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German Pages 566 [569] Year 1971
WOLFGANG QUINT
Souveränitätsbegriff und Souveränitätspolitik in Bayern
Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 15
Berichtigung Quint, Souveränitätsbegriff und Souveränitätspolitik
Die ersten 3 Absätze auf Seite 123 sind durch folgenden Text zu ersetzen: Montgelas folgt diesen Vorstellungen Vattels genau, übernimmt sie in seiner Arbeit über die bayerische Kirchen- und Staatsverfassung nahezu wörtlich. Er stellt Vattels Sätze nur ein wenig um und sagt: "L'etablissement de l'ordre dans lequel une nation se propose de travailler en commun a obtenir les avantages en vue desquels la Societe politique s'est etablie forme la constitution de l'Etat ...81." Das Aufzeigen der mannigfaltigen Veränderungen, die auf die bayerische Nation eingewirkt hätten, sei, so fährt er fort, das Ziel seiner Arbeit. Die Fußnote 82 auf Seite 123 entfällt.
Souveränitätsbegriff und Souveränitätspolitik in Bayern Von der Mitte des 17. bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Von
Dr. Wolfgang Quint
DUNCKER & IIUMBLOT I BERLIN
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1971 bei Buchdruckerei Bruno LUck, Berlln 65 Printed in Germany
© 1971 Duncker
ISBN 3 428 02602 0
Meiner Mutter und Ilse
Inhaltsverzeichnis Vorwort..............................................................
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Einleitung ............................................................
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1. Zur aktuellen Diskussion um die "Souveränität" ....................
15
2. Die Frage der Souveränität in der deutschen Verfassungsgeschichte im 18. und 19. Jahrhundert ............................................ 28 3. Zum historischen Anteil Bayerns am Problem "Souveränität" ........
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Hauptteil I
Von Kurfürst Maximilian I. von Bayern bis zum Vertrag von Ried 1. Kurfürst MaximiIian 1. von Bayern - "wohltemperierter Macchiavellist", aber kein "Souverain" ........................................ Vorbild: Lipsius "ragion di stato" - nicht Bodins "souverainete" . . . . ..
53 55
2. Bayerns betonte Unterordnung unter die Reichsverfassung als Folge der gescheiterten Großmachtpolitik von MaximiIians Nachfolgern Max Emanuel und Karl Albrecht - Kreittmayr unterstützt das Reichsstaatsrecht: Keine "Souveränität" der Staaten des Reiches, sondern nur "Landeshoheit" .................................................... 62 Kreittmayrs Ablehnung der Souveränität ..........................
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"Superioritas territorialis" beinhaltet praktisch zwar alle Souveränitätsrechte, ist aber dennoch keine "Souveränität" oder "majestas" .... 70 3. Die staatsrechtliche Haltung Bayerns am Vorabend des Reichsuntergangs - Johann G. Feßmaier und Nikolaus Th. Gönner erkennen auch nach d.~~ .~eichsdeputationshauptschluß nur Kaiser und Reich die Souveranltat zu .................................................... 81 Feßmaier: Bayern als "deutsches Reichsland" nach innen souverän, nach außen aber "etwas beschränkt" ................................ 91 Gönner: Territorien "halbsouveräne Reichsanstalten", keine souveränen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 93 4. Der Souveränitätsbegriff MaximiIian von Montgelas' ................ 100 Montgelas' "Systeme" .............................................. 105 Montgelas und Emer de Vattel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 112
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Inhaltsverzeichnis "Gesellschaft" und "Nation" ........................................ 121 Das Prinzip der "Staatssouveränität.. ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 126 Das "Memoire au Duc" und das "Memoire instructif" - basierend auf Vattel ............................................................ 129
5. Die Erringung der Souveränität - Der Zusammenbruch des Reiches - Bayern im Rheinbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 144 Die "versteckte" Souveränität im Bogenhausener Vertrag ............ 154 Die Auseinandersetzungen um das Linzer Abkommen - Montgelas verzögert die "Exekution der Souveränität.. ........................ 164 Die Souveränität des Preßburger Friedens .......................... 198 Das Ende des Reichs .............................................. 212 Die Souveränitäts-Schrift Gönners: "Über den Umsturz der deutschen Staatsverfassung" .................................................. 219 Bayerns Kampf und Kontrepolitik gegen den Rheinbund ............ 227 Die Verfassung von 1808 .......................................... 252 Die Beurteilung der Souveränität Bayerns und der anderen Staaten des Rheinbunds durch den Würzburger Staatsrechtler Wilhelm Joseph Behr - Die Modiftzierung des Souveränitäts-Begriffs . . . . . . . . . . . . . . .. 263
Hauptteil II
Die Souverinitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongre8 und in den Anfangsjahren des Deutsmen Bundes (1814 - 1820) 1. Bayerns entscheidende Rolle bei der Fixierung der "Souveränität .. in der neuen deutschen Verfassung .................................... 275
Die Haltung Bayerns zum Deutschen Bund ......... . . . . . . . . . . . . . . . .. 280 Fürst Wrede als bayerischer Gesandter in Wien - Bayerns scharfe Ablehn:';ln.g .. des preußisch-österreichischen 12-Punkte-Programms aus Souveramtatsgrunden .............................................. 283 Württembergs Frage: Warum Vermeidung des Wortes "Souveränität .. im 12-Punkte-Entwurf? ............................................ 288 Preußens und Österreichs Einwände gegen die Souveränität: ein "ausländisches" Wort, das "Despotie" beinhalte .......................... 292 Wrede merkt nicht, worum es geht ................................ 294 Die Reaktion in München auf die ersten Wiener Verhandlungen Montgelas bestärkt Wrede ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 296 Der Streit um das Bündnisrecht - Wredes Ultimatum . . . . . . . . . . . . . . .. 299 Der Abbruch der Verhandlungen durch Österreich und Preußen als Folge der sächsischen Krise ........................................ 305
Inhaltsverzeichnis
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Der Münchener Souveränitäts-Ausschuß und die neuen Verfassungsprojekte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 310 Ist volle Souveränität im Bund möglich? Die unterschiedlichen Auffassungen Zentners, Krenners und Aretins .......................... 311 Zentner setzt das Wort "souverain" in alle Eingangsartikel ............ 313 Die bayerische Frontstellung gegen Humboldts Entwürfe ............ 320 Die Souveränitäts-Gutachten Zentners, Krenners und Aretins . . . . . . .. 323 Montgelas lehnt Württembergs Vorschlag eines Separatbundes "zur Sicherung der Souveränität" ab .................................... 333 Napoleons Aufruf an die "Souverains etrangers" .................... 335 Wredes Abschied aus Wien ........................................ 336 Aloys Graf Rechberg als Nachfolger Wredes in Wien ................ 340 Zentners Souveränitäts-Abstriche nach vereintem Druck Preußens und Österreichs .................................................... 342 Montgelas bleibt fest: keine Souveränitäts-Opfer .................... 346 Das Doppelspiel Metternichs ........................................ 348 Das Wort "souverain" im 1. Artikel der österreichischen "allgemeinen Umrisse" zur Bundesverfassung - und seine erneute Streichung .... 352 Rechberg besteht auf dem Ausdruck "souverain" .................... 355 Schriften des Adels gegen die Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 363 Dreiviertel Stunden Kampf um das Wort "souverain" ................ 365 Rechberg besteht auf "souverain" - Ausschluß Bayerns? ............ 377 Die entscheidende Sitzung vom 8. Juni 1815 - Das Duell RechbergHumboldt um die Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 380 Rechbergs großer Bericht vom 11. Juni 1815 .......................... 385 Die Reaktion auf die Bundesakte in München - Souveränitätsgutachten
im Staatsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 392
2. Bayern auf dem Bundestag in Frankfurt ............................ 400 Vor Beginn der Bundesversammlung - Das Konzept Bayerns ........ 400 Die Vorschläge des Staatsrats zur Instruktion des Gesandten auf der Bundesversammlung .............................................. 402 Der Schock: Verlust Salzburgs ...................................... 405 Die Souveränitätsdenkschrift Aloys Graf von Rechbergs ............ 407 Die Antwortdenkschrift gegen Rechberg: "Von der Souveränität der deutschen Bundesstaaten" .......................................... 416 Die Katastrophe Bayerns nach Rechbergs Abberufung aus Frankfurt Der Zusammenbruch der Souveränitätspolitik Montgelas' ............ 429 Rechberg versucht die Lage zu retten .............................. 446
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Inhaltsverzeichnis Montgelas' Sturz - Souveränitätssturz Bayerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 452 Der neue Kurs .................................................... 456
3. Die Sorge um Erhaltung der Souveränität - der entscheidende Grund für den Erlaß der Verfassung von 1818 .............................. 463 Die Auswirkungen der Verfassung - Weitere Einschränkung der Souveränität durch die Karlsbader Beschlüsse - Schlußakt in Wien . . . . .. 493 4. Das Staatsrecht Bayerns in der Zeit des Deutschen Bundes und seine Interpretation der Souveränität der Bundesstaaten .................. 507
Zusammenfassung .................................................... 530 Ausblick .............................................................. 553 Quellen und Literatur ................................................ 556 Namenverzeichnis .................................................... 564
Vorwort Die vorliegende Arbeit geht auf eine Anregung meines hochverehrten Lehrers, Herrn Professor Dr. Karl Bosl, zurück. Ihr Arbeitstitellautete zunächst "Die Frage der Souveränität Bayerns im Deutschen Bund". Sie sollte mit ihrem Schwerpunkt die Souveränitätspolitik Bayerns auf dem Wiener Kongreß und in den Anfangsjahren der staatlichen Entwicklung des Deutschen Bundes darstellen, die damit endete, daß es der größte süddeutsche Staat, das neue Königreich Bayern, welches seit jeher auf größte Eigenständigkeit bedacht gewesen war, nach schweren Konflikten mit den beiden Großmächten Österreich und Preußen durchsetzte, das jahrhundertelang ,in der deutschen Verfassungsgeschichte heißumstrittenste staats- und völkerrechtliche Postulat "souverain" für sich und alle anderen Mitgliedstaaten des Bundes in der neuen föderativen Verfassung Deutschlands erstmals zu verankern. Die Auswirkungen dieses Faktums auf das deutsche und europäische Staats- und Völkerrecht im 19. Jahrhundert waren ungeheuer groß. Sind die Staaten des Bundes wirklich souverän? Das war die alles beherrschende Frage. Und das Kernproblem war: Die überordnung des Reichsverbandes war zwar entfallen, dennoch aber besaßen die Mitglieder des Bundes, die diesem teilweise nur mit größtem Widerwillen beigetreten waren - so vor allem Bayern - keineswegs mehr, eher noch weniger, rechtliche und politische Selbständigkeit und Unabhängigkeit als als Reichsterritorien im alten deutschen Reich, in dem im letzten Jahrhundert seines Bestehens die führenden Staatsrechtlehrer sich darauf geeinigt hatten, nur dem Reichstag - Kaiser und Reichsständen gemeinsam - als verfassungsgebender Instanz des Reiches Souveränität zuzugestehen, den einzelnen Staaten bzw. Fürsten des Reiches auf Grund von dessen überordnung jedoch nicht. Hierbei lehnte man sich bis zuletzt, zwar modifiziert, aber dennoch deutlich, an den französischen Staatstheoretiker Jean Bodin, den Schöpfer des Souveränitätsbegriffs, an, der 300 Jahre zuvor weder dem Kaiser noch einzelnen Reichsständen die Souveränität zugesprochen hatte, sondern die Verbindlichkeiten des übergeordneten Reiches betont und nur dem Reichstag, in dem die Reichsfürsten gemeinsam regierten, "souverainete" zuerkannt und das Reich als eine "pure aristocratie" bezeichnet hatte. Dennoch hießen die Bundesstaaten - trotz der weiter bestehenden bzw. sogar noch stärkeren Verbindlichkeiten - nun "souverain".
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Vorwort
Es begannen im deutschen Staatsrecht tiefgreifende Auseinandersetzungen um die Souveränität. Sie wurden ausgelöst durch die Standpunkte zweier entgegengesetzter Gruppen: Die erste beharrte auf den klassischen Souveränitätsprämissen Bodins und verneinte mit dem Hinweis auf die erhebliche Abhängigkeit der Bundesglieder vom Bund deren Souveränität, die zweite, weit überwiegendere, ging von den neuen, vertraglich fixierten Artikeln der Wiener Bundesakte und Wiener Schlußakte aus und erkannte bei mehr oder weniger stillschweigender Abminderung der ehemaligen Souveränitätsgrundsätze die Souveränität der Bundesstaaten an. Der Siegeszug des positiven Rechts begann. Die "Verwirrungen um die Souveränität", die Georg Jellinek rückblickend auf das 19. Jahrhundert so sehr beklagte, dauern bis dato an; sie haben sich sogar - machen wir einen Sprung in die aktuelle Gegenwart - in der die Diskussion im internationalen Völkerrecht um seinen "Zentralbegriff" Souveränität und seine Anwendung auf die Staaten in der Welt im Grunde nach wie vor unter den gleichen Vorzeichen weitergeführt wird wie im 19. Jahrhundert nach der Errichtung des Deutschen Bundes, weitaus verkompliziert. Das positive Völkerrecht hat heute, sich ständig anpassend an die immer abhängigeren Beziehungen der Staaten untereinander, den Begriffsinhalt der Souveränität bereits so verschleiert, daß es immer schwerer wird, ihm zu folgen und eine klare Aussage darüber zu erhalten, was "Souveränität" eigentlich ist (siehe Einleitung 1). Gravierende Einflüsse auf die Geschichtswissenschaft blieben leider nicht aus. Sie haben sich dahingehend ausgewirkt, daß es bis heute keine zusammenfassende historische Darstellung über das Problem der Souveränität in der deutschen Verfassungsgeschichte gibt. Der Grund liegt zweifellos in der Scheu vor dem riesigen Berg Rechtsliteratur, an den mit Sicherheit jeder Historiker stößt, der sich mit der Souveränität intensiver beschäftigen will. So ist man bis heute auf einzelne Streiflicher angewiesen, und diese sind bezeichnend dafür, wie häufig es unterlassen wurde, die historischen Quellen sprechen zu lassen. Die Versäumnisse betreffen besonders - der Verfasser dieser Arbeit konnte es immer wieder feststellen - den Deutschen Bund und die Zeit vor ihm, also das 18. und 19. Jahrhundert. Nicht nur, daß auch heute noch grundverschiedene Auffassungen darüber herrschen, ob die Staaten des Deutschen Bundes souverän waren oder nicht. Zuweilen erkennt man auch schon den Reichsterritorien im 18. Jahrhundert nachträglich Souveränität zu, ebenso im 17. Jahrhundert. Man spricht sogar von "Souveränität" und "souveränen" Herrschern im Reich vor dem Westfälischen Frieden und meint die Reichsfürsten, die sich durchaus nicht als "souverän" empfanden (siehe Einleitung 2). Unter anderem wird auch Kurfürst Maximilian von Bayern mit leichter Hand dieses Attribut verliehen.
Vorwort
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Bei dieser vertrackten Sachlage - dem Fehlen nahezu jeglicher, auf solidem Quellenfundament beruhenden historischen Literatur zum Problem "Souveränität", auf der aufgebaut hätte werden können - blieb nichts anderes übrig, als weiter auszuholen und weiter zurückzublenden, als ursprünglich beabsichtigt war. Es war notwendig, um festen Boden zu gewinnen und eine klare Ausgangsbasis zu schaffen für die Darstellung der Ereignisse zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Auf Vorschlag meines Lehrers entschloß ich mich, das Thema dieser Untersuchung erheblich weiter zu fassen. Gedacht war zunächst daran, die Aussagen der führenden bayerischen Staatsrechtler im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert zur Souveränität zu untersuchen und zu zeigen, wie klar sich gerade Bayern zu dieser Frage im Reich äußerte (Kap. 2 und 3). Aber es blieb nicht dabei. Bei der unumgänglichen Beschäftigung mit Montgelas' berühmtem "Prinzip der Staatssouveränität", das Ludwig Doeberl in seiner Arbeit 1925 abgehandelt hat, ergaben sich bei eingehendem Studium der wichtigsten programmatischen Staats- und Souveränitätsvorschriften des großen bayerischen Ministers, die er mit beispielloser Konsequenz in die Tat umsetzte und den modernen bayerischen Staat schuf, genügend überraschende Ergebnisse für ein eigenes Kapitel (Kap. 4). Von diesem Standort konnte aber nun wiederum auch nicht direkt der Sprung in das Jahr 1814 getan werden, ohne den Rheinbund zu berücksichtigen. Bei der Beobachtung der Anlehnung und Bündnispolitik Bayerns an Frankreich zeigten sich unter dem Aspekt der immer wieder alles entscheidenden Forderung der "Souverainete" ebenfalls so viele neue Resultate, daß ihre Darstelung ein umfangreiches Kapitel (Kap. 5) ergab. So hat diese Arbeit jetzt eine weit umfassendere Gestalt angenommen. Es war stets mein Bemühen, die Quellen aussagen zu lassen und die zentrale Rolle, die das Postulat "Souveränität" in der Politik Bayerns in dieser Zeit gespielt hat, unter den verschiedensten Blickwinkeln aufzuzeigen. Der Verfasser dieser Untersuchungen ist Historiker, kein Jurist. Trotzdem war er bestrebt, die Hintergründe der rechtlichen Kernpoblematik der Souveränität, die sofort nach dem Ende des Reichs bei der Schaffung bündischer Verfassungsverhältnisse - zunächst Rheinbund, dann Deutscher Bund - auftrat, aus dem Blickwinkel bayerischer Politik und Staatsrechtsliteratur nicht aus den Augen zu verlieren. Die gestellte Aufgabe war nicht leicht zu lösen. Um so mehr möchte ich allen danken, die mir im Verlauf meiner fast fünf jährigen Arbeit mit Rat und Tat zur Seite standen. Zuerst meinem sehr verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Bosl, Vorstand des Instituts für bayerische Geschichte an
Vorwort
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der Universität München, der mir stets neue Anregungen gab und aus einigen Engpässen half, nicht zuletzt mit moralischer Aufrüstung. Ferner danke ich dem bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus, Herrn Professor Dr. Hans Maier, Vorstand des Lehrstuhls II des Geschwister-Scholl-Instituts für politische Wissenschaft an der Universität München, der mir Hinweise zur aktuellen Rechtsproblematik und zum Forschungsstand um die Souveränität gab. Ebenso danke ich in diesem Zusammenhang Herrn Professor und Staatsminister a. D. Dr. Theodor Maunz für ein informatives Gespräch. Sehr herzlich möchte ich Herrn Professor Dr. Eberhard Weis, Universität Münster, ehemals Regierungsoberarchivrat am Geheimen Staatsarchiv in München, für seine unentbehrliche Hilfe beim Entziffern kaum lesbarer Montgelasscher Denkschriften und Instruktionen danken. Die vielen Gespräche, die ich mit Herrn Professor Weis führen und die Erkenntnisse, die ich mit ihm austauschen konnte, waren für mich außerordentlich fruchtbar. Besonders danke ich ihm für die Gewährung der Einsichtnahme in das Manuskript des 1. Bandes seiner Montgelas-Biographie. Auch Herrn Privatdozent Dr. Hans Schmidt, Universität München, möchte ich an dieser Stelle für viele freundschaftliche Ratschläge herzlichen Dank sagen. München, im September 1970 Wolfgang Quint
Einleitung Problematik - Forschungsstand 1. Zur aktuellen Diskussion um die "Souveränität" "Demjenigen, der sich die Darstellung des wahren Wesens der Staatssouveränität zur Aufgabe gesetzt hat, muß die ungeheure Schwierigkeit eines solchen Unternehmens, die große Tragweite, ebenso klar sein, wie demjenigen, der zu einer richtigen Auffassung dieses Gegenstandes gelangt zu sein glaubt, die nicht minder große Schwierigkeit ihrer Durchführung und Geltendmachung1." Diesen Satz schrieb 1863, drei Jahre vor Ende des Deutschen Bundes, der große bayerische Staatsrechtier Joseph Held. Der Verfasser der vorliegenden Arbeit, der sich eine ähnliche Aufgabe gestellt hat wie Held vor über 100 Jahren, kann ihn, auch als Historiker, nur unterstreichen. Im 20. Jahrhundert ist das Problem der Souveränität mindestens so schwierig und virulent wie zu Helds Zeiten. Die wissenschaftliche Diskussion um die Souveränität in der heutigen Staatengesellschaft hat, vor allem im Völkerrecht, aber auch in der Geschichtswissenschaft, knapp vier Jahrhunderte, nachdem Jean Bodin in Frankreich seinen epochemachenden Begriff der "souverainett~"la prägte, um durch eine klare Fixierung absoluter, dauernder Herrschermacht das Chaos von seinem durch Parteienkämpfe zerrissenen Lande abzuwenden, einen Höhepunkt erreicht. Zwei Hauptansichten stehen sich in scharfer Front gegenüber: Die eine hält sich wörtlich an die klassische Souveränitätsaussage Bodins und betrachtet sein Postulat als "historische Kategorie" aus der französischen Staats- und Rechtsgeschichte, die nur unter den von Bodin ausgehenden Prämissen anwendbar sei. Otto Hintze, der große deutsche Verfassungshistoriker, hat das 1931 wohl am klarsten formuliert!. In 1 Joseph Held: Staat und Gesellschaft, vom Standpunkt der Geschichte der Menschheit und des Staats, mit besonderer Rücksicht auf die politisch-sozialen Fragen unserer Zeit, 2. Bd., Leipzig 1863, S. 527. la "La Souverainete est la puissance absolue et perpetuelle d'une Republique ..... Jean Bodin: Les six livres de la Republique, Paris 1599, S. 122. Erste Ausg.1576. ! "Die Souveränität ist als historische Kategorie eigentlich nur aus der französischen Staats- und Rechtsgeschichte vollkommen zu verstehen." O. Hintze: Staat und Verfassung, Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, Göttingen 1962, S. 477.
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Einleitung
jedem andern Fall hält sie das Prädikat "souverän" im Grunde für nicht gerechtfertigt. Viele Vertreter dieser Gruppe plädieren deshalb dafür, den Begriff "Souveränität" heute ganz fallen zu lassen und durch "Staatsgewalt" zu ersetzen3, da im 20. Jahrhundert angesichts des Übergewichts der wenigen Großmächte und der vielen, für die kleineren Mächte existenznotwendigen supranationalen Gremien wie NATO, EWG, UNO, COMECON, Warschauer Pakt, ete., die erheblich die Entscheidungsfreiheit aller Mitglied-Staaten beeinflußten, keine echte Souveränität mehr gegeben sei. Die Souveränität sei heute überlebt, ja "anachronistisch"· geworden, und es sei an der Zeit, sie "endgültig verschwinden zu lassen"'. Ganz anders argumentieren die Gegner dieser Auffassung, die bisher wohl noch in der Mehrzahl sind. Sie erklären, daß das Völkerrecht das historische Postulat Jean Bodins als positivrechtlichen "Zentralbegriff"6a für Staatsgewalt, für neuzeitliches Staatsein überhaupt, unlösbar in sich aufgenommen habe. Jeder Staat sei souverän, müsse souverän sein. Wenn man "souverainer Staat" sage, so sei dies im Grunde eine Tautologie, "weil der Staat immer souverän oder gar kein Staat'" sei. Angesichts solch grundverschiedener Ansichten müssen wir uns zwangsläufig eingangs mit der heutigen aktuellen Auseinandersetzung um den Begriff der Souveränität befassen. Wir laufen dabei nicht Gefahr, uns vom Thema dieser Arbeit, die vornehmlich das 17., 18. und 3 Vgl. H. Helfritz: Allgemeines Staatsrecht, Köln 1949 8, S. 127, der darauf hinweist, daß in vielen neueren Verfassungen die Verfassungstexte nicht mehr von der "Souveränität", sondern nur von "Staatsgewalt" sprechen. Wie z. B. auch die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ("Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Art. 20, Abs. 2), die "durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen" kann (Art. 24, Abs. 1) und bereit ist, sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einzuordnen: "Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeüühren und sichern" (Art. 24, Abs. 2). Siehe auch Art. 24, Abs. 3. , Siehe: "Die anachronistische Souveränität", Titel des Sonderbandes der Politischen Vierteljahresschrift, herausgegeben von der Sektion Internationale Politik der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, durch E. O. Czempiel, 303 S., Köln und Opladen 1969. 5 Siehe die diesbez. Bemerkungen von W. von Simson: Die Souveränität im rechtlichen Verständnis der Gegenwart, Berlin 1965, S. 5. 5a Zit. bei Simson: a.a.O., S. 5. 8 Vgl. H. H. Hofmann: Die Entstehung des modernen souveränen Staates, KölnIBerlin 1967, S. 32. H. reflektiert über die Ergebnisse von Ernst Kerns Studie "Moderner Staat und Staatsbegriff, eine Untersuchung über die Grundlagen und die Entwicklung des kontinental-europäischen Staates", Hamburg 1949, wo es u. a. heißt: "Der moderne Staatsbegrüf ist eine so feste Verbindung mit der Souveränität eingegangen, daß nur solche Herrschaftsbildungen als neuzeitliche Staaten bezeichnet werden können, die auf einer souveränen Staatsgewalt gegründet sind." (S.49).
1. Zur aktuellen Diskussion um die "Souveränität"
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19. Jahrhundert deutscher Geschichte behandelt und sich dabei speziell mit Bayern befaßt, zu entfernen. Denn die heutigen Fragestellungen um die Souveränität leiten zwangsläufig und fließend dazu über. Bleiben wir gleich bei der zweiten der genannten Gruppen, wobei wir uns, um nicht ins Uferlose zu geraten, vorwiegend auf deren deutschsprachige bzw. europäische Vertreter stützen wollen. Sie geben durchaus zu, daß die heutige Souveränität der Staaten nicht mehr den strengen Souveränitätsprinzipien Bodins von 1576 entspricht. Dennoch habe sie sich keineswegs überlebt, vielmehr "nur inhaltlich geändert"7. Dies sei eine ganz natürliche Folge der Tatsache, daß der historische Begriff Bodins ein Grundbegriff des positiven Völkerrechts geworden sei, und das Wesen des positiven Völkerrechts, eines "historischen Gebildes"8, sei nun einmal, daß es "durch Zusammenwirken von Staaten erzeugt und weitergebildet" werde, daß es sich also ändere, sich den wechselnden historischen Situationen der Staaten, die es "zu einer Rechtsgemeinschaft zu verknüpfen" suche, anpasse. Wie sich also das positive Völkerrecht ständig ändere, ändere sich logischerweise auch die Bedeutung seines Grundbegriffes, der Souveränität. Der entscheidende Punkt ist hier die Frage, ob es erlaubt gewesen ist, die Souveränität so ohne weiteres als Grundbegriff in das positive Völkerrecht aufzunehmen. Die Berechtigung hierzu glaubte und glaubt man bei Bodin selbst zu finden, der seinem Souverän das "lex divina, lex item naturae, cum omnes teneat" nahelegte. Besonders Otto von Gierke9 , Hermann Heller10 und neuerdings Wilhelm Hennis 11 sowie Jürgen Dennert12 haben aber darauf hingewiesen, wie gewagt es ist, hieraus über das Naturrecht direkt eine Verbindung zum positiven Recht zu konstruieren. Dieses präzisiert seine Auffassung über die Souveränität jedoch ungerührt weiter dahin, daß der "Inhalt des Souveränitätsbegriffs zu den verschiedenen Zeiten ein anderer gewesen" sei "und in Zukunft auch ein anderer werden" werde 13 • Man geht sogar soweit, zu erklären, daß "ein 7 D. Gunst: Der Begriff der Souveränität im modernen Völkerrecht, Berlin 1953, S. 20. 8 A. Verdross: Völkerrecht, Wien 19645 , S. 6 und folgende wörtliche Zitate. 9 0.17. Gierke: Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien, Breslau 1880. 10 H. Heller: Die Souveränität, Ein Beitrag zur Theorie des Staats- und Völkerrechts, Berlin und Leipzig 1927. 11 W. Hennis: Das Problem der Souveränität, Ein Beitrag zur neuesten Literaturgeschichte und gegenwärtigen Problematik der politischen Wissenschaften, Diss. (Maschinenschrift), Göttingen 1951. 12 J. Dennert: Ursprung und Begriff der Souveränität, Stuttgart 1964. 13 D. Gunst: a.a.O., S. 20; G. stützt sich vor allem auf angelsächsische Literatur, die auf Grund der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung dieser Länder
2 Quint
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Einleitung
Staat auf Grund des Völkerrechts grundsätzlich jede beliebige Verpflichtung übernehmen, sogar auf seine Unabhängigkeit verzichten und in einem anderen Staat aufgehen kann" - so lange er sich selbst regiere und nicht der Befehlsgewalt eines anderen Staats unterworfen werde, bleibe er "rechtlich souverän und unabhängig"14. Es ist einleuchtend, daß bei solcher Argumentation kaum mehr etwas von Bodins ursprünglichem Souveränitätspostulat übrig geblieben ist; und es ist ebenso klar, daß das positive Völkerrecht große Gefahr läuft, dem Begriff der Souveränität eine "verhängnisvolle Vieldeutigkeit"15 zu geben, wie Kelsen selbst sagt. Was ist Souveränität, bzw. noch Souveränität, und was ist keine mehr? fragt man sich. Oder dem eben zitierten E. Kern folgend: Wann ist ein Staat noch ein Staat, wann keiner mehr? Es fehlt an festen Konturen, die verschwimmen, verschleiert werden. Man widerspricht sich auch selbst. Ein Beispiel dafür liefert Dietrich Gunst16 , der Ernst Sauer17 zitiert, welcher schon 1948 feststellte, daß eigentlich nur den USA und der UdSSR "wahre Souveränität" zuzubilligen sei. Gunst ergänzt darauf hinter das Wort "wahre" in Klammern: ,,(d. h. politische)". Womit zugegeben wird, daß die politische Ist-Situatioll der Staaten hinsichtlich der Souveränität eine andere ist als sie im positiven Völkerrecht akademisch diskutiert wird. Dieses führt demnach ein realitätsfremdes theoretisches18 Gelehrtendasein. "Wahre" Souveränität ist "politische" - hier gilt offensichtlich das echte Souveränitätspostulat Jean Bodins; beide, die USA und die UdSSR, haben noch die "puissance allgemein stärker zur positiv rechtlichen Deutung der Souveränität tendiert. (Bezeichnend ist der Satz des engl. Staatsrechts: "The sovereignty resides in the king and bis parliament." Siehe hierzu O. Brunners Bemerkungen in seinem Aufsatz "Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip", in: H. H. Hofmann: Die Entstehung des modernen souveränen Staates, a.a.O., S. 117 f.). 14 Verdross: a.a.O., S. 9; Gunst: a.a.O., S. 117, spricht in diesem Zusammenhang von "Schichtungen der mehr oder weniger großen Unabhängigkeit der Staaten", bedingt durch die "um die beiden Pole Washington und Moskau kreisenden Bündnissysteme der Welt" - was ihrer Souveränität jedoch nicht den geringsten Abbruch tue, sondern eher einen Vorteil für ihre Sicherheit bedeute. Gunst: "Ließe sich eine Skala der Abhängigkeiten aller souveränen Staaten (der westlichen Welt) aufstellen, so stünden an deren Spitze vermutlich die USA und an deren Ende vielleicht die Republik Panama, deren Unabhängigkeit 1. durch die Einräumung territorialer Hoheitsrechte in der Kanalzone an die USA, 2. durch die politische Hegemonie der USA, 3. durch die mittelamerikanischen ökonomischen Vereinigungen, 4. durch die Mitgliedschaft in der Panamerikanischen Union und 5. durch die Mitgliedschaft in der Organisation der Vereinigten Nationen in besonders großem Ausmaß eingeschränkt ist." 15 H. Kelsen: Art. "Souveränität" in: Wörterbuch des Völkerrechts, 3. Bd., Berlin 1962, S. 278. 16 Gunst: a.a.O., S. 116. 17 E. Sauer: Grundlehre des Völkerrechts, Köln 19482 ,S.138. 18 Vgl. Kelsen: a.a.O., S. 278, der die Souveränität als einen "der bedeutendsten Grundbegriffe der traditionellen Staats- und Völkerrechtstheorie" hervorhebt.
1. Zur aktuellen Diskussion um die "Souveränität"
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absolue" und sind wahrhaft "independantes"18a. Was ist dann aber "positiv rechtliche" Souveränität? Unwahre, lautet die logische Antwort. Hier schießt also Gunst für das positive Recht ein Eigentor. Noch verworrener wird es, wenn eben gesagt wurde, daß das positive Völkerrecht ein "historisches Gebilde" sei, das sich den wechselnden politischen Situationen der Staaten anpasse. Die politische Situation der meisten Staaten - abgesehen von einigen Lücken zwischen den Weltmächten wie etwa Jugoslawien - ist aber die, daß sie in Wahrheit nicht souverän sind, wie Gunst selbst bekennen muß. Folglich ist es auch sehr problematisch, von Souveränität zu sprechen. Das positive Völkerrecht hat es - zugegeben - nicht leicht in seinem Bemühen, alle Staaten zu einer Rechtsgemeinschaft zu verkünpfen und diese - je nachdem, ob sich diese für souverän oder nicht souverän halten - als souveräne oder nicht souveräne Staaten zu erklären bzw. zu akzeptieren. Unter gleichen Auflagen kann sich ja ein Staat noch als souverän empfinden, während ein anderer unter diesen Voraussetzungen seine Souveränität schwer bedroht sieht. Das positive Völkerrecht kann gar keine feste Rechtsnorm setzen, sondern muß sich im Grunde immer nach den Staaten, die es zu verbinden sucht, ausrichten. Man sieht: Nimmt man die Souveränitätsinterpreten des positiven Rechts beim Wort und operiert man mit ihren eigenen Argumenten und von ihren eigenen Positionen aus - nur andersherum -, so zeigt sich, welche Angriffsflächen sie bieten. Diese nützen ihre Gegner auch reichlich aus. Sie verlangen, den Begriff der Souveränität, der heute überlebt sei und nur dazu angetan, "die Staatenpraxis in ihren wichtigsten Fragen und die Rechtswissenschaften in ihren letzten Fragen zu beunruhigen"19, abzuschaffen. Sie meinen, daß die ständige Systematisierung der Souveränität durch das positive Recht nur "Scheinprobleme" erzeuge, in Wirklichkeit aber von echter Souveränität keine Rede mehr sei: "Mittlerweile behaupten einige Wissenschaftler, daß sich der Begriff gewandelt habe - in Wahrheit benennen sie dann eben einen anderen Begriff mit dem Wort ,Souveränität' und wollen dadurch Schritt halten mit der Praxis, die aus diesen oder jenen Beweggründen einem Herrschaftsverband, der sich Staat nennt, ,Souveränität' bescheinigt, obwohl er, wenn wir das Wort Souveränität im Sinn des klassischen Völkerrechts nehmen, nicht souverän ist2o ." 18a Ob diese es angesichts der für sie ebenso notwendigen engen politischen und wirtschaftlichen Verflechtung mit ihren kleineren Bündnispartnern wirklich sind, kann durchaus auch noch gefragt werden. 19 H. Jahrreiß: Aufs. "Die Souveränität der Staaten", in H. H. Hofmann, Die Entstehung des modernen souveränen Staates, a.a.O., S. 35. 20 Derselbe S. 36. 2°
Einleitung
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Das ist eine sehr scharfe Absage an die These, daß Souveränität ein unverzichtbarer Zentralbegriff des Völkerrechts sei und jeder Staat, wenn er sich als Staat betrachte, souverän sei. Einer der entschiedensten Verfechter dieser Ansicht ist heute der Völkerrechtler Hermann Jahrreiß. Er argumentiert genau wie der Verfassungshistoriker Otto Hintze. Der Begriff "Souveränität" sei in Frankreich entstanden, erklärt Jahrreiß, und zwar während eines "weltgeschichtlich besonders folgenreich gewordenen Kampfes einer bestimmten Herrschaft"21. Der französische König habe im 16. Jh. nach Bodins Postulat "als Zustand der Ordnung seiner Herrschaft" ein Doppeltes in Anspruch nehmen können: 1. In seinem Königreich sind alle unmittelbar seinen Befehlen unterthan; er ist für jedermann der Souverän (Bezug Jahrreiß' auf Bodins "summa in cives ac subditos legibusque potestas" und "princeps legibus solutus est"). 2. er selber aber ist keiner auswärtigen Befehlsmacht unterthanj ihm gegenüber ist niemand souverän (Bezug Jahrreiß' auf Bodins "Summus is dicitur, qui nec superiorem, nec eiusdem imperii socium habet").
Zwei Vorstellungen stünden so von Anfang an hinter dem Wort Souveränität: die der inneren und die der äußeren Souveränität. Letztere bedeute nichts anderes, als daß der französische König kraft der für Frankreich und seine Staatenumwelt gemeinsamen Ordnung befehlsunabhängig sei: "Geordnete Befehlsunabhängigkeit von auswärtiger Herrschaft versteckt sich hinter dem Wort Souveränität, wenn man mit ihm auf die Struktur von Staaten zu sprechen kommt." Es ist dies die bekannte Befehlsunabhängigkeitsdefinition Jahrreiß', die beispielsweise auch Herbert Krüger22 übernimmt. Diese "Befehlsunabhängigkeit" sieht Jahrreiß auf Grund der heutigen politischen und historischen Machtkonstellation in aller Welt nicht mehr gegeben. Nach seiner Ansicht sind fast alle Staaten der Welt "auf Gedeih und Verderb auf die Großmächte angewiesen". Die Großmächte seien "die Schöpfer und Garanten" der jetzigen sogenannten Völkerrechtsordnung, "sie setzen, erhalten und verwandeln diese Ordnung, ... oder sie vernichten sie auch". 'Zwar seien "nach außen hin", gibt Jahrreiß zu, alle, die Großmächte und die Nichtgroßmächte, "Genossen gleichen Rechts". Tatsächlich aber hätten die Großen über die Kleineren "eine der Herrschaft nahekommende Führung". Diese seien nicht mehr souverän, "sondern überwacht autonom"23. Souveränität ist für Jahrreiß ein anachronistiDerselbe, S. 38 und folg. wörtl. Zitate. Art. "Souveränität", in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 9, Stuttgart / Tübingen / Göttingen, 1956, S. 308. 21 22
H. Krüger:
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Jahrreiß, S. 35.
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sches Relikt aus der Zeit des Nationalstaats, für den es im 20. Jahrhundert keine Basis und auch keine Berechtigung mehr gebe. Ihre Abschaffung würde zudem die nationalen Egoismen der Staaten bremsen, ein besseres Miteinanderauskommen zwischen ihnen ermöglichen und so dem Frieden dienen24 • Dies sind sehr plausible Ansichten und begrüßenswerte Absichten. Sie sind dem Historiker sympathisch, weil sie die geschichtliche und politische Realität, der wir uns heute gegenüber gestellt sehen, absoluten Vorrang geben vor theoretischen Rechtsinterpretationen, die sich bemühen, die in der Politik bzw. Gegenwartsgeschichte stattgefunden habenden Ereignisse immer wieder einzuordnen ins Völkerrecht und sie nachzusystematisieren. Gerade die Geschehnisse der letzten Jahre 25 scheinen Jahrreiß' Aussage zu bestätigen. Viele mögen hier an Hegels sarkastisch zyni! ( Vgl. Jahrreiß: S. 45 ff., Abschnitt III: "Der heutige souveräne Staat und der Frieden." 2S Man denke hier vor allem an die gewaltsame Besetzung der "souveränen" CSSR durch die Sowjetunion und vier andere Staaten des Warschauer Pakts im August 1968. "Wir werden unsere Souveränität als Marxisten-Leninisten verteidigen" (zitiert in der Südd. Ztg. v. 20./21. 7. 1968) - mit dieser Devise und gleichzeitigen Bekräftigung, sie würden nohne Einschränkungen an den Zielen festhalten, die sich aus der grundsätzlichen politischen Orientierung und den Bündnisverpflichtungen ergeben" (zitiert ebenda am 9.8.68) hatten die tschechischen Reformer zuvor in Cierna und Preßburg mit der Sowjetunion verhandelt. Ein wenig mehr innere Souveränität hoffte man mit der unbedingten Zusicherung der äußeren Souveränität zu erkaufen. Am 24.7.68 schrieb die tschechische Landwirtschaftszeitung "Zemedelske Noviny": "Die Tatsache, daß die Gespräche in der Tschechoslowakei stattfinden, hat einen Funken Hoffnung in unserem Volk ausgelöst, daß man beginnen kann, die Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion auf der Grundlage der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und der Achtung der staatlichen Souveränität zu regeln." (Zitiert in Südd. Ztg. am 25.7.68.) Die Hoffnung trog. Die Sowjetunion zerschlug sie mit dem Argument, daß "die Souveränität der sozialistischen Länder den Interessen des ,Weltsozialismus' untergeordnet" bleiben müsse. (Gromyko-Rede vor der UNO am 2. 10. 68, zit. ebenda am 3. 10. 68.) Breschnew deklarierte seine Doktrin von der "begrenzten Souveränität" der sozialistischen Staaten. Sie führte bei diesen zu leidenschaftlichen Diskussionen. Vor allem in Rumänien wandte sich Partei- und Staatschef Ceausescu "gegen die These von der begrenzten Souveränität und versicherte, jeder Versuch, die sozialistischen Errungenschaften Rumäniens anzugreifen, werde vom ganzen Volk abgewehrt". (Südd. Ztg. v. 3.3.1969: "Ceausescu gegen begrenzte Souveränität".) In China wurde die Breschnew~Doktrin mit der Anklage attackiert, die Sowjetunion sei der Ansicht, daß für die Verteidigung sozialistischer Errungenschaften die " ,begrenzte Souveränität' einzelner Mitglieder der Gemeinschaft der ,höchsten Souveränität' Moskaus untergeordnet werden" solle. (Nachrichtenagentur Hsinhua, zit. in der Südd. Ztg. am 22.123.3. 69.) In Italien erklärte die KPI: "Wir können die Theorie der begrenzten Souveränität, die Gegenüberstellung von Sicherheit der sozialistischen Welt und von Respektierung der nationalen Souveränität der einzelnen sozialistischen Länder nicht akzeptieren." (KPI-Funktionär Galluzzi, zit. ebenda am 15.116.2.69: "CSSR wieder Thema in Bologna".) - Das änderte jedoch alles nichts am Scheitern Dubceks. Er mußte sich mit einer "Realität, die nicht von unserem Willen abhängig ist", abfinden (zit. ebenda am 28. 8. 68).
Einleitung
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sches Wort von dem Völkerrecht als dem "gelten sollenden Recht"28 gedacht haben, das im "Konkurrenzkampf"27 gegen die Staatsräson des die Macht innehabenden Staates unterlag. "Vor allem ist der souveräne Staat der Neuzeit: Machtstaat"28, hat Otto Hintze gesagt, und earl Schmitt29 hat später kaum weniger treffend ausgedrückt, wer im Spannungsfeld zwischen Macht und Recht, in dem Herbert Krüger "in der Tat die letzte Problematik der Souveränität"30 sieht, der Sieger bleibt. Dennoch wird auch gegen diese Ansicht einiges eingewendet. N~cht nur, daß man auf das Recht pocht und meint, man dürfe dieses niemals aufgeben. (Was Jahrreiß auch gar nicht möchte, aber von der "Souveränität" weg will, die nach seiner Ansicht vom positiven Recht immer wieder aufgegeben wird.) Da ist vor allem Gerd Tellenbach, der Hintzes Wort von der Souveränität als "historischer Kategorie" deutlich ablehnt31 und mit seinen Gegenargumenten als Historiker dem positiven Recht zwar nicht direkt, aber indirekt recht wirkungsvolle Schützenhilfe leistet. Tellenbach ist der Auffassung, daß es dem Historiker schlecht anstünde, von "Kategorien" auszugehen und in "Kategorien" zu denken. Dies sei zu einseitig und - Te11enbach spricht es zwar nicht direkt aus - unhistorisch. Vielmehr sei die Souveränität eine "historische Erscheinung"32, die in a11 ihren verschiedenen Formen im Verlauf der gesamtgeschichtlichen Entwicklung von ihren Anfängen bis in die Gegenwart vom Historiker zu betrachten und zu analysieren sei. Diese Anfänge der Souveränität verlegt Tellenbach bis zurück in das Mittelalter, ja bis in das Altertum, er verneint entschieden die Fixierung !8 G. W. Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, sämtl. Werke, Bd. 12, Verlag F. Meiner, Hamburg 19554, § 333, S. 285. Z7 F. Meinecke: Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, München 19242, S. 260. Von diesem Wort Meineckes ausgehend, endet bezeichnenderweise auch Günter Hoffmann-Loerzers famoser neuerer Aufsatz über Hugo Grotius, den "Vater des Völkerrechts": "Wie zu Grotius' Zeit ist die Frage nach dem unparteiischen Richter über Recht und Unrecht in der Praxis auch heute noch nicht gelöst." G. Hoffmann-Loerzer: Grotius, in: Klassiker des politischen Denkens, Bd. I, hrsg. von H. Maier, H. Rausch, H. Denzer, München 1968, S.319. 28
Hintze: a.a.O., S. 479.
"Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet." C. Schmitt: Politische Theologie, Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, 1922, S. 9. 30 H. Krüger: a.a.O., S. 311. 31 G. Tellenbach: Vom Zusammenleben der abendländischen Völker im Mittelalter, Festschrift Gerhard Ritter, Tübingen 1950, S. 46, Anm. 12: "So sehr Frankreich auch in der Ausbildung der Souveränität den anderen Ländern vorauseilte, so trifft es ... doch nicht zu, wie Hintze meint, die Souveränität sei eine historische Kategorie, die sich eigentlich nur aus der französischen Staats- und Rechtsgeschichte vollkommen erklären lassen. " 32 Derselbe: S. 44, Anm. 8. !8
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der Souveränität als einer "idee moderne"33, wie Jouvenel sagt. Zwar sei Frankreich in der Ausbildung der Souveränität den anderen Ländern zweifellos vorausgeeilt, dennoch aber habe schon "das römische Reich ... einen wesentlichen und höchst bemerkenswerten Anteil an der gemeinsamen abendländischen Entwicklung"34. Auf jeden Fall sei die äußere Souveränität, auch wenn sie damals noch nicht so genannt worden sei, schon im Mittelalter erreicht worden: "Unabhängigkeit und Gleichheit der Staatsgewalt nach außen waren bereits im Mittelalter erreicht ... Man kann bemerken, wie überall im spätmittelalterlichen Europa die Tendenz herrschte, Unklarheiten bezüglich der ,Souveränität' zu beseitigens5 ." TeIlenbachs Fazit: Bodin habe eigentlich nur einer Angelegenheit einen Namen gegeben, die im Grunde der Sache nach längst bestand, zumindest nach außen hin 35a • Und er weist in diesem Zusammenhang sehr nach33 34
B. de Jouvenel: De la Souverainete, Paris 1955, S. 216. TeUenbach: a.a.O., S. 46.
Ebenda. Das soll Tellenbach auch gar nicht bestritten werden. Daß wesentliche Inhalte des Souveränitätsbegriffs schon sehr lange vor Bodin gedacht und praktiziert wurden - bei den Souveränitätsdenkern vor Bodin mag man bei Aristoteles beginnen und bei P. Dubois enden - und daß jeder Fürst im Altertum und Mittelalter so unumschränkt und unabhängig herrschte und herrschen wollte wie möglich, bedarf keiner Diskussionen. Der Begriff der höchsten Gewalt, der summa potestas oder des summum imperium, wurde in der Staatslehre seit jeher verwendet. Die Lehre der Staatsräson Macchiavellis oder deren spätere gemäßigtere Form des J. Lipsius enthielten wesentliche Elemente der Souveränität. Aber sie war nicht die Souveränität. Es muß noch einmal betont werden: es gilt von den historischen Fakten auszugehen und nicht historisch zu theoretisieren. Entscheidend ist, daß Bodin "diesen Begriff der höchsten Gewalt unter der Bezeichnung als Souvernität oder Majestät als erster juristisch präzisierte" (R. Hoke: "Bodins Einfluß auf die Anfänge der Dogmatik des deutschen Reichsstaatsrechts" , demnächst in den Münchener Studien zur Politik (Ver!. C. H. Beck) unter dem Gesamttitel "Jean Bodin", veröffentlichter Vortrag, gehalten beim Internationalen Bodin-Colloquium vom 1. - 3. April 1970 in München, Manuskriptseite 5) und daß sein Postulat der "Souverainete", das natürlich nicht aus dem "Nichts" kam, sondern auf den bestehenden Lehren aufbaute und ihnen mehr oder weniger viel entnahm, zum wichtigsten Pfeiler modernen Staatsdenkens wurde, wobei fast alle Staatslehrer in Europa im endenden 16. sowie im 17. und 18. Jahrhundert, "die an dem strengen Bodinschen Souveränitätsbegriff geschult waren" (F. Dickmann, Der westfälische Friede und die Reichsverfassung, in: Vorträge beim Colloquium französischer und deutscher Historiker v. 28. - 30. April 1963 in Münster, Münster 1965, S. 30; ebenso Hoke: a.a.O., S. 16/17) Bodin zum Ausgangs- bzw. mindestens Anhaltspunkt ihrer überlegungen machten. Für das 16. und 17. Jahrhundert hat das F. H. Schubert in seinem Buch "Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der frühen Neuzeit", Göttingen 1966, ausführlich gezeigt. Schubert, aber auch Hoke, arbeitet besonders heraus, wie man mit Bodins Souveränitätszuweisung in bezug auf die Reichsverfassung (siehe die folgende Anm. 37) durchaus nicht einer Meinung war. Viele Staatslehrer (Arnisäus, C. v. Einsiedei, M. Stephani, D. Reinking) wiesen dem Kaiser allein die Souveränität zu, andere nur den Ständen (Limnäus, Lampadius, Paurmeister). Im 18. Jahrhundert halten sich jedoch die beiden renommiertesten Reichsstaatslehrer Johann Jacob Moser und Johann Stephan Pütter in der Substanz deutlich an Bodins Aussage und sprechen nur dem Reichstag bzw. den dort vereinten Reichsständen unter Einschluß 35
35a
Einleitung
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drücklich darauf hin, daß Bodins Souveränitätspostulat nach seiner Ansicht weniger nach außen, sondern primär nach innen gezielt gewesen sei: "Es ist kein Zufall, daß Bodins Souveränitätsbegriff gerade die Gewalt in cives ac subditos in den Vordergrund stellt36 ." Dieses Argument hat zweifellos viel Richtiges, denn Bodin wollte ja zuallererst seinem eigenen König helfen, der durch die konsequente Ausübung seiner ihm zustehenden - von Bodin markierten - Herrschaftsbefugnisse, Frankreich vor dem inneren Zerfall bewahren sollte. Dennoch sieht aber TeIlenbach das Problem wohl zu einseitig und auch zu sehr aus mittelalterlichem Blickwinkel. Bodin betonte sehr eindringlich auch die äußere Souveränität, und er konzentrierte sich nicht nur auf Frankreich, sondern blickte auch sehr genau hinüber in dessen Nachbarschaft, vor allem auf das Heilige Römische Reich deutscher Nation, dessen Reichsterritorien er gerade die äußere Souveränität nicht zubilligen konnte, trotz innerer Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Nach außen bzw. nach oben hin waren sie für ihn zwar nicht dem Kaiser, aber dem Reich, bzw. dem Reichstag, in dem alle fürstlichen Stände gemeinsam entschieden, unterstellt, und deshalb nicht souverän37 • Diese Auffassung Bodins wurde des Kaisers, der von ihnen allerdings aufgewertet wird, die Souveränität zu (siehe Einleitung II), jedoch keineswegs dem Kaiser oder einzelnen Reichsständen allein. Nach ihnen richten sich wiederum die meisten Staatsrechtler in den einzelnen Territorialstaaten des Reiches, auch in Bayern, wie in dieser Arbeit (Kap. 2 und 3) gezeigt werden wird. Ähnlich, jedoch weit krasser als Tellenbach, hat auch A. Frhr. v. d. Heydte argumentiert, der die "Geburtsstunde des souveränen Staates" (gleichnamiger Buchtitel, Regensburg 1952) in das Mittelalter verlegt und O. Brunners bahnbrechendes Anliegen, Begriffe wie "Staat" und .. Souveränität" und deren Inhalt historisch richtig einzuordnen und zu bewerten, als .. bestimmte moderne Ideologie" (S. 4, Anm. 1) abgetan hat. Mit Recht hat J. Dennert, Ursprung und Begriff der Souveränität, a.a.O., v. d. Heydtes Ergebnisse sehr scharf als .. platten Nominalismus" (S. 6) verurteilt, mit dem .. irgendetwas irgendwie" benannt werde. v. d. Heydtes Darstellung endet Jahrhunderte vor Bodin, dessen Name taucht im Register nicht ein einziges Mal auf. ae Tellenbach: S. 44.
a7 Zu diesem Ergebnis, daß weder Kaiser noch Reichsstände souverän seien, sondern nur der Reichstag, in dem die Stände als verfassungsgebendes Gremium vereint seien, kam Bodin nach langem Überlegen. Mit keinem anderen auswärtigen Staat beschäftigte er sich so lange und ausführlich wie mit dem Reich, dessen komplizierte Machtverhältnisse und Verfassung, die weder zu einer Entscheidung für den Kaiser noch für die Reichsstände geführt hatte, für die Anwendung seines Souveränitätsbegriffs größte Probleme aufwarfen. Die Position des Kaisers erschien ihm durch die goldene Bulle von 1356 und durch das Statutum in favorem principum äußerst geschwächt, aber auch die einzelnen Stände keineswegs für sich so stark und unabhängig, um souverän zu sein. Also erkannte er die Souveränität dem Reichstag zu, als oberster Instanz, in dem die Reichsfürsten das Reich gemeinsam repräsentierten, das er als eine .. reine Aristokratie", die einen Einheitsstaat darstelle, bezeichnete: " ... il est bien certain, que 'l'estat imperial d'allemagne est une pure aristocratie, composee de trois ou quatre cents pour les plus' ". Bodin, livre 2, chap. 2, S. 262. Hier die wichtigsten Aussagen Bodins zum Reich: 1. Zur Nicht-Souveränität
1. Zur aktuellen Diskussion um die "Souveränität"
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der rote Faden und zentrale Richtsatz der Reichsstaatslehre vom Ende des 16. Jahrhunderts an und behielt seine dominierende Gültigkeit bis zum Ende des Reiches 1806. Aber auch für die Reichsterritorien selbst, die nach dem westfälischen Frieden sich immer mehr vom Reich bis zur völligen Selbständigkeit loslösten und praktisch die innere Souveränität besaßen, galt er. Sie empfanden sich bis zuletzt nach außen hin dem Reich unterstehend, und deshalb als "etats-misouverains"s8, als "halbsouveräneStaaten", wie es Friedrich Freiherr von Zentner, einer der bedeutendsten bayerischen Staatsmänner im beginnenden 19. Jahrhundert, von dem in dieser Arbeit oft die Rede sein wird, rückblickend ganz klar formulierte 39 • Hier irrt TeIlenbach also, wenn er meint, daß die Frage der äußeren Souveränität nicht so entscheidend war. In der neueren deutschen Verfassungsgeschichte ist sie sogar die entscheidende. des Kaisers: "Neantmoins la maieste souveraine de cest empire la ne gist pas en la personne de l'empereur, ains en l'assemblee des estats de l'empire, qui peuvent donner loy a l'empereur et a chacun prince en particulier: de sorte que l'empereur n'a puissance de faire edict quelconque ni la paix, ni la guerre, ni charger les suiects de l'empire d'un seul impost, ni passer par dessus l'appel interiette de lui aux estats." (Bodin, livre 1, chap. 9, S. 180.) An anderer Stelle: co ••• le titre imperial n'emporte rien de souverain." (Bodin, livre 1, chap. 9, S. 180.) Von Kar! dem Großen bis zu Heinrich I. sei das Reich noch eine reine Erbmonarchie gewesen, fand Bodin. Dann habe es sich in ein Wahlkönigtum verwandelt, und nach und nach hätten die sieben Kurfürsten dem Kaiser immer mehr Souveränitätsrechte abgenommen. " ... ne laissant rien a l'empereur que les marques en apparence, demeurant en effect la souverainete aux estats de sept electeurs, de trois cens princes ou environs, et des ambassadeurs deputez des villes imperiales. Nous avons monstre que l'estat est aristocratique, ou la moindre partie des citoyens commande au surplus en norne collectif et a chacun en particulier ..." (Bodin, livre 2, Chap. 6, S. 231. Zit. nach der Ausgabe von 1599.) 2. Zur Nicht-Souveränität der Stände: puis donc que nous avons monstre, que l'empire est un estat aristocratique, il faut conclure qu'il n'y a prince, ni ville imperiale, qui ait la Souuerainete: ains ne sont autre chose que membres de l'empire, gouvernant chacun son estat - sous la puissance, et sans deroger aux loix et ordonnances de l'empire" (Bodin, livre 2, chap. 6, S. 326.) Es ändere nichts an der Abhängigkeit eines jeden Reichsstandes vom Reich, daß er über eine eigene Verwaltungsapparatur verfüge, betont Bodin. Er bleibe, trotz der Ausübung der Souveränitätsrechte in seinem Staat, dem Reich unterstellt und sei deshalb nicht souverän. Vgl. Schubert: a.a.O., S.362. 38 Diesen Ausdruck verwendet aufbauend auf Bodin im 18. Jahrhundert besonders G. F. Martens: Recueil des principaux traites 1791 - 1800 und in seinem Precis du Droit des Gens moderne de l'Europe, Göttingen 1799 - 1801, 3 Bde. Im 19. Jahrhundert vor allem Nikolaus Thaddäus Gönner: Teutsches Staatsrecht, 1804 (siehe Kap. 2 dieser Arbeit). Später, in der Zeit des Deutschen Bundes, verwenden ihn fast alle deutschen Staatsrechtler, wenn sie auf die Verfassung des Reiches zurückblenden. Besonders C. v. Kaltenborn: Geschichte der deutschen Bundesverhältnisse und Einheitsbestrebungen von 1806 - 1856, 2 Bde., Berlin 1857; H. A. Zachariae: Deutsches Staats- und Bundesrecht, Göttingen 1841; J. Held: System des Verfassungsrechts der monarchischen Staaten Deutschlands, Teil I, Würzburg 1856. 3D Georg Friedrich Freiherr von Zentner erklärte als Staatsrat im bayerischen Ministerium des Äußeren, rückblickend auf das Reich noch kurz vor dem Beitritt Bayerns zum Deutschen Bund, das wichtigste Ziel für Bayern sei, endlich
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Einleitung
Wir kommen hierauf gleich in Teil II der Einleitung eingehend zurück. Zuerst noch einmal zur Gegenwart. Zwischen den beiden heutigen kontrahierenden Auffassungen über die Souveränität - hier die "kategorische", die sie verneint, und dort die von der zwar "inhaltlich geänderten", aber doch unbedingt aufrechtzuerhaltenden Souveränität des positiven Völkerrechts, das durch Tellenbachs und auch Mitteis' Thesen natürlich bestärkt wird - gibt es noch eine dritte, die zwischen beiden zu vermitteln und einen Kompromiß zu schließensucht. Einer ihrer neuesten und auffälligsten Vertreter ist Werner von Simson40 , der im Endeffekt in der Sache zu dem gleichen Ergebnis kommt wie die genannten Vertreter des positiven Völkerrechts, dessen Ansatzpunkt jedoch ein grundverschiedener und dem Historiker sympathischerer ist. Simson ist kein positiver Rechtsdogmatiker, sondern er geht vielmehr von den bestehenden historischen Fakten aus. Er gibt durchaus zu, daß die heutige Souveränität keine Souveränität im Sinne Jean Bodins mehr ist, plädiert aber trotzdem dafür, an ihr festzuhalten. Seine Begründung: man könne nichts mehr daran ändern. Souveränität als Bezeichnung für moderne Staatsgewalt habe sich nun einmal so durchgesetzt, sei derart unauslöschlich im Bewußtsein der Staaten, in Politik und neuerer Geschichte integriert, daß man sie nicht mehr abschaffen könne. Man müsse sich nach der tatsächlichen historischen Situation in der Welt richten, welche zeige, daß die meisten Staaten trotz aller Verbindlichkeiten weiter als "souverän" anerkannt und bezeichnet werden wollten41 • Hiergegen läßt sich natürlich einwenden, daß es sich Simson ein wenig zu leicht macht mit der eben erwähnten Tatsache, daß das positive Völkerrecht im Grunde alle Staaten als souverän anerkennt, die sich für souve"aus der Unterordnung der deutschen Halbsouveräne in die Kategorie souveräner Staaten sich zu erheben" (GSTA MA 1029). Zentner in der Staatskonferenz im April 1815. Zentner bezog sich dabei offensichtlich auf Martens, den er in seinen Gutachten häufig zitiert. Zentner wird im 2. Hauptteil dieser Arbeit eine wichtige Rolle spielen. 40 W. v. Simson: Die Souveränität im rechtlichen Verständnis der Gegenwart, Berlin 1965, a.a.O. 41 Simson: S. 199; als sprechendes Beispiel hierfür mag die Rede des damaligen Außenministers und jetzigen Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Willy Brandt, am 3. Sept. 1968 im Völkerbundpalast vor der Konferenz der Nicht-Nuklearmächte, gelten. Die Bundesrepublik pocht in ihrer Verfassung zwar nicht mehr ausdrücklich auf die Souveränität, dennoch aber forderte Brandt die Großmächte in Genf auf, die "universalen Grundsätze des Völkerrechts nicht zu verletzen und die Souveränität der anderen Staaten zu achten"; "Was immer man unter Interessensphäre einer nuklearen Großmacht verstehen mag, ändert nichts daran, daß die universalen Prinzipien des allgemeinen Völkerrechts, wie sie auch in den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen ihren verbindlichen Ausdruck finden ... nicht verletzt werden dürfen: Souveränität - territoriale Integrität - Gewaltlosigkeit - Selbstbestimmung der Völker - Menschenrechte". Zitiert in der Südd. Ztg. v. 5. 9. 68.
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rän halten, auch wenn sie einen erheblichen Teil "wahrer" Souveränität nicht mehr besitzen und nach und nach weitere Teile verlieren - daß es sich einerseits also fortlaufend nach der politischen Situation der Staaten richtet, die es zu verbinden sucht -, sich andererseits aber den Staaten wiederum durchaus als anrufbare, verbindliche Rechtsinstanz anbietet: daß hier also eine Wechselbeziehung herrscht, bei der beide Teile sich gegenseitig decken. Simson kann dies nicht leugnen, hält aber trotzdem an der politischen Gegenwartssituation fest und kommt so zu seinem Wort von der "formellen" Souveränität42 . Es sei völlig klar, konstatiert er, daß die Welt heute von politischen Einheiten beherrscht werde, deren geographische Größenverhältnisse kontinentalen Umfang hätten, mit Einwohnerzahlen von 100 bis 200 Millionen43 . Jedem einzelnen Staat, der entscheidend unter dieser Größenordnung bleibe, sei es "unmöglich, eine beliebige souveräne Politik im alten Sinne zu treiben"44. Die Politik der kleineren politischen Einheiten könne also "im wesentlichen Maße nur noch in der Gestaltung ihres Verhältnisses zu den großen politischen Einheiten bestehen", und zwar zu den machtmäßig allein erstrangigen unter ihnen, den USA und der Sowjetunion, die über Waffen verfügten, die sie praktisch unangreifbar machten 45 . Es könne, gibt Simson nochmals zu, durchaus "je nach der weltanschaulichen GrundeinsteIlung verschieden beurteilt werden, wie weit die heutige Souveränität, gemessen an der Forderung der übereinstimmung von Ziel und Technik des Staates mit dem Verwirklichungsprogramm einer vorgegebenen konkreten Gesellschaftsordnung, noch legitim" sei. Aber es bleibe doch bestehen - und nun kommt einer seiner Kernsätze -, "daß der nationale Staat, wenn er nicht rechtlich in eine Staatenvereinigung eingeordnet ist, der formelle Willensträger, Vertragspartner und Adressat völkerrechtlicher Normen und Erklärungen bleibt, die Gesamtpersönlichkeit, durch die die Völker überhaupt miteinander in Beziehung treten"48. Aus diesem Grunde, weil die Staaten nach wie vor "Persönlichkeiten" sind, hält Simson an der Souveränität fest. Herbert Krüger versucht die heutigen Fragestellungen und Standpunkte zur Souveränität zusammenzufassen47 . Er entscheidet sich weder 42
Simson, S.199.
Im einzelnen nennt Simson die Sowjetunion, die USA, China und Indien als Kontinent. Er folgt hier den Ausführungen von C. M. Woodhouse: British Foreign Policy since the second World War, London 1961. W. ist der frühere Generaldirektor des Royal Institute for International Affairs, London. 43
44 45 48
Simson, S.197.
Ebenda.
Derselbe: S. 199.
47 In seinem bereits genannten Art. "Souveränität" im Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 9, 1956.
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Einleitung
für die eine, noch für die andere Seite. Dennoch beklagt auch er eine "Aushöhlung"48 der äußeren Souveränität und ebenso eine Beeinträchtigung der inneren mit besonderem Blick auf den wachsenden Einfluß von Partei-, Wirtschafts- und Gewerkschaftslobby sowie anderer Interessengruppen auf die Regierungen der Staaten: "Einzigkeit und Einseitigkeit der Staatsgewalt scheinen dadurch in Frage gestellt, daß sich innerhalb des Staates mächtige politische, wirtschaftliche und soziale Verbände gebildet haben, die nicht nur dem Staat das Monopol der Herrschaft streitig machen, sondern ihrerseits den Staat zu beherrschen suchen49 ." Ein Tatbestand, mit dem sich besonders auch der englische Gesellschaftshistoriker Treyelyan60 speziell auf England bezogen beschäftigt hat. Einer seiner wichtigsten Bemerkungen macht Krüger zum Schluß. Speziell eingehend auf die deutsche verfassungsgeschichtliche und staatsrechtliche Entwicklung stellt er "Souveränität" und "Landeshoheit" gegenüber, wobei er erklärt, daß man es mit der Auslegung letzterer sehr viel leichter habe, weil sie ein "historischer" Begriff und kein "systematischer" wie die Souveränität sei, die als dauernder, immer gegenwärtiger Grundbegriff in das Völker- und Staatsrecht aufgenommen wurde und nie "historisch" werden könne, was eben die Schwierigkeiten ihrer klaren Interpretation hervorrufe 5oa • Diese Schwierigkeiten aber begannen in dem Augenblick, in dem die Landeshoheit von der Souveränität abgelöst wurde. Damit sind wir nun im 19. Jahrhundert, sind wir beim Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahre 1806 und bei der Errichtung des Deutschen Bundes 1914/15, dem entscheidenden Datum der deutschen Geschichte, in dem das Postulat "Souveränität" zum ersten Mal in die Verfassung Deutschlands aufgenommen wurde und in das deutsche Staatsrecht einging. Es ist der Zeitraum, den diese Arbeit hauptsächlich behandelt. 2. Die Frage der Souveränität in der deutschen Verfassungsgeschichte im 18. und 19. Jahrhundert Vom 18. Jahrhundert bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts herrschte im Reich über die Frage der Souveränität reichsrechtlich allgemein kaum Zweifel. Nach den heftigen Diskussionen in der Reichsstaatslehre im 17. Jahrhundert, in deren Verlauf die eine Seite dem Kaiser, die andere Krüger: S. 309. Ebenda. 50 G. M. Trevelyan: English Social History, London 1946, und derselbe: The Present Position of History, London 1927. 50 a Krüger: S. 310. 48
48
2. Zur Frage der Souveränität in der Verfassungsgeschichte
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den Reichsständen die Souveränität zusprach50b , folgte man nun, zwar den Kaiser aufwertend, aber in der Grundaussage eindeutig dem Richtsatz Jean Bodins, der weder dem Kaiser, noch einzelnen Reichsständen die Souveränität zuerkannt, sondern sie nur dem Reichstag zugewiesen hatte5oe . Nur wenige Ausnahmen50d gab es hinsichtlich dieser Interpretation. Diese Auffassung galt trotz des westfälischen Friedens, der mit der Erteilung des Bündnisrechtes an die Stände51 deren Machtstellung und Libertät gegenüber dem Kaiser ungeheuer stärkte und den Auflösungsprozeß des Reiches einleitete. Im Friedensinstrument war es Frankreich jedoch nicht gelungen obwohl das Ergebnis des 30jährigen Krieges einen "Triumph"52 seiner Politik darstellte -, den Ausdruck "souverainete" in den Text aufnehmen zu lassen. Sein Vorschlag für den 8. Artikel: "que tous les Princes et Etats en general et en particulier, seront mainenus dans tous les autres droits de souverainete qui leur appartiennent"53 wurde nicht akzeptiert 50b Siehe oben Anm. 35a. 50e Siehe oben Anm. 37. SOd Auffallendeste Ausnahme war Leipniz, der auch unter dem Pseudonym "Caesarinus Fiirstenarius" schrieb und den Reichsfürsten volle Unabhängigkeit gegenüber Kaiser und Reich zuerkannte. 51 Art. VIII, § 2 des Friedensvertrages von Osnabrück vom 14.124. Oktober 1648 (Instrumentum pacis Osnabrugense) lautete: "Gaudeant sine contradictione iure suffragü in omnibus deliberationibus super negotiis Imperü, praesertim ubi leges ferendae vel interpretandae, bellum dercernendem, tributa indicenda, delectus aut hospitationes militum instituendae, nova munimenta intra Statuum ditiones extruenda nomine publico veterave ftrmanda praesidiis, nec non ubi pax aut foedera facienda aliave eiusmodi negotia peragenda fuerint, nihil horum aut quicquam simile posthac unquam fiat vel admittatur, nisi de Commitiali liberoque omnium Imperü Statuum suffragio et consensu. Cumprimis veroius faciendi inter se et cum exteTis foedera pro sua cuiusque conservatione ac secur itate singulis Statibus perpetuo liberem esto, ita tamen, ne eiusmodi fodera sint contra imperatorem et Imperium pacemque eius publicam vel hanc imprimis Transactionem fiantque salvo per omnia iuramento, quo quisque Imteratori et Imperio obstrictus est." Gleichlautende Bestimmungen im Vertrag von Münster, Art. 62 ff. - Text nach Karl Zeumer: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. Auf!., Teil 11, Tübingen 1913, S. 416. 52 F. Dickmann: Der westfälische Friede, Münster 1959, S. 2. 53 über die Frage, ob Frankreich in den Entwurf bewußt oder unbewußt das Wort "souverainete" setzte, herrschen verschiedene Auffassungen. F. Hartung: Deutsche Verfassungsgeschichte, Stuttgart 1950, S. 33, ist letzterer Meinung: Frankreich habe sich gar nicht soviel dabei gedacht, sondern lediglich die Staatsgewalt des Landesherrn bezeichnen wollen, für das es eben keinen anderen Ausdruck als "souverainete" gekannt habe. F. Dickmann: Der westfälische Frieden, a.a.O., S. 7, ist diesbezüglich jedoch anderer Ansicht. Frankreich habe vielmehr das Wort "souverainete" ganz gezielt verwendet, um das Reich zu "zerstückeln". - Im deutschen Staatsrecht des 18. und 19. Jahrhunderts wird betont festgestellt, daß das Wort "nicht akceptirt" worden sei. (H. A. Zachariae: Deutsches Staats- und Bundesrecht, 1. Theil, Göttingen 1865, S. 51.) J. J. Moser:
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und stattdessen mit der rechtlichen Fixierung der historisch gewachsenen Landeshoheit, des "ius territoriale"54 bzw. der "superioritas territorialis" der deutschen Fürsten beantwortet, deren berufenste Interpreten im 18. Jahrhundert die Reichsstaatsrechtler Johann Jacob Moser5 5 und J ohann Stephan Pütter5e wurden. Von der Landeshoheit, S. 18, hebt hervor: "Diese Stelle kam aber nicht in das Fridens-Instrument." Er weist darauf hin, daß das Wort "souverainete" nur in Beziehung auf auswärtige Mächte im Friedensvertrag erschienen sei und erwähnt dabei besonders den Art. 74 des Münsterschen Friedens, "allwo der Cron Frankreich die Landgraffschaft Elsaß cum omnismoda jurisdictione et supe rioritate supremoque Dominio abgetretten worden". Moser: Hier künde nicht nur der Ausdruck "Superioritas, als vielmehr die Worte: Supremum Dominium von der Souverainete". - Hinsichtlich der Frankreich zugesprochenen Souveränität über das Elsaß, der ansonsten aber diesbezüglich recht unklaren Friedensbestimmungen, hatte sich Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts noch ein aufsehenserregender Souveränitäts- und Landeshoheitsstreit zwischen Frankreich auf der einen und Kurfürst Karl Philipp von der Pfalz auf der anderen Seite entzündet, der im Elsaß noch die beiden Oberämter Bergzabern und Germersheim besaß, die unter seiner Landeshoheit standen. Ludwig XIV. versuchte diese pfälzischen Besitzungen immer wieder an sich zu reißen, was ihm jedoch nur teilweise gelang, indem die Franzosen die Probstei Selz und den Ort Hagenbach (zu Germersheim gehörig) behielten, ansonsten aber die kurpfälzischen Besitztümer im Ryswicker Frieden anerkennen mußten und dies 1699 in der Zessionserklärung des französischen Deputierten Ulrich Obrecht, der mit dem Pfälzischen Rat Zachmann unterhandelte, auch taten. Trotzdem kam es immer wieder zu Streitigkeiten, da Frankreich sich mit der Verfassungssituation einfach nicht abfinden konnte, daß der pfälzische Kurfürst territoriale Hoheitsrechte in seinen Amtern innerhalb des französischen Souveränitätsbereichs im Elsaß ausüben konnte. Fast dauernd kam es zu Gerichts-, Steuer- und Zollschwierigkeiten, wobei vorwiegend in spektakulären Gerichtssachen die Franzosen in zweiter Instanz die Urteile des kurpfälzischen Hofgerichts in Heidelberg aufhoben. Erst 1728 wurde ein endgültiger Vertrag zwischen Frankreich und Karl Philipp unterzeichnet, der dem Kurfürsten die ungestörte Ausübung der "superiorite territoriale" mit den vier Hoheitsrechten "droit du logement de guerre, droit des appellations, droits des impositions, droit de peages" (Militär-, Gerichts-, Finanz- und Zollhoheit) garantierte. Vgl. hier die interessante Diss. von H. Schmidt: Kurfürst Karl Philip von der Pfalz als Reichsfürst, München 1960, S. 102 ff. - Moser meint höchstwahrscheinlich diese Auseinandersetzung, wenn er von einem Schreiben Ulrich Obrechts an Ludwig XIV. berichtet, in dem dieser dem König "den Unterschied du Droit de Domaine supreme d'avec celuy de la Superiorite territoriale erkläret". Moser: Von der Landeshoheit, S. 23. 54 Siehe Art. VIII, § 1, des Friedensvertrags von Osnabrück v. 14.124. Okt. 1648: "Ut autem privisum sit, ne posthac in stato politica controversiae suboriantur. omnes et singuli Electores, Principes et Status Imperii Romani in antiquis suis iuribus, praerogativis, libertate, privilegiis, libero iuTis territorialis tam in ecclesiasticis quam politicis exercitio, dictionibus, regalibus horumque omnium possessione, vigore huius Transactionis ita stabiliti firmatique sunto, ut a nullo unquam sub quocunque praetextu de facto turbari possint vel debeant." 55 Johann Jacob Moser: Von der Landeshoheit derer Teutschen Reichsstände überhaupt, nach denen Reichs-Gesezen und dem Reichsherkommen, wie auch aus denen teutschen Staatsrechts-Lehrern und eigener Erfahrung, Frankfurt und Leipzig, 1773. über die Entstehung und Ausübung der Landeshoheit siehe heute vor allem die Arbeiten von Karl Bosl: 1. Artikel "Landeshoheit" im Sachwörterbuch
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Beide verneinten strikt eine Souveränität der Reichsstände 57, sondern sprachen nur von deren Landeshoheit, obwohl sie zugeben mußten, daß zur deutschen Geschichte, 1958, S. 598 f.; 2. Forsthoheit als Grundlage der Landeshoheit in Bayern, in: Gymnasium und Wissenschaft, Festgabe zur Hundertjahrfeier des Maximiliansgymnasiums in München, 1949. 58 Johann Stephan Pütter: Beyträge zum Teutschen Staats- und Fürstenrechte, Göttingen 1777. 57 Siehe Maser: Von der Landeshoheit, S. 19 - 22: "Ein Regent, der keinen höheren über sich hat, wird ein Souverain und seine Lerechtsame Majestätsrechte genannt... Zu läugnen ist zwar nicht, daß in keinem Imperio die Stände solche Potestät haben als in dem heil. Röm. Reiche; sintemahlen nicht allein selbige zur Landeshoheit gelangt, sondern auch überdiß die Libertas Statuum Imperii dergestalt beschaffen, daß selbige mit der eigentlichen Majestät eine große Gleichheit hat. Nichts desto minder aber stellet weder die Superioritas territorialis, noch der Potentatus, noch Libertas illa eximia, eine Majestatem vere et proprie talem dar, massen selbige von der Kayserlichen Majestät dependiret und sich nach den Reichsgesezen reguliren muß." An anderer Stelle hebt Moser die vielen Rechte der Stände nochmals hervor, besonders "den überaus großen Vorzug", den sie "vor den Reichs- und Landständen aller anderen Europäischen Staaten" durch den Besitz des "Gesetzgebungs-, Bündniß- und Gesandtschaftsrechts" hätten (S. 27). Es sei deshalb kein Wunder, daß "Franzosen und andere Ausländer ... die Teutsche regirende Herrn mit dem Titel souverainer Fürsten, Grafen ete. zu belegen pflegten" (S. 17). Pütter meint in diesem Zusammenhang: "Mühe wird es einem der Teutschen Verfassung völlig unkundigen Ausländer kosten, sich überzeugen zu lassen, wie so vielerlei ganz voneinander abweichende Regierungen, (von denen) eine jede eine eigene innerliche Verfassung hat, eine jede sogar gegen auswärtige Mächte solche Rechte, die sonst nur unabhängige Mächte gegeneinander in übung haben, auch Krieg und Frieden, Bündnisse und Gesandtschaften nicht ausgeschlossen; geschweige von innerlichen Regierungsrechten, sowohl gesetzgebende als richterliche Gewalt, hohe und niedere Gerichtsbarkeit, Recht über Leben und Tod und was irgend nur von hohen und niederen Regalien erdacht werden mag - noch in einem Staate vereinget seyn sollen" (Pütter, Beyträge, S. 35). Moser fährt dann fort: "Einige Seribenten haben zwar denen Ständen des Reiches eine wahrhafte Majestät beylegen und sie dißfalls denen geerönten Häuptern oder völlig freyen Staaten gleichstellen wollen." Dies sei falsch. Denn es könne "keiner mit Grund sagen, daß ein einzelner Reichsstand einen solchen unabhängigen und souverainen Staat ausmache, dergleichen die die einzelne vereinigte Niederländische Provinzen und die einzelne Cantons der Schweizerischen Eidgenossenschaft seynd. Diese haben kein wahres und würckliches Oberhaupt: Aber die teutsche Reichsstände. Jene seynd dem gesammten Staat Bundes-mässige Pflichten, die teutsche Reichsstände hingegen dem Kayser und Reich Gehorsam schuldig" (Landeshoheit, S. 26). "Die zu der Landeshoheit gehörige Rechte reichen nahe an die Majestäts- oder Souveränitätsrechte hin, aber nicht ganz. Wer dem Kayser und Reich wie auch denen Reichsgerichten Rechte über seine eigene Person, über sein Land und über seine Unterthanen, eingestehen muß (wie es die teutsche Reichsstände müssen) der kan ja unmöglich souverain und unabhängig seyn" (Landeshoheit, S. 25). - Die Vorlage Bodin zeigt sich hier bei Moser ganz deutlich; er gebraucht am Anfang der eben zitierten Passage fast die gleichen Worte wie dieser :"Plusieurs toutefois pensent, que les prinees et villes imperiales ont leur estat souverain apart, que les estats de l'empire sont eomme eeux des ligues de Suisse. Mais la differenee: ear chaeun eanton est souverain, et ne souffre loy, ni eommandement des autres, et n'ont autre obligation entr'eux que d'allianee offensive et defensive ... " ete. Bodin: Livre 2, chap. 6, S. 322.
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diese sich inzwischen praktisch bis zur völligen Unabhängigkeit und Selbständigkeit vom Reich losgelöst hatte und letzteres nahezu völlig machtlos war 58 • Schon 1667 hatte es Pufendorf deshalb als ein "irregulare aliquod corpus et monstro simile"58 bezeichnet. Das Faktum der zuletzt fast völligen Ohnmacht des Reiches - sich dokumentierend in seinem " ewigen " Reichstag, der seit 1663 nicht mehr verabschiedet werden konnte und bis zum Zusammenbruch des Reiches tagte, angesichts des Bündnisrechtes, das die Reichsstände zu Völkerrechtssubjekten machte, die mit fremden Mächten paktierten und auch ihre gegenseitigen Beziehungen weithin nach völkerrechtlichen Prinzipien gestalteten, vor allem aber die Ereignisse des Spanischen und Österreichischen Erbfolgekrieges, in denen die drei mächtigsten Reichsglieder Österreich, Preußen und Bayern einzig und allein um ihren eigenen Vorteil und ihre Machtstellung kämpften - hat neuerdings in der Forschung dazu geführt, die Aussagen Mosers und Pütters zur Landeshoheit und ihre Verneinung der Souveränität als "ahistorisches, schematisierendes" "Lehrgebäude"60 hinzustellen. über diese Behauptung bzw. Aussage darf man geteilter Meinung sein. Natürlich waren die Reichsstände bei ihren Rechten und Freiheiten, die sie sich auf Grund ihrer Machtstellung nahmen, praktisch souverän; ihre Unabhängigkeit kam einer Souveränität immer näher und schließlich fast gleich. Insofern hat Kar! Otmar von Aretin durchaus recht, wenn er in seiner verfassungsgeschichtlichen Untersuchung über das Reich im Zeitraum von 1776 - 1806 von einer "Auseinandersetzung zwischen Reichsverfassung" und der sich praktisch immer mehr "ausbildenden Staatssouveränität" der Reichsstände spricht61 . Aretin hütet sich aber aber sehr davon, diese "souverän" zu nennen. Denn entscheidend für die Aussage des Historikers ist doch, ob sich die Reichsstände selbst damals als "souveräne" Staaten empfanden und bezeichneten - und das taten sie mit Ausnahme Preußens nicht. Allein Preu58 Siehe Moser: Landeshoheit, S. 258: "Im Reiche ist die Türe aus der Angel und der Wagen aus dem Gelaiß"; und besonders zur katastrophalen Realität der Reichskriegsverfassung: "Die bei einem Reichskrieg und einer Reichsarmee sich äußernden Gebrechen sind so groß, auch viel und mancherlei, daß man, so lange das Teutsche Reich in seiner jetzigen Verfassung bleibt, demselben auf ewig verbieten sollte, einen Reichskrieg zu führen, solange es nur immer möglich ist." (Moser: Teutsches Staatsrecht, S. 810.) 59 Samuel Pufendorf: La statu imperii Germanici liber, 1667, Cap. 6, § 9. aG H. H. Hofmann, Adelige Herrschaft und souveräner Staat, Studien über Staat und Gesellschaft in Franken und Schwaben im 18. und 19. Jahrhundert, München 1962, S. 94, der, obwohl er Moser sonst völlig richtig sieht, doch ein solches Urteil abgibt. 81 K. O. Frhr. v. Aretin: Heiliges Römisches Reich 1776 bis 1806, Reichsverfassung und Staatssouveränität, Wiesbaden 1967, S. 108.
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ßen erklärte bewußt seine "Souverainete wie einen Rocher von Bronce"62, sonst kein anderer Staat des Reiches. Zwar titulierten sich in der französischen Umgangssprache im 18. Jahrhundert oft Kurfürsten und Fürsten als "Souverains" und ließen sich so anreden - wie z. B. auch der selbstherrliche bayerische Kurfürst Max Emanue163 - , aber dies war mehr absolutistische Herrschafts- und Majestätssprache, beinhaltete aber kaum eine verbindliche Rechts- oder Machtaussage gegenüber dem Reich. Der Tatbestand, wie ihn Moser darstellte, traf zu. Zwischen den Aussagen des Reichsstaatsrechts zur Souveränität und den diesbezüglichen Auffassungen bei den Fürsten und leitenden Politikern der Reichsterritorien gab es keine grundlegenden Meinungsverschiedenheiten. Besonders die Haltung Bayerns und die Ausführungen seines führenden Staatsmannes Kreittmayr zur Souveränität bestätigen dies, wie in unserem Kapitel 2 des ersten Hauptteils gezeigt werden wird. Moser wollte durchaus kein "Lehrgebäude" aufrichten, sondern er versuchte die Verhältnisse im Reich getreulich zu beschreiben, weshalb er zu seiner so komplizierten Landeshoheits-Definition kam64 und weshalb er als erster deutscher StaatsrechtIer sechzehn deutsche Partikularstaatsrechte schrieb65, 82 "Er stabilire seine Souverainete wie einen Rocher von Bronce!" Dieser spektakuläre Ausspruch König Friedrich Wilhelms 1. den preußischen Ständen gegenüber, wurde im Preußischen Staatsrecht II von H. Simon besonders hervorgehoben (S. 130). H. A. Zachariae griff ihn später in seinem 1865 erscheinenden Deutschen Staats- und Bundesrecht (S. 51) kritisch auf. Preußen war der einzige Reichsstand, in dem seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nach der Einverleibung Schlesiens offiziell von "Souverainete" gesprochen wurde. Vgl. H. Rößler: Art. "Souveränität" im Sachwörterbuch zur deutschen Geschichte, 1958, S. 183/84. 63 "Sich vergrößern ist die würdigste und angenehmste Tat eines Souverains." Kurfürst Max Emanuel unmittelbar vor dem Eintritt in den Spanischen Erbfolgekrieg. Zitiert bei M. Doeberl: Entwicklungsgeschichte Bayerns, H, S. 118. M Sie lautet: "Die Landeshoheit seye ein denen Ständen des Reiches zukommendes Recht, vermöge dessen sie befugt seyen, in ihren Landen und Gebieten alles dasjenige zu gebieten, zu verbieten, anzuordnen, zu thun und zu lassen, was einem jeden Regenten nach denen Göttlichen, Natur- und Völcker-Rechten zukommt; insoferne ihnen nicht durch die Reichsgeseze, das Reichsherkommen, die Verträge mit ihren Landständen und Unterthanen dieser alt und wohlhergebrachte Freiheiten und Herkommen die Hände gebunden sind." Moser: Landeshoheit, S. 9. 65 Moser schrieb folgende Partikularstaatsrechte, "um die Deutschen das Reich kennen zu lehren, wie es wirklich war" (H. Schulze in Allgern. Deutsche Biographie, Bd. 22, Leipzig 1885, S. 377): "Einleitung in das Churfürstlich Baierische Staatsrecht", 1754; "Einleitung in das Marggräflich-Badische Staatsrecht", 1772; "Einleitung in das Churfürstlich Maynzische Staatsrecht", 1755; "Allgemeine Einleitung in die Lehre des besonderen Staatsrechts aller einzelnen Stände des Heil. Röm. Reiches", 1739; "Entwurf eines Staatsrechts derer geistlichen Fürsten des Hl. Römischen Reiches", 1738; "Grundriß des Staats-Rechts der heil. Röm. Reichs-Statt Nürnberg", 1741; "Staats-Recht der Reichs-Statt achen", 1740; "Staats-Recht des H. Fürstl. Hauses Anhalt", 1740; "Staats-Recht des Hochstüts Augsburg", 1740; "Staats-Recht der Reichs-Abtey Baindt", 1740; "Staats-Recht des Hoch-Stiffts Constanz", 1740; "Staats-Recht des ReichsGräflichen Hauses von der Leyen", 1744; "Staats-Recht des Reichs-Gräflichen
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weil die deutschen Territorien nach seiner Auffassung sich ohne Zweifel zu Territorialstaaten herangebildet hätten, aber dennoch keine Souveränität besäßen, da sie rechtlich dem Reich unterstellt wären. Sie bezeichneten sich auch nicht als souveräne Staaten, stellte Moser fest - außer Preußen und einigen anderen zeitweiligen Ausnahmen, mit denen er sich eingehend befaßte65a . Jeder, der etwas anderes behaupte, sage die Unwahrheit und gehöre zur "Souveränitätsmacherzunft"60. Hauses Plettenberg", 1744; ferner "Staats-Rechte" der "Graffschafften" Sayn, 1749, Schaumburg, 1740, der "Reichs-Stätte" Aalen, 1740 und Zell am Hammersbach, 1740, von "Chur-Braunschweig", 1755, und "Chur-Pfalz" 1763.
85a "Es ist nicht zu läugnen, daß sich etwa ein- oder anderes Exempel finden dörffte, da ein Reichsstand sich dises Ausdrucks wohl auch von selbsten bedienet hat" (Landeshoheit, S. 17). An erster Stelle nennt Moser Preußen, bei dem er zunächst auf eine Beschwerde Kurfürst Friedrich Wilhelms zu Brandenburg 1662 gegen die Generalstaaten der vereinigten Niederlande zurückgreift. Friedrich Wilhelm habe damals geäußert, "daß Ihm, einem freyen und souverainen Reichsfürsten, in seine undisputierliche Reichshoheit und Souverainetät mit bewehrter Hand Eintrag gethan worden seye". Dazu bemerkt Moser, daß dieser Ausdruck l. "etwas sehr rares" sei, und 2. durch die Worte "freyen Reichsfürsten und Reichshoheit so gemäßiget" werde, "daß man wohl siehet, der Ausdruck werde nicht in seinem sonst gewohnlichen eigentlichen und scharfen Verstand, sondern in weitläuftigem und uneigentlichen Sinn gebraucht, auch nicht in Absicht auf eine Unabhängigkeit von dem Kayser, sondern von denen vereinigten Niederlanden" (Landeshoheit, S. 17). Kurfürst Friedrich Wilhelm wird also von Moser noch verteidigt; später, bei Friedrich dem Großen, tut er dies jedoch nicht mehr. Die Tatsache, daß der König von Preußen sich als "souverainen Herrn von Schlesien und Glaz" bezeichne, verurteilt Moser mit dem nachdrücklichen Hinweis auf das Reichsgutachten vom 14. Mai 1751, nach dem er dazu nicht berechtigt sei. - Als weitere Beispiele nennt Moser die Fürsten zu Salm, die sich unberechtigterweise .. in einem Instrument vom 7. Februar 1770 souveraine Herrn zu Anhold" nennen würden (Landeshoheit, S. 17). Auch dem Fürsten von Thurn und Taxis, der sich "Erbmarschallen der souverainen Provinz Hennegau" tituliere, stehe dieser Titel gewiß nicht zu, da "doch Hennegau ohnstreitig theils unter des Teutschen Reiches, theils unter Französischer Hoheit stehet" (Landeshoheit, S. 17). Mit Ausnahme Preußens ninunt Moser alle diese Fälle von .. Souverainete" nicht besonders ernst, sondern interpretiert sie als Eitelkeit und Selbstgefälligkeit einzelner Fürsten: "Im Grund bedeutet der ganze Streit nichts, sondern läuft entweder auf ein Wort-Spil oder eine solche Schmeicheley hinaus, womit man bey allen Verständigen, ja bey denen allermeisten Teutschen Regenten schlechte Ehre einlegen wird" (Landeshoheit, S. 17). Einen besonders interessanten Fall hat Moser in diesem Zusammenhang noch übersehen. Ebenso wie der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm zu Brandenburg 1662 sprach auch Herzog Philip Wilhelm von Pfalz-NeuburglDonau 1671 gegenüber den Holländern gleichzeitig sowohl von seiner .. landesherrlichen Hoheit" als auch .. Souverainetät", als er in einem Reskript an den Gesandten in Haag, Eberhard von Aller, am 22. März sich energisch über die übergriffe der Holländer in seiner .. souverainen Herrschaft" Ravenstein beklagte. Ravenstein war Teil der Jülisch-Bergischen Erbschaft Pfalz-Neuburgs, die Oberlehensherrschaft darüber besaß bis 1648 der Herzog von Brabant. Nachdem im Westf. Frieden Brabant geteilt worden war, beanspruchten sowohl Holland als auch Spanien die Oberlehensherrnrechte. Die Holländer hielten Ravenstein weiterhin besetzt und verboten den Einwohnern, mit Frankreich Handel zu treiben. Darauf drohte ihnen Friedrich Wilhelm, sich wieder mit Frankreich zu verbünden, wenn sie nicht schleunigst aus seiner Herrschaft verschwänden: "Wenn sie (die Holländer) sich auf das Recht als Lehensherr
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Moser hielt sich streng an das Souveränitätspostulat Bodins, wobei er durchaus nicht das Schuldgefühl gehabt haben wird, dadurch, daß er die deutschen Territorien offiziell als "Staaten" titulierte, sich in Widerspruch zu Bodin zu setzen, denn dieser selbst, der sich so lange mit dem Wesen der Reichsverfassung abgeplagt hatte, nannte die deutschen Reichsterritorien ja mehrere Male "estats", ohne ihnen jedoch Souveränität zuzuerkennen67 • Auch Pütters These vom Reich als "einen zusammengesetzten Staatskörper"68 wurde durch Bodin gedeckt, der sich schließlich entschloß, das Reich als "einen gegliederten Einheitsstaat"" berufen würden und wann sie je als mächtigere uns desfalls eingreifen und unsere landesherrliche Hoheit schwächen würden, dieselben uns nit verdenken sollten, wann Wir auf Mittel und Wege gedenken würden, Uns bei Unserer hergebrachten Souveränität so gut Wir können zu manuteniren." Besonders bemerkenswert ist hier, wie Philip Wilhelm seine "landesherrliche Hoheit" bei seiner Drohung mit Frankreich in "Souverainetät" umwandelt. Moser hätte diese Äußerung sicher ebenso interpretiert und entschuldigt wie bei dem großen Kurfürsten von Brandenburg. Siehe dieses Reskript Philip Wilhelms im GSTA München, Kasten blau, 60/35). 88 Moser, zitiert bei H. Schulze, in Allgemeine Deutsche Biographie, a.a.O., S.378. 87 Siehe Anm. 37 in Einleitung I. 68 PiLtter: Beyträge zum Teutschen Staats- und Fürstenrechte, a.a.O., Kap. "Von der Regierungsform des Teutschen Reiches", S. 20: Bisher habe man sich "bloß an die Aristotelische Einteilung der Staaten in Monarchien, Aristokratien und Democratien gehalten, eine Einteilung, die ihre ganz gute Richtigkeit" habe: "Aber über diese Einteilung muß man sich noch eine höhere denken, vermöge deren auf gleiche Art, wie es einfache oder zusammengesetzte Gesellschaften gibt, so auch einfache oder zusammengesetzte Staatskörper seyn können." "Warum sollte nun nicht auch ein solcher zusammengesetzter Staat möglich seyn, der aus mehreren besonderen, nur nicht ganz freyen Staaten bestände, die noch eine höhere, gemeinsame Gewalt über sich hätten? Und wer erkennt hier nicht gleich schon einen der Hauptzüge unserer Teutschen Reichsverfassung?" (Beyträge, S. 28). Zum gleichen Ergebnis war im Grunde auch Bodin gekommen. Auch bei Pütter zielt die gesamte Argumentation darauf ab, die Souveränitätsfrage zu erläutern und zu klären. Aber im Gegensatz zu Moser, der sich offen mit der Souveränität auseinandersetzt und alle ihm bekannten "Vorfälle" von "Souveränität" aufzählt, hält Pütter die Souveränität für so gefährlich, daß er es vorzieht, sie kein einziges Mal wörtlich zu en';iilmen. Während Moser das Wort "Souverainete" in die überschrift eines seiner wichtigsten Paragraphen stellt (§ 13, S.16: "Vergleichung (der Landeshoheit) mit der Souverainete", in: Von der Landeshoheit, a.a.O.), schweigt Pütter die Souveränität tot. Immer wieder ermahnt er die deutschen Fürsten, über ihre rechtmäßige und hergebrachte Landeshoheit hinaus nicht mehr anzustreben, wollten sie sich nicht sowohl gegen das Reich als auch gegen ihre eigenen Lande schuldig machen. Alles, was über eine Landeshoheit hinausgehe, sei Tyrannei und Despotie; Pütter verdammt die Souveränität: "Die Landeshoheit ist ... nur zu dem berechtigt, was die allgemeine Wohlfahrt erfordert, wenn sie anders nicht in Tyranney oder Despotismus ausarten soll" usw. (Bey träge, S. 317). Es ist das gleiche Argument, das Österreich und Preußen 38 Jahre später beim Wiener Kongreß ins Feld führen werden, um dem Antrag der ehemaligen Rheinbundstaaten, das Wort "Souverainetät" bzw. "souverain" in die neue deutsche Verfassung aufzunehmen, schärfstens zu begegnen. Siehe den 2. Hauptteil dieser Arbeit. 8D Vgl. Schubert: Die deutschen Reichstage, a.a.O., S. 361. 3·
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anzusehen. Diese beiden Bezeichnungen ähneln sich in der Sache doch sehr. Ganz anders Hegel. Für ihn war Deutschland, nachdem dessen Staatslehrer wirklichkeitsgetreu von mehreren Staaten in einem zusammengesetzten Staatskörper sprachen, "kein Staat mehr"70 j denn ein Staat war nach seiner Meinung nur ein Staat, wenn er auch die Souveränität hatte und diese besaßen für ihn nicht das Reich, sondern die Reichsterritorien. Er hatte deshalb für die Bemühungen Mosers und Pütters, den deutschen Verfassungszustand realitätsgemäß zu beschreiben, nur Hohn und Spott übrig: "Es ist kein Streit mehr darüber, unter welchen Begriff die deutsche Verfassung falle. Was nicht mehr begriffen werden kann, ist nicht mehr ... Die älteren deutschen Staatslehrer, welchen bei der Behandlung des deutschen Staatsrechts die Idee einer Wissenschaft vorschwebte, und welche also darauf ausgingen, von der deutschen Verfassung einen Begriff festzusetzen" - hier meint Hegel neben Reinking vor allem Pufendorf - "konnten über diesen Begriff nicht einig werden, bis die neue ren es aufgaben, ihn zu finden, und das Staatsrecht nicht mehr als eine Wissenschaft, sondern als eine Beschreibung von dem, was empirischerweise, ohne einer vernünftigen Idee sich anzupassen, vorhanden ist, behandeln und dem deutschen Staate nichts mehr als den Namen eines Reiches oder eines Staatskörpers geben zu können glauben71 ." Hier wird die Behauptung von dem "schematisierenden Lehrgebäude" Mosers also schon von Hegel widerlegt. Denn dieser stößt sich ja gerade daran, daß Moser nur eine "Beschreibung" des Verfassungszustandes des Reiches gibt und kein Lehrgebäude aufzustellen in der Lage ist. Neuerdings haben ja auch F. H. Schubert und E. W. Böckenförde genau das Gegenteil festgestellt. Schubert spricht davon, daß die Reichsverfassungslehre sich seit Beginn des 18. Jahrhunderts "mehr und mehr von staatstheoretischen Gesichtspunkten entfernte" und "zu einfacher Beschreibung" der Verhältnisse im Reich überging72 . Auch Böckenförde bezeichnete Moser als alles anderere als einen anachronistischen Theoretiker, sondern als einen "unermüdlichen Sammler staatsrechtlichen Materials" im Reich 73. Und historischen, darf man hinzufügen. 70 G. W. F. Hegel: Die Verfassung Deutschlands. 1802, Einleitung S. 1, in Lasson (Hrsg.): Hegels Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie, Leipzig 1913. Zu dieser Schriften Hegels siehe vor allem Hans Maier: Hegels Schrift über die Reichsverfassung, in: Politische Vierteljahresschrift 4 (1963), S. 334-
351. 7\ 72
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Hegel: ebenda. Schubert: a.a.O., S. 577. E. W. Böckenförde: Gesetz und gesetzgebende Gewalt, Von den Anfängen
der deutschen Staatsrechtslehre bis zur Höhe des staatsrechtlichen Positivismus, 1958, S. 19.
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Grundlegend anders stellt sich die Verfassungssituation in Deutschland knapp fünfzig Jahre später dar. In diesem Zeitraum endet in der deutschen Geschichte eine Epoche. Das heilige römische Reich deutscher Nation zerfällt endgültig unter dem Ansturm Frankreichs. Sechzehn Reichsterritorien74 verbünden sich im Rheinbund mit Napoleon und erklären sich zu souveränen Staaten, die im Artikel I der Rheinbundakte ihre dauernde Trennung vom Reich aussprechen75 und am 1. August 1806 offiziell vollziehen76 • Sie hören damit auf, Reichsstände zu sein. Nachdem Frankreich mit dem Hinweis auf die "volle Souveränität" der 16 Staaten das Reich nicht mehr anerkennt und seine staats- und völkerrechtliche Existenz leugnet7 7 , legt Kaiser Franz II. am 6. August 1806 nach einem Ultimatum Napoleons die Kaiserkrone nieder78 • Die Herrschaft Napoleons dauert von diesem Zeitpunkt an nur sieben Jahre. Nach seiner Niederwerfung schließen sich die Staaten und freien Städte Deutschlands unter der Führung der beiden Großmächte Österreich und Preußen wieder zusammen, zwar mehr oder minder freiwillig, 74 Die Kurfürstentümer Bayern und Württemberg, die Großherzogtümer Baden, Berg und Hessen-Darmstadt, Herzogtümer Nassau-Usingen und Arenberg, die Fürstentümer Nassau -Weilburg, Hohenzollern -Hechingen, Hohenzollern-Sigmaringen, Salm-Salm, Salm-Kyrburg, Isenburg-Birstein, Liechtenstein, von der Leyen und der Kurfürst-Erzkanzler Fürstprimas Dalberg. Nach dem preußischen Zusammenbruch von 1806 schließt sich die Mehrzahl der übrigen deutschen Territorialstaaten dem Rheinbund durch Akzessionsverträge an, bis schließlich sämtliche deutschen Staaten, außer Österreich, Preußen, Dänisch-Holstein und Schwedisch-Pommern im Rheinbund vereinigt sind. 75 " ••• seront separes a perpetuite du territoire de l'Empire Germanique." (Text aus E. R. Huber: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, Stuttgart 1961, S. 27.) 76"Bei dem Drange dieser wichtigen Betrachtungen haben die Souverains und Fürsten des mittäglichen und westlichen Deutschlands sich bewogen gefunden, einen neuen und den Zeitumständen angemessenen Bund zu schließen ... " Austrittserklärung der Rheinbundstaaten abgedruckt bei Huber: Dok. S. 34. 77 "Sa Majeste l'Empereur et Roi est donc oblige de declarer, qu'il ne reconnait plus l'existence de la constitution germanique, ... en reconnaissant neanmois la Souverainete entiere et absolue de chacun des Princes, dont les etats composent aujourd'hui l'Allemagne ..." Aus der Erklärung des französischen Gesandten Bacher am Reichstag zu Regensburg am 1. August 1806, abgedr. bei Huber, Dok. S. 34. 78 "Wir erklären demnach durch Gegenwärtiges, daß Wir das Band, welches Uns bis jetzt an den Staatskörper des deutschen Reiches gebunden hat, als gelöst ansehen, daß Wir das reichsoberhauptliche Amt und Würde durch die Vereinigung der confoederirten rheinischen Stände als erloschen und Uns dadurch von allen übernommenen Pflichten gegen das deutsche Reich losgezählt betrachten und die ... bis jetzt getragene Kaiserkrone und geführte kaiserliche Regierung wie hiermit geschieht, niederlegen. Wir entbinden zugleich Churfürsten, Fürsten und Stände und alle Reichsangehörigen . " von ihren Pflichten, womit sie an Uns, das gesetzliche Oberhaupt des Reiches, gebunden waren." Aus der Erklärung Kaiser Franz 11. v. 6. August 1806, abgedr. bei Huber, Dok.S.36.
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aber dem Gebot der Sicherheit gehorchend. Keiner entzieht sich dem Bund. Dessen Verfassung weist nach langen Auseinandersetzungen als entscheidendstes Merkmal auf, daß der Bund, der sich "zur Erhaltung der inneren und äußeren Sicherheit Deutschlands" konstituiert, "ein völkerrechtlicher Verein der deutschen souveränen Fürsten und freien Städte" ist7 9• An der Tatsache der durch Napoleon geschaffenen Fakten, d. h. der nunmehrigen Souveränität der ehemaligen Reichsterritorialstaaten kann die neue deutsche Verfassung nicht mehr vorbeigehen, obwohl Österreich und Preußen zunächst alles daran setzen, das Wort Souveränität nicht in die Bundesakte aufzunehmen, "weil es überflüssig sei und der Sache nichts hinzuthue"so. Es gelingt ihnen jedoch nicht, da die ehemaligen Rheinbundstaaten, deren "Souveränitätsmanie"81 viele unitarisch denkende deutsche Staatsrechtler später heftig kritisieren, auf dem Ausdruck "souverän" als wichtigster Forderung bestehen. Die heftige Diskussion um die Souveränität im deutschen Staatsrecht des 19. Jahrhunderts hat aber noch ganz andere Gründe. Sind die Bundesstaaten wirklich souverän? bzw. ist die Souveränität überhaupt mit der Verfassung Deutschlands vereinbar? Das ist die zentrale Frage, die die Rechtslehrer von nun an immer wieder bewegt und nicht zur Ruhe kommen läßt. Denn: im Grunde haben die Staaten dieses Bundes, die sich souverän nennen, mindestens genauso viele Pflichten und Auflagen wie im alten Reich, in dem sie nicht souverän waren, ja es sind sogar noch mehr. 1. Sie besitzen zwar mit dem Bündnisrecht eines der wichtigsten äußeren Souveränitätsrechte, jedoch mit der in Art. 11 Abs. 3 der Bundesakte eingegangenen Verpflichtung "keine auswärtigen Verbindungen einzugehen, welche gegen die Sicherheit des Bundes oder einzelner Bundesstaaten gerichtet wären". Genau die gleiche Einschränkung hatte auch im Art. VIII, § 2, des Westfälischen Friedens von Osnabrück 71 Art. 1 der Wiener Schlußakte v. 15. 5. 1820: "Der deutsche Bund ist ein völkerrechtlicher Verein der deutschen souverainen Fürsten und freien Städte, zur Bewahrung der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit ihrer im Bunde begriffenen Staaten uns zur Erhaltung der inneren und äußeren Sicherheit Deutschlands." Huber, Dok. S. 81. 80 Dieses Zitat Hardenbergs, das Johann Ludwig Klüber in seinen "Acten des Wiener Congresses", Bd. II, Erlangen 1815, S. 114 bringt, wird von nahezu allen deutschen Staatsrechtlern im 19. Jahrhundert wiederholt. 81 So vor allem H. A. Zachariae: Rechtsprofessor in Göttingen, in seinem bereits genannten Deutschen Staats- und Bundesrecht, 1. Thl., Göttingen 1865, S. 179, der bedauert, daß es "bei dem verknöcherten Particularismus und der Souveränitäts-Manie der Regierungen der großen und mittleren Staaten nicht zu einer Befriedung der gerechten Anspruche der deutschen Nation auf Vereinigung in einem festen Staatskörper" gekommen sei. Stattdessen habe Deutschland eine unbefriedigende Verfassung und das deutsche Staatsrecht erschöpfe sich in endlosen Diskussionen um den Begriff und Inhalt der Souveränität im Bund.
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gestanden, der das Bündnisrecht der nichtsouveränen Reichsterritorien eingrenzte. Dieser Artikel entzieht einer freien Allianz- und Expansionspolitik der Bundesstaaten jede Basis. Auf der anderen Seite beansprucht der Bund sehr betont das Recht, im Namen Deutschlands Bündnisse und andere völkerrechtliche Verträge zu vereinbaren. Diese Rechte ergeben sich unmittelbar aus dem Bundeszweck, die Sicherheit, Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit Deutschlands zu gewährleisten. Der Bund ist ein selbständiges Völkerrechtssubjekt. 2. Die Bundesstaaten sind der Bundesverfassung nach souverän, aber sie haben sich bei einem eventuellen Bundeskrieg und dem Abschluß des Friedens widerspruchslos der Entscheidung des Bundesplenums zu fügen (Art. 11 und 35 Wiener Schlußakte)82. Sie sind verpflichtet, an allen Verteidigungsmaßnahmen des Bundes und gemeinsamen Kriegshandlungen mitzuwirken, sie haben kein Neutralitätsrecht. Das Bundesmatrikel schreibt ihnen das Mindestmaß der militärischen Kräfte, mit denen sie am Bundeskrieg teilzunehmen haben, vor. Sie dürfen im Rahmen eines Bundeskrieges auf keinen Fall in einseitige Unterhandlungen mit dem Feind eintreten oder gar einen Waffenstillstand oder Frieden einseitig abschließen (Art. 11, Abs. 2 der BA). 3. Die souveränen Bundesstaaten haben zwar das wichtigste äußere Souveränitätsrecht, das aktive und passive Gesandtschaftsrecht, aber der Bund hat es als übergeordnete Instanz der deutschen Gesamtnation laut Bundesbeschluß vom 12. Juni 1817 und laut Artikel 50 der Wiener Schlußakte auch 83 . Frankreich, Rußland und England sind durch ständige Gesandte bei der Bundesversammlung in Frankfurt vertreten. Ihre Beglaubigungsschreiben lauten auf Entsendung an den Deutschen Bund, "la tres Raute et tres Illustre Confederation Germanique"84. Genauso hatten ausländische Gesandtschaften beim alten Reichstag in Regensburg bestanden. 4. Rat der Bund gegenüber den Bundesstaaten das Exekutionsrecht (Art. 31 - 33 der Wiener Schlußakte: "Die Bundesversammlung hat 81 In Art. 11 der Wiener Schlußakte heißt es u. a.: "In der Regel fasst die Bundesversammlung die zur Besorgung der gemeinsamen Angelegenheiten des Bundes erforderlichen Beschlüsse im engen Rate mit absoluter Stimmenmehrheit ..." In Art. 35: "Der Bund hat als Gesammt-Macht das Recht, Krieg, Frieden, Bündnisse und andere Verträge zu schließen." Huber, Dok. S. 86. 83 Art. 50: "In Bezug auf die auswärtigen Verhältnisse liegt der Bundesversammlung ob: 1. Als Organ der Gesamtheit des Bundes für die Aufrechterhaltung friedlicher und freundschaftlicher Verhältnisse mit den auswärtigen Staaten Sorge zu tragen. 2. Die von fremden Mächten bey dem Bunde beglaubigten Gesandten anzunehmen und wenn es nöthig befunden werden sollte, im Nahmen des Bundes Gesandte an fremde Mächte abzuordnen ... " 8' Beglaubigungsschreiben des französischen Gesandten, Grafen Reinhard, v. 18. Juli 1817. Vgl. Dommermuth: Das angebliche Garantierecht der europäischen Mächte über den Deutschen Bund, Diss. Frankfurt 1928, S. 81.
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das Recht und die Verbindlichkeit, für die Vollziehung der Bundesakte und der übrigen Grundgesetze des Bundes, ... nach Erschöpfung aller anderen bundesverfassungsmäßigen Mittel, die erforderlichen Exekutionsmaßregeln ... in Anwendung zu bringen.")85. 5. Kein Bundesstaat darf aus dem Bund mehr austreten (Art. 5 der Wiener Schlußakte: "Der Bund ist als ein unauflöslicher Verein gegründet, und es kann daher der Austritt aus diesem Verein keinem Mitgliede desselben frey stehen. ")86. Zu diesen rechtlichen Fakten kommen noch die politischen, die von vielen Staatsrechtlern besonders hervorgehoben werden. Das Übergewicht der beiden gegnerischen Großmächte des Bundes, Österreich und Preußen, ist so stark, daß der bayerische Staatsrechtler Joseph Held 1864 alle anderen Bundesstaaten als "fast wie mediatisiert"87 bezeichnet. So ist es auch kein Wunder, daß viele Staats- und Völkerrechtler in Deutschland, die von dem klassischen Souveränitätspostulat Jean Bodins und den früheren Verfassungsverhältnissen im Reich ausgehen, sich weigern, den deutschen Bundesstaaten Souveränität zuzuerkennen. Zu ihnen gehört beispielsweise der großherzoglich-sächsisch-weimarische Regierungsrat August Brunnquell, der in seinem "Staatsrecht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten" meint, "bei den Beschränkungen der Souveränitätsrechte würde es nur auf ein Wortspiel hinauslaufen, wenn man ernstlich behaupten wollte, daß unsere teutsche Bundesstaaten als solche vollkommen souverän wären "88. Ähnlich äußert sich der Königsberger Rechtsprofessor earl von Kaltenborn, der in seiner "Geschichte der Deutschen Bundesverhältnisse und Einheitsbestrebungen von 1806 - 1856" von "größten Beschränkungen der Souveränität der Einzelstaaten"89 spricht und diese anzweifelt. Das ist die eine Seite. Der andere Teil des deutschen Staatsrechts, und das ist der überwiegende, geht von den bestehenden Fakten aus, das heißt, von dem Text der Bundesverfassung, die die Bundesstaaten als "souveraine" Staaten bezeichnet. Das ist für ihn das entscheidende Kriterium. Er hält sich an die Rechtsformel, nach der in einem Staatenbund die Souveränität den Gliederstaaten, im Bundesstaat dem Gesamtstaat
Huber, Dok. S. 88. Huber, Dok. S. 85. 87 Joseph Held: Deutschland, der deutsche Bund und die deutschen Großmächte, Würzburg 1864, S.17. 88 A. Brunnquell: Staatsrecht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten, Erfurt 1824, S. 154. 8V C. Kaltenborn: Geschichte der Deutschen Bundesverhältnisse und Einheitsbestrebungen von 1806 bis 1856 (unter Berücksichtigung der Entwicklung der Landesverfassungen, 2 Bde., Berlin 1857, S. 395). 85
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zukommt. Hinsichtlich des Ursprungs dieser Formel kann man auf Bodin selbst verweisen, dessen ausdrückliche Forderung in diesem Zusammenhang jedoch ziemlich in Vergessenheit geraten ist90 • Vertreter dieser Richtung sind besonders Staatsrechtler mittlerer und kleinerer Bundesstaaten, vor allem Bayerns91 , die sich natürlich hüten, dem "Souverän" ihres Landes und Protektor ihrer Universität die Souveränität abzusprechen. Sie müßten in diesem Fall mit ihrer Entlassung bzw. Suspendierung rechnen. Sicherlich noch entscheidender für ihre Haltung ist aber der zweite Grund, ist die politische Situation. Die Tatsache, daß die beiden übermächtigen Großmächte den deutschen Bund zur Arena ihres Machtkampfes machen, läßt sie um so eindringlicher und leidenschaftlicher auf das Recht pochen, auf den Verfassungstext der Bundesakte, auf die Gleichberechtigung und Souveränität aller Staaten des Bundes. Einer der eindrucksvollsten Vertreter dieser Gruppe ist der bereits genannte bayerische Staatsrechtler und Professor in Würzburg, Joseph Held, von dem in dieser Arbeit noch eingehend die Rede sein wird. Das große Aufblühen des positiven Staatsrechts in Deutschland im 19. Jahrhundert hat ganz konkrete historische Hintergründe. Die Diskussion um die Souveränität zwischen diesen beiden gegnerischen Hauptgruppen - hie die eine, die von dem klassischen Souveränitätspostulat ausgeht und argumentiert, man könne unter den gegebenen staatsrecht90 In der Tat hatte Bodin selbst diese Möglichkeit eingeräumt - obwohl ein innerlich geschlossener und nach außen völlig freier und keinem Bündnis angehörender Staat sein Ideal darstellte - und den Schweizer Kantons Souveränität zugestanden. Er hatte aber ausdrücklich festgestellt, daß es für die Mitgliedstaaten eines solchen Staatenbundes keinerlei übergeordnete Gesetzgebungsgewalt oder irgendwelche Befehle von oben geben dürfte; das Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander dürfe nicht gebundener sein als im Rahmen einer freiwilligen Defensiv- oder Offensivallianz zwischen Staaten. Diese Bedingung sah er bei den Schweizer Kantons gegeben: " ... car chacun canton est souverain, et ne souffre loy ni commandement des autres ..." (Bodin, livre 2, chap. 6, S. 322). Diese sehr betonte Bedingung wurde bei der fortlaufenden übernahme, Weitervermittlung und Interpretation seines Zugeständnisses im deutschen und europäischen Staats- und Völkerrecht mehr und mehr abgeschwächt. (Siehe auch Schluß der Anm. 57!) 81 z. B. E. von Moy: Das Staatsrecht des Königreiches Bayern, Regensburg 1840, S. 6: "Bayern ist ein souverainer Staat. Alle Gebietstheile desselben bilden ein geschlossenes Ganzes unter einem Erbkönige, welcher zugleich Mitglied des deutschen Bundes ist." Oder J. Pözl: Bayerisches Staatsverfassungsrecht, Würzburg 1847, S. 27: "Bayern ist ein souverainer, d. h. von jeder fremden Gewalt unabhängiger Staat. Als der Rheinbund ... seiner Auflösung entgegenging, war der König in den vollen Besitz der Souveränität, d. h. der Unabhängigkeit nach außen gelangt. Der Beitritt zum deutschen Bunde unter dem 8. Juni 1815 brachte hierin keine Änderung hervor, da ja der Bund als völkerrechtlicher Verein notwendig Souveraine als Bundesglieder voraussetzt." Dies ist im Grunde schon ganz die Souveränitätsinterpretation des modernen positiven Völkerrechts. Siehe eingehend unser Kap. "Das bayerische Staatsrecht und die Souveränität", S. 739.
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lichen und politischen Fakten keinesfalls von einer Souveränität der Bundesstaaten sprechen, und dort die andere, für die der Verfassungstext der Bundesakte gesetztes Recht ist und welche die Souveränität als wesentlichstes Merkmal des modernen Staat-Seins der Bundesglieder bezeichnet - dauern das ganze 19. Jahrhundert mit unverminderter Heftigkeit an. Nur allzu berechtigt stellt Georg Jellinek deshalb 1900 in seiner "Allgemeinen Staatslehre" fest: "Bis tief in die Literatur des 19. Jahrhunderts, ja bis in die Gegenwart hinein dauern die Unklarheiten und Verwirrungen in der Auffassung der Souveränität9!." Jellineks Wort hat bis heute nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil. Man kann es genauso treffend auf die heutige internationale Situation der Staaten und auf die Diskussion im Völkerrecht um die Souveränität anwenden und tut es auch us • Die Grundproblematik um die Souveränität ist heute genau die gleiche wie damals im Deutschen Bund, nur auf weltweiter, internationaler Ebene. Was die Souveränität im Deutschen Bund betrifft, so liegt auf der Hand, daß bei den nach wie vor bestehenden entgegengesetzten Standpunkten zwischen positiver und klassischer Souveränitätsinterpretation natürlich auch heute noch in der Rechts- und Geschichtswissenschaft genau wie im 19. Jahrhundert Uneinigkeit und grundverschiedene Aussagen darüber bestehen, ob den Staaten des Deutschen Bundes Souveränität zuzuerkennen sei oder nicht. Otto Hintze, dessen Auffassung, wie wir sahen, sich nach dem klassischen Souveränitätspostulat Bodins ausrichtete, stellte eine Souveränität der Gliederstaaten des Deutschen Bundes erst gar nicht zur Diskussion. Für ihn waren nicht einmal die beiden Führungsmächte des Bundes, Preußen und Österreich, souverän. Erst das Deutsche Reich Bismarcks sei ein souveräner Staat "in vollem Sinne"" gewesen. Anders Fritz Hartung. Er geht von den Ereignissen im Jahre 1806 und von dem Text der Bundesakte aus. Betont spricht er von der "Souveränität der Staaten"96 des Deutschen Bundes und macht diese für "die Mühseligkeit der deutschen Verfassungsentwicklung"96 verantwortlich. Bis zur Gründung des Deutschen Reiches waren für Hartung die Einzelstaaten souverän, nicht der Staatenbund, den sie bildeten. Gleich darauf aber sagt Hartung dann: "In die Souveränitätsrechte der Einzelstaaten einzugreifen, vermied die Bundesakte so weit wie möglich." G. Jellinek: Allgemeine Staatslehre, Berlin 1900, S. 429 . So z. B. J. Dennert: Ursprung und Begriff der Souveränität, Stuttgart 1964, S. 6, oder H. H. Hofmann: Die Entstehung des modernen souveränen Staates, a.a.O., S. 33 Kap.: "Moderner Staat und Staatsbegriff" . • 4 Hintze: Wesen und Wandlung des modernen Staates, a.a.O., S. 447. '5 Hartung: Deutsche Verfassungsgeschichte, a.a.O., S. 179. •• Ebenda. .1
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2. Zur Frage der Souveränität in der Verfassungsgeschichte
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Womit er zugibt, daß die Souveränität der Bundesstaaten doch eingeschränkt war, und seine weiteren Ausführungen bestehen im folgenden fast ausschließlich darin, diese Einschränkungen aufzuzählen. Er spricht von "Verpjlichtungen"U7 und "Auflagen"98 der Einzelstaaten und bringt a11 die Beispiele9u , die die Souveränitäts-Verneiner im 19. Jahrhundert zum Beleg ihrer Auffassung anführten. Hartungs Resumee lautet schließlich: "Endlich war der Deutsche Bund trotz der in der Wiener Schlußakte noch einmal betonten Souveränität der Einzelstaaten mehr als ein bloß völkerrechtliches, kündbares Verhältnis, er war eine Gesamtheit, den Einzelstaaten übergeordnet, er besaß das Recht, die von der Mehrheit gefaßten Beschlüsse auch mit Zwang auszuführen10o." Das klingt so, als habe Hartung den Beweis gegen die Souveränität der Bundesstaaten angetreten. Von ihrer Souveränität bleibt nicht viel mehr übrig als der Buchstabe der Bundesakte, auf die Hartung verweist. Mit der Problematik hinsichtlich des Souveränitätsbegriffes, die sich daraus ergibt, seines Inhalts, der für Hintze, welcher von seiner ursprünglichen, historisch kategorischen Bedeutung ausgeht, das Entscheidende ist, befaßt er sich nicht weiter. Ernst Rudolf Huber äußert sich am ausführlichsten zur Problematik der Souveränität im Deutschen Bund. Er geht zunächst auch von der Rechtsformel aus, welche die staatsrechtlichen Verteidiger der Souveränität der Einzelstaaten im 19. Jahrhundert als Beweis anführten und die lautete, daß das unterscheidende Wesensmerkmal von Staatenbund und Bundesstaat darin bestehe, daß im Staatenbund den Gliederstaaten, im Bundesstaat dem Gesamtstaat die Souveränität zustehe101 . Die Richtigkeit dieser Formel streitet Huber nicht ab, stellt aber im gleichen Atemzug fest, daß die Souveränitätsfrage in bezug auf den deutschen Bund dennoch "nicht so leichthin, wie es oft geschieht, zugunsten der Gliederstaaten beantwortet werden"102 könne. Der Bund, Derselbe, S. 173. Derselbe, S.174 . .. "Nicht bloß war die Grenzlinie des Bundes gegenüber dem Ausland klar und deutlich gezogen, sondern der Bund trat überhaupt nach außen hin viel fester geschlossen auf als das Reich. Zwar beließ Art. 11 allen Bundesgliedern das Recht der Bündnisse aller Art, er verbot aber zugleich alle Verbindungen, die gegen die Sicherheit des Bundes oder einzelner Bundesstaaten gerichtet wären. Auch waren alle Bundesglieder verpflichtet, einander gegen jeden Angriff beizustehen, und die Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820 setzte im 41. Artikel noch ausdrücklich fest, daß zur Erklärung eines Bundeskrieges die Zweidrittelmehrheit des Plenums genüge. Neutralität und Sonderfrieden einzelner Stände waren nicht mehr möglich" (S. 173). 100 Derselbe, S. 174. 101 E. R. Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I, Stuttgart 1957, S. 666. 102 Derselbe, S. 667. t7
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findet auch Huber, habe laut Bundesakte sehr große Befugnisse besessen, die die Souveränität der Gliedstaaten erheblich einengtenl03 . Doch noch entscheidender ist für ihn ein anderer Gesichtspunkt. Als Historiker urteilt er nicht nur rechtlich, sondern auch historisch, weshalb sich für ihn "die Frage nach der Souveränität im Deutschen Bund" auf das Problem konzentriert, "ob dem Bund oder den Gliedstaaten das Recht und die effektive Macht zur Entscheidung in den existenziellen Fragen der deutschen Politik zukamen "104. Diese Frage kann Huber nur zugunsten des Bundes beantworten. Er kommt zu dem Resultat: "Nicht nur das Bundesrecht, sondern auch die Bundespraxis legt den Schluß nahE', der Bund habe entgegen dem landläufigen Urteil eben doch das Recht und die Macht zur Entscheidung in den großen Existenzfragen Deutschlands besessen105 ." An anderer Stelle sagt er noch deutlicher: Es frage sich sehr, "ob die Formel ,nach außen Einheit, nach innen Vielheit' die rechtliche Gesamtlage und die Verfassungswirklichkeit des Deutschen Bundes zutreffend zum Ausdruck gebracht hat. Soweit das nicht der Fall ist, hatten die Artikel 1 und 2 der Wiener Schlußakte keine echte Rechtsbedeutung, sondern nur den Charakter deklamatorischer Floskeln, die die ihnen entgegengesetzte Rechtswirklichkeit nicht zu ändern vermochten"106. Dem Bund spricht Huber die Souveränität aber dann ebenfalls ab, weil "die Bundesgewalt an der ungeminderten Großmachtstellung Österreichs und Preußens eine unüberwindliche Schranke fand"107. So kommt er zu dem gleichen Ergebnis wie Hintze. Helmuth Rößler dagegen erklärt wieder das Gegenteil. Von dem Verfassungstext der Bundesakte ausgehend, konstatiert er: "Der deutsche Bund wurde als Bund souveräner Staaten konstituiert 108 ." Bayern, Würt103 "Gerade dem Bund standen kraft des Bundesrechts die Entscheidung über den Krieg, über die Bundesintervention und die Bundesexekution, über Streitigkeiten zwischen den Bundesgliedern und über Maßnahmen von Selbsthilfeaktionen zu. Der Bund besaß also eine Entscheidungsbefugnis gerade auch in extremen Existenzfragen der deutschen Außen- und Innenpolitik", und es habe "ihm nicht an der Fähigkeit gefehlt, von dieser Entscheidungsbefugnis wirklichen Gebrauch zu machen". Daß er den Bundeskrieg nur in einem einzigen Fall erklärt habe und "nicht gerade eindrucksvoll geführt" habe, ist für Huber "kein durchschlagendes Gegenargument". Wie stark dagegen der Bund nach innen von seinen Notbefugnissen Gebrauch zu machen gewußt habe, zeige die "große Zahl der Interventions- und Exekutionsfälle" sowie "die Zahl der gewichtigen Ausnahmegesetze, mit denen der Bund in Krisenzeiten auch gegen den Widerstand einzelner Länder einschneidende Maßnahmen traf". Ebenda. loe Ebenda. 105 Ebenda. loe Derselbe, S. 664. 107 Derselbe, S. 667. 108 H. Rößler: Art. "Souveränität", in: Sachwörterbuch zur deutschen Geschichte, 1958, S. 1184.
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temberg und Baden, deren Souveränität de facto im Preßburger Frieden 1805, de iure 1806 im Rheinbund anerkannt worden sei, hätten ihre Souveränität auf dem Wiener Kongreß "gleich den anderen, durch die Auflösung des Reichs souverän gewordenen Staaten" behalten109 • Einen weiteren Kommentar gibt Rößler nicht, außer der Feststellung, daß die Zeit des deutschen Bundes der einzige Zeitraum in der deutschen Geschichte gewesen sei, in dem die deutschen Staaten Souveränität besessen hätten. Vor 1806 sei "die Anerkennung einer territorialen deutschen Souveränität an der weitgehenden Bindung des Fürstentums an das Reichslehensrecht des Königtums wie an die Beschlüsse des Reichstages" gescheitert, von 1871 an bis heute dagegen habe immer das Reich bzw. der Bundesstaat als Gesamtstaat die Souveränität besessenllo • Rößler handelt die Frage der Souveränität der Staaten des Deutschen Bundes somit auch positiv rechtlich ab, er gibt den Inhalt der Verfassungsgesetze des Bundes wieder, ohne kritische Anmerkungen oder Hinweise auf das klassische, bis dahin gültige Souveränitätspostulat Jean Bodins, auf das Hintze und Huber aufmerksam machen, die deshalb die Problematik der "Souveränität" der Bundesstaaten so betont hervorheben. Die Reihe deutscher Verfassungs- und Rechtshistoriker mit solch entgegengesetzten Urteilen zur Frage der Souveränität der Staaten des deutschen Bundes ließe sich weiter fortsetzen 1ll • Welcher Standpunkt der wahre ist, darüber soll in dieser Arbeit nicht gerichtet werden. Es sollte zunächst nur der Hintergrund des Problems "Souveränität" aufgehellt werden, das mit der Aufnahme dieses Begriffs in die neue Verfassung Deutschlands für das deutsche Staatsrecht im 19. Jahrhundert begann, das unter der gleichen Fragestellung in der deutschen Verfassungsgeschichtsschreibung nach wie vor "Verwirrungen" stiftet, und das - auf internationale Ebene übertragen - heute, da fast alle Staaten der Welt übergeordneten, supranationalen Verteidigungs- oder Wirtschaftsbündnissen angehören, zur strittigen Frage des Völkerrechts geworden ist. Diese Arbeit hat sich vielmehr zur Aufgabe gestellt, denjenigen Zeitraum näher zu untersuchen, in dem der Begriff "Souveränität" in die deutsche Verfassungsgeschichte einging, die Jahre 1814 bis 1820 vom Wiener Kongreß bis zur Wiener Schlußakte; vor allem aber die Rolle desDerselbe, S. 1185. Ebenda. 111 Etwa mit C. Bornhak: Deutsche Verfassungsgeschichte, Stuttgart 1934, der zwar findet, daß die "Souveränität der deutschen Einzelstaaten mit Rücksicht auf die Bundeszwecke eingeschränkt" war, ihnen aber dennoch Souveränität zuerkennt (S. 341). H. Conrad, dessen "Deutsche Rechtsgeschichte", Bd. H, Karlsruhe 1966, nur bis 1806 geht, spricht den deutschen Staaten ab 1806 ohne Einschränkung Souveränität zu. Etwa die gleichen Aussagen wie bei Rößler bei den beiden Rechtshistorikern H. Fehr und A. Zycha. 109 110
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jenigen deutschen Staates, der dabei größten Anteil hatte: Bayern. Diese Rolle ist um so bedeutender, als Bayern schon im 18. Jahrhundert führend an der staatsrechtlichen Diskussion um die Souveränität im Reich beteiligt war und dann durch sein Streben nach Souveränität in den Jahren 1805/06 als Bündnispartner Frankreichs dem Reich mit den letzten entscheidenden Stoß zu seinem Untergang versetzte. 3. Zum historischen Anteil Bayerns am Problem "Souveränität" Man sollte erwarten, daß angesichts der bestimmenden Rolle, die Bayern bei der Aufnahme der "Souveränität" in die Verfassung des Deutschen Bundes, und damit zum ersten Mal in die Verfassung Deutschlands, gespielt hat - worauf das gesamte deutsche Staatsrecht des 19. Jahrhunderts bei seiner Diskussion um den Inhalt der Souveränität unter Bezug auf Klübers Akten des Wiener Kongresses 112 immer wieder hinweist -, die Geschichtsschreibung und speziell die Geschichtsforschung Bayerns sich ausgiebig mit diesem Thema befaßt hat. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Ihr Hauptanliegen konzentriert sich fast ausschließlich darauf, die innere Entwicklung Bayerns vom Reichsterritorium zum modernen Staat darzustellen, kaum aber befaßt sie sich mit der staatsrechtlich und verfassungsgeschichtlich für Deutschland allgemein so bedeutsam gewesenen Souveränitäts-Außenpolitik Bayerns: -
mit seinem Kampf nicht nur um seine Souveränität, sondern um
die Souveränität überhaupt; und nach dem Sieg in diesem Kampf, mit
dessen Wirkungen auf die bayerische Politik;
- mit den leidenschaftlichen Auseinandersetzungen in der politischen Führung Bayerns darüber, wie die Souveränität aufzufassen und zu handhaben sei, ob im ursprünglichen Sinn oder abgemildert; - mit dem Schicksal Montgelas', der diese Diskussionen beiseite fegte und Bayern mit seiner kompromißlosen Auffassung von Souveränität in eine katastrophale politische Lage brachte, für die er schließlich mit seinem Sturz bezahlen mußte. Es gibt bisher - außer der "Bayern und Deutschland"-Reihe Michael Doeberls113 - zwei neuere Darstellungen, die sich mit der Politik Bayerns 1U J. L. Kliiber: Acten des Wiener Congresses 1814/15, 8 Bde., Erlangen 1815 19. Bayerns "besonderes Verlangen auf das Beiwort ,souverain'" (so Klüber in seiner 1818 zusätzlich erschienenen "Übersicht der diplomatischen Verhandlungen des Wiener Congresses", S. 156) wird besonders in Bd. II der Acten auf den Seiten 402, 454, 459, 493 f. dargestellt. 113 M. Doeberl: Bayern und Deutschland im 19. Jahrhundert, München 1917. Derselbe: Bayern und die wirtschaftliche Einigung Deutschlands, München 1915. Derselbe: Bayern und die deutsche Frage in der Epoche des Frankfurter Parlaments, München 1922. Derselbe: Ein Jahrhundert bayerischen Verfassungslebens, München 1918.
3. Zum historischen Anteil Bayerns am Problem "Souveränität"
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in dem genannten Zeitraum von 1814 bis 1820 näher befassen. Die eine ist die Zentner-Biographie Franz Dobmanns 114, die ander4i! die ungedruckte Dissertation Kar! Otmar Freiherr von Aretins115 • Be:tde Arbeiten haben ihre großen Verdienste, aber keine von ihnen, auch diejenige Aretins nicht, stellt die entscheidende Frage, um die es in diesen Jahren geht, nämlich die der Souveränität, in den Mittelpunkt. Sie wird zwar immer wieder angetippt, aber nicht mehr. Auch Aretins Untersuchung ist über weite Strecken fast eine Biographie, denn sie befaßt sich sehr eingehend mit seinem Vorfahren, dem Bundestagsgesandten Bayerns, Freiherrn J ohann Adam von Aretin, und seinem Plan, durch einen speziellen Südbund Bayern/Württemberg/ Baden eine dritte Kraft gegen die beiden Großmächte Österreich und Preußen zu bilden. Aretins Untersuchung ist zu Unrecht von Dobmann derart heftig angegriffen worden. Seine Ergebnisse sind richtig, auch wenn es an manchen Stellen Ungenauigkeiten gibt und einige Zitate zeitmäßig nicht ganz korrekt eingeordnet sind. Es ist trotzdem nicht fair, zunächst auf einer anderen Arbeit zum großen Teil als Leitseil aufzubauen und über diese dann auf Grund einiger Unstimmigkeiten, die bei der eigenen, schwerpunktmäßig anders gelagerten Akteneinsicht entdeckt wurden, so hart und stellenweise von oben herab zu Gericht zu sitzen. Vielmehr muß Dobmann gesagt werden, daß er Zentners Wirken an vielen Stellen überschätzt und vor allem seine außenpolitischen Fähigkeiten in zu glorreichem Licht erstrahlen läßt. Zentners Verdienste um die Verfassung von 1818 sollen hier nicht geschmälert werden, obwohl an dieser auch Adam von Aretin großen Anteil hatte - aber ein brillanter Außenpolitiker war er gewiß nicht. Von 1814 -17 fungierte er als erster Berater und recht williges Sprachrohr Montgelas', wußte aber bei den Krisen, die dessen Politik hervorrief, niemals Rat und Ausweg. Auch bei den Ministerkonferenzen in Wien erreichte Zentner nicht viel mehr, als Metternich wollte und zusammen mit Aloys Graf von Rechberg, dem Nachfolger Montgelas', vorbereitet hatte. Hier hat K. O. Freiherr von Aretin völlig recht. Damit ist die Liste der Arbeiten, die sich spezieller mit der äußeren Politik Bayerns in der Zeit von 1814 - 1820 beschäftigen, bereits erschöpft. 114 F. Dobmann: Georg Friedrich Freiherr von Zentner als bayerischer Staatsmann in den Jahren 1799 - 1821, Kallmünz/Opf. 1962. 116 K. O. Frhr. v. Aretin: Die deutsche Politik Bayerns in der Zeit der staatlichen Entwicklung des Deutschen Bundes, 1814 - 20, Diss. Maschinenschrift, 1952. - Zu nennen ist auch noch W. Keil: Die Beeinflussung des Wiener Kongresses durch Bayern unter dem Ministerium Montgelas, Diss. Erlangen 1950. Bei allen drei Arbeiten treffen die angeführten Aktenbezeichnungen aus dem Geheimen Staatsarchiv München nicht mehr zu. Die Signaturen der betr. Akten wurden inzwischen geändert.
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In ihnen, am ausführlichsten noch bei Aretin, werden die Auseinandersetzungen um die Souveränität zwar hin und wieder erwähnt, aber das Thema nieclals durchgehend verfolgt, schon gar nicht unter Berücksichtigung der Bedeutung, die dem Begriff "Souveränität" zuvor in der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung Deutschlands im 17. und 18. J ahrhundert zugekommen war. Das übrige sind Aussagen bzw. Betrachtungen bayerischer Historiker zur Souveränität im Rahmen anderer ThemensteIlungen, die die Schwierigkeiten des Problems "Souveränität" anschaulich verdeutlichen. Max Spindler, unter dessen Leitung Dobmanns Arbeit entstand, äußert sich zur Frage der Souveränität Bayerns im Deutschen Bund beispielsweise allgemein so: "Man muß sich eben ernsthaft mit einer Tatsache vertraut machen: Der bayerische Staat von damals war souverän und wollte es sein; ... Der bayerische Staat besaß Souveränität, d. h., um nur ein Merkmal herauszugreifen, er unterhielt selbständige Beziehungen zu den deutschen Bundesstaaten unter den fremden Mächten, er besaß das Gesandtschaftsrecht. Am Münchner Hof waren nicht bloß Gesandte Preußens, Österreichs oder Württembergs oder Sachsens akkreditiert, sondern auch ausländische Mächte; besaßen doch noch 1914 die Kurie, Frankreich, England, Italien, Rußland diplomatische Vertreter in München und ebenso hatte Bayern seine Vertreter an den auswärtigen Höfen116." Zu dieser Aussage ist anzumerken, daß sie es sich wohl ein wenig zu einfach macht. Wir haben gesehen, daß ein großer Teil des Staatsrechts im 19. Jahrhundert anders dachte und viele Verfassungshistoriker heute ebenso - trotz des Gesandtschaftsrechts - differenzierter über die Souveränität der Bundesstaaten urteilen. Es wird gezeigt werden, daß führende bayerische zeitgenössische Politiker ebenso unterschiedlicher Meinung über die Souveränität Bayerns im Bunde waren, trotz des Gesandtschaftsrechts. Außerdem: Das Gesandtschaftsrecht und die anderen sog. Souveränitätsrechte besaß Bayern ja wie die anderen deutschen Territorien rechtlich schon im alten Reich, praktisch sogar schon vor 1648117, ohne sich souverän zu nennen. Viel vorsichtiger als Spindler formuliert Karl Bosl: "Bayern ist als souveräner quasinationaler Staat in das 19. Jahrhundert eingetreten, selbst wenn ihm die deutsche Bewegung immer mehr an Substanz nahm und er sich gefährlich mühen mußte, im Ringen der deutschen und europäischen Großmächte immer für die Seite zu operieren, die seine Souveränität schätzte, jedenfalls nicht gefährdete 118 ." 118 M. Spindler: Der neue Staat - Montgelas und Ludwig I., in: Unbekanntes Bayern, Bd. 8, Bilder aus der bayerischen Geschichte, München 1963, S. 222. 117 Siehe Kap. 1. 118 K. Bosl: Die historische Staatlichkeit der bayerischen Lande, ZBLG Bd. 25,
3. Zum historischen Anteil Bayerns am Problem "Souveränität"
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Das ist eine den historischen Tatsachen entsprechende Feststellung. Bayern stand nach dem Zusammenbruch des Reiches und des Rheinbundes in der Tat ungebunden und souverän als "nation bavaroise" da, wie sich Montgelas am liebsten ausdrückte. Aber es konnte nicht völlig ungebunden bleiben. Es mußte, wie diese Arbeit zeigen wird, dem Deutschen Bund zwangsläufig beitreten und ihm ebenso zwangsläufig immer mehr Souveränitätsrechte abtreten. Bosl geht von den durch die Bundesverfassung gesetzten historischen staatsrechtlichen Fakten aus, stellt ihnen aber ebenso betont gleich die historisch-politischen gegenüber. Karl Alexander von Müller bezeichnet Bayern im Deutschen Bund als "halbsouveränen Staat"120. Es habe darin "seine innere und äußere Souveränität gegen die Anforderung der ,Deutschheit' auf's erbittertste verteidigt und sich vorbehalten, bei der ersten günstigen Gelegenheit aus der Unterordnung des halb souveränen Staates wieder herauszutreten"121. Diese Aussage ist im Grunde ein Zitat, nämlich ein Zitat Zentners aus dem Frühjahr 1815, vor Abschluß der Bundesakte, das auch Michael Doeberl in seiner berühmten Akademie-Festrede 1917 bringt. Dort sagt Doeberl: "Der Neubayer Freiherr von Zentner ... vertrat unter Berufung auf den Vertrag von Ried und auf den Pariser Frieden die Ansicht, daß nur eine solche freie ,Assoziation' geschlossen werden könne, welche die Selbständigkeit und Unabhängigkeit eines jeden Einzelstaates unangetastet lasse. Er verstieg sich noch unmittelbar vor der Unterzeichnung der Wiener Bundesakte bis zum Satze: ,Bayern ist außer Österreich und Preußen der einzige Staat, welcher die ersten Ansprüche zu seiner Einreihung in die Klasse der europäischen Staaten machen kann ... Es muß sich demnach so stellen, daß es bei der ersten günstigen Gelegenheit aus der Unterordnung der halbsouveränen Staaten heraustreten kann'122." 1962, S. 6. -
In dieser seiner Antrittsvorlesung vom 6. Dezember 1961 an der Universität München hat B. in einem interessanten Streiflicht auch darauf aufmerksam gemacht, daß die Souveränität in ihren gedanklichen Frühformen schon im 14. Jh. am Hofe Kaiser Ludwigs des Bayern proklamiert wurde; und zwar durch die großen geistlichen Emigranten Wilhelm von Ockham und den "aristotelisierten Christen" Marsilius von Padua, die mit ihren Kampfschriften gegen das avignonesische Papsttum in vorderster Front zwischen Kirche und Staat standen. Speziell M. v. Padua, Verf. des "Defensor Pacis" (1334) schrieb als Arzt im Münchener Asyl eine Reihe von Schriften, in denen er sich gegen jeden Herrschaftsanspruch der Kirche wandte und damit das gleiche Prinzip wie sein Zeitgenosse Pierre Dubois, der franz. Staatsrechtler und Politiker, einer der Vorläufer Jean Bodins, verfocht: "Rex imperator in regno suo", die Grundidee der Souveränität. Vermutlich sei, so meint Bosl, "noch zu wenig beachtet", wie sehr das staatsrechtliche Denken der großen geistlichen Emigranten den bayerischen Herzögen "eine neue gedankliche Grundlage staatlichen Aufbaus von innen lieferte" (S. 10). 120 K. A. v. Müller: Probleme der neuesten bayerischen Geschichte, o. O. u. o. J., S. 242, Bibliothek des Instituts für Bayerische Geschichte. 121 Ebenda. 122 M. Doeberl: Bayern und Deutschland im 19. Jahrhundert, a.a.O., S. 5. 4 Quint
Einleitung
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M. Doeberl läßt dieses Zitat Zentners im Grunde ebenfalls für sich selbst sprechen, wenn auch sein recht bissiges Wort " verstieg " klar andeutet, was er von dem europäischen Aus- und Anspruch Zentners, den er nicht besonders hoch einschätzte, hält. Der Souveränitäts-Aussage Zentners setzt er noch ein Zitat Johann Adam von Aretins zur Seite, das deren Inhalt unterstreicht. Aretin habe im gleichen Jahr nach Abschluß der Bundesakte betont erklärt, mit dem Deutschen Bund sei "eine völlig freie, unbeschränkte Souveränität der einzelnen Bundesglieder nicht vereinbar" 123. Das stellte sich in der Tat heraus, und Montgelas, der dies nicht sehen wollte, mußte abtreten. Schon diese zwei Zitate aus der Literatur von zweien der führenden Politiker Bayerns in den Anfangsjahren des Deutschen Bundes lassen Max Spindlers Feststellungen zum Problem der Souveränität wohl etwas zu lakonisch erscheinen. Eine kritischere Anmerkung muß man aber zu der Art und Weise machen, wie Benno Hubensteiner sich mit der Frage der Souveränität und der diesbezüglichen Politik Bayerns zu Beginn des Deutschen Bundes befaßt, auch wenn man die gedrängte Darstellung seiner "Bayerischen Geschichte" in Rechnung stellt. Der monatelange Kampf Bayerns in Wien um seine Souveränität, die es, wie Doeberl sagt, "aus dem Schiffbruch des Napoleonischen Reiches in den Deutschen Bund zu retten suchte"124, wird mit dem flotten Satz abgehandelt: "Wohl gelang es Wrede, die so schwer errungene Souveränität in den Deutschen Bund hinüberzuretten, aber in der Gebietsfrage mußte es auf der ganzen Linie zurückweichen125." Hubensteiner hätte zumindest in der Literatur näher nachsehen können, wer Bayerns Interessen in der 2. Hälfte des Wiener Kongresses vertrat. Fürst Wrede, den Hubensteiner dort so eindrucksvoll mit dem "Säbel rasseln, auf den Tisch hauen" und "sich zwischen alle Stühle setzen"126 läßt, war, als die Auseinandersetzung um die Souveränität in die entscheidende Phase trat, überhaupt nicht mehr in Wien, sondern längst durch Graf Rechberg abgelöst. Am gezieltesten hat sich bisher zweifellos Michael Doeberl mit dem Problem der Souveränität Bayerns im 19. Jahrhundert und seiner Souveränitäts-Politik befaßt, wobei zu seinen bemerkenswertesten Aussagen in diesem Zusammenhang sicher seine Erkenntnis gehört, daß der letzte unmittelbare Anstoß "für den Erlaß der Verfassung" von 1818127 , mit der 123 124 12$ 128
Ebenda.
M. DoeberZ: Entwicklungsgeschichte Bayerns, Bd. 2, S. 449. B.Hubensteiner: Bayerische Geschichte, München 19503 , S. 303.
Ebenda.
M. DoeberZ: Ein Jahrhundert bayerischen Verfassungslebens, a.a.O., S. 38; siehe auch S. 27: "Bei näherer Betrachtung sind alle Anläufe zu einer Ver127
3. Zum historischen Anteil Bayerns am Problem "Souveränität"
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in Bayern ein entscheidender Anfang auf dem Weg zum modernen Parlamentarismus und zur Volkssouveränität in Deutschland gemacht wurde128, durchaus nicht der eigene Wunsch, sondern wie bei dem Verfassungsdekret von 1808129 "wiederum die Sorge um die Erhaltung der bayerischen Souveränität, die Furcht vor dem Eingriffe ... seitens des Bundestages war". Die vorliegende Arbeit hat sich deshalb auch noch einmal mit der Verfassung von 1818 beschäftigt. Am eingehendsten hat sich Doeberl mit der Frage befaßt, welche Folgen die staatsrechtliche Erringung der Souveränität nach dem Zusammenbruch des Reiches für die innerstaatliche Entwicklung Bayerns hatte. In seiner grundlegenden Einleitung zu den innenpolitischen Denkwürdigkeiten Montgelas'130 bezeichnet er die Erhebung Bayerns zum Königreiche als "einen der folgenschwersten Akte in der 1400jährigen Geschichte Bayerns", dessen Bedeutung "weniger in der Rangerhöhung, als vielmehr in der Erwerbung der vollen Souveränität" gelegen habel3l • M. Doeberls großes Interesse an dem Rechtsbegriff "Souveränität" veranlaßte ihn, seinen Sohn, den Juristen Ludwig Doeberl, zu einer Dissertation über die Staatsidee und deren praktische Durchführung durch den Schöpfer des modernen bayerischen Staates, Maximilian von Montgelas, anzuregen. Diese Arbeit mit dem Titel "Maximilian von Montgelas und das Prinzip der Staatssouveränität"132 blieb bis in die jüngste Zeit die einzige, die sich nachhaltig mit der Person und dem Wirken des größten bayerischen Staatsmannes im beginnenden 19. Jahrhundert beschäftigt hat. Sie wird nun durch die großangelegte, dreibändig geplante fassung in Bayern auf Einwirkungen von außen zurückzuführen, die geeignet waren, die bayerische Souveränität zu bedrohen." 128 Vgl. K. Bosl: 150 Jahre bayerische Verfassung, S. 6 in Unbekanntes Bayern, 1968.
128 Hierzu neben Doeberl auch F. Zimmermann: Bayerische Verfassungsgeschichte vom Ausgang der Landschaft bis zur Verfassungsurkunde von 1818, Teil I, 1940, S. 136. 130 Denkwürdigkeiten des Grafen Maximilian von Montgelas über die innere Staatsverwaltung Bayerns (1799 - 1817), hrsg. von G. Laubmann und M. Doeberl, München 1908. Darin Einleitung von M. Doeberl: "Die Entstehung des modernen Staates in Bayern." Zur gleichen Thematik siehe auch K. Bosl: Der moderne bayerische Staat von 1806 - 1956, in: Bayern, ein Land verändert sein Gesicht,
1956, S. 11 - 32. 131 M. Doeberl: Einleitung "Denkwürdigkeiten", S. 9; Doeberl weiter: "Bis-
her war die Quelle aller Hoheitsrechte im Reiche, auch in Bayern, der Kaiser; der bayerische Landesherr übte wohl eine Vielzahl von Regierungsrechten, man kann sagen, alle wesentlichen Hoheitsrechte aus, aber kraft kaiserlicher Entlehnung. Diese verlieh ihm erst den Rechtstitel für die Ausübung seiner Befugnisse. Auf Grund der neuen Souveränität dagegen ist der Landesherr im Besitze sämtlicher Hoheitsrechte und übt sie nicht mehr kraft übertragung, sondern aus eigenem Rechte" (ebenda). m L. Doeberl: Maximilian von Montgelas und das Prinzip der Staatssouveränität. München 1925.
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Einleitung
Montgelas-Biographie von Eberhard WeisiSS erheblich ergänzt und in vielem berichtigt werden. In einer Reihe von Punkten wurde sie es bereits durch den vollendeten 1. Band, der u. a. sehr ausführlich den Inhalt von Montgelas' frühen staatstheoretischen Schriften wiedergibt, welche er dann später als dirigierender Minister mit großer Konsequenz in die Tat umsetzte. Der Verfasser der vorliegenden Arbeit hat diese Schriften Montgelas' ebenfalls, parallel zu den Untersuchungen von E. Weis, durchgesehen, wobei ihm besonders die Frage nach den geistigen Souveränitätsvorbildern Montgelas' interessierte, die sowohl in der Untersuchung von L. Doeberl als auch von E. Weis mit dem Hinweis auf den Einfluß des französischen Staatsrechts recht allgemein abgehandelt wird. War Bodins Lehre die Richtschnur Montgelas'? Die Antwort lautet: Bodin war nicht sein direktes Vorbild. Montgelas konzipierte und realisierte seinen modernen Staat Bayern zu großen Teilen nach den Thesen eines anderen berühmten ausländischen - nicht französischen - Staatslehrers des 18. Jahrhunderts, der das überlieferte Souveränitäts-Postulat Bodins in vielen Punkten weiter ausgebaut und aktualisiert, aber auch abgeändert hatte. Seine Lehre machte sich Montgelas in geradezu verblüffender Weise zu eigen. Sein Name wurde bisher noch nicht in der Geschichtsschreibung Bayerns genannt. Wer es war, soll diese Arbeit zeigen. Neben dieser Frage soll der 1. Hauptteil die Rolle Bayerns bei den aufgezeigten anderen wichtigsten Fragenkomplexen um die Souveränität des Reiches im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert untersuchen. Sie machen die Bedeutung der Ereignisse in den Jahren 1814 -1820, die der 2. Hauptteil darstellt, erst richtig sichtbar. Beginnen wollen wir mit einem kurzen Kapitel über Bayerns großen Kurfürsten Maximilian 1., der schon im 17. Jahrhundert praktisch alle Souveränitätsrechte besaß. Nahm er aber Souveränität für sich in Anspruch?
133 E. Weis: MaximiIian Graf von Montgelas, eine politische Biographie, München, voraussichtliches Erscheinungsdatum 1971. Habil.-Schrüt bei K. Bosl.
Hauptteil I
Von Kurfürst Maximilian I. his zum Vertrag von Ried 1813 1. Kurfürst Maximilian I. von Bayern "wohltemperierter Macchiavellist", aber kein "Souverain" War Kurfürst Maximilian I. von Bayern ein souveräner Herrscher? Besaß er Souveränität? Diese Frage kann man stellen - und sie ist auch von einem seiner besten Kenner1 gestellt, zumindest angeschnitten worden. Denn Bayerns berühmtester Kurfürst im 17. Jahrhundert war außenpolitisch 1. eine der entscheidendsten Persönlichkeiten im Verlauf des 30jährigen Krieges, in dem er, unabhängig vom Kaiser, eine völlig eigenständige, sehr oft wechselnde Allianz- und Bündnispolitik trieb 2 und nach dessen Ende er als der stärkste deutsche Territoralfürst dastand. Er, der im Jahre 1623 (24. 2.) die Kurwürde erhalten hatte, war einer der größten Nutznießer dieses Krieges und des Westfälischen Friedens, der mit dem unseligen Bündnisrecht der Stände dem Reich den schlimmsten verfassungsrechtlichen Stoß versetzte. Maximilian unterhielt
2. wie kein anderer deutscher Territorialfürst quasi-diplomatische Vertreter bzw. Agenten an fremden europäischen Höfen und in anderen deutschen Territorien. Bayern besaß unter seiner Regierung - eine ständige auswärtige Vertretung an der Kurie (zum ersten Mal wird eine solche Vertretung schon 1523 erwähnt), und zwar einen 1 und zwar von Dieter Albrecht: Die auswärtige Politik Kurfürst Maximilians von Bayern (1618 - 35), Göttingen 1962, S. 16. Albrecht spricht dort von "der reifenden Souveränität der deutschen Territorialfürsten" und hebt Maximilian dabei ganz besonders heraus. U. a. ist von "Souveränität" auch die Rede in der Besprechung von Bernhard Knauss über Ernst Albert Seils Arbeit "Die Staatslehre des Jesuiten Adam Contzen, Beichtvater des Kurfürsten Maximilian I. von Bayern" (Hist. Studien, Heft 405, 1969), in: Süddeutsche Zeitung vom 9. April 1969, "Hofbeichtvater und Staatslehrer" . 2 König Gustav Adolf von Schweden urteilte boshaft, aber durchaus nicht der Wahrheit zuwider über ihn, er wechsele die Farben wie er wolle, weshalb man ihm nie trauen könne: "Le Duc porteroit une double casaque, monstrant par dehors tantost le bleu, tantost le rouge avec le croix de Borgogne tantost le blanc et roube, en meslant les couleurs comme il vouloit." Zitiert bei Albrecht: a.a.O., S. 344.
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1. Von Kurfürst Maximilian 1. bis zum Vertrag von Ried 1813
Prokurator in kurialen Diensten, der die bayerischen Belange nebenberuflich vertrat. Bei hochwichtigen Fragen wurden außerdem fachkundige Räte an die Kurie entstandt; - weitere ständige Agenten am Kaiserhof in Wien sowie in Madrid. Bei Maximilians Regierungsantritt war der deutsche Sekretär des spanischen Königs, Georg Hueter, zugleich ständiger bayerischer Agent in Madrid. Später hat der kaiserliche Botschafter in Madrid, Khevenhiller, die bayerischen Belange vertreten; in Wien wechselten die Agenten Maximilians oft. Von 1629 -1651 war es Johann Stückl (Stückhlin); - eine nahezu ständige Vertretung in Frankreich. Zwar hütete sich Maximilian, durch eine dauernde Vertretung den Argwohn der Habsburger über die bayerisch-französischen Verbindungen noch zu verstärken, jedoch hielt sich sein Hofrat Johann Kütner so oft und so lange in Paris auf, daß man fast von einer ständigen Vertretung sprechen kann. Zu diesen ständigen Agenten und Residenten kommen noch die außerordentlichen Gesandten, die von Maximilian in allen wichtigen Fragen in Bewegung gesetzt wurden und von weit größerem Gewicht waren3• Man kann demnach sagen, daß Kurfürst Maximilian I. schon vor dem Westfälischen Frieden in erheblichem Umfang de facto zwei der wichtigsten äußeren Souveränitätsrechte praktizierte: das Bündnisrecht und das Gesandtschaftsrecht. Er machte mit ihnen weit mehr als begrenzte Territorialpolitik, er trieb europäische Politik. Doch noch wesentlicher im Hinblick auf unsere Fragestellung ist Maximilians Innenpolitik. Bayern war unter seiner Führung ,.das bestverwaltete und schlagkräftigste Territorium des Reiches"4. Nirgendwo ist im Bereich im beginnenden 17. Jahrhundert so absolutistisch gesprochen und regiert worden wie in Bayern, nirgendwo wurden die aus der spätmittelalterlichen Staatlichkeit überkommenden Landstände, die mit ihren Privilegien und Freiheiten an den Hoheitsrechten der Territorialfürsten partizipierten, so radikal unterdrückt wie hier. Maximilian schaltete sie fast völlig aus, er regierte volle 39 Jahre ohne Landtag, der bei ihm nur zweimal, 1605 und 1612, zusammentrat. Er betrachtete die Landschaftskasse als ein den Landständen nur anvertrautes Staatsgut, über dessen Verwaltung dem Landesherrn die alleinige Aufsicht zustehe und über dessen Verwendung er alleine zu bestimmen habe. Ebenso sah er die Steuern nicht als ein freiwilliges Geschenk, sondern als eine Pflicht der Stände gegenüber dem Staat an. Die Entscheidung, wie weit diese Steuerpflicht in Anspruch zu nehmen sei, behielt er sich allein vor. Maximilian a Siehe D. Albrecht, S. 16 ff., "Agenten und Residenten". , D. Albrecht, S. 2.
