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German Pages 308 Year 2002
BRITA LEPA
Insolvenzordnung und Verfassungsrecht
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 144
Insolvenzordnung und Verfassungsrecht Eine Untersuchung der Verlassungsmäßigkeit der InsO und der Einwirkung verlassungsrechtlicher Wertungen auf die Anwendung dieses Gesetzes
Von
Brita Lepa
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Lepa, Brita: Insolvenzordnung und Verfassungsrecht : eine Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit der InsO und der Einwirkung verfassungsrechtlicher Wertungen auf die Anwendung dieses Gesetzes I von Brita Lepa. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum Wirtschaftsrecht; Bd. 144) Zug!.: Bonn, Univ., Diss., 2000/2001 ISBN 3-428-10537-0
D5 Alle Rechte vorbehalten
© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-10537-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@
Meinen Eltern
Vorwort Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Betrachtung der Insolvenzordnung im Lichte des Verfassungsrechts. Dies geschieht anband ausgewählter, aus verfassungsrechtlicher Sicht besonders relevanter Regelungen der Insolvenzordnung sowohl aus dem Insolvenzeröffnungsverfahren als auch dem eröffneten Insolvenzverfahren; ausgeklammert sind dagegen die speziell gelagerten Probleme der Eigenverwaltung, des Verbraucherinsolvenzverfahrens und der Restschuldbefreiung. Die Arbeit verfolgt nicht primär das Ziel, in der Insolvenzordnung Verfassungsverstöße aufzudecken. Nur in Einzelfällen werden Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit insolvenzrechtlicher Regelungen geäußert. In erster Linie geht es vielmehr darum, die Auswirkungen des Verfassungsrechts auf die Auslegung und Anwendung der Insolvenzordnung - vor allem der Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe - aufzuzeigen und darzulegen, welchen Beitrag das Verfassungsrecht für die Lösung insolvenzrechtlicher Streitfragen zu leisten vermag. Da die Normen der Insolvenzordnung teilweise dem öffentlichen Recht und teilweise dem Privatrecht zuzuordnen sind, ist diesen Ausführungen eine Grundlegung vorangestellt, die die unterschiedlichen Grundsätze für eine Überprüfung einfachrechtlicher Normen am Maßstab des Verfassungsrechts darstellt. Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2000/2001 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung konnten Rechtsprechung und Literatur bis Mitte März 2001 berücksichtigt werden. Entstanden ist die Arbeit während meiner Tätigkeit zunächst als wissenschaftliche Hilfskraft und später als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Zivilprozeßrecht von Professor Dr. Walter Gerhardt. Ihm danke ich für die vielfältigen Anregungen und die Förderung meiner Arbeit. Professor Dr. Jost Pietzcker danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Bonn, im September 2001
Brita Lepa
Inhaltsverzeichnis Erster Teil
Grundlegung: Prüfungsmaßstäbe § 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Bedeutung verfassungsrechtlicher Wertungen für den Regelungsbe-
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reich der InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Bisherige Untersuchungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 C. Ziele der Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
§ 2 Prüfungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 A. Verfassungsrechtliche Relevanz des Rechtscharakters insolvenzrecht-
licher Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insolvenzrecht als Gemenge materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Il. Erfordernis einer Zuordnung insolvenzrechtlicher Vorschriften zum öffentlichen Recht oder Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Problematik der Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das materielle Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Insolvenzverfahrensrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Ebenen der verfassungsrechtlichen Prüfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsmäßigkeit der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Il. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Auslegung durch den Normanwender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Wirkung der Grundrechte im Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundrechtsbindung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundrechtsbindung des Normanwenders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . a) Weiter Spielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Enger Spielraum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. . . . . . . . . . . d) Eigene Auffassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Intensität der Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
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22 25 26 27 27 31 31 33 35 36 36 40 42 43 43 46 51 53 53 56
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Inhaltsverzeichnis 2. Grundrechtsbindung des Normanwenders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen bei "Einbruchstellen" des Privatrechts. .. ... ......... . . . . . . . . b) Schutzpflicht des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Neuere Ansätze...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60 60 62 65 70
Zweiter Teil
Verfassungsrechtliche Probleme des Eröffnungsverfahrens § 3 Die Zulässigkeit des Insolvenzantrags in besonderen Problemlagen . . . . . . . A. Insolvenzrechtlicher Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Geringe Gläubigerforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verneinung der Zulässigkeit des Insolvenzantrags bei geringfügiger Forderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Versagung der Zulässigkeit des Insolvenzantrags bei geringfügiger Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schutz vitaler Schuldnerinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der verfassungsrechtliche Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Rechtsschutzinteresse als Einbruchstelle für verfassungsrechtliche Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Verhältnismäßigkeit als zentrales Problem der Zulassung eines Gläubigerantrags in besonderen Problemlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. "Der" Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Herleitung aus den einzelnen Grundrechten bei Grundrechtseingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Herstellung praktischer Konkordanz .... . . ............ ...... II. Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für das Insolvenzrecht im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Uneingeschränkte Einbeziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und Herstellung praktischer Konkordanz . . . . . . . . 2. Kritik an der Heranziehung des Grundsatzes der VerhältnismäßigkeiL ......... .. ................... . .................. 3. Kritik an der Herstellung praktischer Konkordanz .... .... .... 4 . Eigene Ansicht .... .............................. . ....... III. Auswirkungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf die Entscheidung über die Zulassung des Insolvenzantrags ... . ...... I. Geringfügige Gläubigerforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Prüfung am Maßstab des Art. 14 GG.. . . ... ........ . .... b) Prüfung am Maßstab des Art. 12 GG. ...... ......... .... c) Prüfung am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG .. . .. .............. ... . ....... ... . .. ... . . . .
83 84 84 84 86 90 91 92 96 97 97 98 99 101 102 103 103 108 108 112 113 113 125 128
Inhaltsverzeichnis
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2. Belastung des Schuldners in vitalen Belangen ......... .. .... 131 a) Prüfung am Maßstab des Art. 2 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Prüfung am Maßstab des Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . 139 c) Prüfung am Maßstab des Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . 140 § 4 Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
A. Keine Aussage des Verfassungsrechts zum Aufrechnungsverbot. .. .... 142
B. Auswirkung des Art. 13 GG auf das Recht des vorläufigen Insolvenzverwalters zum Betreten von Räumen ......... . . ........... ... .... 143 C. Die Auswahl der Sicherungsmaßnahmen ...... . . ...... . . . .... . ..... 147
I.
Anforderungen in Rechtsprechung und Literatur ........ . . . ..... 147
II.
Kritische Würdigung .. ................................ . ..... 152 1. Prüfungsansatz ........................ . .................. 152 2. Konkretisierung der Erforderlichkeit von Sicherungsmaßnahmen ................................. . ........... . ...... 155 a) Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gegen den Schuldner .. ..... ............... . .. . ..... .. ... . ....... 155 aa) Unterschiedliche Eingriffsintensität der Sicherungsmaßnahmen ............................... .. ..... 155 bb) Einwirkung der Grundrechte auf die Auswahl der Anordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 b) Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gegen die Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
D. Begründungspflicht. ..... .. .................. . . .................. 165 E. Rechtsmittel ........... . . .... . ............. ... ....... . .......... 167
I.
Meinungsstand .... .. . . ................. ... .......... . ....... 167 1. Verfassungsmäßigkeit des Rechtsmittelausschlusses . . . . . . . . . . 168 2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Rechtsmittelausschluß ... . ..... . .. .. ...... . .. ...... . .. .... ...... . .. ..... 169
II. Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für die Überprüfung des weitgehenden Rechtsmittelausschlusses im Eröffnungsverfahren ...... .... . .. .......... . . ... .. .. ........ . ......... 172 a) Art. 19 Abs. 4 GG und das Rechtsstaatsprinzip .. ....... . . 172 b) Einrichtung der obersten Gerichtshöfe des Bundes ... . . . . . 175 c) Gewährung rechtlichen Gehörs ..................... . ... 175 d) Gleichheitsgrundsatz . . . . .. .. . . . . . . . .. .. . .. . . . . . . .. .. . . 176 e) Verfahrensrechtliche Dimension der Grundrechte ...... . .. 180 2. Erforderlichkeit einer differenzierenden Betrachtung des Rechtsmittelausschlusses gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren ......... . ..... .. . . 183
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Inhaltsverzeichnis Dritter Teil Verfassungsrechtliche Probleme im eröffneten Insolvenzverfahren
§ 5 Die Wirkungen der Insolvenzverfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Rückschlagsperre ..... . ................... . ................ . . C. Mitwirkungspflichten des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Auskunftspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Residenzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . D. Postsperre gemäߧ§ 99 ff. InsO ..................................
190 190 192 197 197 198 202
§ 6 Die Verwaltung, Verwertung und Verteilung des Schuldnerischen Vermögens ... . .................. . . .................. .. ............... .. . A. Die Entscheidung über den Fortgang des Verfahrens nach § 157 InsO . I. Betroffene Schuldnerrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . 1. Die Entscheidungsgrundlage der Gläubiger. . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Insolvenzrechtlicher Befund ....... . .. .................. b) Verfassungsrechtliche Bedeutung der Entscheidung über das Verfahrensziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfassungsmäßigkeit des Konzepts der Gläubigerentscheidung an sich .. ................. . .. ................... d) Ergänzungsbedürftigkeit von § 157 InsO . . .... . . . ...... . aa) Übertragung der Grundsätze des § 78 InsO auf § 157 InsO ... . . ............. .. .. . .. ........ . .......... bb) Erfordernis einer ausdrücklichen Stillegungsentscheidung der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anfechtung der Entscheidung oder Untätigkeit der Gläubigerversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zulässigkeil der Mehrheitsentscheidung . .................... II. Betroffene Gläubigerrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Verwertung des Schuldnerischen Vermögens ................. .. . I. Der Insolvenzverwalter als Beliehener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die gesicherten Gläubiger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Verwertungsverbot des § 166 InsO . . .. ............... . .. . . II. Auferlegung der Verfahrenskosten .... ... .................. .. . .
224 226 227 230 230 231 234 235 240
§ 7 Das Insolvenzplanverfahren . . .. ... .. . .... . ... . ............. . ... . . .. . . A. Betroffene Schuldnerrechte.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Betroffene Gläubigerrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Minderheitenschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Obstruktionsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsrechtliche Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der verfassungsrechtliche Ansatzpunkt .............. ....
243 244 249 251 255 255 256
205 205 206 207 207 209 214 219 219 223
Inhaltsverzeichnis
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b) Anforderungen des Verfassungsrechts an die Ausgestaltung des Obstruktionsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 2. Auslegung des Obstruktionsverbots. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
Die Abkürzungen entsprechen der von Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Auflage, Berlin/New York, vorgeschlagenen Fassung.
Erster Teil
Grundlegung: Prüfungsmaßstäbe § 1 Einführung A. Bedeutung verfassungsrechtlicher Wertungen f'Ur den Regelungsbereich der InsO Die Normen des Grundgesetzes bilden die höchste Stufe der innerstaatlichen Normenhierarchie 1. Daher müssen alle Gesetze formell und materiell mit den Postulaten des Grundgesetzes in Einklang stehen. Darüber hinaus sind diese Postulate als Wegweiser auch bei der Auslegung einfachen Rechts zu beachten, also auch bei der Auslegung der InsO. Das Insolvenzrecht2 ist seit jeher eine verfassungsrechtlich sensible Materie. Hier treffen vielfaltige und oftmals gegenläufige verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen aufeinander. Praktische Bedeutung erlangen dabei vor allem die Grundrechte und die grundrechtsgleichen Rechte. Während der Durchführung eines Insolvenzverfahrens kommt es zu zahlreichen Grundrechtskollisionen. Einige Beispiele mögen die auftretenden Konflikte andeuten: Grundrechtskollisionen treten zum einen zwischen dem Schuldner und der Gesamtheit der Gläubiger auf. Die Rechte aller Gläubiger sind durch Art. 14 GG geschützt. In den Schutzbereich des Art. 14 GG fallen alle vermögenswerten Rechte jedenfalls des Privatrechts; das Grundrecht erfaßt sowohl Sachen als auch Forderungen3 . Damit fallen sowohl die Rechtspositionen der Massegläubiger (§§ 53 ff. lnsO), der aus- und absonderungsberechtigten Gläubiger (§§ 47 ff. InsO) als auch der Insolvenzgläubiger (§§ 38 ff. InsO) selbst in den Schutzbereich des Art. 14 GG. Auf der anderen Seite führt die Durchführung des Insolvenzverfahrens zu vielfaltigen Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen des SchuldStern, Staatsrecht I, S. 105 f. Als Insolvenzrecht werden die Rechtsregeln verstanden, die für die Abwicklung der Vermögens- und Haftungsverhältnisse beim wirtschaftlichen Zusammenbruch eines Schuldners in einem amtlichen, staatlich geordneten Verfahren gelten, vgl. hierzu nur Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 1.01. Die InsO beinhaltet die Regelungsmaterien der KO, VglO und auch der GesO, vgl. Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 82 f.; Landfermann, Festschrift für Henckel, 515 m. w. N. 3 Vgl. statt aller Bryde, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 14 Rn. 11 ff. m.w.N. 1
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§ 1 Einführung
ners. Schon im Insolvenzeröffnungsverfahren kann die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 InsO zum Eingriff in den Schutzbereich solcher Positionen führen. So stellt z. B. ein Veräußerungsverbot im Rahmen des Eröffnungsverfahrens einen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 14 GG dar, weil dieses Grundrecht das Recht gewährt, mit dem Eigentum nach eigenem Belieben zu verfahren4 . Hindert das Verfügungsverbot den Schuldner an der Berufsausübung, stellt sich weiter die Frage eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 12 GG. Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, so folgen mit der Verwertung des Schuldnerischen Vermögens weitere Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen des Schuldners. Dies beginnt mit den allgemeinen Wirkungen der Insolvenzverfahrenseröffnung nach §§ 80 ff. InsO. Danach geht etwa die Verfügungsbefugnis des Schuldners über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Erneut ist der Schutzbereich von Art. 14 GG angesprochen. Weiter wäre auch an Art. 12 GG zu denken. Außerdem unterliegt der Schuldner nach § 97 InsO im einzelnen bestimmten Auskunfts- und Mitwirkungspflichten; gegen ihn kann nach § 99 InsO eine Postsperre angeordnet werden. Damit erweisen sich Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 10 GG als betroffen. Gravierende Eingriffe in die grundrechtlich geschützten Positionen des Schuldners erfolgen mit der Verwertung der Insolvenzmasse. Die Gläubiger entscheiden nach § 157 InsO im Berichtstermin über den Fortgang des Verfahrens. Fällt in die Insolvenzmasse ein Unternehmen5 , so kann die Verwertung nicht nur durch Liquidation, sondern auch durch übertragende Sanierung und Sanierung selbst erfolgen. Hierzu steht das Insolvenzplanverfahren nach §§ 217 ff. InsO zur Verfügung. In diesem Zusammenhang fallt mit der Stillegung des Schuldnerischen Unternehmens nach § 157 Satz 1 InsO eine Vorentscheidung. Bei der Entscheidung über die Verwertung des Schuldnerischen Vermögens geht es erneut um den Schutzbereich des Art. 14 GG; weiter kann auch wieder Art. 12 GG zu thematisieren sein. 4 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 16.6.1976- 2 BvR 342/75, BVerfGE 42, 229, 233 m. w.N.; Pieroth/Schlink, Rn. 914 ff.; vgl. zur Abgrenzung zu den Freiheitsrechten Bryde, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 14 Rn. 13; Jarass/Pieroth, Art. 14 Rn. 5. 5 Vgl. Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 75 ff. Der Begriff des Unternehmens ist von dem des Unternehmensträgers zu unterscheiden. Unter einem Unternehmen ist eine betriebsfähige Wirtschaftseinheit zu verstehen, die dem Unternehmer das Auftreten am Markt ermöglicht, vgl. nur Staub/Hüffer, vor § 22 Rn. 6. Hierunter fallen nach dieser weiten Definition auch die Praxen der Freiberufler, vgl. Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 4 I 3. Träger des Unternehmens als Rechtssubjekt können z.B. natürliche Personen wie der Einzelkaufmann oder der Freiberufler, Personengesellschaften sowie Kapitalgesellschaften sein, vgl. hierzu im einzelnen Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 4 und 5.
B. Bisherige Untersuchungen
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Dieser auf der Hand liegende Widerstreit zwischen den verfassungsrechtlich geschützten Interessen des Schuldners einerseits und der Gesamtheit der Gläubiger andererseits ist jedoch nicht der einzige das Insolvenzrecht beherrschende Interessenkonflikt Auch die Interessen der Mehrheit und die der Minderheit der Gläubiger treffen im Insolvenzverfahren aufeinander. Dort ist im wesentlichen die Mehrheitsentscheidung maßgebend - so z. B. in den Fällen der §§ 72, 76 Abs. 2, 244 InsO. Für die Minderheit der Gläubiger bedeutet aber eine von dem Votum der Mehrheit der Gläubiger ausgehende Entscheidungsfindung unter Umständen eine erhebliche Einbuße an bestehenden Forderungen oder Rechten und damit an grundrechtliehen Positionen6. B. Bisherige Untersuchungen
Angesichts des im Wesen des Insolvenzrechts angelegten Konflikts verfassungsrechtlicher - insbesondere grundrechtlicher - Positionen überrascht es, daß eine umfassende Untersuchung der Einflüsse des Verfassungsrechts auf die InsO keine Vorbilder bei ihren Vorgängern KO, VglO und GesO hat. Vielmehr rückten deren Normen nur in Einzelfallen in das Blickfeld der verfassungsrechtlichen Wertungen. Dies geschah vor allem durch eine beachtliche Zahl von verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zum Insolvenzreche. 6 Aus der kritischen Literatur vgl. an dieser Stelle nur Gerhardt, ZRP 1987, 163, 165; Uhlenbruck, KTS 1992, 499, 501 f.; Uhlenbruck/Brandenburg/Grub!Schaaf/ Wellensieck, BB 1992, 1734, 1735. 7 Vgl. nur BVerfG, Urt. v. 14.11.1962 - I BvR 987/58, BVerfGE 15, 126, 140 ff. (Staatsbankrott); BVerfG, Beseht. v. 24.7.1968 - I BvR 394/67, BVerfGE 24, 104, 108 ff. (Verfassungswidrigkeit von § 45 KO); BVerfG, Beseht. v. 15.3.1978 - 2 BvR 927/76, BVerfGE 48, 48, 54 ff. (Bestimmtheit von § 240 Abs. I Nr. 4 KO); BVerfG, Beseht. v. 18.7.1979 - I BvR 655/79, BVerfGE 51, 405, 408 (Umfang des Verlusts der Prozeßführungsbefugnis nach § 6 KO); BVerfG, Beseht. v. 13.1.1981 - 1 BvR 116/77; BVerfGE 56, 37, 41 ff. (Verfassungsmäßigkeit der Auskunftspflicht des Gemeinschuldners); BVerfG, Beseht. v. 23.3.1982- 2 BvL 13/ 79, BVerfGE 60, 135, 154 ff. (Konkursfähigkeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts); BVerfG, Beseht. v. 19.10.1983- 2 BvR 485, 486/80, BVerfGE 65, 182, 190 ff. (Einordnung von Sozialplanabfindungen); BVerfG, Beseht. v. 6.12.1983 - 2 BvL 1/82, BVerfGE 65, 359, 373 ff. (Konkursfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts); BVerfG, Beseht. v. 13.12.1983- 2 BvL 13, 14, 15/82, BVerfGE 66, I, 20 ff. (Konkursfähigkeit der Kirchen); BVerfG, Beseht. v. 2.12.1987 - I BvR 1291185, BVerfGE 77, 275, 285 ff. (Rechtsrnittelfrist des § 121 Abs. 2 Satz 2 VglO); BVerfG, Beseht. v. 26.4.1995 - 1 BvL 19/94 und 1454/94, BVerfGE 92, 262 ff. (Ausschluß verspätet angemeldeter Forderungen); BVerfG, Beschl. v. 9.11.1981- 1 BvR 969/81, KTS 1982, 221 (Sequestervergütung); BVerfG, Beseht. v. 5.11.1982 - I BvR 796/81, ZIP 1982, 1457 f. (Behandlung rückständiger Berufsgenossenschaftsbeiträge als bevorrechtigte Konkursforderung); BVerfG, Beseht. v. 6.6.1986 - I BvR 574/86, ZIP 1986, 1336 f. (Postsperre); 2 Lepa
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§ 1 Einführung
In der Literatur hatte der Einfluß des Verfassungsrechts auf das Verständnis und die Anwendung von KO, VglO und GesO nur eine Randbedeutung. Soweit ersichtlich, wird im Schrifttum zum Insolvenzrecht gegenwärtig nur vereinzelt das Verhältnis von Insolvenzrecht und Verfassungsrecht in einem eigenen Abschnitt betrachtet8 . Noch im Jahr 1975 wies Quack darauf hin, daß die verfassungsrechtliche Bedeutung des Insolvenzrechts "recht stiefmütterlich behandelt" worden sei9 . In der Folgezeit legte Adam10 im Jahr 1986 eine umfassendere Untersuchung vor, jedoch auch diese beschränkt sich auf Beispiele zum Konkursverfahrensrecht, dem zweiten Buch der KO. In neuerer Zeit wird verstärkt auch auf die verfassungsrechtliche Bedeutung des Insolvenzrechts hingewiesen 11 oder die Verfasser geben einen Überblick über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Insolvenzrecht12. In der Regel erfolgen die verfassungsrechtlichen Betrachtungen nur punktuell. Im Bereich der KO haben insbesondere die Postsperre (§ 121 KO) und die Residenzpflicht (§ 101 KO) Beachtung gefunden 13 . Ähnliches gilt für die GesO. Auch hier konzentrierte sich die verfassungsrechtliche Betrachtung auf die Verfassungsmäßigkeit der Postsperre 14 und den Ausschluß verspätet angemeldeter Forderungen 15• Zur InsO sind gleichfalls nur einBVerfG, Beschl. v. 30.11.1987 - 1 BvR 1033/87, ZIP 1988, 174 f. (Befangenheit Konkursrichter); BVerfG, Kammerbeschl. v. 25.7.1988- 1 BvR 109/85, NJW 1988, 3009 (vorzeitige Löschung aus dem Schuldnerverzeichnis); BVerfG, Kammerbeschl. v. 28.7.1992 - 1 BvR 859/92, NJW 1993, 513 (kein Beschwerderecht des Schuldners gegen einzelne Maßnahmen des Konkursverwalters); BVerfG, Beschl. v. 30.3.1993 - 1 BvR 1045/89, 1 BvR 1381/90, 1 BvL 11/90, ZIP 1993, 838 ff. (Vergütungsanspruch des Konkursverwalters). 8 Baur/Stümer, II, Rn. 6.14 ff.; Braun/Uhlenbruck, S. 52 ff. 9 Rpfleger 1975, 185. 10 Ausgewählte Probleme des Konkursverfahrens in verfassungsrechtlicher Sicht, S. 1 ff. 11 Vgl. nur Carl, S. 145 ff.; Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 482 ff.; ders., ZRP 1987, 163, 165; ders., Insolvenzrecht im Umbruch, I, 6; Hegmanns, S. 32 ff.; Mankowski, JZ 1996, 392, 396; Vallender, ZIP 1997, 1993, 1996. 12 Roth, Verfassungsrecht, S. 188 ff. 13 Landgrebe, Rpfleger 1984, 7 ff.; Quack, Rpfleger 1975, 185 ff. 14 Bezüglich der Anordnung einer Postsperre im Eröffnungsverfahren kritisch LG Halle, Beschl. v. 18.12.1992 - 2 T 97/92, ZIP 1993, 152, 153; ebenso bereits die Vorinstanz AG Halle-Saalkreis, Beschl. v. 3.12.1992 - 51 N 203/92; a. A. OLG Naumburg, Beschl. v. 22.9.1993- 4 W 102/93, ZIP 1993, 1573, 1575 m. abl. Anm. Mark Zeuner, EWiR 1994, 461, 462; bezüglich der Anordnung einer Postsperre im eröffneten Insolvenzverfahren kritisch LG Stendal, Beschl. v. 8.4.1993 - 22 T 33/ 93, DtZ 1993, 317; LG Stendal, Beschl. v. 29.8.1995- 22 T 175/95, DtZ 1996, 90, 91 f. m. krit. Anm. Pape, WiB 1996, 93; Smid, DtZ 1991, 207, 208; a. A. Lübchen/ Landfermann, ZIP 1990, 829, 833; Pape, DtZ 1993, 199, 201 f.; Vortmann, KTS 1991, 237, 243.
C. Ziele der Arbeit
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zeine Normkomplexe in den Blick verfassungsrechtlicher Untersuchungen gerückt. So wurden im Gesetzgebungsverfahren insbesondere die Restschuldbefreiung 16 und die Behandlung der besitzlosen Mobiliarsicherheiten17 auf ihre verfassungsrechtliche Bedeutung hin betrachtet. Ferner mehren sich verfassungsrechtliche Beiträge zum Insolvenzeröffnungsverfahren18.
C. Ziele der Arbeit Das Recht der Einzelzwangsvollstreckung hat umfassende verfassungsrechtliche Untersuchungen erfahren. Ende der 70er Jahre rückten die Wertungen des Grundgesetzes in das Zentrum des Vollstreckungsrechts. In einer Reihe von Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, daß im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Grundrechte und insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Geltung beanspruchen. Als Beispiel sei die Frage der Vollstreckung wegen Bagatellforderungen 19 oder des Schutzes des suizidgefährdeten Schuldners20 gemäß § 765 a ZPO genannt. Andere Entscheidungen betrafen die Verfassungsmäßigkeit der Wohnungsdurchsuchung21, der Erzwingungshaft zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung22 oder die Durchführung des Zwangsversteigerungsverfahrens23 . Diese Rechtsprechung zur Einzelzwangsvollstreckung rief bis heute ein großes Echo in der Literatur hervor und führte zu einer Vielzahl umfassender verfassungsrechtlicher Untersuchungen des Einzelvollstreckungsrechts24. Diese Sensibilisierung für die verfassungsrechtliche Problematik der Einzelvollstreckung hat sich nicht in gleichem Umfang auf die Betrachtung des Fuchs, EWiR 1995, 669 f.; Smid!Smid, GesO, § 14 Rn. 26, 30 ff. Ackmann, S. 93 ff.; Christmann, DGVZ 1992, 177 ff. 17 Baum, KTS 1989, 553 ff.; Seuffert, ZIP 1986, 1157 ff.; Stern, Festschrift für Helmrich, S. 737 ff. 18 Pape, WPrax 1995, 252, 255 ff.; Pohlmann, S. 29 ff. 19 BVerlG, Beschl. v. 27.9.1978 - 1 BvR 361178, BVerlGE 49, 220, 225 ff. m. Sondervotum Böhmer. 20 BVerlG, Beschl. v. 3.10.1979- 1 BvR 614179, BVerlGE 52, 214, 219 ff. 21 BVerlG, Beschl. v. 3.4.1979 - 1 BvR 994176, BVerlGE 51, 97, 111 ff. ; BVerlG, Beschl. v. 16.6.1981 - 1 BvR 1094/80, BVerlGE 57, 346, 356. 22 BVerlG, Beschl. v. 20.6.1978 - BvL 30, 31, 32, 33, 34, 35178, BVerlGE 48, 396, 400 f.; BVerlG, Beschl. v. 19.10.1982- 1 BvL 34, 55/80, BVerlGE 61, 126, 136. 23 BVerlG, Beschl. v. 24.3.1976 - 2 BvR 804175, BVerlGE 42, 64, 73; BVerlG, Beschl. v. 7.12.1977- 1 BvR 734177, BVerlGE 46, 325, 334. 24 Vgl. nur Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467 ff.; Götte, S. 42 ff.; Lippross, S. 83 ff.; Vollkommer, Rpfleger 1982, S. 1 ff. ; Weyland, S. 13 ff.; Wieser, Verhältnismäßigkeit, S. 15 ff. 15
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§ 1 Einführung
Insolvenzverfahrens übertragen. Dabei wäre eine Untersuchung auch des Insolvenzrechts auf seine verfassungsrechtliche Relevanz durchaus angezeigt gewesen, hat doch das Insolvenzrecht unzweifelhaft vollstreckungsrechtlichen Charakter und wird daher seit jeher als Gesamtvollstreckungsverfahren bezeichnet25 . Es erscheint reizvoll und geboten, die für das Einzelvollstreckungsverfahren weitgehend erfolgte Untersuchung einer Einwirkung des Verfassungsrechts auch für das Verfahren der Gesamtvollstreckung vorzunehmen. Dabei soll es nicht darum gehen, die Geltung des rechtlichen Gehörs im Insolvenzverfahren26 oder die Bedeutung der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Prozeßmaximen für das lnsolvenzverfahren27 zu untersuchen. Es besteht kein Zweifel daran, daß der Anspruch auf ein faires Verfahren, die Waffengleichheit oder der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz auch im Insolvenzverfahren gelten. Die Aufgabe ist vielmehr umfassender. Wie schon die einleitenden Beispiele erkennen lassen, stellte sich dem Gesetzgeber auf Schritt und Tritt die Aufgabe, grundrechtlich geschützte gegenläufige Rechtspositionen zu erkennen, zu gewichten und miteinander in Einklang zu bringen. Die vorliegende Arbeit dient dem Ziel, zentrale kritische Kollisionstatbestände zu überprüfen, um Schwachstellen der gesetzgebensehen Konfliktlösung aufzuspüren und - dies vor allem aus verfassungsrechtlichen Vorgaben Erkenntnisse für die Gesetzesauslegung dort zu gewinnen, wo die InsO dem Gesetzesanwender Auslegungsspielräume läßt. Bei dieser Untersuchung gebietet die Fülle des Stoffs Einschränkungen. Zum einen soll es nur um die Normen der InsO selbst gehen. Ausgeklammert bleiben damit insbesondere solche Fragen, inwieweit die Vorschriften der ZPO über § 4 InsO in das Insolvenzrecht einfließen und dabei verfassungsrechtliche Fragen auslösen28 . Zum anderen ist auch bei den Normen 25 Vgl. nur Baur/Stümer, II, Rn. 1.5; Gerhardt, Festschrift für Gaul, 139, 141; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 1.01 a. E.; Henckel, Festschrift für Merz, 197, 200 f.; Jaeger/Lent, K08 , Einleitung III, S. LI; Kohler, S. 3. Wenn Karsten Schmidt, KTS 1988, 1, 3 ff., ders., Wege, S. 19, die Hauptprobleme des Insolvenzrechts in der Unternehmensinsolvenz sieht, so leugnet er damit nicht den exekutorischen Charakter des Insolvenzrechts. Dies hebt Karsten Schmidt, Kölner Schrift, Rn. 3, jüngst ausdrücklich hervor. 26 Vgl. hierzu Vallender, Kölner Schrift, Rn. 1 ff. 27 Vgl. nur die umfassende Darstellung bei Prütting, Kölner Schrift, Rn. 7 ff. 28 Zu denken wäre etwa an die aktuell diskutierte Problematik, inwieweit der Schuldner bei einem Eigenantrag einen Anspruch auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe hat und ihm damit der Weg zur Restschuldbefreiung zu eröffnen ist, vgl. hierzu nur LG Braunschweig, Beschl. v. 28.6.1999- 8 T 554/99 (325), ZIP 1999, 1317 f.; LG Konstanz, Beschl. v. 14.9.1999 - 6 T 58/99 We, ZIP 1999, 1643, 1644 f. m. w. N. zum Meinungsstand; AG Duisburg, Vorlagebeschl. v. 15.6.1999 60 IK 16/99, ZIP 1999, 1399 ff.; vgl. hierzu neuerdings auch LG Göttingen, Beschl. v. 2.10.2000- 10 T 99/00, ZIP 2000, 1902 f., das sich mit dem Beschluß
C. Ziele der Arbeit
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der InsO selbst eine Auswahl und Schwerpunktsetzung erforderlich. Es können nicht alle Regelungen der InsO einzeln auf ihre verfassungsrechtliche Bedeutung abgeklopft werden. Vielmehr bietet es sich an, die verfassungsrechtliche Betrachtung auf einzelne verfassungsrechtlich neuralgische Punkte des Insolvenzeröffnungsverfahrens und des eröffneten Insolvenzverfahrens zu konzentrieren. Mit der dabei getroffenen Auswahl soll nicht ausgeschlossen werden, daß in diesen Bereichen weitere verfassungsrechtliche Fragen akut werden können 29 • Ferner hat diese thematische Begrenzung zur Folge, daß vor allem die bereits verfassungsrechtlich beleuchtete Restschuldbefreiung30, aber auch die Eigenverwaltung, das Verbraucherinsolvenzverfahren und sonstige Kleinverfahren sowie die besonderen Arten des Insolvenzverfahrens außer Betracht bleiben.
§ 2 Prüfungsmaßstäbe Das Vorhaben, die Vorschriften der InsO am Maßstab der Verfassung zu überprüfen und die Auswirkung verfassungsrechtlicher Postulate auf die Anwendung der InsO festzustellen, führt zu einer Vorfrage. Zu klären ist, ob und in welcher Weise diese Rechtsmaterie überhaupt für die Überprüfung der Einwirkung verfassungsrechtlicher Postulate - primär der Grundrechte - zur Verfügung steht. Das setzt eine Klärung des Rechtscharakters des insolvenzrechtlichen Normgefüges voraus.
des BGH vom 16.3.2000 - IX ZB 2/00, ZinsO 2000, 280, 281 f. auseinandersetzt Weiter kann damit die Frage, inwieweit ein Anspruch auf Akteneinsicht im Rahmen der verschiedenen Phasen des Insolvenzverfahrens besteht, keine Berücksichtigung finden. Es stellt sich dabei die Frage der informationeilen Selbstbestimmung des Schuldners, vgl. dazu Eckardt, NZG 1999, 1015 f. m. w. N.; Haarmeyer/Seibt, Rpfleger 1996, 221 ff.; Pape, ZIP 1997, 1367, 1369 f. 29 Außer Betracht bleiben muß daher etwa die Frage, ob Art. 6 GG noch Einfluß auf die Anfechtungstatbestände der InsO hat, vgl. hierzu Gerhardt, Dike International 1996, 77, 85 ff. Weiter kann auch nicht darauf eingegangen werden, ob § 113 Abs. 1 Satz 2 lnsO gegen Art. 9 Abs. 3 GG verstößt, vgl. hierzu ArbG München, Vorlagebeschluß vom 23.9.1998- 29b Ca 219/98, ZIP 1998, 2014, 2015 f.; diese Vorlage wurde als unzulässig zurückgewiesen, vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.5.19991 BvL 22/98, ZIP 1999, 1219 f. Gegen eine Verfassungswidrigkeit von§ 113 Abs. 1 Satz 2 InsO neuerdings BAG, Urt. v. 16.6.1999 - 4 AzR 191/98, NJW 2000, 972, 973 f. sowie zuvor auch LAG Harnm, Urt. v. 13.8.1997- 14 Sa 566- 568/97, ZIP 1998, 161, 162; LAG Hamburg, Urt. v. 19.5.1998- 2 Sa 15/98, ZIP 1998, 1404, 1405 ff. Ferner kann keine Auseinandersetzung mit der Auffassung von Häsemeyer erfolgen, die Rangordnung des § 209 InsO verstoße gegen Art. 14 Abs. 1, 3 GG, vgl. hierzu Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 14.24. 30 Vgl. § 1 Fn. 16.
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§ 2 Prüfungsmaßstäbe
A. Verfassungsrechtliche Relevanz des Rechtscharakters insolvenzrechtlicher Vorschriften I. Insolvenzrecht als Gemenge materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Vorschriften
Als Insolvenz bezeichnet man die Situation, in der die Mittel des Schuldners nicht ausreichen, um seine Gläubiger vollständig zu befriedigen 1• Hauptziel der Insolvenzordnung ist gemäß § 1 Satz 1 InsO die gemeinschaftliche Verwirklichung der Vermögenshaftung2 . Dabei soll es zur Vollabwicklung des Schuldnervermögens kommen 3 . Ist der Schuldner eine natürliche Person, so legt die Insolvenzordnung in § 1 Satz 2 InsO als weitere Aufgabe der InsO fest, daß sich dieser von seinen restlichen Verbindlichkeiten befreien kann4 • Die lnsO regelt damit eine kollektive Haftungsverwirklichung zugunsten der Gläubiger, zu der gemäß §§ 35 ff. InsO das gesamte aktuelle und zukünftige Schuldnervermögen zur Verfügung steht5 ; dies geschieht in einem rechtlich geordneten Verfahren6 . Zu diesem Regelungszweck enthält die Materie des Insolvenzrechts seit jeher sowohl materiellrechtliche als auch verfahrensrechtliche Vorschriften7 . Besonders deutlich zeigte sich dies im Aufbau der Konkursordnung, die das Konkurs- und Vgl. nur Bork, Einführung, Rn. 1. Vgl. zu dieser vorrangigen Zielbestimmung des Gesetzgebers Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443 S. 83. Zwar ergibt sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs nicht unmittelbar der Wille des Gesetzgebers. Denn der Wille des Gesetzgebers ergibt sich nur aus der Grundabsicht des Gesetzgebers bzw. den in den Beratungen der gesetzgebenden Körperschaft zum Ausdruck gekommenen Vorstellungen. Nicht dagegen ergibt sich der Wille des Gesetzgebers aus den Vorstellungen der Verfasser des Gesetzestextes, weil diese nicht den Gesetzgeber darstellen. Es spricht nur eine Vermutung dafür, daß die Verfasser des Gesetzestextes den Vorstellungen des Gesetzgebers nahe zu kommen bemüht waren. Der Gesetzgeber selbst wird sich zur Formulierung des Gesetzes keine detaillierte Meinung gebildet haben. Die Vorstellungen der Verfasser des Gesetzestextes werden daher zwar nicht als Wille des Gesetzgebers, so doch als Richtschnur für diesen Willen angesehen, vgl. hierzu Larenz, Methodenlehre, S. 329. 3 Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443 S. 83 f. 4 Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443 S. 84. 5 Zum Insolvenzrecht als Haftungsrecht vgl. nur Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 1.11 ff.; vgl. zum Begriff der Haftung auch MünchKomm-BGB!Kramer, Einl. zu § 241 Rn. 41. 6 Balz, in: Kühler, Neuordnung des lnsolvenzrechts, 1, 8; Neumann, S. 11; so schon zur KO Gerhardt, Festschrift für Weber, 181, 182. 7 Vgl. Landfermann, Festschrift für Henckel, 515, 522 ff.; Karsten Schmidt, Wege, S. 12 f.; Uhlenbruck/Brandenburg/Grub/Schaaf/Wellensieck, BB 1992, 1734, 1735; zur Zusammenfassung materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Regelungen in der KO schon Hahn, Materialien, S. 5; Hellmann, I § 1 (S. 2); Jaeger, Lehrbuch,§ 1 V. 1
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A. Rechtscharakter insolvenzrechtlicher Vorschriften
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Konkursverfahrensrecht getrennt regelte 8 . Kennzeichnend für das Insolvenzrecht ist, daß die materiellrechtlichen und die verfahrensrechtlichen Vorschriften verwoben sind9 : Zum einen bedeutet Anwendung des Insolvenzrechts Einwirkung auf die Rechtspositionen des Schuldners. Soll das Insolvenzverfahren zur möglichst umfassenden und vor allem gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung durch die Vermögenshaftung des Schuldners führen, müssen vielfältige materiellrechtliehe Fragen und wirtschaftliche Erwägungen, zugeschnitten auf die Insolvenz des Schuldners, entschieden werden. Deutlich wird dies z. B. bei der nach Verfahrenseröffnung zunächst erforderlichen Entscheidung über die Erfüllung der Rechtsgeschäfte des Schuldners nach §§ 103 ff. Ins0 10. Weiter kommt es beispielsweise nach der Entscheidung über die Verwertungsart des Schuldnerischen Vermögens - Liquidation, Sanierung oder übertragende Sanierung sind zur Haftungsverwirklichung gleichberechtigt gangbar 11 - bei jeder der Verwertungsarten zu unterschiedlichen und vielfältigen materiellrechtlichen Einwirkungen auf die Rechtspositionen des Schuldners 12. Zum anderen regelt das Insolvenzverfahrensrecht den gesamten Ablauf der Haftungsverwirklichung vom einleitenden Insolvenzantrag bis hin zur möglichst umfassenden, gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung. Es verhilft damit dem materiellen Recht der Gläubiger zur Verwirklichung 13 • Das Verfahrensrecht geht Hand in Hand mit der Änderung der materiellrechtlichen Verhältnisse in der Situation der Insolvenz. Es steht dabei traditionell im Schnittpunkt von staatlicher Organisation und Verfahrensabwicklung durch Private. Schon die unmittelbaren Vorgänger der InsO sahen ein gerichtliches Verfahren vor, an dem aber auch die Gläubiger beteiligt wurden 14. Die 8 Vgl. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 3.01, der kritisch anmerkt, daß die Trennung zwischen materiellem Konkursrecht und Konkursverfahrensrecht in der KO nicht konsequent durchgeführt wurde; kritisch zum Aufbau der KO auch Landfermann, Festschrift für Henckel, 515, 522. 9 Baur/Stürner, II, Rn. 1.11; Berges, KTS 1960, 1; Henckel, KTS 1989, 477, 487; Landfennann, Festschrift für Henckel, 515, 522; Karsten Schmidt, Wege, S. 12 f.; kritisch zur Verbindung materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Vorschriften durch die InsO Häsemeyer, Insolvenzrecht, 3.08; vgl. zur Verbindung von materiellen und formellen Vorschriften auch schon Hahn, Materialien, S. 37 f. 10 Vgl. nur die genannten Beispiele bei Berges, KTS 1960, 1; Henckel, KTS 1989, 477, 486 f. 11 Vgl. Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443 S. 77 f.; dazu auch Balz, in: Kühler, Neuordnung des Insolvenzrechts, S. 4 f.; Bork, Einführung, Rn. 4 f. 12 Henckel, KTS 1989, 477, 487. 13 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 3.02; allgemein zur Rolle des Verfahrensrechts für das materielle Recht vgl. nur Bötticher, ZZP 85 (1972), 1 ff.; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 5 ff.; Jauernig, JuS 1971, 329 ff.; MünchKomm-BGB/Säcker, Einleitung zum BOB Rn. 4 ff.
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§ 2 Prüfungsmaßstäbe
Verwaltung des Schuldnervermögens wird seit jeher in die Hand eines Verwalters gelegt 15 . Die InsO verstärkt die Beteiligung der Gläubiger. Dies wurde in der Refonndiskussion unter dem Stichwort der Deregulierung des Verfahrens und Stärkung der Gläubigerautonomie als eines der Reformziele erörtert 16• Zugleich steht aber auch heute noch das Insolvenzverfahren unter der Regie des Insolvenzgerichts. Es ist indes je nach Verfahrensabschnitt unterschiedlich intensiv beteiligt; als roter Faden zieht sich durch die Vorschriften über die Beteiligung des Insolvenzgerichts, daß dieses allein für Rechtsfragen und Kontrolle, nicht aber für die wirtschaftlichen Entscheidungen zuständig ist 17 . Demgemäß findet das Eröffnungsverfahren allein unter der Leitung des Insolvenzgerichts statt. Ist dies für den Erhalt des Schuldnervermögens erforderlich, kann das Insolvenzgericht einen lediglich beschränkt zu Rechtshandlungen befugten vorläufigen Insolvenzverwalter einsetzen (§§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 22 InsO). Im eröffneten Insolvenzverfahren erfüllt das Insolvenzgericht hingegen weitgehend nur eine Kontrollfunktion. Die Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse werden dem Insolvenzverwalter übertragen 18 . Die wesentlichen Entscheidungen über den Ablauf des eröffneten Insolvenzverfahrens und insbesondere über die Art der Haftungsverwirklichung treffen aber die Gläubiger. Beherrschend im Insolvenzverfahren ist daher die Gläubigerautonomie 19 . Die Organisation der Gläubigerselbstverwaltung erfolgt in der Gläubigerversammlung (§§ 74 ff. InsO); weiteres Organ zur Wahrnehmung der Aufgaben der Gläubiger kann der Gläubigerausschuß sein (§§ 67 ff. InsO). Das Insolvenzverfahren wird daher auch als staatlich kontrollierte Selbstverwaltung der Gläubiger bezeichnet20. 14 Hegmanns, S. 4 ff. m. w. N.; Neumann, S. 20 ff.; Pape, ZIP 1990, 1251, 1252 ff. zur KO; zur Geschichte dieses Mittelweges von Selbstverwaltung und staatlicher Verfahrensabwicklung vgl. auch Kühler, in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, 61 ff.; Neumann, S. 14 ff., ebenso auch schon Jaeger, Lehrbuch, § 1 II (S. 2); Kohler, S. 2, 8 ff. 15 Jaeger/Lent, K0 8 , Einleitung IV, S. LII. 16 Vgl. nur Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443 S. 78, 79 f.; Gerhardt, Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/1935, 121, 124 ff.; Henckel, KTS 1989, 477 ff.; Kühler, in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, 61 ff.; Pape, ZIP 1990, 1251 ff.; ders., ZinsO 2000, 469 ff. ; Uhlenhruck/Brandenhurg/Gruh/Schaaf/ Wellensieck, BB 1992, 1734, 1735; kritisch zur Bezeichnung als Deregulierung Domdorf, Festschrift für Merz, 31, 33. 17 Balz, ZIP 1988, 273, 275; ders., in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, S. 8; so schon zur KO Gerhardt, Grundbegriffe, Rn. 228; Jauemig, Zwangsvollstreckungsrecht, § 39 IV, VI; gegen eine größere Beteiligung des Insolvenzgerichts auch Stümer, in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, 41, 47. 18 Hierzu im einzelnen Bork, Einführung, Rn. 40 ff., 50 ff. 19 So zur InsO sowie zu deren Vorgängern Berges, KTS 1957, 49, 51; Begmanns S. 4 ff. m. w.N.; Henckel, KTS 1989, 447; Jauemig, Zwangsvollstreckungsrecht, § 42 I; Neumann, S. 11 m.w.N.
A. Rechtscharakter insolvenzrechtlicher Vorschriften
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II. Erfordernis einer Zuordnung insolvenzrechtlicher Vorschriften zum öffentlichen Recht oder Privatrecht
Diese Verwobenheit von materiellem Recht und Verfahrensrecht und von Kompetenzzuweisung an Private und an das Insolvenzgericht, die für das Insolvenzrecht charakteristisch sind, führt zu Problemen, wenn es darum geht, einzelne Normen oder Normengruppen des Insolvenzrechts dem Privatrecht oder dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Zwar zeigt sich die Notwendigkeit einer solchen Zuordnung in der praktischen Arbeit zunächst nicht; damit hängt wohl auch zusammen, daß diese Frage in wissenschaftlichen Abhandlungen bislang nur beiläufig beleuchtet wurde. Nur vereinzelt finden sich Hinweise für die Zuordnung des Insolvenzrechts zu einem der beiden in Betracht kommenden Rechtsgebiete21 • Eine Untersuchung, die sich mit der Verfassungsmäßigkeit der lnsO und der Einwirkung verfassungsrechtlicher Postulate auf die Auslegung und Anwendung insolvenzrechtlicher Vorschriften beschäftigt, kann sich dieser Frage aber nicht verschließen22. Das hängt mit dem Geltungsanspruch des Verfassungsrechts insbesondere der Grundrechte - zusammen. Herkömmlich wird für die Grundrechtsgeltung danach unterschieden, ob die Rechtsmaterie, die Gegenstand verfassungsrechtlicher Prüfung ist, dem einen oder anderen Rechtsgebiet zuzuordnen ist. Ist die Einwirkung der Grundrechte auf öffentlich-rechtliche Normen weitgehend unproblematisch, wird hingegen die Einwirkung auf das Privatrecht seit langem diskutiert. Dies führt dazu, daß für den Privatrechtsgesetzgeber eine schwächere Bindung an die Grundrechte erörtert wird23 . Daß die Grundrechte ferner im weitesten Sinne Einfluß auch auf die Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Normen haben, wird nicht ernsthaft bestritten24 ; in welcher 20 Vgl. Uhlenbruck, KTS 1989, 229, 235; vgl. auch Baur/Stümer, II, Rn. 6.10; Carl, S. 163; Hegrru:mns, S. 15 zu der Frage, ob allein aus Praktikabilitätserwägungen die Gläubiger am Insolvenzverfahren beteiligt werden oder ob die Gläubigermitwirkung einen Wert an sich hat. 21 Hinweise für eine Zuordnung insgesamt zum Privatrecht bei Balz, ZIP 1988, 273, 275; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 1.05 f.; Henckel, KTS 1989, 477, 478; vgl. auch den Bericht über die Diskussion der Arbeitsgruppe Zivilrecht, Göttinger Kolloquium, Vierzig Jahre Grundrechte in ihrer Verwirklichung durch die Gerichte, S. 87; für eine Zugehörigkeit nur des materiellen Insolvenzrechts zum Privatrecht Baur/Stümer, II, Rn. 1.11 f. zur KO und VglO; vgl. aus der älteren Literatur zur KO auch Hellmann, I § 1 (S. 2); Jaeger, Lehrbuch, § 1 V (S. 12). 22 Vgl. aber die verfassungsrechtlichen Untersuchungen von Adam, S. 1 ff.; Baum, KTS 1989, 553 ff.; Christmann, DGVZ 1992, 177 ff.; Hegmanns, S. 32 ff.; Seuffert, ZIP 1986, 1157 ff., die diese Frage nicht aufwerfen. 23 Vgl. nur die Darstellung bei Stern, Staatsrecht III/1, S. 1565 ff. 24 Rüfner, Gedächtnisschrift für Martens, 215, 218; Staudinger/Schmidt, Einl. zu §§ 241 ff., Rn. 538.
§ 2 Prüfungsmaßstäbe
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Funktion und daher in welcher Intensität die Grundrechte auf den Privatrechtsverkehr einwirken, beschäftigt jedoch bis heute die Rechtsprechung ebenso wie die Literatur5 . Bevor im einzelnen zu untersuchen ist, ob und in welcher Intensität öffentlich-rechtliche und insbesondere privatrechtliche Normen einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen werden dürfen, zeigt sich die Notwendigkeit, festzustellen, inwieweit die InsO Vorschriften aus dem Kreis dieser Rechtsgebiete aufweist, die eine verfassungsrechtliche Prüfung nahelegen oder die Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben bei der Auslegung und Anwendung verlangen. 111. Problematik der Zuordnung
Wenn sich in der Literatur Äußerungen zur Rechtsnatur des Insolvenzrechts finden, wird dieses Rechtsgebiet weitgehend dem Privatrecht zugeordnet26. Es soll sich um Sonderprivatrecht27 bzw. Wirtschaftsprivatrecht28 handeln. Auf der anderen Seite finden sich aber auch Ausführungen, es handle sich zum einen um materielles bürgerliches Recht, zum anderen aber um eine "eigenartige Gemengelage aus Erkenntnis- und Vollstrekkungsverfahren"29. Es wird weiter darauf hingewiesen, daß in dem Verfahren staatliche Funktionen ausgeübt würden 30 . Andere betonen seit jeher die Nähe von Insolvenzrecht und Einzelvollstreckung31 . Unter dem Gesichtspunkt der verfassungsrechtlichen Prüfung erweist sich eine differenzierende Betrachtung als erforderlich.
Vgl. nur Stern, Staatsrecht III/1, S. 1538 ff. Balz, ZIP 1988, 273, 275; Hänel, S. 20; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 1.05 ff., der eine Zuordnung zum Privatrecht vornimmt, obwohl er selbst auf die verfahrensrechtlichen Vorschriften der KO hinweist; vgl. auch Bötticher, ZZP 86 (1973), 373, 381, der ausdrücklich auf die durch die KO aufgestellte privatrechtliehe Haftungsanordnung hinweist und die Unterschiede zwischen Einzel- und Gesamtvollstreckung hervorhebt. 27 Vgl. den Bericht über die Diskussion der Arbeitsgruppe Zivilrecht, Göttinger Kolloquium, Vierzig Jahre Grundrechte in ihrer Verwirklichung durch die Gerichte, 1990, s. 87. 28 Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 75; Roth, Verfassungsrecht, 187, 188. 29 Baur/Stümer, II, Rn. 1. 11 und 5.30. 30 Albrecht Zeuner, Verhandlungen, M 11, M 17; Henckel, Festschrift für Merz, 197, 204 f. 31 Uhlenbruck, JurBüro 1976, 418 f.; so bereits auch Kahler, S. 3. 25
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A. Rechtscharakter insolvenzrechtlicher Vorschriften
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1. Das materielle Insolvenzrecht
Die Vorschriften des materiellen Insolvenzrechts gehören dem Privatrecht an. Denn sie wirken auf die privaten Rechtsverhältnisse des Schuldners ein, die auf Gleichordnung und freier Selbstbestimmung basieren32 . Insoweit ist denjenigen im Schrifttum zuzustimmen, die das Insolvenzrecht als Privatrecht begreifen. 2. Das Insolvenzverfahrensrecht
Damit ist die Rechtsnatur des Insolvenzrechts aber nur unvollständig erfaßt. Schwieriger ist die Rechtsnatur der Vorschriften im Insolvenzverfahrensrecht zu beurteilen. In der Literatur findet sich die Ansicht, das Insolvenzrecht stelle insgesamt einen Teilbereich des Privatrechts dar, obwohl es auch einen verfahrensrechtlichen Teil enthalte. Weiter wird ausgeführt, daß das Insolvenzverfahrensrecht- wie jedes Verfahrensrecht-durch das materielle Recht geprägt und strukturiert sei, dessen Schutz und Verwirklichung es dienen solle33 • Diese Aussage mag richtig sein. Jedoch ist einzuwenden, daß das Insolvenzverfahrensrecht durch seine Funktion - die Gewährleistung der Postulate des materiellen Rechts - in seinem Wesen noch nicht zu materiellem Recht wird. Einer solchen Qualifizierung stehen schon die Vorschriften über die Tätigkeit des Insolvenzgerichts entgegen, die das Insolvenzverfahrensrecht weitgehend prägen. Allgemein lassen sich die Aufgaben des Insolvenzgerichts im Insolvenzverfahren als Leitungs- und Aufsichtsaufgaben umschreiben. Das Insolvenzgericht, gemäß § 2 lnsO das ausschließlich zuständige Amtsgericht, handelt im Rahmen der ihm zugewiesenen Aufgaben öffentlich-rechtlich; es nimmt im Verhältnis von Überund Unterordnung gegenüber Schuldner und Gläubigem einseitig hoheitliche Aufgaben wahr34. Die Rolle, die das Insolvenzgericht im Insolvenzverfahren spielt, könnte den Gedanken nahelegen, dieses Verfahren in Parallele zur ZPO und insbesondere der Einzelzwangsvollstreckung in das Rechtssystem einzuordnen. Hierfür könnte weiter sprechen, daß mit der Eröffnung des Insolvenzverfah32 Vgl. zu der Abgrenzung des Privatrechts vom öffentlichen Recht statt aller Kissel, § 13 Rn. 9 ff.; Larenz/Wolf, AT, § 1 Rn. 18 ff. 33 Häsemeyer, Inso1venzrecht, Rn. 1.05. 34 Zu der Frage, wann ein Über- und Unterordnungsverhältnis öffentlich-rechtlich ist vgl. nur Redeker/v.Oenzen, § 40 Rn. 8 m. w. N.; zur Abgrenzung des öffentlichen Rechts vom Privatrecht allgemein vgl. nur Kissel, § 13 Rn. 9 ff; Kopp/ Schenke, § 40 Rn. 6 ff.; Maurer, § 3 Rn. 12 ff.; Redeker/v.Oertzen, § 40 Rn. 6 ff.; ohne Auswirkung auf diese Einschätzung bleibt die seit jeher gestellte Frage, ob das Insolvenzrecht der streitigen oder der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzuordnen ist, vgl. dazu Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 3.05 m. w. N.
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rens dieses Verfahren an die Stelle der Zwangsvollstreckung (§§ 89, 90 InsO) tritt; so wird das Insolvenzverfahren auch als besondere Form der Vollstreckung beschrieben35 . Weiter ist im Insolvenzrecht gemäß § 4 InsO die Zivilprozeßordnung entsprechend anwendbar, falls die InsO nichts anderes bestimmt; schließlich entspricht das zur Insolvenzmasse gehörende Schuldnerische Vermögen weitgehend dem Vermögen, das auch dem Zwangsvollstreckungszugriff unterliegen würde (§§ 35 f. InsO). Mit einer solchen Parallelwertung von Insolvenzverfahren und Einzelvollstreckung wäre für die rechtssystematische Einordnung sicherer Boden gewonnen. Die Einordnung des Zivilprozeßrechts im allgemeinen und des Zwangsvollstrekkungsrechts im besonderen erscheint nämlich inzwischen geklärt. Zwar findet sich in der Literatur die Auffassung, daß die Normen der ZPO nicht dem öffentlichen Recht zuzuordnen seien; vielmehr stellten sie eine Mischform zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht dar. Dies ergebe sich daraus, daß das Prozeßrecht zwar eine Betätigung staatlicher Hoheitsgewalt darstelle, aber die Tätigkeit staatlicher Organe nicht um des Staates willen, sondern wegen der Prozeßparteien erfolge; diese aber begegneten sich auf der Ebene der Gleichordnung36 . Weiter hat Renekel in seiner Monographie "Prozeßrecht und materielles Recht" die Zuordnung der Vorschriften des Vollstreckungsschutzes zum öffentlichen Recht bzw. Privatrecht untersuche 7 . Er ordnet danach den Vollstreckungsschutz als privatrechtlich ein, weil diesem materiellrechtliche Wertungen zugrunde lägen, die der Abgrenzung subjektiver Privatrechte dienten. Dies gelte allerdings nicht für die öffentlich-rechtlichen absoluten Grenzen der Vollstreckung, die sich aus den gesetzlichen Vorschriften über die Zwangsmittel der Vollstrekkungsorgane ergäben; für diese räumt Renekel ein, daß das Vollstreckungsgericht bei der Ausübung staatlicher Vollstreckungsgewalt öffentlich-rechtlich handele. Entgegen diesen beachtlichen Stimmen aus der Literatur ist jedoch mit der h.M?8 an der Einordnung des gesamten Zwangsvollstreckungsrechts zum öffentlichen Recht festzuhalten. Auch das Bundesverfassungsgericht Bötticher, ZZP 86 (1973), 373, 378. IArenz/Wolf, AT, § 1 Rn. 34 f. 37 in: Prozeßrecht, S. 350 ff.; ähnlich wohl auch Alisch, S. 104 ff. 38 Baur/Stümer, I, Rn. 5.13; Blomeyer, Zivilprozeßrecht § 1 II; Gaul, Rpfleger 1971, 1 ff.; Gerhardt, Grundbegriffe, Rn. 9; Götte, S. 62 f.; Lippross, S. 115 f. ; Rosenberg/Gaul/Schilken, § 1 Ill; Stein/Jonas/Münzberg, § 811 Rn. 1 ff. ; 850 Rn. 1; Vollkommer, Rpfleger 1982, 1 ff.; Weyland, S. 33; Zöller/Stöber, vor § 704 Rn. 1; nicht eindeutig dagegen Jauemig, Zwangsvollstreckungsrecht, der einerseits in § 31 I der Auffassung Benekels folgt und andererseits in § 8 II 1 a und § 18 IV A auf die durch die Zwangsvollstreckung hervorgerufenen öffentlichen Rechtsverhältnisse hinweist. Vgl. auch bereits RG, Urt. v. 28.2.1930- VII 645/29, RGZ 128, 81, 85; RG, Urt. v. 21.1.1938- VII 106/37, RGZ 156, 395, 398. 35
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A. Rechtscharakter insolvenzrechtlicher Vorschriften
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nimmt dies offensichtlich ohne weiteres an, indem es im Zwangsvollstrekkungsrecht unmittelbar am Maßstab der Grundrechte prüft39. Die Zuordnung des Zwangsvollstreckungsrechts zum öffentlichen Recht ergibt sich aus der Eigenschaft des Vollstreckungsrechts als staatliche Einrichtung der Rechtsverwirklichung40, in deren Rahmen die Gerichte in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt handeln. Dieser Einordnung steht nicht entgegen, daß sich der Staat im Zwangsvollstreckungsrecht in das Privatrechtsverhältnis des Schuldners und seines Gläubigers regelnd einschaltet. Zwar wird der Staat nicht zur Verfolgung eigener Interessen tätig, sondern deshalb, weil bei ihm wegen des Selbsthilfeverbots das staatliche Zwangsmonopol liegt. Für das staatliche Handeln ist aber dennoch kennzeichnend, daß er hoheitlich zugunsten des Gläubigers tätig wird und damit die Ebene der Gleichordnung von Gläubiger und Schuldner nicht mehr besteht41 . Diese Argumente gelten nicht nur für die Einzelzwangsvollstreckung, sondern auch für das durch das Insolvenzgericht durchgeführte Insolvenzverfahren. Handelt damit das Insolvenzgericht im Insolvenzverfahren zwar aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften, so kann daraus dennoch nicht der Schluß gezogen werden, daß das gesamte Insolvenzverfahrensrecht zum öffentlichen Recht gehört. Dies deshalb nicht, weil das Insolvenzverfahren nicht allein durch das Insolvenzgericht gestaltet wird, sondern insbesondere auch durch die Gläubiger sowie den Insolvenzverwalter. Die Gläubiger und deren Organe handeln im Insolvenzverfahren privatrechtlich42; daher wird das Insolvenzverfahren insoweit zu Recht als in das Privatrecht eingebettet bezeichnet43 . Ihnen obliegen wesentliche Entscheidungen im Rahmen des lnsolvenzverfahrens. Beispielhaft erwähnt werden sollen an dieser Stelle nur die Entscheidung der Gläubiger über die Ziele des Insolvenzverfahrens nach §§ 156 ff. lnsO oder der lnsolvenzplan, der nach §§ 243 ff. InsO der Annahme durch die Gläubiger zwingend bedarf. Das privatrechtliche Handeln der Gläubiger ist zwar durch ein Über- und Unterordnungsverhältnis gegenüber dem von der Vermögensverwertung betroffenen Schuldner gekennzeichnet. Dies ändert aber nichts an dem privatrechtlichen Charakter der durch die Gläubiger - und ihre Organe - vorge39 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 27.9.1978 - 1 BvR 361178, BVerfGE 49, 220, 225; BVerfG, Beschl. v. 3.10.1979 - 1 BvR 614179, BVerfGE 52, 214, 219. 40 Ebenso Lippross, S. 115. 41 Ebenso Weyland, S. 33. 42 Allgemeine Begrundung RegE, BT-Drucks. 12/2443 S. 78; Henckel, KTS 1989, 477, 482 ff. ; Kühler, in: Kübler, Neuordnung der Insolvenzordnung, 61; so auch schon Berges, KTS 1957, 49, 50 f. zur KO; vgl. auch Heg11Ulnns, S. 4 ff. mit umfangreichen Nachweisen aus der Literatur zur Selbstverwaltung der Gläubiger im Konkursrecht 43 Kühler, in: Kübler, Neuordnung des Privatrechts, 61.
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nommenen Verfahrenshandlungen. Privatrechtliche Vorschriften können durchaus zu einem Über- und Unterordnungsverhältnis der Beteiligten führen, auch wenn dies nicht dem Leitbild des Privatrechts als dem Recht der in freier Selbstbestimmung und Privatautonomie Handelnden entspricht44. Weiter spielt im Rahmen des Insolvenzverfahrens der Insolvenzverwalter -und im Insolvenzeröffnungsverfahren u. U. auch der vorläufige Insolvenzverwalter gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 22 InsO - eine entscheidende Rolle. Überwiegend wird angenommen, daß auch der Insolvenzverwalter privatrechtlich handelt45 . Damit handeln Insolvenzgericht und Private im Rahmen des lnsolvenzverfahrensrechts Hand in Hand. Diese spezifisch insolvenzrechtliche und weitgehend einzigartige Regelung46 verbietet - anders als das Zwangsvollstreckungsrecht - eine uneingeschränkte Zuordnung des Insolvenzverfahrensrechts zum öffentlichen Recht. Das Zwangsvollstreckungsverfahren stellt ein rein staatliches Verfahren dar, während das Insolvenzrecht durch die Einschaltung Privater in den Entscheidungsprozeß sein spezifisches Gepräge erhält47 . Das Insolvenzrecht sollte daher trotz der Bezeichnung als Gesamtvollstreckung nicht in allzu große Nähe zur Einzelzwangsvollstrekkung gerückt werden. Vielmehr verlangen seine Eigenheiten und die Besonderheiten seiner Ausgestaltung, die durch das Zusammenwirken staatlicher und privater Organe geprägt wird, für die rechtssystematische Einordnung eine eigenständige Wertung48. Aus diesem spezifischen Konzept des Insolvenzrechts folgt zugleich, daß sich die auf den ersten Blick naheliegende Zweiteilung derart, daß das materielle Recht dem Privatrecht und das Verfahrensrecht dem öffentlichen 44 Henckel, KTS 1989, 477, 483 ff.; Larenz/Wolf, AT, § 1 Rn. 21 f.; vgl. beispielhaft nur Lieb, AcP 178 (1978), 196 ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 62 m. w. N. zu den Fragen, die Ungleichgewichtslagen im Privatrecht aufwerfen. 45 Dies wird offensichtlich weitgehend vorausgesetzt, vgl. nur Bork, Einführung, Rn. 55; Holzer, Rn. 512; Lüke, S. 51; a.A.lediglichAdam, S. 135 ff., nach dem der Konkursverwalter einen beliehenen Unternehmer darstellt; ähnlich wohl auch Redeker!v.Oertzen, § 40 Rn. 43; Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme, § 3 Rn. 81 m.w.N. 46 Larenz/Wolf, AT, § 1 Rn. 31 f. führen weitere privatrechtliche Gesetze an, die zugleich öffentlich-rechtliche Regelungen enthalten. 47 Hierauf wies bereits frühzeitig Berges, KTS 1960, 1 hin. 48 Auf die Unterschiede beider Verfahren weist bereits Berges, KTS 1960, I ausdrücklich hin; gegen eine Verknüpfung ebenfalls Bötticher, ZZP 86 (1973), 373, 381; Gerhardt, Festschrift für Weber, 181, 182; zu der unterschiedlichen Beteiligung der Gläubiger in beiden Verfahren Hegmanns, S. 9 ff. ; die Gemeinsamkeiten beider Verfahrensarten - so z. B. § 36 InsO als Nachfolger von § 3 KO - hebt gleichwohl schon Jaeger/Lent, K08 , Einleitung 111, S. LI hervor.
