinwohl durch i h r antagonistisches und einigendes Zusammenwirken maßgebend selbst verwirklichten 6 1 . Ein solches Mandat zur verbindlichen Alleingestaltung des gesamtwirtschaftlichen Geschehens stößt jedoch auf Bedenken. Es setzt sinnvollerweise voraus, daß die Koalitionen auf die Größen Einfluß ausüben können, von denen das gesamtwirtschaftliche Geschehen abhängt. Wenn man beispielsweise den Koalitionen eine Kompetenz zur selbständigen Definition des Stabilitätsbegriffs einräumte, müßten beide Kompetenzinhaber die Mög57 V g l . d a z u ausführlich Gießen,
S. 62 ff., 70 ff.
58 Dazu ausführlich Löwisch, R d A 1975, S. 53 ff.; Gießen, S. 62 ff., 70 ff. 5» So deutlich Hueck / Nipperdey, L B , I I , 1, S. 105. 00 Ebd., S. 105; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 44, u n d Richardi, Kollektivgewalt, S. 180 f., hingegen lehnen ein allgemeines wirtschafts- u n d sozialpolitisches Mandat der Koalitionen ab. 61 Vgl. zu derartigen Theorien eigenverantwortlicher Gemeinwohlkonkretisierung Lerche, Zentralfragen, S. 29 f., u n d Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 221 ; s. dazu näher unten V I I , 3.
4. Konkretisierung der kollektivrechtlichen Betätigungsgarantie
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lichkeit haben, m i t der konkreten Tarifdatensetzung das Schicksal der Stabilität des Geldwertes zu determinieren. Da nun aber die Stabilität des Geldwertes anerkanntermaßen nicht nur von der Höhe des Arbeitsentgeltes, sondern auch von der Entwicklung der übrigen Kosten und Größen und sonstiger Faktoren (ζ. B. Wettbewerbslage usw.) abhängt, ist m i t der Vereinbarung eines Lohnsatzdatums noch nicht über das künftige Preisniveau entschieden. Genausowenig w i r d es möglich sein, durch eine gezielte Lohnpolitik auf all die Faktoren einzuwirken, die für ein hohes Beschäftigungsniveau oder für ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum von entscheidender Bedeutung sind. Tarifvertragliche Regelungen betreffen immer nur einen Teil der für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht bzw. für das Gemeinwohl i n w i r t schaftlicher Hinsicht entscheidenden Faktoren. Der Tarifvertrag setzt nur die sozialen Daten fest, die der Unternehmer seinen Wirtschaftsplänen zugrunde legen muß. Er kann jedoch keine Regelung darüber enthalten, wie der Unternehmer auf diese Daten i n seinen Wirtschaftsplänen reagiert. Die den Tarifdaten folgenden unternehmerischen A n passungsreaktionen sind damit rein reflexiver Natur. Wenn sich so die Tarifmacht nicht auf die Mitgestaltung der unternehmerischen Entscheidungen erstreckt, m. a. W. eine Determination der entscheidenden makroökonomischen Daten durch die Tarifdatensetzung nicht möglich ist, kann den Koalitionen kein Mandat zur verbindlichen Selbstgestaltung des gesamtwirtschaftlichen Geschehens eingeräumt werden, da sie zur Ausübung einer derartigen Kompetenz nicht die erforderliche Durchsetzungsmacht haben. Eine Anerkennung eines allgemeinen wirtschaftspolitischen Mandats i n dem Sinne, daß m i t und i n der Tarifdatensetzung das wirtschaftliche Gemeinwohl verbindlich determiniert wird, ist daher abzulehnen. Doch bleibt den Koalitionen die Möglichkeit, durch Einflußnahme auf die politischen Entscheidungsträger des Staates ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen zu realisieren. c) Die Betätigungsgarantie der verbandsmäßigen Lohngestaltung
Kann so wegen der Weite und Offenheit der in A r t . 9 I I I GG enthaltenen Funktionsgarantie eine abschließende Klärung der den Koalitionen zugeordneten und damit auch verfassungsrechtlich geschützten Regelungsbereiche nicht gelingen, kann es andererseits keinen Zweifel daran geben, daß die wichtigste Aufgabe der Koalitionen darin liegt, eine gerechte Regelung der Lohnbedingungen für ihre Mitglieder zu erreichen. Dieser den Koalitionen historisch überantwortete Bereich w i r d deshalb vom Bundesverfassungsgericht zu Recht der Freiheitsgarantie des A r t . 9 I I I GG unterstellt. Unbestritten ist heute, daß die
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V. Umfang der Koalitionsfreiheit
funktionelle Garantie der Koalitionen einen Kernbereich verbandsmäßiger Lohngestaltung umfaßt. Dabei ist, angesichts der undifferenziert formulierten Kernbereichslehre 62 , aber unklar, ob ein Kernbereich innerhalb der tarifautonomen Lohnfestsetzung gemeint ist, oder ob die verbandsmäßige Lohngestaltung als Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigung schlechthin geschützt wird. Für letzteres spricht, daß die Aushandlung der Lohnhöhe von jeher zentraler Mittelpunkt koalitionsmäßiger Betätigung war. Denn erst die bilaterale Monopolisierung des Arbeitsmarktes vermochte gerechte Individualarbeitsverträge und dam i t auch angemessene Einkommen zu gewährleisten. I m kollektiven Lohnaushandeln liegt daher die ursprüngliche und heute ebenso aktuelle „ratio" für die rechtliche Anerkennung und spätere verfassungsrechtliche Legitimation der Koalitionsfreiheit. Die Festsetzung der Arbeitsvergütung ist das entscheidende Gestaltungsmittel und auch heute noch die essentielle (wenn auch nicht mehr alleinige) Aufgabe der Koalitionen. Dieser hervorragenden Bedeutung der tariflichen Datensetzung w i r d es gerecht, die verbandsmäßige Lohngestaltung als Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigung schlechthin dem Schutz des A r t . 9 I I I GG zu unterstellen. Damit ist gewährleistet, daß jedwede staatliche Maßnahme, die diesen Kernbereich tangiert, an der Verfassungsgarantie des A r t . 9 I I I GG gemessen werden muß. Die autonome Einkommensdatensetzung ist so i n hohem Maße eingriffsgesichert. Andererseits ist damit nicht gesagt, daß jeder staatliche Eingriff i n den Kernbereich von vornherein unzulässig ist. Denn die Kernbereichsgarantien bedeuten nicht, daß die den Kernbereich ausfüllenden Koalitionsbetätigungen absolut gelten, also unabänderlich sind 6 3 . Der Staat hat zwar die den Garantien unterfallenen Tätigkeitsbereiche grundsätzlich zu respektieren, er darf sie nicht „ i n toto" aufheben und nicht aushöhlen 64 , er hat aber die Möglichkeit, die den Koalitionen von der Rechtsordnung selbst gezogenen Grenzen zu aktualisieren und zu diesem Zweck auch schrankenziehend i n den Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigung einzugreifen. Die Schwierigkeit besteht nun darin, diese Schranken aufzuzeigen. Da A r t . 9 I I I GG (dem Wortlaut nach) vorbehaltlos gewährleistet ist, stellt sich zunächst ganz allgemein die Frage, m i t welcher rechtlichen Legitimation und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen der Gesetzgeber i n solche vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte schrankenziehend eingreifen kann. ®2 Vgl. Säcker, Grundprobleme, S. 45 ff. u n d S. 89 ff. Siehe dazu näher Säcker, Grundprobleme, S. 91 m. w . Nachw. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu der gleichliegenden „ K e r n bereichsproblematik" i n A r t . 28 I I GG. 64 Vgl. dazu statt aller Säcker, Grundprobleme, S. 92, m. w. Nachw. 63
V I . Die Vorbehaltsfrage im Rahmen des Art. 9 I I I GG Ist m i t den vorhergehenden Ausführungen der durch A r t . 9 I I I GG verbürgte Koalitionsfreiheitsraum abgesteckt worden, so ist es jetzt notwendig, die Beschränkungsmöglichkeiten dieser Freiheit aufzuzeigen. Von ihnen hängt es entscheidend ab, welche staatlichen Einflußmöglichkeiten auf die koalitionsrechtliche Normsetzung m i t der verfassungsrechtlichen Verbürgung der Tarifautonomie vereinbar sind. Die Frage, inwieweit Grundrechtsbeschränkungen zulässig sind, ist i m Grundgesetz rechtstechnisch überwiegend durch die Gesetzesvorbehalte gelöst, die eine Ermächtigung an den Gesetzgeber beinhalten, ein Grundrecht entweder selbst zu beschränken oder die Exekutive und ausnahmsweise auch die Judikative zum Eingriff i n ein Grundrecht zu autorisieren. I n diesen Fällen stellt sich jeweils die Problematik der Erfassung der durch die Schranken eröffneten Eingriffsgrenzen; sie sind vorwiegend Gegenstand der juristischen Diskussion. Anders verhält es sich hingegen m i t den Grundrechten, die nicht unter einem Gesetzes vorbehält stehen, wie beispielsweise A r t . 4, 5 I I I 1, 7 I I I 3, 8 1 GG. Auch der hier interessierende A r t . 9 I I I GG ist dem Wortlaut nach vorbehaltlos gewährleistet. Daraus könnte zunächst der Schluß gezogen werden, der Verfassungsgeber wollte diese Grundrechte angesichts der sonstigen differenzierten Regelung der Gesetzesvorbehalte einschränkungslos gewährleistet wissen. Gleichwohl ist es heute so gut wie unbestritten, daß kein Grundrecht — ob m i t oder ohne Gesetzesvorbehalt — schrankenlos verbürgt ist 1 . I n einem Rechtsstaat, der jedem Freiheitssphären zuerkennt, ist es ausgeschlossen, daß der Staat oder der Bürger unbegrenzte Rechtspositionen innehaben; denn dies würde dazu führen, daß sich die Grundrechtsträger i n der Ausübung ihrer Rechtspositionen derart behinderten, daß dies schließlich zu einer Lahmlegung der Grundrechte führte 2 . Ist so der Ausgangspunkt unumstritten, daß auch Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt einschränkbar sein müssen, besteht jedoch weitgehend Uneinigkeit über die Methode, diese Grenzen zu bestimmen.
1 Vgl. statt aller Maunz i n : Verfassung, Verwaltung, Finanzkontrolle, Festschrift f ü r H. Schäfer zum 65. Geb., Köln—Berlin—Bonn—München 1975, S. 7. 2 Ebd., S. 7.
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V I . Die Vorbehaltsfrage i m Rahmen des A r t . 9 I I I GG
1. Immanenter Gemeinschaftsvorbehalt I n den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Grundgesetzes wurde der Versuch unternommen, alle Grundrechte unter einen generellen Gemeinwohlvorbehalt zu stellen. Nach einem insbesondere von der Rechtsprechung vertretenen immanenten Gemeinschaftsvorbehalt sollte die Behauptung des Schutzes „höherrangiger Gemeinschaftsgüter" zur Verkürzung grundrechtlicher Geltungsgehalte ausreichen, w e i l es zum „Inbegriff aller Grundrechte" gehöre, „daß sie nicht i n Anspruch genommen werden dürfen, wenn dadurch die für den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter gefährdet werden" 3 . Grundlage eines solchen Gemeinschaftsvorbehaltes hätte beispielsweise A r t . 98 Satz 1 und Satz 2 der Bayerischen Verfassung sein können, wonach auch verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen durch Gesetz u. a. dann einschränkbar sind, wenn die Wohlfahrt es zwingend erfordert. Diese Theorie, die sich i m Gegensatz zur Bayerischen Verfassung i m Grundgesetz nicht positiv-rechtlich nachweisen läßt, ist wegen ihrer mangelnden verfassungsrechtlichen Grundlage alsbald auf generelle Ablehnung gestoßen4. So läßt die fehlende rechtstheoretische Begründbarkeit des Gemeinschaftsvorbehaltes die Formel des Bundesverwaltungsgerichts „mehr oder minder frei und w i l l k ü r l i c h " erscheinen 5. Darüber hinaus kann sie keine Maßstäbe zur Verfügung stellen, die rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechen. Denn letztlich sind es doch auch die grundrechtlichen Verbürgungen, die die für den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter darstellen. Sollten aber gerade diese wieder für eine Verkürzung der Grundrechtsgehalte m i t dem Argument i n Anspruch genommen werden können, diese oder jene Rechtsposition diene dem Bestand der Gemeinschaft, so können alle Grundrechte durch derart pauschal-allgemeine Aspekte unkontrolliert unterlaufen oder sogar gegenstandslos gemacht werden. Zumindest aber ist eine rationale Diskussion über die Grenzziehung grundrechtlicher Garantien m i t Hilfe derartiger unbestimmter Immanenzvorbehalte nicht möglich. So ist es zu erklären, daß die unbrauchbare Gemeinschaftsklausel des Bundesverwaltungsgerichts inzwischen allgemeine Ablehnung erfahren hat. 3 B V e r w G E 1, 48 (52); 1, 307; u n d ständige Rechtsprechung bis B V e r w G E 7, 125 (139). 4 Vgl. Hesse, S. 131, Fußn. 6; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, Z u r Bindung des Gesetzgebers an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit u n d der Erforderlichkeit, Köln—Berlin—München—Bonn 1961, S. 292 ff.; Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, München 1967, S. 93 ff. 5 So Bachof, J Z 1957, S. 337 u n d Dürig i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 2 I, Rdn. 70; vgl. auch Böckenförde ί Greifenhagen, JuS 1966, S. 363.
2. Anwendung der Schranken des A r t . 2 I GG
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2. Anwendung der Schranken des Art. 2 1 GG Ein weiterer Versuch, vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte zu begrenzen, setzt an der sogenannten „Schrankentrias" des A r t . 2 I GG an. Friedrich Klein 6 w i l l die Bindungsnormen des A r t . 2 I GG unmittelbar auf die nicht m i t einem Gesetzesvorbehalt versehenen Freiheitsgarantien angewendet wissen. Die „Rechte anderer", die „verfassungsmäßige Ordnung" und das „Sittengesetz" sind danach generelle freiheitsbegrenzende Merkmale. Kleins Ansicht beruht auf einer eigenwilligen Interpretation des A r t . 2 1 GG. Für ihn ist das Recht der Persönlichkeitsentfaltung i n A r t . 2 I GG kein selbständiges Grundrecht, sondern „eine aktuell geltende Norm des objektiven (Verfassungs-) Rechts" 7 . Dies ermöglicht es, i n A r t . 2 I GG einen Freiheitsrechtsleitsatz und damit auch eine Auslegungsregel für die nachfolgenden Grundrechte zu sehen. Einen ähnlichen Ansatzpunkt verfolgt Erbel 9. Zwar bejaht er die Grundrechtsqualität des A r t . 2 1 GG, folgt Klein aber insofern, als für i h n A r t . 2 1 GG „leitbildartig die Grundrelation von Freiheit und Bindung der i n der Gemeinschaft lebenden Person" bestimmt 9 . Zur Begründung w i r d angeführt, die A r t . 2 I GG nachfolgenden Grundrechte seien ohnehin nur besondere Konkretisierungen des „Muttergrundrechts" und müßten deshalb denselben Schranken unterworfen sein. I m übrigen seien die Schranken des A r t . 2 I GG unabdingbare Voraussetzung dafür, daß Freiheit i n einer staatlichen Gemeinschaft überhaupt bestehen könnte 1 0 . Insofern könnten die Schranken des A r t . 2 I GG als „rechtslogisch-immanente Schranken jeder Freiheit" angesehen werden 1 1 . Dürig 12 w i l l unter Ablehnung einer undifferenzierten generellen Schrankentriasübertragung die Vorbehalte des A r t . 2 I GG als mittelbares Regulativ für die Auffindung immanenter β I n : v.Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. I , Vorbemerkung Β X V 3 a; zur Begrenzung des A r t . 9 I I I GG durch die Schranken des A r t . 2 1 G G siehe Klein i n : v. Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. I, A r t . 9, A n m . V I . 7 Klein i n : v. Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. I , A r t . 2 I, A n m . I I I 5 b. 8 Erbel, I n h a l t u n d Auswirkungen der verfassungsrechtlichen K u n s t f r e i heitsgarantie, Berlin—Heidelberg—New Y o r k 1966, S. 120. » Ebd., S. 120. 10 Ebd., S. 120. 11 Ebd., S. 121; vgl. dazu noch Peters, Geschichtliche Entwicklung u n d Grundfragen der Verfassung, Berlin—Heidelberg—New Y o r k 1969, S. 263 u n d S. 49, der aus der Einschränkungsmöglichkeit des A r t . 2 1 G G als bedeutendstes Freiheitsrecht' schließt, daß dies dann auch i n gleicher Weise für die anderen Freiheitsverbürgungen zu gelten habe. Nipperdey in: Hueck/ Nipperdey, L B , I I , 1, S. 148, scheint auch v o n einem Generalvorbehalt des A r t . 2 1 G G auszugehen, w e n n er die Koalitionsbetätigungsfreiheit expressis verbis den Schranken des A r t . 2 1 G G unterstellen w i l l . 12 Dürig i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 21, Rdn. 70 ff. 5 Knebel
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V I . Die Vorbehaltsfrage i m Rahmen des A r t . 9 I I I GG
Grundrechtsschranken berücksichtigen und zur Bestimmung sogenannter „primitiver Nichtstörungsschranken" als einer jedem Freiheitsrecht zugeordneten Elementarschranke heranziehen. Während die oben skizzierten Meinungen die Schrankentrias des A r t . 2 I GG unterschiedslos zur Grenzenkonkretisierung der vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte heranziehen, w i l l Dürig eine das Grundrechtsschrankensystem nivellierende Anwendung des „Soweit-Satzes" vermeiden, damit die Grenzziehung an dem spezifischen Wert des einzuschränkenden Grundrechts ausgerichtet werden könne 1 3 . Der „Soweit-Satz des A r t . 2 1 GG" wirke damit mittelbar „als Verfassungsvorbehalt zur Interpretation immanenter Grundrechtsschranken" 14 . Zwar kann die Meinungsgruppe, die das Problem der immanenten Grundrechtsschranken durch eine systematische Erstreckung des A r t . 2 I 2. Halbsatz GG auf die übrigen Freiheitsverbürgungen löst, für sich i n Anspruch nehmen, freiheitsbegrenzende Merkmale unmittelbar der Verfassung zu entnehmen. Auch stellt A r t . 2 1 2 . Halbsatz GG die einzige verfassungsrechtliche Regelung dar, die die Rechte Dritter zum inhaltsbegrenzenden Merkmal grundrechtlicher Geltungsgehalte erhebt, eine Formel, die durchaus als Ausgangspunkt für eine Immanenzlehre dienen könnte. Andererseits aber bezieht sich die Schrankentrias des A r t . 2 I GG expressis verbis auf das Recht der freien Persönlichkeitsentfaltung. Wollte man die Schranken dieses Grundrechts unmittelbar auf die nachfolgenden Freiheitsrechte anwenden, wäre der Nachweis zu erbringen, daß die „freie Persönlichkeitsentfaltung" den Oberbegriff zu allen übrigen Freiheitsrechten darstellt. Dann wäre jede Freiheitsbetätigung zugleich notwendig Persönlichkeitsentfaltung i m Sinne des A r t . 2 I GG und der Vorbehalt des A r t . 2 1 2 . Halbsatz GG würde allgemein Gültigkeit besitzen. Soll hingegen durch die Positivierung spezieller Grundrechtspositionen i n den A r t . 4 ff. GG der Rückgriff auf A r t . 2 I GG verwehrt sein, dann vermag eine unmittelbare Inanspruchnahme des A r t . 2 1 2 . Halbsatz GG zur Begründung einer Immanenztheorie nicht zu überzeugen. Das Bundesverfassungsgericht und die ihm folgende herrschende Meinung gehen davon aus, daß A r t . 2 1 GG beim Zusammentreffen m i t anderen Freiheitsrechten als Auffanggrundrecht anzusehen ist: „Neben der allgemeinen Handlungsfreiheit, die A r t . 2 I GG gewährleistet, hat das Grundgesetz die Freiheit menschlicher Betätigung für bestimmte Lebensbereiche, die nach den geschichtlichen Erfahrungen dem Zugriff der öffentlichen Gewalt besonders ausgesetzt sind, durch besondere Grundrechtsbestimmungen geschützt . . . Soweit nicht solche besonderen Lebensbereiche grundrechtlich geschützt sind, kann sich der einzelne bei Eingriffen der öffentlichen Gewalt i n seine 1 3 Ebd., A r t . 21, Rdn. 69. " Ebd., A r t . 2 I, Rdn. 72 a. E.
2. Anwendung der Schranken des A r t . 2 I GG
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Freiheit auf A r t . 2 I GG berufen 1 5 ." Dieses Verhältnis der Subsidiarität des A r t . 2 I GG zu den speziellen Einzelfreiheitsrechten läßt danach eine Erstreckung des Gemeinschaftsvorbehalts des A r t . 2 1 2. Halbsatz GG auf die nachfolgenden Freiheitsgrundrechte nicht zu 1 6 . Wenn ein Spezialgrundrecht anzuwenden ist, kann A r t . 2 1 GG wegen seiner Generalität entsprechend dem Grundsatz „lex specialis derogat legi generali" nicht zur Anwendung kommen, auch nicht hinsichtlich der Schrankentrias. Die abweichende Ansicht vermag keine hinreichende Erklärung dafür zu geben, warum die Verfassung Spezialgrundrechte normiert, wenn sich dieselbe Freiheitsgewährleistung bereits aus A r t . 2 I GG ergeben sollte. Den Spezialverbürgungen lediglich deklaratorische Qualität zuzuweisen, würde dem Sinn der Normierung von Spezialgrundrechten zuwiderlaufen. Auch kann die Gegenansicht nicht erklären, welchen Sinn es hat, Freiheitsrechte m i t unterschiedlichen Beschränkungsmöglichkeiten zu normieren, wenn jedes Freiheitsgrundrecht i n demselben Umfange dem Verfassungsvorbehalt des A r t . 2 1 2 . Halbsatz GG unterworfen wäre. Es w i r d in diesem Zusammenhang zu Recht deutlich gemacht, daß das differenziert geregelte System der Grundrechtsbeschränkungen eine rechtserhebliche Aussage des Grundgesetzes darstellt 1 7 und der Interpret nicht ohne Not die abgestufte Vorbehaltstechnik des Grundgesetzes hinsichtlich der Grundrechtsschranken nivellieren darf 1 8 . Die Verfassung läßt folglich den Schluß zu, daß Art. 2 I GG und damit auch sein Verfassungsvorbehalt dann nicht anwendbar ist, wenn ein Spezialgrundrecht tatbestandsmäßig einschlägig ist. Auch die oben skizzierte Position Dürigs vermag nicht zu überzeugen. Entweder werden die Schranken des A r t . 212. Halbsatz GG unmittelbar i m Wege der systematischen Interpretation auf die übrigen Grundrechte erstreckt, oder sie können auch nicht mehr als Hilfsgesichtspunkte für Grundrechtseinschränkungen herangezogen werden. Müller begründet dies damit, daß Dürigs Konzeption jeglicher verfassungsrechtlichen Grundlage entbehrt 1 9 und angesichts der „durchgearbeiteten Abstufungstechnik des Grundgesetzes" nicht vorhandene Grundrechtsschranken unterstellt 2 0 . Entscheidend aber dürfte der Einwand sein, daß is BVerfGE 6, 32 (37); zur Anwendung des A r t . 2 1 2 . Halbsatz GG auf A r t . 9 I I I GG vgl. auch BVerfGE 19, 303 (314 u n d 320 f.); dem B V e r f G folgend B A G A P Nr. 10 zu A r t . 9 GG. ie So ausdrücklich BVerfGE 30, 173 (192). ι 7 So Dürig i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 21, Rdn. 69. ι» Vgl. Böckenförde / Greifenhagen, JuS 1966, S. 363; Dürig i n : M a u n z / D ü r i g / Herzog, A r t . 2 I, Rdn. 69; zu dem Problemkreis vgl. weiter Stein, S. 262 f. ; Ridder / Stein, DÖV 1962, S.365; Knies, S. 85 ff. u n d 103 ff. i» Müller, F., Die Positivität der Grundrechte, B e r l i n 1969, S. 15 m. w . Nachw. 20 Müller, Positivität, S. 15. 5*
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V I . Die Vorbehaltsfrage i m Rahmen des A r t . 9 I I I G G
immanente Schranken nicht bereits deshalb rechtlich existent sind, w e i l — so offenbar Dürigs Vorstellung — A r t . 2 1 2 . Halbsatz GG eine verfassungsrechtliche Interpretationsermächtigung zur Setzung derartiger Begrenzungen enthält; vielmehr setzt die Interpretationsermächtigung die Existenz der Begrenzung voraus, schafft sie aber nicht selbst 21 . Insoweit ist das Auffinden immanenter Grundrechtsschranken von der Schrankentrias des A r t . 2 1 GG unabhängig und insoweit eine Anknüpfung an A r t . 2 1 2 . Halbsatz GG hier entbehrlich. 3. „Allgemeines Gesetz" als Schranke der Kommunikationsgrundrechte Z u erwägen ist, ob die Schranke der „allgemeinen Gesetze" i n A r t . 5 I I GG über ihren auf A r t . 5 I GG unmittelbar begrenzten Wirkungsbereich hinaus auf andere Grundrechte ausdehnend angewendet werden könnte. So vertritt Lerche die Auffassung, daß die Schrankenordnung des A r t . 5 I I GG nicht auf die Meinungsfreiheit als solche beschränkt sein könne, vielmehr die „allgemeinen Gesetze" die typische Schranke jeder Kommunikationsfreiheit bilde 2 2 . Art. 5, 8 und 9 GG schließen sich als Grundrechte kommunikativer Natur „zu einem Komplex sachlich verwandter Freiheitsgarantien zusammen" 23 . Wenn aber — so führt Lerche aus — die so verwandten Grundrechtsgehalte „auf einer identischen Gewährleistungsidee" beruhen, „so müssen sie auch einem einheitlichen Schrankenverständnis eröffnet sein" 2 4 . Dies folge auch — wie Scholz deutlich macht — daraus, daß A r t . 5 I Satz 1, 8 und 9 GG wesentlich die Form der Meinungsfreiheit als kommunikatives Ausübungsmittel garantiere; diesem primär formalen Wesen der Kommunikationsgrundrechte müsse eine formale Schrankenordnung, nämlich die des A r t . 5 I I GG, entsprechen 25 . Der so gezogene Schluß von der gemeinsamen kommunikativen Struktur auf eine Identität der Freiheitsschranken ist nicht ohne weiteres einsichtig. Die Anwendung des Schrankenvorbehalts des A r t . 5 I I GG auf die vorbehaltlos gewährleisteten Kommunikationsgrundrechte wie A r t . 4, 5 I I I und 8 GG 2 6 w i r d der Bedeutung dieser Grundrechte, 21 So deutlich Knies, S. 106 f. 22 Lerche, Zentralfragen, S. 35; ders. i n : Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, I V , 1, S. 479. 23 Lerche, Zentralfragen, S. 35 f. 24 Lerche, Zentralfragen, S. 36. 25 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 340 ff.; vgl. allgemein zur Schranke des allgemeinen Gesetzes als generaler Schrankenvorbehalt Haberle, Die Wesensgehaltsgarantie des A r t . 19 I I GG, 2. Aufl., Karlsruhe 1972, S. 31 ff.; Bettermann, Grenzen der Grundrechte, B e r l i n 1968, S. 26 f. 26 Bei Versammlungen i n geschlossenen Räumen, A r t . 8 I I .
3. „Allgemeines Gesetz" als Grundrechtsschranke
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welche sie gerade durch die vorbehaltlose Gewährleistung erfahren, nicht gerecht. Auch hier wieder ist man versucht, unterschiedliche positiv-normierte Grundrechtsschranken dadurch zu nivellieren, daß einem speziellen Grundrechtsvorbehalt generelle Bedeutung beigemessen wird27. Selbst wenn man über diese Bedenken hinwegsähe, käme es entscheidend darauf an, was unter dem Begriff der „allgemeinen Gesetze" als generale Kommunikationsgrundrechtsschranke zu verstehen ist. Bekanntlich w a r 2 8 und ist der Begriff der „allgemeinen Gesetze" i. S. d. A r t . 5 I I GG umstritten. Die lang anhaltende Kontroverse hat gezeigt, daß es keine Patentformel gibt, so daß alle Umschreibungen des Begriffs nicht ohne Ausnahme auskommen oder an Unklarheit leiden 2 9 . Letztlich geht es darum, ob eher einem materialen oder einem formalen Begriffsverständnis der Vorzug zu geben ist. Das materiale Begriffsverständnis knüpft an die materiale Allgemeinheit der Verfassung an 3 0 , indem nur die Gesetze als „allgemein" bezeichnet werden, die von der Verfassung gegenüber dem betreffenden Grundrecht als gleich- bzw. höherwertig ausgewiesen sind 3 1 . Das einzuschränkende Grundrecht darf also nur zum Schutze von verfassungsrechtlich gleich- oder höherwertigen Rechtsgütern beschränkt werden; i n diesem Merkmal liegt nach dieser Auffassung die „Allgemeinheit" des Gesetzes. Diese Lehre sucht die Lösung also ausschließlich auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Güterabwägung und ist damit i m Ergebnis nichts anderes als die von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes praktizierte Methode, immanente Grundrechtsschranken durch eine Güterabwägung auf Verfassungsebene zu konkretisieren. U m zu diesem Ergebnis für A r t . 9 I I I GG zu kommen, bedarf es jedoch nicht des Umwegs über A r t . 5 I I GG: Zur Einschränkbarkeit des A r t . 9 I I I GG bedarf es keiner ausdrücklichen Eingriffsermächtigung, da anerkannt ist, daß auch vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte (immanenten) Schranken unterliegen, so daß die Frage der Einschränkbarkeit des A r t . 9 I I I GG nicht davon abhängt, ob nun der Vorbehalt des A r t . 5 I I GG auf A r t . 9 I I I GG Anwendung findet oder nicht. Auch vermag das materiale Begriffsverständnis keine eigenen Kriterien für das zulässige Maß der Einschränkbarkeit des Grundrechts an die Hand 27 Ebenso: Wiedemann , R d A 1969, S. 330; Däubler, Der Streik i m öffentlichen Dienst, 2. Aufl., Tübingen 1971, S. 85 f. 28 Der Begriff der „allgemeinen Gesetze" w a r schon i n der Weimarer Zeit unter der Geltung des A r t . 1181 S. 1 W R V umstritten; vgl. dazu ausführlich Herzog i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 5, Rdn. 242 u n d 243, sowie v.Münch, Grundgesetz-Kommentar I, A r t . 5, Rdn. 47. 29 v. Münch, Grundgesetz-Kommentar I, A r t . 5, Rdn. 48. so Smend, W D S t R L 4, S. 52. s1 Smend, W D S t R L 4, S. 51 ff.; Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, S.32.
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V I . Die Vorbehaltsfrage i m Rahmen des A r t . 9 I I I GG
zu geben, sondern verweist auf die Werteordnung des Grundgesetzes 32 , aus der die Schranken zu entnehmen sind. M i t dieser Feststellung hingegen ist nicht viel gewonnen. Es ist wieder der Ausgangspunkt erreicht, von dem aus jede Suche nach den Schranken vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte beginnt; der Umweg über die „allgemeinen Gesetze" des A r t . 5 I I GG bleibt so fruchtlos. Die Auslegung, die die herrschende Meinung dem Begriff der „allgemeinen Gesetze" angedeihen läßt, zeichnet sich dadurch aus, daß ein formaler Aspekt i n die Begriffsklärung eingebracht wird. Allgemeine Gesetze sollen nur solche Normen sein, die sich nicht gezielt gegen das Schutzgut des Grundrechts wenden, sondern dieses nur reflexiv treffen 3 3 . Für den Bereich des A r t . 5 I I GG w i r d als weitere (materiale) Voraussetzung gefordert, daß das vom eingrenzenden Gesetz geschützte Rechtsgut an Gewicht und Bedeutung der Meinungsfreiheit vorgehe 34 . Die Besonderheit der (mehr) formalen Auslegung liegt also darin, daß das allgemeine Gesetz sich nicht gegen das Schutzgut des jeweiligen Grundrechts selbst richten darf; m. a. W. es darf keinen „Eingriffscharakter" 3 5 tragen. Damit w i r d an eine Unterscheidung zwischen Eingriffsgesetzen und reflexiv beschränkenden Gesetzen angeknüpft, eine Unterscheidung, die i n letzter Zeit fragwürdig wurde. Die Vorstellung, daß Finalität den Eingriff kennzeichne und mangelnde Zielgerichtetheit i h n ausschließe, gehörte zwar lange Zeit zum dogmatischen Grundbestand der Eingriffslehre, die insbesondere i m Enteignungsrecht relevant ist 3 6 . Sowohl für die „klassische" Enteignung als auch (ursprünglich) für den enteignungsgleichen Eingriff forderte man einen gezielten Eingriff 3 7 . Die jüngere Rechtsprechung des B G H hingegen verzichtet 32
So beispielsweise Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, S. 33. So die Rechtsprechung zu A r t . 511 GG, BVerfGE 7, 198 (209 f.), w o es heißt: Unter den Begriff des allgemeinen Gesetzes fallen alle Gesetze, „die nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, die vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen, dem Schutz eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat". Die L i t e r a t u r schloß sich dieser Auslegung weitgehend an, vgl. beispielsweise Maunz, Deutsches Staatsrecht, 20. Aufl. München 1975, S. 128; v.Münch, Grundgesetz-Kommentar I, A r t . 5, Rdn. 48; Lerche, Zentralfragen, S. 36, 47 ff.; v. Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. I, S. 250 ff.; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Kommentar zum Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., Neuwied—Berlin 1973, A r t . 5, Rdn. 12; Wernicke i n : Kommentar zum Bonner Grundgesetz, A r t . 5, I I , 2, b ; Hesse, S. 163. 34 Vgl. dazu BVerfGE 7,198 (209 f.) u n d die i n der vorangegangenen Fußnote zitierten Literaturstimmen. 35 So ausdrücklich Lerche, Zentralfragen, S. 47. 36 Vgl. dazu Rüfner i n : Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 389 f.; Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I , 9. Aufl., München 1974, S. 537 und auch Lerche, Zentralfragen, S. 47 f. " So noch Β G H Z 23, 235 (240). 33
4. A r t . 9 I I GG als Grenze der Koalitionsfreiheit
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auf dieses Erfordernis und ersetzte das Merkmal der „Finalität" durch das schwer abzugrenzende K r i t e r i u m der „Unmittelbarkeit" 3 8 . Die moderne Dogmatik geht schrittweise dazu über, die bisherige Differenzierung zugunsten einer mehr „funktionalen Eingriffssicht" aufzugeben. Diese Abkehr vom traditionellen Eingriffsbild hat gute Gründe. Es hat sich gezeigt, daß nicht immer der finale oder der reflexive Charakter eines Gesetzes zweifelsfrei bestimmbar ist. Darüber hinaus — und das erscheint besonders wichtig — kommt man zu der Erkenntnis, daß nicht nur durch finale, sondern auch durch reflexive Berührungen erhebliche Grundrechtsbeeinträchtigungen eintreten können 3 9 , m. a. W. die Schwere der Grundrechtsbeeinträchtigung ist davon unabhängig, ob eine gezielte oder reflexive Einwirkung vorliegt. Diese Erkenntnis fordert eine funktionale Eingriffssicht, die nicht mehr i n vordergründiger Begrifflichkeit verharrt (final-reflexiv), sondern den Eingriffsbegriff auf die Substanz des jeweils Gewährleisteten bezieht 40 . Nicht der finale bzw. der reflexive Charakter entscheidet über das Vorliegen eines Eingriffs, sondern die Tatsache, daß (faktisch) überhaupt eine Grundrechtsbeeinträchtigung vorliegt. Muß man so von der überkommenen Eingriffsvorstellung abrücken, so ist auch die Qualifizierung eines Gesetzes als „allgemein", weil reflexiv wirkend, nicht mehr haltbar. Vielmehr reduziert sich der Begriffsinhalt dann wie beim materialen Begriffsverständnis auf das verbleibende Merkmal der „Höherwertigkeit". Bleibt so auch hier nur noch die Güterabwägung übrig, ist die Anknüpfung an das allgemeine Gesetz aus den eben schon bezeichneten Gründen entbehrlich. Damit ergibt sich insgesamt, daß der Auffassung, die Schranke der allgemeinen Gesetze i n A r t . 5 I I GG würden auch für A r t . 9 I I I GG W i r k k r a f t haben, nicht gefolgt werden kann. Wenn man schon externe Schrankenregelungen auf A r t . 9 I I I GG anzuwenden gewillt ist, liegt es wohl verfassungssystematisch näher zu prüfen, ob die für die allgemeine Vereinigungsfreiheit geltenden Schranken des A r t . 9 I I GG auch auf die nachfolgende Koalitionsfreiheitsgarantie Anwendung finden können. 4. Art. 9 I I GG als Grenze der Koalitionsfreiheit A r t . 9 I I G G e r k l ä r t V e r e i n i g u n g e n , „ d e r e n Z w e c k oder d e r e n T ä t i g k e i t d e n Strafgesetzen z u w i d e r l a u f e n oder d i e sich gegen d i e v e r f a s se Vgl. dazu ausführlich Rüfner
i n : Erichsen / Martens, Allgemeines V e r -
waltungsrecht, S. 389 f. 3® Darauf weist Lerche, Übermaß u n d Verfassungsrecht, S. 114, hin. Vgl. dazu ausführlich Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen i m Bereich der Grundrechte, B e r l i n 1970, S. 41 ff., 51 ff. 40 Vgl. Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 72.
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V I . Die Vorbehaltsfrage i m Rahmen des A r t . 9 I I I GG
sungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten", für verboten. Die Frage, ob diese die allgemeine Vereinigungsfreiheit des A r t . 9 I GG begrenzende Schranke ebenfalls für die Koalitionsfreiheitsgarantie des A r t . 9 I I I GG rechtliche Geltung beansprucht, w i r d trotz des bislang noch ungeklärten Verhältnisses des Abs. I I I zu Abs. I I 4 i i m allgemeinen bejaht 4 2 . I m vorliegenden Zusammenhang kommt nur der Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung Bedeutung zu. Versteht man unter verfassungsmäßiger Ordnung wie bei A r t . 2 I GG die Gesamtheit aller formell und materiell verfassungsgemäßen Rechtsnormen 43 , so liefe die Anerkennung der Schranke des A r t . 9 I I GG auf das nachfolgende Grundrecht auf eine weitgehende unkontrollierte Relativierung der Koalitionsfreiheitsgarantie hinaus 4 4 . Unter verfassungsmäßiger Ordnung i. S. d. A r t . 9 I I GG sind aber n u r die elementaren Verfassungsgrundsätze zu verstehen 45 , die den Ordnungsprinzipien der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung" i m Sinne der A r t . 18, 21 I I Satz 1 GG entsprechen 46 . Nur gegen diese grundlegenden Konstitutionsprinzipien unserer Staatsverfassung darf die Koalitionsbetätigung nicht verstoßen. Diese Schranke eröffnet dem Staat eine Interventionsmöglichkeit also erst dann, wenn die tarifliche Datensetzung die Grundfeste des Staates zu zerstören drohte. I m vorliegenden Zusammenhang geht es jedoch nicht um diese Ausnahmesituation, sondern vielmehr um den „tarif politischen Normalfall", bei dem durch die Tarifdatensetzung zwar nicht die grundlegenden Ordnungsprinzipien unseres Staatswesens tangiert werden, w o h l aber u. U. das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gefährdet werden kann. Ob es i n diesem Fall verfassungsrechtlich möglich ist, die Koalitionen an das wirtschaftliche Gemeinwohl zu binden, vermag die restriktiv auszulegende Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung" i. S. d. A r t . 9 I I GG nicht zu beantworten. Es ist deshalb angezeigt, weitere Schrankenmöglichkeiten zu untersuchen.
Einerseits w i r d vertreten, A r t . 9 I I I G G sei n u r ein Sonderfall des A r t . 9 I GG, andererseits w i r d geltend gemacht, A r t . 9 I I I G G sei ein gegenüber A r t . 9 I GG selbständiges Grundrecht; vgl. dazu v. Münch i n : K o m m e n tar zum Bonner Grundgesetz, Zweitbearbeitung, J u n i 1966, A r t . 19, Rdn. 117, m. w. Nachw. 42 Vgl. ebd., A r t . 9, Rdn. 171; Däubler, S.86; Hesse, S. 170; Nikisch, S.27f.; Maunz i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 9, Rdn. 123; v. Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, I , A r t . 9 A n m . V I I ; ablehnend: Schmidt, N J W 1965, S. 426 u n d Hamann / Lenz, A r t . 9, A n m . A 3. 43 Vgl. BVerfGE 6, 32 (37). 44 So auch die entsprechende Befürchtung v o n v.Zezschwitz, D B 1973, S.1440. 4« BVerfGE 6, 38. 4® Vgl. v. Münch, Kommentar zum Bonner Grundgesetz, A r t . 9 I I I , Rdn. 172; Maunz i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 18, Rdn. 47; BVerfGE 1, 184 (186).