1. Kurfürst Maximilian I. von Bayern
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gewährte den Ständen keinerlei Mitsprache und Anteil an der Regierung, nicht einmal an der Gesetzgebung; die Anschauung, daß ohne Vorwissen und Zustimmung der Landschaft Landgebote nicht erlassen werden könnten, wies er streng zurück. Man darf sagen: Maximilians Staat war er selbst. War er demnach souverain? Zumindest im Hinblick auf seine innere Herrschaft kann man das behaupten. Bezeichnete er sich aber auch so? Nahm Maximilian Souveränität für sich in Anspruch? Das ist die entscheidende Frage. Sie ist neuerdings in einer hervorragenden Studie über Maximilian beantwortet worden, die zwar nicht direkt von der Fragestellung der Souveränität ausgeht, sie indirekt aber dennoch beantwortet, indem sie sich sehr eingehend mit der Staats auffassung des großen bayerischen Kurfürsten befaßt. Es ist Heinz Dollingers Arbeit "Kurfürst Maximilian I. von Bayern und Justus Lipsius"5. Dollinger hat sich in dieser Untersuchung als einer der wenigen bayerischen Historiker dar an gemacht, die Politik Maximilians nicht nur deskriptiv darzulegen, sondern weiter zu geben und nach ihren staats-theoretischen Grundlagen zu forschen. Er ging von den Fragen aus: Wer war Maximilians Vorbild? Welcher Staatslehrer lieferte das Konzept, die Vorlage für seinen Staats-"Apparat"? War es JeanBodin? Vorbild: Lipsius "ragion di stato" - nicht Bodins "souverainete" Das Resultat dieser Untersuchung ist höchst interessant. Dollinger kommt zu dem Ergebnis, daß zwar "keineswegs geleugnet werden (könne), daß es im Bayern Maximilians Paralleltendenzen zu Bodins Souveränitätslehre ... gab", dennoch aber sei nur "mit den nötigen Vorbehalten" von einem "souveränen Machtstaat" Maximilians zu sprechen8 • Maximilian und seine engsten politischen Berater haben, so stellt Dollinger fest, Bodins "Six livres de la Republique" zwar mit größter Wahrscheinlichkeit gekannt, aber sie sind dessen Lehre nicht gefolgt. Das Buch Jean Bodins war vielmehr im streng katholischen Bayern verboten7 • Maximilian hat keine Souveränität angestrebt, sondern seinen Staat nach einer ganz anderen Vorlage geschaffen: nach den "Politicorum sive civilis doctrinae libri sex"s des Belgiers Justus Lipsius und seiner "Staatsräson"-Lehre. Die geradezu verblüffende Abhängigkeit der Staatsauffassung Maximilians von Lipsius und die in vielen Fällen fast wörtliche Befolgung von dessen Thesen hat Dollinger durch einen sorgfältigen Vers Heinz Dollinger: Kurfürst Maximilian 1. von Bayern und Justus Lipsius, in: Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 46 (1964), S. 227. • Derselbe, S. 278. 7 Derselbe, S. 287. Man darf auch annehmen, daß Maximilians jesuitische Erzieher und politische Berater ihm Bodin gewiß nicht empfohlen haben. 8 Justus Lipsius: Politicorum sive civilis doctrinae libre VI, 1590.
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I. Von Kurfürst Maximilian r. bis zum Vertrag von Ried 1813
gleich der "libri sex" mit der "Monita paterna Maximiliani"9, der Beilage des berühmten Testaments des bayerischen Kurfürsten, und anderen Schriften Maximilians zweifelsfrei bewiesen. Der wichtigste Unterschied zwischen dem im 17. Jahrhundert überall in Europa bekannten10 Staatslehrer Lipsius und dem Franzosen Bodin ist der, daß Lipsius angesichts der augenfälligen Krise des Staates in Europa - durch die Konfessionskriege, dem Verfall politischer Autorität in Frankreich, im Deutschen Reich, in Schottland und Polen - zwar auch den absoluten Machtstaat predigte, und sich dabei im grundsätzlichen zu Macchiavelli bekannte, was aber doch etwas anderes war als das dogmatische, kompromißlose Souveränitätspostulat Jean Bodins. Lipsius' Lehre war viel geschmeidiger; bei ihm ging es vor allem um die Praxis l l , d. h. um die wichtigsten Säulen der Macht, um Geld, Waffen, Bündnisse, die der Fürst mit der nötigen Staatsklugheit (,civilis prudentia') anzuwenden habe, um sich und sein Regiment in der Staatenumwelt zu verteidigen und zu behaupten (,präsidium quod princeps utiliter adhibet ad se tuendum aut regnum'). In Ausnahmefällen gestand Lipsius dem Fürsten sogar etwas Betrug (,prudentia mixta', Buch IV, Kap. 13/14) zu, um etwaigen Widersachern zu begegnen, ein unverkennbar macchiavellistischer Zug. Dennoch identifizierte sich der Holländer keineswegs mit dem großen Italiener, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts angesichts der verzweifelten Lage Italiens freie und skrupellose Machtsteigerung und Machtausübung auch gegenüber den Sittengesetzen12 proklamiert hatte. Hierzu konnte sich der Humanist Lipsius niemals bekennen, diese Thesen Macchiavellis erschienen ihm am Ende des Jahrhunderts, nach den Schrecken der Bartholomäusnacht, den politischen Morden und Bürgerkriegen, als der Untergang jeder Staatsordnung. Stattdessen betonte er immer wieder die unbedingte Notwendigkeit einer festen sittlichen Basis, legte dem Fürsten die "vis temperata" nahe, maßvolles, vernünftiges 13 Handeln. Nur auf diesem Wege sei er in der Lage, seine Stellung nach außen und innen zu behaupten und zu festigen. • Vollständiger Titel: Monita paterna Maximiliani, utriusque Bavaria!:' du cis, s. R. i. electoris et archidapiferi, ad Ferdinandum, utriusque Bavariae ducem ftlium adhoc tremulum. 10 Bis zum Ende des 19. Jhs. erschienen in Europa 67 vollständige Drucke von Lipsius' Werk; die eineinhalb Jahrzehnte vor- oder nachher erschienenen Werke Bodins und Althusius' erreichten nicht diese hohe Auflagenzahl. Bodin erlebte 17 französische (1576 - 1753) und 9 lateinische (1586 - 1650) Auflagen, sowie übersetzungen ins Italienische, Deutsche, Englische. Althusius' Politica wurde achtmal aufgelegt (1603 -1654). Siehe hierzu Gerhard österreich: HZ 181
(1956), S. 33. U G. Österreich: a.a.O., S. 77: "Das Werk des Niederländers war ganz auf die
Praxis zugeschnitten, es ging unmittelbar in sie ein, ja in ihr auf." 12 Deshalb war auch Macchiavelli in Bayern verboten. Dollinger: a.a.O., S. 287. 13 Das Argument der Vernunft war, wie G. Österreich, S. 64 ff. betont, eines der wichtigsten und fortlaufend wiederholten des Justus Lipsius. Auch Riche-
1. Kurfürst Maximilian I. von Bayern
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Genau diesen Weg ging Kurfürst Maximilian I. von Bayern, nicht den Weg der Souveränität, mit dem er sich von vorneherein unwiderrufbar gegen den Kaiser und das Reich gestellt hätte, wozu er viel zu klug war, sondern den Weg des wohltemperierten Macchiavellismus, den Weg der gemäßigten Staatsräson des Justus Lipsius, dessen Lehre er wie kein anderer Fürst in die Praxis umsetzte: den Weg der Staatsklugheit, der Vernunft, der Berechnung, zuweilen auch den Weg der Verschlagenheit. Nicht ein einziges Mal ist in allen Schriften, Briefen und Instruktionen Maximilians - seit 1597, als er von seinem Vater die Regierung übernimmt und vom ersten Tage an "eine geschlossene, fast fertige Persönlichkeit"14 ist, bis zu seinem Tode - von "Souveränität" die Rede. Nicht ein einziges Mal taucht bei ihm das Wort "souverain" auf. Stattdessen spricht er, wenn er es überhaupt tut, immer nur von seiner "landesfürstlichen superioritaet", wie z. B. in seiner eigenhändigen Instruktion an seinen Sohn Ferdinand Maria, die sicher eines der bezeichnendsten Dokumente für seine Staatsauffassung darstellt15 . Typisch ist, daß auch diese Stelle sich auf die innere Staatsverwaltung und Regierung bezieht, auf die Stellung des Landesherrn gegenüber den Ständen. Weit mehr ist in Maximilians Schriften von den praktischen Staatsgeschäften die Rede, vor allem aber vorn Geld. Wie sehr eine geordnete Finanzlage Dreh- und Angelpunkt von Maximilians Politik waren, hat Dollinger eingehend dargestellt16 . "Das guete vermögen ist nervus rerum lieu ist nach Ansicht Österreichs höchstwahrscheinlich direkt von Lipsius beeinflußt worden: "Wer die praktische Politik des großen Kardinals studiert, wer sein politisches Testament liest, begegnet der Stimme des Niederländers.'· 14 Siehe Doeberl: Entwicklungsgeschichte Bayerns I, S. 501. lS Maximilian weist Ferdinand Maria darin besonders an, immer darauf zu achten, daß die Landstände in ihren Versammlungen "nit deren privatnuz oder gelegenheit eines oder etlicher ständt, sondern den gemainen nuzen wohlfahrt und heyl des vatterlandts und deren sambtlichen underthannen als supremam legen vor sich haben, oder da sie solches nit thuen noch sich nach der billichkeit und vernunft weisen lassen werden, der landesfürst als dz natürliche haubt und erbherr, deme land und leuth und deren heyll uon gott anbefahlen ist, hierzu vorgreiffen und sich seines gewalts und rechts sonderlich aber in extraordinari nothfällen gebrauchen, wie wür dann solches unterschiedentIichen mahlen practicirt und unseren erben den weeg gemacht. In dergleichen nothfaellen (habe) ein landesfürst ihres willens nit vonnöthen, sondern sich seiner landesfürstlichen superioritaet zu gebrauchen und mehrers die conservation, heyl und wohlstand seiner landen als deren stände unnöthige difficultaeten und bedencken in acht zu nemmen. Welches wür unserem lieben sohn zu seiner besseren nachrichtung hinterlassung." Aus: Weyl. dess durchleuchtigisten churfürstens Maximiliani primo hoechstseel(igi)ster gedächtniss eygenhändige geheimbe instruction von anno 1637, besonder die land-staend und deren privilegien betreffend", in: Hellersbergischer Sammelband der Universitätsbiliothek München, 2° cod. ms. 698 fol. 248 ff. Nähere Erläuterungen dazu bei H. Dollinger: Kurfürst Maximilian, a.a.O., S.274.
11 H. Dollinger: Studien zur Finanzreform Maximilians I. von Bayern 15981618. Ein Beitrag zur Geschichte des Frühabsolutismus (Schriftenreihe der HK 8),1968.
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I. Von Kurfürst Maximilian I. bis zum Vertrag von Ried 1813
agendarum et conservandarum"17, schrieb Maximilian, dies war sein Wahlspruch, unter dem er alle Kräfte seiner "ragion di stato" nach innen konzentrierte. Als Maximilian die Regierung antrat, lag es mit diesem "gueten vermögen" mehr als im argen. Nach dem Jahre 1593 hatte die Mißwirtschaft Wilhelms V. die Hofzahlamtskasse mit einer Schuld von über einer Million belastet 18, die Ausgaben überstiegen um die Hälfte die Einnahmen, und Maximilian konnte anfangs kaum die finanziellen Verpflichtungen erfüllen, nicht einmal die Gehälter der Beamten bezahlen. In seiner Jugend grimmig die Erfahrung machend, wie sehr Geld die Welt regiere 19 , machte sich Maximilian als obersten Grundsatz die Forderung Lipsius' zu eigen, daß Verringerung der Ausgaben wichtiger sei als Vermehrung der Einnahmen20 , was sich in seiner zeitlebens geübten 17 Dieser Satz steht in den "treuherzigen vätterlichen Lehrstückhen" Maximilians (S. 144). Vollständiger Titel: "Treuherzige vätterliche lehrstückh erinner: unnd ennahnungen, welche unser freundtlicher lieber Sohn und curerb bei antrett: und fiehrung seiner khünfftigen landesfürstlichen regierung wol in acht zu nemen, offt zu lesen und sich darnach zu richten hat." Abgedr. bei Fr. Schmidt: Geschichte der Erziehung der bayerischen Wittelsbacher von den frühesten Zeiten bis 1750, Mon. Genn. Paed. 14, 1892; Akten: Geh.-HausArchiv München, Korrespondenzakten Nr. 639. Die "Lehrstückh" wurden von einem der engsten Beamten und Vertrauten Maximilians, dem Hofkammerpräsidenten Dr. Johann Mändl, verfaßt. Dollinger: Kurfürst Maxilimian, S. 257. 18 Doeberl: Entwicklungsgeschichte Bayerns I, S. 504 ff. 11 Am 21. Juni 1598, unmittelbar nach der politischen Niederlage in der Besetzung des Passauer Bischofsstuhls schrieb Maximilian an seinen Vater, Herzog Wilhelm, jenen Brief, in dem er nüchtern die Ursache dieser Niederlage analysiert und daraus seine Schlüsse zieht: "Ich siche halt, daß sowol bey geistlichen alß weltlichen nur auf die ragion di stato gesechen wirdt und das der respectiert wird, der vil land oder vil gelt hatt, und dieweil wir deren klainß, so wer(d)en wir sowoll bei den Welschen alß andern nimmennehr khein authoritet haben, biß wir doch in geltsachen unß besser schwingen, und wirdt gewiß daran alleß gelegen sein, wie mich dann gedunkht, eß soll diß werkh unß ursach geben, auf dise geltsachen eußerst acht zu geben unnd da wir da wol steen, so werden wir den geltgeizigen Welschen wenig, sonder sie unß nachlauffen." Wörtl. Abdruck dieses Briefes in: Die Politik Baierns 1591 - 1607, bearbeitet v. F. Stieve (Briefe und Akten zur Geschichte des 30jährigen Krieges 4, 1878, S. 479 f.). Bemerkenswert ist, wie Michael Doeberl die wichtigste Stelle dieses Briefes übersetzt. Er läßt die Passage mit der "ragion di stato" völlig aus und schreibt: "Ich sehe halt, daß sowohl bei Geistlichen als Weltlichen nur der respektiert wird, der viel Land und viel Geld hat ..." usw. Doeberl, der sich wenig mit Staatslehren und Staatstheorien, die nicht sein Feld waren, befaßt hat, hält diesen Ausdruck für den Sinnzusammenhang dieses Satzes nicht für so wichtig. In Wirklichkeit ist er es sehr. Doeberl: Entwicklungsgeschichte Bayerns I, S. 504. 20 Lipsius, liber IV, cap. 11, S. 119: "Et tantas vires habet frugalitas, ut tot impendiis tot erogationibus, vel sola sufficiat. - In den Monita paterna, die in den §§ 21 - 24 Sparsamkeit der Ausgaben, Steigerung der Einnahmen (§ 25), §§ 26 und 27 Venneidung von Schulden beinhalten, heißt es diesbezüglich: Laudo frugalem (sc. principum) qui magnas opes non tam capiendo quam non perdendo quaerit."
1. Kurfürst Maximilian I. von Bayern
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größtmöglichen Sparsamkeit und der straffsten Anspannung der Steuerkraft des Landes niederschlug21 • Mit dieser Politik, über die er die alleinige Kontrolle ausübte wie überhaupt die persönliche Leitung der Regierungsgeschäfte Maximilians oberstes Gebot war, brachte er nicht bloß die Einnahmen und Ausgaben wieder ins Gleichgewicht, sondern sammelte sogar einen Staatsschatz an, während fast alle anderen deutschen Fürsten an Geldmangel litten. Ein Faktum, dem in seiner Zeit, der Zeit der Söldnerheere, eminente, ja entscheidende politische Bedeutung zukam. Die günstige Finanzlage Bayerns ermöglichte es Maximilian, eine selbständige, über die Grenzen Bayerns weit hinausgreifende, europäische Politik zu treiben22 • Aber es war keine Politik der Souveränität. Das hat bereits Michael Doeberl gesehen, der betont hat, daß Maximilian schon aus der "in ihm tief eingewurzelten Idee des Gottesgnadentums" des Kaisers niemals die Absicht hatte, Souveränität anzustreben und sich vom Reich zu trennen: "Das Pflichtgefühl bestätigte Maximilian nicht bloß den Untertanen, sondern auch dem Kaiser gegenüber, in dem er die von Gott gesetzte Obrigkeit erblickte. Das Pflichtgefühl wurzelte in der Religiosität23 ." Diese Deutung legt hinsichtlich Maximilians Außenpolitik vielleicht ein wenig zu viel Gewicht auf das Religiöse und Doeberl schränkt sie ja auch gleich darauf wieder ein 24 • Der große bayerische Kurfürst besaß ein äußerst scharfes Auge für die Macht und ihre Anwendung, und er wußte diese Macht als Führer des außerösterreichischen katholischen Deutschland im Verlauf und am Ende des 30jährigen Krieges im Reich sehr wohl auch gegen den Kaiser zu aktivieren und in die Waagschale zu werfen, um seine Interessen zu wahren. Seine Aufforderungen an den Kaiser am Ende des Krieges, die Ultimata gleichkamen, beweisen das sehr deutlich. An der Tatsache jedoch, daß Maximilian keine Souveränität für sich in Anspruch nahm, gibt es keinen Zweifel. Immer ging er nur von seiner !1 Maximilian erreichte vom Landtag des Jahres 1605, daß dieser die letzte Schuld seines Vaters in der Höhe von einer Million übernahm. Die eineinhalbfache Landsteuer, die schon 1594 auf 12 Jahre genehmigt worden war, wurde 1605 auf fünf, 1612 auf weitere neun Jahre verlängert. 1593 wurde von M. ein Aufschlag auf Salz durchgesetzt, 1612 die Kammergutsaufbesserung auf 150 000 ft. erhöht. Alle Unterthanen ohne Unterschied des Standes hatten Steuern zu zahlen; durch Erhöhung der ständischen Anlage oder Ständesteuer versuchte M. seinen Grundsatz einer verhältnismäßig gleichen Belastung aller Staatsbürger zu verwirklichen. Während des 30jährigen Krieges schrieb er außerordentliche Anlagen aus: Kriegssteuern, Zwangsanleihen, Dezimationen des Klerus und des Kirchengutes. 2! Vgl. Doeberl: Entwicklungsgeschichte Bayerns I, S. 506. za Derselbe: a.a.O., S. 502. 14 indem er sagt, daß auf der anderen Seite Maximilian "über der religiös gefärbten Kaisertreue nicht den Vorteil seines Hauses und Staates, nicht das traditionelle Mißtrauen gegenüber der Wiener Hofburg vergaß". Doeberl, ebenda.
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"superioritaet", von seiner "Hoheit" aus, niemals von seiner "summa potestas" oder "Souverainetaet". Daß man in Bayern dieses entscheidende Wort und seine Bedeutung in bezug auf die Reichsverfassung sehr genau kannte, beweisen nicht zuletzt am sprechendsten die Akten der Friedensverhandlungen von Osnabrück. Dort stellten in der Konferenz vom 2. März 1648 die katholischen Deputierten unter Federführung des kurbayerischen Gesandten Krebs die Souveränität des Kaisers als unbestritten heraus. Sie erklärten, daß "Ihrer Kayserlichen Majestaet an habender Hoheit und Souverainetaet das geringste nicht praezudiziret noch benommen seyn sollte"25. Der entscheidende Grundsatz, der die Handlungen Kurfürst Maximilians 1. von Bayern immer wieder bestimmte, war niemals der Gedanke, Souveränität zu erringen, war nicht das gefährliche Ziel, sich vom Reich zu trennen, was seinem Sicherheitsstreben völlig entgegengesetzt gewesen wäre, sondern es war die "prudentia" des Justus Lipsius, jene Staatsklugheit, mit der der Fürst immer wieder die "Tatsachen des geschichtlichen Augenblicks"26 zu erkennen und zu bewältigen habe. Für Maximilian hieß das: Sich nicht auf waghalsige Unternehmungen einzulassen, sondern immer und zuallererst das Gemeinwohl seines Staates im Auge zu behalten. Er hütete sich, seinen Staat und sein Volk durch unsichere Aktionen zu gefährden, vielmehr war sein oberstes Ziel, in weiser Beschränkung, Selbstbescheidung und Stetigkeit zum Besten seiner Untertanen zu wirken, auch wenn er absolut wie kein anderer über sie herrschte. Die Grundlagen seiner Politik wurden bestimmt durch das Ideal des christlich-väterlichen Herrschers und den wohltemperierten Macchiavellismus des Justus Lipsius. Nicht durch das Souveränitätspostulat Jean Bodins. Zwar trugen einige seiner inneren Regierungsleitsätze bodinische Züge 27, aber nach außen hin hatte Bodins Lehre in Maximilians Politik keinen Platz. Es wäre von ihm äußerst töricht und riskant gewesen, sich im Verlauf des 30jährigen Krieges offen gegen den Kaiser zu stellen, dessen Verbündeter er die meiste Zeit war, und sein Territorium, das von allen Seiten von Reichsgebiet umschlossen war28 , zu isolieren. Dazu war Maximilian viel zu klug, viel zu sehr Taktiker. 25 Konferenz-Bericht vom 2. März 1648, in: Johann Gottfried von MeieTn: Acta Pacis Westphalicae oder: Westphälische Friedensverhandlungen und Geschichte, 5. Teil, 1735, S. 518. 28 H. DollingeT: Kurfürst Maximilian, S. 300. 27 Siehe DollingeT: Kurfürst MaximiIian, S. 277, der richtig meint, daß M. sich in manchem auch "unüberhörbar in Einklang mit den Lehren Jean Bodins" befand. Aber dies ist erklärlich. Lipsius und Bodin überschnitten sich hier (besonders Bodin, livre I, Chap. 8). 28 Das war überhaupt der entscheidende Grund, warum Maximilian alle Kräfte der Staatsräson nach innen konzentrierte; ganz im Gegensatz zu Preußen, zum Kurfürsten von Brandenburg, bei dem die Außenpolitik und deshalb die militärische Macht im Vordergrund des Staatsinteresses stand. Die Fülle
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Schließen wir dieses Kapitel über Bayerns großen Kurfürsten mit der Feststellung, daß im größten süddeutschen Territorialstaat im 17. Jahrhundert von Souveränität keine Rede ist. Auch bei Maximilians Nachfolgern kaum, obwohl sie weit weniger "prudentia" besitzen als er. Das Scheitern ihrer übersteigerten Großmachtpolitik im Verlauf des Spanischen und Österreichischen Erbfolgekrieges - insbesondere Kurfürst Max Emanuels - führt vielmehr dazu, daß Bayern als Macht zweiten Grades bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, ja bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, sich auf das Reich stützt und gegenüber den beiden rivalisierenden Großmächten Preußen und Österreich betont auf die Reichsverfassung pocht. Seine führenden Staatsrechtler am Ende des 18. Jahrhunderts, Kreittmayr, Feßmaier und Gönner werden zu den engagiertesten Unterstützern des Reichsstaatsrechts und seiner herausragenden Interpreten Moser und Pütter, die die Souveränitätsfrage im Reich exakt nach Bodins Aussage beantworten: Nicht der Kaiser ist souverän, nicht die einzelnen Reichsstände, sondern nur beide zusammen, Kaiser und Reichsstände im Reichstag vereint; die Reichsstände besitzen dagegen nur die Landeshoheit, die superioritas territorialis. Der Landshuter Professor Nikolaus Thaddäus Gönner, unter Montgelas in der Innenpolitik ein wichtiger und einflußreicher Mann, geht dabei sogar so weit, daß er noch im Jahre 1804, nach dem Reichsdeputationshauptschluß, es ablehnt, von deutschen "Staaten" zu sprechen, und sich gegen Moser stellt, der dies realitätsgemäß tat. Gönner dagegen schrieb ein "Teutsches Staatsrecht", in dem er Bayern lediglich, wie alle anderen Reichsländer, als "halbsouveräne Reichsanstalt" bezeichnet. Während das Reich unter dem Ansturm Frankreichs endgültig auseinanderfällt und in den letzten Jahren praktisch kaum mehr existiert, bleibt Bayern bis zuletzt der fleißigste staatsrechtliche Anwalt der Reichssouveränität - auf der Grundlage der Aussage Jean Bodins. Das soll das nächste Kapitel zeigen.
und der weite Radius, der durch die einmalige geographische Situation des brandenburg-preußischen Länderkonglomerats gegeben war, verlangte dort zuallererst eine starke außenpolitische Konzeption und im besonderen ein schlagkräftiges Heer. Alle Blicke waren in Preußen ständig auf die Grenzen gerichtet, auf den Schutz des Besitzes, alle Kräfte darauf aufs äußerste angespannt. Von diesem Ansatz her legte der Große Kurfürst im Norden den Grundstein zum Aufbau der Großmacht Preußen, das sich deshalb auch viel früher als Bayern "souverain" erklären und als Königreich vom Reich "weg emanzipieren" konnte. Bayern war erst in der Lage, diesen Schritt zu vollziehen, als es nicht mehr von allen Seiten von Reichslanden umgeben war, nach der Besitzergreüung Tirols.
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2. Bayerns betonte Unterordnung unter die Reichsverfassung als Folge der gescheiterten Großmachtpolitik von Maximilians Nachfolgern Max Emanuel und Karl Albrecht - Kreittmayr unterstützt das Reichsstaatsrecht: Keine "Souveränität" der Staaten des Reiches, sondern nur "Landeshoheit"
Das Scheitern der Großmachtpolitik Max Emanuels und Karl Albrechts Die historischen Ereignisse des 18. Jahrhunderts im Reich und die Rolle, die Bayern dabei spielte, sind bekannt. Sie brauchen deshalb hier nur skizziert zu werden. Es ist das Jahrhundert, in dem sich zwischen den drei größten Reichsständen Österreich, Preußen und Bayern entscheidet, wer Führungsmacht im Reich wird. Die Entscheidung fällt zugunsten Österreichs und Preußens, die sich fortan fast gleichstark gegenüber stehen. Sie fällt zuungunsten Bayerns, das seine Ansprüche zurückschrauben und sich in die Reihe der Mächte zweiten und dritten Grades einreihen muß. Der historische Fixpunkt dieser Entscheidung ist der Friede von Füssen (22. April 1745). Daß das Interesse der Nachfolger Kurfürst Maximilians sich nach dessen Tod hauptsächlich auf die Außenpolitik konzentriert, ist unschwer erklärbar. Maximilian hat Bayern durch seine kluge und umsichtige Politik eine sehr starke Position im Reich verschafft, auf der man weiterbauen will. Im Innern sind nach Maximilians Regiment kaum größere Anstrengungen nötig, man profitiert von seinem Erbe. Der Großteil der Aktivität ist deshalb nach außen gerichtet, das Bestreben Bayerns geht dahin, sich zu vergrößern. Am deutlichsten spricht dies wohl der selbstbewußte Max Emanuel aus: "Sich vergrößern ist die würdigste und angenehmste Tat eines Souverains1." Wenn Max Emanuel sich hier als "Souverain" bezeichnet, so ist das sicher primär absolutistische Herrschersprache und weniger ein bewußter Unabhängigkeitsausspruch gegenüber dem Reich. Dennoch hätte Kurfürst Maximilian I. einen solchen Satz sicher nicht gesagt. Vergrößern aber kann sich Bayern nur auf Kosten Österreichs, denn es ist von allen Seiten vom Gebiet des Hauses Habsburg umklammert, seine geographische Lage ist eine ganz andere als die Preußens. Folglich muß dieses Bestreben automatisch zu einer Frontstellung und Feindschaft gegenüber dem Haus Habsburg führen, und das tut es auch. Während unter Maximilians Sohn Ferdinand Maria (1651-1679) noch keine offene Gegnerschaft ausbricht, und Bayerns Kontakte zu dem größten Feind Habsburgs, zu Frankreich, im großen und ganzen geheim bleiben, schlägt sich sein Nachfolger Max Emanuel im Spanischen Erbfolgekrieg 1
Vgl. oben Anm. 63, Einleitung 2.
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offen auf die Seite der Franzosen, nachdem durch den plötzlichen Tod seines Sohnes J oseph Ferdinand - entsprossen aus seiner Ehe mit Marie Antonie, der Tochter Kaiser Leopolds Ir. - sein wittelsbachischer Königstraum in Spanien ausgeträumt ist. Doch der Versuch Max Emanuels, zusammen mit Frankreich die spanische "Partikularsache"2 - so drückt er sich aus, um anzuzeigen, daß er die Erbfolgefrage nicht als eine Angelegenheit des Reiches, sondern als eine spezifisch österreichische Angelegenheit ansieht - zu seinen Gunsten auszunutzen, endet mit einem Fiasko. Am 12. August 1704 erleidet er zusammen mit Frankreich durch Prinz Eugen und Marlborough bei Höchstädt die entscheidende Niederlage. Statt sein erstrebtes Kiegsziel Tirol zu erreichen, mit dem er sich den Rücken gegen Österreich freimachen wollte, muß er in die Niederlande fliehen, und Kaiser Joseph 1. verhängt über den länderlosen bayerischen Kurfürsten und seinen Bruder Joseph Klemens von Köln am 29. April 1706 mit Zustimmung des kurfürstlichen Kollegiums, ausgenommen Preußen, das sich nachträglich aus taktischen Gründen davon distanziert, die Reichsacht. Als unzufriedener Generalstatthalter der Niederlande von Ludwig XIV. Gnaden bietet Max Emanuel dem Kaiser schließlich an, Bayern an das Haus Habsburg abzutreten, wenn er dafür das Königreich Sardinien und die Herzogtümer Mailand und Mantua erhalte. Der Kaiser geht darauf jedoch nicht ein. Max Emanuels Lage ändert sich erst, als sich England von der Entente gegen Frankreich löst, das Kriegsglück sich wieder mehr Frankreich zuneigt und Joseph 1. im April 1711 stirbt. Auf dem Utrechter Kongreß kommen Frankreich und England überein, dem bayerischen Kurfürsten seine Kurlande zurückzugeben und ihm seine Kurwürde wieder zuzuerkennen. Kaiser Karl VI. stimmt diesem Übereinkommen im Frieden von Rastatt am 7. März 1714 zu, ohne dem weiteren Begehren Frankreichs nachzukommen, Max Emanuel das Königreich Sizilien zu überantworten. Der bayerische Kurfürst und sein Bruder werden wieder in ihre früheren Länder und Würden eingesetzt, die Reichsacht aufgehoben. Damit befindet sich Bayern, dessen Kurfürst am 10. April 1715 wieder in München einzieht, am Ende des Spanischen Erbfolgekrieges in der gleichen Position wie zu seinem Beginn. Nichts ist hinzugewonnen worden. Völlig vergeblich ist Bayern gegen das Haus Habsburg, gegen die Reichsführungsmacht aufgestanden, um selbst Großmacht zu werden. Dennoch, die Wunden dieses Krieges sind kaum verheilt, unternimmt Bayern 26 Jahre später im Österreichischen Erbfolgekrieg (1740 - 48) einen erneuten Ansturm auf das Haus Habsburg, um selbst Führungsmacht im Reich zu werden. Wieder ist es Frankreich, das Karl Albrecht I
M. Doeberl: Entwicklungsgeschichte Bayerns II, S. 118.
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(1726 - 1745), dem Sohn und Nachfolger des verstorbenen Max Emanuel, Hilfe gegen Österreich verspricht, als dieser nach dem Tode Kaiser Karls VI. (20. Oktober 1740), dem Letzten vom Habsburgischen Mannesstamm, Ansprüche auf die österreichischen Erblande anmeldet und die Erwerbung der Kaiserkrone anstrebt. Seine Ansprüche begründet Karl Albrecht mit dem Ehevertrag zwischen Kurfürst Maximilian I. und seiner Gemahlin Marianne, Tochter Kaiser Ferdinands 11., die Ferdinand Maria gebar. Neben Frankreich und Spanien erwächst Bayern diesmal noch ein weiterer mächtiger Verbündeter. Friedrich 11., König des inzwischen unter seinem Vater Friedrich Wilhelm I. zur europäischen Großmacht avancierten Preußen, kommen die bayerischen Anspruche nur zu gelegen, um sein Hauptziel zu unterstützen: die Schwächung Österreichs, an dessen Spitze jetzt Maria Theresia (1740 -1780) steht.
Der österreichische Erbfolgekrieg hat für Bayern von vorneherein einen tragischen Charakter, da es nicht erkennt, daß es von Anfang an von seinen Verbündeten als Mittel zum Zweck ihrer eigenen Interessen benutzt wird. Karl Albrecht, später Kaiser Karl VII., ist eine Schachfigur im politischen Spiel Preußens und Frankreichs, die im Reich nichts zu sagen hat und untergeht, als man sie fallen läßt. Auf Grund der militärischen Anfangserfolge zusammen mit Ludwig XV. und Friedrich II., die die anderen Kurfürsten und Stände des Reiches stark beeindrucken, geht der Weg Karls Albrechts zu seinem erstrebten Ziel schnell: im Januar 1742 wird er auf Vorschlag Preußens mit den Stimmen Kur-Sachsens, Kur-Hannovers, Kur-Mainz' und Kur-Triers zum Kaiser gewählt, am 12. Februar 1742 empfängt er aus der Hand seines Bruders, des Erzbischofs von Köln, die Kaiserkrone. Doch das ist alles, was Karl Albrecht erreicht: ein Titel ohne Macht. Schon zwei Tage nach der Krönung wird München durch österreichische Truppen besetzt, Maria Theresia, die sich inzwischen mit Großbritannien verbündet hat, erringt Sieg auf Sieg. Mit Mühe können sich einige feste Plätze Bayerns (Landsberg, Ingolstadt, Straubing) behaupten. Wieder hat die unglückliche bayerische Bevölkerung die ganze Schwere des Krieges zu tragen, während der Kaiser in Frankreich unter dem Schutz des in sich selbst gespaltenen Reichstages sitzt und von der Gnade Frankreichs lebt, das ihm im Frühjahr 1742 neben der Jahressubsidie von 2 Millionen Livres eine außerordentliche Subsidie von 1,2 Millionen Livres zur Ergänzung der kaiserlichen Armee bewilligt. Die Hilfeersuchen Karl Albrechts an Preußen und Sachsen, sein Land zu befreien, erbringen nichts. Zwar siegt am 17. 5. 1742 Preußen glänzend über die Österreicher, aber dadurch wird Bayerns Lage noch schlimmer. Denn Maria Theresia sieht jetzt, daß sie Frankreich und Preußen zusammen nicht gewachsen ist, und schließt mit Preußen unter Vermitt-
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lung Englands im Juli 1742 den Frieden von Breslau. Preußen läßt den Kaiser allein, Sachsen folgt seinem Beispiel. Im August 1743 steht ganz Bayern mit Ausnahme der Festung Rothenburg unter österreichischer Administration. Sie löst sich erst auf, als Friedrich II., durch die Erbfolge Österreichs beunruhigt, wieder aktiv in den Krieg eintritt und nach der Frankfurter Union (22. Mai 1744) mit Karl Albrecht und Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz zum Schutz des Kaisers und der Reichsverfassung im August 1744 mit 80 000 Mann "kaiserlicher Hilfsvölker" in Böhmen einrückt und Prag nimmt. Am 23. Oktober 1744 kann Karl Albrecht endlich wieder in München einziehen, wo er am 20. 1. 1745 stirbt. Sein Sohn und Nachfolger Max IH. Joseph ist zwar zunächst entschlossen, an der politischen Erbschaft seines Vaters festzuhalten, und er nimmt am 22. Januar den Titel eines Erzherzogs von Österreich an. Schon bald aber, als die Kriegslage sich erneut stark verschlechtert und der junge Kurfürst aus dem bedrohten München nach Augsburg fliehen muß, nachdem Vilshofen gefallen ist und die Franzosen bei Pfaffenhofen geschlagen worden sind, beschließt er, beeinflußt vor allem von seinem Feldmarschall Seckendorf, Frieden zu machen und die Leiden seines Landes zu beenden. Am 22. April 1745 schließt Max II!. in Füssen den Separatfrieden mit Österreich. In ihm gibt Bayern alle Ansprüche auf die österreichische Erbfolge auf, es verspricht, dem Gemahl Maria Theresias, Großherzog Franz Stephan, bei der Kaiserwahl seine Stimme zu geben und auch die verwandten Kurhöfe von Köln und der Pfalz dafür zu gewinnen. Als Gegenleistung erklärt sich Maria Theresia bereit, Bayern im Umfang des Jahres 1741 an den Kurfürsten zurückzugeben und auf jede Kriegsentschädigung zu verzichten. Mit dem Frieden von Füssen ist Bayern aus dem Kreise derjenigen deutschen Staaten, die mit dem Anspruch auf eine Großmachtstellung im Reich und in Europa auftreten konnten, ausgeschieden. Fortan kommen hierfür nur noch zwei Staaten in Betracht, Österreich oder Preußen. Die deutsche Geschichte steht unter dem Zeichen des Dualismus zwischen Österreich und Preußen. Unmittelbar aber ist die Wirkung des Friedens, daß Bayerns Kurfürst sich nach den gescheiterten außenpolitischen Ambitionen seiner Vorgänger nunmehr wieder viel intensiver der Innenpolitik zuwendet mit dem Ziel, die Wunden des Krieges auszuheilen und seinen Staat von innen heraus zu kräftigen und zu festigen. Max IH. Joseph tritt seine Regierung mit der Versicherung an: "Meine erste Absicht ist die Ruhe und Wohlfahrt meiner Unterthanen und mein Partikularinteresse, welches bei so vielen Länderfürsten die erste zu sein pflegt, ist bei mir erst die andere" (Zit. bei Doeberl, Entwicklungsgeschichte Bayerns H, S. 257). 5 Quint
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Sein Partikularinteresse stellt Bayern jetzt also hinten an. Innere Konsolidierung und Ruhe gehen vor. Ganz besonders aufschlußreich ist aber nun seine Haltung, die es gegenüber dem Reich einnimmt. Nachdem Bayern erkannt hat, daß es aus eigener Kraft keine neuen Erwerbungen bzw. Vorteile erringen konnte, begibt es sich nun in die Obhut des Reiches, um dort seine Interessen so gut wie möglich weiter wahrzunehmen, d. h. vor allem stets seinen Territorialbesitz gegen etwaige Ansprüche der Großmächte, besonders Österreichs, zu verteidigen. Es stellt sich voll und ganz auf den Boden der Reichsverfassung, über die es sich eben selbst noch hinweggesetzt hat, und nimmt diese gegen alle Verletzungen, besonders im Hinblick auf die bei den übermächtigen Großmächte, in Schutz. Dazu gehört, daß es auch besonders nachhaltig zu der Frage Stellung bezieht, die die Reichsverfassung am meisten gefährdet und das Reichsstaatsrecht nach wie vor am meisten beschäftigt: die Souveränitätsfrage. Die diesbezügliche Haltung Bayerns personifiziert sich am eindrucksvollsten in seinem Staatskanzler, führenden StaatsrechtIer und fähigsten Kopf unter den obersten Beratern des Kurfürsten, Wiguläus Xaverius Kreittmayr. Dieser wird zu einem der größten Anhänger und Befürworter des führenden Reichsstaatslehrers Johann Jacob Moser, der den Reichsterritorien zwar volle Eigenstaatlichkeit zugesteht, aber keine Souveränität, da diese mit dem Reich, welches als übergeordnetes Ganzes die einzelnen Staaten verbinde und beschütze, unvereinbar sei. Kreittmayr ist einer der intensivsten Interpreten der rechtlich befestigten, ständisch verfaßten Landeshoheit. Kreittmayrs Ablehnung der Souveränität Um die Bejahung der Reichsverfassung durch Bayern und die besondere Anlehnung Kreittmayrs an den größten Reichsstaatslehrer Moser zu verstehen, müssen wir uns an Mosers Bestreben erinnern, das Reich zu beschreiben, wie es war, wobei seine wichtigste Aussage war, daß die Reichsterritorien sich im Laufe der Geschichte zu "Staaten" entwickelt hätten: Staaten, die zwar keine Souveränität besäßen - weil ihre Fürsten dem Reich unterstellt und nicht völlig unabhängig seien, was ihre außerordentliche Besonderheit wäre -, aber dennoch ohne Zweifel Staaten. Um dies zu dokumentieren, hatte Moser sechzehn deutsche Partikularstaatsrechte geschrieben3, darunter im Jahre 1754 auch ein "Churfürstlich Baierisches Staatsrecht"" in dem er Bayern als eines der eigenständigsten und historischsten Reichsgliederli bezeichnete, dessen Siehe oben Einleitung 2. Johann Jacob Maser: Churfürstlich-Baierisches Staatsrecht, Stuttgart 1754. 5 Als Beispiel dafür nennt Moser u. a. die Tatsache, daß Bayerns Kurfürst in seinem Titel seine Geschlechtswürde der Kurwürde voranstellt: "Wiewohl 3 4
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Herrscherhaus "eines der allerältesten Fürstenhäuser in Teutschland"8 stelle. Von diesem Chur-Fürstlich-Baierischen Staatsrecht Mosers, das so betont von der langen Geschichte, Kultur und Größe Baierns spricht, ist man in Bayern auf höchste angetan. Nach den katastrophalen Niederlagen seiner Außenpolitik, die Bayern nur zu deutlich seine Grenzen gezeigt haben, wirkt Mosers Buch in München geradezu wie Balsam auf die Wunden des letzten halben Jahrhunderts. Dankbar greift Kreittmayr Mosers Feststellung auf und bekräftigt: "Daß das Haus Baiern eines der ältesten Häuser in Teutschland seye, ist ohne Widerrede 7 ." Noch größer aber ist Genugtuung darüber, daß Moser von dem "Staat" Bayern spricht. Diese Tatsache belebt ungeheuer den immer stärker gewordenen Staatswillen und das immer mehr erwachte Staatsgefühl im größten süddeutschen Reichsterritorium, das sich jetzt nicht nur bestätigt, sondern sogar bestärkt sieht. Kreittmayr zollt Moser für dessen Bestreben, nicht nur das Reich darzustellen, sondern auch das, was sich inzwischen in dessen Territorien vollzogen hat, nämlich deren Entwicklung zum Staat, höchstes Lob: "Er war der erste, welcher dieses unbebaute Feld zu bearbeiten angefangen8 ." Als im Jahre 1758 auch der zweite große Reichsstaatslehrer Johann Stephan Pütter ein "Churbaierisches Staatsrecht"9 verfaßt, mit ebenso achtungsvollem Blick auf Bayerns lange Geschichte, wartet man nun auch in Bayern selbst nicht mehr länger: nach der Vorlage von Mosers und Pütters Churbaierischem Staatsrecht entsteht Kreittmayrs "Grondriß des Allgemeinen, Deutschen und Baierischen Staatsrechtes"lO, sein bekanntestes Werk, das in Bayern bis zum Jahre 1800 gilt. Kreittmayr
sonst die Churwürde höher gehalten wird als die Herzogliche und die Pfalzgräfliche; so setzt doch Chur-Baiern seine und die Pfälzische Geschlechtswürde der Chur-Würde vor." (Einleitung in das Chur-Fürstlich Baierische Staatsrecht, Stuttgart 1754, S. 16.) Als weitere Beispiele führt Moser an: "Andere Chur- und Fürsten nennen sich zu, Baiern aber: in" (S. 15). Oder: Schon Herzog Albrecht V. habe sich die Formel "Von Gottes Gnaden" vor seinem Namen gesetz und nicht danach. Ferner: "Chur-Baiern pflegt dem Kaiser das Prädikat ,Unüberwindlichkeit' nicht zu geben." Ebenda. S Ebenda, S. 13: "Das jetzige hohe Haus Baiern ist nicht nur eines der allerältesten Fürstlichen Häuser in Teutschland, sondern träget auch die Kayserund Königliche Cronen am nächsten folgende Churfürstliche Würde. Und zwar hat es dieses vor allen anderen Chur-Fürstlichen Häusern zum Voraus, daß, da Baiern und Pfalz eigentlich nur ein einziges, aus zweyen Linien bestehendes Haus ausmachen, bey solchem Gesamthaus allein sich würklich zwey ChürWürden befinden." 7 Wiguläus Xaverius Awysius Kreittmayr: Grundriß des Allgemeinen, Deutschen und Baierischen Staatsrechts, München 1769, § 112, S. 205. 8 Derselbe, S. 179. g Johann Stephan Pütter: Chur-Baierisches Staatsrecht. 1758. 10 Siehe Anm. 7. 5"
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zitiert Moser und Pütter darin auf nahezu jeder dritten Seite, und er erweist diesen beiden "gelehrten Männern", die ihm lImit ihrer geschickten Vorarbeit vieler Mühe überhoben", indem sie alles Erreichbare an "baierischen Staatssachen" zusammengetragen hätten, immer wieder ehrfurchtsvollen Dankl l . Es verdient also festgehalten zu werden, daß der erste deutsche Staatsrechtslehrer, der offiziell von einem "Staat" Bayern spricht, nicht ein Bayer, sondern der "Ausländer" Johann Jacob Moser war, als den er sich selbst etwas scherzhaft bezeichnetl!. Seine Erkenntnisse ziehen sich wie ein roter Faden durch Kreittmayrs Buch. Mosers und Pütters Bemühen, die " Staats" verhältnisse der einzelnen Reichsterritorien zu beschreiben und gegenüber dem Reich rechtlich klar zu fixieren, um von dieser Basis aus einer weiteren Auflösung des Reiches entgegenzuwirken, geben dem Staatswillen und dem Staatsgefühl in den Territorien gewissermaßen den letzten Anstoß, sich zu artikulieren. Kreittmayrs erstes "Staatsrecht" in Bayern ist das beste Beispiel dafür. Es ist aber auch der beste Beweis, daß Moser mit seinen anregenden Partikularstaatsrechten in Bayern genau das erreicht, was er als wesentliches erreichen will, nämlich ein klares Bekenntnis der deutschen Staaten zum Reiche und ihre Absage an die Souveränität. Diese erfolgt durch Bayern eindeutig. Staatskanzler Kreittmayr, Herausgeber dreier das ganze Recht umfassender Gesetzbücher in Bayern l2a, stellt in seinem Staatsrecht fest: Der Staat Bayern ist rechtlich und historisch in das Reich integriert, ein Teil des Reichsganzen, folglich auch nicht souverän: "Bayern ist je und allzeit ein unstreitiges Reichslehen verblieben l3 ." Die Absage Kreittmayrs an die Souveränität ist so deutlich, daß er nun seinerseits wieder Moser zur Vorlage dient. Als Moser sich angesichts der immer stärker werdenden Souveränitätsdiskussion im Reich entschließt, zusätzlich zu seinem 1733 und 1744 er11 Kreittmayr über Moser und Pütter: "Beide haben uns mit ihrer geschickten Vorarbeit vieler Mühe überhoben, denn was von baierischen Staatssachen bereits durch den Druck bekannt oder sonst publici iuris worden ist, haben diese gelehrte Männer mit vielem Fleiß gesammelt und angezeigt." Kreittmayr: Grundriß, § 101, S. 180. 12 Maser: Einleitung in das Chur-Fürstlich Baierische Staatsrecht, a.a.O., S. 13: "Da gegenwärtiger Entwurf von einem Ausländer herrühret ... " bittet er um Nachsicht dafür, daß er nach seiner Meinung nicht alles erreichbare Material über Bayern zusammenbekommen hat. Diese übt Kreittmayr selbstverständlich, wenn er nach seinem Lob für Mosers und Pütters Vorarbeit meint: "Das übrige hat ihnen als Ausländern freilich nicht so bekannt sein können." Kreittmayr: Grundriß, § 101, S. 180. l!a 1. Codex Juris Bavarici Civilis, München 1754 - 56; 2. Codex Juris Bavarici Criminalis, München 1751; 3. Codex Juris Bavarici Judiciarii, München 1753. Dazu die drei Anmerkungsbände. 13 Kreittmayr: Grundriß, § 124, S. 231.
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schienenen "Teutschen Staatsrecht" noch einmal zur Frage der Souveränität Stellung zu beziehen, was in seinem berühmtesten Werk "Von der Landeshoheit", 177314 geschieht, zitiert er Kreittmayrs "Grundriß des Allgemeinen, Deutschen und Baierischen Staatsrechts" als Beweis für seine entscheidensten Ausführungen. Im Schlußabsatz des wichtigsten Abschnittes seines Buches, der die Überschrift trägt: "Vergleichung (der Landeshoheit, Anm. d. Verf.) mit der Souverainett~" und die akzentuiertesten historischen und staatsrechtlichen Beweise Mosers für die ausschließlich bei Kaiser und Reich liegende Souveränität, der die Landeshoheit der einzelnen Reichsstände untergeordnet sei, anführt, bringt er als Beleg einen Satz Kreittmayrs. Dieser stelle, so erklärt Moser, "gar wohl" fest, daß "viles unter die Majestätsrechte gehöre, welches nach denen teutschen Reichsgesezen und dem Herkommen denen Reichsständen entweder gar nicht, oder nur mit gewisser Einschränkung gebühre"15. Auch Pütter ist Kreittmayr wegen dessen Bekenntnisses zur Majestät des Reiches so zugetan, daß er betont, er wisse "keines von unsern teutschen Chur- und Fürstentümern, das sich eines ähnlichen, ebenso brauchbaren Werkes von seinem besondern Staatsrechts zu rühmen hätte ... "18. Man sieht, Kreittmayrs Werk hatte zu seiner Zeit bei den größten deutschen Staatslehrern weit mehr Kredit, als ihm Robert Piloty knapp 150 Jahre später mit den Prädikaten "ungelenk, altbayerisch, entwaffnend treuherzig"17 bescheinigte. 14 Johann Jacob MoseT: Von der Landeshoheit derer teutschen Reichsstände überhaupt, FrankfurtILeipzig 1773, a.a.O. lS Derselbe, § 13, S. 25/26. Im Ganzen lautet dieses Zitat: "Der Freiherr von Kreittmayr schreibt dahero gar wohl: Bey der inter Majeststem et Superioritatem territorialem obwaltenden Analogie können zwar, wann wegen der Stücke der Landeshoheit Zweifel entstehe, die Majestätsrechte zur Regel dienen: Es leide aber seine Abfälle, weil nach dem allgemeinen Staatsrecht vieles unter die Majestätsrechte gehöre, welches nach denen deutschen Reichsgesetzen und dem Herkommen denen Reichsständen entweder gar nicht, oder nur mit gewisser EinsdJ.ränkung gebühre." Bei Krettmayr lautet diese Stelle, auf die sidJ. Moser bezieht, wörtlich folgendennaßen: " ... kann bey der inter mayestatem et superioritatem territorialem obwaltenden analogie dasjenige pro regula hierin dienen, was wir... von den MajestätsredJ.ten und Regalien in genere et specie angeführt haben. Wir sagen pro regula, dann es leidet seine exceptiones, ... was gestalten nach dem allgemeinen Staatsrecht viles unter die iura majestica gehört, welches nach den deutschen Reichsgesezen und Herkommen statibus imperii entweder gar nicht oder nur mit gewisser Einschränkung gebührt." KTeittmaYT: Grundriß, § 87, S.149. 18 Johann Stephan PütteT: Litter. Gesch. Thl. Ir § 376, S. 90; zit. bei EisenhaTt: Allgem. Deutsche Biographie, 17. Bd., Leipzig 1883, S.110. 17 Roben Piloty: Ein Jahrhundert, a.a.O., S. 208, klassifiziert Kreittmayrs "Grundriß" als "ungelenkes Buch", an dem alles "natürlichen, man möchte sagen, altbayerischen Ton" habe ...
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"Superioritas territorialis" beinhaltet praktisch zwar alle Souveränitätsrechte, ist aber dennoch keine "Souveränität" oder "majestas" Das Sympathische an Kreittmayr ist seine Offenheit und die Geradlinigkeit seiner Argumentation, auch wenn diese die Problematik des Erörterten manchmal simplifiziert und zuweilen etwas bieder erscheinen läßt. Die Klarheit ist ihm die Hauptsache, und diese erreicht er. Seine Aussage zur Souveränität ist: Die Reichsterritorien bzw. Staaten des Reiches besäßen zwar alle Souveränitätsrechte - die er, wie schon Adolf Dock18 festgestellt hat, von allen deutschen Staatsrechtlern am akkuratesten aufzählt und mit praktischen Beispielen erläutert - und sie träten auf Grund dieser Rechte gegenüber dem Ausland auch als souveräne Staaten auf, das sie deshalb in der Regel souverain nenne; dennoch aber könne ihre Souveränität nur als Landeshoheit, als superioritas territorialis bezeichnet werden, da sie im Gegensatz zu allen anderen Staaten noch einem größeren übergeordneten Staatsganzen angehörten und diesem rechtlich unterstellt seien. Dieser besondere Verfassungszustand widerspreche dem Begriff der Souveränität, der völlige Selbständigkeit und Ungebundenheit voraussetze. Diese Aussage ist im Grunde die Aussage Johann Jaeob Mosers, die wiederum einwandfrei, wie wir zeigten, auf Jean Bodins Feststellung zurückgeht. Dennoch aber unterscheidet sich Kreittmayr an manchen Punkten von Moser, vor allem dort, wo er als Praktiker spricht, der Moser ja nicht ist. Das soll im folgenden gezeigt werden. Zunächst beginnt Kreittmayr mit einer Polemik, die er ganz von Moser übernimmt, nämlich mit der Kritik gegen die, wie Moser sich ausdrückt, "Obermeister der Souveränitätsmacherzunft"19. Kreittmayr nennt sie die "Maechiavellisten und pseudopolitici", die mit der Lehre der vier Worte "sie volo, sie iubeo" eine Sprache sprechen würden, welche mit "gesunder Vernunft nicht das allergeringste gemein" habe, "sondern nur nach schädlicher Eigenliebe und Schmeicheley rieche(t), womit man sich bey Höfen groß und beliebt zu machen sucht"!o. Damit will Kreittmayr von vorneherein klarstellen, daß er, wenn er sich überhaupt mit Souveränität auseinandersetzt, keinesfalls die Lehre von Maeehiavelli oder Hobbes21 meint, deren Anhänger er scharf anklagt.
A. Dock: a.a.O., S. 35. Zitiert bei H. Schulze: Allgern. Deutsche Biographie, a.a.O., S. 376. 20 Kreittmayr, S. 16. 21 "Hobbesius spricht zwar souveraine Herrn von aller Pflicht und Verbindlichkeit gegen seine Unterthanen völlig frei, welches aber ein grober Irrtum ist, 18
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Zwar nennt er direkt keine Namen. Aber aufschlußreich ist es, wenn man die gleiche Stelle bei Moser liest, der dies durchaus tut und sogar einen sehr interessanten Namen nennt, nämlich den Johann Adam Ickstatts, des Lehrers und Beraters Max'III. Joseph. Er sagt: "So spricht wohl ein Macchiavelli, ein Hobbes, ein Ickstatt und wer sonst den Höfen zu gefallen redet ... "22 etc. Die Tatsache, daß sich Kreittmayr an dieser Stelle so eng an Moser hält, der Ickstatt so heftig angreift, ist in bezug auf das Verhältnis Kreittmayr- Ickstatt zumindest erwähnenswert. Kreittmayr nennt den Namen Ickstatts zwar nicht, verständlicherweise, aber er widerspricht Mosers Angriff gegen Ickstatt mit keinem Wort. Das besagt einiges. Schon bei Kreittmayrs Souveränitätsdefinition ergeben sich ganz eindeutige Bezüge zu Bodin, den er jedoch, wie die meisten deutschen Staatsrechtler des 18. Jahrhunderts, eingeschlossen Moser und Pütter, nicht namentlich nennt, da seine Urheberschaft für diesen Begriff als selbstverständlich vorausgesetzt wird23 • Kreittmayr schreibt in § 5 mit der Überschrift "Von der Majestät oder höchsten Gewalt in dem Staat": "Das Recht, welches dem Regenten oder Oberhaupt des Staates zustehet, alles zu gemeinen Besten desselben zu dirigieren und anzuordnen, ist eben das, was man die höchste Macht und Gewalt, zu Latein Summum Imperium, vel supremam in republica potestatem vel majestatem zu nennen pflegt ... " "Summum Imperium" sei "Independenz und Unabhängigkeit sowohl respectu subditorum als exterorum" und aus ihr "fließe(t), daß der Regent an kein menschliches Gesetz gebunden seye ... (Siehe Bodins "princeps legibus solutes est") Es fließet ferner daraus, daß man weder unter dem Gericht des Volkes stehe noch demselben Rechenschaft zu leisten habe!'." Mit der "puissance absolue" ist Kreittmayr also völlig einverstanden. Was die "puissance perpetuelle" betrifft, widerspricht er Bodin jedoch: "Die Dauer und Beständigkeit ist keine notwendige Eigenschaft der höchsten Gewalt, wie man z. B. an Reichsverwesern, an Vormündern oder jenen, so die Regierung niedergelegt haben, ersehen kann25 ." denn obwohl der Regent seiner Souveränität halber keine obligation ex iure civili auf sich hat, so bindet ihn doch ius naturae wie seine Unterthanen." Kreittmayr, S. 62 § 32. Hier ergibt sich wieder ein Bezug zu Bodin, der gesagt hatte: "lus naturae, cum omnes teneat" - Regent und Unterthanen. (Siehe oben Einleitung 1.) I1 Joh. Jacob Moser, zitiert bei H. Schulze: Allgem. Deutsche Biographie, a.a.O., S. 376. %3 Vgl. Horst Denzer: Jean Bodin, in: Klassiker des politischen Denkens, Bd. l, hrsg. von Maier/Rausch/Denzer, München 1968, S. 321 ff. 24 Kreittmayr, § 5, S. 10/11. 25
Kreittmayr, § 5, S. 11.
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Diese Argumentation ist natürlich etwas bieder, hier klammert sich Kreittmayr zu sehr an die Person des einzelnen Fürsten. Genauso könnte er sagen, die Souveränität sei nicht dauerhaft, da der Souverän ja eines Tages sterben müsse. Von seiner einleitenden Definition kommt Kreittmayr sofort zielstrebig zur Souveränitätsfrage im Reich, wobei er von vorneherein vorausschickt, sich nicht an der fruchtlosen Diskussion beteiligen zu wollen, "ob das Römisch-Deutsche Reich status monarchius aristocratius vel mixtus, oder wie viele wollen, systema plurimum inaequaliter foederatum seye"28. Dies ist für ihn "eine müssige Frage"27. Kreittmayr hält sich vielmehr ausdrücklich an die Verfassung des Reiches, er will keine Experimente unterstützen, die nur fortwährend weitere Unruhe und Aufruhr hervorbringen. Deshalb bekennt er sich eindeutig zu der für ihn ersten Verfassungstatsache des Reiches. Diese lautet: "Der Römische Kayser ist das höchste Oberhaupt im Reich, der allerste unter den weltlichen in der ganzen Christenheit28 ." Das besagt aber keineswegs, daß Kreittmayr den Kaiser für souverän erklärt. Er verneint dies wie Bodin und Moser, obwohl nicht so barsch wie Moser, der in seinem Teutschen Staatsrecht, das in der Zeit der Regierung des völlig machtlosen Karl Albrecht (Karl VI!.) entstand, eine Souveränität des Kaisers als" tolles Zeug"29 bezeichnet hatte. Kreittmayr ist viel behutsamer, was verständlich ist bei der Beruhigungs-Politik Bayerns unter Max 111. Joseph, dem Bemühen, sich auf den Boden der Reichsverfassung zu stellen und, wenigstens nach außen hin, einigermaßen entspannte Beziehungen zu Österreich herzustellen. Max 111. Joseph hat seine Kurstimme bei der Kaiserwahl Joseph 11. gegeben, der sich 1765 mit seiner Tochter Josepha vermählt hat. Ganz typisch für Kreittmayr ist vielmehr, daß er zuallererst die Pflichten des Kaisers an die vorderste Stelle setzt, seine Aufgabe, das von Kriegen und Nöten schwer getroffene und immer wieder neu bedrohte Reich nach Kräften zu schützen und zu erhalten. Dazu gehöre, daß er sowohl eine Friedenspolitik gegenüber den das Reich umgebenden anderen Mächten treibe als auch stets für einen Ausgleich im Innern unter den Reichsständen Sorge trage und sich vor allem niemals selbst unberechtigt gegen einen Stand wende3°. 18 Z7 28
28
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Kreittmayr, S. 78.
Ebenda.
Kreittmayr, § 45, S. 82. Johann Jacob Moser: Teutsches Staatsrecht, 1742, S. 26. § 48, S. 86/87 "Kaisers Amt und Obliegenheiten": "Das Wesentlichste ist,
daß der Kaiser die Kirche und Religion beschirmen, das Reich nach allen Kräften schützen, erhalten und vermehren, Churfürsten und Stände bei ihren
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Die Betonung dieser Pflichten und die Zitierung der "Eidesformel, welche der Kayser bey seiner Krönung ablegt"31 durch Kreittmayr ist natürlich im Hinblick auf Habsburgs dominierende Rolle in den vergangenen Kriegen so stark hervorgehoben. Die Erinnerung an diese Kriege, unter denen Bayern mit am schwersten zu leiden hatte und an deren Folgen es jetzt noch trägt, stehen vor Kreittmayrs Augen, wenn er gerade in diesem Zusammenhang deutlich herausstellt, daß der Kaiser. keine absolute Souveränität innehabe; er sei an das Reich, an die anderen Reichsstände gebunden und dürfe nicht ohne deren Einwilligung einen Krieg führen oder egoistische Interessen auf Kosten des Reiches verfolgen: "Der Kayser kann im Namen des Reiches ohne dessen Mitbewilligung weder einen Krieg anfangen noch die Reichstrouppen aus dem Reich oder fremde hereinführen... Er kann auch ohne Consens der Reichsstände in ihren Landen weder Werb- und Einquartierungen noch Durchzug und Musterplätze vornehmen, viel weniger neue Festungen darin bauen, alte zerfallene erneuern oder anderen dergleichen gestatten32 ." Der Kaiser ist also nicht souverän, denn er hat nicht das Kriegsrecht, das ius belli et armorum. Dies ist jedoch die einzige Stelle, an der Kreittmayr indirekt so deutlich erklärt, daß der Kaiser abhängig, daß er nicht souverän ist. Direkt sagt er es niemals, einer der sprechendsten Beweise dafür, wie sehr er gewillt ist, der Reichsverfassung gerecht zu werden und den Kaiser anzuerkennen. Aus der Reichsbejahung Kreittmayrs ergibt sich für ihn logisch und konsequent, daß dessen Territorialstaaten dem Reichsganzen untergeordnet sind und sein müssen. Sie haben deshalb für ihn auch keine Souveränität, obwohl sie praktisch alle Souveränitätsrechte besitzen und ausüben, sondern nur die Landeshoheit, die "superioritas territorialis", weil sie "Kaiser und Reich für ihr Oberhaupt und die höchste Reichsgerichte für ihren Richter erkennen müssen"33. Kreittmayr sagt: "Die reichsständische Landeshoheit oder Oberherrlichkeit kommt der Majestät oder höchsten Gewalt zwar sehr nahe, jedoch nicht gänzlich bey, dann die Reichsstände sind nicht absolute (hier also direkter Bezug auf Bodins "puissanee absolue", Anm. d. Verf.), sondern nur respektive und zwar in Ansehen ihrer Unterthanen und auswärtiger Staaten, nicht aber intuitu imperatoris et imperii Souverains und independent. Indem sie den Kayser und Reich für ihr Oberhaupt Hoheiten, Freyheiten, Regalien und Gerechtsamen nicht nur lassen, sondern auch handhaben gegen benachbarte Potentaten, sich friedlich betragen und ihnen zu Feindseligkeiten gegen das Reich keinen Anlaß geben solle." 31 Hinweis Kreittmayrs, § 48, S. 87 auf die einschl. Artikel (1, § 1.2; § 1; 4 § 2.5 ete.) der Wahlkapitulation. SI Kreittmayr, § 75, S. 130. ss Kreittmayr, § 86, S. 145.
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und die höchste Reichsgerichte in den dahingehörigen causis für ihren Richter anerkennen müssen. Majestatem veram haben sie also zwar nicht, wohl aber analogam, vulgo superioritatem territorialem, kraft welcher sie alles, was einem Regenten nach dem Natur- und Völkerrecht sowohl respectu subditorum zu thun berechtigt sind, so weit ihnen weder die Reichsgesetze, noch die mit ihren Landständen gemachte giltige Verträge oder die Observanz entgegenstehen34." Der Unterschied dieser Aussage zu derjenigen Mosers besteht darin, daß Kreittmayr - obwohl er Moser voll und ganz bestätigt und von den Bodinschen Souveränitätsbestimmungen in bezug auf das Reich nicht abweicht - doch wesentlich undoktrinärer mit der Verwendung des Begriffes "majestas", d. h. "Souveränität", umgeht. Er findet sogar nichts dabei, die Landeshoheit als eine Art Analog-Souveränität zu bezeichnen, da sie ja, wenn man sich das Reich wegdenken würde und sie nur "respectiv" hinsichtlich der Stellung der Landesherren zu ihren Unterthanen und hinsichtlich ihrer Beziehungen zu auswärtigen Staaten betrachten würde, durchaus eine vollwertige Souveränität sei. Schließlich seien die Staaten des Reichs mit allen Souveränitätsrechten ausgestattet und Völkerrechtssubjekte: Sie hätten das Gesandschaftsrecht, und dieses "fließe(t) sowohl auf Seiten desjenigen, der den Gesandten schickt, als des anderen, der solchen annimmt, aus der Souveränität"35. Ferner könnten sie öffentliche Bündnisse und Allianzen schließen, "welche nur souverainen Häuptern und Staaten ex suprema potestate vel statu naturalis libertatis unter sich gebühren"36. Mit anderen Worten: Die deutschen Landesherrn, die in ihrem Staate die superioritas territorialis ausübten und Beziehungen zu ausländischen Staaten unterhielten, praktizierten eigentlich realiter die Souveränität. Es sei deshalb kein Wunder, wenn sie oft vom Ausland als Souverains bezeichnet würden. Man sieht, hier spricht nicht nur ein Staatsrechtler, sondern auch ein praktischer Politiker und Staatsmann. Daß Kreittmayr das Gesandtschaftsrecht, "ius mittendi et recipiendi legatos" (§ 98, S. 171 f.) und das Bündnisrecht, "ius foederis" (§ 97, S. 169) so stark herausstreicht, ist verständlich. Bayern besitzt am Ende des 18. Jahrhunderts zeitweilige oder dauernde diplomatische Verbindungen zu nahezu allen anderen europäischen Höfen. Frankreich und Großbritannien unterhalten ständige diplomatische Vertretungen in München, 1789 auch die Niederlande, seit 1780 Dänemark, 1787 bis 1790 und ab 1795 Rußland. Der Papst ist in Bayern durch seinen Kölner Nuntius, seit 1785 durch einen eigenen in 3(
35 38
Kreittmayr, § 86, S. 145. Kreittmayr, § 28, S. 52. Kreittmayr. § 27, S. 49.
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München vertreten. Kurbayern wiederum ist durch Gesandte vertreten in Paris, in London (gemeinsam mit Kurpfalz), in Madrid, seit 1786 in den Niederlanden, 1743 zeitweilig, 1788 dauernd in St. Petersburg, durch Agenten in der Schweiz, in Venedig, Neapel und am Vatikan. Im späten 17. Jahrhundert hatte Bayern Vertretungen in Savoyen und Toskana unterhalten, kurzfristige auch in Schweden, Polen und Ungarn, die jedoch zu Kreittmayrs Zeit nicht mehr bestehen. Seit 1764 gibt es in München ein Departement der Auswärtigen Geschäfte, das als Zentrale die diplomatischen Beziehungen zu ausländischen Mächten wahrnimmt, während Hofrat und obere Landesregierung für reichsständische Angelegenheiten zuständig sind37 • Auch das zweite wichtigste äußere Souveränitätsrecht, das Bündnisrecht, ist für Kreittmayr eine klare politische und historische Realität. Schon "seit zweyhundert Jahren", also bereits vor dem Westfälischen Frieden, habe man "mit auswärtigen Mächten zu tun gehabt", betont er. "Innerhalb dieser Zeit" seien "Tractate mit Frankreich, Spanien, England, Schweden, Pohlen, Preußen, Sardinien, Holland, Florenz, Lothringen und der Republik Schweitz in Kriegs-, Friedens-, Neutralitäts-, Heyraths-, Subsidien- und Commercialsachen gemacht" worden38 • Als Beispiele nennt Kreittmayr "die Heyratspacta zwischen dem Dauphin und der churbaierischen Princessin de anno 1679", den "Utrechter Friede in Betreff der churbaierischen Renunciation auf die Spanische Niederlande", die "Frankfurter Union mit Preußen und andern Höfen von anno 1744 . . . das bayerische Salzkommercium mit der Republik Schweitz"39. Es fällt hierbei auf, daß Kreittmayr Bayerns Beziehungen zu Frankreich so gut wie gar nicht erwähnt. Es verwundert nach diesen Erörterungen nicht, daß Kreittmayr die Reichsfürsten einige Male als "souveraine Herrn" bezeichnet, und zwar im Zusammenhang mit Zeremoniell und Titularwesen (§ 29). So meint er: "Quo ad titulare pflegen souveraine Herrn sich von Gottes Gnaden zu 37 Im Reich selbst unterhält Bayern Vertreter bzw. ständige beglaubigte Agenten beim Kaiser in Wien, am Reichshofrat in Wien und am Reichskammergericht in Wetzlar, am Regensburger Reichstag (Kurfürstenrat u. Fürstenrat), später seit 1782 in Brüssel (Österr. Niederlande), mit Unterbrechungen an den Höfen in Berlin und Dresden, bis 1778 in Mannheim, Bonn (Kurkölln), Mainz und Trier. Bei den Reichsstädten Augsburg, Nürnberg, Memmingen, seit 1778 in Frankfurt, Heilbronn, Colmar, Straßburg und Hamburg, seit 1782 am schwäbischen Kreis in Ulm, seit 1778 einen Wirtschaftsbeauftragten im fränkischen Kreis (Bayreuth), seit 1790 Gesandter. In München unterhalten Vertretungen: der Kaiser und die Reichsstände Kurpfalz und Kursachsen, später auch Ansbach bzw. Ansbach-Bayreuth. 1769 wird für den Geschäftsgang des Departements des Auswärtigen die geheime Registratur, das spätere geheime Staatsarchiv, eingerichtet. Siehe H. RaU: Kurbayern in der letzten Epoche der alten Reichsverfassung, a.a.O., S. 188, 189. 38 Kreittmayr, § 164, S. 350. 89 Ebenda.
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schreiben und in plurali zu reden, werden auch gnädigst und respective allergnädigste Herrn von ihren Unterthanen genannt." Dies ist eine direkte Antwort4° auf Johann Jacob Mosers erstaunte Feststellung, daß schon Bayerns Herzog Albrecht V. in seinen Titel die Formel "von Gottes Gnaden" aufgenommen habe'1, also zu einer Zeit, da der bayerische Landesherr noch nicht einmal Kurfürst war. Das heißt, daß nach Kreittmayrs Ansicht schon Albrecht V. alle Souveränitätsrechte ausgeübt habe. An anderer Stelle im Bayerischen Staatsrecht äußert er sich dazu noch einmal: "Soviel das Titularwesen und Canzleyzeremoniell belanget, schreiben sich die vornehmere Reichsstände, wie andere souveraine Herrn, von Gottes Gnaden, jedoch" - so stellt er dies im Anschluß daran sofort wieder klar - "nicht gegen den Kaiser, welchen sie auch niemals anders als in singulari anreden und denselben ihren allergnädigsten oder gnädigsten Herrn, sich aber allerunterthänigst oder unterthänigst gehorsamst unterzeichnen'!." Hier wird also wieder ganz eindeutig hervorgehoben, daß von einem Souveränitätsanspruch der einzelnen Reichsfürsten gegenüber Kaiser und Reich keine Rede sein kann. Diese Tatsache und auch das Faktum, daß Kreittmayr nur im Zusammenhang mit Zeremoniell und Würde von "Souveränen Herrn" spricht, ganz unbefangen im Sinne seiner vorher gemachten Darlegungen und niemals ostentativ, sind zweifellos der Grund, daß ihn weder Moser noch Pütter diesbezüglich kritisieren, obwohl Pütter das Wort souverain bzw. Souverainetät konsequent überhaupt nicht verwendet und Moser viel vorsichtiger sagt, daß Ausländer die deutschen Reichsfürsten als souveraine Herrn zu bezeichnen pflegen'!; während Kreittmayr weiter geht und dies nicht nur bestätigt, sondern meint, daß so etwas angesichts der in der Tat existierenden und ausgeübten sämtlichen Souveränitätsrechte vieler Reichsfürsten nicht verwunderlich sei. So deutlich wie kein anderer spricht Kreittmayr dieses Faktum aus, genauso deutlich sagt er aber auch, daß die Herrschaftsgewalt dieser Reichsfürsten auf Grund der Überordnung des Reiches dennoch keine volle Souveränität, sondern lediglich Landeshoheit, superioritas terri40 "Der dermalige churbayerische Titel lautet folgendermaßen: Von Gottes Gnaden Wir, Maximilian Joseph, in Ober- und Niederbayern, auch der oberen Pfalz Herzog, Pfalzgraf bey Rhein, des heiligen römischen Reiches Erztruchseß und Churfürst, Landgraf zu Leuchtenberg. Herzog Albrecht der 5te war der erste, welcher sich nicht mehr Wir von Gottes Gnaden, sondern umgekehrt Von Gottes Gnaden Wir zu schreiben anfing, seit welcher Zeit auch die Ordnung so beybehalten worden ist." Kreittmayr, § 128, S. 240. Er verweist auf Mosers "Churbaierisches Staatsrecht", S.14 ff. U Johann Jacob Moser: Churbaierisches Staatsrecht, a.a.O., S. 13 ff. 41 Kreittmayr, § 100, S. 175. U Johann Jacob Moser, siehe oben Einleitung H.
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torialis, ist. Mit deren historischen Ursprung setzt Kreittmayr sich dann auseinander, mit ihrer "stückweisen Erlangung"44 und ihrer schließlichen verfassungsmäßigen Fixierung im Westfälischen Frieden von 1648. Er bedauert, daß sie rechtlich so "wenig bestimmt oder specificiert"" ist und im Grunde jeder deutsche Landesfürst Landeshoheit ausübe, ob er nun nur einige wenige Vorrechte gegenüber den anderen Fürsten in seinem Territorium habe oder im Besitz sämtlicher Souveränitätsrechte sei. Deshalb sei die Landeshoheit auch "vielem Zweifel und Anständ"40 unterworfen. Als wichtigste Punkte gehörten zur Landeshoheit: 1. die "gesetzgebende Macht", die "nicht nur in der Natur und Eigen-
schaft der Landbothmäßigkeit, sondern auch in dem Herkommen und den Reichssatzungen fundirt" (§ 88, S. 150)
2. die "hoch- und niedere Gerichtsbarkeit", mit der "die Reichsstände vom Kaiser und Reich belehnt sind" (§ 89, S. 152) 3. das "ius constituendi officia veil munera publica", das Recht, Beamte zu bestellen (§ 90) 4. Das Recht der "collectas", der Steuern (§ 91)47 5. das Recht der" vectigalia et conductum", das Zollrecht (§ 92) 6. die "iura fisci et bona", fiscalische Rechte (§ 93) 7. die "honores, titulos, dignitates", Standerhöhungen (§ 24)
U KTeittmaYT, § 88, S. 146; "über den Ursprung der Superiorität und den Zeitpunkt, wann selbe angefangen hat, sind die Publicisten nicht einig. So viel ist richtig, daß sie von allen Reichsständen weder zugleich, noch auf einmal, sondern nach und nach stückweis, von einem früher, von den andern später erlangt, endlich aber in ihrem dermaligen ganzen ambitu sowohl durch den westphälischen Friedensschluß Art. 8 § 1 bestätigt worden seye" (ebenda). KaTl Bosl beschreibt diese "stückweise Erlangung" der Landeshoheit heute so: "Eine nach Raum, Zeit und Persönlichkeiten verschiedene individuelle Dynamik des Geschehens, ein zäher, unerbittlicher Kampf um die Macht des Gebietens und Verbietens in einem bestimmten Territorium = Land hat hier den einen, dort den anderen in Besitz der "hohen Obrigkeit" über die Vielzahl anderer Mitbewerber und Konkurrenten gesetzt. Nicht Urkunden, Privilegien, Verträge haben die Mannigfaltigkeit des staatl.-gesellschaftlichen Lebens geschaffen, nicht der Besitz der Grafschaft, des Hochgerichts oder Niedergerichts machte den zukünftigen Landesherrn; entscheidend aber war die Energie, mit der er zur Landeshoheit ausgebaut wurde." K. Bosl: Landeshoheit, in: Sachwörterbuch zur deutschen Geschichte, 1958, S. 598. 45 KTeittmaYT, § 87, S.148. " Ebenda. 47 Hierin gibt Kreittmayr einen interessanten Abriß über die Geschichte der Steuer in Bayern und Deutschland.
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8. die "commercia, polititiam, postas, rem monetariam, collegia et universitates", Handel, Polizei, Postwesen, Münzrecht48 , Akademien und Hochschulen (§ 95). Dazu als äußere Rechte das bereits erwähnte Gesandtschaftsrecht und Bündnisrecht sowie ferner "ius belli et armorum", das Kriegsrecht (§ 96, S. 166), bei dem Kreittmayr, wie schon beim Gesandtschafts- und Bündnisrecht, allernachdrücklichst betont, daß es auf keinen Fall gegen Kaiser und Reich gerichtet werden darf: "Ius belli et armorum ist zwar sammt allem, was ... davon abhangt, ein unzweifelbares Stück der Landeshoheit, kann aber gleichwohl als statu imperii weder gegen den Kaiser und das Reich, noch gegen constatus exercirt werden, denn das erste wäre gegen die Reichsständische Pflicht, das andere aber gegen Land- und westphälischen Frieden 49 ." Fassen wir den Inhalt von Kreittmayrs "Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Baierischen Staatsrechtes" zusammen. Er ist von zwei Absichten getragen: 1. alles Wesentliche aufzuzeichnen, was es über den "Staat" Bayern zu sagen gilt, Bayern zum ersten Mal ein Staatsrecht zu geben und damit ein Dokument zu schaffen, das vom immer stärker erwachenden Staatswillen des größten deutschen Reichsterritoriums im Süden des Reiches neben Österreich zeugt. Kreittmayr ist stolz auf sein Werk, das er durch die Möglichkeit, Aventinus könne schon vor ihm als allererster ein ius publicum bavaricum geschrieben haben, keinesfalls geschmälert sieht50 • 48 Mit dem Münzrecht, "ius monetandi", befaßt sich Kreittmayr besonders ausgiebig, und zwar in den §§ 74, 174. Anfänglich sei es nur vom Kaiser allein ausgeübt worden, dann aber auch den Ständen und anderen verliehen worden. In Bayern wäre "das Müuz- und Bergwerksrecht so alt wie die Landeshoheit selbst, indem sowohl eins als das andere unmittelbar davon abhängt" (§ 174, S. 395). Man wisse, daß "Kaiser Friedrich An. 1219 dem Herzog Ludwig in Bayern auf Gold, Silber und anderes Mineral ein privilegium ertheilt" habe, das jedoch beileibe "kein neues Recht" sondern nur "die Bestätigung des alten, welches er und seine Vorfahrer schon lang vorher hatten", gewesen sei. Zwar erscheine das Münzregal in den bayerischen Lehen- und Freiheitsbriefen erst "unter dem dato Freytag nach St. Johann An. 1376(, aber es gehe in seinem "ersten Ursprung viel weiter zurück wie die von ältern Zeiten noch übriggebliebene viele Münzen sattsam bewähren". Regensburg sei "die älteste Müuzstadt in Bayern". Das "ius monetandi" sei "dort zwischen den Bischöfen und Herzögen eine Zeitlang gemeinschaftlich ausgeübt worden und dann an die Bürger von Regensburg gekommen: "Mit der Zeit brachte die Stadt das ganze Münzwesen durch Verträge an sich. Die Herzöge und Bischöfe aber richteten theils zu Straubing und Landshut, theils zu Werth neue Münzstädte an." 49 Kreittmayr, § 96, S. 166. 50 "Von Aventino meldet zwar Ludwig ad. Aur. Bull. T. 2p. 1492, daß er eben schon ein ius publicum bavaricum geschrieben und in manuscripto hinterlassen haben sollte, welches mir aber niemal zu Gesicht gekommen, und vermuthlich auch niemal in rerum natura gewesen ist. Sollte es aber jemal existiert haben, so kann es sich jeder selbst leicht einbilden, was dieses für ein Werk gewesen seyn werde, gewiß nicht viel besser als das erste und älteste
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2. entsteht es aus dem Bemühen, nach den zwei erfolglosen Versuchen Bayerns, selbst Vormacht im Reich zu werden, wobei es auch gegen Kaiser und Reich kämpfte, sich nunmehr eindeutig auf den Boden der Reichsverfassung zu stellen, die Bayern momentan als bestmöglicher Schutz gegen übergriffe der beiden übermächtig gewordenen Großmächte erscheint, und seine Stellung gegenüber Kaiser und Reich rechtlich klar zu artikulieren. Dabei ist Kreittmayrs wichtigste Aussage, daß der Landesherr Bayerns zwar alle Souveränitätsrechte innehabe und praktiziere, dennoch aber keine Souveränität besitze, da Bayern nach wie vor "ein unstreitiges Reichslehen" sei, wie zu Beginn seiner Geschichte. In diesem Zusammenhang wendet sich Kreittmayr auch energisch gegen alle Behauptungen61 , daß Bayern in seinen frühesten Anfängen zur Zeit Karls des Großen ein Königreich und unabhängig vom fränkischen Reich gewesen sei. Zwar hätten sich, so meint er, "Tassilo und Arnulphus davon loszumachen gesucht", sie seien aber gescheitert: "der erste büßte gar das Land darüber ein, und der letzte manutenierte sich zwar bey der Landeshoheit, jedoch andergestalt nicht, als sub lege feudi et fide vasalli tica "52 •
Das klare Bekenntnis Kreittmayrs zum Reich und seine Absage an die Souveränität bedeutet jedoch nicht, daß er das Licht seines Staates auch nur einen Augenblick unter den Scheffel stellt. Er versäumt vielmehr kaum eine Gelegenheit, auf die Bedeutung Bayerns im Reich hinzuweisen, was angesichts der deprimierenden Niederlagen in der Vergangenheit verständlich und als moralische Wiederaufrüstung zu werten ist. "Bayern", so betont er und weist auf Mosers Ausführungen hin, "ist dermal das einzige Haus in Deutschland, welches sich zweyer Churen zu rühmen hat, indem es mit Pfalz nur ein einziges von einem gemeinschaftlichen Stammvater herrührend = aus zweyen Linien bestehendes Haus ausmacht"53. "Der Churfürst von Bayern ist nicht nur von dem Chur- sondern auch fürstlichen collegio ein vornehmes Reichsmitglied. In jenem systema iuris publici Germanici welches anno 1504 zu Straßburg unter dem Titel des heiligen römischen Reiches Wagenfuhr herausgekommen ist." Kreitt-
mayr, § 101, S. 180. 51 Kreittmayr, § 124. S. 231; genannt wird hier von ihm "Falkensteins bayerische Geschichte. T. 2. pag. 144 ff .... nach der "Bayern in den ältesten Zeiten
ein Königreich gewesen seyn (soll)": "Soviel ist gewiß. daß die Krone von Tassilone und Arnulpho malo zwar gesucht. aber von keinem erlangt worden seye." Bayern sei von dieser Zeit an "niemal mehr anderst als ein Herzogtum vorgekommen". das sich allerdings "in älteren Zeiten viel weiter als dermalen erstreckte. dann es gehörte nicht nur Oesterreich. Steuermark. Kärnthen. Crain und Tyrol. sammt dem jenseits der Donau bis an den Böhmerwald und Voigtland hinliegenden Strich Landes. sondern auch das Erzstift Salzburg. mit den Hochstiften Passau. Freysing. Regensburg. Eichstätt. Bamberg und Augspurg dazu". Kreittmayr. § 102. S. 181. 52 53
Kreittmayr. § 124. S. 231. Kreittmayr, § 117. S. 216.
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führt er respectu totius collegii das 5 te, und unter den weltlichen Churfürsten das zweyte Votum, sitzt mithin in der Lateralordnung zwischen Churböheim und Churbrandenburg, sowohl auf Reichs- als Wahl- und andern Churfürstlichen collegialconventen ... In dem fürstlichen collegio hat Bayern den ersten Rang und Vorsitz auf der weltlichen Bank und obwohl solcher mit Pfalz und Sachsen noch ein Stritt ist, so befindet sich Bayern doch in ruhigem Besitz54 ." Die beiden letzten Worte dieses Satzes darf man festhalten, kann man mit ihnen doch die ganze Politik des bayerischen Staatskanzlers treffend überschreiben: Streben nach ruhigem Besitz, Bemühen um Wiederaufbau, Erhaltung, Konsolidierung - das ist sein Leitgedanke. In der ganzen Zeit, in der er an der Spitze der bayerischen Staatsverwaltung steht und als einer der ersten politischen Berater des Kurfürsten fungiert, beschränkt sich Bayerns äußere Politik vorwiegend auf die Vorgänge am Reichstage, dem er 1779 als bayerischer Comitialgesandter beiwohnt. Im Interesse des Staates meldet er nach außen jede extreme Maßnahme, jeden weitreichenden Vorstoß. Daß Bayerns Kurfürst voll und ganz hinter seinem Staatskanzler steht, beweist seine Haltung ihm gegenüber. Bis zu seinem Tod schenkt Max III. Joseph seinem Ratgeber immer größtes Wohlwollen. Sein Nachfolger Kurfürst Karl Theodor bestätigt Kreittmayr 1778 in seinen Würden und erhöht 1779 sein Gehalt auf 5880 fl. Kreittmayr stirbt am 27. Oktober 1790. Die Politik Bayerns ändert sich nach seinem Tod im Wirbel der sich überstürzenden historischen Entwicklung im Reich und in Europa bald. Die rechtliche Grundhaltung, die Kreittmayr hinsichtlich Bayerns Stellung zum und im Reich und speziell hinsichtlich der Frage der Souveränität fixiert hat, bleibt jedoch erhalten. An ihr wird in Bayern bis zum Ende des Reiches festgehalten, auch von seinen Nachfolgern Johann Georg Feßmaier und Nikolaus Thaddäus Gönner. Und es ist bemerkenswert, daß die neue politische Führung Bayerns, personifiziert in Montgelas und Max IV. Joseph, dieses rechtliche Bekenntnis bis zum Zusammenbruch des Reiches nicht ein einziges Mal kritisiert oder gar unterdrückt hat, obwohl sie sich schließlich mit derjenigen Macht verbündet, die das Reich auslöscht und Bayern und den anderen Staaten des Reiches zur Belohnung die Souveränität schenkt: mit Frankreich. Doch werfen wir zunächst noch einen kurzen Blick auf die Souveränitätsaussagen Feßmaiers und Gönners, die angesichts der tatsächlichen politischen Entwicklung im Reich und dessen rasendem Auflösungsprozeß weit ausführlichere Beachtung verdienten. 54
Kreittmayr, § 124, S. 235.
3. Die staatsrechtliche Haltung Bayerns
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3. Die staatsrechtliche Haltung Bayerns am Vorabend des Reichsuntergangs - Johann G. Feßmaier und Nikolaus Th. Gönner erkennen auch nach dem Reichsdeputationshauptschluß nur Kaiser und Reich die Souveränität zu Zwischen Kreittmayrs "Grundriß des Allgemeinen, Deutschen und Bayerischen Staatsrechts" und den Hauptschriften seiner Nachfolger des kurpfalzbaierischen Hofrats und Landshuter Universitätsprofessors Johann Georg Feßmaier (1775 - 1828) und Nikolaus Thaddäus Gönner (1764 - 1827), ebenfalls zunächst Universitätsprofessor und dann, ab 1817 Staatsrat im königlich-bayerischen Justizministerium - in denen diese sich mit der Souveränität auseinandersetzen, liegen 34 bzw. 35 Jahre. Ein Zeitraum, in dem sich in der Geschichte Europas, des Reiches und Bayerns Entscheidendes ereignet. In ihm zerfällt das heilige römische Reich deutscher Nation und seine Verfassung unter dem Ansturm Frankreichs. Das, was später 1805 und 1806 geschieht, ist nur noch der Schlußpunkt hinter den Auflösungsprozeß in den letzten Jahren des 18. und den ersten des 19. Jahrhunderts. Es ist unumgänglich, den historischen Inhalt dieser 35 Jahre wenigstens kurz im Abriß zu skizzieren. Um so erstaunter nimmt man dann die immer noch bejahende staatsrechtliche Haltung Bayerns zum Reich, personifiziert in Feßmaier und Gönner, zur Kenntnis. Sie unterscheidet sich in nichts von der Position Kreittmayrs, ist im Hinblick auf die Souveränität, die wiederum im Mittelpunkt der Erörterung steht, sogar noch akzentuierter. Der Zerfall des Reiches / Die Politik Bayerns (Abriß) Die Ursache dafür, daß das Reich so schnell dem konzentrierten Angriff Frankreichs, dem es am 22. März 1793 auf Antrag des Kaisers den Reichskrieg erklärt, erliegt, liegt weniger in der schwerfälligen Maschinerie der Reichsorganisation, sondern vor allem in dem Konflikt der beiden deutschen Großmächte1 • Ihnen geht es, wie der Verlauf des Krieges zeigt, weniger bzw. kaum um das Reichsganze, sondern vielmehr hauptsächlich um ihre ureigenen Interessen. Preußen, mit Österreich in heftigem Konflikt wegen der polnischen Frage, macht nach anfänglichen Feldzugserfolgen, bei denen Belgien und die Rheinlande zurückgewonnen werden, plötzlich nicht mehr mit und droht, seine gesamten Truppen bis auf 20 000 Mann, die zu stellen es sich im Bündnisvertrag mit Österreich verpflichtet hatte, wieder abzuziehen. 1
Ernst Rudolf Huber: Dt. Verf.-Gesch., a.a.O., S. 28.
6 Quint
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Der preußische Generaladjutant Oberst Manstein erklärt es für eine "unsinnige Zumutung", daß "Preußen sich für das allgemeine Beste sacrificieren" solle2 • Österreich muß nach mehrfachen Niederlagen Belgien und anschließend auch Köln, Bonn und Koblenz erneut preisgeben. Preußen verläßt nach Einstellung der englischen Subsidien ganz den Kriegsschauplatz und geht, sich ganz auf die polnische Teilung konzentrierend, seinen eigenen Weg: es verläßt die Koalition, ohne das Reich, den Kaiser und seine Verbündeten zu unterrichten und schließt am 5. April 1795 mit Frankreich den Sonderfrieden zu Basel, in dem Freiherr Karl August von Hardenberg, der spätere Staatskanzler, der französischen Forderung nach Abtretung aller linksrheinischen Lande entspricht - unbedenklich eines solchen Verrats am Reich. Österreich setzt den Krieg gemeinsam mit England und Rußland (Trippelallianz vom 28. September 1795) unter Franz 11. weiter fort, muß sich aber nach entscheidenden Siegen Bonapartes im Frieden von Campo Formio (17. Oktober 1797) Frankreich beugen. Die Abmachung, die die Wiener Hofburg in diesem Friedensschluß trifft, an dem das Reich nicht beteiligt ist, so daß der Kriegszustand zwischen dem Reich und Frankreich de iure weiter erhalten bleibt, leiten den Umsturz der Reichsverfassung ein. Denn Österreich erkennt darin nicht nur stillschweigend die französische Republik an und gibt in Italien Mailand, Modena und Mantua preis, sondern verspricht in einem geheimen Zusatz abkommen ferner, auf dem in Aussicht genommenen Reichsfriedenskongreß für die Abtretung des linken Rheinufers von Basel bis Andernach, sodann der niederrheinischen Gebiete westlich von Nette und Roer, zu stimmen. Dieser Verzicht trifft den linksrheinischen Teil des Bistums Basel, die württembergische Herrschaft Mömpelgard, die linksrheinische Pfalz, das Fürstentum Zweibrücken, das Herzogtum Nassau-Saarbrücken, die Bistümer Speyer, Worms, Mainz und Trier, die badische Herrschaft Sponheim, den Hauptteil des Herzogtums Jülich, die Reichsstadt Aachen und zahlreiche kleinere Territorien. Die Tatsache, daß diese Abtretungen, die Österreich ohne Skrupel über den Kopf des Reiches hinweg verspricht, am Niederrhein durch Nette und Roer begrenzt sein sollen, kennzeichnet besonders die ganz ureigenen Machtüberlegungen Österreichs bei diesem Vorgehen: denn bei dieser Regelung fallen das Erzbistum Köln und die preußischen Herzogtümer Kleve und Geldern nicht an Frankreich, folglich hat Preußen auch keinen Anspruch auf territoriale Entschädigungen rechts des Rheins, einen Machtzuwachs, den Österreich unter allen Umständen verhindern will. Demgemäß garantieren sich beide Partner, daß von preußischen Neuerwerbungen keine Rede sein könne. Für alle links des Rheins zu Abtretungen gezwungenen welt2
H. v. Sybel: Geschichte der Revolutionszeit, Bd. 3, 1879, S. 70.
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lichen Reichsstände wird eine Entschädigung in Aussicht genommen; als Basis dieser Entschädigung sollen die geistlichen Territorien rechts des Rheins verwandt werden. Das bedeutet realiter: Zustimmung Österreichs zur Säkularisation der geistlichen Fürstentümer, damit Zustimmung zum Umsturz der Reichsverfassung. Einem deutschen Reichsstand aber spielt Österreich ganz besonders übel mit: ~ayern. Als Entschädigung für den depossedierten Herzog von Modena, Erzherzog Ferdinand, den jüngeren Bruder der Kaiser Joseph 11. und Leopold II., ist der österreichische Breisgau vorgesehen; dafür läßt sich Österreich das Erzbistum Salzburg und das östliche Bayern bis zum Inn einschließlich Wasserburgs versprechen. Entschädigt soll Bayern ebenfalls durch Säkularisationen werden. Bayern war unter Kurfürst Karl Theodor (1777 - 1799), seit 1742 Landsherr der Pfalz und ihrer Nebenländer, der, aus einer Seitenlinie des pfälzisch-wittelbachischen Hauses stammend, nach dem Tode Maximilian Josephs am 30. Dezember 1777 gemäß den alten Hausverträgen auch die Regierung Kurbayerns übernommen hatte, mit sehr gemischten Gefühlen in den Krieg gegen Frankreich eingetreten. Man wollte unbedingt Neutralität wahren, größtmögliche Zurückhaltung üben. Eine Haltung, die Bayern durch die territoriale Lage der Pfalz auferlegt war, ganz besonders aber von dem Mißtrauen gegen die beiden Großmächte bestimmt wurde. So arbeitete die bayerische Regierung gegen eine Reichskriegserklärung, auch als Frankreich nach der Kanonade von Valmy (20. September 1793) und dem Rückzug des preußischen Heeres wegen der Besetzung Polens durch Rußland die Offensive ergriff und die französischen Truppen die pfälzischen Lande überfluteten. Als die Reichskriegserklärung zum Beschluß erhoben wurde, wetteiferte Bayern mit vielen anderen deutschen Staaten in der Nichterfüllung der Pfiichten3 • Braunschweig, Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt und Baden mußte England durch Subsidienverträge erst finanziell ausrüsten, damit sie überhaupt aktiv am Krieg teilnahmen bzw. teilnehmen konnten. Schließlich sah sich jedoch auch Karl Theodor genötigt, trotz seines Neutralitätsabkommens mit Frankreich sein Kontingent gemäß Reichsverfassung zu stellen, wobei ihm preußischerseits versichert wurde, er könne als Reichsfürst nach der Reichsverfassung durchaus mit seinen Truppen Krieg führen und zugleich mit seinem Lande neutral bleiben'. Karl Theodors wechselnde Neutralitätspolitik, die niemals eine echte war und sein konnte, gereichte Bayern zum schweren Nachteil. Das bayerische Kontingent kämpfte zuerst vor Mainz, dann im Elsaß mit den Verbündeten. Als dann gegen Ende des Jahres 1793 die französischen Revo3 4
I·
DoebeTI: Entw. Gesch. Bayerns 11, S. 326. Sllbel: a.a.O., Bd. 2, S. 267.
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lutionsarmeen siegten und die Verbündeten aus dem Elsaß verdrängten, die linksrheinische Pfalz besetzten und auch Mannheim bedrohten, nahm der Kurfürst eine österreichische Besatzung auf, "um die kurfürstlichen Lande, auch das ganze Reich in keine weitere Gefahr und Verlegenheit zu bringen"5. Der letzte Rest der pfälzisch-bayerischen Neutralität war beseitigt. Als jedoch seit 1794 die Koalition immer mehr zerfiel, Preußen mit Frankreich den Basler Separatfrieden schloß, gab Karl Theodor unter dem Eindruck neuer Gerüchte von österreichischen Tauschprojekten dem Drängen der Landschaft und seines Vetters, des Herzogs Maximilian J oseph, der inzwischen seinem Bruder Karl August in der Regierung Zweibrücken gefolgt war, nach und äußerte seine Bereitwilligkeit zu einem erneuten Neutralitätsvertrag mit Frankreich für beide Rheinufer. Am 20. September wurde das stark befestigte Mannheim den Franzosen übergeben und dadurch die Lage der Österreicher sehr gefährdet. Mit diesem eigenmächtigen Abkommen mit Frankreich wurden auch von Bayern die Autorität und Kompetenzen des Reiches rechtlich grob mißachtet. Als sich das Kriegsglück wieder zugunsten Österreichs wendete, suchte Karl Theodor deshalb, um die Rache der Kaiserlichen, die bereits mit dem Einmarsch in Bayern drohten, abzuwenden, wiederum engen Anschluß an Österreich, im Gegensatz zu seinem Vetter Max Joseph. Er nahm selbst Reichstruppen unter dem Befehl eines kaiserlichen Offiziers in die Landesfestung auf. Die Erfolge der Österreicher währten jedoch nicht lange. Bei der großen französischen Invasion in West- und Süddeutschland drangen französische Heere nach Bayern und nach der Oberpfalz vor. Wiederum schlossen die bayerischen Landschaftsverordneten, denen Karl Theodor, der nach Sachsen geflohen war, die Vollmacht zu Verhandlungen mit dem Feinde erteilt hatte, am 7. September 1796 mit General Moreau den Waffenstillstand von Pfaffenhofen, womit Bayern erneut aus dem Reiche ausbrach. Aber auch andere Reichsstände, so Sachsen und der schwäbische und fränkische Kreis, handeln ebenso. Der Ansturm der Franzosen enthüllt die ganze Schwäche des Reiches. Jeder Reichsstand versucht für sich zu retten, was zu retten ist, Württemberg und Baden folgen sogar dem preußischen Beispiel und finden sich schnell zum Abschluß von Separatfrieden mit Frankreich (am 7. und 22. August 1796) bereit. In beiden Verträgen übernehmen sie die Pflicht, jede Kriegsleistung gegen Frankreich auch bei Aufforderung durch das Reich zu unterlassen. Ihre linksrheinischen Besitzungen (Mömpelgard und Sponheim) treten Württemberg und Baden an Frankreich ab; geheime Zusatzabkommen, die dem preu5
Doeberl: Entw. Gesch. Bayerns II, S. 327.
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ßischen Zusatzabkommen zum Basler Frieden (5. August 1796) entsprechen, sichern beiden Staaten eine Entschädigung durch Säkularisation auf rechtsrheinischem Gebiet zu. Die französischen Truppen erhalten das Recht auf ungehinderten Durchzug durch württembergisches und badisches Gebiet. Beide Verträge sind wie der Basler Frieden Preußens eklatante Verstöße der beiden Reichsstände gegen ihre Verfassungspflichten6 • Angesichts dieser beginnenden Auflösungsentwicklung des Reichs findet auch Österreich nichts dabei, sich von Frankreich vorsorglich Gebiete eines benachbarten Reichsstandes, Bayerns, versprechen zu lassen, auf die es schon lange erpicht ist. Die Empörung hierüber ist in Bayern ungeheuer. Herzog Max Joseph von Zweibrücken, der durch seinen Gesandten am Pariser Hofe, Cetto, von den geheimen Abmachungen des Friedens von Campo Formio verständigt wird, ruft Preußens und Rußlands Hilfe an und fordert seinen Vetter Karl Theodor zum gemeinsamen Vorgehen auf dem im November 1797 beginnenden Rastatter Kongreß auf, der über die territorialen Fragen entscheiden soll, im Frühjahr 1799 jedoch ergebnislos beendet wird. (über die Politik des Zweibrücker Hofs siehe neuerdings vor allem die einschlägigen Kapitel in der MontgelasBiographie von E. Weis.) Der erste Minister und in allen wichtigen politischen Fragen entscheidende Ratgeber Max Josephs, Freiherr von Montgelas, verfaßt ein Memorandum, gipfelnd in den Worten: "Die aus der Vergangenheit geschöpfte Erfahrung, die Furcht vor der Zukunft, mahnt zur Wachsamkeit gegen die Ambition Österreichs. Alle Staaten, denen das gesamte Interesse die gleichen Grundsätze auferlegt, sind sicher, in dem Souverain Bayerns den natürlichen Verbündeten zu finden 7 ." Doch Karl Theodor, der körperlich und geistig nicht mehr die Spannkraft für kühne Entschlüsse besitzt, überdies dem Zweibrücker Hof mißtraut und von ihm eine Entthronung mit Hilfe Frankreichs befürchtet, kann sich nicht entschließen, die Beziehungen zu Österreich abzubrechen. Vielmehr tritt er am 12. November 1798 der neuen Koalition gegen Frankreich bei und schließt einen Vertrag, der die bayerischen Truppen militärisch dem Oberbefehl Österreichs unterordnet. Doch dies ist der letzte Vertrag, den die Regierung Bayerns unter Kurfürst Karl Theodor abschließt. Am 12. Februar 1799 wird er vom Schlag getroffen, am 16. Februar stirbt er. Unter seinem Nachfolger Max IV. Joseph ändert sich die Politik Bayerns grundlegend. Kopf und Seele dieser Politik ist der erste Minister des neuen Kurfürsten, Maximilian von Montgelas, dessen fester Wille es e Huber: Dt. Verf.-Gesch., S. 31. 7 Doeberl: Entw. Gesch. Bayerns II, S. 328.
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ist, Bayern durch kluge, je nach der politischen Gesamtlage wechselnde Allianzen, sicher und möglichst vergrößert aus diesem Krieg hervorgehen zu lassen. Aus diesem Konzept ergibt sich mit als erstes ein taktisch sehr geschieldes Lavieren gegenüber Frankreich. Schon in der ersten Audienz, die Max IV. Joseph dem französischen Gesandten Alquier gewährt, erklärt der bayerische Kurfürst sehr gezielt: "Ich bin in Frankreich erzogen und bitte Sie, mich für einen Franzosen zu halten." Das über diesen Umschwung in Bayern hocherfreute Direktorium in Paris schlägt ihm darauf gleich die Schaffung eines südwestdeutschen Bundes unter der nominellen Leitung Bayerns vors. Aber so schnell kommt es zu keiner engeren Bindung Bayerns an Frankreich. Der Umschwung der politischen Lage - erfolgreiches Beginnen des Feldzuges gegen Frankreich in Deutschland, der Schweiz und Italien, ferner die Entschließung des Reichstages am 16. September 1799, den Waffenstillstand zu beendigen und den Krieg wieder aufzunehmen, vor allem aber die Furcht Bayerns vor Österreich, von dem es eng umklammert ist - erzwingen erneut den widerwilligen Beitritt Bayerns zur Koalition. Im Allianzvertrag mit Rußland am 1. Oktober 1799 in Gatschina verpflichtet sich Max IV. Joseph, am Krieg gegen Frankreich teilzunehmen, nachdem ihm der Zar Paul I. den bayerischen Besitz verbürgt. Auch der zweite Koalitionskrieg trägt von Anfang an den Charakter des Grotesken, was das Reich und das Verhältnis der Reichsländer untereinander anbetrifft. Nicht nur, daß Bayern sich bei Rußland seiner territorialen Ingetrität gegen die Reichsführungsrnacht Österreich versichern muß, auch Kurmainz und Württemberg sind erst nach Subsidienverträgen mit England - einen solchen schließt auch Bayern am 16. 3. 1800 mit dem englischen Gesandten William Wickham ab - überhaupt zum Kriegseintritt zu bewegen. Preußen, an dessen Spitze seit 1797 König Friedrich Wilhelm III. steht, macht überhaupt nicht mit, sondern bewahrt Neutralität, obwohl es als Reichsstand zur Teilnahme am Reichskrieg verpflichtet ist, eine Separation, die mehr als alles andere zum unglücklichen Ausgang des 2. Koalitionskriegs beiträgt9 • Der Krieg endet mit der österreichischen Niederlage von Hohenlinden (3. Dezember 1800) und dem Frieden von Luneville (8./9. Februar 1801). Schon vor Hohenlinden hat sich die Mehrzahl der Reichsstände nach dem Vordringen der siegreichen Franzosen bis tief nach Österreich, durch Sondervereinbarungen vom Krieg zurückgezogen, Rußland ist ebenfalls 8 g
Siehe H. H. Hofmann: Adelige Herrschaft, a.a.O., S. 212. Huber: Dt. Verf.-Gesch., S. 39.
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aus der Koalition ausgeschieden. Bayern steht zur Zeit der Entscheidung von Hohenlinden zwar noch im Lager Österreichs, aber nur pro forma, es ist ebenfalls zum Absprung bereit. Es ist von Österreich erneut schmählich hintergangen worden: Im Waffenstillstand von Parsdorf, den der österreichische Feldmarschall Kray, ohne Bayern davon zu verständigen, mit General Moreau am 15. Juli 1800 geschlossen hatte, war Bayern französischen Kontributionen preisgegeben worden, einen Tag später hatte der österreichische Unterhändler Graf Lehrbach in Hohenlinden einen weiteren Vertrag geschlossen, in dem die bayerische Landesfestung Ingolstadt und im Grunde ganz Bayern den Franzosen preisgegeben wurde. Als Reaktion auf diese Haltung Österreichs erfolgt die Wendung der bayerischen Politik, die Annäherung an Frankreich. Schon während des Krieges, in dem Bayern unter russischer und preußischer Vermittlung Verhandlungen mit den Franzosen angeknüpft hat, trägt Frankreich der Zwangslage Bayerns Rechnung und läßt dem Land eine verhältnismäßig schonende Behandlung widerfahren. Nach Luneville erhält Bayern in einem besonderen Vertrage vom 24. August 1801 volle Bürgschaft sowohl für den unangetasteten Besitz der rechtsrheinischen Gebiete als auch für entsprechende Entschädigung an Stelle der im Frieden erlittenen linksrheinischen Verluste. Das Versprechen dieses Vertrages, der am 24. Mai 1802 erneuert wird, löst Frankreich im Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 ein. Bayern ist einer derjenigen deutschen Staaten, die von Frankreich für die linksrheinischen Verluste (Kurpfalz, Herzogtümer Zweibrücken, Simmern und Jülich sowie andere Herrschaften) am reichlichsten entschädigt werden; es erhält die geistlichen Fürstentümer Würzburg, Bamberg, Augsburg und Freising, Teile von Passau (links des Inn) und Eichstätt, ferner 13 reichsunmittelbare Abteienen, darunter Waldsassen, Ebrach, Kaisheim, Kempten, Ottobeuern etc., sowie 15 reichsunmittelbare Städte in Schwaben und Franken, darunter Kempten, Kaufbeuren, Memmingen, Ulm, Ravensburg, Nördlingen, Dinkelsbühl, Rothenburg, Weißenburg, Windsheim und Schweinfurt, im ganzen einen Zuwachs von 290 Quadratmeilen (1 Quadratmeile = rund 56 Quadratkilometer) mit 854 000 Einwohnern und 6 607 000 Gulden Einkünften gegen einen Verlust von 220 Quadratmeilen mit 780000 Einwohnern und 5870000 Gulden Einkünfte. Diese Ausdehnung auf Schwaben und Franken bietet Bayern die Ausgangsbasis zur Bildung eines dynastischen Machtstaates von überstammesmäßiger Struktur, wie sie Preußen und Österreich bereits sind. Die so reichliche Entschädigung Bayerns entspringt jedoch weniger einer bereits sehr engen Verbindung mit Frankreich, als der politischen Strategie der neuen Vormacht Europas, Bayern und die anderen verstärkten süddeutschen Staaten zu entscheidenden Schachfiguren seiner
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Interessen zu machen. Nach dem Frieden von Luneville und dem Reichsdeputationshauptschluß existiert das alte Reich de facto nicht mehr. Der kaiserlichen Gewalt ist der letzte Rückhalt im Reiche, die geistlichen Stände und die Reichsstädte, die es immer stützten, entzogen worden, die Suprematie Österreichs endgültig gebrochen worden. Die Kräfte Deutschlands sind nun völlig ausgespalten. Es gibt die deutschen Mittelstaaten neben Bayern, Württemberg, Baden und Hessen -, die nun groß genug sind, neben dem Kaisertum eine selbständige Politik zu treiben und ihre vorherige reichsterritoriale Unabhängigkeit zur völligen Souveränität zu erweitern, die aber dennoch niemals stark genug und ihrer Existenz gesichert genug sind, um ohne den Rückhalt an Frankreich eine wirkliche selbständige Stellung im Kreis der europäischen Mächte zu erlangen. Das ist das Ziel, das sich Frankreich schon im westfälischen Frieden gesteckt und das es nun vollends erreicht hat: eine Vielzahl von Staaten im Westen des Reichs, die zur Erhaltung ihrer Scheinunabhängigkeit auf die Anlehnung an Frankreich angewiesen sind. Mit der Säkularisation der geistlichen Fürstentümer10 , die zur Entschädigung der durch die linksrheinischen Verluste benachteiligten Reichsstände herhalten müssenl l , löscht der Reichsdeputationshauptschluß ein Jahrtausend verfassungsrechtlicher überlieferung des Reiches aus. Dennoch will er das Ende der alten Reichsverfassung noch nicht wahrhaben, er versucht deren alte Formen trotz des radikalen Eingriffs aufrechtzuerhalten: das Kaisertum bleibt bestehen, das kurfürstliche Kollegium, das Trier und Köln verloren hat, wird durch die Erhebung des säkularisierten Fürstentums Salzburg, sowie Württembergs, Badens und HessenCassels zu Kurfürstentümern ergänzt, ferner wird die Reichstagsverfassung der Veränderung der Territorialgestaltung angepaßt und die neue Stimmverteilung im Fürstenrat geregelt. Aber die Zerstörung der Verfassungsstruktur des Reiches hat auch ihre positiven Aspekte; macht sie doch den Weg frei für ein System moderner Staaten, für eine radikale Neuordnung Deutschlands auf der Grundlage einer von den alten Verfassungshemmungen befreiten modernen Staatlichkeit. Von keinem anderen deutschen Territorium wird dieses 10 Ausgenommen blieb nur der Erzbischof von Mainz, dem als dem Erzkanzler des Reiches in Aschaffenburg und Regensburg ein neues Fürstentum angewiesen wurde, sowie der Hoch- und Deutschmeister des Deutschen Ordens, der ebenfalls die Stellung eines reichsunmittelbaren Fürsten behielt. Bei den Städten blieben nur sechs, Bremen, Hamburg und Lübeck im Norden, Augsburg, Nürnberg und Frankfurt im Süden, reichsunmittelbar. 41 rechtsrheinische Reichsstädte wurden mediatisiert. 11 Linksrheinische Verluste insgesamt: Erzbistümer Köln, Trier und Mainz, Bistümer Worms und Speyer, Kurfürstentum Pfalz, Herzogtümer Kleve, Geldern und Jülich, Grafschaften Sponheim und Saarbrücken, Reichsstädte Aachen, Köln, Worms, Speyer - entweder ganz oder teilweise.
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Ziel energischer und konsequenter angestrebt, als von Bayern unter Führung Montgelas'. Die erste Hürde zu diesem Ziel ist mit Hilfe Frankreichs genommen. Dennoch aber besteht zwischen Bayern und Frankreich, von dem es so viel erhalten hat, kein geschriebenes Allianzverhältnis, sondern lediglich eine Entente. Dies muß besonders hervorgehoben werden. Montgelas hütet sich, enge Bindungen mit Frankreich einzugehen; wohlweislich vermeidet es Kurfürst Max IV. Joseph, der Kaiserkrönung Napoleons in Paris durch seine Gegenwart höheren Glanz zu verleihen 12 • Eher beschäftigt man sich in München mit dem Gedanken, einem deutschen Fürstenbund unter Führung Preußens zur Aufrechterhaltung bewaffneter Neutralität beizutreten. Zu Preußen fühlt sich Montgelas sehr hingezogen, nachdem dieses sehr viel dazu beigetragen hat, einen Ausverkauf Bayerns an Österreich durch Karl Theodor zu verhindern13 • Von einer festen politischen Bindung Bayerns in die eine oder andere Richtung kann zu dieser Zeit keine Rede sein. Dies erscheint Montgelas angesichts der undurchsichtigen Entwicklung der politischen Gesamtlage und der ungewissen Bewegungen der Großmächte viel zu gefährlich. Bayern geht es zu allererst immer um die Sicherheit. Diese aber sieht es von keiner Seite gewährleistet, weder von Preußens noch von Frankreichs und schon gar nicht von Österreichs Seite. Es ist daher kein Wunder, daß die politische Führung Bayerns sich nach allen Seiten abwartend verhält. Hierin wird sie durch das Staatsrecht Bayerns unterstützt, und zwar bemerkenswerterweise dadurch, daß dieses eine feste Beziehung klar ausspricht: die Bindung an die Reichsverfassung. Just zu diesem Zeitpunkt erscheinen die Werke der beiden führenden bayerischen Staatsrechtler, Feßmaier und Gönner, in Bayern und im Reich. Diese beschwören geradezu - vor allem das "Teutsche Staatsrecht" des Landshuter Professors Nikolaus Thaddäus Gönner - die Einheit des Reiches und postulieren die unbedingte Bindung der Reichsterritorien an die Reichsverfassung. Angesichts der deutlichen Auflösungserscheinungen des Reiches und angesichts der Politik Bayerns, dessen leitender Minister die "souverainet€! pleine et entiere" für seinen Staat anstrebt, ist man leicht geneigt, diese beiden Werke als groteske staatsrechtliche Randerscheinungen einer ganz anderen politischen Wirklichkeit zu bewerten. Wie es beispielsweise R. Piloty in etwa tutu . Doch so einfach darf man es sich wohl nicht machen. Es gibt bezeichnenderweise in den bayerischen Akten keine einzige aba Th. Bitterauf: München und Versailles, 1804, Dok. über d. Anteil Bayerns am Mainzer Fürstentag, in: Forsch. z. Gesch. Bayerns, Bd. 12, 1964. 13 Siehe diesbezüglich die einschlägigen Kap. in der Montgelas-Biographie von E. Weis, deren 1. Bd. voraussichtlich 1971 im Druck erscheint. (Vgl. unser Kap. 4.) 14 Piloty: Ein Jahrhundert, a.a.O., S. 215.
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fällige Bemerkung Montgelas' bzw. seiner engsten Mitarbeiter über diese beiden Staatsrechtler. Im Gegenteil, Nikolaus Thaddäus Gönner wechselt sogar später vom Professorenstuhl ins Justizministerium über und wird eine der wesentlichen Stützen der Regierung Montgelas'. Der Inhalt der Werke Feßmaiers und Gönners hat durchaus politisches Gewicht, auch wenn er nicht mit den wirklichen Zielen und Absichten der bayerischen Regierung gleichzusetzen ist. Sicher ist Montgelas niemals der Befürworter und Herold der Reichsverfassung gewesen, der Gönner war. Dafür sah er viel zu deutlich deren Schwächen, und dafür war er viel zu sehr Territorialpolitiker, dem es zu allererst um Bayern ging. Man darf aber gewiß annehmen, daß Gönners und Feßmaiers Staatsrecht ihm zumindest nicht ungelegen gekommen sind. Die staatsrechtliche Position einer nach wie vor festen Bindung Bayerns an das Reich zu beziehen, wie Max III. J oseph und Kreittmayr es taten, muß auch Montgelas und Max IV. Joseph nach wie vor als das Beste erscheinen, denn es ist nach keiner Seite mit direkten Gefahren verbunden; das Risiko ist das geringste, gleich, wie sich die politische Lage weiter entwickelt. Sie bietet Bayern die meiste Sicherheit - sowohl gegenüber der Reichsführungsrnacht Österreich, das bei einem eventuellen Sieg niemals argumentieren kann, Bayern habe durch seine Hinwendung zu Frankreich das Reich verraten, und gegen Bayern vorgehen kann -, ebenso aus dem gleichen Grund gegenüber Preußen, das Bayern von dieser Voraussetzung her jede Unterstützung gegenüber Österreich gewähren kann -, als auch gegenüber Frankreich, das ein Reichsglied, welches sich derart fest zur Reichsverfassung bekennt, nur noch mehr hofieren wird, um es auf seine Seite zu ziehen. Unter diesen politischen Begleitumständen erscheinen in Bayern 1&03 und 1804 in den letzten Jahren des sich auflösenden alten Reichs, die Schriften Feßmaiersla und Gönners. Sie behaupten genau das Gegenteil, nämlich daß die Reichsverfassung nach wie vor unumstößliche Geltung habe; und als wichtigsten Beweis dafür führen sie die Souveränität an, die nach wie vor beim Reich, nicht aber bei den Territorialstaaten liege. la F. wurde am 12. 1. 1775 in Staufersbuch b. Berching in der Oberpfalz geboren, er starb am 27.3.1828 in München. Er studierte in Ingolstadt, war in den historischen Disziplinen und Staatswissenschaften Schüler des Pro kanzlers Joh. Nep. Mederer und des Publizisten Joh. Gottfried Krenner. 1799 erhielt er das Extraordinariat für deutsche Rechtsgeschichte, bayer. Staatsrecht und europäische Staatenkunde. Weiter war er Mitglied des Cameral-Institutes und wurde Ordinarius des bayerischen Staats- und Fürstenrechts und des Privatrechts "der Erlauchten in Deutschland", ferner Assessor der JuristenfakuItät und des Spruchkollegiums an der 1800 nach Landshut verlegten Hochschule. 1804 ging er als wirklicher Landesdirektionsrat in den administrativen Staatsdienst, in dem er sich als Respicient der städtischen Verfassungen, Kreisrat (1808), Oberftnanzrat (1815) und Ministerialrat im Staatsministerium der Finanzen (1817) um die Gerichtsbarkeit, das Privilegienwesen, die Munizipalverfassungen verdient machte. Vgl. FTiedr. Merzbacher in der Neuen Deutschen Biographie, Bd. 5, Berlin 1961, S. 104.
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Feßmaier: Bayern als "Deutsches Reichsland" nach innen souverain, nach außen aber "etwas beschränkt"
Johann Georg Feßmaier1 , kurpfalzbayerischer Hofrat, Staatsrechtler und Historiker zugleich, erklärt dies ganz deutlich. Er sagt fast das gleiche wie Kreittmayr. Bayerns Verfassung, so konstatiert er knapp und präzise, ist "monarchisch", der Landesfürst "der einzige Repräsentant der Nation"2: "Seine Souveränität ist von innen unbeschränkt", stellt er fest, jedoch "von außen etwas beschränkt durch des teutschen Reiches Lehensverband und höchste Gerichte"3. Bayern sei ohne Zweifel "ein Staat"', aber kein Staat, der völlig unabhängig, völlig souverän sei, sondern vielmehr dem deutschen Reich angehöre: "Bayern ist ein teutsches Reichsland5 •" Feßmaier gesteht damit dem bayerischen Kurfürsten im Innern völlige Souveränität zu, wobei er das monarchische Prinzip durch die Hervorhebung des Herrschers als des einzigen Repräsentanten der "Nation" dieser Ausdruck findet sich bei ihm häufig - ganz besonders betont. "Die Landschaft", fügt er in diesem Zusammenhang gleich hinzu, "ist keine Mitregentin", sie habe dem Landesherrn nichts hineinzureden8 • Der Landesfürst allein übe "die Gesetzgebung" aus, konstatiert Feßmaier; dieses ist für ihn das wichtigste innere Souveränitätsrecht. Der Landstände "Concurrenz zur Gesetzgebung" bestehe lediglich in beratenden "Gutachten", mehr nicht7. Feßmaier verehrt Max IV. Joseph sehr und preist ihn als "den wahren Vater des Vaterlandes"8. Er ist immer wieder bemüht, ihn gnädig zu stimmen. 1 F.'s wichtigste staatsrechtliche und historische Schriften, aus denen im Folgenden zitiert wird: Grundriß des Baierischen Staatsrechts, zum Gebrauche akademischer Vorlesungen, Ingolstadt 1801; Grundlinien zum Staatsrechte von Bayern, Landshut 1803, 29 S. (Extrakt aus dem "Grundriß"); Versuch einer pragmatischen Staatsgeschichte der Oberpfalz, seitdem sie Oberpfalz heißet, 1. Bd., München 1799, 2. Bd. Landshut 1803; Geschichte Bayerns, Landshut 1804. Auf Grund von Bd. 1 der Geschichte der Oberpfalz erhielt Feßmaier die Lehrstelle der pfalzbaierischen Erbstaaten - Geschichte in Landshut. Zu diesem Buch siehe neuerdings Karl Bosl, der, ebenfalls Oberpfälzer, die Verdienste Feßmaiers hinsichtlich der Geschichtsschreibung der Pfalz in seinem Aufsatz "Das Territorium Obere Pfalz" ZBLG 26, 1963, S. 3 so liebenswürdig lobend hervorhebt. J Feßmaier: Grundlinien ... , S. 2. a Feßmaier: Grundlinien ... , S. 10. , Feßmaier: Grundriß ... , S. 113. Ein "Staat", dessen "dermaIige Ordnung nach und nach herbeigeführt worden" sei: Bayern besitze keine Grundverfassungsakten (leges fundamentales), seine ganze Verfassung sei "bloß Geschichte". S Feßmaier, ebenda. S Feßmaier: Grundlinien, S.l1. 7 Feßmaier: Grundlinien, S.15. 8 Feßmaier: Geschichte Bayerns, S. 9/10.
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Das hindert ihn jedoch nicht, deutlich zu sagen, daß Bayern insgesamt nicht völlig souverän sei und nicht sein könne, weil es zum Reich gehöre: "Der baierische Staat", der sich teilet in Ober-, Nieder-Baiern, baierische Nebenlande, pfälzische Nebenlande, Allodien unter diesen Besitzungen, Reichslehen ... stehet im Verbande mit dem teutschen Reiche, und zwar a) mit dessen Oberhaupte, dem Kaiser, b) mit dem Reichstage, c) mit den höchsten Reichsgerichten, d) mit der Reichsdefension9 • Die Frage, ob die höchsten Reichsgerichte nicht die innere Souveränität Bayerns etwas beschränken, und ob überhaupt das Reich nicht doch auch die innere Souveränität der Reichsglieder berühre, stellt er sich zwar, verfolgt sie aber nicht weiter. Im Abschnitt "Von der Regierung des Volkes" durch den Landesherrn deutet er lediglich einen möglichen "Konflikt mit Reichsgesetzen und Rechten"lO an. Hinsichtlich der äußeren Souveränität stellt Feßmaier wie Kreittmayr fest, daß Bayern im Grunde zwar alle Souveränitätsrechte innehabe und zur "Sicherung und Wohlfahrt des Staates" "Verträge mit anderen Staaten (Grenz- und Handelsverträge, Alliancen, Cartele etc. ")11 abschließen könne, ferner das "Kriegs- und Friedensrecht" besäße, "Münz- und Bergregalien, Zoll- und Maut, Forst und Jagdregal etc."12, daß er aber dennoch nicht völlig souverän, sondern eben "etwas beschränkt" sei. Feßmaier handelt die Stellung Bayerns zum Reich und die Untersuchung der Souveränitätsfrage mit Nüchternheit und Sachlichkeit ab. Eine besondere Bejahung der Reichsverfassung ist bei ihm nicht festzustellen. Aber auch keine Verneinung. Er wertet nicht, ob der Verfassungszustand zwischen Bayern und dem Reich nun gut oder schlecht sei, ob das Reich überhaupt realiter noch existiert. Dennoch trifft er, wenn er unter dem genannten Abschnitt "Sicherheit und Wohlfahrt des Staates" als erstes das Souveränitätsrecht der Bündnisse und Allianzen aufführt, aber hier mit keinem Wort die Verbindung mit dem Reich erwähnt, die vielmehr unter dem Abschnitt der "Persönlichkeit des Staates" eingeordnet wird, die Wirklichkeit. Sicherheit und Wohlfahrt, das haben die letzten Jahre und Jahrzehnte zu deutlich bewiesen, hat das Reich Bayern nicht geben können. An dieser Tatsache kann auch der zweite große Staatsrechtler Bayerns, Nikolaus Thaddäus Gönner, nicht vorbeisehen. "Teutschland", so sagt er, stehe für ihn unter "zwei Maximen: 1. der Staatseinheit und der Staatentrennung; jede hat ihre eigene Sphäre, aber im Collisionsfall muß die Feßmaier: Grundlinien, S. 20. Feßmaier: Grundlinien, S. 14. 11 Feßmaier: Grundlinien, S. 22. 12 Feßmaier, ebenda.
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erste vorgezogen werden"1. Dieser "Collisionsfall" ist für Gönner eingetreten, die Reichsverfassung erscheint ihm auf das höchste gefährdet. Sie mit allen Mitteln zu verteidigen und zu ihrer Rettung beizutragen macht Gönner sich deshalb in seinem "Teutschen Staatsrecht" zur größten Aufgabe.
Gönner: Territorien, "halbsouveräne Reichsanstalten", keine souveränen Staaten Wie konsequent Gönner2 an seine Aufgabe herangeht, hat schon Robert Piloty angedeutet, wenn er erstaunt hervorhob, wie "unbekümmert um die täglich vor ihm aufleuchtenden Zeichen der Auflösung" Gönner die Reichsverfassung noch im Jahre 1804 "im Sinne strengsten Unitarismus zu konstruieren (suchte)"3. "Unbekümmert" ist hier wohl nicht das richtige Wort, Gönners "Teutsches Staatsrecht" entspringt vielmehr seinem tiefsten Kummer um das Reich. Trotz aller historischen Tatsachen, die in den Kriegen gegen Frankreich die Schwäche und Ohnmacht des Reiches so schonungslos dargelegt haben, trotz der Trennung Preußens vom Reich nach dem Basler Frieden, trotz der selbständigen Friedensschlüsse und Waffenstillstandsabkommen einzelner Reichsstände, auch Bayerns, trotz Österreich, das eigenmächtig Reichsland an Frankreich preisgibt, hält Gönner unbeirrt am rechtlichen Bestand des Reiches fest und erklärt: "So verschieden auch die Theile des teutschen Staatskörpers an sich und in ihrer Zusammen1 Gönner: Teutsches Staatsrecht, S. 4. 2 Nikolaus Thaddäus Gönner wurde am 18. 12. 1764 in Bamberg geboren, er starb am 18.4. 1827 in München. An der Universität Bamberg promovierte er 1781 zum Dr. phil. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen wurde er 1789 in Bamberg o. Prof. und Beisitzer der juristischen Fakultät, 1791 Professor der Pandekten und 1796 ordentlicher Professor des deutschen Staatsrechts. 1799 wurde er als Staatsrechtslehrer nach Ingolstadt berufen, nach der Verlegung der Universität wirkte er in Landshut. 1812 beendete er seine Lehrtätigkeit in Landshut und übernahm die Stelle eines Direktors des Appellationsgerichtes des Isarkreises in München. 1815 wurde er zum geheimen Referendär im Justizministerium, 1817 zum geheimen Rat und zum Staatsrat im außerordentlichen Dienst und 1820 zum Staatsrat im ordentlichen Dienst ernannt. Neben dem Staatsrecht setzte sich Gönner auch mit dem Zivil- und Strafrecht auseinander. So verfaßte er u. a. das Handbuch des dt. gemeinen Prozesses, 4 Bde., 1801 - 1803, ferner das Krit. Archiv d. neuesten jurid. Literatur und Rechtspflege, 1803 - 09; über die Notwendigkeit einer gründlichen Reform in Bearbeitung d. in Deutschland geltenden Privatrechts, 1809; Anm. zum Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern, 3 Bde., 1813 f.; über die Gesetzgebung und Rechtsprechung in unserer Zeit, 1815; Entwurf eines Gesetzbuches über die gerichtlichen Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen, 3 Bde., 1815 -17; Kommentar über das kgl.-bayerische Gesetz vom 22. 7.1819,1820; Entwurf eines Strafgesetzbuches mit Motiven 1820 - 22; u. a. Siehe L. Schaffner in Neue Deutsche Biographie, Bd. 6, Berlin 1964, S. 519. B Piloty: a.a.O., S. 219.
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setzung sind, so beweisen doch überwiegende Gründe, daß Teutschland rechtlich ein Staat, kein System föderativer Staaten sei'." Die "überwiegenden Gründe", die dies für Gönner "außer allem Zweifel setzen", sind: 1. "eine gemeinsame Reichsgrundgesetzgebung, öfters über Gegenstände, welche auf die in besondere Staaten gebildeten Theile des Reichskörpers sich beziehen"; 2. "eine gemeinsame oberste Staatsgewalt, welche der teutsche Wahlmonarch bald mit, bald ohne Concurrenz der Reichsstände ausübt5 ." "Hiermit", konstatiert Gönner, "ist Staatseinheit als oberster Grundsatz des teutschen Staatsrechts ausgesprochen, vermöge dieses Prinzips ... jedes Reichsglied die Reichsgewalt über sich anerkennen (muß)6." Das aber heißt für ihn hinsichtlich der Frage der Souveränität: "Die Reichsstände haben, ihres entscheidenden Einflusses auf die Reichsregierung ungeachtet, weder als Reichsstände noch als Landesherrn Anteil an der Reichssouveränität, sie sind vielmehr der Reichshoheit untergeordnet, und selbst der Kaiser, soweit seine Erblande in Frage kommen, tritt aus dem Subordinationsverhältnis nicht heraus7 ." So klar und akzentuiert hatten es nicht einmal Moser und Pütter formuliert. Gönner macht sich zum unbedingten Anwalt der Reichssouveränität. Zwar gibt Gönner durchaus zu, daß die Eigenstaatlichkeit der deutschen Reichsterritorien groß ist, ja, daß ihnen "eine Art von völkerrechtlichem Zustand" zukomme8 • Jeder Landesherr regiere sein Territorium nämlich "nicht aus kaiserlichem Auftrag oder Vollmacht (administratorio iure) , sondern vermöge der Reichsgesetze aus eigenem Rechte (iure proprio)e. Jedes Territorium bilde "einen besonderen Staat, der durch seine eigene selbständige Gewalt regiert wird, ohne daß die Regentenhandlungen einer kaiserlichen Bestätigung bedürfen, in deren Gewalt vor- oder einzugreifen weder den Reichsgerichten noch sonst jemand erlaubt ist; jeder besondere Staat hat sein eigenes Staats- und Finanzierungssystem, seine eigenen zur Staatsverwaltung nöthigen Anstalten, und beobachtet nicht nur gegen auswärtige Nationen den Rang eines halbsouveränen Staates in Civil- und Militärrücksicht, sondern auch durch Landesindigenat, Landessperre, Nachsteuer und dgl. eine Art von völkerrechtlichem Zustand gegen benachbarte teutsche Territorien"10. , Gönner, S. 94.
Ebenda. • Ebenda. 5
Gönner, S. 57. Gönner, § 227, S. 336. e Gönner, S. 98. 10 Gönner, S. 336. 7
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Den Terminus "Halbsouverain"10a, bzw. für die Landesherrn "Halbsouverains" , "halbsouveraine Staaten" verwendet Gönner einige Male, wobei er sich auf Martens' europäisches Völkerrecht beziehtl l • Einmal spricht er auch von "Landessouverainität"12. Diese Ausdrücke sind neu. Kreittmayr hatte sie nicht verwendet. Mit allen meint Gönner jedoch nichts anderes als die "Landeshoheit", die, das betont er noch mehr als Moser und Kreittmayr, niemals einer vollen Souveränität gleichkomme: "Aller hohen Vorzüge ungeachtet", stellt er nachdrücklichst fest, "stehet die Landeshoheit im Nexus der Subordination gegen die höhere Gewalt des teutschen Gesamtstaates, welche sich 1. auf den Lebensnexus, der nur auf das Eigentum, nicht auf Hoheit, wirkt, keineswegs beschränkt, vielmehr
2. in den Einschränkungen deutlich ausspricht, welche die Landesherrn bei dem Recht der Bündnise mit Auswärtigen beobachten müssen und ihre Wirkungen 3. bei allen Ausflüssen der obersten gesetzgebenden, rechtsprechenden und vollziehenden Gewalt des Reichs äußert13 ." Das ist inhaltlich dasselbe, was Moser, Pütter, Kreittmayr und Feßmaier gesagt haben, nur erheblich schärfer formuliert. Das Wort "Subordination" (der Landeshoheit unter die Reichssouveränität) taucht bei ihm immer wieder auf, ist eine seiner meistgebrauchten Vokabeln. So auch in einem seiner bemerkenswertesten Paragraphen, dem § 228. Dort heißt es: "Fragt man nach dem rechtlichen Grund ihrer Existenz (der Landeshoheit), oder was identisch ist: wie die Landeshoheit mit der Staatsconstitution Teutschlands rechtlich zusammenhänge? - so ergiebt sich aus dem Satze: Teutschland ist ein Staat, daß die Staatsgewalt des Ganzen auch alle Theile, ohne welche das Ganze nicht gedacht werden kann, regieren müsse, ... entweder unmittelbar oder mittelbar durch Substitution eines regierenden Subjekts. Durch Sanction der Landeshoheit wählten unsere Reichsgrundgesetze den letzteren Weg und eben hierdurch übertrugen sie den Landesherrn eine in der Reichshoheit ruhende Gewalt. Die Landeshoheit an sich stehet daher zur Reichsgewalt im Verhältnis einer Reichsanstalt zur Regierung der Theile des teutschen Staates, und, so ausgedehnt auch der Umfang der lOa "Teutsche Landesherrn stehen gegen auswärtige Nationen als Halbsouverains in völkerrechtlichem Verhältnisse." Gönner, S. 98. U Martens: Europäisches Völkerrecht, S. 17. M. wird im ganzen 18. Jahrhundert und auch im 19. Jahrhundert oft von Staatsrechtlern und Politikern zitiert, so z. B. auch von Zentner. M. baut, was seine Ausführungen betr. d. Souveränität betrifft, auf Bodin auf. 12 Gönner, S. 58. la Gönner, S. 337.
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landesherrlichen Rechte, so groß ihre Begünstigung in den Reichsgrundgesetzen sein mag, so kann man dennoch die Landeshoheit nur durch Sanction der Reichsgrundgesetze ... begründen I4." Dieses Zitat bezeichnet einen der Gipfelpunkte der Gönnerschen Argumentation. In seinem Bemühen, die absolute Reichssouverainität und übergeordnetheit gegenüber etwaigen weiteren Ansprüchen der "halbsouveränen" Reichsterritorien zu verteidigen, kommt Gönner dahin, diese als "Reichsanstalten" zur Regierung der Teile des" teutschen Staates" zu deklarieren. Gönners wichtigster Satz ist: "TeutschZand ist ein Staat." Es muß einfach ein Staat sein. Er versucht mit allen Mitteln das, was Pufendorf bereits im 17. Jahrhundert aufgegeben hatte, nämlich auf das Reich die Maßstäbe eines normalen Staates anzuwenden. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, daß Gönner, obwohl Staatslehrer in Kurbayern, kein kurbaierisches Staatsrecht, also kein Partikularstaatsrecht schreibt, sondern nur ein "Teutsches Staatsrecht". Den Grund nennt er selbst: "Teutschland als ein Staat kann auch nur ein Staatsrecht haben; selbst die Territorien dürfen nur als integrierende Teile des Ganzen betrachtet werden15. " Man fragt natürlich nach den Gründen für Gönners derart engagiertes Eintreten für das Reich und die Reichsverfassung. Einer der wesentlichsten ist sicher, daß er in Göttingen ein gelehriger Schüler des großen Johann Stephan Pütter war, als dessen würdiger Nachfolger er sich erweisen wollte. Pütters berühmtes Wort vom Reich als einem "zusammengesetzten Staatskörper" wird von ihm mehrere Male zitiert l6 • Aber im Gegensatz zu Pütter, der zu beschreiben versuchte, geht Gönner weiter, er argumentiert viel radikaler, baut Lehrgebäude auf. Aber Gönners Abhängigkeit von Pütter ist sicher nicht der einzige Grund, sondern sein "Teutsches Staatsrecht", ist auch von der politischen Haltung beeinfiußt, die Kreittmayrs Stellungnahme zum Reich bestimmte. Das heißt, daß Gönner immer noch den wesentlichsten Halt Bayerns beim Reich sieht, trotz allem. Er ist der festen überzeugung, daß Bayern sich niemals vom Reich lösen darf, sich nicht separieren darf. Hierzu gehört auch, daß Gönner immer wieder sehr bemüht ist, über die Grenzen Bayerns hinaus im Reich rechtlich zu wirken, so unter anderem bei Gesetzgebungsarbeiten in Österreich, Preußen und Sachsenl7 •
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Gönner, § 228, S. 338. Gönner, S. 14.
16 SO Z. B. eingangs auf S. 4: "In Rücksicht der Regierung (des Reiches) entstehen durch Zusammensetzung des Staatskörpers zwei Maximen ..." etc. 17 Siehe hierzu L. Schaffner in: Neue Deutsche Biographie, a.a.O.
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Veranschaulichen wir zum Schluß noch kurz, wie peinlich Gönner in seinem "Teutschen Staatsrecht" bei der Aufzählung aller praktischen Souveränitätsrechte der Reichsstände bemüht ist, die dennoch übergeordnete Souveränität des Reiches jedes Mal hervorzuheben. Fast jeder Abschnitt ist nach dem Muster aufgebaut: Die Reichsstände besitzen zwar dieses Souveränitätsrecht, aber die Reichssouveränität steht über ihm. So heißt es im § 289 zur Gesetzgebung: "Das Recht der Gesetzgebung ist für alle Gegenstände in der Landeshoheit enthalten und wird vom Landesherrn ausgeübt, welcher dabei zwar an den Beirath der Landstände, niemals aber an ihren Consens gebunden werden kann, soferne nichts verfügt wird, was zur eigentlichen Konstitution eines Partikularstaates gehört; denn solche Gegenstände, welche ihrer Natur nach nur durch Fundamentalgesetze bestimmt werden können, fordern den Consens der Landstände18." So sagt auch Feßmaier und postuliert daraus die innere Souveränität des bayerischen Kurfürsten. Gönner aber verweist sogleich auf das Reich: "Wenngleich jeder Landesherr Gesetze für sein Land ohne Consens des Reichs vorschreiben kann, so bewährt dennoch der oberste Grundsatz von der Einheit des teutschen Staates, daß 1. nichts gegen Reichsfundamentalgesetze und 2. nichts gegen absolut gebiethende oder verbietende Reichsgesetze verordnet werden dürfe ...18." Gönner bezieht das Reich also ganz betont in das innere Souveränitätsrecht der Gesetzgebung der Reichsfürsten ein, im Gegensatz zu Feßmaier. Er erläutert, daß die äußere Bindung an das Reich rechtlich auch hier hineinreiche; man könne keinen scharfen Trennungsstrich zwischen äußerer und innerer Souveränität ziehen und sagen, die Reichsterritorien seien nach innen souverän, nur nach außen nicht. Es ist dies eine Feststellung Gönners, die neuerdings TeIlenbach mit am klarsten formuliert hat: Ein Staat, der nach außen hin nicht souverän ist, ist es auch nach innen nicht20 • Das gleiche stellt Gönner beim Justizwesen (§ 227) fest: Obgleich "die landesherrliche Gewalt überhaupt selbständig und gegen jedes verfassungswidrige Vor- oder Eingreifen der Reichsgerichte auch in Justizsachen von den Reichsgrundgesetzen befreit" sei, daher auch die Landesherren das Recht hätten, "ihre Unterthanen in erster Instanz an die Reichsgerichte in der Regel nicht ziehen zu lassen", sei "dennoch mit Complexus der Landeshoheit auch die richterliche Gewalt der Reichshoheit subordiniert, und diese Subordination durch ausdrückliche Reichs-
GönneT, § 289, S. 455. Ebenda. zo G. TeUenbach: Vom Zusammenleben der Völker im Mittelalter, a.a.O., S. 44. 18
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gesetze anerkannt: Vermöge dessen ... erstreckt sich das in der Reichshoheit enthaltene Oberaufsichtsrecht und die Sorge für Erhaltung der Verfassung kraft ausdrücklicher Gesetze auch über das Territorialjustizwesen, kraft dessen 1. von der Reichsgewalt auch reichsgesetzmäßige Bestellung der Landesgerichte, 2. Abstellung der Cabinetsjustiz, 3. Aufrechterhaltung der Instanzen, Abstellung aller Verzögerung an der Gerechtigkeit etc .... gedrungen werden kann21 ." Besonders interessant sind auch Gönners Ausführungen über die "Territorialmilitärgewalt" (§ 362). "Teutsche Landesherrn", erklärt er, "haben für ihr Land in dreyfacher Rücksicht, als Regenten, als Halbsouverains in völkerrechtlicher Beziehung und als Reichsstände zum Behufe der Reichsarmee die Militärgewalt. " Sie könnten "dieselbe nicht nur 1. für das Reichs- und Kreiskontingent, sondern auch 2. zu der Landesdefension und 3. nach dem ihnen zugestandenen Bündnisrechte ausüben ... "22. Hier bezeichnet Gönner die Reichsstände wieder als "Halbsouverains". Vor allem aber fällt auf, daß er, wies fast immer, von deren "Land" spricht, nicht von ihrem "Staat". Die Bezeichnung "Staat" vermeidet er für die Reichsterritorien weitgehend. Nur wenn er, wie beispielsweise in § 461, "Teutschlands eigentümliche Verfassung" hervorheben will, gebraucht er anschauungshalber das Wort "Staat": " ... daß man seine (Teutschlands) Theile nicht nur unter sich, sondern auch gegen auswärtige Völker als besondere Staaten und dennoch das Ganze als einen Staat zu betrachten hat23 ." Gönner folgt auf das konsequenteste Bodins grundsätzlichem Satz, nach dem ein staatliches Gebilde nur dann wirklich ein Staat ist, wenn er völlig souverän ist. Folglich sind für ihn auch die Reichsterritorien eigentlich keine "Staaten", trotz der Ausnahme, die Bodin einzig beim Reich und dessen "estats" machte und nach der sich auch Johann Jacob Moser richtete, als er die Reichsterritorien bei strikter Verneinung ihrer Souveränität dennoch als "Staaten" anerkannte und titulierte. Gönner ist also die Umkehr von Hegel. Hegel sagt "Deutschland ist kein Staat mehr"24, weil im Reich die Souveränitätsrechte praktisch alle bei den Reichsterritorien liegen und das Reich damit für ihn nicht souverain ist. Gönner dagegen vermeidet es möglichst, die Reichsterritorien als Staaten zu bezeichnen, weil diese auf Grund der Überordnung des Reiches nach seiner Ansicht nicht souverän sind. Beide, Hegel und Gönner, gehen also hauptsächlich von Bodins zentralem Leitpostulat "souverainete = estat" aus und berücksichtigen dessen Zugeständnis in bezug auf das Reich, dessen TerU 22
23
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Gönner, § 227, S. 547. Gönner, § 362, S. 603. Gönner, § 362, S. 779. Siehe oben S. 36.
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ritorien trotz Nichtbesitz der Souveränität ausnahmsweise "estats" zu nennen, nicht. Bei Zoll- und Münzrecht betont Gönner ganz besonders, daß sie "nicht im Inbegriff der Landeshoheit enthalten, sondern nur aus einer besonderen Verleihung der Reichsgewalt abzuleiten, daher kaiserliches Reservatrecht" seien. Obgleich der Kaiser selbst keine Münzen schlage, stehe es nur denjenigen zu, "welche es rechtmäßig erhalten oder sonst beständig hergebracht haben"25. Erst ganz zum Schluß erwähnt Gönner eines der bedeutendsten Rechte der Reichsstände, das Gesandtschaftsrecht (§ 473). Es wird mit wenigen dürren Sätzen abgetan. Die Stände hätten das Recht, "unter sich Gesandte zu schicken", sagt er 26 . Das ist alles. Damit endet das "Teutsche Staatsrecht" Nikolaus Thaddäus Gönners. Im ganzen 18. Jahrhundert hat es, außer den Werken Johann Jacob Mosers und J ohann Stephan Pütters, keine Schrift gegeben, die das Reich derart kompromißlos verteidigt, wie dieses Buch, das 1804 in Bayern erscheint. In seinem Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung mit der Souveränität, die Gönner allen Reichsständen, und damit auch seinem Landesherrn Kurfürst Max IV. Joseph, strikt abspricht. Souverän ist für ihn ganz allein das Reich. Aber Gönners "Teutsches Staatsrecht" kann den Lauf der Geschichte nicht aufhalten. Zwei Jahre später erlischt das Reich. Kaiser Franz H. legt am 6. August 1806 die Kaiserkrone nieder, nachdem 16 deutsche Staaten ihren Austritt aus dem Reich und ihre volle Souveränität erklärt haben. Sie sind Bundesgenossen des großen Siegers Napoleon, der ihnen - und sich - die "souverainete pleine et entiere" zum größten Geschenk macht. Frankreich weiß, daß diese Souveränität mit der Reichsverfassung unvereinbar ist. Eine wesentliche Rolle beim Zusammenbruch des Reiches spielt das größte süddeutsche Reichsterritorium, der neue "souveraine" Staat Bayern. Seine Geschichte wird in dieser Zeit fast allein von einem Mann gemacht, von dem leitenden Minister des neuen Kurfürsten, Maximilian Graf von Montgelas. Dreh- und Angelpunkt seiner Staatsauffassung und Politik ist die "souverainete" ist sein berühmtes Prinzip der Staatssouveränität. Hierüber ist weit über den Rahmen der bayerischen Landesgeschichtsforschung hinaus sehr viel geschrieben worden, jedoch wie sich bei näherem Hinsehen zeigt, noch nicht alles und zuweilen Ungenaues oder Unrichtiges. Vor allem über die Quellen und Ursprünge von Montgelas' 25
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GönneT, S. 653. GönneT, § 473, S. 791.
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Souveränitätsbegriff ist so gut wie nichts bekannt. Das folgende Kapitel versucht diese Lücke zu schließen. 4. Der Souveränitätsbegriff Maximilian von Montgelas' Der Aufstieg Bayerns vom Reichsterritorium zum modernen "Staat", der sich zu Beginn des 19; Jahrhunderts in einer sich zeitlich eng zusammendrängenden staatlichen Revolution von oben vollzieht, bedeutet die gewaltigste Wandlung in seiner Geschichte. Eingeleitet wird dieser Aufstieg von außen durch die Anlehnung an Frankreich, an Napoleon, der sie mit dem großen "Lastenausgleich" des Luneviller Friedens und Reichsdeputationshauptschlusses honoriert. Luneviller Frieden und Reichsdeputationshauptschluß berauben die Reichsverfassung ihrer realen Grundlagen; für Bayern und die anderen süddeutschen Mittelstaaten bringen sie jedoch die machtpolitische Voraussetzung zur Erreichung staatlicher Eigen- und Selbständigkeit: große territoriale Gewinne. Bayern, Württemberg und Baden gehen mit größter Intensität daran, zunächst in den neugewonnenen Provinzen die volle staatliche Vereinheitlichung (Regierungsgewalt, Verwaltungsorganisation, Staats- und Zivilrecht) durchzuführen, um diese dann auf die Stammlande zu übertragen. Das mit aller Energie angestrebte Ziel ist völlig unabhängige Staatsmacht, ist staatliche Geschlossenheit nach innen und nach außen. Man will es Preußen und Österreich gleichtun, wo die Einverleibung Schlesiens bzw. Böhmens und Ungarns den Prozeß der modernen geschlossenen Staatsbildung vorantrieb, man will ebenso selbständig und unabhängig werden wie diese. Was man will, wird mit am deutlichsten in München von dem geheimen Rat des Kurfürsten, von Zentner, formuliert: man hat die Absicht, endlich "aus der Unterordnung der deutschen Halbsouveraine in die Kategorie souveräner Fürsten sich zu erheben" 1. Dieses Zitat Zentners bestätigt voll und ganz die politische Relevanz von Gönners eben gezeigten Souveränitäts-Aussagen. Die größte Veränderung in der Geschichte Bayerns, sein Weg vom mittelalterlich strukturierten Reichsterritorium zum modernen Staat ist das Werk eines Mannes: Maximilian von Montgelas. Man darf wohl sagen, ohne sich der Gefahr ahistorischen Theoretisierens auszusetzen, daß die Geschichte Bayerns entschieden anders verlaufen wäre, hätte es ihn nicht gegeben, daß Bayern eine andere Gestalt hätte als die heutige, wäre nicht Montgelas in den entscheidenden Jahren der napoleonischen Ära die zentrale, alle beherrschende Persönlichkeit der bayerischen Politik gewesen. Sein Wirken dokUmentiert sich bis in die Gegenwart, er
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GSTA MA 11 1033, Zentner im Mai 1815.
4. Der Souveränitätsbegrüf Maximilians von Montgelas'
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ist - das Urteil Karl Theodor von Heigels gilt und wird immer gelten "der Schöpfer des modernen Bayern"!. Mit Recht stellt die große politische Biographie3 , die nach kleineren Ansätzen' jetzt endlich über Montgelas geschrieben wird, diesen an die Seite der beiden herausragenden preußischen Staatsmänner zu Beginn des 19. Jahrhunderts, Stein und Hardenberg. Die Breite des nahezu alle Lebensgebiete erfassenden staatlichen Werks Montgelas' hebt ihn noch über die beiden anderen hochbefähigten und ihm geistesverwandten süddeutschen Reformer hinaus: den badischen Freiherrn von Reitzensteinl und König Friedrich von Württemberg. Der Schlüssel zu Montgelas' Staatsdenken, aus dem heraus er Bayern mit Kühnheit und Festigkeit in die moderne Zeit hinüberführt, liegt in einem Wort, das in seinen zahllosen Denkschriften, Instruktionen und Briefen immer wieder auftaucht: dem Wort "souverainete". Michael Doeberl war der erste, der die zentrale Bedeutung des Begriffs der Souveränität bei Montgelas erkannte und deshalb seiner Herkunft und Verwirklichung näher nachzuspüren suchte. Auf seine Anregung erschien 1925 die Dissertation seines Sohnes, des Juristen Ludwig Doeberl: "Maximilian von Montgelas und das Prinzip der Staatssouveränität"8. Sie ist bis heute - neben dem Buch von H. H. Hofmann7 , das sich speziell mit der "Durchsetzung" des 1806 rechtlich souverän gewordenen Staates Bayern befaßt und besonders die Mediatisierung der fränkischen Reichsritterschaft untersucht - die einzige, immer wieder zitierte8 Arbeit geblieben, die sich mit dem Souveränitätsbegriff und -prinzip des berühmtesten bayerischen Staatsmannes beschäftigt. !
K. Th. v. Heigel: Montgelas, in: Allgern. Deutsche Biographie, Leipzig 1885,
S.203.
3 Eberhard Weis: Maximilian Graf von Montgelas, München, geplant in drei Bänden. Erscheinen des ersten Bandes im Herbst 1971. -Für die freundliche Gewährung der Einsichtnahme in das Manuskript des 1. Bandes möchte ich Herrn Prof. Weis noch einmal herzlichst danken. Bei Zitierungen aus diesem Band wird lediglich auf die entspr. Kap., nicht auf die Manuskriptseite verwiesen, da sich diese bei der Drucklegung ändern wird. , Siehe die Einleitung von Michael Doeberl zu den "Denkwürdigkeiten des Grafen Maximilian von Montgelas über die innere Staatsverwaltung Bayerns (1799 -1817)", hrsg. von LaubmannlDoeberl, München 1908; Ludwig Doeberl: Maximilian von Montgelas und das Prinzip der Staatssouveränität, München 1925; R. Graf Du Moulin Eckart: Bayern unter dem Ministerium Montgelas, Bd. I (1799 -1800), München 1895. 5 Zu ihm besonders Franz Schnabel: Sigismund von Reitzenstein, der Begründer des badischen Staates, Schriftenreihe der Akademischen Mitteilungen Heidelberg, 6. Bd., Heidelberg 1927. 8 Siehe Anm. 4. 7 H. H. Hofmann: Adelige Herrschaft, a.a.O. 8 So z. B. von K. v. Raumer: "Prefecture franc;aise", in: Spiegel der Geschichte, Festgabe für Braubach zum 10. 4. 1964, Münster 1964, S. 646, Anm. 35. Auf diesen Aufsatz Raumers kommen wir noch ausführlich zurück.
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Die Arbeit Ludwig Doeberls ist - dem Herkommen des Verfassers gemäß - zum überwiegenden Teil eine rechtliche bzw. rechtshistorische Untersuchung9 , weniger eine historische. Daraus ergeben sich ihre Stärken - klarer, systematischer Aufbau - aber auch großen Schwächen. Die größte Schwäche ist ihr spärliches Quellenfundament 10 , das zu Pauschalurteilen und teilweise falschen Blickwinkeln führt. So dürfte vor allem das persönliche Bild, das Ludwig Doeberl von Montgelas zeichnet - besonders hinsichtlich seiner Stellung und seinem Verhältnis zu Bayern - nach den Ergebnissen von E. Weis kaum mehr zu halten
sein l l .
