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German Pages 590 [610] Year 2010
Sound-Engineering im Automobilbereich
Klaus Genuit (Hrsg.)
Sound-Engineering im Automobilbereich Methoden zur Messung und Auswertung von Geräuschen und Schwingungen
13
Herausgeber Prof. Dr.-Ing. Klaus Genuit HEAD acoustics GmbH Ebertstr. 30a 52134 Herzogenrath Deutschland [email protected]
Ergänzendes Material zu diesem Buch finden Sie auf http://extras.springer.com. ISBN 978-3-642-01414-7 e-ISBN 978-3-642-01415-4 DOI 10.1007/978-3-642-01415-4 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb. d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010 Kapitel 6.3. Umströmungsgeräusche und 8.5.2. Hohlspiegelmikrofone hat abweichend hiervon © Martin Helfer 2010 mit freundlicher Genehmigung an Springer-Verlag Kapitel 10.1. Möglichkeiten der akustischen Berechnung hat abweichend hiervon © Otto von Estorff 2010 mit freundlicher Genehmigung an Springer-Verlag Kapitel 10.2. Numerische Berechnung der Aeroakustik von Fahrzeugen hat abweichend hiervon © Reinhard Blumrich 2010 mit freundlicher Genehmigung an Springer-Verlag Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www. springer.com)
Vorwort
Das Sound-Engineering im Automobilbereich ist als so genannte Fahrzeugakustik ein Verbindungsglied zwischen der Physik, bestimmt durch konstruktive Merkmale (Anregungen und Kopplungen), und der Psychologie, ausgedrückt im akustischen Komfort und Wohlbefinden.
Die Akustik in Verbindung mit den wahrnehmbaren, gefühlten Schwingungen (NoiseVibration-Harshness (NVH)) ist als ein Baustein erfolgreicher Fahrzeugentwicklung zu sehen. Dabei kommen im Kontext gesellschaftlichen Wandels immer wieder neue Qualitätskriterien auf, die in der Fahrzeugentwicklung berücksichtigt werden müssen. Waren ursprünglich pragmatische, sachbezogene und funktionale Kriterien von entscheidender Bedeutung, kamen in den letzten Jahren zunehmend emotionale und gefühlsbetonte Ansprüche und Wünsche auf. Leidenschaft, Emotion, Fahrfreude und Geborgenheit wurden zentrale Leitmotive für die Bewerbung von Automobilprodukten und ergänzten oder ersetzten gar die Darstellung von sachlichen Leistungsangaben. Aufgrund aktueller sozio-politischer Veränderungen und umweltpolitischer Diskussionen rücken nun verstärkt ökologiebezogene Kriterien zur Beurteilung von Fahrzeugen in den Vordergrund. Der erneute Paradigmenwechsel zeigt sich wiederum in der Veränderung der Leitmotive; umweltfreundlich, emissionsarm und effizient sind die neuen Schlagwörter. Die EU-Abgasbestimmungen erfordern eine enge Zusammenarbeit von Motorenherstellern bei gleichzeitiger Effizienzsteigerung im Spannungsfeld hoher Umweltverträglichkeit. Die Automobilwelt verändert sich grundlegend und neue Konzepte werden verlangt. Gefordert werden Downsizing, kleinere, leichtere und schwächer motorisierte Fahrzeuge, Hybridantrieb und vollständige Elektrotraktion. Zunehmende Anforderungen bezüglich zulässiger Emissionen führen dabei zu Veränderungen der Motoren, die gleichzeitig das NVH-Anregungsverhalten mageblich (und in der Regel ungünstig) beeinflussen. Leider nimmt das Thema NVH nicht immer eine zentrale Rolle in der Fahrzeugentwicklung ein. Gerade im Rahmen neuer Antriebskonzepte kann eine Vernachlässigung des Themenschwerpunkts NVH die Akzeptanz neuer Technologien nachhaltig gefährden. Darüber hinaus rückt das aktive Gestalten der Fahrzeugakustik vermehrt in den Fokus, wobei gerade im Rahmen von Hybrid- und Elektrofahrzeugen akustische Feedbacks ge-
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Vorwort