5. Die Rechtsmißbrauchsschranke
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5. Die Rechtsmißbrauchsschranke Die Lehre vom Rechtsmißbrauch könnte als immanente, die vorbehaltlosen Grundrechtsgewährleistungen einschränkende Grenze i n Betracht kommen. Nicht nur i n der zivilrechtlichen Theorie und Praxis ist die Mißbrauchslehre anerkannt 4 7 , sie ist auch i n ihren Grundzügen m i t dem Treu- und Glaubensprinzip i n das öffentliche Recht übernommen 4 8 und damit der Anwendung auf die Grundrechte zugänglich gemacht worden 4 9 . Würde eine mißbräuchliche Grundrechtsausübung i m Einzelfall festgestellt werden, so läge darin eine Überschreitung der Grundrechtsgrenzen, die die staatliche Mißbrauchswehr auf den Plan riefe. I h r gegenüber könnte sich der Grundrechtsträger dann nicht mehr auf den Schutz der mißbrauchten Grundrechtsverbürgung berufen 5 0 . Unter Rechtsmißbrauch w i r d — allgemein i n allen Rechtsdisziplinen — eine zweckfremde, funktionswidrige Ausübung eines Rechts verstanden, die vom Inhalt des Rechts nicht mehr gedeckt ist und daher eine nur scheinbare Rechtsausübung, i n Wahrheit einen Verstoß gegen dessen immanente Schranken und damit ein Handeln ohne Recht darstellt, das keinen Rechtsschutz verdient 5 1 . Dieser Begriffsbestimmung zufolge liegt der Mißbrauch maßgeblich i m zweck- bzw. funktionswidrigen Gebrauch des Grundrechts. U m die Rechtsmißbrauchsgrenze für die Koalitionsbetätigung zu bestimmen, bedarf es also der Aufdeckung des Zwecks und damit der Funktionsbestimmung des A r t . 9 I I I GG. Damit stellt diese Mißbrauchsbegrenzung methodisch nichts anderes dar, als die Anwendung der teleologischen Interpretationsmethode i m Gewände einer „eigenständigen" Begrenzungslehre. Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des zweck- bzw. funktionswidrigen Grundrechtsgebrauchs müßte die bereits oben untersuchte Ziel- und Zweckbestimmung („Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen") sein 52 . Jedoch zeigte sich die Weite und 4 7 Latenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 1. Bd., Allgemeiner Teil, 11. Aufl. München 1976, S. 112. 48 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I , Allgemeiner Teil, 10. Aufl., München 1973, S. 169 ff.; Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I , S. 297 f. 49 F ü r die Anwendung des Mißbrauchsgedankens auf die Grundrechte: Gallwas, Der Mißbrauch von Grundrechten, B e r l i n 1967, S. 17 ff.; Lerche, Ubermaß u n d Verfassungsrecht, S. 117 f. m i t Fußn. 73 a; v.Zezschwitz, DB 1973, S. 1441 m i t Fußn. 67; w o h l auch Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 147, u n d i m Grundsätzlichen zustimmend BVerfGE 12, 1 (4f.); ablehnend: v. Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. I, S. 535; Hamann/Lenz, A r t . 18, A n m . Β 2. Vgl. Gallwas, Mißbrauch, S. 99 ff. 51 Vgl. statt aller zu dieser Begriffsbestimmung Schmitt-Glaeser, Mißbrauch u n d V e r w i r k u n g von Grundrechten i m politischen Meinungskampf, Bad Homburg v. d. H.—Berlin—Zürich 1968, S. 133 m i t umfangreichen Nachweisen. 52 Siehe oben V, 4, a).
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V I . Die Vorbehaltsfrage i m Rahmen des A r t . 9 I I I GG
Offenheit dieser Funktionsgarantie, so daß eine abschließende Klärung der den Koalitionen zuzuordnenden Tätigkeitsbereiche nicht gelang. Genausowenig dürfte i h r zu entnehmen sein, ob die Tarifpartner von ihrem Koalitionsrecht bereits einen zweck- und funktionswidrigen Gebrauch machen, wenn sie beispielsweise Lohnerhöhungen vereinbaren, die die Preissteigerungsraten oder die Produktivitätszuwachsmargen übersteigen und damit die Verteilungsquote zugunsten der Arbeitnehmer verändern, aber zugleich weitere Preiserhöhungen und damit eine Gefährdung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts riskieren. Eine Verbesserung der Lohnbedingungen oder der Lohnquote ist zunächst einmal von der Zweckbestimmung „Förderung der Arbeitsbedingungen" gedeckt. Die Frage aber, ob, m i t welcher Begründung und i n welchem Umfang die Tarifdatensetzung durch das Gemeinwohl bzw. durch die Erfordernisse der Erhaltung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts begrenzt ist, erschließt sich — wenn überhaupt — w o h l nur schwer aus einer Analyse der Funktionsgarantie des A r t . 9 I I I GG. Vielmehr sollen i n dieser Arbeit andere verfassungsrechtliche Aspekte zur Lösung dieser Frage herangezogen werden. Auch die Mißbrauchskonkretisierung von Gallwas, wonach eine Grundrechtsausübung dann mißbräuchlich ist, wenn Interessen verletzt werden, die durch eine höherrangige Verfassungsnorm, durch eine vorverfassungsrechtliche Grundidee oder durch einen überpositiven Rechtsgedanken objektiv erkennbar geschützt sind, h i l f t nicht viel weiter 5 3 . Was die erste Alternative dieser allgemeinen Grundrechtsmißbrauchsdefinition betrifft, handelt es sich evident um nichts anderes als um eine Güterabwägung auf Verfassungsebene. Damit ist auch hier ein Prinzip angesprochen, dessen sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit längerer Zeit bedient, um Grundrechtskollisionen zu lösen 54 . Die zweite Alternative, i n der auf eine vorverfassungsrechtliche Grundidee Bezug genommen wird, erscheint recht zweifelhaft, da bei der Abwägung verschiedener Interessen nur solche Grundideen berücksichtigt werden können, die selbst auch der Verfassung entnommen werden, da auch die vorverfassungsrechtliche Grundidee — zumindest mittelbar — i n der Verfassung Anklang gefunden haben muß. Insoweit handelt es sich letztlich auch dann wieder um eine Güterabwägung auf Verfassungsebene. Auch der Verweis i n der dritten Alternative auf überpositive Rechtsgedanken bringt keine brauchbaren Lösungen, da — zunächst einmal — die schwierige naturrechtliche Erkenntnisproblematik einem klaren verwertbaren Ergebnis i m Wege steht. 53 Gallwas, Mißbrauch, S. 35. 54 Grundlegend BVerfGE 28, 243 ff. u n d 30, 173 ff.
6. Bundesverfassungsgericht u n d Stellungnahme
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So gesehen ist die Anwendung der Mißbrauchslehre auf die Grundrechte des Grundgesetzes hermeneutisch nichts anderes als ein besonderer Fall der teleologischen Interpretation und insoweit nicht geeignet, eine eigenständige Immanenzlehre zu begründen.
6. Die Immanenzlehre des Bundesverfassungsgerichts und Stellungnahme Das Bundesverfassungsgericht hat i n drei neueren Entscheidungen zum Schrankenproblem vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte Stellung genommen. I m Mittelpunkt der Ausführungen steht jeweils die Feststellung, daß der vorbehaltlosen Gewährleistung einiger Grundrechte die Bedeutung zukomme, daß die Grenzen dieser „vorbehaltlosen" Freiheitsgarantie nur von der Verfassung selbst bestimmt werden könnten 5 5 . Sie dürften weder durch die allgemeine Rechtsordnung noch durch eine unbestimmte und damit rechtsstaatswidrige Klausel relativiert werden, die sich auf keinen verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt stützen läßt. Konflikte zwischen Rechtsgütern könnten — so das Bundesverfassungsgericht — nur nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems durch Verfassungsauslegung gelöst werden 5 6 . Dabei w i l l das Bundesverfassungsgericht Konflikte durch Güterabwägung lösen, also jeweils ermitteln, welche Verfassungsnorm für die konkret zu entscheidende Frage das höhere Gewicht hat. Der als schwächer erachtete Grundrechtswert dürfe jedoch nur soweit begrenzt werden, wie es logisch und systematisch zwingend erscheine; der sachliche Grundwertgehalt der zurückgedrängten Norm müsse auf jeden Fall beachtet werden 5 7 . Richtig an dieser Position erscheint, daß der vom Grundgesetzgeber intendierte erweiterte Schutz vorbehaltloser Gewährleistungen nicht dadurch unterlaufen werden darf, daß irgendwelche beliebigen, insbesondere nicht verfassungsrechtlich legitimierten Zielvorstellungen den konfliktentscheidenden Maßstab für die Verkürzung der Grundrechtsposition bilden können. Deshalb ist erforderlich, daß die Grenzen vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte auch nur aus dem Normengefüge entnommen werden, aus dem das einzuschränkende Recht selbst stammt, nämlich aus der Verfassung. Die i n der Verfassung geschützten Rechtsgüter und die i n ihr zum Ausdruck gekommenen Rechtsprinzipien 55 BVerfGE 28, 243 (260 f.) zu A r t . 4 I I I Satz 1 GG; BVerfGE 30, 173 (192 f.) zu A r t . 4 I I GG; BVerfGE 32, 98 (108) zu A r t . 5 I I I Satz 1 GG. m BVerfGE 30, 173 (193); 32, 98 (108). 57 BVerfGE 28, 243 (261).
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. Die Vorbehaltsfrage i m Rahmen des A r t . 9 I I I GG
und sonstigen Rechtsgehalte können i m Rahmen interpretativer Entfaltung jedem Freiheitsrecht legitime Grenzen setzen, da der Grundsatz der Einheit der Verfassung verlangt, daß die i n der Verfassung enthaltenen Rechtswerte i m Zusammenhang gesehen werden und deshalb nie nur auf die einzelne Norm, sondern immer auch auf den Gesamtzusammenhang, auf die Interdependenz der einzelnen verfassungsrechtlichen Elemente abzustellen ist 5 8 . Dazu gehört auch, daß ein Rechtsgut nicht völlig zurückgedrängt werden darf; vielmehr muß i m Rahmen und m i t Hilfe der Verfassungsinterpretation versucht werden, beiden Rechtswerten so weit wie möglich Rechnung zu tragen. Eventuelle Widersprüche sind so aufzulösen, daß die grundrechtlich geschützten Rechtswerte optimal verwirklicht werden; die Gegensätze und Spannungslagen sind jeweils so auszugleichen, daß die grundrechtlich geschützten Interessen allseitig gewahrt werden; die relative Wirksamkeit der beteiligten Rechtsinteressen muß sichergestellt sein. Es handelt sich also nach Verfahren und Ergebnis u m die Optimierung 59 von Verfassungswerten. Ob man nun dieses „interpretative Optimierungsverfahren" methodisch als „Güterabwägungsprinzip" i m Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezeichnet 60 oder dem Prinzip der praktischen Konkordanz i m Sinne Hesses den Vorzug gibt 6 1 , kann so lange unbeachtlich bleiben, wie man sich i m Ergebnis darüber einig ist, daß die Beschränkung verfassungsrechtlich verbürgter schrankenlos gewährleisteter Freiheitsrechte nur durch und i m Rahmen einer Verfassungsinterpretation möglich ist. Die Verfassung selbst ist ausschließlicher Ausgangspunkt und zugleich Maßstab für die Grenzziehung; die Interpretation h i l f t sie zu aktualisieren und zu konkretisieren. Die Schranken der durch A r t . 9 I I I GG gewährleisteten autonomen Lohnfestsetzung sind also nur durch die Verfassung selbst zu bestimmen. Nur durch sie allein kann eine Beschränkung der verbandsmäßigen Lohngestaltung rechtliche Legitimität erhalten. Aber auch der demokratische Gesetzgeber, dem die rechtliche Gestaltung der Lebens V e r h ä l t n i s s e ja i n erster Linie auf getragen ist, hat das Recht, konfliktentscheidend tätig zu werden 6 2 . So ist es i h m auch m Vgl. dazu Hesse, S. 28 m. w . Nachw. 59 Vgl. zu diesem Optimierungsverfahren Rüfner i n : Bundesverfassungsgericht u n d Grundgesetz, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, I I . Band, Verfassungsauslegung, Tübingen 1976, S. 466 f.; Grabitz, Freiheit u n d Verfassungsrecht, Tübingen 1976, S. 65 f. 60 Vgl. die entsprechende Leitentscheidung i n BVerfGE 28, 243 (260 f.) u n d die kritische Besprechung der Entscheidung von Kempen, J Z 1971, S. 452 f.; vgl. w e i t e r h i n ablehnend Müller, F., Positivität, S. 47. ei Hesse, S. 28 f. e2 Vgl. zu dieser Konfliktlösungskompetenz Lerche, Übermaß u n d V e r -
6. Bundesverfassungsgericht u n d Stellungnahme
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nicht verwehrt, die immanenten Schranken der Koalitionsbetätigungsgarantie durch Gesetz aufzuzeigen und damit die nach seiner Ansicht entscheidenden Gesichtspunkte für die Schrankenziehung zu verdeutlichen. Es ist jedoch stets erforderlich, daß diese Konfliktlösungsnorm dem von der Verfassung vorgezeichneten Lösungsrahmen nicht widerspricht. Denn die legislative Gestaltungsfreiheit findet ihre Grenze dort, wo die Verfassung die konkrete gesetzliche Konfliktlösung nicht deckt. Wenn i n dieser Arbeit die Frage gestellt wird, ob eine Verpflichtung der Tarifdatensetzung auf das „Gemeinwohl" bzw. das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zulässig ist und ob die Wirksamkeit eines Tarifvertrages von der Einhaltung eben dieser Verpflichtung abhängig gemacht werden kann, bedeutet dies, daß nach verfassungsrechtlichen Ansatzpunkten zur Rechtfertigung einer Beschränkung der Tarifautonomie i n lohnpolitischer Sicht gesucht werden muß.
fassungsrecht, S. 130 ff.; u n d neuerdings Rüfner i n : Bundesverfassungsgericht u n d Grundgesetz, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, I I . Bd. S. 472 f. m. w. Nachw.
V I I . Gemeinwohlbindung der Koalitionen im Spiegel der Meinungen Ist nun der Rechtsrahmen abgesteckt, an dem sich die Limitierung der Koalitionsfreiheit zu orientieren hat, ergibt sich nun die Frage, ob die weit verbreitete und i n der politischen Diskussion regelmäßig wiederkehrende These von der Gemeinwohlverpflichtetheit der durch A r t . 9 I I I GG geschützten Berufsverbände lediglich ein politisch-faktisches Disziplinierungsinstrument, eine bar jeder rechtlichen Bindung „moralische Kategorie" 1 darstellt, oder ob eine Gemeinwohlbindung als verfassungsrechtlich begründbare Rechtspflicht der Koalitionsfreiheit Schranken zu setzen imstande ist. Es geht hier nicht um die Anwendung einer generalen, also alle Grundrechtsträger verpflichtende Gemeinwohlschranke 2 , sondern darum, ob speziell die Tarifdatensetzung i m Hinblick auf ihre spezifischen (verfassungsrechtlichen) Charakteristika gemeinwohlgebunden ist. Während i m staats- und verfassungsrechtlichen Bereich der Begriff des Gemeinwohls von grundlegender Bedeutung ist, ja sogar die Gemeinwohlverpflichtung als tiefgehendste Legitimation der politischstaatlichen Ordnung und letztlich als i h r oberstes Ziel verstanden w i r d 3 , ist die Frage, ob die nichtstaatlichen tarifautonomen Entscheidungsträger, also die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände, dem gemeinen Wohl verpflichtet sind, Gegenstand politischer und wissenschaftlicher Kontroversen. Die Palette der Meinungen reicht von der kategorischen Ablehnung jeder Gemeinwohlverpflichtung über ihre Bejahung als immanente Grenze der Tarif autonomie bis h i n zu der These, daß die Sozialpartner das Gemeinwohl selbst definierten.
1 So beispielsweise Radke i n : Festschrift f ü r Otto Brenner zum 60. Geb., F r a n k f u r t a. M. 1967, S. 149. 2 Eine derartige undifferenzierte A n w e n d u n g einer Gemeinwohlklausel ist mangels einer rechtstheoretischen Begründbarkeit abzulehnen. Es kann lediglich n u r d a r u m gehen, i m Einzelfall aus der Verfassung abzuleiten, ob ein bestimmter Grundrechtsträger gemeinwohlgebunden ist. 3 Henkel, Einführung i n die Rechtsphilosophie, München—Berlin 1964, S. 447 ff.; vgl. auch Rupp i n : W o h l der Allgemeinheit u n d öffentliche I n t e r essen, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 39, B e r l i n 1968, S. 116; Häberle, öffentliches Interesse als juristisches Problem, B a d Homburg v. d. H. 1970, S. 46 ff. u n d 206 ff.; BVerfGE 12, 354 (364).
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e e r
einer Gemeinwohlbindung
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1. Gegner einer Gemeinwohlbindung Die Tarifpartner selbst wenden sich entschieden gegen eine rechtlich verbindliche Gemeinwohlverpflichtung. I n einer Stellungnahme des Arbeitgeberverbandes betonte Eichier 4 , zwar sei schrankenlose Freiheit i n der tariflichen Normsetzung m i t demokratischer Ordnung nicht vereinbar; „eine Tarifpolitik, die, unbekümmert u m das Gemeinwohl, nur u m ihrer selbst w i l l e n betrieben w i r d " , müsse i n der öffentlichen Meinung auf allgemeine Ablehnung stoßen. Gleichwohl aber könne eine rechtliche Gemeinwohlbindung nicht i n Betracht kommen, da — so Eichler — die Definition des Begriffs „Gemeinwohl" nicht eine wissenschaftliche Aufgabe sei, sondern der Begriff nur von der politischen Mehrheit eines Volkes ausgedeutet werden könne. Es gebe, so führt er aus, „hier keine objektive Wahrheit, sondern nur ein politisches Ringen u m unterschiedliche Ziele, von denen man eines — die ,gerechte' Ordnung von Löhnen, Gehältern und sonstigen Arbeitsbedingungen — aus gutem Grund i n einer Demokratie der Autonomie der beiden Sozialparteien" überlasse 5 . Auch die Gewerkschaften sprechen sich gegen eine Bindung aus, da sie die Tarifautonomie durchlöchern und möglicherweise praktisch aufheben könne 6 . Da der Staat die Tarifpolitik bewußt auf die Verbände übertragen habe, seien die Koalitionen legitimiert, i n eigener Zuständigkeit verbindliche Rechtsnormen zu schaffen 7 . Bereits i n der Einführung durchschnittlicher Lohndaten i n der Konzertierten A k t i o n könne eine Einengung der Tarifautonomie gesehen werden, obwohl diese Daten unverbindlich seien 8 . Eine kompromißlose Extremposition n i m m t Helmut Lenz9 ein. Für ihn ist der Gemeinwohlbegriff weder in marktwirtschaftliche Kategorien einzuordnen, noch habe er i n den normativen Kategorien des Verfassungsrechts einen methodengerechten Platz 1 0 . Er meint, das Ideal eines jenseits der Gruppeninteressen stehenden überparteilichen Gemeinwohls sei eine metapolitische und metarechtliche Illusion 1 1 . Daraus folge, daß das Grundgesetz aufhören müsse, Verfassung zu sein, wenn konkrete Rechtspflichten nicht mehr aus seinem normativen Bestand, sondern aus dem Gemeinwohl deduziert werden könnten 1 2 . Andernfalls 4 δ β 7 β
Der Arbeitgeber, 1969, S. 431. Eichler, Der Arbeitgeber, 1969, S. 431. Tacke, Der Arbeitgeber, 1969, S.461. Ebd., S. 461. Mayr, Der Arbeitgeber, 1969, S. 466. 9 Lenz i n : Gesellschaft, Recht u n d Politik, Abendroth-Festschrift, Neuwied 1968, S. 213 ff. Ebd., S. 218. u Ebd., S. 218. 12 Ebd., S. 218.
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V I I . Gemeinwohlbindung der K o a l i t i o n i m Spiegel der Meinungen
— so führt er aus — verließe man die Dimensionen normativ-rechtsstaatlichen Denkens und greife i n das Gedankengut autoritärer Gesellschaftsauffassungen 13 . Lenz vertritt weiter die Auffassung, die Bindung der Tarifpartner an die das Gemeinwohl konkretisierenden wirtschaftlichen Grenzwerte negiere das durch A r t . 9 I I I GG mitgarantierte Mandat der Gewerkschaften, auf eine sozialevolutionäre Vermögensumverteilung zugunsten der Masse der besitzlosen Arbeitnehmerschaft hinzuwirken 1 4 . Sollte w i r k l i c h — so bemerkt er abschließend — durch Gebrauch der Tarifautonomie der Staat i n seinen politischen Grundlagen bedroht werden, sei damit automatisch indiziert, daß das liberalkapitalistische Wirtschaftssystem als solches funktionsunfähig geworden sei; dem Gesetzgeber sei dann die Entscheidung aufgedrängt, über A r t . 15 GG die überkommene Wirtschaftsordnung prinzipiell zu ändern 15 . Einen anderen Ansatzpunkt verfolgt Klaus 1 6 , indem er eine rechtliche Bindung an das Gemeinwohl m i t der Begründung ablehnt, zur Interpretation und Konkretisierung des Gemeinwohlbegriffs werde möglicherweise der Katalog der gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen herangezogen, was dazu führen könne, daß dem Lohn die Hauptlast zur Realisierung des Zielkataloges aufgebürdet würde. Diese A r t der Gemeinwohlbindung würde nicht nur die Tarifautonomie begrenzen, sondern sie sogar faktisch aufheben und darüber hinaus den Lohn zum „Residualfaktor" der Wirtschaftspolitik degradieren 17 . Kunze 18 verneint die Rechtspflicht der Tarifpartner, sich m i t ihren Forderungen i m Rahmen des gesamtwirtschaftlich Vertretbaren zu halten m i t dem Hinweis darauf, daß ein Grundrecht — hier A r t . 9 I I I GG — nur ein Recht und keine Pflicht beinhalte, m i t h i n der Grundrechtskatalog nicht die Aufgabe habe, die Grundrechtsinhaber i n Pflicht zu nehmen 19 . Das Kennzeichen unserer Wirtschaftsordnung — so führt er aus — sei gerade, dem freien Spiel der Kräfte soviel Raum wie möglich zu geben. Dies gelte auch für den Arbeitsmarkt, auf dem die Zulassung monopoloider Marktparteien keinen anderen Zweck habe, als das Gleichgewicht der Kräfte i m Wettbewerb herzustellen 20 . Daraus folge, daß die Ergebnisse dieses Wettbewerbs — hier also die Löhne — dann als ordnungsgerechte Preise hingenommen werden müßten 2 1 . 13 Ebd., S. 218. 14 Ebd., S. 219. « Ebd., S. 220. ie Der Arbeitgeber, 1969, S. 472. 17 Klaus, Der Arbeitgeber, 1969, S. 472. ι» Kunze i n : Duvernell, H., Koalitionsfreiheit u n d T a r i f autonomie Probleme der modernen Demokratie, B e r l i n 1968, S. 114 f. i» Ebd., S. 114. 20 Ebd., S. 115.
als
2. Befürworter einer Gemeinwohlbindung
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Ähnlich argumentiert Gester 22, der vor einer Gemeinwohlbindung m i t dem Hinweis darauf warnt, daß damit eine für unsere Gesellschaft gefährliche Tendenz verfolgt werde, Grundrechte und Grundfreiheiten dadurch zu relativieren, daß man sie i n Pflicht nehme und sie durch Annahme einer von der Verfassung selbst nicht normierten immanenten Pflichtenseite begrenze 23 . Ein solches Vorgehen sei gerade eine U m kehrung der Fundamentalentscheidung, die unsere Verfassung für die Freiheit und gegen die Beschränkung der Freiheit getroffen habe 24 . I m übrigen verweisen die eine Gemeinwohlbindung ablehnenden Autoren darauf, daß der Begriff des Gemeinwohls eine Leerformel sei 25 und damit einer präzisen inhaltlichen Ausfüllung unzugänglich sein müsse. Auch w i r d auf die historischen Erfahrungen m i t Gemeinwohlblanketten rekurriert, die zu allen Zeiten beliebig wandelbaren Inhalten unterworfen seien, um den Machthabenden ein Herrschaftsinstrument i m täuschenden Kleid rechtlicher Legitimität an die Hand zu geben 26 . Schließlich w i r d aus der Rechtsnatur des Tarifvertrages als einer Figur des Privatrechts das Recht der Sozialpartner abgeleitet, bei der tariflichen Lohngestaltung gemeinwohlungebunden, nämlich eigennützig handeln zu dürfen 2 7 . 2. Befürworter einer Gemeinwohlbindung Diesen die Gemeinwohlbindung verneinenden Ansichten steht die herrschende Meinung 2 8 entgegen, die eine die Tarifautonomie begrenzende Gemeinwohlverpflichtung der Koalitionen bejaht. Auffallend ist die Mannigfaltigkeit der angebotenen Begründungsversuche. Es werden zumeist spezifisch rechtliche Kategorien herangezogen, wie beispielsweise konkrete Gesetzesnormen, allgemeine Rechtsgrundsätze oder die Verfassungsnormen, ( a - f ) . Daneben finden aber auch ökonomische Gesichtspunkte, wie beispielsweise die wirtschaftliche D r i t t w i r k u n g der tariflichen Normsetzung gebührende Beachtung (g). Auch die Stellung der Gewerkschaften i n der Verfassungswirklichkeit, sowie andere rechtstatsächliche Ansatzpunkte sind herangezogen worden, (h). Die 21 Ebd., S. 115. 22 Gester i n : Verhandlungen des 46. DJT, Bd. I I , T e i l D , München—Berlin 1967, S. 145. 23 Ebd., S. 145. 24 Ebd., S. 145. 25 Richardi, Der Arbeitgeber, 1969, S. 469; Löwisch, R d A 1969, S. 130. 26 v. Zezschwitz, D B 1973, S. 1440. 27 Herschel i n : Verhandlungen des 46. DJT, Bd. I I , München—Berlin 1967, D 17. 28 Unzutreffend ist es, w e n n Söllner i n A u R 1966, S. 263, behauptet, die Gemeinwohlbindung der Tarifparteien sei sowohl i m rechtswissenschaftlichen Schrifttum wie i n der Tagespresse schon fast eine Selbstverständlichkeit. 6 Knebel
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V I I . Gemeinwohlbindung der K o a l i t i o n i m Spiegel der Meinungen
nun folgende Meinungsdarstellung soll nun keineswegs erschöpfend sein; es sollen lediglich die entscheidenden und meist verwandten Argumentationsmuster aufgezeigt werden. a) Nipperdeys Herleitung einer Gemeinwohlbindung ist vierfach begründet. Zunächst folge sie bereits aus allgemeinen rechtlichen Grundsätzen über die Grenzen subjektiver Rechtsausübung: danach ergebe sich aus Begriff und Wesen des subjektiven Rechts als einer von der Rechtsordnung verliehenen, zur Befriedigung menschlicher Interessen dienenden Macht und seiner ethischen und sozialen Funktion, daß jedes Recht i n den höheren Normen der Sittlichkeit und des Gemeinwohls seine Grenzen finde 29. Weiterhin bejaht er eine Gemeinwohlbindung der Tarifpartner aus der Verantwortung gegenüber dem Ganzen, gegenüber der Wohlfahrt und der Zukunft des Volkes 3 0 . I m übrigen müsse — so Nipperdey — das i n § 49 BetrVG a. F. 3 1 statuierte Erfordernis der Berücksichtigung des Gemeinwohls nicht nur für Arbeitgeber und Betriebsräte gelten, sondern auch für die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände 32 . Schließlich folge dasselbe Ergebnis aus der „Einbettung des Tarif rechts i n das Wirtschaftsrecht" durch das Stabilitätsgesetz; die Tarifvertragsparteien seien dadurch i n das Gesamtgefüge einer gemeinwohlorientierten staatlichen Gesamtordnung eingegliedert 33 . b) Ebenso wie Nipperdey beschreitet auch Säcker den Weg, eine konkrete Gesetzesnorm zur Begründung einer Gemeinwohlbindung fruchtbar zu machen. Er knüpft an die für alle Privaten verbindliche Grenznorm des § 138 BGB an, nach der keine konkret das Gemeinwohl beeinträchtigenden Rechtsgeschäfte abgeschlossen werden dürfen 3 4 . Aufgrund der individuellen Machtlosigkeit, ernsthaft das Gemeinwohl zu schädigen, werde die Begrenzung für den einzelnen nicht relevant; dies ist aber wohl der Fall beim Abschluß größerer Verbandstarifverträge angesichts der eminenten volkswirtschaftlichen Bedeutung tarif2» Enneccerus / Nipperdey, Allgemeiner T e i l des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl. Tübingen 1960, S. 1441. 30 Hueck / Nipperdey, L B , I I , 1, S. 391. 31 Gemäß § 49 I B e t r V G 1952 haben Arbeitgeber u n d Betriebsrat i m Rahmen der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll u n d i m Zusammenwirken m i t den i m Betrieb vertretenen Gewerkschaften u n d Arbeitgebervereinigungen zum Wohl des Betriebs u n d seiner Arbeitnehmer unter Berücksichtigung des Gemeinwohls zusammenzuarbeiten. I m neuen B e t r V G v o m 15.1.1972 ( B G B l I S. 13) ist i n § 2 zwar auch der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit sowie das W o h l der Arbeitnehmer u n d des Betriebes angesprochen; das Gemeinwohl ist jedoch nicht mehr i n der Vorschrift enthalten. 32 Hueck / Nipperdey, L B , I I , 1, S. 391; ebenso Säcker, Gruppenautonomie u n d Übermachtkontrolle i m Arbeitsrecht, B e r l i n 1972, S. 278. 33 Hueck / Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, I I . Band, 2. Halbband, 7. Aufl. B e r l i n — F r a n k f u r t 1967, S. 1627. 34 Säcker, Gruppenautonomie, S. 278.
2. Befürworter einer Gemeinwohlbindung
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licher Datensetzung. I n dieser Konstellation — so Säcker — werde die Grenznorm des § 138 BGB faktisch zur Richtnorm i m Sinne einer positiven Gemeinwohlbindung 3 5 . c) Zwar nicht eine konkrete Gesetzesnorm, wohl aber die Verfassung insgesamt w i r d von Leibholz für eine Gemeinwohlbindung bemüht. Er schließt sich zunächst der Auffassung an, daß die Sozialpartner heute als verantwortliche Mitträger der durch das Grundgesetz konstituierten freiheitlich-gesellschaftlichen Ordnung erscheinen 36 . Bei der Ausübung ihrer tarifvertraglichen Gestaltungsfreiheit seien ihnen bestimmte rechtliche Schranken gezogen, „die sich aus den Wert- und Kompetenzbestimmungen des Grundgesetzes sowie aus dem diesen zugrunde liegenden Freiheitsbegriff" ergäben 37 . Insoweit — so Leibholz — w i r d „die privilegierte Stellung der Sozialpartner i m Sinne dessen, was man unter dem Gemeinwohl versteht, durch das Grundgesetz begrenzt" 3 8 . d) Andere beschreiten den Weg, die Freiheitsrechte einer generalen Schrankenbestimmung i m Sinne einer Gemeinwohlverpflichtung zu unterwerfen. So geht Huber davon aus, daß die wirtschaftlichen Freiheitsrechte — und damit auch die Tarifautonomie — einem sozialen Generalvorbehalt unterworfen seien 39 . Danach sind freiheitsbegrenzende Gesetze insoweit zulässig, „als sie unabweisbar erforderlich sind, um den Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit, d. h. der ,Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle 4 in der Rechts W i r k l i c h k e i t durchzusetzen" 40 . Benda 41 , der Hubers sozialen Generalvorbehalt als eine „ Gemeinwohlklausel" bezeichnet, der alle Freiheitsrechte unterliegen, w i l l m i t ihr nicht schon jeden gesetzgeberischen Eingriff i n die Freiheitssphäre legitimieren, den die jeweilige parlamentarische Mehrheit für zweckmäßig erachtet; vielmehr seien strengere Voraussetzungen zu fordern: „Die dem Gemeinwohl drohende Gefahr darf nicht nur eine entfernte Möglichkeit darstellen oder sich sogar nur aus den Panikrufen der am Ausgang der Auseinandersetzung interessierten sozialen Gegenseite ergeben, sondern muß sich dem unvoreingenommenen und neutralen Beobachter als naheliegend, ernsthaft und gewichtig darstellen 4 2 ." Nur unter diesen Voraussetzungen könne einem gemeinwohlwidrigen Tarifgebaren der Koalitionspartner staatlicherseits begegnet werden. Der Staat muß — so Benda — verdeutlichen können, „wo i m 35 se 37 38 s» 40 41 42 6*
Ebd., S. 278. Leibholz, W D S t R L 24, S. 24. Leibholz, V V D S t R L 24, S. 24. Leibholz, W D S t R L 24, S. 24. Hub er, E. R., Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 37. Ebd., S. 37. Benda, Industrielle Herrschaft, S. 239. Ebd., S. 239.
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V I I . Gemeinwohlbindung der K o a l i t i o n i m Spiegel der Meinungen
Hinblick auf zwingende gesamtwirtschaftliche oder sonst i m Allgemeininteresse vorrangige Belange die Grenze einer sinnvollen Ausübung der Koalitionsfreiheit" läge 43 . e) Ein weiterer rechtlicher Ansatzpunkt w i r d darin gesehen, daß von der Rechtssatzqualität tariflicher Normsetzung auf die Gemeinwohlgebundenheit geschlossen wird. Zöllner beispielsweise ist der Auffassung, daß Rechtssetzung — und damit auch die tarifliche Normsetzung — der Intention nach der Verwirklichung der Gerechtigkeitsidee verpflichtet sei. Für den Rechtssetzer folge aus der Intention, diesem Rechtsgedanken zu verwirklichen, die Bindung an das Gemeinwohl 4 4 . Auch Biedenkopf unterstreicht diesen Ansatzpunkt, indem er der Auffassung ist, daß es keine bindungslose Rechtssetzung i n der staatlichen Gemeinschaft geben könne 4 5 . Deshalb sei es prinzipiell zulässig, die tarifliche Datensetzung einer Bindung an die gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse zu unterwerfen. I m übrigen weist er darauf hin, daß keine Rechtsordnung auf die Dauer eine Verteilung der Zuständigkeiten ohne Schaden ertragen könne, die zu einer Gefährdung oder sogar Auflösung ihres inneren Zusammenhanges führe. Eine derartige Gefährdung sei bereits schon dann anzunehmen, wenn die Zuständigkeitsverteilung die Befugnis zur Regelung und die politische Verantwortung verschiedenen Instanzen zuweise. Dies — so Biedenkopf — geschehe, wenn man die Kompetenz zur Mitgestaltung der wirtschaftspolitischen Entwicklung durch normative Regelung wichtiger wirtschaftlicher Bereiche den Tarifpartnern zuweise, ohne die Ausübung der übertragenen Befugnisse durch eine entsprechende realisierbare Verantwortung zu binden 4 6 . Gleichwohl bezweifelt Biedenkopf die Wirksamkeit einer Gemeinwohlbindung angesichts der beschränkten menschlichen Erkenntnisfähigkeit und der fehlenden rechtlichen Nachprüfbarkeit oder politischen Sanktionsmöglichkeit bezüglich der getroffenen Entscheidung 47 . Insbesondere erscheint es ihm fraglich, ob Gruppen, die ein typisches Interesse repräsentieren — und dazu gehören auch die Gewerkschaften — wirklich in der Lage sind, zwischen dem eigenen und dem Interesse der Allgemeinheit einen entscheidenden Unterschied zu machen 48 . Damit geht Biedenkopf — und dies ist eine wichtige Modifikation — nicht davon aus, daß die Tarifpartner per se gemeinwohlgebunden sind, sondern daß sie « Ebd., S. 243. Zöllner, Die Rechtsnatur der Tarifnormen nach deutschem Recht, Wien 1966, S. 35. 45 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, Karlsruhe 1964, S. 68. 46 Ebd., S. 64. 4 ? Ebd., S. 65. « Ebd., S. 67. 44
2. Befürworter einer Gemeinwohlbindung
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wegen ihrer Rechtsetzungsmacht an das Gemeinwohl gebunden werden können. f) Auch w i r d auf das Prinzip der „sozialen Selbstverwaltung" rekurriert, welches — nach Bulla — ein Bestandteil unserer gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung sei 49 . Einen wesentlichen Teilbereich dieser Selbstverwaltung nehme die Tarifautonomie ein 5 0 . Als unabdingbares Gegenstück der vom Staat abgeleiteten Selbstverwaltung sei zugleich eine Verpflichtung zu sozialer Selbstverantwortung gegeben 51 , aus der die Pflicht für die Tarifpartner folge, bei der Erfüllung der selbst zu verwaltenden Aufgaben gruppenegoistische Wünsche den Allgemeinbelangen unterzuordnen 52 . g) Nicht nur rechtliche, sondern auch wirtschaftliche Gesichtspunkte werden zur Begründung einer Gemeinwohlverpflichtung herangezogen. Dabei stehen die weiterreichenden ökonomischen Folgewirkungen tariflicher Datensetzung i m Vordergrund. So verweist beispielsweise Weber darauf, daß die Sozialpartner bei der Tarifregelung nicht nur über ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen, sondern auch über den Anteil anderer Volkskreise am Sozialprodukt entscheiden 53 . Die Verfassung könne — so folgert er — den Sozialpartnern nur insoweit Gestaltungsfreiheit einräumen, als der Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit Genüge geschehe54. Ähnlich argumentiert Badura, indem er aus der Drittbezogenheit der Normsetzungswirkungen auf eine soziale Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit schließt 55 . h) Auch fehlen nicht Versuche, rechtstatsächliche Gesichtspunkte anzuführen. So setzt beispielsweise Krügers Argumentation an der Verfassungswirklichkeit an 5 6 . Er vertritt die Ansicht, die Tarifpartner seien der privaten Sphäre schon längst entwachsen und zu Organisationen öffentlicher Bedeutung avanciert 57 . Der aus dieser Mächtigkeit resultierende Einflußumfang mache sie zu Ordnungsfaktoren m i t „öffentlichen Funktionen". Damit seien die Tarif partner i n eine Verantwort4» Bulla i n : Festschrift f ü r H. C. Nipperdey zum 70. Geburtstag, Bd. I I , München—Berlin 1965, S. 79. 50 Ebd., S. 81. 51 Ebd., S. 82. 52 Ebd., S. 83. 53 Weber i n : Göttinger Festschrift f ü r das O L G Celle, S. 246. 54 Ebd., S. 246. 55 Badura, R d A 1974, S. 137. 5β Krüger i n : Verhandlungen des 46. DJT, 1966, Bd. I , Gutachten, T e i l 1, S. 32, 35, 41. 57 Ebd., S. 25.
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V I I . Gemeinwohlbindung der Koalition i m Spiegel der Meinungen
lichkeitsbeziehung zur Allgemeinheit und zum Allgemeinwohl gesetzt 58 , die zugleich auch die tarifliche Regelungsmacht begrenze 59 . Vereinzelt w i r d auch auf die mögliche staatliche Reaktion hingewiesen, die gemeinwohlschädliche Tarifabschlüsse u . U . hervorrufen. So zeichnen sich für Fraenkel die „echten" w e i l pluralistischen Gewerkschaften i m Sinne „antitotalitärer Sozialgebilde par excellence" 60 dadurch aus, daß sie i n der Theorie das Prinzip erfassen und i n der Praxis betätigen, daß ihrer Betätigung immanente Schranken gesetzt seien, die sich aus der Notwendigkeit ergäben, die Gebote des Gemeinwohls zu beachten 61 . Würde diesem Gebot nicht Rechnung getragen, so würden die Gewerkschaften über kurz oder lang durch staatliche Limitierungen zu Hilfsorganen eines Staates degradiert, der dann aufgehört habe, die Merkmale eines pluralistischen Staatswesens zu tragen, ja sogar bereits potentiell die Merkmale eines totalitären Staates besitze 62 .
3. Theorie der eigenverantwortlichen Gemeinwohlkonkretisierung durch die Koalitionen Die nun kurz zu erörternde dritte Meinungsgruppe zeichnet sich dadurch aus, daß sie zwar eine Gemeinwohlverpflichtung bejaht, die Möglichkeit einer Divergenz zwischen tarifvertraglicher Datensetzung und Gemeinwohlerfordernissen aber m i t der Begründung verneint, die Tarifpartner würden das Gemeinwohl mittels der Tarifverträge selbst definieren. So leitet Lerche zwar eine Gemeinwohlbindung aus dem besonderen Öffentlichkeitsstatus der Sozialpartner her6®. Der Gemeinwohlbegriff könne für ihn jedoch nicht materiell definiert werden, sondern könne nur das sein, was die dafür kompetenten Stellen innerhalb des Verfassungsrahmens für das allgemeine Beste halten 6 4 . Für ihn ist die Gemeinwohlbindung daher zunächst nichts anderes als eine „Kompetenzaussage" 65 . Die Gemeinwohlbindung könne „ n u r den ständigen Prozeß des Aufeinandereinwirkens der Sozialpartner ansprechen und inhaltlich verlangen, daß dieser Prozeß m i t dem Endziele vernünf68 Ebd., S. 26. 59 Ebd., S. 35; ähnlich Rohde, Wirtschaftslenkung u n d Tarifautonomie, Diss. j u r . Mainz 1973, S. 154, der aus der Ordnungsfunktion der Tarifautonomie auf eine Allgemeinwohlbindung schließt. 60 Fraenkel, Deutschland u n d die westlichen Demokratien, 2. Aufl. S t u t t gart—Berlin—Köln—Mainz 1964, S. 44. ei Ebd., S. 44. 62 Ebd., S. 44. es Lerche, Zentralfragen, S. 28 f. . 64 Ebd., S. 29 f. es Ebd., S. 30.
3. Theorie der eigenverantwortlichen Gemeinwohlkonkretisierung
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tiger Verständigung und jeweiliger Befriedigung, einer Befriedigung gewissermaßen von Punkt zu Punkt" geführt werde 6 6 , insoweit die Tarifpartner also das Gemeinwohl durch ihr antagonistisches und einigendes Zusammenwirken maßgebend selbst formulieren 6 7 . Auch Scholz argumentiert i n derselben Richtung, indem er ausführt, daß die Verfassung die Benennung des koalitionsrechtlichen Gemeinwohls dem Koalitionsverfahren anvertraut habe 68 . Dadurch sei — so führt er aus — „das Gemeinwohl . . . Ausdruck dauernder Selbsterzeugung" 6 9 , es konkretisiere sich i m jeweiligen Ergebnis „bzw. i n den Intervallen der jeweils neu gebildeten Kompromißformeln" 7 0 .
ββ Ebd., S. 30. 67 Ebd., S. 30. 68 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 221. β» Ebd., S. 221. 70 Ebd., S. 221; vgl. ebenso Radke i n : Festschrift f ü r Otto Brenner, S. 124; Lenz i n : Gesellschaft, Recht u n d Politik, Abendroth-Festschrift, S. 218; sowie Preußner, Staatliche K o n j u n k t u r p o l i t i k u n d T a r i f autonomie der Sozialpartner, Diss. j u r . Freiburg 1973, S. 137.