Ebenso sehr ist wohl Ludwig Doeberls Urteil - das nicht nur sein Urteil allein, sondern auch das seines Vaters und im Grunde der gesamten bayerischen Geschichtsschreibung bis heute ist - hinsichtlich Montgelas' Stellung zu Deutschland und was sein deutsches Bewußtsein betrifft - zu ändern12. 9 die vor allem von den inneren staats- und privatrechtlichen Verhältnissen in Bayern ausgeht, wie sie sich seit Kurfürst Maximilian I. bIs zum "föderativen Territorialstaat" (S. 10) Karl Theodors, der sich Ende des 18.Jhs. immer noch in einem "zersplitterten Zustand", "ohne ausgeprägtes Staatsbewußtsein, ohne einheitliche Verwaltung und ohne einheitliches Recht, mit den schwersten Schäden und Mängeln in dieser Verwaltung und in der Rechtspflege" dasteht, entwickelt hatten (S. 10). Siehe diese gute zusammenfassende Einleitung, beginnend bei S. 6 "Der Staat, den Montgelas vorfand", bis zur Darstellung der privatrechtlichen wittelsbachischen Hausverträge (S. 11), als "Denkmäler der patrimonialen Staatsverfassung" in Bayern, im Gegensatz zu dem in Preußen unter Friedrich dem Großen bereits klar artikulierten "institutionellen Staatsgedanken". 10 Siehe E. Weis, a.a.O., Anm. 584: "Der Jurist Ludwig Doeberl hat überhaupt keine schwer lesbaren, vor allem keine von Montgelas' Hand geschriebenen Archivalien benützt." 11 So schreibt Doeberl über Montgelas' inneres Verhältnis zu Bayern: " ... als ein Fremder hat er sich wohl zeitlebens auf bayerischem Boden gefühlt. Er ist nicht warm geworden in der Eigenart des altbayerischen Volkes ... " (S. 5). Ganz anders dagegen Weis (vgl. Kap. 16: "Montgelas' Patriotismus"), nach dessen Forschungen dieses Urteil, gefällt aus der alleinigen Betrachtung der sehr nüchternen, zum Teil bitteren Rückschau der Memoiren, die Montgelas nach seinem Sturz verfaßte, zu revidieren ist. "Ich habe es mir zum Grundsatz gemacht, mich bei jeder Gelegenheit für das Ansehen des geliebten Vaterlandes einzusetzen", schreibt Montgelas am 15. April 1789 an seinen Freund Seinsheim. (Brief M.'s, zitiert bei Weis, Kap. 16.) Dieses geliebte Vaterland, "la chere patrie", ist Bayern, in das heimzukehren er sich von Herzen zurücksehnt, nachdem er als junger Hofrat, der zehn Jahre zuvor seine Rechtsstudien in Nancy, Strasburg und Ingolstadt abschloß, 1787 den von Korruption und Intriguen beherrschten Hof Karl Theodors in München verlassen hat und in die Dienste Herzog Karls H. (Karl August) von Zweibrücken getreten ist. Auch 1788 schreibt er, wie sehr er "mit Herz und Seele meinen Landsleuten zugetan" ist (zitiert bei E. Wels, ebenda), wobei sein bayerischer Patriotismus auch hier aus der politischen Frontstellung gegen den derzeit regierenden Kurfürsten von Bayern Karl Theodor entspringt und sich artikuliert. Fazit von Weis über Montgelas' Patriotismus: "Bayern, - das ist sein Vaterland, auf das er nichts kommen läßt." 1! Ludwig Doeberl sagt: "Er (Montgelas) kennt nur ein Mitteleuropa und ein System unabhängiger Staaten darin, das um Anerkennung und Geltung ringen
4. Der Souveränitätsbegriff Maximilians von Montgelas'
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Nach Weis' gründlicher Auswertung der persönlichen Korrespondenz und Unterlagen Montgelas' in dessen Hausarchiv in Schloß Egglkofen im heutigen Landkreis Mühldorf/lnn, und Forschungen in einer Reihe weiterer Hausarchive, verschwindet das Bild des "französischen" Ministers Montgelas, das in der bayerischen und deutschen Geschichtsschreibung bis dato immer wieder gezeichnet worden ist; das ihn, ganz von französischem Staatsgeist erfüllt, französisch denkend, fühlend und handelnd darstellt. Zwar hat Montgelas, wie seine Einstellung zur französischen Revolution zeigt, die ihn als liberal denkenden und urteilenden europäischen Politiker, Humanisten und Gegner jeder primitiven konservativen Reaktion ausweist, zunächst starke Sympathien für Frankreich. Jedoch nur bis zur französischen Kriegserklärung an Österreich (20. 4. 1792). Als die französischen Verhältnisse sich radikalisieren und Mongelas die Revolutionsarmeen aus der Nähe kennenlernt und von ihren Ausschreitungen hört, wandelt sich seine Einstellung grundlegend. Jetzt nennt er sie "Teufel" und wünscht ihnen das Schlechteste: "Ich hoffe, daß diese Verhältnisse unserer Deutschen vom französischen Traum (fraternite und liberte) heilen werden, und unter diesem Gesichtspunkt schadet es nichts, daß sie den Teufel aus der Nähe sehen13 ." Etwas später erklärt er angesichts des französisch-englischen Konflikts in den Kolonien: "Als Deutscher muß ich alles wünschen, was die Franzosen noch mehr in Schwierigkeiten versetzen und sie von meinem Vaterland fernhalten kann14." muß im Machtkampf zwischen Westen und Osten. Er kennt keine deutsche Nation, er empfindet kein deutsches Nationalbewußtsein. Er kennt nur den Staat und seine Idee ... " (S. 12). Den wohl besten Gegenbeweis hierfür liefert E. Weis mit der Zitierung eines Montgelas-Briefes aus dem Jahre 1789 (Brief v. 18.4. 1789 an Seinsheim, zit. bei Weis, Kap. 16), in dem dieser es ablehnt, nach Paris zu heiraten und einen Posten als Gesandter in der französischen Hauptstadt anzustreben: "Es wäre leicht gewesen, sich in dieser glücklichen Metropole des Reiches der Grazie, der Mode und der Perücken niederzulassen und dort mit dem ausgezeichneten Rang eines Diplomaten zu leben. Ich gestehe Ihnen indessen, daß mein persönlicher Geschmack dem widerstrebt, dort für immer meine Wohnung aufzuschlagen, da ich mich dazu nur im Rahmen größerer Gesichtspunkte entschließen könnte. Ich bin immer in der Seele Deutscher gewesen und werde es täglich mehr." ("J'ai toujours ete Germain dans l'äme et le deviens tous les jours d'avantage.") 13 Brief Montgelas' vom 10.1.1793 an Seinsheim, zitiert bei E. Weis, Kap. 17: "Montgelas' Haltung gegenüber der französischen Revolution." Als Montgelas am 3. April 1793 hört, daß etwa 10 österreichische Husaren in einem kühnen Handstreich die französische Besatzung von Homburg in Stärke von etwa 200 Mann im Handstreich überfallen und aus der Stadt gejagt haben, freut er sich darüber überschwenglich und preist die Tat, welche "nos Allemands" vollbracht hätten; sie schmeichele seinem "deutschen Patriotismus" sehr. In diesem Moment schwindet sogar seine Frontstellung gegen Österreich. (Briefe M.'s an Seinsheim vom 10.1. 93 und 4. 4.93, zitiert bei E. Weis, ebenda.) 14 Brief M.'s an Seinsheim vom 24. 1. 1793, zitiert bei E. Weis, ebenda.
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Diese Aussagen bringen eine ganze Menge Klarheit über Montgelas. Sicher müssen sie bei seiner Außenpolitik immer im Auge behalten werden, sowohl in den Jahren 1805 und 1806, als auch 1814 bis 1817. Sie stempeln die Allianz mit Frankreich zum reinen befristeten Zweckbündnis, um Bayern vor Österreich zu schützen und die Gelegenheit beim Schopf zu fassen, sich zu vergrößern. Montgelas' Politik richtete sich, obwohl er sie immer und zu allererst für Bayern machte, im Grunde doch niemals gegen Deutschland. Es gilt grundsätzlich zu unterscheiden zwischen der Person, dem Menschen Montgelas, der sich als Bayer, als Deutscher fühlt - und dem aufgeklärten Staatsmann Montgelas, der klar erkennt, daß die Verfassung des Reiches "mal etablie"15 ist, daß dieses in sich so sehr zersplitterte, nur dem Namen und seiner rechtlichen Verfassung nach noch existierende Deutsche Reich, dessen Führungsrnacht Österreich seinen kleineren Nachbarn Bayern am liebsten annektieren möchte, seinen Staat im Ernstfall eines Krieges keinen Schutz und Beistand gewähren kann. Deshalb ist er davon überzeugt, daß die innen- und außenpolitischen Verhältnisse Bayerns umgehend und grundlegend geändert werden müssen. Das Hauptgewicht liegt dabei zunächst ganz eindeutig auf der Innenpolitik. Sein Ziel ist der in sich geschlossene, bis ins letzte durchorganisierte moderne Staat Bayern, der von oben durch den Landesherrn bis in seine kleinsten Zellen zentral gesteuert werden kann. Der Fürst muß, das ist Montgelas' Grundanschauung, seinen Staat auf das festeste in der Hand haben, um wirkungsvoll Politik nach innen und nach außen machen zu können. Es ist die Elementarvoraussetzung zum staatlichen Überleben in dieser Zeit geworden. Die mittelalterlich-feudale, viel verästelte Herrschaftsstruktur Bayerns ist also schnellstens zu überwinden, auch wenn Bayern damit in Konflikt zum Reich gerät. Seherisch schreibt Montgelas am 15. Februar 1789 an Seinsheim: "Ich sehe seltsame Folgen voraus, wenn dies nicht eintritt. Sie wissen, daß meine Ansichten auf einem gewissen Überblick beruhen, der mich die Dinge in ein wenig größerem Abstand sehen und das Kommende manchmal richtig erraten läßt. Ich spreche für das Vaterland1'." Die Sätze sind dick unterstrichen. Damit sind wir bei Montgelas' Staatsauffassung, seinen politischen Zielen, und bei seinem berühmten Prinzip der Staatssouveränität. 15 Zitat aus dem Teil einer historischen Arbeit über die bayerische Kirchenund Staatsverfassung, im Geheimen Staatsarchiv München abgelegt unter der Signatur MA I 64 (künftig zitiert GSTA MA I 64). In "Chapitre septieme: De la forme de gouvernement". Es handelt sich bei diesem Dokument um 82 eigenhändig geschriebene Seiten. Die ersten 16 Paragraphen und der Schlußteil dieser Schrift, die nicht datiert ist, fehlen. E. Weis (Kap. 16) schließt auf Grund des Schriftbildes, daß sie wahrscheinlich aus den Jahren 1788/89 stammt. 18 Zitiert bei Weis, Kap. 16.
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Montgelas' "Systeme"
Das wohl Bemerkenswerteste und Faszinierendste an dem Staatsmann Montgelas ist, daß er - wie Kurfürst Maximilian I. - eine nahezu völlig fertige Persönlichkeit ist, als er die politische Bühne betritt; daß er, schon lange bevor er 1799 als leitender Minister Max IV. Josephs stürmisch begrüßt in München einzieht, ein klares Konzept hat, ein festumrissenes politisches Programm, nach welchem er Kurbayern zum einheitlich geschlossenen, straff zentralistisch regierten und auch nach außen möglichst völlig unabhängigen Staat innerhalb Deutschlands machen will. Schon 1789 schreibt er, daß seine Konzeption, wie dieses zu erreichen sei, bereits lange feststehe. Er nennt es sein System: "11 y a longtemps que j'ai forme mon systeme17." Ludwig Doeberls Wissen um dieses "System" Montgelas', das nicht auf der Kenntnis dieses so bezeichnenden persönlichen Ausspruchs des Ministers, sondern vielmehr auf dem Erkennen seines tatsächlich mit geradezu unheimlicher Präzision durchgeführten theoretischen Konzepts beruht, veranlaßte ihn, eingehender über dieses System nachzudenken und es zu erläutern zu versuchen. Das Resultat erwächst aus einem methodisch typisch juristischen Vorgehen: Das "Prinzip der Staatssouveränität" Montgelas' wird von Ludwig Doeberl nicht historisch von dessen Person selbst her untersucht, sondern fast ausschließlich, ausgehend von Georg Jellinek18, auf der Basis der von Frankreich ausgehenden neuen Staatsidee und Staatslehre rechts- und staatstheoretisch gedeutet. L. Doeberl stellt Montgelas in seinem Eingangskapitel, auf dem alles aufbaut, ganz auf die Plattform des "alles beherrschenden französischen Staatsgeistes" , er untersucht nicht Montgelas, sondern erklärt seine Zeit und stellt Montgelas hinein. Er schreibt: " ,Auf dem festen Grunde des französischen Staatsrechtes bildet sich die neue, gegenüber mittelalterlicher Verschwommenheit klare Lehre vom Staat und seiner Gewalt' (wörtliche Zitierung von G. Jellinek, S. 451). Frankreichs Theorie und Verwirklichung erst der Fürstensouveränität, dann der Volkssouveränität zeigt den Weg zur Vorstellung und Durchsetzung einer höchsten einheitlichen Staatsgewalt und Staatssouveränität und wird richtunggebend für die gesamte Staatsentwicklung. Das französische Vorbild und damit das Prinzip der Staatssouveränität werden bei der Neugestaltung Deutschlands nach dem Zusammenbruch des alten Reiches von besonderer und eigenartiger Bedeutung für die süddeutschen Territorialstaaten ...18." 17 Brief Montgelas' vom 27. 1. 1789 an Seinsheim, also noch vor Ausbruch der französischen Revolution. Zitiert bei Weis, Kap. 12. 18 Georg Jellinek: Allgemeine Staatslehre, a.a.O. 18 Ludwig DoeberZ: a.a.O., S. 2/3.
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Für L. Doeberl ist es also klar das französische Vorbild, nach dem der moderne bayerische Staat entsteht, das - so Doeberl - dem jungen Studenten Montgelas in Straßburg von seinem Lehrer Christoph Wilhelm Koch vermittelt worden sei2o • 20 "Nach Nancy und Straßburg führt ihn sein Studiengang. Frankreich sieht er dort, das Frankreich des 18. Jahrhunderts, wohl schon mit den Zeichen des Niedergangs, aber noch mit der Großartigkeit der staatlichen Organisation, die der allumfassende Absolutismus Ludwigs XIV. geschaffen. Und in der Straßburger Universität findet er einen Lehrer, der ihm die Grundlage dieses Staatsbaues, seine leitende Idee, den Staatsabsolutismus und die Staatssouveränität, theoretisch deutet ... , der die Staatskunst des ancien regime kennt, aber auch weiter schaut in eine neue Zeit mit neuen Ideen und Kräften: Christian Koch" (S. 5). Ludwig Doeberl übernimmt hier im Grunde das bereits von Du Moulin Eckart Gesagte (S. 64 ff.). Dieser fiotten Darstellung L. Doeberls, die Montgelas quasi zu einem Vollzieher Kochscher Gedanken macht (der angegebene Vorname Kochs ist überdies unrichtig, er heißt Christoph Wilhelm) widerspricht schon Weis: "Eindeutige Abhängigkeiten bei Ideen und überzeugungen lassen sich kaum beweisen" (Kap. 1). Zwar hat Montgelas, meint Weis, "wahrscheinlich etwas von Koch gelernt, das ihm später sehr nützlich war und das er vor allem bei der Abfassung seiner Denkschriften praktizierte, die Klärung historischer und gegenwärtiger Rechtsverhältnisse und die Untermauerung rechtlicher Ansprüche durch das Studium und die Interpretation älterer Urkunden und Akten." Das heißt, Koch verschaffte Montgelas also das methodische Handwerkszeug, die Fähigkeit, juristisch-staatsrechtliche und historisch-archivalische Argumentation miteinander zu verbinden. Mehr jedoch nicht. Auch in anderen sehr wesentlichen Dingen ist Ludwig Doeberls Urteil nicht genau und differenziert genug. So z. B., wenn er die beiden führenden bayerischen Staatsrechtler Feßmaier und Gönner einschränkungslos zu Kampfgefährten Montgelas' macht. Er schreibt: "Montgelas steht im Kampf um die moderne Staatsauffassung nicht allein. Mit ihm kämpft und wirbt der Geist der Zeit, die Staatsrechtswissenschaft und die publizistische Literatur. Mit den Worten ,Bayern ist ein Staat, die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen', leitet schon 1801 der Ingolstädter Professor Johann Georg Feßmaier, seinen Grundriß des baierischen Staatsrechts ein. Neben Feßmaier steht dessen Kollege an der Ingolstädter Universität Nikolaus Thaddäus Gönner" (S. 17). Feßmaier ist nicht der erste, der Bayern öffentlich rechtlich zum "Staat" erklärt und ein bayerisches Staatsrecht schreibt, nicht einmal sein Vorbild und Vorgänger Kreittmayr und dessen "Grundriß des Allgemeinen-, Deutschen-, und Bayerischen Staatsrechts". Vielmehr ist der "Ausländer" J. J. Moser, der so sehr bemüht ist, die Struktur des Reiches und seiner Territorien kenntlich zu machen, mit seinem "Churbaierischen Statsrecht" derjenige, der den "Staats"-Charakter Bayerns mit einem eigenen Staatsrecht zum ersten Mal öffentlich rechtlich fixiert, wie wir zeigten. Dabei weist er aber klar auf die überordnung des Reiches hin, die von Kreittmayr und Feßmaier bestätigt wird. Noch weniger ist Gönner vor 1806 ein Kampfgefährte Montgelas'. Die Grundtendenz seines streng unitarischen "Teutschen Staatsrechts" ist doch, daß er sich ganz deutlich gegen die Rechts-Proklamation eines "Staates" Bayern ausspricht, von der Abfassung eines bayerischen "Staatsrechts" deshalb nichts wissen will und auch die Existenz anderer Territorialstaatsrechte verurteilt, da es nur einen Staat, nämlich das Reich gebe. L. Doeberl interpretiert Feßmaier und Gönner wahrscheinlich deshalb einseitig und unrichtig, weil er sich offensichtlich weder den "Grundriß des baierischen Staatsrechts" noch das "Teutsche Staatsrecht" selbst angesehen hat. Er zitiert beide nur nach Sekundärliteratur, Feßmaier nach Pilotys Aufsatz, Gönner nach dem völlig überholten Johann Baptist Koch, Nikolaus Thaddäus von Gönners Staatslehre,
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Von diesen gesetzten Prämissen markiert L. Doeberl das von ihm erkannte "Prinzip der Staatssouveränität" Montgelas', das sich nach innen gegen jede Machtstellung des Feudalismug21 sowie auch gegen die patrimoniale Stellung des Fürsten selbst zugunsten des Eigenrechtes des Staates, des "ordre naturel de l'etat" richtet, und nach außen die völkerrechtliche "independance de l'etat" proklamiert. Fazit L. Doeberls: "Die Souveränität mit ihrer außen- und innenstaatlichen Auswirkung wird zum Sinnbild der Einheit von Montgelas' politischem System, in dem Innen- und Außenpolitik, innerer und äußerer Aufbau des Staates ineinandergreifen und sich wechselseitig bedingen, alles mit dem einen Ziel des souveränen Staates von europäischer Geltung" (L. Doeberl, S. 3). Dieses Ergebnis L. Doeberls ist richtig. Auch die Prämissen? Die globale Ableitung des Montgelasschen Souveränitätsbegriffes als vom französischen Staatsrecht herkommend erscheint zu verschwommen, nicht befriedigend. Man will es hier bei Montgelas, der sich immer wieder so überaus detailliert zur Souveränität äußert, ganz genau wissen und sich nicht mit diesem sehr allgemeinen Hinweis zufriedengeben, daß das französische Staatsrecht die gesamte Staatslehre Europas seit Beginn des 17. Jahrhunderts entscheidend beeinflußt hat. War J ean Bodin das direkte Vorbild für Montgelas' Souveränitätsbegriff? Dieser Frage ging der Verfasser der vorliegenden Arbeit nach. Die Antwort: Montgelas hat Jean Bodins Werk ganz sicher gekannt und gelesen. Eine vollständige Ausgabe der "Six livres de la Republique" von 1576 befand sich bis 1971 in seiner persönlichen Hausbibliothek auf Schloß Egglkofen 22 neben vielen anderen staatsrechtlichen und historischen Büchern. Leipzig 1902, wobei Gönner überhaupt nicht wörtlich zitiert, sondern nur konstatiert wird, daß aus seinen Schriften "die Ablehnung aller patrimonialen Auffassungen leuchte(t)" (S. 17). Das ist der ganze Beweis. Auch Feßmaier wird sicher überdeutet. So hat gewiß Piloty mehr Recht, wenn er zu Feßmaiers Satz "Baiern ist ein Staat" feststellt, daß Feßmaier dies lediglich "im begriffsdogmatischen Sinn" meint, eben als "die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen", und der nicht, wie L. Doeberl, hierin etwas "völlig Neues" (S. 17) sieht. !1 "Nicht allein gegen den Feudalismus wendet sich diese Staatsauffassung Montgelas', sondern auch gegen die patrimoniale Stellung des Fürsten selbst. Für eine Betrachtung des Kurfürstentums als fideikommißrechtlichen Hausbesitzes als Objektes privatrechtlicher Verfügung des Fürsten ist in diesem Staatssystem kein Platz mehr. Deutlich spricht es der Minister aus... Der Staat erscheint ihm als selbständiges, selbstberechtigtes Gemeinwesen, als Subjekt, nicht mehr als Objekt. Der Fürst wird zum Organ, zum Repräsentanten des Staates." L. Doeberl, S. 13. 22 Schloß Egglkofen in Egglkofen im Landkreis Mühldorf a. Inn wurde von dem Verfasser einmal besucht. Die gesamten privaten Aktenbestände Montgelas', die dort lagerten, sowie seine Bibliothek, wurden von E. Weis geordnet. Sie sind in den Besitz des Freistaats Bayern übergegangen und befinden sich jetzt in Münchener Archiven.
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Namentlich zitieren tut er ihn jedoch kein einziges Mal. Nun machten dies zwar Moser, Pütter, Kreittmayr, Feßmaier und Gönner, obwohl sie sich inhaltlich so deutlich an Bodin hielten, auch kaum, weil Bodins Kenntnis vorausgesetzt wurde und seine Ausführungen selbstverständliche Grundlage waren, aber angesichts der bei Montgelas sonst so überaus häufigen Literaturzitate, vor allem in den wichtigsten Denkschriften der 80er und 90er Jahre, in denen er immer wieder Namen nennt und sorgfältig auf seine Quelle verweist, ist dies doch merkwürdig. Bei der enormen Vielzahl der von Montgelas verfaßten staatsrechtlichen und historischen Denkschriften, sonstigen Abhandlungen und Gutachten - allein aus der Zeit bis 1799 gibt es über 60 in den Archivenzs, in denen er seine Auffassung zum Staat und zur Geschichte der Staaten unter den verschiedensten Aspekten ausführlichst oder auch nur skizzenartig darlegt - erscheint es zunächst überhaupt ziemlich hoffnungslos, in ihnen eine eindeutige Quelle, auf die sich seine Souveränitätsauffassung direkt gründen könnte, zu finden. So unwahrscheinlich groß ist seine Belesenheit, die sich in einer Skala der verschiedensten Namen, Zitate und Buchtitel höchst eindrucksvoll dokumentiert: beginnend bei Locke reicht sie über Martens24, J. J. Mosers Reichsstaatshandbuch25 bis zu Robertsons Geschichte Karls V., zur Deutschen Geschichte von Schmidt28 und dem bayerischen Historiker Lorenz Westenrieder. An letzterem und besonders an seinen "Beyträgen zur vaterländischen Historie"27 übt Montgelas schärfste Kritik. Sie erscheinen ihm patriotisch zu überspannt, zu engstirnig und nicht weitsichtig genug. Er bezeichnet solche Geschichtsschreibung als "Albernheit", mit der Bayern nicht ge!3 Sie waren bisher zum größten Teil unbekannt bzw. blieben ungelesen. da sie äußerst schwer zu entziffern sind (nur M. u. L. Doeberl zitieren einige Male aus dem sog. Ministerialnachlaß des Ministers, der im 19. Jg. an das Geh. Staatsarchiv München abgegeben wurde; jedoch nur aus denjenigen Schriften Montgelas, die nicht eigenhändig sind, sondern von Schreibern kopiert wurden). Von mir wurden die wichtigsten, die Thematik dieser Untersuchung möglicherweise berührenden, durchgesehen. E. Weis gibt im Anhang seiner Arbeit ein vollständiges Verzeichnis dieser Schriften. !C MaTtens: Droit des Gens, a.a.O., zitiert in MA I 64. !5 Mosers Reichsstaatshandbuch, 1763 -1768, S. 287 ff. wird von ihm ebenfalls in MA I 64 zitiert, jedoch nicht im Zusammenhang mit der Frage Landeshoheit/Souveränität, sondern mit einer Klage der Protestanten in der 1740 mit Bayern vereinigten Grafschaft Wolfstein beim Reichshofrat. !8 Michael Ignaz Schmidt: Geschichte der Deutschen, 5 Bde., Ulm 1778 - 1783. !7 In seiner Zweibrücker Zeit läßt sich Montgelas die meisten der auf die bayerische Geschichte bezogenen Werke schicken, darunter auch WestenriedeTs "Beyträge zur vaterländischen Historie, Geographie, Statistik und Landwirtschaft", 10 Bde., 1785 - 1810. Dabei gefällt ihm das, was Westenrieder zur "vaterländischen Historie" sagt, gar nicht: "Les Beyträge de Westenrieder sont un amas de rapsodies dont je ne me soucie pas!" schreibt er am 22. 12. 1789 an Seinsheim. Siehe Weis, Kap. 13 u. Anm. 596.
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dient sei28 • Montgelas hat von Beginn an Bayerns Geschichte immer als Teil der gesamtdeutschen Geschichte im Auge, und die deutsche Geschichte wiederum als Teil der Gesamtgeschichte Europas, wie er in seinen außenpolitischen Denkwürdigkeiten offenbart29 • Er selbst scheint sogar an die Abfassung einer modernen Weltgeschichte gedacht zu haben, einer "Histoire moderne", die von der Entdeckung Amerikas über den pyrenäischen Frieden und den Frieden von Oliva bis zur Gegenwart (1785) reichen sollte. Sie liegt im Konzept vor30 •
Als das Wichtigste der neuzeitlichen Geschichte bezeichnet er darin vor allem die Vielfalt und gegenseitige Verknüpfung der Ereignisse ("l'enchainement des evenements") sowie die Ausbildung und das Eigenleben der einzelnen Staaten. Diese hätten die "Barbaren"-Vereinigungen der alten Zeit, die nur "Verwüstungen" angerichtet hätten, gottlob abgelöst und seien nun "gesittete Nationen" geworden: "Jeder Staat hat eine feste Existenz angenommen, besteht aus sich selbst mit mehr oder weniger Glanz, ... jeder hat seine Erfolge und Mißerfolge, seine Momente von Größe, Verfall und Erniedrigung, die sich auf die Allgemeinheit ausgewirkt haben oder diesem Staate eigengeblieben sind. Diese Veränderungen, die sich im System der uns bekannten Welt zugetragen haben, zwingen uns, von jedem Staat im einzelnen zu sprechen31 ."
28 "Ich wünschte, daß unsere Gelehrten ihre Feder nicht verkauften für solche Albernheiten (fadaises). Wenn man es als gefährlich erachtet, eine Frage zu behandeln, so empfiehlt die Klugheit, davon nichts zu sagen. Aber die Vernunft und die Tugend fühlen sich gleichermaßen verletzt, wenn sie sehen, wie respektable Talente sich zu niedriger Schmeichelei hergeben." Brief vom 5. 2. 1788 an Seinsheim, zitiert bei Weis, Kap. 13. 21 Denkwürdigkeiten des bayerischen Staatsministers Maximilian Grafen von Montgelas (1799 - 1817). Im Auszug aus dem französischen Original übersetzt von Max Freiherrn von Freyberg-Eisenberg und hrsg. von Ludwig Grafen von Montgelas, Stuttgart 1887. Montgelas entwirft hier ein Bild von der gesamten politischen Geschichte Europas in dem Zeitraum seiner Regierung. Es ist eine kühle, nüchtern-sachlich abgefaßte historische Gesamtschau, in der er politische Vorgänge in der Türkei, in Spanien und den Niederlanden als genauso wichtig ansieht wie Ereignisse in Deutschland. Montgelas möchte mit diesen Memoiren offensichtlich der Geschichtsschreibung dienen. Im Gegensatz zu den außenpolitischen Denkwürdigkeiten tragen die innenpolitischen, die noch 1817, nach seinem Sturz, erschienen, Rechtfertigungscharakter. 30 Im Geheimen Staatsarchiv München, Sign. MA I 58 (GSTA MA I 58). Es handelt sich um ein 3seitiges Fragment, das, wie E. Weis (Kap. 13) meint, noch aus der frühen Zweibrücker Zeit vor 1789 stammt. Montgelas teilt die neuere Geschichte in folgende Perioden ein: 1. Von der Entdeckung Amerikas bis zum Frieden von Vervins 1598; 2. 1598 bis zum Frieden von Oliva 1660; 3. Vom Pyrenäischen Frieden und Frieden von Oliva bis zum Frieden von Rastatt 1714; 4. 1714 - 1763; 5. 1763 bis zur Gegenwart. 81 GSTA MA I 58.
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So immer die Gesamtgeschichte im Auge habend32 und immer den Blick auf alle neuzeitlichen Ereignisse in Europa und in der Welt gerichtet, sieht Montgelas Bayern, den Staat, in dem er lebt und für den er arbeitet, "auf dessen Interessen", wie er selbst sagt, "ich alle meine Studien abgestellt habe"33. Alles, was Montgelas aus Urkundenbüchern, historischer Literatur, Rechtshandbüchern und aufklärerischen Traktaten schöpft, ordnet er letzten Endes irgendwie in seine politische Arbeit für Bayern ein. Seine interessantesten Ausführungen zur verfassungsmäßigen Entwicklung Bayerns stehen im Fragment über die Kirchen- und Staatsverfassung Bayerns34 . Am Anfang hebt er die Lex Bavariorum hervor, die nach seiner Meinung in das 6. Jahrhundert zu datieren ist. Sie zeige, daß der Stamm der Bayern ein Bündnis mit den mächtigen Franken eingegangen sei, deren Gesellschaftszustand der gewesen wäre, daß das Lehenwesen und das Christentum den Fürsten entscheidende Instrumente in die Hand gegeben hätten, die "germanische Freiheit"35 zu beseitigen. Bayern sei auch in der Zeit der Karolinger und danach eine der bedeutendsten "Nationen" Deutschlands gewesen, von dem es nie mehr getrennt worden sei. 32 Wie intensiv sich M. immer mit der Geschichte beschäftigte, sie auszuwerten und aus ihr zu lernen suchte, hat E. Weis in einem eigenen Kapitel (Kap. 13: "Montgelas als Historiker") gebührend herausgestellt. "Die Geschichte galt ihm wie seiner Zeit als eine für die Praxis der Staatskunst unentbehrliche Sammlung von Erfahrungen." Sie war neben dem Staatsrecht Montgelas' "ureigenes Interessengebiet". "Wäre Montgelas als wohlhabender Bürgersohn geboren, so daß ihm der Aufstieg in die höheren Ränge der Staatsverwaltung, vor allem der Diplomatie, verschlossen gewesen wäre, so wäre er höchstwahrscheinlich von Beruf Historiker oder Staatsrechtler geworden." Montgelas war ein geschulter Urkunden- und Aktenforscher. Er verstand es ausgezeichnet, rechtliche Ansprüche aus dem Rohmaterial der Quellen heraus zu destillieren. In Zweibrücken, wie auch schon früher in München, hatte er bereits durch Bemühung ungedruckter Dokumente wie z. B. der Protokolle des Geistlichen Rats seit dem 16. Jh., der Landstände des 16. und 17. Jhs., und von Urkunden und Akten über die Beziehungen Bayerns zu Österreich und anderen Nachbarländern, seine staatsrechtlich-historischen Gutachten vorbereitet. Weis: "Wenige Staatsmänner haben so genau auf die laufende Ergänzung der Ordnung und Sicherung der Archive geachtet wie er." Alle wichtigen Aktenstücke legte er sorgfältig ins "depöt" (Archiv). Als Minister reorganisierte M. das gesamte bayerische Archiv-Wesen und verfolgte mit großer Aufmerksamkeit den Fortgang der Monumenta Boica, die er in seinen Gutachten oft zitiert (nach Weis). 33 Brief M.'s an Seinsheim v. 7. 9. 1793, zit. bei Weis, Kap. 13. 34 GSTA MA I 64. 35 Die Schwärmerei M.'s für die germanische Freiheit - die in dieser Jugendschrift vertretene überzeugung, daß die Stände die Garanten der Freiheit seien - währte jedoch nicht lange. Schon 1789 ergriff er eindeutig die Partei des Kurfürsten gegen die bayerischen Stände. In den Jahren 1799 -1807, als er sich mit den Landständen auseinandersetzte, sie entmachtete und auflöste, wird Montgelas froh gewesen sein, daß er diese Schrift nie hatte drucken lassen. Er hätte damit seinen Gegnern beste Argumente in die Hand gegeben. Weis: "Von der Freiheit der alten Germanen hat man ihn später nie mehr schwärmen hören" (Kap. 12). Siehe dazu auch Anm. 92.
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Die Eingliederung in das Reich Karls des Großen, meint Montgelas, hätte "keine Veränderung in der Verfassung" bewirkt, die Gesetze der Agilolfinger hätten weiter gegolten, obwohl Karl der Große mit Unterstützung des Klerus Mittel und Wege gefunden hätte, die Autorität des Herrschers und seiner Beamten zu mehren. Montgelas ist bemüht, die Beziehungen Bayerns zum Reich so objektiv wie möglich darzulegen. Die Übernahme der Regierung in Bayern durch das Haus Wittelsbach ("Serimissime Maison de Wittelspach") legt er in das Jahr 1180. Von einem alten Königtum der Agilolfinger und Luitpoldinger ist bei ihm niemals die Rede, hier geht er mit den diesbezüglichen Aussagen Kreittmayrs36 völlig einig. Die Gesetze Kaiser Friedrichs 11. von 1220 (confoederatio cum principibus ecclesiasticis) und 1231 (Statutum in favorem principum)37 werden von Montgelas hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Ausbildung der Landeshoheit eingehend gewürdigt: "Les chartes de Frederic 11., donnees en 1220 et 1232 en faveur des princes, leur confirment tous les droits compris sous le nom de superiorite territoriale, ils peuvent faire des lois, accorder des privileges, etablir des impöts, battre monnaye, sans que personne s'oposa38 ." Auch Montgelas weist darauf hin, daß die Landeshoheit sich nach und nach historisch entwickelt hätte, auf der Grundlage der vom Kaiser gewährten Rechte. Montgelas' Haltung gegenüber Kreittmayr ist übrigens sehr interessant. An seinem "Codex" übt er scharfe Kritik, und zwar im Zusammenhang mit einer äußerst heftigen Attacke gegen Westenrieder, der im Jahre 1787 in einer Rede mit dem Titel "Welches waren die Grundursachen der in Bayern gestifteten Abteien"? die Klöster verteidigt hat. Montgelas regt sich über diese Rede ungeheuer auf und polemisiert dabei auch gegen Kreittmayr, aus dessen Anmerkungen zum Codex Westenrieder geschöpft hat. Er bezeichnet Westenrieders Rede als "die platteste Sache, die je geschrieben worden ist, weder Ordnung noch Folgerichtigkeit besitzt, keine Verknüpfung der Gedanken, schlecht ausgewählte und noch schlechter dargestellte historische Fakten, lächerliche Schmeicheleien, die Wort für Wort aus den Anmerkungen zum Codex Kreittmayrs geschöpft sind, aus diesem Werk, das juristisch abscheulich, politisch noch schlechter ist" ("ouvrage detestable en jurisprudence, plus mauvaise encore en politique")39.
38 Siehe dazu unser Kapitel über Kreittmayr. 37 Dazu unter der neueren Literatur, bes. Klingelhöjer, Winkelmann, Schra-
der. 38 39
GSTAMAI64. Ebenda.
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Kreittmayr ist zu dieser Zeit noch Staatskanzler in Kurbayern. Im Gegensatz zu diesem sehr scharfen Urteil über den "des 18. Jahrhunderts unwürdigen"40 Codex, das der aufstrebende, aufgeklärte Staatsmann Montgelas - der im April 1787 Kurbayern und den korrupten Münchener Hof verlassen hat und nun als Legationsrat beim Departement der auswärtigen Geschäfte in Zweibrücken tätig ist - fällt, steht jedoch seine Haltung zu Kreittmayrs "Allgemeinen, Deutsch- und Bayerischen Staatsrecht". Gegen dieses Werk, in dem Kreittmayr so wichtige und zentrale Aussagen zur Frage der Souveränität Bayerns und der anderen Reichsterritorien gegenüber dem Reich macht, findet sich kein Wort des Widerspruchs. Montgelas nennt es einige Male. Das Wort "souverainete" - oder "majeste", wie Montgelas auch gern sagt - fällt jedoch auch hier nicht, ebenso wie bei den Dutzenden anderen Autoren - Staatsrechtlern, Philosophen, Historikern -, die er in seinen Denkschriften zitiert. Er nennt es, wie der Verfasser der vorliegenden Arbeit beim Durchsehen aller erreichbaren Denkschriften und Abhandlungen Montgelas' feststellte, nur im Zusammenhang mit einem Autor. Diesen preist er jedoch in geradezu überschwenglicher, enthusiastischer Weise, was bei dem sonst so kühlen, kritischen und sachlichen Montgelas überaus ungewöhnlich ist. Es ist der Schweizer Staats- und Völkerrechtler Emer de Vattel, und der Titel seines Buches lautet: "Les Droit des Gens ou principes de la Loi naturelle, appliques a la conduite et aux affaires des nations et des Souverains", 1758 ("Völkerrecht, oder Prinzipien des Naturrechts, angewendet auf die Führung der Nationen und die Angelegenheiten der Souveraine überhaupt"). Montgelas verneigt sich geradezu ehrfürchtig vor Vattel und zollt ihm allerhöchstes Lob: "Cet excellent auteur etablit d'une manü~re lumineuse les principes des droits de Majeste." ("Dieser Autor stellt in leuchtender Weise die Prinzipien und Rechte der Souveränität heraus.")
Montgelas und Emer de Vattel Dieses Zitat findet sich in einer der berühmtesten Denkschriften Montgelas', dem 118 Seiten langen, historisch-staatsrechtlichen "Memoire instructif sur les droits des Ducs de Baviere en matiere Ecclesiastique"41, das der 30jährige Montgelas im Jahre 1789 in Zweibrücken verfaßt. Bestimmt für seinen Herzog als zukünftigen Erben Bayerns, enthält es die wichtigsten staatspolitischen Fernziele Montgelas': Mediatisierung der Bischöfe, Säkularisierung eines großen Teils der bayerischen Klöster, 40 So urteilt er über den Codex in einem Brief vom 5. 2. 1788 an Seinsheim, zitiert bei Weis, Kap. 13. 41 Im Geheimen Staatsarchiv München unter der Sign. MA I 54, im folg. zitiert GSTA MA I 54.
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Fortsetzung und Verstärkung der kirchenpolitischen Maßnahmen des Kurfürsten Max IH. Joseph mit stärkster Kontrolle des Klerus, seiner Ausbildung, des Kirchenguts, Unterrichts, seiner Beziehungen zu Rom, etc. - durch den souveränen Staat. Montgelas nennt Vattel in dieser Denkschrift einige Male im Zusam~ menhang mit "Souverainete". Die Begeisterung, mit der er dies tut, veranlaßte den Verfasser der vorliegenden Arbeit, sich näher mit dem Verhältnis Montgelas' zu Vattel zu befassen und durch Vergleich von Montgelas' Denkschriften mit dem zitierten Buch Vattels nach seiner Beziehung zu dem Schweizer Staats- und Völkerrechtler zu forschen. Das Ergebnis ist wirklich verblüffend. Montgelas übernimmt nicht nur sein staatspolitisches Konzept gegenüber der Kirche völlig von Vattel - er schreibt ihn, wie gezeigt werden wird, passagenweise wörtlich ab -, sondern baut seine gesamte Grundauffassung zum Wesen des Staates und zur Souveränität, die er in seinen Denkschriften niederlegt, zum größten Teil auf Vattel auf. Die Anlehnung Montgelas' an Vattel ist so augenfällig und frappierend, daß man ohne Übertreibung sagen kann: Vattels "Droit des Gens" war Montgelas' wichtigstes Staatshandbuch, war sein Souveränitätsführer, dem er mit größter Konsequenz folgte und in die Praxis umsetzte. Es war das Buch, dem er sein vielzitiertes "Prinzip der Staatssouveränität" entnahm. Montgelas' berühmtes inneres Souveränitätspostulat: "Toute autorite reside dans le corps de la nation"42 und seine gedankliche Entwicklung hat nirgend woanders seinen Ursprung. Man darf sagen: Nach dem Inhalt von Vattels "Droit des Gens" konzipierte und vollzog Montgelas zum größten Teil den Aufbau des modernen bayerischen Staates. Es ergibt sich hier eine ganz merkwürige Parallele zu Bayerns größtem Kurfürsten Maximilian 1., der seine Regierungsleitsätze der Staatsräson den "libri sex" des Holländers Lipsius 43 entnahm. Die vierbändige Ausgabe von Vattels "Droit des Gens" von 1758, die Montgelas zur Vorlage diente, stand bis 1971 in seiner Bibliothek auf Schloß Egglkofen. Es gibt sicher kein Buch, das er eifriger las und studierte, das für sein Leben größere Bedeutung hatte. Die Bedeutung des Schweizer Völkerrechtlers Vattel für die Geschichte Bayerns durch seinen großen Einfluß auf Montgelas, den Schöpfer des modernen bayerischen Staates, blieb der Geschichtsforschung bisher völlig verborgen. Das ist angesichts der äußerst schwer lesbaren handgeschriebenen Denkschriften Montgelas' kaum ein Wunder. Der Grund liegt aber auch in der in GSTA MA I 64. Siehe oben unser Kap. über Maximilian I. Die "Libri sex" des Justus Lipsius besaß Montgelas übrigens auch, wie seine Bibliothek in Schloß Egglkofen, zeigte. Sie standen dort neben Macchiavelli, Bodin, Bacon, Grotius, Pufendorf, Hobbes u. v. a. 42
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8 Quint
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Person Vattels, der bis dato sowohl von der Rechts- als auch der Geschichtswissenschaft kaum bemerkenswert beachtet worden ist. Liefern wir also den Beweis für unsere Behauptungen, fragen wir zunächst: Wer warVattel? Vattels Todestag jährte sich 1967 zum 200. Male". Forscht man nach Leben und Werk des Schweizer Juristen, so ergibt sich als wohl bemerkenswertestes Ergebnis: Vattel war zu seiner Zeit wissenschaftlich kaum sehr bekannt und wurde es auch später nicht, er war so etwas wie ein Außenseiter. Dennoch, ja gerade deshalb hatte sein Werk, das den Souveränitätsbegriff in den zentralen Mittelpunkt stellt46 , Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf die Geschichte Europas und seiner Staaten, vor allem aber auch Amerikas, bedeutendste Auswirkungen, die erst jetzt allmählich erkannt zu werden beginnen46 , es in ihrem ganzen Umfang jedoch wohl längst noch nicht sind41 • Der am 25. 4. 1714 im neuenburgischen (Neuchätel) Couvet geborene Vattel war Schüler des großen Aufklärers Christian Wolff, dessen Werk, ausgehend von der Societätsphilosophie des 17. Jahrhunderts und aufbauend auf der geistesgeschichtlichen Emanzipation der Rechts- und Staatsphilosophie vom kirchlichen Dogma, ein Recht proklamierte, das direkt der Natur des Menschen entstamme und auf rein vernunftmäßigen Wege zu erkennen sei46 • Im Gegensatz zu Wolff, der allein auf dem Naturrecht seinen Staat aufbaut, basierend auf der Vernunft und sittlichen Verpflichtung aller ihm angehörenden Menschen, die den Staat schaffen, stellt Vattel jedoch neben dem Naturrecht die politischen Gesetze weit mehr in den Vordergrund. Er ist hinsichtlich der Vernunft und Moral des Menschen nicht so optimistisch wie Wolff. Vielmehr zeigt er sich sehr stark von Bodin beeindruckt, hält den einzelnen Menschen für unvollkommen und ist der festen 44 Siehe zu diesem Anlaß die Würdigung von Johannes J. Manz: Emer de Vattel, Gedanken zu seinem 200. Todestag, in: Neue Züricher Zeitung v. 16. Dez. 1967,2. S. mit vielen Anmerkungen. 46 Paul Guggenheim: Emer de Vattel und das Völkerrecht, Einleitung zur deutschen Ausgabe des "Droit des Gens" in der Serie Klassiker des Völkerrechts, Tübingen 1959, S. XVI: "Vattel verleiht dem Souveränitätsbegrüf eine zentrale Stellung." 48 Guggenheim, ebenda und Manz, a.a.O. Bewiesen ist u. a. bereits, daß Vattels "Droit des Gens" bei der Abfassung der ersten amerik. Verfassung und der Unabhängigkeitserklärung der USA die grundlegende Vorlage war. Siehe auch Anm. 55. 47 Die historische Bedeutung Vattels brachte der franz. Jurist Albert de Lapradelle schon 1914 auf den kurzen und prägnanten Nenner: "Vattel, ecrivain qui, discretement, n'occupe pas l'histoire de sa personne, mais silencieusement, de son oeuvre." Es werde schwer sein, die überaus große Wirkung und Tragweite von Vattels Werk ganz zu erfassen. Zitiert bei M. Beguelin: En Souvenir de Vattel, Neuchätel1929, S. 3. 48 Guggenheim: a.a.O., S. XXIV f.
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Überzeugung, daß ein Staat allein von der Basis des Naturrechts aus nicht regierbar und existenzfähig ist,g. überhaupt stellt Vattel immer mehr fest, daß das vielbändige Werk seines Lehrers, nach mathematischen Grundsätzen aufgebaut und in lateinischer Sprache abgefaßt, sich gar nicht für die Bedürfnisse der Praxis eignet5o • Ein Lehrbuch des Völkerrechts soll jedoch nach seiner Meinung hauptsächlich der praktischen Politik dienen. Sein Ziel ist deshalb kein wissenschaftliches Lehrbuch, sondern ein leicht faßliches Handbuch für den Praktiker: "Le Droit des Gens est la Loi des Souverains. C'est pour eux principalement et pour leurs ministres, qu'on doit l'ecrire51 ." Trotz der starken Beeinflussung durch den von ihm wiederholt zitierten Bodin, die sich in der zentralen Betonung der "souverainete" ausdrückt, unterscheidet sich Vattel von diesem jedoch in zwei sehr wesentlichen Punkten. 1. Der aufgeklärte Schweizer weist die Souveränität nicht zuerst dem Fürsten (princeps) zu, wie Bodin, sondern primär dem Staat, für den der Fürst zu sorgen hat. Hier ergeben sich bei ihm eindeutige Bezüge zur Lehre der Staatsräson des Justus Lipsius. 2. Er stellt dem Begriff der "souverainete" nicht alle die unbedingten Prämissen voraus, wie Bodin es tut, sondern erklärt aus seiner naturrechtlichen Grundauffassung, die er von Wolff übernimmt, alle Staaten der Welt, die sich als unabhängig und souverain empfänden, auch tatsächlich als "natürlich souverain": "Chaque Etat Souverain se pretend et est effectivement independant de tous les autres52 ." Wobei Vattel konzediert, daß diese Unabhängigkeit vom objektiven Standpunkt verschieden eingestuft werden kann. Für ihn gibt jedoch das "natürliche" Empfinden der einzelnen Staaten den Ausschlag. Durch diese naturrechtliche Plattform, auf die der von echt schweizerischem Drang nach Freiheit und Gerechtigkeit erfüllte Vattel53 die Souveränität stellt, ist er zweifellos ein Vorläufer des positiven Rechts. Von diesen Überlegungen ausgehend, konzipierte und schrieb Vattel sein "Droit des Gens", das 1758 zum ersten Mal erschien. Es war ein Buch, " "La loi naturelle, peut-elle porter la societe a la perfeetion, sans le seeours des lois politiques? 11 est demontre que, dans l'etat aetuel ou se trouve le genre humain, la loi naturelle ne peut porter la societe a la perfeetion, sans le seeours des lois politiques." Vattel: Le Loisir philosophique, 1747, S. 89. so Genannt sei hier insbesondere das "lus Gentium Methode Scientifica Pertraetatum", neuer Abdruck in "Classies of International Law, 2 Bde., Oxford und London 1934. 11 Vattel: Prefaee, S. XXIII. Dieses und alle weiteren aufgeführten Zitate aus dem "Droit des Gens" sind entnommen der Originaltextausgabe 1758, Photodruck der Carnegie Institution of Washington, Washington 1916. 52 Vattel: Prefaee, S. XVII. S3 Vattel: Prefaee, S. XXVI sagt stolz: "Je suis ne dans un pays dont la Liberte est l'ärne, le tresor et la Loi fondamentale: Je puis etre eneore, par ma naissanee, l'ami de toutes les Nations."
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das "ohne nennenswerten Einfluß auf die Völkerrechtsdogmatik blieb"54, die Theoretiker verhielten sich ihm gegenüber - weil es ihnen nicht wissenschaftlich genug erschien - mit wenigen Ausnahmen ablehnend; kein namhafter Völkerrechtler stützte sich auf seine Einsichten. Dennoch wurde Vattels Buch ein großer, ja sensationeller Erfolg. Es erlebte 21 Auflagen im französischen Originaltext, 23 übersetzungen ins Englische, sechs ins Spanische, eine ins Deutsche und eine ins Italienische55 . Das Werk, das sich durch klare und allgemein verständliche Behandlung des Stoffes auszeichnete, wurde begeistert gelesen; es blieb nicht, wie so viele andere, auf die stille Gelehrtenstube beschränkt, sondern gelangte in die weite Öffentlichkeit. Es wurde ein Buch der Staatspraxis, genau, wie es Vattels Ziel war; vor allem Staatsmänner, Diplomaten und Schiedsrichter lasen es. Welchen Wert es für diese gewann, beschreibt Robert von Mohl so: "Es (Vattels "Droit des Gens") gilt bei Diplomaten und namentlich bei Consuln als eine Art von Orakel, wird nicht selten, sogar in Staatsschriften, als ein unbeantwortbarer Beweis benutzt56 ." Vattel nennt sein Völkerrecht auch "Völkernaturrecht"57. Denn, so sagt er, jeder Staat, ob groß oder klein, erkenne kein anderes als nur das ihm von der Natur eingesetzte Recht an; jedem Staat müsse es gestattet sein, sich seiner Natur nach zu dem zu entwickeln, dessen er fähig sei. Jeder Staat habe die gleichen Rechte. Diesem Grundsatz von der natürlichen Gleichheit und Unabhängigkeit entspringt mit selbstverständlicher Konsequenz sein Souveränitätsprin54 Manz: a.a.O. 55 Siehe Arthur Nußbaum: A Concise History of the Law of Nations, New York 1947, S. 163. Vattels Erfolg war von Anfang an besonders groß in den Vereinigten Staaten von Amerika. Den Gründern der jungen, nach Unabhängigkeit strebenden Nation paßte Vattels klare Stellungnahme und seine naturrechtlich begründete Souveränität genau ins Konzept. Das "Droit des Gens" wurde nach den Worten eines amerikanischen Völkerrechtlers zu einem "textbook in American colleges" und zur "favorite authority of international law". Benjamin Franklin dankte einem europäischen Verleger, der ihm 1775 drei Ausgaben des "Droit des Gens" Vattels gesandt hatte, mit den Worten: "It (the book) came to us in good season, where the circumstances of a rising state make it necessary frequently to consult the law of nations." In amerikanischen Gerichtsverfahren wurde Vattel von allen Klassikern des Völkerrechts weitaus am meisten erwähnt, nach einer Zusammenstellung von Edwin D. Dickinson in der Zeit von 1789 bis 1820 zehnmal häufiger als Grotius, Pufendorf und Bynkershoeck. Siehe Nußbaum: a.a.O., S. 161. 58 Robert von Mohl in seiner Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, Bd. I, S. 386. Mohl weist am ausführlichsten auf die Diskrepanz der wissenschaftlichen Ablehnung und der überragenden praktischen Bedeutung Vattels hin. 67 Vattel: Preface, S. XIII: "Les Nations ... ne reconnoissant entr'elles d'autre Droit que celui-Ia meme qui est etabli par la Nature ... De cette maniere, le Droit des Gens appartient certainement au Droit de la Nature: C'est pourquoi on l'appelle Droit des Gens Naturei, en egard de son origille .. 0"
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zip: "La puissance ou la faiblesse ne produisent a cet egard (der Gleichheit) aucune difference. Un nain est aussi bien un homme au'un geant: une petite Republique n'est pas moins un Etat souverain le plus puissant royaume. Par une suite necessaire de cette egalite, ce qui est permis a une nation, l'est aussi a toute autre et ce qui n'est pas permis a l'une ne l'est pas non plus a l'autre ... Toute nation qui se gouverne elle-meme, sans aucune dependance d'aucun etranger est un Etat souverainS8 ." Diese und andere Thesen Vattels sind in der Regel allgemein und grundsätzlich gehalten. Hat man jedoch sein Buch ganz gelesen, so ist offensichtlich, daß er, wenn er konkrete Beispiele bringt, besonders in eine Richtung zielt: in Richtung auf das Deutsche Reich. Vattel postuliert die Souveränität der Reichsterritorien, die für ihn von seinem naturrechtlichen Grundansatz her, "etats souverains" sind, ungeachtet des Reichsüberbaus, der für Bodin ausschlaggebend ist. Bodin, der sich eingehendst mit der historischen Entstehung der Verfassung des Reiches und ihrer Kompliziertheit auseinandergesetzt hatte, konnte die Souveränität weder dem abhängigen Kaiser noch den untergeordneten Reichsterritorien, sondern nur dem Reichstag als verfassungsgebendem Gremium des Reiches zuerkennen. Vattel ist anderer Meinung. Für ihn, der das Reich zwei Jahrhunderte später betrachtet, sind die Reichsterritorien für sich völlig normale, natürlich existierende Staaten wie alle anderen auch, die sich selbst regieren und mit anderen Staaten in völkerrechtlichen Beziehungen stehen. Damit sind sie souverän, Kaiser und Reich beeinträchtigen ihre Souveränität nicht. Der Kaiser nimmt für Vattel höchstens den "ersten Platz unter Gleichberechtigten" ein, mehr auf keinen Fall. Er stellt fest: Wenn die deutschen Kaiser, fast alle aus dem Hause Österreich stammend, lange Zeit das Recht auf Führung des Titels "Majestät" als ausschließliches Recht der Kaiserkrone beansprucht hätten, so hätten die Könige "mit Recht" entgegnet, "es gebe auf Erden nichts Höheres und Vornehmeres als ihre eigene Würde; sie verweigerten die ehrende Anrede Majestät jedem, der sie ihnen verweigerte"59. Vattel meint mit "Rois" vor allem Preußen, für das er sehr viel übrig hat, für Österreich, den großen, bedrohlichen Nachbarn der Schweiz, dagegen herzlich wenig. "Die Annahme der Königswürde" , zitiert er aus 58
Vattel: Livre I, chapitre I, § 4, S. 18.
"Quelques uns voudroient foire envisager la Preseance de l'Empereur comme quelque chöse de plus qu'une premiere place entre egaux, lui attribuer une superiorite sur tous les Rois ... Les autres Etats ont ete en garde contre ces pretentiones." (Vattel: Livre II, chap. II, § 40.) "Le titre de Majeste est consacre par l'usage aux Monarques qui commandent a des grandes Nations. Les Empereurs d'Allemagne ont longtems pretendu se le re server, comme appartenant uniquement a leur couronne Imperiale. Mais les Rois pretendirent avec raison, qu'il n'y avoit rien sur la terre de plus eminent, de plus auguste que leur Dignite: Ils refuserent la Majeste, a qui la leur refusoit." (Vattel: Livre II, chap. III, § 44.) 59
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den Denkwürdigkeiten des Hauses Brandenburg, "befreite das Haus Brandenburg vom Joch der Knechtschaft, das das Haus Österreich allen Fürsten Deutschlands auferlegt hatte. Sie war eine Mahnung, deren sich Friedrich IH. bediente, um seinen Nachkommen zu sagen: Ich habe Euch einen Titel verschafft, zeigt Euch dessen würdig. Ich habe den Grund zu Eurer Größe gelegt, an Euch ist es jetzt, das Werk zu vollenden60 ." Das besondere Interesse Vattels für das Reich, seine Sympathie für Preußen und seine offenkundige Antipathie gegen Österreich kommen nicht von ungefähr. Der junge Schweizer, der Anfang der vierziger Jahre sein Studium der Jurisprudenz und Philosophie in Genf abgeschlossen hatte, war ja als Neuenburger Unterthan Friedrichs 11. von Preußen, gemäß der damals geltenden Personalunion. 1742 reiste er quer durch das Reich an den preußischen Hof, in der Hoffnung, dort in den diplomatischen Dienst aufgenommen zu werden61 • Sein Wunsch erfüllte sich zwar nicht, dennoch aber fand er die gewünschte Stellung: auf Einladung des ihm wohlgesinnten Grafen Brühl wechselte er nach kurzer Zeit von Berlin nach Dresden über, an den Hof Augusts von Sachsen. Die kurfürstlich sächsische Kanzlei machte dort in immer höherem Maße von seinen Kenntnissen Gebrauch. 1749 wurde Vattel als Ministerresident des Kurfürsten von Sachsen nach Berlin gesandt. Allerdings hatte er dort wenig zu tun, so daß er den größten Teil seiner Zeit in Neuchätel verbrachte, sich philosophisch und literarisch betätigend. In neun Jahren schrieb er dort die wichtigsten seiner Werke, insbesondere sein "Droit des Gens". Das Buch entstand unter großen Entbehrungen. Sachsen war als Folge des siebenjährigen Krieges in einer sehr schlechten Finanzlage, so daß Vattels Salär oft verspätet oder gar nicht eintraf, und er sich verschulden mußte. Die schwierige Lage endete erst, als ihn König August IH. von Sachsen 1760 nach Dresden zurückberief, ihn als Sonderberater im Kabinett einstellte und schließlich in führender Position mit der Abwicklung der auswärtigen Angelegenheiten betraute62 • Das gab ihm Gelegenheit, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, ausgerüstet mit seinem eigenen Droit des Gens. Er genoß bald größtes Ansehen am sächsischen Hof und allen anderen europäischen Höfen, mit denen Sachsen verkehrte und schrieb 1763 glücklich an seine Familie: "J'ai la satisfaction de voir, 80
"La Royaute... tira la Maison de Brandenburg de ce joug de servitude
Oll la Maison d'Autriche tenoit tous les Prinees d'Allemagne. D'etait une amoree que Frederie IH. jettoit ä toute sa posterite, par laquelle il sembloit
lui dire: Je vous ai aequis un titre, rendez-vous en digne; j'ai jette les fondemens de votre grandeur, e'est ä vous d'achever l'ouvrag." Vattel: Livre H, Chap. HI, § 41. 11 Siehe Beguelin: En souvenir de Vattel, Neuchätel1929, S. 15; Vattel hoffte darauf auf Grund einer von ihm verfaßten Verteidigungsschrift für Leipniz, die in Preußen sehr beüällig aufgenommen worden war. e! Siehe Lapradelle: a.a.O., Introduction S. V.
4. Der Souveränitätsbegrtlf Maxirnilians von Montgelas' que toute la cour, le public et les cours etrangeres applaudissent confiance, que nos souverains me temoignent63 ,"
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Als Vattel diesen Brief schrieb, sollte er jedoch nur noch vier Jahre leben. Seine infolge der langjährigen Entbehrungen geschwächte körperliche Konstitution war den vielen verantwortungsvollen Funktionen und der damit verbundenen Arbeitsbelastung nicht gewachsen. Mit erst 53 Jahren, am 28. Dezember 1767, starb Emer de Vattel, den seine Umwelt stets als edelgesinnten, vornehmen, klugen und weisen Menschen geschätzt hatte64 , während eines Erholungsurlaubs in seiner Heimat Neuchatel. Man braucht keine große Phantasie, um sich vorzustellen, wie sehr dem jungen, aufstrebenden Staatsmann Montgelas dieser freiheitliche, aufgeklärte Denker Vattel und sein außergewöhnliches Werk gefallen haben muß. Vattels klare Fixierung der souveränen Staatsgewalt, seine Proklamation der Gleichheit und Gleichberechtigung aller Staaten, sein engagiertes Eintreten für die Reichsterritorien als unabhängige Staaten wie alle anderen in Europa, und seine scharfe Gegnerschaft gegenüber Österreich, dem größten Feind Bayerns - all das entsprach ja genau den Vorstellungen und Gedanken Montgelas'. Wie vollständig erfüllte Vattels Anliegen, die Wissenschaft "nicht in der Gelehrtenstube vermodern zu lassen", sondern "in die Praxis hinauszutragen und Staatsmänner und Diplomaten damit vertraut zu machen"G5", die Forderung Montgelas' an "die pedantischen Akademiker", ihre Zeit nicht mit "überflüsisger" Theoretisiererei zu vertun", sondern sich vielmehr "mit der wahrhaft nützlichen Gelehrsamkeit zu befassen"GG. Wer Montgelas' Blick auf Vattellenkte, ob er überhaupt von jemand anderem auf das "Droit des Gens" aufmerksam gemacht wurde, oder ob er ganz allein, mit seinem untrüglichen Sinn für das Wesentliche und Praktische, dieses Buch sofort als das für seine Zwecke beste erkannte, kann nicht genau gesagt werden. Möglich ist, daß schon Ickstatt, die "graue Eminenz" am Hofe Max III. Joseph, der ja ein bekannter Anhänger und Schüler Wolffs war, auch Vattel in München bekanntmachte. Möglich ist natürlich auch, daß Montgelas selbst im Verlaufe seiner Studien bei Christoph Wilhelm Koch in Straßburg mit Vattel in Berührung kam. es Zitiert bei BegUlHin: a.a.O., S. 30. " So schrieb Hennin an Voltaire in einem Brief vom 21. Juni 1766 über Vattel: "En arrivant hier de Ferney j'ai trouve ici un de mes anciens amis qui a, je crois, l'honneur d'etre connu de vous; c'est M. Vattel, auteur d'un bon ouvrage sur le droit des gens, mais plus estimable encore par la candeur de son ame et la sagesse de son esprit ..." Zitiert bei BegUlmn: a.a.O., S. 32. 85 Manz: a.a.O. 8. Brief Montgelas' an Seinsheirn v. 12. 1. 1790, zitiert bei Weis, Kap. 13.
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Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang sicher auch auf die Freundschaft Montgelas' mit dem hannoverschen Gesandten beim Reichstag in Regensburg, D. Heinrich Ludwig Freiherrn von Ompteda. Ompteda, ein bekannter Staats- und Völkerrechtler, der 1785 eine Zusammenstellung der "Litteratur des gesammten sowohl natürlichen als positiven Völkerrechts" herausgab 67 , war Ende des 18. Jahrhunderts der einzige Gelehrte im Reich, der sich interessiert mit Vattels Werk beschäftigte68 . Er stellte fest, "daß sein (Vattels) Buch in der That noch zur Zeit fast das einzige vom natürlichen Völkerrecht handelnde Werk ist, daß sich zum Gebrauch für Staatsmänner und Personen schicket, die sich nicht eigentlich der Gelehrsamkeit widmen"69. Allerdings kritisiert Ompteda auch, und diese Kritik ist typisch für die allgemeine Haltung der Wissenschaft gegenüber Vattel: " ... da er hauptsächlich für Souveraine und Staatsmänner schreibet, ist gar sehr zu bedauern", daß er "manchmal zu sehr bey der Oberfläche stehen bleibet, und nicht tief und gründlich genug in die Materien eindringet"7o. Nun, diese Kritik mag Montgelas gewiß nicht davon abgehalten haben, Vattel zu lesen, sondern ihn im Gegenteil vielmehr dazu gereizt haben. Neben Ompteda war Montgelas auch vor allem mit dem preußischen Gesandten beim Reichstag, Graf von Goertz, eng befreundet7 1 . Er stand mit ihm seit 1787 in ständigem Gedankenaustausch. Auch durch Goertz kann Montgelas auf Vattel gestoßen sein. Denn der aus Oberhessen stammende Diplomat stand in enger Liaison zum Hof von Sachsen-Weimar, an dem Vattel wirkte. Goertz hatte Kar! August von Sachsen-Weimar erzogen 72. Aber die Frage, wie Montgelas zu Vattel kam, ist wohl sekundär. Entscheidend ist, daß Montgelas' Staats auffassung, sein nahezu gesamtes innen- und außenpolitisches Programm des modernen Staates, das er in seinen wichtigsten Denkschriften und Aufsätzen vor der Jahrhundertwende entwirft und dann konsequent in Bayern verwirklicht, auf Vattel beruht. Die Beweise hierfür finden sich überall. 87 D. Heinrich Ludwig Freiherr von Ompteda: Litteratur des gesammten sowohl natürlichen als positiven Völkerrechts, 1780. es Auch im 19. Jh. wurde Vattel wissenschaftlich so gut wie gar nicht genannt. Einzig Bluntschli zitiert ihn kurz in seinem Droit international codifte im Zusammenhang mit den Fragen diplomatische Immunität, Neutralität und Kriegsrecht. Vgl. Lapradelle: a.a.O., S. 42. eo Ompteda: a.a.O., S. 346. 70 Ebenda. 71 Vgl. Weis, Kap. 12. 72 Goertz' Schwiegersohn war Aloys Freiherr, dann Graf von Rechberg, der seit 1796 als zweibrückischer, seit 1799 als bayerischer Gesandter am Reichstag fungierte und einer der wichtigsten diplomatischen Mitarbeiter von Montgelas war, den er dann 1817 im Außenministerium ablöste. Rechberg wird in unserer Untersuchung ab 1814 eine zentrale Rolle spielen.
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Da ist zunächst die Tatsache, daß Montgelas, genau wie Vattel, immer wieder auf das Naturrecht und Völkernaturrecht - "droit natureI", "droit de nature" und "droit des gens naturel"73 - zurückgreift, wenn er auf das Wesen des Staates und die Beziehungen der Staaten untereinander zu sprechen kommt. Dagegen erfährt das Römische Recht eine Abfuhr gleich zu Beginn seiner wichtigsten Arbeit über den Staat74 , ebenso wie Vattel das Römische Recht gleich im Vorwort ablehnt, weil es die Staaten verpflichte und damit die natürliche Freiheit einschränke: "Les Romains reconnaissoient une loi, qui oblige les nations" (Vattel, Preface, VII). Nach Vattels Meinung sollte es vielmehr so sein: " ... les Socil~tes politiques ou les Nations vivent entr'elles dans une independance reciproque, dans l'etat de Nature et elles sont soumises, dans leur qualite de corps Politiques, a la loi Naturelle ..." (ebenda). Montgelas wendet diese Ausführungen gleich konkret auf die Entwicklung des Reiches und der Einzelstaaten an. Das Römische Recht, sagt er, habe einen sehr verderblichen Einfluß auf die öffentliche Freiheit ausgeübt, sowohl in den Einzelstaaten als auch im System des Reiches als Ganzem: "Le droit Romain fit dans les Etats particuliers tout autant de mal a la liberte publique: qu'il suivit au systeme de l'Empire en general. Les docteurs (hier wieder Montgelas' Ironie gegenüber den "pedantischen Akademikern") enseignerent avec so in et entendierent autant qu'ils purent la doctrine des droits Regaliens75 ." "Gesellschaft" und "Nation" Das eben genannte Vattel-Zitat vereinigt seine drei wichtigsten Begriffe. Sie stehen auch im zentralen Mittelpunkt der Ausführungen Montgelas' zum Wesen des Staates. Es sind: "la societe politique", "le corps politique" und "la nation". Der aufgeklärte Denker Vattel stellt nicht, wie ehemals Bodin, primär den Herrscher (princeps) in den zentralen Mittelpunkt seiner Souveränitäts-Zuweisung, sondern die Nation, den Staat. Der Staat aber ist die menschliche Gesellschaft. Der Fürst oder König ist von ihr mit der höchsten Verantwortung betraut worden, sie zu führen. Hier liegt - wie wir bereits anführten - der grundlegende Unterschied zwischen Vattel und Bodin. Vgl. seine wichtigsten Schriften GSTA MA I 64 und MA I 54. MAI 64. 75 MA I 64. Vgl. dazu Weis, Kap. 12: "Für das römische Recht hat Montgelas auffallenderweise niemals viel übrig gehabt; seine Rezeption zu Beginn der Neuzeit zählte er nie zu den großen Fortschritten auf dem Wege zur Staatssouveränität und zur modernen Kultur. oe 73
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Was ist ein Staat? fragt Vattel in seinem 1. Kapitel "Des nations ou Etats Souverains" des ersten Buches. Er anwortet: Es ist "eine Gemeinschaft von Menschen, die sich zusammengeschlossen haben, um mit vereinten Kräften für ihren Nutzen und für ihre Sicherheit zu sorgen" ("Une Nation, un Etat est un corps politique, ou une Societe d'hommes unis ensemble pour procurer leur avantage et leur surete a forces reunis")16. Von der "Gesellschaft" geht Vattel aus, der "societe d'hommes", oder, wie er sie dann meistens nennt, der "societe politique"77, der politischen Gemeinschaft. Sie bildet den "corps politique", schafft die "Nation". Vattel bevorzugt das Wort "nation" eindeutig gegenüber dem Wort "etat", da es seiner Auffassung der natürlichen Entstehung der Staaten - die von Anbeginn, seit ihrer " Geburt", unabhängig und souverän sind - weit mehr entspricht: "Die Nationen sind aus Menschen zusammengesetzt, die von der Natur her frei und unabhängig sind und vor der Errichtung der bürgerlichen Gemeinschaften im Naturzustand zusammenlebten. Daher müssen die Nationen oder souverainen Staaten freien Personen gleichstehen, die unter sich im Naturzustand leben." ("Les Nations etant composees d'hommes naturellement libres et independans, et qui avant l'etablissement des Societes, vivoient ensembles dans l'etat de nature; les Nations, ou les etats souverains, doivent etre consideres comme autant de personnes libres, qui vivent entr'elles dans l'etat de nature"78.) Jede Nation, so fährt Vattel fort, gebe sich eine Verfassung, welche die Ordnung sei, nach der sie gemeinschaftlich für die Erreichung der Ziele arbeite, auf Grund derer sie als politische Gemeinschaft gegründet worden sei. Dabei sei es von vorneherein äußerst wichtig, daß die betreffende Nation sich selbst und ihre Möglichkeiten kenne; ohne sich darüber klar zu werden, könne sie nicht mit Erfolg an ihrer Vervollkommnung arbeiten. Sie bedürfe einer richtigen Vorstellung ihres Zustandes: "La Constitution est ... l'etablissement de l'ordre, dans lequel une Nation se propose de travailler en commun a obtenir les avantages en vue desquels la Societe politique s'est etablie79 .... Une Nation doit se connaitre elle meme. Sans cette connaissance elle ne peut travailler avec succes a sa perfection. 11 faut qu'elle ait une juste idee de son etat ..."80.
78 Vattel: Livre I, Chap I, S.17. Besonders Livre!, Chap. III, § 26. 78 Vattel: Preliminaires, § 4, S. 2; hierzu auch Preliminaires, § 15: "Les Nations etant libres et independantes les unes, des autres, puisque les hommes sont naturellement !ibres et independants." 7t Vattel: Livre I, Chap. HI, § 27. 80 Vattel: Livre I, Chap. H, § 25. 77
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Montgelas folgt diesen Vorstellungen Vattels genau, übernimmt sie in seiner Arbeit über die bayerische Kirchen- und Staatsverfassung nahezu wörtlich. Er stellt Vattels Sätze nur ein wenig um und sagt: "La societe politique est l'ordre, dans lequel une Nation se propose de travailler en commun ... Dans la constitution de l'etat une Nation se donne la forme, sous laquelle elle agite comme un corps politique81 ." Und weiter dann: "Une Nation doit se connaitre elle-meme. Dans cette connaissance, elle ne peut travailler avec succes a sa perfection. Il faut qu'elle ait une juste idee de son etat82 ." Die Darstellung dieses Zustandes, das Aufzeigen der mannigfaltigen Veränderungen, die auf die bayerische Nation eingewirkt hätten, sei, so fährt er fort, das Ziel seiner Arbeit. Es ist nun erklärbar, warum Montgelas immer wieder mit Vorliebe von der "nation bavaroise"83 spricht. Und es wird ebenso verständlich, weshalb er in den Staatsarbeiten von 1788/89, als das alte Reich noch besteht, die deutschen Fürsten, auch den bayerischen Kurfürsten, als "Souverains" bezeichnet8', bzw. von ihrer "souverainete" spricht - dann aber in der berühmten Instruktion vom 14. 6. 1814 für Wrede in Wien sagt, daß Bayern erst 1806 "souverainete pleine et entiere" erlangt habe86 . Diese gegensätzlich erscheinenden Aussagen widersprechen sich merkwürdigerweise nicht. Denn Montgelas folgt hier der Ansicht Vattels, der eben eine übergeordnete Autorität des Reiches nicht anerkennt, sondern die "germanischen Nationen" als naturrechtlich unabhängig und souverain erklärt, ausdrücklich feststellend, daß auch das Reichslehensrecht diesem Status keinen Abbruch tue88 . GSTAMAI64. Ebenda. 83 Vor allem in MA I 54 und MA I 64. 84 In beiden Dokumenten spricht er von der "souverainete" der bayerischen Kurfürsten und Herzöge bis hinauf ins 14. Jh. Immer wieder heißt es dort: "la souverainete des ducs" bzw. "les Souverains". Einmal schreibt er in MA I 64 "le droit des ducs", streicht dann "droit" wieder durch und ersetzt es mit "la souverainete" . 8S "Tous nos efforts depuis 1805, les souffrances, les exploits, la gloire que notre brave armee a acquise n'a pas eu d'autre but. Le sang precieux qui a ete verse a gros ftots est coule en vain"; on aurait a se le reprocher si ce principe saisi recevait la moindre atteinte. GSTA MA 11 1029. Zitiert bei M. Doeberl: Bayern und Deutschland im 19. Jahrhundert, München 1917, S. 5. - GSTA MAll 1029. 88 Vattel: Livre I, Chap. I, § 8: "Die germanischen Nationen führten eine andere Gewohnheit ein: Man verlangte von einem beSiegten oder zum Widerstand zu schwachen Staat die Lehenshuldigung '" Wenn die Lehenspflicht die Unabhängigkeit und die souveräne Gewalt in der Staatsführung bestehen läßt, nur mit gewissen Pflichten gegen den Lehensherrn oder sogar bloß mit einem Ehrenerweis verbunden ist, so hindert dies keineswegs, daß der Staat oder der Lehensfürst wirklich souverän bleibt." ("Les Germaniques introduisirent un autre usage, celui d'exiger l'hommage d'un Etat vaincu ou trop faible pour 81
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Vattel schließt jedoch nicht aus, daß die germanischen Nationen ihre Souveränität noch weiter ausbauen können und nach seiner Meinung auch sollen: "Eine Nation muß sich und ihren Zustand vervollkommnen"87 und "eine Nation ist zu allem berechtigt, was zu ihrer Selbsterhaltung notwendig ist"88, postuliert er. Dies sei eine naturgemäße Verpflichtung. Im deutschen Reich stehe dessen Verfassung einer Vervollkommnung seiner Staaten entgegen89 . Es klingt bei Vattels Erörterungen betreffs des Reichs zwar versteckt, aber dennoch deutlich an: wenn die Reichsverfassung nicht mehr existieren würde, wäre nach seiner Meinung die günstigste Souveränität der germanischen Nationen erreicht90. Vattels Souveränität ist also graduierbar. Ihre höchste Stufe fällt mit der von Bodin postulierten Souveränität zusammen, nach der ein Staat nur souverän ist, wenn er keine übergeordnete Instanz über sich hat. Deshalb wertet auch Montgelas nach 1806, als Bayern Königreich geworden und aus dem Reich ausgetreten ist, die Souveränität Bayerns auf zur "vollen Souveränität", zur "souverainete pleine et entiere", wie sie bezeichnenderweise im Preßburger Friedensvertrag und in der Rheinbundakte genannt wird. Daß Montgelas, wenn er 1788 von "Souverains" und "Souverainete" ausgeht, mit dieser Souveränität noch nicht zufrieden ist, wird an seinen verschiedenen eigenen Bemerkungen deutlich, in denen er zugibt, daß die von Vattel den Reichsterritorien naturrechtlich zuerkannte "Souverainete" doch oft in der Praxis anders aussieht. Ein schönes Beispiel dafür bietet folgende Stelle91 : "Unsere Herrscher (souverains) können sich des schönsten aller Titel schmeicheln, derjenigen, an der Spitze einer freien Nation92 zu stehen", schwärmt er zunächst emphatisch in der besagten resister. L'orsque l'hommage, laissant subsister l'independance et l'Autorite souveraine dans l'administration de l'Etat, emporte seulement certains devoirs envers le Seigneuer du Fief, ou meme une simple reconnaissance honorifique, il n'empeche point, que l'Etat ou le Prince Feudataire ne soit veritablement souverain.") Also eine sehr andere Ansicht als bei Bodin. 87 "Une Nation doit se perfectionner, elle et son etat." Vattel: Livre I, Chap. 11,
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88 "Une Nation a droit atout ce qui est necessaire a sa conservation." Vattel: Livre I, Chap. 11, § 18. 88 "Mais sa constitution s'y oppose." Vattel: Livre I, Chap. 11, § 24. 80 Siehe hierzu den gesamten § 24 des Livre I, Chap. I, in dem Vattel feststellt, daß der gegenwärtige Verfassungszustand des Deutschen Reiches weder sowohl für die Staaten des Reiches, als auch für das Reich selbst nur schwerste Nachteile brächte: "Ne voit on pas que la Nation elle-meme s'est mise dans l'impuissance d'agir et que son conseil est livre au caprice ou a trahison d'un seul Membre?" 81 InMAI64. 82 Die Idee der germanischen Freiheit fasziniert Montgelas in seinen frühen Schriften sehr ("Die alten Germanen, unsere Vorfahren, betrachteten die Freiheit als ihr kostbarstes Gut". MA I 64). Sie tritt ergänzend zu der von Vattel übernommenen Völkernaturrechtslehre, nach der die deutschen Nationen wie
4. Der Souveränitätsbegriff Maximilians von Montgelas'
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Arbeit über die bayerische Kirchen- und Staatsverfassung, und zwar im Abschnitt über die bayerischen "lois fondamentales", die er auch, ganz von Vattels § 29 im 1. Buch, Kap. III ("Des Lois politiques, fondamentales et civiles") angeregt, untersucht93 • Später - wann, ist nicht bestimmbar - setzt er jedoch mit anderer Tinte hinzu: "Der fortgesetzte Widerspruch zwischen Theorie und Praxis, dem man begegnet, macht es sehr schwierig, diese Materie zu behandeln94 ." Da hadert er offensichtlich mit Vattels Souveränitäts-Bestimmung. Dennoch bleibt der Grundgedanke Vattels, die von Natur aus existierende Souveränität der Nationen, für ihn richtungsweisend. Montgelas bleibt beim Terminus "souverainete". Es ist deshalb noch einmal hervorzuheben: Wenn Montgelas vor 1806 von der "souverainete" Bayerns oder alle anderen von Natur aus frei und unabhängig sind. Vattel hebt dazu aber noch ganz speziell den Gedanken der germanischen Freiheit hervor. Er preist die deutsche Nation als eine, der die Freiheit über alles gehe ("excessivement jalouse de sa liberte") mit einem tapferen, starken Adel ("une noblesse vaillante et innombrable") etc. (Livre I, Chap. II, § 24). Es ist deshalb fraglich, ob sich, wie E. Weis meint, Montgelas hier an Montesquieus "De l'esprit des lois" anlehnt und dessen Interpretation der Kap. 7 und 11 von Tacitus' Germania: "Reges ex nobilitate duces ex virtute sumunt." Viel wahrscheinlicher ist die Anregung durch Vattel, zumal sich kein Hinweis auf Montesquieu findet. Natürlich bezieht sich auch Vattel auf Tacitus und dessen berühmten Satz. über dessen Bedeutung siehe neuerdings vor allem Karl Bosl: Reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt, in: Frühformen der Gesellschaft in MitteIeuropa, München 1964, S. 62 - 73; ferner K. v. Raumer: Absoluter Staat, korporative Libertät, persönliche Freiheit, in: H. H. Hofmann: Die Entstehung des modernen souveränen Staates, 1969, a.a.O., S. 173 ff.; und die beiden Abhandlungen von Erwin Hölzle: Die Idee einer altgermanischen Freiheit vor Montesquieu, 1925; und Bruch und Kontinuität im Werden der deutschen modernen Freiheit, Aufsatz in: Das Problem der Freiheit in der deutschen und schweizerischen Geschichte, 1955, S. 159 ff. Siehe auch Anmerkung 35. 93 Auch hier kann die Vermutung von E. Weis, Montgelas sei diesbezüglich wohl von irgendeinem "bedeutenden französischen Staatstheoretiker" inspiriert worden (Kap. 12), jetzt präzis beantwortet werden. Vergleichen wir: Montgelas schreibt: "Les Lois qui concernent la maniere, dont l'Autorite Publique doit etre exercee, celles en un mot, dont le concours forme la constitution de l'Etat, sont appelles lois fondamentales." MA I 64 Vattel: "Les Lois, celles qui concernent le corps meme et l'essence de la Societe, la forme du Gouvernement, la maniere dont l'Autorite Publique doit etre exercee, celles en un mot, dont le concours forme la constitution de l'Etat, sont les Lois fondamentales." Die übereinstimmung ist hier fast wörtlich. Montgelas läßt nur fünf Wörter aus Vattels Definition aus, um sich nicht zu wiederholen. Als "lois fondamentales" Bayerns bezeichnet er die vier cartae der Wittelsbacher für die Provinzialstände, wahrscheinlich die Ottonische Handfeste (1311), das Verbot der Verpfändung von Landesteilen, Niederbayern (1355), Oberbayerische Steuerordnung (1396), Landesordnung in Oberbayern (1500). In der Gegenwart zählt M. die Erbfolgeverträge des Kurfürsten Max III. mit der Linie Zweibrücken seines Hauses von 1776,1774 und 1771, die den Ständen mitgeteilt und durch den vom ganzen Reich ratifizierrten Frieden von Teschen bestätigt wurden, unbedingt zu den Grundgesetzen Bayerns. Hintergrund dieser Forderungen ist natürlich der Wunsch, es möge Karl Theodor nicht gelingen, das Haus Zweibrücken auszuschalten. Im einzelnen hierzu siehe E. Weis, Kap. 12. 94
MAI64.
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1. Von Kurfürst Maximilian 1. bis zum Vertrag von Ried 1813
der anderen Reichsterritorien spricht, so ist damit nicht das absolut höchst erreichbare Maß von Unabhängigkeit, das Bayern erlangen kann, und das er wünscht, gemeint. Deutlich wird dies auch durch die interessante Tatsache, daß er nicht umhin kann, den deutschen Kaiser noch über die Fürsten zu stellen und ihn als "Suzerän" zu titulieren96 • Hieraus erklärt sich auch, warum Montgelas, trotz der Tatsache, daß er in allen seinen Memoirs vor der Jahrhundertwende die "Souverainete" der deutschen Fürsten proklamiert, nicht Kreittmayr, Gönner und Zentner kritisiert, die Bayern nur die "superioritas territorialis" bzw. "Halbsouveränität" zusprechen. Der Grund: Alle drei meinen ja eigentlich dasselbe. Nur der theoretische Ausgangspunkt ist ein anderer. Kreittmayr, Gönner und Zentner, deren Souveränitätsbegriff auf Bodin zurückgeht - bei Kreittmayr und Gönner über J. J. Moser, bei Zentner vor allem über Martens98 , den er sehr oft zitiert -, können vor 1806, angesichts der Reichsangehörigkeit Bayerns, nicht ohne Einschränkung von dessen Souveränität sprechen. Montgelas tut es, weil er Vattels naturrechtlicher Souveränitäts-Interpretation folgt. Es schien dem Verfasser dieser Arbeit sehr wichtig, den Hintergrund des bisher lediglich von E. Weis97 beachteten, aber nicht näher interpretierten Faktums genau zu klären, daß Montgelas einerseits schon vor 1806 auffällig von der "souverainete" Bayerns spricht und die bayerischen Kurfürsten und Herzöge bis hinaus ins 14. Jahrhundert als "Souverains" tituliert, andererseits aber sein ganzes staatspolitisches Programm darauf abzielt, "souverainete pleine et entiere" zu erreichen. Hinter beiden steht Vattel. Das erste ist dessen völkernaturrechtlicher Ausgangspunkt, das zweite jedoch das Ziel, das er den Regenten der Staaten setzt, um die Nationen, die sie vertreten, zum höchsten Gipfel zu führen: zur uneingeschränkten Souveränität des modernen Staates.
Das Prinzip der "Staatssouveränität" Auf die Forderung, daß die Fürsten ihren Staat nur vertreten, für ihre Nation handeln, legt Vattel entscheidendes Gewicht. Sie sind niemals Ebenda. Martens: Droit des Gens, a.a.O. 81 Weis schreibt (Kap. 1): "Da ist die von Montgelas, solange das alte Reich bestand, stets mit Selbstverständlichkeit vertretene Ansicht, daß die deutschen Fürsten souverän seien. In französischen Texten bedient sich Montgelas auch zur Umschreibung der Person des Fürsten in der Regel des Wortes ,le Souverain' anstelle von ,le prince'." Weis findet dies "neu". Er stößt zwar auf den Namen Vattel, untersucht Montgelas' Verbindung zu diesem aber nicht näher und meint schließlich: "Der allgemeine Souveränitätsbegriff, wie ihn auch der von Montgelas zitierte Vattel formuliert hatte, der dabei bis auf Bodin zurückgreifen konnte, war schon viel älter und im Schrifttum d. 18. Jhs. allgemein verbreitet." Die Dinge liegen hier doch sehr viel komplizierter. 95
SI
4. Der Souveränitätsbegruf Maximilians von Montgelas'
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mehr als die Nation, nur Beauftragte, Führer, Delegierte des Gesamtkörpers, von dem alle Autorität ausgeht. Der Fürst ist nur von Gott eingesetzt, niemals besitze er ein Eigentumsrecht am Staat. Genau das ist auch Montgelas' immer wieder in der Geschichtsschreibung Bayerns zitiertes und interpretiertes Grundpostulat der Staatssouveränität, die strikte Ablehnung des Gottesgnadentums des Fürsten und des Patrimonialstaates. Vergleichen wir die entscheidenden Aussagen Vattels und Montgelas': Vattel sagt wörtlich: "Ce pretendu Droit de Propriete, qu'on attribue aux Princes, est une Chimere enfantee par un abus ... L'etat n'est ni peut etre un Patrimoinej puisque le patrimoine est fait pour le bien du maitre, au lieu que le prince n'est etabli que pour le bien de l'Etat" (Livre I, § 61). "Le Prince tient son Autorite de la Nation" (Livre I, § 45). ce ••• la souveraine Puissance ne lui est confh~e que pour le salut de l'Etat et le bonheur de tout le peuple" (Livre I, § 39). "Le Gouvernement n'est etabli que pour la Nation" (Livre I, § 31). "Si le corps de la nation retient a soi I'Empire ou le droit de commander, d'est un Gouvernement Populaire, une Democratie, s'ille remet a un certain nombre de citoyens, a un Senat, il etablit une Republique Aristocratiquej enfin s'il confie I'Empire a un seul, I'Etat devient une Monarchie" (Livre I, § 3). "Toute Societe politique doit necessairement etablir une Autorite publique ... cette Autorite appartient essentiellement au corps de la Societe, mais elle peut s'exercer de bien des manieres: C'est a chaque Societe de choisir celle qui lui convient le mieux" (Livre I, § 26). Und nun Montgelas: "Le droit divin des souverains est reconnu aujourd'hui pour ce qu'il est une Chimere inventee par la flatterie, soutenu par le despotisme pour le malheur du genre humain. Toute autorite reside originairement dans le corps de la nation. C'est elle seule, qui a pri legitimement se donner a un maitre etablir une forme de gouvernement. Si elle a consenti a reconnaitre un monarque, ce n'a ete que pour son bien et a certaines conditions, qu'on peut regarder comme le contract originaire entre les chefs et les membres du corps politique. Tout peuple, qui a choisi une forme de gouvernement quelconque est en droit de la maintenir. Chaque Etat a pris en consequence les mesures, qui lui ont paru les plus sages98 ." Stimmen diese beiden Texte auch nicht bis auf jedes Wort überein, so ist der Inhalt, die Aussage, der ganze Aufbau doch völlig der gleiche. Die wichtigsten Begriffe, um die sich alles dreht, sind wörtlich dieselben. Da ist bei beiden die ganz scharfe Absage an das Gottesgnadentum des Fürsten, das als eine Chimere, als eitler Wahn und Schmeichelei, verurteilt wird. Der Fürst hat für das Wohl des Staates zu sorgen, nicht der Staat t8
MAlM.
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I. Von Kurfürst Maximilian I. bis zum Vertrag von Ried 1813
für den Fürsten. Konkreten Ausdruck findet die Forderung Montgelas', Schluß zu machen mit der Betrachtung des Staates als eines Privateigentums oder eines Fideikommis' des Fürsten, in der 1804 in Bayern durchgeführten Trennung zwischen dem Eigentum des Staates und der Dynastie. Bei beiden spielt das Gemeinwohl die wichtigste Rolle. Vattel nennt es "bien de l'Etat", Montgelas "le bien de la. nation". Alle Autorität geht von der "nation" aus, vom "corps de la nation"; gerade an dieser entscheidenden Stelle ist die übereinstimmung wohl am sichtbarsten. Montgelas betont auch zuletzt besonders, daß jedes Volk die Regierungsform wählen könne, die ihm am meisten zusage, genau wie Vattel. Montgelas setzt das "göttliche Recht der Souveraine" ohne Umschweife mit "Despotismus" gleich, wie Vattel. Letzterer wendet sich vor allem gegen diejenigen Autoren, die den Fürsten als "despotischen Herrscher" ("Prince Despotique") tolerieren, indem sie ihm zugestehen, das "Königreich ebenso als sein Erbe zu betrachten, wie seine Felder und Viehherden". Diese Lehre ist für Vattel "in einem aufgeklärten Zeitalter" "eine Beleidigung für die Menschheit"99. Noch ein anderes Mal spricht Montgelas in diesem Dokument MA I 64 von "Despotie", und zwar, als er sich mit der Gewaltenteilung befaßt. Dabei bezeichnet er es als allein notwendig, daß die Rechtsprechung unabhängig sei, während die beiden anderen Gewalten, Legislative und Exekutive, dem Fürsten gehörten. Von der Unabhängigkeit der Justiz hänge es ab, ob es Freiheiten gäbe oder "despotie" herrsche wie z. B. in der Türkei. E. Weis (Kap. 12) meint dazu, daß Montgelas also "schon in dieser frühen Arbeit hinter Montesquieu zurückbleibt", der "wenigstens einen Teil der Legislative nicht dem König, sondern den Parlamenten zuerkannt" habe. Diese Beobachtung ist richtig. Montgelas' diesbezügliche Haltung dürfte auch direkt auf Vattel zurückgehen. Denn dieser artikuliert in den §§ 46 und 49 von Buch poo ziemlich genau Montgelas' Haltung. Er sagt, daß der Fürst uneingeschränkt die Legislative und Exekutive innehabe, der Rechtsprechung jedoch nichts befehlen dürfe. Der Fürst selbst stehe allerdings über dem bürgerlichen Strafgesetz, dürfe nicht wie irgendein Privatmann abgeturteilt und bestraft werden. Das sei mit der Majestät des Souverains unvereinbar101 • gg Vattel: Livre I, chap. V, § 61: "Les Auteurs que nous combattons accordent ce droit au Prince Despotique ... le Royaume est l'Heritage du Prince comme son Champ et ses toupeaux. Maxime injurieuse a l'Humanite qui n'eut ose se produire dans un siecle eclaire ..." 100 überschriften der Paragraphen: "Le Prince doit respecter et maintenir les Lois fondamentales" und ..En quel sens il est soumis aux Loix". 101 Vattel, Livre I, Chap. IV, § 49: "La Majeste du Souverain ne souffre point qu'il soit puni comme un particulier; et ses fonctions sont trop sublimes, pour qu'il puisse etre trouble, sous pretexte d'une faute qui n'interesse pas directe-
4. Der Souveränitätsbegrill Maximilians von Montgelas'
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Montgelas hebt in diesem Zusammenhang hervor, daß die bayerischen Landesherrn diesen Grundsatz der Gewaltenteilung immer befolgt hätten, niemals hätten sie versucht, den Gerichten die Rechtsprechung in Zivil- und Strafsachen zu entreißen102 • Im Grunde bestand diese Konzeption des Montgelasschen Staates bis zur Verfassung von 1918, wie überhaupt die der deutschen Staaten der Reformzeit (Österreichs und Preußens bis 1848): Legislative und Exekutive streng vereinigt in der Hand des Königs, ja durch den Wegfall der Stände in vielen deutschen Staaten noch uneingeschränkter als im Zeitalter des Absolutismus, dagegen Unabhängigkeit der Rechtsprechung, strenge Wahrung des Rechtsstaates, der sogenannten bürgerlichen Freiheiten, wie Montgelas sich ausdrückte, jedoch ohne die "politischen" FreiheitenlOS. Diese wichtigsten Gedanken und Auffassungen Montgelas' zum und vom Staat, sein für Bayerns Geschichte entscheidendes Konzept der Staatssouveränität, blieben bei ihm von Anfang an, seit ihrer programmatischen Abfassung Ende der 80er Jahre, bis zum Ende seiner Regierungstätigkeit, unverändert.
Das "Memoire au Duc" und das "Memoire instructif" basierend auf VatteZ Bei allem, was er schreibt, ergeben sich immer wieder deutliche Anlehnungen an Vattel. Sie alle aufzuführen, würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, und eine Arbeit für sich abgeben. Es sollen hier stellvertretend besonders noch zwei der wichtigsten Memoirs Montgelas' genannt, werden, in denen sich sein staatspolitisches Konzept mit am klarsten artikuliert und sich dabei ebenso deutlich die Vorlage von Vattels "Droit des Gens" zeigt. Es sind das Ansbacher "Memoire au Duc" vom 30. 9. 1796, Montgelas' innenpolitisches Reformprogramm104, das in seiner Bedeutung Steins Nassauer Programm und dem Rigaer Programm Hardenbergs aus dem selben Jahr gleichkommt, sowie das "Memoire instructif sur les droits des Ducs de Baviere en matiere Ecclesiastique"lo5. ment le Gouvernement de l'Etat." Hier übernimmt Vattel im Grunde Bodins "princeps legibus solutus", und Montgelas auch. 102 Speziell befaßt er sich dabei mit den Unterschieden bei der Rechtsprechung in Ober- und Niederbayern, je nachdem, ob nach kodifiziertem oder nach Gewohnheitsrecht entschieden wird. 103 Siehe Weis, S.12. 104 Der Inhalt und die wörtlichen Zitate aus diesem Programm sind aus E. Weis' Kap. 22, "Montgelas' innenpolitisches Reformprogramm, Das Ansbacher "Memoire au Duc vom 30.9.1796" entnommen. Dem Verfasser war eine eigene Einsicht in dies Memoir auf Schloß Egglkofen damals nicht möglich. E. Weis gibt seinen Inhalt mit vielen Zitaten jedoch sehr ausführlich wieder, wenn auch leider meistens in deutscher übersetzung und nicht im Original franz. Text. lOS GSTA MA I 54. 11 Quint
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I. Von Kurfürst Maximilian r. bis zwn Vertrag von Ried 1813
Im "Memoire au Duc" präsentiert Montgelas dem neuen kurpfälzischen Herzog Max und kommenden Erben Pfalzbaierns "das Regierungssystem, welches in Bayern zu befolgen wäre"106. Er legt darin sein Konzept einer vollständigen Neuordnung der innerstaatlichen Verwaltung Pfalzbaierns dar. Seine Vorschläge gehen von der Kritik an den Verhältnissen unter Karl Theodor aus, wobei er als den größten Mangel des bayerischen Regierungssystems die unzulängliche Organisation der Zentralbehörden bezeichnet. Eine ordentliche Geschäftsverteilung mit geregelten Zuständigkeiten sei unbekannt, führt Montgelas aus. Die meisten Minister nähmen nur pro forma am Rate teil; alle Angelegenheiten, die sich der Kurfürst vorbehalte, gingen durch die Hand des Kanzlers (bis 1790 Kreittmayr, dann Frhr. von Hertling); dieser sei eigentlich der einzige, der in der Regierung arbeite. Eine solche Art von Regieren, kritisiert Montgelas, möge für die Verhältnisse des Mittelalters gut gewesen sein, für die komplizierten Verwaltungserfordernisse der modernen Zeit sei es untauglich. Die Folge davon sei, daß der überlastete Kanzler sich in vielen Dingen auf subalterne, meist unzureichend unterrichtete, nicht genügend fähige und oft korrupte Beamte stützen müßte. Solchen Mißständen könne nur eine vernünftige Trennung der Kompetenzen und eine klare Geschäftsverteilung abhelfen. Montgelas' Memoir zerfällt in sieben Teile. 1. Entwicklung allgemeiner Grundsätze der Ministerialorganisation und der Verwaltung, Rechtsstellung und Auswahl der Beamten107 , Vorschlag einer Fünfzahl von Mi108 So heißt es in der Aktennotiz, die M. erst am 11. Okt. 1819, also zweieinhalb Jahre nach seinem Sturz, diesem Memoire beilegt, zusammen mit dem innenpolitischen Compe-rendu von 1817, seinen Rechenschaftsbericht. M. fordert darin die Nachwelt auf, sein Programm und die Durchführung zu vergleichen. 107 Als Allerdringlichstes fordert M. hier zunächst eine bessere Besoldung und rechtliche Sicherung der Beamten, um Veruntreuung und Korruption, wie sie unter Karl Theodor herrschen, vorzubeugen. "Jeder der seine Zeit dem Dienst des Staates (er sagt nicht, "des Fürsten") widmet, besitzt ein Recht auf einen ehrenhaften Unterhalt während seines Lebens, abgestuft nach dem Rang, den er in der Gesellschaft einnimmt, sowie, nach seinem Tode, auf ein anständiges Auskommen für seine Frau und seine Kinder. Bisher hat man ein gegenteiliges Prinzip verfolgt: Man hat geglaubt, unerhört viel zu gewinnen, wenn man seine Diener schlecht bezahlte." Der Wechsel des Regierungssystems in Bayern seit 1799, der mit einem Wechsel in der Besetzung der meisten Beamtenposten verbunden ist, kündigt sich hier als klarer Programmpunkt an. Alle "durch die Gewohnheit einer langjährigen Käuflichkeit korrumpierten" Beamten sollen entlassen werden, da sie nicht mehr "zu gesunden Grundsätzen" zurückzuführen seien. - Allerdings waren doch nicht alle Beamten KarI Theodors so korrupt, es gab viele Ausnahmen. Die drei Ministerkollegen Montgelas' nach dem Reg.-Antritt Max Josephs, Hertling, Hompesch und Morawitzky, sowie Zentner, Krenner und die meisten anderen Geheimen Referendäre kamen aus der Verwaltung Karl Theodors.
4. Der Souveränitätsbegriff Maximilians von Montgelas'
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nisterien, 2. Äußeres108, 3. Finanzen109 , 4. Justiz l1O , 5. Kirchliche Ange108 Mit den Hauptaufgaben: 1. Korrespondenz mit den ausländischen und deutschen Höfen und Regierungen sowie mit den bayerischen Gesandten bei denselben; 2. Staatsverträge; 3. Angelegenheiten des Reiches und der Reichskreise; 4. Angelegenheiten des kurfürstlichen Hauses (er setzt diesen Punkt erst an die 4. Stelle!); 5. Leitung und Neuorganisation des Zentralarchivs und der Provinzialarchive. - Vgl. hierzu Vattels Livre II: "De la Nation consideree dans ses relations avec les autres" und Teile aus Livre IV über die Gesandtschaften ("des Ambassades"), in denen er diese einzelnen Punkte, genau wie es Montgelas tut, abhandelt. 108 Mit den Aufgaben 1. Festsetzung, Verteilung und Einhebung aller Steuern und Zölle, 2. Generaldirektion der Zölle und indireketn Steuern, 3. Allgem. Verwaltung der Domänen, Forste und Salinen, 4. Betreuung von Handel, Industrie und Manufaktur, 5. Verwaltung der Brücken und Straßen, 6. Die allgem. Polizei, 7. Inspektion des Rechnungswesens, 8. Oberste Leitung und Beaufsichtigung aller Finanzkammern und Finanzbeamten, 9. Beziehungen und Verhandlungen mit den Provinzialständen. Von diesen organisatorischen Fragen abgesehen sind wichtigste Grundsätze die Aufhebung der finanziellen Vorrechte der beiden privilegierten Stände, also die Gleichheit der Besteuerung; sowie ferner mit besonderer Betonung, Schutz der Bauern und das "Aufhören des verderblichen bayerischen Zollsystems", womit M. vor allem die Binnenzölle meint. - Alle diese Programmpunkte verwirklicht Montgelas später. Sie sind, vor allem, was die Gleichheit der Besteuerung, die Binnenzölle und den Schutz der Bauern betrifft, auch die wichtigsten Forderungen Vattels. Dieser sagt zu den Steuern dasselbe wie Montgelas. Livre I, Chap. XX, § 240: "Des Impöts. Ils doivent etre regl{~s de maniere, que tous les citoyens en payent leur quote-part, ä proportion de leurs facultes et des avantages qu'ils retirent de la Societe. Tous les membres de la Societe Civile etant egalement obliges de contribuer, selon leur pouvoir, ä son avantage et ä son salut; ils ne peuvent refuser de fournier les subsides necessaires ä sa conservation suivant qu'ils sont exiges par une Puissance legitime." Montgelas folgt Vattel auch, wenn er sich gegen eine übermäßige Besteuerung der Bauern wendet. Vattel, Livre I, Chap. VII, §§ 79, 80: "Ces tailles, ces impöts excessifs et mal proportionnes, qui tombent presque entierement ä la charge des Cultivateurs, les vexations des Commis qui les exigent ötent au malheureux paysan les moyens de labourer la terre et depeuplent les Campagnes. Le Gouvernement doit eviter avec soin tout ce qui peut rebuter le Laboureur ou le detourner de son travail." ("Die übermäßigen und schlecht proportionnierten Abgaben und Steuern, die fast ausschließlich zu Lasten der Bauern gehen, entziehen dem unglücklichen Bauern die Mittel zur Bodenbestellung und entvölkern das Land. Die Regierung hat peinlichst alles zu vermeiden, was den Bauern verdrießen und von seiner Arbeit abhalten kann.") Besonders scharf wendet sich Vattel in diesem Zusammenhang gegen eine Herabwürdigung und gesellschaftlich niedrige Einstufung des Bauern: "Les Bourgeois des Villes, les Artisans meme les plus serviles, les Citoyens oisifs, regardent le Cultivateur d'un oeil dedaigneux, humilient et le decouragent: Ils osent mepriser une Profession qui nourit le Genre-humain, la vocation naturelle de l'homme" ("Die Städter, sogar die gewöhnlichsten Handarbeiter und Nichtstuer, sehen auf den Bauern verächtlich herab, demütigen und entmutigen ihn. Es ist eine Anmaßung, einen Beruf zu verachten, der die Menschheit ernährt, der die natürliche Berufung des Menschen ist"). - In bezug auf das Problem der Binnenzölle wird Montgelas angeregt vornehmlich durch Vattels Livre I, Chap. VIII, § 86: "Obligation de cultiver le commerce interieur" (Verpflichtung, den Binnenhandel zu pflegen"). 110 Mit den Aufgaben: 1. Oberste Aufsicht über alle Gerichte und deren Personal, 2. Vorbereitung der Gesetzgebung auf dem Gebiet der Justiz, 3. Bearbeitung aller Rechtsfälle, die durch die Gerichte des Fürsten vorgelegt werden, 4. Entscheidung in Kompetenzkonflikten zwischen verschiedenen Gerich-
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legenheiten, 6. Krieg111 , 7. Organisation und Rechnungswesen der Ministerien, Staatsrat, personelle Vorschläge für die höchsten Staatsstellen. Alle diese Forderungen der ordentlichen Geschäftsverteilung und exakten Zuständigkeit spricht auch Vattel im Zusammenhang mit der inneren "organisation und perfeetion de l'Etat"112 aus. In nahezu der gleichen Reihenfolge. Aber er geht hier nicht immer bis ins einzelne Detail, sondern handelt sie oft allgemeiner ab, da sie ja in einzelnen Staaten Europas bereits praktiziert werden, denen der Schweizer nicht präjudizieren will. Verständlich also, daß Montgelas sich hier auch in der Praxis umsieht und einmal auf das Beispiel der "französischen Bürokratie" verweist, die diese genaue Abgrenzung der einzelnen Ministerressorts praktiziere.Dabei fällt ihm jedoch auch gleich deren größter Mißstand auf, "die Einführung des ministeriellen Despotismus, der unmerklich dahin tendiert, die (verfassungsmäßigen) Formen zu untergraben und an ihre Stelle die Willkür der Ressortchefs und das Spiel des Glücks und der Gunst zu setzen"113. Dies will Montgelas auf jeden Fall vermeiden. Deshalb schlägt er ein Gegengewicht gegen die Ministerialallmacht in der Gestalt von Ministerialreferendären vor, deren "fester und vereinter Wille die Kraft haben wird, einer Ungerechtigkeit zu widerstehen, welche Intrigue, Verführung und Irrtum den Leuten in führender Position entreißen wollen"114. Diese Forderung Montgelas' geht wiederum ganz eindeutig auf Vattel zurück, der wie kein anderer Staatsrechtler seiner Zeit vor einer zu großen Machtfülle der Minister warnt und immer wieder betont, daß sie "nur Gehilfen des Souverains"115 sein sollen, nicht mehr: "Liefert der Souverain ihnen die höchste Gewalt aus, dann sind sie stolzer und unzulänglicher als ihr Herr ... Sie wissen, daß, wer Gnaden- und Gunsterweise austeilt, nach Gutdünken über jene Menschen herrscht, deren Herzen der Begehrlichkeit verfallen sind" ("S'il (le Souverain) leur abandonne l'Autorite ils sont plus fiers et plus intraitables que leur MaUre ... Ils scavent ten, 5. Gnadenwesen, Legitimation unehelicher Kinder, Zulassung von Advokaten, Staatsanwälten und Notaren, 6. Aufsicht über die Polizei und über die Gemeinden und deren Vermögensverwaltung (in Konkurrenz mit dem Finanzministerium), 7. Innere Verwaltung und Gesetzgebung, 8. Verteidigung strittiger Regalrechte, Regelung von Streitfällen mit den Ständen in bezug auf Verfassungsfragen, 9. Lehenswesen, 10. Grenzstreitigkeiten, soweit sie keinen politischen Charakter haben, 11. Leitung Organisation der Archive. Siehe hierzu Vattels Chap. XIII in Livre I, bes. die §§ 158 -172: "De la justice et de la police." 111 Vgl. Vattels Chap. XIV in Livre I: "Troisü~me objet d'un bon Gouvernement, se fortifier contre les attaques du dehors." ("Dritte Aufgabe einer guten Regierung: Stärkung der Verteidigungskräfte gegen Angriffe von außen. ") 112 Vattel, Livre I, Chap. II, §§ 21, 22. 118 "Memoire au Duc", Weis, Kap. 22. 114 Ebenda. 115 Vattel, Livre I, Chap. IV, § 55: "Des ministres": "Les ministres se doivent etre que des instruments dans les mains du Prince."
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que le Distributeur des graces donne a son gre sur les homrnes dont le coeur est ouvert ala convoitise"116). Im Zusammenhang mit der Ministerfrage fordert Montgelas auch nachhaltig die unbedingt notwendige Stabilität des dem Minister nachgeordneten Beamtenkörpers. Er sei ein wichtiges Gegengewicht gegen den unvermeidbaren Wechsel der Minister und "bewahrt in jedem Verwaltungszweig jene Einheitlichkeit der Grundsätze, jenen Geist des Systems und der konsequenten Verwirklichung, welcher die Seele einer Verwaltung darstellt"117. Natürlich habe der Minister ansonsten die absolute Weisungsbefugnis gegenüber den Referendären, aber es mangele ihm doch sehr oft an der Zeit und Möglichkeit, von allen Details umfassend und genauestens Kenntnis zu nehmen. Die jedem Minister an die Seite gestellten Referendäre sollen aus je einer Provinz Bayerns kommen, in jedem Ministerium also ein Vertreter aus Kurpfalz, Jülich-Berg und Altbayern arbeiten. Sie hätten die besten Lokalkenntnisse, und alle etwaigen Eifersüchteleien und Beschwerden einzelner Provinzen wären damit vermieden. Als praktisches Beispiel hierzu nennt Montgelas Preußen. "Preußen besitzt in seinem Generaldirektorium eine Einrichtung, die nahezu so ist, wie die von uns vorgeschlagene. Die fortgesetzte Erfahrung seit 1723 hat ihre Nützlichkeit gezeigt118." E. Weis meint, daß sich Montgelas später als Minister wohl nicht mehr so gern an diese Grundsätze - Bestellung der Beamten unabhängig vom Willen des Ministers und Unabsetzbarkeit der Referendäre seitens der Minister - erinnert habe119 • Eigentlich aber kam Montgelas selbst dadurch kaum in Verlegenheit, da der König bei Besetzung und Abberufung der hohen Ministerialbeamten sich stets an die Vorschläge des "dirigierenden Ministers" hielt. Setzt man ein Fazit unter das "Memoire au Duc", so ist wohl am bemerkenswertesten, daß es Montgelas einerseits als einen unerhört konsequenten Forderer und Verfechter absoluter Staatsautorität und Staatssouveränität zeigt, andererseits aber hinter dem kühlen Machtpolitiker mindestens ebenso auffällig der aufklärerische Idealist steht. "Je aufgeklärter die Menschen sind, desto mehr lieben sie ihre Pflicht und stehen zu einer Regierung, die sich wirklich um ihr Glück (feIicite) bemüht"120 dieser Satz ist einer der Leitsätze des "Memoire au Duc". Belehrung und Bildung aller Bürger betrachtet sein Verfasser als den wichtigsten 118 Vattel, Livre I, Chap. XI, § 116. 117 "Memoire au Duc", Weis, Kap. 22. 118 Ebenda. 118 Ebenda. 120 Ebenda.
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Grundstock für den Bestand des Staates und der Regierung. "Es ist heute erwiesen, daß es nicht die vernünftige und dem Stande eines jeden angemessene Bildung, sondern vielmehr die krasse Unwissenheit der Völker ist, welche die Revolutionen hervorruft und die Reiche umstürzt"12t, fährt er fort und unterstreicht diese wohl nach wie vor aktuelle Aussage dick. Die Revolution in Frankreich vor Augen, fordert Montgelas deshalb dringend eine "vernünftige Freiheit der Presse", die "Befreiung des Buchhandels von den geradezu kindischen Fesseln" unter Karl Theodor. Belehrung und Bildung des Volkes als Grundstock der Existenz des Staates - diesen staatspolitischen Leitgedanken übernimmt Montgelas wie alle seine grundsätzlichen Thesen zum Staat - wiederum von seinem Vorbild Vattel. Vorlage ist dessen Kap ... 1 im Buch I: "Zweite Aufgabe einer guten Regierung: Sorge für das wahre Glück der Nation122." Darin geht Vattel ebenso wie Montgelas vom Glück aus; das Streben nach Glück sei stets "der größte Antriebsmotor für die Menschen"123. Glück aber bedeute nicht nur Reichtümer und Landbesitz, sondern vor allem Wissen und Bildung. Aufgabe des "Lenkers der Nation" sei es deshalb, "auf dieses Glück der Nation hinzuarbeiten, es zu festigen und mit allen Kräften zu fördern". "Der Lenker des Staates kann also nicht Sorgfalt genug darauf verwenden, sein Volk zu belehren, es aufzuklären und ihm Bildung und solides Denken zu vermitteln." "Ein gerechter und weiser Souverain fürchtet nie die Aufklärung des Volkes; er weiß, daß sie für eine gute Regierung immer vorteilhaft ist124." Montgelas, im Jahre 1796 noch ein kleiner Legationsrat in Zweibrükken, überreicht Herzog Max, dem designierten Erben Pfalzbayerns, mit dem "Memoire au Duc" ein Programm, das ungewöhnlich ist: in ihm ist fast nie vom Fürsten, sondern immer nur vom "Souverain", von der "Nation" oder vom "Staat" die Rede. Es spricht für Max Joseph, daß er dieses Programm billigt und seinen Verfasser zum ständigen Leiter seiner Politik macht. Einer der wichtigsten Programmpunkte Montgelas' ist die Souveränität des Staates gegenüber der Kirche. Auch hier folgt er seiner Vorlage Ebenda. "Seeond objet d'un bon Governement, proeurer la vraie felicite de la Nation." 123 Vattel, Livre I, Chap. XI, § 110: "Le desir d'etre heureux est le puissant ressort, qui fait mouvoir les hommes." "L'experienee montre, qu'un peuple peut etre malheureux au milieu de tous les biens de la terre et dans le sein des richesses." 124 Vattel, Livre I, Chap. XI, § 111: "Le eondueteur de I'Etat ne seauroit done apporter trop de soins a instruire son peuple, a l'eclairer, a le former aux bonnes eonnaissances et aux sages disciplines." "Un Prinee juste et sage ne redoute point la lumiere; il seait qu'elle est toujours avantageuse a un bon gouvernement." 111
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Vattel bis ins Detail. Ihn wollen wir deshalb ebenfalls noch genauer betrachten. Die Säkularisation der geistlichen Fürstentümer und die vollständige Unterwerfung der Kirche gehören zu den entscheidenden Bausteinen bei der Schaffung des modernen, geschlossenen Staates durch Montgelas. "Secularisation" - dieses Wort taucht in seinen Denkschriften, Briefen und Instruktionen Ende der 90er Jahre immer wieder auf. Von "Säkularisation" war im Reich erstmals im Westfälischen Frieden die Rede gewesen, auf die Verhältnisse des 18. und frühen 19. Jahrhunderts angewandt hatte es zwei staatsrechtliche Bedeutungen: 1. die Mediatisierung der geistlichen Fürstentümer zu Gunsten weltlicher Fürsten, 2. die Aufhebung von Klöstern, die nicht reichsunmittelbar waren (Mediatklöster) durch ihre Landesherrn. Die Mediatisierung der geistlichen Fürstentümer, zumindest der geistlichen Kurfürstentümer und Hochstifte (Erz- und Bistümer) war im Grunde ein ausschließlich reichsrechtlicher Vorgang, der auf die Verfassung des Reiches den größten Einfluß ausüben mußte. Diese Art der Säkularisation war bereits im Interesse Bayerns 1742 durch Kaiser Karl VII. mit preußischer und englischer Unterstützung angeregt worden. Seit 1792 mehren sich nun die Stimmen im Reich, die für eine Aufhebung der geistlichen Fürstentümer eintreten. Besonders Preußen, der Gegner Österreichs, ist daran interessiert, da es nach dem Besitz des großen Hochstifts Münster und der Hochstifte Paderborn und Hildesheim auch nach dem kölnischen Herzogtum Westfalen und dem mainzischen Eichsfeld strebt. Auch Hessen-Kassel, Württemberg und Baden sowie andere weltliche Fürsten treten für Mediatisierung der geistlichen Fürstentümer ein. Nach dem Verlust des linken Rheinufers ist es jedoch das Herzogtum Zweibrücken, das unter Federführung Montgelas' im Interesse ganz Pfalzbayerns am intensivsten "la secularisation generale et complete" fordert. In Montgelas' Sicht ist es für Bayern der einzige Weg, auf dem man Entschädigungen erhoffen kann. Zugleich bietet er die Chance, sein Territorium abzurunden, einen geschlossenen Staat zu schaffen, der sich gegen Österreich behaupten und für Preußen als Verbündeter interessant sein könnte. Es ist die Chance, "eine hinreichend unabhängige Stellung zu erstreben, um nach Maßgabe des eigenen Vorteils handeln zu können und nicht fremden Absichten untergeordnet zu bleiben", die große Gelegenheit, "im Interesse des Landes nach einer besseren Arrondierung seiner Bestandteile zu streben"125, wie Montgelas später schreibt. Montgelas tut dies mit allen Kräften. Schon im Juni 1797, vier Monate vor dem österreichisch-französischen Vertrag von Campo-Formio, in dem 128
Denkwürdigkeiten, Freyberg: a.a.O., S. 32 - 36.
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der Kaiser nach den Verträgen von Basel und Berlin (5. 8. 1796) die Abtretung des linken Rheinufers und den Grundsatz der Entschädigung durch Säkularisationen sanktionieren muß, sowie fünf Monate vor der berühmten Instruktion Talleyrands für die französischen Bevollmächtigten beim Rastatter Kongreß126, verfaßt Montgelas für den zweibrückischen Gesandten in Paris, Cetto, einen Entschädigungsplan für die pfalzbayerischen Staaten, dessen Grundgedanken noch erweitert werden in einer umfassenden Instruktion für den Bevollmächtigsten des Herzogs von Zweibrücken am Rastatter Kongreß, Alois Freiherr von Rechberg, vom 20. November 1797. Beide Schriftstücke zusammen stellen das Programm für die Außen-, Reichs- und Entschädigungspolitik des Herzogs von Zweibrücken dar, der 1799 Kurfürst von Bayern wird und dieses durch den Verfasser beider Entwürfe, Montgelas, verwirklichen läßt1 27 . Montgelas stellt darin fest: Es sei nach den franz.-österr. vorläufigen Vereinbarungen von Udine vom 18. April mit Sicherheit zu erkennen, daß der Kaiser umfangreichen Gebietsabtretungen links des Rheins zugestimmt habe, welche den weltlichen Fürsten, vor allem dem Hause Pfalz, schwere territoriale Opfer auferlege. Würde man den weltlichen Fürsten allein die Last dieser Abtretungen aufbürden, so bedeute dies eine ungeheure Ungerechtigkeit und einen Umsturz der Reichsverfassung. Die Säkularisation der reichsunmittelbaren geistlichen Fürstentümer, die er dann fordert, bedeutet ihn allerdings faktisch auch: Er ereifert sich über diese: "Ihre Inhaber, einfache Nutznießer eines Vermögens, das der gesamten Gesellschaft gehört, haben darauf nur während ihres Lebens Anspruch. Sie hinterlassen weder Erben noch notwendigerweise Nachfolger (successeurs). Die Bande, welche ihre Unterthanen mit der Person des Fürsten verbinden, sind gewöhnlich schwach und haben keine Zeit, sich zu festigen während der normalerweise nur sehr kurzen Regierungszeiten. Verschiedene Ursachen hindern diese kleinen staatlichen Einheiten, den Grad der Prosperität zu erreichen, dessen sie fähig wären und den sie auch erreichen würden unter der aufgeklärteren 118 In dieser Instruktion vom 7.11.1797 für die beiden französischen Unterhändler Bonnier und Treilhard heißt es zur Säkularisation: "Alle Anstrengungen unserer Bevollmächtigten müssen auf die vollständige Säkularisation der geistlichen Reichsstände der einen und der anderen Religion gerichtet sein, von den Kurfürstentümern bis zu den (Reichs) Stiften ... Der gesamte Reichsklerus, der einen erheblichen Teil seines Einflusses verloren, aber seine Macht und seine Stimmen (am Reichstag) bewahrt hat, wird sich geschickter durch seine Intriguen als durch seine Waffen zu verteidigen wissen. Das Haus Österreich wird ihn so lange unterstützen, bis der Fall der geistlichen Fürsten unvermeidlich geworden sein wird, und es sich darum handelt, ihre Erbschaft zu teilen. Die Hilfstruppen der Republik bei dieser Unternehmung werden Preußen und nahezu alle protestantischen Fürsten Deutschlands, aber auch die weltlichen katholischen Fürsten sein, die Entschädigungen für ihre Verluste links des Rheins zu beanspruchen haben." 127 Siehe Weis, Anm.1171.
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Herrschaft eines erblichen Souverains. Das Beispiel des Westfälischen Friedens hat bereits gezeigt, daß das Reich seine Rechte an diesen Provinzen an seine weltlichen Mitglieder abtreten konnte ohne irgendwelche Erschütterung, ohne Störung der bestehenden Ordnung und bei gleichzeitiger Stärkung der Verfassung 128 ." Diese so eindeutige Frontstellung Montgelas' gegenüber den geistlichen Fürstentümern, die darin gipfelt, daß er der Kirche die Qualifikation und Berechtigung jeglicher Form weltlicher und staatlicher Herrschaftsausübung abspricht und für ihre Säkularisation eintritt, äußert sich 1797 nicht zum ersten Mal. Sie zeigt sich schon viel früher. So sagt er im "Memoire au Duc" von 1796 - als er sich mit den staatskirchlichen Verhältnissen in der Oberpfalz, Neuburg, Sulzbach und Schwaben beschäftigt, in denen die bayerischen Rezesse mit den Bischöfen nicht gälten und der Staat vorteilhafterweise "seine ursprünglichen Vorrechte in ihrer ganzen Ausdehnung" behalten habe - mit Genugtuung: "Jedermann weiß doch heute, daß der Bereich der Kirche sich auf die Lehre (le dogme) beschränkt, daß alles, was man ihr sonst noch gestattet, auf staatlicher Bewilligung beruht und nur insoweit rechtmäßig ist, als es in formellen Rechtstiteln begründet ist129 ." Das akzentuierteste Zeugnis, in dem Montgelas die unbedingte Souveränität des Staates über die Kirche fordert, geht jedoch noch weiter zurück. Es ist sein "Memoire instructif sur les droits des Ducs de Baviere en matiere ecclesiastique" vom Jahre 1789130 • Als Montgelas es verfaßt, kurz vor Ausbruch der französischen Revolution, ist noch nicht abzusehen, daß von Frankreich nach einem Krieg der Anstoß für allgemeine Säkularisationen in Deutschland kommen wird, obwohl der Gedanke auch im Reich längst in der Luft liegt. Alles, was Montgelas 1797 für Bayern fordern wird, ist in diesem Memoir, das für den Herzog von Zweibrücken als Erben Bayerns, aber auch für die preußische Regierung als dessen wichtigsten Verbündeten bestimmt ist13 t, schon klar vor konzipiert. Das 118 Seiten starke "Memoire instructif" ist eines der wichtigsten und grundlegendsten, das Montgelas verfaßt hat. Hier artikuliert er am intensivsten sein Prinzip der Staatssouveränität, besonders gegenüber der Kirche. Es ist bezeichnend, daß Montgelas gerade in dieser Schrift Ebenda. "Memoire au Duc", Weis, Kap. 22. 180 GSTA MA I 54. 131 "Ich tue dies in der Absicht, den Hof von B(erlin) für die Gerechtigkeit unserer Sache zu gewinnen, für den Fall, daß diese früher oder später zur Sprache kommen wird und vor allem, um richtige Vorstellungen zu vermitteln über einen Bereich, der wesentlich ist für die zukünftige Regeneration unseres Vaterlandes ..." Brief Montgelas' an Seinsheim vom 25.11.1788, zit. bei Weis, Kap. 9. 128 lZU
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sein großes Vorbild Vattel preisgibt und auf dessen "Droit des Gens" verweist. Vieles, was Montgelas bereits in der Schrift über die bayerische Kirchen- und Staatsverfassung gesagt hat, taucht in diesem in vier große Teile aufgegliederten Memoir wieder auf, bzw. wird noch einmal wiederholt und präzisiert. Da den allgemeinen Inhalt auch E. Weis wiedergibt132 , können wir uns hier ganz auf die Gegenüberstellung Montgelas Vattel beschränken. Da sind zunächst in der Einleitung Sätze, die noch einmal offenbaren, woher die Begriffe stammen, von denen Montgelas ausgeht und was darunter zu verstehen ist. Er beginnt: "Les Ducs de Baviere exercerent originairement sur la personne et les biens de leur Clerge tous les droits que la nature de la Souverainete assure a tous les chefs de la Societe civile" (S. 1). Ganz klar hier der Bezug auf Vattel und dessen naturrechtlich begründete Souverainität, die der Führer als Beauftragter der "societe civile", der "societe politique", innehat. Leider aber sei - so fährt Montgelas fort, diese "Souverainete" bald von der Kirche untergraben worden. Die unglückseligen Teilungen und Auseinandersetzungen zwischen den Kindern Kaiser Ludwigs des Bayern im 14. Jahrhundert hätten die weltliche Herrschaft derart geschwächt, "qu'il devint facile aux Eveques de faire passer de simples alleux achetes ou recus par forme de donnation en feudataires et d'eriger des Terres Landsassiales en Souverainetes independants" (S. 2). Die Bischöfe hätten sich die Reichsunmittelbarkeit also gewissermaßen erschmuggelt. Weitere schlimme Folgen: "Le droit d'advocatie sur Salzbourg et Passau passa en 1505 a la Maison d'Autriche et de tant de beIles prerogatives, il ne rest aux Ducs de Baviere, les anciens et legitimes Souverains de ce Pays que le steril honneur d'envoyer leur commissaires aux Elections133 ." Die Etablierung der Bischöfe als Souveräne habe dann einen bedeutenden Einfluß auf den Zustand des gesamten Klerus in Bayern gehabt: "Le sort des Eveches comme Souverainetes eut une influence marquee sur l'Etat du clerge Bavarois. Il ne fut plus aussi facHe de contenir un corps ambitieux, dont les chefs Haient devenus independants. Le droit de nomination aux premieres dignetes Ecclesiastiques se perdit absolument. La confirmation meme des eIections ne passa que par la cours de Rome. On ne songea plus a ce consentement Ducal, assensus Ducalis, qu'on avait defendu jusqu'ici avec tant de soin, et meme les armes a la main. On inventa la Doctrine monstrueuse de deux puissances distinctes, dont l'une est a l'autre comme le soleil a la lune l34 ." 132 E. Weis: Montgelas, a.a.O., Kap. 9: "Montgelas' Denkschrift über die Rechte der bayerischen Landesherrn gegenüber der Kirche, 1789. ce 133
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GSTA MA 154.
Ebenda.
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Fazit Montgelas': "La faiblesse de nos Souverains engages dans des quereUes de famille indeterminables les for!;a a reconnaitre par des titres solemnels la validite de ces invasions de leurs prerogatives les plus sacrees135 ." Gottlob habe dann aber die Reformation den Herzogen wieder mehr Gewalt gebracht, indem sie ihnen die Gelegenheit gegeben habe, ihre alten Rechte unter dem Vorwand (sous pretexte), die Bischöfe führten den Kampf gegen die neue Lehre nicht energisch genug, wieder zum Teil zurückzuholen: "Les progres de la reformation au seizieme Siecle furent favorables au retablissement de l'autorite souveraine, de la superiorite territoriale 138 ." Der letzte Satz dieser historischen Klage Montgelas', in der er "autorite souveraine" und "superiorite territoriale" gleichsetzt, sowie ein gleich noch zu nennendes ähnliches Zitat137 bestätigt noch einmal unser Ergebnis, daß Montgelas, wenn er vor 1806 von "Souverainete" spricht, darunter die Landeshoheit versteht, die superioritas territorialis; daß er aber meistens den Ausdruck "souverainete" verwendet, weil er der naturrechtIichen Argumentation Vattels folgt. Nach dieser historischen Einführung kommt Montgelas zu zwei Grundsätzen, auf denen er im Folgenden seine Abhandlung aufbaut, und die sein Vorbild Vattel in folgende Worte faßt: 1. "La Religion, entant qu'elle est dans le coeur, c'est une affaire du conscience, dans laquelle chacun doit suivre ses propres lumieres. Entant qu'elle est exterieure et publiquement etablie, c'est une affaire d'Etat138 ." Diesen Grundsatz bekräftigt Montgelas in nahezu wörtlicher Übereinstimmung: "La Religion exterieure et publiquement etablie c'est une affaire d'Etat1 39 ." Er übt in dieser Hinsicht sowohl an Kurfürst Maximilian 1. als auch an Herzog Wilhelm V. heftige Kritik; an ersterem, weil er bei seiner gewaltsamen Rekatholisierung der Oberpfalz "la liberte de conscience" unterdruckte140, noch schärfer jedoch an letzterem, weil er durch die Konkordate von 1583 mit den Erzbischöfen von Salzburg und den Bischöfen von Freising, Regensburg, Passau und Chiemsee die Autorität
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Ebenda. Ebenda. Siehe Haupttext nach Anmerkung 146. Vattel, Livre I, Chap. XII, § 127. GSTA MA I 54, BI. 112.
"L'Electeur Maxirnilian I. se crut en droit d'introduire la religion catholique." "Il se laissa persuader par les Jesuits aretablir le Droit Diocesain." BI. 14. 140
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und Souveränität des Staates unterhöhlt habe l41 • So etwas, konstantierte Montgelas, dürfe es nie mehr geben. Der weitere Inhalt seiner Denkschrift wird nun zum Grundsatzreferat, zum Statement, in dem er immer wieder die unbedingte Souveränität des Staates gegenüber der Kirche proklamiert. Dies sind drei seiner prägnantesten Aussagen: 1. Tout ce qui tient a l'essence du Culte et aux Dogmes est du ressort de l'Eglise. Tout le reste appartient de droit a la puissance politique."
2. "Sa jurisdiction s'etend sur les ämes seules et cette auto rite purement spirituelle. Le Dogme, la predication de l'Evangile, le reglement du culte dans l'interieure des Eglises, la forme de l'administration des Sacrements sont son unique ressort."
3. Auf weltlichem Sektor aber stehe der Kirche gar nichts zu: "Les Biens du clerge sont ou patrimoniaux et propres ou appartiennent aux benefices, dont Hs sont les administrateurs. Ils sont egalement sumet de l'Etat pour les uns comme pour les autres" (BI. 24). Diese Sätze entsprechen ganz dem Inhalt der §§ 132 -142 in Band I bei Vattel mit der immer wieder wiederholten Grundforderung: "Culte et Dogmes sont necessaires et du ressort de l'Eglise" und: "11 n'est qu'un Pouvoir supreme dans l'Etat ... Ecclesiastiques sont egalement comptables au Souverain" (§§ 138 und 141). Montgelas scheut vor schärfsten Attaquen gegen den Klerus nicht zurück. So, wenn er z. B. die Exkommunikation als besonders verwerfliches Machtkampfmittel der Kirche anprangert: "Cette privation de la communion des fideles nomme Excommunication n'agit que sur l'äme de celui, qui a le malheur de l'encourir." Er beschimpft die Kirche als eine "primitive Eglise" . Wie die Geschichte zeige, fährt er fort, sei die Exkommunikation für die Souveraine sehr gefährlich gewesen. Oft seien sie nicht mehr als gekrönte Sklaven der Priester gewesen: "Le pouvoir des clefs devint un Instrument dangereux entre les mains d'un Clerge ambitieux et avide. Chaque Eveque se crut en droit de s'en servir pour defendre des droits et souvent ses usurpations. Les papes 141 "Tout Concordat n'est par consequent qu'une diminuation gratuite de l'autorite seculiere, prejudiciable au souverain, funeste a la Societe." ("Jedes Konkordat ist in der Konsequenz nichts als eine Verminderung der weltlichen Autorität, dem Souverän präjudizierend und für die Gemeinschaft abträglich. " MA I 54.) Vgl. hierzu Vattel, Livre I, Chap. XII, § 148, der noch schärfer sagt: " ... n'estce-pas blesser les droits de le Societe et choquer les premiers eleens de l'art de regner?" ("Ist dies nicht ein Bruch der Rechte der Gemeinschaft und eine Verleugnung der elementaren Grundsätze der Regierungskunst?")
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l'employerent avec succes contre les Souverains qui osaient resister a leur despotisme." Diese Zeit sei eine der schlimmsten in der Geschichte gewesen, ein Jahrhundert des Aberglaubens ("un siecle de superstition")142. Hier hat Montgelas ganz klar Vattels Kap. 12, § 154 des Buches I vor Augen, Titel: "Excommunication des Souverains". Dieser sagt dort: "Les Excommunications lancees contre les Souverains et accompagnees de l'absolution du serment que les sujets leur avoient prete, mettent le comble a cet abus enorm; et il est presque incroyable, que les Nations ayent pu souffrir des attentats si odieux"143. Vattel zeigt die Gefährlichkeit der Exkommunikation für die Souveräne mit vielen Beispielen aus der Geschichte auf und bedauert den Aberglauben der Nationen Europas zu dieser Zeit, der die Exkommunikation erst zu so einem probaten Druckmittel der Kirche habe werden lassen: "Il est humiliant, de voir a quel exces de sottise la superstition avait reduit les Nations de l'Europe dans ces tems malheureux." Angeregt von Vattel, befaßt sich Montgelas dann mit etwaigen Immunitätsansprüchenl44 der Kirche in Bayern. Falls ein solcher Anspruch jemals auftauche, werde er diese "Borniertheit" sofort mit den geeigneten Mitteln beantworten, warnt er: "L'immunite Ecclesiastique, adoptee en Baviere, serait d'une maniere bornee." Es gebe keine Immunität in Bayern und werde auch nie eine geben: "L'immunite reelle est inconnue en Baviere. Les Biens Ecclesiastiques sont assujettis aux memes charges, impöts et indirects que ceus des autres citoyens. Les Prelats membres des Etats payent leurs parts ä la contribution de leur ordre, Standsteuer; les Ecclesiastiques etrangers possesseurs de fonds la 'Herrengiltsteuer' tout comme les Seculiers du meme Etat. Les terres des eures sont soumiGSTA MA I 54. "Die Exkommunikation gegen die Souveräne, begleitet von der Entbindung der Unterthanen von ihrem Treueid, setzt allem die Krone auf; es ist nahezu unglaublich, daß die Nationen so unerhörte Übergriffe dulden konnten." 144 Vgl. Vattel, Livre I, Chap. XII, § 151: "L'immunite, que le Clerge s'arroge est tellement contraire au droit naturel et necessaire de la Nation, que le Roi meme n'est pas en pouvoir de l'accorder. Mais les Ecclesiastiques nous diront, qu'ils tiennent cette immunite de Dieu lui-meme. En attendant, qu'ils en fournissent la preuve, que Dieu veut le salut des Etats, et non point ce qui doit y porter le trouble et la destruction ... Tout un ordre nombreux et puissant soustrait a l'Autorite Publique, et redu dependant d'une Cour etrangere, est un renversement d'ordre dans la Republique et une diminuation manüeste de la Souverainete." ("Die Immunität, die sich der Klerus anmaßt, widerspricht so sehr dem natürlichen und notwendigen Recht der Nation, daß der König selbst sie nicht gewähren kann. Aber die Geistlichen sagen uns, sie hätten diese Immunität von Gott selber. Bis zur Lieferung dieses Beweises halten wir uns an den festen Grundsatz, daß Gott das Wohl der Staaten will und ihm nicht Dinge gefallen, die die Staaten beunruhigen und zerstören. "l' 142
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ses ä la taille comme sous le nom de Widum Steuer. Les accises Douannes, Impöts sur les consommations tombent aussi ä la charge du clerge." Einzige Ausnahmen: "Les Capucins, Recollets, Theatins sont exempts du papier timbre. Les presbiteres et les Convents ne payent point l'impöt sur les feux (Herdstattanlage)." Aber diese Ausnahmen seien nichts als Gnadenerweise der Fürsten und keineswegs auf einer etwaigen Immunität der Kirche begründet: "Mais ces exemptions ne sont que des graces des Electeurs et non les suites de principes d'immunite qu'on a constamment rejettes"145. Montgelas konstatiert hieraus: "Der Souverän ist Sachwalter aller beweglichen und unbeweglichen Güter der Kirchen und anderen frommen Institutionen seiner Staaten. Er übt dieses Prärogativ durch seinen kirchlichen Rat über alle aus, die der unmittelbaren Rechtsprechung seiner Richter unterstellt sind und in seinem Wirkungsbereich liegen. Dieses Recht ist der Souveränität inhärent148 ." Die Denkschrift Montgelas' schließt mit einer deutlichen Ankündigung für die Zukunft. Sie stellt fest, daß das, was die bayerischen Bischöfe besäßen, sie nur dem liberalen Geist der bayerischen Herzöge und Kurfürsten zu verdanken hätten, ("que les Eveches Bavaroises doivent leur fondation ä la liberalite des Souverains", S. 112) und alles jederzeit zurückzufordern sei. Sie endet mit folgenden wichtigsten Sätzen: "L'Inspection sur ce qui concerne la religion, l'autorite sur ses ministres forment l'une des plus importantes prerogatives de la Souverainete. Aucun Souverain ne peut se departir de ce droit de Majeste au prejudice de ses successeurs. Ou moins sans le consentement de la Nation entiere." "Il suit de tout ce qui a ete dit, que la nature de superiorite territoriale 145 Im einzelnen geht Montgelas auf die Steuerpolitik mehrerer bayerischer Herzöge ein. Herzog Albrecht IV., meint er, sei der Kirche entgegengekommen und habe eine Sondersteuer des Klerus an den Staat, "decime", aufgehoben. Die Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. hätten mit Zustimmung des Papstes Hadrian VI. 1523 den 5. Teil der geistlichen Einkünfte in ihren Staaten für ihr Herzogtum eingezogen. Dieselben Herzöge hätten 1548 das Recht erhalten, für drei Jahre den Zehenten von allen geistlichen Einkünften außer den mensae episcopales und denen der Kapitel einzuheben. Unter Albrecht V. seien diese Konzessionen 1550 und 1556 verlängert worden, Wilhelm V. habe sie während des Kölner Krieges erhalten und Maximilian I. sie während des 30jährigen Krieges mehrfach erneuert bekommen; ebenso Max Emanuel während des Türkenkrieges 1683 und 1690. Seit 1759 habe die Einhebung dieser Steuer ununterbrochen existiert, die Bulle aus diesem Jahre sei von Rom stets erneuert worden, zuletzt am 6.11.1787 für 10 Jahre. Hierin seien auch die mensae der Bischöfe und Kapitel eingeschlossen. - Montgelas bezieht sich vor allem auf OefeZe: Scriptores rerum Boicarum. Siehe hierzu bes. die Anm. 526 vonE. Weis. 148 "Le Souverain est administrateur ne de Tous les Biens meubles et immeubles des Eglises et ouvres pies de ses Etats. 11 exerce cette prerogative par son conseil Ecclesiastique sur celles qui sont soumises a la jurisdiction immediate de ses jugens et situees dans le ressort de ses Baillages. Ce Droit est inherent a la Souverainete."
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et les constitutions de l'Empire a un droit plein et entier a l'exercice de la Souverainete etendue dont ses Predecesseurs au Grand Duche de Baviere ont joui autrefois sur la personne et les Biens du Clerge mediat de leurs Etats, et qu'aucun obstacle legal ne s'oppose a ce qu'elle ne rentre en jouissance de prerogatives qui n'ont ete cedees que par des privileges gratuits et revocables." In dieser "Conclusion", die das Prinzip der Staatssouveränität gegenüber der Kirche noch einmal mit nachdrücklichster Intensität betont und aus der die Säkularisationsabsicht Montgelas' klar herauszuhören ist, wird Vattel von diesem mehrere Male zitiert und besonders dessen § 139, Titel: "Le Souverain doit avoir inspection sur les auffaires de la Religion et autorite sur ceux, qui l'enseignent" - hervorgehoben. Dort heißt es: "L'inspection sur les matiE~res qui la (religion) concernent, et autorite sur ceux qui l'enseignent, sur ses ministeres, forment l'un des plus importans de ces Droits de Majeste dont aucun Souverain ne peut se departir sans l'aveu certain de la Nation." Montgelas übernimmt dies in seine ersten Conclusion-Satz fast wörtlich. Sein zweiter Satz dagegen beweist erneut, was wir schon wiederholt feststellten: nämlich, daß er Landeshoheit = "superiorite territoriale" meint, wenn er schon vor 1806 - Vattels naturrechtlicher SouveränitätsInterpretation folgend, die sich das Postulat Bodins dergestalt zu eigen macht - von "souverainete" und deren "exercice" durch die Herzöge und Kurfürsten spricht. Nicht aber die volle, umfassende Souveränität des modernen Staates, die er erst nach Vattels Lehre in Bayern verwirklichen will. Der große Einfluß des Schweizer Völkerrechtlers Emer de Vattel auf Montgelas ist damit bewiesen. Nicht nur seine wichtigsten Grundgedanken zu Staat und Gesellschaft übernimmt Montgelas von Vattel, wie z. B. auch besonders den Gedanken der Toleranz, speziell der religiösen Toleranz 147 , dem E. Weis in seiner Biographie ein eigenes Kapitel gewidmet hat148 ; es scheint sogar, daß die Persönlichkeit des Staatsmannes Montgelas selbst sich nicht zuletzt auch besonders nach den zwei Prinzipien ausgerichtet und geformt hat, die Vattel als Grundvoraussetzung für jeden erfolgreichen Staatslenker aufstellt. Sie lauten: 1. Jeder Staatsmann müsse ganz besondere Vaterlandsliebe, "amour de la patrie"149 besitzen, und 147 Vgl. hierzu besonders Vattels Livre I, Chap. XII, § 135: "De la tolerance", aber auch viele andere Paragraphen. 148 Siehe Weis' Kap. "Der Gedanke der Toleranz in Montgelas' Schriften". 148 Siehe die §§ 119, 121 und 122 in Kap. XI von Livre I.
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2. er müsse sich ein System schaffen, "etablir un systeme"160 nach dem er klar und unbeirrbar regiere. Beides sind Grundsätze, die, wie wir gesehen haben, Montgelas bei sich besonders hervorhebt. Sein System aber basiert in den wesentlichen Grundzügen auf der Lehre Vattels, sein "Prinzip der Staatssouveränität" fußt auf dessen "Droit des Gens". Im Folgenden sei nun gezeigt, wie Bayern das Ziel Montgelas' erreicht: die Souveränität. Die Darstellung wird sich dabei hauptsächlich mit der äußeren Souveränitätspolitik Bayerns befassen. Die Durchführung des inneren Souveränitätsprogramms, den Bau des modernen bayerischen Staates durch Montgelas, die Realisierung seines Konzepts, können wir im weiteren Verlauf nur kurz skizzieren. Diese Thematik ist ja auch in vielen Arbeiten, vor allem von Michael Doeberl, H. H. Hofmann und Ludwig Doeberl, eingehend behandelt worden und wird durch E. Weis noch ausführlicher dargestellt werden. Die bisher überhaupt noch nicht erkannte, wesentlichste theoretische Grundlage von Montgelas' Prinzip der Staatssouveränität machte jedoch dieses umfangreiche Kapitel notwendig. 5. Die Erringung der Souveränität Der Zusammenbruch des Reiches - Bayern im Rheinbund Die Geschichte der Politik Bayerns in den letzten Jahren der Reichsverfassung, die mit seinem Anschluß an den Kontinentaleroberer Napoleon endet, ist in einer Reihe von eingehenden Untersuchungen ausführlich dargestellt worden1. Wir können uns deshalb - ihre allgemeine Kenntnis voraussetzend - ausschließlich auf die Frage konzentrieren, die sowohl bei Montgelas' Bündnisverhandlungen mit Frankreich, beim Zusammenbruch des Reiches, als auch bei Bayerns Politik im Rheinbund, die alles beherrschende Rolle spielt: die Souveränität. Dieses Kapitel umfaßt die Zeit von 1805 bis 1813. Die bei den entscheidenden historischen Stationen auf dem Weg zur Souveränität sind für Bayern der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803, bei dem es nach seinem Friedens- und Freundschaftsvertrag mit Frankreich vom 24. August 1801 für seine linksrheinischen Verluste mit am reichlichsten entschädigt wird, und der Friede von Preßburg vom 26. Dezember 1805, ihm vorausgehend der Bogenhausener Allianzvertrag vom 25. August 1805, in dem ihm Tirol als wichtigster Siehe das ganze Kap. III von Livre I. M. Doeberl: Rheinbundverfassung und bayerische Konstitution, München 1924; J. Gmeinwiser: Die bayerische Politik im Jahre 1805, München 1928; H. K. v. Zwehl: Der Kampf um Bayern 1805, Bd. I, München 1937; Th. Bitterauf: Geschichte des Rheinbunds, 1905 u. a. im folgenden zit. Literatur. 150
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Gebietszuwachs zugesprochen wird und es den Rücken frei bekommt gegen Österreich, dazu gleichzeitig nicht mehr von allen Seiten von Reichsland eingeschlossen ist. Der äußere Weg Bayerns zur Souveränität ist jedoch durchaus nicht so konsequent und geradlinig, wie es Montgelas' inneres Souveränitätsprogramm (Säkularisierung und Mediatisierung der geistlichen reichsunmittelbaren Fürstentümer und der weltlichen Reichsritterschaft), das ja zum großen Teil auf der Voraussetzung äußerer Souveränität gegenüber Kaiser und Reich basiert, vermuten läßt. Montgelas' außenpolitische Richtschnur ist zunächst keineswegs die Anlehnung oder gar ein Bündnis gegen das Reich mit Frankreich, für das er nicht die geringsten Sympathien empfindet. Aber es wird schließlich für ihn die einzige Alternative. Der Grundpfeiler von Montgelas' Außenpolitik vor dem 2. Koalitionskrieg heißt zunächst nicht Souveränität, sondern Neutralität; er strebt nach Handlungsfreiheit zwischen den beiden kämpfenden Großmächten Österreich und Frankreich, zwischen denen Bayern eingekeilt ist. Aus dieser Position hofft er für Bayern zum gegebenen Zeitpunkt das Beste herauszuholen. Montgelas' großes Vorbild für diese Politik ist Preußen. Preußen hatte 1778 die Unabhängigkeit des Kurfürstentums Bayern gerettet, was zur größten Popularität Friedrichs des Großen in der bayerischen Bevölkerung geführt hatte. Preußen und der von Friedrich gegründete Fürstenbund war seit 1778 der "Angelpunkt der Politik Zweibrückens"2 gewesen. 1795 in Basel hatte Preußen nun "Neutralität" vorexerziert, war aus der Einheitsfront gegen Frankreich ausgebrochen. Aber ist eine Neutralität Pfalz-Bayerns, die Montgelas und vor allem auch Kurfürst Max Joseph anstreben, realiter zu erreichen? Die Ereignisse vor dem Kriege zeigen sehr schnell, daß sie unmöglich ist. Auf Grund seiner geographischen Lage ist sie ausgeschlossen. Österreich erklärt bei verschiedenen Anlässen ganz unmißverständlich, daß es eine Neutralität Bayerns niemals dulden werde. Im Falle einer neuen Auseinandersetzung müsse es sich Bayerns entweder gütlich oder mit Gewalt versichern3 • Hilfe in dieser Situation kann für Montgelas nur von Preußen kommen. Auf Preußen konzentrieren sich deshalb vor allem im Jahr 1798 alle seine Bemühungen. Aber die Depeschen aus Berlin, die für Montgelas "die wichtigsten von allen" sind\ erfüllen seine Hoffnungen nicht und E. Weis: Montgelas, Kap. "Das Verhältnis zu Preußen". So der Bericht des zweibrückischen Gesandten in München, Kaeser, an Montgelas, vom 22.7. 1798. Chiffr. K. blau 196/5d GSTA München. 4 Brief Montgelas' an Kurfürst Max Joseph vom 29. 6. 1798, zit. bei Weis, Kap. "Das Verhältnis zu Preußen". Z
3
10 Quint
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I. Von Kurfürst Maximilian I. bis zum Vertrag von Ried 1813
bringen Enttäuschungen. Alle Bemühungen des sächsischen Bevollmächtigten Graf Goertz in Rastatt, für das ganze Reich mit Einbeziehung Pfalz-Bayerns eine Neutralität unter preußischem Schutz zu erreichen, scheitern an der unentschlossen ängstlichen Haltung des Berliner Hofes gegenüber Frankreich, das sich ebenso wie Österreich klar weigert, im Kriegsfall den süddeutschen Staaten eine neutrale Haltung zu gestatten5 • So schreibt Montgelas am 27. 10. 1798 enttäuscht und resignierend an Kurfürst Max aus Rastatt: "Es scheint nicht, daß die allgemeine Neutralität des Reiches über Preußen erreicht werden kann"; und am 4. 12. des gleichen Jahres stellt er fest: "Eines ist sicher: Wenn der Krieg ausbricht, werden Preußen und der ganze Norden Deutschlands ... sich heraushalten. Der Kampf wird zwischen Frankreich und dem Haus Österreich, dem Kurfürsten von Bayern und einigen geistlichen Fürsten ausgetragen werden. Das Land zwischen dem Rhein und der Donau wird der Leidtragende sein6 ." Genauso kommt es. Bayern hat keine andere Wahl, es muß wieder mit Österreich zusammengehen wie im 1. Koalitionskrieg. Preußen empfiehlt ihm dies auch mehr oder weniger deutlich: eine Übertragung des Neutralitätssystems vom Norden auf den Süden Deutschlands, heißt es aus Berlin, sei ohne Zustimmung Österreichs unmöglich und würde Bayern den allergrößten Gefahren aussetzen 7• Gezwungen und widerwillig geht Bayern in den erneuten Krieg, ohne Glauben an die Sache und an der Seite eines Partners, der sein Gegner ist. Der Krieg endet mit dem doppelten Verrat Österreichs an Bayern in Parsdorf und Hohenlinden am 15. und 16. Juli 1800, wo es Bayern um eigenen Vorteils willen den französischen Requisitionen und Kontributionen preisgibt und die Landesfestung Ingolstadt dem Feind ausliefert, ohne seinen Partner auch nur davon zu verständigen. Für Montgelas besteht nach diesen erneuten Erfahrungen mit Österreich kein Anlaß mehr, Rücksicht auf das Reich zu nehmen, das völlig versagt hat und Bayern nicht den geringsten Schutz hat bieten können. Er beginnt sich vom Reich zu lösen. Schon vor dem Frieden von Luneville (18. Februar 1801), der den 2. Koalitionskrieg beendet, setzt die "Orientierung der bayerischen Politik in Richtung Frankreich"8 ein. Sie findet ihren konkreten Niederschlag in dem Friedens- und Freundschaftsvertrag zwischen Bayern und Frankreich am 24. August 1801 9 •
5 S 7 S 9
Montgelas an Kaeser am 1. 8. 1798, K. blau 196/5d, GSTA München. Zitiert in den Anm.1188 und 1189 bei Weis, Montgelas. M. Doeberl: Entw.-Gesch. Bayerns, Bd. H, S. 338. Gmeinwiser: Die bayerische Politik im Jahre 1805, S. 22. Abgedruckt im Anh. v. Gmeinwiser.
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Die Annäherung Bayerns an Frankreich ist und bleibt zunächst jedoch "ohne feste Bindung"10. Vor allem Kurfürst Max Joseph, der zwar glaubt, daß von Frankreich "für mein Haus am meisten Sicherheit und Nutzen zu erwarten"l1 sei, hat nach den Eindrucken seines Aufenthaltes in Paris zu große Hemmungen, sich auf eine feste Allianz mit Napoleon einzulassen. Er will über den Status einer lockeren Interessengemeinschaft nicht hinaus und erklärt sich wie zu Beginn des 2. Koalitionskrieges als "neutral"1!. Trotz der freundschaftlichen Beziehungen zu Frankreich umgeht er jede Gelegenheit, sich zu eng an Napoleon zu binden. Weder beim Fürstentag zu Mainz (September 1804) noch bei der Kaiserkrönung Napoleons in Paris (2. Dezember 1804) noch bei dessen Krönung zum König von Italien (26. Mai 1805) ist er - trotz starkem diplomatischen Druck aus Paris 13 - anwesend; und Montgelas bestärkt ihn hierin. Bayern ist nach wie vor ein Mitgliedstaat des Reiches. Als sich jedoch Ende 1804 die politische Spannung in Europa verstärkt, sich die Umrisse einer neuen Koalition gegen Frankreich abzeichnen14 und Napoleon mit einem Bündnisangebot an Bayern herantritt, weiß Montgelas erneut, daß Bayern unmöglich seinen Neutralitätsstatus halten kann. Zu deutlich hat Napoleon schon 1803 zu verstehen gegeben, daß er im Fall eines erneuten Krieges Bayern, Baden und Württemberg als natürliche Bundesgenossen betrachten und die Ausdehnung des preußischen Neutralitätssystems auf das gesamte außerösterreichische Deutschland strikt ablehnen werde. Dies sind die drei Länder, durch die er seine Heere führen muß, will er einen schnellen und tödlichen Stoß ins Herz der österreichischen Donaumonarchie führen 15. 10 Ebenda. 11 Ebenda. 12 Ebenda. 13 Siehe die diesbezüglich ausführliche Korrespondenz in GSTA MA III, Frankreich 8 und 9; vgl. Gmeinwiser, S. 24, und M. Doeberl: Entw.-Gesch. II, S. 343, deren Interpretation dieser Politik die Akzente unterschiedlich setzt. Der nationalliberal deutsch denkende und schreibende Doeberl hob seinerzeit hervor, Kurfürst Max habe es ..verschmäht, Napoleons Kaiserkrönung durch seine Gegenwart einen höheren Glanz zu verleihen. Sein Beispiel war für andere deutsche Fürsten vorbildlich". Gmeinwiser meint heute nüchterner: .. In dieser Zurückhaltung des Kurfürsten war bewußt ein Teil bayerischer Souveränitätspolitik enthalten." Beide Interpretationen sind richtig, wobei die von Gmeinwiser wohl die gewichtigere ist. 14 Angesichts des Empire, das den europäischen Mächten als die Krönung der französischen Universalpolitik mit dem letzten Ziel der Beherrschung Europas erscheint, schließen Rußland und Österreich am 6. November 1804 ein Defensivbündnis, dem die militärische Sperrung der österreichischen Grenze gegen Italien und die Versammlung einer österreichischen Armee in Venetien folgt. Schweden verbündet sich am 3. Dezember 1804 mit England, im Januar 1805 mit Rußland. Siehe hierzu am besten: Rudolfi,ne v. Der: .. Der Friede von Preßburg", Münster 1965; Kap. I: .. Die Kriegsziele der Koalition", S. 9 - 16. 11 "e'est sur le chemin qui mene de Strasbourg ä Vienne que les Francais doivent aller forcer l'Autriche ä la paix, et c'est le chemin que vous voudriez 10'
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Anfang Januar 1805 gibt Talleyrand dem bayerischen Kurfürsten durch dessen Pariser Gesandten Cetto noch einmal deutlich zu verstehen, daß Frankreich eine Neutralität Bayerns auf keinen Fall anerkennen werde1'. Frankreich sehe Bayern lieber auf der Seite der Feinde als neutraP7. Gleichzeitig treffen in München aus Wien die besorgniserregendsten Berichte des dortigen bayerischen Gesandten Freiherrn von Gravenreuth ein, in denen dieser immer wieder auf die Unmöglichkeit einer Neutralität Bayerns hinweist. Er sei überzeugt, schreibt Gravenreuth an Max Joseph, daß Österreich im ersten Augenblick zwar scheinbar ein System der Neutralität anerkennen werde, aber nur, um sich desto sicherer dann ohne Schwertstreich ganz Bayerns zu bemächtigen und ihm die Unabhängigkeit des HandeIns zu nehmen18 • Hinzu kommen Meldungen, daß Österreichs Verbündeter Rußland nicht abgeneigt ist, Österreich Vergrößerungen auf Kosten Bayerns und Preußens zuzugestehen, ebenso die britische Regierung. Kurfürst Max Joseph fühlt sich in hohem Maße bedroht. Dennoch vermag er sich nicht zum Handeln zu entschließen, er zögert und schwankt, spricht weiter von Neutralität, ruft vergeblich Preußens Hilfe an. Die Entscheidung wird ihm von seinem leitenden Minister abgenommen. Montgelas faßt den Entschluß, sich auf die Seite derjenigen europäischen Macht zu schlagen, welche ihm als die einzige erscheint, die leur interdire; s'est en nous privant du secours de nos allies natureIs, Bade, Würtemberg et 1'Electeur de Bavieere, que vous songez a empecher la guirre du continent." So äußert sich Napoleon am 27. Nov. 1803 zum preußischen Gesandten. Am 30. Nov. 1803 schreibt Talleyrand dem französischen Gesandten in Berlin: "C'est sur 1'Inn qu'est son cöte faible, c'est la qu'une attaque bien dirigee ne peut manquer d'attendre au coeur de la monarchie." Aus: P. C. AlombertJ. CoZin: La campagne de 1805 en Allemagne, Paris 1902, I, S. 73/74. 18 Bericht Cettos v. 8.1. 1805: "Je ne me dissimule, que V.A.S.E. ne pourra pas se maintenir dans un etat neutre et passü, et qu'en voulant Se soustraire ades calamites passageres dont Elle pourrait etre amplement dedommagee a la paix, Elle risque d'eprouver les memes calamites un peu plus tard pendant la guerre et de manquer toute Sa grandeur ou meme de perdre Son existence politique a la paix." GSTA MA IH, Frankreich 9. 17 "L'Electeur connait sa position pour savoir qu'il ne pourrait rester neutre du moment ou la guerre serait allumee entre la France et l' Autriche. Cette neutralite serait, tellement au desavantage de la France, qu'elle devrait preferer d'avoir la Baviere pour ennemie." Denkschrift Talleyrands vom 28. 5. 1805, abgedr. als Beilage 5 bei Gmeinwiser, S. 218. 18 "Als Mann von Ehre und Ergebenheit kann ich Euer kurfürstlichen Durchlaucht nicht verhehlen, daß Sie im Prinzip notwendig die Partei der einen oder der anderen kriegführenden Macht ergreüen müssen, wenn Sie nicht das Urteil Ihres Staates unterzeichnen wollen." Zit. bei DoeberZ: Entw.-Gesch. H, S. 343. Zu den Berichten Gravenreuths siehe vor allem die Arbeit von H. K. v. ZwehZ: Der Kampf um Bayern 1805, Bd. I, München 1937. Noch wertvoller ist aber die von Zwehl neuerdings herausgegebene Quellenedition: Die Bayerische Politik im Jahre 1805, Urkunden gesammelt und ausgewählt ... , in Schrütenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, Bd. 64, München 1964. Sie wurde für die folgende Darstellung u. a. besonders verwendet.