B. Ebenen der verfassungsrechtlichen Prüfung
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Recht zuzuordnen ist, verbietet. Vielmehr sind in der InsO Normen beider Rechtsgebiete in besonderer Weise verwoben49 • Zum einen enthält sie die privatrechtliehen Vorschriften des materiellen Insolvenzrechts; diese sind verknüpft mit verfahrensrechtlichen Vorschriften, welche ihrerseits teils öffentlich-rechtlicher, teils privatrechtlicher Natur sind. Aus dieser mehrfachen Verwobenheit von Vorschriften unterschiedlicher Rechtsnatur folgt, daß keine allgemeingültige Zuweisung der insolvenzrechtlichen Vorschriften zu einem der Rechtsgebiete erfolgen kann. Sie muß vielmehr im Einzelfall im Rahmen der jeweiligen Regelungszusammenhänge ermittelt werden. B. Ebenen der verfassungsrechtlichen Prüfung Erweist es sich daher für die verfassungsrechtliche Untersuchung des Insolvenzrechts als geboten, die Wirkungsintensität der Grundrechte sowohl im öffentlichen Recht als auch im Privatrecht darzustellen, so ist als Vorfrage weiter zu betrachten, welche Rolle den Grundrechten bei einer verfassungsrechtlichen Prüfung zukommt. Es fällt auf, daß sich die bisher vorliegenden Untersuchungen der Auswirkung verfassungsrechtlicher Wertungen auf das Insolvenzrecht weitgehend mit der Feststellung der Verfassungsmäßigkeit bzw. Verfassungswidrigkeit insolvenzrechtlicher Normen begnügen50. Eine Untersuchung der InsO im Lichte des Verfassungsrechts - und insbesondere der Grundrechte - kann jedoch nur auf den ersten Blick das alleinige Ziel haben, einzelne Normen der InsO auf deren Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Eine solche Untersuchung würde zu kurz greifen. Sie ließe die Einwirkung des Verfassungsrechts auf die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich bedenkenfreier Vorschriften außer Betracht. Deshalb ist eine zweistufige Prüfung geboten. I. Verfassungsmäßigkeit der Norm
Das erste Ziel der Untersuchung ist- wie die bisher vorliegenden Untersuchungen betonen - die Feststellung der Verfassungsmäßigkeit der Normen der InsO. Dabei ist zu berücksichtigen, daß dann, wenn bei einer Norm des einfachen Rechts Bedenken bezüglich der Verfassungsmäßigkeit bestehen, diese nicht zwingend zur Verfassungswidrigkeit der Norm führen. Zum einen dürfen Normen nicht für nichtig erklärt werden, wenn die Ver49 Auf die Existenz von Mischformen zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Nonnen weisen Larenz/Wolf, AT, § 1 Rn. 33 ff. ausdrücklich hin. 50 Vgl. nur Baum, KTS 1989, 553, 563 ff.; Christmann, DGVZ 1992, 177 ff.; Quack, Rpfleger 1975, 185 ff.; Seuffert, ZIP 1986, 1157 ff.; anders Landgrebe, Rpfleger 1984, 7 ff.; Pohlmann, Rn. 20 ff.
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fassungswidrigkeit nicht offensichtlich ist, sondern nur Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit bestehen51 . Zum anderen führt das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung aus, daß eine verfassungskonforme Auslegung der Erklärung einer Norm für verfassungswidrig vorgeht52. Dieses Auslegungsprinzip ist auch in der Literatur im Grundsatz unbestritten53. Allgemein ist bei der verfassungskonformen Auslegung folgendermaßen vorzugehen: Zunächst wird die Norm des einfachen Rechts - hier der InsO - nach den herkömmlichen anerkannten Methoden ausgelegt. Es wird also die Aussage der Norm ermittelt nach Maßgabe des Wortlauts, der Entstehungsgeschichte, der gesetzgebensehen Intention. Gibt es danach mehrere Möglichkeiten der Deutung, von denen zumindest eine verfassungsgemäß ist, so gilt die Norm in dieser Auslegung. Dabei ist aber zu beachten, daß das Verfassungsrecht nicht für jede Auslegung einfachen Rechts zwingend heranzuziehen ist. Das Verfassungsrecht tritt vielmehr dann auf den Plan, wenn eine Auslegung des einfachen Rechts die Tragweite und Bedeutung eines Grundrechts verkannt hat. Daher führt eine objektiv fehlerhafte Auslegung einfachen Rechts erst dann zu einer Verletzung von Verfassungsrecht, wenn der Fehler gerade in der Nichtbeachtung verfassungsrechtlicher Postulate liegt. Dann gibt das Verfassungsrecht die richtige Auslegung vor54. Die Pflicht zur verfassungskonformen Auslegung ergibt sich aus dem Respekt vor dem Willen des Gesetzgebers. Dieser ist aufrechtzuerhalten, soweit es die Verfassung zuläßt. Ihre Grenze findet die verfassungskonforme Auslegung daher erst, wenn die ermittelte verfassungskonforme Auslegung der Norm dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers zuwider läuft. In einem solchen Fall führt kein Weg an der Feststellung vorbei, daß diese Norm verfassungswidrig ist. Jedoch sind an die Bedeutung des gesetzgeberischen Willens keine zu hohen Anforderungen zu stellen; ein bloßes 51 BVerfG, Beschl. v. 4.2.1959- 1 BvR 197/53, BVerfGE 9, 167, 174; BVerfG, Beschl. v. 21.3.1961 - 1 BvL 3, 18, 99/58, BVerfGE 12, 281, 296. 52 Vgl. etwa aus letzter Zeit BVerfG, Beschl. v. 25.3.I992 - I BvR 298/86, BVerfGE 86, 28, 45; BVerfG, Beschl. v. 3.6.I992 - 2 BvR I041/88, 78/89, BVerfGE 86, 288, 320; BVerfG, Beschl. v. 30.3.I993 - I BvR I045/89, 1381/90 und 1 BvL Il/90, BVerfGE 88, 145, I66; BVerfG, Beschl. v. 24.5.1995 - 2 BvF 11 92, BVerfGE 93, 37, 8I; BVerfG, Beschl. v. I5.10.1996 - I BvL 44, 48/92, BVerfGE 95, 64, 93. 53 Vgl. nur Hesse, Grundzüge, Rn. 79 rn.w.N., Steiner, Festschrift für Leisner, 569, 572 ff.; Zippelius, Festgabe BVerfG, I08 ff. 54 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 15.6.I983 - 1 BvR I025/79, BVerfGE 64, 229, 24I f.; BVerfG, Urt. v. 24.4.I985 - 2 BvF 2, 3, 4/83 und 2/84, BVerfGE 69, I, 55; BVerfG, Karnrnerbeschl. v. 25.7.1988- 1 BvR 109/85, NJW 1988, 3009 jeweils rn.w.N.
B. Ebenen der verfassungsrechtlichen Prüfung
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Abweichen der verfassungskonformen Auslegung von der Auslegung, die dem subjektiven Willen des Gesetzgebers am ehesten entsprochen hätte, genügt nicht für eine Ablehnung der verfassungskonformen Auslegung55 . II. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Auslegung durch den Norrnanwender
Mit der Feststellung der Verfassungsmäßigkeit insolvenzrechtlicher Normen ist jedoch die verfassungsrechtliche Problematik des Insolvenzrechts noch nicht erschöpft. Weiter muß die auf die verfassungsgemäße Norm gestützte Maßnahme oder - allgemeiner - Vorgehensweise ihrerseits verfassungsgemäß sein. Dies ergibt sich aus der gemäß Art. 1 Abs. 3 GG vorgesehenen Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt. Handelt die Staatsmacht, also im Insolvenzrecht das lnsolvenzgericht, ergibt sich der Geltungsanspruch des Verfassungsrechts aus Art. 1 Abs. 3 GG. Die Grundrechtsbindung der staatlichen Gewalt erstreckt sich dabei zum einen auf die Verfahrensgrundrechte, zum anderen aber auf die materiellen Grundrechte56. Die Grundrechtsbindung der staatlichen Gewalt bei der Rechtsanwendung kommt insbesondere zum Tragen, wenn eine Norm ihrem Anwender Spielräume eröffnet. Dies ist namentlich bei Generalklauseln, unbestimmten Rechtsbegriffen sowie Ermessensvorschriften der Fall. So besteht in der Regel gerade wegen ihrer inhaltlichen Offenheit kein Zweifel daran, daß Generalklauseln, unbestimmte Rechtsbegriffe oder Ermessensvorschriften selbst verfassungsgemäß sind. Dem Gesetzgeber ist die Verwendung von Generalklauseln, unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensvorschriften erlaubt. Die verfassungsrechtliche Grenze wird durch das aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG entwickelte Bestimmtheitsgebot gezogen. Danach muß eine Norm nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend begrenzt sein, so daß der Normadressat sein Verhalten danach ausrichten kann. Dem Gesetzgeber ist damit jedoch nicht die Verwendung von auslegungsbedürftigen, aber auslegungsfaltigen Normen versagt. Es ist vielmehr anerkannt, daß Normen offen formuliert sein und Spielräume eröffnen können; insbesondere kann der ausübenden und rechtsprechenden 55 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 17.3.1959- 1 BvL 5/57, BVerfGE 9, 194, 200; BVerfG, Beschl. v. 3.6.1992 - 2 BvR 1041188, 78/89, BVerfGE 86, 288, 320 f.; BVerfG, Beschl. v. 26.4.1994- 1 BvR 1299/89 und 1 BvL 6/90, BVerfGE 90, 263, 275; BVerfG, Beschl. v. 24.5.1995- 2 BvF 1192, BVerfGE 93, 37, 81 m.w. N.; zustimmend Hesse, Grundzüge, Rn. 80; Zippelius, Festgabe BVerfG, 108, 110 ff. ; vgl. auch die Kritik von Hermes, NJW 1990, 1764, 1765 an Entscheidungen, in denen die ermittelte verfassungskonforme Auslegung dem Wortlaut der Norm zuwider läuft. 56 Stern, Staatsrecht III/l, S. 1437 ff., 1472 ff.
3 Lepa
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§ 2 Prüfungsmaßstäbe
Gewalt eine gewisse Entscheidungsfreiheit in der Auslegung von Tatbestandsmerkmalen im Einzelfall oder der Ausübung von Ermessen eingeräumt werden. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, daß der Gesetzgeber nicht für alle Fälle eine Regelung treffen kann und dem Normanwender die Möglichkeit verbleiben muß, auf die unterschiedlichen einzelnen Fälle und Situationen unter Berücksichtigung aller Besonderheiten zu reagieren. Ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip ist daher erst dann gegeben, wenn die äußerste Grenze des dem Normanwender eingeräumten Spielraumes nicht durch den Gesetzgeber gezogen wurde57 • Zur Unterstützung dieser anerkannten Grundsätze werden ferner das Prinzip der Gewaltenteilung, der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sowie der Effektivität des Rechtsschutzes genannt58 . Dem Verfassungsrecht kommt damit auch und gerade bei der Auslegung und Anwendung dieser Normen im Einzelfall eine Bedeutung zu. So fließen die Grundrechte grundsätzlich in die Konkretisierung einfachen Rechts und insbesondere in die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe, Generalklauseln und in die Ermessensausübung ein59• Jedoch wird eine differenzierende Betrachtungsweise angemahnt. Die Intensität der Bindungswirkung an die Grundrechte hängt danach entscheidend von den der Norm zugrundeliegenden Rechtsverhältnissen und damit der Rechtsmaterie ab60. Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu allgemein aus, daß das Grundgesetz mit den Grundrechten verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts enthalte; diese Grundentscheidungen entfalteten sich durch das Medium der einfachrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Rechtsgebiets61 . Dies gilt in dieser Allgemeinheit gleichermaßen für Vorschriften des öffentlichen Rechts62 wie des Privatrechts63 . Diese Einwir57 Vgl. hierzu insgesamt BVerfG, Beschl. v. 12.11.1958-2 BvL 4, 26,40/56, 1, 7/57, BVerfGE 8, 274, 325 ff.; BVerfG, Beschl. v. 10.10.1961 - 2 BvL 1159, BVerfGE 13, 153, 160 f.; so zuletzt BVerfG, Beschl. v. 26.4.1995 - 1 BvL 19/94 und 1 BvR 1454/94, BVerfGE 92, 262, 272 f.; Bleckmann, JZ 1995, 685, 686; Schnapp, in: v. Münch/Kunig4 , Art. 20 Rn. 25 m. w. N.; vgl. auch allgemein zur Bedeutung von Generalklauseln für das Privatrecht Rüfner, Gedächtnisschrift für Martens, 215, 225. 58 BVerfG, Beschl. v. 12.11.1958- 2 BvL 4, 26, 40/56, 1, 7/57, BVerfGE 8, 274, 325 ff.; Schnapp, in: v. Münch/Kunig4 , Art. 20 Rn. 25 m. w. N. 59 Vgl. nur BVerfG, Urt. v. 15.1.1958- 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198, 206; BVerfG, Beschl. v. 9.11.1976 - 2 BvL 1176, BVerfGE 43, 101, 106; BVerfG, Beschl. v. 27.9.1978 - 1 BvR 361178, BVerfGE 49, 220, 226; BVerfG, Beschl. v. 3.10.1979- 1 BvR 614/79, BVerfGE 52, 214, 219 f.; Maurer, § 7 Rn. 23; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1481 ff., 1487. 60 Stern, Staatsrecht III/1, S. 1445, 1481 ff. 61 Grundlegend BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 - 1 BvR 400/51 , BVerfGE 7, 198, 205; vgl. nur aus neuerer Zeit BVerfG, Beschl. v. 19.10.1993- 1 BvR 567, 1044/ 89, BVerfGE 89, 214, 229.
C. Wirkung der Grundrechte im Insolvenzrecht
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kung des Verfassungsrechts auf die Anwendung und Auslegung der Nonnen des einfachen Rechts wird in der Literatur auch als Unterfall der verfassungskonformen Auslegung bezeichnet64 ; andere sprechen von Lückenfüllung im einfachen Recht65 • C. Wirkung der Grundrechte im Insolvenzrecht
Es geht also um eine mehrstufige Prüfung der insolvenzrechtlichen Nonnen. An der ersten Stelle steht die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Norm; erweist sich eine Norm als verfassungsgemäß, dann stellt sich die Frage, ob die Postulate des Verfassungsrechts - insbesondere die Grundrechte - in ihre Auslegung hineinwirken. Alle Prüfungen müssen ihren Ausgang nehmen von der bis heute entwickelten Grundrechtsdogmatik; diese hat verschiedene Grundrechtsfunktionen herausgearbeitet, an die sich eine unterschiedliche Stringenz der Grundrechtsgeltung knüpft66. Dabei zeigt sich, daß für die Prüfung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften weitgehende Einigkeit in Literatur und Schrifttum herrscht. Man geht mit Selbstverständlichkeit davon aus, daß diese Vorschriften und ihre Anwendung den grundrechtliehen Postulaten entsprechen müssen. Die Diskussion kreist im Schwerpunkt vielmehr um die Besonderheiten, die sich aus der Rechtsmaterie des Privatrechts für die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers und Nonnanwenders ergeben; denn das Privatrecht beruht auf dem Recht der Selbstbestimmung und Privatautonomie67 •
62 Maurer, § 7 Rn. 23; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1445; so auch Bleckmann, JZ 1995, 685, 687, der darauf hinweist, daß damit nach überwiegender Ansicht aber nicht grundrechtstangierende Gesetze immer dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechend derart interpretiert werden dürften, daß sie die geringste denkbare Grundrechtsbeschränkung bewirkten, weil auf der anderen Seite immer die hinter der Norm stehenden öffentlichen Interessen zu berücksichtigen seien. 63 Vgl. § 2 Fn. 61; ebenso auch Stern, Staatsrecht III/1, S. 1445. 64 Dreier, Dimensionen, S. 43 ("verfassungskonforme Lückenfüllung"); Krause, JZ 1984, 656, 659; Larenz, Methodenlehre, S. 339; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. I Rn. 281 ff.; Pieroth/Schlink Rn. 77; Ramm, JZ 1988, 489, 490; Zippelius, Festgabe BVerfG, 108, 110; wohl ebenso auch Stern, Staatsrecht III/1, S. 927 f. 65 Stern, Staatsrecht III/1, S. 928 und S. 951. 66 Aus neuerer Zeit vgl. Jarass, AöR 120 (1995), 345, 347 ff. 67 Vgl. nur Larenz/Wolf, AT, § 1 Rn. 2, 15 f. 3*
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§ 2 Prüfungsmaßstäbe I. Öffentliches Recht
1. Grundrechtsbindung des Gesetzgebers
Bei der Prüfung der öffentlich-rechtlichen Nonnen des Insolvenzrechts ist das Augenmerk zunächst auf die Funktion der Grundrechte als subjektive Abwehrrechte zu richten. Dies ist die primäre Funktion der Grundrechte68. Klassisches Ziel der Grundrechte ist es, die Freiheitssphäre des Bürgers vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu schützen69 . Als subjektive Abwehrrechte kommen die Grundrechte daher dann zum Zuge, wenn ein Grundrechtseingriff durch die staatliche Gewalt erfolgt. Herkömmlich wird ein Grundrechtseingriff dann angenommen, wenn ein hoheitlicher, zielgerichteter und unmittelbarer Rechtsakt mit Zwangs- bzw. Befehlscharakter vorliegt70. Es ist gerade für das öffentliche Recht überwiegend charakteristisch, daß der Staat im Verhältnis der Über- und Unterordnung einseitig auf grundrechtlich geschützte Positionen des einzelnen einwirkt71 . Insoweit sind die Grundrechte in ihrer Funktion als Abwehrrechte angesprochen72. Bei dieser Qualifizierung der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers im öffentlichen Recht ist jedoch nicht stehenzubleiben. Neben diesem offensichtlichsten, geläufigsten und wohl praktisch bedeutsamsten Einwand gegen die Verfassungsmäßigkeit einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift ist zu beachten, daß öffentlich-rechtliche Vorschriften auch anderen Wirkungsdimensionen der Grundrechte ausgesetzt sein können. Eine Gemeinsamkeit dieser weiteren Grundrechtsdimensionen liegt darin, daß sie zu einer weniger stringenten Wirkung der Grundrechte für den öffentlich-rechtlichen Gesetzgeber als die grundrechtliche Abwehrfunktion führen. So hat der Gesetzgeber die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen zu beachten73 . Das Bundesverfassungsgericht führt in ständiger Recht68 BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 - 1 BvR 400/51 - BVerfGE 7, 198, 204; a.A. Albers, DVBI. 1996, 233, 242, die alle Dimensionen der Grundrechte als gleichberechtigt ansieht und den Vorrang der Grundrechtswirkung als subjektives Abwehrrecht ablehnt. 69 BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 - 1 BvR 400/51 - BVerfGE 7, 198, 204; BVerfG, Urt. v. 1.3.1979- 1 BvR 532, 533177, 419178 und 1 BvL 21178, BVerfGE 50, 290, 336 f.; BVerfG, Beschl. v. 31.10.1984- 1 BvR 35, 356, 794/82, BVerfGE 68, 193, 205 m. w. N.; Hesse, Grundzüge, Rn. 287; Jarass, AöR 120 (1995), 345, 347. 70 Zu dieser klassischen Definition des Grundrechtseingriffs und den aktuellen Ausweitungstendenzen vgl. Albers, DVBL 1996, 233, 234 ff.; lsensee, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR V,§ 111 Rn. 58 ff.; Sachs, JuS 1995, 303 ff. 71 Kissel, § 13 Rn. 11 ff.; Kopp/Schenke, § 40 Rn. 11 m. w.N. 72 Pietzcker, Festschrift für Dürig, 345, 354, bezeichnet diese Qualifizierung sowohl für Eingriffe beinhaltende Gesetze als auch für zu Eingriffen ermächtigende Gesetze des öffentlichen Rechts als unstreitig.
C. Wirkung der Grundrechte im Insolvenzrecht
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sprechung aus, daß die grundrechtliehen Verbürgungen nicht lediglich subjektive Abwehrrechte des einzelnen gegen die öffentliche Gewalt gewährten, sondern sie stellten zugleich objektivrechtliche Wertentscheidungen der Verfassung dar, die für alle Bereiche der Rechtsordnung gälten und Richtlinien für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gäben74. Die Grundrechte sind in dieser Wirkungsdimension durch die staatliche Gewalt mehr oder weniger intensiv zu beachten; der staatlichen Gewalt wird dabei ein eigener Verantwortungsspielraum zugestanden. Daher wird ein geringerer Grundrechtsschutz geboten; eine stringente Wirkung wie bei der Wirkung der Grundrechte als subjektive Abwehrrechte ist nicht feststellbar75 . Weiter kann die Verletzung einer dem öffentlich-rechtlichen Gesetzgeber obliegenden Schutzpflicht die Verfassungswidrigkeit einer Norm begründen. Die Schutzpflicht des Staates stellt eine weitere Wirkungsdimension der Grundrechte dar. Danach ist den Grundrechten auch die Verpflichtung des Staates zu entnehmen, die Grundrechtsberechtigten vor Übergriffen Dritter in ihre grundrechtlich geschützten Positionen in Schutz zu nehmen76 . Ausgeprägt wurde die Grundrechtsfunktion der Schutzpflicht des Staates vor allem durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Es entwikkelte diesen Gedanken aus der Funktion der Grundrechte als objektive Wertentscheidungen77 . Sie ist heute allgemein anerkannt78 . Die Schutzpflicht des Staates kommt dann zum Tragen, wenn der Staat das aus den Grundrechten herzuleitende Schutzminimum unterschreitet; insoweit läßt sich die Schutzpflicht des Staates als Untermaßverbot beschrei73 Dazu im einzelnen Jarass, AöR llO (1985), 363, 374 ff. unter Herleitung aus der Entscheidung in BVerfGE 6, 55, 72 ff. 74 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 8. 8. 1978- 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89, 141 f. m.w.N. 75 BVerfG, Urt. v. 18.7.1972- 1 BvL 32/70 und 25/71, BVerfGE 33, 303, 333 ff. ; BVerfG, Beschl. v. 14.1.1981 - 1 BvR 612/72, BVerfGE 56, 54, 80 f.; Jarass, AöR llO (1985), 363, 395 ff.; insoweit kritisch Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 9. 76 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 111 Rn. 3 ff.; Jarass, AöR 120 (1995), 345, 351; Stern, Staatsrecht III/1, S. 931. 77 BVerfG, Urt. v. 25.2.1975- 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74, BVerfGE 39, 1, 41; aus neuerer Zeit vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990 - 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242, 254 ff.; BVerfG, Urt. v. 10.1.1995 - 1 BvF 1/90, 1 BvR 342, 348/90, BVerfGE 92, 26, 46; BVerfG, Beschl. v. 27.1.1998 - 1 BvL 15/87, BVerfGE 97, 169, 176; BVerfG, Beschl. v. 15.7.1998- 1 BvR 1554/89, 963, 964/94, BVerfGE 98, 365, 395; zusanunenfassend zur Entwicklung der Schutzpflicht vgl. nur Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 12 f.; Jarass, AöR llO (1985), 363, 378 f.; Klein, DVBl 1994, 489 ff.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 931 ff. ; kritisch zur Herleitung aus der Wertordnung /sensee, in: Isensee/K.irchhof, HdbStR V, § 111 Rn. 80 ff., anders wohl ders. , Festschrift für Kriele, 5, 32. 78 Stern, Staatsrecht III/1, S. 937 ff. m. w. N.
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§ 2 Prüfungsmaßstäbe
ben79 • Die aufgrund der Schutzpflicht bestehende Handlungspflicht des Staates ist durch einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum der staatlichen Organe gekennzeichnet. Allerdings besteht für die Versagung des effektiven Rechtsschutzes ein Rechtfertigungszwang80• Die Schutzpflicht setzt in der Regel nur das Ziel des staatlichen Handelns, weist aber nicht den Weg zu einer bestimmten Art des Schutzes81 . Die Grenze des Gestaltungsermessens ist daher erst dann erreicht, wenn der Staat seiner Schutzpflicht nur durch ein bestimmtes staatliches Handeln genügen kann82. Auch wenn sich der Gedanke der Schutzpflicht des Staates an die drei Staatsfunktionen richtet, ist doch primärer Adressat der Schutzpflicht der Gesetzgeber83 , so auch der öffentlich-rechtliche Gesetzgeber84. Damit können die Grundrechte in ihrer Dimension als Schutzpflicht des Staates dazu führen, daß bestehende öffentlich-rechtliche Vorschriften verfassungswidrig sind, weil es der Gesetzgeber versäumt hat, öffentlich-rechtliche Vorschriften vorzusehen, zu deren Erlaß er verpflichtet ist. Es ist durchaus zu erwarten, daß die Wirkung der Grundrechte als objektive Wertentscheidungen und insbesondere als Schutzpflicht des Staates Bedeutung für die Verfassungsmäßigkeit der öffentlich-rechtlichen Vorschriften der lnsO gewinnen können. Denn hier handelt es sich um eine Materie, die auch durch die Regelung der Rechtspositionen der Privaten untereinander gekennzeichnet ist. Erinnert sei sowohl an die gegenläufigen Interessen von Schuldner und Gläubigem als auch der Gläubiger untereinander. Schließlich ist eine weitere Wirkungsdimension der Grundrechte herauszustellen. So lassen sich aus dem materiellrechtlichen Gehalt der einzelnen Grundrechte auch verfahrensrechtliche Anforderungen für den Gesetzgeber herleiten85 • Tragend für die Annahme einer verfahrensrechtlichen Kompo79 BVerfG, Urt. v. 28.5.1993 - 2 BvF 2/90 und 4, 5/92, BVerfGE 88, 203, 254; Dietlein, ZG 1995, 131, 136 ff.; Jsensee, in: lsensee/Kirchhof, HdbStR V, § 111 Rn. 90 und 165; Klein, DVBl. 1994, 489, 495; vgl. Canaris, AcP 184 (1984), 201, 228, der bemängelte, daß bis dahin kein dem Übermaßverbot entsprechendes Untermaßverbot entwickelt wurde; kritisch hin~egen Hain, DVBI. 1993, 982 ff.; Starck, JZ 1993, 816, 817 gegenüber einem dem Ubermaßverbot entsprechenden Untermaßverbot. 80 BVerfG, Beschl. v. 29.10.1987 - 2 BvR 624, 1080, 2029/83, BVerfGE 77, 170, 214 f.; BVerfG, Beschl. v. 30.11.1988- 1 BvR 1301/84, BVerfGE 79, 174, 202; Jsensee, Sicherheit, S. 37 ff.; ders., in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 111 Rn. 90. 81 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 f.; 420 f. 82 Jsensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 111 Rn. 90. 83 BVerfG, Urt. v. 25.2.1975 - 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74, BVerfGE 39, 1, 51; Hermes, NJW 1989, 1764, 1765; Stern, Staatsrecht III/1 , S. 951. 84 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978 - 2 BvL 8/77; BVerfGE 49, 89, 141 f.; BVerfG, Beschl. v. 20.12.1979 - 1 BvR 385/77, BVerfGE 53, 30, 57 f.; BVerfG, Beschl. v. 14.1.1981 - 1 BvR 612/72, BVerfGE 56, 54, 73.
C. Wirkung der Grundrechte im Insolvenzrecht
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nente der Grundrechte ist der Gedanke, daß der materielle Grundrechtsgehalt durch Defizite in der Verwirklichung nicht entwertet werden darf; nur durch ordnungsgemäße staatliche Verfahren wird dieser umfassend gewährleistet und durchsetzbar86 • Daher wird die verfahrensrechtliche Dimension der Grundrechte als flankierend zu den materiellrechtlichen Grundrechtsgehalten bezeichnet87 . Hervorzuheben ist, daß diese mögliche Wirkung jedes einzelnen Grundrechts losgelöst von den speziellen Verfahrensgrundrechten des GG- Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 101 ff. GG- besteht88 • Gerade für das Insolvenzverfahrensrecht kann der verfahrensrechtliche Aspekt der Grundrechtswirkung Bedeutung gewinnen89. Interessant ist insbesondere, daß sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit der verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte in der Einzelzwangsvollstreckung, namentlich im Zwangsversteigerungsverfahren, wiederholt beschäftigt hat90• Jedoch ist die Problematik der verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte äußerst facettenreich; feststellbar ist eine kaum 85 Vgl. nur BVerfG, Urt. v. 29.5.1973- I BvR 424171 und 325/72, BVerfGE 35, 79, 115 f.; BVerfG, Beschl. v. 8.2.1983 - 1 BvL 20/81, BVerfGE 63, 131, 143; Dreier/Dreier, Vorb. Rn. 66 m. w. N. 86 BVerfG, Urt. v. 29.5.1973 - 1 BvR 424171 und 325172, BVerfGE 35, 79, 115 f.; BVerfG, Beschl. v. 8.2.1983 - 1 BvL 20/81 , BVerfGE 63, 131 , 143; BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 - 1 BvR 1529/84 und 138/87, BVerfGE 84, 59, 72. 87 Aus der Rechtsprechung des BVerfG vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 7.12.1977 1 BvR 734177, BVerfGE 46, 325, 334 f.; BVerfG, Beschl. v. 27.9.1978 - 1 BvR 361178, BVerfGE 49, 220, 225; BVerfG, Beschl. v. 8.2.1983 - 1 BvL 20/81, BVerfGE 63, 131, 143. Bezüglich der Einordnung des verfahrensrechtlichen Aspekts als Teil der einzelnen Grundrechte besteht in der Literatur erhebliche Unsicherheit. In neuerer Zeit wird aber zunehmend darauf hingewiesen, daß mit der verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte keine eigenständige Grundrechtsfunktion vorliege; die verfahrensrechtliche Dimension der Grundrechte habe in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vielmehr Bedeutung bei den unterschiedlichen anerkannten Grundrechtsfunktionen gewonnen, vgl. Dreier, Jura 1994, 505, 511; Jarass, AöR 120 (1995), 345, 353. In diesem Sinne offensichtlich auch Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 49, 228, 235; Denninger, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 113 Rn. 4 ("prozedurale Ergänzung der materiellrechtlichen Position"); Hesse, EuGRZ 1978, 427, 435 f.; Jarass/Pieroth, Vorbem. vor Art. 1 Rn. 13 f. ("Hilfsfunktion"); Ossenbühl DÖV 1981, 1, 5 (organisationsrechtliche und verfahrensrechtliche "Abstützung" der Verwirklichung der Grundrechte); Starck, JuS 1981, 237, 242; so wohl auch Pieroth!Schlink, Rn. 93, 96. A.A. offensichtlich Stern, Staatsrecht III/1, S. 953 ff., der mit seiner Abhandlung unter dem Stichwort der objektiven Grundrechtsgehalte zumindest suggeriert, es handle sich ausnahmslos um eine derart erfolgende Grundrechtswirkung. 88 Darauf weist Stern, Staatsrecht III/1 , S. 961 ausdrücklich hin. 89 Vgl. zur verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte im Insolvenzverfahren bereits Carl, S. 150 ff.; Hegmanns, S. 36 ff. 90 BVerfG, Beschl. v. 7.12.1977 - 1 BvR 734/77, BVerfGE 46, 325, 334 f.; BVerfG, Beschl. v. 27.9.1978 - 1 BvR 361178, BVerfGE 49, 220, 225.
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§ 2 Prüfungsmaßstäbe
überschaubare Menge von Einzelfällen91 . In der Literatur wird daher hervorgehoben, daß für die verfahrensrechtliche Dimension der Grundrechte keine allgemeingültigen Regeln aufstellbar sind92. Es muß deshalb an dieser Stelle genügen, die umfassende Grundrechtswirkung, die mit der verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte verbunden ist, für die Überprüfung der Wirkung der Grundrechte im Insolvenzrecht im Auge zu behalten. 2. Grundrechtsbindung des Normanwenders
Geht es um die Auslegung und Anwendung öffentlichen Rechts durch den Normanwender, insbesondere die Gerichte, so wird in Rechtsprechung und Literatur zumeist ausgeführt, daß die Grundrechte in ihrer Funktion als objektive Wertentscheidungen zu beachten seien93 . Begründet wird dies damit, daß die Grundrechte eine Ausstrahlungswirkung auf alle Rechtsgebiete entfalteten94, also auch auf das öffentliche Recht. Wesentliche Bedeutung erlangt danach die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte als objektive Grundsatzentscheidungen und Wertentscheidungen gerade bei der Auslegung und Anwendung von Normen, die dem öffentlich-rechtlichen Normanwender einen Spielraum bei der Entscheidung im Einzelfall gewähren95. Nimmt man eine Einwirkung der Grundrechte als objektive Wertentscheidungen auf die Auslegung und Anwendung öffentlichen Rechts an, so folgt daraus ein reduzierter Schutz, der lediglich zu einer Kontrolle von Anwendungsfehlem als Überschreitung zugestandener Spielräume führt96. 91 Vgl. nur die Darstellungen bei Bethge, NJW 1982, 1 ff.; Dreier, Jura 1994, 505, 511 f.; Grimm, NVwZ 1985, 865, 867 ff.; Hesse, EuGRZ 1978, 427, 434 ff.; Ossenbühl, Festschrift für Eichenberger, 183, 184 ff. ; ders. , DÖV 1981 , I, 5 f.; Starck, JuS 1981, 237, 242 mit Beispielen zur variierenden Rolle der verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte in allen Rechtsbereichen und im Rahmen der verschiedenen Grundrechtsfunktionen. 92 Bethge, NJW 1982, I f.; Ossenbühl, DÖV 1981, I, 5 f. 93 Vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 10.6.1964- I BvR 37/63, BVerfGE 18, 85, 92; BVerfG, Beschl. v. 27.9.1978 - 1 BvR 361178, BVerfGE 49, 220, 226; BVerfG, Beschl. v. 18.7.1979 - I BvR 650177, BVerfGE 51 , 396 ff.; BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985 - I BvR 233, 341181 , BVerfGE 69, 315, 348 ff.; BVerwG, Urt. v. 3.5.1973 - BVerwG I C 33.72, BVerwGE 42, 133, 134; BVerwG, Urt. v. 7.6.1978BVerwG 7 C 6.78, BVerwGE 56, 56 ff.; Bleckmann, Grundrechte, § 10 Rn. 107; Böhmer, Sondervotum BVerfGE 49, 228, 231 ff.; Pieroth/Schlink, Rn. 76 ff.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 925 f. 94 BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 - I BvR 400/51, BVerfGE 7, 198, 205; Böckenförde, Der Staat 29 (1990), I, 8 f.; Dreier, Dimensionen, S. 43; Jarass, AöR 110 ( 1985), 363 ff. 95 BVerfG, Urt. v. 15.1.1958- I BvR 400/51, BVerfGE 7, 198, 205; BVerfG, Beschl. v. 10. 6. 1964- I BvR 37/63, BVerfGE 18, 85, 92; Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 8 f. m. w.N.
C. Wirkung der Grundrechte im Insolvenzrecht
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Dieses herkömmliche Verständnis der Grundrechtswirkung greift indes m. E. zu kurz. Vielmehr ist ein ebenso vielschichtiges Bild der Grundrechtsbindung für den Anwender öffentlich-rechtlicher Normen festzustellen wie für den Gesetzgeber öffentlichen Rechts selbst. Zutreffend wird darauf hingewiesen, daß bei der Anwendung öffentlichen Rechts die Grundrechte vielfach bereits in ihrer Eigenschaft als Abwehrrechte zum Zuge kommen werden97 • Häufig wird die Anwendung der öffentlich-rechtlichen Norm selbst zu einem Grundrechtseingriff führen, die den Anforderungen des Grundrechts als Abwehrrecht genügen muß98 . Hinzu kommen kann auch erneut die Wirkungsweise der Grundrechte als Schutzpflicht Adressat der Schutzpflicht ist nicht nur der Gesetzgeber selbst, sondern auch der Normanwender99, insbesondere der Richter. Denn auch durch die Anwendung öffentlicher Normen kann Schutz vor Eingriffen Dritter in den Schutzbereich von Grundrechten zu gewähren sein. So ist im Rahmen des Insolvenzverfahrens denkbar, daß vom Insolvenzgericht ein Tätigwerden zum Schutz von Interessen der Beteiligten, insbesondere des Schuldners, verlangt wird. Die Schutzpflicht führt zu einer ebenso offenen Handlungspflicht des Normanwenders wie dessen Pflicht zur Beachtung der Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung öffentlichen Rechts als objektive Wertentscheidungen 100• Schließlich erlangt die verfahrensrechtliche Dimension der Grundrechte auch bei der Auslegung und Anwendung von Normen Bedeutung. Auch der Normanwender - insbesondere der Richter - ist gehalten, im Einzelfall durch grundrechtsfreundliche Handhabung des Verfahrensrechts den Grundrechten zu optimaler Geltung zu verhelfen 101 • Auch diese Wirkungsweise der Grundrechte kann gerade in dem durch das Insolvenzgericht durchgeführten Teil des Insolvenzverfahrens Bedeutung erlangen.
Vgl. § 2 Fn. 75. Jarass, AöR 110 (1985), 363, 378. 98 Zu den Anforderungen an einen Grundrechtseingriff vgl. oben § 2 C.l.1. sowie insbesondere dort die Nachweise Fn. 70. 99 V gl. zu den Adressaten der grundrechtliehen Schutzpflicht Ste m, Staatsrecht III/1, S. 950 ff. 100 Vgl. oben § 2 C.l.l. 101 Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, daß zur umfassenden Grundrechtsverwirklichung auch eine grundrechtsfreundliche Anwendung vorhandener Verfahrensvorschriften erforderlich ist, vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 7.12.1977- 1 BvR 734177, BVerfGE 46, 325, 334 f.; BVerfG, Beschl. v. 27.9.1978- 1 BvR 361178, BVerfGE 49, 220, 225; BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985 - 1 BvR 233, 341181, BVerfGE 69, 315, 355 m. w.N.; Jarass!Pieroth, Vorbem. vor Art. 1 Rn. 13 f.; zur verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte allgemein vgl. oben § 2 C.l.l. 96 97
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§ 2 Prüfungsmaßstäbe
II. Privatrecht
Länger zu verweilen ist bei der Grundrechtsgeltung im privatrechtliehen Teil des Insolvenzrechts, und zwar sowohl bei der Bindung des Gesetzgebers als auch bei der Auslegung und Anwendung der privatrechtliehen Vorschriften der InsO. Das Privatrecht erfaßt das Recht der in Gleichordnung und Selbstbestimmung Handelnden 102; deren Auftreten im Rechtsverkehr führt vielfach zu Kollisionen ihrer gegenläufigen Interessen. Im Privatrecht gelten für die Grundrechtswirkung Besonderheiten. Dabei ist ebenso wie bei der Grundrechtswirkung im öffentlichen Recht zu unterscheiden zwischen der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers und der Wirkung der Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung verfassungsgemäßer insolvenzrechtlicher Vorschriften. Das wird in der Diskussion um die Grundrechtswirkung im Privatrecht nicht immer hinreichend berücksichtigt103 . Daher wird in einzelnen Abhandlungen mit Recht verstärkt auf eine differenzierende Betrachtung hingewirkt 104• Der Ansatzpunkt ist ein anderer, wenn die Grundrechte zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Norm oder bei der Auslegung und Anwendung verfassungsgemäßer Normen herangezogen werden. Dies hat sich bereits in der Darstellung der Grundrechtsbindung im öffentlichen Recht erwiesen. Im Privatrecht muß dieser Unterschied erst recht Beachtung verdienen; man muß sich stets vor Augen führen, daß die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Norm den Gesetzgeber und damit die staatliche Gewalt selbst anspricht, die für die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsordnung verantwortlich ist, während die Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften die Rechtsverhältnisse zwischen Privaten im einzelnen Anwendungsfall betrifft.
Vgl. statt aller Larenz/Wolf, AT, § 1 Rn. 2. Vgl. etwa Hager, Verkehrsschutz, S. 14 ff., 20 ff.; eine Unterscheidung zwischen der Bindung des Privatrechtsgesetzgebers und der Grundrechtsbindung bei der Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Normen lehnt Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 14 ff., 88 ff. seit jeher ab. 104 Darauf weist insbesondere Canaris, AcP 184 (1984), 201, 210 ff. hin; vgl. auch Stern, Staatsrecht III/1, S. 1550, der bedauert, daß eine hinreichende Differenzierung seit jeher nicht erfolgt; eine klare Trennung nehmen u. a. Dreier, Jura 1994, 505, 509 f.; Götz, in: Vierzig Jahre Grundrechte in ihrer Verwirklichung durch die Gerichte, 35, 46 ff., 58 ff.; Jarass/Pieroth, Art. 1 Rn. 27 ff.; Krause, JZ 1984, 656, 659; Lübbe-Wolff, S. 163 ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 44; Stern, Staatsrecht III/1 , S. 1563 ff. vor. Rupp, JZ 2001, 271 , 275, ist der Ansicht, daß die Frage nach der Grundrechtswirkung zwischen Privaten mit der Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte beantwortet werden könne. 102 103
C. Wirkung der Grundrechte im Insolvenzrecht
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1. Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers
Die Frage nach der Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte spielt in der Literatur keine herausragende Bedeutung. Noch 1984 bemerkte Krause, daß keine umfassende Untersuchung zur Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers vorliege 105. Im gleichen Jahr arbeitete Canaris wesentliche Unterschiede zwischen der Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers und der des Anwenders öffentlicher Normen heraus 106. Inzwischen mehren sich Stellungnahmen in der Literatur, die die Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers kontrovers diskutieren. a) Weiter Spielraum Eine bis heute in der Literatur vertretene Ansicht geht davon aus, daß der Privatrechtsgesetzgeber die Grundrechte ausschließlich in ihrer Funktion als objektive Wertentscheidungen zu beachten habe. Danach fließen die Grundrechte als Wertentscheidungen der Verfassung in die Abwägung des Gesetzgebers zur Regelung privater Rechtsverhältnisse ein. Da die Grundrechte in der Funktion als objektive Wertentscheidungen ein weitmaschiges Netz darstellten 107 , habe der Privatrechtsgesetzgeber einen weiten Spielraum bezüglich der Beachtung der Grundrechte 108 • Diese reduzierte Wirkung der Grundrechte ergebe sich aus der Materie des Privatrechts, weil die Normen des Privatrechts die Rechtsverhältnisse der Bürger untereinander regelten. Beherrscht sei das Privatrecht von der Gleichordnung der Bürger in einer freien Gesellschaft; die meist entgegenstehenden Interessen dieser rechtlich gleichgeordneten Rechtssubjekte seien sachgerecht abzuwägen. Die Normen des Privatrechts seien deshalb unter dem Gesichtspunkt der Intensität der Grundrechtseinwirkung nicht mit Normen des öffentlichen Rechts vergleichbar. Jene regelten aufgrund staatlicher Machtentfaltung das Verhältnis der Über- und Unterordnung von Hoheitsträger und Bürger; für öffentlich-rechtliche Normen sei ferner kennzeichnend, daß sie Allgemeininteressen schützten. Normen des Privatrechts enthielten dagegen keine vom Staat ausgehende Freiheitsbedrohung. Mangels einer derartigen staatlichen Machtentfaltung beim Handeln des Privatrechtsgesetzgebers stelle ws JZ 1984, 656, 658. AcP 184 (1984), 201, 210 ff. 107 Vgl. nur Böckenförde, Der Staat 29 (1990), I, 9; Jarass, AöR 110 (1985), 363, 394 ff. 108 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 485; Classen, AöR 122 (1997), 65, 70; Kopp, 2. Festschrift für Wilburg, 141, 149; Rupp, AöR 101 (1976), 161, 167 ff.; Wiedemann, JZ 1990, 695; Zöllner, RDV 1985, 3, 6; offensichtlich auch Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 27 ff.; unentschieden Medicus, AcP 192 (1992), 35, 45 f. 106
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§ 2 Prüfungsmaßstäbe
dessen Rechtssetzung keinen staatlichen Eingriff dar; das Wirken der Grundrechte in ihrer stringentesten Form als subjektive Abwehrrechte könne daher nicht in Betracht kommen 109. Damit sei die Wirkung der Grundrechte jedoch nicht abschließend verneint. Vielmehr besäßen diese für die gesamte Rechtsordnung - daher auch für die Privatrechtsordnung gestaltende Kraft. Daher sei der Privatrechtsgesetzgeber an die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen gebunden. Die Grundrechte stellten nach der anerkannten Ausarbeitung in der Literatur und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts inhaltsbestimmende Elemente in der gesamten Rechtsordnung für die staatliche und damit auch die rechtssetzende Gewalt dar110. Es gehe bei der Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers daher im Kern um die Frage nach der objektivrechtlichen Normenkongruenz. Bei deren Herstellung stehe dem Gesetzgeber wegen der Weitmaschigkeit der Grundrechtswirkungen als objektive Wertentscheidungen ein erheblicher Spielraum zu. Da das Privatrecht durch vielfältige gegenläufige Interessen gekennzeichnet sei, laufe eine derartige gesetzgebensehe Bindung darauf hinaus, die kollidierenden Grundrechte in Ausgleich zu bringen. Hierbei komme besonders der gesetzgebensehe Spielraum zum Tragen 111 • Daher bezeichnen die Vertreter dieser Auffassung die von ihnen vertretene Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen als "mittelbare" 112• Eine andere umfassende Begründung für die nur "mittelbare" Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte hat neuerdings Diederichsen vorgelegt. Danach vermag Art. 1 Abs. 3 GG keine Wirkung für den Privatrechtsgesetzgeber zu begründen. Diederichsen begründet dies mit einer historischen Auslegung des Art. 1 Abs. 3 GG. Dieser habe lediglich die Grundrechte zu für den Gesetzgeber unmittelbar geltendem Recht erklärt, nicht jedoch deren Anwendungsbereich in das Privatrecht hinein erweitem wollen. Überdies hätten die Grundrechte überwiegend lediglich den Charakter von Abwehrrechten und vereinzelt auch von staatlichen Schutzversprechen und damit keine Bedeutung für das Zivilrecht 113 . Losgelöst von der Bindung des Art. 1 Abs. 3 GG nimmt Diederichsen für den Privatrechtsgesetzgeber eine lediglich mittelbare Drittwirkung der Grundrechte an. Diese habe sich aus einer verfassungs- und zivilrichterliehen RechtsfortRupp, AöR 101 (1976), 161, 167 ff., 170 f.; Zöllner, RDV 1985, 3, 6. Vgl. insbesondere BVerfG, Urt. v. 15.1.1958- I BvR 400/58, BVerfGE 7, 198, 204 ff. und die Untersuchung Dürigs aus dem Jahr 1956 in Festschrift für Nawiasky, 157 ff.; zusanunenfassend zur Funktion der Grundrechte als objektive Wertentscheidungen Dreier, Dimensionen, S. 1 ff. lll Kopp, 2. Festschrift für Wilburg, 141, 149; Rupp, AöR 101 (1976), 161, 171. ll 2 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 485; Kopp, 2. Festschrift für Wilburg, 141, 149; Zöllner, RDV 1985, 3, 6. ll3 Diederichsen, Rangverhältnisse, 39, 46 ff.; ders., AcP 198 (1998), 171, 225 f. 109
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bildung ergeben. Ausgangspunkt dieser Bindung ist für ihn das Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 114, nach dem für die Grundrechte im Privatrecht lediglich eine Ausstrahlungswirkung festzustellen ist und der Rechtsgehalt der Grundrechte über das Medium der das einzelne Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften auf die Privatrechtsanwendung einwirkt. Hieraus leitet Diederichsen ab, daß der Privatrechtsgesetzgeber nicht an die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen gebunden sei, weil diese zu einer unmittelbaren Wirkung der Grundrechte für den Privatrechtsgesetzgeber führten. Vielmehr wirke das durch die Grundrechte vermittelte Wertsystem im Privatrecht lediglich als Richtlinie und Impuls sowie vermittelt durch die Normen des Privatrechts 115 . Wollte man dagegen eine unmittelbare Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte annehmen, würden die Grenzen und Unterschiede zwischen dem öffentlichen Recht und dem Privatrecht verwischt. Die Maßstäbe für die Auflösung von kollidierenden Interessen seien in beiden Rechtsgebieten unterschiedlich. Würden privatrechtliche Regelungen unmittelbar an den Grundrechten und insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemessen, dann würde die Einzelfallgerechtigkeit an die Stelle der das Privatrecht beherrschenden Ausgestaltung von abstrakten Regelungen mit logisch klarem Aufbau und scharfer Begriffsbildung und einer durch Generalklauseln ermöglichten Elastizität treten 116• Allerdings erkennt auch Diederichsen an, daß vereinzelt die Regelungen des Privatrechts als Eingriff in die Grundrechte wirkten. Hieraus ließe sich aber nicht die permanente Grundrechtskontrolle des gesamten Privatrechts herleiten 117• Schließlich leiten einige Vertreter des Schrifttums einen weiten Spielraum des Privatrechtsgesetzgebers aus der Wirkung der Grundrechte als Schutzgebote her 118• Danach kommt es bei der Rechtssetzung durch den Privatrechtsgesetzgeber in der Regel nicht zu Grundrechtseingriffen; vielmehr würden grundrechtliche Positionen erst durch das Handeln Privater gegenüber anderen Privaten verletzt. In diesem Fall sei der Privatrechtsgesetzgeber seiner Schutzpflicht nicht nachgekommen, der grundrechtliehen Relevanz der betroffenen Rechtssphäre hinreichend Rechnung zu tragen 119. 114 Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 231 unter Hinweis auf BVerfG, Urt. v. 15.1.1958- 1 BvR 400/51 , BVerfGE 7, 198, 205. 115 Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 231 ff., 234 ff. 116 Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 228 f. 117 Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 212. 11s Vgl. hierzu im einzelnen oben § 2 C.I.l. 119 Ferdinand Kirchhof, S. 522 ff. ; Oldiges, Festschrift für Friauf, 281, 301 f.; so wohl auch Badura, Festschrift für Odersky, 159, 173 ff. ; Bleckmann, DVBI. 1988, 938, 942.
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§ 2 Prüfungsmaßstäbe
b) Enger Spielraum Die Gegenauffassung in der Literatur lehnt bezüglich der Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers einen weiten Spielraum ab. Vielmehr ist der Privatrechtsgesetzgeber nach dieser Auffassung an die Grundrechte als Eingriffsverbote gebunden, so daß diese in ihrer striktesten Form als subjektive Abwehrrechte Anwendung finden; eine verringerte Grundrechtsbindung wird abgelehnt 120• Canaris hat sich in einer Vielzahl von Beiträgen mit der Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte auseinandergesetzt Er kann als der herausragende Verfechter einer Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte als Abwehrrechte bezeichnet werden.
Nach der Auffassung von Canaris verstößt eine nur mittelbare Drittwirkung der Grundrechte für den Privatrechtsgesetzgeber gegen Art. 1 Abs. 3 GG. Aus dessen Wortlaut ergebe sich eindeutig eine Bindung der Gesetzgebung an die Grundrechte und damit auch eine Bindung des Privatrechtsgesetzgebers. Anderes ergebe sich entgegen Diederichsen auch nicht aus der historischen Interpretation. Vielmehr lasse sich eine lediglich mittelbare Bindung des Privatrechtsgesetzgebers nur durch eine teleologische Reduktion erreichen. Dieser stünde entgegen, daß privatrechtliche Normen für den Bürger ebenso wie Normen des öffentlichen Rechts Eingriffscharakter haben könnten. Vielfach sei es nur von einer Entscheidung des Gesetzgebers abhängig, ob er einen Eingriff öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestalte. Eine Unterscheidung zwischen der Setzung von Privatrecht und öffentlichem Recht sei daher nicht angezeigt 121 . Steht danach eine unmittelbare Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte fest, ist nach Canaris weiter zu fragen, in welcher Wirkungsdimension der Privatrechtsgesetzgeber an die Grundrechte gebunden ist. Hier komme in erster Linie eine Bindung an die Grundrechte als Abwehrrechte in Betracht. Gegen eine weite Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte lediglich als objektive Wertentscheidungen spreche, daß die Normen des Privatrechts in vielfacher Weise in grundrechtlich geschützte Positionen der Bürger eingriffen. Insoweit sei kein Unterschied zwischen den Normen des öffentlichen Rechts und des Privatrechts festzustellen. Dem Eingriffscharakter der privatrechtliehen Normen stehe nicht
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12 Canaris AcP 184 (1984), 201, 212 ff.; ders., JZ 1987, 993 f.; ders.; JZ 1988, 494, 495; ders., JuS 1989, 161, 162; Hager, JZ 1994, 373, 374 ff.; Kempen, DZWiR 1994, 499, 502; Lübbe-Wolff, S. 163 ff.; ebenso auch Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 10, 88 ff. So wohl auch Badura, Staatsrecht, C 21; zurückhaltend hingegen ders., Festschrift für Odersky, 159, 173 ff. 121 So zuletzt in: Grundrechte, S. 11 ff.; 16 ff.; vgl. auch JZ 1987, 993 f.; JuS 1989, 161 , 162.
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entgegen, daß der Privatrechtsgesetzgeber eine Abwägung zwischen den kollidierenden Interessen zweier Privater vornehme. Hierbei handle es sich nicht um eine Besonderheit des Privatrechts. Auch im öffentlichen Recht gehe es nicht immer um staatliche Machtentfaltung im Rahmen der Überund Unterordnung und um den Schutz von Allgemeininteressen. Vielmehr träten auch im öffentlichen Recht Konstellationen auf, in denen es um den Schutz von Individualinteressen oder den Ausgleich von Interessenkollisionen gehe. Im öffentlichen Recht bestünde in diesen Fällen dennoch kein Zweifel daran, daß in der Regelung durch den Gesetzgeber ein Eingriff in die Rechtspositionen der Betroffenen liege, der zu einem subjektiven Abwehrrecht führe. Es sei daher nicht ersichtlich, daß die Regelung einer Kollision der Interessen Privater gegen die Annahme eines Eingriffs durch den Gesetzgeber spreche 122. Dem Eingriffscharakter privatrechtlicher Vorschriften steht nach Canaris schließlich auch nicht entgegen, daß Privatrechtsnormen vielfach lediglich grundrechtsprägenden oder -konkretisierenden Charakter hätten. Auch durch grundrechtsprägende und -konkretisierende Privatrechtsnormen könne in Grundrechte eingegriffen werden, nämlich dann, wenn der zulässige Spielraum der Grundrechtskonkretisierung überschritten sei. Um dies festzustellen, sei aber gerade eine Prüfung dieser Normen an den Grundrechten als Abwehrrechten angezeigt. Andernfalls werde der Privatrechtsgesetzgeber weitgehend von seiner Grundrechtsbindung befreit 123 • Keinen Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen durch den Privatrechtsgesetzgeber nimmt Canaris lediglich für das dispositive Vertragsrecht an; in diesem Fall sei eine Regelung losgelöst von den für den Privatrechtsgesetzgeber bindenden Gesetzesvorbehalten möglich, weil diese Regelung auch ohne Rechtsnorm durch die Privaten hätte verabredet werden können 124. In neuerer Zeit weist Canaris ausdrücklich darauf hin, daß diese Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte als Abwehrrechte nicht ausschließlich gelte. Vielmehr stehe daneben die Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an eine aus den Grundrechten herzuleitende Schutzpflicht, die - wie allgemein für die Schutzpflicht anerkannt - am Untermaßverbot zu messen sei. Vielfach lasse sich bei der Setzung von Privatrecht die Erfüllung einer Schutzpflicht und zugleich ein Eingriff feststellen, weil es im Privatrecht vielfach um die Ausgestaltung einer Interessenkollision gehe. Dann sei die privatrechtliche Regelung wegen der Erfüllung der Schutzpflicht am Untermaßverbot zu messen und zugleich wegen des für die andere Seite eintretenden Eingriffs an den Grundrechten als Abwehrrechte125. 122 123 124
Zuletzt in: Grundrechte, S. 12 ff., 19 f. m. w.N. Canaris, Grundrechte, S. 20 f. m.w.N.; ebenso bereits JZ 1987,993, 995. Canaris, AcP 184 (1984), 201, 214 f.
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§ 2 Prüfungsmaßstäbe
Auch Hager und Lübbe- Wolf! halten eine Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte als Abwehrrechte für möglich, ohne dabei weitere Wirkungsweisen der Grundrechte für den Privatrechtsgesetzgeber zu thematisieren. So führt Hager aus, daß es bei der Privatrechtssetzung zu Eingriffen in grundrechtlich geschützte Bereiche des Bürgers komme und diesem daher die Grundrechte als Abwehrrechte zur Seite stünden. Diese verfassungsrechtliche Garantie dürfe nicht aufgeweicht werden. Nehme man eine schwächere Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte an, könne der Gesetzgeber sich seinen Bindungen entziehen, indem er Regelungen privatrechtlich ausgestalte. Schließlich sei eine schwächere Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte auch nicht deshalb anzunehmen, weil im Bereich des Privatrechts kollidierende Interessen zweier Privater auszugleichen seien. Denn auch andere - nicht privatrechtliehe - Rechtsgebiete seien dadurch gekennzeichnet, daß ein Ausgleich zwischen konkurrierenden Grundrechten herzustellen sei 126 • Nach Lübbe-Wolff steht der Annahme eines Eingriffs nicht entgegen, daß die pflichtbegründende Normdurchsetzung erst durch die von der Norm begünstigten Privaten erfolge; die Pflichtbegründung sei dennoch dem normsetzenden Staat zuzurechnen. Ein Widerspruch zur Annahme eines Eingriffs durch die Normsetzung des Privatrechtsgesetzgebers liege schließlich auch nicht darin, daß die Institutsgarantien des Grundgesetzes teilweise erst durch das Privatrecht Gestalt gewännen 127 . Vorsichtiger äußert sich hingegen Stern. Er führt aus, daß sich eine Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte aus vielfältigen Funktionen der Grundrechte ergeben könne. Wegen Art. 1 Abs. 3 GG bleibe der subjektiv-rechtliche Grundrechtscharakter für die Wirkung der Grundrechte im Privatrecht vollständig erhalten; denkbar sei aber in diesem Rahmen die Wirkung der Grundrechte nicht nur als Abwehrrechte, sondern auch als Leistungs- bzw. Gestaltungsrechte, als Gleichheitssätze und als Schutzpflicht des Staates 128• Eine Wirkung der Grundrechte als subjektive Abwehrrechte gegenüber dem Privatrechtsgesetzgeber komme dann in Betracht, wenn der Gesetzgeber in grundrechtlich geschützte Freiheitspositionen eingreife. Dies könne nicht nur bei öffentlich-rechtlichen Normen, sondern auch - wenn wohl auch seltener - bei privatrechtliehen Vorschriften der Fall sein. Gerade bei der Zunahme von privatrechtliehen Regelungen, die ebenso öffentlich-rechtlich geregelt werden könnten, sei die Hervorhebung der Abwehrfunktion der Grundrechte gegenüber der unmittelbar in grundrechtlich 125 Canaris, Grundrechte, S. 13 mit Fn. 15 (unter Hinweis auf AcP 184 (1984), 201, 223 und 228) sowie S. 18. 126 Hager, JZ 1994, 373, 375. 12 7 Lübbe-Wolff, S. 163 f. 128 Stern, Staatsrecht III/1 , S. 1565 ff. sowie S. 1578 ff.
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geschützte Positionen eingreifenden Rechtssetzung durch den Privatrechtsgesetzgeber geboten 129 • Damit sei aber nur ein Teil der Auswirkung des Privatrechts auf grundrechtlich geschützte Rechtspositionen erfaßt. Auch aufgrund der Wirkung der Grundrechte als Leistungs- und Gestaltungsrechte könne sich eine Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers ergeben. Damit bestehe ein subjektives Recht auf Handeln des Gesetzgebers. Im Bereich der Leistungs- und Gestaltungsfunktion der Grundrechte sei jedoch zu beachten, daß dem Gesetzgeber ein weiter Entscheidungsspielraum zustehe 130. Als Beispiel für die Gestaltungsfunktion der Grundrechte hebt Stern neben Art. 6 GG und Art. 9 Abs. 3 GG auch den Art. 14 GG hervor, der den Gesetzgeber verpflichte, eine privatrechtliche Eigentumsordnung zu schaffen, die allen betroffenen Interessen - die des einzelnen sowie die der Allgemeinheit - angemessen berücksichtige. Die zu schaffende privatrechtliche Eigentumsordnung dürfe den elementaren Bestand grundrechtlich geschützter Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich dabei nicht aufheben 131 . Ferner nennt Stern die Bedeutung der Gleichheitssätze aus Art. 3 GG für den Privatrechtsgesetzgeber; auch diese führten zu einer Bindung des Privatrechtsgesetzgebers 132 • Für alle verbleibenden Fälle nimmt Stern offensichtlich eine Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte als Schutzpflicht des Staates an. Die Handlungspflicht des Staates sei dann bei der Ausgestaltung einer typischerweise aus kollidierenden grundrechtlich geschützten Positionen bestehenden Rechtsordnung - den Grundsätzen der Schutzpflicht entsprechend - offen gefaßt, so daß ein weiter Gestaltungsspielraum bestehe 133 . Nach Stern äußerte sich Götz ähnlich. Er räumt ein, daß - wie von Stern herausgestellt - die Grundrechte auch im Privatrecht als Abwehrrechte gelten könnten. Dies sei dann der Fall, wenn die Privatrechtsgesetzgebung Lasten, Pflichten und Duldungen auferlege; erst recht wenn eine derartige Verpflichtung im öffentlichen Interesse erfolge. Dies sei aber die Ausnahme in der Privatrechtsgesetzgebung. In der Regel erfolgten privatrechtliche Re129 Stern, Staatsrecht III/1, S. 1567, beruft sich insbesondere auf die Untersuchung von Krause, JZ 1984, 656, 657 ff., dessen Verdienst es ist, die vielfliltigen Grundrechtseingriffe des Staates durch privatrechtliche Regelungen nachgewiesen zu haben. 130 Stern, Staatsrecht III/1, S. 1568 f. 131 Dies leitet Stern aus der Naßauskiesungsentscheidung, BVerfG, Beschl. v. 15.7.1981- 1 BvL 77178, BVerfGE 58, 300, 335 her. 132 Stern, Staatsrecht III/1, S. 1569. 133 So Stern, Staatsrecht III/1, S. 1578 ff.; mißverständlich hingegen Stern, Staatsrecht III/1, S. 1570, der danach die Grundrechtsdimension der Schutzpflicht des Staates als Bindung des Privatrechtsgesetzgebers offensichtlich ablehnt, weil die Schutzpflicht des Staates nur eine Rolle bei der Frage der Einwirkung der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften spiele.