V I I I . Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff Wenn, wie i m vorhergehenden Abschnitt gezeigt, das Gemeinwohl als „Leerformel", „Allerweltsbegriff" oder gar als „juristische Fiktion" disqualifiziert wird, zeigt dies die Notwendigkeit an, die Rechtsrelevanz des Begriffs zu beleuchten. N u r wenn das Gemeinwohl als Rechtsbegriff einzustufen ist und wenn es ferner einer inhaltlichen Konkretisierung zugänglich ist, kann sinnvoll die Frage diskutiert werden, wie eine Gemeinwohlverpflichtung der Sozialpartner zu begründen ist und welche rechtlichen Folgerungen sich daraus für die tarifautonome Datensetzung ergeben. Zunächst soll das mannigfaltige Auftreten des „Gemeinwohls" bzw. des „öffentlichen Interesses" 1 und der entsprechenden Synonyme i n den Verfassungen und i n den gesetzlichen Tatbeständen skizziert werden; daran schließt sich die Erörterung der Frage an, welche Bedeutung das Gemeinwohl i n der Rechtsprechung einnimmt.
1. Die Funktion des Gemeinwohlbegriffs i n den Verfassungen und i n gesetzlichen Tatbeständen Der Grundgesetzgeber hat den Gemeinwohlbegriff selten verwandt. I m Gegensatz zu vielen Länderverfassungen, i n denen das Gemeinwohl i n zahlreichen Verfassungsartikeln vorkommt, ist das gemeine Wohl i m Grundgesetz nur zweimal erwähnt. Einmal i n A r t . 14 I I Satz 2 GG: danach soll der Eigentumsgebrauch neben legitimen eigennützigen Interessen auch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. I m zweiten Fall dient das Allgemeinwohl i n A r t . 14 I I I Satz 1 GG als Tatbestandsvoraussetzung für die Zulässigkeit einer Enteignung. I n beiden Fällen handelt es sich um verbindliche, durch die Rechtsprechung konkretisierte Rechtsbegriffe, nicht nur um allgemeine, jeglicher Bindungskraft entbehrende Formeln 2 . Sowohl die Bayerische Verfassung als auch die Verfassung von Rheinland-Pfalz verpflichten den Staat insgesamt 1 Beide Begriffe werden i m folgenden sinngleich v e r w a n d t ; vgl. dazu auch Häberle, öffentliches Interesse, S. 22. 2 Hierbei ist umstritten, ob der Begriff „ W o h l der Allgemeinheit" ein unbestimmter Rechtsbegriff ist damit i n vollem Umfang der richterlichen Nachprüfung unterliegt oder ob er der Behörde einen Ermessensspielraum einräumt; vgl. dazu Kimminich i n : Kommentar zum Bonner Grundgesetz, A r t . 14, Drittbearbeitung, Rdn. 267 m. w. Nachw.; Hamann/Lenz, A r t . 14, A n m . 9; Maunz i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 14, Rdn. 109 f.
1. Das Gemeinwohl i n Verfassungen und gesetzlichen Tatbeständen
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auf das Gemeinwohl; damit w i r d es ausdrücklich zum konstitutiven Staatszweck erklärt 3 . Darüber hinaus hat der Begriff die i h m von einigen Verfassungen übertragene Funktion, grundrechtsbegrenzend zu wirken. So normiert beispielsweise A r t . 3 I der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen, daß alle Menschen frei sind, schränkt diese Freiheit jedoch dahingehend ein, daß ihre Handlungen weder die Rechte anderer verletzen noch gegen das Gemeinwohl verstoßen dürfen. Die staatliche Gewalt w i r d durch die Verfassung von Rheinland-Pfalz durch das Gemeinwohl limitiert, wenn es i n Art. 1 I I I heißt, daß „die Rechte und Pflichten der öffentlichen Gewalt . . . durch die naturrechtlich bestimmten Erfordernisse des Gemeinwohls begründet und begrenzt" werden. Auch die wirtschaftliche Freiheit unterliegt i n Bayern und Rheinland-Pfalz der Gemeinwohlgrenze 4 . Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang noch, daß die Bremer Landesverfassung eine die Koalitionsfreiheit tangierende staatliche Einwirkungsmöglichkeit vorsieht. Gemäß A r t . 51 haben die zuständigen staatlichen Schlichtungsstellen die Aufgabe, eine Verständigung zwischen den Tarifpartnern zu fördern und auf Antrag Schiedssprüche zu fällen, die aus Gründen des Gemeinwohls für verbindlich oder allgemeinverbindlich erklärt werden können. Hier ist also von Verfassungs wegen eine m i t Erfordernissen des Gemeinwohls zu begründende staatliche Zwangsschlichtung vorgesehen. Auch auf unterverfassungsrechtlicher Ebene sind „Gemeinwohlbegriffe" zahlreich anzutreffen. Sie haben zumeist die Funktion, Tatbestandsvoraussetzung für staatliches Tätigwerden zu sein. Zu erwähnen ist beispielsweise § 51 GewO. Nach dieser Vorschrift kann die Benutzung jeder gewerblichen Anlage jederzeit untersagt werden, wenn überwiegende Nachteile und Gefahren für das Gemeinwohl dies geboten erscheinen lassen. Das gemeindliche Verkaufsrecht darf nach § 24 I I BBauG nur dann ausgeübt werden, „wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt". „Gründe des Wohls der Allgemeinheit" sind auch nach § 9 V I I I Bundesfernstraßengesetz für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen eine mögliche Tatbestandsvoraussetzung. Strukturkrisenkartelle sollen nach § 4 GWB staatlich sanktioniert werden können, 3 A r t . 3 Bayerische Verfassung: „Bayern ist ein Rechts-, K u l t u r - u n d Sozialstaat. Er dient dem Gemeinwohl." A r t . 1 I I der Verfassung von Rheinland-Pfalz: „Der Staat hat die Aufgabe, die persönliche Freiheit u n d Selbständigkeit des Menschen zu schützen, sowie das Wohlergehen des Einzelnen u n d der innerstaatlichen Gemeinschaften durch die V e r w i r k l i c h u n g des Gemeinwohls zu fördern." 4 A r t . 52 der Verfassung von Rheinland-Pfalz: „Die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen findet ihre Grenzen i n der Rücksicht auf die Rechte des Nächsten u n d auf die Erfordernisse des Gemeinwohls." A r t . 1511 Bayerische Verfassung: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl . . . "
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V I I I . Das Gemeinwohl als
echtsbegriff
wenn dies u. a. „unter Berücksichtigung der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls" erfolgt 5 . Die Begründetheit einer vom Bundesverfassungsgericht auszusprechenden einstweiligen Anordnung ist gemäß § 32 I BVerfGG darauf zu stützen, daß sie „zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist". Auch der Begriff „öffentliche Belange" als Synonym für das Gemeinwohl ist häufig anzutreffen 6 . Ebenso verhält es sich m i t den „öffentlichen Interessen". Gemäß § 80 I I Nr. 4 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Anfechtungsklage unter anderem i n den Fällen, „ i n denen die sofortige Vollziehung i m öffentlichen Interesse" liegt. Das Bundesbaugesetz erwähnt das öffentliche Interesse als Tatbestandsvoraussetzung sowohl i n § 80 (Zweck und Voraussetzungen einer gemeindlichen Grenzregelung) als auch i n § 135 V (Ausnahmen von der Erschließungsbeitragspflicht). Weitere Beispiele sind i n § 4 1 Nr. 3 Gaststättengesetz und i n § 15 I I des Bundesfernstraßengesetzes zu finden. Damit soll der notwendig kursorische Uberblick über die Verwendung von Gemeinwohlbegriffen beendet sein. Schon diese Auswahl zeigt, daß das Gemeinwohl bzw. das öffentliche Interesse i n vielfältiger Weise in unterschiedlichsten Problemzusammenhängen auftaucht und je nach dem Zusammenhang eine unterschiedlich normierende K r a f t entfalten muß, um als Rechtsbegriff verwendbar zu sein. Diesem sich hieraus ergebenden funktionell-rechtlichen Aspekt soll später i m Rahmen der Erörterung über die Offenheit der Gemeinwohlbegriffe nachgegangen werden. Zuvor ist noch auf die Bedeutung des Gemeinwohlbegriffs in der Judikatur einzugehen.
2. Die Funktion des Gemeinwohlbegriffs in der Rechtsprechung Wie i m vorhergehenden Abschnitt dargelegt, treten das Gemeinwohl bzw. das öffentliche Interesse sowie begriffsähnliche Wortumschreibungen i n vielfältiger Weise i n gesetzlichen Tatbeständen auf. Damit w i r d das Gemeinwohl bzw. das öffentliche Interesse als normatives Tatbestandsmerkmal auch i n der Rechtsprechung permanent aktualisiert. Vor allem das Preußische Oberverwaltungsgericht hat bei der judiziellen Schaffung des materiellen Polizeirechts als öffentlichem Gemeinwohlrecht i n vorbildlicher Weise die normierende K r a f t des „öffentlichen Interesses" und des „Gemeinwohls" entwickelt 7 . Diese Recht« Vgl. auch § 8 1 GWB. β Vgl. beispielsweise § 14 I I B B a u G u n d § 9 a V Bundesfernstraßengesetz. 7 Häberle, öffentliches Interesse, S. 245 f.; ders. i n : AöR 95, S. 88.
2. Die F u n k t i o n des Gemeinwohlbegriffs i n der Rechtsprechung
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sprechung hat wegen der noch heute wirksamen und vorbildlichen Techniken der richterlichen Gemeinwohlkonkretisierung paradigmatische Bedeutung für die durch Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung geschaffenen und fortentwickelten öffentlichen Rechtsgebiete. Die spezifische Aufgabe des Polizeirechts, das Spannungsverhältnis zwischen der individuellen Freiheitsentfaltung und der i m öffentlichen Interesse liegenden staatlichen Ordnungsgestaltung dadurch abzubauen, daß beide Rechtsinteressen einander optimal zugeordnet werden, unterliegt m i t dieser Zielsetzung i n besonderer Weise einer sowohl öffentlichkeits- als auch gemeinwohlbezogenen Dimension. Es handelt sich um „ein kompliziertes I n - und Gegeneinander von Gesetz und öffentlichen Interessen, eine Gemengelage von öffentlichem Interesse und Recht" 8 . Gemeinwohlgesichtspunkte wurden vor allem dort relevant, wo es u m die Frage ging, innerhalb welchem (gemeinwohlorientierten) Rechtsrahmen die Polizei einzugreifen berechtigt ist (Kompetenzproblematik), und wie die verfahrensrechtlichen Vorschriften zur Sicherung des Bürgers auszulegen und zu gestalten sind (Verfahrensproblematik) 9 . Auch das Problem des Widerrufs von Polizeiverfügungen wurde durch ein „spezielles Gemeinwohlrecht" einer juristischen Lösung zugeführt. Andere Gerichte knüpften an diese Gemeinwohljudikatur an, auch soweit es sich nicht um polizeirechtliche Probleme handelte 10 . So ist auch heute noch das „öffentliche Interesse" i n der Diskussion über die Widerrufsproblematik ein wesentlicher Bestandteil der juristischen Entscheidungsfindung 11 . Auch die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts zum polizeilichen Ermessen war von Gemeinwohlvorstellungen geprägt. Ausgehend vom Ermessen als Kompetenz zum Handeln i m öffentlichen Interesse erwies sich damit jedes Ermessensproblem als ein juristisches Gemeinwohlproblem 1 2 . Damit hatte die Gemeinwohljudikatur des Preußischen Oberverwaltungsgerichts das öffentliche Interesse bzw. das Gemeinwohl als Ergänzungsbegriff zu Recht und Gesetz ausgewiesen.
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Häberle, öffentliches Interesse, S. 245. Dazu Häberle, öffentliches Interesse, S. 247. 10 Ebd., S. 257. 11 Vgl. dazu die i n diesem Zusammenhang auf das öffentliche Interesse rekurrierenden Entscheidungen: B V e r w G E 5, 312 (313 f.), s. hier bereits Leitsatz 3 der Entscheidung; B V e r w G E 6, 1 (7 ff.); 8, 261 (268 ff.); 9, 251 (253 ff.); 9, 273 (275); 19, 188 (189 ff.); auch das neue Verwaltungsverfahrensgesetz v o m 25.5.76 ( B G B l 1/1253) bemüht i m Rahmen der Widerrufs- u n d Rücknahmevorschriften das „öffentliche Interesse" (§§ 48 I I , I I I ; 49 I I Ziff. 3, 4) bzw. das „Gemeinwohl" (§4911 Ziff. 5); zur L i t e r a t u r vgl. Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 177 ff.; Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, S. 449 ff.; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, S. 259 ff. 12 Vgl. Häberle, öffentliches Interesse, S. 259 m. w . Nachw. aus der Rechtsprechung des PrOVG. 9
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V I I I . Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff
Dort, wo das Ermessen beginnt, hört das Gesetz auf zu wirken; die rechtsregulative Funktion übernimmt hier das öffentliche Interesse bzw. das Gemeinwohl1®. Das öffentliche Interesse ist durch diese „Gemeinwohl J u d i k a t u r " zu einem konstitutiven Element i m Rechtsfindungsprozeß avanciert. Auch heute kommt beiden Begriffen i n der Rechtsprechung eine zentrale Bedeutung zu. Zunächst einmal dort, wo das öffentliche Interesse bzw. das Gemeinwohl vom Richter tatbestandlich i n einer Rechtsnorm vorgefunden w i r d : dann ist das Gemeinwohl Gegenstand richterlicher Interpretation. I n diesen Fällen ist der Richter aufgefordert, aus dem Sinnzusammenhang der Norm sowie aus den Sach- und Zweckzusammenhängen das öffentliche Interesse zu konkretisieren 1 4 . Ist so m i t Hilfe der teleologischen Auslegungsmethode der Zweck des Gesetzes aufgedeckt, vermag er Interpretationsmaßstab für die spezialgesetzliche Gemeinwohlklausel zu sein. Problemlos ist die Gemeinwohlkonkretisierung dann, wenn das Gesetz ausdrückliche Gesetzeszweckbestimmungen enthält, die einander nicht widersprechen. Dann kann nicht jedwedes „allgemeine Interesse", sondern nur der i m Gesetz genannte Zweck zur Ausfüllung des Gemeinwohlbegriffs herangezogen werden. So ist beispielsweise die Genehmigung von Atomanlagen nach § 7 I I Ziff. 5 AtomG u. a. davon abhängig, daß keine „überwiegenden öffentlichen Interessen" entgegenstehen. Welcher A r t sie sind, kann aus dem Zweckbestimmungskatalog des § 1 AtomG entnommen werden. I n diesen Sonderfällen braucht der Richter nicht fremdgesetzliche, verfassungsrechtliche oder gar außerrechtliche Normensysteme zu bemühen. I n den meisten Fällen richterlicher Gemeinwohlkonkretisierung hingegen ist die ratio legis nicht expressis verbis formuliert. Es bedarf hier einer umfassenden Gesetzesinterpretation, u m den gesetzesimmanenten Zweck zu erhellen. Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hingewiesen, in der es u. a. u m die Präzisierung des Begriffs „öffentliche Belange" i. S. d. § 35 I I BBauG ging. Das Gericht räumte zwar ein, daß dieser unbestimmte Gesetzesbegriff weit gefaßt sei 15 . Jedoch sei er durch die Ziel- und Zwecksetzung des Bundesbaugesetzes, die insbesondere i n den Vorschriften über die Bauleitplanung zum Ausdruck kommen, genügend bestimmbar und justitiabel 1 6 . Bedient sich so die Rechtsprechung in weitem Umfang der Sinn- und Zweckargumentation, u m normierte Gemeinwohltatbestände inhaltlich zu umgrenzen, ist sie ande13
Vgl. Häberle, öffentliches Interesse, S. 260. 14 Vgl. Häberle, öffentliches Interesse, S. 288 ff. is B V e r w G E 18, 247 (250 f.); weitere zahlreiche Beispiele aus der Rechtsprechung s. bei Häberle, öffentliches Interesse, S. 288 ff., insbesondere S. 291. i« Vgl. dazu auch die ausführliche Analyse Häberles, betreffend die „Gemeinw o h l j u d i k a t u r " des Bundesverfassungsgerichts i n AöR 95, S. 86 ff. u n d 260 ff.
2. Die F u n k t i o n des Gemeinwohlbegriffs i n der Rechtsprechung
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rerseits auch geneigt, dem Gemeinwohl bzw. dem öffentlichen Interesse ganz allgemein — losgelöst von jegilcher positiver Normierung — rechtserweiternde bzw. rechtsbegrenzende Funktionen zu überantworten. Hier ist das Gemeinwohl nicht Interpretationsgegenstand, sondern es w i r d selbstschöpferisch-autonom zur Lösung juristischer Probleme von den Gerichten eingesetzt. Dieser Umstand zeigt i n besonderem Maße, daß dem Gemeinwohlleitbild als rechtliche Kategorie ein wesentlicher Platz i m Normengefüge unserer Rechtsordnung zukommt. So erhält das Gemeinwohl durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine „exklusive" Funktion dadurch, daß es als Hilfsmittel zur Konkretisierung von Grundrechtsgrenzen einen herausragenden Platz einnimmt 1 7 . Das Apotheken-Urteil 1 8 des Bundesverfassungsgerichts ist insoweit richtungweisend. Der Gemeinschaftsbezug grundrechtlicher Grenzen w i r d i n der Entscheidung bereits dadurch deutlich, daß der Regelungsvorbehalt des A r t . 12 I Satz 2 GG allein unter dem Gesichtspunkt des „ausreichenden Schutzes der Gemeinschaftsinteressen" 19 behandelt wird. Ihnen w i r d dadurch Rechnung getragen, daß die Berufsausübung nach der Auffassung des Gerichts staatlich geregelt werden könne, soweit „vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen" 20 . Begrifflich konkreter, letztlich jedoch gleichsam gemeinwohlorientiert, ist die Abwägungsformel zur Berufswahl, die nur dann eingeschränkt werden könne, wenn „der Schutz besonders wichtiger („überragender") Gemeinschaftsgüter es zwingend erfordert" 2 1 . Die Formel, daß „vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls" einen Eingriff rechtfertigen, kehrt i n der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung oft wieder 2 2 . So w i r d beispielsweise ausgeführt, daß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein verfassungsrechtlicher Rang gebührt: „Er ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, i m Grunde bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur so weit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich ist 2 a . I n dieser Entscheidung w i r d deutlich, daß dem Gemeinwohl eine Doppelfunktion zuerkannt wird. Es w i r d einerseits als generale grundrechtsimmanente Schranke verstanden. Zum anderen aber soll die Beschränkungsmög17 Vgl. Häberle, AöR 95, S. 96. 18 BVerfGE 7, 198 ff. ι» BVerfGE 7, 377 (404). 20 BVerfGE 7, 377 (405). 21 BVerfGE 7, 377 (405). 22 Vgl. neben BVerfGE 7, 377 (405) n o d i BVerfGE 9, 73 (79); 9, 213 (221 f.); 10, 185 (197); 11, 234 (239); 14, 19 (22); 16, 147 (167); 20, 31 (34); 20, 283 (295); 21, 227 (232); 33, 171 (186); 34, 71 (78); 36, 47 (59); 36, 212 (223); 39, 156 (164 f.). 23 BVerfGE 19, 342 (348 f.).
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V I I I . Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff
lichkeit der Grundrechte nicht weitergehen, als dies zur Wahrung des Gemeinwohls unerläßlich ist; d.h. das Gemeinwohl fungiert zugleich als Schrankenschranke. Danach w i r d der Grundrechtseingriff also zugleich durch das Gemeinwohl legitimiert wie auch begrenzt Weitere bemerkenswerte Beispiele, i n denen das Gemeinwohl bzw. das öffentliche Interesse als Schranke der Freiheit begriffen wird, bietet die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts 24 i m Bereich der i n unserer Rechtsordnung zahlreich vorhandenen Verbote m i t Erlaubnisvorbehalt 2 5 . So stellt das Bundesverfassungsgericht fest, daß die Verfassungsmäßigkeit eines Genehmigungsvorbehalts davon abhänge, ob legitime öffentliche Interessen dadurch gewahrt würden; nur wenn dies gewährleistet sei, stünden die Versagungsgründe i m Einklang m i t dem Grundgesetz 26 . Auch i n anderem Zusammenhang werden der Begriff des Gemeinwohls und die Synonyme zunehmend als allgemeine verfassungsrechtliche Rechtsgrundsätze gebraucht. So ist davon die Rede, daß gesetzlich verordnete Preisbindungen nur dann verfassungsgemäß sein können, wenn sie zum Nutzen des Gemeinwohls geboten seien 27 . I n einer die VW-Privatisierung betreffenden Entscheidung heißt es, daß gewichtige Gründe des Gemeinwohls es angebracht erscheinen lassen, zu Lasten einiger Minderheitsaktionäre den Interessen der A l l gemeinheit an einer freien Entfaltung der unternehmerischen Initiative den Vorrang einzuräumen 28 . Desgleichen w i r d i n der „Mitfahrerzentralen-Entscheidung" deutlich gemacht, daß das Verbot, Fahrgäste gegen Kostenbeteiligung privat zu befördern, u. a. verfassungsrechtlich nur dann unbedenklich sein kann, wenn Gründe des öffentlichen Wohls das Verbot zu rechtfertigen imstande sind 2 9 . I n der Entscheidung über die Zulässigkeit einer Milchmarktordnung führt das Bundesverfassungsgericht aus, „Einschränkungen der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit seien nur zulässig, soweit überwiegende Gründe des Gemeinwohls die Einführung einer Marktordnung rechtfertigen oder gar gebieten" 30 . 24 Vgl. beispielsweise BVerfGE 8, 71 (76); 20, 150 (159 ff.) u n d auch bereits 2, 266 (279 ff.) u n d 6, 32 (42), i n denen der Sache nach Gemeinwohlgesichtspunkte verwertet werden. 25 Dazu gehören beispielsweise Baugenehmigungen sowie Erlaubnisse nach §§ 33 a, 33 d, 33 i, 34, 34 a, 34 b GewO, §§ 2 bis 12 GastG, §§ 80, 90 G ü K V G . 2« So BVerfGE 8, 71 (76); ebenso i m U r t e i l zur Nichtigkeit des Sammlungsgesetzes, BVerfGE 20, 150 (157): „Die aus A r t . 2 I G G sich ergebende Befugnis, i m Rahmen v o n Sammlungen u n d sammlungsähnlicher Veranstaltungen k a r i t a t i v tätig zu werden, ist also dem Grunde nach durch einfaches Gesetz beseitigt, ohne daß das öffentliche Interesse dies erfordert." S. 159: „ I s t ein Genehmigungsverfahren zulässigerweise angeordnet, so müssen also die Gründe, die eine Versagung der behördlichen Erlaubnis ermöglichen, durch legitime öffentliche Interessen gerechtfertigt sein." 27 So ausdrücklich BVerfGE 8, 274 (313). 28 BVerfGE 14, 263 (282). 2® Vgl. BVerfGE 17, 306 (315). so BVerfGE 18, 315 (327).
3. Zwischenergebnis
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Andernorts w i r d darauf verwiesen, daß die Pressegarantie dort ihre Grenze finde, wo es um schwere Verfehlungen des Grundrechtsträgers gegen das gemeine Wohl ginge 31 . Diese Beispiele zeigen deutlich, daß Begriffe wie „Gemeinwohl" bzw. „öffentliches Interesse" nicht nur deshalb judiziell aktualisiert werden, w e i l sie i n gesetzlichen Tatbeständen vorhanden sind, sondern daß solche Gemeinwohlgehalte auch selbstschöpferisch von der Rechtsprechung, insbesondere — wie hier dargetan wurde — von der Verfassungsrechtsprechung als juristische Kategorien in die verfassungsrechtliche Diskussion eingeführt wurden. Hierbei haben die Gemeinwohlbegriffe primär die Funktion, die Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsabhängigkeit der grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen aufzuzeigen; damit steht das Gemeinwohl oft i m antithetischen Gegensatz zur Freiheitsausübung, es begrenzt die individuelle Freiheit 3 2 » 3 3 Diese Funktion übt das Gemeinwohl auch aus, wenn es — wie i n dieser Arbeit — m i t der tarifautonomen Datensetzung i n Zusammenhang gebracht wird. Wenn die Frage nach der Gemeinwohlverpflichtung der Tarifpartner gestellt wird, geht es um die Realisierung einer Gemeinschaftsverantwortlichkeit der Koalitionen. Die Gemeinwohlbindung erscheint als Kompensation für die enormen gesellschaftlichen Folgewirkungen tariflicher Einkommenserhöhungen. Die evidente Gemeinschaftsbezogenheit von Lohnerhöhungen fordert eine durch die Gemeinwohlbindung realisierte Gemeinschaftsverantwortlichkeit, so daß auch hier das Gemeinwohl autonomieverkürzende, also freiheitslimitierende Funktionen ausübt. 3. Zwischenergebnis Der Uberblick über die i n verschiedensten Problem-, Sach- und Verfahrenszusammenhängen vorkommenden Gemeinwohlbegriffe zeigt, daß das Gemeinwohl bzw. das öffentliche Interesse einen integralen 31 BVerfGE 20, 162 (222). 32 Dies jedoch nicht mehr — worauf Häberle AöR 95, S. 96, hinweist — i n überkommenen undifferenzierten Sinn: „weder als vorgegebene, monolithische, dem privaten Interesse gegenüber per se höherrangige Größe noch als normfrei oder extra-konstitutionell gedeuteter Titel." 33 Andererseits k a n n das Gemeinwohl auch grundrechtsweitend wirken. Grundrechtliche Freiheitsgarantien sind unverzichtbare Gemeinwohlgüter, so daß nicht n u r an der Einschränkung, sondern auch an der Weiterung von Freiheitspositionen ein v o m Gemeinwohl gefordertes Interesse bestehen kann. Einige grundrechtliche Freiheitspositionen sind nicht n u r u m der privaten Interessen w i l l e n geschützt, sondern auch, w e i l die Verfassung damit die E r w a r t u n g eines sozialen Nutzens u n d damit die Förderung des Gemeinwohls verbindet (vgl. beispielsweise dazu Badura, JuS 1976, S. 210). Ist n u n die Förderung des sozialen Nutzens dadurch zu erreichen oder zu vergrößern, daß Grundrechtsverbürgerungen erweitert werden, können so Erfordernisse des Gemeinwohls grundrechtserweiternd wirken.
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V I I I . Das Gemeinwohl als
echtsbegriff
Bestandteil des gesetzlichen Instrumentariums bilden. Die Durchsetzung der positiven Gesetze m i t tatbestandlichen Gemeinwohlgehalten zeigt an, daß der Normgeber auf sie offensichtlich nicht verzichten kann; sie erfüllen eine aus ihrer Offenheit und Variabilität folgende spezifische Funktion 3 4 . Sie erscheinen „als ein Grundpfeiler i m Normenbau der Rechtsordnung" 85 . Darüber hinaus ist es ein Verdienst der Rechtsprechung, durch die Gemeinwohlinterpretation, insbesondere m i t Hilfe der ,ratio legis 4 , die inhaltliche Offenheit konfliktorientiert zu reduzieren und damit problemlösend zu wirken. Auch die selbstschöpferische Gemeinwohljudikatur (beispielsweise zu A r t . 12 I GG) hat i n vorsichtigkasuistischer Weise autonom die jeweiligen Konfliktlagen offengelegt und i n wertender Abwägung zwischen den entgegengesetzten Positionen öffentliche und private Interessen einander zugeordnet. Die Verwendung des Gemeinwohlbegriffs in den Verfassungen macht überdies deutlich, daß er als allgemeine offene Rechtskategorie Staatszwecke generell konstituiert und damit (auch) freiheitsbegründend w i r k t . Andererseits kommt dem Gemeinwohl — wie hier bei der Diskussion um die Gemeinwohlbindung der Tarifpartner — eine (weil Allgemeininteressen berücksichtigende) freiheitsverkürzende Funktion zu. Damit erfüllt das Gemeinwohl, wie man es auch i n concreto zu interpretieren hat, eine ordnende Funktion. Aus diesen Gründen verbietet es sich, das Gemeinwohl als Ausdruck „gedanklicher Bequemlichkeit" 3 6 , als „konkretisierungsuntaugliche Leerformel" bzw. als anti- oder außerrechtlichen Begriff zu qualifizieren. Auffassungen, die m i t derartigen Begründungen eine Gemeinwohlbindung der Tarifpartner zu verneinen suchen, dürften damit abzulehnen sein. 4. Definitionen des Gemeinwohls Ist damit die Rechtsrelevanz des Gemeinwohls dargetan, interessiert nun der Inhalt des Gemeinwohlbegriffs. A m Anfang dieser Analyse muß der Versuch unternommen werden, den Begriffsinhalt des Gemeinwohls definitorisch zu klären; schlägt dies fehl, muß nach anderen Lösungsmöglichkeiten gesucht werden. Die Frage nach dem richtig verstandenen Gemeinwohl ist Gegenstand zahlloser und deshalb unüberblickbarer Abhandlungen 3 7 . „Die Literatur dazu f ü l l t ganze Bibliotheken, erstreckt sich auf alle Zeiten und alle 34
Dazu näher i m nächsten Abschnitt. 35 So Häberle, öffentliches Interesse, S. 204. 3β So v. Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, Diss. j u r . M a r b u r g 1967, S. 174. 37 Vgl. Häberle, öffentliches Interesse, S. 19.
4. Definitionen des Gemeinwohls
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Länder und hat nicht nur Juristen (namentlich Verfassungsrechtler), sondern auch Philosophen, Politologen, Soziologen und Theologen beschäftigt 38 ." Es fehlte nicht an Versuchen, den Begriffsinhalt des Gemeinwohls aus seinem Eigenstand, aus dem Wort selbst heraus zu entwickeln. Das Ergebnis solcher Bemühungen konnte wissenschaftlich jedoch kaum befriedigen, da die Definitionsversuche über allgemeine, weite und tautologische Begriffsumschreibungen nicht hinauszugelangen vermochten. So w i r d das Gemeinwohl als „das Wohl einer i n gegenseitiger Verflechtung ihrer Daseinsgestaltung und Bedürfnisbefriedigung lebenden Vielheit von Menschen" 39 definiert. A n anderer Stelle w i r d ausgeführt, das Gemeinwohl gehe davon aus, „daß die einzelnen Bürger sich zweckhaft nicht selbst genügen, d. h. sich nicht unter völlig eigenständigen Zwecksetzungen entwickeln können, sondern daß es dazu einer sozialen . . . Rechts- und Lebensordnung bedarf, die das Gemeinwohl und das Privatwohl der einzelnen kompromißhaft" zu vereinigen habe 40 . Andernorts liest man, „das Gemeinwohl als Verwirklichung des Gemeinguts und darin selbst bonum commune bedeutet sowohl einen Zustand als auch alle unmittelbar auf die Herbeiführung, Erhaltung und Verbesserung dieses Zustandes zielenden äußeren Maßnahmen i m gesellschaftlichen Leben" 4 1 . Auch der Stellenwert des Gemeinwohls als ethischer Grundbegriff w i r d gewürdigt, indem man unter dem Begriff das Wohl der Gesamtheit sowohl als Richtschnur für das Verhalten der einzelnen als auch als Aufgabe des Staates versteht 4 2 . Messner unterscheidet verschiedene Gemeinwohlbegriffe, und zwar den ontologischen, ethischen, statischen und dynamischen 43 . Das Gemeinwohl i m ersteren Sinne besteht „ i n der aus der gesellschaftlichen Verbundenheit den Gesellschaftsgliedern erwachsenden Hilfe für die eigenverantwortliche Erfüllung der ihnen in ihrer Natur vorgezeichneten Lebensaufgaben" 44 . Der ethischen Dimension w i r d durch die Definition Rechnung getragen, das Gemeinwohl sei die „allseitige Verwirklichung der Gerechtigkeit als Erfüllung der Ansprüche der Gesellschaftsglieder und Gesellschaftsgruppen auf ihren verhältnismäßigen Anteil (ihr suum) an dem i m Gesellschaftsprozeß sich bildenden geistigen und w i r t schaftlichen Wertbestand" 4 5 . Der statische Gemeinwohlbegriff w i r d 38 So Reuß, Z f A 1970, S. 319. 3» Brockhaus, Enzyklopädie, 7. Bd., S. 80. 40 Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 10, S. 22. 41 Gundlach i n : Staatslexikon, Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, 3. Bd., 6. Aufl., Freiburg 1959, Spalte 737. 42 Schrey i n : Evangelisches Soziallexikon, 5. Aufl. Stuttgart 1965, Sp. 470. 43 Messner, Das Gemeinwohl, Idee, Wirklichkeit, Aufgaben, Osnabrück 1962, S. 37 ff. 44 Ebd., S. 37 f. 45 Ebd., S. 38. 7 Knebel
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durch „die dem natureigenen Zweck einer Gemeinschaft gemäße, allen ihren Gliedern die Vollentfaltung ermöglichende Weltwirklichkeit" 4 6 gekennzeichnet. Letztlich sei noch der dynamische Begriff skizziert, wonach das Gemeinwohl „die ständig neu zu verwirklichende, neuem Leistungswillen Raum bietende und neuen, da darauf begründeten Anteilsansprüchen Folge gebende allseitige Ordnung der Gerechtigkeit i n der sich verdichtenden und ausweitenden gesellschaftlichen Kooperation" darstellt 4 7 . Utz differenziert i m Rahmen einer Erörterung über das Subsidiaritätsprinzip zwischen dem „institutionellen" und dem „solidarischen" Gemeinwohlbegriff 4 8 . Das Gemeinwohl i m institutionellen Sinne w i r d gekennzeichnet „als Inbegriff aller Voraussetzungen und Veranstaltungen öffentlicher A r t , deren es bedarf, damit die einzelnen ihr Wohlergehen erfolgreich zu schaffen imstande sind" 4 9 . Dagegen stellt die „materielle" Gemeinwohlkennzeichnung auf das „immanente Wohlergehen aller Gesellschaftsglieder" ab 5 0 . Dieser kurze, Definitionsversuche aufzeigende Abriß verdeutlicht die immense Schwierigkeit, den Gemeinwohlbegriff aus sich selbst heraus zu bestimmen. Die verschiedenen Ansatzpunkte zur begrifflichen Präzisierung zeigen, daß einheitliche, eindeutige und objektivierbare K r i terien für eine praktikable Gemeinwohldefinition noch nicht gefunden wurden. Auch intensive Bemühungen amerikanischer Wissenschaftler, die Divergenz zwischen der Wohlfahrt des einzelnen und der Wohlfahrt des Staatsganzen definitorisch auszuräumen, schlugen regelmäßig fehl. Schaeder 51 weist i n diesem Zusammenhang auf die Untersuchungen des Amerikaners Kenneth J. Arrow hin, die gezeigt hätten, daß es unmöglich sei, das Gemeinwohl widerspruchsfrei gewissermaßen aus den Wertschätzungen der Individuen zusammenzusetzen. Auch auf einer Tagung der American Political Association und der Society for Political and Legal Philosophy i m Jahre 1960, auf der das Thema „The Public Interest" diskutiert wurde, gingen die Ansichten weit auseinander 52 . Wissenschaftliche Untersuchungen amerikanischer Philosophen führten lediglich zu einer Zusammenfassung der unterschiedlichen Meinungen, ein Konsens wurde nicht erzielt 5®. Auch das Bemühen, aus den verschiebe Ebd., S. 38. 47 Ebd., S. 39; zum dynamischen Aspekt vgl. denselben i n : Festschrift f ü r Goetz Briefs, z. 80. Geb., B e r l i n 1968, S. 6 ff. 4 8 Utz i n : Formen u n d Grenzen des Subsidiaritätsprinzips, Heidelberg 1956, S. 55 ff. 4® Ebd., S. 55. »ο Ebd., S. 57. 51 Schaeder i n : W o h l der Allgemeinheit u n d öffentliche Interessen, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 39, B e r l i n 1968, S. 111. 52 Ryffel i n : W o h l der Allgemeinheit u n d öffentliche Interessen, Schriftenreihe der Hochschule Soeyer, Bd. 39, B e r l i n 1968, S. 25 m. w . Nachw. 53 Ebd., S. 25.
5. Die Offenheit der Bedeutungsinhalte
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denen Staatsordnungen der Geschichte ein gemeinsames Gemeinwohlverständnis herauszudestillieren, erscheint aussichtslos, da nach den geschichtlichen Erfahrungen nicht das Gemeinwohl dem Herrschenden Maßstäbe setzte, sondern umgekehrt der Machthaber verbindlich den Inhalt des Gemeinwohlbegriffs festlegte. Das Gemeinwohl wurde vom Staatsziel okkupiert; es hat keinen vorgegebenen, etwa naturrechtlich begründbaren unumstößlichen (Minimal-)Inhalt 5 4 . Damit muß insgesamt der Versuch als gescheitert angesehen werden, aus dem Gemeinwohlbegriff genügend scharfe, inhaltlich fixierbare Definitionskriterien interpretativ zu entwickeln. Dem entspricht die moderne Erkenntnis, daß es einen absoluten Begriff des Gemeinwohls, dem ein konkreter fester Inhalt zugeordnet werden könnte, nicht gibt 5 5 . Aus diesem Grunde ist immer wieder behauptet worden, Begriffe wie „Gemeinwohl" oder „öffentliches Interesse" seien für die Anwendung i n einer Rechtsordnung untauglich und sollten deshalb aufgegeben werden 5 6 . Dem wäre zweifellos zu folgen, wenn sich herausstellte, daß überhaupt gar keine Möglichkeit bestünde, dem Gemeinwohlbegriff einen objektiv feststellbaren Sinn zuzuordnen. Jedoch folgt aus einer Definitions Unmöglichkeit noch keineswegs die Konkretisierungsuntauglichkeit. Deshalb soll i m folgenden Abschnitt geklärt werden, ob und gegebenenfalls wie das i m absoluten Sinn definitionsunfähige Gemeinwohl einer rechtlichen Konkretisierung zugänglich gemacht werden kann.
5. Die Offenheit der Bedeutungsinhalte Die inhaltliche Offenheit und die damit einhergehende Variabilität des Gemeinwohlleitbildes sind zwar einerseits Grund für die Befürchtung, ein bodenloser, unkontrollierbarer Relativismus würde die Vorhersehbarkeit juristischer Entscheidungsfindung vermindern. Andererseits muß es Rechtsbegriffe geben, die ihrer Eigenart und ihrer spezifischen Wirkungsweise nach geradezu auf Offenheit angelegt sind. Sie können ihre Funktion nur dann erfüllen, wenn sie unvollkommen und unvollständig und damit einer zeitgerechten Begriffsinhaltsdynamik zugänglich bleiben. I h r Charakter ermöglicht je nach Problem- und Sachzusammenhang jeweils neue Konfliktlösungen; der Inhalt des Rechtsbegriffs verwirklicht sich i n der Zeit. Genauso wie die Verfas64 Vgl. Rupp i n : W o h l der Allgemeinheit u n d öffentliche Interessen, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 39, B e r l i n 1968, S. 117. 55 Vgl. Morstein / Marx i n : W o h l der Allgemeinheit u n d öffentliche I n t e r essen, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 39, B e r l i n 1968, S. 54. 56 Nachweise s. bei Schnur i n : W o h l der Allgemeinheit u n d öffentliche Interessen, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 39, B e r l i n 1968, S. 58, Fußn. 2.
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V I I I . Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff
sung, die der Bewältigung wandelnder geschichtlicher Problemlagen verpflichtet ist, „ i n die Zeit hinein offen bleiben muß", und dies nur durch eine gewisse Weite verfassungsrechtlicher Begriffe erreichen kann 5 7 , hat die Offenheit des Gemeinwohltatbestandes bewirkt, daß sich das Gemeinwohl unter wandelnden Staats- und Rechtssystemen hat behaupten können 5 8 . Dies führte dazu, daß das Gemeinwohl zu den ältesten öffentlichen Leitbildern gehörte und auch heute noch „die dirigierende K r a f t einer idée directrice" entfaltet 5 9 . Die Vagheit des Gemeinwohlbegriffs „verunmöglicht endgültige Entscheidungen, macht aber alle künftigen, am Ideal objektiver Eindeutigkeit notwendig scheiternden Versuche sinnvoll. Das Gesamtinteresse als das nie voll auszuschöpfende Receptaculum oberster Maßstäbe stellt das mögliche Gemeinsame für die Glieder einer bestimmten Gesellschaft und heute gar grundsätzlich für alle Menschen auf, das immer neue V e r w i r k lichungsversuche legitimiert 6 0 ." Das Ringen um den richtig verstandenen Inhalt des Gemeinwohlbegriffs ist damit dem sich permanent fortsetzenden sozial-politischen Entwicklungs- und Entscheidungsprozeß überantwortet. A u f dieser Ebene befindet sich auch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach der abstrakte Begriff des Gemeinwohls eine Vielzahl von Sachverhalten und Zwecken decke und daher der Konkretisierung i m Einzelfall bedürfe 61 . Es ist nicht möglich, dem Gemeinwohl einen zeitlosen, fest umrissenen Inhalt zu geben; es ist stets erforderlich, es „aufs neue" zu konkretisieren. Damit ist das Schicksal des Gemein wohlbegriff s korrekt umrissen; sein Begriffsinhalt wandelt sich unter verschiedenen Gesichtspunkten. Zunächst einmal i n zeitlicher Hinsicht: die sich i m Laufe der Zeit i n der Gesellschaft wandelnden sozialen Wertungen verlangen einen flexiblen Gemeinwohlbegriff, der imstande ist, neue Gemeinwohlleitbilder zu rezeptieren und somit der Eigenart einer bestimmten historischen Epoche Rechnung zu tragen. Weiterhin wandelt sich der Bedeutungsinhalt je nachdem, i n welchem Problem- und Sachzusammenhang das Gemeinwohl zu aktualisieren ist. So sind die Gemeinwohlmaßstäbe jeweils danach differenziert, ob es sich beispielsweise um ein Verbot einer gewerblichen Anlage nach § 51 GewO handelt, ein gemeindliches Vorkaufsrecht auszuüben ist, eine Ausnahmegenehmigung nach dem Bundesfernstraßengesetz zu erteilen ist, oder ob eine Enteignung (Art. 14 I I I GG) oder Sozialisierung (Art. 15 GG) rechtmäßig ist. Genauso ist nach unterschiedlichen Gemeinwohlkonkretisierungsmöglichkeiten zu suchen, 57 Vgl. zu diesem Aspekt Hesse, S. 12. δβ Häberle, öffentliches Interesse, S. 207. 5» Ebd., S. 207. 60 Ryffel i n : W o h l der Allgemeinheit u n d öffentliche Interessen, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 39, B e r l i n 1968, S. 27. « BVerfGE 24, 367 (403).