5. Die Erringung der Souveränität
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Bayern in diesem Augenblick "Sicherheit und Nutzen"19 geben kann, und die dieses auch verspricht: 1805 deklariert Napoleon als sein Kriegsziel, er werde nach Wien marschieren und die Waffen nicht niederlegen, bis er Neapel und Venedig gewonnen und Bayern so weit vergrößert habe, daß es Österreich nicht mehr zu fürchten brauche2°. Für den höchsten Einsatz, den Montgelas mit diesem Schritt riskiert, wagt er es, auch den höchsten Preis für Bayern zu fordern: es sind alle Voraussetzungen, die er braucht, um Bayern zu einem nach außen hin völlig souveränen, unabhängigen Staat in Europa zu machen. "Alle unsere Anstrengungen seit 1805, die Leiden, die Taten, der Ruhm, den unsere brave Armee erworben, haben kein anderes Ziel gehabt, als die Erringung der vollen Souveränität"2!, schreibt Montgelas neun Jahre später. Dazu gehört für ihn zu allererst die Geschlossenheit des Territoriums des bayerischen Staates. Eine "Arrondierung seiner Bestandteile", wie sie Montgelas' geistiger Vater Vattel als wichtigste Prämisse für den souveränen Staat betonte, hatte Bayern im Reichsdeputationshauptschluß noch keineswegs erreicht. Ein mächtiger Keil fremden Gebietes - das preußische Ansbach-Bayreuth, die Reichsstadt Nürnberg, das kurfürstlich-salzburgische Eichstätt - schob sich zwischen Alt- und Neubayern; der Staat des Kurerzkanzlers um Regensburg, die Reichsstadt Augsburg, die Besitzungen des Malteser- und Deutschritterordens und die Enklaven des Reichsadels in Franken und Schwaben22 unterbra19 In den außenpolitischen "Denkwürdigkeiten", wie auch an vielen anderen Stellen, betont er später immer wieder: "Unsere Allianz mit Frankreich war weder aus besonderer Vorliebe für diesen Staat, noch aus Hass gegen irgendeinen anderen, sondern lediglich deshalb abgeschlossen worden, weil sie dem Lande Sicherheit und Nutzen versprach, auch bei der damaligen Lage Deutschlands die feste Stütze, deren wir nicht entbehren konnten, sich sonst nirgends darbot" ... Denkwürdigkeiten, übers. v. Freyberg, S. 299. 10 Vgl. diesbez. besonders Napoleons Brief an Talleyrand vom 23. August 1805, in Correspondance de Napoleon Ier, Bd. XI, Paris 1863, No. 9117, S. 117 f. Hierüber Oer, Kap.: "Die französischen Kriegsziele" , S. 17 ff. 21 Instruktion an den bayerischen Gesandten beim Wiener Kongreß, Feldmarschall Karl Philip Wrede, vom 14.6. 1814, zit. bei M. Doeberl: Bayern und Deutschland im 19. Jahrhundert, München 1917, S. 3. Im französischen Originaltext schreibt Montgelas, wobei er schon vorher mehrfach das Postulat "souverainete pleine et entiere" hervorgehoben und Wrede ans Herz gelegt hat: "Tous nos efforts depuis 1805, les souffrances, les expolits, la glorie que notre brave armee a acquise n'a pas eu d'autre hut. Le sang precieux qui a ete verse a gros Flots est coule en vain; on aurait a se le reprocher si ce principe saisi recevait la moindre atteinte." GSTA MA II 1029. !! Durch den RDH vom 25. 2. 1803 war nur eine geringe Zahl von kleinen und kleinsten weltlichen Reichsständen mediatisiert worden, besonders die im 17. und 18. Jahrhundert durch den Kaiser im Interesse Österreichs gefürsteten Grafen. Vgl. A. Wahl: Gesch. des europäischen Staatensystems im Zeitalter der franz. Revolution und der Freiheitskriege (1789 - 1825), München - Berlin 1912, S. 137; H. Gollwitzer: Die Standesherrn, Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815 - 1918. Ein Beitrag zur deutschen Sozialgeschichte, Stuttgart 1957, S. 15 ff.
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chen die Einheitlichkeit des bayerischen Hoheitsgebietes, die ungeklärten staatsrechtlichen Verhältnisse der Reichsritterschaft und das kaiserliche Postregal "beschränkten die Souveränität des bayerischen Herrschers"23. Geblieben war vor allem auch die Umklammerung Bayerns durch Österreich an drei Grenzen, im Osten und Süden durch die geschlossene habsburgische Hausmacht, im Westen zwischen HIer und Lech durch das österreichische Schwaben. Das Jahr 1805 bildet einen Markstein in der Geschichte Bayerns. Denn in diesem Jahr wagt Montgelas den entscheidenden Schritt, um sein Ziel zu verwirklichen. Bayern strebt volle und uneingeschränkte Souveränität an, was in der Konsequenz seinen Austritt aus dem Reich bedeutet. Ob Montgelas diese Konsequenz will, ist jedoch nicht absolut sicher zu sagen. Bezeichnend für die Vorsicht und Taktik, mit der er bei der Bewerkstelligung des Bündnisses mit Napoleon vorgeht, ist ein ganz bemerkenswertes Faktum: Montgelas spricht sein erklärtes Ziel, das er 1814 so deutlich nennt, 1805 kein einziges Mal direkt und wörtlich aus, obwohl seine Forderungen faktisch nichts anderes bedeuten. Er vermeidet mit geradezu peinlichster Sorgfalt zu erklären, Bayern wolle "Souveränität". Das alles entscheidende Postulat, das in der Verfassungsgeschichte des Reiches und im deutschen Staatsrecht seit 1648 immer wieder die zentrale, umstrittenste Rolle gespielt hat, offen zu avisieren und sich damit unwiderruflich außerhalb des Reiches und der Reichsverfassung zu stellen, dafür ist er viel zu klug. Welche Politik Frankreich beim Westfälischen Frieden mit dem Wort "souverainete" betrieben hatte, weiß er; und jetzt im Reichsdeputationshauptschluß hatte es das Wort wieder absichtlich so vieldeutig ausgespielt, indem es die deutschen Landesfürsten als "Souverains" bezeichnete24. Die Reaktion in der deutschen Publizistik und im Staatsrecht folgte sofort: "Der deutsche Staatskörper verträgt sich nicht mit der Souveränität" und: "Souveränität der einzelnen Reichsstände und Fortdauer des Reichsverbandes sind heterogene Begriffe", wurde geschrieben25 . In Bayern hatte Nikolaus Thaddäus Gönner am 2S
Gmeinwiser, S. 20.
Das stellt R. 'V. Oer in einem kleinen Exkurs, S. 39/40 besonders heraus: "Das entscheidende Wort "Souveränität" ließ im Hinblick auf die deutsche Verfassungswirklichkeit eine klare Interpretation nicht zu, stammte es doch aus dem französischen Staatsdenken des 16. Jahrhunderts und war auf das deutsche Reich nicht anwendbar. In den französischen Übersetzungen der deutschen Verfassungsgrundlagen wurde das Wort "souverain" jedoch wiederholt für deutsche Landesfürsten gebraucht. Diese Ambivalenz machte den Begriff zu einem unerhört nützlichen Instrument der französischen Diplomatie. Seine Deutung konnte den jeweiligen Zeitumständen überlassen bleiben." 25 Zitiert in den Europäischen Annalen, 1805, S. 4. !4
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deutlichsten gesagt, daß auch nach dem Reichsdeputationshauptschluß von einer Souveränität der Staaten des Reichs überhaupt keine Rede sein könne, da sie nach wie vor dem Reich angehörten. Was Montgelas durchaus recht war und ist, und in sein politisches Konzept paßt. Den Ausgangspunkt für seine Bündnisverhandlungen 1805 bildet eine unverbindliche Fühlungnahme des bayerischen Gesandten Cetto in Paris mit Talleyrand am 2. November 180426 • In dieser Aussprache hebt Cetto als Kern der bayerischen Außenpolitik die Problematik des Verhältnisses Bayerns zu Österreich hervor und bezeichnet es als eine politische Dauerkrise ("une crise permanente"). Sie werde hervorgerufen durch die territoriale Umklammerung Bayerns durch Österreich an drei Grenzen und die zunehmende Ausdehnung des habsburgischen Einflusses in Süddeutschland, gestützt auf die Reste der feudalen Gewalten. Zur Lösung dieser Krise fordert Cetto für Bayern "la consistance d'une puissance reellement independante". Voraussetzung dafür wäre die Sprengung der österreichischen Umklammerung und die Herstellung eines einheitlich geschlossenen und vergrößerten bayerischen Staatsgebietes, weshalb sich im einzelnen folgende territoriale Forderungen Bayerns im Falle eines Anschlusses an Frankreich ergäben: der Erwerb des österreichischen Schwabens, dann Tirols, dessen Teilung mit Italien zugestanden werde, ferner der Heimfall aller fremden Enklaven innerhalb des bayerischen Hoheitsgebietes - der Besitzungen des Reichsadels, der Reichsstädte, der Ritterorden, des toskanisch-habsburgischen Fürstentums Eichstätt, des Staats des Kurerzkanzlers in Regensburg, schließlich der Tausch des preußischen Franken (Augsburg-Bayreuth) gegen das weitabliegende isolierte Herzogtum Berg. Zusammengefaßt bilden diese Forderungen des bayerischen Gesandten die Voraussetzung für die Existenz Bayerns als nach außen völlig souveränem Staat in Europa, und sie bedeuten die faktische Trennung und Frontstellung gegen das Reich. Aber Cetto spricht das Wort "souverain", das diese Trennungsabsicht offiziell für Frankreich signalisieren würde, kein einziges Mal aus. Er vermeidet es ganz bewußt, sagt vielmehr "reellement independant". Die ganz besondere Betonung bei seinen Forderungen legt er auf Tirol, das Bayern unbedingt besitzen müsse, wolle es den Rücken gegen Österreich freibekommen und "reellement independant" werden. Talleyrand merkt bei dieser Forderung besonders auf. Er lächelt verständ28 Cettos Bericht an Kurfürst Max Joseph vom 2.11.1804 über dieses Gespräch, im Geh. Staatsarchiv München unter MA 111, Frankreich 8, in den Akten, ist in den wichtigsten Auszügen abgedruckt bei Gmeinwiser, S. 209/210 (Beilagen). Die folgende Darstellung und wörtl. Zitate beruhen auf diesem Dokument.
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I. Von Kurfürst Maximilian I. bis zum Vertrag von Ried 1813
nisvoll27 und entgegnet, daß bei einem derartig vergrößerten Staat die Kurwürde seines Herrschers wohl nicht mehr ausreiche und ihm die dynastische Rangerhöhung in Form der Königswürde zukommen müsse. Mit den Gegenforderungen Frankreichs hält er noch zurück. Dem Inhalt der Ausführungen Cettos in der ersten unverbindlichen Aussprache mit Talleyrand entspricht die berühmte Weisung Montgelas' vom 9. Februar 1805 an den bayerischen Gesandten, in der er den Bündniswillen Bayerns in offizieller Form zu erkennen gibt. Die Weisung hat die Form einer Denkschrift28 • Auf Grund der geschichtlichen Erfahrungen und der gegenwärtigen Lage, stellt Montgelas fest, sei ein Bündnis mit Österreich auf jeden Fall abzulehnen; eine Neutralität Bayerns sei zwar gefühlsmäßig erwünscht - mit der langen Erwähnung der Neutralitätsmöglichkeiten!9 kommt Montgelas besonders dem Herzenswunsch von Kurfürst Max entgegen, der die Weisung unterzeichnet - sei aber realpolitisch wohl unmöglich. Es bleibe also nur ein Schutz- und Trutzbündnis mit FrankreichSt, an das sich Bayern jedoch nicht vorzeitig binden wolle, sondern sich dessen Abschluß offenhalten wolle, bis unmittelbare Kriegsgefahr bestehe. Die Bindung an Frankreich müsse so behutsam und vorsichtig wie möglich erfolgen und jederzeit wieder lösbar sein. Zu dieser Vorsicht gehört für Montgelas als erster und wichtigster Punkt, auf keinen Fall "volle und umfassende Souveränität" zu fordern und sich damit rechtlich und verfassungsmäßig außerhalb des Reiches zu stellen, was Österreich sofort eine willkommene Handhabe zum Einfall und zur Besetzung Bayerns liefern könnte. Zum anderen würde eine solche Forderung auch gleichbedeutend damit sein, sich von vorneherein bedingungslos Frankreich in die Arme zu werfen, woran Montgelas gar nichts gelegen ist. Denn die nach wie vor staats- und verfassungsrechtlich beibehaltene Stellung als deutscher Reichsstand ermöglicht es gerade, Frankreich als Bündnispartner große Forderungen zu stellen, während man sich die Verbindung zum Reich nach wie vor offen hält. So liegt diese Weisung ganz auf der Linie, nach der Cetto das vorbereitende Gespräch mit Talleyrand geführt hat. Von "souverainete pleine et entil~re" ist niemals die Rede, obwohl Montgelas als Preis für die !7 Cetto berichtet: "Ce serait sans doute un beau morceau a avoir que le Tirol, me repondit-il en riant." Ebenda. !8 In GSTA MA III Frankreich 9; Abdruck des 3. Teils der Weisung, Titel: "Des Interets particuliers de la Baviere" bei Gmeinwiser, Beilagen, S. 211 - 14. !U "L'expediant que je preferais serait celui d'une parfaite neutralite." 31 "Si cependant la conservation de la tranquillite devenait impossible que, surtout la Cour de Vienne ne voulut pas s'y preter, qu'il fallut absolument se declarer pour ou contre l'une des puissances belligerantes, je ne balancerais pas a joindre ce que j'ai de forces acelIes de la France, et a me lier a l'Empereur par un traite d'alliance offensif et defensif."
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bayerische Waffenhilfe - er legt daß Maß der militärischen Leistung Bayerns auf 30 000 Mann fest - noch einmal dieselben Forderungen stellt, die die "Begründung einer souveränen Stellung in Europa"32 beinhalten: Tirol, das österreichische Schwaben, das Innviertel, und Einverleibung aller fremden Reichsenklaven innerhalb des bayerischen Hoheitsgebietes. Besonderes Gewicht widmet Montgelas bei diesen Forderungen Schwaben, wo die territorialen Fortschritte Österreichs seit dem Frieden von Luneville für Bayern äußerst beunruhigend sind33 • Die Stellung Österreichs in Schwaben, das auch für Frankreich von strategischer Bedeutung ist, vollendet die Einkreisung Bayerns an der bisher noch freien Front gegen Westen. Bayern muß deshalb Schwaben besitzen, ebenso wie Tirol, will es sich aus der Umklammerung durch Habsburg lösen. Der unter diesen Bedingungen ausgesprochene Bündniswille Bayerns wird am 11. März 1805 durch einen Vertragsentwurf Talleyrands3 4 beantwortet. Darin fordert Frankreich von Bayern die Garantie Italiens, Bayerns selbst werden die Grenzen nach dem RDH vom 25. Februar 1803 versprochen, ferner das österreichische Schwaben als territoriale Entschädigung. In seinem Gegen-Vertragsentwurf vom 27. April 1805 s5 kann sich Montgelas zu der Garantie Italiens - womit sich Bayern direkt gegen Habsburg und den Kaiser stellen würde - noch nicht entschließen. Der Vertragsentwurf selbst ist sehr interessant. Der erste Teil, für den Verkehr mit den europäischen Kabinetten bestimmt, ist auf der NeutralitätS' Bayerns aufgebaut. Aber diese ist nur scheinbar. Denn in den geheimen Artikeln (articles separes) des 2. Teiles - und hier liegt der Schwerpunkt - ist ein enges Offensiv- und Defensivbündnis Bayerns mit Frankreich
Gmeinwiser, S. 32. Vgl. GSTA MA UI, Frankreich 9, Note der bayerischen Regierung über die neuesten Erwerbungen Österreichs in Schwaben, ohne Datum. Österreich habe in Nordschwaben zwischen Donau, Lech und Wertach ein geschlossenes Territorium gebildet, die Markgrafschaft Burgau. Auch in Südschwaben habe österreich am Nordufer des Bodensees einen Kern geschlossenen Gebiets geschaffen; dazu gehörten die Grafschaft Königseck-Rothenfels, das Fürstentum Lindau, die Abtei Weingarten, die Grafschaft Waldburg. 34 GSTA Pol.Arch. Nr. 14: "Projet de traite d'alliance entre la France et la Baviere de la main de Talleyrand." Bei Gmeinwiser abgedruckt als Beilage 3, 31 M
S.214/15. 35
18.
GSTA Pol.Arch. Nr. 14, bei Gmelnwiser abgedruckt als Beilage 4, S. 215 -
ss Vgl. Art. 5: "Si malgre tous ses efforts la guerre venait a s'allumer l'Electeur observera la neutralite la plus absolue et la plus stricte; il entrera dans aucune espece d'engagement contre la France ni fournira contre elle ou ses allies de contingent ni en nature, ni en argent ... In n'accordera pas le passage per la Baviere, le Haut-Palatinat, le Duche de Neubourg et ses Etats de Franconie a aucun corps de troupes destinees a agir contre l'Empereur et ses allies."
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I. Von Kurfürst Maximilian I. bis zum Vertrag von Ried 1813
vereinbart37 • Montgelas stellt nochmals alle bekannten Territorialforderungen und erklärt, daß der Kurfürst Bayerns nach ihrem Erwerb möglicherweise den Königstitel annehmen würde; Bayern erwarte dann vom Kaiser Frankreichs, daß dieser den Bayerischen König in seiner neuen Würde bei allen anderen Mächten unterstütze. Von einer "souverainete" Bayerns ist auch in diesem Vertragsentwurf Montgelas kein einziges Mal die Rede - obwohl sich Bayern schon durch die Verweigerung des Reichskontingents gegen Frankreich im 1. Teil des Vertrages, klar außerhalb der Reichsverfassung stellt.
Die "versteckte" Souveränität im Bogenhausener Vertrag Das Endresultat der monatelangen Verhandlungen ist der Bogenhausener Vertrag, der Anfang August 180538, nach der Garantie Italiens durch Bayern, und einem weiterführenden Allianzentwurf Montgelas' vom 1. JUli39 auf der Grundlage des Vertragsentwurfs vom 27. April in Zusammenarbeit mit dem französischen Gesandten in München, Dtto, in seiner endgültigen Fassung entsteht. Er wird nach Paris gesandt, von Napoleon gutgeheißen und am 25. August auf dem Landsitz Mongelas' unterzeichnet. Über den Vertrag von Bogenhausen ist in der deutschen Geschichtsschreibung wenig Gutes gesagt worden. Die schlimmsten nationalen Verdammungsurteile haben Ende des 19. Jahrhunderts Treitschke und seine Schule gegen ihn geschleudert. Ein wenig von diesen Ressentiments ist, so scheint es, auch bis heute noch übriggeblieben. So schreibt Rudolfine von Der in ihrer sonst sehr ausgewogenen Dissertation: "Der Vertrag von Bogenhausen hat in der deutschen Geschichte eine makabre Berühmtheit erlangt"40, und zitiert Lucchesini: "Damals wurden in München die ersten Glieder jener Kette geschmiedet, die in der Folge unter der 37 Aus Art. 1, 2 und 3 der "articles separes": " ... Si les dites puissances belligerantes ou l'une entre elles refusant ä la Baviere la neutralite juste et raisonable qu'elle desire, voulait ou englober ce pays dans la ligne des operations ou forcer S.A.S.E. se declarer en leur faveur ... dans toutes ces hypotheses l'alliance offensive et defensive entre la France et la Baviere sera publiee S.A.S.E. joindra ses troupes ä celles de S.M.I. et R. pour agir de concert contre l'ennemi commun. Pour ne pas perdre du temps dans la supposition que quelqu'une des hypotheses enoncees ... viendrait ä se realiser, les deux hautes parties contractantes sont convenues d'avances des stipulations suivantes. S.M.I. et R. sur la premiere requisition qui lui en sera faite de la part de S.A.S.E. fera marcher un corps de 100 000 hommes auquella Baviere joindre 20000 hommes d'infanterie, 3000 de cavallerie et un train d'artillerie proportioneI." 38 Abgedruckt bei Gmeinwiser, Beilagen, S. 218/19. 38 Bei demselben, S. 219/220. 40
Der, S. 32.
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unrichtigen Bezeichnung Rheinbund die Freiheit Deutschlands in beklagenswerter Knechtschaft hiel t 41 ." Wir können dieser Aussage, soweit sie ein moralisches Werturteil hinsichtlich der Politik Bayerns 1805 enthält, nicht zustimmen. Diese Politik war, wie es der nationalliberale bayerische Staatsrechtier Joseph Held 1856 in bezug auf alle Rheinbundstaaten formulierte, viel eher "die wenngleich höchst traurige, doch einzige Bedingung der Erhaltung ihrer Existenz und der Hoffnung einer besseren Zukunft für sie und ganz Deutschland"42. Held war gewiß alles andere als ein nachträglicher Befürworter des Rheinbundes. Zweifellos aber gehört der Bogenhausener Vertrag zu den interessantesten Dokumenten der neueren bayerischen und deutschen Geschichte. Denn er ist ein Meisterstück politischen und diplomatischen Könnens, bei dem im Vordergrund Gebietsforderungen Bayerns stehen, im Hintergrund sich jedoch alles um das entscheidende, zentrale Problem der Souveränität dreht. Zitieren wir noch einmal Montgelas' berühmtes Zitat aus dem Jahre 1814: "Alle unsere Anstrengungen seit 1805 haben kein anderes Ziel gehabt", als das der "vollen, uneingeschränkten Souveränität"43, sagt er. Schon der erste Artikel des Vertrages beweist dieses Ziel klar und deutlich. Bayern wird darin von Frankreich der Besitzstand von 1803 einschließlich der von der böhmischen Krone bestrittenen Lehnsrechte der Oberpfalz garantiert, ferner die bayerischen Prätentionen hinsichtlich der Reichsritterschaft, die Stimmen der säkularisierten geistlichen Gebiete am Reichstag und in den Reichskreisen, eine Entschädigung für Eichstätt, dessen Erwerb Bayern 1803 entgangen ist, sowie die Verwerfung des gegen den bayerischen Besitz in Schwaben angewendeten kaiserlichen Heimfallrechts versprochen44 . Auf bayerisches Drängen verpflichtet NaCl M. G. de Lucchesini: Historische Entwicklung der Ursachen und Wirkungen des Rheinbundes, aus dem Italienischen von B. J. F. v. Halem, 1. Teil, Leipzig 1821. Daß der Italiener L. sich 1821 nicht schmeichelhaft über die Verbündeten Napoleons äußert, der vor zwei Jahrzehnten Italien erobert hat, ist verständlich. 4! J. Held: System des Verfassungsrechts der monarchischen Staaten Deutschlands, Teil L, Würzburg 1856, S. 461. ca Siehe Anm. 21 dieses Kap. 44 Art. Ier: "S. M. l'Empereur des Francais, Roi d'Italie garantit a S.A.P.E. l'integrite de toutes ses possessions telles qu'elles ont ete reglees par le Reces du 24. Fevrier. Sont compris dans cette garantie tous les droits et prerogatives appartenant au territoire bavarois et nommement la partie du Haut-Palatinat relevant de la Couronne de Boheme et sur laquelle il s'est eleve des contestations, les pretentions de S.A.S.E. a la charge du Corps equestre, l'indemnite territoriale qui lui a ete promise pour Eichstaedt, les discussions qui subsistent entre l'Autriche et la Baviere touchant le droit d'epave et les possessions bavaroises en Souabe, les suffrages qui lui ont ete accordes a la Diete et aux Cercles par le § 32 du Reces de l'Empire, S. M. Imperiale et Royale promet d'employer toute son influence pour que ses objets soient regles a la pleine et
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1. Von Kurfürst Maximilian 1. bis zum Vertrag von Ried 1813
poleon sich ferner, jede sich bietende Gelegenheit zur Vergrößerung der Macht und des Glanzes seines Allierten zu ergreifen ("de saisir toutes les occasions ... pour augmenter la puissance et la splendeur de la Maison de Baviere"45. Der Artikel zeigt, gegen wen sich der Souveränitätsanspruch Bayerns richtet: gegen die Macht des Kaisers und gegen seine treuesten Stützen, die unmittelbare Reichsritterschaft, deren Territorien vor allem in den 1803 neu hinzugewonnenen Gebieten Bayerns, in Franken und Schwaben liegen. Der zweite Artikel verspricht Bayern französische Unterstützung gegen jeden Angriff, Exekutionen von Entscheidungen der Reichsgerichte eingeschlossen". Auch dies ist ein klarer Souveränitätsanspruch Bayerns gegenüber Kaiser und Reich. Trotzdem ist im Bogenhausener Vertrag wörtlich kein einziges Mal von Souveränität die Rede. In allen Vertragsentwürfen bis zum Schlußtext hat es Montgelas mit peinlichster Sorgfalt verstanden, das entscheidende Wort nicht ein einziges Mal erscheinen zu lassen. Er vermeidet es, um sich nicht unwiderruflich rechtlich außerhalb des Reichsverbandes zu stellen und völlig Frankreich auszuliefern. Denn was würde geschehen, wenn Frankreich diesen Krieg verliert? Die Folgen für Bayern, das sich ohne Umkehrmöglichkeit vom Reich abgewendet und zu Frankreich geschlagen hat, wären, das weiß Montgelas, furchtbar. Es könnte zum Teilungsobjekt gemacht werden. Deshalb ist das Wort "Souveränität" für ihn tabu. Diese Taktik, durch die Nicht-Nennung und dann sogar der NichtAusführung der Souveränität verfassungsrechtlich weiterhin am Reichsverband festzuhalten, um sich so die wichtigste Tür zum Reich weiter aufzuhalten und die Möglichkeit zu haben, wieder die Fronten wechseln zu können, führt, wie im folgenden zu zeigen sein wird, zu dramatischen Auseinandersetzungen mit Frankreich. entiere satisfaction de S.A.S.E. e tde saisir toutes les occasions qui pourront se presenter pour augmenter la puissance et la splendeur de la Maison de Baviere et proeurer ä ses Etats l'arrondissement et la consistance dont Hs sont susceptibles." Abdr. des Vertrages bei Gmeinwiser, S. 224. 45 Diese letzte Formel hatte Montgelas extra für den Schlußsatz des 1. Artikels in seinen "Observations sur le Projet de Traite" vom 8. August 1805 gefordert. Abdr. der "Observations" bei Gmeinwiser, S. 222. f8 "Art. 2: Si en haine des mesures que prendrait S.A.S.E. pour soutenir les droits de Sa Maison surtout ou quelques uns des objets, enonces dans l'article 1 er les Etats bavarois etaient serieusement menaces ou attaques, S.M.1. et R. s'engage ä faire cause commune avec S.A.E. et ä employer tous ses Moyens pour repousser l'aggression dirigee contre Elle, solt que la Puissance attaquante agisse de son chef ou commune executrice d'une dtkision des Tribuneau.;x: de l'Empire, S.M.1. et R. sur la requisition qui lui en serait faite de Ia part de S.A.S.E. Iui pretera l'assistance de toutes ses forces, si Elle ne parvenait pas par ses representations ä detourner l'agresseur de ses projets hostiIes."
5. Die Erringung der Souveränität
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Aber ist es wirklich nur Taktik, die Montgelas veranlaßt, das Wort "Souverainität" aus dem Bogenhausener Vertrag auszuklammern? In der großen Geheimen Staatskonferenz vom 20. Januar 180847 , zwei Jahre nach Eintritt Bayerns in den Rheinbund, in der er einen großen Rechenschaftsbericht gibt über seine Politik seit dem Frieden von Luneville, begründet er diese Ausklammerung damit, daß "Bayern mit Vorbedacht alles, was auf die Zertrümmerung der teutschen Constitution und Teutschlands Unabhängigkeit nachtheilig hätte würken können, absichtlich entfernet, und der Vertrag aus diesem Grund so einfach, als es nach den Umständen möglich gewesen, wäre abgeschlossen worden". Nur "die Garantie von Italien hätte nicht können umgangen werden, indeme Frankreich ausdrücklich hierauf bestanden"48. Das ist eine Erklärung, die große Beachtung verdient. Denn Montgelas sagt damit nichts anderes, als daß er in Bogenhausen deshalb auf die Forderung der vollen Souveränität verzichtet habe, weil er die Reichsverfassung habe erhalten wollen, das Reich nicht habe zerstören wollen. Nimmt man diese beiden Aussagen, die von 1814 und die von 1808, so heißt das, daß Montgelas einen souveränen bayerischen Staat gewollt hat, der trotzdem irgendwie weiter dem Reich angehören sollte. Wie Montgelas es sich allerdings dachte, auf der einen Seite die Reichsverfassung durch die faktische Verwirklichung der Souveränität, die Einverleibung der Reichsunmittelbaren und Reichsstädte, Nichtanerkennung der Reichsgerichte etc., praktisch auszulöschen, trotzdem aber das Reich weiter zu bejahen und existieren zu lassen, bleibt offen. Stellt man die Eingangserklärung des Bogenhausener Vertrags seinem Inhalt gegenüber, so sind sie jedenfalls ein Widerspruch ohnegleichen. Da wird die Aufrechterhaltung der bestehenden Organisation des Deutschen Reiches feierlich als gemeinsames Interesse der beiden Vertragspartner proklamiert, schon in den ersten Artikeln jedoch in unmißverständlicher Weise gegen diese Organisation Front gemacht. Montgelas bekräftigt seine in der Staatskonferenz von 1808 gemachte Aussage jedoch später in seinen "Denkwürdigkeiten". Und zwar weist er auf Württemberg hin. Er schreibt auf S. 111: "Am 2. Oktober 1805 habe Württemberg mit Frankreich einen Vertrag abgeschlossen, dessen geheime Artikel als der eigentliche Anlaß zum Einsturz des Deutschen Reiches angesehen werden dürfen49 ." Gemeint ist der Ludwigsburger Vertrag, den Napoleon mit seinem zweiten süddeutschen Verbündeten abschließt, und in ihm besonders die 47 Das Protokoll dieser Sitzung ist wörtlich abgedr. im Anh. von M. Doeberls Untersuchung "Rheinbundverfassung und bayerische Konstitution", München
1924, S. 73 - 79. 48 48
Ebenda, S. 75. Montgelas: Denkwürdigkeiten, S.111.
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Artikel 9 und 10, in denen Frankreich Kurfürst Friedrich von Württemberg die "souverainete pleine et entiere" verspricht51 , jene entscheidende Formel, die dann später wörtlich im Preßburger Friedenstraktat auftaucht. Betrachten wir die Entstehung des Ludwigsburger Vertrages kurz. Das Bündnis Württembergs mit Frankreich kommt unter spektakulären Ereignissen zustande. Auch Friedrich von Württemberg geht es wie Montgelas vor allem um die innere Einheit seines Landes, das weit stärker als andere deutsche Reichsterritorien von Reichsunmittelbaren Territorien durchsetzt ist. Er will die Fesseln, die seinem Staat durch die bestehende Verfassung Württembergs und durch die Reichsverfassung angelegt sind, beseitigen; vor allem hofft er mit den Landständen fertig zu werden, die ihm große Schwierigkeiten machen62 • Napoleon verspricht ihm hier auch tatkräftigste Unterstützung, erteilt drastische Ratschläge63 • Dennoch zögert der Kurfürst dann aber, sich endgültig Frankreich anzuschließen; er hofft bis zuletzt auf die Ausdehnung der preußischen Neutralität auf Süddeutschland. Erst unter dem Druck der Auffahrt französischer Kanonen vor seiner Residenz und durch Napoleons eigenes, persönliches Eingreifen kommt die Verbindung zustande, Friedrich von Württemberg wird von diesem regelrecht überrumpelt. In der hektischen Eile des Vertragsabschlusses - der französische Kaiser ist auf dem Weg nach Ulm, wo Österreich zum ersten Mal entscheidend geschlagen werden wird - gelingt ihm das, was er bei Montgelas, der eine Partnerschaft mit Frankreich systematisch aufgebaut und den Bündnisvertrag klug 51 Abdruck des Ludwigsburger Vertrages bei A. v. Schloßberger: Der Allianzvertrag des Kurfürsten Friedrich von Württemberg mit dem Kaiser Napoleon. in: bes. Beilage des Staatsanzeigers für Württemberg. Stuttgart 1887/88/89. 52 Das war in Württemberg noch schwieriger als in anderen deutschen Territorien. denn die württembergischen Landstände waren in besonderer Weise mit der deutschen Reichsverfassung verbunden. Dem Kaiser selbst stand das Schiedsrichteramt zwischen ihnen und ihrem Landesherrn zu. (Siehe darüber bes. Erwin Hölzle: Württemberg im Zeitalter Napoleons und der deutschen Erhebung. Stuttgart/Berlin 1937. S. 5.) Auf die Beseitigung dieses Abhängigkeitsverhältnisses zielt der 10. Artikel des Ludwigsburger Vertrages. in dem es heißt. man wolle in vorbereitende Verhandlungen treten. deren Zweck die Verteilung der Eroberungen an die Verbündeten Frankreichs. die Festlegung ihrer Unabhängigkeit und die Sicherung der drei Kurfürsten gegen jede direkte und indirekte Auswirkung eines österreichischen Ressentiments sein könnte. Vgl. Oer. S. 38. ss "Chassez les bourgres." Verjagen Sie die Schufte! soll Napoleon Friedrich von Württemberg geraten haben. womit er genau das traf. was der Kurfürst am meisten wünschte. Die Schwierigkeiten. die er mit seinen Landständen hat. werden in Art. 3 des Ludwigsburger Vertrages direkt ausgesprochen und ihre Beseitigung angekündigt. Eine offene Kampfansage an das Reich also. Bezeichnenderweise wird auch Art. 3 wie Art. 9 und 10 von Napoleon selbst diktiert. Zu Napoleons Ausspruch vgl. Th. Bitterauf: Gesch. des Rheinbundes. Bd. I. München 1905. D. 188 und Eugen Schneider: Württembergische Gesch.• Stuttgart 1896. S. 427.
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und berechnend genau nach seinen Ansichten gestaltet hat, nicht erreichen konnte: in dem Vertrag wird die "volle und uneingeschränkte Souveränität" Württembergs als wichtigste Forderung schriftlich fixiert, die entscheidenden Artikel 9 und 10 werden von Napoleon selbst diktiert54• Hiergegen nun wendet sich Montgelas' scharfe Anklage. Württemberg, betont er nachdrücklich, sei der "eigentliche" Zerstörer des Reiches, weil es die "souverainete" in seinem Vertrag mit den Franzosen wörtlich gefordert und vertraglich schriftlich fixiert habe. Ist Montgelas zu solchem Urteil berechtigt? Wirft er hier nicht mit Steinen nach anderen, obwohl er selbst im Glashaus sitzt? Halten wir uns vor Augen, wann er diese Äußerungen macht. Die Staatskonferenz vom 20. Januar 1808, in der er darauf hinweist, daß er die Reichsverfassung keineswegs habe "zertrümmern" wollen und deshalb keine volle Souveränität im Vertrag mit Frankreich gefordert habe, ist zu dem Zweck einberufen worden, zu beraten, ob man im Rheinbund bleiben soll oder nicht; zu stark ist das Joch Napoleons. Gegenüber dem Rheinbund, den Montgelas selbst als drohende "Prefeeture francaise"55 an die Wand gemalt hat, erscheint die Reichsverfassung Bayern geradezu als Freiheitshort. Man war dort weit unabhängiger und selbständiger als jetzt, wo man eine Souveränität besitzt, die nur auf dem Papier steht. Verständlich, daß Montgelas hervorhebt, er habe den Zusammenbruch der Reichsverfassung beileibe nicht gewollt und deshalb auch niemals volle Souveränität verlangt. Auch die auffällige Formulierung in den "Denkwürdigkeiten", Württemberg habe "den eigentlichen Anlaß" geliefert, legt die Vermutung nahe, daß diese Behauptung Mittel zum Zweck ist, daß er sich rechtfertigen, alle Schuld von sich weisen will. Als Montgelas diese Sätze schreibt, ist er nicht mehr der dirigierende Minister Bayerns, sondern ein verbitterter Zwangs-Pensionär und Memoiren-Schreiber. Er ist gestürzt worden wegen seiner uneingeschränkten, kompromißlosen SouveränitätsP9litik, wegen seines "unteutschen Systems", mit der er Bayern im Deutschen Bund in ein außenpolitisches Fiasko, in die völlige Isolierung geführt hat, die König Max Joseph zu seiner Entlassung zwang. Es ist also nicht allzu schwer erklärlich, warum er in seinen Memoiren auf den Bogenhausener Vertrag und die Vermeidung des Wortes "Souveränität" hinweist. Faktisch fordert er dort genau dasselbe wie Württemberg, 54 Dies berichtet der französische Gesandte in Württemberg, Didelot, der in Ludwigsburg dabei ist, am 6. Oktober an Talleyrand. Die entscheidenden Artikel 3,9 und 10 des Vertrags, in denen die Formulierung von der "souverainete pleine et entii~re" festgehalten wird, seien von Seiner Majestät selbst diktiert worden" ... qui ont ete dictes par S. M. Elle-meme". Siehe Obser V, S. 320. Vgl. auch Bitterauf, S. 188. 55 Siehe dazu unsere Darstellung weiter unten in diesem Kapitel.
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nämlich völlige Unterwerfung der Reichsunmittelbaren und jegliche Ausschaltung kaiserlichen Einflusses, sei es innen- oder außenpolitisch, auf seinen Staat. In seinen Territorialforderungen - Tirol, Innviertel, Schwaben - geht er sogar bedeutend weiter als Württemberg. Er fordert genauso Souveränität wie Württemberg - bloß -, und das ist der springende Punkt, an dem er sich festhält -, er nennt sie nicht56 . Er verweist darauf, daß er sich der Bedeutung dieses Begriffs im Hinblick auf das Reich sehr genau bewußt gewesen sei und den Untergang des Reiches nicht gewollt habe. Diese Aussagen werden jedoch durch ein Dokument aus dem Jahre 1806 schwer erschüttert, nämlich durch den Bericht des württembergischen Gesandten Graf Taube vom 5. Juli57, in dem dieser seinem König über ein langes Gespräch mit Montgelas am gleichen Tage Mitteilung macht. Taube ist nach München geeilt, um Bayerns Haltung hinsichtlich der "projektierten neuen Föderation" Rheinbund zu erkunden. Zu Beginn des Gesprächs fragt Taube Montgelas, ob Bayern weiter beim Reich bleiben wolle oder ob es die Absicht habe, sich ganz vom Reichsverband loszusagen. Montgelas äußert sich dazu nach Taubes Bericht folgendermaßen: "So viel nun insbesondere noch die gänzliche Lossagung vom deutschen Reichsverbande angeht, so bemerkte Freiherr von Montgelas, daß er diese, ohne Rücksicht auf die vorgeschlagenen Föderationen zu nehmen, stets als eine notwendige Folge der den drei Höfen des südlichen Deutschlands eingeräumten Souveränität angesehen und daß sein Allerhöchster Hof deshalb keinen Anstand genommen habe, den in Paris befindlichen Gesandten zu instruiren: ,sich auf solche Arrangements verbindlich einzulassen, wodurch diese gänzliche Trennung vom Reich bezweckt werde'58." Auf Grund dieser Antwort Montgelas' ist man geneigt, seine späteren Auslassungen von 1808 und in den Denkwürdigkeiten wohl doch zu Zweckdarstellungen zu erklären, und sein Vermeiden des Wortes "Souveränität" im Bogenhausener Vertrag als reines taktisches Vorsichtsmanöver zu werten, nicht aber als Rücksicht gegenüber dem Reich, das er 58 Gmeinwiser stellt hierzu, wenn auch nicht direkt auf das Problem der Souveränität eingehend fest: "Der Bogenhausener Vertrag war hinsichtlich der Reichsverfassung vorsichtiger gefasst (als der Ludwigsburger), hinter seinem Wortlaut steht aber die gleiche Absicht, zudem war der bayerische Vertrag beispielgebend für die beiden anderen süddeutschen Staaten" (S. 160). 67 Abgedruckt im Anhang von Kurt von Raumers' Aufsatz "Prefecture francaise", Montgelas und die Beurteilung der napoleonischen Rheinbundpolitik, Ein Bericht des württembergischen Gesandten Graf Taube, München, 5. Juli 1806, in der Festschrift "Spiegel der Geschichte" für Max Braubach, 1964, S. 635 - 661. Raumer gibt auf der Grundlage dieses Berichts eine Analyse der Situation und Haltung der Südstaaten vor ihrem Eintritt in den Rheinbund, besonders Bayerns. Wir greifen auf diesen Aufsatz noch zurück. 58 Ebenda, S. 661.
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dadurch retten wollte. Wie sollte das Reich nach der Loslösung der drei süddeutschen Staaten real weiter existieren? Selbst Kurfürst Max Joseph sieht das schon im Dezember 1805 als kaum möglich an. Er könne sich schlecht vorstellen, schreibt er am 14. 12. an den bayerischen Sondergesandten Gravenreuth im Hauptquartier Napoleons, daß der deutsche Reichskörper, gegen den man sich so frontal stelle, weiter bestehen bleibe, auch wenn das der Preßburger Friede scheinbar vorgebe 59 • Kurt von Raumer hat denn auch zu Montgelas' Ausführungen von 1808 und in den Denkwürdigkeiten gesagt, daß dieser "später nur allzu unbekümmert und mit den Tatsachen nicht ganz im Einklang die Schuld an der Auflösung des Reiches einseitig Württemberg zuschob und mit seinem reinen bayerischen Gewissen prunkte"60. Offen bleibt aber dennoch, ob Montgelas 1805 mit einem so schnellen Zusammenbruch der Reichsverfassung gerechnet hat, bzw. ob er überhaupt damit gerechnet hat. Möglich ist durchaus, daß er es nicht tat, und daß seine zukünftigen politischen Vorstellungen sogar auf dieser Voraussetzung der weiteren Existenz des Rest-Reiches aufbauten. Zwei Möglichkeiten bieten sich hier an: 1. Projektierte er Bayern als selbständigen, souveränen Staat zwischen Frankreich im Westen, dem Rest-Reich, Preußen und Österreich im Osten, der sich durch kluge Allianzpolitik zu einem mächtigen Staat erster Ordnung im Herzen Europas aufschwingen sollte? Man denke an seine "Politik der Allianzen", die er später immer wieder proklamiert und deshalb auch strikt den geplanten Deutschen Bund ablehnt 61 . Vielleicht hatte er die Absicht, sich mit einem gemäß den territorialen Forderungen von 1805 vergrößerten, souveränen Staat Bayern vom Reich zu trennen, das Rest-Reich aber durchaus bestehen zu lassen. Dieses mag er dann, im Verbund mit Frankreich oder Preußen, das dem Reich nach Montgelas' Ansicht sowieso nur noch "pro forma" angehörte, als bestmögliches Objekt für weitere territoriale Vergrößerungen eingeplant 68 " ••• des qu'on veut laisser subsister le Corps Germanique; Je ne vois pas comment on peut attaquer directement et de front un etablissement qu'on a consacre Soimeme de la maniere la plus positive et la plus solennelle par le Reces de la Deputation, malgre les representations fortes et continuelles, que j'avais faites acette epoque." Schreiben Kurfürst Max Josephs an Gravenreuth vom 14. Dezember 1805, Zwehl H, AnI. 43, S. 235. 80 K. v. Raumer: Prefecture francaise, S. 651. 81 Bezeichnend hierfür ist einer der ersten Berichte des bayerischen Gesandten in Wien, Fürst Wrede, der Montgelas' immer wieder in Instruktionen ge äußerte Absicht wiederholt, aber bedauernd melden muß, daß man damit schwerlich weiterkommt: ..Es wäre sicherlich besser gewesen, sich auf Allianzen zu beschränken und sich nicht auf eine deutsche Verfassung einzulassen. Aber alle Köpfe sind so exaltiert und verschossen in eine deutsche Verfassung, daß die Klugheit verlangt, sich ihr nicht gänzlich zu versagen." Bericht Wredes vom Herbst 1814, zit. bei M. DoeberL: Bayern und Deutschland im 19. Jh., München
1917, S. 3. l1 Quint
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haben, wofür zunächst die kleineren Fürsten und Grafen an der Peripherie Bayerns, dann aber auch seine größeren Nachbarn, besonders Württemberg, in Frage kamen. Nimmt man das an, so konnte es Montgelas gar nicht recht sein, daß Württemberg und Baden sich ebenfalls vom Reich abwandten und ein Bündnis mit Frankreich, ebenso wie Bayern, eingingen. Und es war ihm auch nicht recht: "Es wäre zu wünschen gewesen, daß Frankreich damals keinen anderen Alliierten als Bayern gesucht"82, dieser Satz mag durchaus in dieser Richtung anzusehen sein, nicht nur als spätere Anklage gegen den mangelnden Weitblick Württembergs hinsichtlich der Konsequenzen der Souveränität. 2. Die andere Möglichkeit könnte der zweite Nebensatz nach dem "Es wäre zu wünschen gewesen ... " andeuten: "" ... oder daß die übrigen teutschen Fürsten mit Bayern gleiche Ansicht der Dinge getheilt hätten". Dachte Montgelas vielleicht dann an einen von Bayern geführten DreierSüdbund, nachdem immer wahrscheinlicher wurde, daß Württemberg und Baden sich ebenfalls mit Frankreich verbünden und aus dem Reich austreten würden?
Warum aber dann ein Interesse am weiteren Fortbestand des Reiches? Eine Antwort läßt sich auch hier nicht allzu schwer finden. Für die verbündeten Staaten mußte es viel leichter sein, weitere Erwerbungen zu machen und sich zu vergrößern auf Kosten des so locker und noch gerade zusammengehaltenen Reichsverbandes als gegen festgefügte Bündnisblöcke, die sich nach seiner Auflösung sofort dadurch bilden mußten, daß die schutzsuchenden "Kleinen" unter die Fittiche der Großmächte eilen würden, sei es zu Österreich, zu Preußen, oder, was am ungünstigsten sein würde, zu Frankreich. Die drei großen Südstaaten hätten in diesem Fall nicht nur keine Möglichkeit mehr, nachbarliche Erwerbungen bei ebenfalls mit Frankreich verbundenen kleinen Fürsten und Grafen zu machen, sondern Frankreichs übergewicht in Deutschland wäre unerträglich groß, jeder politische Spielraum unmöglich geworden. Genau das aber tritt mit dem Rheinbund ein, dem zunächst am 12. Juli 1806 sechzehn deutsche Fürsten beitreten - darunter der Landgraf von Hessen-Darmstadt, die Fürsten von Nassau-Usingen und Nassau-Weilburg, die Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen und Hohenzollern-Hechingen - und in der Folgezeit in sogenannten Akzessionsverträgen sich 23 weitere, darunter der Großherzog von Würzburg, unter das Protektorat Napoleons be81 "Es wäre zu wünschen gewesen, daß Frankreich damals keinen anderen Alliierten als Bayern gesucht, oder daß die übrigen teutschen Fürsten mit Bayern gleiche Ansicht der Dinge getheilt hätten, allein Württemberg, durch den Wunsch nach Vergrößerung geleitet", habe hierauf "mit Frankreich einen anderen für Teutschlands Erhaltung schädliche Traktat geschlossen" und diesem "Traktate allein müsse man Teutschlands Auflösung zuschreiben." Aus dem Text des Staatskonferenzprotokolls vom 20. Jan. 1808, Beilage in M. DoebeTZ: Rheinbundverfassung, S. 75.
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geben63 , letztere alle nach dem 6. August 1806, dem Datum, an dem das deutsche Reich mit der Niederlegung der Kaiserkrone durch Kaiser Franz 11. aufhört, zu bestehen. Es gab also für Montgelas schon gewichtige Gründe, nach der Trennung Bayerns bzw. Württembergs und Badens vom Reich weiter an diesem Rest-Reich festzuhalten, indem er in ihm einen hochwichtigen Faktor im europäischen Spannungs- und Kräftefeld sah, dazu in ihm das geeignetste und günstigste Objekt für die eigenen weiteren Interessen erblickte. Andererseits aber ist man doch erstaunt, daß Montgelas bei der "ihm eigenen durchdringenden Klugheit"64 1805 wirklich nicht erkannt haben sollte, daß die Souveränität und Loslösung der süddeutschen Staaten vom Reichsverband letztlich zum Untergang des Reiches führen mußte. Kurfürst Friedrich von Württemberg, obwohl ein sehr impulsiver und willensstarker Herrscher, der durch diese Eigenschaften selbst Napoleon Achtung abnötigte, war sicher nicht so klug wie Montgelas. Erwin Hölzle attestiert ihm - und zitiert dabei aus Friedrichs Instruktion für seinen Gesandten Wintzingerode vom 29. September 1805 -, daß er "an die Möglichkeit einer vollständigen Souveränität im Innern" glaubte, "mit Ausnahme der durch die jeweilige Reichsverfassung notwendigen Modifikationen"85. Hölzle weiter: "Daß sein Streben nach so verstandener Souveränität ihn vom Reichsverbande losreißen und Frankreich ausliefern. werde, sah er nicht oder wollte er nicht sehen68 ." Der Württemberger hielt demnach 1805 trotz der Souveränität an einem weiteren Verbleiben seines Staates beim Reich fest, was Montgelas - siehe seine Aussage gegenüber Taube - praktisch unmöglich schien, und was auch von ihm nicht beabsichtigt war. Die Frage, ob er mit einem Fortbestand des Reiches rechnete, muß jedoch offen bleiben. Mit diesen Darlegungen und überlegungen haben wir den kommenden Ereignissen zum Teil schon vorgegriffen. Wenden wir uns nun der Souveränitäts-Politik Bayerns bis zum Frieden von Preßburg zu, die, wie der Bogenhausener Vertrag, durch höchste Vorsicht und Taktik bestimmt wird.
ea Vgl. Text der Rheinbundakte, abgedr. bei E. R. Huber: Dok. z. dt. Verf.Gesch., Bd. I, 1803 - 1850, Stuttgart 1961, S. 26 ff. " Raumer: Prefecture francaise, S. 650. es E. Hölzle: Württemberg im Zeitalter Napoleons und der deutschen Erhebung, Stuttgart/Berlin 1937, S. 9. M Ebenda.
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Die Auseinandersetzungen um das Linzer Abkommen Montgelas verzögert die "Exekution der Souveränität" Der Anschluß Bayerns an Frankreich 1805 ist allein das Werk Montgelas'. Kurfürst Max Joseph fällt der Entschluß zum Bündnis mit Frankreich äußerst schwer; er vermeidet es so lange wie irgend möglich, seine Unterschrift unter den Vertrag zu setzen. Er hat größte Angst vor den ungeheuren Konsequenzen dieses Schrittes; mit Tränen in den Augen erklärt er dem französischen Gesandten Otto noch am 25. August, daß er den Vertrag doch nicht unterschreiben könne67 • Vor allem das Verhältnis zu Preußen bereitet Max Joseph Sorgen. Niemals würde er mit Frankreich zusammengehen, wenn es sich auch gegen Preußen, "die rechtmässige Vormacht im Norden Deutschlands" wende, schreibt der französische Gesandte an Talleyrand68 • Erst als Otto den Kurfürst hier87
Berichte Ottos an Talleyrand v. 25. u. 26. Aug. 1805, Beilage Nr. 5 bei
v. Zwehl: Der Kampf um Bayern 1805, Der Abschluß der bayer.-franz. Allianz,
München 1937, S. 186 -190; "Dans notre derniere conference l'Electeur n'a pus s'empecher de rependre quelques larmes et je sais que la discussion interieure du Cabinet en a fait couler beaucoup". "Les doutes, que m'avaient inspires quelques propos vagues. L'Electeur etait sur le point de rompre la negociation." 8S "Au nom de Dieu, a-t-il (Max Joseph) ajoute, ne vous battes pas contre le monde entier. J'ai toute conftance dans le genie et la puissance de 1'Empereur Napoleon ... , qu'il vous sufftse de combattre les Autrichiens et les Russes mais si vous vous brouilles avec le Nord de 1'Allemagne vous ne pourres resister a tant d'ennemis a la fois." Otto faßt zusammen: "Je sais, Monseigneur (Talleyrand) que rien au monde ne pourrait engager 1'Electeur de Baviere a s'armer contre la Prusse et qu'il renoncerait plutöt a ses liaisons avec la France qu'a son devouement pour un Prince qu'il regarde avec raison comme le chef de son parti en Allemagne." Ebenda. Der preußische Gesandte in München, v. Schladen, wird vom Kurfürst und Montgelas über die bestehenden Verhandlungen mit Frankreich und die allgemeine Situation unterrichtet. v. Schladen berichtet am 7. September 1805: "Apres le diner 1'Electeur m'a fait venir dans son cabinet; il m'a confte tous ces details en ajoutant, qu'il ne savait que faire, mais qu'il tächerait, de gagner du temps par une reponse evasive." (Zit. bei Gmeinwiser, S. 78, Anm. 145.) Die bereits bestehende Bündnisverpftichtung Bayerns gegenüber Frankreich wird v. Schladen jedoch verschwiegen. Hardenberg vermutet sie zwar, sieht aber darin bis Anfang Oktober 1805, bis zur Verletzung der fränkischen Provinzen durch die französischen Heere, keinen Grund zur Änderung der preußischen Neutralitätspolitik. Seine Neutralität stützt Preußen durch eine eindrucksvolle, militärische Machtentfaltung. Am 8. Sept. 1805 erfolgt eine Teilmobilmachung von BO 000 Mann als Rückhalt gegen das Drängen Rußlands, den Durchzug einer russischen Heeresstaffel durch Schlesien zu erlauben, Mitte September wird die gesamte Armee mobilisiert. Alle fränkischen Provinzen mit Ausnahme einer Verbindungsstraße von der Oberpfalz nach dem bayerischen Franken werden in den Neutralitätsbereich einbezogen. Die Einbeziehung der süddeutschen Staaten an den preußischen Neutralitätsbereich, die von Württemberg Ende August 1805 noch einmal angeregt wird, lehnt Preußen erneut am 9. September ab. König Friedrich Wilh. begründet das gegenüber v. Schladen mit dem Argument, bei der "position geographique de mes propres Etats une neutralite armee embrassante toutes les parties de l' Allemagne ne pourrait que manquer son but, puisqu'il ne dependait pas de moi, de la soutenir avec 1'energie necessaire, et qu'on ne pourrait empecher les parties belligerantes de se chercher
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über beruhigt, verspricht Max Joseph, Montgelas zur Unterzeichnung zu autorisieren. Er selbst aber unterschreibt noch immer nicht. Als am 6. September plötzlich Fürst Schwarzenberg als außerordentlicher Gesandter Österreichs am Hof in München erscheint und ultimativ die Vereinigung der bayerischen Truppen mit den österreichischen fordert, mit dem drohenden Hinweis auf die österreichischen Truppen am Inn und auf die Russen in Galizien, bricht er zusammen; er sieht keinen Ausweg und sagt die Vereinigung der bayerischen Truppen zu. Montgelas verhindert es. Er setzt den Kurfürsten zusammen mit Otto unter größten Druck, stellt sein Portefeuille zur Verfügung und dringt in ihn, so schnell wie möglich München zu verlassen. Im Schutz der Nacht flieht Max J oseph von Nymphenburg nach Würzburg. Gleichzeitig gelingt es, die bayerischen Truppen zusammenzuziehen und vor den Österreichern, deren erste Heereseinheiten am 8. September zwischen 4 und 8 Uhr morgens den Inn bei Schärding überschreiten, nach den fränkischen Provinzen zu verlegen". Am 28. September 1805 ratifiziert der Kurfürst den Bogenhausener Vertrag. Die Erbitterung darüber in Wien kennt keine Grenzen. Zu genau weiß man dort, wer allein dieses Bündnis bewerkstelligt hat. Nach der Kapitulation Ulms am 17. Oktober 1805 bricht die ganze Erbitterung aus dem geschlagenen österreichischen General Mack heraus. Vor Napoleon ergeht er sich in den heftigsten Ausfällen über den "abscheulichen Minister Montgelas"70. Der glanzvolle Sieg der Franzosen bei Ulm ist für Montgelas die erste Bestätigung, daß er auf den richtigen Partner gesetzt hat. Am 25. Oktober zieht Napoleon in das illuminierte München ein, dessen Bevölkerung ihn jubelnd empfängt. Der französische Kaiser bekräftigt in der Residenz, daß er keine Erwerbungen in Deutschland machen wolle; alles, was er erobere, werde dem Kurfürsten von Bayern gehören. Ausdrücklich nennt er dabei Schwaben und Tirol, die wichtigsten außenpolitischen Souveränitätsziele Montgelas'71. et de se rencontrer dans les contrees qui se trouvent sur leur passage et qui par la meme cause devenaient plus ou moins le theatre des operations". Zit. bei Gmeinwiser, S. 79, Anm. 150. Dennoch bietet Friedrich Wilh. Kurfürst Max Joseph das Schloß von Ansbach zum Aufenthaltsort an. Siehe hierzu im einzelnen Gmeinwisers Kapitel "Freundschaftliches Verhältnis zu Preußen", S. 48 ff. 8D Am Morgen des 9. Sept. teilt eine kurze Note Montgelas' dem völlig überraschten Schwarzenberg und dem gesamten diplomatischen Corps die Abreise des Kurfürsten zum "Besuch der fränkischen Provinzen" mit. Vgl. Gmeinwiser, S.48. 7U R. v. Oer, S. 42 entnimmt dieses Zitat Mack:s Aufzeichnung seines Gesprächs mit Napoleon: "Precis de mon entretien avec l'Empereur des Francais", v. 27. Okt.1805, eigenh. Konzept und Reinschrift in HHSTA Wien. 71 Vgl. Doeberl: Entw.-Gesch. Bayerns, Bd. 11, S. 347.
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Diese Zusicherungen werden von Napoleons Außenminister und Chefdiplomaten Talleyrand, der am 27. Oktober, einen Tag vor der Abreise des Kaisers aus München, in der bayerischen Hauptstadt ankommt, in seinen berühmten Münchener Entwürfen72 wiederholt. Die Entwürfe bilden das erste große Verfassungsprojekt Frankreichs für die künftigen drei süddeutschen Königreiche und Rheinbundstaaten. Darin teilt er Bayern, Tirol, Salzburg, Berchtesgaden, die Reichsstadt Augsburg und das Innviertel, Regensburg nach dem Tod des Kurerzkanzlers Dalberg, die Grafschaft Königsegg-Rothenfels und die sieben vorarlbergischen Herrschaften zu, ferner kommt er mit dem Vorschlag eines Tausches von Würzburg und Bamberg den bayerischen Wünschen weit entgegen78 . Den Gewinn der Reichsstadt Nürnberg, auf die Preußen ein Auge geworfen hat, versagt er Bayern jedoch. Mit der Abtretung all seiner schwäbischen Enklaven, darunter Ulm an Württemberg und des Herzogtums Berg an Baden, werden Max Joseph sogar empfindliche Opfer zugemutet. Talleyrand bezeichnet die Entwürfe gegenüber Napoleon als "eine Arbeit über Deutschland, in welcher ich den Ideen Eurer Majestät zu folgen trachte"74. Sie zeigt das Fernziel Frankreichs klar und deutlich auf: Dreierbündnis der Südstaaten, die sich vom Reich trennen 76 und ein ewiges Bündnis mit Frankreich eingehen, Erhebung der drei Staaten zu souveränen Königreichen und Unterwerfung der Reichsritterschaft. Bei Streitigkeiten der Bündnerstaaten untereinander, die "Gott verhüten möge", behält sich Frankreich deren Vermittlung vor76 . Der Kern der 72 Abgedr. bei Obser V, S. 378 ff., AE, Mem. et Doc. France 658, Projet I u. 11 v. 26. Nov. 1805. 78 "Le Royaume de Baviere sera forme 1. des possessions actuelles de la Maison Bavaro-Palatine arexception de celles, qui ont ete cedees (a Bade le Duche de Berg, a Württemberg les villes de Nördlingen et Böpfingen, la ville d'Ulm et son territoire etc.). 2. du ci-devant Eveche de Passau du district de Burghausen ou de rInn, du ci-devant Eveche de Salzbourg, de la ci-devant Prevote de Berchtesgaden, du comte de Tyrol, des sept Seigneuries du Vorarlberg et de leurs enclaves, du comte de Koenigseck-Rothenfels, du ci-devant Eveche d'Eichstaedt et enfin de la ville et territoire de Ratisbonne, mais seulement apres le deces de l'Electeur Archicancelier actuel." 74 Brief an Napoleon v. 31. Oktober 1805, zit. bei P. Bertrand: Lettres inedites de Talleyrand a Napoleon, 1. und 2. ed., Paris 1889, S. 181. 75 "En se separant de la Confederation Germanique, L.L.M.M. les Rois de Bavieere, de Wurtemberg et de Bade n'entendent porter, en aucune maniere, atteinte au droit qu'ont les autres membres de la Confederation d'y rester unis ... Toute loi de L'Empire Germanique qui a pu prededemment concerner et obliger les Princes souverains de Baviere, de Wurtemberg et de Bade, leurs sujets et leurs etats ou partie d'iceux sera a l'avenir relativement aux dits Princes, etats et sujets, nulle et de nul effet." Art. 7 u. 3 (Reihenfolge, nicht numeriert) in Talleyrands Projet 1. 78 Dieser Pferdefuß ist in dem ganz kurzen Art. 10 (Reihenfolge) sorgsam versteckt: "Si ce qu'ä Dieu ne plaise, quelque difficulte s'elevait entre deux des dits etats, elle sera reglee et terminee ä l'amiable, sous la mediation du troisieme et la France." Obser, S. 381.
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Rheinbundakte ist in den Münchner Entwürfen vom 26. November bereits enthalten; was hier angedeutet wird, kann wenige Monate später ausgesprochen werden: Art. 12 der Rheinbundakte wird Napoleon zum "Protecteur" der Konföderation proklamieren. Einer der wichtigsten Artikel der beiden von Talleyrand in München konzipierten Novemberentwürfe bildet der fünfte im ersten Projekt. Er enthält die Bestimmungen über den Inhalt der Souveränität, die allen drei süddeutschen Königreichen garantiert werden soll. In der Eile des Ludwigsburger Vertragsabschlusses hatte Napoleon es unterlassen, diese näher zu definieren. Es genügte ihm, das entscheidende Wort in den Vertrag zu diktieren, das Bayern und auch Baden so diplomatisch klug umgangen hatten. Talleyrand holt dies nun nach. Als erstes leitet er daraus die Freiheit der Wahl des politischen Systems, der Gesetzgebung und Administration ab, ohne jedoch Rechte und Privilegien einzelner, die nicht an Kaiser und Reich geknüpft sind, zu berühren77 • Zweitens soll die Souveränität das Recht auf Unterdrückung und Enteignung aller "militärischen, religiösen oder gemischten Körperschaften" gewähren. Gemeint sind damit die Ritterschaft, die Stifter und die beiden Ritterorden, deren Gebiete innerhalb der drei Königreiche liegen. Die dritte Folge der Souveränität soll die "Hinführung zum Gehorsam", d. h. Mediatisierung des reichsunmittelbaren Adels sein, und als Konsequenz wird die Abschaffung aller auf Reichsprivilegien beruhenden "Etablissements", gemeint ist vor allem die Taxische Post, gefordert. Die Auflösung des alten Reichs wird in den Münchener Projekten nicht deutlich ausgesprochen, sondern vielmehr der Anschein erweckt, daß mit seinem Fortbestehen gerechnet wird; dabei setzen einzelne Bestimmungen seinen Untergang fast notwendig voraus. 77 "De la plenitude d'independance et de souverainete dont jouiront a l'avenir les Royaumes de Baviere, de Wurtemberg et de Bade, derive pour chacun des trois monarques le droit imprescritible 1. detablir dans ses etats tel systeme de lois politiques et civiles, tel ordre de jurisdiction et tels reglements d'administration qu'il jugera les plus convenables au bien de ses peuples, sans prejudice toutefois de droits et privileges particuliers que pourraient avoir les dits etats ou certaines parties d'icieux, en vertu de capitulations, conventions, concessions et autres titres qui ne seraient pas emanies des Empereurs ou de l'Empire. 2. de supprimer, s'il le juge apropos, toute corporation militaire, religieuse ou mixte dont les possessions seront situees ou enclavees dans ses etats et de reunir les dites possessions au domaine public. 3. de ramener l'obeissance ceux des Nobles, dits immediats qui ont leurs possessions situees ou enclavees dans ses etats de replacer leurs personnes et leurs proprietes sont soustraits dans les temps de trouble et de reunir au domaine public celles de leurs proprietes qui deviendraient vacantes par l'extinction des familles qui les possMent. 4. de supprimer tout etabillesement existand dans ses etats en vertu de privileges concedes seulement par les Empereurs ou par l'Empire."
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Schon knapp zwei Wochen nach Talleyrands Eintreffen in München werden die Souveränitätsbestimmungen des 5. Artikels des 1. Münchner Entwurfs in einem neuen Abkommen zwischen Frankreich und Bayern fixiert. Am 8. November 1805 schließen Kurfürst Max Joseph und Napoleon in Linz eine förmliche Übereinkunft über die Mediatisierung des reichsunmittelbaren Adels, der Reichspost und des Deutschen Ordens. Im sogenannten Linzer Abkommen77a wird - im Gegensatz zum Bogenhausener Vertrag - dreimal wörtlich die "Souveränität" des bayerischen Kurfürsten proklamiert. Es ist somit das erste historische Dokument, das - von Montgelas' Schriften abgesehen - von einer Souveränität Bayerns spricht. Die Umstände dieses Abkommens und die Konsequenzen, die sich daraus für Bayern ergeben, sind eine nähere Betrachtung wert. Montgelas, der bisher immer das Wort "Souveränität" zu vermeiden wußte, ist bei seinem Abschluß in Linz nicht dabei. Zwar schreibt er noch am 5. November zwischen 1 und 2 Uhr nachts an Gravenreuth, den ehemaligen bayerischen Gesandten in Wien und jetzigen ständigen bayerischen Vertreter in Napoleons Hauptquartier, er werde den Kurfürsten begleiten ("J'aurai l'honneur de l'accompagner")18, aber dann bleibt er doch in München zurück. Denn höchst beunruhigende Meldungen sind aus Berlin eingetroffen. Preußen hat als Antwort auf die Verletzung der Neutralität seiner Terri77a Der wörtliche Text des Abkommens mit dem Titel "Bases adopter preablement pour consolider l'independance de la Baviere" lautet: "1. La noblesse immediate, dont l'existence intervertit essentiellement l'ordre de l'administration dans les provinces de Souabe et de Franconie et qui donne lieu au sejour des recruteurs autrichiens dans ces contrees, sera abolie comme corporation et soumise a la souverainete de l'Electeur de Baviere. L'Electeur n'etendra sa souverainete que sur les possessions de la noblesse immediate, attenantes ou enc1avees dans les etats dans toutes leurs proprietes, Hs ne perdront que les droits qui resultent de la souverainete. 2. Les Postes d'Empire seront abo lies dans toute l'etendue des etats bavarois, et remplacees sur le champs par des Postes territoriales. 3. Les possessions de l'ordre teutonique, enc1avees dans les etats bavarois seront sequestrees et destinees a un emploi que l'Electeur se reserve encore de terminer: Les individues seles par mesure obtiendront une pension analogue a leur dignite." - Fait a Linz le 8 novembre 1805, Max Joseph Electeur, N. Das Dokument liegt im GSTA München, MA I ,Nr. 127. 78 H. K. v. Zwehl: Die bayerische Politik im Jahre 1805, Gesammelte Urkunden (Schriftenreihe zur bayer. Landesgeschichte, Bd. 64, München 1964) fortan bezeichnet als Zwehl 11) Anlage 15, S. 176. Zwehl schreibt deshalb irrtümlich: "Montgelas begleitet Max Joseph nach Linz" (S. 176). In Wirklichkeit fährt Montgelas jedoch in letzter Minute nicht mit, was aus seinem Brief aus München vom 6. November an Gravenreuth in Linz und Gravenreuths Brief vom 8. November aus Linz an Montgelas klar hervorgeht, die Zwehl selbst in den folgenden Anlagen 16 und 17 abgedruckt. Wohl ein Versehen; daß Montgelas nicht nach Linz geht, hat schon Gmeinwiser, S. 197, Anm. 110 festgestellt: "Die Zusammenkunft in Linz erfolgte ohne Montgelas."
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torien in Franken durch Frankreich Anfang Oktober - Marschall Bernadotte ließ seine Truppen durch das Gebiet von Ansbach marschieren und konnte deshalb so schnell Ulm einkesseln - Hannover besetzt. Der Durchzug der Napoleonischen Armeen durch Franken, die die preußische Neutralität "lächerlich gemacht" haben, wie der bayerische Gesandte Bray aus Berlin kommentierF9, hat in Preußen starke antifranzösische Gefühle ausgelöst, die sich gleichermaßen gegen Frankreichs Verbündeten Bayern richten. "A Berlin l'opinion de la Cour et de l'armee est entierement contre nous"; schreibt Montgelas tags darauf am 6. November an Gravenreuth nach Linzso . Zwar gibt das Verhalten der preußischen Truppen in Hannover keinen Anlaß zu höchster Sorge, da sie, wie Montgelas konstatiert, offensichtlich Order haben, die schwachen Reste der französischen Besatzung nicht anzugreifen, sondern sielediglich zu blockieren. "Les Prussiens en ont deja occupe la capitale, mais ils doivent avoir l'ordre ne rien entreprendre contre les troupes francaises. Il n'est plus douteux, que la Prusse veuille prendre la parti de la mediation: reste a savoir comment et a quelles conditionss1 ." Dennoch hält es Montgelas für unbedingt erforderlich, in München zu bleiben, um die Entwicklung in Berlin genau zu beobachten und sich gegebenenfalls sofort darauf einzustellen. In der Tat schließt König Friedrich Wilhelm am 3. November den Potsdamer Vertrag, von dem man am 6. November natürlich noch nichts in München weißs2. 7D Th. Bitterauf: Studien zur preußischen Politik im Jahre 1805, FbpG 27, München/Leipzig 1914, S. 471. Schon im Mai hatte Preußen in Paris auf eine Anfrage Talleyrands hin erklären lassen, man werde allen fremden Truppen den Durchzug verweigern. Vgl. P. BaiZleu: Preußen und Frankreich von 1795 bis 1807, H. Teil, Leipzig 1887, Publikationen aus den k. preußischen Staatsarchiven, S. 263 und 265 f. 80 ZwehZ H, Anlage 16, S. 177. 81 Ebenda. 8Z Preußen gestattet bereits Ende Oktober der schwedischen Armee unter Buxhövden und dem Anfang Oktober in Pommern gelandeten russischen Corps unter Tolstoi den Durchmarsch durch preußisches Gebiet. Am 25. Oktober heißt König Friedrich Wilhelm den Zaren in Berlin willkommen. Wenige Tage später erscheint auch Erzherzog Anton von Österreich am Berliner Hof und überbringt ein Schreiben seines kaiserlichen Bruders, in welchem das Unglück von Ulm ganz auf die Verletzung der Neutralität Ansbachs zurückgeführt und der preußische König um eine Intervention gegen Napoleon gebeten wird. (August Fournier: Österreich und Preußen im 19. Jahrhundert, Wien/Leipzig 1907, S. 27 ff.) Vor allem die gewinnende Persönlichkeit des Zaren - noch heute erinnert der "Alexanderplatz" in Berlin an das gute Einvernehmen Preußens und Rußlands während der Tage von Potsdam - gibt dann den Ausschlag: Am 3. November wird der Vertrag von Potsdam geschlossen, auf dem die Hoffnungen der Koalition eine kurze Zeit lang ruhen. Preußen erklärt sich darin zur bewaffneten Vermittlung zwischen den kriegführenden Mächten bereit und fordert u. a. die Unabhängigkeit des Deutschen Reiches. Napoleon blickt auf diesen Vertrag mit immer größerer Unruhe, je weniger er darüber in Erfahrung bringen kann. Sein Kabinettssekretär Lombard bezeichnet ihn 1808 als das Todesurteil Preußens. Vgl. Oer, S. 60, 61.
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So reist Kurfürst Max Joseph am 6. November allein nach Linz, der Einladung Napoleons vom 2. November folgend, den er bei seiner Ankunft in München am 29. Oktober dort nicht mehr angetroffen und sich deshalb in einem nachgesandten Brief mit seiner angegriffenen Gesundheit und den schlechten Straßen zwischen Nürnberg und Würzburg entschuldigt hat83• Dieser "Einladung", die man wohl treffender eine Herbeizitierung nennt84, kommt Max Joseph alles andere als gern nach. Denn nachdem er am 30. Oktober durch Gravenreuths Eildepesche aus dem französischen Hauptquartier in Mühldorf die erste Nachricht über die Vorgänge in Berlin, speziell vom Besuch des Zaren erhalten hat85 , worauf er in seiner Antwort vom 1. November gleich höchst aufgeregte Überlegungen darüber anstellte, wie schlimm es wäre, wenn Preußen nicht neutral bliebe88 , kann er sich denken, warum ihn Napoleon so dringend sehen möchte. Der Kaiser, unruhig geworden durch die undur,chsichtige Lage im Norden, kann nur die Absicht haben, mit ihm diesbezüglich Rücksprache zu halten und sich Bayerns noch einmal ausdrücklich zu versichern. In der Tat ist genau dies das Ziel Napoleons, und er erreicht es ohne Widerstand Max Josephs auf von ihm geplanten einfachen Weg. Im Grunde ist das Linzer Abkommen nichts anderes als eine Wiederholung der Forderungen Bayerns aus dem so sorgsam von Montgelas ausgearbeiteten Bogenhausener Vertrag. Nur mit dem Unterschied, daß hier nun dreimal das Wort "Souverainete" steht. Aber allein darauf kommt es Napoleon an. Denn durch diese will er Bayern unwiderruflich und endgültig den Weg zurück versperren. Napoleon hat mit Max Joseph aus zwei Gründen leichtes Spiel. Erstens weil dieser in einer ausweglosen Zwangssituation ist. In der äußerst kurzen Zeitspanne der Linzer Zusammenkunft - sie dauert nur einen Tag kann Max J oseph unmöglich eine treffende Begründung dafür finden, den Entwurf abzulehnen, der ja in der Sache nichts anderes als die baye83 "Sire, les mauvais chemins et le derangement de ma sante me privent du bonheur de trouver V.M.1. et R. a Munich et de lui reciterer moi-meme le just tribut de ma reconnaissance de tout ce que je dois a son appui genereux." Kurfürst Max Joseph an Napoleon am 29. Oktober 1805, ZwehZ II, Anl. 8, S. 165. 8C Gravenreuth, der kaum, daß ihm Napoleonam 2. Nov. im Hauptquartier in Ried sieht, von diesem aufgefordert wird, sofort diesbezüglich nach München zu schreiben ("Ce matin arrive a Ried, ou le quartier general avait ete transfere des hier, j'ai eu l'honneur de me presenter a l'Empereur. Sa Majest'a peine m'avait VU, qu'elle me chargeat aussitöt d'inviter V. AS.E. a venir a Linz") kleidet diese Herbeizitierung in die diplomatische Formulierung: "L'Empereur parait esperer que V.A.S.E. ne tardera pas a s'y rendre." Gravenreuth an Kurfürst Max Joseph am 2. November 1805, Zwehl II, Anl. 12, S. 172, 173. 85 Ebenda, Anlage 9, S. 165/166. 88 Ebenda, Anlage 11, S. 169/170.
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rischen Forderungen aus dem Bogenhausener Vertrag ausdrückt. Ein Ausweichmanöver ist nicht möglich. Napoleon "nagelt" ihn mit diesen Forderungen fest. Zum anderen hat Kurfürst Max in Karl Ernst Freiherr von Gravenreuth, der in den entscheidenden Stunde~ in Linz der einzige hohe bayerische Diplomat an seiner Seite ist,keine Stütze. Gravenreuth, der ehemalige bayerische Gesandte in Wien, welcher seit Mitte Oktober als erster Beauftragter Bayerns ständig das militärische Hauptquartier Napoleons, dessen besonderes Vertrauen er besitzt, begleitet87 , ist von Anfang an mit am beredsten für den Anschluß an Frankreich eingetreten. Als erklärter Gegner Österreichs teilt er im Grunde die Anschauungen und Ziele Montgelas88 , aber er ist weniger vorsichtig, weniger weitsichtig als dieser. Gravenreuth ist für eine Politik der Stärke, nicht für Zögern und Abwägen, erst ist dafür, klare Fronten zu ziehen und sich endlich ganz auf die Seite desjenigen zu stellen, der der Stärkere ist; nur so kann nach seiner Ansicht Bayern etwas erreichen. Er plädiert dafür, Napoleon gegenüber auszusprechen, was man will, vor allem in bezug auf die Souveränität. Er selbst hat sich diesbezüglich bereits deutlich genug ausgedrückt. Als Napoleon ihm nach dem Sieg von Ulm in München den Ludwigsburger Vertrag mit Württemberg zu lesen gabliG, bemerkte er hinsichtlich der "Souveränitätsartikel" 9 und 10, daß diese natürlich einen Abbruch aller Beziehungen zur deutschen Reichsverfassung bedeuteten90• Die Antwort Napoleons auf diese freimütige Interpretation Gravenreuths ist nicht überliefert. Aber man darf annehmen, daß sie ihm sehr recht war. Gravenreuth ist sich also vollkommen darüber im klaren, was diese "Souverainete" bedeutet, die nun in Linz fixiert wird. Und zwar eigenhändig von ihm. 87 Montgelas verweist später besonders darauf, daß G. "ständiger Gast bei der Tafel" Napoleons im Hauptquartier war. Denkwürdigkeiten, M. '1). Freyberg, S. 118. 88 Vgl. Gmeinwiser, S. 147, der das Verhältnis Montgelas-Gravenreuth im allgemeinen richtig darstellt, die sehr differenzierte Politik beider in bezug auf die "Souveränität" aber nicht deutlich genug aufzeigt. Zwar spricht er hinsichtlich des Linzer Abkommens von "einer Spur persönlicher Verletztheit" bei Montgelas, der gegen die Reichsritter nicht zur Methode der starken Hand wie Gravenreuth drängt und in ihrer Unterwerfung eine "staatsrechtliche" und nicht wie G. eine "machtpolitische Frage" sieht (S. 168), arbeitet aber nicht den Konflikt heraus, der sich aus der "Souveränität" des Linzer Abkommens zwischen Montgelas und Gravenreuth entwickelt. 89 Am 28. Oktober, am Morgen vor seiner Abreise aus München, wo Max Joseph und Montgelas zu dieser Zeit ja noch nicht eingetroffen waren. Bitterauf. S.201. 90 Vgl. Bitterauf, S. 201. P. Hölzle: Württemberg im Zeitalter Napoleons und der deutschen Erhebung, Stuttgart/Berlin 1937, S. 8; K. Th. Heigel: Deutsche Geschichte 1786 - 1806, Bd. 2, Stuttgart/Berlin 1911, S. 579.
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Das Geschehen rollt so ab: Gravenreuth entwirft zunächst Richtlinien für das Abkommen, in denen - auf Geheiß Max Josephs - sachlich nachdrückliche, aber in der Form milde Methoden gegen die Reichsritter vorgeschlagen werden. U. a. heißt es darin, daß "der Aufschub der Durchführung der Rechte des Kurfürtten gegenüber dem Reichsadel von 1804 ... aufgehoben" werde und seine "Rechte voll in Kraft gesetzt" würden91 • Doch damit ist Napoleon nicht zufrieden. Er verlangt einen neuen, schärfer gefaßten Entwurf, der die uneingeschränkte Souveränität des bayerischen Herrschers postuliert. Gravenreuth folgt seiner Aufforderung, und Max Joseph wagt nicht zu widersprechen. Der nächste eigenhändige 92 Entwurf Gravenreuths wird der endgültige Text des Abkommens, das gleich darauf von Bayerns Kurfürst und von Napoleon unterzeichnet wird. Man ist fast versucht, es als ein wenig symbolisch zu sehen, daß auf diesem ersten Vertragsdokument, das von der Souveränität Bayerns spricht, die Unterschrift desjenigen fehlt, der diese Politik allein von Anfang an aufgebaut und gesteuert hat, und alle diesbezügliche Schritte so vorsichtig wie möglich in Szene gesetzt hat: die Gegenzeichnung Montgelas'. Bayerns dirigierender Minister ist mit dem Ergebnis von Linz und mit Napoleons unmittelbar darauf ausgesprochenen Wunsch, nun die Souveränität gegenüber Reichsrittern, Reichspost und Deutschem Orden nun umgehend mit allem Nachdruck zu verwirklichen, gar nicht einverstanden. Zu genau durchschaut er, warum Napoleon die Souveränitäts- und Mediatisierungsfrage so vorantreibt. Zunächst will dieser schnell reinen Tisch und klare Verhältnisse haben; die verworrenen territorialen und rechtlichen Zustände in Süddeutschland sind Napoleons rationalem Denken ein Hindernis. Vor allem aber will er seine Verbündeten in dieser entscheidenden Phase der politischen Entwicklung gegen das Reich exponieren und auf Gedeih und Verderb an sich binden. Die Verwirklichung des Linzer Abkommens bedeutet reichsrechtlich Landfriedensbruch, bedeutet einen Gewaltakt des Reichsstandes Bayern gegen andere Reichsstände, heißt Frontstellung gegen das Reich. Die eiskalte Berechnung, mit der Napoleon die Mediatisierungsabsichten der süddeutschen Fürsten in sein ureigenes Machtinstrument umwandelt, zeigt wohl am sprechendsten ein Brief von ihm an Talleyrand im April 1806 : "Da ihre Gewaltakte nur durch die kaiserliche Autorität in Deutschland ihre gesetzliche Sanktion erhalten können, folgt daraus, daß sie für immer auf meine Unterstützung angewiesen sein werden93 ." Napoleon D1 GSTA Pol. Arch. 127, Gmeinwiser zitiert diese Stelle aus den Richtlinien auf S. 197, Anm.l09. 8J Zwehl II, Anlage 17, 1, S. 179 weist auf die Eigenhändigkeit G.s hin. 03 Correspondence Nap., XII, 10071, S. 267 ff. Zitiert bei Oer, S. 58.
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forciert die Souveränität seiner Verbündeten, treibt sie, die immer noch Reichsstände sind, zu Gewalttaten an, um sie desto fester an sich zu fesseln. Montgelas versucht dieser Fesselung dadurch zu begegnen, daß er das Linzer Abkommen erst einmal auf Eis legt; über drei Wochen lang unternimmt er nicht die geringsten Schritte, um etwas zu seiner Verwirklichung zu tun. Viel zu unsicher und gefährlich erscheint ihm die außenpolitische Lage, um sich so gegen das Reich zu exponieren. Noch ist ja gar nichts entschieden. Zwar hat Napoleon inzwischen Wien genommen 94 , aber die preußische Haltung ist nach wie vor unklar, scheint sogar bedrohlichu5 , ferner sind Gerüchte von einem russischen Sieg im Umlaufu6 , und es besteht die Möglichkeit, daß Napoleon schon jetzt, vor allem mit dem Blick auf Preußen, mit Österreich einen Sonderfrieden schließtU7 • Die alarmierendste Nachricht trifft aus Wien ein, von wo Mieg, der dortige bayerische Beobachter und Unterstellte Gravenreuths, berichtet, bei den Unterredungen zwischen den österreichischen Vertretern Graf Stadion und Graf Gyulai mit Talleyrand und dem eingetroffenen preußischen Minister Haugwitz hätte Bayern schlecht abgeschnittenes. Zwar glaubt Montgelas nicht recht an einen Sonderfrieden Napoleons mit Österreich, da er den Franzosen für viel zu klug hält, sich auf einen vagen Kompromißfrieden einzulassen, der den "Keim einer neuen Koalition" ("Le germe d'une nouvelle coalition") gegen ihn legen würdeu9, dennoch ist die Situation so, daß es Montgelas für geboten hält, auf keinen Fall gewaltsam die Mediatisierungsfrage anzufassen, die dem Haus Habsburg nach einem eventuell doch zustandegekommenen Frieden sofort eine entscheidende Handhabe gegen Bayern liefern würde. Napoleon ist über die Verzögerungstaktik in München, die ihm zeigt, daß Bayern sich immer noch eine Tür offenhalten will, verärgert. Am 24. November läßt er über Gravenreuth aus seinem Hauptquartier in Brünn zum ersten Male äußerst 94
Bericht Gravenreuths an Kurfürst Max Joseph am 16. Nov. aus Wien,
ZwehZ I, Anlage 20, S. 182/83.
95 Bericht Rechbergs, des bayer. Vertreters beim Reichstag in Regensburg, an Gravenreuth v. 27. Nov., ZwehZ 11, Anlage 30, S. 202. Ferner Brays Ansicht aus Berlin, Preußen werde eine bayerische Neutralität nicht annehmen. (Siehe Schreiben Max Josephs an Gravenreuth vom 2. Dez. 1805 aus München, ZwehZ 11, Anlage 33, S. 207 ff.) 98 Schreiben Montgelas' an Gravenreuth Ende Nov. 1805: "On dit, que les Russes ont attaques les Francais, qu'il y a eu une affaire sanglante. On debute meme, que nous avons perdu 6000 hommes et le General M. la vie. On ajoute, que Wrede est pris en Boheme avec tout son corps ..." ZwehZ 11, Anlage 31, S.203/04. 97 Gravenreuths Bericht v. 24. Nov. 1805, ZwehZ 11, Anlage 27, S. 197. 98 Mieg an Gravenreuth Ende Nov. 1805: "Je crains, que nos interets soient sacrifles." Zwehl 11, Anlage 32, S. 204/05. 99 Siehe in der späteren entscheidenden Weisung vom 2. Dez. 1805, ZwehZ 11, Anlage 33, S. 212.
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ungeduldig in München anfragen, ob die Souveränität verwirklicht sei, ob die Linzer Beschlüsse "exekutiert" seien. Der bayerische Gesandte ist durch Napoleons Unmut ziemlich verschüchtert und plädiert dafür, so rasch wie möglich zu handeln. Er schreibt an den Kurfürsten: "Sa Majeste Imp. m'a demande, si V.A.S.E. avait deja fait executer les Resolutions qu'elle a prise a Linz sur la Noblesse immediate, les postes de l'Empire et l'ordre teutonique. J'ai donne l'assurance a S.M.I. que cette determination avait He execute sur le champ, puisqu'a Linz V.A.S.E. en avait signe l'ordre. Je suis sure, que V.A.S.E. n'aura pas laisse perdre un moment aussi favorable, et qui ne reviendra peut-etre jamais. Ce qui est fait et sera garanti par la paix100." Gravenreuth fürchtet offensichtlich, daß es sich Napoleon auf Grund der zögernden Haltung Bayerns anders überlegen könnte, daß Bayern eine einmalige historische Chance auslasse, um groß und mächtig zu werden. Seine Ansicht wiederholt er am 27. November101 und weist nachdrücklich darauf hin, daß Württemberg, das durch seinen Staatsminister Norman ebenfalls ständig im Hauptquartier Napoleons vertreten ist, weit weniger Bedenken hinsichtlich der Mediatisierung als Bayern habe. Er habe seine Operationen gegen den Reichsadel bereits durchgeführt. Die Antwort, die Montgelas am 2. Dezember, dem Tag von Austerlitz, wovon man in München natürlich noch nichts ahnt - dem französischen Kaiser hierauf in seiner Weisung an Gravenreuth zukommen läßt102 , gehört sicher zu seinen größten diplomatischen Meisterstücken. Es heißt darin: Selbstverständlich läge Bayern die abgesprochene Mediatisierung der Reichsritterschaft und damit die Verwirklichung seiner Souveränität am angelegensten am Herzen, dennoch aber könne es nicht übereilt vorgehen, vor allem, weil ihm jede effektive Rechtsgrundlage dazu fehle. Denn es gäbe ja kein einziges rechtliches Dokument, das in irgendeiner Weise von einer Souveränität Bayerns spreche, keinen realen diesbezüglichen Vertrag. Einen solchen Vertrag, der die Souveränität Bayerns klar artikuliere, einen neuen Bündnisvertrag mit Frankreich, brauche Bayern aber unbedingt, um wirkungsvoll vorgehen zu können. Talleyrand, der jetzt in Wien sei, habe ja bereits einen Entwurf dazu in München fertiggestellt und zweimal darüber mit Montgelas verhandelt. (Es handelt sich um Talleyrands Vorarbeiten für die Brünner Verträge.) Ehe dieser Vertrag "cet acte du nouvel Etat 100
Gravenreuth aus Brünn an Max Joseph am 24. Nov., Zwehl H, Anlage 27,
S.197/198.
Zwehl H, Anlage 28, S. 198. Weisung Kurfürsts Max Josephs und Montgelas' an Gravenreuth im Hauptquartier v. 2. Dez. 1805, Zwehl H, Anlage 33, S. 208. Der Großteil der Weisung ist eigenhändig von Montgelas geschrieben. 101
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Souverain"103 nicht realisiert sei und damit die Souveränität Bayerns nach außen rechtlich dokumentiert, könne und wolle Bayern nichts unternehmen. Es müsse abwarten. "Tous ces obstacles se leveront d'eux meme, quand le traite de garantie de la surete ... aura ere signe 104." Montgelas begründet diese Forderung äußerst klug. Die wichtigste Waffe, die er bei seinem taktischen Hinhaltemanöver geschickt einsetzt, ist sein diplomatisches Kunststück, das er beim Bogenhausener Vertrag fertiggebracht hat: Souveränität inhaltlich zu fordern, aber nicht zu nennen. Darauf verweist er jetzt, argumentiert damit, daß eine Souveränität Bayerns ja noch nirgendwo vertraglich festgehalten sei; das Linzer Abkommen aber sei kein Vertrag 105. Die nunmehrige Forderung nach einer Rechtsgrundlage für die Souveränität - Montgelas spricht auch von einem später möglichen Particularvertrag zwischen dem souveränen Bayern und Österreich auf der Grundlage eines Gesamtfriedensvertrages und unter der Garantie Frankreichs106 verbindet verbindet Montgelas mit einem sehr deutlichen Hinweis auf "die Verwirrung von 1804 ("La confusion de 1804")107 und einem kurzen Gesamtresumee über alle bisher versuchten, aber gescheiterten Unternehmungen gegen die Reichsritter. In der Tat hat der bayerische Landesherr, seitdem er 1803 auf Grund des Reichsdeputationshauptschlusses durch die neuerworbenen Gebiete in Franken und Schwaben mit der Reichsritterschaft konfrontiert worden ist, einen zähen, aber erfolglosen Kampf gegen diese geführt108 . Seit Anfang des 18. Jahrhunderts hatten sich die Reichsritter durch kaiserliche Privilegien und durch Gewohnheitsrecht als reichsunmittelbar etabliert. Ende desselben Jahrhunderts hatte jedoch Preußen wieder mit der ZuEbenda. 104 Ebenda. 105 Auch Kurfürst Max Joseph verweist schon in Linz hierauf, wie aus seinem späteren Brief vom 13. Dez. 1805 an Gravenreuth hervorgeht. Wenn Bayern seine Souveränität verwirklichen solle, müsse man ihm diese Souveränität erst einmal vertraglich bestätigen, habe er Napoleon, wie Gravenreuth sich gewiß erinnern werde, gesagt: "... la eonduite ulterieure ne peut plus dependre que de la teneur et de la tournure du traite d'allianee." Vgl. diesen Brief bei Zwehl II, Anlage 43, S. 236. 101 "Je erois, qu'un traite patieulierement entre la Baviere et l'Autriche eonclus sous les yeux et la garantie de la Franee et faisant partie integrante du traite pricipal remplirait ee but." Aus der Weisung vom 2. Dez. 1805. In Wirklichkeit gab weder ein Vertrag mit Frankreich, der Bayern die Souveränität bescheinigte, noch ein Vertrag mit dem Kaiser von Österreich, Bayern eine "Rechtsgrundlage", gegen die reichsunmittelbaren Fürsten und Grafen vorzugehen. Wenn überhaupt, dann konnte darüber nur auf Reichstagsebene diskutiert und beschlossen werden. 107 Ebenda, S. 213. 108 Siehe hierzu speziell vor allem H. H. Hofmann: Adelige Herrschaft und souveräner Staat, bes. S. 219 - 256 und L. DoebeTl: Maximilian von Montgelas, Kap. VI. 103
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rückführung der Reichsritter in den Untertanenverband begonnen. Am 1. Oktober 1792 wurden sie von Hardenberg als fränkischem Kabinettsminister für landsässig erklärt. Was Preußen sich als ebenbürtige Großmacht neben Österreich erlauben konnte, sich außerhalb der Reichsverfassung und des Reichsrechts zu stellen, konnte Bayern 1803 jedoch nicht. Man versuchte es auch gar nicht so direkt und offen wie Preußen, sondern probierte versclliedene politische Mittel, erklärte ihren Rechtszustand für faktisch ungültig und startete einen großen staatsrechtlichen Feldzug gegen sie. Jedoch ohne Erfolg. Als schließlich die freiwillige Unterwerfung eines einzigen Mitgliedes der fränkischen Reichsritterschaft doch gelang, forderte die Gesamtheit sofort die kaiserliche Intervention. Diese erfolgte am 16. Mai 1803. Vergeblich suchte Montgelas Unterstützung bei Preußen; Hardenberg lehnte diese in der Ansbacher Zusammenkunft ab. Dennoch gab Montgelas nach diesem Rückschlag nicht auf, die Ritter in das geschlossene bayerische Hoheitsgebiet einzubeziehen. Nach verstärktem wirtschaftlichen und politischen Druck schien ein neuer Teilerfolg sichtbar. Eine Anzahl Ritter zeigte sich verhandlungsbereit, als die bayerische Regierung eine gewisse Ausnahmestellung im Falle freiwilliger Unterwerfung versprach. Ein Ritterausschuß und ein vorläufiges Direktorium wurde eingesetzt. Doch in diesem Augenblick griff der Kaiser wieder ein. Aufgeschreckt durch die Flut der reichsritterlichen Proteste, die nicht nur aus Bayern, sondern auch aus anderen Teilen des Reiches zusammenströmten - eine Anzahl von Fürsten in Mittel- und Südwestdeutschland war dem Beispiel Bayerns gefolgt -, vollzog das Haus Habsburg einen erneuten spektakulären Schachzug zur Verteidigung der treuesten Stützen seiner Politik. Das Konservatorium des Reichshofrates vom 23. Januar 1804109 hob sämtliche Maßnahmen der bayerischen Regierung gegen die Reichsritterschaft auf und ordnete die Wiederherstellung des alten Rechtszustandes an. Wieder war die politische Lage so, daß Bayern nichts Entscheidendes gegen den kaiserlichen Erlaß ausrichten konnte. Zu stark war 1804 noch der kaiserliche Arm. Zwar suchte Montgelas erneut Fühlung mit anderen Reichsständen und dem Ausland. Aber wieder versagte sich Preußen, obwohl selbst für Ansbach-Bayreuth von der kaiserlichen Entscheidung betroffen. Rußland plädierte für Nachgiebigkeit gegen den Kaiser, Napoleon war zu stark mit den Plänen für den Entscheidungskampf gegen England beschäftigt. Es blieb Bayern wiederum nichts anderes übrig, als sich abermals, wenigstens der Form nach, der Reichsverfassung und der Reichsgewalt zu beugen, man kehrte wieder zur Taktik von 1803 zurück, zum wirtschaftlichen und politischen Kleinkrieg gegen die Reichsritter. lOg Ihm vorangehend ein kaiserliches Ultimatum vom 25. Nov. 1803, das dann durch die kaiserliche Note vom 6. Dez. 1803 staatsrechtlich begründet wurde. Vgl. L. Doeberl: Maximilian von Montgelas, Kap. VI.
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An diese politische und diplomatische Niederlage erinnert Montgelas Gravenreuth jetzt sehr deutlich, um seiner Ablehnung eines machtpolitischen Solounternehmens Bayerns Nachdruck zu verleihen.
Als weiteren Grund für die Ablehnung der sofortigen Mediatisierung führt er an, daß über die neuen Grenzen gegenüber Württemberg noch keine Klarheit herrsche. Wenn Bayern die Mediatisierungen durchführe, wollte es dies exakt und vollständig tun bis an die Grenzen von Franken und Schwaben. Auch hier müsse der neue Bündnisvertrag mit Frankreich erst genaue Regelungen schaffen ("la demarcation des limites du nouvel etat Souverain soit regle ... jusque la il sera impossible d'avancer d'un pas"llO), zumindest wolle man auf die Rückkunft Talleyrands nach München warten. Auch in bezug auf die Reichspost lehnt Montgelas strikt ein übereiltes, gewalttätiges Zugreifen aus denselben Gründen ab. Zudem kennt er die fanatische Anhänglichkeit der Beamten des Fürsten Taxis an den Reichsdient, er befürchtet Sabotageakte und Stillegung des Postverkehrs nach dem Ausland111 • Er teilt Gravenreuth daher mit, daß er sich zunächst mit der Kontrolle des Reichsoberpostamtes in München und der Einsetzung von Regierungskomissaren bei den größeren Poststellen ohne direkte Eingriffe in die Organisation begnüge112 • Die Sprache, mit der sich Montgelas gegenüber Napoleon verteidigt, ist recht deutlich, indirekt wird dabei natürlich auch Gravenreuth kritisiert, der für sofortige Gewaltmaßnahmen eintritt. "Beklagen Sie sich beim Kaiser über seine deplazierte Ungeduld", schreibt Mongelas ("Vous en parleres a S.M.I. dans ce sens, et vous plaindres de cette effervescence deplacee113.") Gleichzeitig verwahrt er sich auch bei Talleyrand, mit dem er ja in München zweimal wegen des neuen Bündnisvertrages verhandelt hat, in einem beigefügten, recht kühlen Anlageschreiben gegen den Vorwurf der Verschleppung, indem er vorgibt, daß ihm überhaupt nicht klar sei, ob die Maßnahmen gegen die Ritter nun kollektiv von Baden, Württemberg und Bayern, oder einzeln durchgeführt werden sollen. "Pour que les intentions de votre auguste Souverain soyent remplies aves toute la celerite qu'il parait souhaiter, il convient de decider avant tout, si on veut en faire une aete collectif ou separe 114 ?" Aus der Weisung vom 2. Dez. 1805. Vgl. Gmeinwiser, S.171. 11! Weisung vom 2. Dez. 1805. 113 Ebenda. 114 Beilagenschreiben Montgelas' an Talleyrand zu der Weisung vom 2. Dez. 1805, Zwehl II, AnI. 33,1, S. 214. 110
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12 Quint
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Die Reaktion auf französischer Seite auf die Nachricht von der noch nicht durchgeführten Souveränitäts-Exekution Bayerns gegen Reichsritter und Reichspost ist unterschiedlich heftig. Napoleon ist "fortement etonne, que tout ne fut pas termine", wie Gravenreuth am 8. Dezember aus Brünn an Kurfürst Max schreibt115 • Er trifft den Kaiser in einer kurzen Audienz einen Tag zuvor, am Abend des 7. Dezember, fünf Tage nach der Schlacht von Austerlitz. Zu einem größeren Ausbruch Napoleons kommt es jedoch nicht. Gravenreuth hat vielmehr den Eindruck, daß der große Sieger hauptsächlich mit den kommenden Friedensverhandlungen mit Österreich beschäftigt ist: "Il parait, que l'Empereur est decide a faire promptement la paix.". In der Tat ist dies Napoleons Absicht, trotz seines triumphalen Sieges lastet der Druck der europäischen Lage auf ihm. Vor allem ist er Preußens immer noch nicht sicher, dessen Vertreter Graf Haugwitz ihn in Wien erwartet. Das Gespräch kommt deshalb zur Erleichterung Gravenreuths schnell vom Thema Mediatisierung ab, und der bayerische Gesandte erinnert Napoleon an das territoriale Hauptanliegen Bayerns, an Tirol, auf das immer wieder hinzuweisen Montgelas ihm in allen Instruktionen und Weisungen eingeschärft hat. Napoleon gibt ihm keine feste Zusage, sondern erwidert, er werde alles tun, was ihm möglich sei 117 • In Wirklichkeit ist für ihn schon beschlossene Sache, daß Bayern Tirol vorerst nicht erhalten wird. Er muß Österreich zunächst noch etwas Schonung zukommen lassen, ehe er nicht vollständig den Rücken gegen Preußen frei hat. Drei Tage später, bei der Unterzeichnung des Brünner Vertrages, soll es Gravenreuth erfahren. Weit heftigere Vorwürfe als von Napoleon muß sich Gravenreuth jedoch von Talleyrand wegen der unterlassenen Mediatisierung der Reichsritter und Reichspost gefallen lassen. Der französische Außenminister ist am gleichen Tage, dem 7. Dezember, in Brünn eingetroffen. Noch am gleichen Abend, nach dem nur kurzen Gespräch mit Napoleon, hat Gravenreuth mit ihm eine lange Konferenz 118 , in der er Talleyrand die bayerischen Territorialwünsche noch einmal ausführlich vorträgt. Das Klima der Unterredung ist jedoch äußerst frostig. Talleyrand kommt immer wieder auf die Verzögerung der Exekution der Engagements, die der bayerische Kurfürst in Linz kontraktiert habe, zurück. Gravenreuth: "M. de Talleyrand m'en a temoigne le plus vif mecontentment 119 ." TalleyGravenreuth an Kurfürst Max am 8. Dez. 1805, Zwehl H, An!. 37, S. 221/22. "L'Empereur m'a assure qu'il ferait insister sur cet objet autant que possible." Gravenreuths Schreiben vom 8. Dezember 1805. 118 "J'ai eu une longue Conference avec M. de Talleyrand." Ebenda. ug Ebenda. 115
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rand weiß ganz genau, warum Bayern die in Linz vereinbarte Souveränitäts-Exekution nicht ausgeführt hat. Er hat Montgelas in München als einen gleichwertigen politischen Taktiker kennengelernt. Als am nächsten Morgen Gravenreuth wieder zu Talleyrand eilt, um ihm Bayerns Wünsche, schriftlich fixiert in seinem "Projet d'indemnite pour la Baviere"12o, vorzulegen, ist dessen Stimmung kaum besser. Gravenreuth bringt in dem "Projet" erneut den Wunsch nach Tirol zum Ausdruck, dessen Erwerbung eine unerläßliche Voraussetzung der Unabhängigkeit Bayerns von Österreich sei. Ferner weist er besonders auf Berchtesgaden hin, dessen Abtretung das österreichische Salzmonopol brecQen würde. In Schwaben begehre Bayern alle österreichischen Gebiete zwischen dem Lech und "dem Fluß, der von Memmingen kommend, bei Ulm in die Donau fließt"121. Ferner müsse Österreich auf seine Lehensrechte in der Oberpfalz, in Franken, Schwaben und Tirol verzichten. Der Königstitel sei der Gipfel, den man sich von der Großmut Napoleons erwarte12!. Talleyrand entgegnet Gravenreuth hierauf nur kühl, er verlange viel. "Il m'a dit que je demandais beaucoup123." Gravenreuth ist über diese Abkühlung der Stimmung Frankreichs gegenüber Bayern auf Grund der verschleppten Linzer Souveränitätsabmachungen konsterniert. Nicht nur, daß er selbst, der bisher immer ein sehr gutes Verhältnis zu Napoleon gehabt hat, sich nun Vorwürfe anhören muß, er befürchtet auch, daß sich dies auf die Großzügigkeit Frankreichs hinsichtlich der territorialen Erwerbungen Bayerns beim Frieden auswirken könnte. Er selbst hat von vorneherein eine ganz andere Einstellung zum Linzer Abkommen gehabt, hat von Anfang an für die sofortige Realisierung der Souveränität plädiert. Jetzt sieht er die Bemühungen Bayerns gefährdet durch eine falsche, übervorsichtige Politik. In großer Erregung schreibt er deshalb nach München, beklagt sich, kritisiert Kurfürst Max Joseph indirekt deutlich. Er, Gravenreuth, verstehe es überhaupt nicht, warum der Kurfürst in der Mediatisierung, die Abgedr. bei Zwehl H, S. 223/224. "Toutes les possessions autrichiennes, en Souabe depuis le Lech jusqu'a la Riviere qui de Memmingen va se jetter dans la Danube pres d'Ulm." R. v. Der fiel dieser Satz besonders auf; er sei bezeichnend für den Eifer G.'s, für Bayern so viel wie möglich herauszuholen: "Man sieht, der Vertreter Bayerns hat in der Eile nicht einmal die Karte zu Rate gezogen, um seinen mangelnden geographischen Kenntnissen aufzuhelfen." Der, S. 132. Bei dem Fluß handelt es sich um die Iller. 122 "Le titre de Roi mettrait le comble ace, que la Baviere pourrait desirer et l'Electeur s'attend a la generosite de l'Empereur, qu'il lui fera accorder une distinction qui sera le sceau de l'Alliance entre les Maisons de France et de Baviere." Aus dem "Projet" Gravenreuths, Zwehl II, S. 224. 123 Schreiben Gravenreuths vom 8. Dezember 1805, S. o. 120
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Württemberg bereits durchgeführt habe, plötzlich "eine eminente Falschbehandlung" sehe: "V.A.S.E. voit par ce que fait l'Electeur de Wurtemberg le tord eminent quelle se cause en retardant l'execution des engagements qu'elle a contracte ä Linz124." Er habe deshalb auf die Vorhaltungen Napoleons und Talleyrands auch gar nichts zu entgegnen gewußt, da er selbst überzeugt sei, daß man die ganze Angelegenheit in einer halben Stunde erledigen könne. "Je n'ai rien ä repondre, car je sens moi-meme, que tout aurait pu etre termine en une demie heure 125 ." Sein ganzer Unmut aber richtet sich gegen den leitenden Minister, den Verantwortlichen dieser Politik. In einem eilig verfaßten, persönlichen Anlageschreiben an Montgelas beschuldigt Gravenreuth diesen offen, eine Politik von gestern zu treiben. Anstatt eine Politik der Stärke zu verfolgen und als Mann der Tat zu handeln, klammere er sich an irgendwelche unnützen staatsrechtlichen Zöpfe. "La Bataille d'Austerlitz a decide du monde. Bon dieu Excellence, ä combiens de siecles etes Vous eloigne de celui, que nous vivons: Vous qui en connaisses aussi bien la Marche je ne comprends rienlJ/G." In München ist man über die Anmaßung des bayerischen Gesandten in Napoleons Hauptquartier, seine einseitige Beurteilung der Lage, äußerst verstimmt. Zwar ist der Kurfürst über den Sieg Napoleons bei Austerlitz, zu dem er den Kaiser am 10. Dezember beglückwünschtlJ/7, erfreut und erleichtert, dennoch aber keineswegs gewillt, jetzt im Schutze dieses Sieges gegen Reichsritter und Reichspost loszuschlagen und damit eindeutig als der GewaItpartner Frankreichs dazustehen, der die Gunst der Stunde nutzt. Vor allem im Hinblick auf Preußen nicht, das Napoleon so schnell zum Frieden treibt, Preußen, das die große Schlüsselstellung einnimmt. Mit Preußen will sich Max Joseph auf keinen Fall anlegen; es hat in Franken ureigene Interessen, die es nachdrücklichst unterstreicht: eine preußische Armee nähert sich Frankens Grenzen. "Je crains des troubles surtout en Franconie Oll l'armee Prussienne s'avance"128, schreibt Montgelas am 10. Dezember sehr besorgt an Gravenreuth. Kurfürst Max Joseph hat bereits am 6. Dezember, demselben Tag, an dem die Nachricht von Austerlitz in München eintraf, die neuesten Berichte des bayerischen Gesandten Bray aus Berlin an GravenEbenda. Ebenda. 128 Schreiben Gravenreuths an Montgelas, beigefügt dem Schreiben vom 8. Dez. an Kurfürst Max Joseph. Zwehl II, Anl. 37, S. 224. 1" "La victoire eclatante dont V.M.I. et R. vint d'ajouter les lauriers a tant d'autres a ete avantageuse a toute l'Allemagne autant qu'a la Baviere en particulier." Zwehl II, Anl. 40, 1, S. 228. 128 Schreiben Montgelas' am 10. Dez. 1805 an Gravenreuth, Zwehl II, Anl. 40, 124
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2,S.229.
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reuth weiterleiten lassen, mit dem Inhalt des gesamten Schriftwechsels zwischen Bray und Hardenberg, dem er größte Bedeutung beimißt. Aus ihm geht hervor, daß Hardenberg gegen Haugwitz arbeitet, und daß Preußen eine Neutralität Bayerns wahrscheinlich nicht anerkennen; wird. Max J oseph befürchtet, daß es zum Schlimmsten kommen könnte, was Bayern unter allen Umständen vermeiden will, zur Konfrontation mit Preußen: "Vous apprendres, que le comte Haugwitz ä des instructions secrettes et que le Baron de Hardenberg se flatte de faire echouer sa mission. Quant ä notre neutralite avec la Prusse ... la response de B. de Hardenberg laisse peu d'espoir ä cet egard et je me convaincs tous les jours d'avantage que, si la Prusse ne reste pas en paix et que ce Ministre ne soit pas consequent, pas oblige de se retirer des affaires, nous serons entraines dans cette guerre128." Im gleichen Sinne unterrichtet Max Joseph Gravenreuth am 12. Dezember. Neue alarmierende Nachrichten über preußische Truppenbewegungen seien eingegangen, Preußen habe sich auch in Regensburg gegen Bayern geäußert. Es unternehme alles, um gegen den Hof von Stuttgart und seine Mediatisierungsmaßnahmen gegenüber Reichspost, Reichsritterschaft und Deutschen Orden Stimmung zu machen. "On n'oublie rien pour echauffer les esprits ä la Diete contre les mesures adoptees par la Court de Stuttgart sur les Postes imperiales, le Sequestere de l'ordre Teutonique et la Commission de la Noblesse Imediate1so." Der 13. Januar sei, wie er aus Ansbach höre, dazu ausersehen, diese Reichseinrichtungen bzw. Reichsglieder in Württemberg wieder zu befreien. Es bestünde kein Zweifel daran, daß die Alliierten Frankreichs alle Stimmen gegen sich hätten und daß es ein leichtes sei, einen Reichskrieg gegen sie in Szene zu setzen. "Le 13 du mois prochain est fixe pour l'ouverture des deliberations. Il n'est pas douteux, que les allies de la France n'ayent toutes les voix contre eux et qu'on ne parvienne ä faire passer la formalite d'une guerre de l'empirel3l." Mitten in diese Überlegungen und Befürchtungen, die von Kurfürst Max ein wenig übertrieben stark gezeichnet werden, um Gravenreuth, dessen Einstellung er kennt, etwas zu bremsen, im Grunde aber die Stimmung in München darstellen, platzt nun Gravenreuths Schreiben vom 8. Dezember. Wahrscheinlich trifft der Kurier mit ihm am 12. Dezember nachmittags, möglicherweise aber auch erst am 13. Dezember vormittags ein, er benötigt von Brünn bis München in der Regel 4 bis 5 Tage. Montgelas ist über die Uneinsichtigkeit und persönlichen Angriffe Gravenreuths gegen ihn so verärgert, daß er sofOlt ein Antwortschreiben 118
Kurfürst Max Joseph an Gravenreuth am 6. Dez. 1805, Zwehl 11, An!. 36,
S.219. 130
111
Max Joseph an denselben am 12. Dez. 1805, ebenda, Anl. 41, S. 230/31. Ebenda.
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aufsetzt und dessen Kritik in äußerst scharfer Form zurückweist. Der bislang nur unter der Oberfläche schwelende Gegensatz zwischen dem leitenden bayerischen Minister und seinem Gesandten in Napoleons Hauptquartier in bezug auf die Souveränitätspolitik Bayerns bricht zum offenen Konflikt aus. Er sei, so belehrt Montgelas seinen Widersacher ironisch, durchaus nicht von gestern. Aber er betrachte genau, was vorgehe, und er müsse schon sehr im Dunkeln tappen, wenn er nicht Recht habe. "Je ne suis pas de l'ancien monde. Mais je regarde ce qui se passe auto ur de moi et je vais cl tätons, quant je ne vois pas clair132 ." Die Situation im Norden sei bereits so, daß, wenn Frankreich nicht eingreife, der Kurfürst von Württemberg gezwungen sein würde, seine Maßnahmen rückgängig zu machen. Wie "zum Teufel" stelle er, Gravenreuth, es sich vor, Reichsmitglied zu bleiben, und dabei alle Reichsgesetze aufs heftigste zu verletzen133 ? Gegen den Adel in Schwaben fehlten sämtliche Rechtsgrundlagen, Franken sei umzingelt. Er liebe drakonische Maßnahmen überhaupt nicht, dieser Vorwurf sei der bayerischen Regierung bisher genauso wenig zu machen wie einer anderen. Gerade, wenn Gedankenflüge bis "zur Unanständigkeit" emporgestiegen seien, sei es nötig, sie wieder auf den Boden zurückzubringen und sicher abzustützen. Das einzige und beste Mittel sei, sich eng an vertragliche Abmachungen zu halten. Deshalb: So lange Bayern keinen festen offiziellen Allianzvertrag mit Frankreich besitze, der seine Souveränität deklariere, werde es in dieser Angelegenheit nichts, auch wenn man noch so sehr darauf bestehe, unternehmen134• Es ist ein dramatisches politisches Spiel, das Montgelas mit der Souveränität spielt. Im Zuge der sich überschlagenden Ereignisse hat es sich in das genaue Gegenteil verkehrt - die Absicht ist jedoch die gleiche: Sicherheit für Bayern. Hatte er im Bogenhausener Vertrag auf lange Sicht das Wort "Souveränität" peinlich vermieden, so fordert er nun ebenso nachdrücklich seine exakte vertragliche Fixierung, um dadurch wenigstens zwei bis drei Wochen Zeit zu gewinnen. 182 Montgelas an Gravenreuth im Hauptquartier, Schreiben vom 13. Dez. 1805, Zwehl H, S. 238. 133 Hieraus geht noch einmal deutlich hervor, daß Montgelas es rechtlich und praktisch für unmöglich hielt, im Falle einer proklamierten "Souveränität" Bayerns weiter dem Reich anzugehören. 136 "Le dechainement du Nord est grand. Si la France ne se jette pas dans le dilemma, le Duc de Wurtemberg sera force de retrograder ... Comment diable voulez vous rester membre de l'Empire et en violer toutes les lois. Nous n'avons aucun droit au Souabe. La Franeonie est cernee. Je n'aime pas les Dragonades, et je crois, qu'on peut moins faire ce reproche a notre gouvernement qu'a aucun autre, mais quand les esprits sont montes jusqu'a l'indecence qu'on les appuye du dehors, qu'on est a meme de les soutenir, il faut des moyens de preter force a la loy. Cependant si on persiste nous en avons done la presque eertitude de jetter de l'huile sur le feu. II seraita desirer que le traite d'allianee put autant que possible se rapprocher a cet egard du plan de la federation, en disant que c'est l'idee de Mr. de Talleyrand." Ebenda.
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Bayerns Kurfürst werde sich, wiederholt er, niemals zwischen zwei Stühle setzen. Frankreich, das sich mit Preußen vielleicht arrangieren wolle, müsse gezwungen werden, Farbe zu bekennen, es müsse Bayerns Souveränität deklarieren und ebenso die Mediatisierung als sein ureigenes Anliegen offenbaren, auch wenn dies seine Verhandlungen mit Preußen empfindlich belaste. Tue es dies nicht, um eventuell eine günstigere Ausgangsposition gegenüber Preußen zu haben, so sei auch Bayern nicht bereit, diesen historisch entscheidenden Schritt allein zu tun, ohne jeden Rückhalt. Montgelas fordert Gravenreuth sehr eindringlich auf, sich hiernach zu richten, statt eine zu napoleonfreundliche und wenig weitsichtige Haltung einzunehmen. Sehr deutlich steht dieser Vorwurf zwischen den Zeilen. Sein Schreiben endet mit der Ermahnung an den bayerischen Gesandten, in Zukunft außerdem seinen Schreibstil zu mäßigen und nicht den Kurfürst zu etwas drängen oder ihn gar zwingen zu wollen. Dieser wisse selber genau, was er zu tun habe: "Moderez un peu votre style. La chaleur des vos derneres expressions a vivement et fortement deplu a l'Eleetuer qui a eru y entrevoir une envie de le regenter et de le froner. Il est inutile de perdre dans l'esprit du Souverain pour des mots135." Montgelas' Warnung, Gravenreuth möge sich nicht die Sympathie des Kurfürsten verscherzen, ist sehr begründet. Max Joseph ist über Gravenreuths "niederschmetternde" ("foudroyante")136 Depesche, wie er sagt, derart aufgebracht, daß er noch am 19. Dezember in einem persönlichen Brief an den bayerischen Gesandten, von dem Montgelas nichts weiß, schreibt, er habe diese Zeilen gleich dreimal lesen müssen, weil er seinen Augen nicht getraut habe. Äußerst bestimmt weist er die Vorwürfe gegen Montgelas zurück, vor allem die Behauptung, er lasse sich von Montgelas in seinen Entscheidungen beeinflussen. Solche oder ähnliche Brüskierungen solle Gravenreuth in Zukunft peinlichst unterlassen. Bei allen freundschaftlichen Gefühlen, die er gegenüber Gravenreuth seit dessen Kindheit hege, müsse er ihn doch sehr bitten, einen kühlen Kopf zu bewahren. "J'ai relu deux fois votre depeche, parqu'elle m'a paru si ineoneevable qu'a peine en ai-je cru mes yeux. En invectivant mon Ministre, e'est quasi me faire entendre que je me suis laisse mener par lui, abstraction faite de l'attachement que vous devez avoir pour lui. Je vous pris justamment de me plus faire de pareilles incartades. Je vous donne ma Parole d'honneur que Montgelas ne lira pas ma lettre. Croyez qu'elle a ete dictee par l'amitie, que j'ai po ur vous depuis votre
135 188
Ebenda. Kurfürst Max Joseph an Gravenreuth am 19. Dez. 1805, Zwehl II, S. 247,
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enfance. Encore une fois calmez votre tete, c'est une des vertus capitales de votre metier137 ." Max J oseph steht voll und ganz hinter der Politik seines Ministers. Die offizielle Antwort, die er seinem Gesandten auf dessen so viel Aufruhr stiftende Depesche vom 8. Dezember gibt, erfolgt bereits am 13. Dezember, dem gleichen Tag, an dem Montgelas Gravenreuth in seinem Schreiben scharf rügt. Max Joseph weist darin Gravenreuths Kritik wegen der Nichtverwirklichung der Souveränität sehr kühl und sachlich zurück, insbesondere dessen Bemerkung, Bayerns Vorgehen gegen die Reichspost, die ledigliche Einsetzung von überwachenden Postkommissaren, sei "nicht Fisch und nicht Fleisch": "L'etablissement de Commissaire de Gouvernement aux Bureaux de Poste me rende maitre de la Correspondance par consequent atout ce qui appartient a l'action de gouvernement: ce n'est donc pas simplement une mesure qui n'est ni chaire ni poisson comme il vous plait de dire 138." Im übrigen aber übersendet Max Joseph seinem Gesandten die Vollmacht zur Unterzeichnung des Allianzvertrages mit Frankreich. Er datiert sie auf den 30. November vor, um, wie er sagt, Frankreich zu zeigen, wie eilig Bayern es damit habe139 • Sie soll Gravenreuth als Handhabe dienen, die bisher nicht durchgeführte Souveränitäts-Exekution in Bayern gegenüber Frankreich wirkungsvoll verteidigen zu können. Bayern, so soll er sagen, wolle mediatisieren, aber es könne nicht. Es warte erst auf den Allianzvertrag und die Bestätigung seiner Souveränität. Außerdem müsse Frankreich die bayerische Königswürde garantieren. Als diese Weisung und Vollmacht am 13. Dezember von München an Gravenreuth abgehen, ist diese Bestätigung bereits seit drei Tagen erfolgt. In Brünn hat sich inzwischen Entscheidendes ereignet. Frankreich hat sich kurzfristig entschlossen, bevor es in die entscheidenden Verhandlungen mit Preußen in Wien tritt, in aller Eile die Allianzverträge mit seinen drei Verbündeten unter Dach und Fach zu bringen. Am 10. Dezember haben Talleyrand und Gravenreuth den französischbayerischen Vertrag unterzeichnet140, am 11. und 12. folgten die Verträge mit Württemberg und Baden141 • 137
138
Ebenda. Kurfürst Max Joseph an Gravenreuth am 13. Dez. 1805, Zwehl H, Anl. 43,
S.235.
138 "Je vous envoye le Pleinpouvoir pour signer le traite d'Alliance. Je les ai fait antidater du 30. Novembre pour temoigner plus d'empressement." 140 Abgedr. bei Gmeinwiser, Anlagen, S. 230 - 32. 1n Die neueste zusammenfassende Darstellung über die drei Verträge bei R. v. Oer, Kap. XIV, S. 131 - 140: "Die Brünner Verträge".
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Der Vertrag erfüllt längst nicht alle Erwartungen, die sich Bayern gemacht hat und die Montgelas in seiner Weisung vom 12. Oktober am präzisesten zusammengefaßt hat. Vor allem bleibt der Wunsch nach Tirol unerfüllt. Napoleon verweigert es Bayern, weil er sich Preußens noch nicht sicher ist und deshalb Österreich schonen muß. Aber Gravenreuth unterzeichnet den Vertrag trotzdem, um nicht, wie er am 12. Dezember schreibt, einen noch schlechteren zu erhalten. "J'ai l'honneur d'envoyer a V. A. S. E. le traite, que je me vu oblige de signer pour prevenir qu'il en allat plus maP42." Dennoch hat Bayern so schlecht nicht abgeschnitten. An der Spitze seiner Gewinne steht die Erhebung des Kurstaates zum erblichen Königreich (Art. 2)143. Die größten territorialen Erwerbungen sind Schwaben zwischen Iller und Lech mit einer Landverbindung zum Bodensee und mit Vorarlberg, ferner Augsburg, Eichstätt und Passau. Die hinsichtlich der letzten Auseinandersetzungen wichtigsten Artikel sind jedoch der siebte und achte. In ihnen garantiert Frankreich die "volle und uneingeschränkte Souveränität und alle Rechte, die sich daraus ableiten". Artikel 7 lautet wörtlich: "S. M. le Roi de Baviere jouira sur tous les etats, tant ceux qu'il possede actuellement que ceux possedera en consequence du futur traite de paix et du presente traite, de la plenitude de la souverainete et de tous les droits, qui en derivent, ainsi et de la meme maniere qu'en jouissent S. M. l'Empereur d'Allemagne et d'Autriche et S. M. le Roi de Prusse sur leurs etats allemands. S. M. l'Empereur des Francais, Roi d'Italie garantit a S. M. le Roi de BaviE~re la possession et la jouissance des dits droits, ainsi que l'execution des actes qu'il aurait fait ou pourrait faire en consequence." Auf die auffällige Formel des ersten Satzes "la souverainete ... , ainsi et de la meme maniere" , wie der Kaiser von Österreich und der König von Preußen sie ausüben, wird gleich noch zurückzukommen sein; der zweite Satz spricht ausdrücklich aus, was Bayern bisher bei der Verteidigung seiner Nichteinlösung des Linzer Abkommens immer angeführt hat. Napoleon garantiert alle Schritte Bayerns, die sich aus dem Besitz der Souveränität ergeben, das Wort "Exekution" taucht dabei wörtlich im Text auf. Der achte Artikel bestärkt diese Garantie noch. Frankreich stellt darin fest, daß Bayern die ihm zugewiesenen Gebiete sofort nach der Ratifikation des Vertrages besetzen und die Souveränität ausüben 141 Gravenreuth an Kurfürst Max Joseph am 12. Dez. 1805, Zwehl II, AnI. 42, S.232. 1&1 Art. 2: "S.A.S. L'Electeur Palatin de Baviere prendra le titre de Roi avec
le rang et les prerogatives attaches ä ce titre. S.M. I'Empereur des Francais, Roi d'Italie, promet d'employer ses bons offices pour faire reconnaitre S.M. le Roi de Baviere par toutes les puissances."
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werde. "Immediatement apres l'echange des ratifikations, S. M. le Roi de Baviere entrera en possession des pays et territoires que S. M. I'Empereur des Francais, Roi d'Italie, s'est engage par l'artic1e 4 (die genannten territorialen Neuerwerbungen Bayerns) du present traite a lui faire ceder par le futur traite de Paix avec S. M. I'Empereur d'Allemagne et d'Autriche, ainsi qe de la ville et territoire d'Augsbourg, et y exercera tous les doits de souverainete, ainsi qu'il est dit en l'article precedent." Damit hat Frankreich nun den entscheidenden Schritt getan, die Souveränität seines Verbündeten ist nachdrücklichst deklariert. Im Blitztempo sind alle drei Verträge mit Bayern, Württemberg und Baden in Brünn abgewickelt worden. Der Grund dafür ist die Absicht, vor den Verhandlungen mit Preußen in Wien eine überzeugende Ausgangsposition und absolut klare Verhältnisse zu schaffen. Die Souveränität ist Frankreich dabei das Wichtigste, in territorialen Einzelfragen hat es manchmal direkt Gleichgültigkeit bewiesen144 • Bayern hat nun keine Handhabe mehr, die Verwirklichung der Souveränität hinauszuzögern. Dennoch ist sich Napoleon immer noch nicht sicher, ob der eigenwillige Montgelas in München die diesbezüglichen Schritte tatsächlich ergreift oder ob er weiter taktiert: der Brünner Vertrag hat ja keine völkerrechtliche Form, Österreich hat auf die ihm weggenommenen Gebiete bisher keineswegs verzichtet, ferner weiß Napoleon, welch entscheidendes Augenmerk Bayern auf die Haltung Preußens hat. Er hält es für möglich, daß Montgelas durchaus weiter versuchen könnte, Hinhaltepolitik zu treiben. Sein Auftreten gegenüber dem bayerischen Gesandten ist dementsprechend. Sofort nach der Unterzeichnung des Vertrages setzt er Gravenreuth unter stärksten Druck. Er erklärt ihm: Frankreich habe jetzt mit Bayern einen Allianzvertrag geschlossen, ihm bedeutenden Gebietszuwachs verschafft und seinem Wunsch nach Bestätigung der Souveränität entsprochen; es stehe nun nichts mehr im Wege, das Linzer Abkommen sofort einzulösen, und er erwarte, daß dies auf der Stelle geschehe. Gravenreuth ist von diesem barschen Ultimatum Napoleons derart beeindruckt, daß er schon am 14. Dezember aus Schönbrunn, wo mittlerweile auf Hochtouren die Verhandlungen zwischen Napoleon und Haugwitz laufen, den Kurfürsten leidenschaftlich drängt, die "Exekution der Souveränität" nun allerschnellstens vorzunehmen145 • Zu einem Zeitpunkt also, da er noch keinerlei Nachricht über die Aufnahme des Vertrages in München hat, gar nicht haben kann, denn sein Kurier Mieg ist ja 144
145
Oer, 8. 134. Gravenreuth an Kurfürst Max Joseph am 14. Dez. 1805, Zwehl II, Anl. 44,
8.238.
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erst am 12. Dezember mit dem Vertrag und seinem beiliegenden Bericht von Brünn nach München abgereist, wo er nicht vor dem 16. Dezember eintreffen kann. Man weiß also dort noch gar nichts von Brünn. Gravenreuth ist sich immer noch nicht ganz sicher, ob der Kurfürst und Montgelas nun die Souveränität einlösen, obwohl sie es, nach dem, was sie bisher immer als offizielles Gegenargument angeführt haben, jetzt sofort tun müßten. Er sei, so schreibt er, ganz "verzweifelt" darüber, daß es ihm nicht in Linz gelungen sei, "Eure Majestät" - er redet den Kurfürsten schon jetzt als König mit "Sire" an 146 , dazu zu überreden, gleich dort die erforderlichen Erlasse zur Durchführung der betreffenden Punkte des Abkommens herauszugeben. Alles wäre dann bereits erledigt, Napoleon wäre nicht mehr unzufrieden und Talleyrand hätte sich seine sarkastischen Anspielungen erspart. "Sire, je suis au desespoir, de n'avoir pas reussi ä persuader V. M. ä Linz de faire expedier de cette Ville meme les rescrits necessaires pour l'exedcution des points arettes: Tout serait dejä termine: l'Empereur ne serait pas mecontent et M. de Talleyrand aurait epargne ses sarcasmes147 ." Man solle, fährt Gravenreuth fort, doch nichts auf lächerliche Anträge in Regensburg und eventuelle Absichten Preußens geben, sich davon nicht beeindrucken lassen, das seien doch nur Narreteien. Man brauche nur einen Befehl zu geben und alles sei beendet. Soldaten seien zu der Aktion keineswegs notwendig, Napoleon garantiere doch alles: "Des anxietes et des doutes sur de ridicules demarches faites ä Ratisbonne et sur les intentions de la Prusse: Ce sont des fariboles; il ne faut qu'un ordre et tout est fini: Les soldats ne sont pas necessaires. C'est l'Empereur Napoleon qui garantit tout148." Gravenreuth opponiert damit erneut gegen Montgelas, der mehrere Male sein Zögern auch damit begründet hat, Bayern könne seine Souveränität gegenüber den Reichsrittern zunächst noch nicht exekutieren, da ihm die Soldaten dazu fehlten (Quant ä la noblesse immediate, nous sommes sans trouppes)149. Gravenreuth nimmt das Reich und seine Verfassung überhaupt nicht mehr ernst. Es existiert für ihn praktisch nicht mehr, wer zählt, ist nur noch Napoleon. Er berichtet, dieser habe dem Erzkanzler Dalberg mitteilen lassen, daß er ihm, wenn er weiterhin fortfahre, sich verfassungsmäßig zu gebärden, sofort Regensburg wegnehmen und aus allen seinen 148 Womit Max Joseph jedoch gar nicht einverstanden ist: " ... vous me donnez un titre, que je n'ai pas encore pris." Schreiben vom 19. Dezember 1805 an Gravenreuth, Zwehl H, An!. 49, S. 247. 147 Gravenreuth an Kurfürst Max Joseph am 14. Dezember 1805, s. o. 148 Ebenda. 14' Montgelas an Gravenreuth am 10. Dez. 1805, Zwehl H, An!. 40, 2, S. 229.
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Besitzungen jagen würde. So sehe die Macht des Reiches aus, mokiert sich Gravenreuth. Preußen werde gewiß gegen nichts opponieren, darüber könne Max Joseph absolut sicher sein - was man ihm auch sonst sagen möge: "L'Empereur ä fait dire ä l'Electeur Archichancellier que s'il continuait de faire le constitutionel, il lui prendrait Ratisbonne et la chasserait de tous ses etats. La Prusse ne s'oppose arien, V. M. peut en etre certaine - quoiqu'on lui en dise15o ." Mit dem letzten kritisierenden Nebensatz - "was man Euch auch sonst immer sagen möge" - ist natürlich wieder Montgelas gemeint, den Gravenreuth am Schluß seines Schreibens noch einmal ganz massiv angreift, ihm sogar in gewisser Weise droht: Er, Gravenreuth, erfülle seine Pflicht und stelle die Dinge so dar, wie sie seien; die ganze Verantwortung für eventuelle "neue Winkelzüge" werde allein auf den Minister des Äußeren zurückfallen: "J'ai rempli mon devoir en exposant les choses teIles qu'elles sont; toute la responsabilite de nouvelles tergiversations retombera sur son Ministre des relations exterieures151 ." Der bayerische Gesandte wirft seinem Vorgesetzten, dem leitenden Minister, tatsächlich "Winkelzüge" vor! Einen Tag später, am 15. Dezember, dem Tag, an dem Napoleon mit Preußen den entscheidenden Vertrag von Schönbrunn mit Preußen schließt152, von dem Gravenreuth allerdings sogleich noch nichts erfährt, wiederholt er in einem neuen Schreiben an Mox J oseph die Forderung der Exekution der Linzer Beschlüsse und seine Anklagen gegen Montgelas. Alles, was dieser dagegen sage, sei nichts als leere Rederei ohne Gehalt. "Il est de necessite absolue de faire executer ce qui est arrette. Je la (Votre Majeste) prie ... de ne pas se laisser arreter par aucune representation quelconque, dans l'execution des articles convenus ä Linz. Tout ce qu'on lui dit est un verbiage sans aucun fondement1 53 ." Preußen, davon sei er auf Grund seiner Beobachtungen überzeugt, denke nicht daran, etwas gegen die bayerische Monarchie zu unternehmen. ("La Prusse, cette puissance ne songe pas arien entreprendre contre la Monarchie bavariose")154. Die Bestätigung über die Haltung Preußens erhält Gravenreuth einen Tag später. Am 16. Dezember läßt Napoleon den bayerischen Gesandten zu sich rufen und teilt ihm "unter dem Siegel allergrößter Verschwiegenheit" in bewußter gezielter Indiskretion den Inhalt der für Bayern Gravenreuth an Kurfürst Max Joseph am 14. Dez. 1805, s. o. Anm. 145. Ebenda. 1&1 Eine farbige Gesamtzeichnung des Vertrags gibt R. v. Oer in Kap. XVI, S. 151 - 163: "Der Vertrag von Schönbrunn und die Lage in Berlin. " 153 Gravenreuth an Kurfürst Max Joseph am 15. Dez. 1805, Zwehl 11, Anl. 45, 1&0
151
S.239. m
Ebenda.
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wichtigsten Artikel des Vertrags von Schönbrunn mit, die eigentlich der strengsten Geheimhaltung unterliegen, da Preußen der Veröffentlichung noch nicht zugestimmt hat, geschweige denn die Ratifizierung des Vertrages erfolgt ist. Gravenreuth erfährt: Preußen hat die bayerische Königskrone anerkannt, das Innviertel garantiert und die Markgrafschaft Ansbach an Bayern abgetreten. Ferner hat es der Erwerbung Augsburgs und Tirols durch Bayern zugestimmt l55 • Napoleon hat, Preußens sicher, sofort seine Schonungspolitik gegenüber Österreich aufgegeben und das nachgeholt, was in Brünn Bayern deshalb noch nicht zugestanden war: es erhält nun Tirol. Aber nicht nur zum Zweck dieser Mitteilung läßt Napoleon den bayerischen Gesandten rufen. Noch am gleichen Abend schließt er mit Gravenreuth einen geheimen Zusatzvertrag zu der Brünner Allianz, den dieser auch sofort ohne Instruktionen unterzeichnet l56 • Denn in dem Vertrag erfüllt Napoleon ein von Bayern schon vor einem Jahr gewünschtes Tauschprojekt167 • Bayern gewinnt das von Preußen abgetretene Ansbach und tritt dafür das Herzogtum Berg an einen "Fürsten des Heiligen Römischen Reiches" ab, den Napoleon bestimmen wird, er plant mit eleve und Berg einen neuen "Satellitenstaat" am Niederrhein l58 • Gravenreuth sieht den Vorteil dieser Transaktion vor allem darin, daß nun endlich Würzburg mit Bayern verbunden ist159 • Tirol und das Innviertel bleiben jedoch auch in diesem Vertrag wie in Brünn noch unerwähnt, Gravenreuth erfährt die entsprechenden Artikel des Vertrags mit Preußen also nur mündlich. Napoleon läßt ihn jedoch mit Bestimmtheit wissen, daß Talleyrand Befehl habe, auf der Abtretung der beiden 155 Gravenreuth an Kurfürst Max Joseph am 17. Dezember 1805: "Toutes les nouvelles de guerre prussienne n'ont plus aucune valeur: Je suis autorise par l'Empereur d'informer V. M. sous le sceau du plus grand secret, pour lequel je me suis rendu responsable, que tous les differends entre la France et la Prusse sont termines. Hier au soir Mr. de Haugwitz a conclu un traite avec Mr. le Marechal Duroc, par lequel a ce que m'a dit S.M.I. la Prusse acquiert le Hanovre, Elle cede le Pays d'Ansbach a V. M. et consent a l'acquisition de l'Innviertel et du Tyrol pour la Baviere et s'engage a ne pas s'opposer au titre de roi pris par V. M. La Prukke abandonne toute l'Italie a la France et promet de ne plus s'immiscer dans les affaires de ce pays." Zwehl H, Anl. 46, S. 240/241. 158 Der Zusatzvertrag von Schönbrunn ist abgedr. bei Gmeinwiser, S. 232 und Zwehl H, Anl. 46, 1, S. 241/42. Auf französischer Seite signiert Marschall Duroc. 167 Siehe Cettos Bericht an den Kurfürsten aus Paris vom 3. November 1804; abgedr. bei Gmeinwiser, S. 210. 158 Oer, S. 155. 150 "Le pays d' Ansbach est beau coup augmente par les reunions de la Prusse et la Convention conclue avec la Baviere; d'ailleurs voici maintenant Wurzburg reunit a la Baviere et les Comtes de Pappenheim et les Princes de Schwarzenberg enclavees dans la Monarchie Bavaroise. Ce sont bien des avantages qui n'auriaient pas obtenu facilement en d'autres tems." Gravenreuth im Schreiben vom 17. Dezember 1805.
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von Bayern so sehr gewünschten Gebiete in den Friedensverhandlungen zu bestehen180 • Dies sind Napoleons Gaben, nun kommen seine Forderungen. Erstens verlangt er von Kurfürst Max Joseph die sofortige Annahme des Königstitels, zweitens besteht er auf der umgehenden Verwirklichung der Souveränität, der Abschaffung der Reichspost und des reichsunmittelbaren Adels. Gravenreuth berichtet: "L'Empereur desire que V. M. adopte des ä presente le titre de roi, et qu'elle en fit publier au plutöt la proclamation. L'Empereur persiste sur l'abolisition des postes de l'Empire, et de la Noblesse immediate 161 ." Bei Gravenreuth rennt er mit diesen Forderungen natürlich offene Türen ein. Dieser pflichtet Napoleon sofort völlig bei und verstärkt durch seine bindende Zusage, auf die er den Kurfürsten in München nachdrücklichst hinweist, noch ganz beabsichtigt den Druck von Napoleons Forderung. Selbstverständlich, schreibt er an Max Joseph, habe er sich den Vorhaltungen Napoleons nicht entzogen, sondern ihm immer wieder versichert, daß die diesbezüglichen Befehle bereits gegeben worden seien, nur hätten leider einige kleine Begleitumstände, die vollständige Exekution bisher verhindert. ("Je n'echappe ä ses observations ä cet egard, qu'en assurant chaque fois, que les ordres etaient donnes, et que les embarras de detail empechaient seuls cet ordre ne fut encore execute en son entier162 .") Um den Kurfürsten zu veranlassen, endlich die Souveränität zu: exekutieren, setzt Gravenreuth alle Mittel ein. Talleyrand mache sich dauernd über Bayern lustig, über seine Langsamkeit im Gewinnen; er habe unaufhörlich die sarkastischen Bemerkungen des französischen Außenministers zu ertragen. Aber was solle er darauf erwidern? Er könne Max Joseph nur bitten, die Mediatisierung auf der Stelle vorzunehmen. Die Bitte wird begleitet von dem Hinweis darauf, wie Frankreich bereits gegen Baden vorgehe. Baden werde bereits am kommenden Tag eine Botschaft erhalten, die es zwingen werde, sich des reichsunmittelbaren Adels und der Reichspost zu bemächtigen; mit anderen Worten: ein Ultimatum. "Mr. de Talleyrand ... m'a lance mille sarcasmes et meme ridiculise sur notre lenteur inconvencable, lorsqu'il est question de gagner: Que dois je repondre? Je prie (V. M.) de faire executer sur le champs les memes questions: La Cour de Bade va recevoir au premier jour un message qui l'obligera ä frapper sur la Noblesse immediate et les postes 163 ." 160 "S.M.1. m'assure qu'Elle venait de donner des ordres nouveaux a M. de Talleyrand pour insister sur la cession de l'Innviertel et du Tyrol en faveur de la Baviere: Il est a presumer que maintenant la paix ne se fera pas encore de sitöt." Ebenda. 181 Ebenda. 182 Ebenda. 183 Ebenda.
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Ist die Sprache Gravenreuths, der seinen Kurfürsten mit allen Mitteln schnellstens auf harten Souveränitäts kurs zu bringen sucht, schon gegenüber Max Joseph so deutlich, so trumpft er gegen Montgelas, in dem er den permanenten Verhinderer und Störer dieses Kurses sieht, noch mehr auf. Am selben Tag, an dem er aus Schönbrunn den Kurfürsten vom Vertrag Frankreichs mit Preußen und von dem von ihm abgeschlossenen Zusatzvertrag zu Brünn unterrichtet, erreicht ihn Montgelas' Schreiben vom 13. Dezember, das ihn ermahnt, nur die Politik des Kurfürsten zu vertreten, statt eine eigene machen zu wollen und ihn warnt, sich nicht die Ungnade Max J osephs zuzuziehen. Die Antwort Gravenreuths hierauf, der sich nach den jüngsten Ereignissen seiner nun völlig sicher weiß, ist geradezu ein Affront gegen Montgelas. In einem sofort verfaßten Brief, der am gleichen Tage wie die Botschaft an den Kurfürsten nach München abgeht, macht sich der bayerische Gesandte über den leitenden Minister lustig und verspottet ihn. Er habe, schreibt er, "über den Brief seiner Excellenz Tränen gelacht". Wie könne er in die Ungnade "unseres Königs" fallen, wenn er nichts anderes gewollt habe, als ihm unter Aufbietung aller Kraft mehrere Tausend Unterthanen und mehrere Tausend Einkünfte mehr zu verschaffen? Er rate Montgelas nur eines: auf der Stelle die drei vereinbarten Punkte von Linz zu erfüllen. Tue er das nicht, werde er in den Augen Napoleons als lächerlich und inkonsequent dastehen, und da dieser stets ausspreche, was er denke, könne er sich darauf gefaßt machen, bei der Ankunft des französischen Kaisers in München "schöne Komplimente" zu empfangen: "La fin de la lettre de Votre Excellence m'a fait rire ci chaude larme, comment je tomberais dans la disgrace de notre Roi pour avoir voulu lui procurer de toute force plusieurs milliers de sujets et plusieurs milliers de Revenues de plus. Je ne puis vous dire qu'une chose c'est que si Vous n'executes pas sur le champ les trois points arretees ci Linz, Vous passeres aux yeux de l'Empereur pour des etres ridicules et inconsequents et comme ce Monarque dit ce qu'il pense Vous n'aves qu'ci preparer ci recevoir tous ces beaux compliments de son arrivee ci Munich. J'en ai dejci eu ma part, mais puisque Vous le voules absolument je rejetterai desormais tout sur VOUS 164 ." Er könne nicht begreifen, fährt Gravenreuth fort, warum Montgelas mit aller Gewalt Bayern ins Verderben bringen wolle. Als Bayern von allen Seiten von österreichischen Truppen bedroht gewesen sei, sei er so mutig gewesen, jetzt, wo Bayern von der Macht Frankreichs unterstützt werde, zittere er. Er verstehe überhaupt nichts mehr. Wenn man jetzt
18C Gravenreuth an Montgelas in Müchen am 17. Dez. 1805, Zwehl II, Anl. 46, 2, S.242.
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die eingeschlagene politische Marschrichtung, die der Kurfürst, Montgelas und er doch damals beschlossen hätten, nicht einhalte, sei Bayern verloren. Es gäbe nur eines: Mutig voranzuschreiten und auf d.em Weg zu beharren, dann sei das Königreich Bayern errichtet. Käme es nicht dazu, werde er alle Schuld Montgelas geben. Montgelas sähe, daß er einen festen Standpunkt habe und aus seiner Meinung keinen Hehl mache: "Dites moi done, chere Exeellenee, pourquoir voules Vous done a toute foree perdre la Baviere? Vous eties si eourageux lorsque toutes les forces autrichiennes nous menacaient, maintenant que nous sommes soutenus de la puissanee franeaise Vous trembles: Je n'y comprends rien. Encore une fois: Courage, alles en avant, Soyes ferme et le Royaume de Baviere sera etabli, N'oublies pas que de la maniere dont l'Eleeteur, Vous et moi sommes entres dans le systeme present la Baviere est perdue et nous sommes tous deshonores. Je vous reponds que je ne serai jamais deshonore et que si notre affaire manque, je rejetterai tout sur Vous. Vous voyes que je suis ferme et que je ne cache pas mes sentiments166 ." Zur gleichen Zeit, da der bayerische Gesandte dies nach München schreibt, geht auch von dort eine Instruktion für ihn ab. Sie nimmt auf den :i3rünner Vertrag Bezug, den Gravenreuth am 12. Dezember an Max Joseph geschickt hat. Das Echo darauf ist in München zwiespältig. Der Kurfürst ist mit dem Vertrag überhaupt nicht zufrieden, statt Franken, wo er so viele Schwierigkeiten mit dem reichsunmittelbaren Adel befürchtet, hätte· er lieber Tirol, das Innviertel und Salzburg erhalten. Er beklagt sich sehr. Die wenigen Jahre, die er noch zu leben habe Max Joseph fühlt sich seit dem Abschluß des Bogenhausener Vertrags im Oktober infolge seiner ständigen Angst und Anspannung gesundheitlich gar nicht wohl, er ist dauernden Stimmungen unterworfen, pessimistisch und deprimiert -, müsse er nun weiter in der Nachbarschaft von Bayerns natürlichem Feind Österreich verbringen. Das bedrücke ihn ungemein. Was nütze, fragt er, ein Königstitel, wenn er seiner Grenze nicht sicher sein könne? So wenig sei also bei "der glorieusen Kampagne", die der "Heros des Jahrhunderts" ("le heros du sieeie") - ein sarkastischer Seitenhieb auf Gravenreuths Napoleonhörigkeit - abgewickelt habe, für Bayern herausgekommen. Max Joseph schließt: Napoleon habe in Bayern sehr viel an Popularität verloren, bei ihm selbst auch166 • Müde und niedergeschlagen, ja resigniert, ratifiziert er den Vertrag. Ebenda. "Quel traite grand Dieu! J'aurais mieux aime perdre la Franeonie, et acquerir le Tyrol, le Innviertel et le pays de Salzbourg. J'esperais passer le peu d'annees que j'ai encore a vivre dans le repos et la tranquillite, et me voilä plus que jamais le voisin de mon ennemi naturei. Tout ceci me serre le coeur. A quoi me sert le titre de Roi quand je ne suis pas sur de la frontiere? Ceci lui (Napoleon) fait perdre une grande partie de sa popularite en Baviere et a moi 185
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Auch Montgelas ist von dem Brünner Ergebnis nicht begeistert. Im Gegensatz zum Kurfürsten ist er aber der Meinung, daß dort noch nicht der endgültige Schlußpunkt unter die territorialen Erwerbungen Bayerns gesetzt worden ist. Er ahnt, warum dort Bayern Tirol noch nicht erhielt; er scheint fast zu spüren, was sich inzwischen in Schönbrunn ereignet hat. Montgelas kann sich nicht vorstellen, daß Napoleon Tirol Österreich überläßt, Tirol, das die Verbindung nach Italien bedeutet. Er stellt gegenüber Gravenreuth verschiedenste territoriale Überlegungenan. Die inhaltlich wichtigste Aussage seines Schreibens bilden aber die letzten zwei Sätze. Sie lauten167 : "Nous ferons toutes les operations sur les Postes, les Nobles, les Teutons et les Malteis. Cela sera fait d'ici ä deux jours." Montgelas verspricht damit: Bayern werde jetzt das Linzer Souveränitätsabkommen einlösen und die Mediatisierung durchführen, nachdem Frankreich Bayerns Souveränität in Brünn vertraglich garantiert habe. Gern gibt er dieses Versprechen nicht, wie die ganze Stimmung seines Briefes und diese äußerst knappe Ankündigung ohne jeden weiteren Kommentar beweist. Aber er ist sich darüber im Klaren, daß er Napoleon hinsichtlich der Souveränität jetzt kaum weiter hinhalten kann, daß er ihm zumindest erst einmal eine Zusage geben muß, um ihn nicht noch mehr zu reizen. Die Frage, was Preußen tun wird, beunruhigt ihn nach wie vor zwar sehr - er weiß ja noch nichts von dem Verhandlungsergebnis von Schönbrunn - genauso sehr ist er aber auch darauf bedacht, sich die weiteren territorialen Ansprüche auf Tirol und das Innviertel nicht zu verscherzen. Die in Gravenreuths Begleitschreiben vom 12. Dezember zum Vertragstext geäußerte Auffassung - daß das unbefriedigende territoriale Ergebnis von Brünn möglicherweise mit der Verzögerung der Linzer Souveränitäts-Beschlüsse in Zusammenhang zu bringen sei, daß Napoleons Ärger und Enttäuschung über die "Ienteur, que l'on amis a l'execution des articles des Linz", sich hier ausgewirkt habe - nimmt Montgelas durchaus ernst. Deshalb kündigt Montgelas nun an, daß Bayern das Linzer Souveränitätsabkommen einlösen und die Reichsritterschaft sowie die Reichspost mediatisieren werde. Er erklärt dies am Schluß seines Schreibens so kurz, fast beiläufig, als ginge es hier nicht um die entscheidendste und folgenreichste politische Frage, um die man in München wochen- und monatelang gerungen hat und noch ringt, sondern um irgendeine Nebensache. Er macht so wenig wie möglich Worte darüber, schon allein deshalb, weil er Gravenreuth keinen Triumph gönnt. aussi." Kurfürst Max Joseph an Gravenreuth am 17. Dez. 1805, Zwehl H,
Anl. 47, S. 244. le7
Montgelas an Gravenreuth im Hauptquartier am 17. Dezember 1805, Zwehl
H, Anl. 47, S. 244. 13 Quint
I. Von Kurfürst Maximilian I. bis zum Vertrag von Ried 1813
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Doch Montgelas' Ankündigung ist in Schönbrunn schon längst überholt. Als sie dort eintrifft, hat Napoleon die für ihn wichtigste Sache bereits entschieden und durchgeführt, ohne die Zustimmung Bayerns und seiner anderen beiden Verbündeten weiter abzuwarten. Er hat die Souveränität seiner Partner selbst in die Hand genommen und realisiert. Am 19. Dezember ist in Schönbrunn ein Tagesbefehl ("Ordre du jour")188 für die Große Armee ergangen, der ihr den Auftrag erteilt, in Bayern, Baden und Württemberg die Mediatisierung der Reichsritter unverzüglich durchzuführen. Ihre Unterwerfung wird mit der "souverainete pleine et entiere", die Frankreich den drei Fürsten in Brünn garantiert hat, begründet. Frankreich erklärt gegen sie den Kriegszustand189 . Gravenreuth informiert Kurfürst Max von diesem Gewaltschritt Napoleons, der direkt in die inneren Angelegenheiten Bayerns, in seine ihm soeben erst zugesicherte Souveränität eingreift170, unter dem Vorwand, diese Souveränität erst vollständig durchführen zu wollen, am gleichen Tag. Der König sehe daraus, schreibt er, welch ungeheuren Wert der Kaiser auf die Unterwerfung des reichsunmittelbaren Adels lege, die französische Macht werde jeglichen Widerstand von dessen Seite ausgeschlossen machen l71 • Max Joseph werde diesen Schritt Napoleons sicherlich gutheißen. Die Frage Gravenreuths hat im Grunde nur formellen Charakter, denn was bleibt Max Joseph anderes übrig, als das Vorgehen Napoleons zur Kenntnis zu nehmen und zu bejahen. Er tut dies in seinem Antwortschreiben vom 27. Dezember. Im Grunde ist der Kurfürst zunächst ein168
Abdruck des "Ordre du jour" bei Gmeinwiser, S. 229 und Zwehl 11, Anl. 50,
1, S. 249.
!DD Auszug aus dem "Ordre du jour", Schönbrunn 19. Dez. 1805: "s. M. l'Empereur et Roi ordonne a tous les g{mereux commandants de Places et de colonnes dans les pays occupes par ses diverses annees, de preter mainforte aux Troupes et aux agents de I.L. A.A.S.S. les Electeurs de Baviere de Wurtemberg et de Bade, dans la prise de possession, qu'ils fonts des domaines de l'ordre Equestre. S. M. l'Empereur ayant garanti aces trois Electeurs la souverainete pleine et entiere de leurs Etats, et ces trois princes devant etre souverains dans leurs etats, comme l'Empereur d' Allemagne l'est dans ses possessions hereditaires d'Autriche, et le Roi de Prusse en Brandenbourg. L'Ordre Equestre a ete d'ailleurs l'auxiliaaire de l'Autriche et il a souffert que des recruteurs Autrichiens flssent deli levees dans ses etats; ce qui necessairement l'a constitue en etat de guerre avec la France." 110 Später wird der "Ordre du jour" Napoleons in der deutschen Staatsrechtsliteratur so kommentiert: "Das war ein arger Hohn gegen die volle Souveränität." Vgl. C. 'V. Kaltenborn: Geschichte der Deutschen Bundesverhältnisse und Einheitsbestrebungen von 1806 - 1856, Berlin 1857, I. Bd., S. 14. 111 "V. M. verra par l'ordre du jour ci-joint l'importance que S. M. l'Empereur met a la soumission de la Noblesse immediate Cette declaration fonnelle emechera sans doute toute resistance." Gravenreuth an Kurfürst Max Joseph am 19. Dez. 1805, Zwehl 11, AnI. 50, S. 247.
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mal sehr darüber erleichtert, daß sich die außenpolitische Lage so zum Positiven gewendet hat. Die schlimmsten Sorgen, die ihn bedrückten, sind nach dem Eintreffen von Gravenreuths Depeschen aus Schönbrunn gegenstandslos geworden; der Vertrag Preußens mit Napoleon in Schönbrunn hat ihn von einer Zentnerlast befreit. über Napoleons feste Zusagen hinsichtlich Tirols und des Innviertels bei einem endgültigen Friedensvertrag äußert er sich sehr befriedigt. Dennoch klingen in seinem Brief die gemischten Gefühle an, die ihn angesichts des französischen "Tagesbefehls" bewegen. Es sei verständlich, meint er, daß Napoleon dieser Angelegenheit größte Aufmerksamkeit widme und Wert auf ihre schleunige Durchführung lege. Aber sowohl Montgelas als auch er selbst hätten doch bereits wissen lassen, daß die Befehle hinsichtlich der Mediatisierung des unmittelbaren Adels, der Reichspost, des Deutschen und Malteser-Ordens schon gegeben worden seien172 • In der Tat hat der Kurfürst die Durchführung der von Montgelas am 17. Dezember angekündigten Mediatisierung ebenfalls am 22. Dezember in einem Schreiben an Gravenreuth bestätigt, als die Nachricht von Napoleons "Ordre du jour" von Schönbrunn noch unterwegs nach München ist. Darin hat er dem bayerischen Gesandten zur Weiterleitung an Napoleon erklärt: "J'ai donne tous les ordres pour executer les points dont il a ete question a Linz. Ils ont ete protes par des Couriers extraordinaires dans toutes les Provinces. On a antidate ces expeditions173 ." Am 20. Dezember sind die diesbezüglichen Befehle von München hinausgegangen174 • 172 "Il est clair, que l'Empereur Napoleon s'appercoit de ces projets et ne veut pas laisser trainer la negociation. Je vous ai dejä mande que les ordres etaient donnes pour l'Objet de la Noblesse immediate, des Postes, et des Ordres Teutoniques et de Malte." Kurfürst Max Joseph an Gravenreuth am 27. Dez. 1805, Zwehl H, Anl. 56, S. 266. 173 Schreiben Kurfürsts Max Josephs an G. vom 22. Dez. 1805, Zwehl H, Anl. 52, S. 250. 174 Die betr. Orders ergehen an die fünf verschiedenen Gen. Landeskommandos im Herzogtum Neuburg, in Bayern, Oberpfalz, Schwaben und Franken alle am 20. Dezember 1805. Sie enthalten eine kurfürstliche Deklaration, die den festen Entschluß der Regierung erklärt, "den ebenso staatsrechtswidrigen als aller politischen Ordnung widerstrebenden Zustand eingeschlossener, von der landesfürstlichen Gewalt losgerissener Landesparzellen" zu beenden, und die allen Rittergutsbesitzern und deren Hintersassenbeftehlt, sich unverzüglich den bayerischen Gesetzen und der bayerischen Staatsgewalt unterzuordnen. Die Ritter werden gezwungen, Unterwerfungsurkunden zu unterzeichnen; die Patrimonialgerichtshalter müssen einen "Unterthänigkeits- und Territorialdiensteid" ablegen. Die Steuern werden von nun an von den staatlichen Behörden eingezogen, die ritterschaftlichen Hintersassen zum Militärdienst ausgehoben. Der Inhalt der Orders besagt im einzelnen: 1. Im HeTzogtum NeubuTg: Anheftung der Landeshoheitszeichen, Entgegennahme des Beamtenhuldigungseides in den bisherigen Besitzungen des Deutschen Ritterordens und Johanniterordens deutscher Zunge, Besitznahme des
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Eigentlich sei also, so steht sehr deutlich zwischen den Zeilen von Max Josephs Brief - der unerwartete "Ordre du Jour" Napoleons durchaus nicht nötig. Dennoch macht er gute Miene zu Napoleons spektakulärem Schlußstrich unter das monatelange Souveränitätsringen zwischen Bayern und Frankreich, das nun entschieden ist. Er hoffe, schreibt er, daß der "Ordre" den guten Effekt haben werde, etwaige Proteste oder Widerstände gegen die Mediatisierung zu verringern. "J'espere, que l'ordre du jour, que vous m'avez envoye, produira le bon effet de diminuer les protestations ou des resistances176." Damit ist die Auseinandersetzung zwischen Bayern und Frankreich um das Linzer Abkommen beendet. Die zum Teil dramatischen Umstände, unter denen es zustande kommt und schließlich verwirklicht wird, sind in der Literatur bisher kaum näher untersucht worden, unter seinem entscheidenden Aspekt, dem der Souveränität, gar nicht. Darum wurden sie hier so eingehend dargestellt. Es sollte gezeigt werden, daß Montgelas Ries. Besondere Verhaltensmaßregeln wegen der noch unbestimmten Grenzführung gegen Württemberg. Kein Zweifel über Besitznahme besteht bei a) enklavierten Besitzungen, b) wo Bayern Kondominal- oder sonst einige Rechte hat, c) wo die geographische Lage, verstärkt durch einige Rechte, Bayern begünstigt, d) wo die geographische Lage, wenn beide Teile keine besonderen Rechte haben, wahrscheinlich für Bayern spricht. e) Wo keine vorzüglicheren Rechte bestehen, sollen die bayerischen Hoheitszeichen neben diejenigen Württembergs angeheftet werden bis zu einer endgültigen Regelung. Besonders strenge Order: "Gegen Preußen habt ihr alle Kollisionen sorgfältig zu vermeiden!" Einverleibt sollen werden: die ritterschaftlichen Güter Achmerdingen, Altenberg und Ballhausen im Landgericht Höchstädt, Bechingen, Haunsheim. 2. In Bayern: Einziehung von Dominial-Unterthanen und sonstigen Besitzungen von Salzburg, Berchtesgaden und noch nicht säkularisierten Korporationen, die im bayerischen Gebiet liegen. Ferner Einverleibung der nichtständischen unmittelbaren Herrschaft Alt- und Neufraunhofen, und der Besitzungen des Johanniterordens. 3. In der Oberpfalz: Einverleibung der dem Fürsten Lobkowitz gehörigen Herrschaften Sternheim und Walthurn, sowie die Besitzungen des Deutschenund Johanniterordens. 4. In Schwaben: Vereinnahmung der Besitzungen des Deutschen- und Johanniterordens und von österreichischen Besitzungen. Alle ritterschaftlichen Güter in den alten und neuen Besitzungen werden der bayerischen Landeshoheit unterworfen. Reichsstände brauchen keinen Subjektionseid zu leisten, Rittergutsbesitzer müssen es, ebenso alle Patrimonialgerichtshalter. 5. In Franken: Einnahmen der ritterschaftlichen Besitzungen, Bekanntmachung der höchsten Deklaration über die künftigen Verhältnisse der in den fränkischen Fürstentümern eingesessenen Rittergutsbesitzer vom 4. November. - Aus der der Weisung an Gravenreuth vom 22. Dezember 1805 beiliegenden "Ausführungsbestimmungen für Ausdehnung der bayerischen Landeshoheit über die Güter des Deutschherrn- und Johanniter-Ordens, des Reichsunmittelbaren Adels und Aufhebung der Taxischen Reichspost." Abgedruckt bei Gmeinwiser, S. 198/199. Noch im Winter 1805 wird die Einverleibung der ritterschaftlichen Besitzungen in den bayerischen Staat vollständig vollzogen. 175 Schreiben Kurfürsts Max Josephs an Gravenreuth vom 22. Dezember 1805, s. o.