4 I..epa
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§ 2 Prüfungsmaßstäbe
gelungen zur Abstimmung privater Rechte im Rahmen einer angemessenen Interessenabwägung. Hierbei werde dem Privatrechtsgesetzgeber ein weiter Spielraum für die Abwägung kollidierender grundrechtlich geschützter Interessen eingeräumt 134 . Auch Pietzcker hält eine differenzierende Betrachtung für angezeigt. Er weist darauf hin, daß es im Privatrecht ebenso wie im öffentlichen Recht zu Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen kommen könne. Unschädlich für diese Qualifizierung sei, daß ein derartiger Eingriff erst privates Handeln erfordere, stehe doch nur die staatliche Norm und nicht das private Handeln auf dem grundrechtliehen Prüfstand. Es könne insoweit kein Unterschied zur Rechtssetzung im öffentlichen Recht festgestellt werden. Daß die Normen des Privatrechts ebenso Verbote mit Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen aufwiesen, werde lediglich häufig durch die Unbestimmtheit privatrechtlicher Normen verdeckt; einen Eingriff enthielten danach auch z.B. die §§ 12, 1004, 823 Abs. 1, 826 BGB 135 • Neben dieser Anerkennung des Eingriffscharakters von privatrechtliehen Normen dürften jedoch nicht die Augen davor verschlossen werden, daß verschiedene Normen des Privatrechts auch auf die Funktion der Grundrechte als Leistungsrechte gegen den Staat zurückzuführen seien. In diesen Fällen komme die Prüfung der betroffenen Norm an den Grundrechten als Abwehrrechten - und die damit verbundene strikte Wirkung der Grundrechte - nicht in Betracht 136• Kämen die Grundrechte trotz des weithin angenommenen Eingriffs durch den Privatrechtsgesetzgeber nicht zum Zuge, so könnten sie schließlich dem Gesetzgeber Schutzpflichten auferlegen 137 • Trotz dieser Zuordnung eines Handeins des Privatrechtsgesetzgebers als Eingriff oder Leistung gesteht Pietzcker auch den Überlegungen gegen eine Wirkung der Grundrechte als Abwehrrechte Gewicht zu. So sei das Privatrecht dadurch gekennzeichnet, daß es im Belieben der Privaten stehe, aufgrund der Normen des Privatrechts Verpflichtungen mit Gleichgestellten einzugehen oder eingegangene Verpflichtungen durchzusetzen. Nehme man an, daß auch Normen des Privatrechts Eingriffe in grundrechtlich geschützte Positionen der Privaten darstellen könnten, dann unterstelle man, daß die durch die Grundrechte geschützten Güter und Freiheiten nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch auf horizontaler Ebene zwischen gleichgeordneten Privaten in gleichem Umfang Bedeutung hätten. Diese Prämisse 134 Götz, in: Vierzig Jahre Grundrechte in ihrer Verwirklichung durch die Gerichte, 35, 46 f., meint damit offensichtlich die Wirkung der Grundrechte für den Privatrechtsgesetzgeber als objektive Wertentscheidungen. 135 Pietzcker, Festschrift für Dürig, 345, 350 ff., 354 ff.; zustimmend Dreier, Jura 1994, 505, 510. 136 Pietzcker, Festschrift für Dürig, 345, 353. 137 Pietzcker, Festschrift für Dürig, 345, 356 ff.
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des gleichen Schutzes durch die Grundrechte im Verhältnis zum Staat bzw. zu den Privaten bedürfe aber erst weiterer Klärung. In Zweifel zu ziehen sei eine gleichermaßen stringente Grundrechtswirkung im Verhältnis zwischen Privaten wie im Verhältnis gegenüber dem Staat insbesondere bei den in Art. 7-13 GG geschützten Gütem 138. c) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts läßt sich keine einheitliche Linie bezüglich der Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers feststellen. Daher berufen sich sowohl diejenigen Stimmen in der Literatur, die für eine Wirkung als objektive Wertentscheidungen eintreten, als auch diejenigen, die eine Wirkung als Abwehrrechte annehmen, zur Bestätigung ihrer Auffassung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts139. Einerseits hat das Bundesverfassungsgericht in einer Reihe von Entscheidungen die Grundrechte bei der Frage nach der Verfassungswidrigkeit einer privatrechtliehen Vorschrift in deren Funktion als Abwehrgrundrecht geprüft140, also die Grundrechte als Eingriffsverbote zur Geltung gebracht. Andererseits hat es in zahlreichen Entscheidungen eine Wirkung der Grundrechte für den Privatrechtsgesetzgeber lediglich als objektive Wertentscheidungen angenommen 141 . In diesen Fällen ergab sich für den PrivatrechtsgePietzcker, Festschrift für Dürig, 345, 352. Vgl. einerseits Zöllner, RDV 1985, 3, 6 (Fn. 19); andererseits Hager, JZ 1994, 373, 374 (Fn. I4). 140 Z.B. BVerfG, Beschl. v. 4.5.1971 - 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58, 78; BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 - 1 BvR 532, 533177, 419/78 und 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 320 f., 336 ff., 339 ff., 353 ff.; BVerfG, Beschl. v. 13.5.1986 - 1 BvR I542/84, BVerfGE 72, I55, 170 ff.; BVerfG, Beschl. v. 18.6.1986- 1 BvR 857/85, BVerfGE 72, 122, 138 ff.; BVerfG, Beschl. v. 14.4.1987- 1 BvR 332/86, BVerfGE 75, 201, 217 ff.; BVerfG, Beschl. v. 30.6.1987- l BvR 1187/86, BVerfGE 76, 126, 128 ff.; BVerfG, Beschl. v. 4.11 1987-1 BvR 1611184 und 1669/84, BVerfGE 77, 263, 270; BVerfG, Beschl. v. 8.3.1988- 1 BvL 9/85 und 43/86, BVerfGE 78, 38, 49 ff.; BVerfG, Beschl. v. 3.10.1989 - 1 BvL 78, 79/86, BVerfGE 8I, 1, 8 ff.; BVerfG, Beschl. v. 30.5.1990 - 1 BvL 2/83, 9, 10/84, 3/85, 11, 12, 13/89, 4/90 und 1 BvR 764/86, BVerfGE 82, I26, 145 ff.; BVerfG, Beschl. v. 5.3.1991 -I BvL 83/86 und 24/88, BVerfGE 84, 9, 17 ff.; BVerfG, Beschl. v.7.5.1991 - I BvL 32/ 88, BVerfGE 84, 168, 178 ff.; BVerfG, Beschl. v. 23.9.1992- 1 BvL I5/85 und 36/ 87, BVerfGE 87, 114, 135 ff.; BVerfG, Beschl. v. 16.11.1992 - 1 BvL 17/89, BVerfGE 87, 348, 355 ff.; BVerfG, Beschl. v. 7.3.1995 - 1 BvR 790/91 und 540, 866/92, BVerfGE 92, 158, 176 ff. 141 Z.B. BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 - 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198, 205; BVerfG, Urt. v. 7.8.1962 - 1 BvL 16/60, BVerfGE 14, 263, 277 ff.; BVerfG, Beschl. v. 1.7.1964 - 1 BvR 375/62, BVerfGE 18, 121, 131 f.; BVerfG, Beschl. v. 8.7.1971- 1 BvR 766/66, BVerfGE 31, 275, 286; BVerfG, Beschl. v. 23.4.1974- 1 138 139
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setzgeber ein weiter Spielraum; bei Beachtung der Grundrechte als objektive Wertentscheidungen nahm das Bundesverfassungsgericht eine Abwägung aller betroffenen Interessen vor, um diese in einen gerechten Ausgleich zu bringen 142. Neuerdings nennt das Bundesverfassungsgericht als Grundrechtsfunktion, aus der sich die Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers herleiten läßt, die Schutzpflicht des Gesetzgebers. Danach ist das Privatrecht zwar weitgehend durch die Privatautonomie geprägt. Gerade im Vertragsrecht verpflichteten sich die Vertragsparteien aufgrund ihrer Selbstbestimmung. Wegen dieser Struktur des Privatrechts sei grundsätzlich kein Raum für eine Schutzpflicht des Staates zugunsten grundrechtlicher Positionen eines Privaten. Jedoch sei der Staat verpflichtet, das Privatrecht so zu gestalten, daß die in den Grundrechten verkörperte objektive Ordnung gewahrt werde. Daher komme eine Schutzpflicht des Staates im Vertragsrecht dann zum Zuge, wenn die Selbstbestimmung aufgehoben und die Vertragsparität gestört sei. So habe der Gesetzgeber auch im Privatrecht dann die Pflicht zum Schutz, wenn eine Vertragspartei aufgrund Übergewichts der anderen einer nicht der Privatautonomie entsprechenden Fremdbestimmung ausgesetzt sei. Der Gesetzgeber könne daher verpflichtet sein, Schranken für die Privatautonomie zu veranlassen. Denn Privatautonomie bestehe nur im Rahmen der geltenden Gesetze. Da sie auf dem Prinzip der Selbstbestimmung beruhe, sei Voraussetzung, daß die Bedingungen freier Selbstbestimmung tatsächlich vorlägen. So liegt der Schwerpunkt dieser Rechtsprechung zur Schutzpflicht des Privatrechtsgesetzgebers bislang im Bereich der Berufsfreiheit und insbesondere der Arbeitnehmerschutzvorschriften des Arbeitsrechts 143 .
BvR 6/74 und 2270173, BVerfGE 37, 132, 140 f.; BVerfG, Beschl. v. 11.5.1976- 1 BvR 671170, BVerfGE 42, 143, 148; BVerfG, Urt. v. 14.7.1981 - 1 BvL 28177, 48/ 79, 1 BvR 154179, 170/80, BVerfGE 57, 361, 378 ff.; BVerfG, Beschl. v. 8.1.1985 - I BvR 792, 501183, BVerfGE 68, 36I, 368; BVerfG, Beschl. v. 26.5.I993 - I BvR 208/93, BVerfGE 89, 1, 8; vgl. zur Bindung des Privatrechtsgesetzgebers in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Krause, JZ I984, 656, 660 f. 142 Vgl. beispielhaft BVerfG, Beschl. v. 1.7.I964 - 1 BvR 375/62, BVerfGE 18, 12I, 13I f.; BVerfG, Beschl. v. 8.1.1985- I BvR 792, SOI/83, BVerfGE 68, 36I, 368; BVerfG, Beschl. v. 26.5.I993- I BvR 208/93, BVerfGE 89, I, 8. 143 So BVerfG, Beschl. v. 7.2.I990 - I BvR 26/84, BVerfGE 8I, 242, 254 ff.; BVerfG, Urt. v. 28.1.1992- I BvR 1025/82, I BvL 16/83 und I0/9I, BVerfGE 85, 19I, 212 f.; BVerfG, Beschl. v. 27.1.1998- I BvL IS/87, BVerfGE 97, 169, I76; BVerfG, Beschl. v. 15.7.1998 - l BvR 1554/89, 963, 964/94, BVerfGE 98, 365, 395; allg. zur Schutzpflicht vgl. oben§ 2 C.I.l.
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d) Eigene Auffassung aa) Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte Ausgangspunkt der Überlegungen zur Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte muß die Regelung in Art. 1 Abs. 3 GG sein. Danach ist der Gesetzgeber an die Grundrechte gebunden. Daß diese Regelung auch für den Privatrechtsgesetzgeber Geltung beansprucht, wurde bisher nicht bezweifelt 144. Denn auch diejenigen, die einen weiten Spielraum des Privatrechtsgesetzgebers aus der Wirkung der Grundrechte als objektive Wertentscheidungen herleiten, nehmen eine unmittelbare Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte an. Auch eine derartig weite Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen wird den Anforderungen des Art. 1 Abs. 3 GG gerecht. Dieser Vorschrift ist nicht zu entnehmen, daß sie die staatliche Gewalt auf die stringente Wirkung der Grundrechte als Abwehrrechte festlegen wollte. Das hätte bedeutet, daß sowohl die weithin angenommene Bindung der ausübenden Gewalt an die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen bei der Auslegung und Anwendung öffentlich-rechtlicher Normen in Frage gestellt würde 145 als auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen 146; dies wird indes - so weit ersichtlich - nicht vertreten. Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG ist der Gesetzgeber vielmehr an die Grundrechte in den Funktionen gebunden, die sich aus der Grundrechtsdogmatik ergeben 147. 144 Vgl. nur Stern, Staatsrecht III/1, S. 1565 ff., der diejenigen, die eine Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen annehmen, zwar kritisiert (S. 1594), diese aber gleichwohl nennt, wenn es um die Anerkennung der Bindung der Staatsgewalt und damit auch des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte geht (S. 1565 Fn. 293); ebenso Jarass, AöR 110 (1985), 363, 377 (Fn. 76). Anders sind offensichtlich auch nicht Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235, 240 und Raiser, Grundgesetz und Privatrechtsordnung, B 1, B 19 zu verstehen, wenn diese ausführen, die Privatrechtsordnung mit ihrem Wertsystem sei der Verfassung vorgegeben bzw. von dieser anerkannt. Damit wird lediglich die Eigenständigkeil der Privatrechtsordnung betont, ohne die Anwendbarkeit von Art. 1 Abs. 3 GG für den Privatrechtsgesetzgeber zu verneinen. 145 Vgl. die Nachweise in § 2 Fn. 93. 146 Vgl. die Nachweise in§ 2 Fn. 141. 147 So im Ergebnis Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 2; Ferdinand Kirchhof, S. 523; Kunig, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 1 Rn. 48; Lerche, ZHR 149 (1985), 165, 167 mit Fn. 10; Stern, Staatsrecht III/1 , S. 488; offensichtlich in diesem Sinne bereits Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 III Rn. 99; ebenso wohl auch Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Rn. 133 und 192; vgl. auch Medicus, AcP 192 (1992), 35, 45 f. ausdrücklich ohne abschließende Stellungnahme. Nicht eindeutig sind insoweit die Ausführungen von Stern, Staatsrecht III/1, S. 1566, der den sub-
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Wenn sich in der Literatur die Ansicht findet, daß die Annahme einer Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen gegen Art. 1 Abs. 3 GG verstoße 148 , kann dem nicht gefolgt werden. An dieser Stelle gilt es, Unstimmigkeiten in der Terminologie zu klären, die den Blick für die richtige Fragestellung versperren 149 . Die Wirkung der Grundrechte als objektive Wertentscheidungen stellt eine von der modernen Grundrechtsdogmatik herausgearbeitete und in der Grundrechtspraxis anerkannte Funktion der Grundrechte dar. Kennzeichnend ist für diese Wirkung, daß sie den Adressaten nur objektiv verpflichtet, aber dem Betroffenen kein subjektives Recht verleiht 150. Die Bezeichnung einer derartigen Bindung als lediglich mittelbare führt in die Irre. Das Begriffspaar unmittelbare/mittelbare Grundrechtswirkung ist bei der Frage der Grundrechtswirkung im Privatrecht für die Einwirkung der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung der privatrechtliehen Normen besetzt. Dort meint man mit der mittelbaren Grundrechtswirkung, daß die Grundrechte nur durch vermittelnde Normen des Privatrechts (Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe) Bedeutung erlangen. Hier hingegen steht die Bindung des Gesetzgebers als Teil der Staatsgewalt bei der Ausgestaltung von Rechtsnormen selbst zur Diskussion, nicht jedoch die Auslegung und Anwendung bereits vorhandener Normen für die Rechtsverhältnisse gleichgeordneter Privater 151 • Bezeichnet man die Bindung des Privatrechtsjektivrechtlichen Charakter der Grundrechte im Rahmen von Art. 1 Abs. 3 GG herausstellt. Damit soll aber angesichts der Ausführungen in Staatsrecht III/1, S. 488 nicht ausgeschlossen werden, daß eine Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen den Anforderungen des Art. 1 Abs. 3 GG nicht genügt. So geht Stern, Staatsrecht III/1, S. 1567 davon aus, daß auch die Vertreter der Literatur, die eine Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen annehmen, den Anforderungen des Art. I Abs. 3 GG genügen. 148 So wohl Canaris, JZ 1987, 993; Hager, JZ 1994, 373, 375. 149 Vgl. nur Alexy, Der Staat 29 (1990), 49, 51, der in der Diskussion um die objektive Dimension der Grundrechte einen erheblichen "terminologischen Wirrwarr" beschreibt; ferner Medicus, AcP 192 (1992), 35, 40, der ausführt, daß mangels einheitlicher Terminologie eine Aufdeckung der wirklich bestehenden Meinungsverschiedenheiten über die Wirkung der Grundrechte im Privatrecht und deren Diskussion erschwert wird; ebenso schließlich auch Stern, Staatsrecht Ill/1, S. 1567. 150 Zu den damit entstehenden Problemen Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 14; vgl. auch Stern, Staatsrecht III/1, S. 978 ff. zu den subjektiven Rechten bei objektiven Grundrechtsgehalten. 15 1 Daher auch zumindest mißverständlich Hager, Verkehrsschutz, S. 14 ff., 20 ff., wenn dieser die zur Auslegung und Anwendung des bestehenden Privatrechts geführte Diskussion ("Drittwirkung der Grundrechte") und die dort gewonnenen Kriterien mit der Frage der Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers verquickt; ähnlich auch Singer, JZ 1995, 1133, 1136. Vgl. dazu auch Stern, Staatsrecht 111/1, S. 1565, der ausdrücklich darauf hinweist, daß die Drittwirkungsdiskussion nur die Rechtsbeziehungen von Bürgern betrifft. Zu dieser Trennung auch Lübbe-
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gesetzgebers an die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen als lediglich mittelbar, so suggeriert dies die Vorstellung, daß die Grundrechte für den Privatrechtsgesetzgeber als Adressaten der Grundrechte nicht ohne Einschränkung gelten würden. Für dieses Mißverständnis sind auch diejenigen, die für die Wirkung der Grundrechte als objektive Wertentscheidungen eintreten, verantwortlich; bezeichnen sie doch teilweise selbst die von ihnen vertretene Bindung als nicht unmittelbare Bindung des Gesetzgebers 152 . So ist Rupp als einem der Vertreter einer Bindung an die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen zuzustimmen, wenn er feststellt, daß mit der herkömmlich vertretenen mittelbaren Grundrechtswirkung nur die Auslegung und Anwendung von Privatrecht gemeint und hiermit kein Erkenntnisgewinn für die Bindung des Privatrechtsgesetzgebers selbst verbunden sei 153 . Damit bleibt festzuhalten, daß die Bezeichnung der Grundrechtswirkung als mittelbar oder unmittelbar für das Verständnis des Art. I Abs. 3 GG ohne Aussagegehalt ist. Entscheidend ist vielmehr, daß Art. I Abs. 3 GG die Grundrechte nur in der Funktion anspricht, in der sie im konkreten Anwendungsfall zum Tragen kommen. Damit verbleibt lediglich die Ansicht von Diederichsen, der neuerdings eine - im soeben darstellten Wortsinn - "mittelbare" Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte vertritt. Die von ihm zu diesem Zweck herausgearbeitete historische Auslegung des Art. I Abs. 3 GG, nach der dieser für den Privatrechtsgesetzgeber keine Geltung entfalten soll, vermag nicht zu überzeugen. Diese Regelung erfaßt auch den Privatrechtsgesetzgeber. Canaris hat überzeugend dargelegt, daß aus den Materialien zu Art. 1 Abs. 3 GG keine Anhaltspunkte zur Bindung des Privatrechtsgesetzgebers zu erlangen sind. Überdies gibt es keinen Grund, den Privatrechtsgesetzgeberaus der Grundrechtsbindung des Art. 1 Abs. 3 GG zu entlassen. Handelt der Privatrechtsgesetzgeber, so geht es um staatliches, hoheitliches Handeln gegenüber den Bürgern und nicht um das Verhältnis Privater zueinander. Denn durch die Setzung von Privatrecht schafft der Staat für den einzelnen in der Regel verbindliche Normen für das privatautonome Handeln. Hieran läßt auch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen Zweifel aufkommen. Selbst in dem von Diederichsen im weiteren herangezogenen Lüth-Urteil wird ausgeführt, daß keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift in Widerspruch zu den Grundrechten Woljf, S. 159 ff., die bemerkt, daß die Fragen nach der Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers und die bei Auslegung und Anwendung des Privatrechts zunehmend insgesamt unter dem Stichwort der "mittelbaren Drittwirkung" abgehandelt werden, ebenso auch Heun, S. 56 (Fn. 181). Dies ist nicht förderlich. Es erschwert die Trennung der im Ansatz unterschiedlichen Fragestellungen, vgl. oben § 2 B. 15 2 Vgl. die Nachweise § 2 Fn. 112. 153 Rupp, AöR 101 (1976), 161, 170.
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stehen dürfe 154 • Die Ausführungen zur lediglich mediatisierten Wirkung der Grundrechte im Privatrecht beziehen sich hingegen nur auf die Wirkung der Grundrechte für den Normanwender, um den es in dem Urteil zentral ging 155 . Schließlich ist gegen die Ansicht von Diederichsen einzuwenden, daß eine Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte, vermittelt durch die einfachrechtlichen Normen, schwer zu handhaben sein wird. Bereits Canaris hat Verständnisprobleme geäußert und darauf hingewiesen, daß für eine derartig mediatisierte Bindung des Privatrechtsgesetzgebers zunächst das "Medium" aufzuspüren sei. Hierbei träten praktische Probleme auf156. Die mediatisierte Wirkung der Grundrechte für den Privatrechtsgesetzgeber ist daher allein aus diesem Grund erheblichen Zweifeln ausgesetzt. Sie entstammt der Diskussion um den Einfluß der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung bereits vorhandener Normen 157 • Geht es aber um die Bindung des Gesetzgebers und damit um die Rechtssetzung selbst, so ist Canaris darin zuzustimmen, daß die lediglich mediatisierte Wirkung der Grundrechte einer weiteren Erklärung bedürfe 158 • bb) Intensität der Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers Gilt damit Art. 1 Abs. 3 GG auch für den Privatrechtsgesetzgeber, ist damit nur gesagt, daß eine Grundrechtsbindung besteht. Offen ist aber, in welcher Wirkungsweise und Intensität. Der Privatrechtsgesetzgeber ist an die Grundrechte als Abwehrrechte gebunden, wenn ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts vorliegt. Soweit besteht offensichtlich Einigkeit. Denn diejenigen, die zu einer Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen gelangen, begründen dies damit, daß der Privatrechtsgesetzgeber die Rechtsverhältnisse gleichgeordneter Bürger ausgleichend regele. Dies sei nicht mit der Setzung öffentlichen Rechts zu vergleichen, das durch eine Machtentfaltung des Staates gegenüber dem Bürger gekennzeichnet sei. Damit soll die Annahme eines Grundrechtseingriffs durch den Privatrechtsgesetzgeber offensichtlich von vornherein ausgeschlossen sein. Aber selbst Diederichsen räumt durchaus ein, daß es durch Normen des BVerfG, Urt. v. 15.1.1958- 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198, 205. lsensee, Festschrift für Kriele, 5, 32; so im Ergebnis auch Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 3 Rn. 266 zu Dürig, Festschrift für Nawiasky, 157 ff., auf den sich das Bundesverfassungsgericht im Lüth-Urteil beruft. 156 Canaris, Grundrechte S. 17 f. 157 So auch der Hinweis von Singer, JZ 1995, 1133, 1136. 158 Canaris, GrundrechteS. 18. 154
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Privatrechts zu Grundrechtseingriffen kommen könne. Offensichtlich besteht vor allem Uneinigkeit darin, wann ein Eingriff in grundrechtliche Schutzbereiche durch Handeln des Privatrechtsgesetzgebers vorliegt. Dies ist hier die entscheidende Frage, auf die sich die Diskussion m. E. bisher nicht hinreichend konzentriert hat. Eine allgemeingültige Antwort läßt sich hierauf nicht geben. Vielmehr muß nach dem Inhalt jeder einzelnen Vorschrift des Privatrechts differenziert werden und diese an den für Grundrechtseingriffe herausgearbeiteten Maßstäben gemessen werden. Die Anforderungen an einen Grundrechtseingriff sind im einzelnen streitig und Gegenstand einer im Fluß befindlichen Diskussion 159 . Jedoch sind hier einige allgemeine Bemerkungen angezeigt. Der Privatrechtsgesetzgeber nimmt m. E. nicht selten Grundrechtseingriffe vor. Unter einem Eingriff, der zur Wirkung der Grundrechte als Abwehrgrundrechte führt, versteht man herkömmlich eine staatliche Maßnahme mit Rechtsaktqualität, durch die obrigkeitliche Befehls- bzw. Zwangsgewalt ausgeübt wird. Diese muß Zwangscharakter haben, d. h. mit Sanktionen belegt sein. Schließlich muß das grundrechtliche Schutzgut unmittelbar beeinträchtigt werden und die Einwirkung final erfolgen 160. Dieser klassische Eingriffsbegriff wird zwar zunehmend aufgelockert. So sollen vor allem die Kriterien der Finalität und Unmittelbarkeit des Eingriffs ausgeweitet werden 161 • Erhalten bleibt jedoch das Erfordernis des Anordnungscharakters mit Ge- bzw. Verbotsqualität, der zur Anwendung von Befehls- oder Zwangsgewalt führt 162. Nur vereinzelt wird versucht, auch Beeinträchtigungen mit zwangsgleicher Wirkung - Appelle bzw. Handlungsanreize- einzubeziehen 163 • Ein Anordnungscharakter, der einen Grundrechtseingriff darstellt, ist mit den Normen des Privatrechts durchaus möglich. Hierzu hat Pietzcker überzeugend herausgestellt, daß ein Eingriff durch privatrechtliche Normen nicht schon deshalb abzulehnen ist, weil dieser erst eines Handeins der Bürger bedarf. Weiter ist Canaris darin zuzustimmen, daß ein Anordnungscharakter und deshalb auch ein Eingriff durch Normen des Privatrechts nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil Normen des Privatrechts vielfach grundrechtsprägenden und konkretisierenden Charakter aufweisen 164. 159 Vgl. zu dem Streit um den Eingriffsbegriff etwa Albers, DVBI. 1996, 233, 234 ff.; Bleckmann/Eckhoff, DVBI. 1988, 373 ff. ; lsensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 111 Rn. 59 ff.; Sachs, JuS 1995, 303 ff. 160 Vgl. nur Albers, DVBI. 1996, 233, 234 m. w. N.; lsensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 111 Rn. 61. 161 Albers, DVBJ. 1996, 233, 234 ff.; lsensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 111 Rn. 62 ff. m. w. N. 162 Sachs, JuS 1995, 303, 304. 163 So offensichtlich Oebbecke, DVBI. 1986, 793, 798; Lübbe-Wolff, S. 267 ff. 164 Vgl. Grundrechte, S. 20 f. unter Hinweis auf lsensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V § 111 Rn. 50 f.
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Damit wird vielfach 165 im nichtvertraglichen Bereich des Privatrechts ein Eingriff festzustellen sein 166• Auch das Privatrecht kann dazu genutzt werden, Lasten aufzuerlegen, ohne daß die herausgestellte Beliebigkeil und freie Entscheidung des Privaten, eine Belastung einzugehen, zum Zuge kommt 167 . Wird ohne Mitwirkung des Betroffenen belastend in Rechtspositionen eingegriffen und eine Rechtsfolge angeordnet, so hat auch eine Vorschrift des Privatrechts Anordnungscharakter. Dabei ist nicht entscheidend, ob der Eingriff zugunsten der Allgemeinheit oder zugunsten der Interessen Dritter erfolgt. Insoweit ist - wie von den Vertretern einer engen Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte vielfach herausgestellt - tatsächlich kein Unterschied zwischen einer öffentlich-rechtlichen und einer privatrechtliehen Ausgestaltung einer Norm festzustellen. In beiden Fällen verfolgt der Gesetzgeber Interessen zum Nachteil des einzelnen. Aber auch im vertraglichen Bereich des Privatrechts ist das Auftreten von Grundrechtseingriffen nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Zwar zeichnet sich das Privatrecht ganz überwiegend dadurch aus, daß die Interessenkollisionen gleichgestellter Privater durch Abwägung geregelt werden. Ob eine Vorschrift im Einzelfall Anwendung findet und den Privaten belastet, liegt weitgehend im Belieben des Privaten. Dieser entscheidet durch sein privatautonomes Handeln im Rechtsverkehr, ob die Norm in seine Rechtspositionen einwirken soll 168 • Dieses Element der Beliebigkeit, das für die Regelungen des Privatrechts weitgehend charakteristisch ist, vermag jedoch die Vemeinung eines Eingriffs nicht generell zu rechtfertigen. Denn der Gesetzgeber knüpft an seine Regelungen zur Abwägung von Interessenkollisionen im Privatrecht Rechtsfolgen. Diesen ist der einzelne im Rahmen seines privatautonomen Handeins ausgesetzt, so daß die Annahme eines Grundrechtseingriffs im Einzelfall durchaus denkbar ist. Dem läßt sich nicht entgegenhalten, daß es der einzelne Private in der Hand habe, diese Rechtsfolgen auszulösen oder durchzusetzen. Schließlich bedeutet dies auch nicht, daß damit generell die Grundrechte auch im Verhältnis zwischen Privaten gelten; geht es doch immer um die Feststellung einer staatlichen Anordnungswirkung. Ob der Vollzug von Rechtsfolgen durch Private dem Staat als Eingriff zuzurechnen ist, ist daher im Einzelfall zu 165 Zu weit dagegen Heun, S. 56 f., der offensichtlich dahin tendiert, im nichtvertraglichen Bereich immer einen Eingriff anzunehmen. 166 Zu Beispielen vgl. die Ausführungen von Canaris, Grundrechte, S. 12 f.; vgl. auch die Beispiele von Pietzcker oben § 2 C.II.l.b). 167 Pietzcker, Festschrift für Dürig, 345, 350 f., 354 ff.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1567 m. w.N. 168 Dies hebt Pietzcker, Festschrift für Dürig, 345, 351 f. zu Recht hervor; ähnlich auch BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990 - 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242, 253 f.
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prüfen 169. Damit kann auch im vertraglichen Bereich ein Anordnungsoder zumindest Appellcharakter privatrechtlicher Normen nicht von vomherein abgelehnt werden. Jedenfalls ist aber mit Canaris festzustellen, daß eine Anordnungswirkung dann nicht vorliegt, wenn es sich um dispositives Recht handelt. Denn in diesem Fall sind die Rechtsfolgen des privatautonomen Handeins dem Staat jedenfalls nicht zuzurechnen. Bei alledem darf indes nicht verkannt werden, daß die Grundrechte in ihrer Wirkung als Abwehrrechte im Privatrecht nur eine geringe Rolle spielen. Aus der Natur dieser Materie folgt, daß Eingriffe des Gesetzgebers in Grundrechtspositionen des Bürgers nur vereinzelt auftreten. Um so mehr ist darauf hinzuweisen, daß im Privatrecht170 und insbesondere auch im privatrechtlichen Teil des Insolvenzrechts andere Wirkungsdimensionen der Grundrechte in den Vordergrund treten. Das gilt in erster Linie für die Grundrechte in ihrem Verständnis als Schutzpflichten, weil privatrechtliche Normen zumeist Interessenkollisionen zwischen Privaten zum Gegenstand haben. Ein solcher Interessengegensatz führt nicht selten zu einer Konstellation, in der für den Gesetzgeber die Notwendigkeit entsteht, den einen Grundrechtsträger vor den Übergriffen eines anderen Grundrechtsträgers zu schützen 171 . Dies zeigt auch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 172. Sodann erlangen die Grundrechte in ihrer verfahrensrechtlichen Dimension173 auch im Privatrecht eine erhebliche Bedeutung. Das gilt gerade für das Insolvenzrecht, das auch privatrechtliche Verfahrensvorschriften aufweist174. Dieses Ergebnis mag auf den ersten Blick unbefriedigend sein, weil keine allgemeingültigen Maßstäbe für die Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte zu erlangen sind. Vielmehr ist von Fall zu Fall die Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte nach den all169 Gegen die allgemeine Zurechnung privater Eingriffe zum Staat vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 417; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1551 f.; a.A. offensichtlich Lübbe-Wolff, S. 164, nach der für das Vorliegen eines Eingriffs durch privatrechtliche Vorschriften genügt, daß ein Privater die Rechtsdurchsetzung gegen einen anderen Privaten aufgrund privatrechtlicher Vorschriften betreibt; dies sei dem Staat zuzurechnen. Ähnlich auch Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 14 ff. 170 Vgl. im einzelnen oben § 2 C.II.l.b). 171 Vgl. hierzu im einzelnen oben § 2 C.l.l.; zurückhaltend gegenüber einer Schutzpflicht des Privatrechtsgesetzgebers hingegen Medicus, AcP 192 (1992), 35, 62. 172 Vgl. oben § 2 Fn. 143. 173 Vgl. zur verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte im einzelnen oben § 2 C.I.l. 174 Vgl. im einzelnen oben§ 2 A.III.2.
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gemein anerkannten Beurteilungsgrundsätzen festzustellen. Grundrechtsbindungen können sich aus den vielfaltigen Wirkungsweisen der Grundrechte ergeben. Dies stellt aber keine Besonderheit der Bindung des Privatrechtsgesetzgebers dar, weil auch bei der Setzung öffentlichen Rechts eine differenzierende Wirkungsweise der Grundrechte festzustellen war 175• 2. Grundrechtsbindung des Normanwenders
Handelte es sich bei der Frage nach der Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers um ein bis heute eher selten diskutiertes Problem, so geht es bei der Frage nach der Geltung der Grundrechte bei Auslegung und Anwendung von Normen des Privatrechts um einen "Dauerbrenner" in der Literatur und auch in der Rechtsprechung. Die Frage des Einflusses grundrechtlicher Wertungen auf die Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften wurde unter dem Schlagwort der unmittelbaren bzw. mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte umfassend in den 50er und 60er Jahren diskutiert 176. Sie wurde bisher allgemein im Sinne einer Wirkung der Grundrechte als objektive Wertentscheidungen über Einbruchstellen - insbesondere Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe - im Privatrecht für beantwortet gehalten 177 • Neuerdings ist die Diskussion jedoch wieder in Bewegung. a) Die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen bei "Einbruchstellen" des Privatrechts Die bislang ganz überwiegend vertretene Lehre von der sog. "mittelbaren Drittwirkung" der Grundrechte findet ihren Ausgangspunkt in der Untersuchung Dürigs zur Geltung der Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts aus dem Jahre 1956178 und dem von diesen Ausführungen beeinflußten Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1958 179• Danach können die Grundrechte in ihrer primären Funktion als Abwehrrechte bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts keine Vgl. oben § 2 C.l.l. Vgl. nur die umfangreichen Nachweise bei Stern, Staatsrecht III/1 , S. 1538 ff. 177 So Hager, JZ 1994, 373; Oeter, AöR 119 (1994), 529, 530; Umbach/Schlichting, § 5 I 1 (Rn. 2). 178 Dürig, Festschrift für Nawiasky, S. 157 ff.; vgl. auch Krüger, NJW 1949, 163 ff., dessen Ausführungen schon wesentliche Gedanken für die Untersuchungen Dürigs enthielten. 179 BVerfG, Urt. vom 15.1.1958- I BvR 400/51 - BVerfGE 7, 198, 204 ff.; vgl. auch den Beitrag von Laujke, Festschrift für Heinrich Lehmann, S. 145 ff., der die Gegenposition zu der von Dürig und dem BVerfG vertretenen Auffassung vertrat. 175
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C. Wirkung der Grundrechte im Insolvenzrecht
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Anwendung finden, weil diese nur das Verhältnis zwischen Staat und Bürger beträfen. Damit sei jedoch die Wirkung der Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts nicht schlechthin ausgeschlossen. Vielmehr kämen die Grundrechte in ihrer Funktion als objektive Wertentscheidungen für die gesamte Rechtsordnung zum Tragen. Sie enthielten Richtlinien und Impulse für alle Bereiche des Rechts. Die Grundrechte seien aber bei der Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften nicht uneingeschränkt als objektive Wertentscheidungen zu beachten; schließlich gehe es um die Rechtsverhältnisse von gleichgeordneten Grundrechtsträgem. Diesen räume der Staat mit den Grundrechten gerade Freiheit ihm gegenüber ein, wie sich aus Art. 1 Abs. 3 GG ergebe. So sei das Privatrecht insbesondere durch die grundrechtlich verbürgte Privatautonomie gekennzeichnet, die die Freiheit der Privaten zur Gestaltung der Rechtsverhältnisse gewähre. Daher sei die Eigenständigkeit des Privatrechts zu beachten, das neben den eingeräumten Freiheiten selbst Schutzvorschriften enthalte. Andererseits dürfe aber auch nicht außer acht bleiben, daß das Privatrecht dem Wertsystem des Grundgesetzes genügen müsse. Dabei müsse der Einfluß der Grundrechte auf die Fälle beschränkt werden, in denen die Wertungen des Privatrechts die Einwirkungen der Grundrechte zuließen. Fehlten privatrechtliche Schutznormen, so stünden die wertausfüllungsfahigen und wertausfüllungsbedürftigen Generalklauseln des Privatrechts offen für den Einfluß grundrechtlicher Wertungen. Für den Einfluß grundrechtlieber Wertentscheidungen auf die Auslegung und Anwendung des Privatrechts sei daher als "Medium" bzw. "Einbruchstelle" eine Vorschrift des Privatrechts erforderlich. Trotz dieses Einflusses grundrechtlicher Wertungen auf die Auslegung privatrechtlicher Vorschriften handle es sich weiter um eine privatrechtliche Fragestellung 180• Das Bundesverfassungsgericht geht von dieser als "Ausstrahlungswirkung" oder "Einwirkung" bezeichneten Wirkung der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung des Privatrechts seit dem Lüth-Urteil in ständiger Rechtsprechung aus 181 . Dabei wird diese Einwirkung der Grundrechte 180 So insgesamt BVerfG, Urt. v. 15.1.1958- 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198, 205 ff.; Dürig, Festschrift für Nawiasky, 157, 176 ff. 181 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 26.2.1969 - 1 BvR 619/63, BVerfGE 25, 256, 263; BVerfG, Beschl. v. 24.2.1971 - 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 188; BVerfG, Beschl. v. 8.2.1972 - 1 BvR 170171, BVerfGE 32, 311, 318; BVerfG, Beschl. v. 14.2.1973 - 1 BvR II2/65, BVerfGE 34, 269, 280; BVerfG, Urt. v. 5.6.1973- 1 BvR 536172, BVerfGE 35, 202, 219; BVerfG, Beschl. v. 11.5.1976- I BvR 671170, BVerfGE 42, 143, 148; BVerfG, Beschl. v. 25.7.I979- 2 BvR 878174, BVerfGE 52, 13I, 166; BVerfG, Beschl. v. 25.1.1984- 1 BvR 272/81, BVerfGE 66, 116, 138 f.; BVerfG, Beschl. v. 23.4.1986- 2 BvR 487/80, BVerfGE 73, 261, 269; BVerfG, Beschl. v. 26.5.1993 - 1 BvR 208/93, BVerfGE 89, I, 13; BVerfG, Beschl. v. 9.2.1994- I BvR 1687/92, BVerfGE 90, 27, 33.
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auf bestehende privatrechtliche Vorschriften als schwächer erachtet als die Wirkung des Grundrechts als Abwehrrecht; insbesondere soll bei der Entscheidung über die Intensität der grundrechtliehen Einwirkung auf das Privatrecht die Eigenart der geregelten Rechtsverhältnisse beachtet werden 182 . Diese ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat bislang weitgehend Beifall gefunden 183 • Die Literatur prägte zur Bezeichnung dieser Wirkung der Grundrechte den Begriff der mittelbaren Drittwirkung 184 . b) Schutzpflicht des Staates In der Literatur häufen sich die Stellungnahmen, die die Frage des Einflusses grundrechtlicher Wertungen auf die Auslegung und Anwendung des Privatrechts als Frage der Schutzpflicht des Staates behandelt wissen wollen 185 • Seit den 80er Jahren wurde vor allem durch Canaris verstärkt darauf hingewiesen, daß der Schutzpflicht des Staates auch für die Regelung des Verhältnisses der Privatrechtssubjekte zueinander Bedeutung beizumessen sei. Diese Auffassung konnte sich zunächst nicht an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts orientieren. Das Bundesverfassungsgericht erkannte eine Schutzpflicht des Staates zum Handeln zwar für die Gebiete des Strafrechts und des öffentlichen Rechts an, zur Schutzpflicht BVerfG, Beschluß vom 25.1.1984- 1 BvR 272/81- BVerfGE 66, 116, 135 f. Badura, Staatsrecht, C 21; ders., Festschrift für Odersky, 159, 172 ff.; Diederichsen, Rangverhältnisse, S. 52 ff.; ders., AcP 198 (1998), 171, 230 ff.; Dreier, Dimensionen, S. 43; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. I Rn. 509 ff.; Jarass, AöR 110 (1985), 363, 376; Kopp, 2. Festschrift für Wilburg, 141, 149; Pierothl Schlink, Rn. 181 ff.; Rupp, AöR 101 (1976), 161, 167 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Vorb. v. Art. 1 Rn. 7 f.; Staudinger/Coing, Einl. zum BGB Rn. 192 ff. ; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 7 ff.; so wohl auch Hesse, Grundzüge, Rn. 351 ff., der allerdings auch von der Schutzpflicht des Staates spricht (Rn. 349 ff., 357); im Ergebnis ähnlich Flume, § 1 10 b. Windel, Der Staat 37 (1998), 385 ff., 406 ff. lehnt zwar die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte ab, will aber die Grundrechte als Ergänzung des zivilrechtliehen Argumentationsreservoirs dann heranziehen, wenn das Zivilrecht nicht ohne Rückgriff auf andere Rechtsnormen auskommt; eine Möglichkeit zur Verfassungsbeschwerde soll sich aus dieser Wirkungsweise der Grundrechte nicht ergeben. Gegen die Beliebigkeil der Rechtsfindung bei der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte wendet sich Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 9. Kritisch auch Bleckmann, Grundrechte, § 10 Rn. 106 ff., nach dem die herrschende Lehre und die Rechtsprechung des BVerfG zahlreiche Fragen offen lassen. 184 Bereits angelegt bei Dürig, Festschrift für Nawiasky, 157, 176; statt aller zur Lehre von der mittelbaren Drittwirkung Stern, Staatsrecht III/1, S. 1543 ff., 1552 ff.; kritisch gegenüber dem Begriff der Drittwirkung Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 397 (Fn. 520); gegen die Begriffe der mittelbaren/unmittelbaren Drittwirkung ferner Rüfner, Gedächtnisschrift für Martens, 215, 220 f. 185 Zur Grundrechtsdimension der Schutzpflicht des Staates vgl. oben § 2 C.I.l. 182 183
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des Staates im Privatrecht lag zunächst noch keine Rechtsprechung vor 186 . Im Schrifttum wurde aufgezeigt, daß die bisher unter dem Stichwort der Drittwirkung der Grundrechte erfaßte Situation auch einer Lösung über die Grundrechtsfunktion der Schutzpflicht des Staates zugänglich ist. Dabei wurde die Drittgerichtetheit der Schutzpflicht des Staates herausgestellt und ausgeführt, daß es bei der Frage nach der Grundrechtseinwirkung auf die Auslegung und Anwendung von Normen des Privatrechts gerade um die für die Schutzpflicht charakteristische Konstellation gehe: Ein Privater begehre gegenüber dem Staat Schutz vor einem Privaten durch Beachtung seiner grundrechtlich geschützten Positionen. Daher habe diese Grundrechtsfunktion Bedeutung für den Drittschutz 187 . Die Schutzpflicht des Staates könne sich auf alle Rechtsgebiete erstrecken, eine Ausgrenzung des Privatrechts könne nicht begründet werden. Komme der Staat seiner Schutzpflicht vor Eingriffen Dritter im Privatrecht nach, so stelle dies in der Regel sogar einen geringeren Eingriff in die Rechte des Dritten dar, als in anderen Rechtsgebieten. Als staatlicher Schutz komme daher grundsätzlich auch das Privatrecht in Betracht188 . Adressaten der Schutzpflicht seien alle Staatsgewalten. Handle der Gesetzgeber nicht, so richte sich die Schutzpflicht auch an den im Einzelfall zur Entscheidung über Auslegung und Anwendung von Normen des Privatrechts berufenen Richter 189 . Der mit der Handlungspflicht des Staates verbundene große Spielraum zur Gewährung von grundrechtlichem Schutz ermögliche eine flexible Abwägung bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts 190• Dabei seien die Besonderheiten des Privatrechts - insbesondere die Privatautonomie - zu beachten, indem alle betroffenen grundrechtlich geschützten Rechtssphären voneinander abgegrenzt würden 191 . Belebt wurde diese Diskussion durch einige neuere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. In diesen hat das Bundesverfassungsgericht 186 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 225 ff. ; zuletzt ders., Grundrechte, S. 37 ff.; vgl. weiter Badura, Festschrift für Kar! Molitor, 1, 9; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1574 f.; für eine Schutzpflicht des Staates bei der Anwendung von Generalklauseln wohl auch Krause, JZ 1984, 656, 663; vgl. aus der Rechtsprechung des BVerfG zur Schutzpflicht im Strafrecht BVerfG, Urt. v. 25.2.1975- 1 BvF I, 2, 3, 4, 5, 61 74, BVerfGE 39, I, 4I ff.; im öffentlichen Recht BVerfG, Beschl. v. 8.8.I978 - 2 BvL 8177, BVerfGE 49, 89, I4I f.; BVerfG, Beschl. v. 20.I2.I979- I BvR 385177, BVerfGE 53, 30, 57 f.; BVerfG, Beschl. v. I4.l.l98I - I BvR 6I2172, BVerfGE 56, 54, 73. 187 Badura, Festschrift für Kar! Molitor, I, 9; Canaris, AcP I84 (1984), 201, 225 ff.; Novak, EuGRZ I984, 133, 138 f.; Stern, Staatsrecht III/l, S. 1573 f. m.w.N. 188 Canaris AcP I84 (1984), 20I, 225 ff.; Stern, Staatsrecht III/l, S. 1574 ff. 189 Stern, Staatsrecht III/l, S. I572, 1577 ff. 190 Stern, Staatsrecht III/1, S. I560, I572 ff. 191 Höfling, S. 55; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1577.
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nicht nur die aus den Grundrechten erwachsende Schutzpflicht des Privatrechtsgesetzgebers herausgestellt 192, sondern weiter auch ausgeführt, daß sich eine Schutzpflicht für den Richter bei der Auslegung und Anwendung von Privatrecht ergeben könne. Denn zwar sei die Aufstellung und normative Umsetzung eines Schutzkonzepts Sache des Gesetzgebers. Aber gehe es um die Rechtsfortbildung oder die Ausfüllung von Generalklauseln und liege daher keine Entscheidung des Gesetzgebers vor, so treffe die Zivilgerichte die Schutzpflicht Anwendungsfälle der Schutzpflicht waren danach bislang vor allem Ungleichgewichtslagen im Privatrecht, so etwa im Fall der Berufsfreiheit des Handelsvertreters und der Bürgschaft des vermögenslosen Kindes für dessen Vater; aber auch den Fall des Auskunftsanspruchs des Kindes gegen seine Mutter über die Person seines leiblichen Vaters hat das Bundesverfassungsgericht über die Schutzpflicht gelöst. Das Bundesverfassungsgericht weist in diesen Entscheidungen zur Schutzpflicht bei Auslegung und Anwendung des Privatrechts darauf hin, daß sich aus den Grundrechten nur ausnahmsweise konkrete Regelungspflichten ableiten ließen. Vielmehr bestünden für den Normanwender Gestaltungsspielräume gerade dann, wenn es um den Ausgleich widerstreitender Grundrechte gehe 193 • Diese neue Tendenz in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung der Schutzpflicht der Grundrechte für die Auslegung und Anwendung des Privatrechts wurde von der Literatur weitgehend begrüßt. Es gewinnt zunehmend die Einschätzung an Boden, daß die Annahme einer Schutzpflicht des Staates zugunsten der grundrechtlich geschützten Positionen im Rechtsverkehr eine geeignetere Erklärung der Einwirkung der Grundrechte auf die Auslegung privatrechtlicher Vorschriften darstelle als die der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung 194. So sei Vgl. hierzu oben§ 2 C.II.l.c). BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990 - 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242, 255 f.; BVerfG, Beschl. v. 19.10.1993 - I BvR 567, 1044/89, BVerfGE 89, 214, 232 ff.; BVerfG, Beschl. v. 6.5.1997 - I BvR 409/90, BVerfGE 96, 56, 64 f.; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 2.5.1996- I BvR 696/96, ZIP 1996, 956, 957. 194 Herdegen, Gegenwartsfragen, 161, 176; Hermes, NJW 1990, 1764 ff., 1768; Hillgruber, AcP 191, (1991), 69 ff., 85 f.; Höfling, S. 53 ff. ; Isensee, Festschrift für Kriele, 5, 32; Novak, EuGRZ 1984, 133, l39; Oldiges, Festschrift für Friauf, 281, 286 ff.; Rüfner, Gedächtnisschrift für Martens, 215, 216 mit Fn. 8; ders., in: lsensee/Kirchhof, HdbStR V, § 117 Rn. 60 mit Fn. 180; Singer, JZ 1995, 1133, ll36; Stern, Staatsrecht III/1 , S. 1572; so wohl auch Preis!Rolfs, DB 1994, 261, 262; Spieß, DVBI. 1994, 1222, 1225; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. I Abs. 3 Rn. 271 ff. (allerdings teilweise unter Rückgriff auf die Wirkung der Grundrechte als Schutzpflicht, vgl. Rn. 270); Starck, Schutzpflichten, 46, 67 f.; ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 3 Rn. 270 ff. (allerdings teilweise unter Rückgriff auf die Wirkung der Grundrechte als Wertentscheidungen, vgl. Rn. 271 ff.). Im Ergebnis ebenso Lücke, JZ 1999, 377, 382 f., nach dem die Schutzpflichtidee unvollständig ist und nicht beantwortet, ob eine Schutzpflicht des Staates besteht; diese bestehe, wenn der objektivrechtliche Gehalt der Grundrechte auch die Privaten ver192 193
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gerade die Herleitung einer Grundrechtswirkung im Privatrechtsverkehr über die Schutzpflicht des Staates eher geeignet, das seit jeher auch von der herkömmlichen Lehre der mittelbaren Drittwirkung angenommene subjektive Recht auf verfassungsgerichtliche Überprüfung der Beachtung grundrechtlicher Werte zu begründen 195 . Ferner erkläre die Schutzpflicht des Staates für grundrechtlich geschützte Positionen im Privatrechtsverkehr verwirklicht durch den Richter - die seit jeher angenommene schwächere Grundrechtswirkung bei der Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften besser; werde doch bei der Funktion der Grundrechte als Schutzpflichten des Staates diesem herkömmlich ein weiter Spielraum zugestanden196. Insgesamt läßt sich feststellen, daß verstärkt vorgeschlagen wird, bei der Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Normen eine Wirkung der Grundrechte als Schutzpflichten des Staates anzunehmen 197. c) Neuere Ansätze Einen anderen Ansatz für die Frage nach der Geltung der Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften vertritt seit jeher Schwabe 198 . Er bezeichnet die Diskussion um die Drittwirkung der Grundrechte als ein "Scheinproblem", eine Besonderheit der Drittwirkung sei nicht festzustellen 199. Vielmehr ergebe sich auch für die Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften eine unmittelbare Wirkung der Grundrechte als subjektive Abwehrrechte durch die Bindung der staatlichen Gewalt an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG. Jedes Handeln Privater im Rechtsverkehr sei auf die Staatsgewalt zurückzuführen. pflichte, was dann der Fall sei, wenn die Grundrechte nach einer extensiven Auslegung von Art. 19 Abs. 3 GG dem Wesen nach auch auf Privatrechtsverhältnisse anwendbar seien; wohl ebenso auch bereits Bleckmann, DVBl. 1988, 938, 939 ff. Einschränkend gegenüber der Herleitung der Grundrechtswirkung im Privatrechtsverkehr über die Schutzpflicht auch Robbers, Sicherheit, S. 201 ff.; kritisch auch Wiedemann, JZ 1990, 695, 696, der "dieselben Anpassungsschwierigkeiten der Verfassungsordnung an das Privatrecht" wie nach der herkömmlichen Lehre der Drittwirkung auftreten sieht. 195 Hermes, NJW 1990, 1764, 1767; allgemein zur Frage der subjektiv-rechtlichen Wirkung sowohl der Grundrechte als objektive Wertentscheidungen als auch als Schutzpflicht des Staates vgl. Stern, Staatsrecht Ill/1, S. 978 ff. 196 Jarass, AöR 120 (1995), 345, 352 f.; Oeter, AöR 119 (1994), 529, 537. 197 Herdegen, Gegenwartsfragen, 161, 176; Hermes, NJW 1990, 1764, 1768; Höfling, S. 53 ff.; Jarass, AöR 120 (1995), 345, 352 f.; Novak, EuGRZ 1984, 133, 139. 198 Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte; ders. DVBI. 1971, 689 ff. ; ders., AöR 100 (1975), 442 ff.; ders., AcP 185 (1985), 1 ff.; ders., DVBl. 1990, 477 ff.; im Anschluß an Schwabe ähnlich auch Schlink, EuGRZ 1984, 457, 464. 199 Schwabe, AöR 100 (1975), 442, 470. 5 Lepa
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Die privatrechtlich zu duldenden Freiheitsbeeinträchtigungen durch Verbote oder Gebote seien der staatlichen Gewalt ebenso zuzurechnen wie im öffentlichen Recht. So setze der Gesetzgeber als Teil der staatlichen Gewalt das Recht, aufgrund dessen Private sich im Rechtsverkehr verpflichteten. Die privatrechtlich zu duldenden Freiheitsbeeinträchtigungen erfolgten damit aufgrund einer Ermächtigung oder zumindest Duldung durch die Rechtsordnung; besonders sichtbar zeige sich die staatliche Gewalt, die auch hinter den Normen des Privatrechts stehe, bei der Durchsetzung privatrechtlicher Rechtsbefehle durch das Prozeß- und Vollstreckungsrecht200. Der Gesetzgeber nehme bei der Ausgestaltung auch der Privatrechtsordnung eine Abgrenzung und Einschränkung der grundrechtliehen Positionen Privater im Rahmen des grundrechtlich Zulässigen vor. Daß erst Grundrechtsträger die Vorschriften des Privatrechts anwendeten, vermöge die Zurechnung jeder im Privatrechtsverkehr erfolgenden Freiheitsbeeinträchtigung zur staatlichen Gewalt nicht zu verhindern. Daher stelle auch das Privatrecht Rechtsdurchsetzung dar, ein Unterschied zum öffentlichen Recht sei nicht festzustellen 201 . Wende der Richter Privatrecht an, handle er als Hoheitsträger und unterliege ohnehin der Grundrechtsbindung202• Damit gehe es bei der als Drittwirkung diskutierten Problematik gar nicht um das Verhältnis privater Grundrechtsträger untereinander, sondern um den Schutz grundrechtlicher Positionen gegenüber der staatlichen Gewalt; eine eigene dogmatische Grundlage sei weder erforderlich noch geboten. Für dieses Ergebnis der Rückführung aller Verpflichtungen im Privatrechtsverkehr auf die staatliche Gewalt spricht nach Schwabe auch eine weitere Erwägung. Danach steht es weitgehend im Belieben des Gesetzgebers, das gesetzgebensehe Ziel der Freiheitsbegrenzung durch unterschiedliche Normtypen zu erreichen. Aus unterschiedlicher Gesetzgebungstechnik könne aber nicht eine unterschiedliche Wirkungsweise und Wirkungsintensität der Grundrechte folgen 203 . Dieser aus Art. 1 Abs. 3 GG abgeleiteten Grundrechtsgeltung bei der Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften könne auch nicht der Schutz der grundrechtlich gewährleisteten Privatautonomie entgegengehalten werden. Sei es doch möglich, die Besonderheiten des Privatrechts bei der Grundrechtsgeltung zu beachten, auch wenn die Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht abzulehnen sei204• So ausdrücklich Schwabe, NJW 1973, 229, 230. Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 14 ff. 202 Schwabe, NJW 1973, 229, 230. 203 Zur Untersuchung der Normbefehle im einzelnen Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 17, 26 ff., 38 f.; ders. AcP 185 (1985), 1 ff.; ders., DVBl 1990, 477. 204 Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 63 ff., 75 ff. 200 201
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Hervorzuheben ist, daß diese Konzeption von Schwabe nur für die Freiheitsgrundrechte gelten soll, während die Gleichheitsgrundrechte im Privatrechtsverkehr auch nach dieser Auffassung keine Geltung beanspruchen205 . Gegen die herrschende Lehre und Rechtsprechung hat weiter Hager Stellung bezogen. Hager lehnt es - anders als Schwabe - ab, Eingriffe Privater dem Staat zuzurechnen206. Vielmehr leitet er aus dem Gedanken, daß der Privatrechtsgesetzgeber an die Grundrechte ausschließlich in deren Funktion als subjektive Abwehrrechte gebunden sei207, her, daß dies ebenso für die Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Normen gelten müsse. Es sei nicht verständlich, daß die Grundrechte nicht auch als unmittelbarer Kontrollmaßstab für die von Privaten aufgrund privatrechtlicher Normen abgeschlossenen Rechtsgeschäfte Geltung beanspruchen sollten. Daß Normen des einfachen Rechts nicht die Grundrechte unterlaufen dürften, ergebe sich zwingend aus der Hierarchie der Normen. Dies gelte nicht nur für Normen mit konkret subsumierbaren Tatbestandsmerkmalen, sondern auch für Generalklauseln in deren jeweiliger Konkretisierung im Einzelfall. Eine Sonderrolle für Generalklauseln sei abzulehnen. An dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe sei auch wegen einer Sonderrolle des Privatrechts nicht zu rütteln. Denn der Richter sei bei der Konkretisierung privatrechtlieber Vorschriften an die Grundrechte gebunden und dürfe Normen nicht so interpretieren, daß sie hierdurch einen grundrechtswidrigen Inhalt bekämen208. Nach Hagers Ausführungen führt die von ihm angenommene Wirkung der Grundrechte als Abwehrrechte im Privatrechtsverkehr dazu, daß entgegen der sehr skeptischen h.M. 209 - auch eine Geltung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes im Privatrecht gegeben sei210. Hager selbst bezeichnet die so beschriebene Grundrechtswirkung im Privatrechtsverkehr als unmittelbar211 . Damit soll aber nicht die Auffassung von der unmittelbaren Wirkung der Grundrechte wiederbelebt werden212. Diese Lehre wurde vor allem in den 50er und 60er Jahren durch die Literatur und Teile der Rechtsprechung -namentlich des BAG- in vielen SchatSchwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 149 ff. Hager, JZ 1994, 373, 381. 207 V gl. oben § 2 C.II.l.b). 2°8 Hager, JZ 1994, 373, 376 f. 209 Vgl. zur Einbeziehung der Gleichheitssätze in die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte Bleckmann, DVBI. 1988, 938, 946; Götz, in: Vierzig Jahre Grundrechte in ihrer Verwirklichung durch die Gerichte, 35, 68 ff.; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. I Rn. 514 ff. 210 Hager, JZ 1994, 373, 377. 211 Hager, JZ 1994, 373, 376. 212 Gegen diese Lehre wendet sich Hager schon zu Beginn seiner Untersuchung, JZ 1994, 373. 205
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tierungen vertreten213 . Danach sollten die Grundrechte losgelöst von einer vermittelnden Norm in Privatrechtsverhältnissen zu beachten und damit die Privatrechtssubjekte selbst Adressaten der Grundrechte sein214. Hager hingegen geht von einer unmittelbaren Wirkung der Grundrechte für den Staat auch bei Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Normen aus, erweitert aber nicht den Kreis der Grundrechtsadressaten215 • Neben der Wirkung der Grundrechte als Abwehrrechte bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts erkennt weiter Hager Konstellationen bei der Auslegung und Anwendung von Privatrecht an, in denen die Grundrechte als Schutzrechte zum Tragen kommen. Er ist der Auffassung, daß sich vielfach die Abwehr- und Schutzaspekte der Grundrechte nicht trennen ließen. Die Unterscheidung sei aber auch nicht zwingend erforderlich, weil Abwehr- und Schutzfunktion gleich weit gingen216 . Hager geht davon aus, daß mit der von ihm angenonunenen direkten Wirkung der Grundrechte für den Normanwender keine Verschärfung der Grundrechtsgeltung einhergehe. Denn die h. M. stellt nach Hager zutreffend heraus, daß im Privatrechtsverkehr die grundrechtlich geschützten Interessen der Privaten kollidierten. Daher führe auch die unmittelbare Wirkung der Grundrechte im Privatrechtsverkehr letztlich zu einer Abwägung anband der einander entgegenstehenden grundrechtlich geschützten Belange. Hierdurch werde dem das Privatrecht vielfach beherrschenden privatautonomen Handeln der Beteiligten hinreichend Rechnung getragen217 . Diese Abwägung bewirke insbesondere, daß trotz Geltung des Gleichheitssatzes im Privatrechtsverkehr keine Gefahr bestehe, daß die Wertungen des Zivilrechts lahmgelegt würden218 •
Weiter halten auch Dreier und Alexy eine Wirkung der Grundrechte als Abwehrrechte bei der Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften für denkbar. Im Unterschied zu Schwabe und Hager lehnen sie 213 Vgl. nur BAG, Urt. v. 3.12.1954- 1 AZR 150/54, BAGE 1, 185, 191 ff.; BAG, Urt. v. 10.5.1957 - 1 AZR 249/56, BAGE 4, 274, 276; BAG, Urt. v. 23.2.1959 - 3 AZR 583/57, BAGE 7, 256, 260; BAG, Urt. v. 29.6.1962 - AZR 343/61, BAGE 13, 168, 174 ff.; BAG, Urt. v. 23.9.1976- 2 AZR 309/75, BAGE 28, 176, 183; BAG, Urt. v. 28.9.1972- 2 AZR 469/71 , JZ 1973, 375, 376; aus der Literatur Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 406 ff. (differenzierend); Laufke, Festschrift für Lehmann, 145, 155; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 285 ff.; Nipperdey, Grundrechte und PrivatrechtS. 15; ders., DVBI. 1958, 445, 447 ff. 2 14 Zusammenfassend Stern, Staatsrecht III/1, S. 1538 ff. 215 So auch das Verständnis HagersAnsicht bei Canaris, Grundrechte, S. 35. 216 Hager, JZ 1994, 373, 382 f. 217 Hager, JZ 1994, 373, 377 f., 381 ff.; ebenso bereits Nipperdey, Festschrift für Erich Molitor, 17, 27 ff.; zur Auflösung einer Grundrechtskollision vgl. nur Stern, Staatsrecht III/1, S. 928. 2 18 Hager, JZ 1994, 373, 377.
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die herkömmlichen Lösungsansätze zur Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften nicht ab. Alexy geht davon aus, daß sowohl die Lehren der unmittelbaren und der mittelbaren Drittwirkung als auch die Lehre Schwabes zutreffend seien. Ihm geht es um die vollständige Erfassung aller Aspekte der Drittwirkungslehren. Die vollständige Lösung soll im Rahmen eines Drei-Ebenen-Modells erfolgen, wobei die Ebenen nicht durch ein Stufen-, sondern ein wechselseitiges Implikationsverhältnis gekennzeichnet seien. Auf der ersten Stufe gehe es um die Pflichten des Staates und damit um die sog. mittelbare Drittwirkung. Der Staat habe die Grundrechte als objektive Wertordnung für alle Bereiche des Rechts zu beachten. Auf der zweiten Ebene gehe es um die Rechte der einzelnen gegenüber dem Staat und damit um die aus den Grundrechten herzuleitenden subjektiven Rechte. Hier spreche einiges für die von Schwabe vertretene Auffassung. Allerdings habe der Staat die Grundrechte nicht nur als Abwehr-, sondern auch als Schutzrechte zu beachten. Dabei zieht Alexy den Rahmen der Abwehrrechte weit und führt aus, daß auch die Anwendung und Auslegung von Privatrecht zu Grundrechtseingriffen führen könne. Dies sei beispielsweise in dem dem Lüth-Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt der Fall gewesen. Dort seien Boykottaufrufe gemäß § 826 BGB richterlich verboten worden. Denn es handle sich um ein staatliches Verbot, wenn eine abstraktgenerelle Norm wie die Generalklausel des § 826 BGB konkretisiert werde. Auf der dritten Ebene schließlich gehe es um die rechtlichen Relationen zwischen Privatrechtssubjekten. Dort sei der unmittelbaren Drittwirkung der Vorzug zu geben. Diese versteht Alexy allerdings so, daß nach ihr nicht die Bürger Adressaten der Grundrechte seien, vielmehr erwüchsen aus grundrechtlichen Gründen zwischen den Bürgern bestimmte Rechte und NichtRechte, Freiheiten und Nicht-Freiheiten, Kompetenzen und Nicht-Kompetenzen. Im Ergebnis räumt Alexy ein, daß es sich bei der Frage nach der Geltung der Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts um eine Zweckmäßigkeitsfrage handle. Der Zivilrichter sei an das Zivilrecht gebunden, von dem er aus grundrechtliehen Gründen abweichen könne, dann allerdings die Argumentationslast trage219• Schließlich befürwortet auch Dreier zwar grundsätzlich die Lehre der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte; in bestimmten Konstellationen hält er aber die Wirkung der Grundrechte als Abwehrrechte für angezeigt. Die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte finde ihre Begründung in der Eigenständigkeil des Zivilrechts und dem privatautonomen Handeln der Beteiligten. Handle es sich aber um Rechtsbeziehungen, die nicht durch freiheitliches Handeln gekennzeichnet seien, sei eine eingriffsrechtliche Konstruktion angezeigt. Dies sei insbesondere im nichtvertraglichen Bereich, dem Deliktsrecht, der Fall. Denn streitentscheidend sei in 219
Alexy, Theorie der Grundrechte S. 485 ff.