6. Ansatzpunkte einer Gemeinwohlkonkretisierung
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wenn es beispielsweise darum geht, das Gemeinwohl i n sozialrechtlicher, wirtschaftsrechtlicher oder ordnungsrechtlicher Hinsicht zu formulieren. Es stellt sich hier nur die Frage, woher die einzelnen Konkretisierungsgesichtspunkte zu nehmen sind. Dies zu untersuchen, ist Aufgabe der folgenden Erörterung.
6. Ansatzpunkte einer Gemeinwohlkonkretisierung Da nun — wie gezeigt — i n unserer Rechtsordnung Gemeinwohlbegriffe zum rechtlichen Instrumentarium gehören, sie aber keinen festen Begriffsinhalt haben, stellt sich jetzt nicht mehr die Frage, was Gemeinwohl i m abstrakten Sinne bedeutet, sondern wie es i m konkreten Fall ermittelt w i r d und wer letztlich Konkretisierungsgesichtspunkte setzt. I n einer rechtsstaatlichen Demokratie liegt es nahe, zunächst die Verfassung heranzuziehen, die die normative Grundordnung der res publica ist und damit die normative öffentliche Gemeinwohlordnung darstellt 6 2 . Damit enthält sie Wertungselemente, die als A n haltspunkte für die Gemeinwohlkonkretisierung eminent wichtig sind 6 9 . Der Interpret des Gemeinwohlbegriffs ist so vor die Aufgabe gestellt, die verfassungsrechtlich fixierten öffentlichen Gemeinwohlgüter zur i n Frage stehenden inhaltlichen Ausfüllung des Gemeinwohlbegriffs heranzuziehen. Jede Gemeinwohlkonkretisierung ist durch einen Rückgriff auf die Gemeinwohlgüter der Verfassung vorzunehmen; insoweit stellt sie zugleich einen A k t der Verfassungsinterpretation dar 6 4 . Umgekehrt ist daher Verfassungsinterpretation auch Gemeinwohlkonkretisierung von Verfassungs wegen 65 . Daraus folgt, daß die Verfassungsbestimmungen — und damit auch die Grundrechte — Konkretisierungen des Gemeinwohls sind, also als Gemeinwohlgüter bezeichnet werden können. Gemeinwohlhaltig sind jedoch nicht nur die Grundrechte, sondern auch andere grundlegende Verfassungsentscheidungen für bestimmte Staatszwecke, Rechts- und Ordnungsprinzipien (Sozialstaatlichkeit, Rechtsstaatlichkeit usw.). So enthält das Grundgesetz fundamentale Aussagen darüber, von welchem Geist und von welchen Zielvorstellungen das gesamte Handeln des Staatsapparates geprägt sein soll. Diese sogenannten „Staatszielbestimmungen" 66 , bei denen es insbesondere um die Gewährleistung der freien Persönlichkeitsentfaltung, das «2 Vgl. Häberle, öffentliches Interesse, S. 28 u n d 33. es Ebd., S. 349. β4 Ebd., S. 349 f. es Ebd., S. 349. 66 Vgl. zu den Staatszielbestimmungen Herzog, Allgemeine Staatslehre, 5. Aufl., München 1975, S. 320 u n d 387 f.; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 5. Aufl., München 1975, S. 296 f.
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Demokratieprinzip, Sozialstaatlichkeit, Sicherung von Ordnung und Rechtsfrieden und äußere Sicherheit geht, sind nicht nur Direktiven für die legislative und exekutive Staatstätigkeit, sondern auch unmittelbare Gemeinwohlkonkretisierungen, und zwar deshalb, weil die Verfassung als normative Gemeinwohlordnung der res publica als die Gesamtheit der Gemeinwohlkonkretisierungen anzusehen ist 6 7 . Führen weder grundrechtliche Gewährleistungen noch verfassungsrechtlich verankerte Staatszielbestimmungen i m Einzelfall zur Aufhellung des Gemeinwohlbegriffs, ist letztlich der demokratisch legitimierte Gesetzgeber oder der von i h m dazu Bevollmächtigte dazu berufen, verbindlich festzustellen, was i n einem bestimmten Zusammenhang unter Gemeinwohl zu verstehen ist und welche rechtlichen Folgerungen daraus abzuleiten sind 6 8 . Einer derartigen Gemeinwohlsicht könnte nun entgegengehalten werden, es fehle ihr jeglicher Eigenwert, da sich die Begriffsinhaltsausfüllung an der Verfassung oder (subsidiär) am Gesetzesrecht orientiert. Daran ist zwar richtig, daß dem „Begriff" des Gemeinwohls kein vorgegebener objektiver Sinngehalt zugewiesen werden kann, er sich i m Gegenteil gerade durch seine Offenheit und Aufnahmefähigkeit auszeichnet, um den sich wandelnden Problemlagen Rechnung tragen zu können. Das Fehlen eines begrifflichen Selbstgehaltes führt aber nicht notwendig zur Verzichtbarkeit des betreffenden Begriffs, insbesondere dann nicht, wenn der Begriff über den (angeblich) fehlenden Eigengehalt hinaus und von diesem Defizit unabhängige, weitergehende Funktionen erfüllt. Unabhängig von dem Problem der begrifflichen Präzisierung des Gemeinwohlleitbildes w i r d die Rechtsaussage, daß die Inhaber staatlicher Herrschaftsbefugnisse zur Wahrung des Gemeinwohls verpflichtet sind, rechtsqualitativ, als „allgemeiner Rechtsgrundsatz" angesehen 69 . Ist damit die Gemeinwohlwahrungspflicht die tiefgehendste Legitimation und das oberste Ziel staatlichen Handelns 70 , so geht m i t ihr auch eine freiheitsbegründende Funktion einher. Denn ein dem Gemeinwohl verpflichtetes Staatswesen muß notwendigerweise Freiheitspositionen verfassungsrechtlich gewährleisten. Grundrechtliche Freiheiten sind vom öffentlichen Interesse gefordert und damit als öffentliche Frei67
Vgl. dazu Häberle, öffentliches Interesse, S. 351 ff. Vgl. zur Gemeinwohlkonkretisierung durch den Gesetzgeber Reuß, Z f A 1970, S. 323, der allerdings die Konkretisierungsmöglichkeit durch die Verfassung als zu unbestimmt v e r w i r f t ; vgl. Reuß, Z f A 1970, S. 322 f. 69 s. dazu Wolff i n : Gedächtnisschrift f ü r Walter Jellinek, München 1955, S. 40. 70 Henkel, S. 447 ff.; vgl. auch Rupp i n : W o h l der Allgemeinheit u n d öffentliche Interessen, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 39, B e r l i n 1968, S. 116; BVerfGE 12, 354 (364). 68
6. Ansatzpunkte einer Gemeinwohlkonkretisierung
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heiten selbst Ausdruck des Gemeinwohls. Andererseits umfaßt die Gemeinwohlwahrungspflicht staatlichen Handelns auch die Begrenzung individualer Freiheitspositionen. Da nur die Beschränkung der Freiheit die einzige Chance ist, Freiheit für alle Grundrechtsträger zu realisieren, ist somit die Schrankenziehung ebenso vom Gemeinwohl gefordert wie die Begründung von Grundrechten 71 . Damit hat das Gemeinwohl eine von der Begriffskonkretisierung unabhängige freiheitsbegründende sowie freiheitsverkürzende Funktion und damit eine eminent wichtige autonome rechtliche Bedeutung. Aber auch das Fehlen eines vorgegebenen begrifflichen Selbstgehaltes entwertet das Gemeinwohlleitbild keineswegs. Es ist universaler und unentbehrlicher Ansatzpunkt, wenn es darum geht, i n konkreten Situationen öffentliche Interessen zu aktualisieren. Das Gemeinwohl integriert alle denkbaren (verfassungs- und unterverfassungsrechtlich normierten) öffentlichen Interessen und kann damit als generale verfassungsrechtliche Kategorie, die jederzeit unvorbelastet konkretisiert werden kann, i n unterschiedlichen Problemlagen konfliktorientiert angewendet werden. So gesehen ist der mangelnde begriffliche Selbstgehalt kein Argument, auf den „Begriff" des Gemeinwohls insgesamt zu verzichten. Wäre nun i m vorliegenden Zusammenhang eine Gemeinwohlbindung der Tarifpartner hinsichtlich ihrer tarifvertraglichen Lohndatensetzung rechtlich begründbar, stellte sich die Frage, ob diese Verpflichtung m i t Hilfe der Verfassung hinreichend bestimmbar ist, wobei — wie hier entwickelt — die Grundrechte, die allgemeinen Verfassungsprinzipien und die Staatszielbestimmungen das primäre „ Gemeinwohlmaterial" abgäben, an dem sich die Konkretisierung zu orientieren hätte. Damit wäre dann — wie oben gefordert 72 — die Verfassung Ausgangspunkt und Maßstab für freiheitsbegrenzende Schrankenziehungen i m Bereich der durch A r t . 9 I I I GG gewährleisteten verbandsmäßigen Lohngestaltung. Bevor jedoch diese Frage erörtert wird, ist zunächst erforderlich, sich des Problems der rechtlichen Begründung einer Gemeinwohlverpflichtung anzunehmen. Als Zwischenergebnis ist jedenfalls festzuhalten, daß jegliche Gemeinwohlkonkretisierung zunächst an die Verfassungssätze als verbindliche Aussagen über öffentliche Gemeinwohlgüter anzuknüpfen hat. 71 Wie n u n diese Schranken i m einzelnen zu ermitteln sind, ist wieder eine ganz andere Frage. Keineswegs untersteht m i t dieser Begründung jegliches Freiheitsrecht einem Gemeinwohlvorbehält; eine Gemeinwohlschranke w i l l vielmehr i m Einzelfall begründet sein. 72 Siehe oben V I , 6.
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V I I I . Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff
7. Erforderlichkeit einer Gemeinwohlbindung Einer Gemeinwohlbindung der Tarifpartner bedarf es nicht, wenn die Koalitionen aus sich selbst heraus, durch ihr antagonistisches Zusammenwirken die Gewähr dafür böten, gesamtwirtschaftlich tragbare Lohndaten zu setzen. Eine derartige Annahme wäre gerechtfertigt, wenn das Prinzip der „inneren Stabilität durch Verwirklichung des Gegengewichtsprinzips" 73 auch auf die tarifautonome Datensetzung A n wendung finden könnte. Danach würden die Tarifparteien den gesamtwirtschaftlich richtigen Lohn deshalb vereinbaren, w e i l sie die Fähigkeit zur Selbststeuerung und Selbstdisziplinierung besitzen und der Staat gleichsam Hilfestellung für die Gewährleistung der inneren Stabilität dadurch gibt, daß er sich dirigistischer Einflußnahme i m Bereich der tarifautonomen Datensetzung enthält 7 4 . Solange der Staat den autonomen Interessengruppen die Festlegung des Arbeitsentgeltes überträgt, tragen nur sie die Verantwortung gegenüber dem Staat und der Öffentlichkeit für die Richtigkeit ihrer Datensetzung. Sie allein haben die Tarifabschlüsse zu rechtfertigen und zu begründen. Nur solange sie sich i n dem verantwortbaren wirtschaftlichen Rahmen bewegen und damit die ihnen überantwortete Ordnungsfunktion sachgerecht erfüllen, können sie vor autonomieverkürzenden staatlichen Eingriffen sicher sein. Dieser Verantwortung sind sich die Tarifpartner bewußt, und daraus könnte die Gewähr für die Zukunft folgen, daß sie sich gemeinwohlorientiert verhalten 7 5 . Weiterhin kann auf das „Gegengewichtsprinzip" verwiesen werden. Es geht davon aus, daß die Möglichkeit der Wirtschaftssubjekte, ihre Interessen durchzusetzen, tatsächlich von der Gegenkraft derer, auf deren Kosten die Durchsetzung ginge, so eingeschränkt wird, daß der Vertrag, welcher die gegenläufigen Interessen zum Ausgleich bringt, auch ein ökonomisch richtiger, gerechter und gemeinzweckmäßiger Vertrag ist 7 6 . Für die Sozialpartner bedeutete dies: durch die Möglichkeit, auf den Gegner wirkungsvollen Druck auszuüben, würde der Abschluß eines für die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite „gerechten Vertrages" das Ergebnis der Tarifvndhandlungen sein. Dieses Gegengewichtsprinzip setzt aber voraus, daß zwischen den Kontrahenten eine sogenannte „Waffengleichheit" besteht, und daß Macht und Gegenmacht vergleichbare Größen sind 7 7 . Gerade das Arbeitsrecht kann als die ™ Vgl. Löwisch, R d A 1969, S. 131. Vgl. Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen, B e r l i n 1956, S. 199. ™ Vgl. Kaiser, Repräsentation, S. 198 f.; Löwisch, R d A 1969, S. 131. ™ Löwisch, R d A 1969, S. 131; vgl. dazu auch Bartholomeyczik, AcP Bd. 166, S. 68 ff. 74
7. Erforderlichkeit einer Gemeinwohlbindung
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Geschichte der Waffengleichheit und des Gegengewichtsprinzips bezeichnet werden 7 8 . Die Entstehung und rechtliche Sanktionierung der Gewerkschaften war die Reaktion auf unternehmerische Übermacht auf dem Arbeitsmarkt. Erst das Entstehen starker, die Arbeitnehmerinteressen vertretender Gewerkschaften stellte die Waffengleichheit und damit eine annähernde „Vertragsgerechtigkeit" her. Damit wurde die soziale Befriedungsfunktion des materialen Vertragsprinzips auch für die Entgeltfrage auf den Arbeitsmärkten realisiert. Das Gegengewichtsprinzip erlangt jedoch Wirksamkeit nur zwischen den jeweiligen Vertragskontrahenten. N u r i m Verhältnis der Koalitionen zueinander ist der geschlossene Vertrag als ein „gerechter und ökonomisch richtiger" Vertrag anzusehen. Das Zusammenwirken zweier annähernd machtgleicher Vertragspartner kann zwar das „gemeinsame Beste" für die Kontrahenten zur Folge haben. Damit ist aber nicht gesagt, daß der Abschluß zugleich auch das „gemeine Beste" für die Allgemeinheit verwirklicht. Gerade bei der tariflichen Lohndatensetzung besteht trotz gleicher Machtverteilung zwischen den Koalitionen die Gefahr, daß sich die Tarif partner „auf dem Rücken Dritter", d. h. zuungunsten der von den Tarifverträgen rechtlich nicht mitumfaßten, faktisch aber tangierten Allgemeinheit einigen. Dies gilt i n besonderem Maße dann, wenn die Tarifpartner keinem Widerstand von außen, also vom Staat oder von den Verbänden, begegnen 79 . So können sie versucht sein, — und die lohnpolitische Entwicklung einiger europäischer Nachbarländer zeigt dies zur Genüge — einseitig mitgliederinteressenorientiert die Belastbarkeit der Wirtschaft und die Geduld des Staates auf die Probe zu stellen, was unter Umständen zu unverantwortlichen, die Volkswirtschaft gefährdenden lohninduzierten Inflationsschüben führen kann. I m übrigen w i r d das Gegengewichtsprinzip i m tarifautonomen Regelungsbereich nicht i n gleicher Weise wirksam, wie dies bei anderen Marktteilnehmern der Fall ist. Ein Unternehmer muß — um konkurrenzfähig zu bleiben und um Marktverluste zu vermeiden — seine Preise denen des Konkurrenten angleichen. Die Koalitionen hingegen haben infolge ihres weitgehenden Regelungsmonopols, mindestens aber infolge der sich regelmäßig einstellenden Gleichmäßigkeit der Lohnanhebung i n einer bestimmten „Lohnrunde" keine vergleichbaren M i t bewerber, die die Möglichkeit hätten, für die Arbeitnehmer „bessere" Tarifregelungen anzubieten 80 . Lohnerhöhungen belasten überdies die 77 Vgl. Bartholomeyczik, A c P Bd. 166, S. 30 f. u n d 37. 78 Bartholomeyczik, AcP Bd. 166, S. 65. 7β Siehe dazu die Bedenken, die auf der Zivilrechtslehrertagung 1965 geäußert wurden, Diederichsen, AcP 166. Band, S. 145; Löwisch, R d A 1969, S. 135. so Vgl. dazu Löwisch, R d A 1969, S. 135.
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V I I I . Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff
Unternehmer gleichmäßig, und wie die Erfahrung lehrt, kann diese erhöhte Lohnkostenbelastung durch eine neue Preisgestaltung gemildert oder sogar vollends abgefangen werden. Diese Überlegungen zeigen deutlich, daß das Prinzip der „inneren Stabilität durch V e r w i r k lichung des Gegengewichtsprinzips" allein nicht i n der Lage ist, eine am Gemeinwohl orientierte Tarifpolitik zu gewährleisten. Deshalb kann auch all den Meinungen nicht gefolgt werden, nach denen die Tarifpartner das Gemeinwohl selbst verwirklichten. Dies gilt auch für die (formale) Gemeinwohlsicht Lerches, der — wie oben 8 1 dargelegt wurde — die Gemeinwohlbindung der Tarifpartner auf eine Kompetenzaussage reduziert; die Kompetenz der Koalitionen erstreckt sich zwar auf die Festlegung des „gemeinsamen Besten", nicht aber — mangels eines gesamtwirtschaftlichen Mandats 8 2 — auf die Definition des „gemeinen Besten" 83 . Damit ergibt sich, daß dem Prinzip der Selbstverwirklichung des Gemeinwohls nicht gefolgt werden kann, m i t h i n eine Divergenz zwischen tarifvertraglicher Lohnfestsetzung und den Erfordernissen des Gemeinwohls möglich ist. 8. Öffentlicher Status und Gemeinwohlbindung Zum Schluß dieses Kapitels soll noch auf diejenigen Stimmen in der Literatur eingegangen werden, die die tarifvertragliche Normsetzung und den Status der Koalitionen m i t „Öffentlichkeitsattributen" versehen und sie damit in eine gesteigerte Verantwortungsbeziehung zur Gesellschaft bringen. So vertritt Lerche die Meinung, die Sozialpartner hätten einen besonderen Öffentlichkeitsstatus. Sie träten aufgrund ihrer besonderen Legitimation aus dem Bereich des allgemeinen, allein durch A r t . 9 I GG geschützten Verbands- und Vereinigungswesens heraus 84 . Ihre Aufgabe besteht danach nicht nur i n der bloßen Selbstdarstellung gesellschaftlicher Gruppeninteressen; die Tarif partner seien vielmehr Mitträger der freiheitlich-demokratischen Grundordnung 8 5 und als solche verfassungsrechtlich anerkannte „öffentliche Verbände" 8 6 . Auch Weber bezeichnet die Koalitionen als „Organisationserscheinungen von so hohem Rang und von derart übergreifender Gesamtverantwortung, daß sie ei 82 83 84 8β 8β
Siehe oben unter V I I , 3. Siehe dazu näher oben V, 4, b). So aber Lerche, Zentralfragen, S. 30. Lerche, Zentralfragen, S. 28 f. So auch Leibholz, W D S t R L 24, S. 24. Lerche, Zentralfragen, S. 28 f.
8. öffentlicher Status und Gemeinwohlbindung
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einen öffentlichen Status genießen" und sogar i n die Nähe politischer Parteien gerückt seien 87 . Für Krüger 88 folgt aus der Mächtigkeit, der Zielsetzung und den M i t teln, deren sich die Koalitionen zur Durchsetzung ihrer Ziele bedienen, der öffentliche Status der Sozialpartner. Damit seien sie der Sphäre des privaten Beliebens entrückt 8 9 . I m übrigen — so Krüger — könne der Staat eine Bewidmung m i t einem der wichtigsten staatlichen Rechte, dem Normsetzungsrecht, nur einem Träger zuteil werden lassen, der eine Heraushebung verdiene 90 . Außerdem ergebe sich der Öffentlichkeitsstatus daraus, daß den Koalitionen das Privileg zukomme, von Regierung und Parlament gehört zu werden, bevor sie berührende Maßnahmen getroffen werden 9 1 . Andere Autoren sprechen den Koalitionen einen sogenannten „öffentlichen Rang" zu 9 2 , oder vertreten die Ansicht, daß die Gewerkschaften von der öffentlichen Aufgabe, die sie erfüllen, ihrerseits einen starken öffentlichen 93 Einschlag zurückgewinnen 94 . Auch w i r d angeführt, daß die Sozialpartner m i t ihrer Zielsetzung öffentliche Aufgaben wahrnehmen und deshalb „beliehene Verbände" seien 95 . Hervorgehoben w i r d ferner die gesellschaftliche Bedeutung der Gewerkschaften, die zu einem der entscheidenden Gestaltungsfaktoren des gesamten politischen, sozialen und ökonomischen Lebens geworden seien und i n dieser Stellung öffentliche Funktionen ausüben, so daß ihre Aktionen und Entscheidungen unter Umständen sogar den hoheitlichen Akten von Staatsorganen gleichzusetzen seien 96 . Diese auf einen Öffentlichkeitsstatus bzw. auf sonstige Öffentlichkeitsattribute rekurrierenden Konzeptionen haben (primär) den Zweck, die Koalitionen aus der am Eigennutz orientierten privatrechtlichen Ungebundenheit herauszulösen, um sie i n die Verantwortungs- und Pflichtengebundenheit staatlichen Handelns einzubetten. Damit wäre der Weg frei für eine (rechtlich verbindliche) Gemeinwohlbindung der Tarifpartner.
e? Weber, DVB1 1969, S. 417. 88 Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 381 ff. 8» Ebd., S. 383. 90 Ebd., S. 386. 91 Ebd., S. 386. 92 So Köttgen i n : Göttinger Festschrift f ü r das O L G Celle, S. 94. 93 Nicht aber öffentlich-rechtlichen. 94 So Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, B e r l i n 1966, S. 37. 95 Müller, D B 1957, S. 718. 9β So Hirsch, S. 26.
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V I I I . Das Gemeinwohl als
echtsbegriff
Anerkannt ist, daß die Sozialpartner i m öffentlichen Interesse handeln, daß sie eine „öffentliche Aufgabe" 9 7 wahrnehmen. Diese Aufgabenqualifikation als „öffentlich" rechtfertigt sich zunächst aus dem Umstand, daß die Sozialpartner an der Wahrnehmung der den Hoheitssubjekten obliegenden öffentlichen Funktionen beteiligt sind 9 8 . Die Gewerkschaftsbeteiligung an staatlichem Handeln bei der Regelung öffentlicher Angelegenheiten reicht von der M i t w i r k u n g bei staatlichen Normsetzungsakten 99 über die M i t w i r k u n g i n der staatlichen Verwalt u n g 1 0 0 bis hin zur Beteiligung der Sozialpartner bei der staatlichen Rechtsprechung 101 . Aber auch die tarif vertragliche Gestaltung des W i r t schafts« und Soziallebens ist „inhaltlich-gegenständlich öffentlich" 1 0 2 , da die Tarifdatensetzung entscheidende Folgewirkungen für das gesamtwirtschaftliche Wohlergehen der staatlichen Gemeinschaft m i t sich bringt. Doch die evidente öffentliche Inpflichtnahme und die den Koalitionen i m öffentlichen Interesse überantwortete Ordnungsfunktion kann nicht zu einer Qualifikationsänderung der Tätigkeit selbst führen 1 & 3 . So n i m m t beispielsweise auch die durch A r t . 5 I GG grundrechtlich geschützte Presse anerkanntermaßen eine öffentliche Aufgabe 1 0 4 wahr, ohne daß man sie bislang zum Zwecke strengerer Gemeinwohlgebundenheit und Verantwortung i n Staatsnähe gerückt hätte. Entscheidend dürfte sein, daß eine heillose Verwischung der Grenzen zwischen privater und öffentlicher Verbandsnatur zu befürchten ist, wenn die rechtliche Einordnung davon abhängig gemacht wird, ob und i n welchem Umfang der Verband öffentliche Interessen wahrnimmt. Aus der Uberantwortung ganz bestimmter — auch weitreichender — arbeits-, wirtschafts- und sozialgestaltender Aufgaben auf einen öffentlichen Status der Koalitionen zu schließen, mag deshalb zwar politischsoziologisch sinnvoll und aufschlußreich sein, darf aber nicht zu der 97 Vgl. zum Begriff des „öffentlichen" ausführlich Martens, ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, Berlin—Zürich 1969, S. 22 ff. 98 So Martens, S. 161; vgl. zu dem „öffentlichen" Aufgabenfeld der Gewerkschaften ausführlich Popp, öffentliche Aufgaben der Gewerkschaften u n d innerverbandliche Willensbildung, B e r l i n 1975, S. 12 ff., sowie Gießen, S. 20 ff. 99 Vgl. die Zusammenstellung bei Hirsch, S. 158 ff. 100 Vgl. die ausführlichen Tabellen bei Gießen, S. 23 ff.; Hirsch, S. 166ff. 101 Vgl. §§ 18, 14, 15, 17 A r b G G u n d §§ 14, 23 SGG. 102 Martens', S. 161. 103 So auch Starck i n : Bundesverfassungsgericht u n d Grundgesetz, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, I I . Band (1976), S. 506. 104 Dies ist teilweise von den Landespressegesetzgebern ausdrücklich normiert worden; vgl. dazu Löf fier, Presserecht, Bd. I, 2. Aufl., München 1969, 1. Kapitel, Rdn. 3; 8. Kapitel, Rdn. 14 f.; ausführlich dazu Czajka, Pressefreiheit u n d „öffentliche Aufgabe" der Presse, Stuttgart—Berlin—Köln— Mainz 1968, S. 37 ff.
9. Zusammenfassung
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rechtlichen Konsequenz führen, daß die Koalitionen an die öffentlichrechtliche Sonderrechtsordnung angeschlossen 105 und damit einer staatsidentischen oder staatsähnlichen Pflichtengebundenheit unterworfen werden. 9. Zusammenfassung Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, daß das Gemeinwohl weder ein anti- noch ein außerrechtlicher Begriff ist, sondern i m Gegenteil als Rechtsbegriff i m Normenbau unserer Rechtsordnung unerläßlich ist. Das Gemeinwohl ist aus sich selbst heraus nicht definitionsfähig, w o h l aber einer Konkretisierung i m Einzelfall zugänglich. Maßstäbe für die inhaltliche Ausfüllung gibt die Verfassung, und zwar insbesondere die Grundrechte und die Staatszielbestimmungen. Damit ist all den Meinungen eine Absage erteilt, für die das Gemeinwohl keine rechtliche Kategorie darstellt oder die auf den Leercharakter und die inhaltliche Nichtausfüllbarkeit des Gemeinwohlbegriffs verweisen. Der Grundsatz der „inneren Stabilität durch Verwirklichung des Gegengewichtsprinzips" auf die tarifautonome Datensetzung bezogen, vermag eine gemeinwohlorientierte Selbststeuerung der tarifparteilichen Lohndatensetzung nicht zu garantieren; das „gemeinsame Beste" muß nicht zugleich das „gemeine Beste" darstellen. Z w a r üben die Tarifpartner weitgehend öffentliche Funktionen aus und sind i m öffentlichen Interesse tätig; diese Öffentlichkeitsbeziehung der Sozialpartner f ü h r t aber nicht zum Anschluß der Koalitionen an die öffentlich-rechtliche Sonderordnung m i t den entsprechenden öffentlich-rechtlichen Pflichtenstellungen.
105
So deutlich Martens, S. 165.
I X . Ableitung einer Gemeinwohlbindung als Grenze tariflicher Regelungsbefugnis aus dem Legitimationserfordernis Grundlage für die Herleitung einer Gemeinwohlbindung kann — wie bereits oben i m Rahmen der Vorbehaltsfrage ausgeführt — nur die Verfassung sein. Deshalb stellt sich die Aufgabe, verfassungsrechtliche Ansatzpunkte für eine die Tarifautonomie begrenzende Gemeinwohlbindung zu finden. Dabei soll i m folgenden die Frage geklärt werden, ob aus einem „Legitimationserfordernis" der Tarifpartner gegenüber den von den tariflichen Vereinbarungen erfaßten Arbeitgebern und Arbeitnehmern und bzw. oder gegenüber der von den Vereinbarungen mitbetroffenen Allgemeinheit eine Grenze tariflicher Regelungsbefugnis folgen kann. Hierzu bedarf es zunächst der Erörterung, was unter diesem Legitimationserfordernis zu verstehen ist, woraus es abzuleiten ist und ob die Tarifpartner überhaupt einer solchen Legitimation bedürfen. I n A r t . 20 I I Satz 1 GG w i r d bestimmt, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Sie w i r d vom Volk durch besondere Organe ausgeübt, die das Volk repräsentieren (Art. 20 I I Satz 2 GG). Diese Repräsentanten bedürfen notwendig der Legitimation durch das Volk. Das Grundgesetz gewährleistet diese Legitimation durch regelmäßig abzuhaltende freie und gleiche Wahlen 1 (Art. 38, 28 GG). Desgleichen muß i n den Gemeinden gemäß A r t . 281 GG das Volk eine Vertretung haben, „die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist" und die dieses Volk repräsentiert. Das Erfordernis der Legitimation der Repräsentanten soll gewährleisten, die repräsentative Seite unserer staatlichen Ordnung dadurch zu demokratisieren, daß die politische Führung keine dem Volk aufgezwungene, sondern von der Mehrheit des Volkes anvertraute und somit legitimierte, dem Volk verantwortliche Herrschaft ist 2 . Damit ist der Zusammenhang zwischen Repräsentation und Legitimation Ausdruck der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes. Hierbei ist jedoch zu beachten, 1 Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, Berlin—Göttingen 1953, S. 308; Hesse, S. 64; vgl. weiter zum Prinzip der Legitimation: Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, Berlin—Leipzig 1929, S. 140 ff.; v. Mangoldt/ Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. I, S. 593; Hamann / Lenz, S. 71; Maunz i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 20, Rdn. 29 ff. 2 Hesse, S. 63.
1. Verfassungsrechtliche Grundprinzipien
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daß das i n der Verfassung angelegte Legitimationserfordernis sich auf die staatlichen Repräsentationsorgane des Volkes bezieht, d.h. eine Anwendung dieses Verfassungsgrundsatzes auf nichtstaatliche (gesellschaftliche) Organe nicht ohne weiteres möglich ist. Es ist deshalb i m folgenden zu untersuchen, ob und unter welchen Voraussetzungen dieser Verfassungsgrundsatz auch für die tarifautonome Datensetzung Geltung beanspruchen kann. 1. Übertragung verfassungsrechtlicher Grundprinzipien auf die Koalitionen Zunächst scheint es überkommenem Verfassungsverständnis zu widersprechen, i n der Verfassung festgelegte, auf den Staatsaufbau bezogene Grundordnungsprinzipien auch auf die gesellschaftliche Sphäre zu übertragen. Dafür spricht die Erwägung, daß der Grundgesetzgeber, w i l l er Verfassungsprinzipien ausdehnend auf gesellschaftliche Verbände übertragen, die Möglichkeit hat, dies ausdrücklich i n der Verfassungsurkunde zu erwähnen 3 . Andererseits w i r d i n der Übertragung verfassungsrechtlicher Grundprinzipien auf die gesellschaftlichen Verbände eine politische wie auch verfassungsrechtliche Notwendigkeit gesehen. So ist die Anwendung des demokratischen Prinzips des A r t . 20 GG auf die Koalitionen heute wohl überwiegend anerkannt 4 . Entscheidend für eine derart weitgehende Verfassungsinterpretation dürfte der Gedanke sein, daß grundlegende Verfassungsentscheidungen nicht ausschließlich W i r k k r a f t nur innerhalb der engen Staatsorganisation entfalten wollen; vielmehr können sich einige Prinzipien wie ζ. B. das Demokratieprinzip nur dann sinnvoll entfalten, wenn sie auch zumindest für diejenigen gesellschaftlichen Verbände gelten, denen vom Staat so wichtige öffentliche Aufgaben überantwortet worden sind, wie dies ζ. B. bei den Tarifparteien der Fall ist 5 . Dies ist nun nicht so zu verstehen, daß das grundgesetzliche Ordnungssystem auf die gesellschaftlichen Verbände lückenlos zu übertragen wäre. Dies ist schon i n Anbetracht der grundsätzlich auf die hoheitlichen Beziehungen beschränkten Grundgesetzregelungen auch gar nicht möglich. Vielmehr soll erreicht werden, daß gewisse Grundwertungen — wie beispielsweise gerade der Demokratiegedanke — tendenziell auch i n der gesellschaftlichen Sphäre Beachtung finden. 3 Vgl. beispielsweise A r t . 211 2 GG, wonach die innere Ordnung der politischen Parteien demokratischen Grundsätzen entsprechen muß. 4 Ridder, Z u r verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften nach dem Grundgesetz, Stuttgart 1960, S. 29; Biedenkopf, Grenzen der T a r i f autonomie, S. 51 f. u n d S. 53 f.; Leibholz, W D S t R L 24, S. 24; Lerche, Zentralfragen, S. 29; Maunz i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 9, Rdn. 121; Säcker, G r u n d probleme, S. 29. s Vgl. dazu Ridder, S. 24.
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I X . Ableitung einer Gemeinwohlbindung
So bestechend dieser Gedanke allerdings auf den ersten Blick sein mag, birgt er nicht unerhebliche Gefahren i n sich, die bei der Ausdehnung des Demokratieprinzips i n die gesellschaftliche Sphäre m i t bedacht werden wollen. Eine generelle Übertragung des für den staatlichen Bereich geltenden Demokratieprinzips stünde i m Widerspruch zu den Besonderheiten beider Lebensbereiche. Das demokratische Prinzip, das sich i n der Organisation des Staates entfaltet, beruht auf der Grundvorstellung der allgemeinen Gleichheit aller Bürger (vgl. A r t . 38 11 GG) und auf der Anerkennung des Mehrheitsprinzips. Die gesellschaftlichen Lebensbereiche hingegen sind durch arbeitsteilige Differenzierung gekennzeichnet, bei denen die Funktionserfüllung i m Vordergrund steht; nicht Gleichheit, sondern die auf unterschiedlicher Sachkompetenz beruhende Verschiedenheit der Funktionsträger ist entscheidend 6 . Die durch die Demokratisierung bedingte A u f blähung der gesellschaftlichen Institutionen birgt die Gefahr, daß durch „innere Reibungen" die Effizienz der Aufgabenerfüllung leidet. Aber auch die Qualität der Entscheidung kann beeinflußt werden. Denn Demokratisierung bedeutet auch in gesellschaftlichen Institutionen oft Politisierung, die die Fronten eher verhärtet und die Sachgesichtspunkte leicht zurückdrängt. Diese Gefahren und die unterschiedlichen Strukturprinzipien von Staat und Gesellschaft gilt es mitzuberücksichtigen, wenn unter dem Schlagwort der „Demokratisierung der Gesellschaft" auf den Staatsaufbau beschränkte verfassungsrechtliche Grundprinzipien i n gesellschaftliche Institutionen hineingetragen werden sollen. Die politische Brisanz des Problems spiegelt sich i n der aktuellen Diskussion um das „Verbändegesetz" wieder. Gefordert w i r d eine demokratische Binnenstruktur der Verbände, die eine Schlüsselstellung i m gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Bereich innehaben. Wenn auch noch unklar ist, welche Verbände hierunter fallen sollen und wie die demokratische Struktur konkret auszugestalten ist, so besteht doch weitgehend Einigkeit darüber, daß diejenigen Verbände, die ähnlich wie die politischen Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, demokratisch strukturiert sein müssen. Zu diesen Verbänden müssen auch die Gewerkschaften gezählt werden, deren gesellschaftliche Macht sich nicht nur i n Tarifverhandlungen manifestiert. Sie wirken gleichzeitig maßgebend bei der Willensbildung i m arbeitsrechtlichen Bereich mit, wie ihre M i t w i r k u n g i n vielen Beiräten und anderen gesellschaftlichen Institutionen zeigt.
β So deutlich Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Bd. I, München 1977, S. 475.
Deutschland,
1. Verfassungsrechtliche Grundprinzipien
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Darüber hinaus — und das ist für die Berechtigung der Forderung nach einer demokratischen Struktur entscheidend — können die Gewerkschaften i m „Namen ihrer Mitglieder rechtsverbindlich handeln und entscheiden", was nur unter der Geltung des demokratischen Prinzips zulässig sein kann 7 . Für die verfassungsrechtlich sanktionierte exponierte Rechtsstellung der Koalitionen i m Verfassungsleben könnte dies folgendes bedeuten: Sind die Koalitionen kraft ihrer verfassungsrechtlich ihnen zugewiesenen Stellung berechtigt und verpflichtet, weitgehende Regelungsfunktionen i m sozialen Bereich des Staatswesens auszufüllen, hat der Staat also einen für die gesamte Entwicklung des Staatsganzen entscheidenden Regelungsbereich gesellschaftlichen Verbänden überantwortet, muß auch der innerhalb dieser Verbände zur Entscheidung führende Willensbildungsprozeß demokratischen Grundsätzen verpflichtet sein 8 . Dazu gehört auch, daß die i n den Tarifverhandlungen letztlich Entscheidenden durch diejenigen legitimiert sein müssen, die von der Tarifdatensetzung betroffen werden. Genauso wie i m repräsentativen Parlamentarismus der Volksrepräsentant der Legitimierung durch Volkswahlen bedarf, könnte die Anwendung des demokratischen Prinzips auf die Koalitionen fordern, daß die i n den Koalitionen letztlich Entscheidenden gleichsam von den Betroffenen regelmäßig durch einen realen Willensakt zur Letztentscheidung legitimiert sein müssen. Mag man eine so begründete Übertragung des Legitimationsprinzips auf die Koalitionen politisch auch für billigenswert halten, muß doch immer geprüft werden, ob der betreffende Verfassungsgrundsatz — hier also die Notwendigkeit der Legitimation der Repräsentativorgane des Volkes — seinem Wesen nach überhaupt geeignet ist, i n diese gesellschaftliche Ebene transponiert zu werden. Dies ist i m vorliegenden Fall deshalb fraglich, weil der Grundsatz der Legitimation der Repräsentanten bedingt durch die begriffliche Einengung des politischen Repräsentationsbegriffes die partikulare Interessenwahrnehmung durch gesellschaftliche Verbände zu erfassen gar nicht imstande ist; d. h. es ist zu fragen, ob der i n der Verfassung m i t „Repräsentation" gekennzeichnete Lebenssachverhalt auch i n der gesellschaftlichen Sphäre existiert. Wenn dies der Fall ist, ist die Übertragung des Legitimationserfordernisses auf die Koalitionen aus den oben angeführten Gründen gerecht7
Vgl. dazu Ellwein, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl. Opladen 1977, S. 140. β Der Mangel an innerverbandlicher Demokratie stellt übrigens auch einen wesentlichen K r i t i k p u n k t vieler Pluralismustheoretiker dar, vgl. i n : N u scheier / Steffani „Pluralismus", Konzeption u n d Kontroversen, 2. Aufl. M ü n chen 1973, Loewenstein, S. 190, Sontheimer, S. 212 u n d Narr, S. 257, der die monistische Strukturierung u n d die — w e i l nicht v o m Gruppenprozeß gewährleistete — fehlende Legitimität der „Gruppenleiter" kritisiert. 8 Knebel
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I X . Ableitung einer Gemeinwohlbindung
fertigt. Sollte sich hingegen herausstellen, daß sich das Legitimationserfordernis nur auf die Repräsentation der politischen Einheit bezieht, sich also ausschließlich auf die i n A r t . 20 I I Satz 2 GG genannten Organe beschränkt, wäre eine Übernahme dieses Verfassungsprinzips i n den gesellschaftlichen Bereich verfassungsrechtlich äußerst problematisch, wenn nicht sogar ausgeschlossen. Es ist deshalb i m vorliegenden Zusammenhang zu klären, ob den Koalitionen, insbesondere den Gewerkschaften, Repräsentationsqualität zukommt. 2. Der herkömmliche Repräsentationsbegriff Der herkömmliche Repräsentationsbegriff knüpft an den Umstand an, daß Inhaber und Ausüber der Staatsgewalt nicht identisch sind. Handelt das Volk demgemäß durch Organe, deren Akte i h m verfassungsmäßig zugeordnet werden, kann von Repräsentation gesprochen werden 9 . Das Grundgesetz hat sich i n A r t . 20 I I Satz 2 GG für das Repräsentationssystem als konstitutionelles Strukturprinzip der Demokratie entschieden. Der parlamentarische Abgeordnete hat die Aufgabe, das gesamte Volk als ideelle politische Einheit zu repräsentieren 10 , A r t . 381 Satz 2 GG. Daraus folgt, daß Repräsentation nur i n einer bestimmten Wertsphäre möglich ist, die eine „höhere A r t Sein" voraussetzt 11 . Repräsentationsfähig können daher nur ideelle Werte wie beispielsweise Gerechtigkeit oder „wertakzentuierte Gemeinschaften" sein 12 . Diesem Ansatzpunkt folgend können partikulare Interessen oder Willen nur vertreten, nicht aber repräsentiert werden 1 3 . Dem liegt die Vorstellung zugrunde, Repräsentation sei begrifflich eng verknüpft m i t einer volonté générale; nur Werte von konstituierender Allgemeingültigkeit könnten repräsentiert werden 1 4 . Diesem Repräsentationsbegriff folgend, müßte den Koalitionen, die primär bestimmt geartete wirtschaftliche Partikularinteressen wahrnehmen, die Repräsentationsqualität abgesprochen werden. β Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 71 u n d 340; Schmitt, Verfassungslehre, 4. Aufl., B e r l i n 1965, S. 214 ff. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 57 ff.; Schmitt, S. 212. u So Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 32; Schmitt, S. 210. 12 Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 37 ff.; Schmidt, S. 210. 13 Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 37 ff.; Schmidt, S. 210; Dagtoglou, Der Private i n der V e r w a l t u n g als Fachmann u n d Interessenvertreter, Heidelberg 1964, S. 44 f. 1 4 So deutlich Dagtoglou, S. 45; Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, 5. 32, hält sogar ökonomische Werte wegen ihres mangelnden spezifischideellen Wertakzents f ü r nicht repräsentationsfähig; m a n dürfe daher nicht von einer Repräsentation der Wirtschaft sprechen; dagegen Scholz, K o a l i tionsfreiheit, S. 171, Fußn. 35.