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in den Jahren 1803 -1805 sein politisches Ziel, die Souveränität Bayerns, durchaus nicht so "rückhaltlos"176 und unbeirrt an der Seite Frankreichs zu realisieren sucht und realisiert, wie das bisher in der Literatur so geradlinig gesehen und dargestellt wurde. Das wesentlichste Faktum des Bogenhausener Vertrages, nämlich die peinliche Vermeidung des Wortes Souveränität, wurde bisher nicht beachtet, obwohl auf ihm im Grunde die gesamte Politik Bayerns von 1803 bis 1805 basiert. Montgelas begründet später in den Denkwürdigkeiten seine sehr verhaltene Souveränitätspolitik, die "Zurückhaltung" Bayerns bei der Mediatisierung der Reichsritter in den entscheidenden November- und Dezemberwochen 1805, mit "möglichen Unfällen"177 im Kriegsgeschehen, d. h. als Vorsichtsmaßnahme im Fall einer Niederlage Napoleons. Ein offenes Bekenntnis. Er stellt aber auch heraus, daß er eigentlich überhaupt bis zuletzt vorgehabt habe, die Unterstellung der Reichsritter unter den bayerischen Landesherrn nach und nach staatsrechtlich zu lösen, nicht mit abrupter, roher Gewalt. Er habe bis zuletzt vermeiden wollen, "eine sklavische Nachgiebigkeit gegen fremde Einwirkungen kundzugeben"178. Mit anderen Worten: er habe sich bis zuletzt Napoleon widersetzt; er habe dessen Absicht, mit der Forderung der sofortigen "Exekution" der Souveränität seine Verbündeten zu seinen sklavischen Abhängigen zu machen, klar erkannt und ihr deshalb entgegenzuwirken gesucht, um Bayern unter allen Umständen einen größeren politischen Spielraum zu erhalten. Leider sei dieses Vorhaben nicht gelungen. Der Grund: "die Heftigkeit anderer, insbesondere des Churfürsten von Württemberg, gestattete kein weises Maßhalten, und man mußte ihrem Beispiel folgen, um nicht allenthalben übervorteilt zu werden"179. Das stimmt natürlich nur zum Teil. Montgelas bekennt selbstverständlich lieber, Bayern in seinem Bemühen um territorialen Gewinn in Abhängigkeit zu Frankreich gebracht zu haben - weil er gegen die besitzhungrigen Württemberg und Baden nicht zu kurz kommen wollte und in der Hoffnung auf Tirol und das Innviertel Napoleons Befehle aus176 So etwa M. Doeberl, der seit den Vorverhandlungen zum Bogenhausener Vertrag in Montgelas den Wortführer "ruckhaltlosen Anschlusses" an Frankreich sieht. Entw. Gesch. Bayerns, II, S. 345. Auch Gmeinwiser zeichnet die Souveränitätspolitik Montgelas' noch zu geradlinig. L. Doeberl und H. H. Hofmann gehen auf die außenpolitische Souveränitätsproblematik kaum ein, das Linzer Abkommen wird von ihnen, wie auch bei M. Doeberl, nicht erwähnt. 117 Denkwürdigkeiten, hrsg. v. Freyberg, S. 115. 178 Ebenda, S. 116. Er schreibt: "Wir hatten eben erst mit dem Großmeister des Deutschordens einen Tauschvertrag abgeschlossen, vermöge dessen Bayern in den Besitz der Mehrzahl jener Stiftungsgüter gelangte, welche durch den Reichsdeputationsrezeß dem Orden zugewiesen, aber durch ihre geographische Lage für uns hinderlich waren. Man konnte nun nicht wünschen, sich alsbald selbst zu widersprechen und damit eine sklavische Nachgiebigkeit gegen fremde Einwirkungen kundzugeben. ce 178 Ebenda.
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führte - als zuzugeben, daß er nach dem Brünner Vertrag und dem "Ordre du jour" die Auflage seines nicht nur "nützlichen", sondern auch kommandierenden Allianzpartners zwangsläufig erfüllen mußte - nämlich die Souveränität zu "exekutieren". Daß Montgelas jedoch von Anbeginn das Ziel verfolgte, das Wort "volle und uneingeschränkte Souveränität" aus mehreren Gründen zumindest zunächst aus den Allianzverhandlungen und Allianzverträgen mit Frankreich unter allen Umständen herauszuhalten, wurde eben gezeigt. Der Friede von Preßburg am 26. Dezember 1805 setzt den Schlußpunkt unter den Krieg zwischen Napoleon und Österreich. Er bewirkt die Verdrängung Habsburgs aus Deutschland und Italien. Die französische Machtsphäre umfaßt nach ihm die österreichischen Erblande in ununterbrochener Front von der Adria bis zum Böhmerwald. Von den Verbündeten Napoleons, Bayern, Württemberg und Baden ist Bayern der größte unmittelbare territoriale Nutznießer der vollständigen Niederlage seines "Erbfeindes" Österreich: es erhält Tirol und das Innviertel, vergrößert sich um mehr als ein Drittel seiner bisherigen Ausdehnung und erringt damit die unbestrittene, führende Stellung in Süddeutschland. Gleichzeitig muß der österreichische Kaiser seine sowie Württembergs und Badens" volle und umfassende Souveränität" anerkennen. Die Formel besitzt jedoch einen Zusatz, der bereits im Brünner Vertrag mit Bayern auftauchte, nämlich: "So wie sie Österreich und Preußen innehaben". Nicht ohne Grund. Eine ganz spezielle Absicht Frankreichs hat zu diesem Zusatz geführt.
Die Souveränität des Preßburger Friedens Was Frankreich mit der "souverainete" beabsichtigte, hatte es am offensten in den Münchener Entwürfen vom 26. November, dem ersten großen Verfassungsprojekt für die zukünftigen Verhältnisse seiner süddeutschen Verbündeten, ausgedrückt: den Kern der Entwürfe bildete die Trennung Bayerns, Württembergs und Badens vom Reich ("se separant de la Confoederation Germanique")18o. Eine Forderung, die das Reich zum Einsturz bringen mußte; dennoch wurde in den Entwürfen die Auflösung des Reiches nicht ausgesprochen, sondern merkwürdigerweise mit seinem Fortbestehen gerechnet - wie, blieb allerdings unklar. Die Ursache dieser Unklarheit lag bei dem Verfasser der Entwürfe selber, bei Talleyrand. Der französische Außenminister hatte dem Gedanken der Reichsauflösung eigentlich niemals besondere Begeisterung 180
Siehe oben Anm. 75 dieses Kapitels.
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entgegengebracht. Ihm war nur zu gut bewußt, welch weites, lohnendes Feld die deutsche Staatenwelt in ihrer damaligen Gestalt der französischen Diplomatie und dem eigenen Erwerbstreben bot. Auch Napoleon hatte sich vor acht Jahren, damals noch als General Bonaparte der Revolutionsarmee, genau in dieser Richtung geäußert. Man müsse die Institution des Reiches, so schrieb er, wenn es sie nicht gäbe, um Frankreichs willen erschaffen 181. Schon fünf Tage nach der Konzipierung der Münchener Entwürfe, am 1. Dezember, verfaßt Talleyrand ein neues Projekt für den Frieden mit österreich, in dem von einer Trennung der süddeutschen Staaten vom Reich keine direkte Rede mehr ist und dessen Art. 20 die geplante Souveränität von Bayern, Württemberg und Baden einen sehr bedeutsamen Zusatz bekommt. Artikel 20 lautet: "Sie genießen in diesen Territorien sowie in ihren alten Staaten die Fülle der Souveränität und alle Rechte, die sich daraus ableiten und die ihnen vom Kaiser der Franzosen und König von Italien garantiert worden sind, in derselben Weise, in welcher sich der Kaiser von Deutschland und der König von Preußen ihrer (der Souveränität) erfreuen 182 ." Dieser Artikel zeigt klar, daß Talleyrand nunmehr beabsichtigt, seine Verbündeten irgendwie beim Reich zu belassen. Am 1. Dezember schreibt er an Napoleon, dem er das Projekt mit gleicher Post zuschickt: "Ist es der Wille Eurer Majestät, die drei Staaten vom Deutschen Reich zu trennen? Der Artikel 20 ist unter der Voraussetzung redigiert, daß diese Trennung nicht stattfindet183 ."
Corr. Napoleon HI, 1836, S. 74, 27, Mai 1792. Art. 20: "Les princes denommes aux deux articles precedent entretont, immediatment apres l'echange des ratifications du present traite en possession des territoires qui conforment aux stipulations ci-dessus, doivent appartenir a chacun d'eux. Ils jouiront sur ces territories, comme aussi dans leurs anciens etats de la plenitude de la souverainete et de tous les droits qui en derivent et qui leur ont ete garantis par S.M. l'Empereur des Francais, Roi d'Italie, de la meme maniere qu'en jouissent S.M. l'Empereur d' Allemagne et le Roi de Prusse dans leurs etats allemands." Das ges. Projekt vom 1. Dez. ist wörtlich abgedruckt bei R. v. Oer, S. 250 - 254 im Anhang. - Staatsrechtlich ist die Formel "de la meme maniere qu'en jouissent S.M. l'Empereur d' Allemagne et le Roi de Prusse dans leurs etats allemands", die Verweisung auf eine österreichische und preußische Souveränität, natürlich weder halt- noch begründbar. Denn nach der Reichsverfassung besitzen weder Österreich noch Preußen in ihren reichszugehörigen Territorien eine höhere Machtvollkommenheit als irgendein anderer Reichsstand gegenüber dem Reich und in ihrem Gebiet. Die Begründung ist vielmehr macht-rechtlich. Gemeint ist, daß die neuen Souveräne sich dieselben effektiven "Freiheiten" gegenüber der Reichsverfassung nehmen sollten, die die beiden Großmächte sich im Lauf der letzten Jahrzehnte angemaßt haben. 18S Bertrand: a.a.O., S. 208; zit. auch bei Bailleu: Preußen und Frankreich H, S. 410, Arun. 1. 181
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Der Grund für diese plötzliche Änderung ist jedoch nicht nur politische Fernstrategie. Die konkreteste Ursache ist sicherlich Preußen. Dessen Gesandter Graf Haugwitz hat am 1. Dezember in Wien bei den beginnenden Verhandlungen mit Talleyrand die Verstimmung seines Berliner Hofes über die Bindung der drei süddeutschen Kurfürsten an Frankreich nicht verhehlt und offen seine Abneigung gegen jede Veränderung des "deutschen Systems" kundgegeben. "Cela derange le systeme de l'Allemagne", habe Haugwitz erklärt, meldet Talleyrand sofort Napoleon184. Angestoßen durch Preußens Einspruch fällt dem französischen Außenminister dann ein Schachzug ein, den er sofort in Artikel 20 realisiert. Durch die Bestimmung der Souveränität Bayerns, Badens und Württembergs nach kaiserlichem und preußischem Beispiel findet er eine Form, welche anzugreifen keine der beiden deutschen Großmächte moralisch berechtigt ist. Denn die drei süddeutschen Staaten sollen sich ja nur die Rechte nehmen, die sich Preußen und Österreich in der Tat genommen haben. Es ist eine Form, die nicht die brutale Offenheit der Münchener Entwürfe hat, dennoch aber den gleichen Effekt erzielt: die völlige Aushöhlung des Reiches, das danach praktisch nur noch als Attrappe bestehen kann. Weiter soll aber auch eine andere sehr wesentliche Wirkung erreicht werden: Die Scheu von Frankreichs Verbündeten, vor allem Bayerns, ihre "volle und uneingeschränkte Souveränität" zu postulieren und die Gewalttaten gegen die Reichsunmittelbaren durchzuführen, will man damit beseitigen. Frankreich bestätigt ihnen nun, daß sie weiter Angehörige des Reiches bleiben und nur dasselbe machen, was die Großmächte, speziell Preußen, auch getan hätten. Napoleon ist von den Vorzügen dieses Vorschlags seines Ministers sehr angetan. Er findet es gut, daß eine direkte förmliche Erklärung, die das Reich zum Einsturz bringt, unterbleibt und vorerst noch ein Scheinkörper bestehen bleibt185. Gegenüber Gravenreuth erklärt er einen Tag vor Abschluß des Brünner Vertrages, mit dieser Souveränitätsformel, die der Vertrag mit Bayern enthalten werde, sei ein Weg gefunden, lIder die deutschen Bande zerbrechen würde, ohne das Wort auszusprechen"186. Damit will er Bayern beruhigen und bestärken. Am näch-
Ebenda. "11 n'est plus question d'aneantir l'ediftce germanique par une dec1aration formelle et I'Empereur trouve bon que le simularcre en fut conserve." Bericht Gravenreuths vom 8. Dezember 1805 an Kurfürst Max, Zwehl 11, Anl. 37, S. 22l. 188 "S.M.1. voulait que nous convenions aussitöt d'une alliance entre la France et la Baviere, qui romperait les liens germaniques sans prononcer le mot." Ebenda. 184
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sten Tag wird diese Formel in den Artikel 7 des Vertrages aufgenommen187 • Dazu erklärt Artikel 3: "Das Königreich Bayern bleibt ein Teil des deutschen Reiches188 • " All das ist aber nichts anderes als ein Spiel mit Worten. Denn in den Artikeln 4 bis 7 wird das Reichsoberhaupt faktisch aller souveränen Rechte über Bayern entkleidet18o • Der Artikel 7 des Brünner Vertrages kehrt 16 Tage später wörtlich in dem 14. Artikel des Preßburger Friedensdiktats wieder10o, dem sich Österreich, nachdem es seine Hoffnungen auf Preußen hat aufgeben müssen, beugen muß. In seiner letzten Weisung an die österreichischen Unterhändler vom 25. Dezember vor Vertragsabschluß resigniert der österreichische Außenminister Graf Stadion: "Nur die dringendste Notwendigkeit, Frieden zu schließen, und das lebhafte Interesse, welches Seine Majestät an der Befreiung der Provinzen von der Geisel des Krieges hegt, konnten Sie bestimmen, sich den ebenso harten wie demütigenden Bedingungen nicht zu versagen, mit denen ein Feind uns zu Boden drückt, der seine Waffenerfolge bis zum Exzeß ausnutzen zu wollen scheintl9l ." Österreich beklagt bei dem Frieden sehr schwere territoriale Verluste, 187 Art. 7: "S.M. le Roi de Baviere jouira sur tous les etats, tant ceux qu'il possede actuellement que ceux qu'il possedera en consequence du futur traite de paix et du present traite, de la plenitude de la soverainete et de tous les droits qui en derivent, ainsi et de la meme manii~re qu'en jouissent S.M. l'Empereur d'Allemagne et d'Autriche et S.M. le Roi de Prusse sur leurs etats allemands. S.M. l'Empereur des Francais, Roi d'Italie garantit a S.M. le Roi de Baviere la possession et la jouissance des dits droits, ainsi que l'execution des actes qu'il aurait fait ou pourrait faire en consequence." 188 Art. 3: "Le royaume de Baviere continuera de faire parti du territoire de l'Empire d' Allemagne, et S.M. le Roi de Baviere conservera avec la confederation germanique tous les raports qui l'unissent maintenant a elle comme co-Etat et comme Prince Electeur, ainsi que tous les droits inherens a cette qualite.". 189 Neben Art. 7 besonders Art. 5: "S.M. le Roi de Baviere pourra occuper la ville d' Augsbourg et son territoire, les reunir a ses etats et les posseder, en toute propriete, et souverainete. S.M. l'Empereur des Francais, Roi d'Italie, promet de faire stipuler dans le futur traite de paix que S.M. l'Empereur d' Allemagne et d' Autriche n'y pettra point d'opposition, et d'employer ses bons offices pour applanir des difficultes qui pourraient maitre a cet egard de la part de l'Empire germanique." 190 Art. 14 lautet: "L.L. MM. les rois de Baviere et de Wurtemberg, et S.A.S. l'Electeur de Bade jouiront sur les territoires ä Eux cedes, comme aussi sur leurs anciens etats, de la pleniturde de la souverainete et tous les droits qui en derivent, et qui leurs ont etes garantis par sa Majeste l'Empereur des Francais, Roi d'talie, ainsi et de la meme maniere qu'en jouissent Sa Majeste l'Empereur d'Allemagne et d'Autriche et Sa Majeste le Roi de Prusse sur Leurs etats allemands. Sa Majeste l'Empereur d' Allemagne et d' Autriche, soit comme chef de l'Empire, soit comme-co-etat, s'engage a ne mettre aucun obstacle a l'execution des actes qu'ils auraient faits ou pourraient faire en consequence." 101 HHSTA Wien, St. K. Friedensakten 102, zitiert bei R. v. Oer, S. 211. Alle folgenden Quellenzitate aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien sind der Arbeit von R. v. Oer entnommen.
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vor allem die Einbuße Tirols und des Innviertels, die es an Bayern abtreten muß182, Tirol gegen den Tausch von Würzburg. Der neuen Souveränität der Verbündeten Napoleons widersetzt es sich kaum. Diese - und dazu die neuen Königskronen - hatte es vielmehr schon am 19. Dezember durch den inzwischen von Stadion abgelösten Cobenzl anerkannt. Der Kaiser Deutschlands und Österreichs habe "nichts dagegen", schrieb Cobenzl an Talleyrand, daß "Seine Majestät der König von Bayern die Reichsstadt Augsburg und ihr Territorium besetze, in seinen Staaten einfüge und sie in voller Eigentümerschaft und Souveränität in Besitz nähme". Ebenso sei er auch damit einverstanden, daß der König von Württemberg "en toute propriete et souverainete" die Grafschaft Bonndorf vereinnahme l93 • Für das Reich hat Österreich in seiner eigenen höchsten Bedrängnis keine Zeit. Kein Widerstand regt sich auf seiner Seite gegen die Vergewaltigung der am Krieg gänzlich unbeteiligten Reichsstände. Cobenzl bestand nur darauf, bei dem Artikel, der die von den drei Kurfürsten auszuübende Souveränität durch die von Preußen und Österreich ausgeübte bestimmen sollte, die einschränkende Klausel einzufügen: "Sur leurs Etats Allemands 194 ." Womit Österreich hervorhob, daß es, wenn es schon die ihm und Preußen zugeschriebene Souveränität akzeptieren sollte, diese nur auf seine eigenen innerstaatlichen Verhältnisse, niemals aber gegenüber dem Reich verstanden wissen wollte. Das ist alles, was es für das Reich tun kann. Es betont die Reichssouveränität, die auch für die neuen Königreiche weiter gelten müsse. Talleyrand kommt diesem Wunsch gern nach; er hat diese Formel ja bereits in seinem Projekt vom 1. Dezember in Artikel 20 vorgesehen. So findet die Souveränität ohne weiteren Einspruch Aufnahme in das Friedenstraktat und eröffnet das letzte Kapitel in der Geschichte des alten Deutschen Reiches. Die drei nunmehr offiziell souveränen Fürsten lU Art. 8 des Friedens: "Sa Majeste l'Empereur d'Allemagne et d'Autriche ... cMe et abandonne a Sa Majeste le Roi de Baviere: le margraviat de Burgau et ses dependance, la principaute d'Eichstädt, la partie du territoire de Passau appartenante a son AItesse Royale de Salzbourg, et situee entre la Boheme, l'Autriche, le Danube et l'Inn; le comte de Tyrol, y compris les principautes de Brixen et de Trente, les sept seigneuries du Vorarlberg avec leurs enclaves, le comte de Hohenems, le comte de Königsegg-Rothenfels, les seigneuries de Tetnang et Argen et la ville et territoire de Lindau." 1U3 "S.M. l'Empereur d'Allemagne et d'Autriche ne sera point con traire a ce que S.M. le Roi de Baviere puisse occuper la ville d'Augsbourg et son territoire, les reunir a ses Etats, et les posseder en toute propriete et souverainete: Il ne sera de meme pas contraire a ce que S.M. le Roi de Wurtemberg occupe, reunit et possede en toute propriete et souverainete le comte de Bonndorf." Cobenzls Weisung v. 19. 12., HHSTA Wien, St. K. Friedensakten 102. Es ist dies der Inhalt des Art. 13 des Preßburger Friedens. 194 Ebenda.
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sind berechtigt, alles zu tun, was sich nach ihrer Meinung aus der Konsequenz der Souveränität ergibt. Genauso, ohne nähere Ausführung, steht es in dem Schlußsatz von Artikel 14. Was zunächst darunter verstanden werden soll, hat Frankreich ja besonders mit dem Linzer Abkommen und dem darauf folgenden Tauziehen mit Bayern gezeigt: Mediatisierung der kleineren Reichsstände und Liquidierung der Reichspost. Diese Souveränitäts-Exekution ist bereits im vollen Gange. Württemberg hat am schnellsten gehandelt, Bayern ist ihm am 20. Dezember mit den Orders Max Josephs an die Landes-Kommandos gefolgt, ebenfalls Baden. Wozu berechtigt die Souveränität weiter? Die Tatsache, daß die Frage ganz offen ist, daß sie ausgelegt werden kann, wie man will, das Reich aber trotzdem nach wie vor besteht, macht sie vor allem Baden nachgerade unheimlich. Ziemlich ratlos schreibt am 4. Januar 1806 Karl Friedrich von Baden an seinen Minister Reitzenstein: "Bei der eingeräumten Souveränität bleibt immer noch eine genaue Bestimmung der künftigen Verhältnisse im Deutschen Reiche wünschenswert. Denn wenn auch über die gänzliche Exsemtion des jedesmaligen Kurfürsten, seiner Familie, Untertanen und Staaten von der Reichsgerichtsbarkeit und den Reichsvicariatsgerechtsamen kein Zweifel, noch Streit zu besorgen wäre, so verdienen doch manche Punkte einer festen Bestimmung195." Diese Punkte wären: ob weiterhin Reichssteuern, vorab der Kammerzieler, gezahlt werden müßten, ob die badische Präsentationskonkurrenz bei der Besetzung der Reichskammergerichtsbesitzerstellen fortbestehe, ob badische Standeserhöhungen vom Reich anerkannt würden und ob die Kreisverbindungen aufrechterhalten blieben. Ferner fragt Karl Friedrich, ob der französische "Ordre du jour" vom 19. Dezember die Besitznahme aller Reichsländer und Reisstädte erlaube. Baden ist zweifellos am unsichersten, wie es sich verhalten soll, hat es doch über die Münchener Projekte, die den besten Kommentar zur Souveränität bildeten, weniger als seine beiden Nachbarn erfahren. Trotz solcher überlegungen und bereits durchgeführter Gewaltaktionen gegen das Reich, das nun auch "Confederation Germanique"196 heißt, 115
Obser V, S. 511 f.
Art. 7 des Friedenstraktates: "Les Electeurs de Bavil~re et de Wurtemberg ayant pris le titre de Roi, sans neanmoins cesser appartenir a la confoederation Germanique, Sa Majeste l'Empereur d' Allemagne et d' Autriche les reconnait en cette qualite." Wie in den Münchner Projekten stehen im Preßburger Frieden beide Bezeichnung "Empire" und "Confoederation", wobei letztere, die aussagt, daß das Reich eigentlich nur noch ein Staatenbund ist, jetzt jedoch stärker in den Vordergrund tritt als in den Projekten. Ausgerechnet in Art. 14 steht jedoch weiter "Empire". Es trifft also nicht ganz zu, wenn Fritz Hartung: Deutsche Verfassungsgeschichte, Stuttgart 19508 , S. 161, erklärt, daß der Friede von Preßburg "kein deutsches Reich mehr" kannte, sondern "nur eine ,Confoederation Germanique' ". 118
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bleiben die drei neuen Souveräne dessen Mitglieder, keiner verzichtet förmlich auf die Kurwürde. Friedrich von Württemberg und Karl Friedrich von Baden nehmen sie sogar ausdrücklich in ihren neuen Titel auf, in Karlsruhe verfällt man auf die Bezeichnung "Electeur-Souverain du St. Empire Romain"197, die verständlicherweise als "in der Reichsverfassung neu"198 empfunden wird. Kurfürst Max Joseph, dessen Königsproklamation am Vormittag des 1. Januar 1806 zusammen mit der Souveränität des neuen Königreiches feierlich in München verkündet wird199 , beläßt auch seinen Beauftragten Rechberg in Regensburg, genau wie Württemberg und Baden, denen es nicht einfällt, ihre Gesandten aus der Reichshauptstadt abzuberufen. Sie sollen lediglich beobachten, wie sich dort die Dinge weiter entwickeln. Ein Zeitgenosse beschreibt die Situation nach Preß burg so: " ... das Band, was diese Fürsten an das Deutsche Reich knüpfte ... , ist durch diesen Vertrag realiter so gut als vernichtet, obwohl formaliter noch nicht aufgelöst20o ." Die besiegte und gedemütigte Reichsführungsmacht Österreich muß dem Vorgehen der drei Kurhöfe gegen die Einrichtungen der Reichsverfassung ohnmächtig zusehen. Angesichts der in Wien eintreffenden stürmischen Proteste der Reichsritterschaft kann Stadion nichts anderes sagen, als daß "reichsoberhauptlicher Schutz" im Augenblick "würde sam nicht geleistet werden kann"201. Vertretern der Reichsritterschaft wird der tröstliche Rat erteilt, "einstweilen ihre Rechte und Verbindlichkeiten so zu verwahren, daß für das Ganze und die einzelnen Glieder der mindeste Nachteil entstehe, bis über eine gesetzliche Art entschieden werden kann"202. Im übrigen ist aber ganz offensichtlich, daß Österreich selbst nicht abgeneigt ist, aus der neuen Souveränität der drei Kurhöfe, speziell Bayerns, Vorteile zu ziehen. Besonders, was Würzburg betrifft, das es als Tausch für Tirol von Bayern erhalten hat. Mit den dort bereits durchgeführten Mediatisierungsmaßnahmen ist Österreich in seinem Interesse durchaus einverstanden. Am 18. Januar 1806 schreibt der kaiserlichösterreichische Prinzipalkommissar Hügel aus Regensburg an Stadion: "Wahrscheinlich hat bis zum Zeitpunkt der Besitzergreifung (Würzburgs) schon der größte Teil des fränkischen Adels den Subjectionseid geleistet. 197
Die Proklamationen sind abgedruckt bei Martens: Reeueil, 2. ed., VIII,
S. 299 ff.
ns Allgern. Geogr. Ephemeriden XIX, S. 437.
ln Abgedruckt im ChurfürstIirh Pfalzbaierisrhen Regierungs- und Intelligenzblatt, 1. Januar 1806. 200 Zeiten V, S. 263, zit. bei Der, S. 205.
201 Stadion am 10. Januar 1806 an den österreirhisrhen Prinzipalkommissar Hügel in Regensburg, HHSTA, St. K. Weisungen narh Regensburg. 202 Ebenda.
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Ohne noch die Ursache zu begreifen, aus welcher der Generalkommissar Graf von Thürheim in Würzburg mit solchem Eifer im jetzigen Zeitpunkt auf die Subjektion des Adels dringet, so glaube ich doch, daß dadurch der neuen Regierung die Unannehmlichkeit erspart wird (stilvollerweise sagt Hügel "der neuen Regierung", nicht "Österreich"), zur Aufhebung der Unmittelbarkeit den ersten Schritt zu tun. Nach meiner überzeugung erfordert der Nutzen der Herren und des Landes, daß die Unmittelbarkeit der Reichsritterschaft dem Landesherrn unter den jetzigen Zeitverhältnissen zum Opfer gebracht werde2 03 ." Stadion antwortet darauf: "Ich teile ganz mit E. E. die Meinung, daß die Ritterschaft, ihrem größten Teil nach, bereits sich ihrer bisherigen Unmittelbarkeit de facto beraubt befindet und der übrige Teil nach dem heutigen Geist der Zeit kaum wird gerettet werden können; es besser sei, daß andere Höfe das Gehässige davon für die neuen Lande des Erzhauses auf sich laden und letzterem den Vorteil, denjenigen Mitgliedern, die ihm zufallen, solche Vorteile und Vorzüge einzuräumen, wie sie der neuen Landesherrschaft vorzüglich verbindlich und ergeben zu machen geeign~t sind204." Österreich sieht die "gehässige" Arbeit, die ihm Bayern abnimmt, sehr gern. Am 1. Februar 1806 zeigt die Reichsritterschaft in Regensburg die Zerstörung ihrer Verfassung durch "das Recht des Stärkeren"205 an. Auch die Reichspost wird von Wien nicht verteidigt. Der Träger des Postregals, Fürst Karl Anselm von Thurn und Taxis, war bereits am 13. November 1805 206 gestorben. Darauf hatte Österreich gehofft, aus dem nun frei verfügbaren Postregal, das, wie es wußte, von den drei süddeutschen Höfen im Zuge ihrer Geschlossenheits-Politik angestrebt wurde, bei seiner Veräußerung noch einigen Gewinn zu ziehen. Zu einem solchen Geschäft kommt es jedoch nicht. In Bayern haben die Postbeamten bereits seit dem 20. Dezember die gelbe mit der blauen Livree vertauscht. Keiner der drei süddeutschen Höfe denkt natürlich daran, für etwas zu zahlen, das er sich auf Grund von Artikel 14 des Preßburger Friedens auch ohne entschädigende Ausgleichssumme zu nehmen berechtigt ist. Die Einstellung der Reichspost ruft alsbald laute Klagen hervor, denn perfekter ist der allgemeine Postverkehr dadurch nicht geworden. Frankreich, das so großen Wert auf die Erringung des Postregals durch seine Verbündeten gelegt hat, bekommt es selbst zu spüren. Der französische Gesandte in München, Otto, meldet am 23. Januar Talleyrand sarkastisch, in Würt203 Schreiben Hügels an Stadion vom 18. Januar 1806, St. K. Berichte aus Regensburg 15. 204 An Hügel am 25. Januar 1806, St. K. Weisungen nach Regensburg 3. 20$ HHSTA, Reichstagsakten 374. 208
Bertrand, S.197.
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temberg wisse man besten Gewinn aus der neuen Lage zu ziehen, dort interzipiere man wahrscheinlich sogar französische Depeschen207 . Zeigt somit auch der Verkaufsplan der Reichspost, wieviel die Reichsinstitutionen, das Reich überhaupt, Österreich noch bedeuten, so gestaltet sich nun sein Vorgehen, die Ergebnisse des Preßburger Friedens dem Reich mitzuteilen, zur tragischen Groteske. R. v. Oer hat das anschaulich dargestellt. Österreich hat, ohne das Reich zu fragen, in Preßburg einen Vertrag unterzeichnet, der entscheidende Auswirkungen auf die Verfassung des Reiches hat, des Reiches, das an diesem Krieg gar nicht teilnahm. Die Hofburg versucht nun ein letztes, um wenigstens den Anschein von Rechtlichkeit für diejenigen Artikel, die das Reich betreffen, also vor allem den 14. und 15., zu wahren. Es entsteht ein Schriftstück, in dem Kaiser Franz erklärt, er habe mit dem Kaiser der Franzosen einige Artikel, die das Reich beträfen, abgeschlossen und wolle diese der "Kenntnis und Teilnahme des Reiches" nicht vorenthalten208 . Am 31. Dezember 1805 geht diese Deklaration aus Hollitsch, dem Zufluchtsort des Kaisers, nach Regensburg ab20', am 1. Januar 1806 sendet Stadion eine Abschrift an den österreichischen Gesandten in Berlin, Metternich, mit dem Auftrag, in Berlin zu erklären, der Kaiser habe "den rechtlichen und gebräuchlichen Formen nicht entgegenhandeln wollen"210. Hügel erhält die kaiserliche Deklaration in Regensburg am 6. Januar und -begibt sich sogleich damit zum Reichskanzler Dalberg, um sie ihm unter der Hand zu überreichen. Nicht offiziell, denn Österreich hat Angst vor Frankreich und ist bestrebt, sich wörtlich an den Vertrag zu halten, um Napoleon keinen Vorwand zu weiteren Erpressungen zu liefern. Aber Dalberg lehnt diese Unter-der-Hand-Bekanntgabe ab und besteht auf einer offiziellen Mitteilung an den Reichstag211 • Wien ist daraufhin in größter Verlegenheit. Was soll man tun? Erst am 3. Februar trägt Philipp Stadion Kaiser Franz die Frage der Mitteilung des Friedens an das Reich vorm. Zwei Wege, erklärt der Minister dem Kaiser, stünden ihm diesbezüglich offen, entweder ein "Reichsoberhauptliches Kommissionsdekret" oder eine von dem kurböhmischen und dem erzherzoglich-österreichischen Direktorial-Gesandten zu unterschreibende "Note in circulo". Den erstgenannten Weg hätte man wählen müssen, wenn das Reich am Krieg teilgenommen hätte". "Da aber", so erZ07
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BertTand, S.197.
Dat. v. 1. Jan. 1806, AE, Cor. Pol. Autriche 378, gedr. bei MaTtens: Reeueil,
S.396.
209 Stadion an Hügel, 31. Dez. 1805, HHSTA, St. K. Weisungen nach Regensburg 3. 210 Stadion an Metternich, 1. Jan. 1806, HHSTA, St. K. Preußen 84. !11 Bericht Hügels v. 21. Jan. 1806, HHSTA, St. K. Berichte aus Regensburg 15. m HHSTA, St. K. Vorträge 1806.
5. Die Erringung der Souveränität
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läutert Stadion, "Eure Majestät in dem gegenwärtigen Traktat nur als Kaiser der österreichischen Monarchie gehandelt haben, da allerhöchstDieselben im oberhauptlichen Namen des Deutschen Reichs, welches im Kriege nicht begriffen war, nicht handeln konnten und da die Versprechungen, welche in dem Traktat bei mehreren Artikeln vorkommen und wonach Eure Majestät weder als Reichsmittelstand noch als Reichsoberhaupt sich gewissen Einrichtungen und Abänderungen im Reich nicht entgegensetzen wollen, mehr als das Resultat zweier - in einer allerhöchsten Person - vereinigter kaiserlicher - Eigenschaften als wie wirkliche, positive Handlungen des römischen Kaisers angesehen werden müssen; so dürfte der zweite Kommunikationsweg durch allerhöchstDero Komitat-Gesandten für gegenwärtigen Fall weit angemessener gehalten werden und noch den besonderen Vorteil gewähren, daß, da ein kaiserliches Kommissions-Dekret zur Diktatur genommen werden muß und es kaum anders gefaßt werden kann, als daß nicht gewissermaßen eine Aufforderung darin vorkomme, um nun die reichsverfassungsmäßigen Deliberationen darüber zu veranlassen (wenn auch noch so gelinde Ausdrücke dabei gewählt werden wollten), der andere Weg dieses ganz vermeide und vielmehr das Reichs-Directorium mit der ganzen Versammlung in den Fall setze, dasjenige zu tun und jene Einleitung zu treffen, die sie den Umständen anpassend finden." Dieses - wie Rudolfine von Oer treffend bemerkt - "selbst für österreichisches Kanzleideutsch ungewöhnliche Satzgefüge"213, kennzeichnet mehr als deutlich die Verlegenheit, in der sich Wien befindet. Man versucht die gefährliche Frage, ob eine Reichsberatung über den Frieden stattfinden müsse, ganz dem Reichs-Direktorium und dem Reichstag selbst zuzuspielen. Alle Bemühungen Österreichs konzentrieren sich darauf, die am wenigsten aufsehenerregende Form zu finden, den Frieden stillschweigend zum Reichsgesetz zu erheben214 . So wird das Friedensinstrument zusammen mit kaiserlicher Ratifikation und der Deklaration vom 1. Januar 1806 sowie einem kurzen Begleitschreiben einfach formlos dem "Hl. Reichs-Direktorialis" Albini überreicht. Die "Note in circulo" entfällt auf Grund der Ferien des Reichstages. Albini nimmt die Dokumente "ohne Anstand"215 an; zur Diktatur 113
114
Der, S. 231. R. v. Der, S. 231, ist überzeugt, daß "die Erhebung des Friedens zum
Reichsgesetz für Österreich außer Frage stand", und sie verweist auf Äußerungen wie: "Daß viele Artikel noch erst durch die Beiwirkung des Reiches ihre gesetzliche Kraft und rechtliche Bestimmung erhalten können" (Phil. Stadion an Friedrich Stadion, 22. Jan. 1806, HHSTA, St. K. Weisungen nach Regensburg 7) und daß "auch die beiden höchsten Reichsgerichte nicht eher davon Notiz nehmen können, bis er (der Vertrag) nicht auch zum deutschen Reichsgesetze erhoben und ihnen als solches von Eurer Majestät insinuiert worden ist". (HHSTA, St. K. Vorträge 1806, 3. Hornung 1806). 115 Bericht Stadions v. 12. Februar 1806, HHSTA, St. K., Berichte aus Regensburg 136.
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1. Von Kurfürst Maximilian 1. bis zum Vertrag von Ried 1813
wird von ihm der 20. Februar vorgeschlagen. Es ist der Tag, an dem das Reich die Ergebnisse des Preßburger Friedens offiziell zur Kenntnis nimmt, die Artikel, die sein Ende einleiten. Reichskanzler Dalberg widersetzt sich dem "diplomatischen" Vorgehen Wiens bis zuletzt. "Die Mitteilung geschieht nicht durch KommissionsDekret? Der k. k. Hof sieht also den Frieden nicht als einen Gegenstand des Reichstages an216 ?" protestiert er gegenüber Stadion. Sein Protest bleibt jedoch ohne Wirkung. Als der Reichstag am 24. Februar wieder zusammentritt, bleibt seine Eingabe, neben einer Reihe von anderen betreffs des Preßburger Friedens, vom Reichs-Direktorialis unerwähnt. Albini verliest keinen einzigen der Anträge, um jegliche Diskussion, welche die Katastrophe der Reichsverfassung schonungslos enthüllen würde, zu vermeiden. Friedrich Stadion berichtet: "Der Herr ReichsDirektorialis hat gegen die Gewohnheit keiner einzigen der zeitherigen Diktaturen erwähnt, worunter eine seines eigenen Herrn (Dalbergs) ... Die war das das Mittel, dessen man sich bediente, um der Eingabe der k. k. Gesandten über den Preßburger Frieden für heute keine Folge zu geben. Man wollte sich dadurch die Verlegenheit ersparen, etwas darüber zu sagen oder uns in den Fall zu setzen, einen weiteren Antrag zu machen. So war es wohl unter den patres conscripti verabredet217 ." Das ist der Anfang vom Ende des Reiches: Dem Reichstag, sein höchstes Verfassungsgremium, dem Jean Bodin einst allein die Souveränität zuerkannt hatte, bleibt nach dem Preßburger Frieden nur noch - - - zu schweigen. Während in Regensburg nach der Anerkennung der Souveränität Bayerns, Württembergs und Badens durch Österreich faktisch sofort eine akute Lähmung eintritt, beginnt draußen im Reich eine umfangreiche Flug- und Zeitschriftenliteratur lebhaft über die Souveränität zu diskutieren. "Ist mit der Souveränität der Begriff der Landstände vereinbar218 ?" fragt eine anonyme, ohne Angabe des Erscheinungsortes veröffentlichte Schrift, die sich besonders mit dem innenpolitischen Aspekt der Souveränität der drei Staaten beschäftigt. Sie bemüht sich, unter Heranziehung hoher Autoritäten von Pufendorf bis Martens und Kant und unter Berufung auf die Beispiele Englands und Österreichs nachzuweisen, daß Landstände mit Souveränität vereinbar seien. Man versucht, sich aber auch immer wieder über die äußeren Auswirkungen der Souveränität klar zu werden. Welche Stellung die drei Fürsten nunmehr im Deutschen Reich einnehmen würden, wissen die politischen Schriftsteller jedoch ebenso wenig zu sagen wie die Fürsten Bericht Stadions v. 23. Februar 1806, ebenda. Bericht Stadions v. 24. Februar 1806, ebenda. 218 "Lösung des Staatsproblems: Ist mit dem Begriff der Souveränität der Begriff der Landstände vereinbar?", 1806, in Staatsbibliothek München, o. O. 21B 217
5. Die Erringung der Souveränität
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selbst. Vergeblich sucht man Klarheit in der Klausel: "wie Österreich und Preußen sie in ihren deutschen Besitzungen genießen", auch diese beiden Staaten seien doch, so meint man in einer anderen Schrift, "gehalten, ihre Regierungsrechte nicht über die durch die Verfassung bestimmten Schranken auszudehnen"21D. Aber, so fährt der Verfasser resignierend fort: "Was das Gesetz ihnen nicht bewilligte, dazu verhalf ihnen die Macht." Eine weitere Flugschrift, die zweifellos aus österreichischem Lager stammt, erklärt: "Im Begriffe der Souveränität ist vollkommene Freiheit und Unabhängigkeit von anderen Staaten ... , kurz, die Vernichtung aller reichsständischen Sukzessionsverhältnisse ausgedrückt220 ." Der anonyme Verfasser führt an, daß die "Souveränität" Preußens und Österreichs - wenn man überhaupt davon sprechen wolle - niemals vollkommen, also "pleine et entiere", gewesen sei, wie es Artikel 14 des Preßburger Friedens vorgebe, sondern immer "nur den Charakter der Halbsouveränität" gehabt habe. Er fordert die drei Fürsten von Bayern, Württemberg und Baden auf, bei der Verhandlung des Friedens am Reichstag "dem Reich nähere und beruhigende Erklärungen über die Art ihres zukünftigen Verhältnisses zu demselben zu geben und durch diese Loyalität die Primitien ihrer Souveränität auf die rühmlichste Art für ewige Zeiten in den Annalen der deutschen Geschichte auszuzeichnen". Fast bittend dringt eine weitere anonyme Schrift in die nun souverän gewordenen Fürsten, wenigstens ihre Streitsachen mit anderen Reichsständen vor den höchsten Reichsgerichten auszutragen221 . Ein "deutscher Patriot" weist auf das für das deutsche Staatsrecht seit eh und je vertrackteste Problem, auf die Doppeldeutigkeit des französischen Wortes "souverainetl~" hin, unter welchem "man gewönlich unumschränkte und unabhängige Obergewalt in einem Staate, welcher nur nach eigenem Willen zu handeln befugt"222 sei, verstehe. Ein souveräner Fürst dulde keinen Richter über sich und sei niemandem Rechenschaft schuldig. Demgegenüber sei aber bekannt, daß der Sprachgebrauch diesen französischen Begriff "öfters für die landesherrliche Gewalt" angewendet habe und anwende. Mehrere Beispiele, besonders das der französischen überset219 Pahl: National-Chronik, 1806, S. 45. 220 "über die Gültigkeit mehrerer Artikel des Preßburger Friedens unumgängliche Notwendigkeit eines genehmigenden Beitritts des teutschen Reiches zu diesem Frieden." Ohne Verfasser und Erscheinungsort. In Staatsbibliothek München. 221 "über das Staatsinteresse des teutschen Reiches in Bezug auf die am 1. Jänner des Jahres von den kaiserlich auch k. k. Friedensgesandten dem kaiserlich Französischen Bevollmächtigten übergebene Deklaration." Ohne Erscheinungsort, 1806. In Staatsbibliothek München. 222 "Ein Wort über die Lage des Kaiserlichen Reichs-Kammer-Gerichts nach dem Preßburger Frieden, geschrieben von einem deutschen Patrioten im März 1806." Zit. bei Häberlin: Staats-Archiv, Bd. XV, S. 343 ff. 14 Quint
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1. Von Kurfürst Maximilian 1. bis zum Vertrag von Ried 1813
zung des Westfälischen Friedens und Reichsdeputationshauptschlusses werden angeführt. Bei dieser Sachlage, konstatiert der Verfasser, sei "in dem wörtlichen Inhalt des Preßburger Friedensinstrumentes kein erschöpfender Aufschluß über die Frage zu finden". Entscheidend sei daher einzig "die Absicht der paciszierenden Mächte"223. Was aber ist die Absicht der entscheidenden Macht, ist die Absicht Frankreichs, das dem Reich so bewußt und zielstrebig die Souveränität seiner Verbündeten aufoktroyiert hat? Talleyrand behauptet in seinen Memoiren, er habe in Preß burg jede Doppeldeutigkeit vermieden224, Bayern, Württemberg und Baden sollten weiter beim Reich bleiben und nur eben dieselben Rechte wie Österreich und Preußen haben. Der 14. und 12. Artikel des Preßburger Friedens und seine Münchner Entwürfe machen diese Aussage jedoch nicht sehr glaubhaft. Schließlich gibt er auch zu, daß die Reichsauflösung im Preßburger Frieden schon "implicitement" bewirkt gewesen sei225 . Was Napoleons Haltung zum Reich unmittelbar nach dem Preßburger Frieden betrifft, so sieht R. v. Oer seine Antwort an Talleyrand vom März 1806 als charakteristisch an. Als Talleyrand im Hinblick auf die Ernennung Murats zum Herzog von Kleve und Berg die Frage nach den Beziehungen des neuen Herzogs zum Reich stellt, erwidert Napoleon: "Herr von Talleyrand sagt da gerade das, was ich in der Diskussion lassen will. Es ist meine Absicht, dies in der allergrößten Dunkelheit zu lassen. Mit der Zeit werde ich entscheiden, ob diese Herzogtümer Lehen des Deutschen Reiches oder meines Reiches sind226 ." Montgelas rechnet ebenfalls Anfang 1806 mit der Strategie Napoleons, das Reich innerlich selbst zerfallen zu lassen. Er glaubt bei der französischen Politik vom Preßburger Frieden ab die Richtung zu erkennen, unauffällig die Auflösung des deutschen Reiches, durch den zwangsläufigen Gang der Ereignisse, herbeizuführen: tend a separer tout doucement et avec les moins de secousses possibles l'ancien edifice germanique ... "227. Aber Montgelas soll sich täuschen. Das Ende des Reiches vollzieht sich nicht "tout doucement", sondern unter abruptem, stärkstem Zwang Napoleons. Die ernsthaften Streitigkeiten zwischen Bayern, Württemberg und Baden bei der Verteilung der Gebiete, die die Mediatisierung der kleinen und kleinsten Herrschaft der Fürsten, Reichsritter und Reichsstädte in H •••
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Ebenda.
Memoires I, S. 302 ff. Ebenda. H8 Cor. Nap. XII, 9976, S. 191 f., Decision, 15. März 1806, Oer, S. 211. ZZ7 Montgelas am 22. Jan. 1806 an den bayerischen Gesandten in Berlin, Bray. Zit. bei Gmeinwiser, S. 203. m Talleyrand:
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5. Die Erringung der Souveränität
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Franken und Schwaben mit sich bringt - wobei besonders Württemberg durch die Ablehnung des französischen Vertragsentwurfs vom 15. März 1806 den unter der Leitung des Marschalls Berthier in München tagenden sogenannten "Mediatkongreß" scheitern läßt 228 - geben Napoleon -, der anführt, daß die Schlagkraft seiner Allianzpartner durch diese Streitigkeiten gelähmt zu werden droht -, das beste Argument, um nach mehreren Ansätzen nun ganz nachhaltig die Initiative in Richtung eines deutschen Separatbundes zu ergreifen, der weit über die begrenzte Aufgabe der Vermittlung in Streitfällen hinweg auf eine verfassungsmäßige Organisation des "französischen" Deutschland unter napoleonischem Protektorat hinausläuft. Darin enthalten sind genau geregelte Kontingenthöhe und Heeresfolge, gegenseitige Beistandspflicht in allen Kontinentalkriegen, die ausschließlich die Kriege des "Protektors" sind; aber auch gemeinsame innenpolitische Einrichtungen, die den Staatenbund zu! "einer Art überstaat innerhalb des Grand Empire"229 machen sollen: Statut fondamendal, Frankfurter Reichstag, mit Königshaus und Fürstenhaus, Bundesgericht etc. Zwei Monate später, am 12. Juli 1806 erreicht Napoleon sein Ziel, in Paris wird die Rheinbundakte unterzeichnet. Dem Bund treten sechzehn deutsche Fürsten230 bei, neben den Königen von Bayern und Württemberg, sowie dem Großherzog von Baden, als prominentestes Mitglied der 218 Siehe hierzu eingehend Bitterauj: Geschichte des Rheinbundes, S. 280 ff. Den Zankapfel zwischen Württemberg und Baden bildete vor allem der Breisgau; Bayern und Württemberg setzen sich besonders wegen der oberen Präfektur Altdorf in Schwaben auseinander. Baden sollte Nellenburg erhalten, wollte aber dafür Württemberg kein Opfer bringen und auf eine Verbindung mit seinen Besitzungen in Konstanz und Biberach nicht verzichten. Auf Grund der Streitigkeiten ist es nicht möglich, eine Demarkationslinie zwischen Bayern und Württemberg zu ziehen. Der von dem französischen Gesandten Otto am 15. März vorgelegte Entwurf "Projet de eonvention entre L.L. MM. les rois de Baviere et de Wurtemberg et S.A.S. l'eleeteur de Bade" zur Regelung der Territorialstreitigkeiten wird von dem württembergischen Legationsrat von Wucherer am 14. April mit der Begründung abgelehnt, Württemberg halte sich durch diesen Vermittlungsvorschlag Baden gegenüber für um über die Hälfte geschädigt. Bayern und Württemberg einigen sich jedoch am 3. Juni in einem Sondervertrag, der bestimmt, daß auf dem rechten Donauufer der Lauf zweier kleiner Flüsse, der Riß und der Schüssen, die beiderseitigen Ansprüche scheiden soll; für das linke Donauufer soll als Grundsatz gelten, daß jeder Hof die ihm zunächst liegenden Orte mit seinem Gebiet vereinigen könne. (Abdruck des Vertrages bei Martens: Reeueil des prineipaux traites depuis 1761, VIII, 18352, S. 457 ff.) Neben Bitterauf siehe hierzu auch E. HölzZe, S. 15 und MarceZ Dunan: Napoleon et l'Allemagne, S. 27. Für die Dokumentation die Polit. Korrespondenz Karl Friedrichs von Baden, ed. K. Obser, V. 1901. Z28 K. v. Raumer: Prefecture franeaise, S. 643. 230 " ••• leurs Majestes les Rois de Baviere et de Wurtemberg, leurs Altesses Serenissimes les Electeur Archichaneelier et de Bade, le Duc de Berg et Cleves, le Landgrave de Hesse-Darmstadt, les Princes de Nassau-Usingen et NassauWeilbourg, les Prinees de Hohenzollern-Hechingen et Hohenzollern- Sigmaringen, les Prinees de Salm-Salm et Salm-Kyubourg, le Prince d'isenbourg-Birstein, le Due d'Aremberg et le Prinee de Lichtenstein, et le Comte de la
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I. Von Kurfürst Maximilian I. bis zum Vertrag von Ried 1813
Kurfürst-Erzkanzler Fürstprimas Dalberg, der oberste ständische Reichsbeamte, der einerseits aus einem den "orbis christianus umspannenden verwaschenen Idealismus"231, der den französischen Eroberer zu einer Heilsgestalt für die europäische und deutsche Geschichte werden läßt, andererseits aus Furcht und dem Ehrgeiz, Regensburg und Aschaffenburg gegen den Zugriff Bayerns232 und Kurhessens zu halten, auf die Seite Napoleons überwechselt.
Das Ende des Reichs Bereits im 1. Artikel der Rheinbundakte verpflichten sich die Mitgliedstaaten, sich vom Reich zu trennen ("seront separe a perpetue du territoire de l'Empire Germanique"). Alle bisherigen Reichsgesetze, soweit sie ihre Hoheit begrenzten oder ihnen Verpflichtungen auferlegten, werden für null und nichtig erklärt, lediglich einige weniger bedeutende Teile des Reichsdeputationshauptschlusses bleiben bestehen. Alle Titel der verbündeten Fürsten, die eine Beziehung zum Reich ausdrücken, insbesondere der Titel Kurfürst, müssen aufgegeben werden233 . Der Austritt der Konföderierten, von denen jeder die volle Souveränität ausüben soll (Art. 4: " ... la plEmitude de la souverainete dont chacun des Confederes doit jouir")234 aus dem Reich ist dem Reichstag bis zum 1. August 1806 anzuzeigen (Art. 3). Leyen ..." Zit. aus dem Abdruck der Rheinbundakte bei E. R. HubeT: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, Stuttgart 1961, S. 26 - 32. 231 K. v. RaumeT: Deutschland um 1800, in: Handbuch der Deutschen Geschichte, hrsg. v. Leo Just, Bd. III, Konstanz 1954, S. 168. 232 Napoleon hatte Bayern, um Dalberg unter Druck zu setzen, Regensburg versprochen: "Es wird keinen Reichstag mehr geben, denn Regensburg soll Bayern gehören." Zit. bei RaumeT, ebenda. 233 Art. 3: "Chacun des Rois et Princes confederes renon!;era a ceux de ses titres qui expriment des rapports quelconques avec l'Empire Germanique; et le premier aout prochain il fera notfter a la Diete sa separation d'avec l'Empire!" Um den alten ständischen Reichsverband in seinen Namen und wurden völlig vergessen zu machen, werden auch erneut Rangerhöhungen durchgeführt: der Kurerzkanzler Dalberg wird "Fürstprimus", der Landgraf von Hessen-Darmstadt und der Herzog von Kleve und Berg Großherzog, der Fürst von Nassau Herzog, der Graf von der Leyen Fürst. 234 Die wichtigsten Souveränitätsartikel sind der 25. und 26. Sie bringen die rechtliche Ausgestaltung von Art. 14 des Preßburger Friedensvertrages, begründen mit der gleichzeitigen tatsächlichen Losreißung vom Reich und der Aufhebung des Reichsrechts das eigenstaatliche Recht der Rheinbundstaaten. Art. 25: "Chacun des Rois et Princes confederes possedera en toute souverainete les terres equestres enclavees dans Ses possessions. Quant aux terres equestres interposees entre deux des Etats confederes, elles seront partagees quant a la souverainete entre les deux Etats aussi egalement que faire se pourra, mais de maniere a ce qu'il n'en resulte ni morcelement, ni melange de territoires." Art. 26 definiert die Souveränitätsrechte: "Les droits de souverainete sont ceux de legislation, de jurisdiction supreme, de haute police, de conscription militaire ou de recrutement et d'impöt."
5. Die Erringung der Souveränität
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Dieser Verpflichtung kommen die 16 Rheinbundstaaten am 1. August auch in einer gemeinsamen Erklärung über die Trennung vom Reich nach235 . Die neuen "Souverains", als die sie sich in dem Dokument bezeichnen, begründen ihren Austritt damit, daß sie einen Reichsverband verlassen, der faktisch nicht mehr existiere und ihnen keinen Schutz mehr biete, wie die drei Koalitionskriege offenbar gemacht hätten. Das Band, das die Reichsstände vereinen solle, sei in Wahrheit bereits aufgelöst, die Reichsverfassung hinfällig geworden. Seit der 1795 durch den Frieden von Basel deutlich gewordenen Trennung in ein nördliches und ein südliches Deutschland seien "alle Begriffe von einem gemeinsamen Vaterlande und Interesse" verschwunden, "die Ausdrücke: Reichskrieg und Reichsfrieden" seien "Worte ohne Schall" geworden. Wenn sich nun die "Souverains und Fürsten"238 von Süd- und Westdeutschland vom Reich lossagten, um einen neuen Bund einzugehen, so folgten sie nur dem Beispiel, das die mächtigeren Reichsstände bereits gegeben hätten. Es sei deshalb ehrlicher, die Trennung vom Reich offen auszusprechen, als "den leeren Schein einer erloschenen Verfassung" beizubehalten. Um ihr Ziel, nämlich volle Sicherheit, zu erreichen, hätten sich die verbündeten Fürsten des "mächtigen Schutzes" des Kaisers der Franzosen versichert. Er sei der Garant für "die Aufrechterhaltung der neuen Ordnung der Dinge in Deutschland und die Befestigung der inneren und äußeren Ruhe", die "der Hauptzweck des rheinischen Bundes" sei. Der Schwerpunkt der Erklärung der Rheinbundstaaten liegt in der Anklage gegen die beiden Großmächte Österreich und Preußen. Mit Recht geißelt sie diese, die das Reichsinteresse vernachlässigt und den Begriff eines gemeinsamen Vaterlandes zerstört hätten. Die Betonung des nationalen Elements, des Vaterlandes, ist auffällig. Es wird in den folgenden Sätzen noch stärker hervorgehoben, zugleich angedeutet, wie zwiespältig im Grunde das Verhältnis der Verbündeten zu ihrem mächtigen Beschützer ist, der sie zu dieser Erklärung veranlaßt: " ... vergeblich suchte man Deutschland im deutschen Reichskörper. Die Frankreich zunächst gelegenen von allem Schutz entblößten und allen Drangsalen eines Krieges, dessen Beendigung in den verfassungsmäßigen Mitteln zu s,uchen nicht in ihrer Gewalt stand, ausgesetzten Fürsten sahen sich gezwungen, sich durch Separatfrieden von dem allgemeinen Verbande in der That zu trennen". Abgedr. bei E. R. Huber, Dok., S. 32/33. Im folgenden wird daraus zitiert. "Bei dem Drange dieser wichtigen Betrachtungen haben die Souverains und Fürsten des mittäglichen und westlichen Deutschlands sich bewogen gefunden, einen neuen und den Zeitumständen angemessenen Bund zu schließen." 235
238
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I. Von Kurfürst Maximilian I. bis zum Vertrag von Ried 1813
Es wird in diesem sehr bemerkenswerten zweiten Satz, der besonders Bayern, Württemberg und Baden betrifft, nicht nur direkt hervorgehoben, daß diese im Gegensatz zu Österreich und Preußen "gezwungen" worden seien, sich von dem Reichsverbande, vom "Vaterland" abzuwenden, sondern auch betont, daß sie nur durch die Schuld und durch das Versagen der beiden Großmächte auf die Seite Frankreichs "gezwungen" worden seien und ihnen praktisch kein anderer Weg mehr blieb, um weiter ihre Existenz zu erhalten. Durch die Verbindung der Aussagen "Frankreich zunächst gelegenen" und "allen Drangsalen eines Krieges ... ausgesetzten" wird recht deutlich gesagt, welcher Art die Beweggründe für dieses Bündnis sind; daß man der Not gehorchte, nicht weiteren Drangsalen ausgesetzt sein wollte. Ganz anders sieht die Erklärung Frankreichs aus, die Napoleon gleichzeitig am 1. August 1806 zum Reichsaustritt der Rheinbundstaaten durch seinen Gesandten Bacher am Reichstag in Regensburg237 abgeben läßt. Sie führt aus, daß sie unter dem Protektorat des Kaisers der Franzosen vereinigten Rheinbundmächte aufgehört hätten, Reichsstände zu sein ("ont cesse d'etre Etats de l'Empire"), denn der Preßburger Friede habe die mit Frankreich verbündeten deutschen Mächte ebenso wie ihre Nachbarn in eine Situation gebracht, die unvereinbar mit der Stellung eines Reichsstandes sei ("etant incompatible avec la condition d'un Etat d'Empire"). Diese Unvereinbarkeit habe sich durch die Souveränität der Rheinbundstaaten ergeben. Auf der "souverainete" baut Frankreich alles auf. Die " souverainete " , die zunächst nur die Fürsten von Bayern, Württemberg und Baden für sich in Anspruch genommen hätten, und die jetzt auch von den anderen Fürsten verlangt werde, mache die Loslösung vom Reich unausweichlich. Denn sie vertrage sich in keiner Weise weder mit dem Buchstaben, noch mit dem Geist der Reichsverfassung. u •.• Ie traite de Presbourg a attribue aLeurs Majestes les Rois de Baviere et de Wurtemberg et a Son Altesse Serenissime l'Electeur de Bade la plenitude de la Souverainete, prerogative, que les autres Electeurs reclameraient sans doute, et seroient fondes reclamer, mais qui ne peut s'accorder, ni avec la lettre, ni avec l'esprit de la constitution de l'Empire". Deswegen sei die Separation der Rheinbundmächte vom Reich eine natürliche Folge und notwendige Ergänzung des Preßburger Friedens ("une suite naturelle et le complement necessaire de ce traite"). Die Herausforderung dieses Arguments ist ungeheuer. Denn niemand anderes als Frankreich selbst, das jetzt so tut, als habe sich dies alles so ergeben, ist es ja gewesen, das sich die Souveränität seiner Verbündeten zum politischen Ziel gesetzt hat, um sie vom Reich abzuspalten; das die 237
Abgedr. bei E. R. Huber, Dok., S. 34/35; im folgenden daraus zitiert.
5. Die Erringung der Souveränität
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vertragliche Fixierung der Souveränität, nach der seine Partner zwar strebten, im entscheidenden Augenblick aber dann doch sehr davor zurückschreckten bzw. die offene Forderung nach "souverainete pleine et entiere" aus vielerlei politischen Gründen taktisch vermeiden wollten (Württemberg in Ludwigsburg, Bayern in Bogenhausen) - durch stärksten Druck erreicht hat. Die Konsequenz der Souveränität und des Austritts der Rheinbundstaaten aus dem Reich ist für Frankreich nunmehr: "Sa Majeste d'Empereur et Roi est done oblige de declarer, qu'il ne reeonnait plus l'existenee de la eonstitution germanique ...". Frankreich erkennt die deutsche Reichsverfassung nicht mehr an. Die Souveränität, erklärt Bacher, habe dieser Verfassung, die vorher "sowieso nur noch ein Schatten ihrer selbst" gewesen sei - der Reichstag habe seit langem aufgehört, einen eigenen Willen zu besitzen, Urteile der Reichsgerichte hätten nicht mehr exekutiert werden können, von Sicherheit, Einheit und Eintracht im Reichskörper sei keine Rede mehr gewesen 238 - , nun endgültig die Legitimation entzogen. Die Reichsverfassung könne deshalb von Frankreich völkerrechtlich nicht mehr anerkannt werden. Frankreich kenne von nun an kein Deutsches Reich mehr, sondern nur noch "die volle und absolute Souveränität derjenigen Fürsten, deren Staaten heute Deutschland bilden, mit denen es die gleichen Beziehungen aufnehmen werde, wie mit anderen unabhängigen Mächten Europas (Hen reeonnaissant neanmoins la Souverainete entiere et absolue de chaeun des Prinees, dont les etats eomposent aujourd'hui l'Allemagne, et en eonservant avee Eux les memes relations qu'avee les autres Puissanees independantes de l'Europe"). Dieser letzte Satz ist von besonderem Gewicht. Frankreich benutzt die Souveränität nicht nur, um nun die staatsrechtliche Existenz des RestReichs nach dem Austritt der Sechzehn zu leugnen und den Reichsorganen - dem Kaiser, den Reichsgerichten und dem Rumpfreichstag die staats- und völkerrechtliche Legalität zu bestreiten, sondern betont mit ihr auch ganz bewußt - indem es die deutschen Staaten mit jeder anderen Macht Europas gleichsetzt - deren eigenen nationalen Status, um das Reich, um Deutschland als Ganzes auch ideell aufzulösen und auszulöschen. Auch hier zeigt sich ein sehr deutlicher Gegensatz zu der Erklärung der Rheinbundstaaten, die die Begriffe "Deutschland" und "Va138 "Depuis longtemps des alterations successives, qui, de siecle en siecle, n'ont He qu'augmentant, avaient reduit la constitution germanique a n'etre plus qu'une ombre d'elle meme. Le temps avait change tous les rapports de grandeur et de force, qui existaient primitivement entre les divers Membres de la Confederation, entre chacun d'Eux et le Tout, dont Hs faisoient partie. La Diete avoit cesse d'ailleurs d'avoir une volonte, qui lui fut propre. Les sentences de tribuneaux supremes ne pouvaient etre mises a execution. Tout attestoit un affaitblissement si grand, que le lien federatif n'offrait plus de garantie apersonne et n'etait entre les puissances qu'un moyen de dissension et discorde."
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1. Von Kurfürst Maximilian 1. bis zum Vertrag von Ried 1813
terland" so bewußt hervorheben und deren Entleerung und Aushöhlung so beklagen. - Die Rechnung Frankreichs soll ganz anders als geplant aufgehen: sieben Jahre später wird es den nationalen Kräften Europas und Deutschlands, die es aufgerufen hat, erliegen. Die Erklärung Bachers vor dem Reichstag, der obersten Ständekammer Deutschlands, bei dem seit 1804 in der Tat praktisch "von Geschäften keine Rede mehr"239 ist, und den Napoleon als "Affenhaus"24o bezeichnet hat, kommt für Kaiser Franz nicht mehr überraschend. Bereits am 22. Juli 1806 hat Napoleon dem österreichischen Diplomaten General Vincent mitgeteilt, daß er kein deutsches Reich mehr kenne, keinen deutschen Reichstag mehr akzeptiere; wenn sich Franz 11. nicht bis zum 10. August füge und die Krone des Reiches niederlege, werde er seine bereits aufmarschierte Armee in Österreich einrücken lassen und den Krieg aufs neue beginnen. Den Ablauf dieses Ultimatums wollen weder Kaiser Franz noch sein Minister Philip Stadion abwarten. Schon am 6. August, fünf Tage nach der Austrittserklärung der Rheinbundstaaten aus dem Reichsverband, legt Franz H. ohne Protest und ohne auch nur den Versuch eines Widerstandes die deutsche Kaiserkrone nieder. Es ist ein Akt, auf den Österreich schon seit längerem innerlich vorbereitet ist, mit dem es sich bereits abgefunden hat. Die kaiserliche Autorität ist im Reich seit Preßburg gleich null, sie ist zerstört wie das Reich selbst. "Man muß jetzt auf deutschem Boden die Stelle suchen, wo die Autorität des deutschen Kaisers anerkannt würde", schreibt der Kanzleidirektor der kaiserlichen Prinzipalkommission aus Regensburg241 . Soll Österreich ohne einen europäischen Bundesgenossen - sogar Rußland scheint zum Frieden mit Frankreich bereit -, ohne irgend einen Rückhalt in Deutschland - die Mehrzahl der Mittelstaaten ist mit ihrer Existenz an das Interesse Napoleons geknüpft, Preußen hat sich zu einem demütigenden Stillhalteabkommen mit dem Triumphator hergegeben - weiter für die abendländische Kaiser- wie deutsche Königskrone kämpfen? Davon haben Franz H. sowohl Freiherr von Hügel, "Kronkommissär" in Regensburg und erfahrendster Kenner aller Reichsfragen, als auch ein so entschiedener Vertreter des Reichsgedankens wie Friedrich Lothar von Stadion, dem Kaiser in Gutachten abgeraten. Beide äußerten ihre überzeugung, daß die Krone nicht länger behauptet werden könne. Stadion schreibt, sie sei jetzt nicht nur mehr eine "Dekoration ohne alles Recht, ohne Ansehen und Wert", sondern auch eine "schwere 239 K. v. Raumer: Deutschland um 1800, S. 169, bringt dieses Quellenzitat, gibt aber nicht an, woher er es nimmt. 240 Zitiert bei Raumer, ebenda. 241 Zitiert bei demselben, S. 170.
5. Die Erringung der Souveränität
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Last", unvereinbar mit dem Gebot staatlicher Selbsterhaltung Österreichs"242. So dankt Kaiser Franz am 6. August ab 243 • Durch einen einzigen Herold wird seine Abdankung in Wien in einem Manifest bekannt gemacht, sein Entschluß mit der "gänzlichen Unmöglichkeit, die Pflichten Unseres Kaiserlichen Amtes länger zu erfüllen", begründet. Das Manifest erklärt, daß die Entwicklung seit dem Preßburger Frieden, insbesondere die Konföderation mehrerer "vorzüglicher Reichsstände" und ihre "gänzliche Trennung von dem Reich" die gehegte Erwartung, daß das Reich doch noch aufrechtzuerhalten sei, "vollends vernichtiget" habe. Aber das Manifest enthält mehr als nur die bloße Abdankung des Kaisers. In dem Franz H. das Amt des Kaisers als solches als erloschen erklärt, die Reichsstände von ihrer Bindung an das Reich befreit, die Reichsämter aufhebt und die Reichsbeamten wie alle Reichsangehörigen von ihren Pflichten gegen das Reich entbindet244 , vollzieht er einen Akt, der das Reich in seinem existentiellen und institutionellen Bestand auflöst. Es ist eine Handlung, die noch einmal, sogar ganz zuletzt bei seiner Grabrede, die Diskrepanz zwischen dem Reichsverfassungsrecht und der Verfassungswirklichkeit des Reiches dokumentiert. Denn ebenso wenig wie die "souveränen" Rheinbundstaaten, die sich einseitig vom Reich lossagen, ist der Kaiser einseitig "zu einem solchen reichsauflösenden Souveränitätsakt"245 befugt. Er darf es reichsrechtlich nur im Einverneh14!
Ebenda.
zu Text der Abdankungserklärung abgedruckt bei E. R. Huber, Dok., S. 35/36.
!C4 "Wir erklären demnach durch Gegenwärtiges, daß Wir das Band, welches Uns bis jetzt an den Staatskörper des deutschen Reiches gebunden hat, als gelöst ansehen, das Wir das reichsoberhauptliche Amt und Würde durch die Vereinigung der conföderirten rheinischen Stände als erloschen und Uns dadurch von allen übernommenen Pflichten gegen das deutsche Reich losgezählt betrachten und die von wegen desselben getragene Kaiserkrone und geführte kaiserliche Regierung, wie hiermit geschieht, niederlegen. Wir entbinden zugleich Churfürsten, Fürsten und Stände und alle Reichsangehörigen, insonderheit auch die Mitglieder der höchsten Reichsgerichte und die übrige Reichsdienerschaft, von ihren Pflichten, womit sie an Uns, als das gesetzliche Oberhaupt des Reichs, durch die Constitution verbunden waren." !45 Siehe E. R. HubeT: Dt. Verfassungsgeschichte, a.a.O., S. 71, der die verfassungsrechtIiche Problematik dieses Schrittes in einem staatsrechtlichen Exkurs am intensivsten beleuchtet: "Und wenn auch das Reich unter der Verfassung des Westfälischen Friedens vielleicht kein Staat, sondern nur eine Föderation von Staaten war, so war es doch jedenfalls ein auf ewig abgeschlossener Bund, aus dem sich einseitig zu lösen weder ein einzelner Staat noch eine Gruppe von Staaten berechtigt waren; ebensowenig war der rechtliche Bestand dieser Föderation der einseitigen Entscheidung ihres Gewählten Oberhaupts unterworfen. Wenn überhaupt das die deutschen Einzelstaaten vereinigende Band des Reichs durch einen Rechtsakt zerschnitten werden konnte, so war nur der Reichstag als Repräsentation der verbündeten Reichsstände im Einvernehmen mit dem Kaiser zu einem solchen reichsauflösenden Souveränitätsakt befugt." Auch Huber stellt hier noch einmal den Reichstag als die souveräne, über das Reich rechtlich allein entscheidende Instanz heraus, wie er im deutschen
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men mit den verbliebenen Reichsständen tun. Dennoch vollzieht er diesen Akt, obwohl er eigentlich allein Sache des Reichstages ist - und zwar aus ureigenem Interesse. Mit der Entbindung aller Reichsstände vom Reich spricht er nämlich im letzten Satz insbesondere "sämtliche deutschen Provinzen und Reichsländer" des Hauses Habsburg vom Reich los, um nun deren völlige "Vereinigung mit dem ganzen österreichischen Staatskörper"246 ihre Verschmelzung im österreichischen Kaiserreich, ausdrücklich zu konstatieren. Österreich verleibt sie sich so schnell wie möglich direkt ein!47. Die eigentliche Ursache für den plötzlichen Verzicht Österreichs wird in dem Abdankungsmanifest sorgfältig verschwiegen. Von Napoleons Ultimatum findet sich kein Wort. Damit endet das 1000jährige Heilige Römische Reich deutscher Nation, nach Jahrhunderten der langsamen inneren Aushöhlung seit dem Westfälischen Frieden. Die Reichsführungsrnacht Österreich ist von Napoleon besiegt, gedemütigt; die zweite Großmacht Deutschlands, Preußen, wird im Herbst des Jahres und im darauffolgenden Jahr 1807 das gleiche Schicksal erleiden. Realität ist nun der Rheinbund, die Konföderation von 16 deutschen Staaten, die sich auf die Seite des französischen Siegers geschlagen haben. 23 weitere kleine Stände, nach dem Zusammenbruch des Reiches "obdachlos", treten ihm in der Folgezeit in Akzessionsverträgen bei. Staatsrecht des 18. Jahrhunderts immer wieder betont wurde. Er fährt fort: "Der Kaiser vermochte durch einen einseitigen Rechtsakt nur seine Abdankung auszusprechen. Seine Verlautbarung war ein reichsverfassungswidriger Akt; sie war null und nichtig. Die dem kaiserlichen Vorgehen fehlende Rechtsgrundlage wurde auch nicht dadurch ersetzt, daß alle dem Reich noch anhängenden Reichsstände, indem sie in Untätigkeit verharrten, der Reichsauflösung stillschweigend zustimmten. " Erst der Verzicht auf die Reichserneuerung in den Jahren 1813 - 15 durch die deutschen Staaten hat - so Huber - "als ein Akt freier Entscheidung die faktische Reichsauflösung von 1806 auch rechtlich sanktioniert. " 248 "Unsere sämtlichen deutschen Provinzen und Reichsländer zählen Wir dagegen wechselseitig von allen Verpfiichtungen, die sie bis jetzt, unter was immer für einem Titel, gegen das deutsche Reich getragen haben, los, und wir werden selbige in ihrer Vereinigung mit dem ganzen österreichischen Staatskörper als Kaiser von Österreich unter den wiederhergestellten und bestehenden friedlichen Verhältnissen mit allen Mächten und benachbarten Staaten zu jener Stufe des Glückes und Wohlstandes bringen beflissen seyn, welche das Ziel aller Unserer Wünsche, der Zweck unserer angelegensten Sorgfalt stets seyn wird ..." 247 K. v. Raumer: Deutschland um 1800, S. 172 schreibt dazu: "Die Worte, mit denen das Manifest beginnt ... ,Wir Franz der Zweite ... zu allen Zeiten Mehrer des Reichs', sind im Lichte solchen Handeins von einer überwältigenden Zweideutigkeit; sie mischt dem Ernst des Geschehens eine unbeabsichtigte Ironie bei, die weder von den deutschen, noch den französischen Zeitgenossen unbemerkt blieb."
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Der Zusamenbruch des Reiches löst in Deutschland keine große Überraschung, keine große Trauer, nicht einmal größere Anteilnahme aus248 • Es gibt zunächst auch überhaupt keine größere Veröffentlichungen, die sich mit dem Untergang des Reiches beschäftigen und eine Analyse oder Beurteilung dieses Ereignisses vornehmen - bis auf eine einzige Ausnahme. Zu Beginn des Jahres 1807 erscheint in Deutschland eine Schrift, die sich mit dem "Umsturz der deutschen Staatsverfassung" auseinandersetzt und einen einzigen bitteren, zuweilen sehr polemischen Nekrolog auf diese darstellt. Die Schrift ist in Bayern geschrieben, dem größten Mitglied- und Trägerstaat des Rheinbundes. Ihr Autor ist Nikolaus Thaddäus Gönner, der führende bayerische Staatsrechtler, der noch vor drei Jahren in seinem "Teutschen Staatsrecht" die Einheit und Beständigkeit des Reiches beschworen hatte, wobei er immer wieder besonders auf die alleinige Souveränität des Reiches und die Unterordnung der Reichsterritorien unter diese hinwies. Jetzt vollzieht er eine radikale Umkehr seiner Aussage.
Die Souveränitäts-Schrift N. Th. Gönners: "Ober den Umsturz der deutschen Staatsverfassung" Der vollständige Titel von Gönners Schrift lautet: "Über den Umsturz der deutschen Staatsverfassung und seinen Einfluß auf die Quellen des 148 Als einer der berühmtesten Zeitgenossen äußerte sich Goethe, der geborene Reichstädter, dazu in seinen "Annalen" trocken: "Indessen war der Deutsdle Rheinbund geschlossen und seine Folgen leicht zu übersehen; auch fanden wir bei Unserer Rückreise in den Zeitungen die Nachricht: das Deutsche Reich sei aufgelöst." Am 6. und 7. August trägt er unmittelbar in sein Tagebuch ein: "Abend um 7 Uhr in Hof. Nachricht von der Erklärung des Rheinischen Bundes und dem Protektorat. Reflexionen und Diskussionen. Gutes Abendessen ... Zwiespalt des Bedienten und Kutschers auf dem Bocke, welcher uns mehr in Leidensdlaft versetzte als die Spaltung des Römischen Reiches." Zitiert aus Gola Mann: Deutsche Geschichte des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1958, S. 66. K. v. Raumer widerspricht allerdings der These von der fast völligen Unbewegtheit Goethes im Hinblick auf den Zusammenbruch des Reiches, und der Sarkasmus der Tagebucheintragung spricht dafür. "Charakteristisch für die Spannweite der Gefühle, zwischen denen er sich hin- und hergerissen sah", sei "die Aufzeichnung jenes Stimmungsberichtes aus Frankfurt: die Menge habe es als Omen aufgenommen, daß am Napoleonsfest der Name des Kaisers beim Feuerwerk in einer Rauchwolke verschwand." Dennodl meint auch Raumer zur allgemeinen Reaktion auf den Untergang des Reichs in Deutschland: "Die Auflösung des Reichs hat unter den Deutschen keinen Aufschrei, keine tiefe Empörung, ja nicht einmal einen stillen nagenden Sdlmerz ausgelöst ... Man muß Stimmen wie die der Frau Rat Goethe (Goethes Frau) förmlich sudlen, die damals ihrem Sohne schrieb: "Mir ist übrigens zumute, als wenn ein alter Freund sehr krank ist. Die Ärzte geben ihn auf, man ist versichert, daß er sterben wird, und mit aller Gewißheit wird man doch erschüttert, wenn die Post kommt, er ist tot. So geht's mir und der ganzen Stadt - gestern wurde zum ersten Mal Kaiser und Reich aus dem Kirdlengebet weggelassen - Illuminationen, Feuerwerk und dergleichen, aber kein Zeichen der Freude, es sind wie lauter Leichenbegräbnisse, so sehen unsere Freuden aus." Zitiert bei Raumer: Deutschland um 1800, S. 173.
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Pritvatrechts in den neu souverainen Staaten der rheinischen Confoederation249 ." Er setzt sie Anfang 1808 mit einem Aufsatz fort: "Von den Veränderungen, welche der Umsturz der deutschen Staatsverfassung an den vormaligen Particularstaatsrechten einzelner Reichslande im gegenwärtigen Zustand ihrer Souveränität hervorbringt250 ." Die Schrift des Landshuter Professors trägt, obwohl es ihr nüchtern juristisch formulierter Teil wenig vermuten läßt, sehr starken emotionalen Charakter. Sie ist ganz gekennzeichnet von der maßlosen Enttäuschung Gönners darüber, daß das Reich, an das er trotz aller seiner Schwächen glaubte, und an dessen Darstellung seiner komplizierten staatsrechtlichen Verfassung er jahrelang arbeitete, schnell und ohne Widerstand zerbrochen ist. Sein "Teutsches Staatsrecht", das sein Lebenswerk sein sollte, ist umsonst gewesen. Der Eindruck des sang- und klanglosen "Umsturzes der Staatsverfassung", verbunden mit Gönners persönlicher Enttäuschung und Verbitterung, bewirken, daß er nun das alte Reich in schärfster Form kritisiert und an ihm kein gutes Haar mehr läßt. Wobei er zwangsläufig gegen sich selbst zu Felde ziehen muß, gegen all das, was er im "Teutschen Staatsrecht" postuliert hat. Sich derart bloßzustellen hat Gönner 1807 allerdings noch nicht den Mut. Seine Schrift ist anonym. Erst in der Fortsetzung von 1808, dem Aufsatz, bekennt er sich zu ihrer Autorenschaft. Das deutsche Reich, das Gönner drei Jahre zuvor im "Teutschen Staatsrecht" noch als die alleinige souveräne Instanz gegenüber den ihm unterstellten halbsouveränen Reichsterritorien bzw. "Reichsanstalten mi-souverains"251 leidenschaftlich verteidigt hatte, erkennt er nun als "morsches Gebäude"252, das nichts mehr vor dem Einsturz habe bewahren können. Mit Recht habe Deutschland aufgehört, ein Staat zu sein. Dagegen habe sich gezeigt, daß die wahre staatliche Kraft in den einzelnen deutschen Reichsterritorien gewachsen sei. "Aus der Asche des erloscheOhne Ortsangabe, 1807 gedruckt, Staatsbibliothek München. In: Archiv für die Gesetzgebung und Reform des juristischen Studiums, 1. Bd., 1. - 3. Heft, Landshut 1808, in Staatsbibliothek München. t51 Dieser Ausdruck taucht auch in der zweiten Schrift "Von den Veränderungen ... " noch einmal auf. Gönner hat ihn, wie er auf S. 4 angibt, aus G. F. Martens "Precis du droit des Gens" § 20, Göttingen 1796, übernommen. Jetzt polemisiert er heftig gegen Martens, orgumentierend, "daß man so wenig halb souverän seyn könne, als man halb zu leben vermag". Martens, der auf Bodins Souveränitäts-Aussage für das Reich aufbarte, wird jedoch im Verlauf des ganzen 19. Jahrhunderts immer wieder von deutschen Staatsrechtlern und Politikern zitiert. So besonders auch von Freiherr von Zentner, einem der führenden bayerischen Staatsmänner in der ersten Hälfte des Dt. Bundes, der sich auf Martens bezieht, wenn er davon ausgeht, daß Bayern vor 1806 und im Rheinbund ein nur "halb-souveräner" Staat gewesen sei. 251 über den Umsturz, S. 8. Alle folgenden wörtlichen Zitate aus dieser Schrift. 149 250
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nen Staatskörpers" seien sie als "neue Staaten hervorgetreten, deren Regenten auf dem europäischen Theater nicht blos mit der zweideutigen Rolle von halbsouveränen Fürsten, sondern mit neuem Glanze als ganz souveräne Beherrscher erscheinen, ... mit dem vollen Genuß eines ganz völker rech tlichen Z ustandes 253 • " Man habe diese Entwicklung eigentlich klar voraussehen müssen, stellt Gönner nun fest. Schon im Westfälischen Frieden nach dem 30jährigen Krieg sei ohne Zweifel der Grundstock für die Auflösung des Reiches und den Aufstieg der Territorien zu souveränen Staaten gelegt worden: "Das Resultat des 30jährigen, beispiellosen Kampfes war Befestigung des reichsständischen übergewichts, nicht bloß in Rücksicht auf ihre Mitwirkung in allen Reichsangelegenheiten, sondern auch in der für die neuesten Zeiten entscheidenden Rücksicht auf die Regierungsgewalt ihrer Territorien und auf auswärtige Verhältnisse 254 ." Gönner fährt fort: 1648 habe man der reichsständischen Regierungsgewalt "den der Staatsmajestät sich annähernden Namen "Superioritas terr~torialis = Landeshoheit gegeben"255, und er müsse "die Einsicht der großen Männer, die damals den westfälischen Frieden verfaßten, bewundern"; hätten sie doch alles getan, "was dem menschlichen Verstande möglich ist, um unter zwei heterogenen Prinzipien die Harmonie einigermaßen herzustellen". Auf die Dauer sei dies jedoch nicht gelungen, hätte es a~ch nicht gelingen können; denn: "Was vermögen menschliche Gesetze gegen die Gesetze der Natur? Staatshoheit und Staatsunterwürfigkeit, Souveränität im äußeren und Unterthanennexus im inneren Verhältnisse sind sichtbare Widersprüche, welche die Schriften der Gelehrten nur durch Aufbietung des größten Scharfsinns scheinbar zu heben vermochten ...268." Es muß bitter sein für Gönner, diesen Satz zu schreiben. Denn er selbst war ja der erste dieser " Gelehrten" , die mit größtem Eifer das Reich so unitarisch zu konstruieren suchten, wie es in Wirklichkeit längst nicht mehr existierte; er ist derjenige gewesen, der Moser, seinen Lehrer Pütter, und Kreittmayr zu übertrumpfen suchte, die sich bemühten, es so realistisch darzustellen und zu beschreiben, wie es war, und deshalb durchaus erklärten, daß die Reichsterritorien "Staaten" wären, faktisch mit allen souveränen Rechten ausgerüstet - was Gönner nicht zuzugebenbereit gewesen war. UJ:..Il so radikaler ist nun seine Kehrtwendung. Immer wieder betont er, daß es gar nicht anders kommen konnte. Er macht sich Vorwürfe, daß er 253
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S.9. S.23. S. 24 ff. S.26.
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mit dem Reich auf das falsche Pferd gesetzt habe statt auf die Einzelstaaten, denen seit dem westfälischen Frieden die Zukunft gehört habe. Das sucht er jetzt zu beweisen, er stellt den Untergang des Reiches als das Ergebnis eines unabänderlichen "politischen Gesetzes"257 hin: "Die Natur, ungewohnt auf halbem Wege stehen zu bleiben, oder Zwittergestalten zu dulden, konnte diesem Widerspruche keine Dauer gewähren, das Princip der Staatseinheit oder das Princip der Staatentrennung, eines von beiden mußte das übergewicht an sich reißen258." Für das erste Prinzip, das der Staats einheit, ist Gönner in seinem "Teutschen Staatsrecht" bis ins Letzte eingetreten. Nun sagt er: "Niemand darf sich wundern, daß das Trennungsprincip die Oberhand gewann, denn das Band, welches die große Anzahl von Reichsständen mit verschiedener Macht, mit dem verschiedensten Interesse, zu einem Staate umschlingen sollte, war schwach und schlaff, zu einer ganzen Auflösung fehlte nur wenig." Für diese Schwäche und Schlaffheit macht Gönner allein Österreich verantwortlich, er klagt es scharf an. Österreich, die Führungsmacht des Reiches, die stets als ein "Vorbild" hätte auftreten müssen, sei "stattdessen in allen Beziehungen den Reichsständen mit Handlungen vorangegangen", die sich nicht an die Reichsverfassung hielten259, habe dies jedoch von den anderen Reichsständen, denen es ein so schlechtes Beispiel lieferte, verlangt. Es habe sich "von der Reichsgerichtsbarkeit losgemacht", wogegen die Reichsstände die Aussprüche der Reichsgerichte respektieren sollten; es habe sich von der "entbehrlichen Ceremonie der Thronbelehnung" befreit, wogegen die Reichsstände "vor seinem Kaiserthrone das Knie beugen" sollten; es habe sich "seine eigenen Territorialposten geschaffen", "die Reichsstände sollten sich dagegen taxische Posten als kaiserliche aufdringen lassen". "Österreich hat die Bisthümer seines Landes purificiert, die Reichsstände des österreichischen Kreises, viele Reichsritter in Schwaben unterjocht: leichtere Nachahmungen dieser Maßregeln, welche die Reichsstände versuchten, wollte der österreichische Kaiser, als Verletzung der Reichsconstitution ahnden"! Frage Gönners: "Wie konnte von älteren oder gleich alten Fürstenhäusem gefordert werden, daß sie in Rechten ihrem Mitstande Österreich zu ihrem sichtbaren Schaden nachstehen sollten?" So geht es viele Seiten lang. Der strenge Jurist Gönner, der sich in seinem "Teutschen Staatsrecht" so hundertprozentig an den Buchstaben der Reichsverfassung gehalten hatte, sogar darüber hinausgegangen war, rechnet alle verfassungswidrigen Handlungen der Reichsstände gegen S. 38. Diese Formulierung taucht immer wieder auf. S. 26 ff. m S. 28 ff. 257
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von Österreich zuerst begangene Vergehen auf, erklärt und entschuldigt sie damit. Er kommt schließlich dahin, daß er es als eine Zumutung hinstellt, wenn die Reichsstände angesichts dieser Entwicklung sich weiter als Reichsunterthanen verhalten und die Reichsgesetze weiter befolgt hätten. Das hätte fortan niemand mehr von ihnen erwarten können. Vielmehr hätten für sie nur noch ihre souveränen Rechte gezählt, die sie, wie vor allem das Gesandtschaftsrecht, mit den anderen europäischen Souveränen verbanden: "Sie (die Reichsstände), durch das Recht, Gesandte zu schicken und anzunehmen, den europäischen Souveränen näher gebracht - sie, zum Teil Besitzer auswärtiger Throne, zum Teil mit königlichen Vorzügen begabt -, sie konnten wohl nicht mehr nach einer Unterthaneneigenschaft von der Staatsgewalt behandelt, nicht mehr durch diese zur Beobachtung der Gesetze angehalten werden260. " Liest man diesen Satz und dazu das "Teutsche Staatsrecht", so scheint kaum glaubhaft, daß sie von demselben Autor stammen. Als erster deutscher Staat, führt Gönner an, sei Preußen "aus der Mitte deutscher Fürsten" ausgeschert. Er begrüßt das: "Der Churfürst von Brandenburg" habe den "Titel eines Königs von Preußen" angenommen "und das Übergewicht dieses souverainen Verhältnisses über sein Verhältnis zu dem deutschen Reich des Kontraetats ungeachtet bald sichtbar" gemacht, nachdem besonders der spanische Erbfolgekrieg "deutlich erprobt" hätte, daß die mächtigen Reichsstände sich nicht mehr nach den Reichsgesetzen, sondern "nach dem Calcul der höheren Politik" richteten. Vom spanischen Erbfolgekrieg an sei ganz offenkundig gewesen, daß "alle wichtigen Angelegenheiten im Reiche nicht mehr als Gegenstände der Subsumtion unter das Gesetz, sondern als Objekte diplomatischer Unterhandlungen angesehen" wurden: "Nicht durch Richtersprüche, sondern durch Völkerverträge ward alles entschieden, was im Gefolge des spanischen Successionskrieges stand261 ." Mit anderen Worten: Das Reich hat für Gönner bereits seit dem spanischen Erbfolgekrieg faktisch aufgehört zu bestehen, weil es, wie er sich wörtlich ausdrückt, seitdem praktisch "ohne alle Verfassung war, weil die gesetzliche Gewalt, welche Deutschland als einen Staat ergriff, nicht gehandhabt werden konnte, und die wirkliche, eine Art von Staatenbund, weder dem Gesetze, noch vielen anderen Staateinrichtungen sich anpasste"282. Die Diktion Gönners erinnert an dieser Stelle sehr stark an Hegel, was nicht zufällig sein mag. Wahrscheinlich verwendet er bewußt fast die
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181 261
S.29. S.35.
Ebenda.
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gleichen Formulierungen263 , mit denen Hegel in seiner Schrift zur Reichsverfassung (1803) die Schwäche und Hilflosigkeit des alten Reiches schonungslos bloßgelegt hatte und dabei ganz besonders Gönners Lehrer und Vorbild Pütter und dessen These vom Reich als einen "zusammengesetzten Staatskörper" verhöhnt hatte. Mit der Anlehnung an Hegel demonstriert Gönner am deutlichsten, wie sehr er sich an seinem "Teutschen Staatsrecht" mit seiner Aussage - das deutsche Reich sei ein souveräner Staat, seine Territorien jedoch nur "halb souveräne Reichanstalten" gewesen - getäuscht hat. In Wirklichkeit, meint er, habe Deutschland aus mehreren Staaten bestanden, wobei - und nun kommt der entscheidende Satz, auf dessen Bekämpfung sein ganzes Teutsches Staatsrecht aufgebaut war - "die Regenten der größeren deutschen Staaten vorlängst in der That Souverains waren"264. Man habe dieses Faktum vorher nur noch nicht so genau erkennen können, führt Gönner, sich selbst entschuldigend, an. Nur Preußen habe es relativ klar "sichtbar" gemacht, während die anderen Staaten Deutschlands diesbezüglich noch in einem undeutlichen Schwebezustand verblieben; vor allem die süddeutschen, die von Österreich bedrängt worden seien. Besonders Bayern habe unter dessen ständigem Druck gestanden: es sei von ihm "zu unnatürlichen Allianzen gezwungen", "mit Truppen überzogen" und "mit Requisitionen belastet" worden265 . "Solange, bis Frankreich Europens Schicksal entschieden" hätte: "die großen Tage von Ulm und Austerlitz" und in ihrer Folge der Friede von Preßburg hätten den bedauernswerten "Zustand des südlichen Germaniens" beendet: "Baiern, Württemberg und Baaden erhielten jene Souveränität, welche Österreich und Preußen in ihren Deutschen Provinzen bisher ausgeübt hatten266 ." Von der Darstellung der Ergebnisse des Preßburger Friedens, und des Endes der Reichsverfassung leitet Gönner dann über zum Rheinbund. Seine Schrift ist von nun an von einem Hauptanliegen getrag~n: der Danksagung an Frankreich. Er preist es dafür, daß es das Ende des Reiches herbeigeführt hat, das "morsche Gebäude" eingestürzt und dafür den deutschen Staaten, voran den süddeutschen, die volle völkerrechtliche Souveränität beschert hat, so daß sie sich nun ohne Hindernisse zu modernen Staaten entfalten könnten. Er feiert Napoleon "als den großen Regenerator Europens"267, unter dessen mächtigem Schutz den deutschen 283 "Deutschland ist kein Staat mehr", hatte Hegel konstatiert. (Vgl. Einleitung 11). "Deutschland als Staat war gar nichts", folgt ihm nun Gönner (S. 39). Nicht Pütter, sondern dessen Verhöhner Hegel ist sein neuer Mentor. 284 265
286 187
S.44. S.41. S.42. S.10.
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Fürsten der große Versuch gelungen sei, "dem deutschen Vaterland eine bessere Gestalt zu geben"288. Er verneigt sich vor der "Weisheit der erhabenen Stifter des rheinischen Bundes", der "Quelle der neuen Souveränität" 289. Alle "Unannehmlichkeiten" der alten Reichsverfassung seien nun beseitigt, stellt Gönner fest: "Zölle und Münzen, Standeserhöhungen und akademische Würden, kaiserliche Notarien und Hofpfalzgrafen sind nicht ferner Reservate des vormaligen Reichsoberhaupts, verschwunden ist der Lehensnexus zum deutschen Reiche." "Die Steuerbefugnis ist nicht mehr nach den mannichfaltigen und von vielen Schriftstellern mißverstandenen Reichsgesetzen, sondern blos nach den Grundsätzen des rationellen Staatsrechts auf das Bedürfnis des Staats beschränkt. Ich enthalte mich anderer Beispiele, denn ich müßte die höchst verwickelte alte Staatsmaschine Deutschlands zerlegen, wenn ich alle Verschiedenheiten aufzählen wollte, welche wir an den neu-souveränen Staaten nach der hohen Einfachheit ihrer gegenwärtigen Verfassung gegen ihre vorherigen inneren und äußeren Verhältnisse erblicken270." Es geht Gönner besonders um die innere Souveränität, um den in sich geschlossenen Staat, in dem alle Hoheitsrechte einheitlich ausgeübt werden; er wird nicht müde, diesen nun eingetretenen Zustand zu begrüßen: "Die Regenten beherrschen ihre neu souverainen Lande in der Gesamtheit und ohne Unterschied mit vollkommener Souverainität, die Regierungsform dieser neuen Staaten ist rein monarchisch, der 12. Julius 1806 hat für alle Bundesstaaten einen ganz neuen Zustand hervorgebracht, der jetzige Herrscher ist souverainer Monarch und frey von allen Fesseln des Reichsverbandes, an welche auch die besonderen Staatsrechte gekettet waren. Alle älteren Particularstaatsrechte haben durch den rheinischen Bund ihr Dasein verloren271 ." Gönner ist ein lebhafter, ja begeisterter Befürworter des unter Napoleons Protektorat stehenden Bundes, obwohl er sich darüber im klaren ist, daß die äußere Souveränität der Bundesstaaten durch den Bund 288 Ebenda. Vom "deutschen Vaterland" spricht Gönner immer wieder. Napoleon ist für ihn der Beschützer und Führer des neu erstandenen Deutschlands. Wie der verblendete Dalberg sieht er in ihm eine Heilsfigur für die deutsche Geschichte, den Nachkommen der großen Kaiser. Napoleon ließ sich das Gerücht der von ihm angeblich beabsichtigten Neuschöpfung der Krone Karls des Großen gern gefallen und gab, wo immer es ihm förderlich schien, seiner "karolingischen" Deutung Nahrung: "Pour le Pape, je suis Charlemagne, parce que, comme Charlemagne, je reunis la couronne de France acelIes des Lombards, et que mon empire confirme avec l'Orient. Napoleon an den von ihm eingesetzten Reichskoadjutor Fesch, München, 7. Jan. 1806, Corresp. de Nap. Ier, XI, S. 529. Zitiert bei v. Raumer: Prefecture francaise, S. 637. 2" "Von den Veränderungen", S. 11. 270 über den Umsturz, S. 48. 271 Ebenda.
15 Quint
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erneut eingeschränkt wird. Das akzeptiert er, es erscheint ihm selbstverständlich. Worum es ihm vor allem anderen geht, ist innere Geschlossenheit der neuerstandenen Staaten des Bundes, die alle Relikte der alten Reichsverfassung abwerfen sollen. Damit dies vollständig erreicht wird, propagiert er eine Einrichtung, die sogar ihre innere Souveränität beeinflußt: er fordert ein einheitliches "Bundesstaatsrecht"272, das für alle Rheinbundstaaten verbindlich sein soll. Die Argumente, die Gönner hierfür im einzelnen anführt, sind höchst interessant. Bayern und die anderen Bundesstaaten setzten sich nämlich großen "Gefahren durch Anerkenntnis eines besonderes Staatsrechts neben dem Bundesstaatsrechte aus", erklärt er. Denn "die neue Souverainität" stehe "an dem Momente ihrer Bildung: erkennet sie in diesem (Momente) noch ein besonderes Staatsrecht, so erkennet sie mit ihm, daß sie noch außer den gemeinschaftlichen Bestimmungen des rheinischen Bundes im Inneren beschränkt sey, sie erkennet besondere positive Quellen, welche nur mit den Quellen des erloschenen Particularstaatsrechtes identisch sein können, da außer diesen allenthalben keine existieren"273. Hier ist er also wieder, der alte Horror Gönners vor verschiedenen Einzelstaatsrechten. Aber es kommt noch etwas hinzu: sein Haß auf die alte Reichsverfassung. Er malt die Schreckgespenste der Particularstaatsrechte des untergegangenen Reiches an die Wand, aus denen nach seiner Meinung zweifellos die positiven Quellen für die neuen Staatsrechte geschöpft werden würden - ein ihm unerträglicher Gedanke: "So würde dann das öffentliche Recht des souveränen Staates aus dem öffentlichen Rechte des nichtsouveränen Reichsgebietes abgeleitet, unter diesem Deckmantel würden alte Mißbräuche sich in die neue Verfassung einschleichen, privatrechtliche Verhältnisse würden das Ansehen eines öffentlich~n Rechtes erringen, und eine souveräne Regierung würde im öffentlichen Anerkenntnisse eines besonderen Staatsrechts als modifizierter Fortsetzung des alten Particularstaatsrechtes eine verrufene Münze selbst wieder in Kurs setzen274 ." Ein zentrales Bundesstaatsrecht, konstatiert Gönner, sei deshalb garantiert die einzige "reine Quelle der Souveränität"275, aus der alle,Bundesstaaten schöpfen müßten; andernfalls käme es gewiß zu Souveränitätsverfälschungen und -verminderungen. Daß durch diese von ihm geforderten Bundes-Rechtslinien die Souveränität der Bundesstaaten, gerade die innere, viel stärker eingeengt wird, als durch das, was er end272 Von den Veränderungen, S. 6 ff. Die folgenden wörtlichen Zitate aus dieser Schrift. 273 274 275
S.8. S.IO. S.lO.
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gült~g ausmerzen will, fällt ihm nicht auf, oder er verniedlicht es: ("Was man am besonderen Staatsrecht verliert, gewinnt man am Privatrecht wieder, dessen Sphäre nunmehr viele Verhältnisse einschließt, welche vorher dem besonderen Staatsrecht angehörten")276. Die gemeinsame Rechtsordnung ist ihm das wichtigste.
Bayerns führender Staatsrechtier ist derselbe Unitarist geblieben, der er vorher war. Setzte er sich früher leidenschaftlich für die Einheit des Reiches ein, so ist er nun ein begeisterter Herold für den Rheinbund. Damit nimmt Gönner abermals eine einmalige Sonderstellung in Deutschland und Bayern ein. Denn die Politik der Regierung seines Staates hat nichts mit seiner Haltung gemein, ist ihr diametral entgegengesetzt. Bayerns leitender Minister Montgelas bekämpft den Rheinbund von der ersten Minute an mit aller Kraft, weil durch ihn die eben errungene volle Souveränität Bayerns nach seiner Ansicht wieder aufgehoben wird, die Unabhängigkeit und Selbständigkeit seines Staates sogar weit stärker eingeengt wird als im alten Reich. Nach innen hat Montgelas freie Hand, und er verwirklicht nun sein Programm des modernen Staates, das er, nach den Leitsätzen seines geistigen Vaters Vattel, in seinen Denkschriften der 80er und 90er Jahre festgelegt hat. Die Innenpolitik Bayerns steht vor der reichsten Entfaltung. Außenpolitisch aber kann es praktisch keinen selbständigen Schritt mehr tun, es droht eine "französische Präfektur" zu werden, wie Montgelas 1806 befürchtet.
Bayerns Kampf und Kontrepolitik gegen den Rheinbund Inhalt und Umstände dieser letzten so kennzeichnenden Äußerung Montgelas', die dieser am 5. Juli 1806 gegenüber dem württembergischen Sondergesandten Graf von Taube kurz vor Abschluß des Rheinbundes macht, sind neuerdings von Kurt von Raumer in seiner bereits mehrfach zitierten meisterhaften Studie näher untersucht und interpretiert worden277 ; Raumer stellt fest, daß von dieser und anderen Äußerungen MontS.9. Prefecture francaise, a.a.O. v. Raumer setzt sich in diesem Aufsatz außerdem kurz mit der gesamten bisherigen Rheinbundliteratur auseinander, wobei er besonders Kritik an Marcel Dunan: Napoleon et l'Allemagne, le systeme continental et les debuts du royaume de Baviere 1806 - 1810, Paris 1942, übt, der dazu neige, den Widerstand der Südstaaten Deutschlands gegen den Bund zu "verharmlosen" (S. 644, Anm. 32). Th. Bitteraufs "Geschichte des Rheinbundes" sei leider "ein Torso" (S. 643) geblieben. Für Raumer ist M. Doeberls Abhandlung "Rheinbundverfassung und bayerische Konstitution", München 1924, immer noch die instruktivste und wertvollste Darstellung. Dieser Meinung schließt sich der Verf. dieser Arbeit, vor allem auch angesichts des zusammengestellten wichtigsten Quellenmaterials im Anhang von Doeberls Darstellung, auf das im folgenden zurückgegriffen wird, voll und ganz an. 278
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gelas' her, die Graf Taube in einem langen Bericht an König Friedrich von Württemberg wiedergibt, ein so kennzeichnendes Licht auf die Beurteilung des Rheinbundes durch Bayern falle, daß allen Tendenzen, die Widerstände gegen den Rheinbund zu verharmlosen oder diese gar zu leugnen, der Boden entzogen werde. Wir können diesem Urteil Raumers nur voll zustimmen und wollen den Inhalt dieses Gesprächs278 unter Betonung und Akzentuierung der entscheidensten Punkte und unter dem Blickwinkel unserer Untersuchung hier ebenfalls wiedergeben. Denn in der Unterredung zwischen Montgelas dreht sich alles um ein Thema - um die Souveränität. Die Unterredung kommt auf Initiative König Friedrichs von Württemberg zustande, der schon den Münchener Projekten Talleyrands den intensivsten Widerstand entgegengesetzt hat. Sein Sondergesandter Graf Taube soll die Einstellung des Münchner Hofes gegenüber dem geplanten Bund Napoleons genau erkunden und mit der bayerischen Regierung gemeinsame Schritte bezüglich des Vorgehens gegen ihn absprechen. Montgelas stimmt der württembergischen Intention sofort zu und erklärt Taube, daß auch die bayerische Regierung die Folgenschwere dieses "monstruösen Föderationsprojektes" "in ihrer ganzen Fülle" fühle: Es lasse "sich nicht verkennen, daß durch eine solche Föderation die politische Existenz der beiden souverainen Höfe in höchstem Grad gefährdet werde, sie ganz in eine subordinierte Stelle zurückgedrängt, in Ausübung ihrer ihnen eingeräumten, durch die neuesten Friedensschlüsse förmlich bestätigten Souveränitätsrechte beschränkt und aufhören würden, selbständige Staaten zu sein"279. Taube erwidert hierauf, daß Württemberg, wenn es Bayern mit der Ablehnung des geplanten Bundes ernst sei, "die nämlichen standhaften Erklärungen erteilen und unwandelbar dabei beharren" werde280. Montgelas bekräftigt daraufhin noch einmal seine Ansicht, betont aber gleichzeitig, daß man bei der Vermeidung des Bundes so vorsichtig wie mög278 Der Bericht Taubes ist im Anhang von Raumers Studie vollständig abgedruckt. 178 Bericht Taubes, Anhang Prefecture francaise, S. 659. Raumer hebt besonders hervor, daß Montgelas mit der Bezeichnung "monstruöses Föderationsprojekt" für den geplanten Rheinbund sicher auf Samuel Pufendors Ausdruck vom Reich als "monstro simile" (siehe Einleitung Ir) angespielt habe, mit dem dieser den verhängnisvollen Niedergang der Reichsverfassung am vernichtendsten charakterisiert hatte. Zweifellos kannte Montgelas Pufendorfs Werk. Neben Vattels "Droit des Gens", Grotius (3 Werke), Schmauß (1730) und Ompteda (1785) gehörte eine Pufendorfausgabe von 1740 zu den 4 Natur- und Völkerrechtsbüchern, die Montgelas schon in Editionen vor 1800 besaß. Sie stand bis 1971 in seiner Bibliothek auf Schloß Egglkofen. Raumers Vermutung: "Daß Montgelas ... Pufendorfs Kennzeichnung der alten deutschen Reichsverfassung ,monstre simile' nicht gekannt oder gar niemals davon gehört haben sollte, erscheint sehr unwahrscheinlich" (S.647), ist damit bestätigt. 280 Bericht Taubes: Prefecture francaise, S. 659.
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lich vorgehen müsse; man müsse sich zunächst völlig im Klaren darüber sein, daß die überlegenheit Napoleons "so mächtig" sei, daß Bayern und Württemberg "auch ohne jene seltsame neue Föderation von Frankreich abhängig" seien. Das Allerwichtigste sei deshalb, "die zu ergreifenden Mesuren" reiflich zu überlegen, "diesen Schritt auf eine Art und nach einem genau abgemessenen und berechneten Benehmen vorzunehmen, damit man Frankreich kein Mißtrauen einflöße und sich keinem nachtheiligen Einfluß seiner bestehenden Influenz aussetze"281. Bayern werde deshalb den Freiherrn von Gravenreuth, der Napoleons besonderes Vertrauen genieße, in besonderer Kommission zum Leiter der Pariser Verhandlungen machen. Die Ablehnung des Beitritts zum Bunde könne freilich zur Folge haben, räsoniert Montgelas, daß die geplante "Ländervergrößerung" durch die im Bereich der Königreiche liegenden kleineren Stände daraufhin ausbleibe. Es könnte, befürchtet er, zu ihrer Reunion unter dem unmittelbaren Schutz Frankreichs kommen und die Folge davon wäre - er betont das Wort bedeutungsschwer - "in der Mitte des deutschen Reiches eine Prefecture francaise!"282 Dennoch aber sei dies für beide Höfe immer noch besser, selbst dieses Schicksal zu erleiden - sei es das geringere übel verglichen mit "der Eingehung der Föderation"283. Montgelas ist also bereit, lieber auf eine Geschlossenheit und Vollendung der Staatseinheit des bayerischen Staatsgebiets zu verzichten, als Bayerns Souveränität preiszugeben. Taube bestärkt ihn in dieser Ansicht: ,,(Ich) setzte hinzu, daß nach meiner Überzeugung es immer vorteilhafter sei, die kleinen Stände noch eine Zeitlang in dem Zustande ihrer Nullität zu sehen, ja selbst eine Reunion derselben unter erzkanzlerischem oder unmittelbarem französischen Schutz sich bilden zu lassen, als in eine Föderation zu treten, wodurch die politische Unabhängigkeit unserer Höfe sofort beendigt und die Ausübung der denselben eingeräumten Souveränitätsrechte ... abhängig gemacht werde und durch welche man auf der einen Seite Fesseln abwerfen solle, die nicht mehr bindende Kraft hätten, um neue Fesseln anzulegen, die jede Kraft und Selbständigkeit benähmen und unsere Souveräns in eine Lage versetzen müßten, die viel untergeordneter sei, als es die ältere durch den Preßburger Frieden aufgehobene jemals gewesen wäre2 84 ." !81 "Bei der indessen bestehenden und nicht zu verkennenden Influenz Frankreichs, die bereits so mächtig sei, daß sie ja auch ohne jene seltsame neue Föderation beide souveränen Höfe von Frankreich abhängig mache, würde ... es sehr notwendig werden, diesen Schritt auf eine Art und nach einem genau abgemessenen und berechneten Benehmen vorzunehmen, damit man Frankreich kein Mißtrauen einflöße ..." !8! Ebenda, S. 660. !8S Ebenda. !84 Ebenda.
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Graf Taube ist sogar noch bereitwilliger als Montgelas, den "Fortbestand der kleineren Stände" hinzunehmen, obwohl sie für den König von Württemberg in seinem Kampf um die Durchsetzung der inneren Souveränität ein weit ernsteres Störungselement sind als für Bayern. Er meint, daß, unabhängig von der "Ablehnung der Föderation" sich "spät oder früh" das Schicksal an ihnen sowieso vollziehen werde und es zu "Länder-Arondissements" kommen werde. Auf jeden Fall sei die Frage der kleineren Stände mit der Gefahr, die von Paris drohe, nämlich die, daß "die politische Unabhängigkeit und die Souveränität unserer Höfe unwiederbringlich verlorengehe", "nicht in Vergleich zu setzen"285. Das Gespräch Taubes und Montgelas' endet mit einem gemeinsamen Communique, daß "die Eingehung der projektierten neuen Föderation als höchst gefährlich und nachteilig erachtet" wird. Bayern und Württemberg sind entschlossen, alles an die Hintertreibung des "Bundes" zu setzen. Wobei Montgelas als der überlegene Taktiker nochmals betont, der Bund sei nur "auf eine Art abzulehnen, durch welche Frankreich nicht mißtrauisch gemacht, sondern bewogen werde, die bisher bestandenen Verhältnisse fortdauern zu lassen". Montgelas zielt darauf ab, durch eine Unterstreichung der bestehenden völkerrechtlichen Allianz zwischen Frankreich und seinen Verbündeten, Napoleon den Bund entbehrlich erscheinen zu lassen. Er sichert Taube zu, "nach gleichen, wohlerwogenen und nach allen Verhältnissen berechneten Grundsätzen zu handeln 286 wie Württemberg und stets mit diesem zusammenzuarbeiten. Schon am 8. Juli überreicht Montgelas Taube eine "Vertrauliche Note" für seinen König, in der das am 5. Juli Vereinbarte noch einmal schriftlich wiederholt wird. In einer weiteren Konferenz am 11. Juli, an der auch der König teilnimmt, versichert Montgelas dem württembergischen Gesandten, daß Bayern auf seiner Stellung als Reichsstand beharren werde, um den Eintritt in den Bund zu umgehen: Es werde sich vom Reich nur dann trennen, wenn es dazu gezwungen werde. Dieser Zwang sei auch gegeben, wenn die Trennung die einzige Möglichkeit wäre, den Rheinbund zu verhindern. In diesem Fall werde sie Bayern zweifellos zusichern und vollziehen. Montgelas schränkt damit seine noch in der ersten Zusammenkunft mit Taube gemachte Aussage, Bayern sei auf Grund der Souveränität " geneigt, dem bisher bestandenen Reichsverband gänzlich zu entsagen"287, wesentlich ein. Die Trennung vom Reich will er jetzt als wichtigste Trumpfkarte gegenüber Frankreich ausspielen. 285 Ebenda. 288 Ebenda, S. 661. 287 Ebenda.
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Die Konferenz vom 11. Juli endet damit, daß König Max und Montgelas dem württembergischen Sondergesandten versichern, der bayerische Gesandte Gravenreuth werde genau in diesem Sinne für die Verhandlungen in Paris instruiert werden. In der Tat enthält die Instruktien Gravenreuths288 , der am 16. Juli nach Paris abgeht, um den Abschluß des Rheinbundes unter allen Umständen aufzuhalten, noch einmal in präzisester Diktion die entschiedensten Vorbehalte Bayerns gegen das geplante Bündnis und begründet sie. Ihr wichtigster Satz stellt fest, daß dieser Bund der soeben in Preßburg garantierten Souveränitäten Bayerns schwerstens schade: "Le point premier et essentiel c'est de prevenir Notre entree dans la federation qui sous la forme qu'elle presente, ne peut que nuire a l'independance et a la souverainete pleine et entiere que Nous a garantie le traite de Presbourg." Durch den Allianzvertrag von Bogenhausen und das Schutz- und Trutzbündnis vom 12. Dezember, stellt die Instruktion fest, seien die Beziehungen Bayerns mit Frankreich gegenügend fixiert ("que le traite d'alliance du 23. septembre 1805 [Ratifikationsdatum des Bogenhausener Vertrages], le pacte offensif et defensif du 12. decembre dernier ont fixe d'une maniere fixe et determinee les rapports des deux Etats"). Gemeinsam mit Cetto, dem bayerischen Gesandten in Paris, soll Gravenreuth der kaiserlichen Regierung auseinandersetzen, daß der geplante Rheinbund völlig überflüssig sei, er würde nur ein neues Band an die Stelle des alten setzen. Die Instruktion spricht den festen Willen des Königs aus, lieber auf eine Vergrößerung als auf die Unabhängigkeit zu verzichten: "Nous ne balancerions pas un moment a preferer le maintien intacte de notre independance a un agrandissement." Gleichzeitig schreibt Max Joseph noch persönlich an Napoleon, seinen "Bruder" und "Cousin"28o. In seinem Brief sichert er ihm als wichtigstes Angebot Bayerns Trennung vom Reich zu, wenn Frankreich auf den Rheinbund verzichte. Den "Zwang", von dem Montgelas ausging, bringt Bayern also von selbst zur Sprache, um Napoleon von seinem Vorhaben abzubringen. Er werde "keine Schwierigkeiten" machen, schreibt Max J oseph, die Bande zu zerreißen, die ihn, seine Staaten und sein Haus bisher an den deutschen Reichskörper gebunden hätten. Aber er werde, wenn er sich von dieser "alten Körperschaft" trenne, in keine andere eintreten und für sich die "genaue, buchstäbliche Ausführung des Vertrages von Preßburg in Anspruch nehmen"! "Je ne ferai non plus aucune difficulte de rompre les liens qui ont attache jusqu'ici mes Etats 288
Abgedruckt als Beilage
S. 60 - 62.
1 im
Anhang bei Doeberl: Rheinbundverfassung,
288 Brief Max Josephs an Napoleon, Beilage 2 im Anhang bei Doeberl: Rheinbundverfassung, S. 62/63.
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et ma Maison au corps germanique. Mon ministre est autorise a en signer la declaration formelle; mais Votre Majeste Imperiale agreera sans doute, qu'en me separant de cette antique corporation, je n'entre dans aucune autre ... je reclame d'ailleurs l'execution stricte, litterale du traite de Presbourg aussi que la coptinuation de cette independance dont Elle meme a ete l'auteur et dont Elle so trouve aujourd'hui le garant." Aber sowohl dieses beschwörende persönliche Schreiben König Max Josephs an Napoleon als auch die am 14. Juli eiligst verfaßte Instruktion für Gravenreuth sind bereits Makulatur, als sie geschrieben werden. Auf dem Wege nach Paris trifft Gravenreuth in Rastatt einen Kurier des Gesandten Freiherrn von Cetto mit der von diesem unterzeichneten Rheinbundakte. Unter dem Druck Frankreichs, das Bayern bei der Verteilung der zu mediatisierenden Gebiete auszuschließen gedroht hat, hat Cetto bereits am 12. Juli unterschrieben. Zwischen den beiden führenden bayerischen Diplomaten kommt es zu leidenschaftlichen Auseinandersetzungen, wobei Gravenreuth - der sich als glühender bayerischer Patriot noch 1805 ganz für die konsequenteste Durchsetzung der Souveränität und Vergrößerung Bayerns gegen die Reichsritterschaft und kleineren Reichsstände eingesetzt hat und wegen seiner radikalen Frontstellung gegen das Reich das besondere Wohlwollen Napoleons erwarb, der jetzt aber ein ebenso radikaler Gegner des Rheinbundplanes ist die sofortige Abberufung Cettos und die Verweigerung des Eintritts in den Bund fordert. In München schlägt die Nachricht von der Unterzeichnung, die am 14. Juli, dem gleichen Tag, an dem die Instruktion an Gravenreuth morgens herausgegangen ist, eintrifft, wie eine Bombe ein; wiederholt zitiert worden sind König Max Josephs Sätze, in denen sich sein ganzer Zorn über die Eigenmächtigkeit des bayerischen Gesandten, seine Erbitterung und Enttäuschung entlädt: "Cetto hat gegen seine Vollmacht und gegen seine Instruktionen gehandelt. Wäre er hier unter die Augen gekommen, ich hätte ihm eine Kugel durch den Kopf gejagt290 ." Er schreibt diese Sätze an den Kronprinzen, der sich zu dieser Zeit als "Gast" des Kaisers - in Wahrheit als sein Geisel291 - in Paris befindet. Kronprinz Ludwig ist einer der größten Gegner Napoleons. Weiter heißt es in dem Brief seines Vaters: "Eine Intrigue steckt dahinter, glaube lieber Louis, deinem fünfzigjährigen Vater. Ich könnte dir viel darüber schreiben, aber ich traue dem Papier nicht ... Es ist eine traurige Sache, in diesem Jahrhundert Regent zu sein ... Du wirst es fühlen nach meinem Tode, d. h. bald, denn ich bin sozusagen ein abgelebter Mann, der alt ist ge180 Max Joseph an Kronprinz Ludwig, 14. August 1806, zit. in: Adalbert Prinz von Bayern, Max Joseph, 1957, S. 522. !U Vgl. Raumer: Prefecture francaise, S. 657.
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worden vor der Zeit. Mein moralisches ist noch kränker als mein Cörper." In einem "beinahe verzweifelten Rechtfertigungsversuch" erklärt er dem Kronprinzen das Gelingen der "Intrigue" mit Bayerns Ohnmacht: "Das Übel ist geschehen, zu verhindern war's nicht mehr, vorzüglich wegen dem Frieden mit Rußland und weil wir 150 000 Franzosen (ein andermal sagt er ,,150 000 ungebetene Gäste") im Land haben 292 ." Angesichts dieser Sätze bedarf es keines weiteren Kommentars darüber, welche Gefühle Max J oseph, der seinem Sohn daran erinnert, daß "Selbständigkeit" "das schönste Wort im Vocabulaire" sei, hinsichtlich der "Souveränität" bewegen, die Bayern bei Napoleon erwartet. Resignierend beugt er sich unter das "Joch der rheinischen Föderation". Weniger persönlich verzweifelt, in der Sache aber noch deutlicher, äußert sich König Friedrich von Württemberg. Er bezeichnet den Rheinbund als das "Todesurteil meiner politischen Existenz"293 und legt einen Tag vor der Ratifikation des schließlich nicht mehr zu vermeidenden Vertrages in Gegenwart seiner Söhne und Brüder sowie zweier Minister und eines Notars eine Verwahrungsurkunde nieder, in der er seine Loslösung vom deutschen Reich für erzwungen erklärt. Friedrich von Württemberg erscheint die alte Reichsverfassung mit ihren letzten staatsrechtlichen Bindungen im Vergleich zur Rheinbund-Verpftichtung als geradeZl.\ freiheitliches Paradies. König Max Joseph vollzieht die Ratifikation der Rheinbundakte nach zähem Widerstand am 25. Juli 1806. Zwei Männern gelingt es, ihn schließlich davon zu überzeugen, daß er nicht anders handeln kann: Montgelas und Cetto. Bayerns diplomatischer Vertreter am Pariser Hof verteidigt seine Unterschrift unter die Akte, welche die Souveränität Bayerns so stark einschränkt, in einem Schreiben an den König leidenschaftlich damit, daß er nur das Beste für Bayern gewollt habe. Er rechtfertigt seinen Schritt mit der Hinfälligkeit der Macht Napoleons. Wenn diese Macht einmal zusammengebrochen sei, werde sich zeigen, daß dieser Bund, der jetzt seinen Mitgliedstaaten noch erhebliche Souveränitätsbeschränkungen auferlege, dann von Bayern, seinem stärksten Staat, nur zum Vorteil benutzt werden könne: "Frankreich wird nicht immer die Kraftentwicklung behaupten, die es befähigt, drei Vierteile von Europa zu umspannen. Dieser Stand der Dinge hängt von der Aktivität seines gegenwärtigen Führers ab. Er entspricht weder der natürlichen Ordnung noch dem Wunsche und der Anschauung der Mehrheit der aufgeklärten Menschen dieses Landes. Wenn die Schwungfeder, die Frankreich in Schwung hält, eines Tages springen wird, wenn der Kaiser der Franzosen in die Grenzen der Gedankenwelt gewöhnlicher Sterbzu Siehe Anm. 290, ebenda. !13
Zit. bei E. Hölzle: Württemberg im Zeitalter Napoleons, a.a.O., S.
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licher zurückgekehrt sein wird, dann wird der König von Bayern es nicht zu bedauern haben, sich als Glied einer Konföderation zu wissen, die seiner nicht entbehren könnte und die, geschickt verwendet, das Werkzeug zur Größe und wahren Unabhängigkeit der bayerischen Monarchie werden wird294 ." Liest man den letzten Satz Cettos, so entbehrt er nicht einer gewissen Delikatesse im Hinblick auf den späteren Deutschen Bund und auf die großen Anklagen Bayerns gegen Österreich und Preußen, sie benutzten als stärkste Mächte den Bund nur als Werkzeug für sich selbst. Scheint er doch gewisse Hinweise dafür zu geben, nach welchen Richtlinien vielleicht auch Bayern seine Politik im deutschen Bund ausgerichtet hätte, wäre es selbst stark genug gewesen, dort eine führende Rolle zu spielen. Montgelas stimmt den Argumenten Cettos zu, stellt sich schützend vor diesen. Er verweist ebenfalls auf die Vorteile, welche der Bund mit Napoleon biete, auf die reichsständischen Gebiete in Franken, die zur Abrundung des bayerischen Territoriums notwendig seien; eine Verweigerung der Ratifikation gefährde darum den gesamten bisher gewonnenen Besitz. Vor allem aber weist er auf die ausweglose außenpolitische Lage hin: Bayern habe keinen Rückhalt an Österreich, das besiegt sei, keinen an Preußen, welches nur seinen eigenen Interessen folge; Bayern sei, nachdem inzwischen auch Württemberg dem Rheinbund beigetreten sei, völlig isoliert295 • Es bleibe nichts anderes übrig, als das gleiche zu tun. Der Bund sei unvermeidbar. Genauso überzeugt ist Montgelas aber auch davon, daß dieses Bündnis mit Napoleon nur ein zeitlich beschränktes sein wird, weit deutlicher als Cetto sagt er das. Die Allianz mit Frankreich ist von ihm von Anfang an nur als eine "temporäre" gedacht - als ein Bund auf Zeit, dessen politische Vorteile zu nutzen sind, dessen Bindungen weiteren verfassungsmäßigen Ausbau und innerer Festigung jedoch größten Widerstand entgegenzusetzen sind. Im selben Augenblick, da Bayern dem Rheinbund Napoleons beitritt, besteht das Konzept der Kontrepolitik Montgelas': die unerwünschtesten Einrichtungen des Bundes "regelrecht zu sabotieren"296. Zit. bei Doeberl: Rheinbundverfassung, S. 8. "Ce qui aurait isole mon opposition", mit diesem Satz rechtfertigt auch Max Joseph gegenüber Gravenreuth die Ratifikation der Rheinbundakte. (Zit. bei Doeberl: Entw.-Gesch. Bayerns 11, S. 354). Das Wort "isole" erscheint hier betont zum ersten Mal und taucht später vor und im Deutschen Bund bei den Gegnern Montgelas' immer wieder als beschwörendes Gegenargument gegen eine Politik der "vollen Souveränität" Bayerns auf. "Volle Souveränität" bedeute "Isolierung". 298 v. Raumer: Prefecture francaise, S. 643. 2Dt
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Die Widerstandspolitik Bayerns gegen den verfassungsmäßigen Ausbau des Rheinbundes ist von Michael Doeberl eingehend dargestellt vorden. Wir können uns deshalb darauf beschränken, nur die wichtigsten Etappen dieses Widerstandes darzustellen und zu zeigen, daß dabei immer wieder die Souveränität die entscheidende Hauptrolle spielt. Von Anbeginn an konzentriert sich alle Aufmerksamkeit in Bayern auf ein Verfassungsstatut des Rheinbundes, das der frühere Erzreichskanzler und jetzige Fürstprimas Karl von Dalberg laut Artikel 11297 , einem der wichtigsten Artikel der Rheinbundakte, ausarbeiten und der Versammlung der Rheinbundstaaten auf dem Bundestage vorlegen solL Seit Anfang August 1806 ist Dalberg - den einerseits die Sorge um seine persönliche Existenz und seinen Staat, andererseits aber auch der "Ehrgeiz, auf alle Fälle dabeizusein und bei der Neuorganisation Deutschlands eine große Rolle zu spielen" (Raumer), diese Aufgabe übernehmen läßt - auch tatsächlich mit der intensiven Ausarbeitung eines solchen Verfassungsstatuts beschäftigt, zusammen mit seinem Minister Albini. Dalberg ist sehr bemüht, den bei den größten Rheinbundstaaten Bayern und Württemberg von vorneherein die Befürchtung einer starken Souveränitäts-Beschränkung durch das Statut zu nehmen, um durch sie Unterstützung zu erhalten. Er erklärt zunächst, daß seine eigene Person und Rangstellung im Bund nicht den geringsten Obrigkeitsnimbus besitze und beteuert dem Vertreter Bayerns in Regensburg, Aloys Graf von Rechberg, daß er die Ausarbeitung des Statuts nur übernommen habe, um eine "völlige Unterjochung Deutschlands"298 abzuwenden. Sein Verfassungsplan sei deshalb so allgemein gehalten, daß er "mehr einer Verbindung einer Anzahl Souveräne zu einzelnen bestimmten Zwecken als einer förmlichen Staatsverfassung" gleiche; er habe lediglich ganz lockeren Staatenbundcharakter. Besonders hebt Dalberg hervor, daß die Zusammenkünfte der Rheinbundstaaten bei der Bundesversammlung in Frankfurt "so temporär und so kurz wie möglich"299 gestaltet werden sollen. Damit will er der etwaigen Befürchtung entgegenwirken, bei zu langen und zu häufigen 287 Art. 11 lautet: "Les epoques ou soit la Diete, soit un des Colleges separement devra s'assembler, le mode de leur convocation, les objets qui devront etre soumis ä leurs deliberations, la maniere de former les resolutions et de les faire executer, seront determines par un statut fondamental que Son Altesse Eminentissime la Prince-Primat proposera dans un delai d'un mois apres la notiftcation faite ä Ratisbonne et qui devra etre approuve par les Etats confederes. Le meme statut fixera definitivement le rang entre les membres du college des Princes." Zit. aus E. R. Huber, Dok., S. 28. 298 Undatierter Bericht Rechbergs, zitiert bei Doeberl: Rheinbundverfassung, S. 10. Der Kasten Schwarz 593/1 im Geh. Staatsarchiv München, in dem die Berichte Rechbergs aus Regensburg u. a. wichtige Akten bisher lagen, wurde aufgelöst. Sie finden sich jetzt unter MA 5806. !O9 Ebenda und folgende wörtliche Zitate.
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Sitzungen könne zu viel erörtert werden, was geeignet sei, die Souveränität der Bundesstaaten eventuell weiter zu beeinflussen. Es gelte zunächst einmal überhaupt so schnell wie möglich zusammenzukommen, um "weitergehende Zumutungen" des Protektors durch eigene Satzungsvorschläge zuvorzukommen, läßt Dalberg Bayerns Vertreter nach München melden. Man müsse sich vor allem um eine Gerichtsinstanz einigen, die alle eventuellen Streitigkeiten, wie sie z. B. bei der territorialen Verteilung immer wieder aufträten, regele. Diese Gerichtsinstanz solle absolut kein obrigkeitliches Tribunal im Stile des alten Reichskammergerichtes sein, aber doch so viel reale Kompetenz und Entscheidungsbefugnis besitzen, um Napoleon jeglichen Vorwand zu nehmen, sich in seiner Eigenschaft als Protektor des Bundes als Richter aufzuspielen. Gleichzeitig informiert Dalberg darüber, daß das Departement der auswärtigen Angelegenheiten in Paris "in der größten Aktivität" an der Vorbereitung einer Konstitution für die rheini...; sche Konföderation sei. Diese Information stimmt. Wenig später trifft der französische Rheinbundbevollmächtigte Bacher in Regensburg ein. Auf seine briefliche Instruktion erscheint am 9. September der französische Gesandte am Hof in München, Otto, bei Montgelas in München und verlangt die sofortige Entsendung eines Bundestagsgesandten Bayerns nach Frankfurt. Doch Montgelas und König Max Joseph denken nicht daran, diesem Bescheid nachzukommen. Otto wird kühl erklärt, Bayerns Regierung sei bisher weder offiziell und förmlich über den Versammlungsort der Bundesversammlung unterrichtet, noch sei ihr das vom Fürstprimas ausgearbeitete Statut constitutionell vorgelegt worden. Man bleibt in Bayern auch abwartend, als wenige Tage später höchst bedrohliche Gerüchte kursieren: Frankreich, meldet Rechberg aus Regensburg, beabsichtigte die Bundesversammlung aufzufordern, drei Bundestribunale einzurichten - eine haute cour legislative, eine haute cour executive und eine haute cour judiciaire zur Regelung aller Streitigkeiten; ferner habe Napoleon einer großen Anzahl mediatisierter Fürsten, die sich beschwerdeführend gegen die neuen süddeutschen Souveräne an ihn gewandt hätten, versprochen, daß Frankreich auf der Bundesversammlung prüfen werde, ob alles rechtens zugehe. Rechberg erhält darauf die Weisung, diesen Meldungen genau nachzugehen, denn es bedürfe wohl keiner weiteren Erklärung, daß "die Souveränität" der konföderierten Staaten "in ihrem Grundbegriffe gänzlich aufgehoben wäre"30o, wenn das wahr wäre. 300 Undatierter Bericht Rechbergs, zitiert bei Doeberl: Rheinbundverfassung,S.12.
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Auf Bayerns Einwände hin fordert Fürstprimas Dalberg am 13. September 1806 in einer förmlichen Zirkulardepesche alle Bundesstaaten zur Beschickung des Bundestages in Frankfurt auf, wobei er zugleich mitteilt, was auf diesem ersten Bundestag behandelt werden soll: Unverletzlichkeit des Bundesgebietes, Verhinderung aller Truppendurchzüge, Ausschluß fremder Gesandter vom Bundestag. Das Programm klingt unverfänglich, weshalb der politische Referent im bayerischen Staatsministerium des Äußeren, der Geheime Rat von Zentner, der sich von nun an als hervorragender Jurist in allen Souveränitätsfragen immer stärker in den Vordergrund schiebt, nun doch die Entsendung eines bayerischen Bevollmächtigten nach Frankfurt empfiehlt. Diese würde "weder der Würde des Königs noch dem Allerhöchsten Staatsinteresse entgegen sein". "Vielmehr", meint Zentner, werde "durch die Einwirkungen des königlichen Gesandten vielleicht manches abgehalten werden, was der Unabhängigkeit und der Souveränität der königlichen Staaten nachteilig werden kÖnnte"SOl. Montgelas schließt sich diesem letzten Argument Zentners an. Der König jedoch nicht. Er lehnt die Abordnung eines bayerischen Gesandten auch jetzt ab. Am 7. Oktober erhält Dalberg auf seine Zirkulardepesche vom 13. September den offiziellen Bescheid, daß Bayern die darin aufgestellten Grundsätze zwar billige, jedoch vor einer Beschickung des Frankfurter Bundestages auf der Vorlage eines fertigen Verfassungsentwurfes bestehen müsse. Dieser abschlägige bayerische Bescheid bewirkt, daß die erste und einzige Sitzung des Bundestages, die bereits auf den 16. Oktober 1806 angesetzt worden ist, unterbleibt. Auch Württemberg hat keinen Gesandten nach Frankfurt geschickt. Baden ruft seinen Vertreter daraufhin ebenfalls ab. Die Reaktion Napoleons hierauf ist, abgesehen von einem heftigen Auftritt gegenüber Dalberg in Aschaffenburg, zurückhaltend. Der bevorstehende Krieg mit Preußen und Rußland nimmt alle seine Aufmerksamkeit in Anspruch, der verfassungsmäßige Aufbau des Rheinbundes muß zurücktreten. Worum es ihm zuallererst geht, ist die Einlösung der militärischen Verpflichtungen der Rheinbundstaaten, die Stellung ihrer Kontingente und die Verhinderung des Durchzugs preußischer Truppen. Deshalb hält er es sogar für angebracht, seinen Verbündeten eine ganz besondere Zusicherung zu geben - er beschwichtigt ihre Besorgnisse wegen der Souveränität: "Nous n'entendons en rien nous arroger la portion de souverainete qui exercait l'empereur d'Allemagne comme suzerain. Le gouvernement des peuples que la Providence nous a confies occupant tous nos moments, nous ne saurions voire croitre nos obligations sans etre alerme. Comme nous ne voulons pas qu'on puisse nous attribuer 301
Zit. ebenda, S. 13.
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1. Von Kurfürst Maximilian I. bis zum Vertrag von Ried 1813
le bien que les souverains font dans leurs Etats, nous ne voulons pas non plus qu'on nous impute les maux que la vicissitude des choses humaines peut y introdiuire. Les affaires interieurs de chaque Etat ne nous regardent pas. Les princes de la Confederation du Rhin so nt des souverains qui n'ont point de suzerain302 ." Napoleon betont also, daß er keineswegs die Absicht habe, sich wie ehedem der Kaiser im Reich als "Suzerain" über die souveränen Fürsten seines Bundes zu erheben, sondern sie sollten wirkliche Souveräne sein ohne jede Einschränkung. Interessant ist, daß er hier, wie Montgelas in seinen Staatsschriften Ende des 18. Jahrhunderts, den Ausdruck "Suzerain" für den Kaiser verwendet. Die Erklärung beweist, daß auch Napoleon die ehemaligen Reichsterritorien schon als im Grunde souveräne Staaten ansah. Da dennoch der Kaiser über ihnen stand, gibt er diesem, wie Montgelas, den Titel "Suzerain". Aus demselben Grund heißt die Souveränität, die Frankreich seinen Verbündeten 1805 verspricht, "souverainete pleine et entü~re", jene Formel, die den nunmehr völlig unabhängigen souveränen Zustand gegenüber ihrer bis dato souveränen Existenz ganz unmißverständlich bezeichnen soll. So geht der Frankfurter Bundestag auseinander, ohne daß er eigentlich getagt hat. Am 17. Oktober, unmittelbar nach der Schlacht von Jena und Auerstädt (14. Oktober 1806), teilt Dalberg offiziell mit, daß die Gesandten der einzelnen Bundesstaaten auf die Bedenken der Könige von Bayern und Württemberg hin wieder nach Hause zurückgekehrt seien. Der verfassungsmäßige Ausbau des Rheinbundes ist zunächst gescheitert. Am Krieg gegen Preußen muß Bayern mit zwei Divisionen (Führung: Wrede und Deroy) teilnehmen. Es ist zu fest an Frankreich gebunden, als daß es sich der Heeresfolge Napoleons entziehen kann. Zum anderen ist es das gute Verhältnis Bayerns zu Preußen, gegen das Krieg zu führen es noch 1805 unter allen Umständen hätte vermeiden wollen, in den letzten Monaten erkaltet. In Franken hat es ständig Auseinandersetzungen gegeben, bei der übergabe Ansbachs hat Preußen große Schwierigkeiten wegen der säkularisierten Güter gemacht, ebenso bei der Besitzergreifung Nürnbergs wegen der drei Grenzämter Grafenberg, Hilpoltstein und Betzenstein. Wiederholt hat Preußen verlauten lassen, es betrachte die Abtretung Ansbachs nur als provisorisch und werde sich der Abtrennung einer so wichtigen Provinz nicht fügen. Im bayerischen Kabinett ist man deshalb immer mehr zur überzeugung gekommen, daß Ansbach nur behauptet werden kann, wenn Preußen aus ganz Franken, also auch aus Bayreuth, verdrängt wird. Vor Beginn des Krieges eröffnet Napoleon Bayern denn auch tatsächlich Aussichten auf die Markgrafschaft Bayreuth. 302
Corespondence de Napoleon Iier, Bd. XIII, S. 168.
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Bayern erhofft sich von dem Krieg gegen Preußen vor allem Landvergrößerung. Einen großen Gewinn hat es jedoch schon vor Beginn der Kampfhandlungen. Der Abmarsch der 150 000 Franzosen, die seit dem Frieden mit Österreich im Land stehen, erlöst es von der Last der Reqrisitionen, die nahezu unerträglich geworden sind. Ein Brief der Gräfin Montgelas an Talleyrand gibt von der gereizten Stimmung in Bayern gegen die Franzosen, die von Monat zu Monat heftiger geworden ist, sprechend Zeugnis: "Ich verabscheue diejenigen, die auf Kosten meines armen Vaterlandes leben und seine Blutsauger sind", schreibt die Gräfin empört. "Hat man denn seitdem die Welt steht, Allierte gefunden, so gefräßig wie Ihr seid, die einen Aufenthalt nehmen, dessen Ende man nicht absieht, die keine Miene machen, zu bezahlen303 ." Auch Montgelas sieht im Krieg gegen Preußen, wie immer er ausgehen werde, als erstes Positivum, daß er zunächst der geplagten Bevölkerung eine "fühlbare Erleichterung" verschafft: "Quelque contraire qu'une guerre entre la France et la Prusse soit a notre politique et a nos interets, elle produira au moins un soulagement sensible aux peuples de V. M.te et il est essentiel de la leur faire envisager sous ce point de vue3°4 ." Sehr bemerkenswert ist an diesem Satz sicher auch, daß Montgelas ganz betont von "dem Krieg zwischen Frankreich und Preußen" spricht, nicht vom Krieg zwischen Preußen und Bayern. Er will damit den König beruhigen, der wegen der unumgänglichen Kriegsteilnahme gegen Preußen in großer Sorge ist und sich alles andere als wohl dabei fühlt; wie überhaupt das Gefühl der Angst und Unsicherheit den sensiblen König im ganzen Zeitraum des Bündnisses mit Frankreich kein einziges Mal verläßt. Die Anerkennungen und Auszeichnungen, die sich die bayerischen Truppen im Krieg gegen Preußen, obwohl sie nicht an den großen Entscheidungsschlachten von Jena und Auerstädt beteiligt sind305 , erwerben, steigern das Selbstbewußtsein der bayerischen Regierung gegenüber Frankreich sehr. In zwei Denkschriften vom 3. Dezember 1806 und in einer Instruktion vom 5. Dezember für Chevalier de Bray, dem ehemaligen Gesandten Bayerns am Berliner Hof, der in Paris bei den Friedensverhandlungen neben dem Freiherrn von Gravenreuth für die Interessen Bayerns eintreten soll, kommt es zum Ausdruck. In allen drei Dokumenten, die M. Doeberl als Beilagen 3, 4 und 5 im Anhang seiner Rheinbundstudie abdruckt306 , geht es neben der Frage der Absicherung der Grenzen Zit bei DoebeTl: Entw.-Gesch. Bayerns II, S. 355. Ebenda, S. 358. 305 Sondern in der Hauptsache Sicherungs- und Deckungsaufgaben beim Vonnarsch der französischen Hauptarmeen übernehmen. Gemeinsam mit württembergischen Truppen nehmen sie die schlesischen Festungen Glogau und Breslau ein. 30S
304
308
S. 63 - 65.
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1. Von Kurfürst Maximilian I. bis zum Vertrag von Ried 1813
und der Forderung der versprochenen Markgrafschaft Bayreuth von Preußen sowie Salzburgs und des Innviertels von Österreich vor allem um die Frage der Rheinbundverfassung und um die Souveränität. Der Rheinbund dürfe, heißt es - auch wenn Napoleon nach seinem Triumph um so mehr darauf dringen werde - unter keinen Umständen verfassungsmäßig weiter ausgebaut werden; das wichtigste politische Ziel Bayerns bleibe es, "daß die Souveränität in allen ihren inneren und zum Theil auch in den äußeren Verhältnissen unbeschränkt erhalten werde"307. Der zweite Teil dieser Forderung geht von der Prämisse aus, daß die äußere Souveränität Bayerns stark beeinträchtigt bzw. ganz bedroht ist - sie soll wenigstens "zum Theil" erhalten werden. Wie das allerdings geschehen soll, wird nicht gesagt. Um die innere Souveränität des bayerischen Königs steht es aber kaum besser. Das zeigt am drastischsten der Fall des Nürnberger Verlegers Palm. Der Verleger, Untertan des bayerischen Königs, der in seiner Flugschrift "Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung" die deutschen Fürsten zur Verteidigung des Vaterlandes gegen Napoleon aufgerufen hat, wird zusammen mit fünf anderen Nürnberger Buchhändlern sofort vor ein französisches Kriegsgericht gestellt, wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und gleich darauf hingerichtet. Das Vorgehen Frankreichs ist ein klarer Eingriff in die Gerichtshoheit des bayerischen Staates und demnach in dessen innere Souveränität. Der unbekannte Verfasser der zweiten bayerischen Denkschrift traut sich noch weiter vor. Die Denkschrift wünscht die.Entlassung aus dem Rheinbund und den Abschluß eines lediglich völkerrechtlichen Bündnisses mit Frankreich: "Alors les relations entre la France et la Baviere devraient etre tracees sur une plus grande echelle. Elle (la Baviere) cesseroit de faire part de la confederation du Rhin ... Ainsi ci la confederation constitutionelle, d'ailleurs imparfaite, qui existe ci present, succederoit une confederation politique ... 308." Auch König Max Joseph spricht offen von einem Austritt aus dem Rheinbund: "J'adopte particulierement l'idee de sortir de la federation du Rhin"309, schreibt er in seiner Instruktion vom 5. Dezember an Bray und erklärt sich für die Bildung einer großen Liga, bestehend aus Italien, Neapel, Helvetien und Holland, in der der Kaiser eventuell als Schiedsrichter bei allen Streitigkeiten zwischen den Allierten auftreten könne. In diesem Falle ist er sogar bereit, das Truppenkontingent Bayerns bis auf die höchstmögliche Kapazität von 40 000 Bewaffneten zu erhöhen. 307 308
301
Dok. 3, S. 63. Dok. 4, S. 64. Dok. 5, S. 65.
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Er ist zu allem bereit, wenn Bayern nur wieder von dem engen Bund mit Frankreich loskommt. Der größte Verdienst, schreibt er dem bayerischen Gesandten geradezu beschwörend, den dieser seinem Fürsten und Staate leisten könne, sei der, daß es ihm gelänge, dem Vertrag mit Frankreich wieder den Charakter einer einfachen Offensiv- und Defensivallianz zu geben, und die Beziehung Bayerns zu Frankreich auf die Ebene zurückzuführen, die man nie hätte verlassen dürfen. "En general, le plus grand service que vous puissies Me rendre, sera, de donner a ce qu'on concluera la simple apparence d'une alliance offensive et defensive et defensive, ent evitant tout ce qui croit au dela, et de ramener ainsi les rapports de la France et de la BaviE~re a la base originaire dont ils n'auraient jamais du etre ecartes." Erst nach dem Frieden von Tilsit im Juli 1807 hat Bray jedoch Gelegenheit, vor Napoleon zu treten, und dabei kommt der Wunsch des bayerischen Königs, aus dem Rheinbund auszuscheiden, erst gar nicht zur Sprache. Als Triumphator ist Napoleon nach Paris zurückgekehrt, er steht auf dem absoluten Gipfelpunkt seiner Macht. Er hat Preußen besiegt, hat von allen geschlagenen Mächten die Anerkennung des Rheinbundes erzwungen, hat die französischen Vasallenstaaten Westfalen und Warschau geschaffen und ihnen französische Konstitutionen gegeben. Er soll Bayern aus dem Rheinbund entlassen? Wie völlig illusionär derartige Hoffnungen sind, drückt Cetto warnend in Paris aus: "L'empereur est arrive ici avec un sentiment prononce de sa toute- puissance et de la facilite avec la quelle il pourra dorenavant executer sans resistance ses voeux et ses projets sur le continentSlO ." Schon bald darauf bestätigen viele besorgniserregende Nachrichten, die an den Hof von München gelangen, diese Vermutung Cettos. Man erfährt, daß - wie gerüchtweise schon früher verlautete - Napoleon dem Rheinbund nunmehr eine wirkliche verfassungsmäßige Organisation geben und auf innere Landesangelegenheiten erstrecken will, besonders, was die Frage der Mediatisierten angeht. Napoleon sind die Klagen der ehemaligen Reichsfürsten und -grafen, deren Unterwerfung unter die Herrschaft seiner Allianzpartner er 1805 so unnachgiebig gefordert hat, um den Reichskörper zu zerschlagen, nun ein hochwillkommenes Druckmittel gegen seine eigenen Verbündeten. Nach München wird weiter berichtet, daß Dalberg in "einem von Napoleon geforderten Gutachten die Einrichtung eines Bundesgerichtes vorgeschlagen habe, das einem zweiten Reichshofrat sehr nahe komme"; dieses Bundesgericht, sei vor allem immer wieder durch den Bevollmächtigten der Mediatisierten, den fürstlichen Löwensteinschen Rat von Feder 310 Zit. bei Doeberl: Rheinbundverfassung, S. 17 und folgende wörtliche Zitate.
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gefordert worden, der sich im französischen Hauptquartier befunden habe und dessen ganzes Bemühen dahin gegangen sei, zu erwirken, daß in der Bundesakte "den Souveränen keine anderen Rechte über die mediatisierten Länder eingeräumt werden möchten als solche, die in der früheren Reichsverfassung dem Kaiser und dem Reichstag zugestanden" wären und daß ein Gericht niedergesetzt werde, daß die zwischen den Souveränen und den Mediatisierten entstehenden Streitigkeiten zu entscheiden hätte. In München ist man auf diese Nachrichten hin sehr bestürzt. Montgelas sieht seine Vermutung, die er schon im Dezember 1806 ausgesprochen hat, bestätigt, nämlich, daß Napoleon den Spieß umdrehen und den Fürstprimas und die Mediatisierten zu seinen Verbündeten gegen die Souveräne machen könne und die Tendenz dahin gehen könne, "die ehemalige Reichsverfassung nur unter einer anderen Gestalt wieder einzuführen und die Konföderation in eine förmliche Staatsverfassung umzuwandeln, durch welche die junge Souveränität wesentliche Modifikationen erhalten würde"311. Der bayerische Gesandte in Frankreich, Cetto, kann jedoch in Paris, wohin Dalberg am 4. August auf Einladung Napoleons gereist ist, keine direkte Bestätigung für alle wildwuchernden Gerüchte finden. Wie ihm Dalberg selbst gesagt habe, schreibt er nach München, beruhe der Verfassungs entwurf, der dem Kaiser ausgehändigt worden sei, auf dem Prinzip, daß "das konföderierte Deutschland nicht eine Monarchie, sondern eine Assoziation von unabhängigen Souveränen zur Aufrechterhaltung des äußeren und inneren Friedens sei"312. Der Fürstprimas betrachte die Einsetzung eines Bundesgerichtes als unvereinbar mit diesem Prinzip und schlage vielmehr vor, Auseinandersetzungen zwischen den Rheinbundgliedern durch gewählte Schiedsrichter aus der Bundesversammlung entscheiden und ihre Beschlüsse durch die Könige von Bayern und Sachsen in den Grenzen ihres früheren Reichsvikariats ausführen zu lassen. Dalberg habe ihm, Cetto, weiter versichert, daß in der Verfassungsfrage gewiß nichts beschlossen werde, ohne die Könige von Bayern und Sachsen zu Rate gezogen zu haben. Die Berichte Cettos vermögen den König und Montgelas jedoch kaum zu beruhigen. Ihre Befürchtungen bleiben. Die große Gefahr für die Rheinbundstaaten sieht Montgelas allein schon darin, daß Dalberg seinen Verfassungsentwurf den Gliedern des Bundes erst so spät vorlegt, daß sie keine Zeit mehr hätten, "um die ihrer Souveränität nachteiligen
311 Schreiben an Bray v. 10. Dez. 1806, zit. bei Doeberl: Rheinbundverfassung, S. 18, Anm. 3. 312 Zit. bei Doeberl: Rheinbundverfassung, S. 21.
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Bestimmungen daraus zu entfernen"313. Dies sei unzumutbar. Es müsse den Bundesstaaten unbedingt möglich sein, "einen entscheidenden Einfluß auf die Gestaltung des Verfassungsentwurfes selbst zu gewinnen ... , um die ihrem Interesse nachteiligen Vorschläge abzuwenden". In dieser Richtung bewegen sich, wie M. Doeberl gezeigt hat, alle Bemühungen der bayerischen Politik von der Jahreswende 1806/07 bis zum Spätherbst 1807. Dabei geht es bei allen diesen Bemühungen der bayerischen Vertreter sowohl in Dresden, in Berlin, im französischen Hauptqautier und in Paris immer wieder um die Souveränität. Der entschlossene Widerstand seines wichtigsten deutschen Allianzpartners trägt wesentlich dazu bei, daß Napoleon immer wieder zögert und seine Entscheidung über den Verfassungsentwurf Dalbergs und die verfassungsmäßige Gestaltung des Rheinbunds überhaupt immer wieder mit "Rücksichtnahme auf Bayern" verschiebt. Erst im Spätherbst 1807 entschließt er sich zum Handeln. Er lädt den bayerischen König und Montgelas zu Besprechungen über die Verfassung des Rheinbundes und die Stellung Bayerns zum Bund nach Mailand in Oberitalien ein. Am 16. November, unmittelbar nach der Regelung der westfälischen Verfassungsverhältnisse, bricht er, mit seinem Außenminister Champagny, nach Mailand auf, Max 1. Joseph und Montgelas reisen am 22. November von München ab. Die Ergebnisse der Mailänder Konferenz und die im Anschluß daran von der bayerischen Regierung, insbesondere von Montgelas, getroffenen' politischen Maßnahmen, hat wiederum Michael Doeberl durch die Veröffentlichung von zwei der wichtigsten Dokumente zur Geschichte Bayerns in der Rheinbundzeit aufgezeigt. Es sind das Protokoll der Sitzung der Geheimen Staatskonferenz vom 20. Januar 1808, in der Montgelas ausführlich über die Mailänder Zusammenkunft berichtet314 , und eine unmittelbar vor dieser Sitzung von Montgelas für seinen König abgefaßte Denkschrift, welche die "Marschroute" für die zukünftige Politik Bayerns enthält. Napoleon, der über die Souveränitäts-Sorgen Bayerns auf das genaueste unterrichtet ist, sicher sogar von der letzten Absicht Max J osephs, wieder aus dem Rheinbund auszutreten315 , durch den sehr klugen Vertrauensmann, den Chevalier de Bray, erfahren hat, eröffnet die Mailänder Konferenz mit einem taktischen Paukenschlag. Er erklärt, er stelle es dem König von Bayern völlig frei, wieder aus dem Rheinbund 313 Zitiert bei demselben, S. 22 und folgende wörtliche Zitate. Beilage 7, S. 73 -79 "Protokoll über jene Gegenstände, die in der heute gehaltenen königlichen Geheimen Staats-Conferenz vorgetragen und entschieden worden". 315 Vgl. Doeberl: Rheinbundverfassung, S. 25. 3lt
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auszutreten. Wenn er sich stark genug fühle, einer solchen Stütze zu entbehren, liege es ganz bei ihm, politisch ebenso frei dazustehen wie Schweden oder Dänemark. Nur müsse er darauf bestehen, daß Bayern die mit Frankreich geschlossenen Verträge einhalte. Natürlich ist es Napoleon mit dieser Feststellung nicht ernst und sein Vergleich Bayerns, das als Macht zweiten Grades eingekeilt mitten zwischen den Großmächten Europas liegt und immer danach seine Politik ausrichten muß, mit den im hohen Norden am Rande Europas und der europäischen Politik liegenden Mächten Schweden und Dänemark, soll nur die Absurdität und Irrealität der bayerischen Wünsche demonstrieren. Montgelas entgeht der versteckte Hohn dieses Vergleiches nicht. Er weiß, daß der Imperator dieses Angebot niemals ernst meint318. Napoleon hält sich auch nicht länger bei seinem so spektakulären Freistellungs-Vorschlag, der Montgelas nur Bayerns schwache Position ins Licht rücken soll, auf, sondern geht gleich ins Konkrete, den verfassungsmäßigen Ausbau des Rheinbundes. "In Deutschland", erklärt er Montgelas, "müsse etwas geschehen, um den unruhigen Zustand, der noch immer herrsche, zu entfernen und Ruhe und Ordnung zurückzuführen". Deshalb müßten endlich "die ersten Grundlinien aufgezeichnet werden, wonach die organischen Gesetze der Konföderation zur Vereinigung der Interessen und Hebung aller Kollisionen bestimmt werden könnten"317. Und dann kommt ein ganz großer Schachzug Napoleons. Er fordert den leitenden Minister Bayerns auf, der sich dem Rheinbund aus Sorge um den weitestmöglichen Erhalt der soeben erst errungenen Souveränität am hartnäckigsten widersetzt, auf, selbst den Entwurf zur Verfassung des Bundes vorzulegen. Damit hofft er den Widerstand Bayerns, das nun keine Handhabe mehr hat, andere Verfassungsentwürfe abzulehnen, endgültig zu brechen und es zugleich als verfassungsgebende Macht des Rheinbundes unwiderruflich auf seine Seite zu ziehen. Noch ehe sich Montgelas von seiner überraschung erholt hat, stellt Napoleon schon die wichtigsten Forderungen auf, die bei der Verfassung UI In der Sitzung vom 20. Januar 1808 stellt er es nochmals ausdrücklich fest. "Nach seiner überzeugung", erklärt er, "könne er ... die von dem Kaiser Napoleon geschehene Äußerung, daß es Sr. Königlichen Majestät von Bayern frey stehe, sich von der Confoederation zu trennen und ebenso wie Schweden und Dänemark ohne alle weiteren Verbindungen als jene zu herrschen, sich nie von der mit Frankreich geschlossenen Offensiv- und Defensiv-Allianz zu entfernen, nie als aufrichtig und im Ernste gemacht betrachten; es liege dem Kaiser zu viel daran, dieses mit so vieler Sorgfalt und Feinheit errichtete Gebäude der Föderation, wodurch Frankreich einen starken Damm und eine Vormauer in dem kräftig vereinigten Teutschland erworben und wodurch es sich eine leichte, schnelle und directe Communication mit Italien bereitet, aufrecht zu erhalten, als daß er so leicht zugeben könne, daß eines der mächtigsten Glieder der Konfoederation lich losreiße und vielleicht mehreren izt verbündeten Fürsten zu einem ähnlichen Schritte den Muth einflöße". 317 Beilage 7, S. 76 und folgende wörtliche Zitate.
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des Rheinbunds beachtet werden müßten. Er verlangt eine größere Angleichung an die Staatseinrichtungen und Verwaltungsgrundsätze Frankreichs, er will die Einführung gewisser einheitlicher Einrichtungen und Grundsätze, "dispositions generales", in der Staatsverfassung und Staatsverwaltung, der Gesetzgebung im Sinne der Staatseinheit, der sozialen "egalite", sowie der bürgerlichen "liberte" im Sinne der Errungenschaften der französischen Revolution, mit deren er das deutsche Volks moralisch für Frankreich zu erobern hofft. Er besteht besonders auf einer einheitlichen Organisation der Post und des Handelsverkehrs. Er fordert weiter Generalbestimmungen gegen die Privilegien der Provinzen und der gefreiten Stände. Als ganz besonders wichtig betont er die Einführung des Code Napoleon. Alle diese Forderungen Napoleons teilt Montgelas in der Staatskonferenz vom 20. Januar 1808, an der neben dem König noch die Minister Graf von Morawizky und Freiherr von Hompesch teilnehmen, mit. Dann gibt er bekannt, daß er, wie Napoleon verlangt habe, einen Entwurf zur Verfassung des Rheinbundes erstellt habe. Zu seinem Entwurf sagt Montgelas selbst: "Sobald man die Existenz einer Föderation als Körperschaft annimmt, kann man unmöglich weniger Einfluß gewähren als es in diesem Verfassungsentwurf geschehen318 ." Er ist "ein fortgesetzter Vorbehalt zugunsten der bayerischen Souveränität"319. Der Entwurf beginnt mit dem Postulat, daß in der rheinischen Bundesakte allen dort konföderierten Staaten die volle und uneingeschränkte Souveränität vertragsmäßig vor dem Angesicht Europas verbürgt worden sei. "La conservation intacte de la souverainete pleine et entiere a He promise a tous les Etats confederes, indifferemment par un traite solonell a la face de l'Europe32o ." Von diesem Postulat müsse jedes Verfassungsstatut des Bundes ausgehen. Zu den Kompetenzen des Bundestages dürfe daher weder das Recht der Gesetzgebung, noch das der Entscheidung über Krieg und Frieden noch das der Besteuerung gehören, da diese Rechte die entscheidensten Attribute der Souveränität der einzelnen Staaten seien. Wörtlich formuliert Montgelas: 1. "Il ne peut etre question d'y faire des lois, cette progative essentielle de la souverainete apparteint a chaque Etat en particulier." 2. "Elle (la Diete) ne peut s'occuper ni de la guerre ni de la paix, cette branche de fait partie de la souverainete." 3. "La Diete ne sauroit imposer ni lever des Contributions, ce droit est inherent a la souverainete." 818 118
Montgelas, zitiert bei Doeberl: Rheinbundverfassung, S. 30.