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diesen Fällen allein die heteronome staatliche Norm. Auch Dreier erblickt in dem dem Lüth-Urteil zugrundeliegenden gerichtlichen Verbot eines Boykottaufrufs einen Grundrechtseingriff. So sei es der Staat, der die Grundrechte eines Betroffenen nach einem Abwägungsvorgang zugunsten des anderen Betroffenen beschränke, ohne daß der dadurch belastete Betroffene dies als Konsequenz seines eigenen Handeins zu tragen hätte. In diesen Konstellationen könnten die Bürger selbst zu Adressaten der Grundrechte werden. Entscheidend sei damit bei der Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften, inwieweit die Gerichte bei der Beurteilung der Rechtsverhältnisse zwischen Privaten der freien und freiwilligen Selbstbindung Rechnung tragen müßten220. d) Stellungnahme Die Frage nach der Wirkungsweise der Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts ist nicht nur von dogmatischer, sondern auch von hoher praktischer Bedeutung. Denn die vertretenen dogmatischen Ansätze führen teilweise zu einer unterschiedlichen Stringenz der Grundrechtswirkung und damit zu verschiedenen Ergebnissen221 . Bislang war nämlich allgemein anerkannt, daß die Grundrechte in ihrer Funktion als Abwehrrechte eine stringentere Wirkung haben als in ihrer Wirkung als objektive Wertentscheidungen oder Schutzpflichten222 . Wenn Hager neuerdings die Grundrechtswirkung als Abwehrrecht oder als Schutzpflicht für austauschbar hält und weiter die Stringenz der Grundrechtswirkung als Abwehrrecht und als Schutzpflicht gleichstellt223 , ist dem zu widersprechen. Diese beiden Grundrechtswirkungen sind nicht austauschbar. Canaris hat überzeugend dargelegt, daß in der Regel Sachverhalte derart gestaltet sind, daß entweder ein Fall des Grundrechtseingriffs und damit des Abwehrrechts vorliegt, oder ein Fall der Schutzpflicht In Grenzbereichen ist mit Canaris dagegen hinzunehmen, daß Fallgestaltungen sowohl unter dem Gesichtspunkt staatlichen Tuns mit der Folge einer Grundrechtswirkung als Abwehrrecht als auch unter dem Gesichtspunkt des Unterlassens mit der Aktivierung einer Schutzpflicht des Staates beurteilt werden können224. Weiter 220 Dreier, Jura 1994, 505, 510 f.; wohl ähnlich auch Pietzcker, Festschrift für Dürig, 345, 359. 221 A.A. offensichtlich Staudinger/Schmidt, Einl. zu §§ 241 ff. Rn. 541, der lediglich ein anderes methodisches Vorgehen der unterschiedlichen Auffassungen konstatiert. 222 Zu der schwächeren Wirkung der Grundrechte nach der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung bzw. der Schutzpflicht vgl. nur Jarass, AöR 120 (1995), 345, 352 f.; Ferdinand Kirchhof, S. 527; Pietzcker, Festschrift für Dürig, 345, 360. 223 Hager, JZ 1994, 373, 381 ff. 224 Canaris, Grundrechte, S. 45 ff.
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führen die Grundrechte als Abwehrrechte mit der bisher allgemeinen Meinung auch zu einer stringenteren Wirkung als die durch die Grundrechte hervorgerufene Schutzpflicht Das für die Verfassungsmäßigkeit des Grundrechtseingriffs entscheidende Übermaßverbot stellt einen weitaus strengeren Prüfungsmaßstab dar als das für die Schutzpflicht geltende Untermaßverbot Es liegt in der Natur der Schutzpflicht, die ein zukünftiges, staatliches Handeln verlangt, daß sie Spielräume eröffnee25 . Führen damit die Grundrechte als Abwehrrechte zu einer stringenteren Wirkung, bietet es sich an, zunächst die diese Grundrechtswirkung vertretenden Auffassungen auf ihre Überzeugungskraft zu prüfen. Hierbei ist in Erinnerung zu rufen, daß die Abwehrfunktion der Grundrechte nur dann zum Zuge kommt, wenn ein Eingriff des Staates in grundrechtlich geschützte Bereiche des Bürgers vorliegt226. Die Auffassung von Schwabe ist im Ergebnis wohl zu Recht weitgehend auf Ablehnung gestoßen227 . Entgegen Schwabe kann nicht in jedem Handeln der Privaten im Rechtsverkehr allein deshalb ein Eingriff des Staates erblickt werden, weil der von Privaten hinzunehmende Eingriff in grundrechtliche Positionen auf einer Ermächtigung oder zumindest Duldung der Rechtsordnung beruhe. Gegen eine derartige Zurechnung privatrechtlichen Handeins zur staatlichen Gewalt ist einzuwenden, daß das Handeln des Gesetzgebers mit der Schaffung einer verfassungsgemäßen privatrechtliehen Norm erschöpft ist. Handeln Private aufgrund privatrechtlieber Vorschriften, so schöpfen sie verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Spielräume aus228 . Dabei handeln sie aber allein aufgrund ihrer privatautonomen Entscheidung. Alle Folgen der durch freies Handeln entstandenen Selbstverpflichtung können dem Staat nicht zugerechnet werden229 . Das Privatrecht weist daher mit der Beliebigkeit des Handeins Privater einen gravierenden Unterschied zum Handeln auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts auf230. Auch die Auffassung von Schwabe, es liege schon deshalb ein staatlicher Eingriff vor, weil der Richter als Teil der StaatsgeZur allgemeinen Meinung vgl. oben § 2 C.l.1. lsensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 111 Rn. 37, 58 ff. 227 Aus der kritischen Literatur vgl. nur Bleckmann, Grundrechte, § 10 Rn. 77 ff.; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 217; Höfling, S. 50 ff.; v. Münch, in: v. Münch/ Kunig5 , Vorbemerkungen zu Art. 1-19 Rn. 33; Novak, EuGRZ 1984, 133, 137; Pietzcker, Festschrift für Dürig, 345, 349; Stern, Staatsrecht III/1 , S. 1550 ff. m.w.N.; differenzierend hingegen Lübbe-Wolff, S. 168 ff. 228 Zu den Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit einer Norm vgl. oben § 2 B.l. 229 Ebenso - wohl unter Beschränkung auf rechtsgeschäftliche Verpflichtungen Canaris, AcP 184 (1984), 201 , 217 ff.; Pietzcker, Festschrift für Dürig, 345, 349; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1551 f. m. w.N. 230 Vgl. Novak, EuGRZ 1984, 133, 137. 225
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walt handele231 , wird zu Recht abgelehnt232 • Es ist zwischen der Schaffung privatrechtlicher Beziehungen und der rechtlichen Beurteilung solcher Beziehungen zu unterscheiden. Entscheidend ist, daß die Rechtsbeziehungen ohne staatliches Zutun durch Private geschaffen werden. Nicht abgestellt werden kann insbesondere darauf, daß der Richter als Teil der öffentlichen Gewalt über Fragen privater Rechtsverhältnisse entscheidet. Zutreffend wird darauf hingewiesen, daß der Richter nur auf einen Rechtszustand reagiere, den er vorfinde, diesen aber selbst nicht schaffe. Der Richter habe daher die Grundrechte so weit zu beachten, wie sie in privaten Rechtsverhältnissen gälten233 . Die Herleitung der Geltung der Grundrechte als Abwehrrechte durch Hager unterscheidet sich von der Schwabes. Aber auch Hagers Herleitung
der Wirkungsweise der Grundrechte als Abwehrrechte bei der Auslegung und Anwendung von Privatrecht ist abzulehnen. Selbst wenn man mit Hager eine Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte als Abwehrrechte uneingeschränkt annehmen würde, ist dessen weiterer Schluß auf die Geltung der Grundrechte als Abwehrrechte bei der Auslegung und Anwendung von Privatrecht erheblichen Zweifeln ausgesetzt. Denn auch Hager ist bei diesem Schluß den Nachweis eines staatlichen Eingriffs beim Handeln der Privaten im Rahmen der Privatrechtsordnung schuldig geblieben. Die Kritik an dieser Begründung einer Grundrechtswirkung als Abwehrrecht auch im Privatrechtsverkehr ähnelt den gegen die Auffassung Schwabes vorgebrachten Argumenten. Auch gegen die Überlegung Hagers spricht entscheidend, daß sie nicht erklären kann, weshalb ein staatlicher Eingriff vorliegen soll, wenn Private die Möglichkeiten ausschöpfen, die ihnen die Rechtsordnung bietet. Dies vermag der von Hager vorgenommene Vergleich der von ihm vertretenen Grundrechtsbindung des Gesetzgebers mit dem Handeln der Privaten im Rahmen verfassungsgemäßer Normen nicht zu begründen. Liegt eine verfassungsgemäße Generalklausel vor, so erfolgt deren Ausgestaltung, die Ausnutzung eines gegebenen Spielraums, durch Private. Dieses Handeln Privater schafft aber keine Rechtsnormen, so daß der Gedanke, die Normenhierarchie werde unterlaufen, schon im Ansatz scheitert. Das Handeln des Privatrechtsgesetzgebers als Teil der Staatsgewalt unterliegt einer anderen Bindung als das von Privaten, die auf der Ebene der Gleichordnung im Rahmen der durch die Rechtsordnung eingeräumten Spielräume handeln. Denn die Tätigkeit des Privatrechtsgesetzgebers ist mit der Schaffung auslegungsbedürftigen Privatrechts erschöpft. Schwabe, NJW 1973, 229, 230. Höfling, S. 51; Stern, Staatsrecht 11111, S. 1551. 233 Vgl. nur Doehring, S. 209; Höfling, S. 51; v. Münch, in: v. Münch/Kunig5 , Vorb. Art. 1-19 Rn. 33; Oldiges, Festschrift für Friauf, 281, 284, 287, 301 f.; Rupp, JZ 2001, 271, 275; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1551. 23!
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Die Prämisse Hagers, die Hierarchie der Normen gebiete eine unmittelbare Wirkung der Grundrechte auch bei der Auslegung und Anwendung tatbestandlieh weit gefaßter Normen, vermag daher nicht zu überzeugen. Bezeichnend ist, daß Hager die von ihm angenommene Gleichstellung von Rechtssetzung und Konkretisierung offener Normen unter Ausnutzung des eingeräumten Spielraums durch den Rechtsanwender mit einem weiteren Argument unterstützt. Danach soll sich die unmittelbare Grundrechtsgeltung im Rechtsverkehr aus der Grundrechtsbindung des den Einzelfall beurteilenden Richters aus Art. 1 Abs. 3 GG ergeben. Dieses auch von Schwabe vorgebrachte Argument ist aus den oben genannten Gründen abzulehnen: der Richter reagiert nur auf den von Privaten geschaffenen Rechtszustand. Die gegen die Auffassungen von Schwabe und Hager vorgebrachten Argumente sind schließlich auch gegen die Auffassungen von Dreier und Alexy vorzubringen. Wenn diese zumindest in einzelnen Fällen eine Wirkung der Grundrechte als Abwehrrechte bei der Auslegung und Anwendung von Privatrecht für möglich halten, unterscheiden sie gleichfalls nicht hinreichend zwischen dem Handeln des Gesetzgebers und der Anwendung von zulässigerweise auslegungsbedürftig belassenen Normen. So ist nicht ersichtlich, daß gerade im von Dreier und Alexy hervorgehobenen nichtvertraglichen Bereich des Privatrechts, insbesondere dem Beispiel des § 826 BGB, ein Eingriff des Staates in der Anwendung einer verfassungsgemäßen Norm auf ein Handeln Privater vorliegen soll. Die Grundrechtsgeltung wird bei der Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften zumeist deshalb problematisiert, weil im Privatrecht die Privatautonomie, d. h. die grundrechtlich geschützte freie Selbstbestimmung und Gleichberechtigung aller Beteiligten, gilt234• Auf den ersten Blick spricht daher einiges für den Ansatz von Dreier und Alexy, im nichtvertraglichen Bereich Grundrechtseingriffe bei der Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Normen anzunehmen. Ob sich die Besonderheiten des Privatrechts indes in der Privatautonomie erschöpfen, kann gerade für die Vorschriften der InsO interessant werden. Denn es geht im Insolvenzverfahren um die Abwicklung zumeist in Privatautonomie begründeter Rechtsbeziehungen. In der Situation der Insolvenz besteht für die Verfahrensbeteiligten und insbesondere den Schuldner aber gerade nicht mehr die freie Selbstbestimmung und Gleichberechtigung aller Beteiligten. Die Grundrechtsgeltung im Privatrecht ist aber nicht allein deshalb ein Problem, weil das Privatrecht von dem Gedanken der Privatautonomie beherrscht wird. Sie ist ein Problem vielmehr deshalb, weil die Grundrechte auf das Staat-Bürger-Verhältnis zugeschnitten sind, also Eingriffe des Staates in den Rechtsraum des Bürgers abschirmen 234 So bereits Dürig, Festschrift für Nawiasky, 157, 176 f.; vgl. auch oben § 2 C.II.2.a). Zur Privatautonomie allgemein und zur Grundrechtswirkung vgl. Flume, § 1.
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sollen235 . Sie passen daher schon von ihrem gedanklichen Ansatz her nicht auf das Verhältnis von jeweils grundrechtlich geschützten Bürgern untereinander, das Gegenstand des gesamten Privatrechts ist236 . Auch im nichtvertraglichen Bereich geht es allein um das Handeln Privater und nicht um staatliches Handeln. Vermag daher das Verständnis einer Geltung der Grundrechte als Abwehrrechte bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts nicht zu überzeugen, können die Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften - gleichgültig, ob man eine Wirkung als objektive Wertentscheidungen oder aufgrund der Schutzpflicht des Staates annimmt - nur mit einer Wirkungskraft zum Zuge kommen, die geringer ist als die von Abwehrrechten. Dies entspricht der allgemein anerkannten Grundrechtsdogmatik und bedeutet entgegen Hage?- 37 daher auch nicht, daß dem Privatrecht eine Sonderrolle eingeräumt wird. Auch im öffentlichen Recht sollen die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen bei der Auslegung von Normen Beachtung finden können238 . Die entscheidende Frage für die Grundrechtswirkung im Privatrechtsverkehr stellt sich vielmehr dahin, inwieweit die Besonderheiten des Privatrechts einer Beachtung bedürfen. Sowohl die herkömmliche Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte als auch die neuere Herleitung aus der Schutzpflicht des Staates wollen dem Rechnung tragen. An der Herleitung einer Grundrechtsgeltung im Sinne einer Schutzpflicht bei der Auslegung und Anwendung von Privatrecht überzeugt, daß sie anders als die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte den staatsgerichteten Charakter der Grundrechte wahrt. Adressat der Grundrechte ist danach grundsätzlich der Staat239, der seiner Schutzpflicht bei der Auslegung von Privatrecht nachzukommen hat. Hierzu bedarf es nicht des Rückgriffs auf eine Grundrechtswirkung zwischen Privaten, weil die Schutzpflicht bereits dann aktiviert wird, wenn die Grundrechte dem Staat gebieten, sich schützend vor Private im Rahmen des Privatrechtsverkehrs zu stellen240• Das Verhältnis der Privaten untereinander ist frei von einer Grundrechtswirkung241 . Demgegenüber klingt bei der Lehre von der mittelVgl. nur Jarass, AöR 120 (1995), 345, 347. Dazu Hesse, Grundzüge, Rn. 354. 2 37 Hager, JZ 1994, 373, 376. 238 Vgl. oben § 2 C.I.2. Andernfalls entstünden daher auch Wertungswidersprüche zu den Grundsätzen der Auslegung öffentlich-rechtlicher Vorschriften. Darauf weist offensichtlich auch Bleckmann, Grundrechte, § 10 Rn. 108 hin. 239 Eine allgemein anerkannte Ausnahme findet sich in Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG, dessen Adressat unmittelbar Private sind. 240 A.A. Lücke, JZ 1999, 377, 382, nach dem die Schutzpflicht des Staates erst dann aktiviert wird, wenn die Grundrechte im Einzelfall zwischen den Privaten gelten, vgl. im einzelnen § 2 Fn. 194. 235
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baren Drittwirkung vielfach an, daß damit eine Grundrechtsgeltung zwischen den Privaten bestehe242 . So erklärt sich auch die Bezeichnung als Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte daraus, daß nach ihr die Grundrechte ihre Wirkung nicht auf das Staat-Bürger-Verhältnis beschränken, sondern sich diese Wirkung auch auf die zwischen Bürgern bestehenden Rechtsverhältnisse erstrecken soll. Weiter vermag auch nur die Herleitung einer Schutzpflicht des Staates bei der Auslegung und Anwendung von Privatrecht zu erklären, warum seit jeher ein subjektives Recht desjenigen begründet sein soll, der seine grundrechtlichen Positionen bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts verletzt sieht. Dieses subjektive Recht nimmt die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung seit jeher an, obwohl sie von einer Wirkung der Grundrechte im Privatrechtsverkehr als objektive Wertentscheidungen ausgeht. Allein die Schutzpflichtidee vermag aber die Anerkennung eines subjektiven Rechts zu erklären243 . Eine Schwäche der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte liegt m. E. weiter darin, daß diese einer "Einbruchstelle" bzw. eines "Mediums" für die Einwirkung der Grundrechte auf die Anwendung einfachen Rechts bedarf; dies räumen teilweise selbst Vertreter dieser Lehre ein244• Als Einbruchstellen grundrechtlicher Wertungen in das Privatrecht stehen danach lediglich Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe zur Verfügung. Andere Einbruchstellen werden überwiegend abgelehnt, weil 241 Canaris, Grundrechte, S. 38; Classen, AöR 122 (1997), 65, 77 f.; Isensee, Festschrift für Krie1e, 5, 32; Oldiges, Festschrift für Friauf, 281, 286 f. 242 So verstehen wohl auch Isensee, Sicherheit, S. 35 f., Lerche, Festschrift für Odersky, 215, 223, die Lehre von der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Normen. Vgl. hierzu nur aus neuerer Zeit die Ausführungen von Badura, Festschrift für Odersky, 159, 172; Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 203 ff.; Dreier, Dimensionen, S. 43; Robbers, Sicherheit, S. 202, der daher einen Nachteil darin erblickt, daß die Schutzpflicht erst bei staatlichem Handeln aktiviert wird, weil damit keine Aussage darüber getroffen werde, in welcher Weise die Grundrechte zwischen Privaten vor einer staatlichen Intervention gelten. Anders versteht hingegen Starck, Schutzpflichten, 46, 68, die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung, wonach diese lediglich besagt, daß das Zivilrecht grundrechtliche Wertungen berücksichtigen muß; ebenso wohl auch Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 7 f. 243 Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 14; Hermes, NJW 1990, 1764, 1765 m. w. N. und Oldiges, Festschrift für Friauf, 281, 288 weisen jeweils darauf hin, daß der anerkannte Anspruch auf Überprüfung der Ausstrahlungswirkung sich nicht begründen läßt. Auf der anderen Seite führt z. B. Robbers, Sicherheit, S. 202, aus, daß von der Geltung der Grundrechte im Privatrechtsverkehr aufgrund der Schutzpflicht des Staates erst beim Rechtsstreit gesprochen werden könne. 244 Vgl. etwa Diederichsen, Rangverhältnisse, 39, 54; anders Lepa, Festschrift für Steffen, 261, 262, der ausführt, es lägen immer Generalklauseln vor, die als "Einbruchstellen" für grundrechtliche Wertungen in Betracht kämen.
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dies einen Verstoß gegen die Gewaltenteilung bedeute. Es sei Aufgabe des Privatrechtsgesetzgebers, die grundrechtliehen Wertungen bei der Rechtssetzung zu beachten; nicht zulässig sei es daher, daß die Gerichte die Entscheidungen und Abwägungen des Privatrechtsgesetzgebers durch Rückgriff auf die Grundrechte korrigierten. Zudem bestünden Bedenken bezüglich der Rechtssicherheit Eine Beachtung der grundrechtliehen Wertungen komme daher nur in Betracht, wenn keine eigene Konkretisierung grundrechtlicher Inhalte durch den Privatrechtsgesetzgeber vorliege, also nur bei Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen245 • Diese Schwäche der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung hat Gewicht. Vertreter der Schutzpflichtidee wenden zutreffend ein, daß die Pflicht, eine Einbruchstelle aufzufinden, die Verwirklichung des grundrechtliehen Schutzes im Privatrecht behindere. Mit Recht führt darüber hinaus Canaris aus, es gebe durchaus privatrechtliche Normen mit festen Tatbeständen, die dem Schutz grundrechtlich geschützter Positionen dienten. Wenn diese Normen nicht im Sinne der Grundrechte ausgelegt würden, entstehe eine Lücke im grundrechtliehen Schutz. Daher stelle die Begrenzung der Einwirkung der Grundrechte auf Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe eine einseitige Betrachtung dar46• Auch Rüfner und Stern bezeichnen eine Beschränkung der Einflußnahme grundrechtlicher Wertungen auf Generalklauseln als zu eng; jede Anwendung einer Vorschrift des Privatrechts müsse im Rahmen der Verfassung erfolgen, daher seien auch die Wertentscheidungen der Verfassung bei der Auslegung und Anwendung jeder privatrechtliehen Norm zu beachten247 . Diese Nachteile der Lehre der mittelbaren Drittwirkung werden auch nicht durch Vorteile aufgewogen. Zwar verspricht eine derartig mediatisierte Grundrechtswirkung durch die Normen des Privatrechts auf den ersten Blick eine schonende Grundrechtswirkung, die die privatrechtliehen Wertungen achtet. Die Wirkung der Grundrechte im Privatrecht soll eben nur "mittelbar" durch die Vorschriften des jeweiligen Rechtsgebiets - hier der InsO - als Medien erfolgen. Diese Einschränkung der Grundrechtsgeltung bei Auslegung und Anwendung des Privatrechts wird als äußerst bemerkenswert bezeichnet248 . Sie ermöglicht eine durchgehende, differenzierende Einwirkung der Grundrechte, ohne die Struktur des Privatrechts außer 245 Hesse, Grundzüge, Rn. 355 f. ; Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 230 ff., 234 ff., so wohl auch schon Dürig, Festschrift für Nawiasky, 157, 176 f.; Mikat, Festschrift für Nipperdey, 581, 587. 246 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 222 ff. 247 Rüfner, Gedächtnisschrift für Martens, 215, 225; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1557 f.; vgl. auch schon Raiser, Grundgesetz und Privatrechtsordnung, B 1, B 29. 248 So Staudinger/Coing, Einl. zum BGB, Rn. 194.
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acht zu lassen. Denn mit der nur "mittelbaren" Wirkung der Grundrechte ist entscheidend auf die Wertungen des jeweiligen Rechtsgebietes zu achten. Dies hat zur Folge, daß in hohem Maße die Entscheidungen, die der einfache Gesetzgeber - hier der Gesetzgeber der InsO - getroffen hat, bei der Auslegung zur Geltung kommen. Die Anwendung der Grundrechte erfolgt ja im Rahmen des einfachen Gesetzes und damit unter Bindung an die Systematik dieses Gesetzes. Die Wertungen der Grundrechte dürfen mithin nicht zu einem Bruch mit dem bestehenden Privatrecht führen; verhindert wird, daß die Grundrechte im einfachen Recht ein Eigenleben führen 249 • Diese Einschränkung der Grundrechtsgeltung bei Auslegung und Anwendung des Privatrechts findet sich aber auch bei denen, die eine Herleitung der Grundrechtsgeltung im Privatrecht über die Schutzpflicht des Staates durch den im Einzelfall entscheidenden Richter vorziehen. So wird ausdrücklich darauf hingewiesen, der Richter dürfe, wenn er seiner grundrechtliehen Schutzpflicht folge, die Grundrechte nur durch das Medium des Privatrechts zur Geltung bringen250. Die Verwirklichung der Schutzpflicht erfolgt also durch und im Rahmen des einfachen Rechts. Dabei besteht nicht die Gefahr, daß die privatrechtliehen Wertungen durch verfassungsrechtliche überwunden werden. Denn zum einen sind strenge Anforderungen an die Annahme einer staatlichen Schutzpflicht zu stellen. Zum anderen führt eine solche zu einem weiten Spielraum. Für die Verwirklichung einer solchen Pflicht stellen die Interessen des durch die Schutzmaßnahmen des Staates belasteten Privaten eine natürliche Grenze dar. Denn Merkmal der Schutzpflicht ist doch gerade, daß ein Privater vor den Übergriffen - und damit kollidierenden Interessen - des anderen Privaten zu schützen ist. Kommt der Staat seiner Schutzpflicht zugunsten des einen Privaten nach, greift er zwingend in grundrechtliche Positionen des anderen Privaten ein. Dieser Eingriff ist - nach der allgemeinen Grundrechtsdogmatik - am Übermaßverbot zu messen 251 . Auch nach dem Bundesverfassungsgericht wird die Schutzpflicht des Staates nur dann aktiviert, wenn diese sich nicht 249 Vgl. aber auch Ramm, JZ 1988, 489, 490, der befürchtet, daß die Grundrechte bei der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung zu sehr in den Hintergrund treten. 250 Badura, Festschrift für Karl Molitor, 1, 9 f.; Höfling, S. 55; Oldiges, Festschrift für Friauf, 281, 305; Stern, Staatsrecht III/1 , S. 1578; wohl auch Pietzcker, Festschrift für Dürig, 345, 363; zustimmend wohl auch Canaris, Grundrechte, S. 81; im Ergebnis ebenso Ferdinand Kirchhof, S. 526, der einen Nachteil darin erblickt, daß die Prüfung der Schutzpflichtverletzung in einem Zivilrechtsstreit und im Zivilrecht ihren Ausgangspunkt findet. 251 So insgesamt überzeugend Canaris, Grundrechte, S. 71 ff. Canaris legt auch mit Nachweisen zur Gegenmeinung überzeugend dar, warum sich der Staat bei der Verwirklichung der Schutzpflicht zwischen Über- und Untermaßverbot bewegt (S. 83 f.).
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in Widerspruch zur Privatautonomie setzt252 . Von einer derart gehandhabten Schutzpflicht bei der Auslegung und Anwendung von Privatrecht geht keine Gefahr für die privatrechtliehen Wertungen aus. Wenn Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in der Literatur auf Kritik gestoßen sind, betraf diese die im Einzelfall vorgenommene Abwägung, nicht aber die Auslegung und Anwendung von Privatrecht über die Schutzpflicht als solche253 . Damit ist vorläufig festzustellen, daß die Schutzpflichtidee eine dogmatisch befriedigendere Erklärung der Grundrechtswirkung bei der Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Normen darstellt als die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung. Allerdings bleibt festzustellen, daß sich die praktischen Ergebnisse, zu denen beide Erklärungsmodelle führen, häufig kaum unterscheiden254 . Beide Erklärungsmodelle für eine Grundrechtsgeltung im Privatrecht ziehen zur Auflösung von Grundrechtskollisionen offensichtlich dieselben Grundsätze heran. Sollen grundrechtliche Wertungen im Privatrecht betrachtet werden, wird nach der Intensität der Grundrechtsbetroffenheit gefragt; dies führt sowohl nach der herkömmlichen Lehre der mittelbaren Drittwirkung als auch bei Aktivierung der Schutzpflicht des Staates dazu, daß eine Abwägung der kollidierenden grundrechtlich geschützten Positionen der Privaten erfolgt255 . Auch in der Rechtsfolge ähneln sich beide Ansätze. Sowohl die Schutzpflicht des Staates als auch die Drittwirkung der Grundrechte sollen zu einem weiten Ermessensspielraum für die Entscheidung über die Einwirkung der Grundrechte in die Auslegung einfachrechtlicher Vorschriften führen256. BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990- 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242, 254 ff. Vgl. aus der kritischen Literatur z. B. Hillgruber, ZRP 1995, 6, 7 ff. ; Spieß, DVBL 1994, 1222, 1226 ff.; zusammenfassend Oldiges, Festschrift für Friauf, 281, 304 f. ; Singer, JZ 1995, 1133, 1136 ff. 254 Daraus resultiert offensichtlich auch, daß in der Literatur vielfach nicht hinreichend deutlich zwischen den beiden dogmatisch unterschiedlichen Lösungswegen einer Grundrechtsgeltung bei der Auslegung und Anwendung von Privatrecht unterschieden wird. Vgl. insoweit nur die Beiträge von Badura, Staatsrecht, C 21; ders., Festschrift für Kar! Molitor, 1, 9; ders., Festschrift für Odersky, 159, 172 ff.; Hesse, Grundzüge, Rn. 351 ff.; Pietzcker, Festschrift für Dürig, 345, 363; Rüfner, Gedächtnisschrift für Martens, 215, 216 mit Fn. 8; ders., in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 117 Rn. 60 mit Fn. 180; Starck, Schutzpflichten, 46, 67 f.; ders., in v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 1 Abs. 3 Rn. 270 ff. Gegen eine Unterscheidung zwischen Drittwirkung und staatlicher Schutzpflicht neuerdings auch Lerche, Festschrift für Odersky, 215, 229 ff.; Lücke, JZ 1999, 377, 382 f., nach denen eine Schutzpflicht des Staates erst dann aktiviert wird, wenn eine Drittwirkung der Grundrechte im Bürger-Bürger-Verhältnis besteht. So wohl auch schon Bleckmann, DVBL 1988, 938, 939 ff. 255 Vgl. statt aller Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. I Rn. 511; Herdegen, Gegenwartsfragen, 161, 176; Stern, Staatsrecht III/1 , S. 1552 ff. für die mittelbare Drittwirkung, S. 1576 ff. für die Schutzpflicht des Staates. 252
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Jedoch werden in der Literatur von Vertretern beider Seiten durchaus Unterschiede im Ergebnis hervorgehoben. So weisen Diederichsen und Zöllner als Vertreter der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung auf die Verwerfungen hin, zu denen die Aktivierung einer staatlichen Schutzpflicht bei der Auslegung privatrechtlicher Normen führen könne. Diederichsen sieht mit der Aufnahme von Schutzpflichten in das einfache Recht tiefgreifende Veränderungen, vor allem wenn durch das Untermaßverbot der Vorrang der Verfassung zusätzlich instrumentalisiert werde. Damit werde der Vorrang der Grundrechte in einer der Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung gleichkommenden Weise in das Privatrecht eingeführt257 . Ähnlich versteht Zöllner die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Schutzpflicht des Richters bei der Auslegung und Anwendung von Privatrecht dahin, daß mit dem Schutzauftrag an den Richter, die Grundrechte zur Geltung zu bringen, die für überholt gehaltene Lehre von der unmittelbaren Wirkung der Grundrechte im Privatrechtsverkehr erneut Anwendung finde. Der Rückgriff auf die Funktion der Grundrechte als Schutzpflicht könne diese Wirkungsweise der Grundrechte nicht abmildern. Überdies sei nicht zu erwarten, daß die Grundrechtsfunktion der Schutzpflicht hinreichende Effektivität erlange und allgegenwärtige Schutzdefizite beseitigen könne. Auf diese würde nur in Einzelfällen zurückgegriffen, obwohl umfangreiche Anwendungsmöglichkeiten wegen vorhandener Schutzdefizite in der Rechtsordnung bestünden258 . Schließlich sieht Böckenförde die Gefahr, daß sich der Gedanke einer allumfassenden aus den Grundrechten hergeleiteten Schutzpflicht verselbständige259 . Die damit aufgezeigten, von der Schutzpflichtidee ausgehenden Gefahren und folglich auch Unterschiede in den Rechtsfolgen beider Lösungsansätze für eine Grundrechtswirkung bei Auslegung und Anwendung des Privatrechts bestehen m. E. nicht. Wie soeben dargelegt, werden auch im Rahmen der Schutzpflicht die privatrechtliehen Wertungen erhalten. Insbesondere müssen erst die Anforderungen an die Aktivierung einer Schutzpflicht vorliegen, bevor das Untermaßverbot auf den Plan tritt. Zudem geht von diesem keine Gefahr für die privatrechtliehen Wertungen aus, weil es weitgehende Spielräume zur Verwirklichung der Schutzpflicht eröffnet. Dies bedeutet, daß die Herleitung einer Grundrechtsgeltung bei Auslegung und Anwendung von Privatrecht über die Schutzpflicht des Staates nicht zur unmit256 Vgl. oben § 2 C 11.2.a) und b); vgl. dazu auch Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 13, der bemängelt, daß der Schutzpflichtgedanke ebenso offen sei wie die von ihm deshalb kritisch betrachtete Wirkung der Grundrechte als objektive Wertentscheidungen. 257 Diederichsen, Rangverhältnisse, 39, 64 ff. 258 Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 9 ff. 259 Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 16 m.w.N.
§ 2 Prüfungsmaßstäbe
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telbaren Anwendbarkeit der Grundrechte im Privatrechtsverkehr führt und damit insbesondere nicht mit der heute nicht mehr vertretenen Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte260 in Verbindung zu bringen ist. Auf der anderen Seite sehen auch Vertreter der Schutzpflichtidee Unterschiede in der Wirkungsweise der Grundrechte im Privatrechtsverkehr je nachdem, ob man der hergebrachten Lehre der mittelbaren Drittwirkung oder der Lösung über die Schutzpflicht des Staates folgt. Nach Oldiges fehlt den Grundrechten im Rahmen der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung als objektive Wertentscheidungen die normative Präzision, die erforderlich sei, damit die Grundrechte handhabbar würden. Vielmehr komme es zu Einzelfallentscheidungen, ohne daß abstrakt feststehe, wieviel vom normativen Gehalt der Grundrechte in die Grundwerte einfließe. Weiter seien bei der Auslegung und Anwendung von Privatrecht Grundrechtskollisionen aufzulösen. Auch die hierbei erforderliche Feinabstimmung der kollidierenden Interessen könnten die Grundrechte nicht leisten. Dagegen böten die grundrechtliehen Schutzpflichten als Handlungsaufträge für den Staat konkrete Maßstäbe für die Verfassungsmäßigkeit richterlicher Entscheidungen261 . Ähnlich geht auch Canaris von unterschiedlichen Ergebnissen einer Grundrechtseinwirkung aus, je nachdem, ob man die Grundrechte im Privatrechtsverkehr über die Schutzpflicht des Staates oder über die hergebrachte Lehre von der mittelbaren Drittwirkung zur Geltung bringt. So kritisiert er an der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte, daß diese zu stark einzelfallabhängigen Abwägungslösungen führe. Der Ansatz bei der Schutzpflicht hingegen führe zunächst zu generelleren Erwägungen, weil anstelle einer Abwägung zunächst geklärt werden müsse, warum ein Schutzgebot in Betracht komme. Hierbei seien abstrakt die kollidierenden verfassungsrechtlich geschützten Positionen zu betrachten. Einer einzelfallbezogenen Abwägung bedürfe es danach vielfach nicht. Erst in einem zweiten Schritt sollten dann - wenn dies noch erforderlich sei - die Gegebenheiten des Einzelfalls in die Abwägung einfließen262 . Diese Erwägungen vermögen m. E. im Ergebnis nicht zu überzeugen. Der überragende Vorteil der Schutzpflichtlösung liegt nicht darin, daß diese abstraktere und präzisere Erwägungen veranlaßt Entgegen Oldiges ist nicht ersichtlich, daß die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen vagere Wertungen enthalten als die herkömmlich aus der objektiven Wertentscheidung hergeleitete Schutzpflicht des Staates, die im Rahmen des UntermaßVgl. hierzu § 2 C.II.2.c). Oldiges, Festschrift für Friauf, 281, 288 f. einerseits, 305 f. andererseits; so wohl auch Lerche, Festschrift für Odersky, 215, 231. 262 Canaris, Grundrechte, S. 53 ff. 2 60 261
C. Wirkung der Grundrechte im Insolvenzrecht
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verbots weite Spielräume für die zum Schutz verpflichtete öffentliche Gewalt eröffnet263 . Die von Canaris vorgebrachten Beispiele einer einzelfallbezogenen Abwägung der hergebrachten Lehre der mittelbaren Drittwirkung mögen zutreffend sein und es mag sein, daß abstraktere Erwägungen zu anderen Ergebnissen führen. Dies stellt aber keine generelle Schwäche der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung dar. Denn es sind abstrakte Erwägungen - beispielsweise zum Stellenwert der betroffenen Grundrechte - auch im Rahmen dieser Lehre möglich; dies ist allein eine Frage der sachgerechten Abwägung der kollidierenden privaten Interessen. Ein Vorteil der Schutzpflichtlösung ist nicht zwingend in einem vermeintlich höheren Abstraktionsgrad zu erblicken, führt dieser Lösungsweg selbst doch in weiteren Gedankenschritten zumeist auch zu einer einzelfallbezogenen Abwägung. Das von Canaris vorgeschlagene methodische Vorgehen ergibt sich nicht zwingend allein aus der Schutzpflichtlösung. Insoweit sind keine wesentlichen inhaltlichen Unterschiede der beiden Auffassungen erkennbar. Weiter sind - gleichgültig, wie man die Grundrechtswirkung bei der Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Normen herleitet - im Ergebnis immer konkrete Abwägungen unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls angezeigt; das Ziel der Auslegung, durch Einbeziehung grundrechtlicher Wertungen zu einem sach- und interessengerechten Ergebnis zu gelangen, verbietet es, bei abstrakten Betrachtungen stehen zu bleiben. Wenn Canaris Fälle für denkbar hält, in denen allein abstrakte Erwägungen zum Ziel führen sollen, vermag dies im Ergebnis nicht zu überzeugen. Den widerstreitenden privatrechtlichen Interessen kann erst vollständig genügt werden, wenn alle Umstände des Einzelfalls in die Abwägung einbezogen worden sind264. In einem anderen Punkt ist allerdings Canaris zuzustimmen und damit wohl ein gewisser inhaltlicher Unterschied der beiden Lehren festzustellen. Einzuräumen ist, daß die Annahme einer Schutzpflicht bei der Auslegung und Anwendung von Privatrecht zu flexibleren Rechtsfolgen führt als die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung, deren Rechtsfolge sich zwingend aus der Einbruchstelle für die verfassungsrechtlichen Wertungen, der zivilrechtlichen Generalklausel selbst, ergibt. Darauf hat Canaris bereits früh aufmerksam gemacht und selbst Diederichsen hat in seiner Kritik an der Schutzpflichtlösung von Canaris diesen Vorteil anerkannt265 . Damit sprechen vor allem in dogmatischer Hinsicht, aber auch in der Handhabung im Einzelfall die überzeugenderen Gründe für die Einbeziehung grundrechtlicher Wertungen in die Auslegung privatrechtlicher Vorschriften über den Schutzpflichtgedanken. Interessant ist an dieser HerleiVgl. oben § 2 C.l.l. So auch Ossenbühl, DVBI. 1995, 904, 907. 265 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 232 ff.; zusammenfassend nunmehr ders., Grundrechte, S. 48 f.; insoweit zustimmend Diederichsen, Rangverhältnisse, 39, 54. 263
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§ 2 Prüfungsmaßstäbe
tung schließlich, daß sie gerade dann aktiviert werden soll, wenn eine Seite der Rechtsmacht der anderen ausgesetzt ist. Das Bundesverfassungsgericht stellte mehrfach entscheidend darauf ab, ob das zu beurteilende Rechtsverhältnis durch eine Fremdbestimmung oder ein Über-/Unterordnungsverhältnis geprägt ist und dadurch in die grundrechtlich geschützte Privatautonomie eingegriffen wird266 . Dieser Gesichtspunkt kann gerade für das Insolvenzrecht interessant werden; mit der Schutzpflichtidee können also geeignetere Wertungsgrundlagen gegenüber der herkömmlichen Lehre von der mittelbaren Drittwirkung gewonnen sein. Der privatrechtliche Teil des Insolvenzrechts ist - wie das gesamte Insolvenzrecht - dadurch gekennzeichnet, daß die Verfahrensbeteiligten und insbesondere der Schuldner den Entscheidungen der Verfahrensorgane weitgehend ausgesetzt sind. Mit dem privatrechtliehen Teil des Insolvenzrechts liegt ein Paradefall vielfacher Fremdbestimmung und Über- und Unterordnung vor. Eine derartige Hervorhebung des Grundrechtsschutzes zugunsten desjenigen, der im Privatrechtsverkehr der Rechtsmacht anderer ausgesetzt ist, ist zwar auch der herkömmlichen Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht nicht fremd. Auch sie fragt nach der Intensität der Grundrechtsbetroffenheit und gelangt damit zu einem Schutz des im Rechtsverkehr Schwächeren267 • Sie konzentriert ihren Blick aber nicht gerade auf Ungleichgewichtslagen. Demgegenüber bringt die insgesamt vorzugswürdige Schutzpflichtidee von vomherein die für die Problemlagen des Insolvenzrechts spezifischere Sicht mit, indem sie fragt, ob Ungleichgewichtslagen existieren.
266 Vgl. § 2 Fn. 193; kritisch gegenüber diesem Kriterium zur Aktivierung der Schutzpflicht jedoch Teile der Literatur Hillgruber, AcP 191 (1991), 69, 73 f., 85; lsensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 111 Rn. 131; Stern, Staatsrecht Ill/1, S. 1555; kritisch ebenso Canaris, AcP 184 (1984), 201, 206 f.; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 61 f., nach denen die Anerkennung der gestörten Vertragsparität für den Schutz der Grundrechte im Privatrechtsverkehr eine Rückkehr zur Lehre von der unmittelbaren Wirkung der Grundrechte befürchten läßt. Andererseits befürwortet Canaris, AcP 184 (1984), 201, 220, eine Wirkung der Grundrechte sogar als subjektive Abwehrrechte bei Einsatz des Rechtsgeschäfts durch den Gesetzgeber zur Fremdbestimmung. Dies folgt für Canaris aus der von ihm vertretenen Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte als subjektive Abwehrrechte. Vgl. schließlich zur Bedeutung der Fremdbestimmung im Privatrechtsverkehr auch Wiedemann, JZ 1990, 695, 697, der darauf hinweist, daß eine Ungleichgewichtslage nicht das allein entscheidende Kriterium sein kann, um untragbare Konsequenzen im Privatrechtsverkehr festzustellen. 267 Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 9 m.w.N.; Hesse, Grundzüge, Rn. 357; vgl. auch Pieroth/Schlink, Rn. 183, die auf der Grundlage der herkömmlichen Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte ausdrücklich deren Hauptanwendungsgebiet in der Herstellung "faktischer Symmetrie" sehen, d. h. in der Beseitigung von privater Machtausübung.
Zweiter Teil
Verfassungsrechtliche Probleme des Eröffnungsverfahrens Das Insolvenzeröffnungsverfahren gliedert sich in die Zulassung des Insolvenzantrags und die häufig zeitlich aufwendige Prüfung von dessen Begründetheit1. Offen ist während dieses Verfahrensabschnittes, ob das Insolvenzverfahren überhaupt eröffnet wird; das Insolvenzeröffnungsverfahren kann ebenso mit einer Abweisung des unbegründeten oder gar bereits unzulässigen Insolvenzantrags enden, sowie mit der Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse und Eintragung des Schuldners in das Schuldnerverzeichnis (§ 26 Abs. 1 und 2 lnsO). In diesem weitgehend vom Insolvenzgericht beherrschten Verfahrensabschnitt treten Beeinträchtigungen vielfältiger verfassungsrechtlich geschützter Positionen - meist solcher des Schuldners - auf. An ausgewählten, verfassungsrechtlich brisanten Beispielen sollen sowohl die das Insolvenzeröffnungsverfahren beherrschenden verfassungsrechtlichen Wertungen entwickelt als auch deren Wirkungen als Auslegungsdirektiven für das einfache Recht aufgezeigt werden.
§ 3 Die Zulässigkeit des Insolvenzantrags
in besonderen Problemlagen
Das Insolvenzverfahren wird nur auf Antrag eröffnet (§ 13 Abs. 1 Satz 1 InsO). Antragsberechtigt sind nach § 13 Abs. 1 Satz 2 InsO sowohl der Schuldner als auch die Gläubiger. Für die Gläubiger ist mit der bloßen Zulassung des Insolvenzantrags noch keine Belastung erkennbar. Zwar mag der weitere Verfahrensablauf für die Gläubiger zu Belastungen führen. Zu denken wäre z. B. im Eröffnungsverfahren an die Einschränkungen der Rechtsdurchsetzung, denen die Gläubiger durch ein Vollstreckungsverbot nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 lnsO ausgesetzt sein können. Weiter sind bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch §§ 88, 89 InsO sowie die Durchführung des Verfahrens vielfältige Belastungen für die Gläubiger denkbar. Dies sind aber herkömmliche und mit Ziel und Zweck des Insolvenzverfahrens traditionell verbundene Konse1 Zu diesem Verfahrensablauf entsprechend im alten Recht vgl. Kuhn/Uhlenbruck, § 105 Rn. 1 ff.
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§ 3 Zulässigkeit des Insolvenzantrags in besonderen Problemlagen
quenzen. Hierdurch werden die Gläubiger jedenfalls nicht derartig über Gebühr belastet, daß diese Belastungen im Rahmen des weiteren Verfahrens bereits Vorwirkungen auf die Zulassung des Insolvenzantrags haben. Es stellen sich damit keine verfassungsrechtlich interessanten Probleme. Anders ist dies bei dem Schuldner, der gegen seinen Willen einem Gläubigerantrag ausgesetzt ist. Für ihn ist die Durchführung des Insolvenzverfahrens mit gravierenden Belastungen seiner verfassungsrechtlich geschützten Positionen verbunden. Trotz dieser Belastungen für den Schuldner ist die Durchführung eines Insolvenzverfahrens grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt. Im Gegenteil: dieses Verfahren hat das Ziel, die Gläubiger zu befriedigen und die gegenläufigen Interessen des Schuldners und seiner Gläubiger, aber auch die der Gläubiger untereinander in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren zum Ausgleich zu bringen. In Einzelfällen kann es aber zu außergewöhnlichen Belastungen des Schuldners kommen. In solchen Fällen kann sich bereits im Stadium der Zulassung des Insolvenzantrags die Aufgabe stellen, auf vermeidbare Belastungen durch den Fortgang des Verfahrens zu achten. So werden in der Literatur und Rechtsprechung bis in die heutige Zeit zwei Fallgestaltungen diskutiert, in denen mit verfassungsrechtlichen Erwägungen bereits die Zulässigkeit des Insolvenzantrags verneint werden soll. A. Insolvenzrechtlicher Befund I. Geringe Gläubigerforderung
Die Diskussion um die Beachtlichkeit von Schuldnerinteressen entzündet sich an der Frage, ob jede noch so geringe Forderung zur Zulassung des Insolvenzantrags führen kann. Die Schuldnerinteressen treten nach einem Teil der Rechtsprechung und Literatur dann auf den Plan, wenn der antragstellende Gläubiger lediglich eine Minimalforderung inne hat. 1. Vemeinung der Zulässigkeif des Insolvenzantrags bei geringfügiger Forderung
Nach einem Teil der Rechtsprechung und auch der insolvenzrechtlichen Literatur ist bereits die Zulassung des Gläubigerantrags dann zu versagen, wenn es sich um eine geringfügige Gläubigerforderung eines einfachen Insolvenzgläubigers handelt. Nach dieser Auffassung ist zwar für die Zulässigkeil eines Gläubigerantrags keine ausdrückliche Mindesthöhe vorgesehen. Jedoch fehle dem Gläubigerantrag bei einer geringfügigen Forderung das Rechtsschutzinteresse. Denn für die Bejahung des Rechtsschutzinteresses des Gläubigers sei eine Interessenahwägung vorzunehmen. Abgesehen
A. Insolvenzrechtlicher Befund
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von dem Aufwand eines Insolvenzverfahrens sollen in die Abwägung vor allem Schuldnerbelange einzustellen sein. Das Insolvenzverfahren führe für den Schuldner zu wirtschaftlichem Ruin und vernichte dessen Existenz. Auf der anderen Seite erlange der Gläubiger nur einen Teil seiner Forderung. Dieser geringe wirtschaftliche Erfolg des Insolvenzverfahrens für den Gläubiger stünde in keinem Verhältnis zum angerichteten Schaden; jedes andere Ergebnis widerspreche dem Grundsatz von Treu und Glauben2 . Im einzelnen differieren unter den Vertretern dieser Auffassung die Angaben, bis zu welcher Forderungshöhe eine Gläubigerforderung als geringfügig anzusehen ist und daher zur Ablehnung einer Zulässigkeit des Gläubigerantrags führen sole. Diese zur KO entwickelten Argumente behalten auch unter Geltung der InsO ihre Bedeutung. Der Gläubiger erlangt nunmehr nicht nur durch die Verwertung der Insolvenzmasse nach den gesetzlichen Regelungen, sondern auch durch den Insolvenzplan (§§ 217 ff. InsO, insbesondere §§ 221, 224 InsO) im Insolvenzverfahren in der Regel nur einen Teil seiner Forderung.
2 So insgesamt HansOLG Hamburg, Beschl. v. 27.12.1972- 6 W 74/72, MDR 1973, 415 f. m. w.N. aus der älteren Literatur; LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 1.3.1967- 12 T 3/67, Rpfleger 1968, 57; LG Bremen, Beschl. v. 26.10.1971- 8 T 608171, Rpfleger 1972, 27 f.; LG Mannheim, Beschl. v. 30.6.1976 - 4 T 166176, BB 1976, 1051 (aufgegeben durch den Beschl. v. 17.7.1985 - 4 T 79/85, MDR 1986, 246); LG Braunschweig, Beschl. v. 23.1.1976 - 8 T 28176, Rpfleger 1977, 140; Jaeger/Weber, K08 , § 103 Rn. 6. So im Ergebnis auch das AG Hildesheim, Beschl. v. 4.9.1971 - 25 N 47171, Rpfleger 1972, 61. Das Gericht begründet seine Entscheidung zwar damit, daß die Forderung zu geringfügig sei, um das Konkursverfahren und dessen Kosten zu rechtfertigen. Das Kriterium der Verfahrenskosten wurde aber offensichtlich nur als Maßstab für die Geringfügigkeit gewählt. Damit ist der Beschluß auch von der Auffassung getragen, daß der Gläubigerantrag aus Gründen des Schuldnerschutzes nicht bei jeder noch so geringen Forderung zuzulassen ist; vgl. zu diesem Verständnis auch die Anrn. von Henze, Rpfleger 1972, 61 f. 3 Rechtsschutzinteresse verneint für Forderung bis 1000 DM von HansOLG, Beschl. v. 27.12.1972 - 6 W 74/72, MDR 1973, 415 f.; für Forderung von 127,61 DM von LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 1.3.1967 - 12 T 3/67, Rpfleger 1968, 57; für Forderung von 115 DM verneint von LG Bremen, Beschl. v. 26.10.1971- 8 T 608171, Rpfleger 1972, 27 f.; für Forderung von unter 500 DM verneint von LG Mannheim, Beschl. v. 30.6.1976-4 T 166176, BB 1976, 1051; verneint wegen entgegenstehender Verfahrenskosten für Forderung von 500 DM Hauptforderung mit Zinsen und Kosten von AG Hildesheim, Beschl. v. 4.9.1971- 25 N 47171, Rpfleger 1972, 61; das Rechtsschutzinteresse wird dagegen bejaht für Forderung von 777 DM von LG Braunschweig, Beschl. v. 23.1.1977-8 T 28176, Rpfleger 1977, 140.
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§ 3 Zulässigkeit des Insolvenzantrags in besonderen Problemlagen
2. Keine Versagung der Zulässigkeil des Insolvenzantrags bei geringfügiger Forderung
Die inzwischen herrschende Lehre und Rechtsprechung hingegen lehnen die Verneinung der Zulässigkeit eines Insolvenzantrags bei geringer Forderung des Gläubigers ab4 ; dennoch problematisieren sie bis heute die Zulässigkeit des Insolvenzantrags aufgrund einer lediglich geringfügigen Forderung als Frage des Rechtsschutzinteresses5 . Zum gleichlautenden alten Recht wird von den Vertretern dieser Auffassung vorgetragen, der Gesetzgeber habe sich ausdrücklich gegen die Mindesthöhe einer Gläubigerforderung ausgesprochen. Ausweislich der Materialien zur KO sei dem Gesetzgeber die Regelung anderer Rechtsordnungen - wie z. B. in England und Amerika -, die Mindestforderungen vorsehen, bekannt gewesen6 . Dies sei bewußt nicht übernommen worden, um die Gläubiger kleiner Forderungen nicht zurückzusetzen7 . Schließlich kenne auch das Zwangsvollstrekkungsrecht keine Mindestforderungen8 • Daher sei eine Erweiterung der Zulässigkeitsvoraussetzungen gegen den Gesetzeswortlaut Zweifeln ausge4 So insgesamt BGH, Beschl. v. 20.3.1986 - III ZR 55/85, NJW-RR 1986, 1188 f.; LG Oldenburg, Beschl. v. 5.5.1978 - 5 T 846177, KTS 1979, 215; LG Dortmund, Beschl. v. 8.7.1980- 9 T 340/80, KTS 1980, 417; LG Stuttgart, Beschl. v. 2.2.1982 - 2 T 79, 80/82, Rpfleger 1982, 193; LG Würzburg, Beschl. v. 8.12.1983- 3 T 2045/83, BB 1984, 95; LG Mannheim, Beschl. v. 17.7.1985 - 4 T 79/85, MDR 1986, 246; LG Köln, Beschl. v. 3.2.1986 - 19 T 42/86, MDR 1986, 507; LG Kempten, Beschl. v. 3.4.1987 - 4 T 457/87, MDR 1987, 771 f.; LG Berlin, Beseht. v. 15.1.1992 - 81 T 890/91, Rpfleger 1992, 173; Adam, S. 22; Baur/Stümer, ll, Rn. 7.18; Delhaes, S. 91; Gerhardt, Festschrift für Weber, 181, 189 ff.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7 .08; Kilgerl Karsten Schmidt, § 105 KO Anm. 2; Uhlenbruck, MDR 1973, 636 f.; so wohl auch Unger, KTS 1962, 205, 212 f. 5 Breutigam/Blersch/Goetsch, § 14 Rn. 12; FK2 /Schmerbach, § 14 Rn. 39; HK2! Kirchhof, § 14 Rn. 22; Nerlich/Römermann/Mönning, 14 Rn. 15. 6 Vgl. dazu Hahn, Materialien, S. 296. 7 So insgesamt LG Oldenburg, Beschl. v. 5.5.1978 - 5 T 846177, KTS 1979, 215; LG Dortmund, Beschl. v. 8.7.1980- 9 T 340/80, KTS 1980, 417; LG Stuttgart, Beschl. v. 2.2.1982- 2 T 79, 80/82, Rpfleger 1982, 193; LG Gießen, Beschl. v. 8.2.1985 - 7 T 52/85, MDR 1985, 508; LG Bückeburg, Beschl. v. 18.6.1985-4 T 43/85, MDR 1985, 855 f.; LG Mannheim, Beschl. v. 17.7.1985 - 4 T 79/85, MDR 1986, 246; LG Köln, Beschl. v. 3.2.1986- 19 T 42/86, MDR 1986, 507; LG Memmingen, Beschl. v. 20.5.1986 - 4 T 742/86, MDR 1986, 860 (Leitsatz); LG Kempten, Beseht. v. 3.4.1987- 4 T 457/87, MDR 1987, 771 f.; LG Berlin, Beschl. v. 15.1.1992-81 T 890/91, Rpfleger 1992, 173; Adam, S. 22; Delhaes, S. 91; Gerhardt, Festschrift für Weber, 181, 189 ff.; Häsemeyer, Inso1venzrecht, Rn. 7.08; Kilger!Karsten Schmidt, § 105 KO Anm. 2; Jürgen Mohrbutter, KTS 1973, 190. 8 LG Stuttgart, Beschl. v. 2.2.1982- 2 T 79, 80/82, Rpfleger 1982, 193; Gerhardt, Festschrift für Weber, 181, 190 f. jeweils insbesondere unter Hinweis auf die als Ordnungsvorschrift wirkende Regelung in § 866 Abs. 3 ZPO.
A. Insolvenzrechtlicher Befund
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setzt9 . Da die InsO keine inhaltliche Änderung zum alten Recht, sondern lediglich eine Klarstellung vorgenommen habe 10, könnten die bisherigen Argumente auch im neuen Recht noch Geltung beanspruchen 11 • Einige Vertreter dieser Auffassung kritisieren weiter die Anknüpfung der Beachtung von Schuldnerinteressen gerade an das Rechtsschutzinteresse. Das Rechtsschutzinteresse diene als Aufhänger für Billigkeitserwägungen, wenn es allein danach frage, ob der Gläubiger mit seinem Antrag dem Verfahrenszweck entsprechende Ziele verfolge 12 . Dabei stelle sich nicht die Frage nach den Schuldnerinteressen. Für eine Abwägung der Schuldnerinteressen mit denen des Gläubigers sei daher im Rahmen des Rechtsschutzinteresses kein Raum 13 . Solche Bedenken zum Einfluß von Schuldnerinteressen unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzinteresses sollen allerdings nicht dazu führen, dem Rechtsschutzinteresse bei geringfügigen Forderungen keine Bedeutung mehr beizumessen. Zum Teil wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das Rechtsschutzinteresse selbstverständlich bei einer geringfügigen Forderung aus anderen Gründen versagt werden könne, denn allein die Geringfügigkeit der Forderung vermöge nicht zur Vemeinung des Rechtsschutzinteresses zu führen. Das Vorliegen anderer das Rechtsschutzinteresse ausschließender Gründe für den Insolvenzantrag bedürfe bei einer geringen Gläubigerforderung sogar besonderer Aufmerksamkeit. Denn gerade eine geringe Forderung lege den Verdacht nahe, der Gläubiger stelle den Antrag aus verfahrensfremden Erwägungen - so z. B. als Druckmittel - und ihm mangele es aus diesem Grunde am erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Dies bedeute aber nicht, daß die geringe Forderung allgemein eine im Rahmen fehlenden Rechtsschutzinteresses anzuerkennende Fallgruppe sei; es bestehe eben nur die naheliegende Gefahr, daß der Gläubigerantrag aus sachfremden Interessen gestellt werde, die zu einer Abweisung wegen mangelnden Rechtsschutzinteresses führten 14 . 9 So ausdrücklich LG Würzburg, Beschl. v. 8.12.1983- 3 T 2045/83, BB 1984, 95; LG Gießen, Beschl. v. 8.2.1985- 7 T 52/85, MDR 1985, 508; LG Bückeburg, Beschl. v. 18.6.1985 - 4 T 43/85, MDR 1985, 855 f.; LG Mannheim, Beschl. v. 17.7.1985 - 4 T 79/85, MDR 1986, 246; LG Kempten, Beschl. v. 3.4.1987 - 4 T 457/87, MDR 1987, 771 f. 10 Gottwalcf!Uhlenbruck, § 12 Rn. 9. 11 So bereits Kübler/Prütting/Pape, § 14 Rn. 11. 12 Delhaes, S. 91; Gerhardt, Festschrift für Weber, 181, 192; allgemein zum Rechtsschutzinteresse und den Gefahren Stein/Jonas/Schumann, vor § 253 Rn. 102 ff. 13 LG Oldenburg, Beschl. v. 2.2.1982 - 5 T 400/81, KTS 1982, 498 f.; LG Würzburg, Beschl. v. 8.12.1983 - 4 T 2045/83, BB 1984, 95; Adam, S. 16. 14 Dazu OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.1.1973 - 2 W 4173, Rpfleger 1973, 255 m. w.N.; LG Oldenburg, Beschl. v. 5.5.1978 - 5 T 846177, KTS 1979, 215, 216; LG Gießen, Beschl. v. 8.2.1985 - 7 T 52/85, MDR 1985, 508; AG Hildesheim, Beschl. v. 4.9.1971 - 25 N 47171, Rpfleger 1972, 61, m. Anm. Henze, Rpfleger
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Weiter werden von einigen Vertretern dieser Auffassung grundsätzliche Bedenken gegen den Einfluß von Schuldnerinteressen in die Entscheidung über die Zulässigkeit des Insolvenzantrags vorgebracht. Insbesondere solle sich die Versagung der Zulässigkeit eines Insolvenzantrags auch nicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stützen lassen. Dafür werden unterschiedliche Begründungen genannt. Zum einen soll der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus allgemeinen Erwägungen nicht für eine Einbeziehung der Schuldnerinteressen im Rahmen der Zulässigkeit eines Insolvenzantrags nutzbar gemacht werden können 15 • Zum anderen wird ausgeführt, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei bei der Beurteilung der Zulässigkeil eines Gläubigerantrags zwar heranziehbar, führe jedoch auch bei einer geringen Gläubigerforderung nicht zu einer Versagung der Zulässigkeit 16• Wird damit die Beachtung der Schuldnerinteressen bei Beurteilung der Zulässigkeil eines Gläubigerantrags abgelehnt, weisen die Vertreter dieser Auffassung vereinzelt darauf hin, daß dieses Ergebnis auch nicht unbillig sei. Schließlich hielten sich die Folgen der Zulassung eines Insolvenzantrags für den Schuldner gerade bei einer geringfügigen Forderung in Grenzen. Sei der Schuldner zur Befriedigung selbst einer geringen Forderung nicht in der Lage, so komme es ohnehin zur Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse (vgl. § 26 InsO), es drohe allein die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis. Zudem könne ebenso die Zwangsvollstreckung zu gravierenden Eingriffen führen, ein erhöhter Schutz gegenüber Insolvenzanträgen sei nicht angezeigt 17• Gegen eine unbillige Versagung von Schuldnerschutz bereits bei Prüfung der Zulässigkeil eines Gläubigerantrags wird schließlich § 765 a ZPO ins Feld geführt. Vereinzelt wird darauf hingewiesen, daß der Schuldner Schutz gegenüber unerträglichen Härten bei der Zulassung eines Gläubigerantrags durch die Stellung eines Antrags analog § 765 a ZPO erlangen könne 18. Andere lehnen die Anwendung von § 765 a ZPO für den Insolvenzantrag 1972, 61 f.; vgl. auch Uhlenbruck, MDR 1973, 636, 637, der ausdrücklich darauf hinweist, daß eine geringfügige Forderung noch nicht den Verfahrensmißbrauch zu indizieren vermöge. Ebenso zur InsO nunmehr HK2/Kirchhof, § 14 Rn. 22; Nerlich/ Römermann/Mönning, § 14 Rn. 15. 15 Gerhardt, Dike International 1996, 77, 90 f., der eine Beachtung der Schuldnerinteressen im Rahmen der Zulässigkeit des Gläubigerantrags dem falsch verstandenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zuschreibt. 16 Adam, S. 25 ff., 40 ff.; so auch LG Oldenburg, Beseht. v. 2.2.1982- 5 T 400/ 81, KTS 1982, 498, 499, allerdings mit der Begründung, für die uneingeschränkte Zulassung von Gläubigeranträgen spreche auch das Verfahrensziel, das Wirtschaftsleben vor vermögenslosen Schuldnern zu schützen. 17 So offensichtlich LG Stuttgart, Beseht. v. 2.2.1982- 2 T 79, 80/82, Rpfleger 1982, 193; ähnlich kritisch LG Göttingen, Beseht. v. 8.3.1993 - 6 T 37/93, ZIP 1993, 446, 447.
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ab 19 und leiten aus dieser Regelung für das Vollstreckungsrecht ein weiteres Argument gegen die Beachtung von Schuldnerinteressen bei Feststellung der Zulässigkeil eines Insolvenzantrags ab. So wird vertreten, daß Vollstreckungsschutz im Zwangsvollstreckungsverfahren erst mit einem Antrag des Schuldners nach § 765 a gewährt werde; angesichts dieser Ausnahmevorschrift für den Schuldnerschutz bestünden um so mehr Bedenken, im Insolvenzverfahren, das keinen derartig ausgeprägten Schuldnerschutz vorsehe, Schuldnerinteressen bereits in die Frage der Zulässigkeil des Gläubigerantrags zu ziehen20 . Auch Praktikabilitätsecwägungen sollen schließlich gegen die Einbeziehung von Schuldnerinteressen in die Prüfung der Zulässigkeit des Insolvenzantrags sprechen. So wird in der Rechtsprechung darauf hingewiesen, es komme zu unlösbaren Abgrenzungsproblemen, wenn im Einzelfall bei geringer Gläubigerforderung die Gläubiger- und Schuldnerinteressen abzuwägen seien21 . Ein weiteres, vereinzelt in der Rechtsprechung früher vorgebrachtes Argument vermag nicht mehr zu greifen. Danach sollte ein Gläubigerantrag bei einer lediglich geringen Forderung auch deshalb zulässig sein, weil ein weiterer Zweck des Konkursverfahrens darin liege, vermögenslose Schuldner aus dem Wirtschaftsleben auszuschließen22 . Die InsO verfolgt nicht diesen Zweck. Die Ziele der lnsO sind in § I InsO umschrieben. Es geht dabei in erster Linie um die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger. Hierzu stehen in der InsO die drei Wege der Haftungsverwirklichung durch Liquidation, Sanierung des Unternehmensträgers und übertragende Sanierung gleichberechtigt nebeneinander23 . Es wird bereits in den Gesetzesma18 LG Darmstadt, Beschl. v. 29.5.1956 - 5 T 195/56, BB 1956, 870; LG Dortmund, Beschl. v. 8.7.1980 - 9 T 340/80, KTS 1980, 417, 418; Stein!Jonas/Münzberg, § 765 a Rn. 36; Zöller/Stöber, § 765 a Rn. 2; vgl. auch Jonas/Pohle, S. 33 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des RG bereits zum VollstrMißbrauchG; nicht eindeutig BGH, Urt. v. 6.6.1977 - III ZR 53/75, KTS 1978, 24, 29 f., der einen Antrag des Schuldners nach § 765 a ZPO im Eröffnungsverfahren nicht von vomherein für ausgeschlossen hält. 19 OLG Nümberg, Beschl. v. 10.2.1971 - 2 W 18/71 , KTS 1971, 291; Jaegerl Weber, K0 8 , § 105 Rn. 7; Kifger/Karsten Schmidt, § 105 KO Anm. 3; Kübler/Prütting/Pape, § 14 Rn. 17; Kuhn/Uhlenbruck, § 105 Rn. 7; MünchKomm-ZPO/Heßler, § 765 a Rn. 20. 20 Uhlenbruck, MDR 1973, 636; so wohl auch Jürgen Mohrbutter, KTS 1973, 190. 21 LG Dortmund, Beschl. v. 8.7.1980 - 9 T 340/80, KTS 1980, 417, 418; LG Stuttgart, Beschl. v. 2.2.1982-2 T 79, 80/82, Rpfleger 1982, 193. 22 LG Oldenburg, Beschl. v. 5.5.1978- 5 T 846/77, KTS 1979, 215, 216; LG Oldenburg, Beschl. v. 2.2.1982- 5 T 400/81 , KTS 1982, 498, 499; LG Würzburg, Beschl. v. 8.12.1983 - 3 T 2045/83, BB 1984, 95; Uhlenbruck, MDR 1973, 636; kritisch zu diesem Argument Gerhardt, Festschrift für Weber, 181, 193.