neriert und völlig neu gestaltet werden müssen. Konzeptionell scheint von der Optimierung gegebener Geräuschquellen (Erhalt der Authentizität) bis hin zur völligen künstlichen Kreation des Fahrgeräuschs alles möglich. Es müssen daher auf die folgenden Fragen zuverlässige Antworten erarbeitet werden: • • • •
Was möchte der Kunde hören? Wie wird der gewohnten akustischen Orientierung im Fahrzeug Rechnung getragen? Auf welche Geräusche möchte der Kunde nicht verzichten? Soll ein Kunde gemä seiner individuellen Bedürfnisse aktiv das Fahrzeuggeräusch beeinflussen können? • Wie muss das Fahrzeugauengeräusch beschaffen sein (z. B. in Hinblick auf Fugängerschutz, Lärmschutz, Corporate Sound)? • Welche nicht-antriebsbezogenen Geräusche treten in den Vordergrund und müssen eventuell vermieden bzw. speziell gestaltet werden? Sollen zufrieden stellende Antworten auf die genannten Themen gefunden werden, darf die Wahrnehmung von akustischem Komfort und Geräuschqualität im Kontext Kraftfahrzeug nicht auf einige physikalische Messgröen reduziert werden. Fahrer beurteilen Fahrzeuge nicht auf Basis von isolierten, voneinander unabhängigen Sinnen in vereinfachten Kontexten. Vielmehr wird das Objekt Fahrzeug interaktiv und multi-sensuell, ganzheitlich erfahren und auf Basis der vielschichtigen Empfindungen bewertet. Dabei unterscheiden Kunden nicht zwischen den einzelnen Sinnen, geben Einzelnoten für spezifische Kategorien und leiten aus den einzelnen Noten summative Gesamturteile ab. Ein Kunde entwickelt vielmehr eine Qualitätsempfindung für ein Fahrzeug auf Basis vielfältiger, untrennbar miteinander verflochtener sensorischer Eindrücke, die spezifischen Interaktionseffekten unterliegen. Die Beurteilung von Fahrzeuggeräuschen gewinnt noch eine weitere Dimension, wenn der Hörer die Fahrsituation nicht nur miterlebt, sondern interaktiv beeinflussen kann. Eine Trennung von verschiedenen akustikbezogenen Bereichen, wie NVH, Bremse, Squeak und Rattle (S&R), auch in Hinblick auf die einzelnen Entwicklungsphasen von der Konzeption über die Planung, Entwicklung bis hin zur Produktion und End-of-Line Tests (EoL) ist nur begrenzt sinnvoll und birgt gewisse Risiken. Dirigierende Mechanismen sind dringend erforderlich, um die Stimmigkeit und Harmonie des Gesamtkonzepts sicherzustellen und bei der Ausführung kontinuierlich zu überprüfen. Die Geräuschgestaltung zur Verbesserung des Gesamtcharakters ist und bleibt auch in Zukunft elementar. Stil, Charakter und hohe Wertanmutung sind nur durch ein stimmiges, ausgewogenes und beständiges Gesamtbild zu erreichen. Ein hohes Gesamtkomfortniveau ist für eine hohe empfundene Qualität von zentraler Bedeutung. Ganzheitliches Denken und Planen ist erforderlich, damit das finale Produkt ein stimmiges und harmonisches Erscheinungsbild abgibt. Es ist unzureichend, alle akustischen Aspekte gemä definierter Richtlinien und Vorgaben einzeln zu optimieren; die Akustik eines Fahrzeugs muss sich vor allem im Zusammenspiel aller Geräusche bewähren. Kunden interessieren sich nicht für eingehaltene akustische Grenzwerte, vielmehr möchte der Fahrer adäquat akustisch unterhalten werden. Dabei ist gleichermaen dem Punkt „Corporate Sound“ als auch den Aspekten moderner Bedürfnisse und aktuellem Lifestyle Rechnung zu tragen.
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Vorwort
Zur Bewältigung neuer Herausforderungen und zur Erfüllung von steigenden Komfortansprüchen bei zunehmenden Wettbewerbsdruck müssen daher geeignete Mess- und Simulationswerkzeuge sowie kombinierte Verfahren entwickelt und eingesetzt werden, um schwingungstechnische Probleme zielgerichtet zu vermeiden und bereits in frühen Entwicklungsphasen den Grundstein für ein hohes Komfortniveau zu legen.