3. Der erweiterte Repräsentationsbegriff
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3. Der erweiterte Repräsentationsbegriff Der oben skizzierte, sogenannte konstitutionelle Repräsentationsbegriff ist — bedingt durch die begriffliche Einengung — nicht i n der Lage, solchen Organen Repräsentationsqualität zuzugestehen, die nicht die politische Einheit, sondern eine Vielheit, nämlich die i n Interessengruppen gespaltene Gesellschaft widerspiegeln. Kaiser 1 6 hat deshalb neben den herkömmlichen konstitutionellen Repräsentationsbegriff den Begriff der sogenannten existentiellen Repräsentation gestellt. Während die konstitutionelle Repräsentation nur die Repräsentation der politischen Einheit des Volkes durch das Parlament i m Auge hat, stellt die organisierte Interessenwahrnehmung, ζ. B. durch Verbände, jedoch auch eine A r t Repräsentation dar, die Kaiser als „faktische Repräsentation" bezeichnet 16 . Hierbei handelt es sich — i m Gegensatz zur konstitutionellen Repräsentation — u m eine nicht normative und nicht institutionalisierbare Erscheinung moderner Verbandsinteressenwahrnehmung. Die Anerkennung nichtkonstitutioneller Repräsentationsqualität der Partikularinteressen wahrnehmenden Verbände erklärt sich maßgeblich aus der Erkenntnis, daß der Volkswille nicht nur gerade und ausschließlich i m konstitutionellen Wahlverfahren ermittelt werden kann. Vielmehr stellt die organisierte Partikularinteressenwahrnehmung i n einem demokratisch-pluralistischen System eine weitere Möglichkeit dar, wie die Regierten auf die Willensbildung der Regierenden wirksam Einfluß nehmen können 1 7 . Die Repräsentation organisierter Teilinteressen t r i t t damit neben die parlamentarische Repräsentation der politischen Einheit des Volkes. Daraus folgt, daß die Koalitionen als gesellschaftliche Verbände i n ihrer Funktion, die wirtschaftlichen Belange der Mitglieder wahrzunehmen, durchaus Repräsentationsqualität haben können 1 8 , m i t h i n das Verfassungsprinzip der Legitimation der Repräsentanten der Übertragung auf die gesellschaftliche Ebene zugänglich ist. Es bleibt festzuhalten, daß das i n A r t . 20 I I GG niedergelegte demokratische Prinzip auf die Koalitionen zu übertragen ist. Dazu gehört !5 Repräsentation organisierter Interessen, S. 354 f.; i h m folgend Huber, H. i n : Recht u n d Staat, Bd. 218, Tübingen 1958, S. 18 f. ιβ Kaiser, Repräsentation organisierter Interessen, S. 355; diese Erweiter u n g des Repräsentationsbegriffs dürfte w o h l heute weitgehend anerkannt sein, vgl. Zippelius, S. 125; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 170; Altmann, ZfP 1955, S. 226; Lerche, Zentralfragen, S. 28; a. A . Dagtoglou, S. 45. 17 Vgl. Huber, H. i n : Recht u n d Staat, S. 19. is Hirsch, S. 127 ff.; Lerche, Zentralfragen, S. 28; Rittstieg, J Z 1968, S. 412 f.; Biedenkopf, Grenzen der T a r i f autonomie, S. 49; Altmann, S. 226; a. Α . Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 176: „es bleibt festzuhalten, daß das koalitionsrechtliche Interessenmandat . . . zumindest i m weiteren Sinne vertretungsrechtlicher A r t ist." (Hervorhebung v o m Verf.)
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I X . Ableitung einer Gemeinwohlbindung
auch das Prinzip der Legitimation der Repräsentanten, das — wie gezeigt — nicht nur auf die politische Repräsentation der Einheit des Volkes, sondern auch auf die Verbandsinteressenwahrnehmung A n wendung findet. 4. Legitimation gegenüber den Koalitionsmitgliedern Zunächst ist zu prüfen, ob die Mitglieder der Koalitionen, für die i m Tarifvertrag verbindlich Recht gesetzt wird, die den Tarifvertrag Schließenden hinreichend legitimiert haben. Die i m politischen Prozeß sich durch Volkswahlen aktualisierende Legitimation w i r d hier durch den Umstand ersetzt, daß der einzelne freiwillig dem betreffenden Verband beitritt und damit auch die Möglichkeit erhält, i n einem demokratisch organisierten Willensbildungsprozeß auf die Letztentscheidung der Verbandsspitze Einfluß zu nehmen. Die Legitimation der Verbandsspitze erneuert sich stetig solange, wie der einzelne durch sein Verbleiben i m Verband ausdrückt, daß er m i t der A r t der Wahrnehmung seiner Interessen durch die Koalition einverstanden ist. Die freiwillige Mitgliedschaft i m Verband ist also die Legitimationsgrundlage für die Mitgliederrepräsentation 19 .
5. Legitimation gegenüber den Außenseitern Es stellt sich nun die Frage, ob das Legitimationserfordernis nur gegenüber den Mitgliedern der Verbände besteht oder ob die Verbandsspitze auch durch die Außenseiter, also durch die nicht organisierten Arbeitnehmer legitimiert sein muß; d. h. es ist zu untersuchen, ob der Zusammenhang zwischen Repräsentation und Legitimation auch i n diesem Verhältnis Geltung beansprucht. Voraussetzung dafür wäre, daß die Koalitionen auch die nicht Normunterworfenen repräsentieren. I m Mittelpunkt steht daher die Frage nach der Gesamtrepräsentationsqualität der Gewerkschaften. a) Gesamtrepräsentation der Gewerkschaften
Die Gewerkschaften i n der Bundesrepublik repräsentieren — entsprechend ihrem verbandsimmanenten Auftrag — die wirtschaftlichen und sozialen Belange der i n abhängiger Arbeit beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder. Darüber hinaus aber nehmen die Arbeitnehmerkoalitionen für sich i n Anspruch, die Interessen des gesamten Arbeitneh19 Ebenso Biedenkopf, S. 412.
Grenzen der T a r i f autonomie, S. 51 ; Rittstieg,
J Z 1968,
5. Legitimation gegenüber den Außenseitern
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merstandes — also auch die der gewerkschaftlich Nichtorganisierten — wahrzunehmen 20 . I m Grundsatzprogramm des DGB von 1963 heißt es dazu: „Als gemeinsame Organisation der Arbeiter, Angestellten und Beamten nehmen der DGB und die i n i h m vereinten Gewerkschaften die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen aller Arbeitnehmer und ihrer Familien wahr und dienen den Erfordernissen des Gesamtwohls 21 ." Dieser alle Arbeitnehmer umfassende Repräsentationsanspruch ergibt sich für die Gewerkschaften aus der Klassenstruktur der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Das gewerkschaftliche Handeln ist danach Ausdruck einer umfassenden Arbeitnehmersolidarität, die aus der Identität der Klassenlage aller abhängig Beschäftigten resultiere 22 . Eine derartige Herleitung der gewerkschaftlichen Gesamtrepräsentation verkennt jedoch, daß die Struktur unserer heutigen Industriegesellschaft wesentlich vielschichtiger ist, als es den Marxschen soziologischen Kategorien entspricht 23 . „Der Versuch, die gesamte Gesellschaft unter zwei Klassen oder deren Interessenorganisationen zu subsumieren, geht an den sozialen Fakten einer differenzierten Industriegesellschaft vorbei. Der Gegensatz zwischen Produktionsmittelbesitzern und -nichtbesitzern w i r d von anderen Klassenstrukturen und Interessenlagen soweit überlagert, daß er vielfach weit i n den Hintergrund t r i t t 2 4 . " Die Interessenlagen der Arbeitnehmer sind beispielsweise jeweils davon abhängig, ob sie Mieter, Hausbesitzer, Autofahrer, Sparer sind; entsprechend differenziert sind ihre Interessen, wenn es um Mietfreigabe, Verkehrsplanung oder Konjunkturpolitik geht 2 5 . Deshalb erscheint es i n der Tat verfehlt, die Gewerkschaften kraft einer gesellschaftlichen Klassenmechanik als die ausschließliche Interessenvertretung der gesamten Arbeitnehmerschaft anzusehen. Zur Begründung einer Gesamtrepräsentation müssen vielmehr andere Gesichtspunkte herangezogen werden. Gegen eine Gesamtrepräsentation spricht zunächst, daß gemäß § 4 1 T V G die Rechtsnormen des Tarifvertrages, die den Inhalt, den Abschluß oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, nur zwischen den beiderseits Tarif gebundenen unmittelbar und zwingend gelten; Außenseiter werden durch den Tarifvertrag rechtlich nicht erfaßt. 20 Dagegen spricht zwar ein gewisser, aber rechtlich begrenzter ( B A G A P Nr. 13 zu A r t . 9 GG) Verbandsegoismus gegenüber den Außenseitern m i t dem Ziel, Mitglieder zu werben; damit w i r d aber nicht der gewerkschaftliche Gesamtrepräsentationsanspruch i n Frage gestellt. 21 Präambel des Grundsatzprogramms des D G B v o m November 1963, abgedruckt i n : Leminsky / Otto, S. 45. 22 Vgl. dazu Reitzenstein, Solidarität u n d Gleichheit, B e r l i n 1961, S. 151 ff. 2 3 Hirsch, S. 130. 2 * Ebd., S. 130. s» Ebd., S. 130 f.
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I X . A b l e i t u n g einer Gemeinwohlbindung
Daraus könnte der Schluß gezogen werden, § 4 1 T V G widerspreche gerade dem Gesamtrepräsentationsgedanken, da die Regelungskompetenz kraft der Gesetzesentscheidung des § 4 1 T V G auf die Mitgliederinteressenwahrnehmung beschränkt sein soll. Gegen eine Gesamtrepräsentation spricht weiterhin der relativ geringe Organisationsgrad deutscher Arbeitnehmer. Wenn nur ca. ein Drittel aller abhängig Beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder sind, also weit weniger als die Hälfte aller Arbeitnehmer durch ihren Beitritt den Gewerkschaften das Mandat zur Interessenwahrnehmung erteilt haben, könnte der gewerkschaftliche Anspruch, alle Arbeitnehmer zu repräsentieren, unglaubwürdig erscheinen. Es taucht hier die Frage auf, ob für die Anerkennung der Repräsentation von Nichtmitgliedern ein Organisationsgrad von mehr als 50 °/o zu fordern wäre. Dafür könnte unter Umständen sprechen, daß andernfalls eine Minderheit bei der Interessendarstellung und -Wahrnehmung dominiert. Dieser Gedanke liegt wohl auch der Gesetzgebung der Vereinigten Staaten zugrunde, wonach nur die Vertretung zum kollektiven Handeln ermächtigt ist, die von einer Mehrheit der Arbeitnehmer i n der betreffenden Tarifeinheit gewählt ist 2 6 . Nur diese Mehrheitsgewerkschaft w i r d als „statutory representative" anerkannt 2 7 . Ihre Kollektivabschlüsse binden alle Arbeitnehmer der betreffenden Tarifeinheit, also auch die Arbeitnehmer, die sich gegen eine derartige Vertretung aussprachen 28 . Erhält keine der i n einer Tarifeinheit konkurrierenden Gewerkschaften die absolute Mehrheit, so w i r d i n einer Stichwahl über die Gesamtrepräsentationsfähigkeit entschieden 29 . Voraussetzung für ein Mandat zum kollektiven Verhandeln ist stets, daß die betreffende Gewerkschaft die Mehrheit der betreffenden Arbeitnehmergruppe hinter sich hat. Dieses Mehrheitsprinzip des amerikanischen Arbeitsrechts ist unmittelbar aus dem Grundsatz demokratischer Repräsentation abgeleitet und stimmt damit m i t den grundsätzlichen Traditionen amerikanischer Demokratie überein, wonach die gewählte Mehrheit befugt ist, für das Ganze zu sprechen 30 . Dieses Mehrheitsprinzip erscheint w o h l dann unverzichtbar, wenn — wie i n den USA — sich zwei oder mehrere Verbände i m gleichen Tarifbereich gegenüberstehen 31 . Dann ist es nämlich erforderlich, m i t tels eines demokratischen Wahlverfahrens den Verband zu bestimmen, 2β Biedenkopf, Unternehmer u n d Gewerkschaft i m R e d i t der Vereinigten Staaten von Amerika, Heidelberg 1961, S. 124 m. w. Nachw. 27 Vgl. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 398 m. w . Nachw. 28 Biedenkopf, Unternehmer, S. 124 ff. 2» Z u r Bestimmung der Tarifeinheit u n d zum Wahlverfahren vgl. ausführlich Biedenkopf, Unternehmer, S. 142 ff. so Biedenkopf, Unternehmer, S. 126. 81 Vgl. zu diesem Aspekt andeutungsweise Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 398.
5. Legitimation gegenüber den Außenseitern
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der i n Kollektiwerhandlungen die Arbeitnehmerinteressen vertreten soll. Da der gekürte Verband dann die Kompetenz hat, die Arbeitsbedingungen für alle Arbeitnehmer des Tarifbereichs verbindlich festzulegen, bedarf er für eine derart weite Rechtsmacht der Legitimation durch die Mehrheit. Fraglich ist nun aber, ob auch dann für die Anerkennung der Repräsentation von Nichtmitgliedern ein Zustimmungs- bzw. Organisationsgrad von mehr als 50 °/o zu fordern ist, wenn — wie i n der Bundesrepublik — das Industrieverbandsprinzip gilt und der Gedanke der Einheitsgewerkschaft i m wesentlichen realisiert ist, wenn also i m Grunde eine Konkurrenz über die Repräsentationsfähigkeit zwischen den Gewerkschaften gar nicht existiert. Es besteht i n der Bundesrepublik gar kein Bedürfnis dafür, die Zuständigkeit zum Kollektivabschluß durch eine Mehrheitsentscheidung zu bestimmen, da die Frage, wer die Tarife abschließt, nicht geklärt zu werden braucht 3 2 . I m übrigen sind nach deutschem Recht nur die beiderseits Tarifgebundenen rechtlich normunterworfen, nicht aber — wie i m amerikanischen Recht — sämtliche Arbeitnehmer des betreffenden Tarifbereichs, so daß auch aus diesem Grund eine 51 °/o-Zustimmungsquote i n Deutschland nicht erforderlich erscheint 33 . Vielmehr dürfte eine Gesamtrepräsentationsfähigkeit schon bereits bei einem niedrigeren Organisationsgrad als 51 % zuerkannt werden können. Dies ist auch aus der Überlegung heraus gerechtfertigt, daß der A n t e i l der Mitglieder an der Gesamtzahl der Interessenten nicht ohne weiteres einen Rückschluß auf die Einstellung dieser Interessenten zuläßt: sie können sowohl aus Unzufriedenheit als auch aus Zufriedenheit und Bequemlichkeit dem Verband ferngeblieben sein 34 . Schließlich darf nicht übersehen werden, daß eine Demokratie die A k t i v i t ä t einzelner Bürger, insbesondere i m Rahmen organisatorischer Verbundenheit durch Verbände, regelmäßig privilegiert; das organisierte Interesse hat weitaus mehr Einflußkraft als das nichtorganisierte; nicht umsonst warnt man i n unserer pluralistischen Demokratie sogar vor der Möglichkeit der „Uberrepräsentation" partikularer Interessen durch mächtige Verbände 35 . Gleichwohl ist es i n einer Demokratie 82 I m Ergebnis ebenso Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 398, der begründungslos ausführt: „Findet sich n u r ein Verband, dann k a n n m a n unter diese Quote (51 °/o) durchaus heruntergehen." 33 Vgl. dazu auch Rittstieg, J Z 1968, S. 412 m . w . Nachw., der gleichfalls eine Gesamtrepräsentation bei einem Organisationsgrad v o n unter 51 °/o f ü r möglich hält. 34 Vgl. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 398. 35 Vgl. zu dieser Pluralismuskritik i n : Nuscheier / Steff ani: „Pluralismus", Konzeptionen u n d Kontroversen, München 1972, Sontheimer, S. 212 u n d Narr, S. 258, der auch das Problem des Bereichspluralismus anspricht: er bezeichnet beherrschende Verbände als pluralistische Erhaltungskartelle m i t Bestimm u n g s w i l l k ü r auf einem bestimmten Terrain.
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I X . Ableitung einer Gemeinwohlbindung
grundsätzlich legitim, daß die organisierten Bürger, die aktiv am politischen und gesellschaftlichen Geschehen teilnehmen, auch mehr Einfluß ausüben als diejenigen, die aus verschiedenen Gründen passiv bleiben. Der (relativ) geringe Organisationsgrad der deutschen Arbeitnehmerschaft ist damit kein (zwingender) Grund, den deutschen Gewerkschaften die Gesamtrepräsentationsfähigkeit abzusprechen. Für die Anerkennung einer Mitrepräsentation der Außenseiter spricht, daß die tarif ver traglichen Arbeitsbedingungen seit jeher auch den Nichtorganisierten zugute kommen. Kraft einzelvertraglicher A b sprache werden die Inhalts- und oft auch die Abschluß- und Beendigungsnormen des Tarifvertrages Gegenstand des Einzelarbeitsverhältnisses. Die Tariflöhne haben Leitlohnfunktion; sie werden zum Ausdruck einer allgemeinen Situation i m Arbeitsleben. Der Tariflohn ist damit der Maßstab für den Wert der Arbeit schlechthin geworden. Diese Ausstrahlungswirkung des Tarifvertrages auf die Arbeitsverhältnisse der Nichtorganisierten zeigt deutlich, daß die soziale Wirklichkeit nicht nach dem Bilde des § 3 I T V G geformt ist, sondern i m Gegenteil sogar die Verbände m i t den Tarifverträgen faktisch Recht für alle setzen 36 . Ist somit das kollektivrechtliche Vorbild das Leitbild für die Außenseiterarbeitsverhältnisse 37 , so erscheint das Argument, § 3 I T V G spreche wegen der beschränkten rechtlichen W i r k k r a f t der Tarifnormen gegen eine Gesamtrepräsentation, zu formalistisch. Für die Beurteilung, ob eine Gesamtrepräsentation zu bejahen ist, kann es nicht entscheidend darauf ankommen, für wen die Verbände rechtlich zwingend und unmittelbar tätig sind, sondern darauf, wie sich das Verhalten der Verbände auf Nichtmitglieder auswirkt. Ist diese Auswirkung — wie bei der tariflichen Normsetzung — dergestalt, daß rechtstatsächlich zwischen Organisierten und Nichtorganisierten kein Unterschied besteht, weil beide Gruppen i n den Genuß des neuen Tarifvertrages kommen, so ist es nur konsequent, die Repräsentationsfähigkeit der Gewerkschaften insoweit auch auf die nicht Normunterworfenen, die Außenseiter, zu erstrecken 38 . Die Ausstrahlungswirkung der Tarifverträge hat jedoch nicht nur eine faktische Dimension. Der Tarifvertrag hat gegenüber Nichtmitgliedern unter bestimmten Voraussetzungen kraft Gesetzes unmittelbar rechtliche Geltungskraft. So ist i n § 3 I I T V G die Ausdehnung der betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Normen auf die Nichtorganisierten geregelt. Unter den Voraussetzungen des § 5 T V G (Allgemeinverbindlichkeitserklärung durch einen Staatsakt) kann der 30 Gamillscheg, S. 39. 37 Müller, D B 1967, S. 903. 38 I m Ergebnis ebenso: Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 398; Gamillscheg, S. 36 ff.; Reitzenstein, S. 146 ff.; einschränkend Hirsch, S. 131.
5. Legitimation gegenüber den Außenseitern
121
Tarifvertrag auch für die Nichtmitglieder unmittelbar Wirksamkeit erlangen. Gemäß § 10 I T V G kann durch Abschluß eines Tarifvertrages eine bestehende Tarifordnung auch für Außenseiter außer Kraft treten. §§ 3 I, 117 I I BetrVG ermöglichen, daß zusätzliche oder andere betriebsverfassungsrechtliche Arbeitnehmervertretungen durch Tarifvertrag errichtet werden können. Normen wie § 7 AZO (Verlängerung der Höchstarbeitszeit auch für Außenseiter), § 13 I B U r l G (Möglichkeit der Außenseiter, sich auf die tarifliche Urlaubsregelung zu berufen, auch wenn diese vom Bundesurlaubsgesetz zuungunsten der Arbeitnehmer abweicht), § 622 I I I BGB (Möglichkeit der Außenseiter, sich auf die tarifliche Regelung zu berufen, auch wenn diese kürzere als die i m Gesetz genannten Kündigungsfristen vorsieht) erstrecken i n gleicher Weise die Geltungskraft tarifvertraglicher Regelungen auf Außenseiter. M i t diesen Vorschriften bestätigt der Gesetzgeber an mehreren Stellen die Gesamtrepräsentationsfunktion der Gewerkschaften; damit liegt ein weiterer Grund vor, den Gewerkschaften die Anerkennung der Außenseiterrepräsentation nicht zu versagen. Weiterhin kann i n diesem Zusammenhang auf die vielfältigen mittelbaren rechtlichen Auswirkungen gewerkschaftlichen Handelns auf die Nichtorganisierten verwiesen werden 3 9 . Das legale gewerkschaftlich organisierte Kollektivhandeln beim Streik führt auch dazu, daß die arbeitsvertraglichen Hauptpflichten der sich dem Streik anschließenden Außenseiter suspendiert werden und damit trotz Arbeitsniederlegung nicht verletzt werden 40 . Andererseits verliert der arbeitswillige Nichtorganisierte seinen Lohnanspruch, wenn der Arbeitgeber i h n wegen des gewerkschaftlich organisierten Streiks nicht beschäftigen kann 4 1 . Darüber hinaus ist es sogar zulässig, daß der nicht am Streik teilnehmende Außenseiter ausgesperrt wird. Diese Auswahl mittelbarer rechtlicher Wirkungen gewerkschaftlichen Handelns auf die Nichtorganisierten zeigt, daß auch hier die Rechtsordnung die Gesamtrepräsentation der Gewerkschaften unterstreicht: der gewerkschaftlich organisierte Streik w i r k t , was die Rechtsfolgen anbelangt, nicht nur für und gegen die Organisierten, sondern i n gleichem Umfang auch für und gegen die Außenseiter. Letztlich seien noch die zahlreichen Fälle mittelbarer Auswirkungen gewerkschaftlicher Tätigkeit auf die Außenseiter erwähnt, die sich aus den verschiedenen Mitwirkungs-, Anhörungs-, Benennungs-, Antrags- und Entsendungsrechten i n Kommissionen, Beiräten und ähnlichen Gremien ergeben. 39
Vgl. dazu eingehend Gamillscheg, S. 38 ff. Vgl. dazu statt aller: Söllner, S. 95. 41 Insoweit trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko nicht; das ist die Konsequenz der heute w o h l allgemein anerkannten „ S p h ä r e n t h e o r i e w o n a c h jeder Vertragsteil f ü r die i n seiner Sphäre liegenden Störungen einzutreten hat; vgl. dazu m. w. Nachw. Söllner, S. 96, insbes. Fußn. 8. 40
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I X . Ableitung einer Gemeinwohlbindung
Aus alledem w i r d deutlich, daß es sich bei der Gesamtrepräsentation der Gewerkschaften nicht nur u m eine soziologische Frage handelt, sondern daß die Gesamtrepräsentationsfunktion durchaus — jedenfalls partiell bzw. mittelbar — auch i m positiven Recht nachweisbar ist. Die faktischen Auswirkungen tariflicher Datensetzung i m Sinne einer Leitlohnfunktion, die rechtliche Anerkennung der Gesamtrepräsentation durch unmittelbare Rechtsnormen sowie durch mittelbare rechtliche Auswirkungen gewerkschaftlichen Handelns rechtfertigen es, den Gewerkschaften das Mandat zur Gesamtrepräsentation, also auch zur Repräsentation der Nichtorganisierten Arbeitnehmer zu erteilen. b) Gesamtrepräsentation und Legitimationsprinzip
Ist damit die Gesamtrepräsentationsfunktion der Gewerkschaften dargetan, ist nunmehr der Versuch zu unternehmen, den durch das demokratische Prinzip geforderten Zusammenhang zwischen Repräsentation und Legitimation i m Verhältnis der Gewerkschaften zu den Außenseitern zu klären; d.h. Gesamtrepräsentation und Legitimation müssen miteinander i n Einklang gebracht werden. Während dem Legitimationserfordernis bei den organisierten Arbeitnehmern durch den positiven Willensakt des Gewerkschaftsbeitritts Rechnung getragen wurde, kommt dieser Gesichtspunkt bei den Außenseitern naturgemäß nicht zum Tragen. Vielmehr ist nach anderen möglichen Legitimationsgesichtspunkten zu suchen. aa) Legitimation durch Art. 9 III GG oder durch sonstige Rechtsnormen Es liegt nahe, A r t . 9 I I I GG oder die anderen zur Begründung der Gesamtrepräsentation angeführten gesetzlichen Vorschriften als Legitimationsgrundlage heranzuziehen. Für eine Legitimationsherleitung aus A r t . 9 I I I GG spricht, daß der Verfassungsgeber bei der Normierung der Tarifautonomie davon ausgehen konnte, daß die Tarifdaten nicht nur W i r k k r a f t zwischen den Normgebundenen entfalten, sondern vielmehr auch auf die Außenseiterarbeitsverhältnisse Einfluß ausüben würden. Damit enthielte die Regelungskompetenz zur Normsetzung für die Organisierten zugleich das verfassungsrechtliche Mandat, die Nichtorganisierten mitzurepräsentieren. Ebenso könnten die gesetzlichen Normen, die die Gesamtrepräsentationsfunktion der Gewerkschaften begründen, Legitimationsgesichtspunkte abgeben, da sie die Einwirkung gewerkschaftlichen Handelns auf die Außenseiterpositionen rechtlich sanktionieren. Andererseits würde eine Legitimationsherleitung aus A r t . 9 I I I GG und aus sonstigen gesetzlichen Vorschriften dem Wesen und dem Zweck des Legitimationserfordernisses nicht gerecht werden. Aufgabe des Legitimationsaktes ist es, den Repräsentanten der
5. Legitimation gegenüber den Außenseitern
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Zustimmung des Repräsentierten zu versichern. Dieser Zustimmungsakt muß die Funktionen haben, den Repräsentanten tatsächlich i n seinem Handeln zu bestätigen, so daß nur die reale Zustimmung, also ein tatsächlicher Willensakt Legitimationsqualität haben kann. Genauso wie die Repräsentanten des Volkes zu ihrer Legitimation eines Wahlakts bedürfen, ist nach vergleichbaren Legitimationshandlungen zu suchen. bb) Legitimation durch Entgegennahme der Vorteile durch die Außenseiter Die Außenseiter partizipieren regelmäßig an den Vorteilen tarifvertraglicher Vereinbarungen. Es liegt daher nahe, die (widerspruchslose) Annahme veränderter Arbeitsbedingungen als Zustimmung zum gewerkschaftlichen Handeln und damit zur Mitrepräsentation zu werten. Daran ist zwar richtig, daß die Außenseiter i n der Regel m i t der Verbesserung ihres gesellschaftlichen und materiellen Status einverstanden sein dürften. Hierin aber bereits einen hinreichenden Legitimationsakt zu sehen, erscheint bedenklich. Zum einen dürfte die aktive Lohn- und Gehaltspolitik und andere tarifpolitische Maßnahmen der Gewerkschaften, die auf eine Neuverteilung des Sozialprodukts gerichtet sind 4 2 , und Ziele wie die Überwindung der kapitalistischen Klassenstruktur von wesentlichen Arbeitnehmergruppen nicht geteilt werden 4 3 . Zum anderen kann i n der bloßen Hinnahme, also i n der Passivität des „ N u r Entgegennehmens" kein positiver, die Mitrepräsentation bestätigender A k t gesehen werden. Würde man dem bloßen „Geschehenlassen" Legitimationsqualität beimessen, könnten sich die Außenseiter davon nur dadurch befreien, daß sie durch antigewerkschaftliche Aktionen ihrem Unwillen über die Arbeitnehmerkoalitionen Ausdruck verleihen. Damit aber würde der Legitimationsgedanke i n das Gegenteil verkehrt; nicht der negative Willensentscheid beendet eine bis dahin unterstellte Legitimation, sondern vielmehr muß die Legitimation überhaupt erst einmal durch positiven A k t begründet werden. Damit ist auch die tatsächliche Entgegennahme tarifvertraglicher Leistungen durch die Außenseiter kein ausreichender Legitimationsgrund. cc) Ordnungsfunktion
und
Legitimation
Z u klären ist noch, ob aus der den Tarifpartnern überantworteten Ordnungsfunktion eine Legitimation für die Gesamtrepräsentation abgeleitet werden kann 4 4 . Neben dem Schutzzweck 45 erfüllen die Tarif42 Vgl. das Grundsatzprogramm des D G B v o m November 1963, abgedruckt i n : Leminsky / Otto, S.45ff. 4 3 Vgl. dazu Hirsch, S. 131. 44 So Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem G G u n d dem Tarifvertragsgesetz, B e r l i n 1974, S. 85; Gamillscheg, S. 97.
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I X . A b l e i t u n g einer Gemeinwohlbindung
partner unzweifelhaft eine Ordnungsfunktion. Ihre Aufgabe ist es u. a., als Ordnungsfaktor des Arbeitslebens für eine gerechte und sinnvolle Gestaltung der Arbeitsverhältnisse zu sorgen 46 . Da dieser Ordnungsauftrag auf die Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens überhaupt gerichtet ist, erfaßt er notwendigerweise auch die Nichtorganisierten, andernfalls die Idee des Tarifvertrages selbst bedroht sein würde 4 7 . Daraus w i r d gefolgert, die Berücksichtigung der Außenseiterinteressen sei Konsequenz der Ordnungsfunktion 4 8 . Hieraus ergebe sich, daß die Ordnungsfunktion Grundlage der Gesamtrepräsentationsfunktion sei; sie legitimiere die Gewerkschaften als Repräsentanten aller Arbeitnehmer 4 9 . So wichtig diese aus dem Koalitionszweck hergeleitete Ordnungsaufgabe auch ist, so wenig ist sie geeignet, Legitimationsfunktion zu übernehmen. Aus der den Koalitionen verfassungsrechtlich überantworteten Ordnungsfunktion folgt, daß — wollen sie diese Aufgabe erfüllen — sie auch die Möglichkeit haben sollen, auf die Arbeitsverhältnisse der Außenseiter einzuwirken. So gesehen ist die von den Tarifverträgen ausgehende Ausstrahlung auf die Positionen der Nichtorganisierten ein von der Ordnungsfunktion und damit auch von der Verfassung gedeckter Tatbestand. Andererseits aber kann auch eine aus der Verfassung abgeleitete Rechtsmacht als solche nicht den Legitimationsakt selbst ersetzen. Wie oben bereits dargelegt wurde, bedarf die Repräsentation der Legitimierung durch einen positiven, nach außen i n Erscheinung tretenden Willensakt der Repräsentierten. N u r dann ist gewährleistet, daß die Repräsentation keine willkürliche, sondern eine dem Repräsentierten gegenüber verantwortliche Herrschaft ist. Deshalb müssen all diejenigen Legitimationsversuche abgelehnt werden, die den Legitimationsakt i m Sinne eines tatsächlichen Votums durch Rechtsvorschriften, insbesondere durch Verfassungsnormen, ersetzt sehen wollen. Somit ergibt sich, daß auch die Ordnungsfunktion keine hinreichende Legitimationsbasis für die Gesamtrepräsentation sein kann. 6. Spannungslage zwischen Repräsentation u n d Legitimation
Die vorangegangenen Ausführungen zeigten, daß eine befriedigende Legitimationsbasis für die Außenseiterrepräsentation der Gewerkschaf45
Schutz des Arbeitnehmers mittels verbandsmäßiger Regelung der A r beitsverhältnisse. 4 * Vgl. zu dieser Ordnungsfunktion: BVerfGE 4, 96 (107 ff.); 18, 18 (27 f.); Weber, Koalitionsfreiheit u n d T a r i f autonomie als Verfassungsproblem, B e r l i n 1965, S. 27; Lerche, Zentralfragen, S. 30; Säcker, Grundprobleme, S. 20 und S. 67; Bulla i n : Festschrift f ü r Nipperdey, B a n d i i , München—Berlin 1965, S. 81. 47 So Gamillscheg, S. 40. 4 ® Leventis, S. 85. 49 Leventis, S. 85 m. w . Nachw.
6. Spannungslage zwischen Repräsentation u n d Legitimation
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ten nicht gefunden werden konnte. Damit eröffnet sich das Problem, die faktisch und rechtlich begründbare Gesamtrepräsentationsqualität der Gewerkschaften m i t der fehlenden Legitimation zu vereinbaren. Der einfachste Ausweg wäre, kurzerhand auf das Legitimationserfordernis zu verzichten, indem man sich auf den Standpunkt stellt, die außerhalb der politisch-institutionellen Repräsentation angesiedelte existentielle Repräsentation gesellschaftlicher Verbände bedürfe gar keiner Legitimation 5 0 . Ohne auf die grundsätzliche Frage einzugehen, ob jede faktische Repräsentation der Legitimation bedarf, ist das Legitimationserfordernis auf jeden Fall dann zwingend, wenn das aus der Verfassung abgeleitete demokratische Prinzip (Art. 20 I I GG) und der aus diesem Prinzip folgende Grundsatz der notwendigen Legitimation des Repräsentanten auch für gesellschaftliche Verbände, die Repräsentationsqualität haben, Geltung beansprucht. Da diese Voraussetzung — wie oben ausgeführt — bei den Koalitionen zutrifft, vermag ein Verzicht auf die Legitimation gegenüber den Außenseitern nicht zu überzeugen. Weiterhin könnte man anführen, das demokratische Prinzip und dam i t auch der Zusammenhang zwischen Repräsentation und Legitimation sei auf das Verhältnis zwischen normsetzenden Koalitionen und normgebundenen Mitgliedern beschränkt, da der unmittelbare rechtliche Zusammenhang zwischen Repräsentation — Gesetzgebung — und Legitimation nur auf die Normgebundenen zutreffe 51 . Hierbei w i r d aber übersehen, daß die „faktische" Regelungsmacht der Koalitionen und die von der Rechtsordnung expressis verbis anerkannten Außenseiterwirkungen tariflicher Regelungsmacht eine Repräsentation gerade auch der Außenseiter begründen, die der Repräsentation der Mitglieder im Ergebnis gleicht. Insoweit ist die einseitige Beschränkung des Legitimationserfordernisses auf die unmittelbar von der tariflichen Datensetzung erfaßten Arbeitnehmer nicht haltbar. Kann auch so das Legitimationsdefizit nicht beseitigt werden, ist zu fragen, wie diese Legitimationslücke auf andere Weise geschlossen werden kann. Die Funktion des hier geforderten positiven, die Repräsentation tatsächlich bestätigenden Legitimationsaktes ist es, die Gewähr für eine an den tatsächlich ermittelten Interessen der Außenseiter orientierte Mitrepräsentation zu bieten. Fehlt aber gerade dieser die ver50
So beispielsweise Rohde, Wirtschaftslenkung u n d Tarifautonomie, Diss, j u r . Mainz 1973, S. 137. ßi So w i l l Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 47 ff., den Zusammenhang zwischen Gesetzgebung, Repräsentation u n d Legitimation n u r i m Verhältnis der Normgebundenen zueinander anwenden, vgl. ebd., S. 52: „ D e r Gesetzgeber ist somit grundsätzlich gehalten, keine Regelungsmacht über Rechtssubjekte auf private Rechtssubjekte zu übertragen, ohne den durch die Notwendigkeit der Legitimation bedingten Zusammenhang z w i schen gesetzgebendem Organ* u n d Normadressaten zu beachten."
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I X . Ableitung einer Gemeinwohlbindung
antwortliche Herrschaft begründende Legitimationsakt, ist nach einem „Legitimationsersatz" zu suchen, der dem Sinn und Zweck des realen Legitimationsaktes am ehesten entspricht. Hierbei ist an eine Kompensation der Legitimationslücke durch entsprechende, den Koalitionen aufzuerlegende Rechtspflichten zu denken. Wenn — wie gezeigt — eine Rückkopplung zwischen Repräsentanten und repräsentierten Außenseitern mangels eines tatsächlichen Legitimationsaktes ausscheidet und damit auch die Außenseiter mangels Einflußmöglichkeit die an sich aufgrund des Anspruchs zur Gesamtrepräsentation bestehende Verantwortlichkeit der sie repräsentierenden Gewerkschaften nicht realisieren können, so muß, um dieses Defizit abzudecken, als Minus an die Stelle des realen Legitimationsaktes mindestens die Pflicht treten, bei der Tarifdatensetzung nicht nur die Interessen der Mitglieder, sondern i n gleichem Umfang auch die Interessen der i n der Uberzahl befindlichen Außenseiter zu berücksichtigen; die Legitimationslücke w i r d also durch die Rechtspflicht der Repräsentanten, die Interessen der Mitrepräsentanten zu wahren — wenigstens partiell — ausgefüllt. Daß dies eine Rechtspflicht der Gewerkschaften sein muß, erhellt aus der Überlegung, daß, wer wie die Gewerkschaften m i t dem Anspruch auftritt, eine bestimmte Gruppe, nämlich die Außenseiter, mitzurepräsentieren, damit i n eine Verantwortlichkeitsbeziehung zu dieser Gruppe tritt, d. h. auch zur Wahrnehmung ihrer Interessen verpflichtet ist. Nur wenn dies rechtlich abgesichert ist, also eine willkürliche Beeinträchtigung der Außenseiterinteressen ausscheidet, kann die Legitimationslücke als abgedeckt angesehen werden. Ist so die Beachtung der Außenseiterinteressen Rechtspflicht bei der tariflichen Normsetzung, stellt sich die Frage, welchen genaueren Inhalt diese Rechtspflicht hat. Keineswegs kann unterstellt werden, daß die Interessen der Organisierten und der Außenseiter i m Hinblick auf die tarifliche Normsetzung identisch sind. Die Organisierten konsentieren durch ihren Gewerkschaftsbeitritt bzw. durch ihr Verbleiben i m Verband sowohl die gewerkschaftliche Tarifpolitik als auch die anderen, auf die gesellschaftliche Umgestaltung hinwirkenden Ziele. So w i r d beispielsweise eine die das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gefährdende Tariflohnerhöhung als von den Gewerkschaftsmitgliedern konsentiert angesehen werden müssen, selbst also dann, wenn die Erhöhungen nachweislich den Interessen der Mitglieder zuwiderlaufen, ζ. B. dadurch, daß sie stark inflationsbegründend oder -fördernd wirken, oder daß die für die Uberwindung einer Rezession erforderlichen Investitionen durch überproportionale Lohnsteigerungen vereitelt werden. Die Mitglieder der Arbeitnehmerkoalitionen müssen sich derartige Tarifabschlüsse zurechnen lassen; kraft ihrer Mitgliedschaft sind damit ihre Interessen verbindlich artikuliert.
6. Spannungslage zwischen Repräsentation u n d Legitimation
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Anders zu beurteilen ist hingegen die Stellung der Außenseiter. Aus der faktischen Gesamtrepräsentation allein ergibt sich noch keine derartige Zurechnungsmöglichkeit; sie erfordert stets einen tatsächlichen Bestätigungsakt, der mangels Verbandszugehörigkeit nicht gegeben ist. Daraus folgt, daß die autonome Tarifgestaltung den Außenseiterinteressen oder zumindest einem Teil derselben zuwiderlaufen kann. Das zeigt sich insbesondere dann, wenn durch gesamtwirtschaftlich unvertretbare Tarifabschlüsse i n vitale wirtschaftliche Interessen der A l l gemeinheit und damit auch der Nichtorganisierten eingegriffen wird. Vor derartigen, von den Außenseitern nicht konsentierten Auswirkungen der Gesamtrepräsentation müssen die Nichtorganisierten als Teil der Allgemeinheit geschützt werden. Dies ist nur dadurch zu gewährleisten, daß die Koalitionen bei der Tarifdatensetzung, die i n der Folgew i r k u n g die Interessen der Außenstehenden tangiert, eben auf diese Allgemeininteressen Rücksicht zu nehmen haben. Nur wenn diese A l l gemeininteressen — also das Gesamtinteresse, das dem Gemeinwohl entspricht — berücksichtigt werden, kann anerkannt werden, daß die Gesamtrepräsentationsfunktion rechtmäßig ausgeübt wird. Würde man auf diese Gemeinwohlbindung verzichten, käme man zu dem rechtlich nicht tragbaren Ergebnis, daß nicht legitimierte Organe ohne rechtliche Bindung i n vitale wirtschaftliche Interessen der von ihnen mitrepräsentierten, aber nicht von ihnen legitimierten Außenstehenden eingreifen könnten. Es ist damit festzuhalten, daß die bestehende Legitimationslücke durch die rechtliche Verpflichtung der Koalitionen, das Gemeinwohl zu wahren, abgedeckt werden muß. Diese Verpflichtung ist damit zugleich eine verfassungsimmanente Grenze der durch A r t . 9 I I I GG gewährleisteten Tarifautonomie. Der durch A r t . 9 I I I GG garantierte Kernbereich verbandsmäßiger Lohngestaltung deckt also nicht jede beliebige Lohnfestsetzung, sondern nur diejenige, die sich i m gemeinwohlverträglichen Rahmen hält.