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terialien ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das Insolvenzrecht weder zwingend zum Erhalt noch zur Entfernung von Unternehmensträgem führen solle24. II. Schutz vitaler Schuldnerinteressen
In der Praxis stellt sich weiter bei besonderer gesundheitlicher Disposition des Schuldners die Frage, inwieweit Schuldnerinteressen bei Feststellung der Zulässigkeil eines Gläubigerantrags zu berücksichtigen sind. Zwar findet im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung des Gläubigerantrags noch keine Anhörung des Schuldners statt (vgl. § 14 Abs. 2 InsO), so daß diese Umstände dem Insolvenzgericht vielfach noch nicht bekannt sind. In der Praxis jedoch kann sich daraus, daß der Schuldner aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Befriedigung der Gläubigerforderung imstande ist, die besondere gesundheitliche Disposition bereits mit dem Gläubigerantrag erschließen; damit kann auch mit dem Gläubigerantrag schon feststehen, daß die Gesundheit des Schuldners nachteilig durch die Durchführung eines Insolvenzverfahrens beeinflußt werden könnte. Vielfach wird in der Praxis frühzeitig darauf hingewirkt, daß bereits die Zulassung des Gläubigerantrags deshalb am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit scheitert, weil bei Fortgang des Verfahrens erhebliche Gesundheitsschäden beim Schuldner zu erwarten seien 25 . Weiter wird in der Praxis häufig versucht, durch ärztliche Atteste nachzuweisen, daß der Schuldner im weiteren außerstande sei, seinen verfahrensrechtlichen Pflichten im Insolvenzverfahren nachzukommen. Damit soll gleichfalls bereits die Zulassung des Gläubigerantrags unterbunden werden26 . Diese Entwicklung wurde offensichtlich beeinflußt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen. Dort wurde unter Berufung auf ernste Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schäden durch Vollstreckungsmaßnahmen mit Erfolg Vollstreckungsschutz begehrt27 • Die uneingeschränkte Einbeziehung gesundheitlicher Erwägungen in die Prüfung der Zulässigkeit eines Gläubigerantrags hat Ablehnung erfahren. Vgl. Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 1212443 S. 77 f. Vgl. oben § I Fn. 5. 25 Dies berichten Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 484; Kuhn/Uhlenbruck, § 105 Rn. 8 a; dagegen vgl. OLG Nürnberg, Beschl. v. 10.2.1971 - 2 W 18171, KTS 1971, 291 f. 26 So Kuhn/Uhlenbruck, § I 05 Rn. 8 a. 21 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 3.10.1979 - I BvR 614179, BVerfGE 52, 214, 219 ff., BVerfG (l. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 21.8.1991 - I BvR 1040/91 , NJW 1991, 3207; BVerfG, Beschl. v. 29.9.1991 - 1 BvR 1466/91 , NJW 1991, 3207, 3208 jeweils zur Gewährung von Räumungsschutz, um unzulässige Gesundheitsbeeinträchtigungen zu verhindern. 23
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So wird eingewandt, das Insolvenzverfahren sei lediglich auf das Vermögen des Schuldners bezogen. Persönliche Belange des Schuldners - wie die gesundheitlichen - könnten nicht einbezogen werden, selbst wenn diese Grund für die Insolvenz seien. Eine Beachtung der persönlichen Situation des Schuldners komme allein dann in Betracht, wenn aufgrund besonderer gesetzlicher oder Verwaltungsvorschriften eine Einbeziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorgesehen sei28 . Andere Stimmen in der Literatur erachten eine Anwendbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aus allgemeineren Erwägungen für zweifelhaft. Die Argumente gegen die Anwendung dieses Grundsatzes stammen aus der parallelen Diskussion zur Einzelvollstreckung und werden auf die Gesamtvollstreckung übertragen. Danach soll auch im Insolvenzrecht gegen die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sprechen, daß dieser im Verhältnis des Schuldners zum Gläubiger keinen Raum habe. Denn dieser komme im Verhältnis des Bürgers zum Staat zum Zuge. Das Vollstreckungsrecht hingegen sei nicht durch ein Staat-Bürger-Verhältnis gekennzeichnet, vielmehr schiebe sich der Staat nur wegen des Verbots der Selbsthilfe in das Verhältnis der Bürger. Daher sei kein Schuldnerschutz mit Erwägungen der Verhältnismäßigkeit zu begründen; eine Ausnahme sei allein dann anzunehmen, wenn es um die Beeinträchtigung absoluter Rechte des Schuldners gehe, insbesondere dessen Leben29 . B. Der verfassungsrechtliche Ansatz Dieser Befund zeigt, daß offensichtlich ein Bedürfnis für die Beachtung der Schuldnerinteressen in bestimmten Fällen besteht. Beherrscht wird die Diskussion von verfassungsrechtlichen Argumenten, insbesondere dem Gedanken der Verhältnismäßigkeit Angesichts dieser Diskussion bietet es sich an, die Anforderungen an die Zulässigkeit eines Gläubigerantrags nach § 14 Abs. 1 InsO in den genannten Fällen der geringen Gläubigerforderung sowie der Beeinträchtigung vitaler Schuldnerinteressen verfassungsrechtlich zu untersuchen. Auch wenn nach dem heutigen Stand der Diskussion davon auszugehen ist, daß Schuldnerinteressen bei der Zulässigkeit des Insolvenzantrags keine Berücksichtigung finden sollen30, bleibt doch die Frage unKuhn/Uhlenbruck, § 105 Rn. 8 a m. w. N. zu den denkbaren Ausnahmen. Ausdrücklich zur Problematik im Insolvenzrecht Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 482 ff., vgl. allgemein ablehnend zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Zwangsvollstreckungsrecht Jauemig, Zwangsvollstreckungsrecht, § l X m. w. N. unter Berufung auf die grundlegende Untersuchung von Henckel, Prozeßrecht, S. 349 ff. 30 Vgl. Gerhardt, Dike International 1996, 77, 90 f.; ebenso auch die Einschätzung von FK2/Schmerbach, § 14 Rn. 23, 39; Kübler/Prütting/Pape, § 14 Rn. 11. 28
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beantwortet, warum der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in diesem Verfahrensstadium keine Beachtung verdienen soll. Zu dieser Frage kann das Verfassungsrecht einen Beitrag leisten. I. Das Rechtsschutzinteresse als Einbruchstelle für verfassungsrechtliche Wertungen
Für den Einfluß verfassungsrechtlicher Erwägungen auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Insolvenzantrags bietet sich das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses der Gläubiger nach§ 14 Abs. 1 InsO an 31 . Dies mag auf den ersten Blick erstaunen, wenn der antragstellende Gläubiger mit dem Insolvenzantrag allein das Ziel der Befriedigung verfolgt. Wird doch teilweise in Rechtsprechung und Literatur überzeugend darauf hingewiesen, daß bei der Zulässigkeil des Insolvenzantrags im Rahmen des Rechtsschutzinteresses kein Raum für die Beachtung von Schuldnerbelangen und eine Interessenahwägung bestehe32. Gestützt wird diese Ansicht durch die zum Rechtsschutzinteresse entwickelten Grundsätze. Danach dient das Rechtsschutzinteresse allein der Ausschaltung verfahrensfremder Zwecke auf der Seite des den Insolvenzantrag stellenden Gläubigers 33 • Mit dieser Begründung wird daher in der Literatur dem Verlangen nach einer Mindestforderung als Zulässigkeilsvoraussetzung weitgehend entgegengetreten34. Das Rechtsschutzinteresse will, wie Schumann bezogen auf den Zivilprozeß prägnant ausführt, "zweckwidrige Prozesse verhindern, also unterbinden, daß Rechtsstreitigkeiten in das Stadium der Begründetheilsprüfung kommen, die - gemessen am Prozeßzweck - des Rechtsschutzes nicht bedürfen"35. 31 So die allgemeine Meinung, die das Merkmal des rechtlichen Interesses als Rechtsschutzinteresse versteht, Bork, Einführung, Rn. 80; FK2/Schmerbach, § 14 Rn. 26; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.08; Nerlich/Römermann/Mönning, § 14 Rn. 11 f.; vgl. auch Begründung RegE zu § 21 InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 113. 32 Vgl. oben § 3 Fn. 12 und 13. 33 Vgl. hierzu nur Stein/Jonas/Schumann, vor§ 253 Rn. 101, 117 mit Beispielen, wann prozeßzweckwidriges Verhalten vorliegt; Thomas/Putzo, Vorbem. § 253 Rn. 26 f.; Zeiss, Rn. 295 ff., nicht eindeutig insoweit noch Baumgärtel, ZZP 69 (1956), 89, 99, in Bezug auf den Zivilprozeß, der zunächst von einer Abwägung der verschiedenen Interessen spricht, anschließend jedoch allein das prozessuale Ziel in den Vordergrund stellt. 34 Eine allgemeine Ablehnung erfährt daher insbesondere das Verlangen nach einer Mindestforderung des Gläubigers, vgl. Delhaes, S. 91; Olzen/Kerfach, JR 1991, 133 ff.; Pohle, Festschrift für Lent, 195, 198 f., 219 f.; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, § 92 IV 1 m.w.N.; Stein/Jonas/Schumann, vor§ 253 Rn. 117 m.w.N. jeweils für den Zivilprozeß. 35 Stein/Jonas/Schumann, vor§ 253 Rn. 101.
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Diese Erwägungen mögen zunächst gegen eine Beachtung von Schuldnerinteressen im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung des Insolvenzantrags sprechen. Es ist jedoch zu beachten, daß für die Annahme eines Rechtsschutzinteresses erforderlich ist, daß die mit dem Antrag erstrebte Wirkung von der Rechtsordnung gebilligt wird36 . Nur dann besteht ein schutzwürdiges Interesse an dem begehrten Verfahren. Der Verfahrenszweck wird aber nicht nur verfehlt, wenn die Motive des antragstellenden Gläubigers dem Verfahrenszweck widersprechen, sondern auch dann, wenn die Durchführung des Insolvenzverfahrens in den genannten Streitfällen der geringfügigen Forderung und der Verletzung vitaler Schuldnerinteressen verfassungswidrig wäre. Wäre die Fortführung des Insolvenzverfahrens und insbesondere die Insolvenzverfahrenseröffnung in diesen Fällen verfassungswidrig und dies zu Verfahrensbeginn absehbar, so würde der Gläubiger bereits mit dem lnsolvenzantrag von vomherein kein von der Rechtsordnung gewolltes Ziel erstreben. Dem Gläubiger würde in einem solchen Fall von vomherein das Rechtsschutzinteresse abgesprochen werden müssen. Bei den in Literatur und Rechtsprechung unter verfassungsrechtlichen Aspekten diskutierten Problemfällen der Zulassung eines Insolvenzantrags bei einer geringen Gläubigerforderung oder der Belastung vitaler Schuldnerinteressen handelt es sich gerade um solche Konstellationen, in denen die außergewöhnliche Belastung des Schuldners bereits mit der Zulassung des Insolvenzantrags ersichtlich ist und in denen es geboten sein könnte, ein Fortschreiten eines bereits in diesem Zeitpunkt ersichtlich verfassungswidrigen Insolvenzverfahrens zu unterbinden37 • Dieses Ergebnis vermag zunächst zu überraschen; werden doch damit die Schuldnerinteressen mit verfassungsrechtlichen Argumenten in das Rechtsschutzinteresse des Gläubigers getragen. Dies wird die Kritiker des Rechtsschutzinteresses als allgemeine Prozeßvoraussetzung auf den Plan rufen. Wird doch allgemein gegen das Rechtsschutzinteresse vorgetragen, daß dieses konturenlos sei, allgemeinen Billigkeitserwägungen diene und als Auffangbecken fungiere, statt die Ablehnung eines Antrags auf die tatsächlich vorliegenden verfahrens- oder materiellrechtlichen Gründe zu stützen38 . 36 Darauf weist ausdrücklich Wieser, Das Rechtsschutzinteresse, S. 35, 54 f. hin. Dieses für den Zivilprozeß aufgestellte Erfordernis erlangt allgemein, also auch im Rahmen des Insolvenzantrags, Geltung. 37 Die im Zwangsvollstreckungsrecht weiter auf verfassungsrechtlicher Ebene diskutierten Fälle des Mißbrauchs von Vollstreckungsmaßnahmen, Weyland, S. 159 ff., ergeben sich im Insolvenzrecht nicht. Durch die hohen Anforderungen an das Rechtsschutzinteresse bewegt sich die Behandlung des mißbräuchlich gestellten Insolvenzantrags allein auf einfachrechtlicher Ebene, vgl. Kuhn/Uhlenbruck, § 103 Rn. 26 a. E., 32; Pape, ZIP 1995, 623, 626; Uhlenbruck, NJW 1968, 685. 38 Stein/Jonas/Schumann, vor § 253 Rn. 101; ders., Festschrift für Fasching, 438, 442; so bereits Pohle, Festschrift für Lent, 195, 198.
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Damit würde insbesondere die Begründetheit in die Zulässigkeit einer Klage, eines Antrags getragen und die Trennung beider Ebenen verwässert39 . Diese Argumente vermögen jedoch nicht zu ändern, daß der Gesetzgeber in § 14 Abs. 1 InsO das Erfordernis eines allgemeinen Rechtsschutzinteresses festgelegt hat, mit dem die verfassungsrechtliche Problematik des Gläubigerantrags erfaßt werden kann. Damit steht weiter aber der Vorwurf gegen das Institut des Rechtsschutzinteresses im Raum, daß dieses konturenlos sei, zu weit ausgedehnt werde und damit die Trennung von Zulässigkeit und Begründetheit verwässere40 . Dies wäre mit der Einbeziehung solcher verfassungsrechtlicher Wertungen, die bei der Entscheidung über die Begründetheit des Insolvenzantrags und damit bei der Insolvenzverfahrenseröffnung zu beachten sind, gerade der Fall. Dennoch ist dieses Ergebnis nicht zu kritisieren, ergibt es sich doch aus den Besonderheiten des Insolvenzverfahrens. In der Regel nimmt die Begründetheitsprüfung längere Zeit in Anspruch, so daß dem Schuldner eine erhebliche Belastung seiner Rechtspositionen durch die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen droht41 . Aus diesem Grund ist eine Vorverlagerung bereits absehbarer verfassungsrechtlicher Erwägungen, die eigentlich Gegenstand der Begründetheitsprüfung wären, schon in das Rechtsschutzinteresse im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nach § 14 InsO angezeigt. Damit soll indes nicht einer allgemeinen Ausdehnung der Fälle des Rechtsschutzinteresses das Wort geredet werden. Jedenfalls im Insolvenzverfahren ist aufgrund dessen Besonderheiten aber eine derartige Betrachtung angezeigt. Daher sind die in der Literatur und Rechtsprechung speziell für das Rechtsschutzinteresse des Gläubigers im Insolvenzverfahren getroffenen Aussagen zu kritisieren. So findet sich der Hinweis, daß eine Berufung auf mangelndes Rechtsschutzinteresse des Gläubigers zu einer "anderen Etikettierung" führe, indem bereits die Zulässigkeit des Insolvenzantrags statt dessen Begründetheit verneint werde42. Der BGH will erst das Bestehen einer geringfügigen Forderung prüfen und nicht bereits im Vorfeld - im frühesten Zeitpunkt - erwägen, ob eine geringfügige Forderung, sollte sie bestehen, eine Verfahrenseröffnung nach sich ziehen darf3 . Eine verfassungsrechtlich gebotene Beachtung von Schuldnerinteressen ist vielmehr bereits in das Rechtsschutzinteresse des Gläubigers einzubeziehen. Dabei fließen die Grundrechte in die Auslegung und Anwendung des § 14 Abs. 1 InsO, einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift, ein. Die GrundVgl. oben § 3 Fn. 38; so auch Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.08. So ausdrücklich zuletzt Schumann, Festschrift für Fasching, 438, 442 f. m. w. N. für das Rechtsschutzinteresse als allgemeine Prozeßvoraussetzung. Diese Probleme ergeben sich aber gleichermaßen bei einem ausdrücklich vorgeschriebenen Erfordernis des Rechtsschutzinteresses. 41 Vgl. die Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 115 f. 42 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.08. 43 BGH, Beschl. v. 20.3.1986 - III ZR 55/85, KTS 1986, 470. 39
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rechte wirken hier als Abwehrrechte, denn sie sollen vetfassungswidrige Grundrechtseingriffe verhindern44 . Dies mag auf den ersten Blick erstaunen. Sind doch mit der alleinigen Zulassung des Gläubigerantrags noch keine Grundrechtseingriffe verbunden45 . Denn es etfolgt keine Veröffentlichung der Entscheidung über die Zulassung eines Insolvenzantrags; eine Kreditschädigung durch die Zulassung des Insolvenzantrags ist mithin auch nicht ersichtlich. Über die Zulassung des Insolvenzantrags muß auch kein Beschluß ergehen46. In der Regel wird daher die Zulässigkeit des Insolvenzantrags konkludent festgestellt; es genügt die alleinige Zustellung des Insolvenzantrags an den Schuldner47 . Es wird lediglich empfohlen, die Zulassung des Insolvenzantrags auch aktenkundig zu machen, weil mit dem Eintritt in die Begründetheitsprüfung Sicherungsmaßnahmen nach §§ 21 ff. InsO angeordnet werden können48 . Indes geht es bei der vetfassungsrechtlichen Betrachtung der Zulassung des Insolvenzantrags um die Verhinderung von zukünftigen Grundrechtseingriffen bereits in einem frühen Stadium des Insolvenzvetfahrens. Denn führt der Fortgang des Verlabrens nach der Zulassung des Insolvenzantrags zwingend zu vetfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Grundrechtseingriffen, tritt bereits bei der Zulassung des Insolvenzantrags eine Grundrechtsgefährdung ein, die einem Grundrechtseingriff gleichzuachten ist49. Damit wurde zwar in Teilen der Rechtsprechung und Literatur mit dem Rechtsschutzinteresse der richtige Ansatz für den Einfluß von Schuldnerinteressen gewählt; dies geschah aber, ohne ausdrücklich herauszustellen, warum vetfassungsrechtliche Erwägungen zugunsten des Schuldners bereits in die Beurteilung des Rechtsschutzinteresses des Gläubigers einfließen sollten. Vgl. oben § 2 C.I.2. A.A. Adam, S. 36, 41, der von den Belastungen des Schuldners durch die einstweiligen Sicherungsmaßnahmen spricht. Adam berücksichtigt hierbei m. E. nicht, daß die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren nach § 21 InsO erst der Anordnung durch das Insolvenzgericht bedarf und nicht zwingend mit der Zulassung des Insolvenzantrags verbunden ist. 46 KG, Beschl. v. 7.2.1963- I W 2274/62, KTS 1963, 111, 112; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7 .11. 47 Kuhn/Uhlenbruck, § 105 Rn. 4 und 9. 48 Kuhn/Uhlenbruck, § 105 Rn. 9. 49 Zu der Gleichstellung der Grundrechtsgefahrdung mit dem Grundrechtseingriff, wenn die Gefahr des Eingriffs in den grundrechtliehen Schutzbereich bereits in der Intensität dem Eingriff selbst nahe kommt vgl. Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 128 Rn. 30 ff.; Murswieck, S. 127 ff.; Sachs/Sachs, vor Art. 1 Rn. 94 f. m. w.N.; Stern, Staatsrecht III/2, S. 210 ff., 214 f.; im Ergebnis ebenso Lübbe-Wolff, S. 56 ff., die nicht nur das Ausmaß der Gefährdung sondern auch deren Verhältnismäßigkeit in die Frage des Grundrechtseingriffs durch Grundrechtsgefährdung einbeziehen will. 44 45
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§ 3 Zulässigkeit des Insolvenzantrags in besonderen Problemlagen
II. Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung
Kommt es damit in den Fällen der geringfügigen Gläubigerforderung und der Beeinträchtigung vitaler Schuldnerinteressen auf die Belastung verfassungsrechtlich geschützter Positionen des Schuldners bei der weiteren Durchführung des Insolvenzverfahrens an, bedarf es einer genaueren Betrachtung, welche Belastungen des Schuldners unter welchen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten in die Prüfung einbezogen werden müssen. Es geht um die Verhinderung bereits in diesem frühen Verfahrensstadium absehbarer, verfassungsrechtlich nicht hinnehmbarer Grundrechtseingriffe, zu denen es im weiteren Verfahren kommen würde. Die Zulassung des Insolvenzantrags leitet vielfältige Belastungen verfassungsrechtlich geschützter Positionen des Schuldners ein, die in den Streitfällen der geringen Gläubigerforderung und der vitalen Schuldnerinteressen bereits im Rahmen des Rechtsschutzinteresses Beachtung finden könnten. Hier ist eine differenzierende Betrachtung angezeigt. Im Rahmen des Rechtsschutzinteresses nach § 14 Abs. 1 InsO können nur die unausweichlich und mit jedem Insolvenzverfahren auftretenden Belastungen für den Schuldner in den Blick genommen werden. Hierbei kommen in erster Linie die mit der Insolvenzverfahrenseröffnung nach §§ 80 ff. lnsO zwingend verbundenen Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Positionen in Betracht. Diese bestehen vor allem in der Beschlagnahme des Schuldnervermögens und dessen Verwaltung und Verwertung zugunsten aller Gläubiger. In die verfassungsrechtliche Betrachtung der Durchführung des Insolvenzverfahrens dürfen hingegen nicht solche Belastungen des Schuldners einfließen, die nicht zwingend mit jedem Insolvenzverfahren und der Verwertung des Schuldnerischen Vermögens an sich verbunden sind. Das eröffnete Insolvenzverfahren kann in höchst unterschiedlicher und unterschiedlich intensiver Weise in vielfältige verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen des Schuldners eingreifen. Dies liegt insbesondere bei den unterschiedlichen Wegen der Vermögensverwertung mit der Liquidation, Sanierung und übertragenden Sanierung auf der Hand. Gleiches gilt aber auch schon für die Entscheidung über die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren nach § 21 InsO. Diese von der Verfahrensausgestaltung im Einzelfall ausgehenden Belastungen grundrechtlich geschützter Schuldnerpositionen müssen im Rahmen der Entscheidung über die Zulassung des Insolvenzantrags außer Betracht bleiben. Denn hierbei handelt es sich um die verfassungsmäßige Ausgestaltung des Verfahrens und des Vorgehens im Einzelfall. Sollten diese verfassungsrechtlich bedenklich sein, wären im Verlaufe des Insolvenzverfahrens unter Umständen bei der betroffenen Vorschrift Konsequenzen für deren Verständnis oder gar deren Gültigkeit zu ziehen. Dagegen stellen Einzelheiten der Ausgestaltung des Verfah-
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rens im Einzelfall nicht die Verfassungsmäßigkeit der Durchführung des Insolvenzverfahrens an sich in Frage und fließen daher nicht in die verfassungsrechtliche Betrachtung der Insolvenzverfahrenseröffnung in den genannten Streitfallen ein. Folge dieser Betrachtung ist, daß nur die grundrechtliehen Belastungen des Schuldners, die mit einem Insolvenzverfahren typischerweise verbunden sind, in den Fällen der geringen Gläubigerforderung und der Beeinträchtigung vitaler Schuldnerinteressen beim Rechtsschutzinteresse des Gläubigers zu berücksichtigen sind. Dabei stellt sich die verfassungsrechtliche Frage dahin, ob diese Belastungen auch in diesen beiden kritischen Fällen hinzunehmen sind. Das Verfassungsrecht könnte in diesen beiden Fällen besonderer Belastung des Schuldners dazu zwingen, das Insolvenzverfahren nicht zu eröffnen. Für den Schuldner bedeutet gerade die Insolvenzverfahrenseröffnung in beiden Fällen eine erhebliche Belastung, während auf der Seite des antragstellenden Gläubigers der Verzicht auf die Rechtsdurchsetzung einen weit geringeren Verlust bedeuten würde. Es gilt zu prüfen, ob ein nicht hinnehmbares Mißverhältnis zwischen den betroffenen Schuldnerrechten und dem Interesse des antragstellenden Gläubigers an der Durchführung des Insolvenzverfahrens auftritt. Damit ist die Verhältnismäßigkeit der Insolvenzverfahrenseröffnung für diese Ausnahmefalle thematisiert. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stellt - ganz allgemein- eine Begrenzung belastenden staatlichen Handeins dar50 .
C. Die Verhältnismäßigkeit als zentrales Problem der Zulassung eines Gläubigerantrags in besonderen Problemlagen Reduziert sich die verfassungsrechtliche Problematik der Zulassung des Gläubigerantrags nach § 14 Abs. 1 InsO auf die Verhältnismäßigkeit der Verfahrenseröffnung durch das Insolvenzgericht in den Streitfallen der geringen Gläubigerforderung sowie der Beachtung vitaler Schuldnerinteressen, erweist es sich zunächst als geboten festzustellen, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hier überhaupt eingreift. I. "Der'' Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
"Der" Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - auch als Übermaßverbot bezeichnet51 - hat im öffentlichen Recht eine besondere Bedeutung. Es wird herausgestellt, daß kaum eine verfassungsrechtliche Prüfung ohne die zum Vgl. statt aller Schnapp, JuS 1983, 850, 851 ff. Zur heutigen Terminologie Grabitz, AöR 98 (1973), 568, 570 f., Hans Schneider, Festgabe BVerfG, 390, 392 f. m.w.N.; Wendt, AöR 104 (1979), 414, 415; vgl. auch Lerche, Übermaß, S. 19 f. 50 51
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Grundsatz der Verhältnismäßigkeit herausgearbeiteten Maßstäbe auskomme52. Bedeutung erlangt "der" Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor allem für die Verfassungsmäßigkeit belastenden Handeins aller staatlichen Organe53. In dieser allgemeinen Weise besteht Einigkeit in der Literatur. Ebenso ist es mit der allgemeinen Kritik. Es ist zu lesen, beim Verhältnismäßigkeitsgrundsatz handle es sich um einen "Weichmacher"54, die Berufung auf Verfassungsrecht sei zumeist bequemer, statt Entscheidungen mit Hilfe des einfachen Rechts zu begründen55 . Als Gefahr wird insbesondere die Einebnung ausdifferenzierter verfassungsrechtlicher Rechtspositionen aufgezeigt56• Die Arbeit mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei einzelnen Rechtsfragen erweist sich als schwierig. Soll von dem Argument der Verhältnismäßigkeit sowohl bei der Prüfung gesetzlicher Regelungen als auch einzelner gerichtlicher Entscheidungen auf deren jeweilige Verfassungsmäßigkeit hin die Rede sein, ist zunächst vorwegzuschicken: Von "dem" Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu sprechen, vermag nicht zur Problemlösung beizutragen. Im Verfassungsrecht begegnet man vielmehr "der" Verhältnismäßigkeit in unterschiedlichen Zusammenhängen und - in diesem Zusammenhang vor allem interessant - mit unterschiedlichem Inhalt. Dies beruht zum einen darauf, daß die Herleitung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bis heute strittig ist, und zum anderen darauf, daß mit dem Begriff der Verhältnismäßigkeit ganz unterschiedliche verfassungsrechtliche Probleme erfaßt werden.
1. Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird zum einen aus der Regelung des Rechtsstaatsprinzips in Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitet. Das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG setzt sich aus vielen unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Aspekten zusammen57 ; insbesondere das Bundesverfassungsgericht hat das Rechtsstaatsprinzip in seiner Rechtsprechung ausdifferenziert und konkret ausgestaltet58 . Danach ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Wendt, AöR 104 (1979), 414, 416. v. Münch, in: v. Münch/Kunig5 , Vorbem. zu Art. 1-19 Rn. 55; Wendt, AöR 104 (1979), 414, 415. 54 lsensee, zitiert bei Schnapp, JuS 1983, 850. 55 Schnapp, JuS 1983, 850, 851. 56 Vgl. Wendt, AöR 104 (1979), 414,418 ff. m.w.N. 57 Vgl. dazu nur Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VII Rn. 3 ff. 58 So ausdrücklich Hesse, Grundzüge, Rn. 185. 52
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als "übergreifender Leitregel" allen staatlichen Handelns59. Dieser Herleitung wird weitgehend zugestimmt60. Danach muß jedes mit staatlichem Handeln verfolgte Ziel an den damit verbundenen Belastungen für einzelne Bürger gemessen werden; eine Mittel-Zweck-Relation wird hergestellt. Als Kriterien herausgebildet haben sich die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Proportionalität (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne); diese Kriterien sind - soweit ersichtlich - heute allgemein anerkannt61 .
2. Herleitung aus den einzelnen Grundrechten bei Grundrechtseingriffen Geht es um die Verfassungsmäßigkeit eines Grundrechtseingriffs durch staatliche Organe, so spielt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine tragende Rolle. Jede Grundrechtsschranke durch ein einfaches Gesetz und jeder Grundrechtseingriff im Einzelfall muß den zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entwickelten Kriterien genügen62 . So weit besteht Einigkeit. Unterschiedlich beantwortet wird hingegen die Frage, ob der Maßstab der Verhältnismäßigkeit in diesem Zusammenhang eine Herleitung aus den Grundrechten selbst erfährt und einen vom allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abweichenden Inhalt aufweist. Zu dieser Frage liegen keine eindeutigen Stellungnahmen des Bundesverfassungsgerichts vor63 . So 59 BVerfG, Beschl. v. 5.3.1968 - 1 BvR 579/67, BVerfGE 23, 127 ff., 133; BVerfG, Beschl. v. 18.7.1973 - 1 BvR 23, 155173, BVerfGE 35, 382 ff., 400; BVerfG, Beschl. v. 4.2.1975- 2 BvL 5174, BVerfGE 38, 348, 368; BVerfG, Beschl. v. 1.8.1978- 2 BvR 1013, 1019, 1034177, BVerfGE 49, 24, 58. 60 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VII Rn. 72; Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 80 ff.; Maurer, § 10 Rn. 17; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 20 Rn. 27; anders offensichtlich Schnapp, in: v. Münch/Kunig4 , Art. 20 Rn. 27, der die Ableitung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aus dem Rechtsstaatsprinzip für überflüssig hält. 61 BVerfG, Beschl. v. 1.8.1978- 2 BvR 1013, 1019, 1034177, BVerfGE 49, 24, 58; Grabitz, AöR 98 (1973), 568, 571 ff.; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VII Rn. 73 ff.; Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 83 ff.; v. Münch, in: v. Münch/Kunig5 , Vorbem. vor Art. 1-19 Rn. 55. Um Mißverständnissen vorzubeugen, soll im folgenden von Proportionalität als dem dritten Kriterium die Rede sein. Diese Bezeichnung nimmt im verfassungsrechtlichen Schrifttum zu; die parallel verwandte Bezeichnung als verhältnismäßig "im engeren Sinne" legt Verwechselung mit dem Obergriff der "Verhältnismäßigkeit" - dann im weiteren Sinne - nahe. Vgl. dazu nur Dechsling, S. 7 ff.; Grabitz, AöR 98 (1973), 568, 571; Starck, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 1 Abs. 3 Rn. 243. 62 Vgl. statt aller Dreier/Dreier, Vorb., Rn. 91 ff. m. w.N.; Starck, in: v. Mangoldt/Kiein/Starck, Art. 1 Abs. 3 Rn. 242 ff. 63 Für das Rechtsstaatsprinzip vgl. oben § 3 Fn. 59; eine Herleitung aus dem spezifischen Charakter des betroffenen Grundrechts erfolgt hingegen z. B. in BVerfG, Urt. v. 11.6.1958 - 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377, 404 ff.; BVerfG, Urt. v. 18.12.1968 - 1 BvR 638, 673174 und 200, 238, 249/65, BVerfGE 24, 367, 404; offen BVerfG, Beschl. v. 8.3.1988- 1 BvL 9/85 und 43/86, BVerfGE 78, 38, 49. 7*
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führt das Bundesverfassungsgericht aus, daß sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowohl aus dem Rechtsstaatsprinzip als auch "bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst" ergebe64• In der Literatur findet sich jedoch eine kontroverse Diskussion. So ist auf der einen Seite zu lesen, daß sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit allein aus dem Rechtsstaatsprinzip herleite. Wenn sich auch die Frage der Verhältnismäßigkeit besonders bei Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen der Bürger stelle, lasse sich der Grundgedanke der Verhältnismäßigkeit als allgemeines Verfassungsprinzip verfassungsrechtlich allein im Rechtsstaatsprinzip verorten65 . Demgegenüber mehren sich jedoch die Stimmen in der Literatur, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Grundrechtseingriffe aus den Grundrechten selbst herleiten wollen66• Dabei wird dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in diesem Zusammenhang ausdrücklich ein anderer, engerer Inhalt beigemessen67 . Denn die allgemein anerkannten Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Proportionalität würden erst unter Beachtung der Struktur des Schutzbereichs einzelner Grundrechte als dessen jeweilige Schranke hinreichend griffig68 . Diese Auffassung geht vereinzelt so weit, daß eine Herleitung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sogar entbehrlich sein solle. Danach brauche der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet zu werden, weil er sich wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht ausführe - bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst ergebe69. Im Ergebnis scheinen jedoch die vertretenen Auffassungen nicht so weit auseinanderzuliegen. In der Anwendung besteht offensichtlich Einigkeit, daß bei der Feststellung der Verfassungsmäßigkeit eines Grundrechtseingriffs die Kriterien der Verhältnismäßigkeit zu einer engeren, am konkreten Grundrechtsgehalt orientierten Prüfung führen. Jedes einzelne Grundrecht 64 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 15.12.1965- 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, 342, 348 f.; BVerfG, Beschl. v. 19.10.1982- 1 BvL 34, 55/80, BVerfGE 61, 126, 134. 65 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VII Rn. 72. 66 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 3 Rn. 242 ff; Schnapp, JuS 1983, 850, 852 f.; ebenso bereits Dürig, AöR 81 (1956), 117, 146 f.; vgl. auch v. Amauld, JZ 2000, 276, 278 ff., der neuerdings einen normtheoretischen Begründungsansatz vertritt. 67 Schnapp, JuS 1983, 850, 852 f.; Starck spricht von einer "normativ viel dichteren Bindungsklausel", vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 3 Rn. 249. Im Ergebnis ebenso auch Grabitz, AöR 98 (1973), 568, 586. 68 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 3 Rn. 249 nennt als Beispiele aus der Rechtsprechung des BVerfG, Beschl. v. 15. 12. 1965 - 1 BvR 513/ 65, BVerfGE 19, 342, 348 ff.; BVerfG, Beschl. v. 18. 7. 1973- 1 BvR 23, 155173, BVerfGE 35, 382, 401. 69 Schnapp, in: v. Münch/Kunig4 , Art. 20 Rn. 27.
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verlangt nach verhältnismäßigen Schranken. Ergibt sich aus dem jeweiligen Grundrechtsgehalt ein strafferer, normativ engerer und faßbarerer Maßstab als aus dem Rechtsstaatsprinzip im allgemeinen70, ist es angezeigt, diesen von den allgemeinen Verhältnismäßigkeilserwägungen aus dem Rechtsstaatsprinzip zu separieren. Völlig zu Recht wird daher darauf hingewiesen, daß der Verhältnismäßigkeilsgrundsatz bei Grundrechtseingriffen in diesen selbst zu verorten ist; der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stellt in diesem Zusammenhang ein wesentliches Begrenzungskriterium für den einzelnen Grundrechtseingriff unter spezieller Beachtung der Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes dar. Zumindest bei Grundrechtseingriffen hat die Herleitung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aus den Grundrechten selbst Vorrang71 . 3. Herstellung praktischer Konkordanz
In einem weiteren Zusammenhang ist schließlich von "der" Verhältnismäßigkeit die Rede. Nach wohl herrschender Auffassung sind kollidierende verfassungsrechtliche Güter miteinander unter dem Aspekt der Einheit der Verfassung möglichst schonend zum Ausgleich zu bringen. Hauptanwendungsfall ist die Auflösung von Grundrechtskollisionen72 . Ziel ist hierbei, die kollidierenden Grundrechte in ihrer Wirkungsentfaltung zu optimieren. Die optimale Wirkungsentfaltung kollidierender Grundrechtspositionen führt dazu, daß keines der Grundrechte völlig zurücktritt; vielmehr wird die Lösung gesucht, in der beide Grundrechte noch am stärksten zur Geltung kommen; keine Grundrechtsposition soll einer anderen mehr als nötig weichen73. Dieses Vorgehen bei der Kollision von grundrechtlich geschützten Positionen geht über die Anforderungen hinaus, die mit den Kriterien der Erforderlichkeit, Geeignetheil und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne bei jedem Grundrechtseingriff verlangt werden74. Das Bundesverfassungs70 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. I Abs. 3 Rn. 249; Schnapp, JuS I983, 850, 852 f.; kritisch auch Hans Schneider, Festgabe BVerfG, 390, 391. 71 Offen bleiben kann in diesem Rahmen, ob mit Schnapp, in: v. Münch/Kunig4 , Art. 20 Rn. 27 so weit zu gehen ist, daß die Herleitung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aus dem Rechtsstaatsprinzip allgemein entbehrlich ist. 72 Zum Begriff vgl. nur v. Münch, in: v. Münch/Kunig5 , Vorbem. Art. I-I9 Rn. 44 ff. 73 Vgl. nur BVerfG, Urt. v. 5. 6.I973 - I BvR 536/72, BVerfGE 35, 202, 225 f.; BVerfG, Beschl. v. 16.5.1995- 1 BvR 1087/91, BVerfGE 93, 1, 21; Hesse, Grundzüge, Rn. 72, 317; Lerche, Übermaß, S. 153; v. Münch, in: v. Münch/Kunig5 , vor Art. 1-19 Rn. 47; Rüfner, Festgabe BVerfG, 453, 465; Scholz, AöR 100 (1975), 80, 117; kritisch Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 273 f., 315 ff. 74 Vgl. dazu im einzelnen Grabitz, AöR 98 (1973), 568, 576 ff.; Hesse, Grundzüge, Rn. 72, 317 ff. ; Lerche, HdbStR V, § 122 Rn. 17; Harald Schneider, S. 203 f.; Weyland, S. 54.
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gericht umschrieb die Optimierung der Wirkungsentfaltung von kollidierenden Grundrechten bislang mit der Formel, daß die kollidierenden Grundrechte in verhältnismäßigen oder auch angemessenen Ausgleich zu bringen sind75 . Im Anschluß an Hesse spricht die Literatur teilweise von der Herstellung praktischer Konkordanz76; neuerdings bezeichnet auch das Bundesverfassungsgericht die Auflösung einer Grundrechtskollision als Herstellung praktischer Konkordanz77 . Es wäre zu empfehlen, mit Hesse das Vorgehen bei der Auflösung von Grundrechtskollisionen, das von dem sonst unter einer Verhältnismäßigkeitsprüfung verstandenen abweicht, immer als Herstellung praktischer Konkordanz zu beschreiben; andernfalls wird suggeriert, daß eine Abwägung nach den für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entwickelten Kriterien stattzufinden hat. Dies ist im Zusammenhang mit der Auflösung einer Grundrechtskollision aber eben nicht ausreichend. II. Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für das Insolvenzrecht im allgemeinen
Bevor die Auswirkung der Verhältnismäßigkeit auf die Zulassung des Insolvenzantrags in den besonderen Problemlagen - geringe Gläubigerforderung, vitale Schuldnerinteressen - untersucht werden kann, ist weiter allgemein zu klären, ob Erwägungen der Verhältnismäßigkeit überhaupt in den öffentlich-rechtlichen Teil des Insolvenzrechts einfließen. In der insolvenzrechtlichen Literatur findet sich anders als zur Einzelvollstreckung zwar keine allgemeine Abhandlung über die Einwirkung von Verhältnismäßigkeitserwägungen auf die insolvenzverfahrensrechtlichen Normen bzw. deren Anwendung im Einzelfall. Aber zu einzelnen Fragen liegen Aussagen zur Geltung der Verhältnismäßigkeit im Insolvenzrecht vor.
75 Vgl. nur BVerfG, Urt. v. 5.6.1973- 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202, 225 f. ; BVerfG, Beschl. v. 17.12.1975 - 1 BvR 63/68, BVerfGE 41 , 29, 50 f.; BVerfG, Beschl. v. 16.10.1979- 1 BvR 647/70 und 7/74, BVerfGE 52, 223, 247; BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990- 1 BvR 402/87, BVerfGE 83, 130, 143, 146 f.; BVerfG, Beschl. v. 9.2.1994- 1 BvR 1687/92, BVerfGE 90, 27, 34 ff., 36; BVerfG, Beschl. v. I6.5.1995- 1 BvR 1087/91, BVerfGE 93, I, 21. 76 Hesse, Grundzüge, Rn. 72, 317 ff.; ebenso z.B. Classen, AöR I22 (1997), 65, 98; v. Münch, in: v. Münch/Kunig5 , Vorbem. Art. I-I9 Rn. 47; Harald Schneider, s. 203 f. 77 BVerfG, Beschl. v. 27.Il.l990 - 1 BvR 402/87, BVerfGE 83, 130, I46 f.; BVerfG, Beschl. v. 16.5.1995 - I BvR 1087/9I, BVerfGE 93, I, 21; BVerfG, Beschl. v. 27.1.1998- 1 BvL I5/87, BVerfGE 97, 169, 176.
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1. Uneingeschränkte Einbeziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und Herstellung praktischer Konkordanz
Teilweise wird eine Überprüfung von Entscheidungen des Insolvenzgerichts am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt. So findet sich gerade in der Literatur der Hinweis darauf, daß Entscheidungen im Rahmen des Insolvenzverfahrens dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen müssen78 • Stümer verlangt die Abwägung der betroffenen Grundrechtspositionen von Gläubigern und Schuldner; weiter führt er aus, diese Abwägung müsse dazu führen, daß ein Kernbereich persönlicher Entfaltung des Schuldners unangetastet bleibe, soweit dies das Generalgrundrecht der Menschenwürde gebiete79 . Auch der BGH verlangt, ohne dies weiter zu problematisieren, die Beachtung der Verhältnismäßigkeit von Anordnungen im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens80. Vom Bundesverfassungsgericht liegen bislang keine Entscheidungen zur Verhältnismäßigkeit der Anwendung insolvenzrechtlicher Normen im Einzelfall vor; selbstverständlich bezieht das Bundesverfassungsgericht aber den "Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" bei der Überprüfung insolvenzrechtlicher Normen selbst auf ihre Verfassungsmäßigkeit in die Prüfung ein81 • 2. Kritik an der Heranziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
Bei einem Teil der Literatur finden sich jedoch gewichtige Bedenken gegen die Heranziehung "des" Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Insolvenzrecht. Zwar wird in der insolvenzrechtlichen Literatur nur vereinzelt grundsätzliche Kritik an Erwägungen der Verhältnismäßigkeit laut82 . Für die Einzelzwangsvollstreckung hat die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sowohl als Wertungsgrundlage für vollstreckungsrechtliche Normen als auch für Einzelentscheidungen der Vollstreckungsorgane in Teilen der Literatur erhebliche Kritik erfahren. Diese Argumente gelten weitgehend auch ebenso für das Insolvenzverfahren. Henckel nimmt in seiner Monographie "Prozeßrecht und Materielles Recht" die Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Vollstrek78 Kuhn/Uhlenbruck, § 105 Rn. 8 a; ders., § 106 Rn. 1; Quack, Rpfleger 1975, 185, 186. 79 Baur/Stümer, II, Rn. 6. 14.; vgl. aber auch Stümer, ZZP 99 (1986), 291, 294 mit dem Hinweis darauf, daß durch die Erwägungen der Verhältnismäßigkeit nicht die Wertungen des zugrundeliegenden einfachen Rechts überdeckt werden dürfen. 80 BGH, Beschl. v. 20.3.1986- III ZR 55/85, KTS 1986, 470 f. 81 BVerfG, Beschl. v. 26.4.1995 - 1 BvL 19/94 und 1 BvR 1454/94, BVerfGE 92, 262, 273. 82 So weit ersichtlich, bezieht nur Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 484 ausdrücklich Beispiele aus dem Recht der Gesamtvollstreckung in seine Untersuchung ein.
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kungsrecht in den Blick. Ausgangspunkt für die Untersuchungen ist, daß den Normen des Vollstreckungsschutzes materiellrechtliche Wertungen zugrunde lägen und daher die Normen des Vollstreckungsschutzes dem Privatrecht zuzuordnen seien; lediglich die Normen des Vollstreckungsrechts, die unmittelbar staatliche Eingriffsbefugnisse regelten, seien daher dem öffentlichen Recht zuzuordnen83 • Trotzdem spielen nach Benekel die Grundrechte bei der Herstellung des Vollstreckungsschutzes eine bedeutende Rolle. Zum einen führe der Grundrechtsschutz zu absoluten Grenzen der Vollstreckung. So sei wegen des Grundrechtsschutzes die Vollstreckung zur Nachtzeit sowie an Sonn- und Feiertagen seit jeher nur mit richterlicher Erlaubnis zulässig; weiter gebiete die Menschenwürde, daß die Vollstreckung am Sterbebett, im Trauerhaus oder anläßlich einer Ordensverleihung oder sonstigen Ehrung unzulässig sei. In diesen Fällen sei für eine Abwägung von Gläubiger- und Schuldnerbelangen kein Raum84. Zum anderen sei neben diesen absoluten Grenzen des Vollstreckungsschutzes eine Interessenahwägung der Gläubiger- und Schuldnerinteressen angezeigt. Kennzeichnend für die Gewährung von Vollstreckungsschutz sei ein Interessenkonflikt zwischen Gläubiger und Schuldner. Dieser Interessenkonflikt könne nicht allgemeingültig zugunsten des Gläubigers oder des Schuldners entschieden werden. Ziel des Schuldnerschutzes im Vollstreckungsverfahren sei die Erhaltung der Persönlichkeit und Menschenwürde des Schuldners. Aus den Wertungen der Grundrechte könnten für die Interessenahwägung wertvolle Impulse gewonnen werden. Dabei werde mit den Grundrechten kein Fremdkörper in das Privatrecht getragen. Die Wertungen der Grundrechte fänden Eingang in das Privatrecht über den im Privatrecht geläufigen Gedanken der unzulässigen Rechtsausübung. Dabei gehe es um eine lediglich mittelbare Wirkung, eine Drittwirkung der Grundrechte. Diesen seien Wertungsgesichtspunkte, nicht hingegen konkrete Lösungen zu entnehmen. Weiter dürfe durch die Grundrechte nur der Interessenkonflikt von Gläubiger und Schuldner entschieden werden, nicht jedoch dürften auf diese Weise andere, und zwar staatliche Ziele des Vollstreckungsschutzes in die Interessenahwägung einfließen85 . Unter Berufung auf die Untersuchungen Benekels weist Jauemig darauf hin, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Vollstreckungsrecht für das Verhältnis zweier Privater - das des Gläubigers zum Schuldner - keine Vgl. zu dieser Differenzierung im einzelnen bereits oben § 2 A.III.2. Henckel, Prozeßrecht, S. 350. 85 Henckel, Prozeßrecht, S. 357 ff.; im Ergebnis zustimmend zur Zielsetzung des Vollstreckungsschutzrechts und dem Verständnis als materiellrechtliches Haftungsrecht Arens, AcP 173 (1973), 250, 270 f., sowie Bötticher ZZP 85 (1972), 1, 4 ff., die jedoch beide kritisieren, daß dem Grundsatz der unzulässigen Rechtsausübung zuviel aufgebürdet werde, wenn dieser zur Erklärung des Vollstreckungsschutzes herangezogen werde. 83
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Anwendung finden könne. Denn dieser sei auf das Verhältnis des Staates zum Bürger zugeschnitten. Um dieses Verhältnis gehe es jedoch im Zwangsvollstreckungsrecht nicht, weil der Staat sich lediglich aufgrund des Verbotes der Selbsthilfe in das Verhältnis der Privaten schiebe. Es gehe allein um private Rechtsverhältnisse86. Auch Gaul wendet sich gegen die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Zwangsvollstreckung. Zwar ordnet Gaul die Zwangsvollstreckung ausdrücklich dem öffentlichen Recht zu87 . Dennoch soll der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keine Geltung im Zwangsvollstreckungsrecht haben, weil der Staat gegenüber den Bürgern lediglich in einer neutralen Mittlerrolle handle und nicht in eigener Sache tätig werde88 . Überdies führe eine Abwägung zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu einem weiteren Vollstreckungsschutz für den Schuldner, weil eine Grundrechtskollision vorliege und für den Gläubiger immer dessen grundrechtlich geschützte Positionen stritten89 . Anstoß zu weiteren Untersuchungen zur Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gaben seit dem Jahr 1977 zum einen einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Geltungsumfang der Grundrechte und Erwägungen der Verhältnismäßigkeit im Vollstreckungsrecht90 . In diesen Entscheidungen bezog das Bundesverfassungsgericht Erwägungen der Verhältnismäßigkeit bei der Überprüfung von einzelnen Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens in seine Überlegungen ein, also die Maßstäbe der Geeignetheit, Erforderlichkeil und Proportionalität91 • Weiter stellte es die praktische Konkordanz zwischen kollidierenden Grundrechten her92. Zum anderen gab das Sondervo86 Jauemig, Zwangsvollstreckungsrecht, §§ 1 X, 31 I; zustimmend Schumann, NJW 1981, 1031. 87 Gaul, Rpfleger 1971, 1 ff. 88 Gaul, Rpfleger 1971, 41, 50; ders., JZ 1974, 279, 284 f.; ders., Festschrift für Baumgärtel, 75, 103; ders., ZZP 112 (1999), 135, 176 f. 89 Gaul, Festschrift für Baumgärte1, 75, 98; ders., ZZP 112 (1999), 135, 176 f. 90 BVerfG, Beschl. v. 7.12.1977 - 1 BvR 734177, BVerfGE 46, 325, 333; BVerfG, Beschl. v. 27.9.1978 - 1 BvR 361178, BVerfGE 49, 220, 226; BVerfG, Beschl. v. 3.4.1979 - 1 BvR 994176, BVerfGE 51, 97, 113; BVerfG, Beschl. v. 24.4.1979- 1 BvR 787178, BVerfGE 51, 150, 159; BVerfG, Beschl. v. 3.10.19791 BvR 614179, BVerfGE 52, 214, 220; BVerfG, Beschl. v. 16.6.1981 - 1 BvR 1094/80, BVerfGE 57, 346, 356; BVerfG, Beschl. v. 19.10.1982- 1 BvL 34, 55/80, BVerfGE 61 , 126, 135 f. 91 BVerfG, Beschl. v. 19.10.1982- 1 BvL 34, 55/80, BVerfGE 61, 126, 134; so offensichtlich auch BVerfG, Beschl. v. 3.4.1979- 1 BvR 994176, BVerfGE 51 , 97, 113; BVerfG, Beschl. v. 16.6.1981- 1 BvR 1094/80, BVerfGE 57, 346, 356. 92 So wohl die Abwägung in BVerfG, Beschl. v. 7.12.1977 - 1 BvR 734177, BVerfGE 46, 325, 335; BVerfG, Beschl. v. 27.9.1978- 1 BvR 361178, BVerfGE 49,
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§ 3 Zulässigkeit des Insolvenzantrags in besonderen Problemlagen
turn Böhmers Anstoß zu weiteren Untersuchungen. Böhmer ist der Ansicht, daß der Gläubiger in der Zwangsvollstreckung gegenüber dem Schuldner nicht willkürlich bevorzugt werden dürfe und leitet insbesondere aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einen gradus executionis in der Zwangsvollstreckung her93 . Eine grundlegende Untersuchung zur Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Vollstreckungsrecht hat darautbin Gerhardt vorgelegt94 ; darin wird auch ausdrücklich auf insolvenzrechtliche Beispiele hingewiesen. Gerhardt erkennt zwar den öffentlich-rechtlichen Charakter des gesamten Vollstreckungsrechts an, wendet sich aber gegen die undifferenzierte Anwendbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Zwangsvollstreckung. Der Gesetzgeber habe bereits in einer Vielzahl von Vorschriften der Einzelvollstreckung wie auch der KO dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Geltung verschafft. Würden darüber hinaus aus den Grundrechten einschränkende Verfahrensregeln abgeleitet, könne das gesetzgebensehe Ziel unterlaufen werden. Der Einfluß von Gedanken der Verhältnismäßigkeit - seien sie nun aus dem Rechtsstaatsprinzip oder den einzelnen Grundrechten selbst hergeleitet95 - sei nicht angezeigt. Für eine Abwägung der konkreten Gläubiger- und Schuldnerinteressen sei im Anschluß an Jauemig im Vollstreckungsrecht kein Raum96 . Vielmehr gehe es um die Auflösung einer der Abwägung zugänglichen Grundrechtskollision97 . Hierbei gebühre dem Gläubigerrecht der Vorrang, solange es um die Herstellung des Vollstreckungserfolgs gehe. Denn im Vollstreckungsrecht gehe es um die Durchsetzung des titulierten materiellen Gläubigerrechts und aus der Sicht des Schuldners um die Erfüllung einer Rechtspflicht Eine Abwägung von Gläubiger- und Schuldnerinteressen auf gleicher Ebene komme nicht in Betracht. Denn bei der Zwangsvollstreckung gehe es um die Rechtsdurchsetzung, die auch gegen den Willen des Schuldners erfolge98 . Einzuräumen sei dagegen zum einen, daß die Grundrechte - namentlich die Menschenwürde - in bestimmten Fällen einen absoluten Vollstreckungsschutz erforderten, wie dies bereits von Henckel herausgearbeitet worden sei99 . Zum anderen 220, 226; BVerfG, Beschl. v. 24.4.1979- 1 BvR 787178, BVerfGE 51 , 150, 159; BVerfG, Beschl. v. 3.10.1979- 1 BvR 614179, BVerfGE 52, 214, 220. 93 BVerfGE 49, 228, 234 ff. 94 ZZP 95 (1982), 467 ff. 95 Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 483. 96 Gerhardt, ZZP 95 (1982) 467, 490 mit dem weiteren Hinweis auf Bethge, NJW 1982, 1, 3, der die Rolle des Staates auch im staatsfreien und distanziertem horizontalen Zusammenwirken der einzelnen Rechtsgenossen durch Verfahrensrecht hervorhebt. 97 Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 487 ff. 98 Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 489. 99 Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 488.
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müsse die Verfahrensausgestaltung gewährleisten, daß der Schuldner bei der Rechtsdurchsetzung des Gläubigers nicht mehr als erforderlich in seinen grundrechtlich geschützten Positionen belastet werde; stünden verschiedene Mittel zur Erreichung desselben Ziels zur Verfügung, bestehe kein Vorrang des Gläubigers. Hierbei handle es sich aber nicht um die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, sondern um den Inhalt der konkreten Grundrechtspositionen 100. Auch Stürner beurteilt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kritisch. Er kritisiert jedoch weder allgemein die Geltung der Grundrechte noch die des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Zwangsvollstreckung; ihm geht es um die vom Bundesverfassungsgericht erzielten Ergebnisse. Sie berücksichtigten nicht hinreichend die den Rechtspositionen des Schuldners zuwiderlaufenden grundrechtlich geschützten Positionen des Gläubigers. Eine Abwägung der Gläubiger- und Schuldnerrechte zugunsten des Schuldners sei nur in einzelnen Extremfällen verfassungsrechtlich geboten. Dabei sei aber zu beachten, daß Fälle eines absoluten Vollstreckungsschutzes Bedenken ausgesetzt seien. Sei die Menschenwürde des Schuldners betroffen, sei dieser nicht generell der Vorrang einzuräumen, weil der Fall denkbar sei, daß zugleich die Menschenwürde des Gläubigers betroffen sein könnte. Dann komme es wie in allen anderen Fällen auch auf eine Abwägung im Einzelfall an 10 1. Angesichts der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsvollstreckung hat schließlich auch Götte die Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Zwangsvollstreckungsrecht untersucht. Götte ist der Ansicht, daß das Zwangsvollstreckungsrecht und damit auch das Zwangsvollstreckungsschutzrecht keine staatlichen, sondern allein private Ziele verfolge; gleichwohl sei es dem öffentlichen Recht zuzurechnen. Die Verfolgung allein privater Ziele führe aber dazu, daß der im öffentlichen Recht gültige Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keine Gültigkeit beanspruchen könne; zum Zuge kämen im Vollstreckungsschutzrecht vielmehr die von diesem zu unterscheidenden und schwächeren privatrechtliehen Erwägungen der Verhältnismäßigkeit, die im Verbot der unzulässigen Rechtsausübungen zu verorten seien. Dessen Konturen werden im einzelnen ausgeführt102.
100 101 102
Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 484, 489. Stümer, ZZP (1986), 291 , 296 sowie Baur/Stümer, I, Rn. 7.45. Götte, S. 68 ff., 96 ff.
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3. Kritik an der Herstellung praktischer Konkordanz Zur Herstellung praktischer Konkordanz finden sich in bezug auf das Insolvenzrecht keine kritischen Stellungnahmen; anders ist dies zum Zwangsvollstreckungsrecht. Weyland ist der Auffassung, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen der hiergegen vorgebrachten Kritik im Zwangsvollstreckungsrecht uneingeschränkte Anwendung finde. Dies ergebe sich bereits zwingend aus dem Verständnis des Zwangsvollstrekkungsrechts als öffentliches Recht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit führe aber auch nicht zu falschen Wertungen im Vollstreckungsrecht Denn indem der Staat einseitig dem Gläubiger zur Rechtsdurchsetzung verhelfe, stünden sich Gläubiger und Schuldner im Zwangsvollstreckungsrecht nicht auf der Ebene der Gleichordnung gegenüber 103• Allerdings finde nicht darüber hinaus das Prinzip der Herstellung praktischer Konkordanz Anwendung. Zwar sei für die Vollstreckungssituation eine permanente Kollision von Gläubiger- und Schuldnergrundrechten kennzeichnend. Das optimale Verhältnis dieser miteinander konkurrierenden Grundrechtssphären sei jedoch in der Zwangsvollstreckung in der Regel nicht herzustellen. Gehe es um die Rechtsdurchsetzung des einen zulasten des anderen, sei für einen optimalen Grundrechtsausgleich kein Raum. Da der Rechtsdurchsetzung zugunsten des Gläubigers selbst Verfassungsrang beizumessen sei, sei es verfassungsrechtlich geboten, die Herstellung praktischer Konkordanz außer acht zu lassen; dies stelle keinen Bruch mit anerkannten verfassungsrechtlichen Anforderungen dar. Mit diesem Ergebnis sei zugleich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Vollstreckungsrecht sogar eine besonders herausgehobene Stellung zur Begrenzung bei der Auflösung einer Grundrechtskollision zugewiesen 104• 4. Eigene Ansicht Die Kritik an Gedanken der Verhältnismäßigkeit sowie der Herstellung praktischer Konkordanz im Vollstreckungsrecht vermag auch für das Insolvenzverfahren Bedeutung zu erlangen. Denn auch im Insolvenzrecht hat der Gesetzgeber bereits in einzelnen Vorschriften dem Gedanken der Verhältnismäßigkeit Ausdruck verliehen; zu nennen sind hier nur §§ 26, 207 Ins0 105 oder auch § 21 Abs. 1 lnsO. Weiter geht es auch im Insolvenzverfahren um die Haftungsabwicklung zwischen Privaten - dem Schuldner und der Gesamtheit seiner Gläubiger -, allein mit dem Unterschied, daß alle Gläubiger des Schuldners durch das Schuldnervermögen anteilig befriedigt 103
104 105
Weyland, S. 35. Weyland, S. 53 ff. Beispiele nach Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 483.
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werden sollen. Dies geschieht gleichfalls im Rahmen eines weitgehend staatlich beherrschten Verfahrens, das deshalb insoweit dem öffentlichen Recht zuzurechnen ist 106. Wenn auch im Insolvenzrecht kein tituliertes Recht der am Verfahren beteiligten Gläubiger besteht, steht dem die im Prüfungstermin festgestellte Forderung gemäß §§ 178 Abs. 3, 201 Abs. 2 InsO kaum nach. Damit könnten an sich die Bedenken gegenüber Erwägungen der Verhältnismäßigkeit im Zwangsvollstreckungsrecht auf das Insolvenzrecht übertragen werden. Entgegen den beachtlichen Argumenten in der Literatur beansprucht jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen des hier in Rede stehenden öffentlich-rechtlichen Teils des Insolvenzverfahrens grundsätzlich Geltung; weiter ist bei Grundrechtskollisionen entgegen Weyland praktische Konkordanz herzustellen. Diese Ansicht entspricht offensichtlich der von Stürner für das Zwangsvollstreckungsrecht, wenn dieser allgemein ausführt, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Zwangsvollstreckung Geltung beanspruche und er zugleich auch von der Abwägung von Gläubigerund Schuldnerpositionen bei der Auflösung einer Grundrechtskollision spricht. Dieses Ergebnis folgt zwingend aus der Zugehörigkeit der Normen zum öffentlichen Recht. Die dagegen vorgebrachten Argumente vermögen im Ergebnis nicht zu überzeugen. Jedoch ist bei der Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine Differenzierung zwischen dem allgemeinen, aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem für einen Eingriff in das jeweils betroffene Grundrecht geltenden Verhältnismäßigkeitsprinzip angezeigt. Die Beachtung des aus den Grundrechten hergeleiteten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist entscheidend für die Verfassungsmäßigkeit jedes einzelnen Grundrechtseingriffs. An dieser Feststellung führt für das öffentliche Recht und damit auch für das vom Insolvenzgericht durchgeführte Verfahren kein Weg vorbei. Dies muß auch die kritische Literatur anerkennen, wenn sie auch ausführt, der Staat schiebe sich nur wegen des Verbots der Selbsthilfe in das Verhältnis von Gläubiger und Schuldner. Denn dieses Argument vermag nichts daran zu ändern, daß sich der Staat mit der Durchführung des Insolvenzverfahrens - zumindest soweit seine Organe handeln - hoheitlich und damit öffentlich-rechtlich betätigt. Der Staat stellt ein staatliches Verfahren als Ersatz für die Einzelvollstreckung zur Verfügung, das unter der Leitung der Gerichte steht. Selbst wenn man unter Außerachtlassung des Gedankens, daß der Staat mit seiner Tätigkeit in der Zwangsvollstreckung Postulate des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 3 GG erfüllt, davon ausgeht, daß der Staat durch das Insolvenzverfahren keine eige106 Zu dieser Qualifikation der Rechtsnatur des Insolvenzverfahrensrechts vgl. oben § 2 A.III.2.
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nen staatlichen Ziele verfolgt, ergibt sich daraus keine staatsdistanzierte Begegnung von Gläubiger und Schuldner auf der Ebene der Gleichordnung. Es wiederholen sich damit die Argumente für die öffentlich-rechtliche Natur von Teilen des Insolvenzverfahrens 107 • In diesem Rahmen stellt eine öffentlich-rechtliche insolvenzrechtliche Vorschrift bzw. eine auf ihr basierende Einzelentscheidung nur dann eine verfassungsgemäße Schranke des jeweils betroffenen Grundrechts dar, wenn der vorgesehene Grundrechtseingriff verhältnismäßig ist, d. h. unter Beachtung dieser im einzelnen betroffenen verfassungsrechtlich geschützten Positionen, gemessen an der jeweiligen Struktur und Zielsetzung des einfachen Rechts, erforderlich, geeignet und proportional ist. Dabei sind durch die - verfassungsrechtlich gebotene - Hinzuziehung "des" Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich keine Verwerfungen im betroffenen einfachen Recht zu befürchten. Vielmehr läßt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der nach dem Zweck des konkreten Grundrechtseingriffs fragt, einfachrechtliche Lösungen zu, die das Ziel des Insolvenzverfahrens im allgemeinen unberührt lassen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bewirkt nicht, daß Gläubiger- und Schuldnerrechte auf gleicher Ebene abgewogen werden. Vielmehr kommt der Vorrang des festgestellten materiellen Gläubigerrechts zum Tragen. An der Verwirklichung des Gläubigerrechts sind grundsätzlich keine Zweifel angebracht und das Schuldnerrecht, die festgestellte Schuldnerpflicht, hat diesem zu weichen. Denn der Eingriff in die damit grundsätzlich unterlegenen schuldnerischen Positionen ist so lange erforderlich, geeignet und proportional, wie dies für die Durchsetzung des Gläubigerrechts von Belang ist. Die Grenze der Schuldnerischen Belastbarkeit wird daher nur in extremen Einzelfällen derart zum Tragen kommen, daß von der Vollstreckung an sich abzusehen ist. Hierbei handelt es sich aber nicht zwingend nur um die als absoluter Vollstreckungsschutz diskutierten Fälle. Vielmehr ist Stümer zuzustimmen, daß es diese Fälle zwingenden Vorrangs des Schuldnerrechts nicht gibt und es immer auf eine Einzelfallbetrachtung ankommt. Weiter kommen die Schuldnerischen Belange immer nur dann zum Tragen, wenn mehrere Möglichkeiten zur Vollstreckung und damit Verwirklichung des Gläubigerrechts offen stehen. Damit gilt im Insolvenzrecht der aus den einzelnen Grundrechten hergeleitete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Darüber hinaus verdient der allgemeine Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keine Beachtung. Dieser ist als allgemeines Kriterium für die Verfassungsmäßigkeit staatlichen Handeins zu unscharf, um dem Insolvenzrecht hinreichende Impulse zu geben. Im Insolvenzrecht mit den sich gegenüberstehenden rechtlichen Positionen von Gläubigem und Schuldner ist für eine allgemeine Güterahwägung kein Raum. Insoweit ist der Kritik im Schrifttum an der mit dem Gedanken der 107
Vgl. oben § 2 A.III.2.