Gezielte Komposition von Sound anstatt nur Reaktion auf Geräusche.
Damit lässt sich ebenfalls aktives Sound Design realisieren; d. h. konzeptionelles Gestalten der Akustik anstatt nur Reagieren auf unerwünschte, ungewollte Geräusche (engl. troubleshooting). Der Einsatz innovativer Werkzeuge und Verfahren ist und bleibt unabdingbar, da die Befriedigung der emotionalen Bedürfnisse der Fahrer (in Hinblick auf Komfort, Fahrvergnügen, empfundene Sicherheit oder Design) trotz aller Umweltdiskussionen und Bemühungen zur Emissionsreduktion obligatorisch und zwingend erforderlich bleibt. Die Erfüllung von „Umweltauflagen“ und die Bedienung ökologischer Wünsche sind notwendige aber nicht hinreichende Kriterien für den Erfolg zukünftiger Automobile. Fahrzeugakustik und Sound Design sind mehr denn je von auerordentlicher Bedeutung. „Empfundene Qualitätsprobleme“ werden nach wie vor eine magebliche Rolle spielen, und dabei fällt die Wahrnehmung von Fahrzeuggeräuschen und Vibrationen besonders ins Gewicht. Geräusche werden permanent bewusst oder unbewusst registriert und interpretiert. Stimmt dabei das gehörte Fahrgeräusch nicht mit den Erwartungen des Fahrers überein, werden unmittelbar Defekte, Schäden oder Mängel vermutet. Der empfundene Qualitätseindruck sinkt und der Kunde ist unzufrieden. Ein Fahrzeug wird also nicht nur gefahren, es wird – auch bei zukünftigen neuartigen, alternativen Antrieben – multisensorisch erlebt und danach bewertet. Die Ingenieure im Automobilbereich stehen aufgrund der in Zukunft zu erwartenden stärkeren Elektrifizierung der Antriebe am Rande einer erstmaligen und vielleicht auch einzigartigen Revolution in der Aufgabenstellung hinsichtlich der Optimierung von akustischen und schwingungstechnischen Anforderungen an das Produkt Kraftfahrzeug. Nach einer über 120-jährigen kontinuierlichen Entwicklung im Automobilbereich, in der der Verbrennungsmotor sukzessive optimiert worden ist, kommen in der Zukunft neue Antriebs- und Energieversorgungskonzepte auf die Ingenieure im Automobilbereich zu, die einer völlig anderen Betrachtungsweise bedürfen. Dieses Buch soll mit einen Beitrag dazu leisten, die Herausforderungen an die Kfz-Entwickler zu verstehen und Lösungsansätze zur Bewältigung bereitzustellen. Klaus Genuit HEAD acoustics GmbH, Herzogenrath
Inhalt
1 G rundlagen der Fahrzeugakustik ....................................................................... Michael Vorländer
1
2 D as menschliche Gehör und Grundlagen der Psychoakustik .......................... Klaus Genuit und Roland Sottek
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3 A kustikgestaltung in der Fahrzeugentwicklung ............................................... Bernd Pletschen
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4 B ewertung von Fahrzeuggeräuschen ................................................................. 109 Klaus Genuit, Brigitte Schulte-Fortkamp, André Fiebig und Michael Haverkamp 5 C harakterisierung von Störgeräuschen ............................................................. 183 Klaus F. Steinberg 6 W esentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung ................................................................................................ 205 Klaus Engel, Bernhard Snitil, Klaus Wolff, Rainer Handel, Jan Krüger, Frank Gauterin, Martin Helfer und Otto Brass 7 F ahrzeug-Außengeräusch ................................................................................... 317 Klaus Genuit 8 M essung und Analyse .......................................................................................... 339 Hartmut Bathelt, Michael Scheinhardt, Hendrik Sell, Roland Sottek, Sandro Guidati und Martin Helfer 9 G eräuschgestaltung .............................................................................................. 427 Bernhard Pfäfflin, Hans-Martin Gerhard, Peter Ehinger, Rudolf Herrmann, Hartmut Bathelt, Michael Scheinhardt und Jan Krüger
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Inhalt