X. Gemeinwohlkonkretisierung in wirtschaftlicher Hinsicht 1. Die Verfassung als „normative Gemeinwohlordnung" Die so hergeleitete Gemeinwohlbindung der Tarifpartner wäre wertlos, wenn sich aus ihr nicht konkrete Rechtspflichten ableiten ließen. Es muß deshalb i n diesem Zusammenhang nach Ansatzpunkten einer Gemeinwohlkonkretisierung gesucht werden. Wie oben dargelegt wurde, ist die Verfassung als „normative Gemeinwohlordnung" dazu berufen, verbindliche Konkretisierungsansatzpunkte zur Verfügung zu stellen. Dabei geben die Grundrechte, die allgemeinen Verfassungsprinzipien 1 und Staatszielbestimmungen 2 das entscheidende Gemeinwohlmaterial ab. Ansatzpunkt einer Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Hinsicht ist die Frage nach der von der Verfassung normierten W i r t schaftsordnung 3 . Von i h r hängt es ab, wie die Verfassung das w i r t schaftliche Gemeinwohl realisiert sehen w i l l . I m Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung, die i n einem eigenen Abschnitt („Das Wirtschaftsleben", A r t . 151 bis 165 WRV) wirtschaftsverfassungsrechtliche Vorschriften enthielt, fehlen derartige Normen i m Grundgesetz weitgehend, da man bei der Abfassung des Grundgesetzes darauf bedacht war, eine von allen demokratischen Parteien getragene Regelung zu finden 4. Kompromißhaft unterblieb eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Grundsatzentscheidung für eine bestimmte Wirtschaftsordnung. Weder eine Verkehrs- noch eine Zentralverwaltungswirtschaft wurde m i t Verfassungskraft eingeführt. Die herrschende Meinung 5 , insbesondere das Bundesverfassungsgericht 6 , 1 Wie ζ. B. das Rechtsstaatsprinzip, das Demokratieprinzip u n d das Bundesstaatsprinzip. 2 Wie ζ. B. das Gebot der Sozialstaatlichkeit. 3 Vgl. zum Begriff der Wirtschaf tsverfassung näher Zacher i n : Festschrift zum 70. Geb. v o n Franz B ö h m (1965), S. 73 ff.; Badura, JuS 1976, S. 206. 4 Siehe dazu näher Stein, S. 192. s Vgl. Badura, Wirtschaftsverfassung u n d Wirtschaftsverwaltung, S. 19 f. ; ders. f JuS 1976, S. 206; Stein, S. 192; Scheuner i n : Die staatliche E i n w i r k u n g auf die Wirtschaft, Einführung, S. 26 ff.; Rinck, S. 18 ff., 59 f.; Thiele, W i r t schaftsverfassungsrecht, 2. Aufl. Göttingen 1974, S. 127 ff.; Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, S. 7 ff.; Zacher i n : Festschrift zum 70. Geb. von Franz B ö h m (1965), S. 84 f., 89; Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 578. β BVerfGE 4, 7 (17 f.).
1. Die Verfassung als „normative Gemeinwohlordnung"
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geht deswegen zu Recht von der „wirtschaftspolitischen Neutralität" des Grundgesetzes aus und bezeichnet die soziale Marktwirtschaft als eine mögliche, aber keineswegs als die allein zulässige Wirtschaftsform nach dem Grundgesetz. Gleichwohl wurde versucht, das Grundgesetz für die Konstituierung bestimmter Wirtschaftsordnungen in Anspruch zu nehmen. Nipperdey beispielsweise stellte die bekannte These auf, die soziale M a r k t w i r t schaft sei verfassungsrechtlich institutionalisiert 7 . Andere sprechen davon, die Verfassung enthalte eine Entscheidung für eine „gemischte Wirtschaftsverfassung", i n der individuale Freiheitsverbürgungen sowie soziale Freiheitsbindungen i n einem System ausgleichender Ordnung zusammengefaßt sind 8 . Auch w i r d angeführt, daß sozialistische W i r t schaftssysteme vom Grundgesetz gedeckt seien 9 oder daß das Grundgesetz i n Sachen Wirtschaftsverfassung eindeutig entschieden habe, indem es einerseits die auf individueller Verfügungsmacht, Initiative und Verantwortung begründete Marktwirtschaft oder die sozialistische Planwirtschaft als Alternative vorsehe, deren jeweilige Funktionsschemata durch die entsprechenden Verfassungsvorschriften vorgezeichnet seien 10 . Gegen derartige Grundrechtsauslegungen, die die wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes i n Frage stellen, spricht u. a., daß ohne Not und ohne überzeugende Begründungen 11 wirtschaftspolitische Konzeptionen verfassungsrechtlich antizipiert werden und damit gerade die vom Grundgesetz nicht gewollte Zementierung bestimmter W i r t schaftsmodelle eintritt. Der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Zurückhaltung des Grundgesetzes w i r d nur eine Auslegung gerecht, die auf eine verfassungsrechtlich vorgegebene Wirtschaftsordnungsbestimmung verzichtet. Ist so m i t der h. M. von der „wirtschaftspolitischen Neutral i t ä t " des Grundgesetzes auszugehen, kann die Verfassung auch keine verbindliche Aussage darüber treffen, wie das Gemeinwohl i n w i r t 7 Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft u n d Grundgesetz, 3. Aufl., K ö l n — Berlin—München 1965, S. 21 ff., unter Hinweis auf eine Gesamtsdhau der wirtschaftlich relevanten Grundrechte (Art. 21, 121, 14 GG) u n d unter Heranziehung eines institutionellen Grundrechtsverständnisses. Dagegen Rupp, Grundgesetz u n d Wirtschaftsverfassung, Tübingen 1974, S. 9; vgl. zur K r i t i k an Nipperdeys Position auch Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, S. 18 ff.; Scheuner i n : Die staatliche E i n w i r k u n g auf die Wirtschaft, E i n führung, S. 28. 8 So Huber, E. R., Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I, S. 30 f.; auch er t r i t t letztlich für eine verfassungsrechtliche Präponderanz der Marktwirtschaft ein; vgl. zur K r i t i k Badura, Wirtschaftsverfassung u n d Wirtschaftsverwaltung, S. 20. » So beispielsweise Abendroth, Das Grundgesetz, 6. Aufl. 1976, S. 68 f. So Rupp, Grundgesetz, S. 41, Fußn. 68. 11 Vgl. zu den methodischen Bedenken Rupp, Grundgesetz, S. 9; Zacher i n : Festschrift zum 70. Geb. von Franz B ö h m (1965), S. 83 ff.
9 Knebel
Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Hinsicht
schaftlicher Hinsicht zu realisieren ist. Anhaltspunkte darüber, welcher wirtschaftlicher Standard oder welche Wohlstandsmarge erreicht werden müsse, um das wirtschaftliche Gemeinwohl als realisiert betrachten zu können, fehlen — zumal der Verfassungsgesetzgeber ja nicht die wirtschaftliche Entwicklung vorhersehen konnte — i n den Grundrechten gleichfalls. Als Gemeinwohlkonkretisierungsmaterial bleiben noch die Staatszielbestimmungen. Sie lassen sich dadurch kennzeichnen, daß sie i n allgemeiner oder auch i n speziellerer Form Grundsätze und Richtlinien für das staatliche Handeln festsetzen, u m dem Staat durch Gebote und Weisungen Orientierungen und sachliche Aufgaben zu geben 12 . Sie tragen — und damit heben sie sich von den grundlegenden oder allgemeinen Verfassungsprinzipien ab — einen spezifisch dynamischen Zug, indem sie auf künftige, noch zu lösende soziale Fragen hindeuten 1 3 . Ihre Funktion liegt weniger darin, die staatliche Tätigkeit zu limitieren, als ihr die Richtung künftigen Handelns zu weisen 14 . Z u einer derartigen Staatszielbestimmung gehört anerkanntermaßen das Sozialstaatsprinzip, welches dem Staat die Verpflichtung zu sozialgestaltender A k t i v i t ä t auferlegt. I n wirtschaftspolitischer und wirtschaftsrechtlicher Sicht kommt i n diesem Zusammenhang der Neufassung des A r t . 109 GG durch das Gesetz vom 8. 6.1967 15 entscheidende Bedeutung zu. Nach A r t . 109 I I GG haben Bund und Länder i m Hinblick auf ihre Haushaltsführung den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen. I n A r t . 109IV GG w i r d die Bundesregierung ermächtigt, konjunktursteuernde Maßnahmen zu ergreifen, um eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren. Die sich hieraus ergebende Verpflichtung des Staates zu konjunkturgerechtem Verhalten bezieht sich — wie oben gezeigt — nicht nur auf die i n A r t . 109 GG genannten öffentlichen Körperschaften, sondern ist i m Sinne einer allgemeinen Konjunktursteuerungspflicht zur Erhaltung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu verstehen. Damit ist dem Staat von Verfassung wegen aufgegeben, global-konjunktursteuernd das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zu erhalten und damit alles (verfassungsrechtlich Zulässige) zu tun, u m einer Gefährdung oder Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu begegnen. Diese unmißverständliche Verfassungsdirektive, Richtungsbestimmung für staatliche A k t i v i t ä t i n wirtschaftlichen Fragen, w i r d deshalb auch zu Recht als Staatszielbestimmung klassifiziert 16 . Damit kommt dem Be12
Scheuner i n : Festschrift f ü r Forsthoff, zum 70. Geb., München 1972, S. 335. 13 Ebd., S. 336. ι 4 Ebd., S. 336. « B G B l I, S. 581. ie Vgl. Scheuner i n : Festschrift f ü r Forsthoff zum 70. Geb., München 1972, S. 337; ders. i n : Die staatliche E i n w i r k u n g auf die Wirtschaft, Einführung, S. 64 ff.; ders. i n : Verfassung, Verwaltung, Finanzkontrolle, S. 113; Rinck,
2. Zur Auslegung des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts"
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griff des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" i n A r t . 109 I I und I V GG die Funktion zu, das Gemeinwohl i n wirtschaftlicher Hinsicht zu konkretisieren. M i t dieser Feststellung allein ist jedoch noch nicht viel gewonnen. So wenig wie der Begriff des Gemeinwohls der Koalitionsbetätigung konkrete Rechtspflichten aufzuerlegen vermochte, ist die Staatszielbestimmung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geeignet, von vornherein präzise Verhaltensmaßstäbe für die Erhaltung eben dieses Gleichgewichts zu geben. Aus dem Wortlaut des A r t . 109 I I GG ist nicht zu entnehmen, was unter dem Erfordernis des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu verstehen ist. Dieser Begriff dient zwar zugleich als Maßstab für die Kreditlenkungs- und Rücklagenmaßnahmen des Bundes nach A r t . 109IV GG, für die Zulässigkeit von Finanzhilfen des Bundes nach A r t . 104 a I V GG sowie für die Vorschriften über die Kreditaufnahme durch den Bund i n A r t . 115 GG. Jedoch w i r d weder in A r t . 104 a GG noch i n Art. 115 GG erläutert, wie der Begriff zu definieren ist. Es handelt sich u m einen unbestimmten Rechtsbegriff m i t Beurteilungsspielraum 17 . Der Verfassungsinterpret ist vor die Aufgabe gestellt, diesen ausfüllungsbedürftigen Begriff inhaltlich m i t Leben zu füllen. 2. Ansatzpunkte zur Auslegung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts i m Sinne des A r t . 109 I I GG a) Die Legaldefinition des § 1 StabG
I n der Literatur w i r d zum großen Teil auf eine eigenständige Verfassungsinterpretation des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts verzichtet. Stattdessen w i r d auf § 1 StabG verwiesen, dessen „magisches Viereck" den verfassungsrechtlichen Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ausfüllen soll 1 8 . I n § 1 StabG werden die Größen fixiert, S. 72, Rdn. 216; Säcker, Grundprobleme, S. 54; Stachels, S. 205; Stern, N J W 1967, S. 1837. 17 Maunz i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 109, Rdn. 24; Möller, S. 64; Landes, Die Gefährdung u n d Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts i m Grundgesetz u n d i m Stabilitätsgesetz, Diss. j u r . Würzburg 1972, S. I f f . ; kritisch dazu Brockhausen, Die rechtliche Bedeutung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts u n d seine Komponenten i n § 1 StabG unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte i n : Bankrechtliche Sonderveröffentlichungen des Instituts f ü r Bankwirtschaft an der Universität zu Köln, 18. Bd. S. 93 ff. 18
So beispielsweise Papier, AöR 98, S. 548; Hamann ! Lenz, A r t . 109 A n m . Β 5 u n d A 2; Stern / Münch / Hansmeyer, S. 104, wo zur Bedeutungsklärung auf die Ausführungen zu § 1 StabG verwiesen w i r d ; Stern, N J W 1967, S. 1837: „Die Verfassungsänderung des A r t . 109 birgt i n nuce bereits den I n h a l t des Stabilitätsgesetzes . . . " ; Maunz i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 109, Rdn. 24 9"
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die zu beachten sind, um das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zu erhalten. Dabei handelt es sich um (1) die Stabilität des Preisniveaus, (2) einen hohen Beschäftigungsstand, (3) das außenwirtschaftliche Gleichgewicht und (4) stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum. Die Ersetzung der eigenständigen Verfassungsinterpretation durch Verweis auf § 1 StabG w i r d damit begründet, daß der Verfassungsgesetzgeber i n A r t . 109 GG keine Leerformel aufstellen wollte, die m i t beliebigen wirtschaftspolitischen Inhalten ausgefüllt werden könnte 1 9 . Die Gleichung „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht = Verwirklichung der Zielgrößen des § 1 StabG" entspreche auch den Vorstellungen des verfassungsändernden Gesetzgebers, da die 15. Grundgesetzänderung i n zeitlicher Synchronisation m i t dem StabG verabschiedet wurde 2 0 . I m übrigen w i r d diese Meinung dadurch unterstützt, daß die obige Gleichung dem derzeitigen Stand wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnis entspricht. So sei es insgesamt gerechtfertigt, den verfassungsrechtlichen Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts durch die unterverfassungsrechtliche Norm des § 1 StabG auszufüllen. Andererseits w i r d in der Literatur auf einen gewissen Selbststand des Verfassungsbegriffs „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht" hingewiesen 2 1 ; es ginge nicht ohne weiteres an, und sei überdies methodisch unzulässig 22 , die Interpretation eines verfassungsrechtlichen Begriffs anhand des einfachen Bundesrechts vorzunehmen; die inhaltliche Aussage des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" muß unmittelbar aus der Verfassung gewonnen werden 2 3 . Begründet w i r d diese Ansicht neben allgemeinen Methodikgesichtspunkten vor allem m i t dem H i n weis darauf, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber die Definition des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" bewußt unterließ, um den Begriff für neue volkswirtschaftliche Erkenntnisse offenzuhalten 24 . Überdies w i r d geltend gemacht, § 1 StabG habe nicht die Funktion, den Verfassungsbegriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts rechtlich verweist zwar nicht expressis verbis auf § 1 StabG, definiert den Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts aber m i t den vier Zielkomponenten des § 1 StabG; vgl. dazu auch Biedenkopf, B B 1968, S. 1006. 10 Papier, AöR 98, S. 548. 20 Vgl. dazu Scheuner, Verfassung, Verwaltung, Finanzkontrolle, S. 114. 21 Vogel / Wiebel i n : Kommentar zum Bonner Grundgesetz, A r t . 109, Rdn. 81 : Der Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sei „zwar i m einzelnen ausfüllungsbedürftig; sein wesentlicher materieller Gehalt liegt aber von Verfassungs wegen bereits fest, er braucht nicht erst — von welchen Organen auch immer — bestimmt zu werden."; vgl. auch Scheuner, Verfassung, Verwaltung, Finanzkontrolle, S. 114. 22 A u f die methodischen Bedenken weist insbesondere Vogel/Wiebel in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz, A r t . 109, Rdn. 84 hin. 23 So Scheuner, Verfassung, Verwaltung, Finanzkontrolle, S. 114; Vogel / Wiebel i n : Kommentar zum Bonner Grundgesetz, A r t . 109, Rdn. 85. 24 Vgl. dazu Möller, S. 65.
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verbindlich zu interpretieren, sondern den i n A r t . 109 I I GG gemeinten Inhalt lediglich i n „möglichst meßbare wirtschaftswissenschaftliche Größen (zu) übersetzen" 25 . Diese als „Transpositionsvorgang" bezeichnete Umsetzung beruhe ausschließlich auf wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen; daher müsse es A r t . 109 I I GG entnommen werden, ob diese Transposition gelungen sei 26 . Damit werden bei der Auslegung des A r t . 109 GG zwei verschiedene Ansatzpunkte verfolgt, die jeweils zu unterschiedlichen Interpretationsergebnissen führen können. Ist § 1 StabG ausschließlicher und verbindlicher Konkretisierungsmaßstab, kommt es i m folgenden lediglich auf die Auslegung des „magischen Vierecks" i n § 1 StabG an. Ist hingegen ein verfassungsrechtlicher Selbststand des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu wahren, muß zur Bestimmung des Begriffs auf seine allgemeine Wortbedeutung sowie auf die Stellung und Funktion des Begriffs i m Grundgesetz rekurriert werden. Die entscheidende Frage lautet also, ob § 1 StabG den verbindlichen Auslegungsmaßstab für die Interpretation des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts i n A r t . 109 GG darstellt. Damit ist das Problem angesprochen, i n welchem Verhältnis Verfassungsrechtsnormen und Normen des einfachen Gesetzesrechts zueinander stehen und welche Konsequenzen sich daraus für die Klärung der Frage ergeben, ob und inwieweit es zulässig ist, einfaches Gesetzesrecht zur Interpretation verfassungsrechtlicher Begriffe heranzuziehen. I m folgenden soll darauf nur insoweit eingegangen werden, als dies zur Lösung der hier anstehenden Interpretationsfrage erforderlich ist. Dabei sind besonders die spezifischen Eigenheiten des Verhältnisses des A r t . 109 GG zum Stabilitätsgesetz zu berücksichtigen. b) Verhältnis von Verfassungsrecht zu einfachem Gesetzesrecht
Das so angesprochene Verhältnis ist also i m Hinblick darauf zu untersuchen, ob und i n welchem Umfang Gesetzesnormen Verfassungsbegriffe i n legitimer Weise auszufüllen vermögen. aa) Stellungnahmen
der Literatur
Leisner hat dieses Problem i n einer als grundlegend zu bezeichnenden Monographie m i t dem Titel „Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung" 27 beleuchtet. I n diesem Werk stellt er „Betrachtungen zur möglichen selbständigen Begrifflichkeit i m Verfassungsrecht" 28 an. Zentraler Ausgangspunkt ist die These, der Verfas25 Vogel/Wiebel i n : Kommentar zum Rdn. 84. 2β Ebd., A r t . 109, Rdn. 84. 27 I n : Recht u n d Staat, Heft 286/287. 28 So der U n t e r t i t e l des Werkes.
Bonner
Grundgesetz,
A r t . 109,
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sung fehle i n vielen und entscheidenden Punkten „begrifflicher Selbststand" 2 9 . I h r Inhalt werde aus „Normen, Tradition oder ,Theorie 4 des Gesetzesrechts gewonnen" und bedrohe damit die selbständige Normhöhe des Verfassungsrechts 30 . Damit entstehe die Gefahr, daß die Verfassung dem einfachen Gesetzesrecht inhaltlich angeglichen und so die Verfassung als Maßstab für die Rechtmäßigkeit unterverfassungsrechtlicher Normen wirkungslos wird. Zu beklagen sei deshalb der u n k r i tische Rückgriff auf die Begrifflichkeit niederrangigen Rechts, ohne sich vorher u m eine eigenständige Verfassungsinterpretation bemüht zu haben 31 . Leisner fordert eine zurückhaltende vorsichtige Rezeption unterverfassungsrechtlicher Gehalte, dem die Erschöpfung aller Möglichkeiten autonomer Verfassungsauslegung vorauszugehen habe 32 . Diesem Ansatzpunkt folgend, müßte zunächst der Verfassungsbegriff „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht" i m Rahmen einer eigenständigen Verfassungsinterpretation geklärt werden. Erst wenn insoweit Klarheit besteht, ist an eine etwaig notwendig werdende weitere Präzisierung durch unterverfassungsrechtliche Normen zu denken. Häberle verfolgt einen anderen Ansatzpunkt, indem er auf den spezifischen Rezeptionscharakter der Verfassung hinweist 3 3 . Durch die teilweise generalklauselartigen und schematischen Verfassungsnormierungen werde der Vorgang der Rezeption erleichtert. So pflegen die Verfassungen oft zahlreiche Rechtsgehalte aus der bereits vorhandenen unterkonstitutionellen Rechtsordnung i m Wege der Rezeption zu übernehmen 34 . Diese vorgefundenen Rechtsgehalte konkretisieren dann die Verfassung. Damit leistet der einfache Gesetzgeber einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung der Verfassungsgehalte 36 . „Die Verfassung bedarf seiner zur Konkretisierung und Ausgestaltung ihrer Rechtsbegriffe . . . Die Gesetzgebung leistet konstitutive Beiträge zur Verwirklichung der Verfassung. Sie ,stützt' die Verfassung von unten 3 0 ." 2» Leisner, S. 5. so Ebd., S. 5. 31 Ebd., S. 33 f. ; beispielsweise w i r d der Begriff des Erziehungsberechtigten i n A r t . 6 GG nach dem B G B bestimmt; auch die Gewährleistung des Postu n d Fernmeldegeheimnisses w i r d unter Rückgriff auf das Post- u n d Fernmeldeanlagengesetz ausgestaltet. Besonders hervorzuheben ist, daß der i n A r t . 105 I I GG normierte Begriff der „Steuer" nach allgemeiner Ansicht durch § 1 1 S. 1 der Abgabenordnung definiert w i r d ; vgl. dazu BVerfGE 3, 407 (435); 7, 244 (251 f.); Maunz i n : M a u n z / D ü r i g / H e r z o g , A r t . 105, Rdn. 16; Vogel! Walter i n : Kommentar z u m Bonner Grundgesetz, A r t . 105, Rdn. 24. 32 Leisner, S. 64. ss Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, S. 167; Häberles Ausführungen beziehen sich zwar auf die Grundrechte, lassen sich aber auch auf andere rezeptionsfähige Verfassungsnormen anwenden, vgl. Häberle selbst, Die Wesensgehaltsgarantie, S. 167, Fußnote 269. 34 Ebd., S. 168. 35 Ebd., S. 175.
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Gleichwohl — so Häberle — bedeute dies keineswegs eine Festlegung der Verfassung auf den status quo des rezeptierten Rechts, da die übernommenen Rechtsbegriffe aufgrund ihrer Verfassungsrechtsqualität ein verfassungsspezifisches Eigenleben führten, und sie so m i t der Zeit einen „eigenständigen Wertgehalt" entwickelten 37 . Von dieser Position aus gesehen bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen eine Ausfüllung des A r t . 109 GG durch § 1 StabG; eine Übernahme des unterverfassungsrechtlichen „magischen Vierecks" durch den verfassungsändernden Gesetzgeber wäre damit anzunehmen. Majewski wendet sich i n seiner Stellungnahme zur Problematik der Gesetzmäßigkeit der Verfassung gegen die Vorstellung eines strikten „begrifflichen Selbststandes der Verfassung"; i h n zu fordern, erscheint i h m „illusionär" 5 8 . Der lediglich formelle Rangunterschied zwischen Normkomplexen schließe materielle Bezüge, seien es auch nur allgemeine Prinzipien, zwischen den Rechtsmaterien nicht aus 39 . Majewski ist der Ansicht, die Zulässigkeit der begrifflichen Verflechtung von Verfassungs- und einfachem Gesetzesrecht hänge von der jeweiligen Grundrechtstypik des i n Frage stehenden Komplexes ab. So unterscheidet er zwischen mehr rechts- oder sachgeprägten Grundrechtstypen, wobei der Grad der zulässigen rechtlichen Formbarkeit und der Umfang der jeweiligen Gesetzesvorbehalte über die Einordnung zu entscheiden habe 40 . Beispielsweise seien die Freiheitsgarantien i n A r t . 4 1 und A r t . 5 I I I GG wegen fehlender Gesetzesvorbehalte den „sachbestimmten" Normbereichen zuzurechnen und damit der unterverfassungsrechtlichen Ausformung entzogen 41 . Es bestünde — so Majewski — „eine Vermutung, daß Grundrechte ohne ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt der einfachen Gesetzgebung weniger oder gar nicht zugänglich sind, als Grundrechte m i t verschieden gestuftem Vorbeh a l t " 4 2 . Umgekehrt seien sogenannte „rechtserzeugte" Grundrechte, wie 36 Ebd., S. 175; ähnlich Lerche, Werbung u n d Verfassung, München u n d B e r l i n 1967, S. 33: „Zunächst ist die Verfassung auf weiten Strecken eine A r t Kristallisation der schon gegebenen einfachgesetzlichen Rechtsmassen. Der Grundrechtsteil insbesondere ist w e i t h i n (nicht allein) ein A r t Bilanz der gegebenen u n d gewordenen deutschen Rechtskultur. Nichts anderes ist gemeint, w e n n die Verfassung vielfach als »Konzentrat* der innerstaatlichen Rechtsordnung o. ä. bezeichnet w i r d . Daher ist es nicht möglich, den Aussagew e r t einer Verfassungsnorm zu bestimmen ohne Rücksicht auf den v o r gefundenen unterverfassungsrechtlichen Rechtsstoff samt dessen allmählich gewordenen Verbindungen u n d Begrenzungen." 37 Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, S. 169. 88 Majewski, Auslegung der Grundrechte durch einfaches Gesetzesrecht, B e r l i n 1971, S. 87. 3» Ebd., S. 86. 40 Ebd., S. 87 f. Ebd., S. 88. 42 Ebd., S. 88.
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beispielsweise A r t . 101, 103 und 104 GG, die ihre Entstehung und Geltung der Rechtsordnung selbst verdanken, durch den einfachen Gesetzgeber ausgestaltungsfähig 43 . Schließlich sei noch das unterschiedliche Mischungsverhältnis von rechts- und sachgeprägten Normbereichen bei der Ausgestaltungsfunktion des einfachen Gesetzgebers zu beachten, ζ. B. i m Bereich des A r t . 141 Satz 2 GG 4 4 . So kommt der Autor zu jeweils danach abgestuften Ergebnissen, ob es sich um einen sach- oder rechtsgeprägten Normbereich handelt, oder ob beide Elemente in der Verfassungsnorm mitschwingen 45 . bb) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weist auf den Primatcharakter der Verfassung im hierarchisch strukturierten Rechtssystem hin. „Nicht das System von Normen, Instituten und Institutionen im Range unter der Verfassung bildet den Maßstab für die Auslegung verfassungsrechtlicher Bestimmungen; vielmehr liefern die letzteren umgekehrt die Grundlagen und den Rahmen, an den die übrigen Rechtsäußerungen und -erscheinungen sich anzupassen haben 4 6 ." Andererseits verkennt das Gericht auch nicht den engen und unabweisbaren Zusammenhang zwischen Verfassungsnorm und einfachem Gesetzesrecht. Dies gilt zunächst einmal dort, wo es um das Verhältnis des grundrechtseinschränkenden Gesetzes zu der einzuschränkenden Grundrechtsgarantie geht 4 7 . Aber auch wenn die Frage diskutiert wird, ob eine Verfassungsnorm unter Rückgriff auf unterverfassungsrechtliche Normgehalte auszulegen ist, aktualisiert das Gericht die jeweilige gegenseitige Bezogenheit der verschieden gestuften Rechtsräume. So wurde beispielsweise zur Auslegung des Begriffs „Auslieferung" i n A r t . 16 GG ausgeführt: „Die Aufnahme des nicht näher erläuterten Begriffs der Auslieferung i n das Grundgesetz könnte darauf hindeuten, daß der Verfassungsgeber einen . . . i m historisch gewachsenen Rechtssystem vorgeformten und feststehenden Begriff vorgefunden und verwendet habe. Die Auslegung hätte sich dann möglicherweise an den vorgefundenen Begriffsinhalt zu halten 4 8 ." Damit w i r d deutlich, daß nach A u f fassung des Bundesverfassungsgerichts eine Übernahme unterverfassungsrechtlicher Gehalte zur Begriffsausfüllung von Grundrechtsnormen dem Grunde nach zulässig ist; ob dies jedoch nur dann als zulässig 43 Ebd., S. 101 f. 44 Ebd., S. 102 ff. 45 Ebd., S. 114 f. 4β BVerfGE 28, 243 (260 f.). 47 Vgl. dazu grundlegend die „Lüth-Entscheidung" i n : BVerfGE 7, 198 (208 f.) m i t ihrer Wechselwirkungsdoktrin. 48 BVerfGE 29, 183 (190) unter Bezugnahme auf BVerfGE 3, 407 (415) u n d 2, 380 (402).
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erachtet wird, wenn der Verfassungsgeber bereits ein „historisch gewachsenes Rechtssystem" vorfindet oder auch dann, wenn — wie i m Verhältnis von A r t . 109 GG zum StabG — zeitliche Erlaßgleichheit besteht, bleibt jedoch offen. cc) Kritik
und Lösungsvorschlag
Leisners eindringliche Warnung vor einer Unterwanderung der Verfassung durch unkontrollierte Rezeption sowie unkontrolliertem Durchgriff auf niederrangiges Recht erscheint durchaus berechtigt. I n der Tat vermag die Verfassung ihrer Aufgabe, Maßstab und Richtschnur für die Rechtmäßigkeit des niederrangigen Rechts zu sein, dann nicht mehr erfüllen, wenn die verfassungsrechtlichen Norminhalte wegen weitgehender inhaltlicher Deckungsgleichheit m i t dem einfachen Gesetz keine selbständigen „Rechtmäßigkeitskriterien" und damit auch keine wirkungsvolle Direktivkraft für die unterverfassungsrechtlichen Regelungsbereiche zu entfalten imstande sind. Ein bestimmter autonomer Begriffsselbststand muß gewährleistet bleiben. Allerdings fragt es sich, ob die so erforderliche höhere Begrifflichkeit nur — wie Leisner es fordert — dadurch gewahrt bleibt, daß nun jede Bezugnahme auf Gesetzesrecht weitgehend vermieden wird. Diese Gesetzesferne und Gesetzesunabhängigkeit birgt die Gefahr einer statischen Verfassungssicht, einer weitgehenden Isolierung der Verfassung gegenüber den sich wandelnden und fortschreitenden unterverfassungsrechtlichen Regelungsbereichen. Die Verfassung muß sich dem ständigen Wechsel staatlicher Lagen und dem der politischen Entwicklung anpassen können. Sie muß deshalb offen und dynamisch sein, um nicht bei jeder Änderung des einfachgesetzlichen Rechtskreises mitgeändert werden zu müssen. Eine derartige Flexibilität und Offenheit ist aber nur dann gewährleistet, wenn eine gewisse „Kommunikation oder Wechselwirkung" zwischen der Verfassung und dem einfachen Gesetz möglich ist. So gesehen erscheint Leisners Position i m Ansatz richtig, die normative Eigenständigkeit der Verfassung w i r d jedoch m i t dem zu hohen Preis einer statischen Verfassungssicht erkauft. Wenn Leisner damit der Vorwurf gemacht werden muß, die Verfassung von der unterkonstitutionellen Normmasse zu isolieren, muß der Einwand gegen Häberles Position in die entgegengesetzte Richtung zielen. Wenn er es (auch) als Legislativaufgabe ansieht, die Verfassung zu aktualisieren und zu konkretisieren und sie von „unten nach oben" zu stützen, ohne der Aufnahme unterverfassungsrechtlicher Normgehalte Grenzen zu ziehen, w i r d die Idee der Einheit der Rechtsordnung 4 9 überbeansprucht. Zweifellos hindert normpyramidales Stufende Vgl. zu diesem Auslegungstopos BVerfGE 1, 15 (32f.); 1, 209 (227f.); 15, 167 (194); 28, 243 (261); 34, 165 (183); 35, 202 (225).
Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Hinsicht
denken und die Erhaltung begrifflichen Selbststandes nicht, i m Interesse der Einheit der Rechtsordnung offenes Verfassungsrecht durch Unterstützung niederrangiger Rechtsnormen zu interpretieren. Jedoch darf Verfassungsauslegung sich nicht damit begnügen, bei offenen, d. h. i n der Verfassung selbst nicht erläuterten Begriffen automatisch, praktisch reflexionslos, auf unterkonstitutionelle Rechtsnormen zu rekurrieren. Hierbei w i r d übersehen, daß die Auslegung eines (auch offenen) Verfassungsbegriffs zunächst eine verfassungsrechtliche Frage ist, die m i t Hilfe der Gesamtheit der Verfassungsnormen und der ihnen zugrunde liegenden politischen Wertentscheidungen zu lösen ist. Nur wenn dies nicht gelingt, sind niederrangigere Rechtselemente i n den Interpretationsvorgang einzubeziehen. Dabei muß die i m Rahmen der Verfassungsinterpretation vorgenommene Übernahme einfachen Rechts dem Gesamtzusammenhang der Verfassung entsprechen, darf also nicht in offenem oder verstecktem Widerspruch zu sonstigen Verfassungsgehalten stehen 50 . Darüber hinaus kann die Übernahme unterverfassungsrechtlicher Normgehalte in die Verfassung keinen abschließenden Charakter haben. M i t der Interpretation eines Verfassungsbegriffs durch einfachgesetzliche Gehalte w i r d die Verfassungsnorm zwar aktuell m i t niederrangigeren Normgehalten ausgefüllt; diese Interpretation sagt jedoch noch nichts über den endgültigen Inhalt der Norm aus. Das einfache Gesetz kann nur hilfsweise heranzuziehender Interpretationsgesichtspunkt sein, nicht aber endgültige, autoritative oder authentische Interpretation. Die inhaltliche Aussage w i r d durch das Gesetz nicht zementiert; künftige Änderungen und Akzentverschiebungen des verfassungsrechtlichen Bedeutungsgehaltes müssen u m der Anpassungsfähigkeit und Dynamik willen möglich bleiben. Geht man bei der Auffüllung verfassungsrechtlicher Gehalte durch niederrangiges Recht von der so skizzierten Maxime aus, bedarf es auch nicht mehr der von Majewski begründeten Grundrechtstypologie. Der Schluß von der rechtserzeugenden bzw. sachgeprägten Qualität einer Verfassungsnorm auf die Zulässigkeit unterverfassungsrechtlicher Ausfüllung w i r d so überflüssig. Bei jedem Interpretationsversuch ist die eigenständige und spezifische, w e i l verfassungsrechtlich geformte Normbedeutung zu analysieren. A u f dieser Ebene w i r d ermittelt, ob der betreffende Begriff — von seiner Funktion und Stellung i n der Verfassung her zu schließen — einfachgesetzlicher Konkretisierung zugänglich sein kann. A u f dieser Interpretationsebene ist die Entscheidung zu fällen, die Majewski m i t Hilfe seiner Grundrechtsdifferenzierung zu lösen versucht. δ0
Vgl. zu diesem Interpretationsgesichtspunkt Hesse, S. 28 m. w. Nachw.
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r s e u n g des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts"
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Letztlich sei i n diesem Zusammenhang noch auf die zeitliche Komponente des Problems eingegangen. I m Rahmen der Interpretation offener verfassungsrechtlicher Begriffe kann es von Bedeutung sein, i n welchem zeitlichen Verhältnis die rangverschiedenen Normen erlassen worden sind. Folgt die Verfassung der einfachgesetzlichen Normierung nach, so ist eine Übernahme der bereits verfestigten Rechtsmaterie von den oben skizzierten Voraussetzungen abhängig; d. h. die Übernahme ist nur zulässig, soweit es sich um einen offenen Verfassungsbegriff handelt, der verfassungsrechtlich nicht vorgeformt ist, und wenn ferner die Übernahme und ihr Ergebnis der Gesamtheit der Verfassung entspricht und auch nicht zur verfassungsrechtlichen Zementierung rangniedriger Inhalte führt. Ist hingegen die Lage so, daß der offene Verfassungsbegriff zeitgleich m i t dem einfachen Gesetz erlassen w i r d und zugleich die rangniedrigere Norm eine dezidierte Legaldefinition des offenen Verfassungsbegriffs enthält, fragt es sich, ob hier nicht der einfache Gesetzgeber a priori den Inhalt des Verfassungsbegriffs formt. Dies liegt deshalb nahe, weil die gleichzeitige Erschaffung des offenen Verfassungsbegriffs und des rangniedrigen Gesetzes als „politische Einheit" angesehen werden k a n n 5 1 und damit zumindest die Vermutung für eine identische Begriffswahl besteht. Gleichwohl darf dies jedoch nicht dazu führen, daß der rangniedrige Gehalt die erste und letzte authentische Interpretation des Verfassungsbegriffs darstellt. Die unterkonstitutionelle „Erklärung" kann lediglich eine Erläuterung, einen (wenn auch starken) Auslegungsgesichtspunkt abgeben; eine verbindliche Festlegung, eine Zementierung rangniedriger Gehalte auf Verfassungsebene w i r d damit verhindert. Dies ist deshalb erforderlich, weil der ursprünglich m i t einfachgesetzlichen Gehalten interpretierte Verfassungsbegriff m i t der Zeit ein Eigenleben i n der Verfassung entfaltet. Er w i r d i n die Gesamtheit und Einheit der Verfassung integriert und n i m m t an der Fort- und Eigenentwicklung der dynamischen Verfassung teil. Dieser für die Funktionsfähigkeit der Verfassung entscheidende Gesichtspunkt der Fortentwicklung verfassungsrechtlicher Begriffsinhalte steht damit einer verbindlichen Festlegung auf unterkonstitutionelle Gehalte entgegen. Gleichwohl bleibt festzuhalten, daß in den Fällen zeitlicher Kongruenz — zumindest — eine Vermutung dafür besteht, daß unterverfassungsrechtliche Normen den offenen Verfassungsbegriff inhaltlich erläutern sollen, ohne daß damit eine verbindliche Festlegung des Verfassungsbegriffs einherginge.
51 Vgl. dazu Kloepfer, V o r w i r k u n g von Gesetzen, München 1974, S. 39 ff.; hier insbes. S. 40, Fußn. 165, unter Hinweis auf BVerfGE 32, 199 (212) u n d 34, 9 (24).
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. Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Hinsicht c) Folgerungen für das Verhältnis des Art. 109 Π G G zu § 1 StabG
M i t den obigen Ausführungen ist das Verhältnis des A r t . 109 I I GG zu § 1 StabG entschieden. Der Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts i n A r t . 109 I I GG ist i m Grundgesetz weder erläutert noch ist aus anderen Verfassungsvorschriften eine Konkretisierung möglich; der Begriff ist also insoweit offen und der unterverfassungsrechtlichen Konkretisierung i m Rahmen der Interpretation zugänglich. Da der Verfassungsbegriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und das diesen Begriff ausfüllende Gesetz i n einem einheitlichen Gesetzgebungsverfahren entstanden sind, besteht die Vermutung für eine inhaltliche Deckung beider Begriffe. § 1 StabG vermag deshalb den Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts i n A r t . 109 I I GG zu erläutern. Damit ist das i n den Formeln des § 1 StabG umschriebene „magische Viereck" Preisstabilität, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum Maßstab für die Auslegung des A r t . 109 I I GG. Dabei sind die so ermittelten Einzelziele des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts an den durch A r t . 109 GG selbst und durch die Gesamtheit der Verfassung gesetzten Rahmen gebunden. Die i n § 1 StabG vorgenommene Konkretisierung ist keineswegs die für die Dauer entscheidende Inhaltsausfüllung des Verfassungsbegriffs. Es ist deshalb durchaus denkbar, daß unter einer veränderten wirtschaftlichen Situation oder unter dem Gesichtspunkt neuer wirtschaftspolitischer Prioritätensetzung bestimmte, i m Stabilitätsgesetz genannte Teilziele i n den Hintergrund treten, andere Komponenten hingegen mehr betont werden. Denkbar ist auch, daß der Zielkatalog beispielsweise dahingehend erweitert wird, daß die gesamteuropäische Zusammenarbeit oder die langfristige Sicherung der Energieversorgung ebenfalls Aufgabe und Verpflichtung staatlicher Wirtschaftspolitik darstellt. Dieses Auslegungsergebnis deckt sich auch mit den Vorstellungen des verfassungsändernden Gesetzgebers. Zwar ist zunächst i m Rechtsausschuß des Bundestages erwogen worden, den Begriff durch einen K l a m merzusatz oder durch Aufzählung bestimmter Komponenten verbindlich zu definieren 52 . Darauf wurde jedoch letztlich verzichtet, da eine Definition nur den spezifischen Stand aktueller wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnis widerspiegele. Eine solche verfassungsrechtliche Fixierung würde also das Grundgesetz an einen bestimmten Stand der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung binden 5 3 , so daß neue wirtschaftstheoretische Erkenntnisse nur um den Preis einer Verfassungsänderung reali52 Vgl. Stenographisches Protokoll der 17. Sitzung des Rechtsausschusses des Bundestages v o m 22. 9.1966, S. 49, 51 f., 33. 53 Vgl. Stenographisches Protokoll, ebd., S. 13 f. u n d S. 49.
3. V o t u m des Sachverständigenrates
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siert werden könnten 5 4 . M i t dieser Auslegung bleibt der Interpretation des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, insbesondere i m Hinblick auf neue wirtschaftstheoretische Erkenntnisse eine gewisse Beweglichkeit erhalten, um damit sich wandelnden Anschauungen flexibel Rechnung tragen zu können. Zur Zeit besteht (noch) Einigkeit, daß die i n § 1 StabG fixierten Ziele die entscheidenden (wenn auch nicht die einzigen) Komponenten sind, an denen sich eine Volkswirtschaft zu orientieren hat 5 5 . Insoweit ist also der Weg frei, die Staatszielbestimmung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts durch das „magische Viereck" des § 1 StabG zu erläutern 5 6 . Bevor nun auf die einzelnen Komponenten des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ausführlicher eingegangen wird, sind noch zwei andere denkbare Gemeinwohlkonkretisierungsgesichtspunkte abzuhandeln.
3. Votum des Sachverständigenrates Bulla vertritt die Auffassung, daß das Votum des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung das Gemeinwohl konkretisiere 5 7 . Das L i m i t i m Votum sei als „oberer Höchstwert Grenzwert für das gewerkschaftliche Fordern-Dürfen, bis zu dem noch die gebotene soziale Selbstverantwortung gegenüber den höherwertigen und daher maßgeblichen Belangen des Gemeinwohls beachtet ist" 5 8 . Für diese Auffassung spricht, daß die Gutachter i n hohem Maße sachverständig und unabhängig sind und ihre Ratschläge für die einzuschlagende Wirtschaftspolitik bedeutendes Gewicht haben. Gleichwohl bestehen gegen eine derartige weite Bindungsautorität des Sachverständigenrates durchgreifende Bedenken. Wer dem Sachverständigenrat die Kompetenz einräumt, die Höchstgrenze gewerkschaftlicher Forderungen verbindlich zu bestimmen, muß auch die Frage nach 54 So aber Stern, N J W 1967, S. 1837. 55 Vgl. Vogel/Wiebel i n : Kommentar zum Bonner Grundgesetz, A r t . 109, Rdn. 84; Landes, S. 27 m. w. Nachw.; es gibt aber bereits Ansatzpunkte einer Erweiterung des Zielkataloges. So hat nach Scheuner i n : Verfassung, V e r waltung, Finanzkontrolle, S. 114, Fußn. 13, der Kanzler i n der Regierungserklärung des Kabinetts H e l m u t Schmidt v o m 17. 5. 74 der Erwähnung der drei Ziele „sichere Beschäftigung, Preisstabilität und Wirtschaftswachstum" hinzugefügt, man könne noch die soziale Sicherheit und die soziale Gerechtigkeit dem Zielkatalog anfügen. 56 I m Ergebnis ebenso Möller, S. 65; Scheuner i n : Verfassung, Verwaltung, Finanzkontrolle, S. 114ff.; Vogel/ Wiebel, Kommentar zum Bonner G r u n d gesetz, A r t . 109, Rdn. 84 u n d 116; Papier, AöR 98, S. 548; Maunz i n : M a u n z / D ü r i g / Herzog, A r t . 109, Rdn. 24. 57 Bulla i n : Festschrift f ü r Nipperdey, Bd. I I , S. 100. 58 Ebd., S. 100.
Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Hinsicht
der Legitimation, Verantwortlichkeit und Kontrolle dieses Gremiums stellen. Aber gerade eine hinreichende demokratische Basis für eine derart weitgehende Entscheidungskompetenz fehlt dem Sachverständigenrat. I n einem demokratisch strukturierten Gemeinwesen wie der Bundesrepublik können rechtsbegrenzende Entscheidungszuständigkeiten nur den unmittelbar oder mittelbar durch Wahlen legitimierten Staatsorganen zugewiesen werden 5 9 , andernfalls „dem Phänomen der Flucht aus der Verantwortlichkeit und der Entscheidung seitens der demokratisch legitimierten, zum Handeln berufenen Verfassungsorgane" Vorschub geleistet würde und dann damit demokratisch nicht legitimierten Organen ein grundgesetzwidriger Entfaltungsspielraum eingeräumt wird, der den verfassungsrechtlichen „numerus clausus der Verfassungsorgane" ohne Not sprengt 60 . Der Sachverständigenrat kann also mangels demokratischer Legitimation zur verbindlichen Gemeinwohlkonkretisierung nicht zuständig sein; seine Grenzdaten haben ausschließlich empfehlende Natur.
4. Entwicklung des Bruttosozialprodukts
Ein weiterer Ansatzpunkt zur Gemeinwohlkonkretisierung w i r d vielfach i n der Orientierung am güterwirtschaftlichen Wachstum bzw. am nominalen Sozialprodukt gesehen. Danach müssen die Lohnsteigerungen an der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität ausgerichtet werden, d. h. die Löhne müßten unmittelbar an den statistisch ermittelten Produktivitätsfortschritt quantitativ angeglichen werden. Dieser A n sicht liegt, wie bereits oben bei den Grenzen der Lohnpolitik erörtert, die wirtschaftswissenschaftliche These zugrunde, daß die Reallöhne langfristig nicht stärker steigen können als die Produktivität, andernfalls lohninduzierte inflationäre Entwicklungen unvermeidlich seien. Auch hier greifen die bereits oben ausgeführten Bedenken durch. Würde die Gemeinwohlbindung fordern, daß ein Lohnabschluß der Höhe nach nicht die Produktivitätsentwicklungsmarge übersteigen dürfe, würde i m tarifpolitischen Bereich ein die freie Vereinbarung weitgehend verdrängender Automatismus i n Gang gesetzt. Ist beispielsweise ein Produktivitätsfortschritt von 5 °/o erarbeitet worden, werden die Gewerkschaften alles daran setzen, eine entsprechende Lohnveränderung zu erreichen; Tarif Verhandlungen über die neue Lohndatensetzung würden sich dann erübrigen. Damit würde die den Gewerkschaften durch A r t . 9 I I I GG begründete Befugnis, ihre lohnpolitischen Interessen selbst zu definieren und zu vertreten einer — wie oben ausM
Stern, Grundfragen der globalen Wirtschaftssteuerung, B e r l i n 1969, S. 22. eo Ebd., S. 20 f. m. w. Nachw.
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des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
143
geführt — zweifelhaften wirtschaftswissenschaftlichen Theorie geopfert. I m übrigen ist zu beachten, daß das Arbeitsproduktivitätsdatum eine rein statistische Größe darstellt, die sich aus der Summe zahlreicher, unterschiedlicher und sogar entgegengesetzter Werte zusammensetzt. Eine Rückübertragung einer so gewonnenen Größe auf Teilbereiche der Wirtschaft m i t dem Anspruch, richtiges Grenzdatum für die verbandsmäßige Lohngestaltung zu sein, erscheint äußerst schwierig, wenn nicht sogar ausgeschlossen61. 5. Komponenten des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Es ist jetzt der Frage nachzugehen, was unter den i n § 1 StabG genannten einzelnen Teilbegriffen zu verstehen ist und ob daraus hinreichend quantifizierbare Grenzdaten für die wirtschaftliche Gemeinwohlkonkretisierung entwickelt werden können. I n § 1 StabG w i r d der Begriff des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" durch folgende Komponenten konkretisiert: 1. Stabilität des Preisniveaus 2. Hoher Beschäftigungsstand 3. Außenwirtschaftliches Gleichgewicht 4. Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum Damit wurde der Versuch gemacht, komplexe ökonomische Ablaufvorgänge einer juristischen Normierung zugänglich zu machen, so daß dem Juristen die Aufgabe überantwortet ist, Begriffe wirtschaftswissenschaftlichen Ursprungs rechtlich aufzubereiten. Die Entscheidung darüber, ob und wann das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht erreicht ist, kann grundsätzlich nur normativer A r t sein 62 . Dies gilt auch für die traditionelle Formulierung der ökonomischen Theorie, nach der gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht ein Zustand ist, „ i n dem sämtliche Variablen der Gesamtwirtschaft bei gegebenen volkswirtschaftlichen Daten solche Werte haben, daß kein Wirtschaftssubjekt Veranlassung hat, seine Dispositionen zu ändern" 6 3 . Gleichwohl ist trotz der norma61 Vgl. zu diesem Problemkreis ausführlich das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium für Wirtschaft v o m 21. 2.1960; Sammelband der Gutachten von 1948 bis 1972, S. 396 ff. 62 I m Gegensatz zur normativen Begriffsbildung, w i e sie f ü r die Rechtswissenschaft typisch ist, kennt m a n i n den Wirtschaftswissenschaften n u r Begriffe, die aufgrund empirischer Tatsachen gewonnen werden, u n d solche, die theoretisch-konstruktiver N a t u r sind; eine normative Begriffsbildung w i r d grundsätzlich abgelehnt; vgl. dazu Giersch, Allgemeine Wirtschaftspolitik, Bd. I, Wiesbaden 1961, S. 46 ff. es Schneider, Einführung i n die Volkswirtschaftslehre, I I . Teil, 12. Aufl., 1969, S. 386, zitiert nach Stern / Münch / Hansmeyer, S. 120.
Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Hinsicht
tiven Qualität dieses Rechtsbegriffs nicht ohne eine Analyse der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Teilkomponenten des § 1 StabG auszukommen. Es ist also zu klären, was die Wirtschaftswissenschaften unter den vier Komponenten des § 1 Satz 2 StabG verstehen. a) Stabilität des Preisniveaus
Stabilität des Preisniveaus ist nicht gleichzusetzen mit preislicher Konstanz eines jeden Sachgutes oder einer Dienstleistung, sondern liegt dann vor, wenn das Auf und Ab der Einzelpreise auf den verschiedenen Märkten sich ausgleicht, die Preise also i m Durchschnitt stabil bleiben 6 4 . Zur Beurteilung der Entwicklung des Preisniveaus einer Volkswirtschaft stützt man sich auf sogenannte Preisindices. Von den zahlreichen Preisindices, ζ. B. dem Deflator des Bruttosozialprodukts, dem Index der industriellen Nettoproduktion, dem Preisindex der letzten inländischen Verwendung etc. 65 ist für die Wiedergabe des Preisniveaus der Preisindex für die Lebenshaltung der gebräuchlichste und wohl auch der sinnvollste 66 . Dieser Index basiert auf statistisch ermittelten Verbrauchsgewohnheiten eines Basisjahres und gibt die Preisänderungen aller Güter, die i m Warenkorb des Basisjahres enthalten waren, an. Der Lebenshaltungskostenindex kann die Preisentwicklung für die einzelnen Wirtschaftssubjekte regelmäßig nur annäherungsweise wiedergeben. Eine absolute Ubereinstimmung ist deshalb selten, weil sich die Verbrauchsgewohnheiten der Index-Haushalte, die i m Basisjahr dem Durchschnittshaushalt entsprachen, i m Laufe der Zeit ändern oder beispielsweise Qualitätsänderungen und einhergehende Preiserhöhungen des verbesserten Produkts nur unvollkommen berücksichtigt werden können 67 . Trotz dieser Schwierigkeiten sind die Fehlerbreiten bei den Lebenshaltungskostenindices so eng, daß dieser Index einen aussagekräftigen und brauchbaren Maßstab für die Entwicklung des Preisniveaus angibt 6 8 , insoweit also die Wirtschaftswissenschaften verläßliche Preisindices zur Verfügung stellen und damit die statistische Grundlage dafür schaffen, daß überhaupt festgestellt werden kann, ob und in welcher Höhe Preisniveauschwankungen vorkommen. Umstritten ist nun allerdings die Frage, welche Toleranzen die Stabilität des Preisniveaus noch zu gewährleisten imstande sind. N i m m t β4 Arnim, S. 142; Hansmeyer i n : Stern / Münch / Hansmeyer, S. 123. es Vgl. dazu ausführlicher Hansmeyer i n : Stern / Münch / Hansmeyer, S. 123 f. 66 Vgl. ebd., S. 123 f. 67 Vgl. zur beschränkten Aussagekraft von Preisindices: Landes, S. 59 ff. 68 Vgl. Hansmeyer i n : Stern / Münch / Hansmeyer, S. 125; Arnim, S. 142; Landes, S. 61; i n dieser Richtung äußert sich auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Situation, vgl. die Nachweise bei Hansmeyer i n : Stern / Münch / Hansmeyer, S. 125, Fußn. 22.
5. Komponenten des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
145
man § 1 StabG wörtlich, könnte Stabilität m i t Konstanz gleichgesetzt werden. Die Erfahrungen seit Beginn der fünfziger Jahre zeigen jedoch, daß dieses Ziel — insbesondere i n Anbetracht einer wachsenden W i r t schaft — kaum erreicht werden kann. Überdies bleiben bei der Gleichsetzung „Stabilität = Konstanz" die Meßbarkeitsprobleme der Indices unberücksichtigt. Bereits die Auswahl des als maßgeblich anzusehenden Index unterliegt einer politischen Wertung 6 9 ; auch die Zusammensetzung des Warenkorbes stellt bereits eine Vorentscheidung für die zu ermittelnden Ergebnisse dar. Eine absolute Stabilität zu fordern, würde unter diesen Gegebenheiten ökonomischen Sachgesetzlichkeiten widersprechen und i n Anbetracht der Meßbarkeitsprobleme dem Prinzip nach genauso „ w i l l k ü r l i c h " 7 0 sein wie jede andere absolute Setzung auch 71 . Andererseits kommt es einer bedenklich weiten Relativierung des Stabilitätsbegriffs gleich, darauf abzustellen, ob die Preissteigerungsrate gerade noch unter denjenigen der wichtigsten Partnerländer liege 72 . Es w i r d dagegen zu Recht geltend gemacht, daß ein derartiges Stabilitätsverständnis der Aufgabe des eigentlichen Ziels gleichzusetzen ist, da nunmehr die Außenwirtschaft Maßstab für die Bewertung der binnenwirtschaftlichen Entwicklung ist, eine Konsequenz, die m i t dem Zweck des Stabilitätsgesetzes als unvereinbar angesehen werden muß73'74. Der Bundesminister für Wirtschaft ging i n den Erläuterungen zur Projektion der Wirtschaftsentwicklung bis 1971 davon aus, Stabilität des Preisniveaus sei erreicht, wenn die Differenz zwischen den Wachstumsraten des nominalen und realen Bruttosozialprodukts 1 °/o beträgt, der Preisindex für das Bruttosozialprodukt also pro Jahr um 1 °/o zun i m m t 7 5 . Die weit über diese Zielsetzung hinausgehenden Preisniveausteigerungen der letzten Jahre haben die Bundesregierung allerdings veranlaßt, ihre eher idealistische Stabilitätsposition weiter zu relativieren. So w i r d nach dem Jahreswirtschaftsbericht 1972 für die Zeit β» Vgl. Hansmeyer i n : Stern / Münch / Hansmeyer, S. 125. 70 Ebd., S. 125. 71 Vgl. dazu beispielsweise Schmitz, Normative Richtlinien der Wirtschaftspolitik, F r a n k f u r t 1971, S. 17: „ . . . kein Ökonom w i r d die absolute Stabilität des Preisniveaus ( = 0 °/o Abweichung) verlangen . . . Ganz abgesehen davon, daß die Erreichung dieser Werte i n der Praxis ein wahrer Zufall, w e n n nicht gar . . . eine bare Unmöglichkeit wäre — der ehrliche Statistiker müßte dem Ökonomen zugeben, daß er sich außerstande sieht, bei gesamtwirtschaftlichen Zahlen . . . m i t einer Genauigkeit von + / — 0 zu arbeiten." 72 Vgl. Jahresgutachten des Sachverständigenrates, 1967, 68, Ziffer 263 f. 73 Vgl. Hansmeyer i n : Stern / Münch / Hansmeyer, S. 126. 74 M a n denke i n diesem Zusammenhang n u r an die beträchtlichen Preissteigerungsraten einiger EG-Nachbarländer wie z.B. Großbritannien u n d Italien. 75 Erläuterungen zur Projektion der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung bis zum Jahre 1971, BT-Drucks. V/2511, S. 23. 10 Knebel
Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Hinsicht
bis 1976 eine durchschnittliche Jahreszuwachsrate des Preisniveaus der Inlandsnachfrage von 3 - 3,5 °/o und der Preisrate für den privaten Verbrauch von 2,5 - 3 % angestrebt bzw. für unvermeidbar gehalten 76 . Andere Interpreten des Preisstabilitätsbegriffs wollen Stabilität nicht m i t punktuellen Werten i n Verbindung bringen, sondern als Bandbreiten verstanden wissen, deren Umfang festzulegen dem politischen Ermessen des Parteipolitikers überlassen bleiben müsse 77 . Auch w i r d vertreten, es handle sich bei der Stabilitätsfrage u m ein typisches „Schwellenphänomen" insofern, als noch von Preisniveaustabilität gesprochen werden könne, wenn die meßbare Geldentwertung unterhalb der Bewußtseinsschwelle bleibe, so daß die öffentliche Meinung noch keine Zielverletzung konstatiere 78 . Festzuhalten bleibt in dieser Meinungsvielfalt, daß weder die absolute Stabilitätsinterpretation noch die extrem weite Relativierung der Stabilität durch Anbindung an ausländische Preisraten dem Sinn und der Bedeutung des Stabilitätsgesetzes entsprechen kann. Offen bleibt jedoch, und insoweit gehen die Meinungen auch auseinander, durch welche absolute Marke oder durch welche Toleranzen die Stabilität des Preisniveaus gefährdet ist; die Wirtschaftswissenschaften vermögen jedenfalls nicht einen Maßstab an die Hand zu geben, m i t dessen Hilfe eine Ausfüllung des Stabilitätsbegriffs möglich erscheint. b) Hoher Beschäftigungsstand
Die Zielkomponente „hoher Beschäftigungsstand" w i r d von Hansmeyer als Relativierung der Vollbeschäftigung verstanden 79 , während hingegen der Sachverständigenrat 80 und Möller 8 1 hohen Beschäftigungsstand m i t Vollbeschäftigung gleichsetzen. Unabhängig von dieser Kontroverse ist aber anerkannt, daß Arbeitslosigkeit i n einem gewissen Umfang unvermeidlich ist und toleriert werden muß, insofern also weder der Begriff der Vollbeschäftigung noch der des hohen Beschäftigungsstandes m i t einem Beschäftigungsniveau von 100 °/o gleichgesetzt werden kann 8 2 . Einen Anhaltspunkt für die Höhe des Beschäftigungsstandes gibt die Arbeitslosenquote, die den Anteil der Arbeitslosen bei den abhängigen Erwerbspersonen widerspiegelt. Bei der Frage, welche Arbeitslosenquote einen hohen Beschäftigungsstand bezeichnet, gehen 7β Projektion der mittelfristigen Wirtschaftsentwicklung i n der Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahre 1976, BT-Drucks. VI/3078, S. 38. 77 Schmitz, S. 18 u n d S. 20. 78 Hansmeyer i n : Stern / Münch / Hansmeyer, S. 125. 79 Ebd., S. 128. 80 Jahresgutachten 1967/68, Ziff. 248. 81 Möller, S. 93. 82 Vgl. Schachtschabel, Allgemeine Wirtschaftspolitik, Stuttgart 1975, S. 83.
5. Komponenten des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
147
die Meinungen — wie bei der größenmäßigen Fixierung der Preisstabilität — auseinander. Die Bundesregierung ging 1968 i n ihren Erläuterungen zur Projektion der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung bis zum Jahre 1971 davon aus, eine Arbeitslosenquote von 0,8 °/o entspreche dem Ziel der Vollbeschäftigung 83 ; i n der Fünfjahresprojektion 1972 wurde bereits eine Bandbreite von 0,7 bis 1,2 °/o für zulässig erachtet 84 . I m wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum werden hingegen wesentlich höhere Sätze genannt. So w i r d Vollbeschäftigung dann als v e r w i r k licht erachtet, wenn i m Verhältnis zur gesamten arbeitsfähigen Bevölkerung der Anteil der Arbeitslosen zwischen 1,5 bis 4 % beträgt 8 5 ; einige dehnen diesen Satz bis auf 5 °/o aus 86 . Auch i m westlichen Ausland gelten andere Maßstäbe. So gilt beispielsweise i n den USA ein Satz von 3,5 °/o als Vollbeschäftigung, während eine solche Prozentzahl i n der Bundesrepublik von den Wirtschaftspolitikern sicher als Überschreitung der Zielkomponente gewürdigt w i r d 8 7 . Auch hier zeigt sich, daß einheitliche Maßstäbe nicht zu finden sind. Es scheint äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich zu sein, m i t Hilfe wirtschaftswissenschaftlicher Beweisführung die Datenpunkte oder die Bandbreiten zu fixieren, welche die Komponente des hohen Beschäftigungsstandes auszufüllen vermögen. c) Außenwirtschaftliches Gleichgewicht
Die Zielkomponente des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts ist dann erfüllt, wenn die autonomen Posten der Zahlungsbilanz ausgeglichen sind, also soviel an ausländischen Gütern, Dienstleistungen und Kapitaltiteln eingeführt wird, wie die eigenen Erlöse aus der Ausfuhr von Gütern, Diensten und Kapitaltiteln betragen 88 . Damit w i r d keineswegs ein absoluter ziffernmäßiger Ausgleich erstrebt 89 , vielmehr ist eine der Wirtschaftsstruktur der Bundesrepublik angepaßte Außenwirtschaftsbilanz anzustreben 90 . Dieses Ziel soll nach dem Jahr es W i r t s c h a f t s bericht 1968 erreicht sein, wenn der Anteil des Außenbeitrages am Bruttosozialprodukt 1 °/o beträgt. U m die zunehmenden Zahlungsüberweisungen der Gastarbeiter finanzieren zu können, reichte der Über83 BT-Drucks. V/2511, S. 23. 84 BT-Drucks. VI/3078, S. 38. 85 Schachtschabel, S. 83; vgl. auch Pütz, Grundlagen der theoretischen Wirtschaftspolitik, Bd. I, Stuttgart 1971, S. 44. 86 So beispielsweise Burghardt, Lehrbuch der allgemeinen Sozialpolitik, B e r l i n 1966, S. 441. 87 Vgl. dazu Schachtschabel, S. 84. 88 Stern i n : Stern / Münch / Hansmeyer, S. 128; Möller, S. 94; Schachtschabel, S. 87 ff.; Arnim, S. 147; Pütz, S.43. β» Vgl. Schmitz, S. 17 f. »o Möller, S. 93 f. 10*
Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Hinsicht
schuß der Handels- und Dienstleistungsbilanz i n den letzten Jahren aber nicht mehr aus, so daß die Bundesregierung i m Jahreswirtschaftsbericht 1972 das außenwirtschaftliche Gleichgewicht erst bei einem A n teil des Außenbeitrages am Bruttosozialprodukt von 1,3 bis 2 °/o als erreicht ansah. Trotz dieser Datenkorrekturen kann festgehalten werden, daß über den Begriff des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts und die ihn ausfüllenden konkreten Daten i m wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum weitgehend Einigkeit besteht 91 , eine hinreichend genaue Quantifizierung des Begriffs daher als gesichert angesehen werden kann. d) Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum
Nach der Formulierung des § 1 Satz 2 StabG sind die oben erörterten drei Zielbestimmungen — stabiles Preisniveau, hoher Beschäftigungsstand und außenwirtschaftliches Gleichgewicht — „bei stetigem und angemessenem Wachstum" anzustreben. Wirtschaftswachstum kommt i n der jährlichen Zuwachsrate des realen Brutto-Inland-Produktes zum Ausdruck 9 2 . Die geforderte „Stetigkeit" des Wachstums kann nun nicht bedeuten, daß sich das Wachstum m i t einem gleichbleibenden Prozentsatz vollzöge; entscheidend ist, daß die Wirtschaft an einem Wachstumstrend orientiert ist und dabei möglichst gleichmäßige Wachstumsraten erreicht werden. U m dies zu gewährleisten, ist der Konjunkturpolitik aufgegeben, konjunkturell bedingte Ausschläge der Wachstumsrate abzufangen oder zu mildern 9 3 . Konjunkturschwankungen gefährden oder stören typischerweise auch die Ziele „hoher Beschäftigungsstand" oder „Preisstabilität", so daß die Verpflichtung auf ein stetiges Wirtschaftswachstum nichts Neues gegenüber der Verpflichtung zur Wahrung jener beiden Ziele enthält 9 4 . Insbesondere sagt die Formulierung nichts über die anzustrebende Wachstumsrate aus. Die Formulierung „bei . . . angemessenem Wachstum" beinhaltet die Forderung, daß grundsätzlich eine positive Zuwachsrate des Sozialprodukts vorhanden sein muß. Beurteilungsmaßstab für die Angemessenheit kann nur die Konsistenz m i t den Zielen sein, die die Wirtschafts- und Finanzpolitik zu verfolgen hat 9 5 . Danach liegen angemessene Wachstumsraten dann vor, wenn sie die Erreichung der übrigen Ziele des § 1 StabG erleichtern und för91
s. beispielsweise Schachtschabel, S. 87 ff.; Hansmeyer i n : S t e r n / M ü n c h / Hansmeyer, S. 128 f.; Möller, S. 94; Arnim, S. 147 u n d 154 f.; Brockhausen, S. 13 ff.; Landes, S. 86 ff. 92 Vgl. Hansmeyer i n : Stern / Münch / Hansmeyer, S. 130 ff.; Möller, S. 94. 93 Arnim, S. 148; Möller, S. 94; Hansmeyer i n : Stern / Münch / Hansmeyer, S. 132. 94 Darauf weist insbesondere Arnim, S. 148, h i n ; vgl. auch i n diesem Sinne Schachtschabel, S. 80. 95 So Möller, S. 94 f.
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des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
149
dern 9 6 . Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß unter Umständen die übrigen Ziele des § 1 StabG bei sehr unterschiedlichen Graden von Wachstum erreichbar sind, so daß die Frage, welcher Grad von Wachstum langfristig als angemessen zu bezeichnen ist, m i t dieser formalen Angemessenheitsinterpretation nicht zu lösen ist 9 7 . Der Begriff „ A n gemessenheit" ist inhaltlich ganz offen; er kann nicht m i t den analytischen Werkzeugen der Volkswirtschaftslehre erfaßt werden. Es ist deshalb unmöglich, abstrakt auszudrücken, ob ein jährliches W i r t schaftswachstum von 3, 4, 5 oder 6 °/o angemessen ist; insoweit ist die „Angemessenheitsformel" i n der Tat praktisch ohne jeglichen Aussagewert 9 8 . Weder die Formel der „Stetigkeit" noch die der „Angemessenheit" vermögen den Wachstumsbegriff zu quantifizieren; „sie haben nur qualitativ normierenden Charakter" 9 9 . e) Verhältnis der Ziele zueinander
§ 1 StabG verlangt, daß die Maßnahmen so zu treffen sind, daß sie gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen. Aus dem Wort „gleichzeitig" w i r d überwiegend geschlossen, daß innerhalb der in § 1 StabG genannten Ziele keine Rangunterschiede bestehen 100 . Daraus folgt also die Verpflichtung, alle vier Ziele zur selben Zeit zu pflegen. Die Schwierigkeiten der Interpretation beginnen jedoch dort, wo der Einsatz einer bestimmten Konjunkturmaßnahme zur Beseitigung von Beeinträchtigungen eines Ziels zu Kollisionen m i t anderen Zielen führt. So können beispielsweise Konjunkturmaßnahmen zur Bekämpfung einer inflationären Entwicklung Gefahren für einen hohen Beschäftigungsstand auslösen; weiterhin sind Zielkonflikte zwischen Preisstabilität und W i r t schaftswachstum, außenwirtschaftlichem Gleichgewicht und Preisstabilität sowie zwischen Vollbeschäftigung und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht denkbar. Es ist kaum möglich, wirtschaftspolitische Maßnahmen ohne Nebenwirkung für andere Komponenten auf nur ein Ziel zu richten 1 0 1 . Dieser Schwierigkeit, alle Ziele gleichzeitig zu v e r w i r k 9
« Ebd., S. 95. Vgl. Hansmeyer i n : Stern / Münch / Hansmeyer, S. 132 f. 98 So ausdrücklich Schachtschabel, S. 80; vgl. auch Arnim, S. 148; Hansmeyer i n : Stern / Münch / Hansmeyer, S. 133. Schachtschabel, S. 80 m. w. Nachw. 100 Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1964/65, V o r w o r t , Ziff. 8; Möller, S. 91, der die Ziele Preisniveaustabilität, hoher Beschäftigungsstand und außenwirtschaftliches Gleichgewicht f ü r gleichrangig erachtet. Das Wirtschaftswachstum w i r d nicht nur als Zielkomponente, sondern auch als ständige Bedingung der Wirtschafts- u n d Finanzpolitik angesehen; so Möller, S. 94. 101 Vgl. Hansmeyer i n : Stern / M ü n c h / H a n s m e y e r , S. 135 ff.; Möller, S. 91 f. 97
Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Hinsicht
liehen, muß bei der Interpretation insofern Rechnung getragen werden, als es Aufgabe der Wirtschaftspolitik zu sein hat, das jeweils am meisten gefährdete Ziel am nachdrücklichsten zu verfolgen. Z u diesem Interpretationsergebnis gelangt auch der Sachverständigenrat i m Rahmen der Untersuchung der Formulierung des § 2 S. 2 des Gesetzes über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1 0 2 . Danach sind immer jenen Zielen die größte Aufmerksamkeit und Sorgfalt zu widmen, die i n der jeweiligen gesamtwirtschaftlichen Lage und deren absehbarer Entwicklung am wenigsten verwirklicht sind. Z u r Gleichrangigkeit gehört aber auch, daß die Maßnahmen so gewählt und dosiert werden müssen, daß die Beeinträchtigung der übrigen Ziele möglichst gering bleibt; ausgeschlossen ist deshalb, daß eines der Ziele absolut auf Kosten der anderen Ziele verwirklicht w i r d (schonender Ausgleich) 103 . Die sachgesetzliche Interdependenz wirtschaftlichen Handelns führt i n der Praxis notwendig zu einem instabilen gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht, welches durch wirtschaftspolitische Maßnahmen des Staates ausbalanciert werden muß. Die zur Erhaltung des Gleichgewichts verpflichteten Staatsorgane haben bei der Bewertung der Gefährdung der Zielkomponenten und bei der Auswahl der einzusetzenden konjunktur- und wachstumspolitischen Instrumente einen erheblichen politischen Entscheidungsspielraum 1 0 4 . Er ermöglicht es, der Optimierungsaufgabe bei Zielkonflikten flexibel Rechnung tragen zu können. Es muß bei jeder Gleichgewichtsstörung der Versuch gemacht werden, möglichst einen optimalen Kompromiß zwischen den kollidierenden Rechtswerten zu finden. Die relative Gewichtung einzelner Werte, die konkreten M i t t e l und die Durchführung des Optimierungsprozesses sind durch die Zielgrößen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nur eingegrenzt, nicht aber absol u t determiniert, sie sind vielmehr dem sich ständig wandelnden politisch-wirtschaftlichen Erkenntnis- und Entscheidungsprozeß überantwortet. f) Ergebnis
Die Ausführungen zu den einzelnen Zielkomponenten des § 1 StabG haben gezeigt, daß die Wirtschaftswissenschaften — aus verschiedenen Gründen — nicht i n der Lage sind, verläßlich anzugeben, welche konkreten wirtschaftlichen Daten Begriffen wie „Stabilität des Preisniveaus", „hoher Beschäftigungsstand" und „stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum" zuzuordnen sind. Auftretende Zielkonflikte sind durch Optimierungsprozesse zu lösen, deren konkrete Gestaltung i n den Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1966/67, V o r w o r t , Ziffer 3. los Möller, S. 91. 104 Ebd., S. 91.
6. Konkretisierung des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts"
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politischen Entscheidungsraum fällt. Daraus ergibt sich insgesamt, daß eine genauere Bestimmung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts durch seine vier Zielkomponenten sowohl vom jeweiligen Erkenntnisstand der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung, von den jeweiligen Zielen der Wirtschaftspolitik als auch von der jeweiligen konjunkturpolitischen Lage abhängt. Die m i t Hilfe der vier Größen des § 1 StabG erreichte gewisse Konkretisierung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bleibt so immer noch zu ungenau, als daß daraus hinreichend quantifizierbare Grenzen oder Pflichten für die tarifautonome Lohndatensetzung entwickelt werden könnten. Eine Bindung der Tarifpartner an das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht, lediglich konkretisiert durch das Zielbündel des § 1 StabG, wäre überdies i n hohem Maße ineffektiv. Die aufgezeigten Wertungsspielräume bei der Bestimmung des zu erreichenden Gleichgewichts würden von den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften extensiv ausgenutzt. Dies hätte m i t Sicherheit zur Folge, daß jeweils einseitiginteressenorientierte Erwägungen in den Optimierungsprozeß einfließen, so daß letztlich eine Verständigung über das gesamtwirtschaftlich Vertretbare genauso schwierig, wenn nicht unmöglich bleibt, wie das bisher der Fall war. Es ist deshalb angezeigt, nach weiteren Konkretisierungsmöglichkeiten zu suchen.
6. Konkretisierung durch die Orientierungsdaten des § 3 StabG bzw. durch die Projektionen des § 2 StabG Z u prüfen bliebe noch, ob die Orientierungsdaten des § 3 StabG bzw. die Projektionen des § 2 StabG zulässigerweise Gemeinwohlpflichten wirtschaftlicher A r t konkretisieren. a) Inhalt der Orientierungsdaten und der Projektionen
Über den Inhalt der von der Bundesregierung gemäß § 3 1 StabG i m Falle einer Gefährdung der Zielkomponenten des § 11 Satz 2 StabG aufzustellenden Orientierungsdaten sagt das Gesetz lediglich i n § 3 I Satz 2, daß sie „insbesondere eine Darstellung der gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge i m Hinblick auf die gegebene Situation (enthalten)". Sie dürften aus den von der Bundesregierung nach § 2 1 Ziff. 2 StabG vorzunehmenden Darlegungen der für das laufende Jahr angestrebten wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele (Jahresprojektion) abzuleiten sein 1 0 5 . Bei dieser Jahresprojektion handelt es sich u m die Normierung der i n der Finanztheorie als Nationalbudget bezeichneten ex-anteMünch i n : Stern / Münch / Hansmeyer, S. 168; Möller,
S. 111.
G e m e i n o h l k o n k r e t i s i e r u n g i n wirtschaftlicher Hinsicht
Rechnung i n der Form einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung m i t politischer Zielsetzung 106 . Die quantitative Projektion kann sich damit nur auf Globalgrößen erstrecken, wie sie i n der Gesamtrechnung zusammengefaßt sind 1 0 7 . Gemäß § 2 I Nr. 2 ist die Jahresprojektion gegebenenfalls m i t Alternativrechnungen aufzustellen. Unter Zugrundelegung bestimmter „Annahmen", also beispielsweise einer durchschnittlichen Lohnerhöhung von 5,7 oder 10 °/o oder einer expansiven Ausgabenpolit i k des Staates sollen die auf den Annahmen basierenden Wirtschaftsentwicklungen rechnerisch durchgespielt werden. I m Zusammenhang m i t der Einkommenshöhe können auch bestimmte Annahmen über die Einkommens- und Vermögensverteilung i n die alternative Projektion übernommen werden 1 0 8 . Die so nach § 2 StabG zu publizierenden Daten w i r k t e n bislang praktisch auch als Orientierungsdaten gemäß § 3 StabG 1 0 9 . Letztere enthalten eine quantitative Zusammenstellung der konjunkturell relevanten Größen (Privatkonsum, Investitions- und A u f tragsvolumen etc.). Zweck dieser Projektionen und der aus ihnen entwickelten Orientierungsdaten ist es, mittels einer quantitativen Vorausberechnung Globalgrößen zu entwickeln und damit den am Wirtschaftsprozeß Beteiligten eine Leitlinie für ein aufeinander abgestimmtes Verhalten an die Hand zu geben. Z u diesen Angaben gehören auch die nach Ansicht der Regierung stabilitätskonformen Einkommenserhöhungsraten 110 . Dem entspricht es, daß die bislang publizierten Jahreswirtschaftsberichte Angaben über das Datum einer durchschnittlichen Tariflohnentwicklung enthielten 1 1 1 . Die Entwicklung lohnpolitischer Orientierungsdaten begann mit der 2. Sitzung der Konzertierten A k t i o n am 1. und 2. März 1967. Die Bundesregierung legte eine Ubersicht über die für 1967 prognostizierte Entwicklung vor, die unter anderem auch den angestrebten Anstieg der Bruttolöhne und -gehälter je Beschäftigten enthielt, ohne daß hieraus jedoch zahlenmäßige Schlußfolgerungen für die tariflichen Lohnsteigerungen gezogen wurden 1 1 2 . Letzteres wurde jedoch nachgeholt, indem der Presse i n der Erläuterung der Ubersicht zahlenmäßige Angaben über die staatlicherseits gewünschte Erhöhung der tariflichen Löhne für das Jahr 1967 zugänglich gemacht wurden. Hierbei handelte es sich u m die Nennung eines geιοβ So Stachels, S. 80 m. w . Nachw. 107 Münch i n Stern / Münch / Hansmeyer, S. 169; Möller, S. 99. los Vgl. Möller, S. 101 f. io» vgl. Jahreswirtschaftsbericht 1976, BT-Drucks. VII/4677, S. 12: „Die Bundesregierung stellt allen Beteiligten m i t diesem Jahreswirtschaftsbericht u n d der Jahresprojektion gemäß § 3 des Stabilitäts- u n d Wachstumsgesetzes Orientierungsdaten f ü r 1976 zur Verfügung." no Vgl. Arnim, S. 215. m Vgl. Koppensteiner i n : Hoppmann, Konzertierte A k t i o n , F r a n k f u r t a. M. 1971, S. 236 m. w . Nachw. 112 Lutz, S. 129.
6. Konkretisierung des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts"
153
samtwirtschaftlichen Durchschnittsdatums für die Tariflohnsteigerungen; Aufschlüsselungen dieses Datums i m Hinblick auf die einzelnen Industriezweige unterblieben 1 1 3 . Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände hingegen vertraten die Ansicht, daß die staatlicherseits publizierten Daten als Einschränkung ihrer Tarif autonomie zu werten seien; dem wurde regierungsseitig zu Recht entgegengehalten, die Orientierungsdaten begründeten keine rechtliche Folgepflicht für die Sozialpartner, sie seien deshalb unverbindlich und hätten nur empfehlenden Charakter 1 1 4 . I n den Jahren 1968 und 1969 veröffentlichte die Bundesregierung i n ihren Jahreswirtschaftsberichten jeweils wieder Daten für die gesamtwirtschaftliche Tariflohnentwicklung. Der gewerkschaftliche Widerstand gegen diese Daten verstärkte sich dann u m so mehr, als sich 1968, angesichts einer stark asymmetrischen Entwicklung der Lohnund Gewinneinkommen zeigte, daß die Lohnsteigerungen, die sich an die Orientierungsdaten gehalten hatten, viel zu niedrig angesetzt waren. Die Wachstumsprognosen waren zu pessimistisch ausgefallen. Massivem gewerkschaftlichem Druck nachgebend, modifizierte die Bundesregierung die Darstellung der Jahresprojektionen. Bereits i m Jahreswirtschaftsbericht 1970 wurde auf die Wiedergabe eines konkreten Lohnsatzdatums verzichtet. I n der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des Jahreswirtschaftsberichts war aber noch der geplante Zuwachs des Bruttoeinkommens aus unselbständiger Arbeit enthalten; der Text des Jahreswirtschaftsberichtes enthielt eine staatlicherseits gewünschte Steigerungsrate der Effektivlöhne je Stunde 1 1 5 . I m Jahreswirtschaftsbericht 1973 wurden wiederum keine Leitlinien für die Einkommensentwicklung und - V e r t e i l u n g aufgestellt. Die Bundesregierung ging aber bei der projektierten Wirtschaftsentwicklung davon aus, daß die Summe des Bruttoeinkommens aus unselbständiger Arbeit i m Jahresdurchschnit um 10,5 bis 11 °/o 116 erhöht werden kann, um die durch das „magische Viereck" determinierten wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele verwirklichen zu können 1 1 7 . I m nächstfolgenden Jahreswirtschaftsbericht führte die Bundesregierung aus, daß ein Anstieg der Bruttoeinkommen um 7 bis 8,5 °/o 118 bei der projektierten Wirtschaftsentwick" 3 Vgl. ebd., S. 129. n * Vgl. Schiller, Der Arbeitgeber 1969, S. 445; vgl. i m einzelnen zum Rechtscharakter der Orientierungsdaten Münch i n : Stern / Münch / Hansmeyer, S. 169; Möller, S. 111; Stachels, S. 87 f.; Arnim, S. 215; vgl. dazu bereits oben I I I , 3. 115 Vgl. dazu Lutz, S. 134; auch i n den Jahreswirtschaftsberichten 1971 u n d 1972 wurde entsprechend verfahren; vgl. Lutz, S. 135 f. 116 Dies entspricht bei einer Zunahme der Z a h l der beschäftigten A r b e i t nehmer u m gut 0,5 °/o einer Erhöhung der Bruttoeinkommen je beschäftigten Arbeitnehmer u m 9 bis 10 °/o. 117 Jahreswirtschaftsbericht 1973, BT-Drucks. VII/225, Ziff. 10. 118 Arbeitsbeschäftigtenbereinigt ergibt dies einen Durchschnittserhöhungssatz von 8,5 bis 9,5 °/o.
Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Hinsicht
lung unterstellt sei. Eine stärkere Zunahme der Löhne — so w i r d weiter ausgeführt — würde nach allen bisherigen Erfahrungen zu einem höheren Preisanstieg und zu einer Vergrößerung der Risiken i m Beschäftigungsbereich führen und damit die festgelegte Zielkombination gefährden 1 1 9 . Die Projektion für 1975 ging von einer geplanten Zunahme des Bruttoeinkommens aus unselbständiger Arbeit um 7,5 bis höchstens 8,5 o/o aus. Ein über die Projektion hinausgehender Anstieg — so wurde gewarnt — könnte den angestrebten Abbau der Arbeitslosigkeit und die erwartete Verlangsamung der Preisentwicklung i n Frage stellen 1 2 0 . Der Jahreswirtschaftsbericht 1976 geht i n der Projektion für 1976 von einer Zunahme des Bruttoeinkommens um 6,5 bis 7,5 °/o aus 1 2 1 . M i t diesem vorsichtig niedrigen Ansatz soll versucht werden, das zentrale Ziel der Wirtschaftspolitik, die Beschäftigungssituation bei gleichzeitigen weiteren Fortschritten i n der Preisstabilisierung zu verbessern, indem die Erträge der Unternehmen von der Kostenseite her gestärkt werden, um die notwendige Investitionstätigkeit zu aktivieren 1 2 2 . I n der Jahresprojektion für 1977 w i r d davon ausgegangen, daß 1977 eine Zunahme der Bruttolöhne und -gehälter je beschäftigten Arbeitnehmer i n der Größenordnung des Vorjahres, d. h. u m rd. 7,5 °/o angemessen ist, was unter Berücksichtigung des erwarteten Steigens der Beschäftigtenzahl um 1 % und der Steigerung der Sozialversicherung eine Erhöhung der Bruttoeinkommen (Summe) um 8 bis 9 °/o bedeutete 123 . Der neueste Jahreswirtschaftsbericht projektiert für 1978 eine erheblich niedrigere Zunahme der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer, nämlich u m nicht mehr als 5,5 °/o 124 . Dahinter steht die Annahme, daß entsprechende Tariflohnabschlüsse geeignet sind, zu einer Selbstverstärkung der konjunkturellen Auftriebskräfte und damit zu einem nachhaltigen, sich selbst tragenden Konjunkturaufschwung zu gelangen 125 . b) Bestimmtheit der Projektionsdaten
Dieser Uberblick über die Entwicklung der lohnpolitischen Entwicklungsdaten macht deutlich, daß die ursprüngliche Übung, Tariflohngrenzdaten zu setzen, der Praxis gewichen ist, lediglich Steigerungsraten für die Bruttolohnentwicklung anzugeben. Die Gründe hierfür liegen zum einen i n der hartnäckigen gewerkschaftlichen Ablehnung no Jahreswirtschaftsbericht 1974, BT-Drucks. VII/1646, S. 6, Ziff. 10 u n d S. 29, Ziff. 20. 120 Jahreswirtschaftsbericht 1975, BT-Drucks. VII/3197, S. 7, Ziff. 10 u n d S. 36. 121 Jahreswirtschaftsbericht 1976, BT-Drucks. VII/4677, S. 7, Ziff. 12 u n d S. 37, Ziff. 17. 122 Vgl. Jahreswirtschaftsbericht 1976, S. 7, Ziff. 12 u n d S. 37, Ziff. 17. 123 Jahreswirtschaftsbericht 1977, BT-Drucks. 8/72, S. 29, Ziff. 16. 124 Jahreswirtschaftsbericht 1978, BT-Drucks. 8/1471, S. 32, Ziff. 17. 125 Jahreswirtschaftsbericht 1978, S. 29, Ziff. 7.