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Verhältnismäßigkeit in das Recht der Einzelvollstreckung eingeführten Rechtsunsicherheit zuzustimmen. Neben dem bei Grundrechtseingriffen zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit finden darüber hinaus die zur Auflösung einer Grundrechtskollision entwickelten Kriterien der praktischen Konkordanz Anwendung. Weyland hat für das Vollstreckungsrecht herausgearbeitet, daß die Herstellung eines verhältnismäßigen Ausgleichs in der Betroffenheit der Grundrechtsträger im Zwangsvollstreckungsrecht nicht möglich sei. Die vorgetragene Begründung läßt sich nicht in dieser Stringenz auf das Insolvenzrecht übertragen. Zwar kollidieren im Insolvenzrecht - wie im von Weyland betrachteten Zwangsvollstreckungsrecht - die Grundrechtspositionen von Gläubigern und Schuldner108 • Die Herstellung praktischer Konkordanz kommt bei allen solchen Grundrechtskollisionen zum Tragen, die nicht nur durch eine "Entweder-oder-Entscheidung" zu lösen sind und vermittelnde Lösungen zulassen. Das Insolvenzrecht ist dadurch gekennzeichnet, daß die Herstellung eines vermittelnden und schonenden Ausgleichs grundrechtlich geschützter Positionen nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Hier besteht nicht immer zwingend nur die Wahl zwischen Durchführung einer Maßnahme und deren Nichtdurchführung aus Gründen des Schuldnerschutzes. Vielmehr kann die Herstellung praktischer Konkordanz durchaus in Betracht kommen, wenn die Verfahrensgestaltung im einzelnen in Rede steht. Als Beispiel mag hier nur die differenzierte Möglichkeit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren gemäß §§ 21 ff. InsO oder die Anordnung einer Postsperre gemäß § 99 InsO genannt werden. Damit ist es durchaus möglich, die kollidierenden Interessen im beiderseitigen Nachgeben auszubalancieren; dem Insolvenzgericht bieten sich die hierfür erforderlichen Spielräume. Die These Weylands, die Herstellung praktischer Konkordanz komme im Vollstreckungsrecht in der Regel nicht zum Tragen, kann also so nicht auf das Insolvenzrecht übertragen werden 109, wobei hier auf sich beruhen kann, ob sie für die Einzelvollstrekkung zutrifft. Damit soll aber nicht außer Acht gelassen werden, daß die Herstellung praktischer Konkordanz auch im Insolvenzrecht nicht immer möglich sein wird. Es wird im Rahmen des Insolvenzverfahrens häufig nicht möglich sein, kollidierende Grundrechtspositionen einander so zuzuordnen, daß beide optimale Wirkung entfalten. Denn ähnlich wie im Zwangsvollstrekkungsrecht werden die kollidierenden Grundrechte des einen GrundrechtsVgl. oben § 1 A. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.12.1977 - 1 BvR 734177, BVerfGE, 46, 325, 335. Das BVerfG zeigt in diesem Beschluß zur Zwangsversteigerung auf, daß auch im Zwangsvollstreckungsrecht ausgleichende Handhabung des Verfahrensrechts möglich ist. 108
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trägers im Insolvenzrecht gerade auf Kosten der Grundrechtsposition des anderen durchgesetzt; eine Optimierung ist den damit zu treffenden Entscheidungen wesensfremd. Dieser Befund widerspricht nicht der verfassungsrechtlichen Literatur. Hesse weist darauf hin, daß die Herstellung eines optimalen Ausgleichs kollidierender Grundrechte nicht immer möglich sein werde. Sei es erforderlich, eine grundrechtliche Position zugunsten einer kollidierenden anderen ganz zurücktreten zu lassen, erfordere dies aber eine weitere verfassungsrechtliche Begründung, die nicht mit einer "unsubstantiierten Güterabwägung" geleistet werden könne 110. Diese Gefahr besteht aber nicht. Denn neben der Herstellung praktischer Konkordanz gilt weiterhin die zwar schwächere, aber konkrete Verhältnismäßigkeit aus den Grundrechten als Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit eines Grundrechtseingriffs. Diese markiert auch dann, wenn die Herstellung praktischer Konkordanz nicht möglich ist, eine hinreichend substantiierte äußere Grenze für Grundrechtseingriffe durch die staatliche Gewalt. Hierauf hat Weyland zutreffend hingewiesen. 111. Auswirkungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf die Entscheidung über die Zulassung des Insolvenzantrags
Bedarf danach der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei jedem Grundrechtseingriff im Insolvenzrecht der Beachtung und ist auch im Insolvenzrecht bei Grundrechtskollisionen praktische Konkordanz herzustellen, ist hieran die Zulassung des Insolvenzantrags in den besonderen Problemlagen der geringfügigen Gläubigerforderung sowie der Beeinträchtigung vitaler Schuldnerinteressen zu messen. Allerdings kommt die Herstellung praktischer Konkordanz für die Zulassung des Insolvenzantrags von vomherein nicht in Betracht, weil hier kein schonender Ausgleich hergestellt werden kann; der Insolvenzantrag kann nur zugelassen oder zurückgewiesen werden. Vielmehr geht es bei der Zulassung des Insolvenzantrags in den genannten Problemfällen allein um die Verhältnismäßigkeit der einer Zulassung nachfolgenden Grundrechtseingriffe 111 .
110 Hesse, Grundzüge, Rn. 319; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 9.2.1994 - 1 BvR 1687/92, BVerfGE 90, 27, 34, aus dem sich gleichfalls ergibt, daß durchaus bei einer Grundrechtskollision ein Grundrecht dem anderen generell vorgehen kann. 111 Bedenken gegen die doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung - von Gesetz und darauf beruhender Einzelentscheidung - äußert Hans Schneider, Festgabe BVerfG, 390, 402 ff. für den Fall, daß sich die Verhältnismäßigkeitskontrolle auch im Einzelfall nicht aus der gesetzlichen Regelung ergibt. Hiergegen spricht jedoch der allgemeine Grundsatz, daß alle verfassungsrechtlichen Wertungen in die Auslegung hierfür offener einfachrechtlicher Vorschriften einwirken, vgl. oben § 2 B.II.
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1. Geringfügige Gläubigerforderung
Die verfassungsrechtliche Untersuchung erstreckt sich damit zunächst auf die Fälle, in denen der Schuldner den mit dem Insolvenzverfahren zwar üblichen Belastungen ausgesetzt ist, dem Insolvenzantrag aber lediglich eine geringfügige Gläubigerforderung zugrunde liegt. Auch für eine geringfügige Gläubigerforderung müßten die mit der Durchführung des Insolvenzverfahrens üblicherweise verbundenen Grundrechtseingriffe verfassungsrechtlich zulässig und damit insbesondere verhältnismäßig sein. Die normale Belastung des Schuldners durch die Eröffnung und Durchführung des Insolvenzverfahrens 112 liegt darin, daß mit Verfahrenseröffnung das Vermögen als Insolvenzmasse beschlagnahmt wird und in einem im einzelnen ausgestalteten Verfahren zur möglichst umfassenden Befriedigung aller Gläubiger führen soll. Eine Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Positionen tritt damit primär im vermögensrechtlichen Bereich ein. Allerdings kann die Durchführung des Insolvenzverfahrens bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schuldners führen 113 . Daß damit in grundrechtlich geschützte Positionen des Schuldners eingegriffen wird, muß nicht herausgestellt werden; auf der Hand liegt insbesondere die Nennung der von Art. 14, 12, 2 Abs. 1 GG geschützten Positionen 114• a) Prüfung am Maßstab des Art. 14 GG Träger des Grundrechts auf Eigentum sind alle natürlichen und inländischen juristischen Personen des Privatrechts 115 • Der Schutz des Eigentums durch Art. 14 GG ist weiter gefaßt als der des bürgerlichen Rechts. Herkömmlich wird der Schutzbereich mit der Formel umschrieben, daß alle vermögenswerten Rechte des Schuldners, nicht aber das Vermögen selbst geschützt werden 116• Anerkannt ist mit diesem weiten Verständnis des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes insbesondere der Schutz des sog. 112 Zur Begrenzung der Problematik auf die allgemeinen Belastungen durch ein Insolvenzverfahren losgelöst von den einzelnen durch die konkreten Ausgestaltung des Ablaufs beeinträchtigten Grundrechten vgl. oben § 3 B.II. 113 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 1.12, weist ausdrücklich darauf hin, daß der Erhalt der wirtschaftlichen Existenz des Schuldners nicht zu den primären Verfahrenszielen gehört. Vgl. zum Umfang des Insolvenzbeschlags aber auch Gerhardt, Festschrift für Gaul, 139, 143 f., der herausarbeitet, daß die Beschlagnahme des Vermögens nicht die Arbeitsmittel erfaßt. Die Insolvenz soll nicht die Fortsetzung der gewinnbringenden Nutzung der eigenen Arbeitskraft beeinträchtigen. 114 Diese Grundrechte, die die InsO nicht als eingeschränkt bezeichnet, unterfallen nicht dem Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, vgl. Krebs, in: v. Münch/ Kunig5 , Art. 19 Rn. 16. 115 Bryde, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 14 Rn. 6.
8 Lepa
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eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes. Über das Eigentum an den einzelnen Objekten eines Gewerbebetriebes hinaus wird damit der Wert des Gewerbebetriebs in seiner Gesamtheit anerkannt und von der Gewährleistung des Art. 14 GG erfaßt. Geschützt ist damit u. a. auch der good will und das know-how des Gewerbebetriebes 117 . Das damit umschriebene Eigentum ist nicht nur in seinem Bestand geschützt; der Schutz des Art. 14 GG erstreckt sich auch auf die Nutzung des Eigentums nach eigenem Belieben des Rechtsträgers 118 . Dieser weite Schutzbereich des Art. 14 GG ist für die betroffenen Rechtspositionen des Schuldners im Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird dem Schuldner die Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen entzogen (§§ 80 ff. InsO). Weiter übernimmt der Insolvenzverwalter die Verwaltung der Insolvenzmasse (§§ 148 ff. InsO) mit dem Ziel der Verwertung. Zur Insolvenzmasse gehört gemäß §§ 35 f. InsO das gesamte Vermögen des Schuldners, das auch der Zwangsvollstreckung unterliegen würde. Besonders hervorzuheben ist, daß damit das Unternehmen 119 in seiner Gesamtheit mit dem good will, den Betriebsgeheimnissen und dem Kundenstamm sowie insbesondere auch die Firma in die Insolvenzmasse fallen 120. Damit ist das Vermögen des Schuldners umfassend vom Insolvenzbeschlag betroffen 121 . Alle diese Rechtspositionen werden vom Schutzbereich des Art. 14 GG erfaßt. Insbesondere wird das Schuldnerische Unternehmen in 116 Vgl. beispielhaft BVerfG, Beschl. v. 13.5.1986- 1 BvR 99, 461/85, BVerfGE 72, 175, 195; BVerfG, Beschl. v. 26.5.1993 - 1 BvR 208/93, BVerfGE 89, 1, 6; BVerfG, Beschl. v. 23.6.1993 - 1 BvR 133/89, BVerfGE 89, 48, 61 jeweils m.N.; BK!Kimminich, Art. 14 Rn. 31 ff. m.w.N.; Bryde, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 14 Rn. 11 ff. m. w.N.; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 160. 117 Zusammenfassend BK/Kimminich, Art. 14 Rn. 77 ff.; Papier, in: Maunz/ Dürig, Art. 14 Rn. 95 ff. m. w. N. Damit zählen Geschäftsgeheimnisse jedenfalls zum eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und damit in den Schutzbereich des Art. 14 GO, vgl. hierzu Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 99. Das Bundesverfassungsgericht sieht Geschäftsgeheimnisse offensichtlich als unmittelbar durch Art. 14 GO geschützt an, vgl. etwa BVerfG, Urt. v. 17.7.1984- 2 BvE 11, 15/83, BVerfGE 67, 100, 142; BVerfG, Beschl. v. 1.10.1987- 2 BvR 1178, 1179, 1191/ 86, BVerfGE 77, 1, 46 ff. Vgl. die Darstellung des Streitstands bei Wagner, ZZP 108 (1995), 193, 197f. 118 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 16.6.1976 - 2 BvR 342/75, BVerfGE 42, 229, 233 m. w. N.; Pieroth/Schlink, Rn. 914 ff.; vgl. zur Abgrenzung zu den Freiheitsrechten Bryde, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 14 Rn. 13; Jarass!Pieroth, Art. 14 Rn. 5. 11 9 Vgl. zum Unternehmensbegriff oben § 1 Fn. 5. 120 Zur Frage der Zugehörigkeit der Firma zur Insolvenzmasse vgl. nur Gerhardt, Festschrift für Gaul, 139, 143; HK2/Eickmann, § 35 Rn. 19 m. w. N. Zu den weiteren Problemen der Verwertbarkeit vgl. Uhlenbruck, ZIP 2000, 401 ff. m. w. N.; zur Verwertbarkeit des Kundenstamms vgl. Saarländisches OLG, Urt. v. 8.11.2000 1 U 513/00-115, DZWiR 2001, 39, 40.
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seiner Gesamtheit als ausgeübter Gewerbebetrieb durch Art. 14 GG geschützt. Schon allein mit dem Entzug der Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse ist dem Schuldner deren Nutzung verwehrt, so daß bereits in diesem Zeitpunkt des Verfahrens der Schutzbereich des Art. 14 GG tangiert ist. Bei der weiteren Durchführung des Insolvenzverfahrens durch Verwertung der Insolvenzmasse liegt erneut ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 GG vor, gleichgültig, ob die Verwertung durch Liquidation, Sanierung oder übertragende Sanierung erfolgt. Diese durch die InsO eröffneten unterschiedlichen Wege der Verwertung des Schuldnerischen Vermögens unterscheiden sich lediglich in der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung. Ein Eingriff in diese Rechtspositionen kann jedoch verfassungsrechtlich als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig sein 122 . Daß die Verwertung des schuldnerischen Vermögens zugunsten aller Gläubiger nicht als Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG zu verstehen ist 123, liegt auf der Hand; denn es handelt sich nicht um eine Entziehung konkreter subjektiver Rechtspositionen zugunsten der Allgemeinheit bei unbeteiligten Privaten 124 . Vielmehr leitet der Staat nur ein Verfahren zur Befriedigung aller Gläubiger eines Schuldners. Ein Eingriff in Rechtspositionen, die unter dem Schutz des Art. 14 GG stehen, ist gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsgemäß, wenn 121 Vgl. zum Vermögensbegriff in der Gesamtvollstreckung mit seinen Erweiterungen zur Einzelvollstreckung ausführlich Gerhardt, Festschrift für Gaul, 139, 143 f. m.w. N. 122 So auch BVerfG, Beschl. v. 18.7.1979 - 1 BvR 655179, BVerfGE 51, 405, 408, allerdings beschränkt auf die Beschlagnahme des § 6 KO. 123 Das Erfordernis einer Differenzierung zwischen der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Art. 14 Abs. I Satz 2 GG und der Enteignung des Art. 14 Abs. 3 GG stellt einen verfassungsrechtlichen "Dauerbrenner" dar, vgl. wegweisend BVerfG, Beschl. v. 15.7.1981 - I BvL 77178, BVerfGE 58, 300, 330 ff.; zu den in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Abgrenzungskriterien vgl. statt aller Bryde, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 14 Rn. 52 ff.; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 336 ff.; zum aktuellen Stand der Diskussion vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 2.3.1999- 1 BvL 7/91, BVerfGE 100, 226, 239 ff.; BVerfG, Urt. v. 23.11.1999 - 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239, 258 ff.; Jarass, NJW 2000, 2841 ff.; Papier, DVBI. 2000, 1398 ff.; Ossenbühl, AöR 124 (1999), 1, 5 ff. ; Wilhelm, JZ 2000, 905, 906 ff. 124 Zum Verständnis der Enteignung BVerfG, Beschl. v. 12.6.1979 - 1 BvL 19/ 76, BVerfGE 52, 1, 27 f.; BVerfG, Beschl. v. 15.7.1981 - 1 BvL 77178, BVerfGE 58, 300, 330 ff.; BVerfG, Beschl. v. 12.3.1986- 1 BvL 81179, BVerfGE 72, 66, 76; Bryde, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 14 Rn. 52 ff.; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 344 ff. Das Urteil vom 24.3.1987 - 1 BvR 1046/85, BVerfGE 74, 264, 284 ff., in dem das Bundesverfassungsgericht die Einordnung eines Entzugs konkreter subjektiver Rechtspositionen zugunsten Privater als eine verfassungsgemäße Enteignung grundsätzlich für möglich hielt, betraf eine besondere Fallkonstellation. Dort hätte der Eingriff mittelbar der Erhaltung oder Verbesserung der Wirtschaftsstruktur bzw. der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit gedient.
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dessen gesetzliche Grundlage den Anforderungen an eine Inhalts- und Schrankenbestimmung genügt. Diese muß insbesondere den zur Verhältnismäßigkeit herausgearbeiteten Grundsätzen entsprechen 125 . Dabei ist zu beachten, daß die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG eine besondere Prägung durch die Sozialbindung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG erfahrt. Danach muß der Gesetzgeber bei der Regelung des Eigentumsinhalts sowohl das Wohl der Allgemeinheit als auch die Bedeutung des vermögenswerten Guts bzw. Rechts für den Eigentümer beachten. Dabei steht dem Gesetzgeber ein relativ weiter Gestaltungsspielraum zu 126• Diese für den Gesetzgeber entwickelten Grundsätze gelten auch für den Normanwender im Einzelfall; jede Einzelentscheidung muß daher darauf überprüft werden, ob auch sie den Anforderungen des Art. 14 GG und insbesondere der Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt 127. Eröffnet das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren und nimmt es damit den gesetzlich bereits vorgesehenen Eingriff in Art. 14 GG vor, so muß diese Entscheidung verhältnismäßig sein. Die Durchführung des Insolvenzverfahrens muß daher in jedem Einzelfall nach den allgemeinen Kriterien verhältnismäßig, d. h. gemessen an den gesetzlichen Zielen geeignet, erforderlich und proportional sein 128 • Damit ist für die Überprüfung des Insolvenzeröffnungsbeschlusses am Maßstab des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall der Blick auf das gesetzgebensehe Ziel des Insolvenzverfahrens zu lenken. Ziel dieses Verfahrens ist gemäß § 1 Satz 1 InsO in erster Linie die anteilige Befriedigung der Gläubiger. Die Pflicht des Staates, bei der Durchsetzung von Ansprüchen zu helfen, findet ihre Grundlage in der Verfassung. Jede Forderung der einfachen Insolvenzgläubiger nach § 38 InsO sowie jedes Recht der bevorrechtigten Gläubiger stehen als vermögenswerte Rechtspositionen ihrerseits unter dem verfassungsrechtlichen Schutz von Art. 14 GG. Dieser Schutz umfaßt dabei nicht nur das materielle Recht, sondern auch das dazugehörende Verfahrensrecht 129 • Daraus, daß das Gewaltmonopol 125 Vgl. BVerfG, Beseht. v. 14.2.1967- 1 BvL 17/63, BVerfGE 21, 150, 155; BVerfG, Beschl. v. 18.7.1979- 1 BvR 655179, BVerfGE 51, 405, 408; eine ausführliche Zusammenfassung findet sich bei Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 307 ff. 126 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 10.7.1958 - 1 BvF l/58, BVerfGE 8, 71, 80; BVerfG, Beschl. v. 1.7.1964- 1 BvR 375/62, BVerfGE 18, 121, 131 f.; BVerfG, Beschl. v. 12.1.1967 - 1 BvR 169/63, BVerfGE 21, 73, 83; BVerfG, Beschl. v. 15.1.1969- 1 BvL 3/66, BVerfGE 25, 112, 117 f. 127 Vgl. zur Auswirkung von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG auf die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts nur aus neuerer Zeit BVerfG, Kammerbeschl. v. 22.5.1995- 2 BvR 195/92, NJW 1996, 246 f. 12s Vgl. bereits oben § 3 C.l.2. 129 Zur verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte vgl. oben § 2 C.I.; das Bundesverfassungsgericht weist in seinen Entscheidungen zum Schuldnerschutz im
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beim Staat liegt und Selbsthilfe zur Befriedigung von Ansprüchen verboten ist, ergibt sich das Bedürfnis zur Befriedigung der Gläubiger in einem geordneten, zumindest staatlich geleiteten Verfahren 130; für den Staat stellt sich zwingend die Aufgabe, selbst ein Verfahren zur Befriedigung von Ansprüchen zur Verfügung zu stellen. In der Situation der Insolvenz, in der das Vermögen des Schuldners nicht mehr ausreicht, um alle Gläubiger zu befriedigen 131 , sollen alle Gläubiger durch die Einrichtung des Verfahrens der Gesamtvollstreckung aus dem noch vorhandenen Schuldnerischen Vermögen möglichst umfassend anteilig befriedigt werden. Es stellt sich für die Situation der Insolvenz die Frage, ob sich für den Staat unmittelbar aus Verfassungsrecht eine Pflicht ergibt, ein Gesamtvollstreckungsverfahren zu schaffen. Für die ungesicherten Gläubiger, die in der Insolvenz einfache Insolvenzgläubiger (§§ 38, 39 InsO) sind, würde die Insolvenz des Schuldners ohne ein solches Verfahren zu einem "Wettlauf' um vollständige Befriedigung führen. Die Folge hiervon wäre wohl eine verfassungsrechtlich kaum hinnehmbare Rechtssituation. Betroffen wären in diesem Fall nicht nur die Rechtspositionen der Gläubiger aus Art. 14 GG, sondern auch die Verpflichtungen des Staates aus dem Rechtsstaatsprinzip und den an den Staat gerichteten Postulaten des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG. Diese Erwägungen sprechen dafür, daß das Regelungsziel des Insolvenzverfahrens, das in § 1 Satz 1 InsO zum Ausdruck kommt, bereits verfassungsrechtlich vorgeben erscheint 132. Aus den Materialien ergibt sich weiter, daß es jedenfalls für die bestehende Wirtschaftsordnung unerläßlich ist, daß ein funktionstüchtiges Insolvenzrecht zur Gläubigerbefriedigung besteht133.
Vollstreckungsverfahren ausdrücklich auf die verfahrensrechtliche Dimension der Grundrechte hin, vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 7.12.1977 - 1 BvR 734177, BVerfGE 46, 325, 334 m. w. N.; BVerfG, Beschl. v. 27.9.1978 - 1 BvR 361178, BVerfGE 49, 220, 225; Bryde, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 14 Rn. 37. 130 Zum Gewaltmonopol des Staates und Selbsthilfeverbot für Gläubiger vgl. bereits oben § 3 C.II.2.; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 19.10.1982- 1 BvL 34, 55/80, BVerfGE 61, 126, 136 zum Zwangsvollstreckungsrecht; auf das Verbot der Selbsthilfe als Motiv allgemein für Vollstreckungsrecht weisen Adam, S. 27 ff.; Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 489 hin. 131 Vgl. statt aller Bork, Einführung, Rn. 1. 132 So aber Carl, S. 174; wohl ebenso auch Baur/Stümer, II, Rn. 6.2. Die Untersuchung von Adam, S. 31 ff., macht nicht deutlich, ob dieser eine allgemeine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates zur Einrichtung eines Insolvenzverfahrens annimmt. Seine Skepsis bezieht sich allein auf die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates auf Durchführung des Insolvenzverfahrens im Einzelfall. 133 Vgl. im einzelnen Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443 S. 77 ff.; zu den Mißständen im alten Recht, ihren vielschichtigen Auswirkungen und der Ordnungsaufgabe des Insolvenzrechts in der sozialen Marktwirtschaft s. 72 ff.
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Als weiteres Ziel des Insolvenzverfahrens nennt § 1 Satz 2 InsO die Schuldbefreiung, wenn der Schuldner eine natürliche Person ist. Damit ist die Befriedigung der Gläubiger jedenfalls nicht mehr das alleinige Ziel der Ins0 134 • Mit dieser Zielsetzung trägt der Gesetzgeber dem Postulat aus Art. 2 Abs. 1 GG - dem Interesse des Schuldners, frei von Belastungen zu sein, die seine Handlungsfreiheit beeinträchtigen - Rechnung. Ob diese weitgehend verfassungsrechtlichen Ziele bei der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Insolvenzeröffnung Beachtung verdienen dürfen, wenn es um die Beurteilung eines Gläubigerantrags mit geringfügiger Forderung geht, bedarf jedoch noch weiterer Überlegungen. Denn das Insolvenzverfahren wird nur auf Antrag eröffnet, eine Eröffnung von Amts wegen ist nicht vorgesehen. Dies legt die Untersuchung nahe, ob in die Einzelentscheidung über die Insolvenzverfahrenseröffnung überhaupt auch die allgemeinen staatlichen Ziele des Insolvenzverfahrens einzubeziehen sind. Denkbar wäre es, daß aufgrund des Antragsgrundsatzes nur die Interessen des Gläubigers an einem Erfolg seines Antrags in die Anwendung der Vorschriften über die Insolvenzverfahrenseröffnung einfließen 135 . Hiergegen sprechen jedoch mehrere Gründe. Es ist schon fraglich, ob es überhaupt rechtlich möglich wäre, statt einer Verfahrenseröffnung auf Antrag eine Verfahrenseröffnung von Amts wegen vorzusehen; es erscheint nämlich zweifelhaft, ob dies mit der bestehenden Wirtschaftsordnung und mit der privatrechtliehen Dispositionsfreiheit der Gläubiger zu vereinbaren wäre. Für die Ausgestaltung als Antragsverfahren sprechen jedenfalls schon praktische Erwägungen. Es wäre mit erheblichem Aufwand verbunden, wenn für den Staat als einem Außenstehenden eine Insolvenzeröffnung von Amts wegen vorgesehen wäre 136 . Ferner gilt es zu beachten, daß der Staat auf die Antragstellung des Schuldners oder nur eines Gläubigers, also auf ein einziges Rechtsschutzgesuch 137, derart reagiert, daß ein Verfahren zur Befriedigung der Ansprüche aller Gläubiger eingeleitet wird, gleich, ob diese das Verfahren der Gesamtvollstreckung begrüßen. Schließlich steht es dem Antragsteller nicht immer frei, einen Insolvenzantrag zu stellen. So kann für 134 Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 83 f.; Gerhardt, ÖBA 1995, 325, 328; Kübler/Prütting/Prütting, § 1 Rn. 36 ff.; vgl. auch Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 1.12, der in der Restschuldbefreiung ein nachgeordnetes Verfahrensziel sieht. 135 So für das Zwangsvollstreckungsrecht Wieser, Verhältnismäßigkeit, S. 64 f. Wieser bezieht jedoch an anderer Stelle in die Abwägung durchaus allgemeine Interessen ein; so soll zu berücksichtigen sein, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei endgültiger Verhinderung der Zwangsvollstreckung zu einer partiellen Lähmung des Rechts führt (S. 68). 136 Vgl. hierzu im einzelnen Delhaes, S. 35 f. ; Gottwalcf!Uhlenbruck, § 4 Rn. 1; Nerlich/Römermann/Mönning, § 13 Rn. 4 f. 137 Zur Funktion des Insolvenzantrags als Rechtsschutzgesuch Delhaes, S. 36 f.
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den Schuldner nach den Vorschriften des BGB bzw. des Gesellschafts- und Genossenschaftsrechts die Pflicht zur Antragstellung bei Insolvenz bestehen138; in einem solchen Fall wird die privatwirtschaftliche Dispositionsfreiheit nicht eines einzigen der Gläubiger berücksichtigt. Damit zeigt sich, daß der Staat den Anstoß durch einen Betroffenen zum Anlaß nimmt, angesichts der Mangellage beim Schuldner alle Ziele der InsO zu verfolgen, also auch seine eigenen gesamtwirtschaftlichen an einem funktionstüchtigen Insolvenzrecht zur möglichst umfangreichen anteiligen Befriedigung aller Gläubiger. Das Antragserfordernis hindert damit nicht die Beachtung auch der allgemeinen Ziele des Insolvenzverfahrens. Mithin läßt sich die im Rahmen der Verhältnismäßigkeit herzustellende Mittel-Zweck-Relation dahin konkretisieren, daß das Insolvenzgericht entscheidet, ob als Auslöser der Verfolgung der genannten staatlichen Ziele auch eine geringe Gläubigerforderung ausreicht 139. Die über die Befriedigung des antragstellenden Gläubigers hinausgehenden Ziele des Insolvenzverfahrens fließen insoweit in die Verhältnismäßigkeitsprüfung auch ein 140, also insbesondere die Befriedigung aller Gläubiger des Schuldners. Damit wird auch nicht in Widerspruch zu Häsemeyer getreten, wenn dieser aus138 §§ 42 Abs. 2, 48, 53, 86, 88, 89 Abs. 2 BGB; 130a HGB, 64 Abs. 1, 71 Abs. 4 GmbHG; 92 Abs. 2, 268 Abs. 2, 278 Abs. 3, 283 Nr. 14 AktG, 99 GenG; vgl. zur Antragspflicht auch Uhlenbruck, Kölner Schrift, Gesellschaftsrecht, Rn. 6. 139 Daher scheidet es für das Insolvenzverfahren auch von vomherein aus, die Schadensposten von Gläubiger und Schuldner zu vergleichen. Die hier erforderliche Abwägung der zahlreichen Interessen an der Durchführung des Insolvenzverfahrens erweist sich als vielschichtiger, als es mit diesen Zahlen faßbar ist. Wenn insbesondere Wieser, Verhältnismäßigkeit, S. 64 ff., im Zwangsvollstreckungsrecht dem Vergleich der Schadensposten entscheidende Bedeutung für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme beimißt, kann dies nicht auf das Insolvenzverfahren übertragen werden. Denn Grundlage dieser Auffassung ist für das Zwangsvollstreckungsrecht die Annahme, daß auf Gläubigerseite nur dessen Interessen in die Abwägung einfließen können. Dies ist im Insolvenzrecht gerade nicht der Fall. 140 So im Ergebnis offensichtlich auch BVerfG, Beschl. v. 18.7.1979 - 1 BvR 655179, BVerfGE 51, 405, 408, das trotz Antragsverfahren unproblematisch das öffentliche Interesse am Konkursverfahren heranzieht, um die Verhältnismäßigkeit von § 6 KO als Inhalts- und Schrankenbestimmung festzustellen. Danach sind die allgemeinen Interessen an der Durchführung eines Insolvenzverfahrens in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einzubeziehen. Insoweit zu allgemein der BGH, Urt. v. 6.6.1977- III ZR 53175, KTS 1978, 24, 29 f. In der Entscheidung wird ausgeführt, beim Rechtsschutzinteresse komme es allein auf das des antragstellenden Gläubigers an. Stellt sich aber schon im Rahmen des Rechtsschutzinteresses die Frage, ob das beantragte Verfahren von vornherein erkennbar wegen verfassungsrechtlicher Erwägungen nicht eröffnet werden darf, fließen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung die allgemein mit dem Insolvenzverfahren verfolgten Ziele des Staates ein. Insoweit kommt es für das Rechtsschutzinteresse des einzelnen antragsteilenden Gläubigers wohl auf die für alle Gläubiger zu erzielenden Vorteile an.
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führt, daß jede Inpflichtnahme überschuldeten Privatvermögens für sozialpolitische Zwecke Art. 14 GG verletzen dürfte 141 . Denn es geht bei den berücksichtigten Zielen nicht um allgemeine sozialpolitische Zwecke, sondern um die Interessen aller betroffener Gläubiger des Schuldners. Hält man sich die Regelungsziele des Insolvenzverfahrens vor Augen, bestehen unter dem Gesichtspunkt der Geeignetheil und Erforderlichkeit auch in den Fällen einer geringfügigen Gläubigerforderung gegen die Einleitung eines Insolvenzverfahrens keine Bedenken. In der Situation der Insolvenz ist dieses Verfahren - gleich, in welcher Höhe die das Verfahren auslösende Gläubigerforderung besteht - angebracht. Länger zu verweilen ist allein bei dem Erfordernis der Proportionalität der Durchführung eines Insolvenzverfahrens, wenn dieses durch einen Gläubiger mit einer geringfügigen Forderung eingeleitet wird. Die Proportionalität wird herkömmlich als Abwägung der Mittel-Zweck-Relation verstanden; im einzelnen werden differenzierte Betrachtungen angestellt und Maßstäbe entwickelt. Das Bundesverfassungsgericht zielt in seinen Entscheidungen auf eine am Einzelfall orientierte Abwägung von Mittel und Zweck des staatlichen Eingriffs ab; hierfür lassen sich vielfältige Umschreibungen finden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt kein Verstoß gegen das Gebot der Proportionalität vor, wenn der Eingriff des Staates im vernünftigen, angemessenen Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des beim einzelnen betroffenen Grundrechts steht. Ausmaß und Intensität der Grundrechtsbetroffenheit sind in den Blick zu nehmen. Die staatliche Maßnahme darf den Betroffenen nicht übermäßig belasten und muß noch zurnutbar sein 142• In der Literatur wird in weiten Zügen der vom Bundesverfassungsgericht bei Untersuchung der Proportionalität vorgenommenen Abwägung der betroffenen verfassungsrechtlich geschützten Positionen unter Beachtung der Zumutbarkeit im Einzelfall zugestimmt 143 • Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 23.08. Vgl. z. B. BVerfG, Urt. v. 11.6.1958 - 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377, 407; BVerfG, Beschl. v. 16.3.1971 - 1 BvR 52, 665, 667, 754/66, BVerfGE 30, 292, 316; BVerfG, Urt. v. 5.6.1973 - 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202, 232; BVerfG, Beschl. v. 18.12.1974 - 1 BvR 430/65, 259/66, BVerfGE 38, 281, 302; BVerfG, Beschl. v. 7.4.1978 - 2 BvR 202/78, BVerfGE 48, 118, 124; BVerfG, Beschl. v. 1.8.1978 - 2 BvR 1013, 1019, 1034/77, BVerfGE 49, 24, 58; BVerfG, Beschl. v. 14.7.1981 - 1 BvL 24/78, BVerfGE 58, 137, 148; BVerfG, Beschl. v. 20.6.1984- 1 BvR 1494/78,BVerfGE67, 157,173, 178jeweilsm.w. N. 143 Grabitz, AöR 98 (1973), 568, 575 ff.; Wendt, AöR 104 (1979), 414, 453 ff.; speziell zur Einbeziehung der situationsgebundenen Zumutbarkeit im Einzelfall in die Feststellung der Proportionalität zusammenfassend Dechsling, S. 9 ff. ; Hirschberg, S. 97 ff.; mit Bezügen zum Vollstreckungsrecht Weyland, S. 143 ff. Anders noch zur Zumutbarkeit Lücke, DÖV 1974, 769, 770. 141
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Bis in die jüngste Zeit wurden zwar weitere Kriterien zur Feststellung der Proportionalität entwickelt 144 . Herauszustellen ist dabei die Bemühung einiger Stimmen in der Literatur, anband abstrakt-genereller Maßstäbe über den Wert der einzelnen grundrechtlich geschützten Rechtspositionen zur Feststellung der Proportionalität zu gelangen. Aus dem Grundrechtskatalog mit den unterschiedlichen Möglichkeiten zur Grundrechtsbeschränkung sollte danach eine Hierarchie der Grundrechte aufgestellt werden 145 . Gegen diese Auffassung ist jedoch Kritik laut geworden. So wird heute der Versuch für gescheitert erklärt, eine Wertigkeit der Rechtsgüter aufzustellen und so zu einer Grundrechtsrangordnung zu gelangen 146. Ob dieser Auffassung zu folgen ist, mag dahinstehen. Jedenfalls liegt es bei diesem Streitstand nahe, der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu folgen. Soll die Antragsberechtigung des Gläubigers mit der geringen Forderung proportional und damit verfassungsrechtlich unbedenklich sein, sind die mit dem Insolvenzverfahren verfolgten Ziele gegen die betroffenen Schuldnerbelange abzuwägen; die äußere Grenze des Zurnutbaren darf nicht verletzt sein 147 • Dabei ist ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, daß nicht von vornherein der Vorrang eines der Beteiligten gilt. Ein solcher kann sich nur aus der Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Rechtspositionen selbst ergeben 148 . Das Insolvenzverfahren belastet den Schuldner wirtschaftlich stark; es kann bei einer Verwertung der Insolvenzmasse durch Liquidation zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schuldners führen 149. Allerdings gelten gemäß § 36 lnsO in weitgehender Parallele zum Zwangsvollstrek144 Zusammenfassend zu den in der Literatur vorgenommenen Versuchen weiterer Konkretisierung des Abwägungsmaßstabs Dechsling, S. 17 ff. 145 So mit unterschiedlichen Ansätzen v. Amim, S. 103 ff., 212 ff., der die Verhältnismäßigkeit in einer umfangreichen Untersuchung in ein Pluralismus-, Gemeinwohl- und Grundwertesystem einfügt; M. Ch. Jakobs, S. 25 ff. 146 Dechsling, S. 18 ff.; im Ergebnis ebenso Weyland, S. 129 f., 143. 147 Zweifelhaft daher das Vorgehen von Adam, S. 25 ff., der zunächst die Interessen von Gläubiger und Schuldner aufzeigt und gegeneinander abwägt, ohne den Ansatzpunkt und die Kriterien für die Interessenahwägung hinreichend aufzuzeigen. 148 Die Diskussion über die Geltung "des" Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Zwangsvollstreckungsrecht leidet unter der Festlegung der Gewichte der Gläubiger- und Schuldnerinteressen, bevor überhaupt in die verfassungsrechtliche Prüfung eingestiegen wird. So führte Böhmer, BVerfGE 49, 228, 233 aus, "der Gläubiger dürfe im Zwangsvollstreckungsrecht nicht willkürlich bevorzugt werden". Als Reaktion findet sich bei Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 489, der Hinweis, daß Gläubiger- und Schuldnerinteressen nicht auf gleicher Ebene abgewogen werden dürfen. Zu Recht weist Weyland, S. 146 f., darauf hin, daß damit für die konkret vorzunehmende Güterahwägung keine einzustellenden Aspekte gewonnen sind; im Ergebnis ebenso auch Wieser, Verhältnismäßigkeit, S. 84. Vgl. hierzu bereits § 3 C.II.4. 149 So zur KO noch Uhlenbruck, NJW 1968, 685.
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kungsrecht die Vorschriften des Vollstreckungsschutzes, so daß bereits beim Insolvenzbeschlag Schuldnerschutzvorschriften zum Zuge kommen 150. Die marktwirtschaftliche Ausrichtung des eröffneten Insolvenzverfahrens führt ferner dazu, daß eine wirtschaftliche Belastung des Schuldners so gering wie möglich gehalten werden muß. Wenn Jaeger noch von der KO als dem teuersten "Schuldentilgungsverfahren" bzw. als dem "Wertvernichter schlimmster Art" sprach 151 , so ist diese Einschätzung nicht auf die InsO übertragbar. Die InsO verfolgt das Ziel, die wirtschaftlich sinnvollste Lösung für die möglichst umfassende Gläubigerbefriedigung zu erreichen. Fällt in die Insolvenzmasse ein Unternehmen, so kommen als neben der Liquidation gleichberechtigte Wege der Vermögensverwertung die Sanierung bzw. die übertragende Sanierung in Betracht. Diese beiden Verwertungsarten ermöglichen es, die Fortführungswerte des Unternehmens zu aktivieren152. Einer privatautonomen Gestaltung der Haftungsverwirklichung unter Vermeidung einer Liquidation wird ein weiter Spielraum gegeben 153 . Damit besteht durch die gesetzliche Regelung der InsO die Gewähr, daß eine Wertvernichtung im Rahmen der erzwungen, anteiligen Gläubigerbefriedigung so weit wie möglich vermieden wird. Das eröffnete Insolvenzverfahren ist im Einzelfall derart auszugestalten, daß es auf die notwendigen und vertretbaren Belastungen beschränkt bleibt und auf die Besonderheiten des Einzelfalls eingeht. Weiter ist zu beachten, daß dann, wenn der Schuldner eine natürliche Person ist, neben der Gläubigerbefriedigung die Befreiung des Schuldners von seinen Verbindlichkeiten als Verfahrensziel feststeht. Den Belastungen des Schuldners durch ein Insolvenzverfahren steht der Zweck gegenüber, der mit der Antragsberechtigung jedes Gläubigers, gleichgültig, wie gering dessen Forderung ist, verfolgt wird. Der einzelne Gläubiger hat ein Interesse daran, trotz einer nur als gering einzuschätzenden Forderung selbst ein Insolvenzverfahren in Gang setzen zu können. Daß der Gläubiger auch bei einer geringfügigen Forderung einen Anspruch gegen den Staat allgemein auf Hilfe bei der Durchsetzung hat, ergibt sich unmittelbar aus den Grundrechten. Genannt sei an dieser Stelle in erster Linie Art. 14 GG. Weiter wäre daran zu denken, daß es eine nach Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich bedenkliche Differenzierung darstellt, einem Gläubiger mit geringer Forderung das Rechtsschutzinteresse für den Insolvenzantrag zu versagen. Schließlich weisen Erwägungen aus dem Gerhardt, Festschrift für Gaul, 139, 144. Jaeger, Lehrbuch, S. 16 f., 216. 152 Vgl. statt aller Bark, Einführung, Rn. 355 f., 375 f.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 1.12, 28.05. Zum Begriff des Unternehmens vgl. oben § 1 Fn. 5. 153 Zur Marktkonformität des Insolvenzverfahrens vgl. Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 77 ff. 15° 151
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Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in dieselbe Richtung. Sieht die Rechtsordnung ein Insolvenzverfahren vor, so sollten dieses alle von der Situation der Insolvenz Betroffenen in Gang bringen können und nicht auf ein Handeln anderer Betroffener angewiesen sein. Denn bei der Insolvenz des Schuldners schützt erst ein Insolvenzverfahren die Interessen des Gläubigers umfassend. Verweist man den Gläubiger mit einer geringen Forderung auf die Zwangsvollstreckung, weil diese für den Schuldner schonender ist, vermag dies das Insolvenzverfahren für diesen Gläubiger nicht zu ersetzen. Das ergibt sich schon daraus, daß mit dem Vermögensbeschlag in der Gesamtvollstreckung weitere Vermögenswerte erfaßt werden als mit den denkbaren Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung 154 ; die Einzelzwangsvollstreckung stellt ein aliud zur Gesamtvollstreckung und nicht ein schonenderes Äquivalent dar 155 . Weiter ist die geringere Erfolgsaussicht der Einzelzwangsvollstreckung gerade in der Situation der Insolvenz zu beachten. Wäre der Gläubiger mit geringer Forderung auf die Einzelzwangsvollstreckung angewiesen, so wäre dies mit erheblichem Zeitverlust verbunden, weil er in der Regel zunächst einen Titel gegen den Schuldner erstreiten müßte 156 . Dieser Zeitverlust kann gerade in der Krise des Schuldners die Aussichten einer erfolgreichen Zwangsvollstreckung erheblich senken. Ferner kann selbst bei erfolgreicher Durchführung der Einzelzwangsvollstreckung die dadurch erlangte Rechtsposition durch eine Insolvenzanfechtung verloren gehen, wenn auf Antrag eines anderen Gläubigers des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet wird 157• Verbleibt dem Gläubiger mit der geringen Forderung damit nicht hinreichend erfolgversprechend der Ausweg in die Einzelzwangsvollstreckung, spricht schon allein das Interesse des einzelnen Gläubigers an der Durchführung des Insolvenzverfahrens für eine Antragsberechtigung jedes Gläubigers. Zu diesen die Rechtspositionen des einzelnen Gläubigers ausleuchtenden Gründen für dessen Antragsberechtigung treten die mit dem Insolvenzverfahren verfolgten staatlichen Interessen hinzu. Ausweislich der Materialien zur InsO - namentlich zuletzt der Allgemeinen Begründung des Regierungsentwurfs - soll das Insolvenzverfahren mit der Regelung der InsO frühzeitig zur Eröffnung kommen, um die Sanierungschancen zu erhöhen 154 Vgl. Gerhardt, Festschrift für Gaul, 139, 143 ff. der die Unterschiede der Vermögensbegriffe in Einzel- und Gesamtvollstreckung analysiert. 155 Daher läßt sich entgegen Adam, S. 32 ff., die in der Zwangsvollstreckung geführte Diskussion über die Einschränkung der Wahlfreiheit zwischen den einzelnen Vollstreckungsarten nicht ohne Bedenken auf die Gesamtvollstreckung übertragen. 156 Dazu, daß nicht zwingend für einen Insolvenzantrag alle Möglichkeiten der Einzelvollstreckung erfolglos versucht sein mußten, vgl. Kuhn/Uhlenbruck, § 103 Rn. 26. 157 Zur Anfechtung von Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung vgl. im einzelnen Jaeger/Henckel, K09 , § 30 Rn. 231 ff. m. w. N.
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§ 3 Zulässigkeit des Insolvenzantrags in besonderen Problemlagen
und - wenn notwendig - die Liquidation gewinnbringend durchzuführen. Verhindert werden sollen die massearmen Konkurse 158 . Die frühzeitige Stellung des Insolvenzantrags ist damit für die erfolgreiche Durchführung des Insolvenzverfahrens entscheidend. Betrachtet man die Beschreibung der Mißstände im alten Recht, so findet sich der Hinweis, daß der Rechtsverkehr nicht durch vermögenslose Schuldner belastet werden soll 159 . Die InsO verfolgt das Ziel, bei Bestehen einer Insolvenz das Verfahren möglichst frühzeitig in Gang zu bringen. Es wäre daher mit dem Zweck der schnellen Insolvenzverfahrenseröffnung nicht vereinbar, wenn der Gläubiger einer geringfügigen Forderung auf den Insolvenzantrag anderer Gläubiger warten müßte. Unternimmt ein solcher Gläubiger bis dahin den Versuch einer Einzelzwangsvollstreckung, so erfolgt damit neben der Herauszögerung der Insolvenzeröffnung u. U. auch eine konkrete Masseschädigung. Denn gerade die weitere Durchführung von Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung kann zur Massearmut führen. Mag es sich auch nur um Einzelvollstreckungsmaßnahmen wegen geringer Forderungen handeln, könnten diese bei einer Vielzahl von Gläubigern mit geringer Forderung, denen der Weg in das Insolvenzverfahren versperrt ist, durchaus zu einer nennenswerten Masseminderung führen. Schließlich ist das mit der umfassenden Befriedigung aller Gläubiger verfolgte allgemeine staatliche Interesse an einer erfolgreichen Insolvenzabwicklung nicht zu vergessen, weil dieses für die bestehende Markt- und Wirtschaftsordnung unerläßlich ist. Angesichts dieser Argumente für die Antragsberechtigung jedes Gläubigers - auch desjenigen mit einer geringfügigen Forderung - müssen die Schuldnerinteressen aus Art. 14 GG an der Vermeidung eines Insolvenzverfahrens zurücktreten 160. Es ist dem Schuldner in der Situation der Insolvenz zumutbar, auch durch einen geringen Anlaß das - nach den Eröffnungsvoraussetzungen der InsO berechtigte - Verfahren zugunsten aller Gläubiger zu erdulden. Dabei ist zu beachten, daß das vom Insolvenzbeschlag erfaßte gesamte Schuldnerische Vermögen der Befriedigung aller Gläubiger dient. Das Insolvenzverfahren stellt einen sozialtypischen Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen des Schuldners dar, der sich gerade aus dem Auftreten des Schuldners im Rechtsverkehr ergibt. Bereits in der Begründung des Regierungsentwurfs findet sich mit Recht der Hinweis, daß die Insolvenz eine Situation ist, die schwerste Eingriffe in Rechtspositionen und Interessen des Schuldners rechtfertigt 161 .
Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443 S. 80 f. Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443 S. 72 f.; zusammenfassend Kübler/Prütting!Prütting, § 1 Rn. 4 ff. 160 So auch zum Vollstreckungsrecht Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 489. 161 Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443 S. 73. 158
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b) Prüfung am Maßstab des Art. 12 GG Mit dieser auf die Eigentumsposition i. S. des Art. 14 GG abstellenden Betrachtung ist die Orientierung an den verfassungsrechtlichen Positionen, die für die Durchführung eines Insolvenzverfahrens im Fall einer geringfügigen Gläubigerforderung Beachtung beanspruchen, jedoch noch nicht erschöpft. Beachtung verdient weiter, daß mit der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zusätzlich die Berufsfreiheit des Schuldners gemäß Art. 12 GG betroffen sein kann. Das einheitliche Grundrecht des Art. 12 GG 162 schützt sowohl natürliche als grundsätzlich auch juristische Personen (Art. 19 Abs. 3 GG) 163 ; der Schutz erstreckt sich u.a. auf Eingriffe in die Berufsausübung, wie sich aus Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich ergibt. Als Berufsausübung wird die gesamte berufliche oder gewerbliche Tätigkeit geschützt, also die Entscheidung über Inhalt, Umfang und Mittel der Betätigung sowie die Gestaltung des Arbeitsplatzes 164. Angesichts dieses weiten Verständnisses der Berufsausübung ist eine Betroffenheit des Schuldners mit der Durchführung des Insolvenzverfahrens nicht nur denkbar, sondern in vielen Fällen naheliegend. Ist der Schuldner eine natürliche Person, so können in die Insolvenzmasse die Erwerbsquelle des Schuldners selbst oder die zur Fortführung des Erwerbs benötigten Gegenstände fallen. Betroffen ist insoweit vor allem der Schuldner, der in seinem eigenen Unternehmen 165 arbeitet, wenn dieses dem Insolvenzbeschlag unterliegt. Zwar fallen nach § 36 InsO i. V. m. § 811 Nr. 5 ZPO bestimmte Gegenstände zur Fortführung des Erwerbs nicht in die Insolvenzmasse; dies ändert jedoch nichts daran, daß zumindest das Unternehmen selbst in die Insolvenzmasse fallt 166. Der Schuldner kann daher u. U. mit der Beschlagnahme seines Vermögens und dessen nachfolgender Verwaltung und Verwertung - gleich, welcher Weg der Verwertung eingeschlagen wird - zumindest für die Dauer dieses Verfahrens nicht in der bisherigen Weise seinem Beruf nachgehen. Dies gilt sogar, wenn eine Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO angeordnet wird, denn nach diesen Vorschriften unterliegt der Schuldner der Aufsicht eines Sachwalters und dem Einfluß der Gläubiger und ihrer Organe.
162 BVerfG, Urt. v. 11.6.1958 - I BvR 596/56, BVerfGE 7, 377, 400 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn. 11 ff. 163 So die absolut h.M., vgl. nur Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn. 98 ff. m.w.N. 164 Gubelt, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 12 Rn. 38; Jarass/Pieroth, Art. 12 Rn. 8 m.w.N. 165 Zum Begriff des Unternehmens vgl. oben § 1 Fn. 5. 166 Vgl. oben § 3 C.III.1.a).
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§ 3 Zulässigkeil des Insolvenzantrags in besonderen Problemlagen
Weiter ist zu beachten, daß die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Bekanntmachung und Eintragung in die Register gemäß §§ 30 ff. InsO die zukünftige Berufstätigkeit des Schuldners erschweren oder gar unmöglich machen können. Dies kann zur Beschädigung der Berufsehre führen und daher zusätzlich eine Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit nach sich ziehen 167 . Diese Überlegungen sind gleichfalls für juristische Personen angezeigt. Zwar weist die Berufsfreiheit einen personalen Grundzug auf. Dennoch soll Art. 12 Abs. 1 GG auch auf juristische Personen Anwendung finden können, wenn sie eine Tätigkeit zu Erwerbszwecken ausüben und Unternehmerische Freiheit für sich in Anspruch nehmen 168. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind auch juristische Personen mit Beschlagnahme, Verwaltung und Verwertung des Vermögens zumindest für die Dauer des Verfahrens daran gehindert, uneingeschränkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen. In solchen Fällen liegt bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über eine juristische Person gleichfalls ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 GG vor. Der Annahme eines Eingriffs in den Schutzbereich von Art. 12 GG durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht auch nicht entgegen, daß mit diesem Verfahren nicht das Ziel verfolgt wird, den Schuldner aus dem Wirtschaftsleben zu entfernen, sondern lediglich, die Gläubiger zu befriedigen169. Denn es ist irrelevant für die Annahme eines Eingriffs in den Schutzbereich von Art. 12 GG, daß die Entscheidung über die Durchführung des Insolvenzverfahrens nicht auf eine Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit abzielt, sondern vielmehr diese Beeinträchtigung anläßlich eines Insolvenzverfahrens zwangsläufig eintreten kann. Zwar wird die Finalität vielfach als Voraussetzung für die Annahme eines Grundrechtseingriffs durch die staatliche Gewalt genannt 170• Aber ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG durch eine staatliche Maßnahme liegt schon bei einer berufsregelnden Wirkung vor, ohne daß diese unmittelbares Regelungsobjekt oder Ziel einer Norm sein muß. So läßt das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die objektiv berufsregelnde Ten- . 167 Zur Berufsehre und Art. 12 GG vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.11.1978 - 1 BvR 589172, BVerfGE 50, 16, 27; BVerwG, Urt. v. 18.10.1990 - BVerwG 3 C 2.88, BVerwGE 87, 37, 44. 168 BVerfG, Beschl. v. 16.3.1971 - 1 BvR 52, 665, 667, 754/66, BVerfGE 30, 292, 312 f.; BVerfG, Urt. v. 1.3.1979- 1 BvR 532, 533177, 419178 und 1 BvL 211 78, BVerfGE 50, 290, 363; Pieroth/Schlink, Rn. 151; vgl. auch Gubelt, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 12 Rn. 6 und Scho/z, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn. 98 f. jeweils m. w. N. auch zur Gegenmeinung. 169 Vgl. nur Allgemeine Begründung RegE BT-Drucks. 12/2443 S. 77 f. 170 Vgl. den Überblick bei Albers, DVBI. 1996, 233, 234 f.; Bleckmann/Eckhoff, DVBI. 1988, 373, 374 f.
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denz einer solchen staatlichen Maßnahme, die in engem Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs steht, als Eingriff ausreichen 171 • Darüber hinaus soll es nach umstrittener Rechtsprechung sogar genügen, daß der Schutzbereich von Art. 12 GG durch eine Regelung berührt wird, d. h. infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet ist, die Berufsfreiheit zu beeinträchtigen 172 . Letztere Streitfrage kann bei der Betrachtung der Auswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens offen bleiben. Bei der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist nämlich von vornherein klar, daß dies bei Schuldnern zugleich berufsregelnde Wirkung haben und in engem Zusammenhang zur Ausübung des Berufs stehen kann. Dies genügt jedenfalls den allgemein an einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 GG gestellten Anforderungen. Erfolgt ein Eingriff in die Berufsfreiheit durch oder aufgrund eines Gesetzes, so kann dieser nach dem Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG jedoch verfassungsgemäß sein. Er muß aber insbesondere verhältnismäßig sein. Das Bundesverfassungsgericht hat für die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in die Berufsfreiheit allgemein und damit auch in die Berufsausübung ausdifferenzierte Anforderungen entwickelt (sog. DreiStufen-Theorie). Eine Berufsausübungsregelung nach Art. 12 GG ist nach dieser allgemein anerkannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verhältnismäßig, wenn sachgerechte und vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls sie rechtfertigen 173 . Die speziellen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der Berufsausübungsregelung bewirken, daß nur allgemeine Interessen des Gemeinwohls an der Insolvenzantragsbefugnis jedes Gläubigers zu berücksichtigen sind. Außer Betracht zu lassen ist mithin das Interesse eines einzelnen Gläubigers an seiner Antragsbefugnis. In den einzelnen Insolvenzantrag fließen die allgemeinen Interessen an einer schnellen Insolvenzverfahrenseröffnung 174 ein und rechtfertigen damit auch die 171 So insgesamt BVerfG, Beschl. v. 30.10.1961 - 1 BvR 833/59, BVerfGE 13, 181, 185 f.; BVerfG, Beschl. v. 1.4.1971 - 1 BvL 22/67, BVerfGE 31, 8, 29; BVerfG, Beschl. v. 1.8.1978- 2 BvR 1013, 1019, 1034/77, BVerfGE 49, 24, 47 f. m.w. N.; BVerfG, Urt. v. 8.4.1997- 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267, 302; zustimmend Gubelt, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 12 Rn. 43 m. w.N.; zusammenfassend Albers, DVBI. 1996, 233, 235. 172 BVerfG, Urt. v. 3.11.1982- I BvL 4/78, BVerfGE 61, 291 , 308; BVerwG, Urt. v. 18.10.1990 - BVerwG 3 C 2.88, BVerwGE 87, 37, 43 f.; so wohl auch BVerfG, Beschl. v. 12.10.1977- 1 BvR 217, 216/75, BVerfGE 46, 120, 137; kritisch Gubelt, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 12 Rn. 43. 173 BVerfG, Urt. v. 11.6.1958- I BvR 596/56, BVerfGE 7, 377, 405 ff.; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 16.3.1971 - 1 BvR 52, 665, 667, 754/66, BVerfGE 30, 292, 316. Zu der sich daraus ergebenden Abwandlung der Verhältnismäßigkeitsprüfung vgl. auch Gubelt, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 12 Rn. 41 ff. 174 Vgl. oben§ 3 C.III.I.a).
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§ 3 Zulässigkeit des Insolvenzantrags in besonderen Problemlagen
Verfahrenseröffnung allein auf einen Gläubigerantrag mit geringer Forderung hin. So stellt das staatliche Interesse an einem funktionsfl:ihigen Insolvenzrecht mit dem zentralen Ziel einer schnellen Insolvenzverfahrenseröffnung zur möglichst umfassenden Gläubigerbefriedigung einen hinreichenden Grund dafür dar, daß dem Schuldner sogar sein Arbeitsplatz genommen wird - allerdings mit der Einschränkung nach § 36 InsO i. V. m. § 811 Nr. 5 ZPO. Dies bedeutet auch nicht, daß sozialpolitische Ziele auf Kosten des Schuldners verfolgt würden 175 , geht es doch hier lediglich um den Kreis der von der Insolvenz betroffenen Gläubiger. Die Begründung des Regierungsentwurfs führt hierzu zutreffend aus, daß das Insolvenzverfahren allein vermögensorientiert sei und damit kein Schuldner Anspruch auf Wahrung seiner Unternehmensorganisation bzw. Unternehmerrolle habe 176• Diese die Eröffnung des Verfahrens rechtfertigenden Gründe sind als vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu werten. Bestehen damit nach Art. 12 GG gegen die Insolvenzantragsbefugnis jedes einzelnen Gläubigers ohnehin keine verfassungsrechtlichen Bedenken, so ist nicht darauf einzugehen, daß das Bundesverfassungsgericht bei allein tatsächlichen Beeinträchtigungen des Schutzbereichs von Art. 12 GG dem Gesetzgeber bei der Gestaltung einer Berufsausübungsregelung einen größeren Spielraum einräumen will 177 . c) Prüfung am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG i. V.m. Art. 1 Abs. 1 GG Am Rande bedarf noch eine weitere verfassungsrechtlich geschützte Position der Betrachtung, nämlich das aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht Danach besteht ein Recht auf Selbstdarstellung und auf Schutz der privaten Sphäre, kombiniert mit dem Schutz des sozialen Geltungsanspruchs; erfaßt wird insbesondere die persönliche Ehre 178• Berührt werden kann der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor allem durch die öffentliche Bekanntmachung der Insolvenzverfahrenseröffnung nach §§ 30 ff. Insü und deren Eintragung in die Register 179 . Ist damit die Berufsehre des Schuldners betrof175 176 177
145.
Vgl. oben § 3 C.III.l.a). Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443 S. 77. So BVerfG, Beschl. v. 12.10.1977- 1 BvR 217, 216175, BVerfGE 46, 120,
178 BVerfG, Beschl. v. 3.6.1980- 1 BvR 797178, BVerfGE 54, 208, 217; Kunig, in: v. Münch/Kunig5, Art. 2 Rn. 32 ff.; Pieroth!Schlink, Rn. 377. 179 Baur/Stümer, II, Rn. 6.22 betrachten die Eintragung des Schuldners in die Register(§§ 30 ff. InsO) im Anschluß an BVerfG, Kammerbeschl. v. 25.7.1988- 1 BvR 109/85, NJW 1988, 3009 bereits unter dem Aspekt der informationellen
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fen, wird sich dies vielfach bereits mit Art. 12 GG erfassen lassen 180• In allen anderen Fällen wird zumindest ein allgemeiner Ansehensverlust zu verzeichnen sein. Denn allein die Kenntnis von der Verfahrenseröffnung kann sowohl im gesellschaftlichen Bereich des Schuldners als auch insbesondere in den Geschäftskreisen, denen der Schuldner angehört, einen allgemeinen Ansehensverlust zur Folge haben. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzeugt einen "Makel", losgelöst von den sonstigen durch die Insolvenzverfahrenseröffnung im gesellschaftlichen Bereich ausgelösten Folgen 181 . Dies gilt jedenfalls uneingeschränkt für den Schuldner als natürliche Person. Einschränkungen sind für den Schuldner als juristische Person zu machen. Nicht abschließend geklärt ist bisher, inwieweit auch juristischen Personen gemäß Art. 19 Abs. 3 GG ein allgemeines Persönlichkeitsrecht zusteht. Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus der Menschenwürde hergeleitet wird, sind Zweifel an einer uneingeschränkten Ausdehnung dieses Rechts auch auf juristische Personen angezeigt. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu noch nicht abschließend Stellung genommen 182 . Der BGH erstreckt die Schutzrichtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts jedenfalls dann auf juristische Personen, wenn diese in ihrem sozialen Geltungsbereich als Wirtschaftsunternehmen betroffen werden. Denn dann bedürften juristische Personen aus ihrem Wesen und ihrer Funktion als juristische Zweckschöpfungen in gleicher Weise des Schutzes wie natürliche Personen 183 . Dem ist mit Teilen der Literatur zuzustimmen 184. Allerdings ist zu bemerken, daß in diesem eng umgrenzten Anwendungsbereich selten Selbstbestimmung, der ebenfalls aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. I GG hergeleitet wird. Diese Betrachtung geht m. E. nicht weit genug; die grundrechtliche Betroffenheit in ihrer gesamten Breite wird damit nicht angesprochen. Bei der aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Art. 2 Abs. 1 i. V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten informationellen Selbstbestimmung geht es nach dem grundlegenden Urteil des BVerfG vom 15.12.1983 - 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83, BVerfGE 65, I, 41 ff. allein um die Preisgabe persönlicher Daten. Bei der Bekanntmachung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hingegen geht es um speziellere, weitergehende Belastungen gesellschaftlicher und insbesondere wirtschaftlicher Art für den Schuldner. Die grundrechtliche Betroffenheit geht über die alleinige Privatheit der veröffentlichten Daten hinaus und umfaßt diese. 18o Vgl. oben § 3 C.III.I.b). 181 Vgl. hierzu ausführlich Gerhardt, Festschrift für Michaelis, 100, 104 ff., der die außerkonkursrechtlichen Folgen der Konkurseröffnung untersucht und eine Berechtigung für einen außerkonkursrechtlichen "Makel" in Zweifel zieht. 182 BVerfG, Beschl. v. 26.2.1997- I BvR 2172/96, BVerfGE 95, 220, 242. 183 BGH, Urt. v. 25.9.1980- III ZR 74178, BGHZ 78, 274, 278 f.; BGH, Urt. v. 26.6.1981- I ZR 73179, BGHZ 81, 75, 78; BGH, Urt. v. 3.6.1986- VI ZR 102/85, BGHZ 98, 94, 97; BGH, Urt. v. 8.2.1994- IV ZR 286/93, NJW 1994, 1281, 1282, insoweit zustimmend BVerfG, Kammerbeschl. v. 3.5.1994 - I BvR 737/94, NJW 1994, 1784. 9 Lepa
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auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht zurückzugreifen sein wird; die Beeinträchtigung der Geschäftsehre wird zumeist bereits durch Art. 14, 12 GG zu erfassen sein 185 . Neben einer Betroffenheit der Ehre des Schuldners durch die Eröffnung und Durchführung des Insolvenzverfahrens wäre auch daran zu denken, daß hierdurch das Recht des Schuldners auf informationeHe Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG berührt werden kann. Dieses Recht stellt einen Teilaspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Es gewährleistet dem einzelnen die Befugnis, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen 186. Dieser Gesichtspunkt wird bei der Eröffnung und Durchführung des Insolvenzverfahrens jedoch wohl selten Bedeutung erlangen. Denn zum einen fallen Geschäftsgeheimnisse bereits in den Schutzbereich des Art. 14 GG 187 ; zum anderen wird bei der Preisgabe persönlicher Daten nicht allein die informationeHe Selbstbestimmung des Schuldners, sondern das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Gänze betroffen sein 188. Damit bleibt festzuhalten, daß durch die Eröffnung und Durchführung des Insolvenzverfahrens durchaus der Schutzbereich des Schuldnerischen allgemeinen Persönlichkeitsrechts tangiert sein kann. Hier wäre allerdings erneut zu fragen, ob die Nebenfolge des Ansehensverlusts überhaupt als Eingriff verstanden werden kann 189. Dies kann indes offenbleiben. Jedenfalls wäre der Eingriff verfassungsgemäß. Ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist gemäß Art. 2 Abs. 1 GG im Rahmen der allgemeinen Gesetze, insbesondere der Verhältnismäßigkeit, zulässig 190• Waren angesichts der überragenden Ziele, die der Staat mit der Durchführung des 184 So im Ergebnis Dreier/Dreier, Art. 2 Rn. 56 m. w. N.; Kau, S. 95 ff.; Klippe/, JZ 1988, 625, 631 ff.; Kraft, Festschrift für Hubmann, 201 , 215 ff.; Marly, LM § 823 (Ah) Nr. 110; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1128; so wohl auch Sachs/Murswieck, Art. 2 Rn. 77; ab!. hingegen Jarass, NJW 1989, 857, 860; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR, § 129 Rn. 88; so wohl auch Kunig, Jura 1993, 595, 599. 185 Hierauf weisen Jarass, NJW 1989, 857, 860; Kunig, Jura 1993, 595, 599; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 19 Rn. 333 hin. 186 Grundlegend BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 - 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83, BVerfGE 65, 1, 41 ff.; vgl. auch etwa BVerfG, Beschl. v. 9.3.1988- 1 BvL 49/86, BVerfGE 78, 77, 84 ff.; BVerfG, Beschl. v. 11.6.1991 - 1 BvR 239/90, BVerfGE 84, 192, 194; Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 32 f. m. w. N. 187 Vgl. § 3 Fn. 117. Zur Subsidiarität des Art. 2 GG vgl. BK!Kimminich, Art. 14 Rn. 129; das Bundesverfassungsgericht dagegen erwähnt die informationeHe Selbstbestimmung des Art. 2 Abs. 1 GG neben Art. 14 GG, vgl. hierzu BVerfG, Urt. v. 17.7.1984-2 BvE 11, 15/83, BVerfGE 67, 100, 142; BVerfG, Beschl. v. 1.10.1987 -2BvR 1178,1179,1191186, BVerfGE77, 1,46. 188 Vgl. bereits§ 3 Fn. 179. 189 Vgl. dazu bereits oben§ 3 C.III.l.b).