Doeberl: ebenda.
a!o Montgelas' Verfassungsentwurf für den Rheinbund, abgedr. als Beilage 8b bei Doeberl: Rheinbundverfassung, S. 80 - 88.
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Besonders betont Montgelas das Gesetzgebungsrecht, das Kriegs- und Friedensrecht und das Recht der Steuern, diejenigen Souveränitätsrechte, die er durch den Bund am meisten bedroht sieht. Bodin zählte diese Rechte als die wichtigsten Souveränitätsrechte auf; fast noch mehr aber werden sie, insbesondere das Gesetzgebungsrecht, von Montgelas' geistigem VaterVatte~ hervorgehoben321 • Dann greift Montgelas auf die alte Reichsverfassung zurück. Dort hätten, erklärt er im Begleittext, Haupt und Glieder, Kaiser und Reichsfürsten vereint im Reichstag, gemeinsam die Souveränität innegehabt. Jedes Glied in diesem Gremium sei völlig unabhängig und Herr seiner Entschlüsse gewesen. Auch wenn die Mehrheit sich für einen Krieg, vorgeschlagen etwa vom Kaiser, entschieden hätte, hätte ein anders denkendes sich weigern und neutral bleiben können: "Dans le ci-devant Empire d' Allemagne la Souverainete residoit dans l'integrite du Corps Germanique, compose de la reunion du chef et des membres. L'Empereur proposait la guerre, demandait des secours d'hommes et d'argent, on pouvait se dec1arer contre, lui refuser tout subside et meme rester individuellement neutre, quand la pluralite des suffrages s'etoit prononcee pour la guerre." Montgelas preist hier die Verfassung des vielgeschmähten alten Reiches, das Napoleon durch die "souverainete pleine et entiere", die er seinen Verbündeten ermöglicht hat, ausgelöscht hat, als geradezu beispielhaft in bezug auf Rücksicht und Toleranz den einzelnen Reichsgliedern gegenüber. Er stellt Napoleon das Reich als Vorbild hin! Bei seiner Darstellung, wer im alten Reich die Souveränität innegehabt habe, geht er übrigens klar von der auf Bodin zurückgehenden Souveränitätsbestimmung aus. Was Montgelas dem Bundestage lediglich zugestehen will, ist: 1. schiedsrichterliche Entscheidung bei Streitigkeiten zwischen Bundesmitgliedern ("la Diete federale ne peut exercer d'autre pouvoir que celui: d'etre l'arbitre de tous les differends qui s'elevent entre les princes et Etats federes ... "). 2. Bewilligung oder Verweigerung von Truppendurchzügen durch Bundesgebiet ("de deliberer sur le passage a accorder ou a refuser aux troupes des princes etrangers a la Federation qui voudroient entraverser le territoire"). 3. Entgegennahme aller Verlautbarungen des Protektors, die dieser auf Grund der Bundesakte vom 12. Juli 1806 erlassen kann ("d'etre le centre de toutes les communications que le Pro811 Siehe Vattel, Livre I, Chap. IH, § 29 und §§ 36 und 38: "Jede Nation hat ihre ganze Sorgfalt ihrer Gesetzgebung zu widmen. Sie allein ist Richter in ihren eigenen Angelegenheiten. Keine fremde Macht hat das Recht, sich einzumischen!" (Toute nation ... doit apporter tous ses soins a etablir ces loix ... Elle est juge de toutes les contestations sur le Gouvernement... Aucune Puissance Etrangere n'est en droit de s'en meIer. ")
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tecteur auroit a faire a la Federation, soit pour requerir le contingent, rec1amer l'augmentation des quarts et des cinquiE~mes dont parle le pacte du 12. Juillet 1806"). 4. die Aufnahme eines neuen Staates in den Bund ("L'admission d'un nouvel Etat dans la FederatlOn"). Gemäß der Bestimmung der Bundesakte tagt die Bundesversammlung in Montgelas' Verfassungsentwurf in Frankfurt am Main, wobei sie in zwei Kollegien aufgeteilt wird, das der Könige und das der Fürsten, die in der Regel gemeinsam unter dem Vorsitz des Fürstprimas beraten ("Organisation et formes des deliberations de la Diete"). Die "Souveräne" werden durch Gesandte, die die Funktion von Ministern ausüben, vertreten ("Aucun des souverains qui composent la Federation ne peut y assister en personne; ils sont represente par des envoyes revetus du caractere de ministres plenipotentiaires"). Die Gesandten der Könige geben zuerst ihre Stimme ab, es entscheidet die absolute Mehrheit, bei Stimmengleichheit entscheidet der Protektor. Alle Streitigkeiten zwischen Mitgliedern des Bundes sollen ausschließlich vom Kollegium der Könige entschieden werden, ohne Zulassung einer Appellation oder eines Rekurses (vgl. "Organisation judiciaire": "Le college des rois juge seulles differends qui l'elevent entre ses membres"). Sein Schiedsspruch erfolgt durch eine sogenannte "Mediatkommission" ("une commission de mediation"), bestehend aus vier Mitgliedern des Königskollegiums und drei Mitgliedern des Fürstenkollegiums. Alle übrigen Rechtssachen werden in den Königsstaaten und den Staaten derjenigen Fürsten, die im alten Reiche das privilegium illimitatum de non appelando hatten, den ordentlichen Landgerichten vorbehalten. Auch alles weitere, was der Abschnitt über die Rechtorganisation enthält, bezweckt nur die Sicherung der unbeschränkten Gerichtshoheit der größeren Staaten, und damit die Absicherung der Souveränität. Auch im Abschnitt über die kirchliche Organisation ("Organisation eccIesiastique") wird die Souveränität nicht angetastet, vielmehr macht sich Montgelas hier den Bund als Instrument der Mitgliedsstaaten zunutze. Er strebt den Abschluß eines Konkordates mit der Kurie unter der Vermittlung des Protektors an, um auf diesem Wege das zu erreichen, was Bayern bisher aus eigener Kraft von der Kurie nicht erlangen konnte, die päpstliche Anerkennung eines fast unbeschränkten kirchlichen Territorialismus. Das Konkordat müsse alle "wichtigen und untrennbaren Vorrechte der Souveränität des Staates enthalten, die niemals Objekte einer Transaktion sein dürften" ("Ces prerogatives essentielles et inseparables de la souverainete ne peuvent faire l'objet d'aucune transaction"). Hier zählt Montgelas wieder alle Vorrechte des Staates gegenüber der Kirche auf, die er zum ersten Mal in seiner großen Denkschrift von 1780, unter Beziehung auf Vattels "Droit des gens", genannt hat. 1. "La jurisdiction civile et criminelle sur le clerge en tout ce qui ne
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touche pas le dogme." 2. "Le droit de supprimer les communautes et fondations religieuses soit qu'elles soyent purement teIle ou qu'elles soyent en meme tems militaires, et de disposer de leurs biens de la maniere la plus convenable au bien de l'Etat." 3. "L'inspection supreme sur l'administration meme des biens des eglises et fondations pieuses." 4. "la faculte indefinie d'imposer les biens clerge et oeuvres pies." Im militärischen Abschnitt, "Organisation militaire", wiederholt Montgelas die Verpflichtungen der Bündnispartner, wie sie auf Grund der Bundesakte und der früheren Allianzverträge bereits bestehen. Ganz besonders werden hier die Verpflichtungen des Kaisers zur Aufrechterhaltung des Besitzstandes und der äußeren und inneren Sicherheit der Bundesstaaten betont. Der letzte kurze Abschnitt des Verfassungsentwurfes Montgelas' ist betitelt mit "dispositions generales". Solche "dispositions", einheitliche Grundsätze und Einrichtungen auf dem Gebiet der Staatsverwaltung und Gesetzgebung im Sinne der Errungenschaften der französischen Revolution hat Napoleon in Mailand gefordert. Dieser Forderung hatte Montgelas auch in einer ersten Fassung seines Entwurfes822, soweit sie sich mit grundsätzlichen Programmpunkten seiner eigenen Absichten deckten, zunächst entsprochen. Darin war von Aufhebung der Leibeigenscha:tlt, Einschränkung der grundherrlichen Gerichtsbarkeit und der grundherrlichen Lasten, Gleichheit der Rechte und Pflichten aller Staatsbürger, von der Sicherung der Person und des Eigentums, von Toleranz, Unabhängigkeit der Richter, Trennung der Justiz von der Verwaltung die Rede gewesen - auch hier dienten wieder offensichtlich die aufgeklärten Staatsleitsätze Vattels Montgelas zur Vorlage. Dann jedoch war all dies von ihm wieder gestrichen worden, da er befürchtete, daß der Bundestag auf diesem Weg vielleicht das Recht erlangen könnte, im ganzen Bundesgebiet Grundsätze für Staatsverwaltung und Gesetzgebung aufzustellen und vielleicht sogar selbst administrative oder gesetzgeberische Tätigkeit ausüben zu wollen. Übrig bleiben deshalb schließlich nur noch drei Generalbestimmungen: 1. Gerichtsurteile, die in einem Rheinbundstaat ausgesprochen werden, sollen in jedem anderen anerkannt werden. 2. Einrichtung der Posten. 3. Handelsbestimmungen. Die letzteren zwei sind dazu wiederum mit besonderen Vorbehalten versehen. Bezüglich des Handels heißt es, daß sich zwar alle Bundesstaaten darüber ins Benehmen setzen sollten, wie der Handelsverkehr im Bundesgebiet zu fördern und zu beleben sei, daß aber ansonsten das Recht des einzelnen Staates, eingehende, ausgehende und durchgehende Waren mit Zöllen zu belegen, als unbestrittenes Souveränitätsrecht ge322
Abgedr. bei Doeberl: Rheinbundverfassung, Anh. S. 65 - 73.
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wahrt bleiben müsse: "On pendra cependant de concert toutes les mesures qui seroient les plus progres cl encourager et animer le commerce tant entre les Etats de la F{!n~ration qu'entre les pays voisins et allies. Le droit de fixer les impöts qui seront pr{!leves sur l'entree, la sortie, le transit des marchandieses, est un attribut incontestable de la souverainete." Bezüglich der Post wird gefordert, daß alle Bundesstaaten untereinander und mit den Nachbarstaaten einen annehmbaren Tarif vereinbaren sollten, der den Briefverkehr und den Handel nicht stören dürfe, gleichzeitig aber besonders betont, daß die Leitung, Überwachung und Regie der Posten in die Zuständigkeit der Souveränität jedes Einzelstaates falle: "La direction, la surveillance, la regie des postes dans chaque Etat ainsi que la perception des revenus provenants de cette partie, appartiendront a chaque souverain, sauf ceux qui ne voudroient pas entretenir une regie particuliere de prendre avec les Etats voisins les arrangements qui leur paroitront convenables." Gerade den Besitz des Postregals betrachtet Montgelas als ganz entscheidendes Souveränitäts-Attribut. In der Geheimen Staatskonferenz vom 13. Februar 1808 beantragt er, die bayerische Postadministration aus der Verwaltung des Hauses Thurn und Taxis in die unmittelbare Regie des Staates zu übernehmen, was unmittelbar darauf geschieht. Schon am 20. Dezember 1805 war ja, wie dargestellt, das Postregal durch den bayerischen Staat auf Grund der neuen Souveränität eingezogen worden, es war von einem kaiserlichen Regal zu einem Regal des Bayerischen Landesherrn geworden. Die sehr eifrige Übernahme des Postregals, nun völlig in der Regie des bayerischen Staates, geschieht ganz im Interesse der "Behauptung der Souveränität"323. Der Einrichtung einer Bundesregie, die, wie man von verschiedensten Seiten gehört hat, geplant wird, will man unbedingt zuvorkommen ("prevenir l'etablissement de la regie unique"). Das Haus Taxis hat seit Sommer 1807 sowohl bei der Regierung in Paris als auch bei den Rheinbundfürsten eine Wiedervereinheitlichung des Postwesens für den gesamten Rheinbund angeregt; man weiß in Bayern, daß der Großherzog von Berg die Einrichtung einer Gesamtbundespost mit Energie verfolgt und man hatte in Mailand gesehen, wie intensiv sich Napoleon selbst mit dem Plan einer Bundespost beschäftigt, einer "formation d'un grand etablissement general des postes qui embrasserait tous les Etats de la confederation" , die für die zusammenhängende Organisation und damit für die Schlagkraft seines Machtinstruments Rheinbund so hochwichtig war. Daneben hat Napoleon in Mailand jedoch noch weitere ganz konkrete Wünsche geäußert: Insbesondere Verfügungen über Aufhebung der an Doeberl: Rheinbundverfassung, S. 33.
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Privilegien der Provinzen und der gefreiten Stände, vor allem des Adels, und die Einführung des ihm besonders am Herzen gelegenen Code Napoleon, der nach Anselm von Feuerbach "das europäische Gesetzbuch" werden soll. Da diesen Wünschen nach Meinung Montgelas' "schwer auszuweichen" ist, hat er sie ebenfalls zunächst in den 6. Abschnitt seines ersten Verfassungsentwurfes für den Rheinbund, in die "disposition generales", aufgenommen. In dem 2. Entwurf vom 20. Januar 1808 tauchen sie jedoch nicht mehr auf, im Einvernehmen mit dem König, der diesen Bestimmungen entschiedenen Widerstand entgegensetzt. Statt dessen stellt Montgelas zu diesem Punkt aber nun einen entscheidenden Antrag. Er will alle Gegenstände, die Napoleon für den Rheinbund in seiner Gesamtheit gefordert hat, die aber die Möglichkeit einer Gefährdung der Souveränität seiner MiJtgliedstaaten mit sich, brächten, ganz von der Plattform des Gesamtbundes entfernen und sie so schnell wie möglich landesrechtlich zu regeln, um einer Einmischung Frankreichs in die inneren Verhältnisse Bayerns zuvorzukommen. Um eine noch weitere Beschränkung der Souveränität Bayerns auch auf dem inneren Sektor, die durch die Forderungen Napoleons droht, zu vermeiden, fordert er, "eine Constitution für das ganze Königreich, und ohne vorheriges Benehmen mit dem französischen Minister der Auswärtigen Geschäfte entwerfen und proclamiren (zu) lassen, welche die Wünsche des Kaisers Napoleon in sich fasse und für alle Provinzen des Königreiches, die in einem Gesamtstaat umgeschmolzen werden müßten, gleich verbindlich seyn müsse". Diese Konstitution werde "in alle Teile der Staatsadministration eingreife(n). Wenn der König sich "allergnädigst" dazu entschließe, beantrage er, sofort "den einschlagenden Ministerial-Departements die allerhöchste Weisung zu erteilen, nach den Grundzügen der vorliegenden Constitution des Königreichs Westphalen eine alle Theile der Staatsadministration in sich fassende Constitution für das Königreich Bayern, welches künftig mit allen seinen Provinzen nur einen Staatskörper ausmachen darf, zu entwerffen und zur allerhöchsten Prüfung und Genehmigung in einer Staatskonferenz vorzutragen; zugleich auch dem königlichen Geh. Justiz-Ministerio den Befehl zu ertheilen, ... in dem Königreiche Bayern den Code Napoleon als Grundlage einer allgemeinen CivilGesetzgebung für das gesamte Reich anzunehmen, daß dasselbe durch eine anzuordnende Commission die hiernach nöthige Vorarbeiten herstellen und prüfen lassen solle, auf welche Art derselbe mit den bisher bestandenen Grundsätzen und Landesbräuchen in Übereinstimmung gesezet und zur allgemeinen Norm und Richtschnur im ganzen Königreiche, so bald immer thunlich, publiciret werden könne". Der Gedanke, mit einer eigenen Konstitution einer allgemeinen Rheinbundverfassung zuvorzukommen und damit eine drohende Gefährdung
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der Souveränität so weit wie möglich abzuwenden, gleichzeitig mit dieser Verfassung die innerstaatlichen Verhältnisse in Bayern verbindlich staatsrechtlich zu festigen unter Verschmelzung aller neu gewonnenen Territorien, stammt nicht von Montgelas allein. Er ist nicht neu. Schon im Dezember 1806, als die Regelung der Rechtsverhältnisse der Mediatisierung von Bundes wegen zur Diskussion stand, hat der geheime Rat Georg Friedrich Freiherr von Zentner, einer der tonangebenden Männer im 2. Glied der bayerischen Regierung und enger Mitarbeiter Montgelas' im Außenministerium, das gleiche vorgeschlagen, um mit der schnellsten landesrechtlichen Regelung der Verhältnisse der Mediatisierten einer bundesrechtlichen Bestimmung zuvorzukommen und alle im Königreich vorhandenen verschiedenen Territorien unter einer Konstitution zu vereinigen. Damals, im Dezember 1806, hatte dieser Plan bei Montgelas jedoch keine große Unterstützung gefunden. "Bleibt weg", schrieb er an den Rand dieser Stelle in dem Instruktionsentwurf Zentners. "Es steht noch dahin, ob dieser Gedanke von mir angenommen wird324 ." Jetzt ist er angenommen. Max Joseph ist von dem Vorschlag seines leitenden Ministers sehr angetan. Zunächst befiehlt er, daß der von Montgelas erstellte Verfassungsentwurf für den Rheinbund sofort nach Paris geschickt wird; dann erteilt er Montgelas den Befehl zur sofortigen "Entwerffung einer Constitution für das gesammte Königreich nach den Grundlinien der vorliegenden Constitution des Königreichs Westphalen ... "325. Dabei betont der König nachdrücklichst, daß in dem Begleitschreiben zu dem nach Paris zu entsendenden allgemeinen Rheinbund-Verfassungsentwurf die Vorbereitung einer eigenen Verfassung in Bayern mit keinem Sterbenswort Erwähnung finden darf: " ... daß in demselben von den Verfügungen, die in dem Königreiche Bayern getroffen werden, nichts aufgenommen, sondern Bayerns Constitution abgesondert von diesem Entwurfe verfaßet und proc1amiret werden solle", heißt es abschließend im Protokoll. Schon am 13. Februar legt Montgelas in der geheimen Staatskonferenz das Konzept der bayerischen Konstitution vor. Höchste Eile scheint geboten. Denn sein allgemeiner Rheinbundverfassungsentwurf, der dem Bund im Grunde überhaupt keine entscheidenden Kompetenzen zubilligte, weil er nur auf die Erhaltung der inneren Souveränität seiner Mitgliedstaaten abgestellt war, ist in Paris, wie man in München auch fast erwartete, ganz ohne Resonanz geblieben. Napoleon hat ihn nicht einmal einer Antwort gewürdigt326 • Zit. bei Doeberl: Rheinbundverfassung, S. 35, Anm. l. Letzter Absatz im Protokoll der Konferenz vom 20. 1. 1808. 32B Doeberl, S. 38: "In der amtlichen Korrespondenz zwischen der bayerischen Regierung und ihrem Gesandten in Paris, Freiherrn von Cetto, wird der Entwurf weder von der einen, noch von der anderen Seite auch nur erwähnt. Der Kaiser ... scheint ihn nicht einmal einer Antwort gewürdigt zu haben." 314
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Ein Blick in das Konzept der neuen Verfassung327 zeigt die Hast, mit der sie Montgelas entworfen hat. Vielen Paragraphen, die er dem König und den anderen Ministern vorgelegt, enthalten überhaupt keinen richtigen redigierten Text, sondern lediglich Inhaltsangaben bzw. "Bestimmungen" darüber, was sie enthalten sollenS28 • Eine große Anzahl weiterer Paragraphen sind dazu fast wörtlich aus der Westfälischen Verfassung übernommen. Dennoch wird der Entwurf vom König nach nur kleinen Änderungen sofort genehmigt. So groß ist die Eile, der souveränitätsgefährdenden Bundesverfassung zuvorzukommen. Für die Ausarbeitung der Konstitution, die sich aus ihr ergeben, wird eine Organisationskommission aus drei intern und je einem oder zwei Referenten der einzelnen Ministerien eingesetzt32t • Knapp drei Monate später, am 1. Mai 1808, verkündet König Max Joseph den "Völkern Unseres Reichs" feierlich den Erlaß der Verfassung 330 • Sie bedeutet für Bayern das endgültige Ende einer alten und den Beginn einer neuen Epoche. Mit ihr endet der frühere Patrimonialstaat, an dessen Stelle nun der moderne Staat auf politischem, wirtschaftlichem, sozialem, kirchlichem und geistigem Gebiet tritt.
Die VeTfassung von 1808 Das wesentliche Merkmal der neuen Verfassung, der Kern und das Ziel ihrer staatsrechtlichen und politischen Aussage ist die Souveränität. In ihr wird das Prinzip der Staatssouveränität Montgelas', das Prinzip des geschlossenen, zentral gelenkten souveränen Staates, das der leitende Minister Bayerns bereits Ende des 18. Jahrhunderts noch in Zweibrücken in seinen großen Staatsschriften, die Emer de Vattels Souveränitäts- und al7 Abgedr. als Beilage 9 im Anhang bei DoebeTl: Rheinbundverfassung, S. 88 - 92: "Entwurf einer Konstitution für das Königreich Bayern, vorgelegt in der Geheimen Staatskonferenz vom 13. Februar 1808. 128 So heißt es beispielsweise in § 7 des 11. Titels: "Von dem Königlichen Hause": "Bestimmt die Gerichtbarkeit der Glieder des königlichen Hauses ...", oder § 1 im 111. Titel "Von der Verwaltung des Reiches" besagt: Bestimmt die Bestandtheile des Ministeriums auf fünf Ministerial-Departements, ihren Geschäffts-Kreiß und ihre Verantworthlichkeit", oder im § 1 des V. Titels "von der Justiz: Bestimmet die Verwaltungsart der Justiz durch Oberund Untergerichte, und daß für das ganze Königreich nur eine oberste JustizsteIle seyn sollte" etc. an Aus dem Außenministerium der Geheime Rat von Zentner, und der Geheime Referendär Freiherr Joh. Adam v. Aretin; aus dem Innenministeriwn die geheimen Referendäre v. Stichaner und v. Branca; aus dem Justizministeriwn Feuerbach und Gönner. aao Im folgenden wird der Verfassungstext zitiert aus P. Wegelin: Die bayerische Konstitution von 1808, Schweizer Beiträge zur Allgemeine Geschichte, Bd. 16, 1958. Darin Abdruck der Verfassungsurkunde und des Organischen Edikts vom 4. Juni 1808.
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Staatsleitsätze zum Vorbild nahmen, konzipiert hat, jetzt grundgesetzlich für Bayern verwirklicht. Zum zweiten wird sie zur Verteidigung und zum Schutz der Souveränität erlassen, die man durch die geplante Rheinbundverfassung Napoleons höchst bedroht sieht und der man deshalb zuvorkommen will. Viele der einheitlichen Einrichtungen und Grundsätze auf dem Gebiet der Staatsverwaltung und Gesetzgebung, die Napoleon im Sinne der Errungenschaften der französischen Revolution für den Gesamtbund gefordert hat und die in der neuen Verfassung auch Eingang gefunden haben, decken sich mit den grundsätzlichen Programmpunkten in Montgelas' eigenem Regierungsprogramm: Aufhebung der Leibeigenschaft, Einschränkung der grundherrlichen Gerichtsbarkeit und grundherrlichen Lasten, Gleichheit der Rechte und der Pflichten der Staatsangehörigen, Sicherung der Person und des Eigentums, Toleranz, Unabhängigkeit der Richter, Trennung der Justiz von der Verwaltung. Kraft eigenen Rechts, im Besitze aller Hoheitsrechte, welche ihm die Souveränität, die er seit dem Frieden von Preßburg 1805 und der Rheinbundakte 1806 öffentlich rechtlich inne hatte, erläßt der bayerische König im Gegensatz zu früher, wo er als Landesherr zwar eine Vielzahl von Regierungsrechten ausübte, aber alle wesentlichen Hoheitsrechte staatsrechtlich nur kraft kaiserlicher Belehnung inne hatte, die ihm erst den Rechtstitel für die Ausübung seiner Befugnisse verlieh - diese Verfassung deren Zweck ist, nach seinen Einleitungsworten, sein Königreich, das bisher "ein bloßes Aggregat verschiedenartiger Bestandtheile" gewesen sei, von verschiedenen Staaten und Staatssplittern mit besonderen Verfassungen, "zur Erreichung seiner vollen Gesamtkraft" zu einem geschlossenen Einheitsstaat zusammenzufassen, der "den Bedürfnissen des Gesamt-Wohls" am besten diene. "Durch mehrere Verordnungen" sei "die Verschiedenartigkeit der Verwaltungsformen" im Königreiche bereits in ein "gleichförmiges Sistem" umzuwandeln versucht worden - gedacht ist hier vor allem an die Fideikornrnißpragmatik vom Jahre 1804, die eine privatrechtliche, patrimonialstaatliche Zusammenfassung dieser Staatssplitter anstrebte -, jedoch habe dies nur "unvollkommen zum Zwecke" geführt und "Lücken zurück (ge) lassen", "deren Ausfüllung" nun "ein wesentliches Bedürfnis der nothwendigen Einheit des Ganzen" sei. Die Konstitution von 1808 strebt also zuallererst eine staatsrechtliche Zusammenfassung an, die grundsätzliche Voraussetzung der inneren Souveränität. In Titel I § 2 erklärt sie deshalb "alle besonderen Verfassungen, Privilegien, Erbämter und Landschaftliche(n) Korporationen der einzelnen Provinzen" für " aufgehoben". Mit Hilfe der konstitutio-
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nellen Edikte, auf die in der Verfassung verwiesen wird, und die ihr folgen, schafft sie den neuen modernen Staat Bayern. Die Zahl dieser Edikte ist sehr groß. Bereits am 20. April 1808 hatte Montgelas der Staatskonferenz folgende von der Organisationskommission verfaßten organischen Gesetze vorgelegt: Das Edikt über die Aufhebung der landschaftlichen Versammlungen in Bayern, Neuburg, Tirol und Vorarlberg, die Verordnung über die Aufhebung der Leibeigenschaft (Titel I, § 3 der Verfassungsurkunde), die Verordnung über die Abschaffung der Güterkonfiskation, die Verordnung über die Aufhebung der Siegelmäßigkeit, die Verordnung über die Aufhebung der Edelsmannfreiheit, das Edikt über den Geheimen Rat als oberste beratende und oberste erkennende Stelle, das Edikt über die neue Nationalrepräsentation, die Kreisdeputationen und die Wahlversammlungen, das Edikt über die neue räumliche Einteilung des Königreiches in Kreise Im Juni und Juli 1808 werden der Geheimen StaatskoI"ferenz von Montgelas folgende weitere Edikte vorlegt: über die Bildung der Gemeinden, die Gerichtsverfassung, die Patrimonialgerichtsverfassung, die Lebensverhältnisse, den Adel, die Aufhebung der Fideikommisse und Einführung der Majorate, die kriegsherrlichen Rechte, das königliche Familiengesetz. Die Konstitution teilt das Gesamtministerium in fünf Departements ein, das "der auswärtigen Verhältnisse, der Justiz, der Finanzen des Innern und des Kriegswesens" (TiteIlII, § 1). Ferner wird "zur Berathschlagung über die wichtigsten inneren Angelegenheiten des Reichs ... ein geheimer Rath" - der spätere Staatsrat - eingesetzt, bestehend "neben den Ministern aus zwölf oder höchstens sechzehn Gliedern", der alle Gesetze und Hauptverordnungen sowie das Budget die ihm" von den einschlägigen Ministerien zugetheilt werden", vorberät und diskutiert. Er hat über "alle Competenz-Streitigkeiten der Gerichtsstellen und Verwaltungen" zu entscheiden; der König oder der "Kron-Erbe" präsidieren ihm, sind sie abwesend, tut dies der "älteste anwesende Staatsminister" . Der Rat selbst ist in sich in drei Sektionen aufgeteilt - die "der bürgerlichen und peinlichen Gesetzgebung, der Finanzen und der inneren Verwaltung". Gemäß dem Wunsch Napoleons hebt die Constitution alle besonderen Privilegien der bisherigen Provinzen auf, sie schafft neue räumliche Einteilung des Königreichs in Kreise ohne Berücksichtigung der historischen Vergangenheit, sondern lediglich nach geographischen und statistischen Gesichtspunkten. Als Mittelbehörde zum Innenministerium fungiert in jedem Kreis ein Generalkommissariat, an seiner Spitze "ein königlicher General-Kommissär, dem wenigstens drei, höchstens fünf Kreis-Räthe untergeordnet sind". In jedem Kreis besteht a) eine "allge-
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meine Versammlung" und b) eine Deputation, wobei erstere die "National-Repräsentaten" für die Nationalrepräsentation wählt. Die Generalkommissariate sind die Vorläufer der heutigen Kreisregierungen in Bayern. Weiter wird durch die Konstitution im Interesse der Staatseinheit die Verschiedenartigkeit der Außenbehörden beseitigt: an die Stelle des Landesgerichts, des Pflegegerichts und der Pflege tritt das einheitliche Landgericht (TiteIlII). Für das Gemeinwesen bringt das Jahr 1808 ebenfalls die einschneidendsten Maßnahmen. Am 28. Juli wird ein organisches Edikt "Über die Bildung der Gemeinden" veröffentlicht, ein weiteres Edikt "über das Gemeinwesen" vom 24. September führt es weiter aus. Beide Edikte bedeuten "den ersten wirklichen Versuch" zur Schaffung eines Gemeinderechts und zur Herstellung unmittelbarer Beziehungen zwischen Staat und Staatsangehörigen. Allerdings liegt der Schwerpunkt der Beziehungen zwischen Staat und Gemeinden so ausschließlich auf Seiten des Staates und sein Eigenrecht, sein Souveränitätsanspruch äußert sich in einem so starken Zentralismus, daß es zu keiner wirklichen Staatsverwaltung der Gemeinden kommt. Auch auf dem Gebiet der Justiz regiert nun ganz der neue souveräne geschlossene Staat. "Für das ganze Reich besteht eine einzige oberste Justiz-Stelle", heißt es im § 1 des Titels V "Von der Justiz". Sie "wird durch die, in geeigneter Zahl bestimmten Ober- und Untergerichte verwaltet". Zu diesen Ober- und Untergerichten gehören auch die Grundherrlichen Gerichte der "Hofmarken" und "Herrschaften". Sie werden von Montgelas aus Rücksicht auf die wirtschaftliche Lebensfähigkeit des Adels sowie auf die Finanzlage des Staates noch nicht völlig abgeschafft (die grundherrliche Gerichtsbarkeit fällt erst 1848), jedoch durch das Edikt vom 8. September 1808 einheitlicher geregelt, enger begrenzt und unter strenge Staatsaufsicht gestellt. Die grundherrliche Gerichtsbarkeit wird aus einer "jurisdictio propria" zu einer "jurisdictio delegata". Bemerkenswert ist besonders der § IV in Titel V: "Der König kann in Kriminal-Sachen Gnade ertheilen, die Strafe erlassen oder mildern; aber in keinem Falle irgendeine anhängige Streitsache oder angefangene Untersuchung hemmen, viel weniger eine Parthey ihrem Richter entziehen." Bei aller Gewalt, die das souveräne Staatsoberhaupt innehat, darf es also keinen Einfluß auf die Richter ausüben. Es war dies eines der wichtigsten Prinzipien bei Vattel. Der sechste und letzte Titel der Konstitution "Von dem Militärstande" bestimmt, daß die "stehende Armee", die "zur Vertheidigung des Staats und zur Erfüllung der durch die rheinische Bundes-Acte eingegangenen Verbindlichkeiten" unterhalten wird (§ 1), "durch den Weg der allgemeinen Militärkonskription ergänzt" wird (§ 2).
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Als weiteres bringen die Verfassung und die ihr folgenden Edikte: die Einführung der allgemeinen und gleichen Steuerpflicht, die Vorbereitung der Grundentlastung und der Gewerbefreiheit, die Entwicklung zur kirchlichen Parität durch das Religionsedikt vom 24. März 1809, das die "Vorbedingung für das Zusammenwachsen des katholischen Alt- und des evengelischen Neubayern ist. Es stellt zum ersten Mal das bayerische Staatskirchenrecht planmäßig zusammen, dem jedoch die Anerkennung seitens der Kurie trotz französischer Vermittlung bis zum Ende der Regierungszeit Montgelas' verwehrt bleibt. In Durchführung des in der Konstitution von 1808 zum ersten Mal erwähnten Summespiskopats des katholischen Landesherrn über die protestantischen Kirchen überträgt eine Verordnung vom 8. September 1808 der geplanten Ministerialsektion für kirchliche Angelegenheiten beim Ministerium des Innern die Aufgaben eines "Generalkonsistoriums" für die "in dem Reiche öffentlich rezipierten protestantischen Konfessionen". Wir haben die Ergebnisse und die epochalen Errungenschaften, die die Konstitution von 1808 Bayern bringt, und die Michael Doeberl in seiner Arbeit ausführlich gewürdigt hat, hier noch einmal wenigstens gestreift; denn sie sind die Verwirklichung nahezu all dessen, was Montgelas bereits Ende des 18. Jahrhunderts in seinen Schriften als Programm aufstellte, wobei ihm das "Droit des Gens" des Schweizers Emer de Vattel die wesentlichsten Impulse für seinen Souveränitätsbegriff und das Konzept für den modernen Staat Bayern lieferte. "Selten ist innerhalb eines halben Jahrzehnts so viel gearbeitet worden", hat Doeberl geschrieben331 • Gearbeitet worden für den Staat, weniger für das Volk, ist hervorzuheben. Die Verfassung von 1808 strebt keine Verbriefung von Volks rechten an, sie ist nicht hauptsächlich für das Volk gemacht, wie es die von Frankreich ausgehende Verfassungsbewegung im Grunde will, sondern für den "etat". Die nach französischem Wunsch und Muster vorgesehene "Nationalrepräsentation" (Titel IV) erfüllt die Anliegen des Volkes kaum, weder in bezug auf ihre Zusammensetzung noch auf ihre Befugnisse332 • Sie soll aus je sieben Deputierten der einzelnen Kreise bestehen, die nach einem indirekten umständlichen Wahlverfahren aus den höchstbesteuerten Landeigentümern, Kaufleuten und Fabrikanten zu wählen sind. Das aktive und passive Wahlrecht ist auf die höchstbesteuerte Klasse beschränkt, der größte Stand, die Bauernschaft, bleibt von dem Besitz der politischen Rechte ausgeschlossen. Der König hat entscheidenden Einfluß auf die Bildung der Nationalrepräsentation; er hat die ausschließliche Gesetzesinitiative, er ernennt das Direktorium der Versammlung. Selbst diese Nationalrepräsentation tritt jedoch niemals ins Leben. 331 33!
DoebeTl: Rheinbundverfassung, S. 53. DoebeTl: Ein Jahrhundert bayerischen Verfassungslebens, a.a.O., S. 6.
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Napoleon verübelt es Montgelas nicht. Auf dem Kongreß in Erfurt erklärt er dem bayrischen Minister ausdrücklich, er habe mit dem Wunsch größerer Angleichung an die französischen Zustände nicht im Sinne gehabt, dem König von Bayern "die Belästigung einer Volksvertretung anzusinnen"333. Die Haupterrungenschaften der französischen Revolution, die er Europa bescheren will, werden durch das Programm des aufgeklärten souveränen Staates Montgelas', das sich mit dem Wunsch Napoleons deckt, erfüllt. Die wichtigsten Grundrechte des Volkes verbürgt die Konstitution: Aufhebung der Leibeigenschaft und damit persönliche Freiheit, Aufhebung der Vorrechte der gefreiten oder privilegierten Stände und damit staatsbürgerliche Gleichheit, Gewissensfreiheit sowie Sicherung der Person und des Eigentums. Das für Napoleon politisch Entscheidenste steht jedoch in § 1 des ersten Titels aus "den Hauptbestimmungen" der Verfassung. Er lautet: "Das Königreich Bayern bildet einen Teil der rheinischen Föderation." Die Aufnahme dieses Satzes in die Verfassung hat Montgelas als unumgänglich angesehen. Sie war unvermeidbar, wollte man Napoleon nicht zu sehr vor den Kopf stoßen und sich dafür schwerste Nachteile einhandeln. Damit sind wir wieder bei der außenpolitischen Lage des neuen Staates Bayern, dessen Verfassung nach den Konstruktionsplänen seines Erbauers so umfassend und perfekt seine innere Staatsgewalt aufrichtet. Ist Bayern souverän? Die Antwort hierauf hat Montgelas eigentlich schon am 5. Juli 1806 im Gespräch mit Taube erstens mit der Feststellung gegeben, daß die "Influenz Frankreichs" sogar ohne den Rheinbund "so mächtig" sei, daß sie Bayern und Württemberg trotz ihrer Souveränität "abhängig mache"; und zweitens mit seiner vollen Zustimmung zu der Meinung des württembergischen Gesandten: daß mit dem Eingehen in die napoleonische Föderation "die politische Unabhängigkeit und die Souveränität unserer Höfe unwiederbringlich verlorengehe"334. Montgelas ist sich von Anfang an darüber im klaren, daß Bayern, so lange es dem Rheinbund angehört und in der Allianz mit Frankreich steht, nach außen niemals voll souverän sein kann. Deshalb steht für ihn auch von vorneherein fest, daß die Verbindung mit Frankreich, so nutzbringend sie für Bayern war, nur eine "temporäre Allianz"335 sein kann, die bei der ersten sich bietenden Gelegenheit wieder zu verlassen ist. Er äußert dieses Vorhaben so klar, man kann sagen, programmatisch, daß es fast den Anschein hat, als folge er hier wieder einem der Leitsätze seines Mentors Vattel: Sollte sich ein Bündnis, obwohl vorher nützlich, 333 33f 335
Zit. bei Doeberl: Rheinbundverfassung, S. 53. Bericht Taubes, Anhang Raumer, Prefecture francaise, S. 659/60. Zit. bei Raumer, ebenda, S. 657, Anm. 58.
17 Quint
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als souveränitätsgefährdend erweisen, so ist es nach Vattel, Livre II, Chap. XIII, § 176, mit dem Titel "Comment une Alliance avec diminution de Souverainete peut annuller des Traites precedens"ö so bald wie möglich wieder zu verlassen. Liest man diesen Paragraphen im "Droit des Gens" des Schweizers, so scheint es, als sei er direkt im Hinblick auf Bayerns derzeitige Situation geschrieben. Das schärfste Urteil darüber, wie wenig souverän Bayern im Rheinbund sei, gibt Kronprinz Ludwig ab. Der Prinz ist einer der entschiedensten Gegner Napoleons, der sich immer offener gegen die Politik Montgelas stellt und diesen als einen Franzosenfreund und "französischen Minister" heftig kritisiert. Ludwig erkennt nicht, daß Montgelas alles andere als ein Freund Frankreichs ist. Der Kronprinz bezeichnet die "Souveränität" Bayerns im Rheinbund mit dem abwertendsten Ausdruck, der zu seiner Zeit gegen die von Napoleon abhängenden Fürsten und Staaten von den Gegnern Frankreichs und des Rheinbundes verwendet wird, er nennt Bayern in einem Brief an seinen Vater im Jahre 1807 ohne Einschränkung einen "Satelliten"336 Frankreichs. Die düstere Vision einer "Prefecture francaise" hatte Montgelas am 5. Juli 1806 dem Grafen Taube gegenüber im Falle der Unvermeidbarkeit des Rheinbundes an die Wand gemalt. Sechs Jahre später wendet König Max Joseph diese Bezeichnung in bitterstem Sarkasmus auf sich an, als er bei dem französischen Gesandten in München, Graf Mercy, dagegen protestiert, daß er von Frankreich als König eines souveränen Staates wie ein "abhängiger Präfekt" behandelt werde. Nach der Lektüre eines Artikels im französischen "Moniteur", der den Souveränen des Rheinbunds geradezu Zensuren in bezug auf ihren Bundeseifer erteilt, läßt der König den französischen Gesandten zu sich kommen und ruft ihm empört entgegen: "Wäre es wirklich schon so weit gekommen, daß man in Paris von einem deutschen König spricht wie von einem Präfekten oder General? 331 "Wie froh war ich, Frankreich im Rücken zu haben, seinen Kaiser nicht zu sehen und seine nicht besseren Satellitten", schreibt er am 30. Januar 1807 an Max Joseph. Zit. bei Spineller: Kronprinz Ludwig und Napoleon, S. 34. Das moderne Wort "Satellit" war im 19. Jahrhundert ein verbreiteter zeitgenössischer Ausdruck für die von Napoleon abhängigen Staaten und Fürsten. Der österreichische Agent Frhr. v. Steigentesch in München verwendet ihn schon im Sommer 1805: "Diese Satelliten Frankreichs erhalten sich durch eine sklavische Unterwerfung, und die Besetzung Bayerns ist im Falle eines Krieges die Besetzung einer französischen Provinz." Zit. bei H. H. v. Zwehl: Der Kampf um Bayern 1805, a.a.O., S. 24. Unter Hinweis auf Kronprinz Ludwigs Ausspruch hat K. Th. v. Helgel, der große nationalliberale bayerische Historiker im 19. Jh., Bayerns Verhältnis zu Frankreich im Rheinbund wiederholt als "Satellitendienst" bzw. Bayern als "Satellitenstaat" bezeichnet. Beispielsweise in seinem Aufsatz: "Kronprinz Ludwig im Befreiungsjahre 1813", in Quellen und Abhandlungen zur neueren Geschichte Bayerns, München 1890, S. 355 und 358.
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Lesen Sie dies einmal! Kann man ... eine solche Sprache begreüen? Welchen Eindruck muß in einer Zeit wie die, in der wir heute leben, solche Sprache bei Völkern hervorrufen, die nur zu sehr unter den Folgen der Abhängigkeit, in welche wir uns fügen mußten, zu leiden haben337 ." Wie sich Frankreich selbst zur "Souveränität" der ihm verbündeten bayerischen Regierung äußerte, zeigt ein Brief desselben Grafen Mercy, worin es heißt: "Ich mischte mich, so lange es anging, nicht in innere Angelegenheiten des Landes, Die Allmacht eines französischen Ministers konnte nichts verlieren durch Mäßigung und durch artige Form ... ; ich würde dann unnötigerweise die Eigenliebe unserer Freunde verletzt haben, ohne deshalb einen Vortheil zu erringen. Der König, der solche Behutsamkeit von Seite meiner Landsleute nicht gewohnt war, wußte mir zu Danke, daß man ihm wenigstens den Schein von Unabhängigkeit in seinen inneren Angelegenheiten beließ338." Mercy, diplomatischer Vertreter des Staates, in dem vor dreihundert Jahren der Begriff der "Souverainete" postuliert worden ist, spricht Bayern demnach auch innere Souveränität ab. Sein Urteil, Bayerns König sei schon dankbar, wenn "man ihm wenigstens den Schein von Unabhängigkeit in seinen inneren Angelegenheiten" belasse, spricht für sich. Im gleichen Jahr 1812, in dem sich der Souverän Bayerns resignierend mit einem französischen "Präfekten" vergleicht, fällt dieser Ausdruck auch auf französischer Seite. Als "grandes prefectures", als große Präfekturen, bezeichnet Caulaincourt, General Napoleons, die mit Frankreich verbündeten Staaten. Aber hinter diesem Ausspruch steht nicht mehr großsprecherische Selbstgefälligkeit, Bewußtsein der eigenen Macht und Größe, sondern er steht als Vorwurf und Anklage gegen Napoleon. Frankreichs Stern ist im Sinken. Ende 1812, auf der Flucht aus Moskau nach der Katastrophe der "grande armee", sagt Caulaincourt im Schlitten seinem Gegenüber Napoleon mitten ins Gesicht, "qu'il voulait bien faire des royaumes mais qu'il ne donnait de fait que de grandes prefectures au lieu d'Etats independants et que, ses rois n'etant que des proconsuls, cette position ne pouvait convenir a leur titre et leur situation"339. Dies sei ein ganz wesentlicher Grund für die Niederlage Frankreichs gewesen und werde es vielleicht ganz scheitern lassen. K. v. Raumer hat dieser Ansicht Caulaincourts widersprochen und sich auch gegen Ludwig Häussers Apostrophierung des Rheinbundes als einer großen napoleonischen "Präfektur"340 gewandt. Er kommt zu dem Schluß,
Zit. bei Heigel: Kronprinz Ludwig, S. 363. Zit. ebenda, S. 360. 331 Memoires de Caulaincourt, H, S. 230, zit. bei 'V. Raumer: Prefecture francaise, S. 658. 337
388
340
H, 1859!, S. 588.
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"daß Bayern, obwohl stets von dieser Gefahr bedroht, im vollen Wortsinn doch nicht eine bloße ,Präfektur' des Diktators geworden ist"341. Das Hauptverdienst dafür schreibt er Montgelas' "erfolgreicher Kontrepolitik" gegen den Rheinbund zu. Diesem Urteil kann man zustimmen. Zu den wichtigsten geplanten Einrichtungen des Bundes, dem Grundgesetz und Bundesgericht in Frankfurt kommt es infolge der Verzögerungs- und Sabotagepolitik Montgelas' nicht, auch der Reichstag in Frankfurt tritt nicht ein einziges Mal zusammen. Dennoch ist Bayern im Rheinbund alles andere als ein souveräner Staat und fühlt sich auch nicht als solcher, wie die Aussagen des Königs, Montgelas' und des Kronprinzen beweisen. Die schwerwiegendste Verpflichtung, der es im Rheinbund nachzukommen hat, ist sogar in seiner Verfassung von 1808 grundsätzlich festgehalten: die Pflicht zur Militärhilfe. Paragraph 1 des sechsten Titels der Verfassung "Von dem MilitärStande" spricht von den "durch die rheinische Bundes-Akte eingegangenen Verbindlichkeiten". Den militärischen Beitrag Bayerns im Rheinbund in der Verfassung festzuhalten hat man als unvermeidbar angesehen, um Napoleon, dem man mit der eigenen Konstitution ausmanövriert hat, zu besänftigen. Die "eingegangene Verbindlichkeit" präsentiert vier Jahre später ihre Rechnung. Bayern bezahlt dafür mit dem Verlust nahezu seiner gesamten Armee von über 30 000 Mann, die auf den eisigen Schlachtfeldern Rußlands bleibt, in einem für Bayern sinnlosen Krieg. Der bayerische Gesandte am russischen Hof, Graf Francois de Bray, erklärt bei seiner Abschiedsaudienz der russischen Regierung, "daß sein König gezwungen worden sei, einen Herrscher zu bekämpfen, den er liebe und mit dem er durch zahlreiche Bande verbunden sei"342. Das Ende der "Grande Armee" in Rußland bedeutet den Anfang vom Ende Napoleons. Er hat den Zauber der Unbesiegbarkeit verloren. Seine Niederlage ist das Signal für die machtvolle nationale Erhebung Deutschlands unter Führung Preußens, für den Aufstand Europas gegen den französischen Imperator. Im Februar 1813 verbündet sich Preußen im Vertrag von Kalisch mit Rußland, am 17. März ergeht der Aufruf König Friedrich Wilhelms "An mein Volk", in dem er zum nationalen Krieg gegen Frankreich aufruft. In der Proklamation Wittgensteins und Kutusoffs werden alle Fürsten und Völker Deutschlands zur Mitwirkung bei der Befreiung ihres Vaterlandes aufgefordert und jeder deutsche Fürst, der dieser Aufforderung in einer bestimmten Frist nicht entspricht, mit dem Verlust seines Staates und Landes bedroht. Am 12. August 1813 tritt 341 342
v. Raumer: Prefecture francaise, S. 658. M. Doeberl: Ent.Gesch. Bayerns, II, S. 378.
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auch Österreich, das sich bisher neutral zurückgehalten hat, unter seinem neuen leitenden Staatsmann Fürst Metternich in den Teplitzer Verträgen auf die Seite der Verbündeten. Die Verträge sind von großer Bedeutung. Durch sie gewinnt Österreich die politische Leitung des Befreiungskrieges und damit die Entscheidung in der deutschen Frage, die von dem Freiherrn von Stein und Fürsten von Hardenberg in Preußen bereits aufsehenerregenderweise angeschnitten worden ist. Der preußische Staatskanzler Hardenberg erteilt Metternich unter anderem die Vollmacht, mit den süddeutschen Staaten auf der Grundlage ihrer vollen Unabhängigkeit zu verhandeln. Das Resultat der Verhandlungen ist der Vertrag von Ried, der am 8. Oktober 1813 zwischen Österreich und Bayern geschlossen wird34S • In ihm sagt sich Bayern, nach dem zunächst wieder vergeblich unternommenen Versuch, "neutral" zu bleiben, von der "temporären Allianz" mit Frankreich los, die niemals eine enge, bei ihrem Abschluß aber eine notwendige, lebenserhaltende gewesen war. Österreich, das in Bayern einen zukünftigen Bundesgenossen gegen die ihm revolutionär anmutenden Verfassungspläne Preußens für Deutschland sieht, kommt Bayern mit dem Versprechen entgegen, "der seit mehr als hundert Jahren bald offen, bald heimlich zwischen München und Wien schwebende Kampf müsse aufrichtig beendigt werden, die süddeutschen Verhältnisse müßten eine solche Regelung erfahren, daß Bayern als ein wichtiger Mittelstaat Frankreich nicht mehr nötig haben solle"344. Es garantiert Bayern deshalb die Forderung, die dieses als erste und unerschütterlichste bei den Verhandlungen aufstellt und von der es um keinen Deut abgeht: die volle Souveränität. Artikel 1 der Separat- und Geheimartikel des Rieder Vertrages, den auf Seiten Bayerns General Kar! Philip Wrede und auf der Seite Österreichs Prinz Heinrich XV. von Reuß unterzeichnen, lautet: "die beiden Hohen vertragsschließenden Parteien betrachten als einen der Hauptgegenstände ihrer Bemühungen in dem gegenwärtigen Kriege die Auflösung des Rheinbundes und die Wiederherstellung der vollen Unabhängigkeit Bayerns, so daß es von jedem fremden Einfluß befreit und für immer losgemacht wird. Bayern wird im Besitz seiner vollen Souveränität sein" (im franz. Text: "Elle (la Baviere) jouisse de la pl€mitude de Sa souverainete")3411. U3 Ausführlichste Einzeldarstellung über den Vertrag bei H. W. Schwarz: Die Vorgeschichte des Vertrages von Ried, Münchner historische Abhandlungen, München ·1933. Der Untersuchung von Schwarz dient M. Doeberls Studie, Bayern und die deutsche Erhebung wider Napoleon I., Abhandlungen der Münchner Akademie der Wissenschaften, 1907, zur Grundlage. 3U Zit. bei Doeberl: Bayern und die deutsche Erhebung, S. 31. 345 Neuerdings abgedruckt bei E. v. Puttkamer: Föderative Elemente im deutschen Statsrecht seit 1648, Göttingen/Berlin'Frankfurt 1955, S. 71. Vertragsentwurf Österreichs im Anhang bei Schwarz, Beilage 32, S. 132 ff.
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Ein Jahr später, auf dem beginnenden Wiener Kongreß, wird sich Österreich an diese Garantie nicht mehr erinnern wollen. Damit ist Bayern, der größte süddeutsche Staat und wichtigste Brückenkopf Napoleons in Deutschland, wieder im deutschen Lager, ist auf der Seite der Gegner Frankreichs. Napoleon, der in ohnmächtiger Erbitterung prophezeit, München "in einen Aschenhaufen zu verwandeln"34e, kommt nicht dazu, diese Drohung wahrzumachen. Frankreichs Herrschaft über Europa ist nach der Völkerschlacht bei Leipzig beendet. Dennoch bricht für Bayern bei der verfassungsmäßigen Neugestaltung Deutschlands durch den Deutschen Bund nun eine Zeit schwerer außen- und innenpolitischer Krisen an. In den folgenden sechs Jahren, von 1814 bis 1820, entscheidet sich nicht nur, ob Montgelas sein höchstes Ziel erreicht, nämlich Bayern zur vollen, uneingeschränkten Souveränität zu führen, sondern diese Jahre sind überhaupt die entscheidenden in bezug auf das Postulat "Souveränität" und seine weitere Entwicklung und Auslegung in der deutschen Verfassungsgeschichte und im deutschen Staatsrecht. Genug Kopfzerbrechen bereitet vielen deutschen Staats- und Völkerrechtswissenschaftlern in den Rheinbundstaaten die Souveränität schon jetzt. So "relativ" einfach wie zu Zeiten des Reichs, als J. J. Moser und J. St. Pütter, die beiden großen Reichsstaatlehrer, sich noch auf Jean Bodins ursprüngliche Souveränitäts-Aussage stützen konnten und die Souveränität im Reich weder allein dem Kaiser, noch den einzelnen Reichsfürsten zuerkannten, sondern sie dem Reichstag mit Kaiser und Reichsständen zusammen als verfassungsgebendem Gremium des Reiches zuwiesen, haben sie es nicht mehr. Denn die Verfassungssituation in Deutschland ist ja jetzt grundlegend anders und hinsichtlich der Souveränität weit problematischer. Auf der einen Seite sind die Rheinbundstaaten nach ihrem Austritt aus dem Reich und dessen Zusammenbruch nun staats- und völkerrechtlich absolut unabhängig und unbeschränkt, denn es existiert ja kein Kaiser, kein Reichstag, kein verpflichtendes Reichsrecht mehr; alle Souveränitätsschranken, die Jeal'l Bodin bei den Reichsterritorien sah, sind abgeschafft. Frankreich, das Mutterland der "souverainete", hat diese den Rheinbundstaaten voll und ganz als "pleine et entiE~re" bestätigt. Auf der anderen Seite aber steht die ziemlich klare Erkenntnis, daß die Staaten des Rheinbunds, trotz dieser Souveränität wiederum, ja noch stärker als im alten Reich, abhängig sind. Auch der oberflächlichste Blick auf die politische und rechtliche Lage des eigenen Staates beweist es. Aber die Rechtswissenschaftler sind nicht in der Lage, hieraus so politisch direkt wie etwa Kronprinz Ludwig die Konsequenzen zu ziehen. Sind die Rheinbundstaaten souverän oder nicht? Ist Jean Bodins Postulat bei den deutschen Staaten nicht wiederum unerfüllt? 3f.
Zit. bei Helgel: Kronprinz Ludwig, S. 384.
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Neben dem Jesuitenpater P. A. WinkoppS47, der ab 1806 die Hefte des Rheinischen Bundes herausgibt, sowie dem hannoveranischen Hof- und Kanzleirat Günther Heinrich von Berg, der 1808 seine "Abhandlungen zur Erläuterung der rheinischen Bundesacte" erscheinen läßt348, ist es in Bayern neben Nikolaus Th. Gönner, dessen Schrift wir bereits anführten, vor allem der Würzburger Staatsrechtier und Neubayer Wilhelm Joseph Behr, die sich mit diesem Problem beschäftigt. Bisher ist Behr eigentlich fast nur als streitbarer Abgeordneter der Universität Würzburg im ersten bayerischen Landtag von 1819 als glänzender Redner und Führer der liberalen Opposition bekannt geworden, kaum als Verfasser der 400 Seiten starken Schrift "Systematische Darstellung des Rheinischen Bundes aus dem Standpunkte des öffentlichen Rechts"349, die im Jahr 1808, dem Jahr der bayerischen Konstitution, erscheint. In ihr setzt sich Behr auf das engagierteste mit der Frage der Souveränität im Rheinbund auseinander. 84 der insgesamt 201 Paragraphen seines Buches beschäftigen sich ausschließlich damit. Wir wollen deshalb noch einen Blick auf Behrs Buch werfen, das zwar sehr häufig von recht verschwommener und unklarer Aussage ist, im ganzen aber eine der ersten staatsrechtlichen Schriften in Deutschland darstellt, die sehr deutlich eine Modifizierung des bisher so kategorischen, auf Bodin fußenden Souveränitätsbegriffs vollzieht.
Die Beurteilung der Souveränität Bayerns und der anderen Staaten des Rheinbunds durch den Würzburger StaatsrechtIer Wilhelm Joseph Behr - Die Modijizierung des Souveränitäts-Begriffs Man muß die Schrift Behrs350 natürlich vor dem Hintergrund seines politischen Standorts sehen: Behr ist Liberaler, und er ist national deutsch eingestellt. Wie Gönner sympathisiert er mit Napoleon, der der "ganzen 841 Der Rheinische Bund, eine Zeitschrift historisch-politisch-statistischgeographischen Inhalts, hrsg. v. P. A. Winkopp, FrankfurtIM. 1806, Staatsbibliothek München. Ne G. H. v. Berg: Abhandlungen zur Erläuterung der rheinischen Bundesakte, Hannover 1808. 848 Wilh. Joseph Behr: Systematische Darstellung des Rheinischen Bundes aus dem Standpunkte des öffentlichen Rechts, Frankfurt 1808. ... Wilhelm Joseph Behr (geb. 26.8.1775) in Sulzheim, Untertranken, gest. 1. 8. 1851 in Bamberg) studierte in Würzburg und Göttingen und lehrte ab 1799 als Professor an der Universität Würzburg Staatsrecht. Verfechter nationaler und liberaler Gedanken in verfassungspolitischen Schrüten, vor allem nach 1813. Als Abgeordneter der Universität Würzburg im ersten bayerischen Landtag von 1819, als Redner und Führer der liberalen Opposition wird er besonders bekannt durch die Unterstützung von Homthals Antrag auf Vereidigung der Armee auf die Verfassung. Die Regierung stellt seine Vorlesungen daraufhin unter Aufsicht und benutzt seine Wahl zum 1. Bürgermeister von Würzburg (1821), um ihn kurzerhand in den Ruhestand zu versetzen und ihm so die Grundlage seines Landtagsmandats zu entziehen. Trotz mehr-
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Volksgemeinschaft"351 Deutschlands die Errungenschaften der französischen Revolution - Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit - gebracht habe. Sein Buch ist dem Rheinbund "in innigster Ergebenheit gewidmet"! Der fränkische Professor sieht in dem Rheinbund irrtümlicherweise, wie Dalberg und Gönner, etwas ganz anderes, als er ist: nämlich den Nachfolger des alten Reichs, das durch den "Individualegoismus" der deutschen Fürsten, dessen "höchstes Ziel" die Souveränität gewesen sei, zerstört worden sei352 • Behrs Haltung dem Rheinbund gegenüber divergiert damit auch, wie diejenige Gönners, völlig von der Politik der bayerischen Regierung. Im Grunde hat sich eigentlich für Behr überhaupt nichts geändert: Das Reich hat nur einen neuen Namen bekommen. Das einzige, was ihm Schwierigkeiten bereitet und ihn viele Fragen stellen läßt, ist die neue Souveränität, die die deutschen Könige und Fürsten jetzt innehaben. Was ist ihr Inhalt? forscht er. Sicher sei "in der Hauptsache" eigentlich nur, daß nun "die Oberlehensherrlichkeit" des Kaisers fortgefallen sei, sonst aber stifte sie viel Verwirrung353 • Im alten Reich, stellt Behr fest, sei die Souveränitätszuweisung klar und eindeutig gewesen: seine Glieder, die Fürsten, und auch der Kaiser seien nicht souverän gewesen, weil sie dem Reich unterstellt gewesen seien; die Souveränität habe allein der Reichstag innegehabt. Im Rheinbund gäbe es nun zwar "Kaiser und Reich" nicht mehr, aber die neuen Staaten hätten als Bundesglieder die gleichen, wenn nicht noch größere "Verbindlichkeiten"354. Trotzdem seien sie "souverain" und erhielten von Frankreich, woher der Begriff der Souveränität herstamme, "volle und umfassende Souveränität" bescheinigt. Behr sieht hier eine Widersprüchlichkeit, so sehr er den Rheinbund bejaht. Beweist allein der Fortfall der alten Reichsverfassung und der Rücktritt des Kaisers die Souveränität der deutschen Staaten? Er beschließt die Frage zu untersuchen, maliger Wahl zum Abgeordneten der unterfränkischen Städte (1825/27/31) erhält er weder von Max Joseph noch von Ludwig 1. die Erlaubnis zum Eintritt in die Kammer. Mehrere scharfe Angriffe gegen die Regierung führen unter Einwirkung des Königs 1836 zu seiner Verurteilung zu Festungshaft auf unbestimmte Zeit. Erst 1847 wird er begnadigt und 1848 ganz rehabilitiert. Als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung, zu dem er gewählt wird, erzielt er als kränklicher Greis kaum Wirkung mehr. Vgl. E. Angermann über Behr in der Neuen Deutschen Biographie, Bd. 2, 1955, S. 10/11. Piloty hebt besonders Behrs "positive oder kritisch dogmatische Staatslehre hervor und würdigt sein Staatsideal", dem er als "Republikaner reinsten Wassers und ganz erfüllt von der Rousseau-Kant-Schillerschen Staatsidee ... nachhing". Ein Jahrhundert bayerischer Staatsrechtsliteratur, S. 222 ff. 351 Behr: System, S. 190, § 59. 25!
S.25.
Vgl. S. 185 ff. 35' Siehe den ganzen Abschnitt VIII des Buches: "Verbindlichkeiten und Rechte der Bundesglieder" , S. 130 ff. 858
5. Die Erringung der Souveränität
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was die Rheinbundstaaten dazu berechtigt, Souveränität in Anspruch zu nehmen. Wie sehr er sich mit diesem Vorhaben auf Neuland begibt, auf dem er sich noch nicht sehr sicher fühlt, gesteht er selbst ein, indem er freimütig vorausschickt, daß er "nur schüchtern diese delicate Materie behandele "355. Behr beginnt seine Ausführungen damit, daß er zunächst einmal nüchtern die wichtigsten "Verbindlichkeiten" der Rheinbundstaaten laut Rheinbundakte aufzählt. Diese wären: Jeder "im Bunde begr:iffene Staat" müsse sich "auf die Sphäre seiner Souveränität beschränken, jeder Ausübung eines Souveränitätsaktes im Gebiete des anderen enthalten"356. Kein Bundesstaat dürfe "von sich aus einen Krieg gegen auswärtige Mächte beginnen", um den Bund nicht willkürlich der Gefahr eines Krieges auszusetzen, müsse vielmehr "alle Beschwerden gegen fremde Mächte zur Kenntnis des Bundes bringen" und diesen entscheiden lassen. Er müsse sich ferner "aller einseitigen Offensiv- und Defensivbündnisse mit auswärtigen, zum Bunde nicht gehörigen Mächten ... enthalten" . Besonders betont Behr die Verpflichtung jedes Staates, in voller Rüstung ein mehr oder minder starkes Kontingent unverzüglich zu stellen (§ 38 des Rheinbundvertrages)357 "und im Kriege selbst nie zu einer Neutralität sich zurückzuziehen noch einseitig Frieden zu schließen". Jeder Bundesstaat dürfe "fremden Truppen, selbst unbewaffneten, nie ohne Einwilligung des ganzen Bundes den Durchmarsch durch sein Gebiet gestatten". Ferner ergäbe sich "die Verbindlichkeit jedes Bundesgliedes, dem durch Stimmenmehrheit gefaßten Beschlusse der Bundesversammlung sich zu fügen und solchen als unverbrüchliches Gesetz des Bundes zu befolgen"358. Was besonders Bayern betreffe, so verpflichte sich der König von Bayern, neben den 30 000 Mann, die er zu stellen habe, sogar zu sehr speziellen anderen Aufgaben. Er mache sich in Artikel 37 35U "verbindlich,
358
§ 66, S. 208. S.131.
858
S.132.
355
357 Er lautet: "Le contingent a fournir par chacun des Allies pour le cas de guerre est fixe comme le suit: La France fournira deux cent mille hommes de toutes armes, le Royaume de Baviere trente mille hommes de toutes armes, le Royaume de Wurtemberg douze mille, le Grand-Duc de Bade huit mille" ... etc.
Er lautet: "Sa Majeste le Roi de Baviere s'engage a fortifler les villes d'Augsbourg et de Lindau, a former et entretenir en tout temps dans la premiere de ces deux places de etablissements d'artillerie et a tenir dans la seconde un a quantite de fusils et de munitions suffisante ou une reserve de meme qu'a avoir Augsbourg des boulangeries pour qu'on puisse confectionner une quantite de biscuits, teIle qu'en cas de guerre la marche des armees n'eprouve pas de retard." 35.
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die Städte Augsburg und Lindau zu befestigen, in dem ersten dieser beyden Plätze Artillerieanstalten zu errichten und beständig zu erhalten, und in dem zweyten Platze eine Anzahl Gewehre und Munition ... zu hinterlegen; ferner zu Augsburg Bäckereyen anzulegen, um eine hinlängliche Quantität Zwieback verfertigen zu können, damit im Fall eines Krieges der Marsch der Armeen keiner Zögerung ausgesetzt sey"aeo. Kann man, so fragt Behr, bei allen diesen "Verbindlichkeiten" - er wiederholt das Wort bewußt immer wieder -, die der Bund stärker als das Reich mit sich bringe, von Souveränität sprechen? Oder sei der Begriff der Souveränität neuerdings nicht mehr so absolut bzw. in einem Bund anders aufzufassen? Eigentlich, stellt Behr fest, sei der Begriff der Souveränität, so klar er seinerzeit in Frankreich entwickelt worden, auf die deutschen Verfassungsverhältnisse angewandt und dort bis in die jüngste Zeit gültig geblieben sei, im neueren "französischen Sprachgebrauch" gar nicht mehr eindeutig verwendet worden. Es sei heute vielmehr so, daß "der Rekurs auf den französischen Wortverstand eine wenig befriedigende Auskunft" gewähres61 . Wie "notwendig" es sei, "einiges Mißtrauen auf den französischen Sprachgebrauch zu setzen"ae2, beweise die Tatsache, daß "in den öffentlichen französischen Staatsakten" seit dem WestfälischeIli Frieden "den ehemaligen deutschen Reichsfürsten" der Titel "Souverains" "beygelegt worden" sei, "denen doch als Vasallen des Reichs und als der Reichshoheit untergeordneten Subjekten der Karakter der Souveränität nicht zukam"sea. Behr stößt sich sehr an dem von Frankreich ausgehenden ungenauen Umgang mit dem Titel und Begriff "Souverain", mit dem man, so kritisiert er, dort praktisch jeden bezeichne, der Herrschaft ausübe, ob er nun abhängig sei oder nichts84, wogegen in Deutschland dieser Titel bisher ganz eindeutig aufgefaßt und ausgelegt worden sei. Behr hat eine der problematischsten Seiten der französischen "souverainete" genau 110 311 111
S.132. S.199. S.I85.
Ebenda. Man suche, kritisiert Behr, "für diese Frage im französischen Sprachgebrauche vergebens direkte Entscheidung: denn es ist ausgemacht, daß der Franzose den König von England so gut als den Kaiser der ottomanen einen souveränen Regenten seines Staates nennt, und doch steht dem .ersten ein Parlament zur Seite, während der letztere sich im Besitze eines imperii omnino absoluti befindet". "Kann aus dieser Mannichfaltigkeit des Gebrauchs des fraglichen Ausdrucks irgendeine Folgerung gezogen werden, so kann sie nur darin bestehen, daß der Franzose mit dem seiner Sprache ursPrünglich allein eigenen Ausdrucke "souverainer Regent"; abgesehen jetzt von aller Verziehung nach außen schlechthin den bürgerlichen Oberherrn eines Staates bezeichne ....., S. 205. IIA
aN
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erkannt: die Ambivalenz dieses Begriffs, die sich Frankreich in der Vergangenheit oft bewußt zunutze gemacht hat. Man wußte, wenn es "Souverain" von französischer Seite hieß, oft nicht: war lediglich Herrscher, Fürst, Regent oder war tatsächlich "Souverain" gemeint. Behr fährt diesbezüglich fort: "Wie unbefriedigend" genau Frankreich vorgehe, beweise ein Blick auf die jüngste Vergangenheit, auf die Ereignisse des Jahres 1805, den Preßburger Frieden. Seine Ergebnisse hätten im deutschen Staatsrecht in bezug auf die Auslegung des Begriffs "Souveränität" zu größter "Verlegenheit"S86 geführt. Denn "der Preßburger Friede legte den Königen von Bayern und Württemberg und dem Kurfürst von Baden bekanntlich im Artikel 14 den Karakter der Souveränität und zwar "la plenitude de la souverainete" ... bey, jedoch nur in dem nämlichen Maße, als der deutsche Kaiser und der König von Preußen über ihre deutschen Staaten sie ausübten, und nach Art. 7 mit Beibehaltung ihres Verbandes zum deutschen Reiche. "Sans neansmoins cesser d'appartenir a la confoederation germanique." Behr: Hierin habe doch ein "großer Widerspruch" gelegen, denn wie hätte man hier eine Souveränität und gleichzeitig ein weiteres Verbleiben der betreffenden Staaten beim Reich proklamieren können? Dies seien für ihn unvereinbare Gegensätze gewesen; nach dem Souveränitäts-Postulat konnten sie nicht souverän sein, weil sie rechtlich weiter beim Reich und dementsprechend untergeordnet blieben: "Wenngleich im Artikel 15 der Kaiser von Deutschland allen Gerechtsamen der Souveränität sowohl als der Lehenherrlichkeit auf die Staaten der drey Fürsten entsagte, so war die Gewalt des Kaisers nicht allein die Reichsgewalt und auf jeden Fall war mit der fortdauernden Eigenschaft eines Reichsgliedes die Unterordnung seiner Regentengewalt unter die Reichsgewalt unzertrennlich verknüpft." Was also solle man hiervon halten? Es gibt für Behr nur zwei Alternativen: "Entweder sagte die Bestimmung jener Fortdauer des Reichsverbandes für die genannten Fürsten eigentlich nichts - was man doch nicht annehmen darf - oder, wenn sie etwas sagte, so drückte sie die Fortdauer der Unterordnung der Regierungsgewalt desselben unter die Reichsgewalt aus, und dann ist man in Verlegenheit, welche Deutung dem beygelegten Karakter der Souveränität in ihrer ganzen Fülle zu geben sey"'?" Aus dieser "Verlegenheit" in bezug auf die Souveränitätsfrage habe dann die Erklärung des französischen Ministers Bacher am 1. August 1806 das deutsche Staatsrecht zunächst befreit, indem sie erklärt habe, der staatsrechtliche Zustand, in den der Friede von Preßburg Bayern, Württemberg und Baden gesetzt habe, sei unvereinbar mit ihrem weiteren ses S. 201/202. 3M
Ebenda.
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Verbleiben im Reich. Behr zitiert367 die entscheidende Stelle der französischen Erklärung: "etant incompatible avec la condition d'un etat d'empire". Dennoch aber seien die Fragezeichen um die Souveränität geblieben. Womit Behr wieder bei den "Verbindlichkeiten" dieses Bundes und bei seiner Ausgangsfrage ist. Er versucht sie schließlich mit zwei Thesen zu beantworten. Die erste ist, daß die in der Rheinbundakte angeführte Souveränität sich nur auf den inneren Bereich beziehe, d. h. daß sie lediglich die nunmehr unumschränkte Gewalt der ehemaligen "Landesherrn" jetzt als "Souveräne" über alle ihre Unterthanen und Bürger, insbesondere gegenüber den ehemaligen unmittelbaren Reichsständen bezeichne. Eine äußere Souveränität sei darin nicht beinhaltet. Sie sei auszuklammern. In der zweiten These baut Behr diese scharfe Trennung von innerer und äußerer Souveränität aber wieder ab. Er betont immer stärker das Argument, daß die "Verbindlichkeiten", die der Rheinbund seinen Mitgliedstaaten auferlege, ja nur der Sicherung ihrer Freiheit und Unabhängigkeit diene und diese Souveränitätsbeschränkung nur zu ihrem Nutzen und Vorteil sei. Daraus resultiert schließlich seine Ansicht, daß in dem neuen Deutschland, das immer ein "Föderativsystem" haben werde, weil die einzelnen Staaten allein nicht existieren könnten, der überlieferte strenge Souveränitätsbegriff nicht anwendbar sei, sondern vielmehr den neuen Verhältnissen angepaßt werden müsse. Die Regel, daß "Verbindlichkeiten" Souveränität ausschlössen, könne in Deutschland nicht gelten. Man müsse gerade das Gegenteil feststellen: Sie stützten die Souveränität. Damit hat Behr, wenn auch noch mit vielen Einschränkungen, unzweifelhaft damit begonnen, sich vom Jahrhunderte geltenden strengen Souveränitätspostulat Bodins zu lösen und es in Übertragung auf die neuen bündischen Verfassungsverhältnisse in Deutschland zu modifizieren. Betrachten wir zunächst These eins. Behr geht von einem Zitat Napoleons aus, das ihm besonders auffällt. Es ist der Brief des Kaisers an den Fürstprimas vom 11. September 1806, in welchem dieser hinsichtlich der Souveränität ausschließlich von "inneren Verhältnissen" spreche: "Die inneren Verhältnisse eines jeden Staates gehen Uns nichts an. Die Fürsten des rheinischen Bundes sind Souveräne, die keinen Oberlehensherrn haben388 ." Hiervon ausgehen, untersucht Behr eingehend den Text der Rheinbundakte, besonders den Artikel 26389 • Er stellt fest, daß im VerfassungslMI7 368
S.102. S.187.
388 Er lautet: "Les droits de souverainete sont ceux de legislation, de jurisdiction supreme, de haute police, de conscription militaire ou de recrutement etd'imp6t."
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text der Akte "über den fraglichen Begriff (der Souveränität) nirgends eine ausdrückliche Erklärung gegeben worden" und findet, daß Artikel 26, obwohl er von "les droits de souverainete" spreche, eigentlich tatsächlich nur die innere "Staats- und Regentengewalt" bezeichne: "Der Artikel 26 zählt namentlich diejenigen Rechte auf, welche der Staats- oder Regentengewalt über die in den vorausgeschickten Artikeln ihrer Hoheit unterworfenen Gebiete und Gebiether zustehen sollen370 ; da aber diese Unterwerfung voraus schon deutlich und unumwunden ausgesprochen war somit, bey der hierdurch schon entschiedenen Qualität der unterworfenen ehemaligen Reichsstände, von einer näheren Karakterisierung der Souveränität als solcher eigentlich nicht, sondern nur von einer näheren Bezeichnung der Regierungs- oder Regentenrechte, welche den Souveränen über Subjekte der genannten Art zustehen sollten, die Rede seyn konnte; so ergibt sich von selbst, daß die Anfangsworte jenes Artikels "les droit de souverainete eigentlich mit ,mit die Regierungs- oder Regentenrech te' übersetzt werden müssen". Behr ist demnach der Ansicht, die Rheinbundakte meine vielleicht gar nicht wirklich die Souveränität, wenn sie von "Souveränität" rede, sondern nur Regierungsrechte, und er ist deshalb dafür, das Wort "Souverainität" zur KlarsteIlung ganz zu vermeiden und nur von inneren "Regierungsrechten" zu sprechen. Das Wort Souveränität, bekräftigt er nochmals, habe in der Akte "ganz und gar nicht die Bestimmung, Norm für die Souveräne als solche", sondern lediglich "Norm für ihr Verhältniß zu den ihnen unterworfenen ehemaligen Reichsständen zu seyn". Erinnern wir uns an den Bogenhausener Vertrag und das Linzer Abkommen, so war dies auch das Ziel, das Montgelas primär mit der Forderung der Souveränität erreichen wollte. Freilich beinhaltete es automatisch die Frontstellung gegenüber dem Reich und in der Konsequenz die Trennung von diesem. Im folgenden zählt Behr dann die einzelnen inneren "Regierungsrechte" auf. Er nennt das Recht "der Gesetzgebung (de legislation), der obersten Gerichtsbarkeit (de iurisdiction supreme), der hohen Plicey (de haute police, der Militärkonskription) oder Rekrutierung (de constription militaire ou de recrutement) und der Auflagen (d'impöt)" und betont nochmals, daß bei diesen "droits de souverainete" bei den Ausdrücken "souveräne, Souveränität, souveräne Bundesstaaten", die "an die Stelle der "Prädikate Landesherrn, Landeshoheit, Territorien getreten" seien, "au370 Art. 25: "Chacun des Rois et Princes confederes possedera en toute souverainete les terres equestres enclavees dans Ses possessions ... " Behr hat hier völlig recht. Wenn in der Rheinbundakte das Wort "souverainete" auftaucht, ist immer innere gemeint.
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ßer allem Zweifel" stehe, "daß diese Bezeichnungen in den Artikeln 4, 17 - 27 und 32 der Bundesakte in direkter Beziehung auf das innere Verhältnis der Bundesstaaten ... gebraucht sind"S7l. Behr findet, daß die "Souverainett~" sogar auf dem inneren Sektor in Zweifel zu setzen sei. Denn, so stellt er fest, "den Souveränen, als den Subjekten der Staatsgewalt" sei "in Bezug auf die ihnen unterworfenen Reichslande und Stände im Artikel 26 nicht die Gerichtsbarkeit überhaupt und nach ihrem ganzen Umfange - wie es ,la plenitude de la souverainete' eigentlich erfordert hätte -, sondern sur le droit de iurisdiction supreme überwiesen; dagegen jenen subjizierten Herren, was um des Gegensatzes willen sogleich bemerkt werden muß, im Art. 27 le droit de basse et moyenne jurisdiction vorbehalten worden"37!. In der Tatsache, daß den" vormaligen Reichsständen" im Art. 27 der Bundesakte die niedere Gerichtsbarkeit weiter belassen bleibt - als "droits feodaux, non essentiellement inherens a la souverainete" -, die auch Montgelas ihnen weiter zuerkennt, sieht Behr also eine erhebliche Einschränkung der inneren Souveränität; er ist hier kompromißloser als Montgelas. Weshalb er im folgenden gleich hervorhebt, daß diese ehemaligen Reichsstände trotzdem unzweifelhaft der über ihnen stehenden Gerichtsgewalt des Staates unterworfen sein mußten. Sie "sind, wenn sie sich eines Verbrechens schuldig gemacht haben, unleugbar den bestehenden Strafgesetzen des Staates, wovon sie Glieder sind, unterworfen"878. Den heftigsten Widerstand mit dem Ziel des Erhalts wenigstens der inneren Regierungsrechte - da schon keine äußere Souveränität existiere - setzt Behr dem geplanten Bundesgericht entgegen. Dies akzeptiert er auf keinen Fall: "So sehr auch ein Bundesgericht mit der Bestimmung, die unter den Bundesstaaten unter sich entstandenen Streitigkeiten im Rechtswege zu schlichten, der Idee des Bundes entspricht, und selbst notwendiges Mittel zur Erreichung des Bundeszweckes ist - sich dennoch im ganzen Systeme des Bundes keine Stelle auffinden läßt, wohin ein Bundesgericht passen könnte, welches die Bestimmung hätte, sich in die inneren Angelegenheiten der Bundesstaaten zu mischen und die zwischen den Bundesfürsten und ihren eigenen Unterthanen entstandenen Streitigkeiten vor sich zu ziehen. Ein Gericht der letzten Art 171
5.198.
171
S'.385.
m Art. 2'1 lautet: Les Princes ou Comtes actuellement regnans conserveront chacun comme propriete patrimoniale et priveetous les domaines sans exeption qu'ils poss~Ment maintenant, aussi que tous les droits seigneuriaux et feodaux nont essentiellement inherens a la souverainete et notamment les droit de basse et moyenne jurisdiction, en matiere civile et criminelle de iurisdiction et de police forestiere, de chasse, de peche, de mines, d'usines... etc. Die Rheinbundakte betont also, daß diese Rechte nicht unbedingt der Souveränität unterständen. Behr bestreitet das.
5. Die Erringung der Souveränität
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würde offenbar der Souveränität der Bundesfürsten widersprechen und sie praktisch aufheben. In wessen Namen und aus wessen Autorität sollte auch ein solches Gericht sprechen? Im Namen des Protektors? Dann wäre dieser nicht mehr Protektor, sondern Souverän der verbündeten Staaten; oder im Namen des Protektors und des Bundes? Dann wäre die vorige Reichsgewalt ihrem Wesen nach zurückgekehrt, und in dem ersteren oder dem letzteren Falle die Souveränität der Bundesfürsten vernichtet37'." Das sind mutige Worte im Jahre 1808. Dennoch - so geharnischt Behrs Protest ist -, seinen soeben gefaßten Vorsatz, in Zukunft nur noch von inneren "Regierungen"- bzw. "Regentenrechten" reden zu wollen, statt von Souveränität, die nur bei gleicher sowohl innerer als auch äußerer "Unbeschränktheit" am Platze sei - läßt er hier bereits wieder fallen. Gleich zweimal spricht er von "Souveränität". Und im folgenden gibt er sich selbst noch mehr nach. Es scheint ihm, als habe er Napoleon und den Bund eben dennoch zu hart attackiert, was er nun durch besondere Lobeshymnen auf ihn wieder gut zu machen sucht. Er preist den "Kaiser", daß er "die Protektion der Staaten des rheinischen Bundes übernommen" habe, die "in ein Verhältnis dieser Art treten mußten", da sie niemals allein für sich existieren könnten. Er rühmt ihn, weil er so schnell erkannt habe, daß die deutschen Staaten zu ihrem Schutz in einem "Föderativverhältnis" zusammengefaßt werden müßten, wollten sie weiter bestehen. Und er unterstützt ihn deshalb darin, den "Bundeszweck" konsequent zu verfolgen. Der Bund müsse "mit einer stets bereiten, exekutiven Macht und zwar mit einer solchen Übermacht versehen seyn, die über die Erreichung des Zwecks den Bundbrüchigen oder Widerspenstigen zur Erfüllung seiner Schuldigkeit zu zwingen, nicht den mindesten Zweifel übrig lasse"375. Hiernach steht Behr aber sofort wieder vor dem Problem, daß dieser "Bundeszweck" kaum mit der "Souveränität", mit "der gänzlichen Unabhängigkeit der für souverain erklärten Staaten" und "mit der Vorstellung, daß letztere in keiner Art eines Subjektionsverhältnisses stehen sollen"37o, in Einklang zu bringen ist. Seine Argumentation dreht sich im Kreis. Aber Behr will eine Lösung finden. Er stellt das Problem "Bundeszweck", das ihm so sehr am Herzen liegt, und das Problem "Souveränität" nebeneinander hin. Bei beiden ist sein Engagement gleich stark: beim ersten als Politiker und nationaler Patriot, der im Bund das Heil Deutschlands sieht, beim anderen als Staatsrechtler und Wissenschaftler. Als Ergebnis sieht er schließlich die einzige Lösung darin, das überlieferte Souveränitätspostulat den gegebenen politischen und verfassungsmäßi374
171 37'
S. 394 U. S.154. S.189.
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gen Verhältnissen in Deutschland unterzuordnen. Er stellt fest: Wolle dieser Bund tatsächlich existieren und funktionieren, so sei in ihm "volle und umfassende Souveränität" nicht möglich. Schon allein dadurch, daß jeder souveräne Bundesstaat die Souveränität des anderen Bundesstaates unbedingt zu respektieren und zu achten habe, werde seine eigene Souveränität beschränkt: "Jeder im Bunde begriffene Staat muß sich auf die Sphäre seiner Souveränität beschränken, jeder Einwirkung auf die inneren Angelegenheiten des anderen, jeder Ausübung eines Souveränitätsakts im Gebiethe des anderen enthalten377 ." Obwohl die Souveränität im Bund also keine "volle und umfassende" sei, existiere sie staats- und völkerrechtlich aber dennoch; sie sei keineswegs aufgehoben, sondern nur den Bundesverhältnissen angepaßt. Ihre "Beschränkungen" und "Verpflichtungen" trügen vielmehr sogar zum Wohle aller Staaten bei: "Verpflichtungen, die man eingeht, um sich gegenseitig seine Selbständigkeit und Freyheit zu garantieren, können zwar ... moralische und politische Beschränkungen auferlegen, aber sie können vernünftigerweise das Wesentliche des Zwecks, um dessen Willen man sie übernommen hat, nicht aufheben noch verletzten378." Daraus folgt für Behr: Eine "beschränkte Souveränität" ist, wenn sie den Verhältnissen eines Staates dienlicher und angemessener ist, genauso Souveränität wie echte, uneingeschränkte im ursprünglichen Sinn. Deshalb sei "das Föderations- bzw. Schutzverhältnis", in welchem sich die deutschen Staaten befänden, dem "Karakter der Souveränität nicht nur nicht entgegen, sondern vielmehr die Bedingung desselben, weil dieser Karakter von ihnen (den deutschen Staaten) nach ihrer Trennung vom deutschen Reichskörper, nur in einem föderativen Systeme der Art erreicht und behauptet werden kann"379. Als bestes Beispiel für Deutschland führt Behr die Schweiz auf. Er stellt voraus, daß "die Regierungen der helvetischen Kantone sich von jeher mit vollem Rechte souverän nannten, obwohl sie in einer unauflöslichen Eidgenossenschaft miteinander vereinigt waren ... "380. Das Beispiel der Schweiz bringt er sicher nicht von ungefähr. Kein anderer als Jean Bodin selbst war es ja gewesen, der sich mit der Souveränitätsfrage in der Schweiz beschäftigt hatte und dabei den einzelnen Schweizer Kantonen in etwa Souveränität bescheinigt hatte. Allerdings unter dem ganzen entscheidenden Vorbehalt, daß jedes der Kantone dem Bund vollkommen freiwillig beigetreten sein müsse. Im folgenden bemüht sich Behr deshalb sehr, zu beweisen, daß die Situation in Deutschland genauso sei wie in der Schweiz: das Verhältnis der deut377 S.131. 378 178 880
S.192. S.191.
Ebenda.
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schen Staaten zum Bund und dessen Protektor sei "auf keine Weise vasallistisch, sondern blos föderativ"381, wiederholt er immer wieder. Wie anders sieht die Wirklichkeit aus! Behr weiß nicht, daß Bayern und Württemberg dem Bund erst nach stärkstem Druck und Zwang beigetreten sind, daß sie sich keineswegs souverän fühlen, sondern als französische "Satelliten" und "Präfekten"; daß Napoleon selbst sie 1812 verächtlich seine "Vasallen" nennen wird - den König von Bayern einen "kleinen Fürsten", den er "großgemacht" habe und den er "wieder genau so klein machen" werde3 82 . Fünfzig Jahre später wird kein deutscher Staatsrechtler mehr von einer "Souveränität" der Rheinbundstaaten sprechen, auch in Bayern nicht. Sondern das Urteil über deren Souveränität wird allgemein so lauten, wie es z. B. C. v. Kaltenborn 1857 formuliert: "Die Bundesmitglieder sollten zwar von jeder, dem Rheinbunde fremden Macht unabhängig sein und somit gebührte ihnen die Souveränität; allein in Wirklichkeit war der Rheinbund infolge seines Bündnisses mit dem übermächtigen Kaiser der Franzosen mehr ein Verein von Nebenstaaten383 ." Der bayerische Staatsrechtler Joseph Pözl, wie Behr ebenfalls aus Würzburg, wird klar feststellen, daß lIder Rheinbund theils rechtliche, theils faktische Beschränkungen der Souveränität nach sich zog"384 und sein Nachfolger Joseph Held wird gegen Behr gar den direkten Vorwurf erheben: "Was dieser zur Rechtfertigung des Abschlusses des Rheinbunds anführt, ist vollkommen haltlos385 ." Dennoch enthält die Schlußzusammenfassung Behrs, mit der er die Lösung des Problems "Souveränität" im Rheinbund gefunden zu haben glaubt, in der Substanz so ziemlich das, was später in deutschen Staatsrechtsbüchern über das Problem der Souveränität im Deutschen Bund zu lesen sein wird. Deshalb kreidet man ihm in der Regel auch nur an, daß er sich so radikal im Rheinbund täuschte und das "Machtinstrument" eines "unbeschränkten Gewaltsherrn"386 als Heilsbringer für Deutschlandsah. "Es liegt klar am Tage", faßt Behr zusammen, "daß auch die Verpflichtungen der Bundesglieder keineswegs als Beschränkungen ihrer Souveränität, sondern vielmehr nur als Bedingungen der Erhaltung der politischen Selbständig- und Unabhängigkeit Aller ... angesehen werden können"387. 381
S.193.
Zit bei Heigel: Kronprinz Ludwig, a.a.O., S. 387. KaUenborn: a.a.O., S. 67. 884 J. Pözl: Bayerisches Staatsverfassungsrecht, Würzburg 1847, S. 18. 3i$ J. Held: System des Verfassungsrechts der monarchischen Staaten Deutschlands, Teil I, Würzburg 1856, S. 461. 382
383
388 387
Ebenda.
Behr, S. 193.
18 Quint
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I. Von Kurfürst Maximilian I. bis zum Vertrag von Ried 1813
Er stellt fest, daß in Deutschland nur eine "Souveränität mit Verpfiichtungen"388 zum Wohle Aller möglich ist und daß der Begriff der überlieferten, "vollen und umfassenden Souveränität", der "souverainete pleine et entiere", auf die neuen deutschen Verfassungsverhältnisse, die "föderativ" sind, nicht anwendbar sei. Nur in einer beschränkten Souveränität sieht Behr für die deutschen Staaten die einzig wahre, vorteilhafte, die ihre Existenz gewährleistet. Damit hat er einen wesentlichen Schritt vollzogen. Er hat den absoluten, kategorischen Begriff der Souveränität modifiziert, hat ihm dem Rheinbund untergeordnet, mit dem er die Wiederauferstehung deutscher Macht und Größe erhofft. Der Rheinbund existiert von diesem Zeitpunkt an jedoch nur noch vier Jahre. Ein neuer Bund, zu dem sich die Staaten Deutschlands nach dem Sieg über Napoleon unter Führung der beiden Großmächte Österreich und Preußen zusammenschließen, soll ihn ablösen. Artikel 6 des Pariser Friedens vom 30. 5. 1814 besagt: "Les etats de l'Allemagne seront independants et unis par un lieu federatif." Wie unabhängig sollen sie sein? Im Pariser Frieden ist - im Gegensatz zum Vertrag von Ried - von "souverainete" nicht mehr die Rede. Erst jetzt, bei der verfassungsmäßigen Neugestaltung Deutschlands, beginnt die eigentliche entscheidende historische Auseinandersetzung um die Souveränität. Bayern spielt dabei eine bestimmende Rolle.
388
Ebenda.
Hauptteil 11
Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener KongreJ3 und in den Anfangsjahren des Deutschen Bundes (1814-1820) 1. Bayerns entscheidende Rolle bei der Fixierung der "Souveränität" in der neuen deutschen Verfassung
Vorbetrachtung Die beiden Großmächte Preußen und Österreich Ihre Absichten und Zielsetzungen bei der Schaffung des Deutschen Bundes Es sind ganz verschiedene Beweggründe, die die beiden Großmächte Österreich und Preußen nach dem Sieg über den Kontinentaleroberer Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig (16. -18. Oktober 1813) und dem anschließenden Frieden in Paris (30. Mai 1814) zur Schaffung eines Deutschen Bundes veranlassen. Auf der einen Seite Österreich: Der habsburgische Vielvölkerstaat, Vormacht in Deutschland und in Italien, hat nichts als Sicherheit und Ruhe im Sinn. Sein bedeutendster politischer Führer, der neue Außenminister und Staatskanzler, Fürst Clemens von Metternich, sieht Mitteleuropa, deutlich anknüpfend an die Idee des verblichenen Römisch-Deutschen Reiches, als eine geographisch-politische Einheit, die vor der ständigen Bedrohung durch die Flügelmächte Frankreich und Rußland einen dauerhaften Schutz erhalten müsse: "Von den Flankenmächten in Ost und West beständig bedroht, kann Mitteleuropa nur durch festes Zusammenhalten der beiden führenden Staaten Österreich und Preußen innere und äußere Sicherheit gegen den Despotismus Rußlands und die von Frankreich drohende Revolutionsgefahr und gegen ein Bündnis der beiden Flügelstaaten bildenl ." Die Mittel- und Kleinstaaten Mitteleuropas haben ihren Halt an den beiden geschichtlichen Großmächten zu suchen, wobei Metternich nach historischen und geographischen Erwägungen Österreich als dem eigentlichen Herzen des Kontinents die erste Rolle in der Mitte des Erdteils in Deutschland zuweist. 1 Zitiert bei H. R. v. Srbik: Metternichs Plan einer Neuordnung Europas, MIÖG XL 15, Wien 1925, S. 111.
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11. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
Diese Grundsätze des Jahres 1813 bilden eine bleibende Dominante in Metternichs politischem Glaubensbekenntnis. Der österreichische Staatskanzler ist ganz ein Mann der alten Schule, ein Exponent der Lehre von der Staatenfamilie, vom notwendigen Gleichgewicht im politischen und im ständisch sozialen Leben, ein Politiker des "monarchischen Systems", das für Österreich lebenswichtig ist und das er durch die neuen gefährlichen Strömungen und Wirren der Zeit mit allen Kräften zu erhalten sucht. Metternichs Politik ist abwehrend, mahnend und warnend, negativ - nicht positiv und schöpferisch. Er hält nichts von den "neuen Ideen", dem Nationalstaat, der Volksherrschaft, der konstitutionellen Monarchie. Der österreichische Staat, dem er dient, ist ein Gebilde, das bei diesen neuen Ideen und Bewegungen gefährlich zittert und erbebt, er hat aufgehört zu bestehen, wenn sie sich durchsetzen. Folglich ist Metternich ein Feind jeder Bewegung. Mit seiner Idee, der alten säkularen Idee einer großen deutsch-romanischen Kultur- und Machtsphäre mit einer Fülle virtuell selbständiger staatlicher, durch ein dauerndes Vertragsband vereinter Existenzen, hofft er dem Ausdehnungstrieb der Einzelstaaten und dem Freiheitsund Einheitsdrang der Völker wenigstens noch für einen längeren Zeitraum einen Halt setzen zu können, sie durch politische Kunst und Macht bändigen zu können. Von der ferneren Zukunft verspricht er sich jedoch kaum Gutes. Sarkastisch nennt er sich selbst "Arzt im Weltspital"2, der die neuen Krankheiten der Geschichte, die doktrinären und idealistischen Narreteien, heilen müsse. Die Aufgabe Österreichs, die für es die einzige Alternative darstellt, ist überschwer: es muß die Führerrolle in der Sicherung des politischen und gesellschaftlichen Beharrens des Erdteils auf der Basis des erneuerten Staatensystems und der alten Gesellschaftordnung übernehmen, um weiter existieren zu können. Das Kaiserreich, dem selbst so viel zur inneren Festigkeit mangelt, muß die Wächteraufgabe für die Erhaltung der geschichtlichen Struktur des Kontinents übernehmen. Metternich weist sie ihm auch zu. Schon 1816 bilden die Grundlage dieser Wächteraufgabe Österreichs und seine Führung im Deutschen Bund jedoch hauptsächlich "Gefühlsrnomente, die in den Überlieferungen der Jahrhunderte wurzeln3 , und nicht reale politische und geographische Tatsachen. Die Absicht Metternichs, Österreich fest im deutschen Westen zu verklammern - Geheimvertrag mit Preußen, Österreich alle vom Kongreß noch nicht verteilten Gebiete auf dem linken und rechten Rheinufer zu Eigentum zuzusprechen - und das habsburgische Kaisertum mit der Verteidigung des 2 Zitiert bei G. Mann, Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, S.112. S Srbik: a.a.O., S. 119.
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der "Souveränität"
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Flusses an der Seite Preußens zu betrauen, scheitert an dem Unverständnis und dem historischen Fehlblick des Kaisers und der Wiener Militärpartei (Schwarzenberg, Zichy, Stadion), die der Meinung sind, Österreich habe am Rhein nichts mehr zu suchen, sondern bedürfe einer strategisch sicheren Grenze gegen Deutschland, die nur im Lauf des Inns und den salzburgischen Gebirgen zu finden sei. Metternich gibt nach, als ihm Kaiser Franz die Wahl zwischen dem Tausch mit Bayern4 und dem Rücktritt stellt. Damit hat sich Österreich selbst aus Deutschland hinausmanövriert und die Chance vergeben, ein starkes Gegengewicht in der deutschen Frage gegen Preußen in die Waagschale werfen zu können. Fortan grenzt Österreich im Deutschen Bund unmittelbar mit seiner West- und Nordgrenze nur an Bayern, Sachsen und Preußen, und seine einzige reale Verankerung im Westen bildet das gemeinsam mit Preußen auszuübende Besatzungsrecht in Mainz. Die Sicherung Mitteleuropas gegen Westen hat so ein ganz anderes Gesicht, als es Metternich zunächs~ 1813 und 1814 gedacht hat5 • Das Gesamtkönigreich der Niederlande bildet ein Bollwerk gegen Frankreich im Norden und hält es vom Kanal fern, den militärischen Grenzschutz des Deutschen Bundes an der Maas und im Anschluß an die Niederlande am Rhein fällt der preußischen Rheinprovinz zu, von der Nahe bis zur Queich liegt diese Aufgabe in Bayerns Händen, und von der Queich bis zur Mosel bildet der Rheinstrom, von Baden bewacht, die unmittelbare Grenze gegen Frankreich. Die Führungs- und Schutzmacht Österreich ist weit entfernt, sie liegt an der Südperipherie des Bundes. Auf der anderen Seite Preußen. Auch Preußen will Ruhe. "Man muß", schrieb Wilhelm von Humboldt, "auf keine Weise den wahren und eigentlichen Zweck des Deutschen Bundes vergessen, insofern er mit der europäischen Politik zusammenhängt. Sein Zweck ist Sicherung der Ruhe; das ganze Dasein des Bundes ist mithin auf Erhaltung des Gleichgewichts durch innewohnende Schwerkraft berechnete." Aber Preußen will doch weit mehr als Ruhe, will den Bund nicht nur wie Österreich als Wächter, als Verhinderer und Bewahrer. Es braucht den Bund vor allem, um seiner weitverzweigten Gebietsneuerwerbungen sicher zu sein. Die getrennte Lage der Besitzungen und die große Gebietszerstückelung im Norden noch mehr als im Süden würden die völlige Lähmung Preußens herbeiführen, wenn die kleineren Fürsten, in deren Gebieten seine neuen Territorien liegen, ihm staatsrechtlich ganz ent, Dieses erhält für nahezu das ganze ehemalige Erzstift Salzburg und das Inn- und Hausruckviertel nur die Rheinpfalz, verkleinert um Rheinhessen und vergrößert nur um die Bundesfestung Landau, samt dem Gebiet zwischen Lauter und Queich. Siehe hierzu den Münchener Vertrag v. 14. April 1816, GSTA MA I 197 und weiter unten in unserer Darstellung. S Vgl. Srbik: a.a.O., S. 118. I Zitiert bei G. Mann: a.a.O., S. 98.
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fremdet werden. Schon aus diesem Grunde ist "der gesamtdeutsche Bund eine preußische Notwendigkeit"7. Die bei den größten Neuerwerbungen Preußens, die "Rheinprovinz" und der westliche Teil von Sachsen, die "Provinz Sachsen", haben aus ihm einen quer durch ganz Deutschland liegenden, von Norden tief nach Süden ausgreifenden Staat gemacht und ihm so, ganz im Gegensatz zu Österreich, eine entscheidende Ausgangsstellung für die Führung der deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert in die Hände gespielt. Preußen ist dem habsburgischen Kaiserstaat mit einem Schlag gleichwertig geworden. Und es ist sich dessen sehr genau bewußt. 1816 schreibt Humboldt zum Kernproblem der Führungsfrage des Bundes: "Jeder Unparteiische wird zugeben, daß das Wahre und Eigentliche wäre, daß Preußen und Österreich gemeinschaftlich den Bund leiteten; denn Preußen kann sich, auch bei der größten Anspruchslosigkeit, Österreich schon darum nicht unterordnen, weil Österreichs pelitische Lage in Europa zu wenig enge mit Deutschland verbunden ist ... "8. Man will gemeinsam mit Österreich den Bund leiten und Humboldt spricht beschwörend die Hoffnung aus, daß es gelingen möge, das "Einverständnis zu bewahren"9. Preußen verlangt vom Bunde ebenfalls besonders Sicherheit, vor allem die Zerstörung des französischen Einflusses in Deutschland. Die bleibende Vernichtung des Rheinbundes ist eines seiner obersten Ziele. Insbesondere aber und viel stärker als Österreich fordert es auf Grund seiner Verflechtung mit den vielen kleinen Territorialfürstentümern eine straffe verfassungsmäßige Ausgestaltung des Bundes, so ein Bundesgericht, festere Ständeverfassungen, eine exakte Regelung der Verhältnisse der Mediatisierten, insgesamt eine wirksame exekutive Gewalt. Diese Forderung zielt eindeutig auf eine Souveränitätsbeschränkung der Mitgliedstaaten des Bundes und macht Preußen sofort zum Hauptgegner der ehemaligen Rheinbundstaaten, unter ihnen Bayern, die ihre Souveränität soeben erst unter Napoleon errungen haben. Der zweite Grund für die preußische Bundesforderung ist die Tatsache, daß in Preußen das nationale Einheitsstreben am stärksten ausgeprägt ist. Nach dem glorreichen Sieg nun ein gemeinsames deutsches Vaterland zu schaffen, am besten wieder ein großes deutsches Reich mit einem Kaiser an der Spitze und mit ständischen Institutionen ist das erklärte Lieblingsziel der preußischen großdeutschen Nationalisten. An ihrer Spitze steht der Freiherr vom Stein. Dieser sieht die Gefahr des sich verstärkenden Dualismus zwischen dem erstarkten Preußen und der 7 C. Rößler: Eine Denkschrift von Wilheim v. Humboldt (30.9. 1816 an Hardenberg) über Behandlung der Angelegenheiten des Deutschen Bundes durch Preußen, Zeitschrift f. preuß. Gesch. u. Landeskunde, Berlin 1872, S. 71. 8 Zitat aus der Denkschrift Humboldts, abgedruckt bei Rößler: Anhang,
S.109. U
Ebenda, S. 87.
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der "Souveränität"
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alten historischen Kaisermacht Österreich und geht in seiner Forderung nach deutscher Einheit so weit, daß er im Prinzip nicht davor zurückschreckt, diese Einheit Deutschlands durch Preußens Auflösung zu erkaufen. "Setzen Sie an die Stelle Preußens, was Sie wollen", schreibt er am 1. Dezember 1812 an den Grafen Münster, "lösen sie es auf ... es ist gut, wenn es ausführbar ist, wenn dadurch das deutsche Vaterland geschaffen werden kann10." Diese Forderung wird Stein von Humboldt allerdings bald ausgeredet. Aber Stein steht nicht allein. Auch Droysen sowie später Duncker und Haym sind mit leidenschaftlichem geschichts-philosophischen Idealismus bereit, "der deutschen Nation das Opfer der preußischen Staatseinheit zu bringen"ll. Weiter zu nennen sind hier auch die Gebrüder Gerlach. Soweit die beiden Großmächte und ihre Haltung zum Bunde. Auf Preußens Seite liegen alle Vorteile, ihm gehört die Zukunft. Es ist der straffer regierte, modernere und aktivere Staat. Österreich klammert sich in der Hauptsache an die Vergangenheit, um die Zukunft zu bewältigen. Es rechnet dabei auf die Gemeinsamkeit des Interesses mit den Mittel- und Kleinstaaten, von denen es annimmt, daß sie gegen jede preußische Hegemonie und jeden zu großen deutschen Unitarismus Front machen werden, es rechnet auf das bayerische, württembergische, sächsische, hannoversche Gegengewicht gegen Preußen, auf die Unterstützung der kleinen Fürsten und freien Städte, die zum Bunde drängen, um dort als Mitglieder die Sicherheit zu haben, nicht von den Großmächten geschluckt zu werden. Sonst hat Österreich dem Geist der Zeit, hat es der Dynamik Preußens nichts entgegenzusetzen. Wie schwarz man dort schon 1815 für Österreichs deutsche Zukunft sieht, zeigt ein Brief der Gattin Humboldts. Sie schreibt: "Österreich ist so verschiedenartig und heterogen in seinen Kräften gemischt, in den Nationalitäten, aus denen es besteht, daß es noch in diesem Jahrhundert aufhören wird, eine deutsche Macht zu sein. Die nation elle Deutschheit ist offenbar noch im Wachsen und damit hält Österreich nicht Schritt. Den Geist der Zeiten anzuhalten, dazu ist offenbar keine Macht stark genug ... "12. Noch deutlicher wird man es 15 Jahre später in dem Land sagen, von dem die Ideen ausgegangen sind, die Österreich nun in seiner Existenz bedrohen. "Das 19. Jahrhundert", heißt es in einer französischen Abhandlung in den dreißig er Jahren, "wird für die österreichische Monarchie tödlich sein13. " 10 Zitiert bei F. Meinecke: Preußen und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Historische und politische Aufsätze, München und Berlin 1918, S. 4. 11 Ebenda, S. 8. n Zitiert bei G. Mann: a.a.O., S. 115/116. 13 Zitiert ebenda, S.117.
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
Die Haltung Bayerns zum Deutschen Bund
Die Haltung Bayerns zum Deutschen Bund im Jahre 1814 ist die Haltung des leitenden Ministers Maximilian von Montgelas. Dieser bringt dem geplanten Deutschen Bunde nicht das geringste Verständnis entgegen. Er nimmt die Pläne der beiden Großmächte zunächst auch überhaupt nicht ernst. Mit dem kühlen spöttischen Blick des intelligenten Machtpolitikers registriert er die Vorbereitungen zum Wiener Kongreß und ist im Innersten überzeugt, daß alle diese Pläne, die Deutschland und Europa organisieren sollen, sich schließlich in Schall und Rauch auflösen werden und am Ende doch die partikularen Interessen der einzelnen Mächte und die Politik der Bündnisse und Alliancen siegen wird14. Auf die letzteren baut er, sie sind sein ureigenes Metier. Die Sicherheit, die Preußen und Österreich nur durch einen Zusammenschluß aller deutschen Staaten gewährleistet sehen, ist für ihn "nur ein Problem der wechselnden, jeweils günstigsten Alliancen"15. Hiermit, mit Kabinettspolitik, hat er seine größten Erfolge errungen, hat er Bayern vom Territorialfürstentum, das unter Max Emanuel und besonders unter Kurfürst Karl Theodor zu einem Tauschobjekt in der internationalen Politik herabgesunken war, zu dem Staat gemacht, der er jetzt ist. Und er will noch mehr aus ihm machen: Die selbständige deutsche und europäische Macht Bayern ist das Ziel von Montgelas' Politik. Der deutschen Einheitsbewegung bringt er deshalb kaum Interesse entgegen. Was der dirigierende bayerische Minister, der allein die Richtlinien der bayerischen Politik bestimmt, in den Jahren 1813 und 1814 denkt, drücken sehr gut seine engsten Mitarbeiter im Außenministerium aus. "Der Deutsche Bund", heißt es in einem Gutachten des geheimen Rates Joh. Adam von Aretin, "bietet Bayern keine Vorteile und Garantien, die sich nicht durch selbstgewählte Allianzen ebenso und besser erreichen ließen16 ." Ähnlich äußert sich Staatsrat von Zentner, dessen Ausspruch wir bereits zitierten: "Bayern ist der einzige deutsche Staat, der neben Österreich und Preußen eine europäische Macht werden kann. Man muß sich daher den Weg dazu freihalten 17." 14 Vgl. den bereits in Einleitung III genannten K. O. FThT. v. ATetin: Die Deutsche Politik Bayerns in der Zeit der staatlichen Entwicklung des Deutschen Bundes, Diss. (Maschinenschrift) München 1952, S. 2. 1& Derselbe, S. 3. ie Gutachten Johann Adam von Aretins vom 15.2.1815, GSTA MA II 1032; zitiert auch bei K. O. v. ATetin, S. 4, jedoch unter inzwischen nicht mehr zutreffender Sign. Die Persönlichkeit und das Wirken seines Vorfahren stellt K. O. v. Aretin vor allem im 3. und 5. Kap. seiner Arbeit sehr gut heraus. (Bes. A.s Tätigkeit ab 1817, nach dem Sturz Montgelas', als bayer. Gesandter beim Frankfurter Bundestag, seine Zusammenarbeit mit Graf Rechberg, dem neuen dirigierenden Minister, seinen Versuch einer selbständigen deutschen Politik Bayerns nach dem katastrophalen Scheitern Montgelas' und Zentners.)1 17 Gutachten Zentners vom 4.6.1815, GSTA MA II 1033; zu Zentner vor
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Diese Gedankengänge in Bayern sind den Bestrebungen der beiden Großmächte Preußen und Österreich, ihrem System einer deutschen und europäischen Ordnung, diametral entgegengesetzt. Sie wollen den Deutschen Bund ja gerade vornehmlich deshalb, um zu verhindern, daß in Zukunft ein deutscher Fürst die Partei eines Feindes ergreift, sich mit einer auswärtigen Macht verbindet, um damit Vorteile zu erringen, wie es im 17. und 18. Jahrhundert auch von ihrer Seite immer wieder geschehen war. Solche Politik soll nun für immer verfemt sein. Schon ab Mitte des Jahres 1814 ist das Ziel der bayerischen Politik jedoch Illusion. Im August 1814 muß Bayern Tirol an Österreich zurückgeben, ein Ereignis von entscheidendster Bedeutung. Es entzieht Bayern jegliche Grundlage völliger Selbständigkeit. Die geographischen Voraussetzungen dazu sind nicht mehr vorhanden. Bayern ist wieder von allen Seiten von alten Reichsländern umschlossen, ein Fernbleiben vom Deutschen Bund ist damit praktisch unmöglich geworden18 • Es kann nun zu einem Beitritt zum Bunde gezwungen werden. Welche zentrale Bedeutung Tirol für Bayern zukam, hatte kein geringerer als Napoleon am deutlichsten ausgedrückt, der Bayern die Souveränität verliehen hatte. Der französische Kaiser hatte es acht Jahre vorher im Sommer 1806, zu Kronprinz Ludwig gesagt: "Durch Tirol ist Bayern Königreich geworden1D !" Mit der Niederlage Frankreichs und der Abtretung Tirols ist die Frage, ob Bayern eine selbständige europäische Macht werden kann, für die nächsten Jahrzehnte entschieden. Es ist aber nicht diese Erkenntnis - sie wird in den Tagen des Wiener Kongresses anscheinend keinem der bayerischen Staatsmänner bewußt -, die Montgelas und den König veranlassen, im September 1814 doch einen Vertreter Bayerns, den Feldmarschall Fürst Kar! Philip Wrede, nach Wien zum Kongreß zu entsenden. Sondern der Grund ist vorwiegend, wie aus allen nun folgenden Instruktionen Montgelas' immer wieder hervorgeht, einen angemessenen territorialen Ausgleich für die Abtretung Tirols zu erhalten, auf den Österreich in Paris Hoffnungen gemacht hat. Auch im Rieder Vertrag war Bayern schon ein Territorialausgleich versprochen worden. Man darf annehmen, daß Montgelas u. a. besonders in Erwägung zog, eine Landbrücke zur Pfalz und damit eine Verbindung zu Frankreich zu gewinnen. Diese Landbrücke hätte Württemberg und Baden unter bayerischen Einfluß gebracht und Bayern die Chance geallem die in Einleitung III bereits genannte Arbeit von F. Dobmann: Georg Friedrich Freiherr von Zentner als bayerischer Staatsmann in den Jahren 1799 - 1821, Kallmünz/Opf. 1962. 18 Vgl. Aretin: a.a.O., S. 3. 11 Zitiert bei M. Probst: Die Familienpolitik des bayerischen Herrscherhauses zu Beginn des 19. Jahrhunderts, München 1933, S. 103.
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11. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
geben, ein Gewicht zwischen Preußen und Österreich darzustellen20 • So ist erklärlich, warum Montgelas nicht im geringsten daran dachte, von vorneherein mit Württemberg und Baden, gegen die sich solche Pläne ja richten mußten, zusammenzugehen und damit eine dritte Kraft gegen die beiden großen Bundesrnächte zu bilden. Die folgenden Ereignisse zeigen jedoch, daß der große Taktiker Metternich diese Hoffnungen, die er bei Bayern erweckte, um es zu keiner engen Verbindung der ehemaligen Rheinbundstaaten kommen zu lassen, längst nicht zu erfüllen bereit war. Aus diesen Gründen geht Wrede im September 1814 nach Wien. Ansonsten wird er angewiesen, sich in bezug auf den Bund auf nichts einzulassen. Zwar glaubt man in Bayern eigentlich bis zum Beginn des Jahres 1815, daß die Einheitsbestrebungen in Wien zu nichts Konkretem führen werden, dennoch aber ermahnt Montgelas den bayerischen Gesandten, der nun an den Bundesverhandlungen teilnimmt, zu größter Wachsamkeit. Denn er sieht in dem Bund, kommt er wirklich zustande, höchste Gefahr für die Souveränität Bayerns. Jeden Vorschlag in Wien, der auch nur den Anschein einer Gefährdung dieser Souveränität erwecken könnte, soll Wrede deshalb unter allen Umständen rigoros ablehnen. Geradezu beschwörend erinnert Montgelas in seiner berühmten Instruktion vom 14. 9. 1814 Wrede daran, unter welchen Opfern Bayern das langersehnte Ziel der vollen Souveränität, dank derer es jetzt ein mächtiger, unabhängiger Staat sei, erreicht habe: "Tous nos efforts depuis 1805, les souffrances, les exploits, la gloire que notre brave armee a acquise n'a pas eu d'autre but. Le sang precieux qui a ete verse a gros flots est coule en vain; on aurait a se le reprocher si ce principe saisi recevait la moindre atteinte 21 ." Es ist dies die Instruktion, auf der die Außenpolitik Bayerns bis zum Sturz Montgelas am 2. Februar 1817 basiert. Sie ist mit dem geplanten Bund unvereinbar.
ZO Dieser Möglichkeit wäre Metternich nach Ansicht Srbiks: a.a.O., S. 116 f., vielleicht auch nicht abgeneigt gewesen, wenn er dadurch einen Freund in Süddeutschland gegen Preußen gewann. Mir erscheint es jedoch sehr fraglich, ob Metternich hierauf tatsächlich eingegangen wäre. 21 GSTA MA II 1029; übers.: "Alle unsere Anstrengungen seit dem Jahre 1805, die Leiden, die Taten, der Ruhm, den unsere brave Armee erworben, haben kein anderes Ziel gehabt (als die Erringung der vollen Souveränität). Das kostbare Blut, das in großen Strömen vergossen worden ist, wäre umsonst geflossen, man würde sich an ihm schuldig machen, wenn von dem ergriffenen Prinzip auch nur im geringsten abgewichen würde." Siehe hierzu auch M. DoeberZ: Bayern und Deutschland im 19. Jahrhundert, a.a.O., S. 3.
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der "Souveränität"
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Fürst Wrede als bayerischer Gesandter in Wien Bayerns scharfe Ablehnung des preußisch-österreichischen 12-Punkte-Programms aus Souveränitätsgründen Montgelas hat später in seinen Denkwürdigkeiten die Ernennung Wredes zum WienerKongreß eine der unglücklichsten Entscheidungen seines Ministeriums genannt22 , weil dieser sich seiner Aufgabe nicht gewachsen gezeigt habe. Er habe sich diplomatisch mehr als ungeschickt benommen, indem er alles rundweg abgelehnt und Bayern in eine isolierte Lage gebracht. Diesem ist nur in gewissem Umfang zuzustimmen. Die Schuld, die Montgelas Wrede nachträglich allein zuzuschreiben sucht und an ihm kein gutes Haar läßt - aus verständlichen Gründen, denn Wrede war einer der Hauptinitiatoren von Montgelas' Sturz -, trifft Wrede keineswegs ausschließlich. Denn er handelte ja im Grunde nur nach der Order, sich in positiver Weise einzig um die territorialen Interessen zu kümmern, ansonsten aber eine deutsche Verfassung rundweg abzulehnen. Sprechender Beweis hierfür ist ein Bericht Wredes vom Oktober 1815, in dem er nach München schreibt, daß er nicht so ganz gemäß seiner Instruktion handeln könne und wohl oder übel doch an den deutschen Verfassungsberatungen teilnehmen müsse: "Alle Köpfe sind so exaltiert und ... so verschossen in eine deutsche Verfassung, daß die Klugheit verlangt, sich ihr nicht gänzlich zu versagen 23 ." Wrede handelt damit gegen die Instruktion Montgelas', sich überhaupt und erst dann an den Verhandlungstisch über eventuelle deutsche Probleme zu setzen, wenn die Territorialfragen geklärt seien. Er sieht, obwohl er sonst in der Tat sehr wenig diplomatisches Feingefühl besitzt, daß dies unmöglich ist. Metternich ist im Gegenteil bemüht, die Verhandlungen über die Gestaltung des Deutschen Bundes ganz bewußt von den Territorialfragen zu trennen. Sonst erscheinen ihm diese wegen der Kompliziertheit dieser Fragen von vorneherein aussichtslos. So nimmt Wrede, der am 18. September in Wien eingetroffen ist, am 16. Oktober 1814 zusammen mit Metternich, Wessenberg (Österreich), Hardenberg, Humboldt (preußen), Münster (Hannover) und Linden (Württemberg) zum ersten Mal an den Verhandlungen zu einer gemeinsamen deutschen Verfassung teiL Allein diese fünf größten deutschen Staaten bilden den "Deutschen Ausschuß", in dem die Vorentscheidungen für die Gestaltung der künftigen deutschen Verfassung fallen sollen. Vertreter des "nichtköniglichen Deutschlands" dürfen an ihm trotz aller Eingaben nicht teilnehmen. Um so eingehender und argwöhnischer wird 22
23
Montgelas: Denkwürdigkeiten, S. 386. Zitiert bei M. Doeberl: Bayern und Deutschland, S. 4.
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
der Ausschuß von den Dutzenden Vertretern und Gesandten aller dieser kleineren Staaten, an der Spitze Kurhessen und die großen freien Städte, die sich alle in Wien aufhalten, beobachtet. Schon in der ersten Sitzung geht es um das gemeinsam von Preußen und Österreich vorgelegte 12-Punkte-Programm24, das unter Federführung Preußens entstand und den Grundstock: für die neue deutsche Verfassung bilden soll. Das Programm, in dem als "Zweck: des Bundes" "die Erhaltung der äußeren Ruhe und Unabhängigkeit und der inneren Sicherung der verfassungsmäßigen Rechte jeder Classe der Nation" (§ 2) proklamiert wird, sind die wichtigsten Punkte: 1. Die Einteilung Deutschlands in "eine Anzahl von Kreisen", deren Kreisabgeordnete eine Bundesversammlung bilden (§ 4). Dieser Bundesversammlung steht ein "Rath der Kreisobersten" (§ 5), bestehend aus den fünf mächtigsten Bundesstaaten (Österreich, Preußen, Bayern, Württemberg, Hannover) vor; dem Rat der Kreisobersten "gebührt ausschließlich und allein die Leitung und ausübende Gewalt des Bundes, ... da er als ein Ganzes gegen auswärtige Mächte erscheinen muß, die Entscheidung über Krieg und Frieden".
2. In diesem Rat sollen Österreich und Preußen je zwei Stimmen, Bayern, Württemberg und Hannover je eine Stimme haben. Die beiden Großmächte haben also zusammen die absolute Mehrheit. Der Rat soll "ununterbrochen in derselben Stadt versammelt" sein und "nach der Mehrheit der Stimmen" entscheiden. 3. Neben dem "Rath der Kreisobersten" wird ein "Rath der Stände"
(§ 6) eingerichtet. Er soll zusammen mit dem Rat der Kreisobersten, "je-
doch so, daß beyde als abgesonderte Stimmen rathschlagen, die gesetzgebende Gewalt des Bundes" bilden. Er besteht a) aus einer Anzahl fürstlicher Häuser, die der Kreisobersten mit eingerechnet", welche Virilstimmen haben, b) aus den übrigen fürstlichen Häusern und den freyen Städten mit Curiatstimmen". 4. Österreich "führt in beyden Räthen der Bundesversammlung das Geschäftsdirektoriums (§ 7). 5. Jeder Bundesstaat, sofern er keine Länder außerhalb Deutschlands besitzt, verpflichtet sich, "für sich keine Kriege mit auswärtigen Mächten zu führen noch an denselben Teil zu nehmen, auch ohne Vorbehalt der Zustimmung des Bundes keine darauf Bezug führende Bündnisse noch Subsidien, noch andern, die Überlassung von Truppen betreffende Verträge einzugehen (§ 9)." 6. Die Bundesstaaten "unterwerfen ihre Streitigkeiten ... dem Rath der Kreisobersten und einem Bundesgericht", die eine "richterliche U
Handschriftliches Exemplar in GSTA MA II 1031.
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der "Souveränität"
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Entscheidung" fällen. Dieses "Bundesgericht" befaßt sich auch mit "Klagen, die über Verletzungen des Bundesvertrages in einzelnen Ländern bzw. demselben erhoben werden" (§ 10). 7. "Der Bundesvertrag legt die Nothwendigkeit einer ständischen Verfassung in jedem einzelnen Bundesstaat fest und bestimmt ein Minimum der ständischen Rechte, überläßt aber übrigens den einzelnen Staaten, ihren Ständen nicht nur ein Mehreres einzuräumen, sondern auch ihnen eine der Landesart, dem Charakter der Einwohner und dem Herkommen angemessene Einrichtung zu geben" (§ 11). Metternich und vor allem Humboldt warten nach Vorlage dieses Programms gespannt auf Bayerns, Württembergs und Hannovers Reaktion. Baron von Linden (Württemberg) erklärt ebenso wie der hannoversche Gesandte Graf Münster vorsichtig, den Entwurf "mit Sorgfalt beobachten" zu wollen. Der Bund müsse selbstverständlich, das sei dessen Hauptziel, "allen Staaten Sicherheit gewähren", hier sei er völlig mit Preußen und Österreich einig. Allein "es sei die Frage zu erwägen", fährt Linden fort, ob durch diesen Entwurf "nicht die Souveränität mehr beschränkt werde, als das Hauptziel erfordert"25. Die Aussage Lindens, die sich später in den "Bemerkungen zum Bund" von König Friedrich von Württemberg wiederholtH , ist sehr interessant. Denn sie beinhaltet offenkundig, daß Württemberg sich bei Eintritt in den Bund - und es lehnt diesen Eintritt keineswegs schroff ab - mit einer gewissen Beschränkung der Souveränität abzufinden bereit ist. Es will die Souveränität nur nicht mehr als erforderlich beschränkt wissen. Näher erklärt sich Linden vorerst nicht. Ganz anders Wrede. Dieser folgt nun hundertprozentig der Weisung Montgelas', alle deutschen Verfassungsvorschläge, die auch nur den Anschein einer Gefährdung der Souveränität Bayerns mit sich brächten, sofort rigoros abzulehnen. Es falle "der bayerischen Regierung schmerzlich, dem vorgelegten Entwurf nicht bey treten zu können", erklärt er ohne Umschweife. "Das baierische Gouvernement" sei "nicht gesinnt, sich der Ausübung irgendeines Regierungsrechtes zu begeben, das S. Königlichen Majestät durch die neuesten Verträge (Vertrag von Ried und Pariser Vertrag) garantierten Souveränität anhängt und welche Baiern bisher rechtmäßig ausgeübt hat." Besonders erregt sich Wrede dabei über den § 10 des Programms, das geplante Bundesgericht. Dieses sei mit der Souveränität Bayerns unvereinbar, vor allem die Tatsache, daß sogar Untertanen des bayerischen 25 Dieses und die folgenden wörtlichen Zitate aus dem Protokoll der Sitzung vom 16. Oktober 1814, GSTA MA II 1031. 21 "Bemerkungen des Königs von Württemberg zum Bund", Aktenstück in GSTAMAII 1031.
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H. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
Souveräns, gemeint sind besonders die mediatisierten Fürsten, sich an dieses Gericht wenden könnten, um gegen diesen ihren Souverän zu klagen: "S. M. der König glauben nicht, Ihre Unterthanen, über welche Sie unbedingte durch ältere und neuere Verträge anerkannte und gesicherte Regierungsrechte ausüben, noch das Recht einer Berufung an den Bundesrath einräumen zu können, nachdem die Königlich baierische Regierung die von ihr eingesetzten Gerichtshöfe als einzig Reelle anerkennt, welche auch gegen Sie selbst entscheiden und ihre Urtheile vollziehen können." Ferner wendet sich Wrede strikt dagegen, daß Österreich und Preußen im Rat der Kreisvorsitzenden je zwei Stimmen und damit die absolute Mehrheit erhalten sollen: "Jedem der Kreisobersten müssen gleiche Stimmen zu teil werden." Auch der § 11 betreffs der festgelegten ständischen Verfassung durch den Bund sei eine Bedrohung der Souveränität. Der baierische König habe seinen Staaten bereits "eine ihrer Würde, ihren äußeren und inneren Verhältnissen angemessene Verfassung gegeben" und halte "es daher nicht für zweckmäßig, über das Maximum oder Minimum der Rechte des einen oder des anderen darin beteiligten Standes den Bundes-Rath entscheiden zu lassen". Wrede wischt gerade diesen Paragraphen, an dem Metternich so viel gelegen ist, in einer Art vom Tisch, als sei er damit ein für allemal für ihn erledigt. In Wirklichkeit gibt dieser Paragraph 11, der spätere Artikel 13 der Bundesakte, in München den ersten großen Anstoß zu Beratungen zur Verfassung von 1818, mit der Bayern einer vom Bund dekretierten Verfassung zuvorkommen Will27 • Es ist vor allem diese barsche, gar nicht konziliante Art, die dem bayerischen Feldmarschall in Wien sofort allgemeine Gegnerschaft einbringt. Nicht nur bei den preußischen und österreichischen Diplomaten, sondern auch im eigenen Lager. Der in Wien akkreditierte bayerische Gesandte Graf Aloys von Rechberg wird von ihm ebenso von oben herab, arrogant und demütigend behandelt. Wrede duldet als Sonder-Kongreßgesandter niemand neben sich. Es mangelt ihm sehr an Einfühlungsvermögen und !7 Die erste beratende Sitzung über eine neue Verfassung findet am 20. Okt. 1814 statt. (Prot. d. Sitzung im HSTA München, Staatsrat 1643.) In der Sitzung schlägt der Referent, Adam von Aretin, als § 1 des 1. Titels die Fassung vor: "Das Königreich Bayern bildet in der Gesammt Vereinigung aller älteren und neuen Gebietstheile einen souveränen Staat, in monarchischer Verfassung nach den näheren Bestimmungen der gegenwärtigen Reichs Konstituzion." Zentner beantragt darauf sofort, die letztgenannte Formel wegzulassen, da eine Erwähnung des Bundes, der, wenn er zustandekomme, in keiner Weise in die Souveränität Bayerns eingreifen dürfe, in der bayerischen Konstitution folglich unnötig sei. Die Mehrheit stimmt Zentner sofort zu. Da dessen Meinung auch in den Verfassungsberatungen des Jahres 1818 die vorherrschende bleibt, wird in der endgültigen Konstitution vom 25. Juni 1818 der deutsche Bund, dem Bayern angehört, mit keinem Wort erwähnt. Vgl. Dobmann, S. 133/134. Siehe unser diesbez. Kapitel unten.
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der "Souveränität"
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Takt. Rechberg, der schwer unter der "vanite et jalousie de Wrede" leidet, berichtet verzweifelt über dessen faux pas nach München28 • Dadurch, daß Wrede nicht im geringsten mit dem bayer. Gesandten, der zu Metternich ein gutes Verhältnis hat, zusammenarbeitet, fällt jede Möglichkeit weg, manche Ungeschicklichkeit des Feldmarschalls auszugleichen. In der nächsten Sitzung am 20. Oktober zieht Wrede gleich mit Vehemenz gegen den § 9 (Verpflichtung der Bundesstaaten, keine Kriege mit fremden Mächten zu führen und ohne Zustimmung des Bundes keine Bündnisse mit ihnen zu schließen) zu Felde. Diese Souveränitätsbeschneidung will er unbedingt abwehren. Allerdings geht er hier vorsichtiger vor, denn er ist sich bewußt, daß dieser Punkt eine der Fundamentalforderungen des Bundes darstellt. Er versucht sich vor allem bei Österreich anzubiedern, dessen Spannungen mit Preußen ihm bekannt sind29 • Bayern müsse das Recht des Krieges und der Bündnisse, ohne erst den Bund zu fragen, behalten, erklärt er und begründet dies mit seiner geographischen Lage zwischen Österreich und Frankreich. Nach "der besonderen Lage Bayerns" sei es " denkbar, daß wenn p. E. Frankreich mit Österreich in Italien einen Krieg führe, an dem mithin der Bund nicht verpflichtet sey Antheil zu nehmen (weil Österreich als Bundesstaat mit Ländern außerhalb Deutschlands nicht an den § 9 gebunden ist), gleichwohl Bayern den Kriegsstaaten so nahe komme, daß es sich nicht nur genöthigt sehen würde, seine Truppen zur Formierung eines Cordons zusammenzuziehen, sondern ihm auch freystehen müsse, Österreich zu Hülfe zu kommen, ohne desfalls die Zustimmung des Bundes einzuholen, welches theils wegen des Zeitverlustes, theils wegen der als möglich denkbare Weigerung der Zustimmung des Bundes nachtheilig sein würde"30. Brief Rechbergs v. 19. 9. 1814, zitiert bei Aretin, S. 8. n So hatte Wrede schon am 11. Oktober, also vor Beginn der Sitzungen, eine Unterredung mit Gentz, in der ihm dieser (laut Bericht Wredes vom 12. Okt. 1814, GSTA MA 11 1028) bestehende Spannungen zwischen Österreich und Preußen offenherzig andeutete und ihm, so Wrede, im Fall der Not eine Allianz zwischen österreich, Bayern und Frankreich, das man nach dem Wechsel seiner Dynastie nicht mehr ausschließlich als Feind betrachten könne. Wrede ging hierauf nach seinem Bericht nicht weiter ein, zeigte sich gegenüber Gentz aber sehr erstaunt, daß dieser Frankreich als potentiellen Bündnispartner in Betracht zog. Diese Unterredung, die schon Wredes Biograph J. Heilmann: Feldmarschall Fürst Wrede, München 1881, S. 401 ff. erwähnt hat, wird von Aretin betr. der Haltung Wredes besonders hervorgehoben: "Wenn Wrede in so eindeutiger Weise die Streitigkeiten zwischen den beiden Großmächten vorgeführt wurden, dann ist es nicht verwunderlich, daß er an ihre Einheit in der deutschen Frage auch nicht glauben konnte" (Aretin, S. 6). Diese Feststellung Aretins ist richtig. Wrede sollte sich jedoch täuschen. Preußen und Österreich zogen, was die Notwendigkeit der Schaffung des Bundes betraf, doch anfangs an einem Strick und zeigten dies Wrede in der Sitzung vom 20. Oktober - siehe unsere folgende Darstellung - sehr deutlich. Nach der sächsischen Krise sollte sich das allerdings ändern. 30 Protokoll der Sitzung vom 20. Okt. 1814, GSTA MA 111031, auch abgedruckt bei Klilber 11, Acten, S. 109 ff. 28
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H. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
Österreich geht auf diesen Vorschlag jedoch nicht im geringsten ein. Ebenso wie die preußischen und der hannoversche Vertreter erklären Metternich und Wessenberg sofort unmißverständlich, sie müßten "auf dem Grundsatz bestehen, daß die blos deutschen Bundesstaaten ohne Zustimmung des Bundes keinen Theil an Kriegen mit auswärtigen Mächten nehmen und keine Bündnisse eingehen könnten"81. Nur dadurch lasse "sich der für die Ruhe Deutschland als eine große - zwischen Frankreich auf der einen und Rußland auf der anderen Seite - Staatengesellschaft nicht durch die Handlungen einzelner Mitglieder gefährdet und in Kriege verflochten "32 werden. Dem Argument Wredes, Bayern wolle im Falle eines Krieges zwischen Österreich und Frankreich ja nur möglichst schnell Österreich zu Hilfe kom!Ilen, wird entgegnet, es könne vielleicht ja auch einmal andersherum sein, nämlich, daß im Falle eines Krieges zwischen Frankreich und Österreich in Italien sich "ein Staat" - man ist galant und sagt nicht direkt, daß man natürlich Bayern meint - "sich mit dem ersteren verbünden"88 wolle. Besonders deutlich wendet sich noch Graf Münster (Hannover) gegen Wredes Forderung, Bayern müsse sich das Recht auf Bündnisse mit auswärtigen Mächten ohne Kontrolle des Bundes vorbehalten. Er erklärt, Bayern solle sich ein Beispiel an Hannover nehmen, das, "obwohl es nach seinen Verhältnissen mit England am leichtesten in den Fall kommen könne, zu Bündnissen aufgefordert zu werden, gleichwohl bereit sey, alle Schließung solcher Bündnisse ohne Zustimmung des Bundes nicht zu leisten". Das gleiche sei doch wohl auch von den "blos deutschen Staaten" zu erwarten und zu verlangen3'. Wrede ist darauf in ziemlicher Verlegenheit. Er stelle dies alles, erklärt er zunächst, "gar nicht in Abrede", dann aber hat er wieder Montgelas' Souveränitätsinstruktion vor Augen. Er sei jedoch sicher, daß "diese Grundsätze von seinem Souverän nicht angenommen würden", sagt er. Er müsse deshalb für Bayern "Modifikationen"35 verlangen.
Württembergs Frage: Warum Vermeidung des Wortes "Souveränität" im 12-Punkte-Entwurf? In diesem Moment, während die Gereiztheit gegen Wrede bei Preußen, Österreich und Hannover immer stärker wird und dieser sich offensicht31 32
83 S4
a5
Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda.
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lich in einem Engpaß befindet, erhält er plötzlich unerwartete Schützenhilfe. Der württembergische Gesandte, der während Wredes deklamatorischem "Alleingang" bisher abwartend dagesessen hat, überreicht Metternich nun ebenfalls eine Erklärung 36 , in der König Friedrich von Württemberg auch starke Bedenken gegen das 12-Punkte-Programm anmeldet. Vor allem ist Württemberg etwas ganz Entscheidendes aufgefallen, nämlich die Tatsache, daß der österreichisch-preußische Verfassungsvorschlag ganz bewußt das Wort "Souveränität" bzw. "Souveränitätsrechte" vermeidet - obwohl die "Souveränität" den ehemaligen Rheinbundstaaten in Paris von Österreich und Preußen garantiert worden ist - und stattdessen immer nur von "Regierungsrechten" spricht. Damit hat Württemberg die beiden Großmächte an einer der verwundbarsten Stellen getroffen. Denn die Ausklammerung des Wortes "Souveränität" aus dem Verfassungsvorschlag ist durch Preußen und Österreich ganz bewußt geschehen, ist eine der wichtigsten überlegungen gewesen. Beide sind sich darüber im klaren, daß dieser Begriff, wenn er im Verfassungstext der Bundesakte stehen sollte, das Zustandekommen eines wirklichen Bundes aufs schwerste behindern würde; beide fürchten sehr, daß die Souveränität, die schon mit der Verfassung des alten Reiches unvereinbar war und die dessen Existenz beendete, als die Rheinbundstaaten mit Unterstützung Napoleons ihre Souveränität erklärten, ebenso schwierig mit dem föderalistischen Prinzip vereinbar sein wird, auf dem der deutsche Bund, der Nachfolger des alten Reiches, beruhen soll. Die Bundesstaaten könnten mit dem Hinweis auf ihre verfassungsrechtlich verankerte Souveränität dem Bund auch die kleinsten Zugeständnisse verweigern und diesen ad absurdum führen. Natürlich ist es besonders pikant, die beiden Großmächte in dieser Anti-Souveränitätsrolle zu sehen, vor allem Preußen. Denn Preußen war es ja zuallererst gewesen, das schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts seine "Souverainete" wie "einen Rocher von Bronce" proklamiert hatte, und zwar bewußt gegen den Kaiser im Verlauf und nach den Schlesischen Kriegen37 • Inzwischen aber hat sich in Preußen die Haltung gegenüber dem Begriff "Souveränität" auf Grund der neuen Lage Deutschlands und den Zielsetzungen der preußischen Politik grundlegend gewandelt. Wie sehr, zeigen am besten die Bemerkungen Steins zu Humboldts großer Verfassungsdenkschrift vom Dezember 1813 38 • In dieser Denkschrift hatte 38 "Königlich württembergische Erklärung über die zwölf Deliberationspunkte als Grundlage der teutschen Bundesverfassung", in GSTA MA 11 1031; wörtlicher Abdruck auch bei Klüber H, Acten, S. 95 ff. 37 Siehe oben Einleitung 2, Anm. 62. 38 Humboldts Denkschrift abgedruckt bei Stein: Briefwechsel, Bd. 4, S. 514 ff.
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Humboldt zum ersten Mal sein Grundprinzip des vielgliederigen Föderalismus mit möglichst zahlreichen Staaten im Bund entwickelt, das ihm als die beste Basis für die Einheit Deutschlands erschien. Humboldt erwartete sich von dieser Vielgliedrigkeit des Bundessystems keine Schwächung, sondern eine Stärkung der Gesamtstaatlichkeit38a . Er war der Ansicht, daß bei einer Aufteilung Deutschlands auf nur vier oder fünf große Staaten, jeder einzelne von ihnen zwangsläufig politische Selbständigkeit beanspruchen würde, was mit einer wirklichen föderativen Einheit unvereinbar sein würde. In seiner Denkschrift hatte Humboldt zunächst, ausgehend von der faktischen Situation in Deutschland nach dem Ende des Reichs und dem Ende der Herrschaft Napoleons - von der "Souveränität der deutschen Staaten"39 gesprochen. Dieses wurde jedoch von Stein kurz darauf in dessen Bemerkungen vom 3. Januar 1814 mit größtem Nachdruck korrigiert. Der Ausdruck "Souveränität", schrieb er Humboldt, sei in einer deutschen Bundesverfassung als "ausländisch und unpassend"40 in jeder Hinsicht ganz zu vermeiden. Sähe er denn nicht die Gefahren, die daraus für die beabsichtigte Einheit Deutschlands entstünden? Jeder Staat werde auf seine verfassungs rechtliche Souveränität pochen und dem Bundesganzen nicht das geringste Opfer bringen wollen, so daß der Bund praktisch unrealisierbar sei. Das Ergebnis sei also, wenn das Wort "Souveränität" für alle Staaten in der Bundesakte stehe, wahrscheinlich das gleiche, als wenn Deutschland nur in vier oder fünf große Staaten aufgeteilt würde: es gäbe keinen Bund. Stein erinnert Humboldt mit den Worten, die Souveränität sei "ausländisch und unpassend" für Deutschland, ganz bewußt an den großen Reichsstaatslehrer J. J. Moser, der genau die gleichen Ausdrücke verwendet hatte41 . Er schlug Humboldt vor, das Wort "Souveränität" durch die Formel zu ersetzen, daß jeder deutsche Fürst "alle Hoheit hat, insofern sie nicht durch den Bundesabschied und die innere Bundesverfassung beschränkt wird"42. 88a Das heißt aber nicht, daß Humboldt zu den staatsrechtlichen Verfassungszuständen des alten Reiches zurückkehren wollte und die seit 1803 mediatisierten Reichsstände restituieren wollte; aber er wollte sie doch wieder mehr beteiligen und bekämpfte ganz entschieden den Plan der "Flurbereinigung" Deutschlands, d. h. die Kleinstaaten samt und sonders zu mediatisieren und so die Zahl der Länder weiter zu vermindern. Siehe hierzu im einzelnen sehr ausführlich E. R. Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, a.a.O., § 29, S. 510 ff.: ..Die Bundespläne Steins, Humboldts und Hardenbergs. " 3D Humboldts Denkschrift, a.a.O., S. 515. 40 Bemerkungen Steins vom 3. Jan. 1814 zum Humboldts Denkschrift, in: Stein, Briefwechsel, Bd. 4, S. 528 ff. 41 Siehe oben Einleitung 2, Anm. 53 und 57. 42 Bemerkungen Stein, a.a.O., S. 529.
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Der von diesen Argumenten stark beeindruckte Humboldt war mit Steins Vorschlag sofort einverstanden. Bei Österreichs Wunsch, die Aufnahme der "Souveränität" in die Verfassung zu umgehen, spielte die Berücksichtigung der ehemals reichsunmittelbaren und jetzt mediatisierten kleinen Fürsten und Grafen ebenfalls eine ganz gewichtige Rolle, jedoch unter anderen Vorzeichen als bei Preußen. Die Mediatisierten, die früher im Reich seine stärktsen Stützen waren, sollten in der Bundesversammlung auch ein Teilstimmrecht neben den Bundesstaaten erhalten und waren als wichtige Hilfstruppen der österreichischen Bewahrungs- und Restaurationspolitik eingeplant, mit der Metternich den ständestaatlichen Verfassungscharakter im Bund und in dessen Staaten erhalten und den revolutionären "VolksGeist" bekämpfen will. Man hatte deshalb beschlossen, das Wort "Souveränität" unter allen Umständen aus der Bundesverfassung herauszuhalten und aus Deutschland wieder zu verbannen. Es sollte aber, auf Initiative Österreichs, das Bayern ja im Vertrag von Ried die "volle Souveränität" ausdrücklich garantiert hatte, so unspektakulär wie möglich geschehen. Man einigte sich deshalb darauf, das Wort "Souveränität" einfach zu elimnieren und totzuschweigen. Dies nun fällt Württemberg auf, wobei es besonders vom § 3 des 12-Punkte-Programms ausgeht. Dort heißt es: "Indem die Staaten Deutschlands zur Erreichung dieses, auf das Wohl des gemeinsamen Vaterlandes gerichteten Endzweckes im neuen Bund zusammentreten, behalten sie alle und jeder von vollen Genuß ihrer Regierungsrechte, insoweit dieselben nicht durch den im vorigen Artikel bestimmten Zweck eingeschränkt und diese Einschränkungen in der Bundesurkunde namentlich ausgedrückt sind." Warum, bohrt der württembergische Gesandte Graf von Wintzingerode, sich auf diesen Paragraphen beziehend, schreibe man hier "Regierungsrechte" und nicht "Souveränitätsrechte"? Denn "unter dem Ausdruck Regierungsrechte" seien doch wohl "ohne Zweifel Souveränitätsrechte zu verstehen"43? Da Württemberg den beiden Großmächten selbstverständlich keine andere Absicht unterstelle, gestatte es sich den Hinweis, daß der Ausdruck "Regierungsrechte" nicht ganz zutreffend sei. Denn "die Regierungsrechte" seien nur "als Ausfluß der Souveränitätsrechte zu betrachten", "Regierung" und "Souveränität" seien keineswegs dasselbe; jemand der regiere, müsse noch lange nicht souverän sein". Wintzingerode beantragt deshalb für Württemberg, "bei künftiger Redaction" des Verfassungsentwurfes für den Bund "zu bemerken, daß 43 Sitzungsprotokoll vom 20. Oktober 1814, GSTA MA II 1031. " Ebenda.
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unter dem gewählten Ausdruck (Regierungsrechte) die sonst mit dem Worte Souveränitätsrechte bezeichneten Rechte verstanden werden ... "45. Dieser Antrag Württembergs, der die Absichten der beiden Großmächte schon in der zweiten Sitzung durchschaut, trifft die preußischen Vertreter Hardenberg und Humboldt sowie Metternich überraschend und kaum vorbereitet. Das Kernproblem des Bundes ist auf dem Tisch, das man so elegant zu umgehen gehofft hatte. Was tun? Soll man die bewußte Aussparung des Wortes "Souveränität" zugeben und die Gründe dafür nennen, was zweifellos eine entscheidende Auseinandersetzung zur Folge haben würde - oder soll man versuchen, eine andere Lösung zu finden? Metternich entscheidet sich für das zweite. Er nimmt die Erklärung kühl entgegen und schlägt dann vor, die Sitzung auf den übernächsten Tag zu vertagen, da die Zeit schon zu weit fortgeschritten sei. Er will sich erst mit Preußen besprechen. Die Sitzung wird unter großer Erbitterung und lauten Mißfallenskundgebungen vor allem der preußischen Vertreter geschlossen, die sich jedoch weniger gegen Württembergs Vertreter Graf Wintzingerode äußert - diesem will man ja nicht zeigen, wie sehr die württembergische Erklärung mit ihrem höflich und maßvoll formulierten Einwand ins Schwarze getroffen hat -, sondern vorwiegend gegen Wrede richtet, der in der Sitzung so sehr den starken Mann gespielt hat.
Preußens und Österreichs Einwände gegen die Souveränität: ein "ausländisches" Wort, das "Despotie" beinhalte In der nächsten Sitzung am 22. Oktober zeigt sich sofort, wie Österreich und Preußen vorgehen wollen, um die von Württemberg geforderte Aufnahme des Wortes "Souveränität" in die Bundesverfassung abzuwehren. Als gleich zu Beginn Graf Wintzingerode, der in der letzten Sitzung bemerkt hat, wie sehr seine Erklärung die Vertreter beider Großmächte erschütterte, den offiziellen Antrag wiederholt, statt des Wortes "Regierungsrechte" im dritten Paragraphen des 12-Punkte-Programms "Souveränitätsrechte" zu setzen, springt, kaum, daß er ausgeredet hat, der preußische Staatskanzler Fürst von Hardenberg auf und erklärt scharf, daß Preußen diesen Antrag strikt ablehne. Das Wort "Souveränität", argumentiert Hardenberg, sei ein "ausländisches", welches in einer deutschen Verfassung nicht angebracht sei. Preußen stimme deshalb für die Beibehaltung des Wortes "Regierungsrechte"46. Metternich pflichtet Hardenberg auf der Stelle bei. Auch Österreich, erklärt er, stimme für "Regierungsrechte, da das Wort Regierungsrechte alles dasjenige in sich fasse, was zu bezeichnen sey". Vor allem aber, betont er, sei wohl folgendes zu bedenken: "In neueren Zeiten", erklärt Ebenda. 46 Sitzungsprotoko1l22. Okt.1814, GSTA MA H 1031. 45
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er, seien "mit dem Wort Souveränitätsrechte despotische Rechte confundiert worden, dergleichen man nicht begehren könne"47. Diese Bemerkung Metternichs durchzieht später im Verlauf des ganzen 19. Jahrhunderts die deutsche Staatsrechtsliteratur48 • Der österreichische Staatskanzler belegt in diesem Augenblick das Wort "Souveränität" quasi mit einem historischen Fluch. Er setzt die "Souveränität", die der Kontinentaleroberer Napoleon zu Beginn des Jahrhunderts nach Deutschland gebracht und damit die alte deutsche Reichsverfassung ausgelöscht hat, mit "Despotie" gleich. Wer unumschränkte Souveränität fordert, ist, so Metternich, ein Despot, ein Unterdrücker, ein Tyrann. Wie Napoleon. Die Bemerkung Metternichs ist eine kaum verhüllte Drohung. An wessen Adresse sie gerichtet ist, braucht er nicht weiter hervorzuheben. Gentz ist es gewesen, der zu Beginn desselben Jahres 1814 den ehemaligen Rheinbundfürsten, besonders den süddeutschen "Souverainen" Bayerns, Württembergs und Badens offen die Anklage der "Despotie" entgegengeschleudert hat. Dabei konnte sich Gentz unter anderem besonders auf Deutschlands berühmten Reichsstaatslehrer Johann Stephan Pütter berufen, der schon 1777 gesagt hatte, daß jeder deutsche Territorialfürst, der "Souveränität" anstrebe, im Begriff sei, sich der "Despotie" schuldig zu machen49 • Bodins Postulat, so hatte Pütter eindringlichst Ebenda. So sagt z. B. A. Brunnquell: Staatsrecht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten, a.a.O. auf S. 142 unter Hinweis auf Metternichs Äußerung: "übrigens glauben wir noch des Mißverständnisses gedenken zu müssen, das sich hinsichtlich des Begriffes von Souveränität seit der Auflösung des teutschen Reiches nur zu unzweideutig ausgesprochen hat. Viele teutsche Landesherrn glaubten nämlich durch die erlangte Souveränität von allen gesetzlichen Verpflichtungen losgesprochen und entbunden worden zu seyn, ... sie hielten mithin Despotie und Souveränität für ganz identisch ..." H. A. Zachariae: Deutsches Staats- und Bundesrecht, a.a.O., S. 53 erklärt erläuternd zu Metternichs Zitat: "Mehrere Rheinbundfürsten glaubten aber, daß sie damit auch eine ihren Ständen und Unterthanen gegenüber unbeschränkte Gewalt erlangt hätten, welche sie zur Aufhebung der bestehenden landständischen Verfassung ermächtige und gaben hiermit dem Ausdruck eine seinem wahren Begriff durchaus fremde Deutung, die einige derselben auch noch auf dem Wiener Congress aufrecht zu erhalten suchten. In dem Begriffe der Souveränitätsrechte liegt keine Idee der Despotie." C. v. Kaltenborn: Geschichte der deutschen Bundesverhältnisse, a.a.O., S. 69 schreibt unter Bezug auf seine Quellenvorlage KliLber II: "Metternich erklärte, der Ausdruck ,Souveränität' sei neuerlich zur Geltendmachung despotischer Rechte benutzt worden und deshalb zu beseitigen." K. kommentiert: "Die Herrlichkeit und Machtvollkommenheit der Rheinbundfürsten bestand einzig in der Pflicht unbedingten Gehorsams gegen die Franzosen - ihre Herren - und in unbeschränkter Gewalt über die Deutschen, ihre Unterthanen. Der Purpur der Souveränität deckte die Knechtschaft der Fürsten und der trügerische Schein sog. Constitutionen hie und da die Rechtlosigkeit der Unterthanen gegen oben." Bayern kommt bei K. noch am besten weg: "In Baiern bestanden die Landstände wenigstens dem Namen nach noch bis zum 1. Mai 1808; dann geflel man sich nach Westfälisch-Französischem Muster eine neue Konstitution wenigstens schriftlich abzufassen." 49 Siehe oben Einleitung 2, Anm. 68. 47 48
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
betont, sei für die deutschen Territorialstaaten weder nach innen noch nach außen erstrebenswert. Gentz' Anklage ist in Deutschland von den kleinen mediatisierten Fürsten geradezu frenetisch aufgenommen und unterstützt worden. In seiner Schrift "Der Rheinische Bund oder die Löwengesellschaft"50 hat er die Rheinbundfürsten als "Despoten der ersten Potenz, selbst Sklaven eines höheren Gebieters und alles verschlingenden Oberdespoten" genannt. Sie hätten, da ihre von Napoleon empfangene Souveränität nach außen hin gleich Null gewesen sei, diese um so maßloser nach innen angewandt, indem sie aus ihr das Recht abgeleitet hätten, "kraft ihrer Souveränität die althergebrachten landständischen Verfassungen völlig willkürlich aufzuheben"51. Metternichs drohende Äußerung besagt mit anderen Worten kaum weniger, als daß Österreich und Preußen eventuell die Konsequenzen zu ziehen bereit wären, sollten die ehemaligen Rheinbundstaaten auf der "Souveränität" bestehen und sich damit als despotische Nachahmer Napoleons erweisen: man werde dann gegen sie vorgehen wie gegen diesen selbst. Wrede merkt nicht, worum es geht
Nach diesem "Donnerschlag" wendet Metternich jedoch wieder seine altbewährte Taktik an. Er lenkt in versöhnlicherem Tone ein, daß er Gentz: Der Rheinische Bund oder die Löwengesellschaft, Deutschland 1814. Ebenda; Gentzens Vokabular wird im gleichen Jahr von Stein, der schon Ende August 1813 in einer Denkschrift die Beschränkung der Souveränität auf eine schlichte Landeshoheit und die Einführung landständischer Verfassungen gefordert hat (Briefwechsel Bd. 4, S. 404 f.) voll übernommen. In seiner Denkschrift vom 4. November 1814 (Briefwechsel Bd. 5, S. 77 ff., deutscher Text bei Pertz, Stein, Bd. 4, S. 147) nennt Stein die 36 Rheinbundstaaten ,,36 Despotien". Insbesondere Bayern und Württemberg sind Zielscheibe seiner Angriffe. Immer wieder wirft er den beiden süddeutschen Königreichen "rheinbündisches Wesen" vor, worunter er sowohl alle Rückverbindungen mit dem napoleonischen System als auch alle Versuche, sich weiter auszudehnen versteht: in ihnen verkörpere sich ein "System des Ehrgeizes" gegen die Mitfürsten, ein "System der Vereinzelung" (d. h. des Partikularismus) gegen den Bund und ein "System des Despotismus" gegenüber den eigenen Unterthanen. Sie seien eine Gefahr nicht nur für die innere Ordnung und Sicherheit Deutschlands, sondern auch für den Frieden Europas; denn auch dieser hänge davon ab, daß "nicht ein Schwarm kleiner Höfe existiere, deren aufregende, stänkernde und notwendig treulose Politik eine Verwicklung von Ränken und Schlichen unterhält, die mehr oder weniger auf die Verhältnisse der großen Höfe zurückwirken." Daher seien Grenzen zu ziehen gegen die "Souveränität" der Fürsten, gegen "den schreienden Mißbrauch der Gewalt", gegen die "Launen der Despoten, welche durch eine jakobinische und neidische Dienerschaft geleitet werden". Deutschland müsse aufhören, ein "Tummelplatz von Unterdrückern und Unterdrückten zu sein". Wer speziell in Bayern mit "jakobinischer Diener" gemeint ist, ist klar: Montgelas. Vgl. auch E. R. Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I, a.a.O., S. 517. 50
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nichts dagegen habe, wenn jetzt im Protokoll vermerkt würde, daß unter den "Regierungsrechten", wenn man so wolle, "Souveränitätsrechte" im bekannten staatsrechtlichen Sinne zu verstehen seien52 • Hannover, dessen Vertreter Graf Münster die ganze Zeit beklommen geschwiegen hat, stimmt Metternichs Vorschlag sofort erleichtert zu. Württemberg nicht. Es läßt sich nicht einschüchtern. Wie äußert sich Bayern? Es kommt das Erstaunliche: auch Wrede pflichtet bei. Er hat sogar schon vor Metternichs Rede gleich nach Hardenbergs Antrag für die Beibehaltung des Wortes "Regierungsrechte" im dritten Paragraphen gestimmt. Ausgerechnet er, der fast alle Artikel des 12-Punkte-Programms als souveränitätsgefährdend angegriffen hat, unterstützt den württembergischen Antrag nicht. Man fragt sich verwundert, warum. Wredes verblüffende Haltung ist eigentlich nur aus folgenden Gründen zu erklären: 1. daß er vorsichtiger geworden ist, nachdem er sich in der ersten Sitzung durch sein überaus heftiges Auftreten so sehr die offene Gegnerschaft Preußens und Österreichs zugezogen hat - und nun zeigen will, daß er bereit ist, in "formellen" Dingen einzulenken; 2. daß er nicht mit Württemberg zusammenzugehen bereit ist und auch nicht im geringsten diesen Anschein erwecken will - Bayern macht sich ja auf württembergisches Gebiet territoriale Hoffnungen. Die Tatsache, daß Württemberg und Bayern nicht zusammenarbeiten, zeigt sich nirgends so deutlich wie hier. Der dritte, und wohl wahrscheinlichste Grund aber ist, daß Wrede, der sich gemäß seiner Instruktion überaus konzentriert mit den wichtigsten Einzelparagraphen des 12-Punkte-Programms, wie dem Bündnisrecht, der Frage der Gleichheit der Stimmen etc. beschäftigt, um hier auftragsgemäß die Souveränität Bayerns zu wahren und auf sein Recht zu achten, diesem "nur" formalen württembergischen Antrag kaum Beachtung schenkt und seine eminente Tragweite, die alle seine Einzelanstrengungen einschließt, überhaupt nicht erfaßt. Ein Beweis dafür ist die Tatsache, daß er es nicht einmal für notwendig hält, darüber nach München zu berichten. So erfährt Montgelas davon erst durch das später im November übersandte abschriftliche Protokoll dieser Sitzung, nicht durch Wredes tags darauf abgesandten persönlichen Bericht nach München. Damit ist der württembergische Souveränitäts-Antrag nach wenigen Minuten mit vier gegen eine Stimme gescheitert. Was Bayern betrifft, ist die Situation fast grotesk. Noch während Metternich spricht und dann das Abstimmungsergebnis protokollieren läßt, hört Wrede gar nicht zu, sondern ist eifrig mit einer "nachträglichen Erklärung"53 zum 9. ParagraGSTA MA II 1031. "Königlich-baierische nachträgliche Erklärung, den neunten der 12 Deliberationspunkte betreffend". GSTA MA II 1031. Siehe auch Klüber II: Acten, S. 52
53
114 ff.