6. Konkretisierung des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts"
155
gegenüber staatlichen Lohnsatzvorgaben begründet. Z u m anderen läßt sich wegen des zu unterschiedlichen Abstandes zwischen den Effektivund den Tariflöhnen i n den einzelnen Branchen nicht generell (makroökonomisch orientiert) sagen, welche Tarifsteigerungssätze hinter der Zuwachsrate für die Effektivlöhne stehen 126 . Gleichwohl sind die i n den Projektionen angegebenen Bruttosteigerungsraten geeignet, konkrete Maßstäbe für das durchschnittliche tariflich zu vereinbarende Lohnsteigerungsdatum zu geben; die Tariflohnabschlüsse i n allen W i r t schaftsbereichen dürfen — insgesamt berechnet — die projektierte Bruttozuwachsmarge nicht übersteigen. Dies zu erreichen, ist auch das ausgewiesene Anliegen der projektierten Sätze. Wie gezeigt, w i r d regelmäßig darauf verwiesen, daß die Beachtung der Einkommenszuwachsdaten die Voraussetzung dafür sei, daß das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht erhalten oder erreicht wird. Diese Einkommenszuwachsdaten haben damit die Funktion, (ein) M i t t e l für die Erreichung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu sein; eine Nichtbeachtung der vorgegebenen Einkommenszuwachsgrößen kann die geplante Ausbalancierung des Gleichgewichts i n Frage stellen. Wenn die bisherigen Gemeinwohlkonkretisierungsversuche untauglich waren, hinreichend quantifizierbare Grenzen für die Lohndatensetzung auszuweisen, so lag dies an der Schwierigkeit, dem Erfordernis der Beachtung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts konkrete, das Gemeinwohl positiv determinierende Daten an die Seite zu stellen. Diesem Defizit h i l f t der auf einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung basierende Jahreswirtschaftsbericht ab. I n i h m sind — wie gezeigt — datenmäßige Höchstgrenzen für die am gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht orientierte Einkommenspolitik ausgewiesen. So gesehen sind diese Daten — was ihre Bestimmtheit anbelangt — durchaus geeignet, gemeinwohlkonkretisierende Funktionen zu übernehmen. c) Geeignetheit zur Gemeinwohlbestimmung
Zwar sind also die Projektionsdaten durchaus bestimmt genug, um (quantifizierbare) Koalitionsbetätigungsgrenzen zu aktualisieren. Darüber hinaus ist jedoch erforderlich, daß eine vernünftige Gewähr dafür besteht, daß die Einhaltung der Daten tatsächlich dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht dient; d. h. die staatlicherseits vorgegebenen Einkommenserhöhungsdaten müssen zutreffen. Eine Voraussetzung für eine annähernde 127 Prognosesicherheit ist, daß die projektierten Daten m i t der tatsächlich eingetretenen w i r t 126 v g l . Jahreswirtschaftsbericht 1970, BT-Drucks. VI/281, S. 16, Ziff. 49: Jahreswirtschaftsbericht 1976, S. 7, Ziff. 12; Jahreswirtschaftsbericht 1975, S. 7, Ziff. 11. 127 Eine absolute Richtigkeitsgewähr ist ausgeschlossen.
G e m e i n o h l k o n k r e t i s i e r u n g i n wirtschaftlicher Hinsicht
schaftlichen Entwicklung übereinstimmen 1 2 8 . Nur dann besteht die Möglichkeit, i m Rahmen einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die ökonomisch relevanten Größen miteinander i n Beziehung zu setzen und so untereinander auszubalancieren, daß dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht auch in der tatsächlichen Wirtschaftsentwicklung (möglichst optimal) Rechnung getragen wird. Es ist deshalb i n diesem Zusammenhang erforderlich, auf die prognostische Qualität der Jahreswirtschaftsdaten einzugehen. Wie oben bereits angedeutet wurde, ist eine vollständige Deckungsgleichheit zwischen den Prognosedaten und der tatsächlichen Entwicklung reiner Zufall; eine Identität der Daten zu fordern, würde die tatsächlichen Möglichkeiten wirtschaftswissenschaftlicher Forschung verkennen. Eine vollständige Gewißheit über die zukünftige Entwicklung der Wirtschaft kann als undenkbar angesehen werden 1 2 9 . Die entscheidende Frage ist vielmehr, wie hoch die Treffsicherheit solcher Daten überhaupt ist; es interessieren ihre Fehlerbreiten und die Möglichkeiten der Verringerung des Ungewißheitsgrades. Obwohl die Prognosemodelle, insbesondere durch die neuen ökonometrischen Modelle ständig verfeinert und verbessert werden 1 3 0 , offenbaren die bisherigen Erfahrungen m i t den amtlichen Projektionen i n den Jahreswirtschaftsberichten eine teilweise nicht unerhebliche Prognoseunsicherheit. So waren beispielsweise die lohnpolitischen Orientierungsdaten des Jahreswirtschaftsberichts für 1968 viel zu niedrig angesetzt, so daß die tatsächliche Wirtschaftsentwicklung sich bereits während des Jahres beträchtlich von den Zielen der Jahresprojektion entfernt hatte. Die tariflichen Lohnzuwachsraten blieben weit hinter der Entwicklung der Gewinne und der Konjunktur zurück. So wurde i m Jahreswirtschaftsbericht eine Zunahme des realen Bruttosozialprodukts von 4 °/o projektiert; die tatsächlich eingetretene Wachstumsrate lag bei 7,3 °/o 131 . Die Folge war, daß sich die Einkommensverteilung zu Lasten der abhängig Beschäftigten veränderte; die Lohnquote fiel auf einen Tiefstand. Auch 1969 ergab sich eine beachtliche Divergenz zwischen Prognose und tatsächlicher Entwicklung: 4,5 % Wachstum des Bruttosozialprodukts waren projektiert, 8,2 °/o erreicht 1 3 2 . Eine Gegenüberstellung der tatsächlichen Entwicklung i m Jahre 1970 m i t der Jahresprojektion zeigt, daß bei der Projektion des Bruttosozialprodukts wiederum ein Prognosefehler i n Höhe von 2,4 °/o unterlief 1 3 3 . 128 v g l . Meinhold, Teil 1, S. 210. 129 So deutlich Pütz, S. 172. 1 3 0 Vgl. dazu Pütz, S. 169 ff.; Dürr / Neuhauser, Währungspolitik, K o n j u n k t u r · u n d Beschäftigungspolitik, Stuttgart 1975, S. 143. 131 Vgl. zu diesen Zahlen Arnim, S. 217, Fußn. 28 sowie die Tabellen i m Jahreswirtschaftsbericht 1969, BT-Drucks. V/3786, S. 13. 132 Vgl. Arnim, S. 217. 133 + 9 bis 10 °/o waren projektiert, 12,4 °/o aber erreicht, vgl. Jahreswirtschaftsbericht 1971, BT-Drucks. VI/1760, S. 14.
6. Konkretisierung des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts"
157
Die Divergenz zwischen Projektion und realer Entwicklung lag beim Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit sogar bei 3,8 Prozentpunkten und beim Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit bei 2,5 Prozentpunkten 1 3 4 . Errechnet man die durchschnittliche Projektionsgenauigkeit aller 18 i n der Gegenüberstellung fixierten ökonomischen Daten, so ergibt sich eine Abweichung von 1,7 Prozentpunkten. Die entsprechende Gegenüberstellung für das Jahr 1971 135 läßt eine hohe Fehlerquote bei der Einschätzung des Staatsverbrauchs (5,5 Prozentpunkte) und des privaten Verbrauchs (2,2 Prozentpunkte) erkennen. Insgesamt ergibt sich eine durchschnittliche Ungenauigkeit von 1,5 Prozentpunkten. Die Daten des Jahres 1972 136 zeichnen sich dadurch aus, daß sie weitgehend der tatsächlichen Entwicklung entsprachen; es ergibt sich lediglich eine durchschnittliche Abweichung von 0,6 Prozentpunkten. 1973 hingegen ist bereits wieder eine durchschnittliche Projektionsungenauigkeit von 2,0 Prozentpunkten i n Ansatz zu bringen; dies ist weitgehend das Resultat einer Fehlprognose bei den öffentlichen Investitionen (11,5 Prozentpunkte) und der Entwicklung des Außenbeitrages (12,5 Prozentpunkte) 137 . Die Zahlen für das Jahr 1974 zeigen neben großen Differenzen bei den öffentlichen Investitionen (6,7 Prozentpunkte) und der Entwicklung des Außenbeitrages (18,5 Prozentpunkte) eine relat i v hohe Fehleinschätzung bei Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit; projektiert war eine Zunahme von 3 bis 5 °/o, tatsächlich ergab sich eine +/—O-Veränderung gegenüber dem V o r j a h r 1 3 8 . Insgesamt ergibt sich für die Daten 1974 ein Prognosefehlerraum von 1,8 Prozentpunkten. Die Jahresprojektion für 1975 139 war offensichtlich zu optimistisch angelegt, so daß sich die tatsächliche Entwicklung von der Jahresprojektion bei der Gegenüberstellung von 23 ökonomisch relevanten Größen durchschnittlich um 3,0 Prozentpunkte unterschied. Hervorzuheben ist dabei, daß die Abweichung bei der Arbeitslosenquote 1,8%, beim Bruttosozialprodukt sogar 3,6 Prozentpunkte betrug. Bemerkenswert ist weiterhin, daß die Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit m i t 3,4 Prozentpunkten zu hoch angesetzt waren und die entsprechenden Prognosen für die Einkommen aus Unternehmertätigkeit sogar eine Ungenauigkeit von 5,3 Prozentpunkten zu verzeichnen hatten 1 4 0 . Die Jahresprojektion für 1976 zeichnet sich durch einen sehr geringen Fehleinschätzungsgrad aus; die mittlere Abweichung beträgt 134 v g l . Jahreswirtschaftsbericht 1971, S. 14. 135 Jahreswirtschaftsbericht 1972, BT-Drucks. 136 Jahreswirtschaftsbericht 1973, BT-Drucks. 137 Jahreswirtschaftsbericht 1974, BT-Drucks. 138 Jahreswirtschaftsbericht 1975, BT-Drucks. 139 Jahreswirtschaftsbericht 1976, BT-Drucks. 140 Projektiert w a r eine Zunahme zwischen 8 n u r 2,7 °/o erreicht.
VI/3078, S. 14. VII/225, S. 24. 7/1646, S. 24. 7/3197, S. 29. 7/4677, S. 34. u n d 10 %>, tatsächlich w u r d e n
Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Hinsicht
nur 0,47 Prozentpunkte, wobei lediglich die Fehleinschätzung bei den öffentlichen Investitionen von 6 Prozentpunkten das i m übrigen realistische B i l d t r ü b t 1 4 1 . Die Projektion für 1977 endlich ist wiederum m i t einer Durchschnittsabweichung von 1,36 Prozentpunkten recht ungenau ausgefallen. Auffallend ist hierbei, daß die Vorhersage der Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen eine Differenz von 6,5 Prozentpunkten zur tatsächlichen Entwicklung aufweist, obwohl gerade dieses Datum wichtige Gesichtspunkte für die Frage nach der „angemessenen" Lohnsatzziffer abgibt 1 4 2 . Diese Übersicht zeigt deutlich, daß es einerseits vorbildlich genaue (1976 nur eine durchschnittliche Abweichung von 0,47 Prozentpunkten) und andererseits recht fehlerhafte (1975 eine durchschnittliche Abweichung von 3 Prozentpunkten) Prognosen gibt. Die wesentlichen Hauptgründe für derartige Prognosefehler sind zum einen darin begründet, daß i m Modell nicht alle ökonomisch relevanten Variablen aufgenommen werden können m i t der Folge, daß bestimmte Abhängigkeiten unberücksichtigt bleiben müssen, was zu Zufallsabweichungen führen kann. Letztere sind analysier- und prognostizierbar, nicht aber ausschließbar 143 . Zum anderen enthalten derartige Modelle sogenannte Verhaltensfunktionen (ζ. B. Investitionsfunktion, Konsumfunktion), die nur so lange richtig sind, wie sich die Wirtschaftssubjekte entsprechend der Annahme verhalten. Solche Vorausschätzungen sogenannter exogener Variablen werden regelmäßig durch Extrapolation gewonnen und haben deshalb einen relativ geringen Vorhersagewert 144 . Solange diese Prognosefehlerquellen nicht ausgeschaltet werden können, haben derartige Entscheidungsmodelle, wie sie der Jahresprojektion zugrunde liegen, keinen großen Nutzen für die Lösung quantitativer Probleme der Ablaufpolitik in dem Sinne, daß konkrete Prognosedaten die entscheidenden Direktiven für die am Wirtschaftsleben Beteiligten zu geben imstande sind. Sind die Projektionen nämlich ungenau — und damit i n bestimmtem Maße falsch — würde eine Verpflichtung der Koalitionen auf die (falschen) Projektionen geeignet sein, i n hohem Maße gleichgewichtsstörend zu w i r k e n 1 4 5 . Die bereits oben skizzierte, durch falsche Prognosedaten mitverursachten Spannungen der Jahre 1968 und 1969 sind dafür das beste Beispiel: die zu geringen Einkommenszuwachsraten waren deshalb konjunkturschädlich, weil die ver141
Vgl. Jahreswirtschaftsbericht 1976, BT-Drucks. 8/72, S. 25. Vgl. dazu die Gegenüberstellung i m Jahreswirtschaftsbericht 1978, B T Drucks. 8/1471, S. 28. i « Pütz, S. 172. 144 Vgl. Pütz, S. 172; Dürr / Neuhauser, S. 143; Jöhr / Kneschaurek i n : Gätgen, Grundlagen der Wirtschaftspolitik, K ö l n — B e r l i n 1966, S. 350 ff. 145 v g l . Koppensteiner i n : Hoppmann, Konzertierte A k t i o n , F r a n k f u r t a. M. 1971, S. 255, m. w. Nachw. 142
6. Konkretisierung des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts"
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zögerte Lohnanpassung wegen der überhöhten Gewinne den A u f schwung zur Hochkonjunktur stimulierte und zugleich den Drang zur nächsten Übersteigerung i n der Lohnentwicklung programmierte 1 4 6 . Ein Prognosefehler war damit hier mitursächlich für folgenschwere w i r t schaftliche Fehlentwicklungen. Die den Prognosedaten (noch) immanente Prognoseunsicherheit verbietet es also, die i n den Orientierungsdaten bzw. den Jahresprojektionen angegebenen Grenzwerte für das gesamtwirtschaftlich vertretbare Verhalten als verbindliche Höchstwerte für die gemeinwohlverträglichen Lohnabschlüsse heranzuziehen. Damit muß der Versuch, das Gemeinwohl i n wirtschaftlicher Hinsicht durch konkrete Daten positiv zu determinieren, als gescheitert angesehen werden. Z u prüfen wäre aber noch, ob m i t diesem Ergebnis das letzte Wort über die Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Hinsicht gesprochen ist.
14
« Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1972/73, Ziff. 409.
X I . Negative Gemeinwohlkonkretisierung Wenn die Prognosedaten, bedingt durch die mangelnde Vorhersagesicherheit, nicht geeignet sind, positiv zu bestimmen, was unter Gemeinwohl i n wirtschaftlicher Hinsicht zu verstehen ist, bleibt noch die Möglichkeit, das Gemeinwohl durch eine „negative Ausgrenzungsinterpretation" zu konkretisieren; d. h. es ist nicht mehr zu fragen, welche Wirtschaftsdaten den Begriff des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" positiv auszufüllen vermögen, sondern von welchem Punkt ab das Gemeinwohl auf keinen Fall mehr als verwirklicht angesehen werden kann. 1. Zulässigkeit der Negativtechnik
Eine derartige Negativtechnik ist vielfach für die „ Gemeinwohl judikatur" kennzeichnend. Oft w i r d festgestellt, i m konkreten Fall lägen keine Anzeichen dafür vor, daß die Behörde nicht i m öffentlichen Wohl oder aus anderen Gründen als denen des öffentlichen Wohls gehandelt habe 1 . Der Grund für eine derartige „negative Gemeinwohlkasuistik" ist, daß die Gerichte oft überfordert sein dürften, i m Rahmen einer Interpretation positiv „aus sich heraus" zu bestimmen, was dem gemeinen Wohl dient 2 . Die Gerichte sind vielmehr eher imstande, i m Sinne einer negativen Auslese zu bestimmen, was nicht gemeinwohlorientiertes Handeln ist 3 . So w i r d aus dem unbestimmten Rechtsbegriff „Gemeinwohl" 4 der Sache nach ein Ermessensbegriff, indem die richterliche Kontrolle den zu prüfenden Begriff nicht selbst ausfüllt, sondern ihn nur negativ abgrenzt 5 . Diese die Gemein wohl judikatur kennzeichnende Argumentationstechnik der Ausgrenzung ist auf jeden Fall dann geboten, wenn — wie hier — eine positive Bestimmung dessen, was dem Gemeinwohl i n wirtschaftlicher Hinsicht dient, überhaupt nicht möglich ist. Hierfür lassen sich zwei entscheidende Gesichtspunkte anführen. Zum einen sind sog. „positive Gemeinwohlkataloge", die eine Aufzählung all dessen enthalten, was Gemeinwohl ist, kaum zusammenzustellen, w e i l die Sach- und Problemgebundenheit des Gemeinwohl1 Häberle, öffentliches Interesse, S. 507 m. w . Nachw. 2 Ebd., S. 508. 3 Ebd., S. 508. 4 Vgl. dazu Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 148. 5 Vgl. Häberle, öffentliches Interesse, S. 509.
2. Negative Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Hinsicht
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begriffs einer Aufzählung aller Einzelfälle entgegensteht 6 . Zum anderen bedarf eine positive Gemeinwohlkonkretisierung, die juristisch brauchbar ist und rechtsstaatlichen Anforderungen genügt, konkreter Maßstäbe. Fehlen solche aber i n der Verfassung, bleibt die positive Gemeinwohlbestimmung unbefriedigend. I n einem solchen Falle muß es dann aber möglich bleiben, ebenfalls aus der Verfassung abzuleiten, was i n einem konkreten Zusammenhang keinesfalls als gemeinwohlorientiertes Verhalten anzusehen ist. Hierbei ist zu beachten, daß die Gemeinwohlkonkretisierung durch die Negativtechnik zugleich auch immer ein Stück positiver Gemeinwohlformulierung ist und damit die fortschreitende Perfektionierung der negativen Gemeinwohlausgrenzung zugleich einen Beitrag zur positiven Gemeinwohlausfüllung leistet. Deshalb kann auf die negative Gemeinwohlkonkretisierung nicht verzichtet werden, so daß sich auch i m vorliegenden Zusammenhang die Frage stellt, wie das Gemeinwohl i n wirtschaftlicher Hinsicht i n negativer Weise konkretisiert werden kann.
2. Negative Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Hinsicht Wie bereits mehrfach hervorgehoben wurde, verbietet die den Projektionen immanente Prognoseunsicherheit, daß die Daten des Jahreswirtschaftsberichtes das Gemeinwohl positiv bestimmen. Das kann nun aber nicht bedeuten, daß diese Daten für unseren Zusammenhang völlig bedeutungslos werden. Wenn die Projektionen auch nicht die erforderliche prognostische Qualität besitzen, die für eine positive Gemeinwohlbestimmung erforderlich ist, so sind sie andererseits auch nicht völlig wertlos. I h r entscheidender Nutzen liegt darin, daß sie viel zur Rationalität moderner Wirtschaftspolitik beitragen. Das zeigt sich gerade darin, daß die Planung und Koordinierung der verschiedenen w i r t schaftspolitischen Aktionen durch gesamtwirtschaftliche Zielprojektionen wesentlich erleichtert werden 7 . — Die Projektionsdaten des Jahreswirtschaftsberichtes haben die Aufgabe, mittels einer zahlenmäßigen Zuordnung wirtschaftswesentlicher Faktoren die Größen anzugeben, die i m Wirtschaftsprozeß eingehalten werden müßten, damit eine Gefährdung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nicht eintritt. Die Daten sind deshalb einer positiven Gemeinwohlkonkretisierung nicht zugänglich, weil die Vorhersagen m i t der tatsächlichen Entwicklung nicht übereinstimmen und damit die Gefahr besteht, daß einzelne W i r t schaftssubjekte, die sich an den fehlerhaften Prognosen orientieren, β Ebd., S. 508, Fußn. 17. 7 Vgl. Pütz, S. 172 f.; Schlecht i n : Kaiser, J. H., Planung I I I , Baden-Baden 1968, S. 120. 11 Knebel
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X I . Negative Gemeinwohlkonkretisierung
durch ihr dadurch verursachtes Fehlverhalten gerade gleichgewichtsstörend wirken. Die Aufgabe einer negativen Gemeinwohlkonkretisierung muß es nun sein, die Streubreite der Projektionen abzufangen, sie so zu kompensieren, daß verläßliche Aussagen darüber gemacht werden können, bei welchen wirtschaftlichen Grenzdaten keinesfalls die Gewähr besteht, daß dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht und damit dem Gemeinwohl Rechnung getragen wird. Hier bietet sich an, einen die Prognoseunsicherheit kompensierenden Toleranzraum einzubauen 8 . Solche Toleranzgrenzen sind zweifellos ein taugliches Mittel, die Streubreite der Projektionen abzufangen und damit auch die Projektionsdaten einer Verwendbarkeit i m Rahmen einer negativen Gemeinwohlbestimmung zuzuführen. Hierbei ist jedoch zu beachten, daß der die Prognoseunsicherheit kompensierende Toleranzraum so weit gezogen werden muß, daß die zu erwartende Projektionsungenauigkeit m i t einiger Sicherheit abgefangen werden kann. Ist das gewährleistet, ist die Prognoseunsicherheit kein durchschlagender Gesichtspunkt gegen die Verwendung der kompensatorisch erweiterten Zielprojektionen des § 2 StabG i m Rahmen einer negativen Gemeinwohlkonkretisierung. Damit ist nun auch kein Grund mehr ersichtlich, der es ausschließt, die Gemeinwohlpflicht der Tarifpartner durch die Staatszielbestimmung des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts", definiert durch das „magische Viereck" des § 1 StabG i. V. m i t den kompensatorisch erweiterten Zielprojektionen der §§ 2, 3 StabG (negativ) zu konkretisieren. Auch bestehen gegen eine derartige Gemeinwohlkonkretisierungsmöglichkeit keine Legitimationsbedenken, wie sie bei der Diskussion um die Gemeinwohlkonkretisierungsfunktion des Sachverständigenrates auftraten, da an der demokratischen Legitimation der Exekutivspitze des Bundes kein Zweifel besteht. Gleichwohl könnte ein Legitimationsdefizit dann zu beklagen sein, wenn die (demokratisch unlegitimierten) Sachverständigendaten der Jahresprojektion der Bundesregierung zugrunde gelegt werden oder gar die Projektion die W i r t schaftsdaten des Sachverständigenrates (unter Umständen ungeprüft) übernimmt. I n diesem Falle aber nimmt die Bundesregierung die Daten des Sachverständigenrates i n ihren Willen auf und verleiht ihnen dadurch die erforderliche demokratische Legitimation. Ist damit abstrakt dargetan, wie das Gemeinwohl i n wirtschaftlicher Hinsicht negativ bestimmt wird, ist es nun erforderlich, die Toleranzgrenze größenmäßig zu bestimmen. Eine hinreichend befriedigende Lö8
Vgl. zur Erforderlichkeit derartiger Toleranzgrenzen i m Zusammenhang m i t gesamtwirtschaftlichen Zielprojektionen: Schlecht i n : Kaiser, Planung I I I , S. 119; Koppensteiner i n : Hoppmann, Konzertierte A k t i o n , S. 262; Schachtschabel, S. 122.
2. Negative Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Hinsicht
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sung kann i n dieser Arbeit nicht gegeben werden, da dies eine ausführliche empirische Analyse der bisherigen durchschnittlichen Ungenauigkeiten volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen voraussetzt. Wenn gleichwohl i m folgenden Vorschläge zu einer Fehlerkompensation gemacht werden, so erheben sie keineswegs den Anspruch auf Richtigkeit; solche Toleranzgrenzen zu verifizieren, ist Aufgabe wirtschaftswissenschaftlicher Forschung 9 . Es soll hier lediglich versucht werden, anhand der erschienenen Jahreswirtschaftsberichte Abweichungen von der tatsächlich eingetretenen Wirtschaftsentwicklung aufzuzeigen und zu ermitteln, m i t welchen Fehlerquoten gerechnet werden muß; hierbei handelt es sich um die Gegenüberstellung der Prognosewerte m i t den tatsächlich eingetretenen Ist-Daten, also um einen ex-post-Vergleich. Der Abweichungsgrad zwischen Projektion und Ist-Datum gibt die Leistungsfähigkeit und damit die Güte des Prognosesystems wieder. Diese A r t des ex-post-Vergleichs ist ein wissenschaftlich anerkanntes Verfahren zur Ermittlung der Qualität von Prognosen 10 . Die statistische Grundlage für die Genauigkeitsuntersuchungen der Jahresprojektionen bilden die jeweils i n den Jahreswirtschaftsberichten ab 1971 ausführlich abgedruckten Gegenüberstellungen der tatsächlichen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung m i t den jeweils vorhergegangenen Projektionsdaten 11 . Es ist lediglich erforderlich, die Abweichungen der Prognosedaten von den Ist-Daten zu errechnen und die Abweichungen i n Prozentpunkten auszuwerfen. Damit ist dann auch die durchschnittliche Jahresabweichung und die Gesamtungenauigkeit aller ab 1970 aufgestellten Projektionen zu ermitteln 1 2 . Die so errechneten Abweichungen betrugen — wie oben bereits ausführlich dargestellt wurde — 1970: 1,7, i m Jahre 1971: 1,5, 1972: 0,61, 1973: 2,03, 1974: 1,83, 1975: 2,97, 1976: 0,47 und 1977: 1,36 Prozentpunkte. Das ergibt eine Gesamtdurchschnittsabweichung von 1,56 Prozentpunkten während der letzten sechs Projektionsjahre. Dieser Wert zeigt, daß die Fehleinschätzungsquote relativ gering ist und für die Qualität der Projektionen spricht. Andererseits darf dabei nicht übersehen werden, daß die Jahresprojektionen nicht nur jeweils ein fixes Datum enthalten, sondern vorwiegend nur Bandbreiten 9 Vgl. hierzu aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum: Schwarze i n : Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 129. Bd., Tübingen 1973, 5. 535 ff.; Rothschild i n : Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 130. Bd., Tübingen 1974, S. 577 ff.; Stobbe, Volkswirtschaftliches Rechnungswesen, 2. Aufl., Berlin—Heidelberg—New Y o r k 1969, S. 172; Vogel / Duelli, Prognosewerte u n d Ist-Daten i n : Beiträge des Deutschen Industrieinstituts, 6. Jg., Heft 2/3, K ö l n 1968, S. 15 ff. 10 Vgl. Rothschild, S. 577; Schwarze, S. 551; Vogel / Duelli, S. 16. 11 I n den Jahreswirtschaftsberichten bis 1970 fehlen ausreichende A b weichungsangaben; vgl. beispielsweise n u r die Gegenüberstellung i m Jahreswirtschaftsbericht 1970, BT-Drucks.VI/281, S . U . 12 So auch das Auswertungsverfahren bei Vogel / Duelli , S. 15 f. u n d 19 ff.
11'
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X I . Negative Gemein Wohlkonkretisierung
angeben, deren Ausweitung naturgemäß das Fehlerrisiko reduziert. Gleichwohl zeigt sich, daß eine Gesamtabweichung von unter 2 Prozentpunkten die Aussagefähigkeit und die wirtschaftspolitische Verwendbarkeit der Projektionen unterstreicht. Was nun die die Ungenauigkeit kompensierende Toleranzgrenze anbelangt, erscheint eine Orientierung am statistischen Mittelwert von 1,56 Prozentpunkten nicht problemgerecht zu sein. War es doch Voraussetzung und Aufgabe der negativen Gemeinwohlkonkretisierung, daß die den Daten immanente Fehlerbreite m i t einiger Sicherheit abgefangen wird, kann zur Fehlerkompensation nicht der Mittelwert, sondern nur der Extremwert der Abweichung i n Betracht kommen. Er zeigt doch gerade an, m i t welchen Ungenauigkeitsgraden auch heute noch zu rechnen ist. Wenn auch einiges dafür spricht, daß die erstaunlich hohe Fehleinschätzung des Jahres 1975 Ausnahmecharakter hat und die Abweichungen i n Zukunft sich wieder auf das durchschnittliche Maß einpendeln werden, so ist doch nicht ausgeschlossen, daß künftige Projektionen ähnlichen Fehleinschätzungen unterliegen. So gesehen erscheint der Ansatz eines Toleranzraumes von 3 Prozentpunkten als Mindestsatz gerechtfertigt. Darüber hinaus kann diskutiert werden, ob ein weiterer Toleranzwert zu fordern ist. Dafür spricht, daß die 3-Prozentmarke lediglich den Fehlerraum kompensiert, der gerade i n jüngster Zeit zu verzeichnen war, nicht aber davor schützt, daß die Ungenauigkeit der Projektionen diese Marke noch übertrifft. Wie groß diese Wahrscheinlichkeit ist und welche Höhe eine derartige Abweichung haben wird, ist offen. Wesentlich ist i m vorliegenden Zusammenhang nur, daß — genauso wie eine Fehlererhöhung vom zweithöchsten Ungenauigkeitsgrad 1973 von 2 Prozentpunkten auf 3 Prozentpunkte 1975 möglich war — eine neuerliche Fehlerbreitenerhöhung auf 4 Prozentpunkte auch i n Zukunft kaum ausschließbar sein wird, so daß eine Toleranzmarke von einem weiteren Prozentpunkt als Fehlerkompensation (mindestens) erforderlich erscheint 13 . Weiterhin ist bei den Daten der Jahresprojektion zu berücksichtigen, daß sie sich i m Unterschied zur planification en détail auf die Globalgrößen des gesamtwirtschaftlichen Kreislaufs beschränken. Das bedeutet, daß die in der Projektion angegebenen Werte für die Einkommensentwicklung aus unselbständiger Arbeit lediglich rechnerisch ermittelte Durchschnittswerte darstellen, welche naturgemäß die unterschiedlichen Verhältnisse der verschiedenen Wirtschaftsbranchen nicht zu berücksichtigen imstande sind. Die regionalen und produktbedingten Unterschiede sowie die oft voneinander abweichenden strukturellen Voraus13 Der hier vorgeschlagene Wert von 4 Prozentpunkten deckt sich i n etwa m i t der Schätzung des Niederländischen Statistischen Zentralamtes, wonach der Fehler bei den meisten Posten seiner volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zwischen 2 u n d 5 Prozentpunkten liegt; vgl. dazu Stobbe, S. 172.
2. Negative Gemeinwohlkonkretisierung i n wirtschaftlicher Hinsicht
165
Setzungen erfordern ein flexible, an den konkreten wirtschaftlichen Umständen ausgerichtete Lohngestaltung. Damit wäre eine am Gesamtdurchschnitt orientierte Lohnregel unvereinbar. Ein Toleranzraum von ca. 2 Prozentpunkten dürfte der Globalqualität der Daten genügend Rechnung tragen. Daraus ergibt sich insgesamt, daß ein Toleranzraum von mindestens 6 Prozentpunkten i n Ansatz gebracht werden könnte, u m die Prognoseunsicherheit und die Globalqualität der Daten des § 2 StabG zu kompensieren. Wie bereits oben hervorgehoben wurde, kann dieses Toleranzdatum lediglich Vorschlagsqualität haben und nicht den Anspruch erheben, richtige und letztgültige Festlegung zu sein. Entscheidend ist i n diesem Zusammenhang, daß die Einführung hinreichender Toleranzgrenzen, die m i t Hilfe wirtschaftswissenschaftlicher Methoden zu quantifizieren sind, ein gangbares M i t t e l darstellt, die Projektionsdaten einer Gemeinwohlbestimmung i n wirtschaftlicher Hinsicht zugänglich zu machen. Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, daß die von der Bundesregierung zu erstellenden Projektionsdaten nun nicht kurzerhand unter Einberechnung der Toleranzgrenzen festgesetzt werden. Eine derartige Manipulation würde geradezu dem Sinn des Fehlerkompensationsraumes widersprechen und der hier versuchten (negativen) Gemeinwohlbestimmung die Grundlage entziehen. Deshalb muß die Bundesregierung die Rechtspflicht treffen, derartige Manipulationen zu unterlassen. Maßstab für die Aufstellung der Projektionen sind ausschließlich die nach volkswirtschaftlichen Erkenntnissen errechneten Wirtschaftsdaten, deren Einhaltung erforderlich sind, u m das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zu erhalten oder zu erreichen. Darüber hinausgehende politisch-taktische Datenkorrekturen wären damit unvereinbar und deshalb unzulässig. Ist so der Manipulierbarkeit der Daten (zumindest rechtlich) ein Riegel vorgeschoben, kann der i n den Projektionen angegebene Höchstwert des Arbeitnehmereinkommenszuwachses, jeweils erhöht durch die entsprechenden Toleranzgrenzen, (also beispielsweise wie hier vorgeschlagen 6 Prozentpunkte) der oberste Grenzwert für die gesamtwirtschaftlich vertretbaren Lohnabschlüsse sein. W i r d dieser Satz überschritten, so ist dem Gebot der Wahrung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und damit auch dem Gemeinwohl nicht Rechnung getragen worden. Die Koalitionen haben dann die verfassungsimmanenten Schranken der verbandsmäßigen Lohngestaltung unbeachtet gelassen, so daß sich die Frage stellt, welche staatlichen Kontrollinstrumente (zulässigerweise) i n Betracht kommen, um die Einhaltung dieser Gemeinwohlbindung zu gewährleisten.
X I I . Staatliche Kontrolle der Gemeinwohlbindung und Ergebnis Ist, wie hier vertreten, die Gemeinwohlverpflichtung der Tarifvertragsparteien eine verfassungsimmanente Grenze des A r t . 9 I I I GG, und ist diese Gemeinwohlverpflichtung hinreichend (negativ) konkretisiert, so daß i n concreto gesagt werden kann, von welchem Tarif datum ab das Gemeinwohl als gefährdet anzusehen ist, ist ein staatliches Verfahren, das die Einhaltung dieser Bindung kontrollierbar macht, verfassungsrechtlich zulässig. Denn der durch Art. 9 I I I GG garantierte Kernbereich verbandsmäßiger Lohngestaltung deckt nicht jede beliebige Lohnfestsetzung, sondern nur diejenige, die sich i m gemeinwohlverträglichen Rahmen hält; insoweit kann also einer staatlichen Kontrolle der Einhaltung der Gemeinwohlpflicht nicht entgegengehalten werden, es handle sich hierbei um einen Eingriff i n den unantastbaren Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigung 1 und damit um eine verfassungswidrige Begrenzung der Tarifautonomie 2 . Staatliche Kontrollverfahren, die die Einhaltung der Gemeinwohlgrenze gewährleisten sollen, sind deshalb verfassungsrechtlich zulässig. Dies gilt um so mehr, als die hier vertretene negative Gemeinwohlbestimmung nicht zweifelhafte Grenzdaten als verbindliche Höchstwerte tariflicher Datensetzung ansetzt, sondern gerade der Unsicherheit ziffernmäßiger Gemeinwohlfeststellung durch entsprechende weite Toleranzgrenzen Rechnung trägt, so daß bei Überschreitung der vorgegebenen Grenzen m i t einiger Sicherheit von der Gefährdung bzw. Störung des Gemeinwohls ausgegangen werden kann. Was nun das die Beachtung der Gemeinwohlbindung sicherstellende Verfahren anbelangt, wäre beispielsweise daran zu denken, § 6 TVG, wonach Tarifverträge i n das Tarifregister beim Bundesarbeitsministerium einzutragen sind, gesetzlich neu auszugestalten. Die Eintragungen gemäß § 6 T V G haben nur deklaratorische, keine konstitutive Wirkung, so daß die Rechtswirksamkeit des Tarifvertrages von der Eintragung i n das Tarifregister unabhängig ist 3 . Eine Einwirkungsmöglichkeit des Bundesarbeitsministeriums auf den Inhalt des Vertrages ist nicht möglich. Denkbar wäre nun, durch eine Gesetzesänderung der Registrierung konstitutive Qualität beizulegen und zugleich die ι So aber Rohde, S. 192 sowie Preußner, S. 137. Wie hier Säcker, Grundprobleme, S. 72; Zöllner, Der Arbeitgeber, 1969, S. 455 f. « Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, § 6 Rdn. 9; Reichel, § 6 l b . 2
X I I . Staatliche Kontrolle der Gemeinwohlbindung u n d Ergebnis
167
Möglichkeit zu schaffen, unter bestimmten, i m Gesetz aufgeführten Voraussetzungen den Antrag auf Registrierung abzulehnen. So wäre also beispielsweise folgende Regelung möglich: (1) Der Tarifvertrag
wird mit Eintragung
in das Tarifregister
wirksam.
(2) Die Ablehnung des Eintragungsantrages ist zulässig, wenn die tarifvertraglich vereinbarte Einkommenszuwachsrate der Arbeitnehmer geeignet ist, das Gemeinwohl zu gefährden. (3) Eine Gefährdung des Gemeinwohls liegt vor, wenn die Einkommenszuwachsraten die Jahresprojektionsdaten des § 2 StabG mißachten und dadurch die Gefahr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts besteht. Eine Mißachtung der Jahresprojektions- bzw. Orientierungsdaten und damit auch eine Gefährdung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ist dann anzunehmen, wenn die tarifvertraglich vereinbarten Einkommenszuwachsraten die projektierten Daten um mehr als 6 Prozentpunkte übersteigen. Bei diesem Gesetzesvorschlag ist freilich zu beachten, daß der angegebene Kompensationswert lediglich Vorschlagsqualität hat. Veränderungen nach oben und unten sind — wie oben bereits mehrfach angedeutet wurde — möglich. Ein dem Erstvorschlag ähnelndes Kontrollinstrument könnte auch darin gesehen werden, die Wirksamkeit der Tarifverträge von der Nichtausübung eines Widerspruchsrechts 4 abhängig zu machen oder ein sonstiges staatliches Genehmigungsverfahren einzuführen, nach dem die Genehmigung unter den i m Erstvorschlag formulierten Voraussetzungen versagt werden könnte. Zu erwägen wäre noch, ob der Staat nicht nur (wie i m vorhergegangenen Gesetzesvorschlag) berechtigt, sondern sogar verpflichtet sein soll, bei gemeinwohlwidrigen Tarifverträgen zu intervenieren. Dafür spricht zwar die verfassungskräftige Pflicht des Staates, das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht m i t allen (verfassungsmäßigen) Mitteln zu erhalten. Andererseits aber hat der Staat einen weiten wirtschaftspolitischen Ermessensspielraum, der es ihm gestattet, (in einem gewissen Rahmen) selbständig wirtschaftspolitische Prioritäten zu setzen. Zur Abwehr einer Gefährdung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts stehen i h m verschiedene Reaktionsmöglichkeiten offen; welche er wählt, unterliegt seinem politischen Ermessen. Damit wäre es nicht vereinbar, den Staat zur Abwehr lohninduzierter Inflationsschübe auf das M i t t e l der Nichtgenehmigung eines Tarifvertrages zu verpflichten. Es steht ihm frei, gemeinwohlwidrige Tarifverträge zu genehmigen und die aus den Tarifverträgen folgende Gefährdung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts m i t anderen Mitteln (beispielsweise antizyklische Haushalts4
So der Vorschlag Säckers, Grundprobleme, S. 72.
168
X I I . Staatliche Kontrolle der Gemeinwohlbindung u n d Ergebnis
Politik usw.) zu bekämpfen. Deshalb muß die Frage, ob der Staat den (gemeinwohlwidrigen) Tarifvertrag genehmigt, seinem politischen Ermessen vorbehalten bleiben, so daß eine Mußvorschrift 5 dem w i r t schaftspolitischen Entscheidungsspielraum des Staates nicht gerecht würde. Die hier angebotenen Vorschriften, die dem Staat eine Interventionsmöglichkeit eröffnen, sind die Voraussetzungen dafür, daß die Pflicht zur Beachtung des Gemeinwohls auch i n der Rechtswirklichkeit realisierbar ist. Fehlte eine staatliche Kontrollmöglichkeit, bliebe das Bekenntnis und die Verpflichtung, das Gemeinwohl i m Auge zu behalten, rein verbal. Die Folge wäre, daß auch i n Zukunft eine gruppenegoistisch übersteigerte Interessendurchsetzung rechtlich sanktionslos entscheidende Gemeinwohlbelange verletzen kann. Dem zu begegnen, ist A u f gabe der hier vorgenommenen (negativen) Gemeinwohlbestimmung und den damit einhergehenden Verfahrensmöglichkeiten zur Kontrolle der Einhaltung eben dieser Bindung. Als Schlußergebnis bleibt damit festzuhalten, daß es verfassungsrechtlich zulässig ist, die tarifliche Lohn- und Gehaltsdatensetzung an das (konkretisierte) Gemeinwohl zu binden und rechtliche Bestimmungen darüber zu treffen, wie der Staat diese Gemeinwohlverpflichtung kontrolliert. Damit würde der Gesetzgeber lediglich die (bereits vorhandene) immanente Schranke (Gemeinwohlbindung der tariflichen Normsetzung) konkretisieren und diese Bindung i n praxi realisieren. M i t dieser Anbindung der tariflichen Normsetzung an das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ist ein Konkordanzrahmen zwischen staatlicher Konjunkturpolitik und tariflicher Lohngestaltung gefunden, der eine das Gemeinwohl gefährdende Divergenz zwischen staatlicher Konjunkturpolitik und tarifautonomer Datensetzung rechtlich zu unterbinden imstande ist.
5 Beispielsweise „Die Ablehnung des Eintragungsantrages ist vorzunehmen, wenn ...".
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