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Insolvenzverfahrens verfolgt, bereits die Eingriffe in durch Art. 14, 12 GG geschützte Rechtspositionen verhältnismäßig 191 , so ist ein Ansehensverlust des Schuldners erst recht hinzunehmen. 2. Belastung des Schuldners in vitalen Belangen
Die Verhältnismäßigkeit der Insolvenzverfahrenseröffnung zum Ziel der Verwertung des schu1dnerischen Vermögens ist weiter dann in Zweifel zu ziehen, wenn vitale Belastungen zu den mit der Insolvenzverfahrenseröffnung verbundenen Normalbelastungen hinzutreten 192• In diesen Fällen wird der Blick allein auf den Schuldner als natürliche Person gelenkt. Angeregt wird die Diskussion durch die parallele Fragestellung zur Anwendbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Zwangsvollstreckungsrecht; Ausgangspunkt dieser Diskussion war u. a. die Frage nach der Zulässigkeit einer Räumungsvollstreckung bei Betroffenheit vitaler Belange 193 • Über die herkömmlich mit einem Insolvenzverfahren verbundenen Belastungen hinaus sind Eingriffe in weitere verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen des Schuldners denkbar. a) Prüfung am Maßstab des Art. 2 Abs. 2 GG Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann zu einer Belastung von Gesundheit oder gar Leben des Schuldners führen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Schuldner bei einer außergewöhnlichen gesundheitlichen Disposition wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhebliche gesundheitliche Reaktionen bis hin zur Lebensgefahr zeigt. In einem solchen Fall ist der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 GG tangiert. Danach stehen das Leben und die körperliche Unversehrtheil unter verfassungsrechtlichem Schutz; erfaßt werden damit (selbstverständlich) nur natürliche Personen 194• Die Annahme einer Betroffenheit dieses Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG scheitert nicht schon deshalb, weil eine gesundheitliche Reaktion auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei der Zulassung des Insolvenzantrags noch nicht feststeht. Allgemein anerkannt ist nämlich, daß bereits Grundrechtsgefährdungen die Grundrechte in ihrer Funktion als Abwehrrechte eingreifen lassen. Gefordert wird in diesem Fall, daß die Gefahr eines Eingriffs in den grundrechtliehen Schutzbereich bereits in ihrer loten190 BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 - I BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83, BVerfGE 65, I, 43 f. 191 Vgl. dazu im einzelnen oben § 3 C.III.l.a) und b). 192 Vgl. § 3 A.II. 193 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.10.1979- 1 BvR 614179, BVerfGE 52, 214, 219 ff. 194 Kunig, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 2 Rn. 61.
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sität dem Eingriff selbst nahe kommt 195 . Für Art. 2 Abs. 2 GG mit seinen hohen Rechtsgütern steht fest, daß dessen Schutzbereich auch durch die nicht fernliegende Gefahr einer schwerwiegenden gesundheitlichen Schädigung betroffen ist 196 . Problematisch ist, ob die mögliche Schuldnerreaktion auf den Insolvenzeröffnungsbeschluß und die daraus folgende Beeinträchtigung der durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Schuldnerischen Rechtspositionen auch dann eine grundrechtsrelevante Beeinträchtigung darstellen, obwohl das Insolvenzgericht diese Reaktion des Schuldners nicht bezweckt. Die Anforderungen an die Annahme einer grundrechtsrelevanten Beeinträchtigung durch staatliches Handeln beschäftigt zunehmend die Rechtsprechung und Literatur. Insbesondere wird diskutiert, ob finales Handeln erforderlich ist, welche Anforderungen an die Finalität zu stellen sind - ob eine in Kauf genommene Nebenfolge zur Erreichung anderer Ziele ausreicht - und ob auch die in vielfaltigen Gestaltungen auftretenden faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen zu einem Grundrechtseingriff führen. Weitgehend besteht Einigkeit darin, daß für die Annahme eines Grundrechtseingriffs nicht ausschließlich finales Handeln 197 des Staates erforderlich ist 198 • In der Rechtsprechung wird nach dem Schutzzweck der grundrechtliehen Gewährleistung und dabei u. a. auch nach der Schwere der Betroffenheit gefragt 199. Ähnlich werden auch in der Literatur statt der Finalität für die faktischen Einwirkungen unterschiedliche Zurechnungskriterien genannt. Verlangt wird für eine faktische Grundrechtsbeeinträchtigung eine schwere Betroffenheit200. Andere lassen es ausreichen, daß die Beeinträchtigung der staatli195 Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 128 Rn. 30 ff.; Murswieck, S. 127 ff.; Sachs/Sachs, vor Art. 1 Rn. 94 f. m. w.N.; Stern, Staatsrecht III/2, S. 210 ff., 214 f.; im Ergebnis ebenso Lübbe-Wolff, S. 56 ff., die nicht nur das Ausmaß der Gefährdung, sondern auch deren Verhältnismäßigkeit in die Frage des Grundrechtseingriffs durch Grundrechtsgefährdung einbeziehen will. 196 BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978- 2 BvL 8177, BVerfGE 49, 89, 141 f.; BVerfG, Beschl. v. 19.6.1979 - 2 BvR 1060178, BVerfGE 51, 324, 347; BVerfG, Beschl. v. 3.10.1979- 1 BvR 614179, BVerfGE 52, 214, 220; Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 128 Rn. 32. 197 Zu den unterschiedlichen denkbaren Stufen der Finalität vgl. nur Di Fabio, DVBI. 1993, 689, 695; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen S. 18. Vgl. auch bereits oben § 3 C.III.l.b). 198 Keinen Verzicht auf die Finalität läßt hingegen Huber, S. 233 f. zu. Ähnlich auch Badura, JZ 1993, 37, 38 f., der jedoch die Finalität staatlichen Handeins weit fassen will, indem diese auch bei einer auf die Zweckverfolgung der Exekutive zurückführbaren grundrechtsbeeinträchtigenden Wirkung vorliegen soll. 199 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 12.10.1977- 1 BvR 217, 216175, BVerfGE 46, 120, 137; BVerwG, Urt. v. 18.4.1985 - BVerwG 3 C 34.84, BVerwGE 71, 183, 191 ff. m. w.N.; BVerwG, Urt. v. 18.10.1990- BVerwG 3 C 2.88, BVerwGE 87, 37, 42 ff. ; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 27.3.1992- BVerwG 7 C 21190, BVerwGE 90, 112, 119 ff.
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eben Maßnahme noch zurechenbar ist201 . Als weitere Kriterien werden Unmittelbarkeit202 sowie Vorhersehbarkeit203 der grundrechtliehen Betroffenheit genannt. Neuerdings wird schließlich wieder vorgeschlagen, die faktische Grundrechtsbeeinträchtigung als Schutzbereichsproblem zu verstehen, indem die jeweilige Grundrechtsgewährleistung in den Blick genommen und untersucht wird, ob die Beeinträchtigung von dieser erlaßt wird204. Dem Bestreben, die vielgestaltigen Auswirkungen staatlichen Handeins auf grundrechtlich geschützte Positionen zu erfassen, ist grundsätzlich zuzustimmen. Auf das Erfordernis der Finalität staatlichen Handeins und die möglichen Anforderungen, die statt der Finalität für Grundrechtseingriffe als ausreichend gewertet werden können, kommt es hier indes nicht an. Bei einer Beeinträchtigung vitaler Belange des Schuldners durch die Insolvenzverfahrenseröffnung geht es um derart gravierende gesundheitliche Reaktionen, daß diese schwerwiegenden Belastungen grundrechtlicher Bewertung unter dem Aspekt des Art. 2 Abs. 2 GG bedürfen205 . Das Bundesverfassungsgericht nahm bei einer dem Vollstreckungsgericht bekannten Gefahr der Gesundheitsbeschädigung bei der Durchführung von Zwangsvollstrek200 So mit leichten Differenzierungen Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 429 ff.; ders., JZ 1993, 689, 695 f.; Erichsen, in: Isensee/Kirchhof HdbStR VI, § 152 Rn. 80 m.w.N.; Lübbe-Wolff, S. 191; Ramsauer, Faktische Beeinträchtigungen, S. 175 f.; Scherzberg, DVBI. 1989, 1128, 1136; wohl auch Bleckmann/Eckhoff, DVBI. 1988, 373, 381 ; kritisch dagegen Albers, DVBI. 1996, 233, 236; Discher, JuS 1993, 463, 466; kritisch zum Erfordernis besonderer Intensität Roth, Faktische Eingriffe, s. 272 ff. 201 Stern, Staatsrecht III/1, S. 1207; ähnlich auch Looschelders!Roth, JZ 1995, 1034, 1036; Ramsauer, Faktische Beeinträchtigungen, S. 174; ders., VerwArch 72 (1981), 89, 104; so wohl auch Sachs/Sachs, vor Art. 1 Rn. 87 ff., der für die unterschiedliche Beeinträchtigung grundrechtlicher Positionen durch den Staat unterschiedliche Zurechnungskriterien entwickelt. 202 Ramsauer, S. 176; ders., VerwArch 72 (1981), 89, 103 ("Grundrechtsbezogenheit"); so wohl auch Gusy, NJW 2000, 977, 983; kritisch dagegen Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 24; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 16. 203 lsensee, in: Isensee/Kirchhof HdbStR V, § 111 Rn. 67; Schulte, DVBI. 1988, 512, 518; ähnlich wohl auch Bleckmann/Eckhoff, DVBI. 1988, 373, 381 ; kritisch Discher, JuS 1993, 463, 465; kritisch wohl auch Pietzcker, Festschrift für Bachof, 131, 143, der in der Abgrenzbarkelt der Betroffenen kein zureichendes Abgrenzungskriterium erblickt. 204 Albers, DVBI. 1996, 233, 236 ff.; im Ergebnis ähnlich Discher, JuS 1993, 463, 466 f. ; ähnlich bereits Ramsauer, Faktische Beeinträchtigungen, S. 128 ff. ; zustimmend insoweit Jarass!Pieroth, Vorbem. vor Art. 1 Rn. 26 f. 205 Damit wäre auch nach dem Verständnis von Albers, DVBI. 1996, 233, 236 ff. und der Rückbesinnung auf die einzelnen Grundrechtsgewährleistungen gewiß eine beachtliche Grundrechtsbeeinträchtigung gegeben; ähnlich auch die Rechtsprechung, die danach fragt, ob der Schutzzweck der grundrechtliehen Gewährleistung betroffen ist, vgl. BVerwG, Urt. v. 18.4.1985 - BVerwG 3 C 34.84, BVerwGE 71, 183, 192 ff.; BVerwG, Urt. v. 18.10.1990- BVerwG 3 C 2.88, BVerwGE 87, 37, 45.
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kungsmaßnahmen - namentlich einer Räumungsvollstreckung - einen schwerwiegenden Eingriff an; dabei setzte es sich nicht mit dem Erfordernis der Finalität auseinander, obwohl es sich um eine unbeabsichtigte Nebenfolge der Durchführung der Zwangsvollstreckung handelte206 . Gleiches muß dann gelten, wenn dem Insolvenzgericht bekannt ist, daß die Insolvenzverfahrenseröffnung die Möglichkeit der Gefahr für Leib und Leben des Schuldners in sich birgt, obwohl es sich auch hier um eine nichtfinale Maßnahme handelt. Denn soll der Grundrechtsschutz umfassend sein, wie es Art. 1 Abs. 3 GG ersichtlich intendiert, müssen mit der wohl überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur auch im konkreten Fall mit bestimmter Wahrscheinlichkeit drohende, erhebliche Beeinträchtigungen in den Eingriffsbegriff einbezogen werden. Wenn für das Insolvenzgericht die Gefahr für die Gesundheit oder gar das Leben des Schuldners im Zeitpunkt der Entscheidung bereits vorhersehbar ist, muß auch in den Fällen einer nur faktischen, aber erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigung eine grundrechtsrelevante Beeinträchtigung der Schuldnerischen Rechtsposition aus Art. 2 Abs. 2 GG angenommen werden. Damit ist bei einer gesundheitlichen Reaktion des Schuldners auf die lnsolvenzverfahrenseröffnung, die schwerwiegende Schäden befürchten läßt, der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 GG betroffen. Dieser Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 GG wird nicht etwa durch eine darüber hinausgehende Verletzung der Menschenwürde des Schuldners (Art. 1 Abs. 1 GG) überlagert. Die Ausformung des Schutzbereichs von Art. 1 Abs. 1 GG beschäftigt seit jeher die verfassungsrechtliche Rechtsprechung und Literatur. Zwar kann die Menschenwürde berührt werden, wenn es um die Wahrung der körperlichen Integrität geht207 . Für die im Insolvenzrecht denkbaren Belastungen der körperlichen Integrität des Schuldners vermag die Menschenwürde dennoch von vornherein nur eingeschränkt Bedeutung zu erlangen. Denn bei Eingriffen in Leben und Gesundheit ist nicht der spezifische Schutzgehalt der Menschenwürde betroffen. Die physische Existenz ist zwar zugleich Basis für die Menschenwürde; der verfassungsrechtliche Schutz von Leben und Gesundheit ergibt sich aber unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 Satz I GG. Jedes Grundrecht stellt eine Konkretisierung der Menschenwürde dar und enthält daher im Kern das Ziel des Schutzes der Menschenwürde208 . Geht der Eingriff nicht über den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz I GG hinaus, ist Art. 1 Abs. I GG mit seinem hohen Rang nicht unmittelbar betroffen209 • Allerdings 206 BVerfG, Beschl. v. 3.10.1979 - 1 BvR 614179, BVerfGE 52, 214, 220; nach Murswieck, S. 128 Fn. 5 liegt in diesem Fall kein Eingriff vor. 207 Vgl. nur die Beispiele bei Pieroth/Schlink, Rn. 361. 208 BVerfG, Urt. v. 25.2.1975 - 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74, BVerfGE 39, 1, 41; Pieroth/Schlink, Rn. 391.
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kommt, indem mit einem Eingriff in Leben und Gesundheit auch die Menschenwürde thematisiert ist, der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der körperlichen Unversehrtheil und vor allem des Lebens ein erhöhter Stellenwert zu210• Damit verbleibt es bei einem Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 GG durch die faktische Einwirkung. Dieser kann durchaus verfassungsrechtlich unbedenklich sein211 ; erforderlich ist aber, daß er dem aus den Grundrechten hergeleiteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt212 . Die Insolvenzverfahrenseröffnung ist auch in dieser Fallgestaltung zur Erreichung des insolvenzrechtlichen Regelungsziels geeignet und erforderlich. Allein die Proportionalität einer Insolvenzverfahrenseröffnung, die zu einer zusätzlichen Betroffenheit des Schuldners in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG führt, ist näher zu betrachten213 • Es ist zunächst zu bezweifeln, ob eine Insolvenzverfahrenseröffnung "um jeden Preis" unter Hinnahme einer Gesundheitsbeschädigung oder gar einer Lebensgefahr beim Schuldner noch als proportional qualifiziert werden kann. Geht es doch auf der Gläubigerseite - in der Regel - allein um wirtschaftliche Interessen, eben die Befriedigung der Gläubiger 14• Auf der anderen Seite stehen dagegen verfassungsrechtliche Positionen von besonders hohem Stellenwert auf dem Spiel. Dennoch ist der Insolvenzeröffnungsbeschluß auch in diesem außergewöhnlichen Fall der zusätzlichen Betroffenheit vitaler Schuldnerbelange proportional; der Vorrang der Gläubigerbelange ist 209 So offensichtlich auch BVerfG, Beschl. v. 3.10.1979 - 1 BvR 614179, BVerfGE 52, 214, 220 f., das einen zugleich vorliegenden Eingriff in die Menschenwürde bei Lebensgefahr erst gar nicht problematisiert. 210 So wohl BVerfG, Urt. v. 25.2.1975 - 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6174, BVerfGE 39, 1, 41 ; Pieroth/Schlink, Rn. 391. 211 Allgemein zur Schranke einer faktischen Grundrechtsbeeinträchtigung Albers, DVBl. 1996, 233, 241 f.; Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988, 373, 380 ff. 212 So zur faktischen Beeinträchtigung im Zwangsvollstreckungsrecht BVerfG, Beschl. v. 3.10.1979- 1 BvR 614179, BVerfGE 52, 214, 220; Wieser, Verhältnismäßigkeit, S. 84. Vgl. auch zur Frage des absoluten Vollstreckungsschutzes Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 488; Henckel, Prozeßrecht, S. 350. Allgemein zur Verhältnismäßigkeit vgl. oben § 3 C.II.4. 213 Vgl. zu den Kriterien der Verhältnismäßigkeit im einzelnen oben § 3 C.III.l.a). 214 Erst recht gelten die folgenden Ausführungen in der Konstellation, in der ,,Leben gegen Leben" steht, vgl. dazu Baur/Stümer, I, Rn. 7.45, der im Rahmen der Diskussion in der Einzelvollstreckung anband des Falles, in dem beim Gläubiger wie dem Schuldner eine identische Gesundheits- oder Lebensgefahr besteht, herleitet, daß "die Verhältnismäßigkeit" keine Rolle im Zwangsvollstreckungsrecht zu Lasten des Gläubigers spielen darf; gegen diese Betrachtung und die Verallgemeinerung Wieser, Verhältnismäßigkeit, S. 84.
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verfassungsrechtlich unbedenklich. Denn dem Schuldner ist auch in dieser Situation eine Zurückstellung seiner verfassungsrechtlich geschützten Belange bei der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zumutbar. Auslöser für die Erwägung einer Beachtlichkeit grundrechtlich geschützter vitaler Interessen bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist eine parallele Diskussion im Zwangsvollstreckungsrecht Dort wird die Gewährung von Schuldnerschutz vor Maßnahmen der Zwangsvollstreckung bei Betroffenheit des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG diskutiert. Wegweisend war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Gewährung von Räumungsschutz bei erheblicher Suizidgefahr215 . Darin hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß die Gefahr schwerer gesundheitlicher Schäden bei der Durchführbarkeit von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung - einer Räumungsvollstreckung - beachtlich sei. Dieser Beschluß, den das Bundesverfassungsgericht mehrfach bestätigt hat, hat in der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur im Ergebnis Zustimmung erfahren216 . Auf der anderen Seite hat die Herleitung einer Beachtlichkeit schuldnerischer Belange bei Maßnahmen der Zwangsvollstreckung unmittelbar aus dem Verfassungsrecht aber auch zur Ablehnung geführt. Dabei beruht die Ablehnung weitgehend auf der kritischen Haltung gegenüber der Geltung "des" Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Zwangsvollstreckungsrecht Eine Beachtung verdienen danach die Schuldnerischen Belange bei Durchführung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung erst, wenn die Verletzung der Menschenwürde des Schuldners bei Durchführung der Zwangsvollstreckungsmaßnahme in Rede steht; dies soll allerdings bei hinreichend verifizierter Lebensgefahr für den Schuldner anzunehmen sein217 • BVerfG, Beschl. v. 3.10.1979 - 1 BvR 614179, BVerfGE 52, 214, 220 ff. Vgl. im einzelnen BVerfG, Kammerbeschl. v. 21.8.1991 - I BvR 1040/91, NJW 1991, 3207; BVerfG, Beschl. v. 21.9.1991 - 1 BvR 1466/91, BVerfGE 84, 345, 348; BVerfG, Kammerbeschl. v. 1.2.1994 - 1 BvR 105/94, NJW 1994, 1272 f.; BVerfG, Kammerbeschl. v. 2.5.1994- 1 BvR 549/94, NJW 1994, 1719 f.; BVerfG, Kammerbeschl. v. 8.9.1997- 1 BvR 1147/97, NJW 1998, 295, 296; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 28.10.1993- 20 W 395/93, NJW-RR 1994, 81 f.; OLG Jena, Beschl. v. 22.5.2000- 6 W 331/100, NJW-RR 2000, 1251 , 1252; LG Köln, Beschl. v. 27.7.1989 - 10 T 123/89, WoM 1989, 444; LG Hannover, Beschl. v. 13.10.1989- 8 T 224/89, WoM 1990, 397; LG Krefeld, Beschl. v. 30.11.19956 T 237/94, Rpfleger 1996, 363; LG Bonn, Urt. v. 16.8.1999-6 S 150/98, NJW-RR 2000, 8, 9; Stein/Jonas/Münzberg, § 765 a Rn. 6; Weyland, S. 140; mit Vorschlägen der Eingrenzung Wieser, Verhältnismäßigkeit, S. 83 ff.; so im Ergebnis auch BVerfG, Kammerbeschl. v. 12.2.1993 - 2 BvR 2077/92, WoM 1993, 172, 174; OLG Köln, Beschl. v. 30.4.1993 - 2 W 50/93, NJW 1993, 2248 f., die allerdings im konkreten Fall keinen Fehler in der Interessenahwägung feststellten; kritisch dagegen Egon Schneider, JurBüro 1994,321 ff. m. w. N. 217 Vgl. hierzu im einzelnen oben § 3 C.II.2. 215
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Diese Diskussion im Zwangsvollstreckungsrecht läßt sich jedoch nicht ohne weiteres auf die Durchftihrung des Insolvenzverfahrens übertragen 218 . Zu beachten ist, daß sich diese Diskussion auf einen Fall der Räumungsvollstreckung bezieht. Wenn in der Literatur ausgeftihrt wird, daß bei Gefahr für das Leben des Schuldners diesem immer der Vorrang gebühre219, so verleitet diese Ausführung zur Verallgemeinerung. Bezug ist doch immer der Fall der Räumungsvollstreckung. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird jedoch auf das gesamte schuldnerische Vermögen mit dem Ziel der Befriedigung aller Gläubiger zugegriffen. Nicht bekannt ist aus dem Zwangsvollstreckungsrecht aber etwa der Fall, daß eine Zwangsvollstreckung in Geldforderungen den Schuldner in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG auf Leben und körperliche Unversehrtheit tatsächlich verletzt hätte. Zu bezweifeln ist, daß dem Schuldner, der aufgrund besonderer gesundheitlicher Disposition auf die Zwangsvollstreckung mit Gesundheits- oder gar Lebensgefahr reagiert, in einem solchen Fall nach grundrechtliehen Wertvorgaben der Vorrang eingeräumt würde. Geht es doch offensichtlich beim Schutz der Schuldnerischen Positionen aus Art. 2 Abs. 2 GG um den Schutz des engsten Schuldnerischen Lebensbereichs, elementarster Lebensbedingungen. Denkbar ist eine Betroffenheit dieses Rechtskreises nur, wenn die Grundlage der privaten Existenz entzogen wird; dies reduziert sich in der Praxis primär auf die Wohnung als Lebensmittelpunkt. Eine die Gesundheit und das Leben bedrohende Reaktion des Schuldners allgemein auf eine Vermögensverwertung zur Befriedigung von Gläubigem ist dagegen hinzunehmen. Es handelt sich dabei um eine rechtstypische, traditionell vorgegebene und für das Funktionieren des Rechtsverkehrs unentbehrliche Belastung, die jeder am Rechtsverkehr Beteiligte hinnehmen muß; sie beruht auf dem Auftreten des Schuldners im Rechtsverkehr und ihr ist jeder ausgesetzt. Für das Insolvenzverfahren bedeutet dies, daß eine Schuldnerreaktion auf die Verwertung seines zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens keiner Beachtung bedarf. Den überragenden Gläubigerinteressen an der Durchführung des Insolvenzverfahrens ist damit grundsätzlich der Vorrang einzuräumen220. Andererseits darf jedoch nicht außer Betracht gelassen werden, daß in die Insolvenzmasse nach § 35 InsO auch Gegenstände fallen, für die gerade 218 Vgl. bereits allgemein zur Übertragbarkeit der Grundsätze der Einzelvollstrekkung auf die Gesamtvollstreckung oben § 2 A.III.2. 219 Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 488; Weyland, S. 140; Wieser, Verhältnismäßigkeit, S. 84. 220 Ist damit kein Raum für verfassungsrechtliche Wertungen bei der Frage, ob das Insolvenzverfahren überhaupt zu eröffnen ist, ist auch die Anwendbarkeit des § 765 a ZPO auf den Insolvenzeröffnungsbeschluß abzulehnen. Hierauf weist zutreffend die überwiegende Meinung hin, vgl. nur Kilger/Karsten Schmidt, § 105 KO Anm. 3; Kuhn/Uhlenbruck, § 105 Rn. 7 m. w. N.
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ein verfassungsrechtlich gebotener Schuldnerschutz im Zwangsvollstrekkungsverfahren diskutiert wird. Der Eröffnungsbeschluß enthält gemäß § 148 Abs. 2 InsO einen Herausgabetitel des Insolvenzverwalters für bewegliche und unbewegliche Gegenstände des Schuldners22 1; er stellt damit auch einen Räumungstitel dar222 . Da sich das Insolvenzrecht auf das gesamte Vermögen des Schuldners richtet, ist zwar verfassungsrechtlich kein umfassender Schutz des Schuldners vor dem Insolvenzbeschlag geboten. Jedoch kann sich die Notwendigkeit eines solchen Schutzes in Parallele zur Einzelzwangsvollstreckung punktuell ergeben. Insoweit könnte die Diskussion im Zwangsvollstreckungsrecht auch für die verfassungsrechtliche Würdigung des Insolvenzeröffnungsbeschlusses Bedeutung erlangen. Denn zu Recht wird bei Beeinträchtigung der Rechtsgüter aus Art. 2 Abs. 2 GG dann Schutz vor staatlichen Vollstreckungsmaßnahmen verfassungsrechtlich für geboten gehalten, wenn der engste Lebensbereich des Schuldners betroffen ist. Der hohe Stellenwert der durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Rechtspositionen muß daher auch bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dann Vorrang vor den Interessen der Gläubiger erlangen, wenn sich die Beeinträchtigung von Art. 2 Abs. 2 GG aus einer Veränderung des elementarsten Lebensbereichs des Schuldners ergibt. In einem solchen Fall ist den Schuldnerinteressen Vorrang vor dem Interesse der Gläubiger an der Verwertung aller zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögensgegenstände einzuräumen. Es reicht jedoch aus, wenn der verfassungsrechtlich gebotene Schuldnerschutz erst im Rahmen des eröffneten Insolvenzverfahrens zum Tragen kommt. So wird im Insolvenzrecht seit jeher eine analoge Anwendung des § 765 a ZPO bei der Räumungsvollstreckung angenommen und so der verfassungsrechtlich gebotene Schutz gewährt223 • Es ist für den Schuldner durchaus zumutbar, zunächst die Insolvenzverfahrenseröffnung hinzunehmen und im Rahmen des eröffneten Insolvenzverfahrens den Antrag nach § 765 a ZPO zu stellen224. Dabei kann differenziert auf die Belastung des Schuldners reagiert werden; zu denken ist an einen Zeitaufschub bis hin zu einem dauerhaften Räumungsschutz225 . Damit stellt der 221 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443 S. 170 f.; sowie die Begründung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 12/7302 S. 174. Daß der Insolvenzeröffnungsbeschluß auch für unbewegliche Gegenstände des Schuldners bereits einen Titel zur Herausgabe darstellt, wurde erst mit Fassung des Rechtsausschusses vorgesehen. 222 Vgl. nur Nerlich/Römermann/Andres, § 148 Rn. 46. 223 FK2/Wegener, § 148 Rn. 13 m. w.N.; Hess, § 148 Rn. 25; Kuhn/Uhlenbruck, § 117 Rn. 7c; Nerlich/Römermann/Andres, § 148 Rn. 46; vgl. auch Kifger/Karsten Schmidt, § 117 KO Anm. 2 a m. w.N. zur Anwendbarkeit des§ 721 ZPO. 224 Vorausgesetzt wird dabei allerdings, daß der Schuldner mit hinreichender Sicherheit einer gravierenden Belastung ausgesetzt ist, vgl. zu den im Schrifttum diskutieren Anforderungen nur Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 488; Weyland, S. 44 ff.; Wieser, Verhältnismäßigkeit, S. 71 f.
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durch Art. 2 Abs. 2 GG gebotene Schutz des engsten Lebensbereichs des Schuldners nicht das Insolvenzverfahren an sich in Frage. Es bleibt festzuhalten, daß bei der Insolvenzverfahrenseröffnung noch keine Eingriffe in die durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Rechtspositionen zu beachten sind; solche können allenfalls in einem späteren Zeitpunkt bei der weiteren Durchführung des Verfahrens Bedeutung gewinnen. Dies gilt insbesondere für die Räumungsvollstreckung226 . Die hier vertretene Auffassung der Beachtlichkeit der Rechtspositionen aus Art. 2 Abs. 2 GG entspricht im Ergebnis der von Uhlenbruck zur Verhältnismäßigkeit des Insolvenzeröffnungsbeschlusses vertretenen Meinung227 . Uhlenbruck leitet dies allerdings aus der Vermögensbezogenheil des Insolvenzverfahrens her; er ist der Ansicht, daß durch den Insolvenzeröffnungsbeschluß keine verfassungsrechtlich beachtlichen Beeinträchtigungen des Art. 2 Abs. 2 GG denkbar seien. b) Prüfung am Maßstab des Art. 6 Abs. 1 GG In der bisherigen Diskussion wurde nicht problematisiert, daß als vitale Belange des Schuldners auch die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen Beachtung verdienen können. So kann es durch die Insolvenzverfahrenseröffnung neben der gesundheitlichen Belastung des Schuldners auch zu einer grundrechtsrelevanten Beeinträchtigung der ehelichen und familiären Situation des Schuldners kommen; eine faktische Beeinträchtigung der durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Rechtsgüter tritt damit auf den Plan228 . Diese ist jedoch verhältnismäßig. Zwar ist mit Art. 6 Abs. 1 GG der engste persönliche Lebensbereich des Schuldners angesprochen229, jedoch ist nicht ersichtlich, daß diese Beeinträchtigung eine derart existentielle Bedeutung erlangen könnte, daß diesem Gesichtspunkt die überragenden Gläubigerinteressen unterzuordnen wären. 225 Die denkbaren Fallgestaltungen sind nicht überschaubar; so kann sich die Gesundheits- bzw. Lebensgefahr mit einem Zeitaufschub gerade bei der Räumungsvollstreckung legen, vgl. nur die Beispiele bei Weyland, S. 167 f. sowie die Nachweise in Baumbach/Lauterbach!Hartmann, § 765 a Rn. 19. 226 Ist eine Beachtung der Rechtspositionen aus Art. 2 Abs. 2 GG bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens verfassungsrechtlich nicht geboten, setzt sich diese Untersuchung damit auch nicht dem Einwand aus, daß sich eine Abwägung der Schuldnerund Gläubigerinteressen gerade bei Einbeziehung der Positionen aus Art. 2 Abs. 2 GG nur nach der einzelnen Fallgestaltung und Intensität der Grundrechtsbetroffenheit feststellen ließe. 227 Kuhn!Uhlenbruck, § 105 Rn. 8 a. 228 Ein Eingriff in Art. 6 GG liegt bereits immer dann vor, wenn staatliche Maßnahmen die Ehe und Familie schädigen oder sonst beeinträchtigen, BVerfG, Urt. v. 21.10.1980- 1 BvR 179,464178, BVerfGE 55, 114, 126. 229 Coester-Waltjen, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 6 Rn. 1.
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§ 3 Zulässigkeit des Insolvenzantrags in besonderen Problemlagen
c) Prüfung am Maßstab des Art. I Abs. I GG Schließlich kann durchaus die Verletzung der Menschenwürde mit dem Insolvenzeröffnungsbeschluß und der Durchführung des Insolvenzverfahrens verbunden sein. Zwar sind persönliche Gegenstände des Schuldners gemäß § 36 lnsO - wie in der Zwangsvollstreckung - von vomherein vom Vermögensbeschlag ausgenommen230 . Problematisch sind aber die in der Literatur zum Zwangsvollstreckungsrecht diskutierten Fälle der Verletzung sog. absoluter Rechte. Hier sind als Beispielsfälle die Vollstreckung am Sterbebett, im Trauerhaus oder bei Ordensverleihungen zu nennen. In diesen außergewöhnlichen Situationen ist wegen Schutzes der Menschenwürde des Schuldners (Art. 1 Abs. 1 GG) die Durchführung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen unzulässig231 . Entsprechendes muß auch im Insolvenzrecht gelten. Jedoch ist der Ablauf des Insolvenzverfahrens nach dessen Eröffnung zu beachten. Der bloße Beschluß über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst führt an sich in diesen außergewöhnlichen Lebenssituationen noch nicht zu einer Verletzung des Art. 1 Abs. I GG; die Achtung der Menschenwürde ist erst dann thematisiert, wenn der Schuldner in einer solchen Lebenssituation, in der die Achtung der Menschenwürde Ruhe gebietet, spürbar mit staatlichem Zwang konfrontiert wird. Der Schuldner wird bei einer Insolvenzverfahrenseröffnung in dieser außergewöhnlichen Lebenssituation vor allem durch die Folgen der Beschlagnahme des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens (§§ 80 ff. lnsO) und der Einleitung der Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse (vgl. nur §§ 148 ff. InsO) belastet; ihm werden Mitwirkungspflichten auferlegt (§§ 97 f. InsO). Der Hinweis auf die alleinige Vermögensbezogenheit des Insolvenzverfahrens232 genügt in solchen Ausnahmesituationen nicht, um die Annahme einer Verletzung der Menschenwürde zu verneinen. Ist doch auch so manche Maßnahme der Zwangsvollstreckung allein vennögensbezogen, führt sie dennoch bei ihrer Durchführung in diesen besonderen Lebenssituationen zu einer Verletzung der Menschenwürde des Schuldners. Die damit denkbare Verletzung der Menschenwürde in den genannten besonderen Lebenssituationen des Schuldners läßt sich aber auch trotz der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vermeiden: Die Insolvenzverfahrenseröffnung durch Beschluß des Insolvenzgerichts ist trennbar von der Durchführung des Insolvenzverfahrens. So wird es möglich sein, im Rahmen des eröffneten Insolvenzverfahrens die Menschenwürde des Schuldners zu 230 Ba ur/Stümer, II, Rn. 6.14; vgl. zum verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des intimsten Bereichs die sog. Sphärentheorie BVerfG, Urt. v. 5.6.1973 - 1 BvR 536172, BVerfGE 35, 202, 232. 231 Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 488; Henckel, Prozeßrecht, S. 350. 232 So wohl Kuhn/Uhlenbruck, § 105 Rn. 8 a.
C. Die Verhältnismäßigkeit als zentrales Problem
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schützen. Über einen Schutz des Schuldners ist ja gerade erst dann nachzudenken, wenn der Schuldner den Folgen des Eröffnungsbeschlusses spürbar ausgesetzt ist und dies ihn in einer außergewöhnlichen Lebenssituation trifft. Stellt sich etwa die dem Insolvenzbeschlag nachfolgende Übernahme der Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter nach §§ 80 ff., 148 InsO als belastend dar, kann daran gedacht werden, die nach dem Eröffnungsbeschluß zur Herausgabe erforderliche vollstreckbare Ausfertigung zunächst nicht zu erteilen, sondern auf die besonderen Lebensumstände des Schuldners kurze Zeit Rücksicht zu nehmen. Auch die gesetzlich mit Insolvenzverfahrenseröffnung eintretenden Mitwirkungspflichten können in außergewöhnlichen Lebenssituationen ruhen und dem Schuldner die zur Wahrung seiner Menschenwürde erforderliche Ruhe in der außergewöhnlichen Lebenssituation verschaffen. Auch kann mit Uhlenbruck in außergewöhnlichen Lebenssituationen des Schuldners daran gedacht werden, dessen in dem Zeitpunkt unzumutbare Mitwirkungspflichten durch die Bestellung eines Gutachters zu ersetzen233 • Dies vermag auch in Fällen außergewöhnlicher Lebenssituationen des Schuldners die Wahrung der Menschenwürde und damit den Schutz des Schuldners hinreichend zu ermöglichen. Damit wird die verfassungsrechtliche Problematik in die Durchführung des Insolvenzverfahrens getragen; die Verfassungsmäßigkeit des Insolvenzeröffnungsbeschlusses selbst wird hingegen nicht in Frage gestellt.
§ 4 Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren Mit §§ 21 ff. InsO liegt über die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Insolvenzeröffnungsverfahren durch das Insolvenzgericht eine klare und ausdifferenzierte Regelung vor. Hierbei handelt es sich um einen Normenkomplex des öffentlichen Rechts, so daß die Wirkungsweise der Grundrechte keine besonderen Schwierigkeiten aufwirft'. Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen durch das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren nach §§ 21 ff. InsO führt zu verschiedenartigen Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen. Bei den Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren handelt es sich um eine hergebrachte Beschränkung vor allem der Schuldnerischen Rechte. Nach § 21 Abs. 1 lnsO hat das Insolvenzgericht alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigem nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Insolvenzeröffnungsverfah233 So Kuhn/ Uhlenbruck, § 105 Rn. 8 a zur Unzumutbarkeit der Mitwirkungspflichten wegen des Schuldnerischen Gesundheitszustandes. 1 V gl. oben § 2 C.l.
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§ 4 Sicherungsmaßnamen im Insolvenzverfahren
ren dient damit der Absicherung der Zwecke des Insolvenzverfahrens. Das Insolvenzgericht kann diejenigen Sicherungsmaßnahmen anordnen, die nicht über die Rechtsfolgen des eröffneten Insolvenzverfahrens hinausgehen2. Außer Zweifel steht, daß die Möglichkeit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gegen den Schuldner durch § 21 lnsO keinen verfassungsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt ist; dies gilt insbesondere auch für die Neufassung der Postsperre nach § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO. Gleiches gilt für die die Gläubiger belastenden Sicherungsmaßnahmen, namentlich das Vollstreckungsverbot des § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO. Auch hier ist kein Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO als Inhaltsund Schrankenbestimmung i. S. von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG an sich angezeigt3 . Damit ist der Regelungskomplex der Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt; verfassungsrechtliche Fragen ergeben sich vielmehr nur punktuell. A. Keine Aussage des Verfassungsrechts zum Aufrechnungsverbot Zu der äußerst streitigen Frage, ob aus der Anordnung eines allgemeinen Verfügungs- und Vollstreckungsverbots gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 und 3 InsO zugleich ein Aufrechnungsverbot für die Gläubiger folgt4 , kann das Verfassungsrecht keinen Beitrag leisten. Allerdings wurde zur Ablehnung des Aufrechnungsverbots unter anderem ausgeführt, daß eine analoge Anwendung der Aufrechnungsverbote des eröffneten Insolvenzverfahrens auf das Eröffnungsverfahren schon deshalb ausscheide, weil die von der Analogie betroffene Forderung der Gläubiger in den Schutzbereich von Art. 14 GG falle. Es sei daher bei einem Eingriff in diesen Schutzbereich eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG erforderlich. Eine analoge Anwendung entbehre der für den Gesetzesvorbehalt erforderlichen gesetzlichen Normierung, auch wenn die analog anzuwendende Norm selbst in ihrem Anwendungsbereich eine zulässige Inhaltsund Schrankenbestimmung darstelle5 . 2 Jaeger!Weber, K0 8 , § 106 Rn. 1; Kleiner, S. 129; vgl. auch Nerlich/Römermann!Mönning, § 21 Rn. 75. Mönning weist zutreffend darauf hin, daß die Anordnung der Residenzpflicht im Eröffnungsverfahren allein deshalb schon nicht mehr als Sicherungsmaßnahme in Betracht komme, weil eine Residenzpflicht im eröffneten Insolvenzverfahren nicht mehr bestehe. 3 So auch ValZender ZIP 1997, 1993, 1996, der die verfassungsrechtliche Relevanz der Anordnung eines Vollstreckungsverbots für die betroffenen Gläubiger hervorhebt. 4 Vgl. hierzu statt aller Gerhardt, Kölner Schrift, Rn. 9 ff. m. w.N. 5 Mankowski, JZ 1996, 392, 396.
B. Betreten von Räumen durch den vorläufigen Insolvenzverwalter
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Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Aus dem Gesetzesvorbehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG kann kein Analogieverbot hergeleitet werden. So hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach ausgeführt, daß die Methode der Analogie grundsätzlich verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht werde. Zwar sei Ziel eines Gesetzesvorbehalts, daß sich jedermann auf den Inhalt der Rechtsordnung einstellen könne. Der Vorgang der Lükkenschließung mittels der Analogie sei aber gerechtfertigt, wenn sich im Rahmen der Gesetzesanwendung herausstelle, daß nicht alle Anwendungsfalle erfaßt seien. Dabei nehme der Richter die Lückenschließung unter Bindung an die Wertungen des Gesetzes vor6 • Damit ist erwiesen, daß das Verfassungsrecht nicht zur Lösung der einfachrechtlichen Frage nach der analogen Anwendung der Aufrechnungsverbote des eröffneten Insolvenzverfahrens herangezogen werden kann. Vielmehr handelt es sich um eine einfachrechtliche Fragestellung, bei der der Rückgriff auf das Verfassungsrecht keine Lösungsmöglichkeiten aufzeigen kann.
B. Auswirkung des Art. 13 GG auf das Recht des vorläufigen Insolvenzverwalters zum Betreten von Räumen Seit jeher ist weiter streitig, ob der vorläufige Insolvenzverwalter die Räumlichkeiten des Schuldners ohne einen richterlichen Durchsuchungsbefehl betreten darf. Angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 13 Abs. 2 GG im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung7 war unter Geltung der KO unklar, ob der Sequestrationsbeschluß das Erfordernis einer separaten richterlichen Durchsuchungsanordnung überflüssig macht8 . Nach § 22 Abs. 3 InsO ist der vorläufige Insolvenzverwalter gleichgültig ob mit oder ohne Verfügungsbefugnis9 - im Rahmen seiner Tätigkeit nunmehr ausdrücklich berechtigt, die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten und dort Nachforschungen anzustellen. Damit ist nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung für die dort genannten Räume keine richterliche Durchsuchungsanordnung erforderlich. Diese Vorschrift genügt den 6 BVerfG, Beschl. v. 19.12.1962 - 1 BvR 163/56, BVerfGE 15, 226, 233; BVerfG, Beschl. v. 3.4.1990 - 1 BvR 680, 681/86, BVerfGE 82, 1, 11 ff.; zustimmend Stern, Staatsrecht III/2, S. 435 f.; anders im konkreten Fall BVerfG, Beschl. v. 13.10.1970- 1 BvR 226170, BVerfGE 29, 183, 195 f.; zustimmend Bleckmann, Staatsrecht, § 12 Rn. 60. 7 BVerfG, Beschl. v. 3.4.1979- 1 BvR 994176, BVerfGE 51, 97, 113 f.; BVerfG, Beschl. v. 16.6.I98I- I BvR 1094/80, BVerfGE 57, 346, 354 ff. 8 So die h.M. Koch, S. 77 ff.; Kuhn/Uhlenbruck, § 106 Rn. 8 c; Lohkemper, ZIP I995, 164I, I643 f.; a.A. Herbert, S. II7; ebenso auch Baur!Stümer, II, Rn. 6.15 und 10.26; Jauemig, Zwangsvollstreckungsrecht, § 43 III I, jeweils sogar für das eröffnete Insolvenzverfahren. 9 Vgl. nur Uhlenbruck, Kölner Schrift, Rn. 40.
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§ 4 Sicherungsmaßnamen im Insolvenzverfahren
Anforderungen des Art. 13 Abs. 2 GG, nach dem Hausdurchsuchungen nur nach vorheriger richterlicher Anordnung zulässig sind. Zwar sehen §§ 21 f. InsO eine solche separate Anordnung nicht ausdrücklich vor. Da die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung jedoch die gesetzlich vorgesehene Befugnis des vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 22 Abs. 3 InsO urnfaßt, liegt in der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung zugleich die Durchsuchungsanordnung für die Geschäftsräume des Schuldners. Galten die bisherigen Ausführungen nur für die Geschäftsräume des Schuldners, so folgt im Umkehrschluß aber, daß für die Privaträume eine separate richterliche Durchsuchungsanordnung erforderlich ist. Dies gebietet Art. 13 GG als Abwehrrecht 10. In § 22 Abs. 3 InsO werden nur Geschäftsräume genannt; für die Privaträume des Schuldners enthält die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung noch keine Anordnung i. S. v. Art. 13 Abs. 2 GG. Vielmehr ist eine separate richterliche Anordnung erforderlich, die mit dem Beschluß über die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung zusammen ergehen kann 11 . Wenn Pohlrrumn dagegen ausführt, die Anordnung der sog. großen vorläufigen Insolvenzverwaltung nach § 22 Abs. 1 InsO umfasse auch die Durchsuchung der Privaträume des Schuldners12, vermag dies nicht zu überzeugen. Denn von der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung ist nach der eindeutigen Regelung des § 22 Abs. 3 InsO nur die Befugnis zum Betreten der Geschäftsräume umfaßt, nicht dagegen das Betreten der Privaträume. Entgegen Pohlmann impliziert die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung nach § 22 Abs. 1 InsO auch nicht zwingend die Durchsuchung der Privaträume des Schuldners. Zwar hat sich der sog. große vorläufige Insolvenzverwalter, dem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Schuldnerische Vermögen gemäß § 22 Abs. 1 InsO übertragen wird, wie der Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren in den Besitz des Schuldnerischen Vermögens zu setzen 13 . Dennoch umfaßt diese Inbesitznahme nicht die Befugnis, zu deren zwangsweiser Durchsetzung auch die Privaträume des Schuldners zu betreten. Die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 148 InsO im eröffneten Insolvenzverfahren geht zwar davon aus, daß mit der dort ausdrücklich vorgesehenen Inbesitznahme des Vermögens auch das Betreten aller Räume des Schuldners ohne eine separate richterliche Anordnung umfaßt ist 14. Diese Ausführungen des Regierungsentwurfs, auf die sich auch Pohlmann V gl. oben § 2 C.I.2. Nerlich/Römermann!Mönning, § 21 Rn. 73 f.; Smid/Smid, InsO, § 22 Rn. 53; Uhlenbruck, Kölner Schrift, Rn. 41; so wohl auch HK2/Kirchhof, § 22 Rn. 35. 12 Pohlmann, Rn. 128; ähnlich wohl auch Koch, S. 78 zum alten Recht. 13 Smid!Smid, InsO, § 22 Rn. 52; Uhlenbruck, Kölner Schrift, Rn. 19. 14 BT-Drucks. 12/2443, S. 170; kritisch Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 13.04. 10 11
B. Betreten von Räumen durch den vorläufigen Insolvenzverwalter
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stützt, sind bereits für das eröffnete Insolvenzverfahren Zweifeln aus Art. 13 GG ausgesetzt; noch gravierender sind die Bedenken für die Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters im Insolvenzeröffnungsverfahren. Art. 13 Abs. 2 GG verlangt eine richterliche Durchsuchungsanordnung. Anerkannt ist, daß eine richterliche Durchsuchung grundsätzlich separat angeordnet werden muß. Lediglich in besonderen Fällen in der Zwangsvollstreckung soll eine richterliche Durchsuchungsanordnung entbehrlich sein, weil sie bereits in der richterlichen Entscheidung selbst enthalten ist. Hierzu wird überwiegend ausgeführt, daß an eine derartige Implikation strenge Anforderungen zu stellen seien und diese nur anzuerkennen sei, wenn der richterliche Entscheidungsprozeß die Durchsuchung zwangsläufig berücksichtigt habe 15 . Hierbei handelte es sich in der Rechtsprechung beispielsweise um Fälle, in denen klar umrissene Räumungs-, Herausgabe- und Duldungstitel vorlagen 16. Auch das Bundesverfassungsgericht hielt eine separate richterliche Durchsuchungsanordnung in einem Fall für entbehrlich, in dem der Gerichtsvollzieher im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens vom Gericht angewiesen worden war, von seinen Bedenken gegen die Vollstreckung abzusehen und auf den Vollstreckungsauftrag des Gläubigers die Zwangsvollstreckung durchzuführen 17• Das Bundesverfassungsgericht betonte im folgenden aber, daß es sich hierbei um einen Ausnahmefall gehandelt habe und nicht in jeglicher der Vollstreckung vorausgehenden richterlichen Entscheidung eine Implikation zu erblicken sei 18 . Mit den Fällen der implizit in einer richterlichen Entscheidung enthaltenen Durchsuchungsanordnung sind der Eröffnungsbeschluß und die hier in Rede stehende allgemeine Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung nicht zu vergleichen19. Bei der Inbesitznahme des gesamten Schuldnerischen Vermögens liegt kein mit der Herausgabevollstreckung eines bestimmten, im Beschluß festgelegten Gegenstands vergleichbarer Fall vor. Erwägungen zur Zulässigkeit des Betretens der Privatwohnung des Schuldners fließen angesichts des Gesetzeswortlauts des allgemein gefaßten § 148 InsO für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der differenzierten Regelung in § 22 Abs. 3 InsO 15 Vgl. hierzu im einzelnen BK/Herdegen, Art. 13 Rn. 59; Kunig, in: v. Münch/ Kunig5 , Art. 13 Rn. 29; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 129 Rn. 59 m. w. N. Dieser Rechtslage hat der Gesetzgeber inzwischen durch § 758 a Abs. 1 und 2 ZPO für den Bereich der Einzelzwangsvollstreckung Rechnung getragen. 16 Vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.11.1979- 3 W 262/79, NJW 1980, 458 f.; OLG Köln, Beschl. v. 10.2.1988 - 2 W 216/87, DGVZ 1989, 59; LG Berlin, Beschl. v. 13.1.1988-81 T 18/88, DGVZ 1988, 118; LG Berlin, Beschl. v. 17.5.1991-81 T 97/91, DGVZ 1992, 91, 92; Sachs/Kühne, Art. 13 Rn. 32. 17 BVerfG, Beschl. v. 2.7.1963- 1 BvR 947/58, BVerfGE 16, 239, 240 f. 18 BVerfG, Beschl. v. 3.4.1979- 1 BvR 994/76, BVerfGE 51, 97, 112. 19 A.A. Koch, S. 78; Pohlmann, Rn. 128. 10 Lepa
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§ 4 Sicherungsmaßnamen im Insolvenzverfahren
gerade nicht zwingend in den richterlichen Entscheidungsprozeß ein. Zutreffend wird daher in der Literatur vom Insolvenzeröffnungsbeschluß als "Generaltitel" gesprochen20 ; gleiches gilt auch für die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung. Denn der Eröffnungsbeschluß sowie der Beschluß über die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung lassen offen, unter welchen Umständen es zu einem Betreten des Wohnraums kommen darf. Gerade dies ist aber zwingend von einer richterlichen Durchsuchungsanordnung selbst und auch von den anerkannten Fällen der implizit in einer anderen richterlichen Entscheidung enthaltenen zu verlangen. Die richterliche Anordnung hat die Aufgabe, eine differenzierte und spezielle Entscheidung zur Durchsuchung zu treffen und zu begründen. Unter besonderer Betrachtung des Schutzguts von Art. 13 GG ist abzuwägen, ob sich eine Durchsuchung der Privaträume im Rahmen der Verhältnismäßigkeil hält21 . Dies leisten aber weder der Eröffnungsbeschluß noch die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung; beide Beschlüsse vermögen entgegen Pohlrnann nicht die Anforderungen an eine implizit enthaltene Durchsuchungsanordnung zu erfüllen, die die überwiegende verfassungsrechtliche Rechtsprechung und Literatur stellt. Angesichts der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzguts Wohnung ist auch allen Aufweichungstendenzen in der Literatur entgegenzutreten, die in allgemeinen richterlichen Entscheidungen bereits die Durchsuchungsanordnung impliziert sehen22 . Bestehen damit schon sowohl für den Insolvenzeröffnungsbeschluß als auch für die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Annahme einer implizit enthaltenen richterlichen Durchsuchungsanordnung hinsichtlich der Privaträume des Schuldners, so ist für die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung ein weiteres zu beachten. Der Schuldner ist im Insolvenzeröffnungsverfahren stärker zu schonen als im eröffneten Insolvenzverfahren, weil die Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens noch offen ist. Daher ist es gerade im Eröffnungsverfahren dringend angezeigt, bei den Anforderungen an eine richterliche Durchsuchungsanordnung nach Art. 13 Abs. 2 GG keine Abstriche vorzunehmen.
20 Baur/Stümer, Il, Rn. 6.15; Jauemig, Zwangsvollstreckungsrecht, § 43 III 1; im Ergebnis ebenso Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 13.04. 21 BK/Herdegen, Art. 13 Rn. 55 ff.; Kunig, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 13 Rn. 28 f. 22 So auch Kunig, in: v. Münch/Kunig5 , Art. 13 Rn. 29 m. w. N. zur Gegenmeinung vor allem auf dem Gebiet der StPO.
C. Die Auswahl der Sicherungsmaßnahmen
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C. Die Auswahl der Sicherungsmaßnahmen Das Insolvenzgericht hat nach § 21 Abs. 1 InsO im Insolvenzeröffnungsverlabren die Sicherungsmaßnahmen zu treffen, die erforderlich scheinen, um zu verhüten, daß bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigem nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners eintritt. In § 21 Abs. 2 und 3 InsO sind einzelne Sicherungsmaßnahmen besonders aufgeführt. Diese Regelung über die Auswahl der Sicherungsmaßnahmen ist von erheblicher verfassungsrechtlicher Brisanz. Hierzu finden sich unterschiedliche Stellungnahmen in der Rechtsprechung und Literatur. I. Anforderungen in Rechtsprechung und Literatur
Zum alten Recht gingen Literatur und Rechtsprechung davon aus, daß das Gericht über die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren nach Ermessen entscheidet23 . Auch zur InsO wird dies teilweise ausgeführt24. Zur Ausübung des Ermessens wird zumeist allgemein auf das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit aller Anordnungen hingewiesen 25 . Verlangt werde damit, daß die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen unter Beachtung des Einzelfalls und damit nicht routinemäßig erfolge26 ; insbesondere müsse von einer routinemäßigen Anordnung von Sequestration mit allgemeinem Verfügungsverbot - der einschneidendsten Sicherungsmaßnahme im alten wie dem neuen Recht - abgesehen werden27 . Weiter wird ausgeführt, daß die Sicherungsmaßnahmen zu jedem Zeitpunkt verhältnismäßig sein müßten, so daß das Insolvenzgericht seine Anordnung bei Änderung der zugrundeliegenden Tatsachen überdenken und unter Umständen ändern müsse28 . Vielfach finden sich gerade in neuerer Zeit aber auch detailliertere Ausführungen zum Verhältnis der Sicherungsmaßnahmen untereinander. Schon 23 Bley/Mohrbutter, § 12 Rn. 4; Jaeger!Weber, K0 8 , § 106 Rn. 1; Kifger/Karsten Schmidt, § 106 KORn. 3; Kuhn/Uhlenbruck, § 106 Rn. 1. 24 FK2/Schmerbach, § 21 Rn. 27; Gerhardt, Kölner Schrift, Rn. 24; Nerlich/ Römermann/Mönning, § 21 Rn. 90. 25 BGH, Beschl. v. 20.3.1986- II1 ZR 55/85, NJW-RR 1986, 1188, 1189; Breutigam/Blersch/Goetsch, § 21 Rn. 7; Gerhardt, Kölner Schrift, Rn. 24; HK2/Kirchhof, § 21 Rn. 9; Nerlich/Römermann/Mönning, § 21 Rn. 68 f.; Kilger, Festschrift KO, 189, 194; Kübler/Prütting/Pape, § 21 Rn. 7; Kuhn/Uhlenbruck, § 106 Rn. 2; Pape, WPrax 1995, 236, 237; Vallender, ZIP 1997, 1993, 1996. 26 LG Göttingen, Beschl. v. 8.3.1993 - 6 T 63/93, ZIP 1993, 447, 448; Breutigam/Blersch/Goetsch, § 21 Rn. 22; Haarmeyer, Zlnsü 2001, 203, 206 f. ; Haarmeyer!Wutzke/Förster, GesO, § 2 Rn. 174; dies., Insü, Kap. 3 Rn. 194; Kuhn/ Uhlenbruck, § 106 Rn. 2; Pape, ZIP 1994, 89; Smid/Smid, Insü, § 21 Rn. 4. 27 Pape, WPrax 1995, 236, 237. 28 LG Stendal, Beschl. v. 29.8.1995-22 T 175/95, DtZ 1996, 89, 90.
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§ 4 Sicherungsmaßnamen im Insolvenzverfahren
frühzeitig hat Schlosser in der Reformdiskussion den Vorschlag unterbreitet, bei der Auswahl der anzuordnenden Sicherungsmaßnahmen nach Fremdbzw. Eigenantrag zu unterscheiden29 . Schlosser führt aus, daß bei einem Gläubigerantrag in aller Regel die Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung mit einem allgemeinen Verfügungs- und Vollstreckungsverbot angebracht sei. Flexibler sei dagegen die Erforderlichkeil von massesichernden Maßnahmen bei einem Eigenantrag des Schuldners einzuschätzen. Bei einem solchen Antrag nehme das Insolvenzeröffnungsverfahren weniger Zeit in Anspruch, so daß Sicherungsmaßnahmen überhaupt nicht erforderlich sein müßten. Dem Schuldner, der seiner Antragspflicht nachkomme, sei ferner im Insolvenzeröffnungsverfahren bei entsprechendem Vortrag wegen einer lediglich kurzfristigen Krise die Möglichkeit einzuräumen, diese zu überwinden und Sanierung zu erreichen. Eine Kreditschädigung durch eine dem Geschäftsverkehr offenbar werdende Krise könne so verhindert werden. Denkbar sei bei einem Eigenantrag des Schuldners daher insbesondere, eine Verfügungsbeschränkung mit Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO zu erlassen. In der Literatur zur InsO werden weitere Differenzierungen unter dem Stichwort der erforderlichen und "verhältnismäßigen" Sicherungsmaßnahmen vorgeschlagen. Anlaß bieten offensichtlich die vielfaltigen in § 21 Abs. 2 InsO aufgeführten Sicherungsmaßnahmen. So wird auf das abgestufte System der Sicherungsmaßnahmen hingewiesen 30 und das Verhältnis der nunmehr vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen untereinander untersuche1. Ein Teil des Schrifttums geht davon aus, daß auch zukünftig in der Praxis die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots mit gleichzeitiger Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung den Regelfall darstellen werde. Denn das allgemeine Verfügungsverbot stelle die für die Praxis wirkungsvollste Sicherungsmaßnahme dar, andere seien dagegen nicht praktikabel32. So wird ausgeführt, daß zumindest die Betriebsfortführung bei Anordnung lediglich eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts nicht durchführbar sei33. Noch dezidierter war Schmerbach zunächst der Ansicht, es 29
Schlosser, Insolvenzrecht im Umbruch, 9, 10.
° Kübler/Prütting/Pape, § 21 Rn. 8; Smid/Smid, lnsO, § 21 Rn. 5.
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FK2/Schmerbach, § 21 Rn. 27 ff. Bork, Einführung, Rn. 103; FK/Schmerbach, § 21 Rn. 29; Hess/Pape, Rn. 143; so auch Vallender, DZWiR 1999, 265, 268 für den Insolvenzverwalter ohne Verfügungsbefugnis gemäß § 22 Abs. 2 InsO; für Untemehmensinsolvenzen ebenso Pape, ZIP 1994, 89, 90; ähnlich wohl auch Smid/Smid, lnsO, § 21 Rn. 7 ff., der zwar differenzierende Betrachtungen anstellt, letztlich aber zur regelmäßig erforderlichen Anordnung einer allgemeinen Verfügungsbeschränkung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO gelangt. 3I
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C. Die Auswahl der Sicherungsmaßnahmen
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sei erforderlich, daß der vorläufige Insolvenzverwalter das Vermögen zur Massesicherung in Besitz nehme, um masseschädigende Verfügungen des Schuldners zu verhindern. Werde statt der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots nach § 22 Abs. 2 InsO verfahren, so bestünde die Gefahr von Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Schuldner und vorläufigem Insolvenzverwalter bei der Betriebsfortführung. Nur die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots sei daher praktikabel34. Diese Ansicht hat Schmerbach inzwischen aufgegeben und hält nunmehr Zurückhaltung bei der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots für geboten, weil die vom Insolvenzverwalter nach § 22 Abs. 1 InsO begründeten Verbindlichkeiten Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO darstellten. Damit sei zum einen die Masseschöpfung durch die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld auf Dauer nicht möglich. Lediglich drei Monate fielen zunächst keine Lohnkosten an. Zum anderen bestünden für den vorläufigen Insolvenzverwalter erhebliche Haftungsgefahren. Insbesondere für die im Rahmen der Vorfinanzierung von Insolvenzgeld auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangenen Lohnforderungen der Arbeitnehmer drohe dem Insolvenzverwalter nach § 22 Abs. 1 lnsO, der mit der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots tätig werde, bei Massearmut eine persönliche Haftung nach§§ 55 Abs. 2, 61 Ins035 . Einige Verfechter der regelmäßigen Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots führen allerdings aus, daß Ausnahmefalle zu beachten seien. Unter Berufung auf Grub heißt es, daß bei einer bevorstehenden Eigenverwaltung auf die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots verzichtet werden solle. Grub hatte darauf aufmerksam gemacht, daß bei der Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO im eröffneten Insolvenzverfahren auf die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters im Insolvenzeröffnungsverfahren zu verzichten sei. Denn Eigenverwaltung sollte nur zugelassen werden, wenn keine nachteilige Veränderung der Vermögenslage des Schuldners zu befürchten wäre; dann lägen auch die Voraussetzungen für die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters im Eröffnungsverfahren nicht vor36. Im Anschluß daran wird von den Verfechtern der regelmäßigen Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots ausgeführt, daß 33 Feuerbom, KTS 1997, 171, 186; Haarmeyer, ZlnsO 2001 , 203, 207; Pape, ZIP 1994, 89, 90; zustimmend auch Vallender, DZWiR 1999, 265, 269; so wohl auch Nerlich/Römermann/Mönning, § 21 Rn. 94 ff., der allerdings ausdrücklich ausführt, daß zur Vermögenssicherung die Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts in der Regel genüge; ferner weist er darauf hin, daß auch besondere Verfügungsverbote bzw. Zustimmungsvorbehalte gemäß § 21 Abs. 1 InsO in Betracht zu ziehen seien. 34 FK!Schmerbach, § 21 Rn. 29. 35 FK2/Schmerbach, § 21 Rn. 28 a ff. 36 Grub, ZIP 1993, 393, 396.