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
phen des 12-Punkte-Programms beschäftigt, die er nun Metternich überreicht. Darin spricht er sich im Namen Bayerns noch einmal gegen jede Einschränkung des freien Bündnisrechts aus, weil diese mit "der Souveränität und Independenz des Königreiches unvereinbar" sei. Er müsse "wiederholen, daß eine Verzichtleistung auf das Recht der freien Verträge zum Vortheil des künftigen teutschen Bundes von Baiern weder rechtmäßig gefordert noch von dem König mit Befugnis eingegangen werden kann"54. Wie sehr Wrede bemüht ist, gen au das zu sagen, was ihm von München aufgetragen worden ist, zeigt der letzte Satz seiner Erklärung: Der bayerische König, schließt er, würde "an seinem Volke verantwortlich werden, wenn er ein Recht der Unabhängigkeit aufgäbe, an welchem der Nationalstolz Gefallen trägt, weil es mit unsäglichen Aufopferungen von Blut und Vermögen erkauft worden ist"55. Das ist nahezu wörtlich das, was in Montgelas' beschwörender Souveränitäts-Instruktion vom 14. September steht. Metternich nimmt die Erklärung ohne Kommentar entegegen und schließt dann die Sitzung. Zunächst ist er einmal froh, daß der Antrag Württembergs so glatt abgewehrt werden konnte. Er und die preußischen Vertreter mögen fast ebenso verwundert wie erleichtert darüber gewesen sein, daß der aufsässige Wrede diesen Antrag nicht mit allen Kräften unterstützte. Mit Recht. Acht Monate später, nach der großen Pause der Verhandlungen vom 16. November 1814 bis Anfang Mai 1815, wird Bayern diese Forderung zu seinem wichtigsten Anliegen machen. Doch greifen wir den Ereignissen nicht voraus.
Die Reaktion in München auf die ersten Wiener Verhandlungen - Montgelas bestärkt Wrede Inzwischen ist in München Wredes Bericht über die erste Konferenz vom 16. Oktober angekommen. Nach seiner Lektüre sieht sich Montgelas in seiner Befürchtung, daß durch das Verfassungsprojekt der Großmächte der Souveränität Bayerns größte Gefahr droht, bestätigt. Er antwortet seinem Gesandten deshalb sofort mit einer Eilinstruktion55a , die dessen ablehnende Haltung nicht nur gutheißt, sondern ihm dringend anheimstellt, noch unnachgiebiger zu sein. 54 Ebenda; an anderer Stelle wiederholt er noch einmal: der bayerische König sei nicht bereit, "sich der Ausübung irgendeines Regierungsrechtes, das der Souveränität anhängt, zu begeben". 55 Ebenda. 55a vom 23. 10. 1814, GSTA MA II 1031. Die folgenden wörtlichen Zitate sind aus dieser Instruktion.
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Wrede soll sich, so lautet Montgelas' Weisung, immer wieder auf die im Rieder Vertrag vom 8. Oktober 1813 und im Pariser Frieden vom 30. März 1814 "garantierte Unabhängigkeit und Souveränität" Bayerns berufen und müsse deshalb durchaus auch Einspruch gegen den § 1 des 12-Punkte-Programms einlegen, was er augenscheinlich bisher unterlassen habe. Betrachtet man diesen Paragraphen 1 - Wortlaut: "Die Staaten Deutschlands, mit inbegriff Österreichs und Preußens für ihre deutschen Länder, vereinigen sich zu einem Bund, welcher den Namen der deutsche führen wird. Jeder Eintretende leistet Verzicht auf das Recht, sich ohne Zustimmung der übrigen davon zu trennen." - gegen welchen Wrede keine Einwände gehabt hatte, der aber von Montgelas angefochten wird, so wird erneut deutlich, wie sehr dieser jeden bundes-staatlichen Gedanken ablehnt, und auch, wie offenkundig er sich über die wirkliche politische Lage in Wien täuscht - wie anachronistisch seine Politik unter den gegebenen Tatsachen geworden ist. Montgelas weist Wrede an, in der kommenden Sitzung nachträglich "den Wunsch beyzufügen", daß der Bund "soviel als möglich in der Form eines gewöhnlichen Allianz-Tractats abgefaßt und der Verzicht auf das Recht, sich ohne Zustimmung der übrigen davon zu trennen, als ungewöhnlich und überflüssig umgangen werden möge." Zum Glück ist Wrede jedoch wenigstens so klug, diesen Vorschlag seines dirigierenden Ministers nicht vorzutragen. Metternich und die preußischen Vertreter hätten ihm hierauf wohl höchstwahrscheinlich nahegelegt, den Konferenzraum zu verlassen. Schon im Pariser Frieden war ja ausdrücklich beschlossen worden, daß ein Bund und keine bloße Allianz die deutschen Fürsten zusammenfassen sollte. Auch im § 12 des 12-Punkte-Programms will Montgelas unbedingt einen Nebensatz gestrichen haben, und zwar denjenigen, der besagt, daß der Bundeszweck neben der Erhaltung der äußeren Ruhe und Unabhängigkeit seiner Staaten die "innere Sicherung der verfassungsmäßigen Rechte jeder Classe der Nation" sei. In dieser Forderung, mit der vor allem die kleineren Fürsten abgesichert werden sollen und mit der Österreich den alten ständestaatlichen Charakter Deutschlands bewahren will, sieht Montgelas, der sofort weiß, worauf dieser Satz abzielt, eine besonders schwere Gefahr für die innere Souveränität, da sie dem Bund die Möglichkeit verschafft, eventuell zu Gunsten der kleinen mediatisierten Fürsten in den Bundesstaaten zu intervenieren. Deshalb verlangt er von Wrede, der sich auch schon an diesem Satz gestoßen hat, die "gänzliche Auslassung dieses nachtheiIigen Beisatzes". Montgelas wiederholt dann erneut, was der "alleinige Zweck des Bundes seyn" dürfe: "kein anderer als die Beschützung der Grenzen von Deutschland, die Verteidigung derselben gegen jeden Angriff, die Erhal-
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tung der Unabhängigkeit, der Souveränität und der Besitzungen aller Mitglieder desselben ohne Ausnahme." Es fällt auf, daß Montgelas die betreffende Passage des § 2 - "Erhaltung der äußeren Ruhe und Unabhängigkeit" - fast instinktiv mit "Souveränität" ergänzt, dem entscheidenden Wort, das Österreich und Preußen so bewußt weggelassen haben. Im Augenblick fällt aber auch ihm, der sich intensivst mit dem Inhalt der einzelnen Paragraphen beschäftigt, das Fehlen des Wortes im ganzen Text des Entwurfes noch nicht direkt auf. Besonders scharf wendet sich Montgelas in seiner Instruktion noch einmal gegen das Bundesgericht (§ 10) und bestärkt Wrede in seiner Ablehnung. Er attackiert dann ebenfalls die §§ 5 und 6, in denen von der gesetzgebenden Gewalt des Bundes die Rede ist. Montgelas' Kommentar: er vermöge sich "nicht vorstellen, in was eigentlich die gesetzgebende Gewalt des Bundes bestehen" könne. Wie Wrede argwöhnt auch Montgelas im sog. "Rath der Stände" (§ 6) eine Institution, in der auch die Mediatisierten eine Stimme haben sollen. In der Tat sieht dieser Paragraph für Fürsten, deren Länder mehr als 20 000 Einwohner haben, Virilstimmen und für die übrigen fürstlichen Häuser und freien Städte Kuriatstimmen vor. Dieser Vorschlag ist für Montgelas und sein Souveränitätsprinzip völlig unakzeptabel. Die mediatisierten, unter der Souveränität des bayerischen Königs stehenden Fürsten als mitstimmende Gremien neben dem baierischen Souverän in den Bundesinstanzen - dies erscheint ihm für die innere Einheit und Festigkeit des souveränen bayerischen Staates untragbar. Die Mediatisierten haben nach seiner Auffassung 1807 alles erhalten, was ihnen zuzustehen war. Auch hier wird Wrede angewiesen, unter keinen Umständen nachzugeben. Ebenso verhält es sich mit der Forderung nach Stimmengleichheit im Rat der Kreisobersten (§ 5)58 - hier geht es ja um das Fundament der bayerischen Außenpolitik, um das Ziel, gleichrangige europäische Macht zu werden - und um den § 11 (pflicht einer ständischen Verfassung), dessen Ablehnung Montgelas ebenfalls weit schärfer formuliert als Wrede: "Die Einwirkung des Bundesrathes in die innere Verfassung eines einzelnen Staates, wie solche in diesem Artikel bei Festsetzung einer ständischen Verfassung ausgesprochen, wird von uns nie zugegeben werden." Durch diesen Paragraphen sieht Montgelas sein ganzes Lebenswerk gefährdet, den von ihm geschaffenen und weiter im Aufbau befindlichen neuen souveränen bayerischen Staat, in dem die alte ständisch feudale Verfassung der Vergangenheit angehört. 58 Montgelas: "Jedes Mitglied sollte ohne alle andere Rücksicht nur eine Stimme haben, und die Entscheidung sollte nach Mehrheit der Stimmen erfolgen."
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Der Streit um das Bündnisrecht - Wredes Ultimatum Die Instruktion Montgelas' ist Wasser auf die Mühle Wredes, der sich in seiner Verhandlungsführung voll bestätigt sieht. Bevor sie ihn erreicht, liegt er bereits wieder im heftigsten Streit mit den beiden Großmächten wegen seiner unnachgiebigen Haltung in der Frage des Bündnisrechtes (§ 9 des 12-Punkte-Programms), auf das sich seit der Sitzung vom 22. Oktober alle seine Anstrengungen konzentrieren. Erneut hat er in der nächsten Konferenz vom 24. Oktober barsch erklärt, daß "man baierischerseits dem Recht der freyen Bündnisse nicht zu entsagen gedenke und wenigstens auf der Befugnis beharre, Bündnisse mit einem deutschen Bundesgliede gegen einen auswärtigen Staat eingehen zu können"57. In folgenden konkreten Fällen müsse das z. B. der Fall sein: ,,1. Wenn Österreich oder Preußen einen Krieg im Westen oder Osten führten an, welchem der Bund versagt hätte, Antheil zu nehmen; 2. wenn der unglückliche Fall eintreten sollte, daß Österreicher oder Preußen über sich herfielen (Hohn und Spott gießt Wrede hier über die Großmächte aus); 3. müßte es Baiern, welches noch manche Ansprüche aus dem Rechtstitel der Successionen auf andere Staaten habe, auch vorbehalten bleiben, solche in entlegene Staaten wie z. B. in Spanien mit eigenen Truppen verfolgen zu können58 ." Diese Ansprüche Wredes rufen besonders Humboldt, der sich bisher immer ziemlich zurückgehalten hat, auf den Plan. Erregt entgegnet er dem bayerischen Vertreter, er solle sich doch endlich bemühen, einmal das "Interesse des Ganzen"59 im Auge zu haben. Auch Bayern müsse einsehen, daß es "ganz unmöglich wäre, einem Bundesstaate das Recht zuzugestehen, sich mit auswärtigen Mächten in Bündnisse einlassen zu können", und deshalb diese "Beschränkung" in Kauf nehmenso. Die Konferenz endet ergebnislos, auch nach ihrem Ende liefern sich Wrede und insbesondere die preußischen Vertreter heftige Wortgefechte. Das gleiche Bild festgefahrener Fronten bietet die Konferenz vom 26. Oktober. Wieder geht es um das Bündnisrecht. Um Wrede aus seiner negativen Haltung herauszulocken, hatte man ihn am Schluß der letzten Sitzung noch aufgefordert, in einem praktischen Vorschlag seine Ansicht zu entwickeln, wie seine Forderung des Bündnisrechts mit dem Wesen eines Bundes in Einklang zu bringen sei. Diesen Vorschlag legt Wrede 57
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Protokoll der Sitzung v. 24. 10. 1814, GSTA MA 11 1031. Ebenda. Ebenda. Ebenda.
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nun in der Sitzung mit der Bemerkung vor, daß dies "das letzte" sei, "wozu sich Bayern verstehen"61 könne. Es ist "gleichsam ein Ultimatum"82. Als Metternich dies hört, verliert er die Geduld. Er antwortet Wrede heftig, daß weder Österreich noch Preußen bisher etwas als conditio sine qua non bezeichnet hätten und dies doch wohl auch von anderen, zumal weniger mächtigen Konferenzteilnehmern, erwarten könnten. Dann versucht er, Wrede eine Lektion zu erteilen: er solle endlich begreifen, daß die deutschen Staaten hier "in einer doppelten Kategorie"63 erscheinen würden; zwar "als Souveräne", die aber durch einen "Societätsvertrag" bald einem gemeinsamen Bund angehören würden und "daher ihre Rechte beschränken" müßten. Es sei völlig unmöglich, ja "absurd", einem Glied die von Bayern beansprucllten Sonderrechte einzuräumen. Wrede legt ungerührt trotzdem seinen Vorschlag" vor und beharrt darauf, daß er von der Forderung des Bündnisrechtes nicht abgehen könne, weil diese Forderung einen "wesentlichen Bestandteil der garantierten Souveränität"85 darstelle. Außerdem sei das Bündnisrecht bereits im alten Reich zugestanden gewesen. Metternich entgegnet darauf noch verärgerter, Bayern beziehe sich immer nur dann auf die alte deutsche Reichsverfassung, so oft es "irgendeinen Vortheil davon herleiten könne". Auch im Rheinbund habe Bayern nicht selbständig Bündnisse schließen können und sich dort seiner Souveränitätrechte "auf viel drükkendere Weise begeben" müssen: "Wenn man jene Zeit mit dem angebotenen Bündnis vergleichen will, so wird dieser Vergleich für jene Zeiten viel niederschlagender sein"." Dieser wütende Vorwurf Metternichs, sein Hinweis auf den Rheinbund, treffen natürlich daneben. Bayern war dem Rheinbund ja auch keinesProtokoll der Sitzung vom 26. Okt. 1814, GSTA MA II 1031. So der Kommentar Klübers in Bd. II seiner "Acten", S. 130. 88 Protokoll der Sitzung vom 26. Okt. 1814, GSTA MA II 1031 und folgende wörtliche Zitate Metternichs. 84 In GSTA MA II 1031; wörtlicher Text: "Jedem Mitgliede des Bundes bleibt das Recht, Staats- und Hülfsverträge unabhängig vom Bunde abschließen zu können, unbenommen. Um jedoch zu verhindern, daß die äußere Sicherheit Deutschlands nicht in Gefahr komme, verpflichtet sich jeder, keine OffensivBündnisse gegen den Bund einzugehen. Diejenigen Bundesglieder, welche zugleich außerhalt Teutschlands Staaten besitzen, und welchen in Hinblick auf letztere das Recht der Bündnisse und Verträge nicht beschränkt werden kann, übernehmen die Verbindlichkeit, keine Kriege, Bündnisse und Verträge einzugehen, welche mittel- oder unmittelbar gegen den Bund oder eines seiner Mitglieder gerichtet seyn würden. Weiterhin ist jedem Bundesglied das Recht der Selbsthülfe bei jedem unvorhergesehenen Angriff unbenommen, und es steht ihm frei, während der Zeit, als der Bund zur Verteidigung aufgefordert wird, alle erforderlichen Maßregeln zur Sicherung seiner eigenen Grenzen selbständig zu ergreifen." 85 Protokoll der Sitzung vom 26. Okt.1814, GSTA MA 11 1031. 88 Ebenda. 81
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wegs freiwillig, sondern unter Zwang beigetreten. Eine "Prefecture francaise"67 sah Montgelas in ihm, der die soeben errungene Souveränität Bayerns wieder schwerstens einengte und den Montgelas deshalb während seiner ganzen Dauer permanent sabotiert hatte. Wrede wird bei Metternichs Zornesausbruch ebenso wütend. Bayern, brüllt er, trete "dem Bund nur bey, weil es allgemein gewünscht"68 werde, keinesfalls "aus persönlichem Interesse", man solle sich diesbezüglich keinen Täuschungen hingeben. Und in seiner Wut posaunt er die wirklichen Vorstellungen bayerischer Außenpolitik hinaus: den angeblichen Vorteil, den Bayern aus dem Bunde ziehe, könne es mindestens "ebenso gut durch Alliancen mit einzelnen Mächten als durch die ConföderationsActe erhalten". Metternich, der inzwischen den bayerischen Vorschlag gelesen hat, lenkt daraufhin wieder etwas ein. Er nimmt das Papier zu seinen Unterlagen und erklärt dann, daß in dieser Frage ein "Ausweg" gefunden werden müsse. Man werde sie noch "in beondere Berathung ziehen". Ein zweiter umstrittener Tagesordnungspunkt dieser turbulenten Sitzung vom 26. Oktober ist die Curiatstimme für die Mediatisierten und die Anerkennung der freien Städte als stimmberechtigte Mitglieder. Beides lehnt Wrede glatt ab, wieder wird ihm heftig von Preußen und Österreich widersprochen. Humboldt meint, daß eine Stadt wie das große Hamburg "sogar Anspruch auf Virilstimmen" haben könne. Metternich pflichtet ihm bei: die alliierten Mächte hätten die Städte anerkannt. Wrede erwidert, daß er auch gar nicht gegen die Städte an sich protestieren wolle, dazu habe er bisher keinen bestimmten Auftrag erhalten. Er wolle jedoch jetzt schon in aller Deutlichkeit betonen, daß "die Städte der Souveränität der angrenzenden Fürsten untergeben seyn" müßten. Immer wieder pocht Wrede auf die "Souveränität", manchmal kommt das Wort in jedem zweiten und dritten Satz seiner Einwände vor. In der nächsten Sitzung vom 29. Oktober ist an Wredes Argumenten sofort erkenntlich, daß inzwischen Montgelas' Instruktion vom 23. Oktober in Wien eingetroffen ist. In der Instruktion hatte sich Montgelas besonders akzentuiert für eine unbedingte Stimmengleichheit mit Österreich und Preußen ausgesprochen. Wenn Bayern sich zu einer selbständigen europäischen Macht entwickeln wollte - das war ja Montgelas' erklärtes Ziel - dann durfte es sich keinesfalls gefallen lassen, so ins zweite Glied abgeschoben zu werden. Darauf hatte er Wrede besonders hingewiesen. &7 Siehe oben unser Rheinbund-Kapitel. Protokoll der Sitzung vom 26. Okt. 1814, GSTA MA II 1031, alle folgenden wörtlichen Zitate ebenda. 88
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Wrede befolgt diese Ratschläge sofort. Er bringt die Frage der Stimmengleichheit und Stimmenzahl gleich zur Debatte69 und verwickelt sich in eine endlose Auseinandersetzung mit Humboldt, der sich mit allen Kräften gegen seinen Antrag sträubt; denn Humboldt ist der Überzeugung, daß der Bund ein bewegungsunfähiges, stets blockiertes Gebilde sein wird, wenn die mittleren und kleineren Staaten die Möglichkeit haben, die beiden Großmächte zu überstimmen und jeden Beschluß zu Fall zu bringen. Er glaubt, daß es dem Bunde in diesem Fall "an aller exekutiven Gewalt fehlt ... und das dieser radikale Mangel immerfort hindern wird, daß der Bund auch den gerechten und billigen Erwartungen der Fürsten und Deutschlands eigentlich entspreche"70. Es fällt auf, daß bereits von dieser Sitzung am 29. Oktober an die österreichischen Delegierten Metternich und Wessenberg sehr zurückhaltend sind und sich im Gegensatz zu den vorigen Beratungen kaum mehr engagieren, die preußischen Bemühungen zu unterstützen. Der Konflikt zwischen den beiden Großmächten wegen der sächsischen Frage überschattet immer stärker die Verhandlungen, lähmt sie. Die Besprechungen bestehen jetzt fast ausschließlich in Auseinandersetzungen zwischen Preußen, Bayern und Württemberg, wobei auch letzteres einem neuen preußischen Entwurf in bezug auf das Recht des Krieges, der Verträge und der Gesandtschaften, den Humboldt in der Sitzung vom 3. November vorlegt, heftigen Widerspruch entgegensetzt. Erst in der neunten Sitzung am 7. November schaltet sich Metternich wieder mit einem längeren Beitrag in die Auseinandersetzungen ein. Wrede hatte sich zuvor wie üblich lautstark, aber plötzlich doch in gewisser Weise einlenkend - gegen das Bundesgericht geäußert. Es dürfe, so hat er angeführt, wenn überhaupt - nur dort zum Tragen kommen, wo bereits alle anderen Instanzen ausgeschöpft seien, sein Wirkungskreis müsse klar bezeichnet werden: erst wenn die Form "dieses Bundesgerichts näher entwickelt seyn" werde, sei er "im Stande, sich über die Zulässigkeit desselben zu erklären"71. Metternich greift diese Aussage des bayerischen Gesandten - sehr genau registrierend, daß dieser das Bundesgericht diesmal nicht von vorneherein in Bausch und Bogen ablehnt - sogleich auf. Im Tonfall weit milder als früher entgegnet er Wrede, sich direkt auf dessen wieder angeführte Souveränitäts-Gefährdung beziehend, daß niemand mehr als er "die Souveränitätsrechte eines jeden Staates verteidige", aber es sei doch der Zweck des Kongresses, einen "großen deutschen StaatskörVgl. Protokoll der Sitzung vom 29. Okt. 1814, GSTA MA II 1031. Zitiert bei C. RößleT: a.a.O., S.15. 71 Bericht Wredes vom 8. Nov. 1814, GSTA MA II 1031; und Protokoll der Sitzung vom 7. Nov., GSTA MA II 1031. 69
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per zu bilden, mithin in Fällen, wo die politische Existenz eines Individuums wider den Bundesvertrag oder die Constitution gekränkt und in den Rechten der Deutschheit gefährdet würde, dem Bunde das Recht zustehen müsse, diese Verletzungen abzustellen"72. Man muß hervorheben, daß der österreichische Staatskanzler hier betont "Souveränitätsrechte" sagt, was angesichts der vorherigen Debatten um das Wort " Souveränität " sicher nicht ohne Bedeutung ist. Tut Metternich, der große Taktiker, es mit dem Hintergedanken, Bayern und Württemberg einen Gefallen zu erweisen und diese bei einer möglichen Auseinandersetzung mit Preußen auf seine Seite zu ziehen? Will er Preußen brüskieren? Bezeichnenderweise wechselt er in dieser Sitzung kaum ein Wort mit den preußischen Vertretern. Bei Wrede ist bemerkenswert, daß er sich mit seiner Andeutung, Bayern könne das Bundesgericht unter bestimmten Bedingungen vielleicht doch akzeptieren, nicht ganz genau an Montgelas' Instruktion vom 23. 10. hält, die das Bundesgericht unter allen Umständen ablehnt73 . Württembergs Vertreter Graf Wintzingerode zeigt sich diesbezüglich unnachgiebiger. Er bezeichnet das Bundesgericht als "unannehmbares Tribunal"7'. Als Ausgleich gibt er sich aber in der Frage des Bündnisrechts verbindlicher. Hier müsse man sich möglicherweise mit "unvermeidlichen Opfern"75 hinsichtlich der äußeren Souveränität abfinden. In der nächsten Sitzung am 12. November steht das Bündnisrecht daraufhin erneut zur Diskussion. Das Klima dieser Sitzung ist noch frostiger als in den vorausgegangenen. Die praktische Ergebnislosigkeit der bisherigen Verhandlungen, vor allem aber der preußisch-österreichische Konflikt wegen Sachsen, haben die Stimmung auf den Nullpunkt sinken lassen. Vielleicht liegt hierin der Grund, daß Wrede, der bisher am meisten beschuldigt worden ist, durch seinen permanenten Einspruch und seine starre Haltung die Verhandlungen aufgehalten zu haben, nun abermals sehr wesentlich einlenkt und seine Aussage betreffs des Bündnisrechtes ebenfalls erheblich modifiziert. Er besteht plötzlich nicht mehr darauf, daß das Bündnisrecht der Bundesstaaten völlig unabhängig und einschränkungslos erhalten bleiben müsse, sondern schlägt von sich aus vor, daß alle Verträge, die auf "Krieg, Bündnisse oder Subsidien" Bezug Ebenda (Protokoll). Dort heißt es: "Ad § 10 (Bundesgericht): Hier hat all jenes Widerlegung, was schon weiter oben hinsichtlich unseres festen Entschlusses gesagt worden ist, keines unserer Regierungsrechte anzutasten." Instruktion Montgelas' vom 23. Okt. 1814, GSTA MA II 1031. n Sitzungsprotokoll vom 7. Nov.1814, GSTA MA II 1031. 75 Ebenda. 12
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hätten, "dem Bund mitgeteilt"76 werden müßten, ausgenommen Hausund Handelsverträge. Metternich tritt diesem Vorschlag sofort bei, und nach kurzer Diskussion findet er die allgemeine Billigung. Nun bedeutet die Formel "dem Bund mitgeteilt" zwar durchaus noch nicht, daß Bayern hinsichtlich des Bündnisrechts seine Bereitschaft erklärt, sich dem Bund zu unterwerfen. Dennoch aber ist es beachtlich, daß Montgelas diesem Zugeständnis Wredes in seiner Antwort-Instruktion vom 22. November ohne Rüge zustimmt7 7 • Denn im Grunde engt diese Bundes-überwachung, auch wenn sie erst nach Vollzug der geschlossenen Verträge eintritt, die äußere Souveränität Bayerns doch entscheidend ein. Sie schiebt dem Ziel Montgelas', auf dem Wege selbstgewählter Allianzen Expansivpolitik zu betreiben und Bayern zur gleichrangigen deutschen und europäischen Macht an die Seite Österreichs und Preußens zu stellen, einen Riegel vor. Hat Montgelas sein Ziel schon aufgegeben, seine Unrealisierbarkeit eingesehen? Wieviel Feindschaft Bayerns Gesandter sich in Wien gemacht hat, weiß er. Er kann es aus den nüchternsten Protokollen der einzelnen Sitzungen herauslesen. Wie groß die allgemeine Gegnerschaft und Frontstellung gegen Bayern vor allem in Preußen und in den engagiertesten Kreisen nationaler deutscher Einheit ist - der erbitterte Stein hat sogar die Intervention des Zaren gegen die beiden aufsässigen Mittelstaaten angerufen - zeigen Schmähschriften, in denen Bayern beschimpft und allein für die Ergebnislosigkeit der bisherigen Verhandlungen verantwortlich gemacht wird. Sie zirkulieren in Wien und lassen zweifellos Wrede nicht unbeeindruckt, so bärbeißig er sich auch gibt78 • Aus diesem Grunde gibt auch Montgelas nach, mit dem Wunsch und in der Hoffnung, daß der Bund sowieso nicht zustandekommen wird. Aus allen seinen Instruktionen gewinnt man den Eindruck, daß er bald mit einem Abbruch der Verhandlungen rechnet, und die täglich wachsenden Spannungen zwischen Österreich und Preußen bestärken ihn in dieser 78 Sitzungsprotokoll vom 12. Nov. 1814, GSTA MA II 1031. 77 "Das freye Recht der Bündnisse hat unser Feldmarschall bei allen noch vorkommenden Anlässen standhaft zu behaupten, wie es solcher bisher gethan hat. Wir können uns dazu verstehen, daß dem Bunde die Anzeige der geschlossenen Verträge, jedoch ausdrücklich nur solcher, weIche entweder Krieg oder Frieden oder Subsidien betreffen, keineswegs aber des Handels oder sonstiger Verträge gemacht werden." Instruktion Montgelas' vom 22. Nov. 1814, GSTA MA II 1031. 78 So hält Wrede beispielsweise am Anfang der Sitzung vom 14. Nov. Metternich und Humboldt zornrot in höchster Erregung den "Rheinischen Merkur" vor das Gesicht, in dem Bayern und sein Gesandter scharf angegriffen werden. In dieser Zeitung polemisiert häufig Stein gegen Bayern und seinen Gesandten.
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Absicht. Deshalb hält er es nicht für unangebracht, wenn Bayern jetzt einige Konzessionen macht, und sich vor dem Scheitern der Verhandlungen noch mit nachgiebigeren Vorschlägen in ein günstigeres Licht setzt. Er hält Wredes Verhalten für ganz opportun und taktisch klug.
Der Abbruch der Verhandlungen durch Österreich und Preußen als Folge der sächsischen Krise Montgelas' Mutmaßungen über einen baldigen Abbruch der Verhandlungen sollen sich nur zu schnell bewahrheiten. Als seine Instruktion vom 22. November mit der Zustimmung in Wien eintrifft, haben Österreich und Preußen bereits den Verhandlungstisch verlassen. Auch Hannover ist nicht mehr erschienen. Beide Großmächte schieben vor, Bayern und Württemberg hätten mit ihrem fortwährenden Einspruch die Verhandlungen zum Scheitern gebracht. In Wirklichkeit aber haben sie im Augenblick "kein rechtes Interesse mehr an der Lösung der deutschen Frage"7u. Die Streitigkeiten über Sachsen stehen im Vordergrund. Zwischen Österreich und Preußen herrschen größtes Mißtrauen und offene Feindschaft. Die letzte Sitzung hat am 16. November stattgefunden. In dieser und in der vorherigen Sitzung hatte Wrede noch einmal scharfen Einspruch gegen Curiatstimmen für die Mediatisierten im Rat der Stände erhoben und "königlkh baierischerseits" gefordert, daß nur "einige im Besitz der Souveränität sich befindende und als solche anerkannte Staaten"80 stimmberechtigt sein sollten. Bayern werde es als souveräner Staat nicht dulden, mit den kleinen mediatisierten Fürsten und Ständen auf eine Stufe gestellt zu werden oder sich etwa gar nach deren Beschlüssen richten zu müssen, hatte er erklärt. Als Wrede, Wintzingerode und Linden sich am 19. November wieder zum ausgemachten Termin in den Verhandlungsraum begeben, stehen sie vor leeren Stühlen. Empört protestiert Wintzingerode sofort schriftlich gegen diese Nichtachtung, Wrede wird mündlich bei Metternich vorstellig8l . Dieser erklärt ihm lapidar, daß die Verhandlungen vorerst ausgesetzt seien. Unfreundlich ist Metternich nicht. Er will Bayern nicht vor den Kopf stoßen, kann er es doch vielleicht bald brauchen. In seinem Bericht vom 20. November 82 nach München zieht Wrede die Bilanz der einmonatigen Bundesverhandlungen. In der Hauptsache, schreibt er, sei nichts geschehen, als daß man die gegenseitigen Absich78
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Aretin: Die deutsche Politik ... ,a.a.O., S. 17. Protokoll der Sitzung vom 16. Nov.1814, GSTAMA II 1031. Bericht Wredes vom 20. Nov. 1814 nach München, GSTA MA II 1031. In GSTA MA II 1031.
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I1. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
ten kennen gelernt hätte. Er ist sich anscheinend bewußt, daß er sich nicht immer sehr geschickt und diplomatisch verhalten hat, denn er rechtfertigt sich immer wieder, daß er gewiß nicht Schuld am Abbruch der Verhandlungen sei. Die Wirkung der Pressekampagne gegen Bayern und speziell gegen ihn zeigt sich hier erneut. Um so mehr streicht Wrede seinen Kompromißvorschlag zur Wahrung des Souveränitätsrechts der Bündnisse, dem auch von Preußen und Österreich zu gestimmt worden ist, als Erfolg seiner Bemühungen heraus. Das Bundesgericht' übergeht er bei der Niederschrift seines Berichtes ziemlich. Hier ist ihm nicht ganz wohl, hat er doch mit seiner Erklärung, Bayern würde das Bundesgericht unter gewissen Prämissen akzeptieren, eindeutig seine Instruktion überschritten. Deshalb ist er nun froh, daß sich daraus durch das Aussetzen der Verhandlungen keine weiteren Folgen ergeben. In der Tat zeigt auch die letzte Instruktion aus München, die vor dem Eintreffen der Nachricht vom Abbruch der Verhandlungen nach Wien abgeht83, daß Bayerns Gesandter betreffs des Bundesgerichts die strikten Anweisungen seiner Regierung nicht befolgte. In dem Schreiben, in dem das Wort "Souveränität" fast ein dutzend Mal vorkommt, lehnt Montgelas dieses Gericht noch einmal mit aller Schärfe ab: "Je mehr man diese Einrichtung prüft, desto mehr überzeugt man sich von ihrer Unzulässigkeit. Wir sehen nicht ein, warum ein Tribunal gebildet werden sollte, welches in auffallendem Kontrast mit allen Souveränitätsrechten steht und nichts anderes ist, als das mit allen seinen Gebrechen, nur unter anderem Namen, zurückgekommene Reichsgericht." Die innere Souveränität sieht Montgelas durch das Bundesgericht am meisten gefährdet. Sollte der Bund doch noch zustande kommen und schon die äußere Souveränität durch die kaum zu verhindernde Meldepflicht von Bündnissen und Verträgen eingeschränkt werden, so will er wenigstens im Innern jeden Eingriff des Bundes unbedingt verhindern. Der Vergleich mit dem Reichsgericht ist bezeichnend. Seine, wenn auch kaum mehr wirkungsvolle Existenz, hatte bis zum Zusammenbruch des Reiches allen Staatsrechtlern des endenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts in Deutschland als am meisten zitiertes Beweismittel gegen die Souveränität der Reichsterritorien gedient. Montgelas schärft Wrede deshalb nochmals ein: "Die inneren Verhältnisse und Rechte der einzelnen deutschen Bundesstaaten müssen ungekränkt belassen werden. Wenn auch gesagt wird, daß der Unterthan eines Bundesgliedes vorerst bei den Gerichtsstellen seines Landes klagbar aufgetreten sein müssen, so zieht dieses doch nicht weniger den Souverain vor 83 Instruktion Montgelas' an Wrede vom 20. Nov. 1814, GSTA MA II 1031. Alle folgenden wörtlichen Zitate Montgelas' aus dieser Instruktion.
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einen anderen Richterstuhl, was mit dem Begriff der Souveränität nicht vereinbar ist. " Ferner weist Montgelas Wrede in dieser Instruktion an, einen ständigen Vorsitz Österreichs im Bunde abzulehnen. "Gegen ein ausschließliches und erbliches Direktorium ist stets und eindringlich zu protestieren." Auch einen gesetzgeberischen Einfluß des 2. Rathes in Post-, Münzund Mautsachen werde er "auf keinen Fall gestatten". Dagegen, "wenn man über einen allgemeinen Münzfuß für Deutschland übereinzukommen gesonnen" sei (hier schrieb Montgelas zuerst: "wenn man über einen allgemeinen Münzfuß für Deutschland allgemein geltende Vorschriften zu geben gesonnen ist", strich es aber dann wieder durch, besonders dick das Wort "Vorschriften"), sei Bayern "gerne bereit, bei den disfalls zu machenden Vorschlägen und Berathungen mitzuwirken". Allerdings mit folgender Grundforderung: "Die Direktion und Anordnung der Münzfabrikation, die Aufsicht über die Münzstätte, die gänzliche Erstellung des dazu erforderlichen Personals, sowie die Beziehung des Schlagsgewinns muß einem jeden der großen Staaten ausdrücklich vorbehalten werden." Vor allem aber dürfe "auf den Münzen selbst kein anderes Bildniß als jenes des Regenten und kein anderes Wappen oder sonstiges Sinnbild als jenes des Staates, worin die Münze geschlagen wird, erscheinen". Das Münzrecht, das Montgelas' geistiger Vater Vattel weit mehr als Bodin betonte, wird auch von Montgelas ganz besonders als Souveränitätsrecht Bayerns hervorgehoben. Entschieden wendet sich Bayerns leitender Minister auch gegen jede etwaige geplante Beschneidung des Maut- und Zollrechts eines Staates. Dieses "bekanntlich schon den Reichsständen schon seit langem zugestandene Privilegium" - Montgelas doziert in seinen Instruktionen an Wrede manchmal so, als müsse er diesem Geschichtsunterricht erteilen gewähre Bayerns Staatskasse "eine jährliche Einnahme von einigen Millionen. Wir würden uns niemals einverstehen können, daß irgendeine Abänderung, welche auf diese Einnahme nachtheilig wirken könnte, geschehe". Dagegen ist Montgelas "gern bereit, allgemeine Anordnungen zur Belegung der deutschen Industrie und des Handels zu berathen". Hier zeigt er sich - ganz im Gegensatz zu dem Kabinettspolitiker alten Stils, der sich nicht auf die neuen Verhältnisse in Deutschland und Europa einzustellen bereit ist - als moderner, fortschrittlich denkender Staatsmann, der erkennt, daß die Zukunft Deutschlands in der Förderung von Handel und Industrie liegt, die die gesellschaftlichen Verhältnisse von Grund auf verändern werden. Noch einen Punkt berührt Montgelas in seiner Instruktion ganz besonders: die Frage des Stimmrechts für die mediatisierten Fürsten. Auch hier bestärkt er Wrede in dessen entschiedener Ablehnung. Die mediati20'
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
sierten Fürsten seien "eine Klasse unserer Unterthanen"; "Ihnen ein Stimmrecht einzuräumen, welches sie auf irgendeine Weise mit dem Souverän assimilieren würde, wäre gerade so viel als die persönliche Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit desselben, für deren Erhaltung Sie (Wrede) sich so vorzüglich bemühen, abzusprechen. Mit einer solchen Schwächung landesherrlicher Gewalt können wir uns nicht einverstehen. " Wrede solle diesen Vorschlag zukünftig "ganz ignorieren". Diese Instruktion Montgelas' trifft, wie bereits gesagt, in Wien ein, als dort die Verhandlungen des "Deutschen Ausschusses" schon abgebrochen sind. Metternich gibt den schweren Konflikt zwischen Österreich und Preußen jedoch nach wie vor nach außen nicht zu, sondern macht in einer Denkschrift vom 22. November84 die fortwährenden Einsprüche von Bayern und Württemberg dafür verantwortlich, allerdings, ohne diese beiden Staaten direkt zu nennen. Er wirft ihnen vor, nur unnachgiebig auf ihrer Souveränität beharrt und in keiner Hinsicht die Verhandlungen unterstützt zu haben. Dieser Vorwurf wird Bayern und Württemberg nicht nur von den beiden Großmächten gemacht, sondern ganz besonders auch von den vielen kleineren Ländern des "nicht-königlichen Deutschland", die an den Sitzungen des Fünfer-Ausschusses nicht teilnehmen konnten. Am 16. November, dem letzten Tag der Verhandlungen, ist in Wien eine aufseheneregende Note "neunundzwanzig teutscher souveräner. Fürsten und Städte"85 von dem kurhessischen Staatsminister Graf von Keller und einem zweiten kurhessischen Bevollmächtigten, Freiherrn von Lepell, an die österreichischen und preußischen Delegierten überreicht 84 In der Denkschrift heißt es u. a.: "Der Zweck der großen Allianz, welche Europas Befreiung von einem schimpflichen Joche beabsichtigt und glücklich ausgeführt hat, ist Aufhebung des Rheinbundes und Wiederfreystellung der teutschen Freyheit und Verfassung unter gewissen Modifikationen. Für diesen Zweck haben die Völker die Waffen ergriffen und die Staaten, welche der Allianz beytraten, erklärten sich durch ihren Beytritt allein schon für denselben Zweck. Der Pariser Frieden hat unter dem Beytritt aller an dem Krieg theilnehmenden Mächte festgesetzt, daß Teutschland durch ein föderatives Band vereinigt werden soll. Europas Interesse fordert es, daß Teutschland durch ein solches Band beruhigt und befestiget werde, und es würde wenig mit dem wohlverstandenen Interesse von Europa zu vereinigen seyn, wenn man einem teutschen Staate gestatten wolle, sich durch Ausschließung vom Bunde mit dem Wohl des Ganzen geradezu in Widerspruch zu stellen als wenn man dieses auf indirecte Weise zulassen wollte, indem man die Verwerfung der Mittel, die allein zum Zweck führen können, zuließe." In GSTA MA 11 1031. 85 Genauer Titel: "Note der bevollmächtigten Abgeordneten neun und zwanzig teutscher souverainer Fürsten und Städte, an den kayserlich-österreichischen Staats- und Conferenz Minister etc. Herrn Fürsten von Metternich, und an den königlich preußischen Staatskanzler Herrn Fürsten von Hardenberg, datiert Wien, den 16. November 1814." Wer diese 29 deutschen souverainen Fürsten und Städte sind, wird im einzelnen nicht aufgeführt. Abgedruckt in Klüber: Acten 11, S. 72 - 75.
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worden. Darin wurde erklärt, daß die unterzeichneten Fürsten und freien Städte nicht bereit seien, den Vorrang von fünf deutschen Mächten hinzunehmen und die Gleichheit der Rechte aller Gliedstaaten in einem künftigen deutschen Bund verlangt werden müsse. Die Note forderte eine Bundesverfassung, die die Freiheit und Unabhängigkeit ganz Deutschlands sichere. Um dieses Zieles willen erklärten die genannten Fürsten und freien Städte "ihre Bereitwilligkeit, zum Besten des Ganzen denjenigen Einschränkungen ihrer Souveränität sowohl im Innern ihrer Staaten, als im Verhältniß gegen Auswärtige, beyzupflichten, welche als allgemein verbindlich für alle werden beschlossen werden "88. Der Vorstoß der 29 "souverainen" Fürsten und Städte, die von Stein mobilisiert worden sind87, ist ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Großmächte. Ihnen ist natürlich alles daran gelegen, ihre Interessen selbst zuvertreten. Deshalb versprechen sie Österreich und Preußen sehr bereitwillig, daß sie bei ihnen im Falle ihrer Aufnahme und Beteiligung aktive Unterstützung gegen die renitenten beiden Mittelstaaten finden werden. Sie selber wollen die Einführung landständischer Verfassungen, in denen die Rechte der Stände in bezug auf die "Verwilligung und Regulierung" von Steuern, auf die "Einwilligung bei neu zu erlassenden allgemeinen Landesgesetzen", und auf "Beschwerdeführung" beim Bunde festgehalten werden sollen. Für diese "Sicherheiten" bieten sie sich gern an, zusammen mit den beiden Großmächten gegen den übersteigerten bayerisch-württembergischen Souveränitätsanspruch Front zu machen. Besonders die preußischen Vertreter Humboldt und Hardenberg werden dieses Angebot im Mai 1815, wenn die Konferenzen wieder eröffnet werden, zu nutzen wissen. Im Augenblick ruhen die Verhandlungen jedoch. Dennoch wird Wrede in Wien belassen, für den Fall, daß sie wieder aufgenommen werden und Preußen und Österreich mit neuen Verfassungsvorschlägen hervortreten88• Das geschieht auch, und zwar von Seiten Österreichs, das am 24. Dezember einen neuen Verfassungsplan direkt nach München an Montgelas schickt. Der Plan ist der erste einer ganzen Reihe weiterer Projekte, die Österreich und Preußen zum Bunde vorlegen. Als Reaktion darauf wird durch Montgelas im Münchener Außenministerium ein besonderer Ausschuß für Souveränitäts-Fragen gegründet.
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Ebenda. Vgl. Huber: Dt. Verf. Gesch., a.a.O., S. 549. Siehe diesbez. Instruktion Montgelas' v. 10.12.1814, GSTA MA II 1031.
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11. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
Der Münchener Souveränitäts-Ausschuß und die neuen Verjassungsprojekte Der österreichische Entwurf, Titel: "Entwurf einer Grundlage der teutschen Bundesverfassung"89, stammt von dem Freiherrn von Wessenberg und enthält eine Föderativverfassung auf lockerster Grundlage. Er ist die Konsequenz, die Österreich aus dem Konflikt mit Preußen zieht, denn er unterscheidet sich ganz wesentlich von dem früheren 12-PunkteProgramm, das zur Hauptsache Preußen konzipiert hat. Er ist gegen Preußen gerichtet. Österreichs Interesse geht nicht mehr in Richtung auf einen engen nationalen deutschen Bund, der nur seinem großen Konkurrenten Vorteile bringen würde. Seine grundlegende politische Kursänderung wird die Verfassung des Bundes bestimmen. Die Einwände und Abänderungswünsche der süddeutschen Staaten sind in dem Projekt zu großen Teilen berücksichtigt. Österreichs Absicht ist, sie mit diesem lockeren Projekt für sich gegen Preußen zu gewinnen. Im Auge hat es besonders Bayern, das diesen Plan als erstes erhält. Dem Plan ist jedoch kein Kommentar von Seiten Metternichs beigefügt. Am auffälligsten ist in dem Projekt der Fortfall der Kreiseinteilung, die Preußen so sehr angestrebt hatte. Mit ihr fällt der letzte Ansatz zu einer straffen Organisation Deutschlands. Die Gründe hierfür erklärt, wie Aretin richtig bemerkt90 , ein Blick auf die Landkarte. Die österreichischen, bayerischen und württembergischen Grenzen decken sich fast genau mit den Kreisgrenzen. Anders jedoch bei Preußen. Es würde bei der Kreiseinteilung eine Reihe kleinerer Fürsten wie z. B. die sächsischen Fürstentümer in seinen Kreis und damit Herrschafts- und Einflußbereich bekommen. Hieran kann Österreich nichts gelegen sein. Mit der Kreiseinteilung entfällt auch die Einteilung in zwei Räte. Wie der Bundesrat zusammengefaßt werden soll, wird offengelassen. Die gesetzgebende Gewalt ist auf alle Gesetze, die über Krieg und Frieden und die allgemeine Wohlfahrt entscheiden, beschränkt. Das Bündnisrecht im Artikel 12 ist nach der in den Novemberverhandlungen erzielten Einigung formuliert. Artikel 15 legt die allgemeinen Rechte der Deutschen fest. Das wohl auffallendste Zugeständnis, das einem Erdrutsch gleicht, hat Österreich im Punkt 14 des Projekts gemacht. Dort gesteht es, wenn auch nicht an sehr auffälliger Stelle, den Staaten des Bundes "Souveränität" zu, indem diese dort als "souveraine Bundesglieder" bezeichnet werden. Es ist der Artikel, der die Rechte der Mediatisierten beinhaltet: "Um die Lage der durch den Rheinbund oder nach dessen Errichtung mittelbar 89
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In GSTAMA II 1031; abgedr. bei Klüber II: Acten, S.l. Aretin: Die deutsche Politik, a.a.O., S. 19.
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gewordenen Reichsstände soviel, als die gegenwärtigen Verhältnisse gestatten, zu verbessern, sind die souveränen Bundesglieder darin übereingekommen, diese Stände als die ersten Standesherrn in ihren Staaten zu betrachten. " Österreich hat hier den wichtigsten Grundsatz, den es zusammen mit Preußen aufgestellt hatte, umgestoßen und damit den sprechendsten Beweis geführt, daß seine Bundesvorstellungen sich nicht mehr mit denen Preußens decken. Die Bedeutung dieses Schritts wird erst später deutlich werden. Es scheint, daß Montgelas erst zu diesem Zeitpunkt, dem Eintreffen dieses Entwurfs, die Bemühungen um eine gemeinsame deutsche Verfassung ernst zu nehmen begonnen hat. Die Tatsache, daß Österreich trotz seiner Schwierigkeiten mit Preußen weiter an seinen Bundesabsichten festzuhalten gewillt scheint, muß ihm zu denken gegeben haben. Auch sonst aber mißt Montgelas dem Entwurf, weil er so locker gefaßt ist, so große Bedeutung zu, daß er sich entschließt, sich von nun an nicht mehr ganz allein wie bisher damit zu befassen, sondern sich einen dauernden Beraterstab einzurichten, der diesen und alle folgenden weiteren Verfassungs-Entwürfe unter dem zentralen Aspekt der Wahrung der Souveränität prüfen und beurteilen soll. Wie es im Protokoll der ersten Sitzung dieses Ausschusses, der schon 24 Stunden nach Eintreffen des Entwurfs am 25. Dezember, dem ersten Weihnachtstag, zusammentritt, heißt, hat er "auf Veranlassung des dirigierenden Ministers" die Auf~ gabe, diesen und alle weiteren Verfassungsentwürfe "in sorgfältige Prüfung zu nehmen und unter strikter Berücksichtigung der Seiner Königlichen Majestät zustehenden vollen Souveränität zu zergliedern"91. Den Ausschuß bilden drei der hervorragendsten Mitarbeiter in Montgelas' Ministerium: die geheimen Räte Freiherr von Zentner, Freiherr von Krenner und Freiher von Aretin, der von seinem Generalkommissarposten in Aschaffenburg nach München berufen worden ist. Am Abend zuvor hat ihnen Montgelas den Entwurf und alles Unterlagenmaterial einschließlich seiner Instruktionen an Wrede zustellen lassen. Ist volle Souveränität im Bund möglich? Die unterSlchiedlichen Auffassungen Zentners, Krenners und Aretins Die drei Räte sind sich in ihren Auffassungen durchaus nicht einig. Schon in der ersten Sitzung des Ausschusses prallen die Meinungen hart aufeinander. Das Wort führt Zentner. Er ist ein kompromißloser Anhänger und Befürworter der harten Souveränitäts-Linie von Montgelas. Unter Hinweis auf die Verträge von Ried und Paris gibt er zu Beginn die VI
Sitzungsprotokoll vom 25. Dez. 1814, GSTA MA II 1032.
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Grundsatzerklärung ab, daß Bayern die "volle Souveränität" garantiert worden sei, von der man um keinen Zentimeter abweichen dürfe. Unter diesem Gesichtspunkt sei dieser Entwurf genauestens durchzusehen. Der Bund dürfe nur als "freye Assoziation statt haben, welche die Selbständigkeit und Unabhängigkeit eines jeden einzelnen Staaten unangegriffen läßt"92. Krenner schließt sich Zentner an. "Von den Souveränitätsrechten darf nichts aufgegeben werden", pflichtet er bei. Ganz anders Aretin. Er wartet mit Ansichten auf, die gar nicht auf der Linie Montgelas' und Zentners liegen. Zwar stimmt er Zentner darin zu, daß in den Verträgen von Ried und Paris "dem Königreich Bayern die Souveränität von den hohen Mächten ohne beschränkende Clausel garantirt worden" sei, rät dann aber, die Dinge realistisch zu sehen. Das heiße: Wenn ein Deutscher Bund errichtet werde, sei damit "eine völlig freye und unbeschränkte Souveränität einzelner Bundesglieder nicht mehr vereinbarlich". Da der "Deutsche Bund als ein Staat gegen andere europäische Mächte dastehen solle - dies gehe ja wohl "ziemlich deutlich aus dem Gemeinwillen der größeren Mächte hervor" -, so müßten "die einzelnen Staaten dieses Staatenaggregats einzelne Teile ihrer besonderen Souveränität zum Opfer bringen, um sie in gemeinsamem Namen, so viel die Existenz und die Sicherheit des Gesamtkörpers betreffe, ausüben zu lassen". Aretin erinnert dabei an den "Contract social, wo der einzelne Mensch zur Concentrierung des Gesamtwillens und der Gesamtkraft einen Theil seiner Freyheit und Rechte dem Ganzen übertragen" habe. Konkreten Bezug auf den Wessenbergschen Entwurf nehmend, erklärt er, daß er ihm zustimme, denn in ihm sei die Hauptfrage glücklich gelöst, "daß ein in den Bund tretender souveräner Staat von seinen Souveränitätsrechten nicht mehr der Gesamtheit übertrage, als zur Sicherheit des Ganzen gegen außen unmittelbar erforderlich sey und daß er dagegen durch die übrigen Bundesglieder desto eher eine Garantie seiner der Gesamtheit nicht übertragenen Rechte erhalte". Wenn also "einmal bestimmt sey", daß Bayern zum Deutschen Bund trete, so lasse sich kaum eine andere Möglichkeit denken, "wie eine geringere Beschränkung der Souveränitätsrechte zu erzielen sey, ohne der Existenz des Bundes selbst zu nahe zu treten". Zentner und Krenner sind nach diesen Ausführungen Aretins so perplex, daß sie kaum etwas zu entgegnen wissen. Aretin hat hier in wenigen Sätzen genau das gesagt, was Metternich Wrede immer wieder vergeblich klarzumachen versucht hatte. Seine Erklärung hat Michael Doeberl des92 Ebenda; die folgenden wörtlichen Zitate der drei Räte alle aus diesem Sitzungsprotokoll.
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halb dazu verführt, in ihm einen nationalen Deutschen zu sehen93, der den Bund aus innerer Sympathie befürwortet hat. Das stimmt jedoch nicht. Aretin sieht nur klar und nüchtern die Grundproblematik, die sich für die Souveränität eines Staates bei seinem Eintritt in ein Föderativverhältnis ergibt. Lieben tut er den Bund keineswegs. Vielmehr ist er der Meinung, daß er auf Grund der vagen Organisation, die dieses Projekt verspreche, "keine lange Dauer" haben wird. Wenn er "sich bei der ersten großen Katastrophe auflöse", werde Bayerns Stunde kommen, "eine andere Rolle zu spielen und die eintretenden Verhältnisse nach eigener Wahl zu benützen". Aretins realistische Einschätzung der Souveränitätsmöglichkeiten Bayerns bei einem Eintritt in den Bund ist innerhalb des bayerischen Staatsrats einmalig. Er übt ja indirekt Kritik an der Politik Montgelas', sich quasi mit einem Bein in den Bund zu begeben, um dort einerseits mögliche territoriale Vorteile wahrzunehmen, zum anderen aber alle Souveränitätsrechte völig unbeschränkt behalten zu wollen. Eine solche Politik ist nach seiner Ansicht irrational und inkonsequent. Lieber, so meint er, hätte Bayern sich von Anfang an überhaupt nicht mit dem Bund einlassen sollen. Hier schätzt allerdings auch er die politische Gesamtlage falsch ein. Dazu sind die Voraussetzungen nicht mehr gegeben.
Zentner setzt das Wort "souverän" in alle Eingangs-Artikel Es ist bezeichnend, daß Zentner, die rechte Hand Montgelas', diese massive Kritik Aretins ohne jede Entgegnung eisig schweigend zu Protokoll nehmen läßt. Dann fordert er, sich nun nicht mehr mit langen allgemeinen Deklamationen aufzuhalten, sondern, wie es der dirigierende Minister angeordnet habe, die einzelnen Artikel des eingegangenen Entwurfs auftragsgemäß hinsichtlich der Souveränität durchzugehen. Wie Zentner nun vorgeht, muß auf Aretin, der die Möglichkeiten Bayerns bei einem Eintritt in den Bund so klar analysiert hat, recht merkwürdig wirken. Zentner geht nämlich daran, in alle Anfangsartikel des Entwurfs das Wort "Souveränität" bzw. "souverain" einzubauen. Das bewußte völlige Vermeiden des Woutes "Souveränität" im 12-Punkte-Programm, besonders aber die Auseinandersetzung zwischen Württemberg und den Großmächten am 22. Oktober ist Zentner - und auch einem anderen bayerischen Staatsmann, dem Chevalier und Gesandten de Bray'" bei M. Doeberl: Bayern und Deutschland im 19. Jahrhundert, a.a.O., S. 1/2. Dieser verwahrt sich in der Denkschrift "Bayern, dessen politischer Gang unter der Regierung Max Josephs 1." v. Dez. 1814 (GSTA MA I 50) ganz energisch gegen den Vorwurf Metternichs, Souveränität bedeute Despotismus: "On parle du despotisme bavarois! Rien n'est plus complettement faux et 93
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der Durchsicht der inzwischen eingetreffenen Wien er Konferenzprotokolle aufgefallen. Er holt deshalb jetzt sofort nach, was Wrede nach seinem Dafürhalten sträflich versäumt hat. Der 1. Artikel im Vorschlag Wessenbergs lautet: "Die Staaten Deutschlands mit Inbegriff Österreichs und Preußens für ihre hier genannten Länder vereinigen sich zu einem Bunde, welcher den Namen des deutschen führen wird. Jeder Eintretende leistet Verzicht auf das Recht, sich ohne Zustimmung der übrigen davon zu trennen." Zentner hierzu: In diesem Artikel müsse es unbedingt heißen: "die gegenwärtig souveränen Staaten Deutschlands", um ihre Souveränität eindeutig hervorzuheben. Auch mit dem Schlußsatz des 1. Artikels ist er nicht einverstanden. Sein Argument ist genau das von Montgelas. Ohne auf die Willenserklärung der Großmächte beim Pariser Frieden einzugehen, die deutlich besagt, daß ein "deutscher Bund" gegründet werden soll, erklärt er, Bayern wolle keinen Bund, sondern "nur eine bloße völkerrechtliche Allianz unter einigen souverainen Verbündeten". Aus dieser Allianz könne dann, "wie es sich von selbst verstehe, jeder willkürlich austreten". Folglich müsse auch der Schlußsatz des 1. Artikels weggelassen werden. Krenner pflichtet Zentner bei. Ob und was Aretin sagt, ist nicht im Protokoll festgehalten. Artikel 2 im neuen österreichischen Vorschlag handelt vom Bundeszweck: "Der Zweck dieses Bundes ist die Erhaltung der äußeren Ruhe und Unabhängigkeit und die Sicherung der verfassungsmäßigen Rechte jedes einzelnen sowie des Ganzen nach den in den folgenden Artikeln bestimmten Grundsätzen." Hier scheint Zentner und Krenner der Ausdruck "Sicherung der Verbündeten in ihren Verhältnissen" viel zu unbestimmt. Zentner befürchtet, daß "durch denselben zu Auslegungen, die der Souveränität nachtheilig werden dürften, Veranlassung gegeben werden könne" und schlägt folgende Fassung vor: "Der Zweck dieses Bundes ist die Erhaltung der Ruhe, Unabhängigkeit und der sämtlichen Besitzungen der im Bunde begriffenen Staaten, gegen jeden Angriff von Außen, sowie die Sicherung der Souveränität und der Besitzungen eines jeden Mitgliedes des Bundes gegen das andere." Wieder pflichtet Krenner Zentner bei, wogegen von Aretin erneut nichts im Protokoll vermerkt ist. Zentner ist auch gegen den ununterbrochenen Aufenthalt der Bundesversammlung in einer Stadt, wie es von Wessenberg vorgesehen ist, ebenso gegen ein dauerndes Tagen in Friedenszeiten. Begründung: Hierdurch controuve que tout ce qu'on a dit a cet egard. Le Roi est adore de tous les Bavarois. Le caractere du Souverain est tellement paternei, aimable et bienveillant, que depuis son Regne il n'existe pas un seul exemple de les disgraces capricieuses frequentes dans d'autres cours."
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könne ebenfalls die Souveränität gefährdet werden. "Eine solche Versammlung", führt er an, "wolle sich ihrer Natur nach immer tätig zeigen und ziehe daher mehr und andere Gegenstände dahin, als dahin gehören, zum Nachtheil der Souveränität des einzelnen." Die Versammlung müsse deshalb so wenig wie möglich tagen, damit man keine Zeit habe, souveränitätsgefährdende Dinge zu erörtern oder zu beschließen. Zentner schlägt deshalb vor, daß die Bundesversammlung "nur einmal jährlich" zusammentreten solle. Während Krenner, der überhaupt keine eigene Meinung zu haben scheint, Zentner wie üblich zustimmt, hält Aretin diesen Vorschlag für illusionär: "Die ununterbrochene Versammlung" werde "von allen als nothwendig empfunden" und man sei sich allgemein darüber im klaren, daß "durch bloße Correspondenz der Höfe der Bundeszweck sich nicht erreichen lasse". Bayern werde mit einem solchen Vorschlag sicher auf taube Ohren stoßen. Zentner kann sich diesem Einwand Aretins nicht verschließen. Nach kurzem Hin und Her pflichtet er Aretin bei, darauf schließt sich auch Krenner an. Bei Artikel 8 (Krieg und Frieden)95 widerspricht Aretin Zentner und Krenner ebenfalls. Während die beiden diesen Artikel für sehr gefährlich halten, da hier eine "übertragung einzelner Souveränitätsrechte deutlich ausgesprochen" sei, aber sonst keinen konstruktiven Gegenvorschlag machen, wiederholt Aretin seine Ansicht, daß "sich der erste Bundeszweck, Sicherung nach außen, nicht erreichen lasse", wenn der Bundesrat nicht diese Rechte habe. Die in ihm "repräsentierte Gesamtheit" müsse die Befugnis haben, "über Krieg und Frieden zu beschließen, über die allgemeinen Verteidigungsanstalten gegen Auswärtige zu verfügen und Allianzen und andere Verträge mit fremden Staaten im Namen des ganzen Bundes zu schließen. Anders sei der Bund überhaupt nicht denkbar. Allerdings unterstreicht Aretin das Wort "allgemein" in dem österreichischen Vorschlag. Der Bundesrat dürfe sich wirklich nur auf die "allgemeinen Verteidigungsanstalten beschränken und den einzelnen Staaten sonst in ihrer Militärverfassung, eigenen Festungen und besonderen Defensionsmitteln kein Zwang angethan werden". Zentner läßt Aretins Aussage ohne Erwiderung zu Protokoll nehmen. In der Ablehnung des Artikels 9 des österreichischen Projekts sind sich jedoch alle drei geheimen Räte einig. Er behandelt die "gesetzgebende Gewalt des Bundes"96. Zentner erklärt dazu, daß der Ausdruck "gesetz05 Darin heißt es u. a.: "Der Bundesrath beschließt über Krieg und Frieden, verfügt über die allgemeinen Vertheidigungsanstalten gegen Auswärtige und geht Allianz- und andere Verträge mit fremden Staaten im Namen des ganzen Bundes ein ..." oe Art. 9: "Die gesetzgebende Gewalt des Bundes dehnt sich auf alle Gegenstände aus, welche entweder auf gemeinsame Vertheidigung oder auf allgemeine Wohlfahrtsanstalten Bezug haben."
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gebende Gewalt" und "allgemeine Wohlfahrtsanstalten" in dem Artikel auf keinen Fall so belassen werden könne, da der Bundesrat auf der Basis dieser allgemeinen Formel sich "in alle inneren Landesangelegenheiten mischen könnte". Gerade der letzte Ausdruck sei "viel zu weit und unbestimmt". Die innere Souveränität sei durch ihn gefährdet. Wie schon Montgelas beim Zwölf-Punkte-Programm erregt sich Zentner sehr darüber, daß überhaupt von einer "Gesetzgebung" des Bundes die Rede ist. Man könne, meint er, höchstens von "Beschlüssen" des Bundes sprechen, die sich wiederum "nur auf die Gegenstände einer gemeinsamen Vertheidigung beschränken" dürften. Man einigt sich schließlich nach langer Diskussion darauf, dem Bundesrat folgenden Wirkungskreis zuzuerkennen: "a) die Handhabung der inneren Ruhe, wenn diese unter den Bundesgliedern gestört wird, b) die schiedsrichterliche Entscheidung der Streitigkeiten der Bundesglieder unter sich, wenn sie selbst diese nicht gütlich beilegen können oder wollen, c) Reclamationen von Bundesstaaten wegen Verletzung der Bundesacte." Erst nach der schriftlichen Fixierung dieser Punkte zeigt sich Zentner zufrieden. "Auf diese Art", erklärt er, werde dem Bunde "keine gesetzgebende Gewalt zugesprochen, sondern nur sein Wirkungskreis erläutert und seine Einmischung in die innere Gesetzgebung und Verwaltung der einzelnen Staaten beseitigt". Es ist immer Zentner, der auf die Souveränität pocht und auf den Auftrag des dirigierenden Ministers Montgelas verweist. In der Schärfe seiner Argumente übertrifft er manchmal den Auftraggeber selbst. Nur ungern stimmt er dem Art. 12 zu, obwohl sein Inhalt von Wrede und Montgelas bereits zugestanden worden ist. Er beinhaltet die Verpflichtung der Bundesglieder, außer Handels- und Zollverträgen keine Bündnisse mit auswärtigen Mächten einzugehen97 , bedeutet demnach eine klare Beschränkung der äußeren Souveränität. Als Zentner deshalb zögert, verweist ihn Aretin erneut darauf, daß es hier wohl nichts zu überlegen gäbe. Es sei doch offensichtlich, daß "ohne die erstgenannte U7 Art. 12: "Um zu verhindern, daß ein einzelner Bundesstaat die Sicherheit Deutschlands in Gefahr bringe, verpflichten sich sämtliche Mitglieder, keine Verbindungen mit Auswärtigen einzugehen, die gegen den ganzen Bund oder einzelne Mitglieder desselben gerichtet sind oder dem ganzen Bunde und dessen einzelnen Mitgliedern unmittelbar oder mittelbar gefährlich werden könnten. Diese Verbindungen mögen auf Krieg oder Frieden oder Subsidien oder was immer für eine Hilfsleistung Bezug haben. Die Bundesglieder machen sich ebenfalls verbindlich, einander unter keinerlei Vorwand zu bekriegen oder ihre Streitigkeiten durch Gewalt zu behaupten ... Streitigkeiten zweyer Bundesglieder werden vor den Bundesrat gebracht ..."
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Beschränkung ein Bund sich gar nicht denken lasse". Deshalb habe sogar Montgelas schon zugestimmt. Im übrigen aber, votiert Aretin, bleibe "von den Souveränitätsrechten so viel gerettet, als das Bundesverhältnis gestatte, nämlich Verträge und Bündnisse anderer Natur mit Auswärtigen zu schließen". Zentner und Krenner erklären sich daraufhin widerstrebend mit dem Artikel einverstanden. Die Artikel 13, 14 und 15 des österreichischen Entwurfs werden von allen drei Räten mit Abstrichen gebilligt. Zentner bemerkt, daß hier "von näherer Beschränkung der Souveränität im Innern keine Rede" sei bzw. daß sie "den Souvränitätsrechten seiner Majestät keineswegs zu nahe treten" würden. Die Artikel handeln von der Einführung landständischer Verfassungen, den Grundsätzen über die Mediatisierten und die Grundrechte. Daß der Artikel 13 98 , der spätere ebenfalls 13. Artikel der Bundesakte, hier ohne nähere Diskussion als " annehmbar " protokolliert wird, ist wohl besonders bemerkenswert. Ist es doch der, durch den König Max später seine Souveränität besonders gefährdet sieht und der den unmittelbaren Anlaß für die Verfassung von 1818 gibt, mit der Bayern möglichen Bundesvorschriften zuvorkommen will. Bei Art. 14 (Mediatisierte) will Zentner lediglich den 4. Unterpunkt gestrichen wissen. Der Artikel verlangt "Steuerfreiheit" der Mediatisierten in bezug auf "ihre Schlösser, Häuser, eingezäunte Gärten und Jagden". Diese Befreiung sieht Zentner als "durchaus unvereinbarlich mit dem Grundgesetz des Königreiches an". Krenner stimmt ihm zu und formuliert noch drastischer: dies sei "dem Souveränitätsprinzip widerstreitend" und könne "Anlaß zu allerlei Konsequenzen" geben. Man einigt sich darauf, daß dieser 4. Unterpunkt ganz umgangen werden soll. Ebenso ist man bei Art. 15 Punkt a) nicht ganz einverstanden. Er verlangt, daß die Bundesstaaten die "Gleichheit der bürgerlichen Rechte für die christlichen Glaubensgenossen garantieren", wobei neben den "Katholischen, Lutherischen und Reformierten" auch die "Juden geduldet" werden sollen. Zentner ist mit der "Judenduldung" nicht einverstanden. Dies müsse "den Territorialverhältnissen und einzelnen Verordnungen der Souveräne überlassen bleiben". Damit sind alle Artikel durchgesprochen. Das Protokoll dieser ersten Sitzung des Souveränitäts-Ausschusses und seine Anmerkungen zu dem österreichischen Verfassungsentwurf werden Montgelas sofort vorgelegt. Deutlich offenbart es ihm, wie sehr in vielen Punkten die Ansichten V8 Art. 13: "In allen deutschen Staaten werden Landstände binnen Jahr und Tag eingeführt, welchen in Hinsicht der Namen und der allgemeinen Landesanstalten besondere Rechte eingeräumt werden. Jedoch bleibt jedem einzelnen überlassen, den Ständen eine der Landesart, dem Charakter der Einwohner und dem Herkommen angemessene Einrichtung zu geben."
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seiner "rechten Hand" Zentner und Krenner auf der einen und Aretin auf der anderen Seite auseinandergehen. Letzterer ist äußerst verstimmt. Er läßt am Schluß im Protokoll extra festhalten, daß seine Souveränitätsinterpretation bei den gestellten Problemen eine andere als die von Zentner und Krenner sei. Mit einer sehr scharfen Spitze gegen beide betont er, daß "seine Ansichten von einem selbst gewählten Standpunkte ausgegangen" wären, nicht davon, was man vielleicht gerne hören wolle. Er wirft Zentner und Krenner vor, Montgelas nach dem Mund zu reden. Diese von Anfang an exponierteste Frontstellung Adam von Aretins gegen Zentner und gegen Montgelas' ganze Souveränitäts-Politik hat K. O. von Aretin, obwohl er die Rolle seines Vorfahren in seiner Dissertation sonst so gut herausarbeitet, seltsamerweise kaum bemerkt, zumindest nicht genug betont. Montgelas geht auf Aretins Vorhaltungen jedoch überhaupt nicht ein. Er schickt die Anmerkungen des Ausschusses zu dem österreichischen Entwurf - fast ausschließlich diejenigen Zentners, mit denen er völlig übereinstimmt - als bayerischen Gegenvorschlag schon einen Tag später am 26. Dezember an Wrede nach Wien99 • Er selbst hat noch einige Änderungen hinzugefügt. Die letzten beiden Artikel über die Mediatisierten und die Grundrechte will er überhaupt nicht in der Bundesakte enthalten haben, da sie seiner Meinung nach nicht hierhin gehören. Grundsätzlich wolle er jedoch, so fügt er in seiner Weisung an Wrede hinzu, hiergegen "keinen Widerspruch erheben, weil diese Dinge längst bei uns in Kraft sind"loo. Das Bundesgericht, das auch im Wessenbergschen Entwurf wie im 12-Punkte-Programm enthalten ist, läßt er ganz heraus. Er hat es ja schon in den Instruktionen an Wrede im November rigoros abgelehnt. Außerdem wendet sich Montgelas noch einmal äußerst scharf gegen eine "gesetzgebende Gewalt" des Bundes. Der von M. Doeberl in seinen "Bayern und Deutschland"-Abhandlungen so heftig verurteilte bayerische Gegenvorschlag stammt also zum überwiegenden Teil von Zentner und Montgelas. Beider Souveränitätsstandpunkt ist gleich, wobei sich Zentner zuweilen noch unnachgiebiger zeigt als Montgelas. Daß dieser auf dem Gebiet der äußeren Souveränität (Bündnisverpflichtung) dem Bund bereits Konzessionen gemacht hat, ist Zentner gar nicht recht. Hiermit hätten sich nach seiner Meinung weit mehr Zugeständnisse herausholen lassen müssen. Zentner ist ein Mann ohne Emotionen, ein Mann des Kalküls, ein dem dirigierenden Minister ergebener, kühler, zuweilen kalter Taktiker. Er ist der Gegner Aretins, den er in der ersten Sitzung glatt abserviert hat. Und 89 100
Duplikat des Gegenvorschlags unter GSTA MA II 1032 abgelegt. Instruktion Montgelas' an Wrede vom 26. Dezember 1814, GSTA MA II
1032.
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er hat diesen sehr deutlich fühlen lassen, daß er am längeren Hebel sitzt, weil Montgelas hinter ihm steht. Wann der bayerische Gegenvorschlag zum Wessenberg-Projekt in Wien überreicht wurde, ob er überhaupt überreicht wurde, ist aus den Akten nicht ersichtlich. Da weder Klüber in seinen Akten des Wiener Kongresses den bayerischen Gegenvorschlag bringt 101 , noch Arneth ihn erwähnt102 , kann man daraus schließen, daß Wrede ihn in Wien nicht offiziell überreicht hat. Doch Metternich kannte ihn, das zeigen die künftigen Verhandlungen immer wieder. Wenn er Bayern darauf jedoch keine eingehende Antwort erteilte, hatte das triftige Gründe. Das bayerische Projekt konnte höchstens den süddeutschen Staaten, niemals aber Preußen gezeigt werden. Die preußisch-österreichischen Beziehungen befanden sich im Augenblick auf dem Wege der Besserung. Noch Ende Dezember hatten sich die Auseinandersetzungen wegen Sachsen derart verschärft, daß am 3. J anuar eine Dreier-Allianz zwischen Österreich, England und Frankreich geschlossen wurde, zu deren Beitritt Holland, Hannover und Bayern aufgefordert wurden. Diese traten auch nach kurzer Zeit bei. Was Gentz Wrede gegenüber schon im Oktober angedeutet hatte, war damit Wirklichkeit geworden. Allerdings nur eine sehr kurze Wirklichkeit. Bereits nach wenigen Tagen waren die Spannungen schon wieder so weit bereinigt worden, daß jetzt eine akute Kriegsgefahr nicht mehr besteht. Österreich wird Preußen gegenüber fortan jedoch immer mißtrauisch bleiben. Nach außen ist es aber bemüht, kein neues Öl ins Feuer zu gießen. Das aber wäre sicher der Fall, wenn Preußen etwas von speziellen österreichisch-bayerischen Kontakten und detaillierten Verfassungsprojekten erfahren würde, in denen von seiten Österreichs der Ausdruck "souverain" zugestanden und von seiten Bayerns eines seiner wichtigsten Anliegen, das Bundesgericht, ersatzlos gestrichen war. Deshalb verschweigt Metternich sowohl den Wessenberg-Plan als auch das bayerische Gegenprojekt, behandelt beide als nicht existent. Er weiß aber genau, daß die österreichisch-bayerischen Absichten insgesamt gar nicht so weit voneinander entfernt sind, auch wenn Bayern mit vielen Punkten des WessenbergProjekts noch nicht einverstanden ist. Für seine weitere Taktik wird das von großer Bedeutung sein. Preußen weiß von alledem nichts. Es glaubt sich mit Österreich wieder einig und bemüht sich, erneut seine Auffassungen zur Regelung der deutschen Verfassungsfrage darzulegen. Ende Januar 1815 präsentiert Humboldt zwei neue groß ausgearbeitete Entwürfe, von denen der eine den 101
Klüber druckt lediglich in Bd. H, S. 1 seiner "Acten" den Wessenberg-
102
Arneth: Joh. Frhr. von Wessenberg, Wien 1898.
Entwurf ab.
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deutschen Bund, wie im 12-Punkte-Programm vom Oktober 1814, in Kreise einteilt. Die bayerische Frontstellung gegen Humboldts Entwürfe
Als am 2. Februar 1815 die Vereinigung der Fürsten und freien Städte die Wiederaufnahme der Verhandlungen über die deutsche Verfassung verlangt und von Österreich und Preußen eine zustimmende Antwort erhält, wird dies in München aufmerksam registriert. Man glaubt dort, daß die Grundlage der künftigen Verhandlungen der Wessenberg-Entwurf und der bayerische Gegenvorschlag bilden werden. Um so größer und unangenehmer ist man überrascht von den beiden Humboltschen Entwürfen, in denen die bayerischen Ansichten nicht im mindesten berücksichtigt worden sind. Die überraschung steigert sich zum Schock, als man die zentrale Absicht vor allem des Kreiseinteilungsprojektes zu erkennen glaubt. In großer Erregung schreibt Zentner: "Preußens Politik ist enthüllt! Die süddeutschen Mächte sollen, von innen aufgespalten, zur völligen Machtlosigkeit herabsinken103." Den Schwerpunkt beider Humboldtscher Projekte bildet die Mediatisiertenfrage. Im Gegensatz zu seiner Erklärung vom November billigt Humboldt den Mediatisierten in beiden Entwürfen eine besondere Stellung zu. Sie macht insbesondere das Kreiseinteilungsprojekt für Bayern unannehmbar. Weil durch es, wie Montgelas feststellt, die Souveränität Bayerns" völlig zernichtet"104 würde. Nach bayerischer Ansicht liegt bei diesen Projekten der Gewinn eindeutig auf seiten Preußens. Während bei Österreich und den süddeutschen Staaten sich die Landesgrenzen mit den Kreisgrenzen decken, würden im Norden bei der Kreiseinteilung etwa 20 souveräne Fürsten und Grafen in den unmittelbaren EinIflußbereich Preußens geraten, dessen Territorien so mannigfaltig zersplittert und verteilt seien, meint Zentner. Aber das ist für Bayern nicht einmal das Entscheidende. Das Entscheidende ist vielmehr, daß Humboldt jedem Kreis eine Kreisversammlung zuordnet, bestehend aus den Kreisständen unter dem Vorsitz des Kreisvorstehers, die alle gleichberechtigt eine Stimme haben und nach der Mehrheit der Stimmen entscheiden sollen. Kreisstände aber sind nicht nur alle diejenigen Regierungen, welche Länder in dem Kreise besitzen und eine Viril- oder Curiatstimme beim Bundesrat innehaben, sondern "namentlich alle mediatisierten Reichsstände, welche ehemals auf dem Reichstage eine Viril- oder Curiatstimme führten" (§ 40). Die Konsequenzen dieser Forderung sind für die Südstaaten geradezu ungeheuer. Denn während Preußen in den Kreisversammlungen seiner Kreise zusammen mit unmittelbaren und durchaus selbständigen Für103 104
Gutachten Zentners vom Februar 1815, GSTA MA II 1032. Bemerkungen Montgelas vom Februar 1815, GSTA MA 1032.
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sten, Grafen oder Großherzogen an einem Tisch säße, müßten Bayern und die anderen süddeutschen Staaten, in denen es keine unmittelbaren Fürsten mehr gibt, ihre Geschichte zurückdrehen: die Vertreter des bayerischen Königs, des Souveräns, hätten sich in ihren Kreisen nach der möglichen Stimmenmehrheit ihrer Unterthanen, der Mediatisierten, zu richten. Im Grunde praktiziert Humboldt mit diesen beiden Plänen erneut sein Prinzip der Vielgliedrigkeit, in dem er die beste Gewähr für die föderative Einheit des Bundes sieht. Das heißt: Miteinander aller, auch der Kleinen und Kleinsten in den einzelnen Kreisen. Aber wie grotesk verzerrt sind hier die Grundvoraussetzungen! Während Preußen mit staatsrechtlich Gleichgestellten verhandelt und in seinen Kreisen nur positiv gewinnt, sowie auf Grund seiner Machtstellung nur an Einfluß zunehmen und führend werden kann, sollen Bayern und die anderen süddeutschen Höfe ihre Souveränität mit den Mediatisierten teilen, die, wie Krenner sich ausdrückt, "eine aus der Asche hervorglimmende Erbitterung mit sich brächten, da sie doch nichts mehr an Vermögen gewinnen könnten, wenigstens die süße Rache in der Entkräftung ihrer Souveräns sehen würden"105. Beide Entwürfe sind für Bayern völlig unannehmbar. Wie schockiert Montgelas ist, zeigt sein Brief an Wrede108 als Antwort auf dessen Eildepesche aus Wien, der die Entwürfe beilagen. "Wer wird das Geschäft des Regierens noch übernehmen wollen", schreibt er, "wenn bei allen Handlungen und nötigen Einrichtungen sich allenthalben, von außen und innen, durch den Bund, durch den Nachbar, durch das Bundesgericht, durch die Kreisversammlung usw. Hindernisse entgegenstellen." Wenn in einem Land eine Klasse von Bürgern mit Stimmenmehrheit über die Regierung entscheiden könne, wenn die Einhaltung der dem Lande übergebenen Verfassung vom Bunde überwacht und schließlich ein Gericht Staatsbürger über die Grenzen hinaus zur Rechenschaft ziehen könne, dann könne von einer "vollen Souveränität", wie sie Bayern im Rieder Vertrag zugesichert worden sei, nicht mehr gesprochen werden. "Ich bin der Meinung", fährt Montgelas fort, "daß die voll erworbenen Rechte des Souveräns, welche hier zum größten Teil preisgegeben würden, ein Heiligtum seien, gegen welches sich keine Hand ausstrecken solle. Wenn die Souveräne sich derselben selbst begeben wollen, so ist es ihre eigene Sache. Ein seinem Monarchen getreuer Diener wird es nicht wagen, zur Aufopferung solcher Rechte zu rathen." Montgelas verdammt die Entwürfe leidenschaftlich. Nicht nur, daß durch sie "die Beschränkungen so groß und so häufig" seien, daß "an Gutachten Krenners vom Februar 1815, GSTA MA II 1032. vom 4. Februar 1815 an Wrede, GSTA MA II 1032; die folgenden wörtlichen Zitate Montgelas' aus diesem Brief. 105 108
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einen vollen und freyen Genuß der Souveränität nirgend zu denken" sei, vielmehr werde auch durch Humboldts Vielgliedrigkeitsprinzip und die daraus entstehenden "sehr complizierten Formen ein gränzenlose Anarchie herbeigeführt". Er weist Wrede eindringlichst an, unbeirrt von den beiden neuen Entwürfen an seinen bisher erhaltenen Instruktionen betreffs des Bündnisrechtes, dem gleichen Stimmrecht im Bundesrat, den Verhältnissen der Mediatisierten, der Bundesgesetzgebung, ständischen Verfassung und des Bundesgerichts festzuhalten. Alle diese Instruktionen seien auf dem unverletzlichen Grundsatz aufgebaut", daß "Seine Majestät der König von Bayern in diesen Punkten die wohlerworbenen und durch feyerliche Tractaten garantierten Souveränitätsrechte nicht aufzuopfern gesonnen seyen". Im übrigen könne Wrede, fährt Montgelas fort, noch eine grundsätzliche Erklärung in Wien abgeben und betonen, daß dies die unverbrüchliche Ansicht des dirigierenden bayerischen Ministers sei: Eine Bundesakte, welche die "Souveränitätsrechte" der deutschen Herrscher so beschränke, könne "keinem dieser Herrscher erträglich" sein. Man werde "jeden Anlaß benützen, sich von einer so lästigen Verbindung zu trennen". Die Akte dürfe niemals etwas enthalten, was in die inneren Verhältnisse, in die Regierung der einzelnen Lande eingreife. Insbesondere dürfe sie "den Souverain nie einer fremden Gerichtsbarkeit unterwerfen und sich zu einem ,Index in Souveränitätsangelegenheiten' der Herrscher aufwerfen". Dann geht Montgelas noch auf einen ganz entscheidenden Punkt ein: auf die Anschuldigung des "Despotismus", die Metternich indirekt gegen Bayern und Württemberg erhoben hat. Bayern sei "weit davon entfernt, über seinem Anliegen der Erhaltung der Souveränitätsrechte, die Beschuldigung auf sich zu nehmen, der Willkür und dem Despotismus zu huldigen". Diese Beschuldigung der Großmächte soll Wrede mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Der bayerische König habe sich vielmehr bereits entschlossen und auch schon Schritte unternommen, gemäß dem allgemeinen Wunsche, wie er im 12-Punkte-Programm und den anderen Entwürfen zum Ausdruck komme, Bayern "eine den Verhältnissen angemessene und zweckmässige Verfassung zu geben". Damit weist Montgelas zum ersten Mal offiziell auf die in Bayern im Oktober 1814 begonnenen Beratungen zur späteren Verfassung von 1818 hin, die ein so ganz anderes als ein "ständisches" Aussehen haben wird, wie es sich Österreich vorstellt. Sie wird die liberalste und modernste Verfassung in ganz Deutschland sein, und zwar nicht nur aus den bisher in der Forschung aufgeführten zwei Gründen, sondern vor allem aus einem entscheidenden dritten, wie diese Worte Montgelas' eindeutig beweisen.
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Die Gründe sind nicht nur 1. weil der moderne Staat Bayern gar nicht mehr zur alten Ständeverfassung zurückkehren kann, will er nicht seine Geschichte rückgängig machen und 2. weil Bayern wieder an Kredit gewinnen und beispielhaft vorangehen will, nach der Isolierung, in die es die übersteigerte Souveränitätspolitik Montgelas' getrieben hat; ein dritter Grund ist sicher der, daß Bayern mit seiner Verfassung die Anschuldigung des Despotismus widerlegen will, die Metternich im Oktober 1814 wegen seiner SouveränitätsForderung erhebt. Es steht außer Zweifel, daß diese Anschuldigung und Drohung Metternichs die Gestaltung und den Geist der bayerischen Verfassung, deren erste Beratungen kurz nach seiner Erklärung in München beginnen, sehr stark beeinflußt hat. Metternich löst also 1814 kurioserweise das aus, was Österreich dann 1819 geradezu hysterisch bekämpft. Im Kapitel über die Verfassung von 1818 wird darauf noch zurückgekommen werden. Der Brief an Wrede ist die erste Reaktion Montgelas' auf die Entwürfe Humboldts, damit Wrede weiß, wie er sich verhalten soll. Als zweites plant er, den Entwürfen mit einer umfassenden Schrift entgegenzutreten, die beweisen soll, wie sehr Humboldts Pläne der von den Großmächten den Bundesstaaten garantierten Souveränität Hohn sprechen. Diese Schrift und gleichzeitige endgültige Instruktion Wredes soll aus seinen eigenen Direktiven und aus drei intensiv ausgearbeiteten Einzelgutachten der drei Mitglieder des Souveränitätsausschusses im bayerischen Staatsrat, Zentner, Krenner und Aretin, zu den Humboldtschen Entwürfen zusammengestellt werden. Dazu erhalten die betreffenden geheimen Räte sofortigen Auftrag.
Die Souveränitäts-Gutachten Zentners, Krenners und Aretins Die Gutachten Zentners und Krenners liegen bereits drei Tage später am 7. Februar VOI, Aretin gibt das seine erst am 19. Februar ab. Alle drei lehnen die Humboldtschen Entwürfe einmütig ab. Die Begründungen sind jedoch verschieden. Während Zentner und Krenner ihre Arbeiten zentral auf die Aussage abstellen, Preußen wolle die Souveränität der süddeutschen Staaten aushöhlen und die Vormachtstellung in Deutschland erringen, kritisiert Aretin in der Hauptsache die unmögliche Kompliziertheit und Undurchführbarkeit der Entwürfe. Am schärfsten äußert sich Zentner. Sein Gutachten107 ist ein einziges Verdammungsurteil gegen Preußen. Preußen habe nichts anderes vor, 107 Titel: .. Gutachten über die von den königlich-preußischen bei dem Kongresse zu Wien bevollmächtigten Ministern übergebenen beiden Entwürfe
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stellt er seinen Ausführungen voraus, als "sich die Oberherrschaft über die nördlichen und westlichen Teile Deutschlands zu verschaffen", den südlichen Teil dagegen "zur Ausgleichung" Österreich zu überlassen. Dies sei sein "wahrer politischer Plan". Die einzige Möglichkeit, die Ausführung dieses Planes zu verhindern, sei, "keine Bestimmungen in die künftige Bundesverfassung aufnehmen zu lassen, welche die den deutschen Staaten feierlich garantierte Unabhängigkeit und Souveränität schwächen oder indirect gänzlich aufheben, wohin die preußischen Projekte zielen". Zentner befaßt sich überhaupt nur mit dem Entwurf ohne Kreise, das Kreiseinteilungsprojekt erscheint ihm völlig indiskutabel. Aber auch bei dem kreislosen Vorschlag findet fast jeder Artikel seine Mißbilligung. Ganz bezeichnend sei, hebt er besonders hervor, daß Preußen sich wiederum peinlichst bemüht habe, das Wort "souverän" oder "Souveränität" in den Entwürfen zu vermeiden. Auf die wörtliche Aufnahme dieses Begriffs habe man in Zukunft auch bei weiteren Projekten zu allererst zu achten. Man müsse unter allen Umständen darauf bestehen, es schwarz auf weiß im Verfassungstext zu verankern. So heiße es beispielsweise in Artikel 2: "Der Zweck dieses Bundes ist die Erhaltung der äußeren Ruhe und Unabhängigkeit und die Sicherung der verfassungsmäßigen Rechte jedes Einzelnen ... " Dies sei viel zu "oberflächlich" und der Ausdruck "Sicherung der verfassungsmäßigen Rechte jedes Einzelnen" könne zudem "eine der Souveränität nachteilige (unterstrichen) Auslegung erhalten". Statt dessen sei vielmehr zu setzen: "Der Zweck des Bundes ist die Erhaltung der Ruhe, die Sicherung der Unabhängigkeit Deutschlands im Ganzen sowie der Besitzungen und souveränen Rechte (unterstrichen) eines jeden Mitgliedes gegen äußere und innere Angriffe ... " Das gleiche fordert Zentner für Artikel 26, der sich auf Artikel 2 bezieht. Dieser lautet: "Indem die Bundesglieder zu Erreichung des in § 2 angegebenen Endzweckes zusammentreten, behalten sie, alle und jedes, den vollen und freien Genuß ihrer Regierungsrechte, insoweit selbige nicht durch den in § 2 bestimmten Zweck eingeschränkt ... sind." Zentner: Dieser Artikel könne beibehalten werden, nur müsse statt "Regierungsrechte" gesetzt werden "Souveränitätsrechte" (unterstrichen). Im einzelnen lehnt Zentner die Artikel 17, 28,41 ff. und 84 ff. am entschiedensten ab. Sie beinhalten eine Gesetzgebung des Bundes, Gesamtstimmen für die Mediatisierten im zweiten Bundesrat und das Bundesgericht. Bei seiner Begründung geht Zentner jedesmal von der "vollen Souveränität" aus, die dem König von Bayern von den alliierten Mächten garantiert worden sei: "Dieser Garantie ist ganz entgegen, wenn diese Mediatisierten wieder als Mitstände aufgenommen werden." Seine königl. einer künftigen Bundesverfassung", vom 7. Februar 1815, GSTA MA H 1032; die folgendEm wörtlichen Zitate Zentners aus diesem Gutachten.
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Majestät habe, betont er, "den verschiedenen Klassen der Mediatisierten alle jene Vorzüge und Rechte bewilligt und durch die Constitution "garantiert", welche "mit der Souveränität vereinbarlieh" seien, mehl" könne ihnenunbeschadet dieser nicht zugestanden werden. Deshalb der direkte Ratschlag Zentners an Montgelas, Wrede so zu instruieren, daß er diesbezüglich auf "keinerlei Modifikation" einlasse und bewirke, daß über das Verhältnis der Mediatisierten im Bundesvertrag überhaupt nichts erscheine. Allerhöchstens könne einer Beilage zugestimmt werden, in der das Mediatisierten-Verhältnis als ein "Gegenstand" bezeichnet werde, "welcher in die Constitution eines jeden Landes gehört". Eine ebenso starke Gefährdung der inneren Souveränität sieht Zentner in den Artikeln 84 ff., dem BundesgerichtloB. Er führt dagegen an, daß sich im Bunde keine anderen Streitigkeiten denken ließen, als die der unmittelbaren Bundesglieder untereinander. Da diese in der Regel staatsrechtlicher Natur sein würden, so würden sie sowieso "vor dem Bundestage behandelt und man bedarf dafür keines Bundesgerichts". Die Streitigkeiten "aller Mittelbaren untereinander oder gegen den Fiscum" gehörten "vor die Landesgerichte, und die Bundesversammlung hat sich hierin nicht einzumischen". Ein Beschwerde-Recurs einer "Landschaft in Corpore" wegen z. B. Verletzung einer Landes-Constitution könne höchstens unter der Voraussetzung gestattet werden, daß 1. die Landschaft ihre Beschwerde über die angebliche Verletzung zuvor bei ihrem Regenten verfassungsmäßig angebracht habe, 2. daß sie bei diesem keine Abhilfe ihrer Beschwerde habe bewirken können, 3. daß der Recurs in dem landschaftlichen Collectiv mit mindestens zwei Dritteln Mehrheit beschlossen worden sei. Erst, wenn dies alles beachtet sei, dürfe ein Recurs bei der Bundesversammlung angenommen werden. Eine Entschließung dürfe diese aber auch erst dann fällen, wenn "der beteiligte Regent genügsam über die angebrachte Beschwerde gehört worden ist" . Als weitere Gründe für die völlige Unnötigkeit des Bundesgerichts führt Zentner an, daß 1. "die Land- und rec. Reichsstände durch die Verweigerung der Steuern selbst ein kräftiges Mittel besitzen, die Regierung zur Abhilfe ihrer allenfalls gegründeten Beschwerden indirect zu zwingen, wie es in anderen souveränen Staaten ebenfalls geschieht, in wel108 Art. 84 des preußischen Entwurfs lautet: "In denjenigen Fällen, wo die Gerechtigkeit nur von dem Bunde selbst gehandhabt werden kann, dieselbe nach festen und unveränderlichen Grundsätzen zu üben und alle Willkür und jeden persönlichen Einfluß davon auszuschließen, wird ein beständiges Bundesgericht, welches in derselben Stadt wie der Bundesrat seinen Sitz hat errichtet." Abschrift des Humboldt-Entwurfs in GSTA MA II 1032.
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chen für solche Fälle kein anderes Tribunal errichtet ist", und 2. "sind selbst unter der vormaligen deutschen Verfassung bei Ständen, welche ein Privilegium de non appellando oder Exemtions fori hatten, bei Beschwerden dieser Art Recurse der Landstände an die Reichsgerichte nicht gestattet worden". Zentner fordert Montgelas auf, dem "königlichen Bevollmächtigten aufzutragen, sich nicht auf die Errichtung eines Bundesgerichtes einzulassen", und schließt sein Gutachten mit einer Beteuerung, die fast einem Schwur gleichkommt: Man werde sich niemals etwas von der Souveränität nehmen lassen und zu verhindern wissen, daß "die preußischen Staatsmänner und Rechtsgelehrten sich als die Gesetzgeber Deutschlands aufdringen". Krenner befaßt sich in seinem Gutachten109 ausschließlich mit dem Kreiseinteilungsprojekt. Er ist darüber so erregt, daß er bei der Abfassung immer wieder Ausdrücke durchstreicht und durch schärfere ersetzt. Als erstes prangert auch er heftig an, daß "nur Preußen durch das Projekt Gewinn habe" ("Ungefähr 20 dermal noch unmittelbare Fürsten und Grafen könnten einem preußischen Kreisvorsteher untergeordnet werden"), um dann jedoch vor allem die "gräuelvollen Konsequenzen" aufzuzeigen, die sich für die "süddeutschen Souveräne" bei einer Stimmengleichberechtigung der Mediatisierten in den Kreisen ergäben: "Sie (die Mediatisierten) wären es, in deren Hände die Gesetzgebung und das ganze Wohl und Weh des Kreises ganz allein gelegt wäre, denn nach dem bestimmten Inhalt des § 43 110 (soll der Kreisvorsteher seines Vorsitzes ungeachtet kein weiteres Vorrecht in der Kreisversammlung ausüben (unterstrichen). Er soll nur eine einzige Stimme (doppelt unterstrichen) darin haben und Beschlüsse seiner Mitstände (nämlich in Bayern die mediatisierten Fürsten und Herren) sollen nach der Mehrheit der Stimmen"abgefasst werden!!" Wie Montgelas setzt Krenner dieses Vorhaben Humboldts mit "Anarchie" gleich: "Der anarchische Zustand, welcher hierdurch herbeigeführt werden müßte, wäre noch hundertmal ärger als der ehemalige Zustand des deutschen Reiches, wo die Existenz so vieler kleiner Herren blos der Kraft und der Energie Deutschlands schädlich war." 109 Titel: "Freymütige Bemerkungen zu dem Entwurfe einer deutschen Bundesverfassung vom 7. Februar 1815, und zwar zu jenem, welcher eine Kreisverfassung enthält." GSTA MA H 1032; die folgenden wörtlichen Zitate Krenners aus diesem Gutachten. 110 Er lautet wörtlich in Humboldts Entwurf: "Der Kreisvorsteher übt, seines Vorsitzes ungeachtet, kein weiteres Vorrecht in der Kreisversammlung aus. Er hat nur eine Stimme darin und die Beschlüsse werden nach Mehrheit der Stimmen abgefaßt. Fallen dieselben gleich aus, so entscheidet die des Kreisvorstehers."
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Krenner rät, auch Österreich unbedingt gegen den Humboldt-Plan mobil zu machen, indem man versuchen müsse, es an seinem Prestige und Souveränitätsgefühl zu fassen. Zwar könne Österreich "diesem Bilde der Anarchie gleichgültig zusehen", weil es keine Inclaven habe und Humboldts Plan bei ihm nicht anwendbar sei, aber man müsse es doch nachdrücklich darauf hinweisen, daß es Gefahr laufe, sich im Innern seines Staates Gesetze vorschreiben zu lassen, welche "ganz fremde Kreisstände, und zwar größtenteils mediatisierte Fürsten und Grafen in ihren Kreisversammlungen vorgeschlagen haben und die durch den mächtigen Einfluß Norddeutschlands beim Bundesrat sanktioniert worden sind". Österreich sei doch wohl kaum daran interessiert, "als bloßer Kreisvorsteher dem Bundesrat untergeordnet und verantwortlich zu werden". An dieser Stelle müsse auch ganz intensiv der Hebel angesetzt werden, um Humboldts Plan zu Fall zu bringen. Ebenso entschieden äußert sich Krenner gegen das Bundesgericht, das den zweiten Hauptpunkt seines Gutachtens bildet. "Wie kann sich ein solches Projekt mit der von den alliierten Mächten garantierten Souveränität vereinbaren"? fragt er. Die Tatsache, daß laut § 112 jeder, also auch mittelbare Personen, befugt sei, Klage gegen andere Bundesmitglieder zu erheben, bedeute, daß man sich auf ein "Cassationstribunal über alle oberste Gerichtshöhe des Souveräns" gefaßt machen könne. Lese man angesichts dieser Aussicht den Artikel 26, der vom "vollen und freien Genuß der Regierungsrechte" spreche, so klinge das wie Hohn. Diesen Artikel hat, wie eben gezeigt wurde, auch Zentner, allerdings in anderem Zusammenhang, zitiert. Im Gegensatz zu Zentner fordert Krenner hier jedoch nicht die Einsetzung des Wortes "Souveränitätsrechte" für "Regierungsrechte", sondern hält den Artikel für "angemessen". überhaupt geht Krenner nicht mit der beispiellosen Akribie Zentners vor, der jeden Artikel förmlich seziert, sondern er kritisiert allgemeiner. Zum Aufgabenbereich des zweiten Rates (Art. 18 - 24), der "die Berathung der für ganz Deutschland geltenden Gesetze" vornehmen soll, bemerkt er empört: "Also sollen die deutschen Souveräns nicht blos in der richterlichen Gewalt, sondern selbst in der gesetzgebenden Gewalt beschränkt werden." Anstatt dies dem Souverän zu überlassen, der am besten wisse, was seinen Ständen angemessen sei, ihren Sitten, ihrer Religion, ihrer Geisteskultur, ihrem Vermögensstande, solle nun von einem unerfahrenen Collegium die Gesetzgebung gemacht werden, einem Gremium, in dem der rechtmäßige Gesetzgeber "nur eine oder ein paar Stimmen" habe. Kein deutscher Souverän werde sich hierzu bereit finden. Krenner hebt immer wieder hervor, daß das "Dezember-Projekt", also der Wessenberg-Entwurf, weit vorteilhafter gewesen sei, da er nicht
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
so tief in die innere Souveränität eingegriffen habe. Hierbei geht er allerdings von falschen Vorstellungen aus. Denn das sehr vage gehaltene Wessenberg-Projekt steht in Wien ja überhaupt nicht offiziell zur Debatte, sondern ist Bayern von österreichischer Seite nur unter der Hand zugestellt worden, um ihm zu zeigen, daß seine Absichten nicht mehr auf eine so straffe Ausgestaltung des Bundes gehen, wie es Preußen beabsichtigt. Nach dem Arrangement mit Preußen aber muß Österreich wieder einlenken und die preußischen Entwürfe zur Diskussion stellen. Es geht wieder mit Preußen zusammen (ohne jedoch den WessenbergEntwurf zu vergessen und von seinen eigenen Absichten abzugehen, wie sich in der Schlußphase des Kongresses immer deutlicher zeigen wird). Gegen Ende seines Gutachtens zum Humboldt-Entwurf kommt Krenner nochmals auf die Mediatisierten zurück. Er erregt sich sehr darüber, daß ihre Besteuerung von Bundeswegen untersucht werden soll (§ 65), und findet am "unleidentlichsten" die "im § 78 wie vom Himmel gefallene Bestimmung", daß "der Lehensnexus (der Mediatisierten) gegen die Souveräns (unterstrichen), unter welchem sie mediatisiert sind, aufgehoben werden soll". Er faßt sein Gutachten dann so zusammen: "Im ganzen mögen nur von den §§ 82 bis 97 einige Bestimmungen besser und räthlicher sein, als die etwas gar zu vage Bestimmung des Decemberprojektes so viel die Landstände betrifft, zu allem übrigen aber ist dieses Projekt mit der Souveränität offenbar unvereinbarlieh (im Original doppelt unterstrichen) und die Verfassung wäre für das Wohl Deutschlands durch die Lähmung und Unterjochung der einzelnen Regenten noch weit schlechter, als jemals die ehemalige deutsche Reichsverfassung war." Wie Zentner lehnt demnach auch Krenner die Humboldtschen Entwürfe mit der gleichen Begründung schärfstens ab: Die Souveränität Bayerns würde durch sie höchst gefährdet. Diese Aussage wiederholt er immer wieder, sie kommt über 30mal in seinem Gutachten vor, oft im gleichen Wortlaut. Beide, Zentner und Krenner, liegen damit ganz auf der Linie Montgelas'. Das Gutachten Aretins111 hebt sich außerordentlich von den beiden anderen ab. Zunächst läßt er sich angesichts der Lage fast so etwas wie Genugtuung erkennen, als Antwort auf die eisige Ablehnung, die ihm Zentner in der ersten Sitzung des Souveränitätsausschusses entgegenbrachte. Er fühle sich, beginnt er, jetzt nur zu genau in seiner am 25. Dezember geäußerten Ansicht bestätigt, daß Bayern in diesen Bund erst gar nicht hätte treten dürfen, wenn seine Regierung die Absicht hatte, völlig souverän zu bleiben. Man hätte, wiederholt er, statt des Bundes den Weg 111 Titel: "Abstimmung über den Humboldtschen Entwurf der Deutschen Bundesverfassung", vom 19. Februar 1815, in GSTA MA II 1032; die folgenden wörtlichen Zitate Aretins aus diesem Gutachten.
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"wohlgewählter Allianzen" einschlagen sollen, "wozu der Rieder Vertrag die schönste Grundlage gegeben hätte". (Daß Bayern diesen Weg auf Grund der politischen Gesamtlage nicht einschlagen konnte, und Aretins Auffassung unrealistisch und falsch ist, wurde bereits gesagt. Für seine folgende sehr klare Ansicht zum Problem der Souveränität im Bunde ist es aber unerheblich.) Jetzt aber sei die Situation so, daß man sich von "einer allgemeinen deutschen Verbindung sehr schwer lossagen" könne. Man könne deshalb um folgendes Faktum kaum herumreden: Dem Königreiche Bayern sei in Ried "zwar von den übrigen hohen Mächten die Souveränität ohne jene beschränkende Clausel garantiert worden", welche man den meisten der übrigen Verträge beigefügt habe, aber es sei doch ohne Zweifel "aus der großen Constellation ziemlich deutlich hervorgegangen, daß die Glieder des teutsschen Bundes in ein engeres gemeinsames Verhältniß zueinander gebracht werden sollten, mit welchem eine völlig freie und unbeschränkte Souveränität einzelner Bundesglieder nicht wohl mehr vereinbar sein konnte". Diese Sätze bedeuten einen Angriff auf den Grundansatz aller Souveränitäts-Deklamationen Zentners, Krenners und Montgelas'. Aretin wirft ihnen ohne Umschweife Inkonsequenz vor, beschuldigt sie, jetzt nicht erkennen und zugeben zu wollen, was von vorneherein klar vorauszusehen gewesen wäre, nämlich daß der Bund zwangsläufig eine Beschränkung der vollen Souveränität mit sich bringen würde. Statt dessen gehe man immer wieder von der "garantierten vollen Souveränität" aus, klammere sich daran wie ein Ertrinkender. Dies sei eine Politik der Illusionen und irrealen Wunschdenkens. Aretin wiederholt deshalb noch einmal, was er bereits in der Sitzung vom 25. Dezember erklärt hat: "Es ist bereits angeführt worden, daß sich ohne Beschränkung der einzelnen Souveränität ein Bund nicht denken läßt." Aber er geht noch weiter. Er befaßt sich zunächst mit dem WessenbergProjekt und erklärt, daß, "von einem allgemeinen Standpunkte aus und nicht als baierischer Staatsdiener", er eigentlich all denen Recht geben müsse, die eine straffere Gestaltung des Bundes wollten. In dieser Hinsicht sei das Wessenberg-Projekt wohl alles andere als eine Basis für einen wirklichen Bund. Nach diesem Entwurf würde die neue deutsche Konstitution das Alter der vorigen mit Gewißheit niemals erreichen und bei der ersten großen Katastrophe in sich zusammenstürzen. "Mit solch geringen Aufopferungen der einzelnen Staaten - z. B. der viel zu lockeren Fassung der Bündnisbestimmungen112 - könnte ein Bund "nicht 11! Hier sei sehr "zu befürchten, daß die Verbindung mit fremden Staaten nicht immer innerhalb der vorgezeichneten Gränzen verbleiben werden", meint Aretin. Er findet ein Bündnisrecht der einzelnen Staaten mit einem Bunde überhaupt nicht vereinbar. Genausowenig sei es mit dem alten Reich vereinbar gewesen, daß es immer mehr ausgehöhlt und schließlich zerstört habe.
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durchkommen": "die Souveränitätsrechte müßten viel enger vereinigt, die Gesamtkraft der teutschen Völker viel mehr construiert werden". Wie müssen diese Aussagen auf Montgelas, Zentner und Krenner wirken, die das Wessenberg-Projekt als höchstmögliches Zugeständnis bezeichnen, ja sogar daran noch starke Abstriche machen. Nicht nur werden ihre Bekundungen, dennoch einen Bund zu wollen, von Aretin als bloße Lippenbekenntnisse hingestellt, sondern mit schonungsloser Offenheit die ganze Widersprüchlichkeit der bayerischen Politik seit 1814 aufgezeigt. Man könne nicht, meint Aretin, auf der einen Seite sich nach außen hin den Anschein geben, den Bund zu akzeptieren und ihm beizutreten, weil man sich territoriale Vorteile von ihm erwarte, auf der anderen Seite aber am Verhandlungstisch alle existenznotwendigen Einrichtungen dieses Bundes verneinen und ihn realiter ablehnen. Eine solche Politik sei unmöglich und müsse für Bayern schwere Folgen haben. Aretins Prophezeiung wird sich 1817 nur zu deutlich erfüllen. Es muß hier noch einmal hervorgehoben werden, daß Aretin durchaus kein Bundes-Freund ist, sondern nur ganz nüchtern von der jetzigen Lage ausgeht. Diese Lage ist nach seiner Ansicht, daß Bayern nun nicht mehr nein zum Bunde sagen kann 113 und folglich, wenn es zum Bunde kommt, solange dieser existiert, Souveränitätsbeschränkungen akzeptierenmuß. Allerdings nicht so schwere, und damit kommt Aretin zu den neuen preußischen Entwürfen, wie diejenigen in den Humboldtschen Projekten. Diese greifen ihm ebenfalls zu sehr in die innere Souveränität der Bundesstaaten ein. Er lehnt sie deshalb in dieser Form ab, weil man darin "mehr von den Souveränitätsrechten aufzugeben gezwungen wird, als für die Erhaltung des gemeinschaftlichen Zweckes nötig ist", vor allem aber deshalb, weil sie nur Preußen begünstigten, das durch sie "zu einer völligen Unterordnung und Einverleibung der kleineren nördlichen Staaten und heimlich zu einem entschiedenen Übergewichte in Deutschland gelangen kann". Aretin hält fest: Auf die "vorzüglichsten Rechte der Souveränität im Innern, wie es das Humboldtsche Projekt zumutet", dürfe der König von Bayern "nicht Verzicht leisten", und er stellte folgende Grundforderungenauf: 1. "daß im Bunde keine solche Einrichtung statt finde, welche die ohnehin schon bedeutend mächtigeren Staaten noch mächtiger und einflußreicher mache", 113 "So wie die Sachen jetzt stehen, wird es sehr schwer sein, sich von der allgemeinen deutschen Verbindung los zu sagen und sich seine eigene Politik zu wählen."
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2. "daß der Bund vorzüglich auf Verteidigung, Garantie und Schutz gegen außen gerichtet werde", 3. "daß im Inneren dem Bunde keine Einmischung in die Regierungsrechte gestattet werde, also auch kein Bundesgericht entstehe",
4. "daß die Mediatisierten in ihrem dermaligen Zustande gelassen werden". Aretin spricht unter Punkt 3 von "Regierungsrechten". An anderer Stelle seines Gutachtens aber betont er, man möge in § 26 durchaus auf "Souveränitätsrechte" statt "Regierungsrechte" bestehen, womit er Zentner unterstützt. In Anbetracht der Tatsache, daß Aretin hierauf am 25. Dezember noch keinen besonderen Wert legte, ist dies sicher eine Reaktion auf die übersteigerten Forderungen in Humboldts Projekten, die ihn des öfteren Front gegen Preußen machen lassen, was vorher nicht der Fall war. Dabei spielt er direkt auf Hardenbergs Stellungnahme gegen die Souveränität an. "Es dürfte", meint er, "anstatt Regierungsrechte Souveränitäts-rechte (beide unterstrichen) gesagt werden, was man auch immer gegen die Unteutschheit des Ausdrucks erinnern mag". Auch Aretin argwöhnt, daß Preußen ganz bewußt das Wort "Souveränität" herauslassen will, um seine Ziele zu erreichen. Aretin beschränkt damit einerseits die Souveränität, sieht jedenfalls die Notwendigkeit ihrer Beschneidung im Interesse des Bundes ein, beharrt aber andererseits auf ihrer Benennung, um die Bayern verbliebenen Souveränitätsrechte zu fixieren. Was hier von ihm mit wenigen Sätzen ausgesprochen wird und später in der Bundesakte und Wiener Schlußakte Realität ist, nämlich eine den historischen Gegebenheiten angepaßte Souveränität, gibt später dem deutschen Staats- und Völkerrecht seine Probleme betreffs der Relevanz dieser "Souveränität" auf. Insgesamt betrachtet sind Aretins Souveränitäts-Ausführungen in seinem Gutachten vom 19. Februar gegenüber Montgelas', Zentners und Krenners Ansichten fast revolutionär. Was die Humboldtschen Entwürfe allgemein betrifft, hält er es trotz seiner eindeutigen Ablehnung sehr vieler Punkte immerhin für möglich, daß sie dennoch als Grundlage zu Verhandlungen dienen könnten - was für Montgelas und die beiden anderen Mitglieder des Souveränitätsausschusses völlig ausgeschlossen ist. Auch Aretins sonstige sehr bemerkenswerte Vorschläge werden rundweg abgelehnt. Da die Initiative zu neuen Verhandlungen in Wien von den kleinen Fürsten und Städten ausgegangen ist, sieht Aretin voraus, daß diese sich in Zukunft an der Diskussion beteiligen könnten. Er
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schlägt deshalb vor, schon jetzt ein erweitertes Komitee nach dem Schema einer künftigen Bundesversammlung einzuberufen und es als konstituierende Körperschaft zu erklären. Als Grundlage nimmt er für eine Million Einwohner eine Stimme an. Das hätte Österreich acht, Preußen sechs, Bayern drei, Sachsen zwei, Württemberg, Baden und den beiden Hessen je eine und den kleinen Fürsten zusammen drei Stimmen gebracht, zusammen 25. Montgelas stimmt dem nicht zu. Er will das FünferKomittee beibehalten und keineswegs diese Position, die Bayern anderen Staaten voraus hat, von sich aus aufgeben. Die Annahme Aretins, daß die neuen preußischen Entwürfe doch als mögliche künftige Verhandlungsgrundlagen dienen könnten, hatte manche Warhrscheinlichkeit für sich 114 • Preußen war die Hoffnung des liberalen Deutschland, hinter dem die Presse stand. Wenn Metternich auch liberal gedacht hätte, wäre die Möglichkeit, daß die Humboldtschen Entwürfe, die Basis künftiger Verhandlungen geworden wären, zweifellos sehr groß gewesen. So aber steht hinter der Bekanntmachung der Humboldtschen Entwürfe nichts anderes als ein geschicktes Spiel des öste!,reichischen Staatskanzlers, Preußen, dem gegenüber er seit der sächsischen Krise trotz der äußeren Einigung von permanentem Mißtrauen erfüllt ist, bei den anderen Staaten Deutschlands zu kompromittieren, was weder von preußischer noch von bayerischer Seite erkannt wird. Die idealistischen Pläne Humboldts, ein wirkliches gemeinsames Deutschland zu schaffen, müssen, das weiß er, den anderen Staaten, vor allem den Südstaaten, nur als ein egoistisches Machtstreben erscheinen, Deutschland zu beherrschen. Automatisch kann Österreich als ihr Beschützer auftreten. Humboldt arbeitet nur für ihn. Er versetzt mit diesen Projekten, die sich an gar kein Kommittee wenden können, lediglich die Regierungen in Aufregung. Mit Genugtuung hat Metternich dagegen die relativ positive Aufnahme des Wessenberg-Entwurfes bei Bayern registriert. Er ist sich sicher, daß dieses Projekt seinen Zweck nicht verfehlt hat. Bayern muß nach seiner Ansicht mehr auf seiten Österreichs stehen. Das stimmt auch. Die Gutachten Zentners und Krenners vom 7. Februar beweisen es. Doch nur für begrenzte Zeit. Dem Freiherrn von Stein gelingt es bald darauf mit seiner idealistischen Kaiseridee ganz ungewollt, den Argwohn von Preußen abzulenken und auf Österreich fallen zu lassen. Nun ist man auch Österreich gegenüber plötzlich wieder äußerst mißtrauisch. Am 10. Februar schreibt Wrede in seinem Antwortschreiben auf Montgelas' Souveränitäts-Instruktion vom 4. Februar, der er völlig zustimmt116 , er habe aber neuerdings den Eindruck, Österreich wolle Vgl. Aretin: Die deutsche Politik, a.a.O., S. 29 ff. "Ich kann nicht umhin, den darin aufgestellten Grundsätzen meine vollkommene Beystimmung zu ertheilen. Die Umwandlung unabhängiger Souveräne, denen ihre Souveränität durch feierliche Verträge zugesichert worden, 114
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Preußen nur als Schreckgespenst benutzen, um die Kaiserkrone zu erwerben, und man käme vielleicht vom Regen in die Traufe: "Es dringt sich mir eine Besorgnis auf, welche ich nicht unterdrücken kann, ohne sie Eurer Excellenz mitzuteilen. Wäre es nicht möglich, daß Österreich selbst, in der überzeugung, daß jene preußischen Projekte alle Staaten Deutschlands beunruhigen müssen, dieselben vor der Hand begünstigte, um dann desto zuverlässiger die Stimmen für die vielleicht noch nicht aufgegebene Idee der erblichen Kaiserwürde zu gewinnen? Würde dieser Fall eintreten, so käme Bayern in die traurige Lage, zwischen der Existenz der Kreisobersten und als Reichsstand wählen zu müssen und auf welche Seite müßte sich dann die Waagschale neigen! Man kann sich nicht genug vorsehen, und wenn der gefürchtete Augenblick kommt, wird die Entscheidung so schnell gefaßt werden müssen, daß es zu beklagen wäre, wenn man nicht alle Fälle zuvor fertig durchdacht hätte." Auch Aretin zieht in seinem Gutachten vom 19. Februar, das auf Grund seines späteren Erscheinungsdatums als das Zentners und Krenners auf dem neuesten Stand ist, diese Möglichkeit sehr ernsthaft in Betracht. Er fordert deshalb als erstes "auf alle Art zu trachten, daß kein teutsches Kaisertum entstehe und überhaupt kein solcher Schritt gemacht werde, welcher näher zu einer teutschen Monarchie führen könnte"118.
Montgelas lehnt Württembergs Vorschlag eines Separatbundes "zur Sicherung der Souveränität" ab Der sichtbarste Ausdruck des starken Mißtrauens gegen die beiden nichtdeutschen Großmächte ist der wenig später erscheinende württembergische Vorschlag, Preußen und Österreich ganz den Rücken zu kehren und ohne sie Bayern, Württemberg, Baden und die beiden Hessen in einem eigenen Bund zusammenzufassen. Diese fünf Staaten sollen unter Führung Bayerns die Keimzelle des neuen Deutschlands bilden, denen sich alle anderen Staaten mit Ausnahme von Österreich und Preußen anschließen können. Als Zweck des Bundes wird in dem 12 Artikel umfassenden württembergischen Projekt, welches Wrede am 26. März nach München schicktl17 , das angegeben, was man in den österreichischen und preußischen Entwürfen immer wieder so gefährdet sieht: Die "Sicherung der Souveränität und der Besitzungen eines jeden Mitgliedes des Bundes" (§ 2)118.
in Kreisobersten, welchen der Inbegriff ihrer Regierungsrechte blos aus der Machtvollkommenheit des Bundes wie ein Amt übertragen, hieße wirklich alle bestehenden Grundsätze mit Füßen treten u. einen Zustand der Anarchie herbeiführen ..... Brief Wredes v. 10. Februar 1815, GSTA MA 11 1032. 1U Gutachten Aretins, a.a.O. m Bericht Wredes v. 26. März 1815, GSTA MA 11 1032. 118 In den Einleitungssätzen des württembergischen Projektes heißt es weiter:
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11. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
Doch Montgelas versagt sich diesem konkreten Angebot Württembergs zum Zusammengehen auch diesmal. Ihm sind die von Österreich versprochenen Besitzerwerbungen wichtiger als eine Rolle als führende Macht eines dubiosen dritten Deutschlands. In der Tat ist es sehr zweifelhaft, ob dieser Vorschlag zu dieser Zeit zu verwirklichen gewesen wäre, angesichts der sehr intensiven Sonderinteressen der einzelnen Staaten. Dennoch ist es keine Frage, daß seine ernsthafte Verfolgung zusammen mit der wenig später erfolgenden Rückkehr Napoleons eine ganz neue Lage geschaffen hätte119 • So aber erklärt Montgelas, daß er sich nicht eher mit diesem Vorschlag befassen werde, ehe nicht die Territorialangelegenheiten geklärt seien: "Ich glaube auf jeden Fall, daß die vorgeschlagene Bildung einer Assoziation vor der nöthigen Beendigung der Territorialangelegenheiten und Ausgleichungen nicht vorgenommen werden kann." Bayern hat in Paris die Rückgabe Salzburgs an Österreich versprechen müssen. Als Äquivalent dafür kann Bayern nur Gebiete aus Württemberg, Baden oder Hessen bekommen, was ihm Österreich in Paris ja auch angedeutet hat. Die Gebiete kann Bayern aber nur erhalten, wenn die Großmächte dafür ihre ganze Kraft einsetzen, ohne sie würde Bayern "kein Dorf bekommen", wie der realistische Graf Rechberg, der Nachfolger Wredes, später schreibt120 • So harrt Montgelas trotz seiner Bedenken auf derjenigen Seite aus, auf der er etwas Konkretes zu holen hofft, auf seiten Österreichs. Württemberg erhält eine kühle Abfuhr, ebenso Hessen-Darmstadt auf dessen gleichgesinnte Anfrage von Mitte April l21 , die er kurz bescheidet, solange in dem österreichischen Vorschlag vom Dezember (Wessenberg-Entwurf) ein annehmbares Projekt für Gesamtdeutschland existiere, könne er hierüber nicht verhandeln l22 • Es ist also eine sehr widersprüchliche und alles andere als konstruktive Politik, die Bayern unter Führung Montgelas' zu Beginn des Jahres 1815 treibt. Auf der einen Seite schlägt Montgelas alle konkreten Angebote, Eigeninitiative zu entwickeln und eventuell eine Führungsrolle der reinen deutschen Staaten zu übernehmen, aus. Er verspricht sich nichts davon, verweist auf den Bund, den Bayern mit schaffen wolle. Auf der anderen Seite aber befürwortet er diesen Bund nur nach außen hin, um mit Hilfe der Großmächte, speziell Österreichs, territoriale Neuerwerbungen zu erreichen; in Wirklichkeit will er ihn gar nicht und lehnt alle "Die Erfahrungen der letzten Zeit sind von der Art, daß, wo nicht gleich, doch späterhin die Souveränität der mindermächtigen unabhängigen teutschen Staaten untergraben werden würde." l1U Vgl. Aretin: Die deutsche Politik, S. 31. 120 Schreiben Rechbergs v.ll. Juni 1815, GSTA MA 11 1034. 121 In GSTA MA 11 1033. 122 Undatierte Antwort auf die hessische Note, GSTA MA 11 1033.
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der "Souveränität"
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seine wichtigsten Einrichtungen ab, weil er Bayern die volle, uneingeschränkte Souveränität erhalten will. Dies ist in den Sitzungen vom 26. und 28. Februar des Souveränitätsausschusses im bayerischen Staatsrat, die inzwischen stattgefunden haben, noch einmal ganz deutlich gesagt worden123 • Montgelas und Zentner sind hier wieder die bestimmenden Wortführer gewesen, die alle Versuche des progressiven Adam von Aretin, der solche Politik nach wie vor als unhaltbar bezeichnet, abgewehrt haben. Ebenso stagniert die Politik in Wien. Das ändert sich jedoch schlagartig, als dort am 7. März 1915 die Nachricht von der Flucht Napoleons eintrifft. (Am 8. März124 berichtet Wrede darüber nach München.) Am 26. Februar, dem Tag, an dem die erste der beiden letzten großen Souveränitätskonferenzen in München stattfand, ist Napoleon von Elba geflohen und schickt sich nun an, nach der Verjagung der Bourbonen, Europa zurückzuerobern.
Napoleons Aufruf an die "Souverains etrangers" Napoleon weiß, was sich inzwischen ereignet hat, was Preußen und Österreich in Wien versuchen. Vor allem aber weiß er, was mit am entscheidendsten zum bisherigen Scheitern der Verhandlungen in Wien beigetragen hat: die "Souverainete", die er seinen ehemaligen Verbündeten schenkte. Aus dieser Erkenntnis handelt er, als er am 4. April einen allgemeinen Aufruf erläßt, einen offenen Brief an die "Souverains etrangers" von Europa richtet1 25 • Wer mit diesen "Souverains" vor allem gemeint ist, ist offenkundig: Napoleons Brief wendet sich speziell an seine ehemaligen Bundesgenossen, die Rheinbundstaaten. Ihre "souverainete" hebt er besonders hervor, 123 In den Protokollen dieser Sitzungen, in denen unter Beisein auch von Thürheims noch einmal der Wessenberg-Entwurf und die preußischen Projekte durchgesprochen werden, - wobei man immer noch nicht weiß, daß der Wessenberg-Entwurf, dem man den Vorzug gibt, überhaupt nicht offiziell zur Debatte steht - taucht das Wort "Souverainetät" nahezu in jeden zweiten Satz auf. U. a. stellt Zentner nochmals wiederholt heraus, daß es in dem Eingangsartikel "alle gegenwärtig souverainen Staaten" heißen müsse. Montgelas wendet sich gegen die "Permanenz der Bundesversammlung", da man durch sie mit einer "Gefährdung der Souveränität" rechnen müsse; vor allem aber beschließt man, "auf dem Ausdruck ,Souverainetätsrechte' statt ,Regierungsrechte' zu beharren." Unter "Souverainetätsrechte" werde "in der Praxis etwas ganz anderes verstanden als Regierungsrechte. Diese letzteren können auch unter einer anderen Oberherrschaft noch ausgeübt werden. Es sey wohl ein Unterschied zu machen unter Summum Imperium, Landeshoheit und Regierungsrechten!" (Zentner) GSTA MA II 1032. 124 Eilschreiben Wredes vom 8 .März 1815, GSTA MA II 1032. 125 "Lettre autographe de Napoleon Buonaparte aux Souverains etrangers; datee de Paris le 4 avriI1815." Abgedruckt bei Klilber: Acten, Bd. VI, S. 251.
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H. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
streicht sie einschmeichelnd heraus, betont sie als das richtungweisende Element ihrer nationalen, eigenständigen Zukunft. Alle Bestrebungen, die Vergangenheit und das Alte zu konservieren, müßten an ihr zunichte werden: "Une plus belle arene est aujourd'hui ouverte aux souverains, et je suis le premier a y descendre128 ." In der Wiener Staatskanzlei weiß man nur zu gut, gegen wen sich diese Worte besonders richten. Metternich ist sich darüber klar, daß man unter den eingetretenen Umständen nun so schnell wie möglich die deutsche Verfassung schaffen muß und froh sein kann, wenn man sie überhaupt noch unter Dach und Fach bringt. Wenn die Organisation des deutschen Bundes jetzt nicht zustande kommt und auf spätere Zeiten verschoben wird, kann es möglich sein, daß die ehemaligen Rheinbundstaaten in neuen Allianzverträgen neue Zugeständnisse verlangen werden. Deshalb müssen jetzt sofort wenigstens die vorgesehenen Rahmenbestimmungen verabschiedet werden, um diese Gefahr auszuschließen. über alles weitere muß man sich auf dem Bundestag unterhalten. So argumentiert er gegenüber Preußen, das sich unter diesen Umständen zum Nachgeben bereit erklärt. Unter diesen Vorzeichen treten die Verhandlungen über die Bundesverfassung aus dem Stadium der Entwürfe in die entscheidende Endphase. Die Weichen für die kommenden Konflikte sind gestellt. Preußen sieht in der Bundesverfassung, wie sie diese prekäre Situation verlangt, nur eine Notlösung, einen Kompromiß, und will die nähere Ausführung dem Bundestag überlassen. Bayern dagegen sieht in den Rahmenbestimmungen bereits eine endgültige Lösung und betrachtet sie als Zugeständnisse, über die es keinesfalls hinausgehen will127 •
Wredes Abschied aus Wien Feldmarschall Fürst Wrede, Bayerns Gesandter beim Wiener Kongreß, bleibt nur noch bis zum 24. April in Wien, um dann zur Truppe abzugehen. Er hat in der letzten Zeit keine großen Schritte mehr unternehmen können. Doch das ändert sich jetzt. Im Verlauf der Kriegsvorbereitungen gegen Napoleon und beim Beitritt Bayerns zur erneuerten Allianz der vier Großmächte Österreich, England, Preußen und Rußland wird Wrede noch einmal äußerst aktiv. In der Hektik der Vorbereitungen ist sein wichtigstes Anliegen, gerade jetzt Bayern als souveränen, unabhängigen Staat zu vertreten, der sich nicht als "kleiner Fisch" behandeln läßt und zu den militärischen Planungen der vier Großmächte nur ja und Amen zu sagen hat. 128 127
Ebenda. Vgl. Aretin: Die deutsche Politik, a.a.O., S. 33.
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der .. Souveränität"
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In diesem Zusammenhang macht sich Wrede vor allem Gedanken über die Höhe der KontingentsteIlung Bayerns. Am 19. März schreibt er dem König einen Brief, in dem er seitenlange überlegungen darüber anstellt, ob Bayern nur ein begrenztes Truppenkontingent von 30 000 Mann stellen soll, das dann zweifellos einem anderen der Großmächte eingegliedert werden würde, oder alle zur Verfügung stehenden Truppen - mindestens 60000 Mann - mobilisieren soll, um die Möglichkeit zu haben, eine eigene unabhängige Streitmacht zu stellen 128 • Natürlich ist letzteres sein großer persönlicher Wunsch; er als Oberkommandierender des bayerischen Heeres möchte sich niemand anderem unterordnen. Auf der anderen Seite aber ist sich Wrede auch darüber im klaren, daß eine solche Souveränitätsdemonstration die Mittel Bayerns bis zur völligen Erschöpfung anstrengen würde 129 • Wie soll man sich hier verhalten? Bemerkenswerterweise bittet Wrede den König, diesbezüglich seinen designierten Nachfolger Graf Rechberg um Rat zu fragen 130, der einen guten Kontakt zu Metternich habe, über profunde Kenntnisse verfüge und die bayerischen Belange sehr gut vertreten werde. Er selber habe sich jetzt auf den Krieg vorzubereiten. Nichts kennzeichnet besser die Bereitwilligkeit Wredes, das diplomatische Parkett Wiens und seinen undankbaren Platz dort, der ihm so wenig Freude gemacht hat, aufzugeben, als diese Anpreisung Rechbergs, dem er zu Beginn der Verhandlungen noch so hochmütig begegnete. Wrede läßt keinen Freund in Wien zurück, sondern fast nur Feinde. Unter den ständigen Angriffen seiner Gegner hat er zuletzt immer stärker Wirkung gezeigt. Vor allem die preußischen Vertreter sind niemals müde geworden, ihn zu attackieren und als den Hauptschuldigen für das Scheitern der Verhandlungen hinzustellen. Am 4. April hat Stein über ihn geschrieben: "Die störrische und beschränkte Aufgeblasenheit dieses Mannes hat 128 "Si Votre concours aux operations militaires est reclame, Sire, voudrezVous y prendre part avec un vorps inferneur de 30 mille Hommes ou embrasser la cause generale avec la totalite des troupes actuellement disponibles. Je pencherois pour le dernier part!. Un corps subordonne ne donnerait pas les memes droits, pour etre considere comme puissance independante ..." Außerdem könne man so plädiert Wrede, mit einer starken Armee, was die territorialen Vergrößerungsabsichten Bayerns betreffe, sofort Tatsachen herstellen, indem man einfach Besetzungen durchführe. Er ist da gar nicht zimperlich. "Une armee considerable offriroit d'ailleurs de tres grands avantages a l'egard des operations militaires, faciliteroit les prises de possession et permettroit d'organiser une administration tout a fait independante ... " (GSTA MA II 1029). 128 "Mais il n'est pas moins vrai, que tout echee supporte par ses corps d'armee seroit plus penible quil enleveroit au pays une plus grande partie de ses moyens ..." 180 "Je propose a votre Majeste d'appeler en conseil prive le Comte de Rechberg, recommandable autant par son zele que par ses connaissances profondes et l'excellende de ses conseils" (ebenda).
22 Quint
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
nachtheilig gewirkt bei den Verhandlungen über die deutsche Verfassung die er lähmte, bei den Mißverständnissen über Sachsen, die er vermehrte, und endlich jetzt bei der Auseinandersetzung wegen der Länder, die er aufhält131 ." Aber nicht nur Preußen und Hannover, sondern vor allem auch die kleinen Fürsten und Städte, deren Initiative die Bundesgespräche, wenn auch erst inoffiziell, wieder in Gang gebracht haben, sind immer wieder gegen ihn aufgetreten, so in einer Note, die 22 von ihnen unterzeichnet (u. a. das Herzogtum Braunschweig, die Städte Bremen und Frankfurt, Liechtenstein-Reuß) und am 23. März ihm überreicht haben; darin wurde er aufgefordert, die Verhandlungen über die Bundesakte nicht mehr zu sperren und sich endlich mit allen anderen "zu diesem großen und unaufschiebbaren, gemeinschaftlichen Werte zu vereinigen"132. Wrede ist nur zu gern bereit, sich wieder seinem ureigenen Metier zuzuwenden. Er betont wie zu seiner Rechtfertigung immer wieder, daß er stets nur streng auftragsgemäß gehandelt habe. In einem boshaften Agentenbericht vom 26. November heißt es denn auch, er sei überhaupt kein Diplomat, sondern nur das Sprachrohr von Montgelas 133 • Das stimmt jedoch nicht. Etwas elastischer und beweglicher war Wrede doch, so am Anfang, als er es für unumgänglich hielt, an den Verhandlungen trotz der ungelösten Territorialfragen teilzunehmen und in der Frage des Bundesgerichtes, wo er über seine Instruktion hinausging. Hätte Wrede alles haargenau befolgt, was Zentner und Krenner sagten und ihm von Montgelas aufgetragen wurde, wäre Bayerns Stellung von vorneherein kaum haltbar gewesen. Außer der Frage der Truppenstärke hat Wrede noch ein anderes Souveränitäts-Anliegen. Er fragt den König, ob er es als souveräner Herrscher Bayerns zulassen wolle, daß die alliierten Truppen durch Bayern marschieren, wie sie beabsichtigen. "Permetterez-Vous que des corps de Troupes etrangeres traversent Vos Etats sans qu'il existe a cet egard des conventions 134." Worauf ihm Montgelas zunächst am 25. März antwortet, daß Bayern scharf gegen jede Verletzung seines Hoheitsgebietes protestieren werde - "on protestoit contre tout mouvement alterieur dans les Etats du Roi"135 -, dann aber schon am 29. März erklärt, daß man den Durchmarsch auf drei großen Straßen gestatten werde. "11 y aura trois de 131 Stein, Briefe, a.a.O. 132 Note der 22 Fürsten und Städte an Bayern, in GSTA MA II 1032. 133 "Wrede, qui n'est pas un diplomate et qui n'est que le porte-parole de Montgelas, considere, du reste tout comme Montgelas lui-meme." Zit. bei Weil: Les dessous du congres de Vienne, I, S. 234. 134 Brief Wredes vom 19. März, GSTA MA II 1029. 135 Schreiben Montgelas' vom 25. März 1815, GSTA MA II 1029.
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der "Souveränität"
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ces routes d'etapes a traverser le Royaume136 ." Montgelas hat eingesehen, daß es zwecklos ist, sich hier den Großmächten zu widersetzen und man besser daran tut, gleich nachzugeben anstatt das Gesicht zu verlieren. Selten wird deutlicher als in diesen Tagen, daß Bayern keine selbständige Politik machen kann, wie es Montgelas erträumt, sondern daß es den Großen untergeordnet und von ihnen abhängig ist. Er verwünscht deshalb den Wiener Kongreß, der alles so hat kommen lassen, der seine Politik der freien Allianzen verhindert und Bayern so eng gebunden hat, ohne seine gerechten Territorialansprüche zu erfüllen: "La marche de ce malheureux congres nous a jete loin de ce que nous desirons justement137 ." Auch Wrede wird in den Tagen der Allianzverhandlungen zwischen den vier Großmächten nur zu sehr bewußt, daß er der Gesandte eines Mittelstaates und kein Vertreter einer Großmacht ist. Er wird sehr wenig beachtet. Sein angestauter Groll entlädt sich gegen Metternich, als dieser ihn nach dem Vertragsabschluß am 25. März 1815 zwischen Österreich, Preußen, Rußland und England zu sich bittet und ihm eröffnet, er werde noch am gleichen Tage eine Note der vier Großmächte erhalten, mit der Aufforderung an Bayern, dem Vertrag zuzustimmen: "Le prince de Metternich me reunit en me disant que le recevrait encore dans la journee la Note signee par les quatre Puissances portant l'invitation a la Baviere d'y donner son accession 138 ." Wrede erklärt ihm hierauf, daß der König von Bayern dies, wenn man ihn nur als bloßen Befehlsempfänger behandele, keineswegs tun werde und verweist erbost auf das Wort "accession", das Metternich gebraucht. Bayern werde, erklärt Wrede, in dem Vertrag nur als ein mitbeschließender Teil und nicht nur als zustimmender auftreten ("comme partie contractante et non accedante")13t. Metternich trägt diesem Wunsch Wredes in einem Schreiben vom 30. März Rechnung, in dem er ausdrücklich von "cooperer" und nicht mehr von "acceder" spricht. In dem gleichen Schreiben aber wird Wrede mitgeteilt, daß er als der Oberbefehlshaber der bayerischen Armee sich nach den Vorschlägen und Weisungen des österreichischen Generalstabschefs Schwarzenberg im Aufmarschbereich Süden zu richten habe und sich alsbald mit diesem näher in Verbindung setzen solle. Wrede nimmt diese erneute Order zähneknirschend zur Kenntnis: "C'est une terrible epoque pour la Baviere", schreibt er am 2. April resignierend an Montgelas1eo. 138 137 138 UD
140
Schreiben Montgelas' vom 29. März 1815, aSTA MA II 1029. Ebenda. Bericht Wredes vom 29. März 1815, aSTA MA II 1029. Ebenda. Bericht Wredes vom 2. April 1815, GSTA MA II 1029.
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H. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
König Max Joseph ratifiziert den Allianzvertrag vom 25. März am 19. April. Bayern tritt mit über 60000 Mann in den Krieg ein, dem höchsten Truppenkontingent, das es stellen kann, um die Allianzpartner, die seine einzige Alternative sind, gewogen zu stimmen, vor allem Österreich im Hinblick auf seine territorialen Versprechungen. "Si au lieu de 30 000 hommes nous en donnons 60 000 on sera sans doute plus content de nous on nous fera meilleur visage"141, schreibt Montgelas am 25. März. An seiner Einstellung zum Bund hat sich dadurch jedoch nicht das Geringste geändert. In Wien treten die Verhandlungen unter dem Druck der Drohung Napoleons in die entscheidende Endphase. Wrede wird am Verhandlungstisch durch den bayerischen Gesandten in Wien, Aloys Graf Rechberg, ersetzt. Es ist eine Veränderung zum Positiven, denn Rechberg ist ein weit fähigerer Mann als Wrede. Eine personelle Änderung zum Negativen aber erfolgt im Souveränitäts-Ausschuß des bayerischen Staatsrates. Dort erkrankt der bisher schärfste Opponent Montgelas' und Zentners, Freiherr von Aretin und scheidet bis zum Septmber 1815 aus. Er wird durch den früheren bayerischen Botschafter in Paris, Freiherrn von Cetto, ersetzt. Die Veränderung ist deshalb so bedeutsam, weil es jetzt im Bayerischen Staatsrat überhaupt niemanden mehr gibt, der Montgelas' und Zentners destruktiver Bundespolitik, die auf Grund ihrer Förderung der uneingeschränkten Souveränität fast ausschließlich aus Nein-Sagen besteht, Widerstand entgegensetzt. Mit dem Ausscheiden Aretins hört jede Diskussion über etwaige Lösungen der deutschen Frage auf142. Vom April 1815 bis zur Unterzeichnung der Bundesakte wird im bayerischen Staatsrat kein Memoire mehr zur deutschen Frage vorgelegt, das von irgend welchen anderen als einseitigen bayerischen Gesichtspunkten geleitet ist. Unter diesen Umständen ist der neuernannte bayerische Kongreßgesandte Graf Aloys von Rechberg, ein Mann von einer ganz ähnlichen Haltung und Einstellung wie Aretin, zu bedauern. Aloys Graf Rechberg als Nachfolger Wredes in Wien Es ist kein Wunder, daß Rechberg, der mit hat ansehen müssen, wie Bayern durch Montgelas' Politik und die Ungeschicklichkeit seines bisherigen Gesandten in Wien immer mehr in die Isolierung gedrängt worden ist, sich anfangs weigert, die Nachfolge Wredes anzutreten. 141 142
Schreiben Montgelas' an Wrede vom 25. März 1815, GSTA MA II 1029. Vgl. Aretin: Die deutsche Politik, S. 34.
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In einem Brief vom 7. 3. 1815 143 bittet er Montgelas, einen anderen für diese unangenehme Aufgabe auszusuchen als gerade ihn. Er habe gesehen, wie sehr die Regierung an der "Erhaltung der vollen Souveränität"144 interessiert sei, was den bayerischen Gesandten in sehr große Schwierigkeiten gebracht habe und in Zukunft wahrscheinlich in noch größere Schwierigkeiten bringen werde. Für Bayern sei, das habe er weiter erkannt, als zweites immer die Vergrößerung seines Territoriums die wichtigste Angelegenheit gewesen, ein Problem, das nach Verteilung der meisten in Frage kommenden Gebiete "in einem für Bayern günstigen Sinne kaum noch zu lösen" seP45. Er traue es sich nicht zu, angesichts dieser Lage erfolgreich für Bayern zu wirken und bedauere es deshalb, ablehnen zu müssen, an die Stelle Wredes zu treten. Der Brief Rechbergs zeigt, wie wenig einverstanden er mit der Politik der bayerischen Regierung und insbesondere mit dem SouveränitätsDogmatiker Zentner ist, dessen Gegenstück er ist: immer Diplomat, sensibel, um Anpassung und Ausgleich bemüht. Um so mehr spricht für ihn, daß Montgelas, der ihn sehr hoch schätzt, trotzdem an ihm festhält und am 12. April seine Akkreditierung beim Wiener Kongreß erwirkt. Rechberg kann schließlich, wie es seinem Charakter entspricht, doch nicht hart und endgültig nein sagen und fügt sich dem königlichen Gebot. Er übernimmt schweren Herzens Wredes Erbe, obwohl er wie kein anderer weiß, wieviel durch diesen verdorben worden ist, ohne daß er die geringste Möglichkeit hatte, eingreifen zu können. Metternich arbeitet seit der Wiederaufnahme der Verhandlungen in Wien eng mit Preußen zusammen, das er angesichts der kritischen außenpolitischen Situation sehr hofiert. Er ist äußerst nervös. Beide Großmächte arbeiten einen neuen Verfassungsplan aus. Bayern wird zu diesen Beratungen nicht zugelassen. Zusammen mit Württemberg wartet es wie alle anderen kleinen und kleinsten Fürsten darauf, was die Großmächte beschließen wollen, während der mecklenburgische Vertreter, Freiherr von Plessen, aktiv an den Verhandlungen teilnehmen darf. Wie schlimm Rechberg die Lage für Bayern beurteilt, zeigt bereits sein erster Bericht vom 28. April 1815 146 an den König. Er ist völlig deprimiert und spricht offen von einer "Isolierung Bayerns", das überhaupt nicht mehr gefragt werde. Die Großmächte diktierten allein das Geschehen. 1«3
S.35.
Im Rechberg-Archiv Donzdorf, zitiert bei Aretin: Die deutsche Politik,
Ebenda. Ebenda. 14ft In GSTA MA 11 1033; die folgenden wörtlichen Zitate Rechbergs aus diesem Bericht. 144 U5
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
Was aber Montgelas und Zentner in München noch mehr erschreckt, ist die Nachricht von einem neuen preußisch-österreichischen Verfassungsentwurf, den Humboldt und Wessenberg vorgelegt haben und den Rechberg seinem Bericht mit der Bemerkung beilegt, er habe den Eindruck, "daß Österreich und Preußen völlig einig seyen". Humboldt habe ihm bei der übergabe der Entwürfe mitgeteilt, daß man jetzt daran gehe, die Verfassung des Bundes zustande zu bringen. Falls Bayern, das bisher die ganze Konstitutionsangelegenheit durch seinen fortlaufenden Widerspruch verzögert habe, sich erneut widersetze, sei man "entschlossen, lieber Bayern aus dem Bund auszuschließen, als ihn zu entwerten". Dazu kommentiert Rechberg zwar, daß er zwar noch nicht ganz der Überzeugung sei, "daß man wirklich den Versuch machen wolle, auch ohne Bayern einen Bundesvertrag abzuschließen", aber die Gefahr bestehe. Er müsse sich deshalb "dringendst Befehle erbitten", wie sich die bayerische Regierung entscheiden wolle: "ob die Verhandlungen abgebrochen oder einige Regierungsrechte der allgemeinen Verbindung geopfert werden sollen?" In München ist man von der Hiobsbotschaft Rechbergs aufs höchste überrascht. Auf die letzten Nachrichten Wredes, der geglaubt hatte, daß der Wiener Kongreß zu keiner endgültigen Lösung mehr kommen würde und in diesem Sinne auch nach München berichtet hatte, wirkt der Bericht Rechbergs wie ein Schock. Montgelas gibt ihn nach der Lektüre "zur Circulation" an die geheimen Räte im Souveränitätsausschuß im Staatsrat weiter und beauftragt dann seine rechte Hand Zentner, ein sofortiges Gutachten zur Lage zu erstellen.
Zentners Souveränitäts-Abstriche nach vereintem Druck Preußens und Österreichs Das Gutachten Zentners147 ist bezeichnend für die Stimmung, die im bayerischen Staatsrat herrscht. Zentner ist zutiefst bestürzt. Seine Niederschrift beginnt mit dem Satz: "Wenn die gegenwärtige politische Lage Deutschlands nach den Zeichen, die leicht wahrzunehmen sind, beurtheilt wird, so ist sie unstreitig in der kritischsten, in welche die deutschen Fürsten, denen es daran liegt, die mit großen Aufopferungen errungene Souveränität, oder wenigstens eine Unabhängigkeit in ihrer inneren Regierung zu erhalten, sich je befunden habe." Wie in allen Gutachten geht Zentner wieder von seinem zentralen Fixpunkt, von der Souveränität aus. Aber welche anderen Töne klingen bereits in diesem ersten Satz an! 147 von Anfang Mai 1815 (kein Tagesdatum), GSTA MA II 1033; die folgenden wörtlichen Zitate Zentners aus diesem Gutachten.
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Zum ersten Mal spricht Zentner nicht mehr von der "vollen uneingeschränkten Souveränität", sondern nur noch davon, daß es darum gehe, sich "wenigstens eine Unabhängigkeit in der inneren Regierung zu erhalten". Auf äußere Souveränität pocht er nicht mehr. Zentner ist so verstört und erschreckt durch den plötzlichen Umschwung in Wien, daß er Bayerns Lage in schwärzesten Farben malt: Man stehe vor der Tatsache, daß Österreich und Preußen sich darüber verständigt hätten, "eine nicht nur nicht nach völkerrechtlichen Verhältnissen bemessene Bundesverfassung einzuführen", sondern dem Bund sogar "eine förmliche Staatsverfassung mit einer gesetzgebenden, oberstrichterlichen und vollziehenden (unterstr.) Gewalt zu geben. Dazu verlangten die kleinen Staaten "laut die Wiederherstellung der Kaiserwürde im Hause Österreich", was vielleicht auch noch Realität werde. Und Bayern könne nichts dagegen tun. Es stehe am Rande, während Preußen und Österreich ständig "confidentielle Mitteilungen" austauschten l,lnd ihm nur das zur Kenntnis brächten, "was sie ihrem Interesse angemessen" fänden: man behandele Bayern offensichtlich als einen "Alliierten der 2. Klasse!". Von Zentners früherer großer Selbstsicherheit ist nichts mehr übrig, wenn er sich anschließend die entscheidende Frage vorlegt, ob Bayern angesichts dieser Tatsache dem Bund fernbleiben solle, wie Rechberg aus Wien angefragt hat. Die Antwort, die er darauf gibt, ist so nüchtern, realistisch und den Tatsachen entsprechend, daß man annehmen könnte, er habe vorher hauptsächlich Montgelas nach dem Mund und wider seine eigene Überzeugung geredet. Er stellt ohne Umschweife fest, daß es einem politischen Selbstmord gleichkäme, wenn Bayern dem Bund nicht beitreten würde und versuchen würde, als "fremde Macht in Deutschland und mitten unter deutsc4en Fürsten bestehen zu wollen". Im einzelnen führt er aus: Bayern könne "nach seiner geographischen Lage und in seinen gegenwärtigen politischen Verhältnissen nicht isoliert bleiben". Er sähe es deshalb "als eine gefährliche Falle" an, wenn man ihm anheimstelle, sich vom Bund fernzuhalten. Denn der bayerische Staat sei "nicht mächtig genug, in seinen dermaligen Umgebungen als ein selbständiger Staat auftreten zu können". "In seinem isolierten Stande" würde er "der Gegenstand beständigen Mißtrauens sein und unausbleiblichen Collisionen mit dem Bund ausgesetzt werden". "Die zahlreichen Feinde Bayerns" könnten "den Nichteintritt zu dem Bunde ehrgeizigen und anderen gehässigen Absichten zuschreiben und dadurch die Regierung verdächtig und verhaßt zu machen suchen." Nach Zentners Meinung bleiben Bayern im Fall eines jetzigen Nichteintritts in den Bund nur zwei Alternativen: Entweder es müsse 1. früher oder später dem Bunde doch beitreten und dann sicher unter noch ungünstigeren Verhältnissen", oder es werde 2. einen fortwährenden" ungleichen Kampf
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11. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
zu bestehen haben, der die Zernichtung seiner politischen Existenz herbeiführen könnte". Auf einen kurzen Nenner gebracht sind diese Sätze der Abgesang auf das Ziel der europäischen Machtstellung Bayerns. Aber sie sind noch mehr. Sie bedeuten eine Absage an die bisherige Außenpolitik, freilich ohne jede Kritik, denn Montgelas und er selbst sind ja für diese Politik verantwortlich gewesen. Es bleibe "keine andere Wahl, als in Übereinstimmung mit den mächtigeren Alliierten in Unterhandlungen über die Grundlage einer künftigen Bundesverfassung sich einzulassen, wenigstens diese Unterhandlungen nicht gänzlich zu unterbrechen". Die weiteren Verhandlungen über die neuen österreichischen und preußischen Pläne würden dann zeigen, "inwieweit in dem einen oder anderen Punkte hinsichtlich der Souveränität noch nachgegeben werden könne". Auch dieser Satz spricht für sich. Es ist plötzlich vieles möglich, was vorher unmöglich war. Früher wäre solch ein Ausspruch Zentners undenkbar gewesen. Wieweit der ängstliche, völlig verwandelte Zentner nachzugeben bereit ist, zeigt sich konkret, wenn er im Folgenden zu den neuen von Humboldt und Wessenberg vorgelegten Verfassungsentwürfen Stellung nimmt. Nichts ist da mehr von seiner kaltschnäuzigen Schlagfertigkeit, mit der er früher seine Ablehnung artikulierte. Stattdessen macht er jetzt ein Zugeständnis nach dem anderen. Eines der größten gleich im ersten Artikel des Humboldtschen Projektes. In diesem Eingangsartikel ist, wie in allen preußischen Entwürfen zuvor, natürlich wieder nur von den "Fürsten und freyen Städten"148 die Rede, die sich zu einem Bund vereinigen, nicht von den "souveränen Fürsten und freyen Städten", worauf Zentner bisher immer bestanden hat. Jetzt läßt er diese Forderung kommentarlos fallen. "Kann angenommen werden", ist das einzige, was er dazu bemerkt. Genauso verhält es sich mit Artikel 2. Zentner schreibt dazu: "Auch ist der Artikel 2 unschädlich, wenn durch die Bundesakte die Souveränität nicht mehr, als der oben bezeichnete Zweck des Bundes erfordert, beschränkt wird." Auch dies ist eine nur sehr fadenscheinige Entschuldigung dafür, daß er hinsichtlich der Souveränität hier ein weiteres großes Zugeständnis macht. Denn in Artikel 2 geht Humboldt wiederum ostentativ von "Regierungsrechten" aus, jenem "ungenauen" Ausdruck, den Zentner vorher unbedingt durch "Souveränitätsrechte" ersetzt wissen 148 Art. 1 des neuen Humboldtentwurfs von Ende April lautet: "Die Fürsten und freyen Städte, deren Bevollmächtigte diesen Vertrag unterzeichnen, vereinigen sich zu einem beständigen, auf die Erhaltung der Selbständigkeit und der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und die Unverletzbarkeit eines Gebietes abzweckenden Bund, welcher den Namen der deutsche führt und treten überall, wo sie in ihrer Gesamtheit handeln, unter diesem Namen auf."
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wollte. Noch in den letzten Sitzungen des Souveränitäts-Ausschusses bzw. des Kommittees für deutsche Fragen im bayerischen Staatsrat war hierüber unter Federführung Zentners stundenlang debattiert und Wrede in diesem Sinne instruiert worden. Jetzt läßt Zentner diesen ArtikeP49 ohne Beanstandung stehen. Gegen Artikel 3 des Humboldt-Projektes wäre Zentner früher auf die Barrikaden gegangen, jetzt bringt er dagegen jedoch nur noch einen spärlichen Protest an. Der Artikel behandelt den Wirkungskreis der Bundesversammlung und eines speziellen Vollziehungsrates mit ständigen Mitgliedern, dem laut Text "die Leitung des Bundes und dessen Vertretung bei auswärtigen Mächten gebührt, sowie alles, was zur ausübenden Gewalt gehört", die "gesetzgebende Gewalt" jedoch von Vollziehungsrat und Bundesversammlung gemeinsam ausgeübt wird. Zentner hierzu: "Wer sind die ständigen Mitglieder des Vollziehungsrates? In diesem Artikel werden in den Wirkungskreis der Bundesversammlung Gegenstände gelegt, welche der Souveränität der Bundesglieder, wenn diese noch erhalten bleiben soll, nicht entzogen werden dürfen." Die resignierende Formulierung bezüglich der Souveränität - "wenn diese noch erhalten bleiben soll" - ist bezeichnend. Von einer Forderung oder Empfehlung, daß dieser Artikel abgelehnt werden müsse, wie sie in einem solchen Falle unter früheren Voraussetzungen sicher in seinen Gutachten gestanden hätte, findet sich nichts. Das gleiche gilt für fast alle anderen Artikel, ausgenommen den siebten150, das Bundesgericht, an dessen Ablehnung Zentner doch standhaft festhält: "Das Bundesgericht wird hier reproduziert und kann aus denselben früher entwickelten Gründen nicht angenommen werden." Auch beim Artikel 11 151 , der den Bundesstaaten teilweise die Kirchenhoheit entzieht, indem er "die katholische Kirche" in Deutschland unter die Garantie des Bundes" stellen will, äußert er "große Bedenken". Dagegen hat er angesichts des Artikels 13, der von "der Abfassung der Grundgesetze"152 des Bundes spricht, wiederum nur noch fatalistische UD Es heißt darin: "Auch können ihre (der Bundesglieder) Regierungsrechte, insofern sie nicht durch die Landesverfassung näher bestimmt sind, durch den Bund keine andere Einschränkung erfahren, als in die sie selbst durch Eingehung in die Bundesacte gewilligt haben." 150 Er lautet: "Für diese Fälle (Streitigkeiten unter den Bundesgliedern etc.) sowie für jede andere verfassungsmäßige Beschwerdeführung bey dem Bunde, ordnet derselbe sich ein Bundesgericht bey, an dessen Besetzung alle Mitglieder verhältnißmässigen Antheil haben." 151 Dort heißt es: "Die katholische Kirche in Deutschland wird unter der Garantie des Bundes eine so viel als möglich gleichförmige und zusammenhängende Verfassung erhalten." 152 Art. 13 lautet: "Die zur Bundesversammlung Abgeordneten werden sich unmittelbar in Frankfurt versammeln. Ihr erstes Geschäft wird die Abfassung der Grundgesetze seyn, welche von allen Fürsten zu ratifizieren sind."
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Resignation übrig: "Nach den preußischen Projekten werden so viele Grund- und organische Gesetze in Vorschlag kommen, daß die Souveräne nur dem Namen nach noch bestehen werden." Am Schluß seines Gutachtens rät Zentner nochmals dringend, "die Unterhandlungen über eine künftige Bundesverfassung nicht abzubrechen, sondern den Königl. Bevollmächtigten anzuweisen, ... an den Berathungen Theil zu nehmen." Ebenso wie Zentner äußert sich Thürheim, der seit zwei Wochen an den Souveränitäts-Beratungen im Staatsrat teilgenommen hat. Zwar hat eine volle "Selbständigkeit des bayerischen Staates" für ihn etwas sehr Verlockendes, doch glaubt auch er, "daß man zu einer gänzlichen Trennung vom Bund nicht raten kann und es also nicht darauf ankommen lassen darf, daß derselbe ohne den Beitritt von Bayern abgeschlossen werde"153. Auch Krenner tritt wie üblich der allgemein herrschenden Ansicht bei. Er meint, man dürfe sich ja nicht isolieren. Man könne sich schon deshalb nicht vom Bunde trennen, da dies "den preußischen Gelehrten sehr erwünscht wäre, weil sie - und nun kommt sein besonderes Argument - mit den übrigen geschlossenen Augen sehr bald fertig würden"l54. Bayern müsse in Deutschland die Führung im Kampf gegen Preußen übernehmen und deshalb um Deutschlands willen im Bunde bleiben. Montgelas bleibt fest: keine Souveränitäts-Opfer Der einzige, der in dieser kritischen Lage nicht nachgibt, ist Montgelas. Mit Erstaunen liest er vor allem die resignierenden Ausführungen Zentners, der gleichsam über Nacht einen Großteil seiner früher so unerschütterlich aufgestellten Souveränitätsprinzipien über Bord geworfen hat. Von diesem Tage an hat er für den von Zentner geleiteten Souveränitätsausschuß nicht mehr allzuviel Achtung übrig, wie z. B. eine Bemerkung an Rechberg, die Regierung tue gut daran, diesen Ausschuß nur "hin und wieder hinsichtlich der deutschen Angelegenheiten zu konsultieren" ("consulter quelque fois sur les affaires allemandes") zeigtl55. In dieser Situation zeigt sich, aus welch viel härterem staatsmännischem Holz Montgelas geschnitzt ist. Er hält allen Ratschlägen zum Trotz ohne Abstriche an den Prinzipien fest, die seine Politik bisher bestimmt haben. Er setzt sich über alles hinweg, was Zentner, Thürheim und Krenner angstvoll an die Wand malen und entschließt sich, es darauf ankom153 154 155
Gutachten Thürheims vom 5. Mai 1815, GSTA MA 11 1033. Bemerkungen Krenners, Anfang Mai 1815, GSTA MA 11 1033. Schreiben Montgelas' an Rechberg v. 3. Juni 1815, GSTA MA 11 1033.