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§ 4 Sicherungsmaßnamen im Insolvenzverfahren
dieses dann nicht angeordnet werden solle, wenn ein Antrag auf Eigenverwaltung gestellt sei und das Gericht beabsichtige, diesem stattzugeben. In diesem Fall solle vielmehr auf die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters gänzlich verzichtet oder nach § 22 Abs. 2 InsO ein Insolvenzverwalter ohne Verfügungsbefugnis bestellt werden 37 • Weiter wird als Ausnahme von der Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots der Fall genannt, in dem ein vereinfachtes Insolvenzverfahren mit Bestimmung eines Treuhänders nach § 313 Abs. 1 Satz 1 InsO ablaufen solle. Dann solle im Eröffnungsverfahren allenfalls ein Sachverständiger beauftragt werden, der das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes und einer kostendeckenden Masse prüfe38 . Schließlich gebe es Fälle, in denen ein Verfügungsbefugter nicht vorhanden sein müsse. Genannt werden der .Eigenantrag im Nachlaßinsolvenzverfahren sowie das Insolvenzverfahren über eine GmbH & Co. KG hinsichtlich der Komplementär-GmbH, die keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe9 . Von der Gegenauffassung wird kritisiert, daß das Spektrum der möglichen Sicherungsmaßnahmen nicht hinreichend ausgeschöpft und undifferenziert auf das allgemeine Verfügungsverbot mit Anordnung der Sequestration zurückgegriffen werde. So würden in der Praxis weniger einschneidende, aber ausreichende Maßnahmen nicht hinreichend häufig ergriffen. Die vorläufige Insolvenzverwaltung mit Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots stelle aber nicht den Regelfall der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen dar, sondern den belastendsten und kostenintensivsten Eingriff in die Schuldnerischen Rechte40. Zu diesem Ergebnis gelangt auch Pohlmann. Dieser hat untersucht, ob der Regelung der §§ 21, 22 InsO ein Regel-Ausnahmeverhältnis zugunsten des allgemeinen Verfügungsverbots zu entnehmen ist41 . Sein Ausgangs37 Vgl. etwa FK2/Schmerbach, § 21 Rn. 32; Uhlenbruck, Kölner Schrift, Rn. 13; so wohl auch Smid/Smid, lnsO, § 21 Rn. 9 f., der zusätzlich verlangt, daß der Antrag auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützt wird; kritisch dagegen Haarmeyer, ZlnsO 2001, 203, 205, der darauf hinweist, daß allein die Stellung eines Antrags auf Eigenverwaltung kein Kriterium für die Nichterforderlichkeit von Sicherungsmaßnahmen sein könne. 38 FK2 /Schmerbach, § 21 Rn. 33; ähnlich auch Smid!Smid, InsO, § 21 Rn. 10. 39 FK2 /Schmerbach, § 21 Rn. 34. 40 Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, Kap. 3 Rn. 194, 204 ff.; Kießling/Singhof, DZWiR 2000, 353, 361 f.; ähnlich auch Breutigam/Blersch/Goetsch, § 21 Rn. 22, die daher vorschlagen, zunächst nur ein allgemeines Verfügungsverbot zu verhängen und nach weiteren Ermittlungen des Insolvenzgerichts später die vorläufige Insolvenzverwaltung anzuordnen. Im Ergebnis ebenso auch FK2/Schmerbach, § 21 Rn. 28 a ff.; Hauser/Hawelka, ZIP 1998, 1261, 1264, die allerdings vor dem Hintergrund des § 55 Abs. 2 InsO bei Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots eine differenzierte Anordnung der Sicherungsmaßnahmen vorschlagen. 41 Pohlmann, Rn. 20 ff.
C. Die Auswahl der Sicherungsmaßnahmen
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punkt ist die Erforderlichkeil der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen in § 21 Abs. I InsO; damit werde die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen an den Verhältnismäßigkeilsgrundsatz gebunden. Pohlmann kritisiert, daß der Gesetzgeber in §§ 2I, 22 lnsO der Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots mit gleichzeitiger Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung (§§ 2I Abs. 2 Nr. 1 und 2 Alt. I, 22 Abs. 1 lnsO) wesentlich größere Aufmerksamkeit geschenkt habe als der Regelung über die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts zugunsten des vorläufigen Insolvenzverwalters (§§ 21 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Alt. 2, 22 Abs. 2 InsO) und der Regelung über den vorläufigen Insolvenzverwalter ohne Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 2 InsO); letztere Regelungen träten in den Hintergrund. Dieser Regelung sei ein Regel-Ausnahmeverhältnis zugunsten des allgemeinen Verfügungsverbots zu entnehmen. Das entspreche auch der bisherigen Praxis zur KO. Zu erwarten sei zwar, daß dies auch weiterhin der Fall sein werde. Lediglich bei einem auf drohende Zahlungsunfähigkeit(§ 18 InsO) gestützten Eigenantrag des Schuldners mit gleichzeitigem Antrag auf Eigenverwaltung sei zu erwarten, daß in der Praxis dem Schuldner angesichts der eigenständig aufgedeckten Vermögensverhältnisse das Vertrauen entgegengebracht werde, das für ein Absehen vom allgemeinen Verfügungsverbot für erforderlich gehalten werde. Dieses Regel-Ausnahmeverhältnis zugunsten des allgemeinen Verfügungsverbots widerspreche aber den Wertungen der InsO. Selbst im eröffneten Insolvenzverfahren erfolge nicht zwingend ein Entzug der Verfügungsmacht, wie sich aus der Möglichkeit der Anordnung der Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO ergebe. Im Eröffnungsverfahren müsse daher die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots die Ausnahme bleiben und sie bedürfe in jedem Einzelfall einer besonderen Rechtfertigung. Neben der Kritik daran, daß das zur Verfügung stehende Spektrum von Sicherungsmaßnahmen nicht hinreichend ausgeschöpft werde, werden auch haftungsrechtliche Gründe für die Anordnung des allgemeinen Zustimmungsvorbehalts vorgebracht. So soll die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots allein schon deshalb nur zurückhaltend und mit Vorsicht erfolgen, weil für den vorläufigen Insolvenzverwalter ein erhebliches Haftungsrisiko bestehe, und zwar insbesondere im Fall der vorläufigen Betriebsfortführung (vgl. §§ 55 Abs. 2, 25 Abs. 2, 6I lnsO). Dagegen werde dem Sicherungsbedürfnis der Gläubiger bereits mit der Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts hinreichend genügt42. Steht in der Literatur auch die Frage der Anordnung eines Verfügungsverbots gegen den Schuldner im Vordergrund, so finden sich dennoch ver42 Uhlenbruck/Schröder/Schulte-Kaubrügger, DZWiR 1999, 12; Uhlenbruck, Kö1ner Schrift, Rn. 13; Vallender, DZWiR 1999, 265, 269; so neuerdings auch FK2 /Schmerbach, § 21 Rn. 28 c f.
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§ 4 Sicherungsmaßnamen im Insolvenzverfahren
einzelt Hinweise auf die Voraussetzungen für die Anordnung eines Vollstreckungsverbots gegen die Gläubiger (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO). Auch für das Vollstreckungsverbot wird schließlich ausdrücklich die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gefordert. So weist Vallender darauf hin, daß das Vollstreckungsverbot in die Rechte der betroffenen Gläubiger aus Art. 14 GG eingreife und ferner der Justizgewähranspruch des Art. 19 Abs. 4 GG in seinem Schutzbereich betroffen sei. Daher bedürfe auch die Anordnung eines Vollstreckungsverbots einer sorgfaltigen Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten. Je stärker die Gefahr der Zerschlagung der Insolvenzmasse durch Vollstreckungsmaßnahmen sei, um so dringlicher sei die Anordnung eines Vollstreckungsverbots43 . II. Kritische Würdigung
Berufen sich die bisherige Rechtsprechung und Literatur auf die Verhältnismäßigkeit der Ermessensausübung, so ist dies angesichts der Grundrechtsbetroffenheit vor allem des Schuldners, aber auch der Gläubiger, durch die Anordnung der Sicherungsmaßnahmen natürlich zutreffend. Wird aber nur von der Verhältnismäßigkeit einer Anordnung gesprochen, so besteht die Gefahr, daß die Bedeutung der verfassungsrechtlichen Problematik nicht umfassend zum Ausdruck kommt oder durch schablonenhafte Handhabung in ihrer Vielschichtigkeit nicht erkannt wird. Dies kann zu Ergebnissen führen, die nicht nur hinter der gesetzgebensehen Zielsetzung zurückbleiben, sondern mit verfassungsrechtlichen - insbesondere grundrechtliehen - Wertvorgaben kollidieren. 1. Prüfungsansatz
Zunächst ist die Einbruchstelle für verfassungsrechtliche Wertungen, insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aufzudecken. Die Rechtsprechung und die Literatur gehen davon aus, daß die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im alten Recht im pflichtgemäßen Ermessen des Insolvenzgerichts stand und dies auch mit der InsO keine Änderung erfahren habe44. Pohlmann hingegen ist der Ansicht, daß die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen keine Ermessensentscheidung darstelle und sieht als Einbruchstelle für die Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit die "ErforderlichVallender ZIP 1997, 1993, 1996. Dieses Verständnis des neuen Rechts bereits bei FK2/Schmerbach, § 21 Rn. 27; Gerhardt, Kölner Schrift, Rn. 24; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7 .36; HK2/Kirchhof, § 21 Rn. 9; Kübler/Prütting/Pape, § 21 Rn. 11; Nerlich/Römermann/Mönning, § 21 Rn. 90; Pape, WPrax 1995, 236, 237; Schlosser, Insolvenzrecht im Umbruch, 9, 10 f. 43
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keit" der Anordnung einer Sicherungsmaßnahme aus § 21 Abs. 1 Ins045 . Der Wortlaut von § 21 Abs. 1 InsO, wonach das Insolvenzgericht die zur Massesicherung erforderlichen Maßnahmen anzuordnen hat, spricht für die Auffassung von Pohlmann. Dennoch ist diese Auslegung nicht zwingend. Denn es ist zu beachten, daß § 21 Abs. 2 und 3 InsO die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen in das Ermessen des Insolvenzgerichts stellen. In § 21 Abs. 2 InsO heißt es ausdrücklich, daß das Gericht "insbesondere" die im folgenden aufgezählten Sicherungsmaßnahmen anordnen "kann". Der Wortlaut des § 21 InsO ist offensichtlich unausgewogen. Für ein Ermessen bei der Anordnung jedweder Sicherungsmaßnahmen im Rahmen des § 21 InsO gegen den Wortlaut des § 21 Abs. 1 InsO mag sprechen, daß der im Wortlaut entsprechende § 12 VglO seit jeher insgesamt als Ermessensvorschrift verstanden wurde46. Die Frage, ob der Wortlaut des § 21 Abs. 1 InsO einer Auslegung zugänglich ist, daß die Anordnung aller Sicherungsmaßnahmen im Ermessen des Gerichts steht, kann indes offen bleiben. Sie hat für die Rechtsanwendung keine Bedeutung. Entscheidend ist nach Pohlmanns im Ergebnis richtigem Ansatzpunkt allein die Frage der Erforderlichkeit der Sicherungsmaßnahmen. Dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu sog. Koppelungsvorschriften, d. h. Vorschriften, die sowohl einen unbestimmten Rechtsbegriff enthalten als auch Ermessen vorsehen47 • Nach der allgemeinen Regel des § 21 Abs. 1 InsO ist die Anordnung einer Sicherungsmaßnahme rechtmäßig, wenn diese zum Masseerhalt erforderlich ist; damit ist auf der Tatbestandsseite jedenfalls ein unbestimmter Rechtsbegriff zu erfüllen. Bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe spielen die Grundrechte ebenso eine Rolle wie bei der Ermessensausübung48 • Sieht eine Vorschrift neben einem unbestimmten Rechtsbegriff noch Ermessen vor, kann diesem nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber dann keine eigenständige Bedeutung beigemessen werden, wenn bereits alle für das Ermessen entscheidenden Erwägungen in die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs eingeflossen sind. Dann gibt es keine eigenständigen Ermessenserwägungen mehr; die Entscheidung ist bereits durch die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs zwingend vorgegeben und ein Ermessensschwund tritt ein49 . Auf der anderen Seite soll nach einer umstrittenen Meinung ausnahmsweise auch umgekehrt der unbePohlmann, Rn. 20 ff.; zustimmend Bork, ZIP 1999, 781, 784. Bley/Mohrbutter, § 12 Rn. 4. 47 Vgl. statt aller Maurer, § 7 Rn. 48 ff. 48 Vgl. oben § 2 B.II. 49 BVerwG, Urt. v. 14.12.1962 - BVerwG VII C 140.61, BVerwGE 15, 207, 211 f.; BVerwG, Urt. v. 29.4.1964- BVerwG I C 30.62, BVerwGE 18, 247, 250; Maurer, § 7 Rn. 49. 45
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stimmte Rechtsbegriff in das Ermessen einfließen und daher das Ermessen für den Einfluß der Grundrechte entscheidend sein, wenn der unbestimmte Rechtsbegriff das Ermessen in Umfang und Inhalt bestimmt und zwischen beiden eine unauflösbare Verbindung besteht. Würden in diesem Fall die entscheidenden Erwägungen vollumfänglich in den unbestimmten Rechtsbegriff einfließen, finde keine Ermessensentscheidung mehr statt und die Entscheidung sei justiziabel ohne jeden Entscheidungsfreiraum der Behörde. In einem solchen Fall sei dem Willen des Gesetzgebers, der eine gerichtlich nicht voll zu überprüfende Ermessensentscheidung der Behörde vorgesehen habe, Geltung zu verschaffen, indem eine einheitliche Ermessensentscheidung getroffen werde 50. Letztere Fallkonstellation liegt bei § 21 Abs. 1 InsO nicht vor. Zunächst geht es in § 21 InsO nicht um etwaige der Behörde eingeräumte Ermessensspielräume, die nicht gerichtlich überprüft werden sollen; vielmehr geht es um eine von den Gerichten anzuwendende Vorschrift. Es liegt auch kein Fall vor, in dem eine gesetzlich vorgeschriebene Ermessensentscheidung unterlaufen werden könnte. Der Gesetzgeber hat § 21 InsO gerade nicht ausdrücklich als Ermessensvorschrift ausgestaltet, sondern diese allgemeine Regel für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen als zwingend ausgestaltet. Die Eigenschaft als Ermessensentscheidung in § 21 InsO kann sich erst nach einer Auslegung ergeben. Damit besteht keine unauflösbare Verbindung zwischen dem unbestimmten Rechtsbegriff und dem Ermessen. Der Schwerpunkt der Entscheidung über die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen liegt auf der Prüfung der ErforderlichkeiL Damit liegt der Fall vor, daß in den unbestimmten Rechtsbegriff bereits alle verfassungsrechtlichen Wertungen vollumfänglich einfließen. Ist die Anordnung der Sicherungsmaßnahme unter Berücksichtigung der einschlägigen grundrechtliehen Wertentscheidungen erforderlich, dann ist kein Raum mehr für parallele Erwägungen im Rahmen des Ermessens; das verfassungsrechtlich einzig zulässige Ergebnis ist dann bereits mit Bejahung des Tatbestandes ermittelt. Hiervon wird im Ergebnis auch im insolvenzrechtlichen Schrifttum ausgegangen, wenn es dort heißt, das Ermessen sei bei Feststellung der Erforderlichkeil einer Sicherungsmaßnahme auf Null reduziert51 . Die verfassungsrechtliche Problematik des § 21 InsO konzentriert sich also dahin, welche Eingriffe in Schuldnerische Positionen zur Massesicherung "erforderlich" sind. 50 BVerwG, Beschl. v. 19.10.1971 - GmS-OGB 3/70, BVerwGE 39, 355, 363 ff.; BSozG, Urt. v. 26.9.1972- 5 RKnU 21/70, BSozGE 34, 269, 270 f.; BVerwG, Urt. v. 5.7.1985 - BVerwG 8 C 22.83, BVerwGE 72, 1, 5; kritisch dagegen BVerwG, Urt. v. 29.9.1972- BVerwG VII C 77.70, BVerwGE 40, 353, 356 f.; BVerwG, Urt. v. 21.5.1974 - BVerwG I C 37.72, BVerwGE 45, 162, 164 ff.; BVerwG, Urt. v. 9.6.1978- BVerwG 4 C 54.75, BVerwGE 56, 71, 75. 51 So ausdrücklich etwa Haanneyer, ZlnsO 2001, 203, 205; Nerlich/Römennann! Mönning, § 21 Rn. 90.
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2. Konkretisierung der Erforderlichkeif von Sicherungsmaßnahmen Fließen in das Merkmal "erforderlich" verfassungsrechtliche Maßstäbe ein, so handelt es sich hierbei insbesondere um die Grundrechte in ihrer Wirkung als Abwehrrechte. Denn mit der Anordnung einer Sicherungsmaßnahme kommt es zu Grundrechtseingriffen52 . Dabei wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zum entscheidenden Prüfungsmaßstab. Es geht zum einen um die Verhältnismäßigkeit jedes Grundrechtseingriffs. Zum anderen geht es um die Herstellung praktischer Konkordanz bei Grundrechtskollisionen53. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen solchen Sicherungsmaßnahmen, die den Schuldner, und solchen, die die Gläubiger belasten. a) Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gegen den Schuldner Bei der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, die den Schuldner belasten, kommt es immer zu Kollisionen der verfassungsrechtlich geschützten Positionen des Schuldners und der Gläubiger; diese Positionen sind bei der Anordnung der Sicherungsmaßnahmen in einen schonenden Ausgleich zu bringen. Ziel der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen ist der Erhalt des vorhandenen Schuldnervermögens für ein zukünftig durchzuführendes Insolvenzverfahren54. Damit erfolgt die Anordnung allein zum Schutz der Gläubiger. Für die Gläubiger streiten ihre durch Art. 14 GG geschützten Positionen, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einer möglichst vollständigen Befriedigung ihrer Ansprüche zu gelangen. Die unterschiedlichen Sicherungsmaßnahmen, die gegen den Schuldner angeordnet werden können, belasten diesen in unterschiedlicher Intensität in grundrechtlich geschützten Positionen. aa) Unterschiedliche Eingriffsintensität der Sicherungsmaßnahmen Der stärkste Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen des Schuldners entsteht bei der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots. Dieses Verfügungsverbot ist ein absolutes (§§ 24 Abs. 1, 81 InsO), das zwingend mit der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung (§ 22 Abs. 1 InsO) verbunden ist55 . Damit tritt bei Verfügungen über das schuldnerische Vermögen der vorläufige Insolvenzverwalter an die Stelle des Schuldners. Das allgemeine Verfügungsverbot ist nach § 23 InsO umfas52 53 54
55
Vgl. hierzu oben § 2 C.l.2. Vgl. hierzu im einzelnen oben § 3 C.II.4. Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443 S. 115 f. Gerhardt, Kölner Schrift, Rn. 8.
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send bekannt zu machen. Mit der Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots wird dem Schuldner durch den Entzug der Verfügungsbefugnis die Nutzungsmöglichkeit seines Vermögens genommen, so daß der Schutzbereich des Art. 14 GG tangiert ist, ohne daß der vorläufige Insolvenzverwalter auf das Vermögen des Schuldners überhaupt einwirken muß56 . Weiter kann bereits durch die Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots und dessen Bekanntmachung ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 GG eintreten. Denn übt der Schuldner mit dem vom Insolvenzbeschlag betroffenen Vermögen einen Beruf aus, so kann er diesem für die Dauer des Eröffnungsverfahrens nicht wie zuvor nachgehen; weiter kann es allein durch die Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots, selbst wenn das Insolvenzverfahren später nicht eröffnet wird, zu einer derartigen Kreditschädigung des Schuldners kommen, daß dieser in seinem beruflichen Ansehen und seiner zukünftigen Berufstätigkeit bis hin zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz getroffen wird. Schließlich kommt es durch die Bekanntmachung der Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots zu einem allgemeinen gesellschaftlichen Ansehensverlust, weil der Verdacht der Insolvenz des Schuldners nach außen getragen wird. Es treten dieselben Grundrechtspositionen des Schuldners auf den Plan wie bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst, nämlich in der Regel Art. 14, 12, 2 Abs. 1 GG; hinzu können in seltenen Ausnahmefällen weitere Grundrechte treten57 . Dieselben Grundrechte sind auch bei der Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts zugunsten eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 lnsO) betroffen. Die Anordnung dieses Zustimmungsvorbehalts zugunsten des vorläufigen Insolvenzverwalters nimmt dem Schuldner auch die Verfügungsbefugnis, weil der allgemeine Zustimmungsvorbehalt gemäß § 24 Abs. I InsO wie das allgemeine Verfügungsverbot eine absolute Verfügungsbeschränkung darstellt. Über das Vermögen des Schuldners können vielmehr Schuldner und vorläufiger Insolvenzverwalter nur gemeinsam wirksam verfügen. Auch diese Verfügungsbeschränkung ist gemäß § 23 InsO bekannt zu machen. Sind in beiden Fällen auch dieselben verfassungsrechtlichen Positionen tangiert, führen die Anordnungen doch zu unterschiedlich starken Belastungen für den Schuldner. Die Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvor56 Zum Schutzbereich des Art. 14 GG vgl. die Nachweise § 3 Fn. 118. Pape weist neuerdings darauf hin, daß die Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren zu erheblichen Belastungen des Schuldners führten und zunehmend zu beobachten sei, daß bereits im Eröffnungsverfahren der vorläufige Insolvenzverwalter die Verwertung des Schuldnerischen Vermögens vornehme; vgl. Kübler/Prütting/Pape, § 34 Rn. 7 und 7 f m. w.N. 57 Vgl. dazu im einzelnen oben § 3 C.III. zu den üblichen und fernliegenden Grundrechtseingriffen.
C. Die Auswahl der Sicherungsmaßnahmen
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behalts läßt sich bezüglich aller Grundrechtseingriffe als die schwächere, schonendere Eingriffsstufe begreifen58 . Zwar ist dem Schuldner in beiden Fällen die alleinige Verfügungsmacht genommen, jedoch kann beim allgemeinen Zustimmungsvorbehalt der vorläufige Insolvenzverwalter selbst nicht ohne den Schuldner verfügen. Der Schuldner hat mithin noch Einflußmöglichkeit auf Verfügungen über sein Eigentum. Wenn an das Eigentum zugleich die Berufsausübung gebunden ist, hat der Schuldner weiter auch auf die Entwicklung seiner Berufsausübung Einfluß. Er behält den Einblick in seine Vermögensverhältnisse und in die geschäftlichen Vorgänge. Fällt ein Unternehmen des Schuldners in die Insolvenzmasse, ist der Schuldner weiter an der Geschäftsführung beteiligt59 . Der vorläufige Insolvenzverwalter ist nur internes Kontrollorgan60 . Der allgemeine Zustimmungsvorbehalt birgt insbesondere geringere Gefahren eines dauerhaften Ansehensverlusts des Schuldners61 ; dies ist vor allem für das berufliche Ansehen von erheblicher Bedeutung. Denn der Schuldner tritt nach Zustimmung des Insolvenzverwalters nach außen im Rechtsverkehr weiter in Erscheinung. Nach außen drängt sich daher der Eindruck, daß der Schuldner von der Verwaltung seines Vermögens ausgeschlossen ist, nicht mit einer solchen Deutlichkeit auf wie bei der Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots. Demgegenüber stellt das allgemeine Verfügungsverbot mit den begleitenden Anordnungen generell die stärkere Eingriffsstufe dar; im Eröffnungsverfahren besteht mit dieser Anordnung eine weitaus stärkere Gefahr dauerhafter und sogar existenzbedrohender Schäden für die verfassungsrechtlich geschützten Positionen des Schuldners. Insbesondere ist bei der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots zu beachten, daß dieses Vorwirkungen für die Belastungen des Schuldners im eröffneten Insolvenzverfahren entfalten kann. Grub hat zurecht hervorgehoben, daß mit der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots im Eröffnungsverfahren die Wahrscheinlichkeit, daß im eröffneten Verfahren eine Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) angeordnet werden kann, erheblich erschwert werde. Wenn dagegen Pohlmann die Einbeziehung einer zukünftig möglichen Eigenverwaltung in die Auswahl der Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren kritisiert, weil es im Eröffnungsverfahren allein um das Ziel der Massesicherung gehe und die Entscheidung über die Eigenverwaltung nicht antizipiert werden dürfe62, ist dem zu widersprechen. Zwar geht es bei der Anordnung 58 So auch Bork, ZIP 1999, 781, 784 f.; Kießling/Singhof, DZWiR 2000, 353, 356; Mankowski, NZI 2000, 572. 59 Bork, ZIP 1999, 781, 784. 60 Bork, ZIP 1999, 781, 784; Nerlich/Römermann/Mönning, § 21 Rn. 94. 61 Vgl. hierzu auch Gerhardt, Kölner Schrift, Rn. 14; HK2/Kirchhof, § 21 Rn. 13; Mankowski, NZI 2000, 572; Weisemann!Smid/Steder, Kap. 7 Rn. 15. 62 Pohlmann, Rn. 35.
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§ 4 Sicherungsmaßnamen im Insolvenzverfahren
von Sicherungsmaßnahmen allein um das Ziel der Massesicherung. Dennoch spielt die Möglichkeit der Anordnung der Eigenverwaltung im Rahmen der bei der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen zu berücksichtigenden Schuldnerbelange eine Rolle. In die Auswahl der erforderlichen Sicherungsmaßnahmen sind alle Eingriffe in grundrechtlich geschützte Positionen des Schuldners einzubeziehen. Wird die Anordnung der Eigenverwaltung bereits durch die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren praktisch erschwert oder gar unmöglich, sind auch diese zukünftigen Belastungen des Schuldners bereits in die Auswahl der erforderlichen Sicherungsmaßnahme einzubeziehen. Hier bietet sich die Figur der Grundrechtsgefährdung an. Allgemein anerkannt ist, daß bereits Grundrechtsgefährdungen die Grundrechte in ihrer Funktion als Abwehrrechte eingreifen lassen. Gefordert wird in diesem Fall, daß die Gefahr eines Eingriffs in den grundrechtliehen Schutzbereich bereits in ihrer Intensität dem Eingriff selbst nahe kommt63 . Dies ist bei der Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots der Fall, weil es die Möglichkeit der Eigenverwaltung zumindest stark erschweren kann. Unerheblich ist für diese Beurteilung, daß die Eigenverwaltung einen Ausnahmefall64 im eröffneten Verfahren darstellt. Im eröffneten Insolvenzverfahren stellt die Anordnung der Eigenverwaltung eine besonders schonende Möglichkeit der Verfahrensabwicklung dar. Dem Schuldner wird ein Sachwalter zur Seite gestellt, der die Handlungen des Schuldners - allgemein umschrieben - zum Teil überwacht; zum Teil kann die Zustimmung des Sachwalters bei der Eingebung von Rechtsgeschäften erforderlich sein. Offensichtlich ist, daß hierdurch die grundrechtlich geschützten Positionen des Schuldners weniger intensiv betroffen werden, als dies im Rahmen der Durchführung des Insolvenzverfahrens sonst der Fall ist. Die Auswirkungen der Eigenverwaltung auf die grundrechtlich geschützten Positionen des Schuldners sind mit denen des Zustimmungsvorbehalts im Eröffnungsverfahren nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 lnsO vergleichbar. Der Schuldner behält damit den Einblick in seine Vermögensverhältnisse, kann teilweise Verfügungen selbst vornehmen und hat sogar bei einem Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Sachwalters zumindest selbst Einfluß auf sein Vermögen. Wenn zugleich die Berufsausübung des Schuldners betroffen ist, verbleibt ihm diese mit Einschränkungen; schließlich wird das Ansehen des Schuldners nicht so beeinträchtigt, wie dies sonst bei der Durchführung des Insolvenzverfahrens der Fall ist65 . Diese den Schuldner entlastende Möglichkeit im eröffneten InsolvenzverVgl. im einzelnen § 3 Fn. 195. Vgl. hierzu Begründung RegE, BT-Drucks. 1212443 S. 222 und Begründung Rechtsausschuß, BT-Drucks. 1217302 S. 185. 65 Zur Grundrechtsbetroffenheit bei Durchführung eines Insolvenzverfahrens vgl. oben § 3 C.III. 63
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fahren besteht nach Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots mit gleichzeitiger vorläufiger Insolvenzverwaltung in der Regel nicht mehr, weil der Schuldner während des Eröffnungsverfahrens den Überblick über sein Vermögen verliert. Voraussetzung für die Anordnung der Eigenverwaltung ist nach § 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO, daß keine Verzögerung des Verfahrens eintritt. Diese Gefahr besteht aber gerade dann, wenn der Schuldner nach einem allgemeinen Verfügungsverbot den Überblick über sein Vermögen erst wieder gewinnen und sich einarbeiten muß. Zu noch weniger Belastungen der genannten grundrechtliehen Positionen des Schuldners im Eröffnungsverfahren führen solche Anordnungen, die nicht eine allgemeine Verfügungsbeschränkung der §§ 21 Abs. 2 Nr. 2, 24 Abs. 1 InsO und die damit verbundene Bekanntmachung (§ 23 InsO) zur Folge haben. In der Praxis sind insbesondere separate Verfügungsverbote über besonders gefahrdete Vermögensgegenstände geläufig, so beispielsweise eine Sperre der Konten des Schuldners66 . Das spezielle Verfügungsverbot ist auf § 21 Abs. 1 InsO zu stützen; dies stellt lediglich ein relatives Verfügungsverbot dar67 . Selbst wenn über einen Großteil des schuldnerischen Vermögens ein spezielles Verfügungsverbot verhängt wird, ist dieses für den Schuldner weit weniger belastend als ein allgemeines, und zwar vor allem deshalb, weil es nicht bekannt gemacht wird. Anstatt einen vorläufigen Insolvenzverwalter zu bestellen, wird in der Praxis weiter vielfach ein Gutachtenauftrag zur Feststellung des vorhandenen Schuldnervermögens oder der weiteren Voraussetzungen zur Verfahrenseröffnung (§ 22 Abs. 1 Nr. 3 InsO) erteilt68 . Schließlich kann sogar auf jedwede Sicherungsmaßnahme gegenüber masseschädlichen Handlungen des Schuldners verzichtet und lediglich ein Gutachter bestellt werden69 . Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die alleinige Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 22 Abs. 2 InsO darin besteht, die Kostendeckung nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu überprüfen. Weiter kann im Eröffnungsverfahren auch dann ein Sachverständiger nach § 5 InsO bestellt werden, wenn es dem Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren allein auf Ermittlungen zu den Voraussetzungen der Insolvenzeröffnung ankommt. Letzterem stehen zwar als solchem keine Eingriffsbefugnisse zu, das Insolvenzgericht kann diesem aber Befugnisse eines vorläufigen Insolvenzverwalters verleihen, so z. B. AusHäsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.36. Vgl. nur Gerhardt, Kölner Schrift, Rn. 16 f.; Nerlich!Römermann!Mönning, § 21 Rn. 61 f. 68 Haarmeyer!Wutzke/Förster, InsO, Kap. 3 Rn. 194; Haarmeyer, ZlnsO 2001, 203, 206, weist neuerdings darauf hin, daß der Gutachtenauftrag immer noch vernachlässigt werde. 69 Zu den unterschiedlichen Gutachtern im Eröffnungsverfahren vgl. Smid, DZWiR 1999, 104, 106 f. 66 67
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kunfts- und Einsichtsrechte sowie Befugnisse zum Betreten von Geschäftsräumen70. bb) Einwirkung der Grundrechte auf die Auswahl der Anordnungen Anband dieser wenigen Beispiele aller denkbaren Anordnungen von Sicherungsmaßnahmen wird deutlich, daß im Insolvenzeröffnungsverfahren durch die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen in den Schutzbereich verschiedener Grundrechte unterschiedlich stark eingegriffen wird. Jeder Eingriff in den Schutzbereich von Grundrechten muß aber dem Gebot der Verhältnismäßigkeit genügen. Dies gilt in dieser Allgemeinheit für alle Grundrechte, losgelöst von der konkreten Schranke im Einzelfall; weil es zudem um eine Kollision mit den Grundrechten der Gläubiger geht, sind die kollidierenden Positionen in einen schonenden Ausgleich zu bringen71 . Insoweit ist den allgemeinen Ausführungen in Rechtsprechung und Literatur zuzustimmen. Jedoch kann bei diesen allgemeinen Ausführungen nicht stehengeblieben werden. Durch eine umfassende Güterahwägung ist ein schonender Ausgleich der gegenläufigen Schuldner- und Gläubigerbelange herzustellen. Der Richter muß in jedem Einzelfall die betroffenen Grundrechtspositionen feststellen und die geeigneten Sicherungsmaßnahmen auswählen und kombinieren72 . Dabei muß er zwar berücksichtigen, daß das sicherste Mittel zum Masseerhalt die Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots und der vorläufigen Insolvenzverwaltung nach § 22 Abs. 1 InsO darstellt, weil hierdurch das gesamte Vermögen vor Verfügungen und sonstigen Einwirkungen des Schuldners geschützt ist. Er muß jedoch weiter prüfen, inwieweit den Gläubigem im konkreten Fall die Gefahr einer Verringerung der Masse zuzumuten ist mit dem Ziel, den Schuldner weniger belastenden Sicherungsmaßnahmen auszusetzen. Hierbei ist vor allem zu prüfen, ob die Massesicherung auf einzelne, für die Gläubiger im wesentlichen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens interessante Vermögensgegenstände be70 Vgl. zur Stellung des Sachverständigen nach § 5 InsO, insbesondere der Einräumung weiterer Rechte sowie zur Kombination mit Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren Wessel, DZWiR 1999, 230, 231 ff. 71 Vgl. oben § 3 C.II.4. 72 Das OLG Celle geht in seinem Beschluß vom 24.1.2001 - 2 W 124/00, NZI 2001, 143, 144 f. davon aus, daß die Anordnung einer Postsperre in keinem Fall mit der Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts kombiniert werden könne, weil Voraussetzung für die Postsperre sei, daß der Schuldner die Heimlichkeit des Postverkehrs dafür nutze, Masse beiseite zu schaffen; der Zustimmungsvorbehalt hingegen spreche gerade dafür, daß vom Schuldner keine Verdunkelungshandlungen erwartet würden. Diese Anordnungen widersprächen sich daher und verstießen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
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grenzt werden kann; weiter ist die Gefahr masseschädigenden Verhaltens des Schuldners abzuschätzen. Ein Schwerpunkt der gegenseitigen Abwägung der betroffenen grundrechtlichen Postulate liegt in der Beurteilung, ob nach außen sichtbare Sicherungsmaßnahmen, die zu erheblichen Belastungen des Schuldners führen, im Interesse der Gläubigersicherung anzuordnen sind. In der Literatur wird zutreffend darauf hingewiesen, daß die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gerade dann zu einer nicht hinnehmbaren Kreditschädigung führen könne, die den Schuldner stark belaste, wenn sich der Insolvenzantrag als unbegründet erweise73 . Damit fließt in die Güterahwägung auch die Frage ein, wie wahrscheinlich nach der Aktenlage die Insolvenzverfahrenseröffnung ist, die ja durch ihre vielfältigen Auswirkungen auf die Rechtsstellung des Schuldners ohnehin zu einem Ansehensverlust führt74. Besondere Vorsicht ist angezeigt, wenn ein Gläubigerantrag vorliegt und die Begründetheit des Insolvenzantrags und daher die Eröffnung des Insolvenzverfahrens derzeit zweifelhaft erscheinen. Schmerbach75 bezweifelt zwar, daß der Schuldner durch die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots einen Ansehensverlust erleide. Danach trete beim Schuldner bereits durch die Zahlungsverzögerungen und die erfolglosen Zwangsvollstrekkungsmaßnahmen ein Ansehensverlust ein, so daß auch die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots keinen weiteren Schaden anrichte. Gegen diese Ansicht spricht zunächst, daß bei einem Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) die Fruchtlosigkeit der Zwangsvollstreckung nur ein Indiz für das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit ist, nicht aber zwingend eine erfolglose Zwangsvollstreckungsmaßnahme vorausgegangen sein muß76, so daß nicht zwingend insoweit bereits ein Ansehensverlust eingetreten sein muß; weiter kann der Insolvenzantrag bei einer juri73 Haarmeyer!Wutzke/Förster, InsO, Kap. 3 Rn. 194; Kilger, Festschrift KO, 189, 194; Koch, S. 45; Nerlich/Römemumn/Mönning, § 21 Rn. 69; Vallender, DZWiR 1999, 265, 269. 74 Vgl. oben § 3 C.III.l.b) und c); ähnlich wohl auch Nerlich/Römermann/Mönning, § 21 Rn. 68 f., der eine Güterahwägung und Beachtung des Schuldnerischen Rufs insbesondere dann verlangt, wenn der Schuldner die Gläubigerforderung oder das Vorliegen des Insolvenzgrunds bestreitet. 75 FK2/Schmerbach, § 21 Rn. 29. Diese Ansicht hat Schmerbach auch nicht deshalb aufgegeben, weil er neuerdings die Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts dem allgemeinen Verfügungsverbot vorzieht. Denn er rät von der Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots nur deshalb ab, weil durch die Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots angesichts von § 55 Abs. 2 InsO eine stärkere Auszehrung der Masse erfolgt und dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Haftung droht (vgl. dazu im einzelnen oben § 4 C.l.), nicht aber wegen der Belastungen für den Schuldner. Ähnlich auch Kleiner, S. 174 f. 76 Kübler/Prütting/Pape, § 14 Rn. 9 f.; Nerlich/Römermann/Mönning, § 14 Rn. 39 ff. 11 Lepa
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§ 4 Sicherungsmaßnamen im Insolvenzverfahren
stischen Person auch auf Überschuldung (§ 18 InsO) gestützt sein; Zahlungsschwierigkeiten des Schuldners müssen also nicht zwingend vorausgegangen sein. Entscheidend ist aber, daß der Ansehensverlust, zu dem die Anordnungen eines allgemeinen Verfügungsverbots und - abgemildert auch eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts führen, nicht mit dem zu vergleichen ist, der mit Zahlungsverzögerungen und erfolglosen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen - mögen diese sich auch "herumsprechen" - verbunden ist. Die Bekanntmachung von Sicherungsmaßnahmen im Insolvenzeröffnungsverfahren nach § 23 InsO und die Ersetzung des Schuldners durch den vorläufigen Insolvenzverwalter wird einem größeren Personenkreis weitaus nachhaltiger bekannt. Weiter ist bei der Güterahwägung immer zu berücksichtigen, daß ein allgemeines Verfügungsverbot nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO die Gefahr in sich birgt, daß im eröffneten Insolvenzverfahren keine Anordnung der Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO mehr möglich sein wird. Damit besteht entgegen Teilen der Literatur aus verfassungsrechtlichen Gründen jedenfalls kein Vorrang zugunsten der stärksten Sicherungsmaßnahme, dem allgemeinen Verfügungsverbot Es besteht aber gleichfalls kein Vorrang zugunsten der mildesten denkbaren Sicherungsmaßnahme. Der Richter muß sich bei seiner Entscheidung über die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen des gesamten abgestuften Systems der Sicherungsmaßnahmen bewußt sein. Es läßt sich keine feste Rangfolge der anzuordnenden Sicherungsmaßnahmen feststellen. Zwar liegt es insbesondere nahe, die Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts anstelle der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots stets als das mildere Mittel anzusehen, das daher zunächst anzuordnen ist. Eine solche Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts birgt aber durchaus auch Gefahren für den mit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen erstrebten Masseerhalt zugunsten der Gläubiger in sich. Denn es besteht die Gefahr, daß der Schuldner, der weiter Zugang zu seinem Vermögen hat, ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters hierüber verfügt; weiter kann der Schuldner den vorläufigen Insolvenzverwalter durch überlegenes Wissen zu Zustimmungen veranlassen, deren Wirkungen dem vorläufigen Insolvenzverwalter nicht vollumfänglich bekannt sind77 . Auch wird in der Literatur die Vermutung geäußert, daß eine Betriebsfortführung durch die Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts erschwert werde, weil den Geschäftspartnern die Orientierung über die Zuständigkeiten im schuldneri77 Gerhardt, Kölner Schrift, Rn. 14 m. w. N.; Nerlich/Römermann/Mönning, § 21 Rn. 94. A.A. Uhlenbruck, NZI 2000, 289, 291, der keine Gefahr einer Schmälerung des Vermögens durch den Schuldner sieht, weil der zustimmungsbefugte vorläufige Insolvenzverwalter einer allgemeinen Sicherungs- und Erhaltungspflicht unterliege und daher auf das Handeln des Schuldners achte.
C. Die Auswahl der Sicherungsmaßnahmen
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sehen Betrieb fehle und diese daher von einer Zusammenarbeit absähen78 . Sowohl dem Masseerhalt als auch dem Erhalt der Schuldnerexistenz kann daher in einem solchen Fall nicht mit der Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts oder gar nur spezieller Verfügungsbeschränkungen gedient sein. Allerdings kann man nicht so weit gehen, bei Untemehmensinsolvenzen grundsätzlich die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots vorzuziehen; im Einzelfall kann durchaus eine Betriebsfortführung auch mit einem allgemeinen Zustimmungsvorbehalt oder gar einer speziellen Verfügungsbeschränkung erfolgversprechend sein79 . Fließt danach in die Beurteilung der Erforderlichkeit der Sicherungsmaßnahmen und insbesondere zur Herstellung praktischer Konkordanz eine Güterahwägung zwischen grundrechtlich geschützten Gläubiger- und Schuldnerinteressen ein, so darf die Bedeutung des Verfassungsrechts bei der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen andererseits auch nicht überbewertet werden. Der Hinweis auf den Verhältnismäßigkeilsgrundsatz kann sich als voreiliges Argument erweisen. Vielfach läßt sich nämlich bereits auf einfachrechtlicher Ebene klären, daß bestimmte Aspekte keinen Einfluß auf die Anordnung der Sicherungsmaßnahmen gewinnen dürfen, weil sie bereits nach der einfachrechtlichen Vorgabe nicht erforderlich zum Masseerhalt sind. Danach dürfen - entgegen Überlegungen aus der Praxis - Erwägungen der Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters keinen Einfluß auf die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gewinnen, weil es sich hierbei nicht um Fragen des Masseschutzes handelt80. Weiter ist auch Pape 81 entgegenzutreten, der die Kommentierung dessen, was zur Massesicherung erforderlich ist, allgemein unter die Überschrift der Verhältnismäßigkeit stellt. Danach soll die Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung beispielsweise dann unverhältnismäßig sein, wenn der Schuldner seinen Geschäftsbetrieb eingestellt hat oder es um ein Verbraucherinsolvenzverfahren geht. In diesen Fällen ist aber die Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung bereits nach dem einfachen Recht nicht erforderlich, ohne daß verfassungsrechtliche Erwägungen in die Auslegung und Anwendung des Merkmals der Erforderlichkelt einfließen. Verfassungsrechtliche Erwägungen der Herstellung praktischer Konkordanz haben erst dann einen über das einfache Recht hinausgehenden Aussagegehalt, wenn eine Sicherungsmaßnahme aufgrund der wirtschaftlichen Gegebenheiten zum Masseerhalt grundsätzlich erforderlich erscheint; dann ist anband der beschriebenen Güterahwägung zu untersuchen, ob eine Schonung des Nerlich!Römenru:mn/Mönning, § 21 Rn. 95. Zur Gegenansicht vgl. oben § 4 Fn. 33; ebenso auch Hauser/Hawelka, ZIP 1998, 1261, 1264. 8° Vgl. hierzu § 4 Fn. 42. 81 Kübler!Prütting/Pape, § 21 Rn. 8. 78
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Schuldners ohne wesentlichen Verlust der Sicherungsinteressen der Gläubiger möglich ist. Als untauglich erweisen sich damit weiter die Vorschläge von Schlosser82. Zwar sind die Bemühungen um eine differenzierte Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Insolvenzeröffnungsverfahren je nach den Bedürfnissen im Einzelfall zu begrüßen. Nicht ersichtlich ist jedoch, warum bei einem Gläubigerantrag immer eine - eben doch routinemäßige - Anordnung der gravierendsten Sicherungsmaßnahmen, des allgemeinen Verfügungsverbots mit vorläufiger Insolvenzverwaltung sowie des allgemeinen Vollstreckungsverbots, angezeigt sein soll. Die Differenzierung nach Gläubiger- oder Schuldnerantrag wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Entscheidung über die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nicht gerecht. Hierdurch wird der Blick für die Gegebenheiten des Einzelfalles versperrt. Ob ein Gläubiger- oder Schuldnerantrag vorliegt, vermag allenfalls ein Indiz für das Vorliegen und die Überwindung der Krise zu sein83 . Damit ist aber noch kein Anhaltspunkt für die Vertrauenswürdigkeit in Hinblick auf masseschädigende Handlungen und die Kooperationsbereitschaft des Schuldners erlangt84. Gerade angesichts der Möglichkeit der Restschuldbefreiung ist davon auszugehen, daß für einen Eigenantrag des Schuldners eine gewisse Bereitschaft besteht. b) Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gegen die Gläubiger Bisher ging es um die Anordnung von den Schuldner belastenden Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren; weniger Beachtung findet in der insolvenzrechtlichen Literatur zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen die verfassungsrechtliche Betrachtung solcher Sicherungsmaßnahmen, die die Gläubiger in ihren durch Art. 14 GG geschützten Positionen belasten, namentlich das Vollstreckungsverbot des § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO. Dieses Verbot führt zu einer starken Belastung für die Gläubiger85 , die aus einem vollstreckbaren Titel keine Befriedigung erlangen können. Ihre Rechtsposition aus Art. 14 GG wird durch die entfallende Vollstreckbarkeit eingeschränkt86. Daß die Anordnung eines Vollstreckungsverbots zum Zweck des Masseerhalts eine verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung i. S. v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG darstellt, solange die Interessenlage der 82 83 84
V gl. oben § 4 C.l. So bereits Gerhardt, Kölner Schrift, Rn. 25. So auch Haarmeyer, ZlnsO 2001 , 203, 206; Pohlmann, Rn. 33; anders LG
Halle, Beschl. v. 18. 12. 1992- 2 T 97/92, ZIP 1993, 152, 153. 85 Gerhardt, Festschrift KO, 111, 123; Vallender, ZIP 1997, 1993, 1996. 86 So auch Vallender, ZIP 1997, 1993, 1996.
D. Begründungspflicht
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betroffenen Gläubiger in die Frage der Anordnung eingeflossen ist, ist nicht zu bezweifeln. Problematisch kann aber eine differenzierte Anordnung eines Vollstrekkungsverbots unter dem Aspekt des Art. 3 Abs. 1 GG sein. In § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO wird die Anordnung eines Vollstreckungsverbots dergestalt ermöglicht, daß Zwangsvollstreckungsmaßnahmen untersagt oder einstweilig eingestellt werden. Dieses Vollstreckungsverbot ist nach dem Gesetzeswortlaut kein allgemeines, zwingend gegen alle Gläubiger anzuordnendes; denkbar ist die Einstellung oder Untersagung der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzelner Gläubiger. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem das eröffnete Insolvenzverfahren beherrschenden Grundsatz der par condicio creditorum, weil dieser im Insolvenzeröffnungsverfahren noch nicht gilt87 . Die Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren werden allein zum Zweck der Massesicherung angeordnet. Damit ist die Verhängung eines Vollstreckungsverbots gegen einzelne Gläubiger denkbar. Sie steht aber unter erhöhtem Rechtfertigungszwang. Denn jede Vollstreckung, auch die von geringen Forderungen, schmälert die vorhandene Masse und läuft damit dem Sicherungszweck zuwider. Werden nur einzelne Gläubiger durch ein Vollstreckungsverbot zugunsten der Gesamtheit der Gläubiger belastet, so bedarf es hierfür eines triftigen Grundes. Verhängt daher das Insolvenzgericht ein differenziertes Vollstreckungsverbot gegen einzelne Gläubiger, ist dieses an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Für die Anwendung in der Praxis ist daher zu erwarten, daß ein differenziertes Vollstreckungsverbot die Ausnahme bleibt. D. Begründungspflicht
Die auf dem Spiel stehenden grundrechtliehen Positionen haben nicht nur Auswirkungen auf die Auswahl der Sicherungsmaßnahmen, sondern auch auf die Abfassung der Entscheidung der lnsolvenzgerichts. Es besteht für das Insolvenzgericht die verfassungsrechtliche Pflicht, den Beschluß über die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen zu begründen. Dies erstaunt auf den ersten Blick; werden doch nicht rechtsmittelfahige Beschlüsse grundsätzlich für verfassungsrechtlich nicht begründungspflichtig gehalten88 . Bei der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen handelt es sich um einen in der Regel nicht rechtsmittelfahigen Beschluß89 . Dies ergibt sich aus der RegeGerhardt, Festschrift KO, 111, 123; a. A. Smid/Smid, GesO, § 2 Rn. 194. So allgemein BVerfG, Beschl. v. 28.2.1979- 2 BvR 84/79, BVerfGE 50, 287, 289 f. m.w.N.; BVerfG, Kammerbeschl. v. 23.8.1988-2 BvR 911/88, NJW 1989, 145. 89 Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze, BRat-Drucks. 14/01 S. 4 (Art. 1 Nr. 4), sieht vor, in § 21 87 88
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§ 4 Sicherungsmaßnamen im Insolvenzverfahren
lung in §§ 6, 34 InsO. Danach werden nur dann im Insolvenzverfahren Rechtsmittel gewährt, wenn dies die lnsO vorsieht; für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen durch das Insolvenzgericht findet sich gerade keine derartige Regelung. Eine Ausnahme stellen lediglich §§ 21 Abs. 3 Satz 3, 98 Abs. 3 und §§ 21 Abs. 2 Nr. 4, 99 Abs. 3 Satz 1 InsO dar, nach denen eine Beschwerde bei Anordnung von Haft bzw. einer Postsperre statthaft ist90. Daß nicht rechtsmittelnihige Beschlüsse nicht begründungspflichtig sind, wird damit erklärt, daß das Gericht unter dem Aspekt der Gewährung rechtlichen Gehörs keiner verfassungsrechtlichen Pflicht zur Begründung unterliege91 . Lediglich eine Ausnahme - bei der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen ersichtlich nicht vorliegend - wird genannt: Das Willkürverbot führt bei nicht rechtsmittelfahigen Beschlüssen dann zu einer Begründungspflicht, wenn das Gericht vom eindeutigen Wortlaut einer Vorschrift abweicht und dies sich nicht ersichtlich aus den Besonderheiten des Falles ergibt92. Mit diesem Ausnahmefall ist aber die Begründungspflicht von nicht rechtsmittelfähigen Beschlüssen gerade noch nicht erschöpfend betrachtet. Abs. 1 InsO anzufügen, daß dem Schuldner gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen die sofortige Beschwerde zusteht. Begründet wird dies damit, daß in der Literatur der Rechtsmittelausschluß bei der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen auf heftige Kritik gestoßen sei und dabei auch verfassungsrechtliche Argumente ins Feld geführt worden seien. In seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf hat der Bundesrat vorgeschlagen, allgemein - also auch für die Gläubiger ein Rechtsmittel gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen vorzusehen. Hiergegen wendet sich die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung, BT-Drucks. 14/5680, S. 40 mit der Begründung, daß ein Rechtsmittelausschluß der Beschleunigung des Verfahrens diene und Rechtsmittel nur in zwingend gebotenen Fällen vorgesehen werden sollten. Die Gläubiger würden aber durch die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen weitaus weniger belastet als der Schuldner, der durch Sicherungsmaßnahmen fast vollständig von der Herrschaft über sein Vermögen ausgeschlossen werden könne. Vgl. zur Frage, ob gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen ein Rechtsmittel statthaft sein soll, auch schon den Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Insolvenzrecht" zur 71. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 24. und 25. Mai 2000 in Potsdam, die empfehlen, im Fall der Anordnung von vorläufigen Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 InsO ein Rechtsmittel vorzusehen (NZI 2000, 303, 304). 90 Vgl. für die Postsperre OLG Köln, Beschl. v. 26.1.2000 - 2 W 226/99, ZIP 2000, 1221, 1222. 91 MünchKomm-ZPO/Musielak, § 329 Rn. 4 m. w.N.; Zöller/Vollkommer, § 329 Rn. 24; vgl. aber auch BVerfG, Beschl. v. 14.11.1989- 1 BvR 956/89, BVerfGE 81, 97, 106. 92 BVerfG, Beschl. v. 5.11.1985 - 2 BvR 1434/83, BVerfGE 71, 122, 135 f. ; BVerfG, Kammerbeschl. v. 8.12.1992 - 1 BvR 326/89, NJW 1994, 574; BVerfG, Kamrnerbeschl. v. 24.2.1993 - 2 BvR 1959/92, NJW 1993, 1909; BVerfG, Kammerbeschl. v. 4.4.1998 - 1 BvR 968/97, NJW 1998, 3484 f.; im Ergebnis ebenso auch BVerfG, Beschl. v. 14.11.1989- 1 BvR 956/89, BVerfGE 81, 97, 106.
E. Rechtsmittel
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Denn aus den Grundrechten selbst kann sich gerade bei nicht rechtsmittelfähigen Beschlüssen eine Begründungspflicht ergeben; damit ist erneut die verfahrensrechtliche Dimension der betroffenen Grundrechte thematisiert93 . Das Bundesverfassungsgericht fordert zu Recht die Begründung eines Beschlusses auch bei Ausschluß eines Rechtsmittels dann, wenn durch den Beschluß die Grundrechte des Betroffenen in besonders gravierender Weise berührt sind. So sei die Begründung durch den anordnenden Richter gerade dann geboten, weil dies zu den verfahrensrechtlichen Sicherheiten zur Vermeidung unumkehrbarer Fehlurteile gehöre, die für einen verfassungsgemäßen Rechtsmittelausschluß zu fordern seien. Tragend ist für das Bundesverfassungsgericht dabei der Gedanke, daß die Gewähr für die materielle Richtigkeit einer Entscheidung verstärkt wird, wenn sich der Richter selbst über die tragenden Gründe Rechenschaft ablegt94. Insbesondere sollen die in jedem Einzelfall betroffenen Grundrechte zu benennen sein95 . Damit unterliege der Richter einem gesteigerten Rechtfertigungszwang und die Darlegung der den Beschluß tragenden Gründe erfülle eine Kontrollfunktion. Allerdings besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kein Anspruch darauf, daß sich das Gericht in seiner Begründung auch mit abwegigen Rechtsauffassungen einer Partei auseinandersetzt96• Diese Rechtsprechung hat in der Literatur weitgehend Zustimmung erfahren. So wird gleichfalls ausgeführt, daß sich eine Begründungspflicht auch bei nicht rechtsmittelfähigen Entscheidungen aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben könne, vor allem dann, wenn durch den Beschluß in die Rechte eines Beteiligten eingegriffen werde97 . E. Rechtsmittel I. Meinungsstand
Gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Insolvenzeröffnungsverfahren ist - abgesehen von §§ 21 Abs. 3, 98 Abs. 3 Satz 3 InsO und§§ 21 Abs. 2 Nr. 4, 99 Abs. 3 InsO- kein Rechtsmittel gegeben(§§ 6, 93 Vgl. allgemein zur verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte oben § 2 C.l.l. 94 BVerfG, Beschl. v. 12.7.1983 - 1 BvR 1470/82, BVerfGE 65, 76, 96; BVerfG, Beschl. v. 11.12.1985- 2 BvR 361, 449/83, BVerfGE 71 , 276, 293. 95 Zum Erfordernis der Beachtung vor Anordnung der Sicherungsmaßnahmen vgl. oben § 4 C.II.2. 96 BVerfG, Kamrnerbeschl. v. 23.12.1996- 2 BvR 673/96 u.a., NJW 1997, 1433. 97 Brüggemann, S. 123 ff.; Stein/Jonas/Roth, § 329 Rn. 8; im Ergebnis ebenso Lücke, Begründungszwang, S. 58 ff., der dies aus Art. 19 Abs. 4 GG herleitet; einschränkend wohl MünchKomm-ZPO/Musielak, § 329 Rn. 4; ders., in: Musielak, § 329 Rn. 5.
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§ 4 Sicherungsmaßnamen im Insolvenzverfahren
34 Ins0)98 . Diese weitgehende Beschneidung des Beschwerderechts stellt eine Änderung zur KO dar, denn dort war gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen die sofortige Beschwerde statthaft (§ 73 K0)99 ; gleiches galt nach § 20 GesO. In der VglO hingegen war mangels ausdrücklicher Regelung seit jeher kein Rechtsmittel gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach §§ 11 ff. VglO statthaft(§ 121 VglO). 1. Verfassungsmäßigkeit des Rechtsmittelausschlusses Zur InsO wird weitgehend angenommen, daß der Rechtsmittelausschluß keinen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt ist. So verweisen Uhlenbruck und Vallender auf den Eilcharakter der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen. Jede Verzögerung des Verfahrens könne dazu führen, daß eine aussichtsreiche Sanierung zum Scheitern verurteilt werde 100. Uhlenbruck ergänzt, daß die Möglichkeit des Antrags nach § 25 InsO dem Schuldner hinreichend Sicherheit gewähre 101 , und nach Vallender kann den Mißbrauchsmöglichkeiten, die das Insolvenzeröffnungsverfahren bietet, durch eine erhöhte Aufsichtspflicht begegnet werden 102. Gerhardt führt als Begründung an, daß keine Pflicht des Gesetzgebers zur Einrichtung eines Instanzenzugs bestehe. Weiter gebiete der Zweck der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen- der Erhalt der u. U. zukünftigen Insolvenzmasse -, daß diese nicht anfechtbar sei; er verweist weiter auf die Vorläufigkeit der Sicherungsmaßnahmen 103 . Mönning ist im Anschluß an Gerhardt der Ansicht, daß die Grundrechte des Schuldners - er nennt Art. 2, 12 und 14 GG - durch die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nicht berührt seien, auch wenn Sicherungsmaßnahmen substantiell in geschützte Rechts- und Vermögenspositionen eingriffen. Die Abschaffung der sofortigen Beschwerde gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen könne daher aufgrund des damit bezweckten Sicherungszwecks hingenommen werden. 98 So ausdrücklich in neuester Zeit etwa OLG Köln, Beschl. v. 3.1.2000- 2 W 224/99, ZIP 2000, 552, 553, das auch eine konkludente Beschwerde gegen die mit der Anordnung der Sicherungsmaßnahmen verbundene Zulassung des Insolvenzantrags ablehnt. Vgl. hierzu auch § 4 Fn. 89. 99 So ausdrücklich zur Handhabung gerade gegen die Anordnun§ der Sicherungsmaßnahmen im Konkurseröffnungsverfahren Jaeger/Weber, KO , § 106 Rn. 2; Kuhn/Uhlenbruck, § 106 Rn. 30m. w.N. 100 Uhlenbruck, Kölner Schrift, Rn. 11; Vallender, ZIP 1997, 1993, 1998. 101 Uhlenbruck, Kölner Schrift, Rn. 11. 102 Vallender, DZWiR 1999, 265, 268 unter Hinweis auf Smid, Grundzüge, § 9 Rn. 56, der dagegen Rechtsmittel für die Eindämmung des Mißbrauchs für unverzichtbar hä1t. 103 Gerhardt, Kölner Schrift, Rn. 34; vgl. auch Nerlich/Römermann!Becker, § 6 Rn. 30, der darauf hinweist, daß sich ein Instanzenzug nicht aus Art. 19 Abs. 4 GG herleiten lasse.
E. Rechtsmittel
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Gleiches gelte auch für die Gläubiger, die von einem Vollstreckungsverbot betroffen seien 104. 2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Rechtsmittelausschluß
In der Literatur wird aber auch vereinzelt an dem weitgehenden Rechtsmittelausschluß bei der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren Kritik geübt und dieser für verfassungsrechtlich bedenklich gehalten 105 . Zum einen werden Zweifel an den gesetzgebefischen Zielen des weitgehenden Rechtsmittelausschlusses geäußert. Nach Pohlmann 106 rechtfertigt bereits der Zweck des Rechtsmittelausschlusses diesen nicht. Der Gesetzgeber bezwecke mit dem Rechtsmittelausschluß, das Insolvenzeröffnungsverfahren zügig durchzuführen. Für diesen Beschleunigungseffekt sei aber nicht ein Rechtsmittelausschluß erforderlich. Denn als Rechtsmittel komme die sofortige Beschwerde in Betracht. Diese habe nach § 572 Abs. 1 ZPO, § 4 lnsO ohnehin keine aufschiebende Wirkung. Es wäre allenfalls eine Aussetzung der Vollziehung des Sicherungsbeschlusses nach § 572 Abs. 2, 3 ZPO zu erwägen. Diese würde aber lediglich dazu führen, daß dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Fortführungsbefugnis für den Schuldnerischen Betrieb nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lnsO genommen würde und es vielfach zur Stillegung des Betriebes kommen müsse. Denn der Entzug der Verfügungsbefugnis des Schuldners würde von der Aussetzung der Vollziehung nicht erfaßt, weil dieser Entzug gesetzlich eintrete und damit keines Vollzugsakts bedürfe. Daher komme es auch nicht in Betracht, daß der vorläufige Insolvenzverwalter dem Schuldner die Betriebsfortführung gestatte mit dem Ziel, daß dadurch ein Verfügungsbefugter existieren würde und eine Betriebsstillegong vermieden werden könne. Angesichts der daher mit der Aussetzung der Vollziehung nach § 572 Abs. 2, 3 ZPO drohenden Schäden für das Schuldnerische Vermögen komme diese selten in Betracht. Das aber bedeute weiter, daß eine verfahrensrechtliche Beschleunigung vom Ausschluß der sofortigen Beschwerde nicht ausgehe. Diese könne allenfalls darin zu erblicken sein, daß das Insolvenzgericht und der vorläufige Insolvenzverwalter entscheidungsfreudiger seien, wenn sie nicht eine Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen befürchten müßten. 104 Nerlich/Römermann/Mönning, § 21 Rn. 112 ff. und § 34 Rn. 25; vgl. auch LG Berlin, Beschl. v. 21.4.1999 - 81 T 264/99, ZlnsO 1999, 355, 356 zur Betroffenheit der Gläubiger. 105 Breutigam/Blersch/Goetsch, § 21 Rn. 43; Brockdorff, in: Huntemann/Brockdorff, Kap. 3 Rn. 72; kritisch auch Kübler/Prütting/Prütting § 6 Rn. 14. 106 Pohlmann, Rn. 57 ff.; neuerdings weist auch Kübler/Prütting/Pape, § 34 Rn. 7 darauf hin, daß die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung habe und daher keine Verfahrensverzögerungen zu erwarten seien.
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§ 4 Sicherungsmaßnamen im Insolvenzverfahren
Diese Erwägungen ergänzt Schmerbach 107 mit Hinweisen auf die bisherige Praxis. Er weist darauf hin, daß unter Geltung der KO die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde nicht zu einer Verzögerung des Verfahrens geführt habe. Auch habe die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde nicht zu einer Mehrbelastung von Amts- und Landgericht geführt, weil Rechtsbehelfe nur in wenigen Fällen eingelegt worden seien. Zum anderen werden verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Rechtsmittelausschluß selbst vorgebracht. Diese Bedenken richten sich im wesentlichen gegen die mit dem Rechtsmittelausschluß für den Schuldner verbundenen Härten. Allgemein wird darauf hingewiesen, daß die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen zu einschneidenden, irreversiblen Folgen gerade für den Schuldner führen könne, denen dieser schutzlos ausgesetzt sei. Teils wird weiter ausgeführt, daß dies einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte des Schuldners darstelle 108 . Jedenfalls sollen gegen den Rechtsmittelausschluß unter dem Aspekt des Justizgewähranspruchs und des Rechtsstaatsprinzips verfassungsrechtliche Bedenken bestehen 109• Hierzu werden verschiedene Begründungen vorgebracht. Einige Stimmen in der Literatur führen aus, das in § 14 Abs. 2 InsO vorgesehene Anhörungsrecht genüge nicht, um eine derartige Versagung des Rechtsschutzes zu rechtfertigen. Denn es habe nicht die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen zum Inhalt; zudem bleibe die Anhörung häufig dem vorläufigen Insolvenzverwalter oder Gutachter überlassen 110 . Weiter wird darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber die Abschaffung der Rechtsmittel gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nicht hinreichend kompensiert habe. Effektiver Rechtsschutz sei nicht über die Beschwerdemöglichkeiten des § 34 InsO gegen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst zu erlangen, weil diese Entscheidung zeitlich zu spät erfolge 111 . Weiter erlange der Schuldner keinen Schutz durch die Gewährung rechtlichen Gehörs, weil dieses häufig nur nachträglich gewährt werde IO? FK2/Schmerbach, § 34 Rn. 48; anders offensichtlich in § 21 Rn. 82, wo er dem Beschwerdeausschluß gegen die Anordnung eines Vollstreckungsverbots nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 lnsO durchaus eine Verfahrensbeschleunigung zuschreibt. 108 FK2 /Schmerbach, § 34 Rn. 52; Kübler/Prütting/Pape, § 34 Rn. 5 ff.; ders., NJW 2001, 23, 32 f.; Pohlmann, Rn. 64. 109 Haarmeyer/Wut