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men.zu lassen. Er instruiert Rechbergl56, daß er um keinen Deut von dem Inhalt der bisher nach Wien an Wrede gesandten Instruktionen abgehe, was bedeute, "daß Wir Uns nicht die wesentlichsten Rechte der Uns garantierten Souveränität entziehen lassen wollen. Dies gedenken Wir zu keiner Zeit Uns gefallen zu lassen". Er habe für Bayern keine Befürchtungen, betont er gegenüber Rechberg, und er spricht diesem Mut zu: "Will wirklich eine Bundesakte als ein Provisorium entworfen werden, ohne Baiern bei den desfallsigen Berathungen beizuziehen, so bleibt nichts anderes übrig, als dies geschehen zu lassen, da man dennoch seinerzeit, wenn es der Convenienz angemessen gefunden wird, zu dem Bunde treten kann oder im entgegengesetzten Falle außer dem Bunde bleibt, zu dessen Constitierung man nicht mitgewirkt hat und durch Allianzen, welche ohne Zweifel werden geschlossen werden können, seine Selbständigkeit erhalten und sichern kann." Montgelas gibt sich also wie die Ruhe selbst. Man werde, meint er, dem Bunde immer noch beitreten können, wenn man es für "angemessen" halte, d. h. wenn man gesehen habe, wie sich die außenpolitischen Dinge entwickelt hätten, vor allem wie der Krieg ausgegangen sei. Nichts anderes steckt hinter dem, was er so elegant mit "Convenienz" umschreibt. Man werde ohne Zweifel "Allianzen" schließen können und Bayern absichern. An wen Montgelas diesbezüglich denkt, läßt er deutlich anklingen: An Rußland und England. Er instruiert Rechberg, "vertraulichen" Kontakt mit "den BevolImächigten Rußlands und Englands" aufzunehmen und ihnen zunächst einmal "die Nachtheile anschaulich darzustellen, welche aus einer Zusammensetzung Deutschlands aus Mächten, welchen die Rechte der Selbständigkeit so sehr beschränkt werden, für sie selbst entstehen müssen". Diese "Nachtheile" wären in jedem Fall da: wenn Österreich und Preußen uneinig wären, würden sie "Deutschland in beständiger Spannung erhalten", wenn sie einig wären, würden sie Deutschland nur "zu ihren Privatzwecken gebrauchen". "Der große Zweck, eine dauerhafte Ordnung der Dinge zu gründen, würde auf diese Art vereitelt und Rußland und England um kräftige und getreue Stützen in Deutschland gebracht werden." Montgelas rät Rechberg, sich vor allem um den russischen Bevollmächtigten Graf Nesselrode zu bemühen, der auch der einzige gewesen ist, mit dem Wrede in den letzten Wochen trotz seiner Auseinandersetzungen mit den vier Großmächten, Bayern als "partie contractante" zu behandeln, einigermaßen freundlichen Kontakt gehabt hat: "Diese vertrau158 am 7. Mai 1815, GSTA MA II 1033; alle folgenden wörtlichen Zitate Montgelas' aus dieser Instruktion.
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
liche Rücksprache ist vorzüglich dem russischen Bevollmächtigten einzuleiten, dessen Hofe unsere aufrichtigen Bemühungen bestens bekannt sind." Aber noch ein anderes Eisen hat Montgelas im Feuer. Er greift jetzt überraschend auf das Allianzangebot Württembergs zurück, das er bisher verschwiegen hat und nach seiner Ablehnung in der Schublade hat verschwinden lassen: Württemberg habe Bayern schon vor einiger Zeit einen gesonderten Bund schmackhaft machen wollen, informiert er Rechberg. Mit diesem Plan werde man sich nun eingehend befassen und diesbezüglich auch mit Baden und Hessen-Darmstadt, die sich hierzu positiv geäußert hätten, sprechen. Ein solcher Separatbund werde sicher zustande kommen, sollte man die Absicht haben, Bayern aus dem Deutschen Bund auszuschließen: "Wenn eine Bundesacte ohne die Zustimmung Bayerns doch geschlossen wird, weil dasselbe die wesentlichsten Rechte der Souveränität nicht opfern will, so werden sich sehr leicht Württemberg, welches ohnehin im Laufe der früheren Beratungen die nämlichen Gesinnungen standhaft behauptet hat, und vielleicht auch Baden und Hessen-Darmstadt, anschließen. Ein gesonderter Bund unter diesen Mächten ist ohnehin schon früher in vertrauliche Anregung gekommen und könnte in solchem Falle mit Vortheil zustande gebracht weden." Damit scheint sich eine bemerkenswerte Schwenkung in Montgelas' Politik gegen Württemberg anzudeuten, mit dem er vorher jedes Zusammengehen wegen seiner territorialen Hoffnungen abgelehnt hat. Aber es scheint nur so. Es wird sich zeigen, daß es bei dieser Andeutung bleibt, ohne daß sie tatsächlich relevant wird. Die Annäherung Montgelas' an Württemberg dauert nur so lange, wie die Zwangslage Bayerns akut ist. Bald darauf stehen wieder seine territorialen Absichten auf württembergische Ausgleichsgebiete im Vordergrund. Bayern und Württemberg bleiben entzweit. Metternich, der diese Hoffnungen Bayerns stets hintergründig zu nähren weiß, ist der profitierende Dritte.
Das Doppelspiel Metternichs Metternich ist es auch, der zur gleichen Zeit, da Montgelas seine Instruktion an Rechberg aufsetzt, die Initiative ergreift, um Bayern in einem raffinierten Doppelspiel, auf dessen anderer Seite Preußen steht, doch in den Bund zu bringen. Am 9. Mai, einen Tag, nachdem Rechberg über einen erneuten ergänzenden Verfassungsvorschlag Humboldts nach München berichtet hat, der nach seiner Meinung "womöglich noch mehr Anspielungen auf künftige Einschränkungen der Souveränitätsrechte und eigentlich nur Modifikationen zugunsten der Mediatisierten enthält"157, zitiert er den bayerischen Kongreßgesandten zu sich und führt 157
Bericht Rechbergs v. 8. Mai 1815, GSTA MA II 1033. Dieser Plan kommt
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mit ihm ein vertrauliches Gespräch, dessen Inhalt Rechberg sofort nach München meldetl58 • Metternich bezieht in dieser Unterredung offen Stellung gegen Preußen, dessen neuen Entwurf er als etwas Unausführbares bezeichnet. Es sei offensichtlich, erklärt er dem überraschten Rechberg, daß diese Projekte nur dem preußischen Macht- und Vergrößerungsstreben dienten, dem man "gemeinschaftlich entgegenwirken" müsse, um der Gefahr eines preußischen Reichs zu entgehen15U • Es sei deshalb von "größtem Interesse, über die teutschen Angelegenheiten wenigstens etwas Provisorisches zustande zu bringen". "Der Congreß könne nicht auseinandergehen, ohne nicht wenigstens die Hauptlinien festgestellt zu haben180 • " Die Taktik Metternichs ist klar. Er will den Bund jetzt so schnell wie möglich zustande bringen, und er will Bayern in diesem Bund haben. Um dies zu erreichen, malt er die Gefahr einer preußischen OberherrI schaft an die Wand, der man unbedingt so schnell wie möglich mit einem Bunde, und sei es ein noch so loser, begegnen müsse. Er will bewirken, daß Bayern freiwillig mit dem Gefühl dem Bund beitritt, daß dieses lose Gebilde immer noch besser als das preußische Joch sei. Es ist im Grunde eine simple Taktik und Rechberg ist deshalb trotz seiner Freude, überhaupt mit dem österreichischen Staatskanzler zu sprechen, sehr skeptisch, ob Metternich es ernst meint. Auch die Tatsache, daß dieser ihm darauf aus der la main die Rumpfbestimmungen der künftigen Bundesverfassung entwirft, die so allgemein gehalten sind, daß Bayern ihnen - so Metternich - ohne Angst zustimmen könnte, verdrängt diese Skepsis nicht. Er könne sich, schreibt Rechberg nach München, keineswegs für die Aufrichtigkeit der Metternichschen Darlegungen verbürgen161 • Die Skepsis Rechbergs verstärkt sich durch das Faktum, daß Bayern auch nach dieser Unterredung immer noch nicht zu den Verhandlungen zugelassen wird. Das aber hat seinen ganz speziellen Grund. Denn dort benutzt Metternich Bayern als Sündenbock und als Mittel zum wie viele andere Verfassungsvorschläge Hurnboldts, der sich mit dauernden Projekten totläuft, überhaupt nicht zur Diskussion. Wir brauchen deshalb nicht näher auf ihn einzugehen. 158 Bericht Rechbergs vom 9. Mai 1815, GSTA MA II 1033. 158 Wörtlich heißt es in Rechbergs Bericht: "Derselbe (Metternich) fing die Conversation damit an, den letzten Humboldtschen Plan als etwas Unausführbares darzustellen. Preußen habe nur die Absicht, eine Vergrößerung seiner Projekte zu consolidieren und wenn man nicht wahr und gemeinschaftlich zusammenwirke, so würde dieses Reich nächstens stärker dastehen, als man je erwartet hatte." 160 Ebenda. 161 "Ich verbürge keineswegs, ob die schriftlichen Vorschläge mit dieser Conversation übereinstimmen werden."
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
Zweck, um Preußen zu einem schnellen Abschluß des Bundes zu bewegen 162 • Bayern, so erklärt er dort, sei zusammen mit den anderen süddeutschen Staaten der große Hemmschuh des Bundes gewesen, an dem bisher jede Einigung gescheitert sei. Bayern wolle offensichtlich jeden Abschluß einer Bundesakte verhindern, dem man nur entgegentreten könne, indem man jetzt eine ganz lockere, provisorische Akte abschließe, der Bayern wahrscheinlich zustimme. Später auf dem Bundestag könne die deutsche Verfassungsfrage dann endgültig geregelt werden. Jetzt müsse es erst einmal darauf ankommen, so schnell wie möglich überhaupt etwas abzuschließen. Die Taktik hat Erfolg. Die preußischen Vertreter sind nach vielen Gesprächen mit Metternich zu einer provisorischen Lösung bereit, um Bayern und die anderen süddeutschen Staaten zunächst einmal zum Beitritt in den Bund zu bewegen. Humboldt ruft aus, jetzt bleibe nichts anderes mehr übrig, als den Bund zustande zu bringen, ganz gleich auf welche Weise163 • Von diesem Doppelspiel Metternichs weiß man in München nichts. Man ist dort vielmehr über den weiteren Ausschluß des bayerischen Gesandten und die intensiven österreichisch-preußischen Gespräche höchst erschreckt. Man nimmt an, daß die beiden Großmächte allen anderen deutschen Staaten eine Verfassung aufoktroyieren, der sie auf Gedeih und Verderb zustimmen müssen. "Österreich und Preußen sind darin einverstanden", schreibt Zentner am 21. Mai in einem neuen Gutachten164 , "außer ihnen alle übrigen deutschen Fürsten nach den Grundsätzen der ehemaligen deutschen Verfassung zu halben (unterstrichen) Souveränen herabzuwürdigen und durch die Bundesacte von sich gänzlich abhängig zu machen". Alles, "was auf die Anerkennung und Bestätigung der Souveränität Bezug hat", sei - und dabei bezieht sich Zentner auf den neuen preußischen Entwurf, den Rechberg am 8. Mai nach München geschickt hat - "absichtlich ausgelassen"185. Immer wieder wird im Souveränitätsausschuß des Staatsrates die Frage erörtert, was man tun soll. Die Nervosität steigert sich bis zur Kopflosigkeit. Krenner schreibt zu dem neuesten Humboldt-Projekt den bemerkenswerten Satz, daß er zwar den Sinn eines Artikels des Humboldtschen Entwurfes absolut nicht verstehe, aber dieser sei sicher besonders gefährlich und daher abzulehnen l66 • 182 Vgl. Aretin: Die deutsche Politik, S. 38: "Wie perfekt er dies tat, ist in Treitschkes deutscher Geschichte des 19. Jahrhunderts nachzulesen." 163 Vgl. ebenda. 184 In GSTA MA II 1033. lSS Ebenda. 168 Gutachten Krenners vom Mai 1815, GSTA MA II 1033.
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Aber Humboldts Entwurf ist inzwischen in Wien gar nicht mehr aktuell. Dort hat Metternich das wahrgemacht, was er Rechberg im Gespräch vom 9. Mai bereits angedeutet hat. Österreich hat, nach psychologischer Aufbereitung Bayerns und Preußens, überraschend einen eigenen Verfassungsentwurf konzipiert, von dem Rechberg inoffiziell167 am 14. Mai zum ersten Mal in "allgemeinen Umrissen" durch den mecklenburgischen Vertreter von Plessen, der ihm eine Abschrift übergibt, Kenntnis erhält. Rechberg sieht sofort, daß dieser Entwurf zwar lockerer als die preußischen, aber dennoch keineswegs so weit gefaßt ist, wie ihm Metternich am 9. Mai erklärt hat, sondern daß er die Souveränitätsrechte immer noch ganz erheblich einschränkt. Gleichzeitig teilt ihm Plessen mit, daß Österreich diesen Entwurf mit allergrößter Eile in zwei kurzaufeinanderfolgenden Sitzungen in den nächsten Tagen durchsetzen wolle. Rechberg sieht sich darauf vor einer äußerst schwierigen Situation. Auf der einen Seite ist er sich ziemlich sicher, daß Montgelas diesem Entwurf wahrscheinlich nicht zustimmen wird, auf der anderen Seite ist er aber doch längst nicht so straff gefaßt wie diejenigen Humboldts und diskutierenswert. Das Schlimme für Rechberg ist, daß er bei der offensichtlichen Hektik Österreichs annimmt, schon in den nächsten drei oder vier Tagen die definitive Aufforderung zu erhalten, dieses Projekt zu unterzeichnen. Er ist sicher, daß Österreich einen Überrumplungseffekt erzielen und die neue Verfassung im Blitztempo über die Bühne bringen wi1l168 • Das aber bedeutet, daß er bis zu diesem Zeitpunkt noch ohne Instruktion aus München sein kann. Was soll er dann tun? Unterzeichnen und damit wider die Instruktion Montgelas' handeln? Oder nicht unterzeichnen und dadurch Bayern endgültig außerhalb Deutschlands stellen? Rechberg tut in seiner Situation das einzig Mögliche. Er kritzelt in fliegender Hast das Wichtigste, was er von dem neuen österreichischen Entwurf abschreiben kann, auf und schickt es mit der Bitte um sofortige Instruktion nach München l69 • Die Schrift des Briefes ist kaum leserlich. Gleichzeitig teilt er mit, er werde so schnell wie möglich zu Metternich zu gelangen und ihn hinzuhalten suchen.
Nicht am 16. Mai, wie Aretin: Die deutsche Politik, S. 41 meint. "Es wird mich nicht wundern, wenn es auf eine überraschung abgesehen wäre und wenn ich in der Zeit der aufeinanderfolgenden Berathungen nicht mehr imstande seyn dürfte, die näheren Instruktionen Eurer Majestät einzuholen." Brief Rechbergs vom 14. Mai 1815, GSTA MA 11 1033. 188 Bericht Rechbergs v. 14. Mai 1815 nach München, GSTA MA 11 1033. 187 188
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Das Wort "souverain" im 1. Artikel der österreichischen "allgemeinen Umrisse" zur Bundesverfassungund seine erneute Streichung Rechbergs Vorhaben gelingt ihm drei Tage später. Am 17. Mai wird er auf sein großes Drängen bei Metternich vorgelassen, den er sofort fragt, ob das neue Verfassungsprojekt wirklich von ihm stamme. Er hält ihm vor, daß die Souveränität der einzelnen Bundesstaaten hierin auch viel weiter beschnitten werde, als er am 9. Mai gesagt habe. Metternich ist hierauf nach Rechbergs Worten in großer "Verlegenheit"170. Erst "nach mehreren Ausflüchten" gibt er zu, daß er das Projekt verfaßt hat. Rechbergs Vorhaltungen begegnet er mit einem langen Vortrag. Er habe nicht im geringsten die Absicht, "den souveränen Fürsten die Hände zu binden", erklärt er, sondern wolle vielmehr genau das Gegenteil: "ihre Gewalt gegen die Neuerungs- und Zerstörungsssucht die Zeitgeistes in Schutz nehmen". Hierbei schiebt er wieder Preußen und seine Gefährlichkeit vor. Preußen sei "in voller Gärung" und "wenn man nicht auf der Hut" sei, so "würde daraus ein gefährlicher Brand ausgehen, das westliche und nördliche Europa ergreifen, und die südlichen Staaten würden das Opfer werden". Es müsse das Interesse aller Staaten sein, Preußens ,Ehrgeiz, das diese Elemente zu gebrauchen wisse, Schranken zu setzen und die Bestimmungen einzugehen, wodurch allein die allgemeine Ruhe und Ordnung erhalten bleiben könne". Dies aber ginge nicht, wenn "Bayern allein alles aufhalten und alle Hoffnungen und Wünsche scheitern lassen wolle". Rechberg ist über diese Ausführung nicht wenig überrascht. Wie könne Bayern alles aufhalten, wenn es nicht in der Lage sei, seine Meinung zu äußern, da es den Verhandlungen gar nicht beiwohnen dürfe, entgegnet er. Metternich entschuldigt sich daraufhin mit der Ausrede, er habe "gewiß nicht die Absicht gehabt, den bayerischen Abgeordneten auf die entfernteste Weise auszuschließen", sondern nur "geglaubt, zuvorderst die wesentlichsten Punkte mit den anderen Ministern besprechen zu können". Bayern werde von jetzt an sicher wieder teilnehmen dürfen. Dann verteidigt Metternich wortreich die einzelnen Punkte seiner "Umrisse" - wie er sie nennt - gegen Rechbergs Vorwurf, sie beinhalteten eine Gefährdung der Souveränität. Das Bundesgericht, das er eingeplant habe, sei nicht als ein "Tribunal" oder eine "Gerichtsstelle" anzusehen, sondern lediglich als eine "Austrägalinstanz" für die kleineren Staaten. Das ius de non evocando bleibe gesichert. Auch in bezug auf den Artikel 18 seiner Umrisse, an dem sich Rechberg besonders stößt, da nach ihm "kirchliche Angelegenheiten und Verhandlungen mit dem 170 Bericht Rechbergs vom 18. Mai 1815, GSTA MA II 1033; die folgenden wörtlichen Zitate Rechbergs und Metternichs aus diesem Bericht.
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römischen Hof auf der Bundesversammlung geregelt werden" sollen, beruhigt ihn Metternich dahingehend, daß es sich "nur um Kirchengut" handele; "es verstände sich von selbst, daß der Bund in die kirchlichen Angelegenheiten der einzelnen Staaten keinen Einfluß haben könne". Dieser Artikel sei übrigens "besonders gegen Preußen gerichtet, welches in Schlesien alles Kirchengut an sich gerissen" habe. Hinsichtlich der Mediatisierten, die in seinen Umrissen Curiatstimmen erhalten sollen, schiebt er abermals Preußen vor. Diese habe er zunächst nicht gewollt, "um hierin Bayern nicht zu mißfallen", schließlich aber doch dem Drängen Preußens nachgegeben. Im übrigen könne er aber auch selbst nicht finden, daß durch diese Curiatstimmen die Souveränität gefährdet werde. Sie erhielten diese Stimme nur, damit sie etwas hätten, "was sie von dem übrigen, von jeher mittelbar gewesenen Adel einigermaßen unterschiede". Was ihre Besitzungen beträfe, würden "sie nach wie vor Unterthanen bleiben". Beispiele ähnlicher Art hätten sich bereits in der Reichsverfassung gefunden, so u. a. die Häuser Schaumburg, York etc. Er wolle gegen Bayerns Einwände sogar gen au das Gegenteil behaupten: "Es vermehre den Glanz der Souveräne, wenn sie Bundesstände unter ihren Unterthanen hätten." Rechberg erwidert ihm hierauf lebhaft, daß man diesbezüglich in Bayern auf einem ganz anderen Standpunkt stehe. Dort finde man es vielmehr äußerst "sonderbar, wenn in einem engen Bund von 16 souveränen Fürsten, wo über die wichtigsten Angelegenheiten der allgemeinen Wohlfart beratschlagt würde, Unterthanen verschiedener Souveräne, durch politische und geographische Interessen getrennt, vereinigt mit beratschlagen sollten, wobei es unvermeidlich wäre, wenn diese Unterthanen oft abweichende Meinungen vortragen dürften, daß sie sogar gegen einen oder den anderen Landesherren auftreten müßten". Metternich geht auf diese Einwände jedoch nicht ein, überspielt sie. Er wiederholt, daß sein Entwurf gewiß der vorteilhafteste für Bayern sei und bricht dann das Gespräch ab. Er entläßt Rechberg mit der Bemerkung, er werde ihm in kürzester Zeit die endgültige Fassung zukommen lassen. Die nüchterne Genauigkeit, mit der Rechberg über alle Einzelheiten dieses Gesprächs mit dem österreichischen Staatskanzler nach München berichtet, macht seinen Brief vom 18. Mai schon allein im Hinblick auf die Beleuchtung der schillernden Persönlichkeit Metternichs und seiner Politik zu einem der instruktivten Dokumente der Geschichte des beginnenden 19. Jahrhunderts. In bezug auf unser Thema ist er aber ganz besonders interessant. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung zwischen beiden steht wie seit Beginn des Kongresses die Souveränität, die Rechberg, wie er Metternich vorhält, in dem Projekt im Gegensatz zu seinen vorherigen Versprechungen weit stärker eingeschränkt sieht. 23 Quint
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H. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
Dennoch aber hat Metternich in seinen "Umrissen" gerade in bezug auf die Souveränität ein sehr großes Zugeständnis gemacht, und es ist erstaunlich, daß Rechberg auf dieses Zugeständnis in seinem Bericht mit keinem Wort hinweist und es auch in seinem Gespräch mit Metternich nicht mit der kleinsten Bemerkung würdigt; worin vielleicht mit der Grund liegt, warum dieser das Gespräch so abrupt und offensichtlich verärgert beendete. In seinem skizzierten Entwurf hat er nämlich im 1. Artikel den Ausdruck: "souveraine Fürsten" zugestanden, um den seit Beginn der Bundesverhandlungen zwischen den Großmächten und den ehemaligen Rheinbundstaaten, zunächst Württemberg, dann Bayern, ununterbrochen erbittert gerungen worden ist. Es heißt dort wörtlich: "Die souverainen Fürsten und freyen Städte Deutschlands ... vereinigen sich zu einern deutschen Bundl7l ." Was Rechberg nicht erwähnt, beachtet man in München um so mehr. Zentner, der die Hoffnung schon aufgegeben hatte, diese Forderung durchzusetzen, registriert dieses Faktum bei dem Studium der Metternichschen Verfassungsskizze, die Rechberg seinem Eilschreiben vorn 14. Mai beigelegt hat, sehr überrascht und mit höchster Befriedigung. In einern Gutachten kommt das zum Ausdruck:172 • Was Metternich veranlaßt, das Wort "souverain", das er im Oktober 1814 noch als das artikulierte Streben nach despotischer Herrschaft verdammt hat, nun zuzugestehen, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Zunächst will er wohl vor allem mit diesem Geschenk die Zustimmung Bayerns und Württembergs zu seinem Entwurf erkaufen und ist deshalb um so enttäuschter, als Rechberg dieses Präsent überhaupt nicht würdigt, sondern gleich die einzelnen Artikel kritisiert. Im Grunde aber ist es ein leichtes Zugeständnis Österreichs, ein Geschenk, das dem österreichischen Staatskanzler durchaus ins Konzept paßt. Denn Metternich hat seine Einstellung gegenüber der "Souveränität" der einzelnen Bundesstaaten - wie das Wessenberg-Projekt schon andeutete - in zwischen erheblich revidiert. Sie erscheint ihn nun als sehr wirkungsvolle Bremse gegen die ständig wachsende "nationale Deutschheit" in Preußen, die ihm immer unangenehmer wird. Er sieht immer deutlicher die Gefahr, die damit auf das am wenigsten rein deutsche Österreich zukommt. Ihr kann nur mit größter Betonung der Selbständigkeit aller einzelnen deutschen Bundesstaaten begegnet werden, und das ist - die rechtliche Fixierung ihrer Souveränität. Nach übez:prüfung der eigenen Interessen sieht Metternich keinen Grund mehr, weiterhin kompromißlos auf der Aussperrung des Wortes "sou171 Vgl. Bericht Rechbergs vom 14. Mai 1815 und seine beigefügte Abschrift von Metternichs "allgemeinen Umrissen", GSTA MA II 1033. 172 Gutachten Zentners vom 19. Mai 1815, GSTA MA II 1033.
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verain" aus der Verfassung des Bundes zu bestehen. Obwohl er sich nach wie vor ganz klar ist, wie ungeheuer schwer es andererseits sein wird, diesen Bund souverainer Staaten zu regieren. Dennoch ist es für ihn zwangsläufig das kleinere übel. Österreichs Eigen-Interesse geht vor. So akzeptiert Metternich, was er vorher verdammte. Österreich will kein geeintes nationales Deutschland, das für es größte Probleme bringen muß. Es will einen Bund verschiedener deutscher Staaten, und die beste Sicherheit dafür, daß es dabei bleibt, sieht es im Grunde in deren Souveränität. Es befürwortet die Souveränität zwar nicht ausdrücklich, ist aber nicht mehr gegen sie. So denkt Metternich. Wie anders Preußen denkt, zeigt sich sofort, als er seinen Entwurf den preußischen Vertretern zur Begutachtung vorlegt. Hardenberg und Humboldt sind mit ihm mit kleinen Abstrichen einverstanden - bis auf den 1. Artikel. Hier ist ihre unumstößliche Forderung, den Ausdruck "souverainen" vor " Fürsten " zu streichen. Metternich erfüllt sie. Er erklärt ohne mit der Wimper zu zucken, er habe das Wort nicht hineingesetzt, aber Bayern habe darauf bestanden. Alle Andeutungen Humboldts in den folgenden dramatischen Auseinandersetzungen mit Rechberg weisen auf diesen Tatbestand hin. Metternich macht es wenig aus, Preußens Forderung zu erfüllen. Er ist absolut sicher, daß Bayern und Württemberg auf dem Ausdruck "souverain" bestehen werden, und ebenso genau weiß er, daß er dieser Forderung keinen Widerstand entgegensetzen wird. Seine Annahme über den künftigen Ablauf der Dinge soll sich voll und ganz bestätigen. So erhält Metternich nach der Streichung des Wortes "souverain" von Preußen die Zusage, daß sein Entwurf "im Einverständnis Seiner Majestät des Königs von Preußen geschehe"; er wird als gemeinsamer österreichisch-preußischer Entwurf deklariert. Es ist derjenige Entwurf, der die Grundlage zu den nun im Eiltempo ablaufenden Endverhandlungen um die künftige Verfassung des deutschen Bundes bildet173 •
Rechberg besteht auf dem Ausdruck "souverain" Am 22. MaP74 wird Rechberg in die österreichische Staatskanzlei gebeten, wo ihm Metternich in knappster Form175 eröffnet, daß er ihm am 173 Er ist abgedruckt bei Klüber H, Acten, S. 314 - 323 unter dem von Metternich vorgelegten Titel: "Entwurf zu der Grundlage der Verfassung des Teutschen Staatsbundes, in einer Versammlung der Bevollmächtigten der künftigen Bundesglieder am 23. Mai 1815, von dem kaiserlich-österreichischen ersten Bevollmächtigten, Herrn Fürsten von Metternich, vorgelegt, mit der Erklärung, daß solches im Einverständniß mit Sr. Majestät dem König von Preußen geschehe." 174 Nicht am 24. Mai, wie Aretin: Die deutsche Politik, S. 44 schreibt. A. ist bei
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folgenden Tage das endgültige Projekt einer künftigen Bundesverfassung zusenden werde. Schon am gleichen Abend gegen 10 Uhr erscheint bei ihm jedoch unvermittelt der österreichische Justizrat Florst, zeigt ihm kurz den Entwurf und nimmt ihn dann gleich wieder mit, mit der Begründung, daß er ihn noch anderen Ministern überbringen müsse. Rechberg kann den Entwurf nur ganz flüchtig lesen und hat keinerlei Zeit, sich einige Notizen zu machen. Gleichzeitig erhält er noch einmal die Einladung, am folgenden Tag an einer Generalkonferenz über dieses Projekt teilzunehmen. Rechberg läßt daraufhin sofort einen Sonderkurier nach München abgehen176 mit der Bemerkung, daß er den Entwurf nur ganz kurz gesehen habe und glaube, daß Metternich auf eine Überrumpelung abziele und den Entwurf ohne jede Diskussion durchpeitschen wolle. Seine Vermutung scheint sich zu bestätigen. Am nächsten Morgen in der angesetzten Konferenz in der Staatskanzlei - an der neben dem bayerischen Vertreter, der hier zum ersten Mal wieder mit dabei ist, die Bevollmächtigten Badens, Sachsens, Darmstadts, Luxemburgs und Rolsteins und die von den vereinigten Städten gewählten Deputierten Keller, Minckwitz, Smidt und Berg beiwohnen - erscheint Metternich, läßt Exemplare des Entwurfs verteilen und diesen wiederum nur kurz verlesen, ohne jemand Zeit zu Äußerungen zu geben. Dann vertagt er die Konferenz auf den nächsten Freitag, den 27. 5. Auf dieser Konferenz erwarte er bereits bindende Erklärungen, da er in Kürze zur Armee abreisen müsse. Damit ist Rechberg in der von ihm befürchteten höchst vertrackten Situation. Er steht, da die Vertreter Württembergs überhaupt nicht erschienen sind und Baden nur einen Beobachter entsandt hat, praktisch allein auf weiter Flur und hat kaum Möglichkeit, wirkungsvoll aufzubegehren. Vor allem aber ist er bis zum 27. 5., ja sogar bis zum 25. 5., seinen Datierungen manchmal ungenau, ebenso bei der Wiedergabe und zeitlichen Einreihung wörtlicher Zitate. Gerade dies aber ist von Okt. 1814 bis zum Abschluß der Bundesakte von entscheidender Bedeutung, dokumentieren diese Äußerungen doch gut, wie sehr sich die Haltung der wichtigsten Staatsmänner in Bayern zum Bunde, vor allem Zentners, Krenners und Thürheims, gemäß der Lage laufend änderte. Auch gibt es zuweilen in Aretins Wiedergabe und Interpretation der Ereignisse Passagen, die sich aus den Akten nicht belegen lassen. Woher zum Beispiel entnimmt er, daß Rechberg so große "Verblüffung" zeigte, als er am 23. Okt. - nicht am 24.! - in die Staatskanzlei kam, weil er dort alle anderen Bevollmächtigten antraf, und nicht Metternich allein, wie er angeblich gehofft hatte. Rechberg schreibt am 24. Okt. dom ausdrücklich, daß die Konferenz vorher als "Generalkonferenz" deklariert worden war. Auch heißt bei Aretin der österreichische Justizrat Florst "Hofrat Flint". 175 Rechberg berichtet, daß Metternich immer noch sehr verstimmt über ihn gewesen sei, daß er lediglich "mit zwey Worten erörterte, er werde mir mit dem folgenden Tag das Projekt der neuen Bundesakte zuschicken". Bericht Rechbergs vom 24. Mai 1815, GSTA MA II 1033. 178 Eilschreiben Rechbergs vom 23. Mai 1815, GSTA MA II 1033.
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an dem die übernächste Konferenz stattfinden soll, ohne Instruktion, die ihn nie so schnell von München erreichen kann. Was soll er tun? Er schreibt nach München, daß er eine "entscheidende Erklärung" seinerseits so lange hinauszuzögern versuchen wolle, bis er eine Instruktion aus München erhalte177 • Dann kommt er zum Entwurf selbst, der, wie er nach eingehendem Studium feststellt, nach den bisher "vorhandenen allerhöchsten Instruktionen noch keineswegs angenommen werden kann"178. Diese Instruktionen sind für ihn entscheidend, und als pflichtgetreuer Gesandter versieht er die Abschrift des Entwurfs, die er in der Konferenz erhalten hat und mit gleicher Post nach München abschickt, sofort in aller Eile mit kurzen Kommentaren und Korrekturen neben jedem Artikel, damit Montgelas und seinen Beratern die Arbeit und übersichtlichkeit erleichtert wird. Diese Korrekturen, mit roter Tinte an den Rand des Entwurfes geschrieben, zeigen, wie schnell und gradlinig Rechberg arbeiten kann. Er ist keinesfalls der zögernde, unschlüssige und stets von Befehlen und Aufträgen abhängige Weichling, als den ihn Doeberl und zum Teil auch noch Aretin hinstellen, sondern ein Mann voller Eigeninitiative und raschestem Entschluß. Auch wenn er, deshalb wohl Doeberls Urteil, oft klagt und sich selbst nicht zuzutrauen scheint, was er dann schafft. Rechberg leuchtet den ganzen Entwurf auf die wichtigste Forderung Montgelas', auf die Souveränität, durch, und seine Einwendungen, die er anhand der bisher von Montgelas an Wrede gerichteten Instruktionen anbringt, sind so klar und präzise, daß Montgelas das meiste, was er sagt, in seiner Antwort-Instruktion vom 30. MaP7G ohne Einschränkung billigt und ihm höchstes Lob zollt. Diese Instruktion trifft in Wien jedoch erst zu einem Zeitpunkt ein, da Rechberg schon fast die ganze Schlacht allein geschlagen hat. Betrachten wir, was Rechberg zu dem Entwurf bemerkt. Als erstes fällt ihm sofort in Artikel 1 auf, daß dort das Wort "souverainen" vor "Fürsten" fehlt. Metternich hat es ja auf Verlangen Preußens in seinen "Umrissen" gestrichen. Art. 1 lautet nun: "Die Fürsten und freien Städte Teutschlands mit Einschluß Ihrer Majestäten des Kaisers von Österreich und der Könige von Preußen, Dänemark und der Niederlande für ihre deutschen Besitzungen, vereinigen sich zu einem beständigen Bunde, welcher der teutsche Bund heißen wird." Bericht Rechbergs vom 24. Mai 1815, GSTA MA II 1033. Ebenda. Die folgende Darstellung über die Redigierungen Rechbergs an Metternichs Entwurf beruht auf diesem Bericht. 179 Instruktion aus München an Rechberg v. 30. Mai 1815, GSTA MA II 1033; die folgenden wörtlichen Zitate Montgelas' aus dieser Instruktion. 177
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Hier schreibt Rechberg ganz dick das Wort "souveränen" an den Rand und unterstreicht es. In der Instruktion vom 30. Mai, die von König Max, Montgelas und Zentner unterzeichnet ist, wird ihm völlig beigepflichtet. Der Artikel könne "angenommen werden, jedoch nur mit dem Beisatze ,die souverainen Fürsten' ", wobei das Wort souverain hier ebenfalls unterstrichen wird. Erinnern wir uns, daß Zentner es schon aufgegeben hatte, hierauf zu bestehen, weil er auf dem Höhepunkt der kritischen Lage Bayerns Angst hatte. Er glaubte, man käme damit nicht mehr durch. Jetzt, nachdem er gesehen hat, daß Metternich in seiner Skizze das Wort zugestanden hatte, ist diese erste Forderung Bayerns sofort wieder akut. Art. 2 lautet: "Der Zweck diesselben ist Erhaltung der Unabhängigkeit, der äußeren und inneren Sicherheit, sowie der Unverletzbarkeit der deutschen Bundesstaaten." Hier will Rechberg ebenfalls die Souveränität der einzelnen Bundesstaaten mehr hervorgehoben wissen, weshalb er diesen Satz durch das Wort "Selbständigkeit" ergänzt: "Der Zweck desselben ist Erhaltung der Selbständigkeit und Unabhängigkeit ... " Montgelas ist ebenfalls einverstanden, schlägt jedoch vor, vielleicht noch stärker "Unverletzbarkeit" zu sagen sowie statt des Ausdrucks "innere Souveränität", der vielleicht zu "Mißdeutungen" Anlaß geben könne, zu verlangen: "Sicherstellung derselben gegen jeden feindlichen Angriff sowohl von außen als im Innern von seiten eines Mitgliedes des Bundes." Montgelas befürchtet, daß die Formel "innere Sicherheit" vielleicht dahingehend ausgelegt werden könne, daß damit ein Eingriff in die innere Souveränität gerechtfertigt würde. Bei Artikel 3 findet Rechberg ebenfalls die Souveränität nicht genügend abgesichert. Der Artikel lautet: "Alle Mitglieder des Bundes sind, als solche, einander gleich. Sie verpflichten sich alle gleichmäßig, die Bundesacte unverbrüchlich zu halten." Hier schlägt Rechberg, wobei ihm Montgelas völlig beistimmt, folgende Fassung als genauer und besser vor: "Alle Mitglieder des Bundes genießen als solche gleiche Rechte. Keiner ist befugt, ober herrschaftliche Rechte über den anderen auszuüben." Artikel 4180 kann nach Ansicht Rechbergs "in keinem Fall so angenommen werden, wie er gefaßt ist". Er wendet sich, wie Wrede es schon getan 180 Die entscheidenden Passagen darin lauten: "Die Angelegenheiten des Bundes werden durch eine beständige Bundesversammlung besorgt ... Wo es auf Abfassung von Gesetzen, auf allgemeine innere Einrichtungen, oder Abänderungen des Bundesvertrages ankommt, bildet sich die ... Bundesversammlung zu einem Pleno, in welchem jedes Mitglied seine Stimme für sich, jedoch dergestalt abgibt, daß diese Stimmen, zufolge eines in den Grundgesetzen zu bestimmenden Verhältnisses, nach Verschiedenheit der Größe der abstimmenden Staaten verschieden gerechnet werden ... "
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der "Souveränität"
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hat, entschieden dagegen, daß bei Abstimmungen in der beständigen Bundesversammlung die Stimmen der einzelnen Bundesstaaten je nach deren Größe verschieden gerechnet werden sollen, wie es Metternichs Entwurf vorsieht, der damit den beiden Großmächten ihre Dominanz erhalten will. Rechberg dazu: "Es wird auf Beibehaltung der einfachen Stimme zu beharren sein." Hier geht Montgelas jedoch entschieden weiter. Zunächst besteht er wie früher darauf, daß es sich um keine "beständige Bundesversammlung" handeln soll, sondern daß sie nur "jährlich in bestimmten Zeiten zusammentritt". Der Grund dafür ist - erinnern wir uns an den diesbezüglichen Schriftwechsel Montgelas- Wrede - bekannt: Montgelas fürchtet, daß, wenn die Bundesversammlung dauernd tagt, sie sich zwangsläufig mit vielen Dingen mehr beschäftigen würde und folglich die Gefahr bestünde, daß sie sich in innere Angelegenheiten und damit in die innere Souveränität der Staaten einmischen könnte. Ferner verlangt Montgelas die absolute Gleichberechtigung bezüglich der Stimmenzahl der Staaten und fordert Einstimmigkeit bei der "Abfassung allgemein verbindlicher Grund- und organischer Gesetze, welche die inneren Einrichtungen des Bundes, Zusätze oder Abänderungen des Bundesvertrages betreffen" . Bei Artikel 9, der die Verpflichtung für die Bundesglieder enthält, keine Bündnisse mit auswärtigen Mächten gegen den Bund einzugehen, sich ferner nicht selbst zu bekriegen und bei Streitigkeiten untereinander sich einem Bundesgericht zu unterwerfen, klammert Rechberg das Bundesgericht181 aus und will der Bundesversammlung "vorbehalten, diejenigen organischen Mittel zu beraten, die sie geeignet finden wird, vorkommenden Reichtsverletzungen zu begegnen". Bei Artikel 10182 , der die landständischen Verfassungen behandelt, hat Rechberg keine Einwände, wohl aber Montgelas. Er betont, daß dies allein eine Sache der inneren Souveränität der Bundesstaaten sei - "Landstände gehören zur inneren Verfassung eines Landes und sind folglich kein Gegenstand eines föderativen Bundes" -, weiß aber gleichzeitig, daß Preußen und Österreich hiervon niemals ab181 Die betreffende Passage lautet in Mettemichs Entwurf: "Die Bundesglieder machen sich endlich verbindlich, einander unter keinerlei Vorwand zu bekriegen, oder ihre Streitigkeiten mit Gewalt zu behaupten. Die Entscheidung in streitigen Fällen, über staatsrechtliche Verhältnisse sowohl der einzelnen Mitglieder zum ganzen Bunde, wie auch der verschiedenen Bundesstaaten zueinander, wird der Bundesversammlung vorbehalten. Diese ordnet sich ein Bundesgericht bei, an dessen Besetzung alle seine Mitglieder verhältnismäßigen Anteil nehmen ..." 182 Er heißt: "In allen teutschen Staaten soll eine landständische Verfassung bestehen."
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11. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
gehen werden, weil sie alle die kleinen und kleinsten Fürsten und Grafen, deren Delegierte täglich den Kongreß mit Eingaben bestürmen, nicht enttäuschen dürfen. Folglich lenkt Montgelas ein, man könne dies unter der Bedingung stehen lassen, wenn es so gemeint sei, daß "von jedem deutschen Souverän" - dies ist hier in ganz großen Buchstaben geschrieben - "zur Beruhigung der deutschen Völker die freie Erklärung abgegeben werden" solle, "daß künftig in allen deutschen Staaten zur Sicherstellung des Eigenthums und der persönlichen Freiheit solche landständische Verfassungen eingeführt werden sollen, welche der Landesart, dem Charakter der Einwohner und dem Herkommen angemessen sind". So und nicht anders fasse Bayern diesen Artikel auf, erläutert Montgelas. Dies soll Rechberg gegenüber Metternich betonen. Sehr Bedeutsames steckt hinter diesen Sätzen. Die Interpretation ist hier das Entscheidende, nicht das Faktum, von dem Montgelas weiß, daß er es akzeptieren muß. Dadurch, daß er sagt, Bayern akzeptiere diesen Artikel nur, weil es hierunter allein eine "freie Erklärung von jedem deutschen Souverain" verstehe, bleibt zunächst der Souveränitätsanspruch gewahrt. Jeder "Souverain" kann, wenn er seinem Staat eine Verfassung gibt, dies ganz allein so tun, wie er es für sein Land für angemessen und richtig hält. Montgelas sichert sich ab. Er weiß nur zu gut, wie wenig die geplante neue bayerische Verfassung, deren erster Entwurf vorliegt, mit den österreichischen Vorstellungen übereinstimmt. Bei Artikel 11, der das Verhältnis der Mediatisierten behandelt, lehnt Rechberg die Curiatstimme für die Mediatisierten nicht mit so großer Schärfe ab wie Montgelas. Während letzterer wiederholt, daß diese "in keinem Falle zugestanden werden" könne, da es ein ungeheurer Eingriff in die innere Souveränität des Landesherrn wäre, bemerkt Rechberg, er sei der Meinung, daß "diese Häuser die ersten Standesherren in dem Staate" seien, "dem sie angehören", und läßt es dabei bewenden. In bezug auf die Ablehnung der Steuerfreiheit der Mediatisierten sind jedoch beide wieder ganz einer Meinung. Artikel 13 beinhaltet die Beibehaltung des Postwesens durch das fürstliche Haus Thurn und Taxis in den freien Städten Deutschlandsl83 • überall dort, wo das Haus Thurn und Taxis die Post nach dem Zusammenbruch des alten Reichs an die Landesherrn hat abtreten müssen, soll es 183 Er lautet: "Das fürstliche Haus Thurn und Taxis bleibt in dem Besitz und Genuß der Posten in den freyen Städten Teutschlands; und es werden demselben überdies, in Beziehung auf den 13. Artikel des mehrerwähnten Reichsdeputationshauptschlusses, seine auf Belassung der Posten, oder auf eine angemessenen Entschädigung gegründeten Rechte und Ansprüche gesichert. Dies soll auch stattfinden, wo die Aufhebung der Posten seit 1803, gegen den Inhalt des Deputationsschlusses, bereits geschehen wäre."
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eine "angemessene Entschädigung" erhalten. Dieser Artikel ist zweifellos ein Zugeständnis Metternichs an dieses fürstliche Haus, das im alten Reich das Postmonopol hatte und Österreich beste Dienste dadurch leistete, daß die Taxischen Kuriere viele vertrauliche Nachrichten, die sie beim Öffnen der Briefe erfuhren, der kaiserlichen Staatskanzlei zutrugen. In all den vielen Briefen und Eingaben, die der Fürst von Thurn und Taxis Metternich in Wien gesandt hat, und in denen er sich zum Sprecher der kleinen Fürsten erklärte, hat er es deshalb nicht versäumt, auf diese Verdienste hinzuweisen und eine weitere gute Zusammenarbeit in Aussicht zu stellen. Während sich Rechberg zu diesem Artikel gar nicht äußert, lehnt Montgelas ihn in seiner Instruktion vom 30. Mai schärfstens ab. Er erklärt, daß dieser Artikel, besonders der letzte Satz, wohl die praktische Anwendung der von den Großmächten im Oktober und November unter Beeinflussung der kleinen Staaten aufgestellten These sei, daß alles, was nach dem Luneviller Frieden in den unter französischem Einfluß stehenden souveränen Staaten Deutschlands geschehen sei, als ein "Gewaltzustand" bzw. als "Despotie" anzusehen und deshalb nicht gültig sei. Montgelas klärt Rechberg darüber auf, was sich damals im Oktober und November 1814 ereignet hat, wobei er bedauert, daß Wrede leider nicht genau erkannt habe, was gespielt worden sei. Bayern werde sich hiervon nicht im geringsten beeindrucken lassen, erklärt er, und weist Rechberg an, diesen Artikel unter Hinweis darauf, daß Taxis bereits eine Entschädigung von der bayerischen Regierung erhalten habe, abzulehnen. Ebenso verwirft Montgelas die Artikel 14 und 15 und bekräftigt die Auffassung Rechbergs, der es auch nicht für opportun hält, sie in die Bundesakte aufzunehmen. In diesen Artikeln werden die Rechte der drei christlichen Religionsparteien und der Juden in den Bundesstaaten fixiert. Die Landesherrn haben diese Rechte zu respektieren. Besonders die katholische Kirche soll eine ihren "Bedürfnissen" entsprechende Verfassung erhalten, die "unter der Garantie des Bundes" steht. Dies hält Montgelas mit der inneren Souveränität in bezug auf Landesverfassung und Landesverwaltung unvereinbar, und er unterstreicht Rechbergs Meinung zu Artikel 15 184 • "Dieser Artikel würde einen Status im Staate constituieren und ist daher zu umgehen." Die Instruktion Montgelas' vom 30. Mai 1815 endet damit, daß er sich mit Rechbergs Bemerkungen zum österreichisch-preußischen Projekt im 184 Artikel 15 lautet: "Die katholische Kirche in Teutschland, wird, unter der Garantie des Bundes, eine ihre Rechte, und die zu Bestreitung ihrer Bedürfnisse nothwendigen Mittel sichernde Verfassung erhalten. Die Rechte der Evangelischen gehören in jedem Staate zur Landesverfassung, und ihre auf Friedensschlüssen, Grundgesetzen oder anderen gültigen Verträgen beruher.den Rechte werden ausdrücklich aufrechterhalten."
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
großen und ganzen einverstanden erklärt. In einzelnen Punkten formuliert er jedoch seine Ablehnung weit schärfer als dieser, und er pocht vor allem immer wieder auf die Souveränität. Von den ruhigeren Tönen, die er anschlug, auf dem Höhepunkt der Krise, als Bayern bei den Beratungen nicht teilnehmen durfte und sein ganzer Souveränitätsausschuß "umfiel", ist nichts mehr zu spüren. Seit Rechbergs Brief vom 9. Mai weiß Montgelas, daß Metternich Bayern im Bunde haben will, und deshalb kann er wieder fordern: "Wir sind fest entschlossen, die Uns zustehenden garantierten souverainen Rechte in Beziehung auf innere Landes Verwaltung und Landesverfassung nicht beschränken zu lassen", schreibt er Rechberg. "Hiernach habt Ihr Euch bei den weiteren Unterhandlungen genau zu benehmen ... " Aber von diesen markigen Worten hat Rechberg wenig. Diese Instruktion, die sich mit seinem letzten Bericht vom 24. Mai auseinandersetzt, kommt ja erst Anfang Juni an. In der Zwischenzeit ist er völlig auf sich allein gestellt und gerade in dieser Zeit überschlagen sich in Wien die entscheidenden Ereignisse. Alles, was Rechberg in dieser Zeit tut, tut er praktisch auf eigene Faust. In der nächsten Konferenz am 27. Mai, an der die württembergischen Vertreter wiederum nicht teilnehmen und er also wieder ohne den Beistand Gleichgesinnter ist, handelt er nach dem Prinzip Angriff ist die beste Verteidigung" und überreicht den überraschten österreichischen und preußischen Vertretern ein von ihm ausgearbeitetes Votum Bayerns l85 , das er auf der Grundlage aller bisher im vorliegenden Instruktionen eiligst verfaßt hat. Seine Eingabe trägt die überschrift "Votum des königlich Baierischen Bevollmächtigten über die Verabfassung des teutschen Bundesvertrages". Sie ist ein nahezu verzweifelter Versuch Rechbergs, um Zeit gewinnen und das Klima für Bayern möglichst etwas zu verbessern. Er wagt ihn auf eigene Faust, um, wie er hastig nach München berichtet, "den dringenden Forderungen des Augenblicks zu genügen"186 und zu bewirken, "daß das Gehässige des Verzugs nicht allein auf Baierns Rechnung geschrieben werden kann". Gleichzeitig beruhigt er seine Regierung dahingehend, daß er nicht von seiner vorgeschriebenen Linie abgewichen sei: "Es ist kein Punkt zugestanden, der nicht die wesentlichen Rechte der Souveränität vorbehalten hätte." In der Tat enthält das Votum Rechbergs inhaltlich nichts Neues. Er betont aber immer wieder die "Bereitwilligkeit Sr. Königlichen Majestät von Baiern, mit den übrigen Staaten Teutschlands einen Bundesvertrag nach völkerrechtlichen Grundsätzen abzuschließen". Darauf kommt es 185 In GSTA MA II 1033. 188 Bericht Rechbergs vom 27. 5.1815, GSTA MA II 1033, die folgenden wörtlichen Zitate ebenfalls aus diesem Bericht.
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der "Souveränität"
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ihm an, und die von ihm erhoffte Wirkung tritt wenigstens zum Teil ein: die meisten der Deputierten sind daraufhin "nicht mehr ganz unzufrieden" (Rechberg), es fallen keine polemischen Äußerungen gegen Bayern mehr. Rechberg ist daraufhin gleich so optimistisch, daß er die Hoffnung äußert, "ein Ultimatum bis zur Ankunft des Courirs aufhalten zu können". Sein Optimismus wird noch bestärkt durch eine Einladung Metternichs, die er plötzlich am nächsten Tag erhält187,188. Der österreichische Staatskanzler, der die Initiative des bayerischen Gesandten höchst aufmerksam registriert hat, bestellt Rechberg zu sich, unterhält sich unter vier Augen sehr jovial mit ihm und rückt dann mit seinem Anliegen heraus: Er ersucht Rechberg erneut nachdrücklich, sich bei seiner Regierung dafür einzusetzen, daß die Mediatisierten Curiatstimmen erhalten und ihnen weitere Vorrechte bewilligt werden, die ihre "Ebenbürtigkeit" bewahren. Metternich betont dabei, daß ihm auch ganz persönlich viel daran gelegen sei: nicht zuletzt ihm selber tue Bayern damit einen großen Gefallen, denn in absehbarer Zeit wolle Herzog Ferdinand von Württemberg eine Nichte von ihm, eine Fürstin Metternich, ehelichen. Rechberg verspricht Metternich daraufhin, er wolle diesen Wunsch gern nach München weitergeben. Er betont, daß seine Regierung die Kuriatstimmen für die Mediatisierten sicher ablehnen werde, der Aufnahme des Wortes "Ebenbürtigkeit" in den Verfassungstext aber vielleicht nicht negativ gegenüber stehen werde. In seinem Brief vom 28. 5. nach München macht er diesbezüglich auch gleich einen Vorschlag. Er schreibt: "Da von Curiatstimmen keine Rede seyn kann, so trage ich allerunterthänigst an, ob das Wort "Ebenbürtigkeit" vielleicht unter die zubewilligenden Vorzüge aufgenommen werden darf. Es könnte vielleicht Art. 11, Nr. 2 heißen, daß sie für ihre Nachkommenschaft verbindliche Verfügung treffen und das Recht der Ebenbürtigkeit genießen können." Metternich nimmt diese Antwort Rechbergs zur Kenntnis, aber er zeigt ihm, daß er nicht mit ihr zufrieden ist. Warnend weist er den bayerischen Gesandten auf "dringende Nachrichten" hin, die "täglich einlaufen". Rechberg solle "die Gährung der Gemüther" nicht auf die leichte Schulter nehmen, mahnt er sehr betont.
Schriften des Adels gegen die Souveränität Die "dringenden Nachrichten" sind Eingaben und Denkschriften des kleinen Adels, dessen Vertreter und Abgesandte ständig bei den österreichischen und preußischen Delegierten vorsprechen und gegen Bayerns und Württembergs Haltung protestieren. Es geht ihnen natürlich be187, 188
Bericht Rechbergs vom 28. 5. 1815, GSTA MA 11 1033.
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H. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
sondern um die Mediatisiertenfrage. Vor allem aber verlangen sie ultimativ die Herauslassung desjenigen Postulats aus der Bundesakte, das ihre Existenz am meisten bedroht: die Souveränität. Nichts haben die Vertreter der Fürsten unversucht gelassen, Bayerns und Württembergs Forderung entgegenzuwirken und sie zu bekämpfen. Vor allem hat man nicht vergessen, welche Anklagen Österreich und Preußen im Oktober und November 1814 gegenüber Württemberg vorbrachten, um die Souveränität zu verbannen: nicht nur den Vorwurf der "Unteutschheit" - Souveränität laufe der germanischen Freiheit und dem deutschen Wesen zuwider -, sondern vor allem das Verdammungsurteil der Despotie. Wer Souveränität wünsche, hatte Metternich damals gesagt, wolle Unterdrückung, absolute Willkürherrschaft, Tyrannei, wie sie Napoleon ausgübt habe. Metternichs Vorwürfe sind in Dutzenden von Adelsschriften189 zitiert und immer wieder wiederholt worden; man ist nicht müde geworden, die Souveränität an den Pranger zu stellen. Besonders hervorgetan hat sich dabei der Adel des linken Rheinufers, der für seine Verluste, die er durch Frankreich erlitten hat, entschädigt werden will. Eine der bezeichnendsten Schriften ist in diesem Zusammenhang diejenige des Grafen Edmund von Kesselstadt1DO, die am 14. Februar 1815 dem Kongreß in Wien vorgelegt worden ist. Kesselstadt ist der Sprecher des linken Rheinadels, über dessen Lande, wie er mit bitterster Ironie formuliert, "das französische Gouvernement die Souveränität ausgeübt" habe. Was unter "Souveränität" zu verstehen sei, sei nichts anderes, als "die Zernichtung aller geistlichen und weltlichen Körperschaften". Besagter "Souverain" habe ,,1. Renten, Gefälle, Gerechtsame u. d. g. ohne Loskäufe, ohne Ersatz ganz einfach zernichtet und dem Eigentümer geraubt, 2. Eigentum, dingliche und erbliche Rechte eingezogen und vorenthalten, Obliegenheiten nicht geleistet, 3. den Verkauf aller Gemeindegüter verordnet, durch eigenmächtige Handlungen das Eigenthum angegriffen und daher das Natur- und Völkerrecht verletzt". Souveränität setzt Kesselstadt mit Raub von Land und anderem Eigentum, mit Vernichtung aller bestehenden Rechte und Werte, mit Verbrechen gleich. Nichts anderes sei die Bilanz, "betrachten wir dies Gouvernement in seinen Handlungen als Souverain". Die Betonung liegt hier nicht auf "dies Gouvernement" - also Frankreich -, sondern auf "als Souverain". Nicht Frankreich wird von Kesselstadt verdammt, sondern das verbrecherische Prinzip, nach dem man dort regiere, und das jetzt ganz Europa zu beeinflussen drohe. 180 100
Abgedruckt in Bd. III von Klübers Acten, S. 425 ff. Ebenda.
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der "Souveränität"
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In weiteren Schriften vom 18. Februar, 2. März und 7. April 1815 wiederholt Kesselstadt diese Anklagen, die wiederum in der Feststellung gipfeln: "Souveränität ist völkerrechtswidrig 191 ." Kesselstadts Schriften dienen einer ganzen Reihe Memoirs anderer Adelsvertreter zur Vorlage, die gegen die Souveränität und die Fürsten aller Staaten, die Souveränität fordern, zu Felde ziehen. Dabei wird Bayern oft zwar nicht direkt genannt, dennoch ist aber klar, wer gemeint ist. Zu nennen ist hier besonders die große Adelsdenkschrift vom 19. März 18191v2 • Preußen, namentlich Humboldt, hat alle diese Schriften säuberlich gesammelt und zu den Akten genommen, um sie, falls es noch einmal zu einer Auseinandersetzung mit Bayern und Württemberg um die Souveränität kommt, gleich parat zu haben und sie gegen die süddeutschen Mittelstaaten zu verwenden. Diese läßt nicht lange auf sich warten.
Dreiviertel Stunden Kampf um das Wort "souverain" Die ersten Auftakte finden in der Sitzung am 29. Mai, einen Tag nach der Unterredung Rechbergs mit Metternich, statt. Es ist bedauerlich, daß Rechberg hierüber nicht ausführlicher berichtet hat, sondern aus Zeitmangel schnell zum Rapport über die Diskussion der einzelnen Artikel übergegangen ist. Ebenso verhält es sich mit den offiziellen Protokollen dieser Sitzung. So geben nur wenige, knappe Sätze Aufschluß darüber, was sich gleich zu Beginn der Sitzung ereignet. Sofort nach Verlesung des Protokolls bringt Humboldt Rechbergs eingereichtes Votum, das er inzwischen sorgfältig studiert hat, zur Sprache und greift die Formulierung "souveraine Fürsten" im ersten Artikel auf das schärfste an l93 • Er verlangt die umgehende Streichung des Wortes "souverain". Rechberg widerspricht ihm. Es entwickelt sich in Minutenschnelle eine hitzige Debatte, in die sich weitere Gesandte einschalten. Um wen es sich im einzelnen handelt, schreibt Rechberg nicht, auch nicht, was detailliert gesagt wird. Aus seinem in sehr großer Eile verfaßten Bericht geht nur hervor, daß alle gegen ihn sind, die das Wort ergreifen: "Man hat den in meinem Voto verlangten Ausdruck ,souveraine Fürsten' dreyviertel Stunden lang bekämpft." Doch Rechberg gibt nicht nach. In der hin- und hergehenden Auseinandersetzung macht schließlich der sächsische Bevollmächtigte einen entscheidenden Vorschlag. Er verlangt, sämtliche deutschen Könige und Ebenda. Ebenda, S. 468 ff. m Siehe Bericht Rechbergs vom 29. Mai 1815 und Sitzungsprotokoll, beide in GSTA MA II 1031. Die folgenden wörtlichen Zitate aus diesen beiden Dokumenten. U1
19Z
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
Fürsten mit ihrem vollen Titel in den ersten Artikel aufzunehmen, um so zu einer annehmbaren Lösung zu kommen. Auf diese Weise, meint Graf Görtz, ständen alle gleichberechtigt nebeneinander. Der Anstoß der einseitigen namentlichen Hervorhebung des Kaisers von Österreich und des Königs von Preußen sei beiseite geräumt. Mit diesem Vorschlag erklärt sich Rechberg nach längerem überlegen, während alle Blicke auf ihm ruhen, einverstanden. Er begründet seine Zustimmung in seinem Bericht nach München damit, daß einer der wichtigsten Zwecke des Wortes "souverain" für Bayern auf diese Weise auch erreicht worden sei: die großen Mächte Österreich und Preußen, deren "affectirte Absonderung" bei dieser Lösung wegfalle, würden sich gegenüber den anderen kleineren Bundesstaaten, die völlig gleichberechtigt laut Verfassungstext neben ihnen stünden, in keinem Falle als Befehlsgeber aufspielen können. Die Gleichwertigkeit Bayerns wäre in jedem Fall gewahrt. Außerdem ist Rechberg der Meinung, daß sich das Wort "souverain" in einem späteren Artikel sicher hätte anbringen lassen, z. B. im Artikel 11, wo er bereits in seinem Votum geschrieben habe: "Um die Lage der mittelbar gewordenen ehemaligen Reichsstände so viel, als es die gegenwärtigen Verhältnisse gestatten, zu verbessern, werden ihnen die souverainen Bundesglieder folgendes bewilligen: etc ... " Doch diese Begründungen und Erläuterungen Rechbergs sind nachträglich theoretischer Natur für den Fall, daß der sächsische Vorschlag wirklich durchgekommen wäre. Er wird jedoch noch in der gleichen Sitzung verworfen. Zunächst scheint es, als wäre das Problem des Artikels 1 um das Wort "souverain" gelöst, denn auch Humboldt erhebt keinen Einspruch. Doch dann ereignet sich Unvorhergesehenes. Als man daran geht, die Rangordnung festzulegen, nach der die einzelnen Fürsten genannt werden sollen und vorschlägt, dazu die alte Rangordnung in der Reichsverfassung als Grundlage zu nehmen, sind die Bevollmächtigten verschiedener Großherzöge nicht mehr einverstanden. Sie melden eifersüchtig Vorbehalte an; aus anfänglichen Wortgefechten entwickeln sich schwere Auseinandersetzungen, es kommt zu Tumulten. Immer deutlicher wird, daß der sächsische Vorschlag undurchführbar wird. Rechberg erkennt dies und zieht daraus sofort die Konsequenz. Er gibt die Erklärung ab, daß Bayern, "wenn in Art. 1 die Aufführung der teutschen Könige und Fürsten unterbleiben sollte, auf dem Ausdruck ,souveraine Fürsten' bestehen müßte"lU4. Es ist schwer zu sagen, ob Rechberg die ganze Tragweite des Geschehens in dieser ersten Konferenzstunde am 29. Mai 1815 sogleich be- _ griffen hat. Wahrscheinlich nicht. In seinem am selben Tage verfaßten Bericht nach München begründet er seine Zustimmung in noch fast ent184
Sitzungsprotokoll vom 29. Mai 1815, GSTA MA II 1033.
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der "Souveränität"
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schuldigenden Worten, ohne auch nur mit einem Wort zu erwähnen, wie vorteilhaft sie im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Konferenz für Bayern gewesen ist. Das Resultat dieser Sitzung für Bayern ist sicher auch nicht Rechbergs alleiniges Verdienst, sondern vielmehr ein Ergebnis der Umstände: Tatsächlich hat Bayern aber den ersten entscheidenden Teil der Schlacht gegen Humboldt um die Souveränität zu seinen Gunsten entschieden. Denn was soll Humboldt nun tun? Der sächsische Vorschlag und die Eifersüchteleien der großherzoglichen und herzoglichen Bevollmächtigten haben ihm einen völligen Strich durch die Rechnung gemacht. Er kann jetzt nur noch sehr schwer mit der alten Beschuldigung aufwarten, Bayern wolle unbedingt auf der Souveränität beharren, um sich außerhalb des Bundes zu stellen und ein despotisches Regiment in Deutschland zu führen. Dieses Argument hat einen gewaltigen Schlag erlitten. Denn Bayern hat ja dem sächsischen Vorschlag zugestimmt! Es hat ja gar nicht unbedingt auf der Souveränität bestanden, sondern vielmehr erklärt, daß es von seiner Forderung bei Annahme des sächsischen Vorschlags abgehe. Nach dessen Ablehnung steht Rechberg nun, ohne einen Zentimeter an Boden verloren zu haben, praktisch unangreifbar da. Für Humboldt noch schlimmer: der bayerische Gesandte hat durch seine Verlautbarung, er wolle mit Souveränität nur Gleichberechtigung mit den großen Mächten erreichen, offensichtlich Sympathien bei den kleineren Staaten gewonnen, was sich in den nächsten Sitzungen zeigen wird. Die Reaktion des Staatsrats in München auf diesen Erfolg Rechbergs in Wien ist einhellige Freude, obwohl man auch dort noch nicht in vollem Umfang übersieht, welch günstige Ausgangsposition für Bayerns wichtigste Forderung sich nach der Sitzung vom 29. Mai ergeben hat195 • Das liegt daran, daß die Staatsräte nach wie vor nach sturem Schema - wie Montgelas es befohlen - die einzelnen Punkte durchberaten, ohne sich darüber im klaren zu sein, daß es in Wien bei der Hektik der dortigen Sitzungen eigentlich gar nicht mehr so auf den Text der einzelnen Artikel ankommt, sondern einzig und allein um die Fixierung der Bedingungen geht, mit denen man sich einverstanden erklären kann. Die ellenlangen Textmodifikationen, die Zentner, Krenner und Thürheim zu einzelnen Fragen produzieren, sind, wenn sie in Wien eintreffen, überhaupt nicht mehr aktuell. Damit sind sie für Rechberg nahezu wertlos. Was er aus München an Anweisungen erhält, hinkt dem tatsächlichen Geschehen 185 Ein Beispiel dafür ist Krenner, der Rechberg in einem kurzen Gutachten von Anfang Juni sehr lobt, aber zum Resultat der Auseinandersetzung um das entscheidende Wort "souverain" lediglich schreibt, Rechbergs "Beharrlichkeit auf dem Worte souverain müßte fortgesetzt werden" - und sich dann gleich Einzelfragen untergeordneter Bedeutung zuwendet. Ähnlich Thürheim. Siehe GSTA MA 11 1033.
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
meilenweit hinterher. In der ganzen entscheidenden Phase des Wiener Kongresses muß der bayerische Gesandte praktisch auf eigene Faust handeln198. Wer diese Situation Rechbergs im bayerischen Staatsrat noch am ehesten zu begreifen beginnt, ist Zentner. Er zollt dem bayerischen Gesandten in seinem Gutachten 197 höchstes Lob, indem er offen zugibt, daß Rechberg bisher mehr für Bayern herausgeholt hat, als man zuletzt in der kritischen Lage zu hoffen wagte. Man habe in München schon "mehr nachgegeben" - und damit meint er besonders sich selbst - als es Rechberg getan habe, bekennt Zentner. Rechberg habe "die Souveränitätsrechte soviel, als es die Lage gestattet, ungeschmälert zu erhalten gesucht", und zwar auf solch bemerkenswerte Weise, daß er, Zentner, "nur ganz mit den Ansichten des königl. Gesandten übereinstimmen" könne. Daß Zentner Rechberg dieses Verdienst ungeschmälert zuerkennt, ist bemerkenswert, zeigt er sich doch sonst als ein Mann, der darauf bedacht ist, vor allem sein eigenes Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Thürheim zeigt nicht ganz soviel persönliches Format. Zwar findet auch er für Rechberg anerkennende Worte, unterläßt es aber nicht, eine tiefe Verbeugung vor dem dirigierenden Staatsminister zu machen, durch dessen "kluge und einsichtsvolle Leitung dieser Erfolg Baierns gelungen"198 sei. Womit Thürheim an erster Stelle Montgelas' Standhaftigkeit in der kritischen Situation preist, in der sein ganzer Souveränitäts-Ausschuß im Staatsrat nachgegeben hatte, einschließlich Thürheims selber. Zentner schlägt Montgelas vor, Rechberg für die Endverhandlungen nur noch einmal die vier Punkte ans Herz zu legen, die unbedingt beachten solle. Wie er dabei im einzelnen handele, könne man ihm nach seinen großen Verdiensten unbesorgt überlassen. Diese Punkte sind: 1. Solle "der Artikel über landständische Verfassung ganz allgemein gefaßt werden".
2. Seien "den Mediatisierten keine Curiatstimmen und keine Steuerfreyheit für ihre Person zu bewilligen". Ebenso sei "nicht von Ebenbürtigkeit zu sprechen". Durch dergleichen Vorrechte würden ihre Ansprüche gegen die Souveränität wachsen. Mit der "Ebensbürtigkeit" bezieht sich Zentner direkt auf Metternichs persönliche Initiative bei Rechberg. In diesem speziellen Fall ist er aber bereit, eine Ausnahme gelten 188 Vgl. auch A1'etin: Die deutsche Politik, der auf S. 45 völlig richtig feststellt: "Deshalb befand sich Rechberg in dieser entscheidenden Phase praktisch ohne Instruktion, da diese die spärlich eintreffenden Fragen behandelten, die längst nicht mehr akut waren." 187 Von Anfang Juni 1815, es ist nicht auf den Tag datiert. GSTA MA II 1033. 198 Gutachten Thürheims vom 5. Juni 1815, GSTA MA II 1033.
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der "Souveränität"
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zu lassen: "Der Herr Fürst von Metternich kann durch besondere Unterhandlungen für den angezeigten Fall für seine Familie sich eine Ebenbürtigkeit bewirken." 3. Müßten "alle Bestimmungen über die Verhältnisse der katholischen und protestantischen Kirche beseitigt bleiben". In Art. 15 des österr.preußischen Projekts sieht Zentner eine der schwersten Gefährdungen der inneren Souveränität. 4. Soll Rechberg überhaupt "auf Gegenstände der inneren Verfassung und Verwaltung nur im äußersten Falle ... eingehen". Montgelas ist mit diesem Vorschlag Zentners einverstanden. Dessen vier "Essentials" bilden das Kernstück der letzten großen Instruktion an Rechberg, die am 3. Juni von München nach Wien abgeht. Sie ist vom König, von Montgelas und von Zentner unterzeichnet und wird im entscheidenden Augenblick in Wien eintreffen. In der Instruktion wird Rechberg noch 2inmal großes Lob zuteil. "Wir haben mit Wohlgefallen ersehen", heißt l~S, "daß ihr Unsere Instructionen richtig aufgefasst und eure Abstimmungen dem Sinn derselben so nahe zu bringen gesucht habt, als mit Rücksicht auf die gegenwärtigen politischen Verhältnisse die Klugheit euch gestattet. Wir nehmen demnach keinen Anstand, euch zu autorisieren, nach der Grundlage eures Voti die Unterhandlungen förtzusetzen 199 • " Man ist in München guter Hoffnung, daß es Rechberg gelingen wird, so viele Souveränitätsbeschränkungen wie möglich zu vermeiden und daß der Bund lediglich als ein ganz lockeres Band zustande kommt, das sich in absehbarer Zukunft vielleicht schnell wieder auflösen wird. Die Politik Metternichs gegen Preußen, dessen straffe Organisationswünsche er abgewendet hat, bestärken diese Hoffnung. Besonders Motgelas hat nach den Erfolgen Rechbergs wieder sehr viel Oberwasser bekommen. Er weiß, warum Österreich den Bund jetzt so schnell wie möglich unter allen Umständen unter Dach und Fach bringen will und weshalb Preußen das gleiche möchte. Der Grund ist Napoleon. Auf der anderen Seite ist sich Montgelas ziemlich sicher, daß es nicht Österreichs Absicht ist, den Bund als straffen, deutsch-nationalen Staatskörper zu etablieren, wie es Preußen will. Inzwischen rücken in Belgien die Armeen aufeinander zu. Wenn auch Napoleons legendärer" Ruf der Unbesiegbarkeit inzwischen der Vergangenheit angehört, so läßt das Auftauchen der kaiserlichen Armee bei Montgelas doch den Wunsch aufkommen, sich nach allen Seiten offenzuhalten. Deshalb schickt er Rechberg neben der offiziellen Instruktion noch ein Schreiben mit, das besagt, sich hinsichtlich der Rati198
Instruktion an Rechberg vom 3. Juni 1815, GSTA MA 111033.
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
fikation nicht festzulegen: "ce qui pour laisser encore un peu de marge chöse toujours avantageuse dans un siecle OU les evenements sont si vite et tout varies"200. Während der dirigierende bayerische Staatsminister dieses niederschreibt und die offizielle Regierungsäußerung der Initiative des bayerischen Gesandten große Anerkennung zollt, ist dieser längst nicht so zuversichtlich und sich seines Erfolges gar nicht sicher. Im Gegenteil. Rechberg hat inzwischen Angst vor der eigenen Courage bekommen und wartet sehnlichst auf eine Instruktion, die sein Vorgehen billigt. In Wien treibt Metternich die Verhandlungen in einem ungeheuren Tempo voran. Jeden Tag ist jetzt eine Sitzung. Hatte man sich früher noch über die Abfassung der Protokolle gestritten, so sind diese jetzt oft lückenhaft und unvollständig, da der schwerhörige Protokollführer Martens den Verhandlungen kaum mehr folgen kann 201 . Österreich ist nur noch darauf aus, fertig zu werden. Die Tatsache, daß er inmitten dieser ganzen Hast, die den Abschluß der Bundesakte unmittelbar bevorstehen läßt, immer noch ohne reale Weisung dasteht, beunruhigt Rechberg zutiefst. In der Tat haben sich viele Dinge in Wien für Bayern inzwischen wieder wesentlich verschlechtert. In der Sitzung vom 30. Mai ist allgemein für ein deutsches oberstes Bundesgericht gestimmt203 worden, und Rechberg hat es bei der herrschenden Atmosphäre nicht gewagt, dagegen aufzutreten. Er hat erklärt, daß er "noch zur Zeit der ausdrücklichen Erwähnung eines Bundesgerichtes nicht zustimmen könne und sich eine fernere Erklärung frey behalten müsse"204. So steht es im Protokoll der Sitzung. Vergleicht man dagegen, was er dazu zur gleichen Zeit nach München schreibt, so wird erkennbar, wie sehr Rechberg in Wien laviert und mit größter Vorsicht formuliert. Hier schreibt er nämlich, wissend, daß die Ablehnung des Bundesgerichtes einer der wesentlichsten Grundsätze Montgelas' in bezug auf die Erhaltung der inneren Souveränität darstellt: "Ich habe mir, wie es sich von selbst versteht, meine weiteren BemerkunBrief Montgelas' an Rechberg vom 3. Juni 1815, GST A MA II 1033. Darüber beklagt sich Rechberg in seinem späteren Bericht vom 11. Juni 1815. Martens habe seine Äußerungen im Protokoll oft falsch wiedergegeben, weil er sie nicht richtig mitbekommen habe. GSTA MA II 1033. 203 Die Fassung, für die man stimmt, lautet: "Die Bundesglieder machen sich endlich verbindlich, einander unter keinerlei Vorwand zu bekriegen oder ihre Streitigkeiten durch Gewalt zu behaupten, sondern diese bei der Bundesversammlung anzubringen. Diese ordnet sich ein Bundesgericht bey, an dessen Besetzung alle seine Mitglieder verhältnismäßigen Anteil nehmen. Die für dasselbe gehörenden Gegenstände und der Umfang desselben bestimmen die Grundgesetze des Bundes." 204 Protokoll der Sitzung v. 30. Mai 1815, GSTA MA II 1033. 200 201
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gen vorbehalten und werde der Fassung dieses Artikels, sowie sie dasteht, nie beitreten205 .'' Daß Rechberg hier nicht von vorneherein rundweg ablehnt - Wrede hätte dies sicher getan -, sondern vorsichtig um Bedenkzeit bittet, obwohl er genau weiß, daß Bayern dieser Fassung niemals zustimmen kann, beweist wiederum seine diplomatischen Fähigkeiten. Er hofft, daß sich die Lage noch ändern wird. Die Abstimmung ist vor allem auf die Initiative der kleinen Fürsten zustande gekommen. Württemberg erklärt in dieser Situation, daß für einen deutschen Bund kein Bedürfnis mehr bestehe. Es verläßt den Verhandlungstisch. Noch schlimmer scheint es für Rechberg in der Sitzung vom 31. Mai zu werden. In dieser Sitzung hat sich Humboldt offensichtlich vorgenommen, Bayern die Niederlage vom 29. 5. heimzuzahlen. Auf der Tagesordnung steht der Art. 11, die Mediatisiertenfrage. Humboldt ergreift gleich zu Beginn der Sitzung das Wort und richtet einen Appell an alle Versammelten, das Mediatisiertenproblem gerecht zu lösen. Dies sei für die Zukunft und Einheit Deutschlands von größtem Interesse. Besonders hebt Humboldt das Schicksal des linken Rheinadels hervor, das dem Kongreß durch viele Eingaben bekannt geworden sei206 . Hier meint er ganz offensichtlich die Schriften des Grafen von Kesselstadt, in denen die Souveränität so scharf verurteilt worden ist. Die entscheidende Frage, ob dieser "Ausdruck", wie es heißt, in die Bundesverfassung aufgenommen wird, ist noch immer offen. Doch die Diskussion läuft nicht so, wie Humboldt es wünscht. Rechberg ergreift die Initiative. Er stellt sein Votum zur Debatte und fordert, man solle versuchen, die Fassung des Artikels 11 mit den bayerischen Vorstellungen "in Einklang zu bringen''207. Dadurch gelingt es ihm zwar, Humboldt von seinem Kurs abzubringen, seinem Votum aber wird diesbezüglich eine eindeutige Absage erteilt. Man ist im Grunde nur mit dem Einleitungssatz einverstanden und in diesem wird bezeichnenderweise das für Bayern entscheidende Wort "souverain" gestrichen. Rechberg hatte es hier extra eingefügt für den Fall, daß im ersten Artikel die Namen und Titel aller Könige und Fürsten aufgeführt würden. Also quasi als Ausweichstation. Der Satz lautet nun: "Um die Lage der im Jahr 1806 seitdem mittelbar gewordenen ehemaligen Reichsstände so viel als es die gegenwärtigen Verhältnisse gestatten, zu verbessern, werden ihnen folgende Vorzüge zugesichert"; während Rechberg geschrieben Bericht Rechbergs v. 30. Mai 1815, GSTA MA II 1033. Humboldt appelliert dabei an die neuen Landesherrn der Länder des Unken Rheinufers, "eine billige Rücksicht auf die von diesen Ländern erfahrenen Schicksale zu nehmen und die dortige Ritterschaft günstig und mit Schonung zu behandeln". Protokoll der Sitzung v. 31. Mai, GSTA MA II 1033. 207 Ebenda. 205 208
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hatte: "werden ihnen die souverainen Bundesglieder folgendes bewilligen: ... " Auch sonst wird der gesamte Inhalt des Art. 11 in Rechbergs Votum abgelehnt. Man hält an ihren "Curiatstimmen" im künftigen Plenum fest, man befürwortet, daß sie die "Ausübung der bürgerlichen und peinlichen Gerechtigkeitspflege in erster und teilweise zweiter Instanz" innehaben, ferner die "Forstgerichtsbarkeit" , die Ortspolizei, Aufsicht in Kirchen- und Schulsachen, und man gesteht ihnen "Steuerfreiheit für ihre Personen" ZU208 . Allerdings handelt es sich hier noch nicht um definitive Beschlüsse, sondern um die Stellungnahmen einzelner Gesandter, wobei sich der luxemburgische Vertreter besonders hervortut. Rechberg ist von dem Einfluß der mediatisierten kleinen Fürsten und der Unterstützung, die sie durch die großen Staaten erfahren, so beeindruckt, daß er Montgelas berichtet: "Nicht eine Stimme wagte es auf Beschränkungen ihrer Rechte anzutragen, und es ist erwiesen, daß ohne die Mediatisierten und den Reichsadel vielleicht nie an eine Bundesacte gedacht worden wäre209 ." Sicher ist dieser Satz übertrieben. Dennoch dokumentiert er einmal mehr, wie aktiv der mediatisierte kleine Adel auf dem Wiener Kongreß war. Am darauffolgenden Tag, dem 1. Juni, wird die Debatte um die Mediatisierten fortgesetzt. Nachdem am Vortage zwar sehr dafür plädoyiert worden war, den Mediatisierten alle ihnen zustehenden Rechte zu geben, darüber jedoch kein definitiver Beschluß stattgefunden hatte, hakt Rechberg zu Beginn sofort bei der Verlesung des Protokolls ein und erklärt, daß er für Bayern erneut einen speziellen Vorschlag hinsichtlich des Artikels 11 machen wolle. Es geht ihm vor allem darum, die Curiatstimmen abzuwenden. Deshalb versucht er eine allgemein sehr positive Haltung Bayerns gegenüber den Mediatisierten dem Kongreß deutlich zu machen, um dann aber sein Nein zu den Curiatstimmen zu begründen. Bayern habe, erklärt er, "den Mediatisierten schon im Jahre 1807 durch ein Gesetz" - gemeint ist das Dekret vom 19. März 1807 - "ebenso viel und mehr eingeräumt als jetzt für sie begehrt werde"210. Er beantragt deshalb, eine Kommission einzusetzen, um das Dekret von 1807 zu prüfen. Man werde sehen, daß dieses eine sehr gute Grundlage dafür bilde, "wie die Rechte der Mediatisierten in der Bundesacte festzusetzen seien". Der Vorschlag ist wieder ein taktisch sehr kluger, um Bayern aus der Rolle des passiven Nein-Sagers auf eine günstigere, konstruktive Plattform zu bringen. Denn das Dekret vom 19. März enthält viele Punkte, die den Mediatisierten das bewilligen, was in Art. 11 des österreichischen Projekts gefordert wird, und was auch Rechberg in seinem Vorschlag vom 208 20U 210
Ebenda. Bericht Rechbergs vom 31. Mai 1815, GSTA MA 111033. Protokoll der Sitzung vom 1. Juni 1815, GSTA MA 111033.
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Vortage angeführt hatte. So deckt sich zum Beispiel die Passage über die bürgerliche und peinliche Gerechtigkeitspflege, Forstgerichtsbarkeit, Ortspolizei ete. der Mediatisierten in seinem Votum fast wörtlich mit dem Abschnitt 3 des Art. 11 211 • Der Grund, warum man sein Votum dennoch abgelehnt hatte, war die Gesamtkonzeption der bayerischen Redaktion des Artikels, die kleinen Zusätze, die eine klare Unterwerfung der Mediatisierten unter die Souveränität des Landesherrn postulierten. So zum Beispiel, wenn es in dem österreichisch-preußischen Entwurf hieß: "Insbesondere sollen sie (die Mediatisnerten) die unbeschränkte Freiheit haben, nach den Grundsätzen der früheren teutschen Verfassung, über ihre Güter und Familienverhältnisse für ihre Nachkommenschaft verbindliche Verfügungen zu treffen" - Rechberg aber schrieb, die Mediatisierten könnten "über ihre Güter und Familienverhältnisse, für ihre Nachkommenschaft verbindliche Verfügungen treffen, welche jedoch erst dem Souverain, dem sie angehören, zur Einsicht und Bestätigung vorgelegt werden müssen". Hier lag doch ein fundamentaler Unterschied. Bayern konnte sich niemals dazu verstehen, den Mediatisierten Rechte nach den Grundsätzen der alten deutschen Reichsverfassung zuzugestehen, hiergegen stand jetzt klar und unumstößlich der "Souverain", der das Maß der Rechte der Mediatisierten bestimmte. Auch in bezug auf die Steuerfreiheit gab es zwischen dem, was der österr.-preußische Entwurf für die Mediatisierten verlangte und Bayern zu geben bereit warm, Unterschiede, und ebenso hatte Rechberg nichts zur Patrimonialgerichtsbarkeit und dem privilegierten Gerichtsstand zugesichert, was der Entwurf in Abschnitt 4 forderte. Was Rechberg will, ist, mit seinem Vorschlag einen positiven Schritt zu machen. Über Formulierungen wird man diskutieren können, vielleicht hier und da kleinere Zugeständnisse machen, in den entscheidenden Punkten jedoch hart sein. Das ist sein Konzept. Rechbergs Vorschlag wird genehmigt. Man beschließt, das Dekret von 1807 zu überprüfen, was um so bemerkenswerter ist, weil es sich um eine 211 Abschnitt 3 in Art. 11 des österr.-preußischen Entwurfs lautet: "Die Ausübung der bürgerlichen und peinlichen Gerechtigkeitspftege in erster, und, wo die Besitzung groß genug ist, in zweiter Instanz, der Forstgerichtsbarkeit, sowie auch der Ortspolizei und der Aufsicht in Kirchen- und Schulsachen, auch über milde Stiftungen, alle jedoch nach Vorschrift der Landesgesetze." In Rechbergs Votum heißt es diesbezüglich: "Sie beinhalten die Ausübung der bürgerlichen und peinlichen Gerechtigkeit in erster - und wo die Besitzung groß genug ist, in zweyter Instanz, die Forstgerichtsbarkeit sowie die Ortspolizei und die Aufsicht in Kirchen- und Schulwesen ... , alles jedoch nach Vorschrift der Landesgesetze." 21! So verlangte der österr.-preußische Entwurf allgemein "Steuerfreiheit für ihre Personen", während Rechberg dies "blos auf persönliche Steuern (Kopfsteuern)" angewandt wissen wollte. Zentner lehnte auch dies noch ab.
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
Verordnung aus der Rheinbundzeit handelt, die eigentlich laut österr.preuß. Entwurf, Art. 11, Abschnitt 2 "außer Wirkung gesetzt" werden soll213. Es zeigt einmal mehr, wie sehr jede klare Linie in der Hektik der Schlußverhandlungen in Wien fehlt und Metternich diesen Vorschlag zuläßt, obwohl er den Plädoyers des vorigen Tages diametral widerspricht. Metternich will den Bund, koste es was es wolle, zustande bringen, und zwar mit Bayern und den anderen Südstaaten, deshalb akzeptiert er ihn. Dementsprechend wird eine Kommission von 5 Mitgliedern gebildet, bestehend aus Rechberg und dem Graf Münster, ferner den Freiherrn von Gagern, Plessen und Türckheim, die den Artikel 11 mit dem bayerischen Dekret von 1807 vergleichen und, wenn möglich, in der nächsten Sitzung in neuer Redaktion vorlegen soll. Einen noch größeren Erfolg aber kann Rechberg in anderer Beziehung verbuchen. Nach dem Beschluß über die Kommission erklärt plötzlich der königlich-sächsische Bevollmächtigte, er wolle auf die Forderung Bayerns zurückkommen, im ersten Artikel statt nur "Fürsten" "souveraine Fürsten" zu sagen. Sachsen habe sich entschlossen, diese Forderung zu unterstützen, weil sie klar und präzis die eine "Kategorie" der deutschen Fürsten, die diesem Bunde beiträten, gegenüber der anderen abhebe2 14• Der sächsische Gesandte, der vorher, obwohl der gleichen Ansicht, nicht gewagt hat, Bayern in seiner Souveränitäts-Forderung zu unterstützen, tritt jetzt aktiv auf dessen Seite. Sachsen, das seit der Krise Ende 1814, in der es von Bayern unterstützt worden ist, sehr freundschaftliche Gefühle gegenüber dem Hof in München hegtJ!15, hat mit größter Aufmerkm Dort heißt es nämlich: "Die vor Errichtung des Rheinbundes bestandenen Familienverträge werden aufrecht erhalten, und es kann ohne Einwilligung sämtlicher Agnaten kein neuer errichtet werden. Alle dagegen seit Errichtung des Rheinbundes erlassenen Verordnungen werden außer Wirkung gesetzt." !U Wörtlich heißt es in der Erklärung des königlich-sächsischen Bevollmächtigten v. Goertz: "Ad art. 1 wird angemessen befunden, außer der bereits namentlichen Aufführung aller einzelnen Bundesstaaten, den königlich baierischerseits vorgeschlagenen Beisatz "souveraine Fürsten" (unterstr.) zu adoptieren, da hierdurch die Kategorie, derenthalber eben diese, und nicht die übrigen teutschen Fürsten, Mitglieder dieses Bundes werden, näher bezeichnet wird." Sachsen besteht demnach sogar bei einer namentlichen Aufführung allel Fürsten mit ihren Titeln auf dem Wort "souverain", was Rechberg nicht einmal verlangt hatte, sondern seine Forderung "souverain" vor dem Wort Fürsten damit begründet hatte, daß in Art. 1 nur der Kaiser von Österreich und der König von Preußen namentlich genannt sei, nicht aber die anderen Könige. Protokoll der Sitzung v. 1. Juni, GSTA MA II 1033. !15 So hatte am 23. Oktober 1814 König Friedrich August von Sachsen König Max Joseph, seinem "Frere et Beaufrere", einen sehr herzlichen Brief geschrieben, in dem es u. a. hieß: "n m'est infiniment doux a penser, que Votre Majeste, en m'accordant son puissant appui, rend justice a ramitie et a l'at-
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samkeit registriert, wie sehr die diesbezügliche Front Österreichs und Preußens immer mehr aufgeweicht ist. Rechberg hat trotz Rückschlägen doch immer mehr Terrain gewonnen, eben noch hinsichtlich der Mediatisierten. Warum sollte Metternich nicht auch in der entscheidenden Frage der Souveränität nachgeben? Es ist offenkundig, wie dieser immer wieder einlenkt, Kompromisse schließt. Genau das tut Metternich auch sofort. Er hält den aufbegehrenden Humboldt zurück und gibt die Erklärung ab, daß man den Grundsatz der Souveränität keineswegs bestreite, sondern vielmehr in der ganzen Bundesakte anerkenne. Man habe nur "Bedenken getragen, mit diesem Ausdruck die Bundesurkunde anzufangen". Deshalb sei in der gemeinsam mit Preußen erarbeiteten Redaktion seines Entwurfes der Ausdruck "souverän" vermieden werden, weil es "zu diesem Zusatz keine Veranlassung gebe"218. Mit dieser verharmlosenden Erklärung - man habe gar nichts gegen " souverain", sondern nur nicht mit "diesem Ausdruck" die Bundesakte anfangen wollen - überspielt Metternich die entscheidendste Frage der Bundesverfassung! Es wird von ihm so leichthin formuliert, als habe es Bayerns und Württembergs Forderung im Oktober und November 1814, habe es seine und Preußens Verdammungsurteile der "Despotie" und "Unteutschheit", habe es sein eigenes Souveränitäts-Spiel im Wessenberg-Entwurf und in den "allgemeinen Umrissen", habe es Preußens Intervention nie gegeben! Es ist ein politisches Kabinettstück, das Metternich hier liefert. Was mag Humboldt in diesem Moment denken? Er sagt nichts, auch dann nicht, als Metternich für Preußen gleich mit erklärt, beide Großmächte hätten eigentlich nichts gegen den Begriff "souverain". Er hält sich an das mit Metternich Anfang Mai vereinbarte Gebot, so taktisch klug wie möglich vorzugehen, um den Bund schnellstens zustande zu bringen. Und taktisch klug ist Metternichs Vorgehen, das Ganze zu bagatellisieren. Die Hauptsache ist für Humboldt und Hardenberg, daß das Wort "souverain" nicht in der Bundesakte erscheint. Aber Metternichs Erfolg ist nur ein halber. Sachsens Delegierter ist zunächst verblüfft, meldet dann aber seinen "Vorbehalt" an und erklärt, er werde bei der endgültigen Redaktion der Bundesakte noch auf diesen Punkt zurückkommen!11. Trotz dieser in der letzten Sitzung am 1. Juni wieder günstigeren Entwicklung sieht Rechberg sehr skeptisch in die Zukunft. In einem langen tachement sincere et inalterable ..." GSTA MA II 1035. In diesem Akt liegt eine Reihe interessanter Korrespondenz zwischen Bayern und Sachsen. ue Protokoll der Sitzung vom 1. Juni, GSTA MA II 1033. U7 Wörtlich im Protokoll: " ... so beschränkte Sachsen sich sodann auf den Vorbehalt, bey der endlichen Redaction noch auf diesen Punkt zurückzukommen."
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
Bericht vom 2. Juni, der das Geschehene der letzten Tage zusammenfaßt, äußert er, er könne sich nicht vorstellen, wie bei der Geschwindigkeit und Hektik der Verhandlungen ein Ergebnis herauskommen könne, das man in München akzeptieren würde2 18. In der Tat ist man dort nach Erhalt dieses Berichts am 7. Juni über die wieder ungünstige Entwicklung der Lage höchst erschreckt. In einem sofort am gleichen Tag erstellten Gutachten äußert sich Zentner grimmig: "Wären die Unterhandlungen nicht so weit vorgerückt, so würde ich rathen, der Erklärung Württembergs beyzutreten und den definitiven Beschluß bis zum Ausgange des Krieges zu vertagen219 ." Doch dieser Satz steht im Konjunktiv, Zentner weiß, daß Rechberg vor Abschluß der Bundesakte in keinem Fall mehr rechtzeitig eine neue Instruktion erreichen wird. In der Instruktion vom 3. Juni ist ihm dagegen aufgetragen worden, die Unterhandlungen fortzusetzen und dem Bund beizutreten, sich die Ratifikation allerdings noch vorzubehalten. Zentner bleibt also nichts anderes übrig, als Rechberg sein Vertrauen auszusprechen und der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß es dem bayerischen Gesandten nach den bisherigen Erfolgen gelingen müsse, auf Grund der ganzen politischen Konstellation zwischen den Großmächten und der außenpolitischen Lage, für Bayern die bestmöglichste Lösung zu erreichen. Hieran glaube er. Bayern sei, "außer Österreich und Preußen der einzige Staat, welcher die ersten Ansprüche zu seiner Einreihung in die Classe der europäischen Staaten machen kann"22o. Es ist dies der bekannte Satz Zentners, den M. Doeberl zitiert und kritisiert hat!21. In dem Augenblick, da Zentner ihn schreibt, ist er allerdings nichts anderes als Wunschdenken und nicht die Wirklichkeit. Aretin hat ihn noch deutlicher kommentiert22!. Wenn Sachsens Bevollmächtigter am Ende der Sitzung vom 1. Juni erklärt hatte, er werde noch auf den Punkt "souverain" zurückkommen, so kommen andere noch viel schneller auf den Hauptgesprächspunkt dieser Sitzung zurück, was die Lage für Bayern abermals ungünstig verändert. Bei den Mediatisierten findet die Nachricht, daß das bayerische Dekret vom Jahre 1807 eventuell zur Grundlage des Artikels 11 genommen werden soll, die denkbar schlechteste Aufnahme. In einer Anzahl von Denkschriften laufen sie sofort gegen dieses Vorhaben Sturm. Bericht Rechbergs vom 2. Juni 1815, GSTA MA II 1033. Gutachten Zentners vom 7. Juni 1815, GSTA MA II 1033. 220 Ebenda. 221 M. Doeberl: Bayern und Deutschland im 19. Jahrhundert, a.a.O., S. 2. 222 Er sagt, daß dieser Satz "zu diesem Zeitpunkt mehr ein Nekrolog auf Bayerns Selbständigkeit, als eine die Gegenwart betreffende Behauptung war" . Aretin: Die deutsche Politik, a.a.O., S. 38. 218 210
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Zwei Schriften tun sich dabei besonders hervor. Die eine stammt von Henriette Fürstin zu Solms und von den Fürstlich und Gräflich Solmschen Häusern Braunfels, Rödelheim und Laubach223 • Darin protestieren sie nachdrücklichst gegen den Beschluß des Kongresses, "da diese Deklaration eine Folge der Rheinbundakte und noch in jeder Hinsicht nachtheiliger als diese" sei und erklären "feierlichst, daß sie keine Konstitution anerkennen werden und dürfen, in welcher nicht die ihrer und ihren Rechten gebührende Stimmen am Bundestage zugesichert" werden. Sie wenden sich schärfstens gegen die Absicht Bayerns, den Mediatisierten keine Curiatstimmen zuzugestehen. Noch schärfer ist die Ablehnung in der zweiten Schrift224 , die von Elisabeth Fürstin und Vormünderin zu Fürstenberg, geborene Fürstin von Thurn und Taxis" verfaßt ist. Die Fürstin erklärt, daß die vom Kongreß in bezug auf "Abscheidung und Beistimmung der Souveränitätsrechte delegierte Commission" nicht glauben solle, daß "die unterdrückten deutschen Reichsstände eine solche politische Lage und einen solchen Rechtszustand wünschten wie dieselben in der Königlich Bayerischen Deklaration enthalten sind". Das genaue Gegenteil sei der Fall. "Die befragliche Königlich Bayerische Constitutionsverordnung" sei "den bestgegründeten Rechten und unverjährbaren Befugnissen der Reichsstände nicht nur nicht entsprechend, sondern selbst den Bestimmungen der Rheinbundaete auf eine für sie unvortheilhafte Weise entgegenstehend." Die Fürstin verlangt, nicht zuletzt als Anerkennung für ihren "durch die ganze lange Leidenszeit ununterbrochen bethätigten reinen Patriotismus", die bayerischen Forderungen rigoros abzulehnen und ihr eine "dem Alter, der Bedeutendheit und dem Ansehen ihrer Häuser entsprechende Repräsentation bei der deutschen Bundesversammlung zurückzugeben".
Rechberg besteht auf "souverain" - Ausschluß Bayerns? Die Reaktion der beiden Großmächte auf diese antibayerischen Schriften läßt wieder nicht lange auf sich warten. Humboldt nimmt die Papiere hocherfreut als Propagandamaterial gegen Rechberg zu seinen Unterlagen. Metternich vermutet, daß die heftigen Attacken gegen Bayern dessen Gesandten nun endgültig mürbe gemacht haben; er beschließt, die Gunst der Stunde sogleich zu nutzen. Vor der Konferenz am 3. Juni lädt er den bayerischen Gesandten zu einem Sondergespräch225 unter vier Augen zu sich, macht ihn zunächst wie üblich auf den Ernst der Lage und die allgemeine Gegnerschaft gegen Bayern aufmerksam, um ihm dann zu vertta 224 225
Denkschrift vom 4. Juni 1815, ohne Titel, MA II 1034. Denkschrift vom 3. Juni 1815, ohne Titel, ebenda. Darüber Bericht Rechbergs vom 3. Juni 1815, GSTA MA II 1034.
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H. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
sichern, daß er Rechberg trotzdem immer beistehen werde, wenn Bayern nur jetzt seinen Beitritt zum Bund erkläre. Rechberg dankt ihm höflich für sein Angebot, teilt ihm aber im gleichen Atemzug mit, daß er dennoch seinen Beitritt nicht erklären könne, weil er noch keine Instruktion aus München habe. Auf jeden Fall dürfe er aber jetzt schon sagen, daß er für Bayern, ungeachtet aller Angriffe, in vier Punkten nicht nachgeben könnne. Diese wären: 1. die vorgeschlagene Fassung des Artikels hinsichtlich der Bündnisse, 2. das Bundesgericht,
3. die Curiatstimmen der Mediatisierten, 4. alle Anordnungen, die auf irgendeine Form in die inneren Verhältnisse der Bundesstaaten eingreifen würden. Metternich versucht daraufhin wiederholt, Rechberg umzustimmen, dieser bleibt aber fest bei seiner Erklärung. Das Gespräch wird nach kurzer Zeit abgebrochen und Rechberg äußerst kühl verabschiedet. Die folgende Sitzung am gleichen Tag und die weiteren Konferenzen am 4.,5.,6. und 7. Juni gehören, wie Rechberg nach München schreibt, zu den "peinlichsten Stationen"226 seines Lebens. Er wird, da er immer noch ohne Instruktion ist und nichts Definitives sagen kann, von nahezu allen anderen Gesandten anfangs verhalten, dann aber immer offener angegriffen und beschuldigt, das Zustandekommen des Bundes verhindern zu wollen. In der Sitzung vom 3. Juni hat er zunächst noch Anhänger. Als er wiederum darauf besteht, daß im 1. Artikel der "Ausdruck ,souveraine Fürsten' (unterstrichen) gebraucht werden müsse"227, wird er sogar neben Sachsen nun auch von Kurhessen, Hessen-Darmstadt und Nassau unterstützt. Dann aber erhebt sich Hardenberg und lehnt "den Ausdruck ,souverain' " scharf und definitiv ab, weil er "überflüssig" sei und "der Sache nichts hinzuthue"228. Wiederum geht Hardenberg mit keinem Wort auf die wirklichen Gründe für die Ablehnung der Souveränität durch Preußen ein. Sein scharfer Ton, mit dem er diese "überflüssigkeit" kundtut, verfehlt seine Wirkung nicht. Es gelingt ihm, die anderen einzuschüchtern. Metternich verhält sich unbestimmt. Es gehe ihm nicht um den Ausdruck "souverain", sondern einzig und allein darum, daß der Bund zustande komme, erklärt er. Rechberg wird also von ihm indirekt gestützt. An den folgenden Tagen wird aber auch er gegenüber dem bayerischen 228 227 228
Bericht Rechbergs vom 11. Juni 1815, GSTA MA II 1034. Bericht Rechbergs vom 3. Juni, GSTA MA II 1034. Protokoll der Sitzung vom 3. Juni 1815, GSTA MA II 1034.
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Gesandten, dessen Instruktion immer noch nicht eintrifft, stündlich gereizter und aggressiver. Schließlich sieht Metternich am 5. Juni keine andere Wahl mehr. Alle anderen Staaten mit Ausnahme Sachsens, dessen Gesandter erklärt, er erwarte die Instruktion, die ihn zur Unterschrift autorisiere, stündlich - und Württembergs, das den Verhandlungstisch ganz verlassen hat -, haben bereits ihren Beitritt erklärt. Angesichts dieser Situation stimmt Metternich dem Vorhaben Preußens zu, eine Bundesverfassung auszuarbeiten, die Bayern ausschließt und die bayerischen Abänderungswünsche unberücksichtigt läßt. Metternich ist in einer Zwangssituation. Will er nicht eine höchst kritische Lage heraufbeschwören, kann er nichts anderes tun. Preußen hat durch das Zögern Rechbergs alle Trümpfe in der Hand, und der österreichische Staatskanzler kann sich das Verhältnis zu Preußen angesichts der außenpolitischen Situation nicht verscherzen. Die beiden Großmächte müssen jetzt vor dem zweiten großen Krieg gegen Napoleon einig sein, der Bund muß zustande kommen. Wenn Bayern und Württemberg ihm jetzt nicht beitreten, so werden sie es später so oder so tun müssen, dann aber allein zu seinen Bedingungen. Bayerns Gesandter ist sich über diese Lage absolut im klaren. Er sieht, wie Metternich von Stunde zu Stunde mehr von ihm abrückt, er weiß, woran Humboldt arbeitet. Rechberg sitzt wie auf einem Pulverfaß. Noch zwei qualvolle Wartetage folgen, an denen er Metternich wiederum abschlägigen Bescheid erteilen muß. Endlich, am 7. Juni abends, erscheint der Kurier aus München mit der Instruktion vom 3. Juni. Doch als Rechberg sie liest, muß er zu seinem größten Schrecken feststellen, daß sie ihm keine direkte Anweisung und Legitimation gibt, dem Bund beizutreten. Sie enthält, wie gezeigt wurde, nur nebensächliche Abänderungsvorschläge beim Text der einzelnen Paragraphen und ein Lob für seine bisherige Tätigkeit, mehr nicht. Was soll Rechberg tun? Den einzigen Anhaltspunkt bietet die Bemerkung Montgelas' in seinem Begleitbrief, er solle seine Unterschrift unter die Bundesakte so lange wie möglich hinauszögern. Das kann zwar dahingehend interpretiert werden, daß die Regierung in München im Prinzip bereit ist, dem Bund beizutreten, eine konkrete Handhabe bietet sie ihm aber nicht. So ist er im Grunde ganz auf sich allein gestellt. Er muß die Entscheidung fällen. Montgelas hat sie ihm zugeschoben, genauso, wie er im Jahre 1805 den letzten entscheidenden Schritt zum Bündnis mit Frankreich und auch bei der Unterzeichnung des Vertrags von Ried 1813 nicht selbst machte, sondern ihn taktisch anderen überließ. Zwei Alternativen gibt es für Rechberg. Er weiß, daß nur noch durch den Beitritt Bayerns die Chance besteht, die die Souveränität am stärk-
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sten beschränkenden Artikel in der Bundesacte zu Fall zu bringen oder zumindest abzuschwächen. Erklärt er seinen Beitritt, würde sich Metternich wahrscheinlich so stark wie möglich machen, um den größten Südstaat Deutschlands in den Bund zu bringen. Tut er es nicht, tritt höchstwahrscheinlich Humboldts neues Projekt in Kraft, das, wie Rechberg später schreibt, "die wesentlichsten Rechte der Souveränität angegriffen haben würde229 . Danach würden Bayern dann zwei Möglichkeiten offen bleiben: 1. entweder später diesem Bunde beizutreten oder
2. sich ganz von ihm abzusondern und eine eigene Politik in Deutschland
zu machen suchen.
Was aber wäre dann? Im ersten Fall "würde die Selbständigkeit des Bayerischen Staates vernichtet", im zweiten aber "eine Krisis veranlaßt ... , bey welcher man isoliert, gegenwärtig ohne auswärtige Garantie und Allianz, mit allen Zufälligkeiten des bevorstehenden Krieges und mit der ganzen Kraft der öffentlichen Meinung zu kämpfen ... haben würde"230. So antwortet Rechberg sich selbst. Nach dieser Bestandsaufnahme gibt es für ihn nur noch eine Entscheidung, und er fällt sie. Er läßt Metternich mitteilen, er sei zur Unterzeichnung der Bundesacte bereit. Metternich reagiert sofort, und gen au das tritt ein, was Rechberg gehofft hat. Der österreichische Staatskanzler läßt ihn auf der Stelle an der Sitzung teilnehmen, die unter der Ankündigung einberufen worden ist, eine Bundesverfassung ohne Bayern abzuschließen.
Die entscheidende Sitzung am 8. Juni 1815 Das Duell Rechberg- Humboldt um die Souveränität Wie überaus erleichtert Metternich über Rechbergs Nachricht ist, kann er nicht verbergen. Er geleitet den bayerischen Gesandten freundlich in den Sitzungssaal und verkündet dann, daß er nun "mit Vergnügen" dem Gesandten Bayerns das Wort erteile231 . In die vor Spannung knisternde Atmosphäre des Raumes hinein erklärt Rechberg daraufhin mit fester Stimme, daß Bayerns definitivem Beitritt zum Bunde nichts mehr im Wege stehe, wenn seinen Eingaben und Abänderungsvorschlägen stattgegeben werde. Er werde dann ohne Zögern unterzeichnen. Die Bedingungen, die Rechberg nun noch einmal aufzählt, sind die gleichen 4 Punkte, die ihm zuvor die schärfsten Angriffe von allen Seiten 229 230 231
Bericht Rechbergs vom 11. Juni 1815, GSTA MA II 1034. Ebenda. Protokoll der Sitzung vom 8. Juni 1815, GSTA MA II 1034.
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eingetragen haben, und er ist darauf gefaßt. Doch die Atmosphäre ist diesmal eine andere. Seine Erklärung des definitiven Beitritts Bayerns hat die allgemeine Stimmung sehr zu seinen Gunsten verändert, vor allem auf Österreichs Seite. Während Rechberg sich setzt, spürt er dies, hat er das Gefühl, daß Metternich bereit ist, ihm entgegenzukommen. Worin er sich nicht täuscht. Metternich ist nun wieder in einer ganz anderen Ausgangsposition gegenüber Preußen - nach dem gemeinsam aufgestellten Grundsatz, alles zu tun, um jeden deutschen Staat, der beitrittswillig ist, in den Bund aufzunehmen. Damit ist der Plan Preußens, das gehofft hatte, im letzten Augenblick den Bund noch noch so straff wie möglich zu organisieren, praktisch vom Tisch. Der Bund wird so aussehen, wie Metternich ihn will. Doch Humboldt gibt noch nicht auf. Wie ein Verzweifelter wehrt er sich gegen Rechbergs Forderun~n. An erster Stelle dieser Forderungen steht zugleich die wichtigste: das Wort "souverain" im ersten Artikel. Es entwickelt sich ein dramatisches Rededuell zwischen Humboldt und Rechberg, mit allen Argumenten und Gegenargumenten der vergangenen Wochen und Monate. Schließlich wird abgestimmt. Dabei siegt Rechberg. Er siegt deshalb, weil sich Sachsen, Hessen-Darmstadt und Nassau wie schon am 3. Juni auf seine Seite stellen und die Aufnahme des Wortes "souverain" in die Bundesakte befürworten. Vor allem aber siegt er darum, weil Metternich, wie er es sich seit dem sächsischen Konflikt vorgenommen hat, sein Placet zur Souveränität gibt. Metternich tut dies natürlich nicht direkt, dafür ist er zu klug. Er unterstützt die bayerische Forderung ebenso wenig, wie er der preußischen widerspricht. Er enthält sich der Stimme, tut so, als sei diese entscheidende Frage, in der er sich zu Beginn des Kongresses so überdeutlich geäußert hat, völlig untergeordneter Bedeutung. Der Ausdruck sei zwar "im Grunde überflüssig", pflichtet er Preußen bei, aber man solle sich doch nicht so lange mit ihm aufhalten. Damit hat Rechberg das staatsrechtliche Postulat "souverain" für die Fürsten und freien Städte des Deutschen Bundes durchgesetzt. Doch mit diesem Sieg in der für Bayern wichtigsten Frage ist der Erfolg Rechbergs noch nicht vollständig. Es gelingt ihm auch, wenigstens zum Teil jene Institution abzuwenden, durch die Bayern seine innere Souveränität am meisten gefährdet sieht: das Bundesgericht. Es wird nach dem bayerischen Vorschlag mit Zustimmung Österreichs, Sachsens und Hessen-Darmstadts in eine Austrägalinstanz umgewandelt, wobei Metternich den von Rechberg vorgeschlagenen Text des Artikels 11 fast wörtlich übernimmt232 • 232 Bayerischer Vorschlag: "Streitigkeiten unter den Bundesgliedern werden vor die Bundesversammlung gebracht, als welcher vorbehalten bleibt, staatsrechtliche Differenzen durch einen Ausschuß zu vermitteln und jene
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Der gleiche Artikel behandelt auch das Recht der Bündnisse. Dieses äußere Souveränitätsrecht bleibt den Bundesgliedern zwar erhalten, aber es wird durch die Klausel, daß die Bündnisse sich nicht gegen den Bund oder einzelne Bundesstaaten richten dürfen, eingeschränkt233 • Das Bündnisrecht steht damit praktisch unter der Aufsicht des Bundes. Mit dieser unumgänglichen Einschränkung seiner äußeren Souveränität haben sich Montgelas und Wrede ja bereits im Oktober/November 1814 faktisch abgefunden. Es ist also kein Zugeständnis Rechbergs. Sein Textvorschlag bringt den in den vorherigen Sitzungen vereinbarten Wortlaut. In der Frage der Mediatisierten allerdings gibt auch Metternich Rechberg nicht nach. Es wird entschieden, daß der endgültige Beschluß über die Zuteilung einiger Curiatstimmen für die Mediatisierten im Bundesplenum auf dem Bundestag in Frankfurt fallen soll. So wird es am Schluß des Artikels 6 festgehalten 234 • Hier hat R,chberg also keinen Erfolg, ebenso nicht mit Bayerns Wunsch, die Bundesversammlung möge nicht beständig, sondern nur in gewissen Abständen tagen. Montgelas und Zentner hatten sich wiederholt dagegen gewandt, aus Furcht, diese könne sich eventuell zu sehr in die inneren Angelegenheiten der Bundesstaaten einmischen. Art. 7 spricht die Beständigkeit der Bundesversammlung aus235 • Im gleichen Artikel wird jedoch ein anderer Grundsatz festgehalten, der für Bayern weit entscheidender ist. Bei allen Abstimmungen, wo es um die Aufnahme oder Abänderung von Grundgesetzen des Bundes, um organische Bundeseinrichtungen, um iura singulorum oder Religionsangelegenheiten geht, muß sowohl im Plenum als auch in der engeren Versammlung Einstimmigkeit vorliegen. Es ist diejenige Bestimmung, die Humboldt später immer wieder als eines der schlimmsten aller übel des Bundes anklagen wird. Gegenstände, welche eine streng richterliche Entscheidung erfordern, durch eine wohlgeordnete Austrägalinstanz zu erledigen." Endgültiger Text der Bundesakte: "Die Bundesglieder machen sich ebenfalls verbindlich, einander unter keinerlei Vorwand zu bekriegen, noch ihre Streitigkeiten mit Gewalt zu verfolgen, sondern sie bei der Bundesversammlung anzubringen. Dieser liegt alsdann ob, die Vermittlung durch einen Ausschuß zu versuchen, und, falls dieser Versuch fehlschlagen sollte, und demnach eine richterliche Entscheidung notwendig würde, solche durch eine wohlgeordnete Austrägalinstanz zu bewirken, deren Ausspruch die streitenden Teile sich sofort zu unterwerfen haben." 133 "Die Bundesglieder behalten zwar das Recht der Bündnisse aller Art, verpflichten sich jedoch in keine Verbindungen einzugehen, welche gegen die Sicherheit des Bundes oder einzelne Bundesstaaten gerichtet wären." 134 "Ob den mediatisierten vormaligen Reichsständen auch einige Curiatstimmen im Pleno zugestanden werden sollen, wird die Bundesversammlung bei der Berathung der organischen Bundesgesetze in Erwägung nehmen." 135 "Die Bundesversammlung ist beständig, hat aber die Befugniß, ... auf eine bestimmte Zeit, jedoch nicht länger als vier Monate, sich zu vertagen."
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der .. Souveränität"
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Wie sehr Metternich selbst Rechberg entgegenzukommen bereit ist, zeigt wohl am meisten die Tatsache, daß er dessen Forderung erfüllt, die Bundesakte in zwei Teile aufzuteilen. Rechberg begründet seine Forderung damit, daß er anführt, die Artikelll bis 20 könnten nur als "reglementarische Bestimmungen" angesehen werden, "weil mehrere derselben in wesentliche Regierungsrechte und in die inneren Verwaltungszweige eingreifen" würden. Sie seien deshalb ganz allein Sache einer "freiwilligen übereinkunft" der einzelnen Bundesländer. Er schlägt dabei eine Eingangsformel für die restlichen 9 Artikel vor, die die Souveränität der Bundesstaaten noch einmal wie in Artikel 1 besonders hervorhebt: "Die souverainen Bundesglieder sind übereingekommen, über einige Gegenstände, die zwar die inneren Verhältnisse berühren, aber gleichwohl zur allgemeinen Wohlfahrt dienen, schon jetzt reglementarische Bestimmungen zu treffen, nämlich ... etc." Mit dieser Formel dringt Rechberg jedoch nicht durch. Das zum zweiten Mal von ihm so ostentativ hervorgehobene "souverain" streicht Metternich mit Bestimmtheit, um mit diesem kleinen Trostpflaster Preußen wenigstens etwas zu versöhnen. Der Schachzug ist typisch für die Politik Metternichs. Die endgültige Eingangsformel der "Besonderen Bestimmungen" spricht stattdessen nur von "verbündeten Mitgliedern" und betont auch, daß die folgenden Artikel mit den ersten elf Artikeln "gleiche Kraft haben sollen" . Ebenso verhält es sich bei Artikel 18, der die Rechte der Unterthanen in den einzelnen Bundesstaaten beinhalten soll. Hier möchte Rechberg wieder statt "die verbündeten Fürsten ... kommen überein" setzen: "die souveränen Fürsten kommen überein", was abermals mit der Begründung, dies sei überflüssig, abgelehnt wird. Rechberg gelingt es auch nicht, die Artikel 16 und 17 ganz aus der Bundesakte herauszulassen, die - so lautet sein Einwand - allein "innere Gegenstände" der Bundesstaten seien. Es sind die beiden Artikel, in denen die Gleichberechtigung der verschiedenen Religionsparteien in den einzelnen Bundesstaaten durch den Bund garantiert wird (Art. 16) und dem fürstlichen Haus Thurn und Taxis der weitere Besitz und Genuß der Posten in den verschiedenen Bundesstaaten gemäß den Bestimmungen des Reichs-Deputations-Hauptschlusses grundsätzlich bestätigt wird. Wo dies nicht mehr der Fall ist, wird ihm das Recht auf Entschädigung zugesichert (Art. 17). Trotz dieser letzten Zugeständnisse bedeuten die Ergebnisse der entscheidenden Sitzung vom 8. Juni 1815 jedoch einen ganz großen Erfolg Rechbergs und Bayerns. Der bayerische Gesandte hat das Bundesgericht abgewendet, er hat die Frage der Mediatisierten offengehalten. Er hat
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
vor allem aber die wörtliche Anerkennung und Bestätigung der Souveränität, auf die es seiner Regierung am allermeisten ankam, in Artikel 1 der Bundesakte durchgesetzt. Darin werden die Fürsten und freien Städte Deutschlands nun als "souveraine" bezeichnet236 • Damit ist der entscheidende Begriff, das auf Jean Bodin zurückgehende Postulat für unvollkommene Unabhängigkeit und Eigenständigkeit eines Staates, das die alte deutschen Reichsverfassung ausgelöscht hat, nun offiziell in der Verfassung Deutschlands verankert. Jahrhundertelang ist um dieses Wort im deutschen Staatsrecht diskutiert worden, ist um diesen Begriff in der deutschen Geschichte gerungen worden. Der 8. Juni 1815 bedeutet in ihr ein neues, entscheidendes Datum. Von größter Tragweite werden seine Rückwirkungen auf das deutsche Staats- und Völkerrecht sein, das jetzt sein Zentralproblem hat: einerseits nimmt es die nunmehr in der Verfassung Deutschlands verankerte Souveränität der Bundesstaaten zur Kenntnis, andererseits steht es aber vor der Tatsache, daß die in der Bundesakte "souverain" genannten Fürsten und freien Städte bei ihren Verpflichtungen gegenüber dem Bund nicht völlig unabhängig und damit souverain im überlieferten Sinne sind - jedenfalls haben sie faktisch keineswegs mehr Rechte und Freiheiten wie als Mitglieder des alten Reiches, in dem sie sich nicht souverain nennen konnten und nannten. Es beginnen die permanenten Diskussionen um die Souveränität; das positive Recht, dessen große Zeit jetzt anhebt, wird sie immer wieder neu formulieren und interpretieren. Montgelas hat mit der Aufnahme der "Souverainetät" in die Bundesakte einen großen Sieg errungen; dennoch wird er ihm zum Schicksal werden. Denn Bayerns dirigierender Minister wird nun auf dieses Postulat pochen, immer wieder, und es zur Basis seiner weiteren Politik im Deutschen Bund machen. Diese Politik wird gefährlich und falsch sein. Denn sie wird die Möglichkeiten Bayerns völlig überschätzen und die politischen Gegebenheiten, an denen Bayern trotz des Wortes "souverain" in der Bundesakte nicht vorbeikommt, nicht realistisch sehen. Montgelas' Politik muß deshalb Bayern zwangsläufig in eine schwere Krise führen, die mit seinem Sturz enden wird. "Unteutsch" wird einer seiner Hauptgegner das "System" des Schöpfers des modernen bayerischen Staates nennen, dessen außenpolitische Vorstellungen anachronistisch geworden sind. Daran scheitert Montgelas. Er will nicht sehen, 238 Wortlaut des 1. Artikels der Bundesakte: "Die souverainen Fürsten und freien Städte Teutschlands, mit Einschluß Ihrer Majestäten des Kaisers von Österreich, und der Könige von Preußen, von Dänemark, und der Niederlande, und zwar der Kaiser von Österreich und der König von Preußen, beide für ihre gesammten, vormals zum teutschen Reich gehörigen Besitzungen, der König von Dänemark für Holstein, der König der Niederlande für das Großherzogtum Luxemburg, vereinigen sich zu einem Bunde, welcher der teutsche Bund heißen soll."
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daß die "Souveränität" der Bundesstaaten, die Bayern durchgesetzt hat, keine völlige Souveränität ist und niemals sein wird. Uneingeschränkte Souveränität kann es im Deutschen Bund, kann es in Deutschland und für seine Staaten nicht geben; sie ist "unteutsch", wie Kronprinz Ludwig richtig erkennt2S7 • Montgelas wird seinem eigenen Sieg zum Opfer fallen. Doch kehren wir zunächst zu Rechberg zurück. Dessen Kommentar zu den Ereignissen des 8. Juni ahnt bereits die kommenden Konflikte voraus. Es ist Rechbers großer Bericht vom 11. Juni 1815 238 , der nicht nur die Spannung und Dramatik der letzten entscheidenden Verhandlungen, sondern auch die ganz persönlichen Gefühle und Empfindungen, die den bayerischen Gesandten dabei bewegten, sprechend widerspiegelt.
Rechbergs großer Bericht vom 11. Juni 1815 Bayerns Gesandter ist selbst überrascht darüber, wieso er allein so viel erreichen konnte in einer Situation, in der man bereits an Bayerns Ausschluß arbeitete. Es ist die Frage, die ihn zunächst wesentlichst beschäftigt. Er ist selbstkritisch genug, sofort zuzugeben, daß er es ohne die im Laufe der letzten Sitzungen erworbene Sympathie Sachsens, HessenDarmstadts und Nassaus, vor allem aber ohne die Unterstützung Metternichs, nicht geschafft hätte239 • Eindeutig bekennt er, daß er es nur der Haltung Österreichs verdanke, daß er überhaupt noch zur letzten entscheidenden Sitzung am 8. Juni zugelassen wurde. Hierin liegt, darin hat Aretin völlig recht, der Schlüssel seines Erfolges240 • Dennoch ist Rechberg natürlich stolz, daß er wichtigste Punkte seines Auftrags erfüllt hat, und er versäumt es auch nicht, die Schwierigkeiten seiner Mission und seine zuletzt auf Grund des Nichteintreffens der Instru~tion äußerst vertrackte Lage gebührend hervorzuheben: "Ich darf 231 "Auf meine Veranlassung entfernte ihn mein Vater aus seinem Amte, als einen Vertreter des unteutschen Systems." Kronprinz Ludwig nach Montgelas' Sturz. 238 Wie Aretin: Die deutsche Politik, S. 46, dazu kommt, diesen klar auf den 11. 6. ausgezeichneten Bericht auf den 7.6. zu datieren, ist unverständlich. Es handelt sich offenbar um ein Versehen. Am 7.6. waren ja die Entscheidungen, über die Rechberg berichtet, noch gar nicht gefallen. 23g " ••• ich habe es vielleicht nur der Gefälligkeit des Fürsten Metternich sowie dem erworbenen Zutrauen der Sächsischen, Darmstädtischen und Nassauischen Minister zu verdanken." Aus dem Bericht Rechbergs vom 11. 6. 1815. Alle weiteren folgenden Zitate Rechbergs aus diesem Bericht, GSTA MA II 1034. 240 Aretin: Die deutsche Politik, S. 49. A. geht bei seiner Beweisführung allerdings recht umständlich vor, indem er zunächst von "der neuesten Literatur" spricht, die hierfür "keine überzeugende Lösung" wisse (wer diese Literatur im einzelnen ist, sagt er nicht). Dann stellt er die These auf: "Es gibt nur eine wirklich einleuchtende Erklärung und die ist, daß Metternich Bayern unterstützen wollte." Das sagt Rechberg doch ganz klar selbst!
25 Quint
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H. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
nicht bergen, daß der Zwischenraum von meinen letzten Berichten bis zum Empfang der definitiven Instruktion unter die peinlichsten Perioden zu zählen sein dürfte, in welche ein Geschäftsmann nur kommen kann. Es galt das ganze moralische Gewicht der öffentlichen Meinung, es galt Bestimmungen, die in die Existenz des Staates tief eingriffen, es galt die Abwendung ungünstiger Absichten, welche die Gegner Baierns so gerne benutzt hätten, um die Kraft dieses Staates zu lähmen und das Mißlingen der scheinbar liberalen Grundsätze auf die Schuld der bayerischen Regierung wälzen zu können." Es fällt auf, daß Rechberg hier davon ausgeht, daß die Instruktion, auf die er so sehnlichst wartete, ihn berechtigte, unter den genannten allgemeinen Bedingungen die Bundesakte zu unterzeichnen. Das aber war in der Instruktion keineswegs direkt ausgesprochen. Vielmehr hatte Montgelas noch am 7. Juni an den Rand des Gutachtens von Zentner - in dem dieser nach den neuen schlechten Nachrichten Rechbergs bedauert hatte, daß man dem Gesandten wegen der vorgeschrittenen Verhandlungen leider keine rechtzeitig eintreffende Weisung mehr schicken könnte, und geraten hatte, sich der abwartenden Haltung Württembergs und Badens anzuschließen, geschrieben, daß Rechberg die Order erhalten habe, nicht zu unterzeichnen241 • Dies aber entsprach nun auch wiederum nicht den Tatsachen. Montgelas hatte sich in der Instruktion vom 3. Juni diesbezüglich nicht genau ausgedrückt. Rechberg mußte eher aus dem großen Lob für ihn, vor allem aber durch die Bemerkung in Montgelas' Begleitbrief, er solle sich die Ratifikation vielleicht noch ein wenig vorbehalten, entnehmen, daß er, wenn er seine wichtigsten Positionen halten würde, berechtigt sei, zu unterzeichnen. Das tat er denn auch. Es ist bezeichnend, daß Montgelas Rechberg deswegen in keiner Weise rügte oder auch nur andeutete, die Instruktion bzw. sein Begleitbrief sei anders gemeint gewesen. Es ist sicher, daß er hier ganz bewußt Rechberg die letzte Entscheidung und Verantwortung überlassen wollte, um sich selbst in jeder Beziehung einen Spielraum offenzuhalten. Sei es, um .bei 2U Zentner hatte am 7. Juni folgendes geschrieben: "Eine neue Instruktion wird dem k. Gesandten nicht mehr zugesandt werden können, da auf eine Unterzeichnung der entworfenen Akte gedrungen wird; indessen er ist nach diesen Bemerkungen bereits instuiert; enthält die unterzeichnete Akte wesentliche Abweichungen, so kann man sich noch dadurch helbfen, daß die Ratifikation nur bedingt ertheilt werde und die bestrittenen Punkte nach Frankfurt gewiesen werden." Neben diese Sätze schrieb dann Montgelas an den Rand, Zentner widersprechend, die Sätze: "Graf von Rechberg ist angewiesen, nicht zu unterzeichnen, und es ist sehr darüber nachzudenken, ob es nicht besser sei, die Ratifikation zu verweigern, da man noch zu viel im Wesentlichen differriert." Diese Behauptung Montgelas' trüft nicht zu. Von einer solchen direkten Anweisung ist weder in der Instruktion vom 3. Juni, die Zentner ja selbst mitunterzeichnete, noch in seinem Begleitbrief vom gleichen Tage die Rede. Dort heißt es nur, Rechberg solle die Ratifikation, wenn möglich, ein wenig hinauszögern ("ce qui pour laisser encore un peu de marge").Vgl. Anm. 200.
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der "Souveränität"
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einem möglichen unglücklichen Ausgang des Krieges wieder eine Umorientierung der bayerischen Politik, d. h. eine Wiederhinwendung in Richtung Frankreich, leichter zu vollziehen mit dem Hinweis, die bayerische Regierung habe den Beitritt zum Deutschen Bunde nicht goutiert, sondern dies sei eine eigenmächtige Handlung des Gesandten gewesen, sei es auch nur, um sich selbst nach allen Seiten abzusichern. Der wohl wichtigste Satz in Rechbergs Bericht vom 11. Juni ist der, in dem ersagt, daß "Bayern jetzt versöhnt mit Teutschland in seiner unantastbaren Souveränität dasteht". Der Satz enthält zweierlei. Zum einen den, wie schon gesagt, den inneren Stolz Rechbergs darüber, die entscheidende Aufgabe, die ihm von seiner Regierung übertragen worden ist, gegen größte Schwierigkeiten gelöst zu haben. Wenn er das Attribut "unantastbar" verwendet, so ist dies sicher eine der Euphorie des Augenblicks entspringende übertreibung. Rechberg gibt einige Zeilen weiter selbst zu, daß diese Souveränität nicht ganz unangetastet ist, daß er vielmehr hat Zugeständnisse machen müssen, und er beklagt deshalb sehr die Absonderung Badens und Württembergs von den letzten Verhandlungen, mit deren Unterstützung er wahrscheinlich viel mehr erreicht hätte 242 • Das ist die eine, man darf sagen, "offizielle" Aussage dieses Satzes, eine Auftragsvollzugsmeldung. Das andere große Verdienst, das sich Rechberg anrechnet, und das er primär nennt, ist, daß er Bayern mit Deutschland wieder versöhnt habe - daß es durch seine Anstrengungen in Wien wieder ein deutscher Staat geworden sei. Dies betont er in seinem Brief wiederholte Male. Hierin liegt zweifellos eine gewisse, indirekte Kritik an Montgelas, der bis zuletzt in Erwägung zog, dem Deutschen Bund überhaupt nicht beizutreten und europäische Politik auf eigene Faust zu machen. Damit war Rechberg nie einverstanden. Er stellt dagegen, daß nach seiner Meinung Bayern künftig seine Politik nur in und mit Deutschland machen könne, niemals ohne es. Wie er sich diese Politik vorstellt, deutet er ganz konkret an. Die Chance Bayerns sieht er in dem Dualismus der beiden Großmächte. Bayern stünde, so meint er, "als ein mäßiger, die kleineren Fürsten um sich versammelnder Staat da, der sich nicht blos ängstlich auf Österreich allein zu verlassen hat, sondern das Gegengewicht Preußens zu seinem Vortheil zu benutzen und in der Krisis eine dritte Parthey zu bilden imstande ist". zez "Es wäre freilich zu wünschen gewesen, daß die Höfe von Stuttgart, Karlsruhe und Dannstadt zur Zeit der Unterhandlungen mit Bayern in ein Conzert getreten wären und die von Bayern vertheidigten Rechte durch ihre Stimmen unterstützt hätten. Wieviel mehr durfte man von einer größeren Stimmenzahl erwarten!"
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11. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
überhaupt erhält der Bericht Rechbergs plötzlich eine ganz überraschende Wendung. Als nächstes stellt er, der doch die "Souveränität" in der Bundesakte durchgesetzt hat, fest, daß man sich allerdings darüber klar sein müsse, daß es keine volle Souveränität sein könne, weil diese zweifellos mit dem Bund unvereinbar sei. Er umschreibt es mit dem Satz, daß "die durch einen Bund zu erlangenden Vortheile nicht ohne Aufopferung einzelner Rechte erhalten werden können". Davon ist Rechberg fest überzeugt. Es klingt wie eine Aufforderung, ja fast Mahnung an die Regierung, in Zukunft eine kluge und ausgewogene Politik zu betreiben. Rechberg spricht auch von einer "Krisis", die bald auf den Bund zukommen könne. Er bekennt, daß er "keineswegs sicher" sei, ob der Bund lebensfähig sei und längere Zeit so bestehen werde, weil er "so locker gefaßt" sei. "Das Mangelhafte der ganzen Bundesakte und die schwachen Stellen derselben" seien nicht zu übersehen. Ganz offen sagt er: "Ob das vorliegende Produkt einige Dauer hoffen läßt? möchte ich in diesem gegenwärtigen Augenblick keineswegs bestimmen." Rechberg bedauert diese "Mangelhaftigkeit" sehr, denn er befürwortet den Bund, weil durch ihn allein nach seiner Meinung "die Befriedung der öffentlichen Stimmung in Deutschland" und "die Beruhigung der aufgeregten Gemüter, der Gährung im Volk, herbeygeführt" werden könne, ferner "die Aufrechterhaltung einer allgemeinen angesprochenen Nazionalität" durch ihn gegeben sei. Die Notwendigkeit des Bundes habe schließlich auch Württemberg eingesehen, dessen Bevollmächtigte, wie Rechberg sehr betont hervorhebt, "noch vorgestern in der Nacht (9. Juni) mit wahrer Ängstlichkeit nachsuchten, in den Bund aufgenommen zu werden". Mit besonderer Ausführlichkeit und Eindringlichkeit, ja mit offensichtlicher innerer Anteilnahme, schildert Rechberg die Verzweiflung und Resignation der Preußischen Bevollmächtigten angesichts der so locker gefaßten Bundesakte, wie sie durch Bayern mit Unterstützung Österreichs zustande gekommen ist. Hardenberg und Humboldt hätten sich "geschämt" in keiner Weise über ihren eingegangenen Verpflichtungen Wort halten zu können", und sie hätten ihn wiederholt inständig gebeten, nachzugeben, berichtet er: "Kanzler Hardenberg sagte mir, wenn wir Ihnen so viel nachgeben, daß die Bundesacte dadurch entstellt und keiner deutschen Unterthanen Erwartung ist, so setzen Sie uns doch wenigstens nicht in die Notwendigkeit, diesen Menschen (gemeint sind die Mediatisierten, denen Bayern die Curiatstimme verweigert) den letzten Schimmer von Hoffnung zu rauben." Nimmt man dieses Zitat, dazu noch eine ganze Reihe anderer angedeuteter Sympathiekundgebungen für Preußen, und seinen bereits angeführten Vorschlag, sich nicht bloß "ängstlich" auf Österreichs Seite zu stellen, sondern das Gegengewicht Preußen auszunutzen, so schält sich
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der "Souveränität"
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immer mehr die bisher nirgendwo erwähnte Tatsache heraus, daß der bayerische Gesandte beim Wiener Kongreß, der dort die Souveränitätsinteressen seiner Regierung gegen eine straffe Bundesverfassung so nachhaltig durchgesetzt hat, innerlich eine ganz andere Einstellung zum Bund gehabt hat als die, die er nach außen gemäß den Befehlen seiner Regierung vertrat. Rechberg war im Grunde im Innern auf der Seite Preußens und hätte den Bund persönlich eher lieber so gehabt, wie ihn Preußen wollte. Dies mag unwahrscheinlich und kaum glaubhaft erscheinen angesichts der letzten Ereignisse, vor allem den Vorbereitungen Preußens, Bayern auszuschließen - den dramatischen Auseinandersetzungen zwischen Rechberg und Humboldt in den letzten Konferenzen. Doch es ist so. Rechberg kämpfte dort nicht nur gegen Humboldt an, sondern auch gegen seine eigene überzeugung. Diese ist, daß Preußen eigentlich recht hat, wenn es dieses lockere Gebilde als kaum lebensfähig bezeichnet, und er bedauert aufrichtig vor allem Humboldt, der nach seiner Ansicht mit seinen vielen Vorschlägen und Plänen keineswegs nur eigenen Interessen gefolgt sei, sondern "um der teutschen Nazionalität willen" gehandelt habe. Die Verfolgung eigener Interessen sieht Rechberg vielmehr zumindest ebenso, wenn nicht noch mehr auf seiten Österreichs. Er hat inzwischen sehr genau darüber nachgedacht, warum Metternich, der ihm Preußen in mehreren Gesprächen unter vier Augen immer wieder als die große Gefahr dargestellt hat, so lange wartete, bis seine Instruktion eintraf und ihn dann derart unterstützte, daß er Montgelas' wichtigste Forderung, die Souveränität und die Verhinderung des Bundesgerichts, durchsetzen konnte. Und Rechberg ist immer klarer geworden: Österreich tat dies nicht für Bayern, sondern für sich selbst. Metternich konnte ja kaum etwas Schlimmeres passieren, als daß Bayern aus dem Bunde ausgeschlossen und doch noch eine Bundesverfassung auf der Grundlage des 12-Punkte-Programms zustandegekommen wäre. Zu einer solch engen nationalen Verfassung war Metternich nach der sächsischen Krise nicht mehr bereit. Wie aber hätte er gegenüber Preußen motivieren sollen, daß er jetzt auf einmal seine Zustimmung zu den Grundsätzen verweigerte, denen er im 12-Punkte-Programm vom Oktober 1814 noch beigepflichtet hatte? Wäre es bei seiner Weigerung nicht zu einer neuen Krise zwischen Österreich und Preußen gekommen, an der Metternich angesichts der außenpolitischen Lage gar nicht gelegen sein konnte? Er brauchte also jemand, um ihn zur Erreichung seiner eigenen Ziele und Interessen vorzuschieben. Und das war Bayern. Dies alles steht Rechberg bei der Niederschrift seines großen BilanzBerichtes vom 11. Juni 1815 nach München vor Augen. Er vergleicht die aktiven Bemühungen Preußens um den Bund mit der Haltung Österreichs, das seinen Bündnispartner, wo es konnte, angeschwärzt hat
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II. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
und einen festen Bund, trotz äußerer Vorspielung, gar nicht mehr beabsichtigte, weil es Preußen mißtraute. Es ist deshalb kein Wunder, daß Rechbergs Sympathien auf seiten Preußens liegen und nicht auf seiten Österreichs, das ihm zu seinem großen Erfolg verholfen hat. Erfolg? Empfindet Rechberg das Erreichte wirklich als Erfolg? Es scheint, als habe er, das Geschehen in Wien resumierend, auf einmal sehr zwiespältige Gefühle. "Somit wäre nun dies Geschäft erledigt", schreibt er zum Schluß sarkastisch243 • Es ist für ihn kein sehr schönes und befriedigendes Geschäft gewesen. K. o. von Aretin hat bei seiner Analyse der Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß augenscheinlich nicht entdeckt, daß Rechberg persönlich anders dachte, als er auftragsgemäß handelte und zum Schluß genau wußte, was dort von seiten Österreichs gespielt worden war. Er scheint die Haltung Rechbergs zum Bunde sogar sehr zu verkennen, wenn er schreibt, daß dieser den Bund ablehnte und ihm hauptsächlich deshalb zustimmte, weil er hoffte, durch ihn Gebietserweiterungen zu erlangen, was außerhalb des Bundes unmöglich gewesen wäre. Wörtlich führt Aretin aus, "daß auch Rechberg die Gebietserweiterung für ein so zentrales Problem hielt, daß er daneben die Stellung Bayerns innerhalb Deutschlands völlig übersah"m. Nach Aretin dachte Rechberg also in etwa wie Montgelas. Das Gegenteil ist der FalL In Wirklichkeit sagt Rechberg im ersten Teil seines Berichtes folgendes: "Man könnte zwar die Frage noch aufwerfen, ob es Bayerns Interesse nicht angemessen gewesen wäre, den chaotischen Zustand von Deutschland zu seiner Vergrößerung zu benützen und durch Trennung dasjenige zu bewirken, was Preußen auf den Fall des nicht zustandegekommenen Bundes bezweckte. Gegen diese Berechnung ergeben sich folgende Ansichten. In Niederteutschland steht Preußen eine reiche Ernte bevor und ehe im Süden durch gewaltsame politische Krisen günstige Conjektionen herbeygeführt werden könnten, hätte Preußen durch Verträge sich der Militär- und Finanzgewalt aller nordischen Staaten mit Ausnahme von Hannover und Sachsen bemächtigt. Schon dadurch verlöre Bayern negativ. Wenn man aber die jüngsten Erstehungen zu Rate zieht, so sind die Hoffnungen auf Erwerbungen so gering, so weit aussehend, daß vor allem nur an Erhaltung gedacht werden kann. Bayern eröffnete den Kongreß mit den schönsten Erwartungen; sie auf feyerliche Verträge gegründet und dennoch konnte nicht ein Dorf erworben werden. Ob mehr zu hoffen war, nachdem Preußen und Österreich mit der Hälfte Teutschlands in einen Bund getreten, die Garantie auch des kleinsten Staates übernommen und Bayern isoliert als Gegenstand des allgemeinen Miß243 und bedauert noch einmal verhalten Preußen: "Die preußiSchen Bevollmächtigten nahmen es auf sich... 2U Aretin: Die deutsche Politik, S. 51.
1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der "Souveränität"
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trauens mit unzulänglichen Kräften, um dieser Stimmung zu trotzen, hingestellt worden wäre? muß ich dem Scharfblick Eurer Königlichen Majestät anheimstellen." Hieraus geht doch hervor, daß Rechberg sich keine großen Hoffnungen auf Gebietsneuerwerbungen mehr machte, sondern daß es ihm, was das Territorium Bayerns betraf, hauptsächlich um die Erhaltung des erreichten Besitzes ging, die er am besten im Bunde gewährleistet sah. Das ist ein klarer Gegensatz zur Expansionspolitik Montgelas'. Rechbergs ganz eindeutig positive Haltung zum Bund wurde eben gezeigt. Hier liegt offensichtlich eine Fehl- oder zumindest irreführende Interpretation Aretins vor. Sonst aber hat Aretin die Politik Österreichs auf dem Wiener Kongreß nach der sächsischen Krise richtig gesehen, und ihm ist beizupflichten, wenn er auf Bourgoignes großen Irrtum hinweist245 , der geschrieben hat, daß kein Staatsmann die Macht besessen hätte, gegen die partikularen Mächte aufzukommen 246 • Metternich benutzte die partikularen Kräfte ja gerade dazu, die Bundesakte in seinem Sinne gegen Preußens Absichten zu gestalten. Aus den Akten der bayerischen Archive ergibt sich, daß sich Bayern bei energischem Vorgehen wohl auch einer strafferen Bundesverfassung gefügt hätte - man denke vor allem an Zentners Rückzug auf dem Höhepunkt der Krise. Als Österreich noch mit Preußen gemeinsam agierte, hatte Bayern einen sehr schweren Stand und es war sogar bereit, das mildere Kreiseinteilungsprojekt zu akzeptieren. Dann aber kam der Bruch zwischen Österreich und Preußen, und eine ganz andere österreichische Politik, die darauf abzielte, die befürchtete Vormachtstellung Preußens im Bund in jedem Fall zu verhindern. Es kamen die Intrigen Metternichs, vor allem aber seine beiden so locker gefaßten Verfassungsentwürfe: der ohne Kenntnis Preußens nach München gesandte Wessenberg-Entwurf und schließlich die darauf aufbauenden Metternichschen "Allgemeinen Umrisse", in denen beiden plötzlich das entscheidende Wort stand, auf das es Bayern am meisten ankam, das Metternich anfangs zusammen mit Preußen noch als "despotisch" verdammt und als "unvereinbar" mit dem Bunde mit allen Mitteln bekämpft hatte: das Wort "souverain". Zwar strich er es auf Betreiben Preußens wieder, aber Rechberg wußte doch, daß sich Metternich Bayerns wichtigster Forderung nicht entgegenstellen würde. Was auch geschah. Rechberg siegte mit indirekter Unterstützung Österreichs und meldete die Erreichung seiner ihm gestellten wichtigsten Aufgabe unter Punkt 1 nach München: "Das Wort Souveränität ist gegen den ausdrücklichen Widerstand größerer Mächte (womit allein Preußen gemeint ist) feyerlich ausgesprochen und !45 248
Aretin, S. 55. Bourgoigne: Vom Wiener Kongreß, S. 556.
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H. Die Souveränitäts-Politik Bayerns auf dem Wiener Kongreß
das Band so los als möglich geworden 247 ." Aus eigener Kraft hätte Bayern dies niemals erreicht.
Die Reaktion auf die Bundesakte in München Souveränitäts-Gutachten im Staatsrat In München wird die Nachricht von der Unterzeichnung der Bundesakte unterschiedlich aufgenommen. Montgelas beauftragt nach Eintreffen des Verfassungstextes und Rechbergs Bericht vom 11. Juni, auf dessen positive Haltung zum Bund, verbunden mit verhaltener Kritik an seiner eigenen Politik, er mit keinem Wort eingeht, sofort die einzelnen Mitglieder des Souveränitäts-Ausschusses im Staatsrat, einzelne Gutachten darüber anzufertigen, ob die von Rechberg unterzeichnete Akte in die Souveränität des bayerischen Staates eingreife 248 • Daran anschließend sollen sie ihre Stellungnahme abgeben, ob der König die Akte ratifizieren solle oder nicht. Den Bericht Rechbergs legt er bei. Er selbst gibt vorerst keinen Kommentar dazu ab. Alle Mitglieder des Ausschusses stellen zunächst übereinstimmend mit Genugtuung fest, daß die Bundesakte "sehr allgemein gefaßt" sei. In ihren weiteren Äußerungen ergeben sich jedoch sehr differenzierte Beurteilungen und Standpunkte. Am ausführlichsten äußert sich wie immer Zentner249 • Er beginnt sein Gutachten mit einem Lob für Rechberg, was im Hinblick auf dessen Kritik an der Politik Montgelas' bemerkenswert ist. Rechberg habe "sich bei den Unterhandlungen alle Mühe gegeben, aus der Acte jene Artikel zu entfernen, welche den Souverainetäts-Rechten hätten präjudizirlich werden können", schreibt er. Diejenigen Artikel, bei denen dies nicht ganz gelungen sei, habe er mit Erfolg "zu modifiziren" verstanden. Zentner stimmt Rechberg auch darin zu, wenn dieser alle Hoffnungen, sich durch Allianzpolitik ohne den Bund günstigere Verhältnisse für die Zukunft zu verschaffen, als illusorisch bezeichnet: "Es wäre in der That für Baiern sehr gewagt gewesen, wie der königliche Gesandte richtig gezeigt hat, für sich isoliert stehen zu bleiben, und es würde wahrscheinlich in die unangenehme Lage versetzt worden seyn, in welcher Württemberg sich gegenwärtig befindet." Auch diese Aussage ist bedeutsam, denn Zentner widerruft hier ohne Umschweife sein eigenes Gutachten vom 7. Juni, in dem er noch erklärt Bericht Rechbergs vom 11. Juni 1815, GSTA MA 11 1034. Edikt Montgelas vom Juni 1815, kein genaues Datum, GSTA MA 11 1034. 249 Gutachten Zentners vom 10. Juli 1815, Titel: "Ist Seiner Majestät dem Könige anzurathen, dieser Acte, so wie sie verfasst ist, die Allerhöchste Ratifikation zu ertheilen - und könnte diese noch verweigert werden?" GSTA MA II 1034. Die folgenden wörtlichen Zitate Zentners aus diesem Gutachten. 247 248
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hatte, daß er, wenn man Rechberg noch eine rechtzeitig eintreffende Instruktion schicken könne, dazu raten würde, es genau wie Württemberg und Baden zu machen und dem Bund nicht beizutreten. Er scheut sich nicht, klar zu bekennen, sich in der Beurteilung der Lage getäuscht zu haben, womit das persönliche Verdienst Rechbergs um so nachdrücklicher von ihm herausgestellt wird. Rechbergs Initiative und Entschlußkraft sei "nicht ohne guten Erfolg geblieben", wiederholt er. "Die dadurch entstandene Acte greift weit weniger in die Souveränität und die innere Verfassung der Länder ein, als die früheren Entwürfe." An den einzelnen Artikeln der Bundesacte hat Zentner kaum etwas auszusetzen. Bei Art. 6 hat er zwar Bedenken, daß der Schlußsatz250 "den Mediatisierten neue Hoffnungen zur Auferstehung geben" könne und "neue Intriguen veranlassen" könne, pflichtet dann aber Rechberg bei, daß die "Realisierung dieses Beisatzes in der Folge gehindert werden könne, da die Entscheidung darüber unanimia erfordert". Er gibt ihnen keinen Chance. In der Tat sind die Mediatisierten von der Bundesakte maßlos enttäuscht. Sie fühlen sich verraten und verkauft. In einer großen Denkschrift, die sie am 14. Juni dem Kongreß überreicht haben, und die von über 50 mediatisierten Häusern25 t, darunter auch vielen aus Bayern, unterzeichnet worden ist, haben sie "schmerzlichst" erklärt, daß die Bundesakte für sie, "die unterdrückten Reichsstände, keinen neuen Rechtszustand" bringe, sondern nichts anderes als "dictirte Normen, sich der Gewalt zu fügen". Sie haben deshalb "vor der ganzen Welt die Verwahrung eingelegt, daß sie sich den Umfang der Rechte und Befugnisse, wie der Besitzstand von 1805 solchen bezeichnet, für ewige Zeiten vorbehalten". Die Fürstin und Vormünderin Elisabeth zu Fürstenberg, geb. Fürstin von Thurn und Taxis, die Bayern bereits in einer großen Denk250 Der Schlußsatz des Art. 6 verschiebt die Entscheidung über die Stellung der Mediatisierten auf den Bundestag. Er lautet: "Oben den mediatisierten vormaligen Reichsständen auch einige Curiatstimmen im Pleno zugestanden werden sollen, wird die Bundesversammlung bei der Berathung der organischen Bundesgesetze in Erwägung nehmen." 251 U. a. haben die Schrift unterzeichnet: die Fürstin zu Leiningen, das Fürstliche Haus Hohenlohe, Carl Erbprinz zu Löwenstein Wertheim Freudenberg, die Hochfürstlichen und Hochgräflichen Häuser Schwarzenberg, WindischGraez, Sinzendorf, Wied-Neuwied, Wied-Runkell, Salm-Reifferscheid, Bentheim-Tecklenburg, Rheda, Wittgenstein, Wittgenstein Berlenburg, die Isenburgschen Häuser, Stollberg Ortenburg, Schlitz genannt Görz, Erbachsche Häuser, Rechtem Limpurg, CasteIl, Schönburg Wiesentscheid, Ortenburg Tambach, Oettingen-Wallerstein, Fugger, Waldburg-Zeil-Trauchberg, WaldburgWolfeck, Königseck Aulendorf und Schäßberg, Graf August von Törring-Guttenzell. Abschrift der Denkschrift in GSTA MA II 1041. Die Hier verzeichneten Unterschriften mediatisierter Häuser in Bayern widerlegen Aretins Behauptung, diese hätten nicht gegen die Bundesakte protestiert, die auf Bayerns Initiative so negativ für sie ausfiel, sondern sich "eingeordnet" (S. 63). Oettingens Unterschrift unter diese Protesterklärung besagt etwas anderes.
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schrift im Verlauf der Verhandlungen angegriffen hat, hat in einer Protestschrift am 10. Juni 252 sogar erklärt, daß "das Schicksal, das über die ehemaligen Reichsstände beim Kongreß entschieden worden" sei, "bei aufmerksamer Prüfung noch härter als jenes" sei, "welches ihnen durch die Rheinbundakte bereitet worden". Rechberg schickt beide Denkschriften mit einem kurzen Begleitschreiben am 15. Juni nach München. Zu Artikel 10 253 der Bundesakte meint Zentner, daß es hinsichtlich seiner Auslegung auf der Bundesversammlung noch sehr viele Auseinandersetzungen geben und Bayern noch schwer um seine Souveränität zu kämpfen haben werde. Er weiß nur zu gut, daß die meisten Staaten des Bundes mit Preußen an der Spitze die Grundgesetze des Bundes viel enger abgefaßt sehen wollen als Bayern: "Sie wünschen für Deutschland nicht blos eine völkerrechtliche Föderation im Sinne von Baiern, sondern eine förmliche Staats-Reichs-Verfassung." Sie werden nach Ansicht Zentners, der die Protokolle der preußischen, hannoverschen und luxemburgischen Eingaben aufmerksam studiert hat, "sicher zu den früheren preußischen Plänen zurückkommen". Zentner sieht hier also sehr genau den kommenden Konflikt auf der Bundesversammlung zwischen Montgelas, der auf dem in der Bundesakte stehenden Wort "souverain" pochen wird und den anderen Bundesstaaten unter Führung Preußens, die dem Bund feste, verbindliche Staats-Grundgesetze geben wollen, voraus. Daß in Artikel 11m eines der wichtigsten Souveränitätsrechte, "das Bündnisrecht glücklich gerettet ist", freut Zentner sehr, auch wenn es realiter eingeschränkt ist. Die rechtliche Fixierung ist das Entscheidende. worauf es ihm ankommt. Die Abwendung des Bundesgerichtes hält er in gewisser Hinsicht durch die im gleichen Artikel genannte "Austrägalinstanz" zwar für "erreicht", rät aber trotzdem weiter zu größter Vorsicht: "Nur muß sehr gewacht werden, damit nicht aus der Organisation des Aufträgalgerichts in der That ein Bundesgericht entstehe." Bei den besonderen Bestimmungen der Bundesakte, den Artikeln 12 - 20, unterstreicht Zentner Rechbergs gelungenes Bemühen, diese vom ersten Teil der Bundesakte abzuheben. Es handele sich hier, betont er, um "innere Verfassungs- und Verwaltungsgegenstände", die eigentlich überhaupt nicht "Bestimmungen" oder "Verfügungen" genannt werden dürften. Vielmehr seien es "Erklärungen der deutschen Souveräne als Abschrift dieser Protestschrift ebenfalls in GSTA MA H 1041. "Art. 10: "Das erste Geschäft der Bundesversammlung nach ihrer Eröffnung wird die Abfassung der Grundgesetze des Bundes und dessen organische Einrichtung, in Rücksicht auf seine auswärtigen, militärischen und inneren Verhältnisse seyn." 254 Art. 11, Abs. 3: "Die Bundesglieder behalten zwar das Recht der Bündnisse aller Art, verpflichten sich jedoch, in keine Verbindungen einzugehen, welche gegen die Sicherheit des Bundes, oder einzelne Bundesstaaten gerichtet wären." UZ
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1. Bayerns Rolle bei der Fixierung der "Souveränität"
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verbindliche Grundlagen der künftigen Verfassung und Verwaltung ihrer Länder". Wie sorgfältig der Jurist Zentner den Text der Bundesakte durchleuchtet und genauestens auf Formulierungen achtet, zeigt sich besonders auch bei seinen Bemerkungen zu Artikel 14. Mit dem Absatz a) dieses Artikels, in dem "die mittelbar gewordenen ehemaligen Reichsstände und Reichsangehörigen" zum "hohen Adel in Teutschland" gezählt werdenl!56, ist er nicht einverstanden. Zentner: Diese Bezeichnung müsse ein für allemal der Vergangenheit angehören, sobald alle Mediatisierten "unwiderruflich in das Unterthans-Verhältnis getreten" wären: "Ein hoher Adel (unterstrichen) in Deutschland kann nur bei den regierenden Dynastien gesucht werden, aller übrige Adel besteht nicht in Deutschland, sondern in den einzelnen deutschen Staaten." Diese Begriffe sollten die Publizisten "künftig berichtigen". Ungeachtet dieses Einwands zollt Zentner Rechberg jedoch nochmals Lob und rät deshalb am Schluß seines Gutachtens zur Ratifikation der Bundesakte. Sie beinhalte für Bayern "den Vortheil einer wiederholten Anerkennung seiner Souveränität und der Integrität seiner gegenwärtigen Besitzungen". Mehr sei unter den gegebenen Voraussetzungen nicht zu erreichen gewesen. Er wiederholt fast wörtlich das Fazit Rechbergs. Daß Zentner Rechberg derart unterstützt, ist erstaunlich. Indirekt könnte man diese Unterstützung vielleicht als eine gewisse Abkehr von Montgelas werten, dessen Gefolgsmann und Sprachrohr er bisher gewesen ist. Montgelas' Konzept der selbstgewählten Allianzen kann Zentner nun kaum mehr unterschreiben. Hier hat Rechberg für ihn die eindeutig besseren und fundierteren Argumente. Das Drängen Württembergs, nun nachträglich so schnell wie möglich in den Bund aufgenommen zu werden, haben Rechbergs Handeln auf das eindrucksvollste unterstrichen. Zentner macht deshalb auch in keiner Weise irgendwelche Anmerkungen zu der vorsichtigen Kritik Rechbergs an Montgelas' bisherigen Kurs und an der Warnung, diesen Kurs weiter zu verfolgen, obwohl sich diese Kritik und Warnung doch auch gegen ihn selbst richtet, den bisher führenden und einflußreichsten Ratgeber des dirigierenden Ministers. Statt dessen äußert er Anerkennung für Rechberg, dessen Eigeninitiative und staatsmännisches Handeln dem intellektuellen Rechtswissenschaftler und -theoretiker Zentner, der bisher nur beratende Funktionen ausgeübt, aber bisher nicht selbst aktiv in einer entscheidenden politischen Auseinandersetzung gestanden hat, große Achtung und Respekt einflößen. 255 " ••• a) daß diese fürstlichen und gräflichen Häuser fortan nichts desto weniger zu dem hohen Adel in Teutschland gerechnet werden, und ihnen das Recht der Ebenbürtigkeit in dem bisher damit verbundenen Begriff verbleibt."
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Kein Wort sagt Zentner auch zu den geradezu "revolutionären" Passagen in Rechbergs Bericht, in denen dieser seiner wahren Meinung über die Bundesakte Luft macht, offen von ihrer "Mangelhaftigkeit" spricht und seiner Erleichterung Ausdruck gibt, dieses "Geschäft", bei dem er so nachhaltig vor allem hinter die zwielichtigen politischen Kulissen Österreichs geschaut hat, nunmehr "beendigt" zu haben. Aber dieses Schweigen sagt wohl auch etwas aus. Bezeichnend ist, daß Zentner im folgenden - wenn auch nicht sehr lange Zeit - manchmal ausgesprochen freundliche Worte in Richtung Preußen findet, freundlichere als in Richtung Österreich, das den Wünschen der bayerischen Regierung nach einer möglichst losen Bundesakte doch so sehr entgegengekommen ist. Er ist, so scheint es, im Augenblick fast im Zweifel, wo er steht und künftig stehen soll. Dazu paßt auch, daß er nur ganz allgemein, fast verhalten, feststellt, auf Bayern werde in der Bundesversammlung gewiß einiges zukommen, da die meisten anderen Staaten den Bund ganz anders sehen wollten - und nicht, wie es sonst sicher geschehen wäre, Preußen direkt als zukünftigen großen Gegner Bayerns anvisiert. Ganz anders als Zentner äußern sich Thürheim und Krenner. Beide raten zwar auch, die Bundesakte zu ratifizieren, stellen ihre sonstigen Bemerkungen aber sehr kritisch auf den Begleitbrief Rechbergs vom 11. Juni ab. Mit Erstaunen haben sie dessen Inhalt zur Kenntnis genommen: daß Rechberg den Bund positiv befürwortet und neben der Kritik an der bisherigen Haltung der Regierung dem dirigierenden Minister dringend abrät, in Zukunft keine Politik mehr ohne den Bund machen zu wollen. Diese Äußerungen erscheinen Thürheim und Krenner nahezu als Affront gegen die Regierung, sie müssen nach ihrer Meinung unweigerlich Konsequenzen für den Gesandten nach sich ziehen. Im ganzen Staatsrat weiß man doch, daß Montgelas den Bund nach wie vor ablehnt. Beide, sowohl Thürheim als auch Krenner, sind deshalb sehr bemüht, den vermeintlich höchst verärgerten Montgelas möglichst nicht noch mehr zu reizen. Vor allem Thürheim glaubt den richtigen Ton zu treffen, wenn er zunächst vorsichtig anführt, es scheine wohl angesichts der Umstände in Wien nicht möglich gewesen zu sein, "für das Interesse Bayerns mehr zu erwirken"258, und dann voll größten Bedauerns konstatiert: "Das höchste Ziel, die am meisten lohnenden Bemühungen, konnte Bayern in Wien (unterstrichen) nicht erreichen - der Abschluß der Bundesakte ließ sich nicht verhindern." Er versucht Montgelas dann darüber hinwegzubringen, indem er gleich darauf hinweist, daß die einzelnen Artikel jedoch glücklicherweise "so allgemein, unbestimmt und 258 Gutachten Thürheims vom 15. Juni 1815, GSTA MA II 1034; die folgenden wörtlichen Zitate Thürheims aus diesem Gutachten.
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incohärent gefasst (seien), daß man sich ohne Anstand jeder lästigen Verbindlichkeit entziehen und vielleicht in einem günstigen Augenblick unter einem scheinbaren Vorwand von dem Bund lossagen kann". Dabei unterstreicht er ganz betont, in Wien sei dies leider nicht zu erreichen gewesen. Mit anderen Worten: vielleicht gelingt es in Frankfurt. Wel