10 Simulation und virtuelle Realität ..................................................................... 501 Otto von Estorff, Marian Markiewicz, Ali Özkan, Olgierd Zaleski, Reinhard Blumrich, Klaus Genuit und André Fiebig Sachverzeichnis .......................................................................................................... 577
Autoreninformation
Prof. Dr.-Ing. Klaus Genuit HEAD acoustics GmbH, Ebertstr. 30a, 52134 Herzogenrath, Deutschland E-Mail: [email protected]
Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Hartmut Bathelt Akustikzentrum GmbH, Gerokstr. 70, 70184 Stuttgart, Deutschland E-Mail: [email protected]
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Autoreninformation
Dr. Reinhard Blumrich Bereich Fahrzeugakustik und -schwingungen, FKFS – Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart, Leiter Berechnung Akustik, Projektkoordinator Windkanalplanung, Pfaffenwaldring 12, 70569 Stuttgart, Deutschland E-Mail: [email protected]
Dr. Otto Brass Electrical Drives, Engineering Technical Services, Robert Bosch GmbH, Postfach 1163, 77813 Buehl, Deutschland E-Mail: [email protected]
Dr. Klaus Engel Powertrain Product Engineering PT-NVH, Adam Opel GmbH, 65423 Rüsselsheim, Deutschland E-Mail: [email protected]
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Autoreninformation
Prof. Dr.-Ing. Otto von Estorff Technische Universität Hamburg-Harburg, Institut für Modellierung und Berechnung, Denickestrae 17, 21073 Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected]
André Fiebig, MA HEAD acoustics GmbH, Ebertstr. 30a, 52134 Herzogenrath, Deutschland E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. rer. nat. Frank Gauterin Institut für Fahrzeugsystemtechnik, Institutsleitung (Sprecher), Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Kaiserstrae 10, 76131 Karlsruhe, Deutschland E-Mail: [email protected]
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Autoreninformation
Dr.-Ing. Sandro Guidati HEAD acoustics GmbH, Ebertstr. 30a, 52134 Herzogenrath, Deutschland E-Mail: [email protected]
Rainer Handel Leiter Akustik und Berechnung (BD1SEA), MAHLE Filtersysteme GmbH, Pragstr. 54, 70376 Stuttgart, Deutschland E-Mail: [email protected]
Dr.-Ing. Michael Haverkamp Fachbuchautor und Dozent für multisensuelles Design an der Köln International School of Design KISD, Leiter Bremsenakustik bei der Ford Werke GmbH Köln, 50725 Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] URL: www.michaelhaverkamp.de
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Autoreninformation
Dr.-Ing. Martin Helfer Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart (FKFS), Abteilungsleiter Fahrzeugakustik und -schwingungen, Pfaffenwaldring 12, 70567 Stuttgart, Deutschland E-Mail: [email protected]
Dr.-Ing. Jan Krüger, MSc J. Eberspächer GmbH & Co. KG Leiter Grundlagenentwicklung Akustik, Abgastechnik Eberspächer Str. 24, 73730 Esslingen, Deutschland E-Mail: [email protected]
Dr.-Ing. Marian Markiewicz Novicos GmbH, Kasernenstrae 12, 21073 Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected]
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Autoreninformation
Dipl.-Ing. Ali Özkan Abteilung: Schwingungstechnik und Akustik, Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG, Tätigkeitsbereich: Strukturdynamik und Karosserieakustik, Porschestrae, 71287 Weissach, Deutschland E-Mail: [email protected]
Dr. Bernhard Pfäfflin Leiter Entwicklung Schwingungstechnik und Akustik, Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG, Porschestrae, 71287 Weissach, Deutschland E-Mail: [email protected]
Dr.-Ing. Bernd Pletschen Leiter NVH, Fahrkomfort, Aerodynamik, Mercedes-Benz Cars Development, Daimler AG, HPC X302, 71063 Sindelfingen, Deutschland E-Mail: [email protected]
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Autoreninformation
Dipl.-Ing. Michael Scheinhardt Head of Acoustic Lab. Gundernhausen, Rieter Automotive Germany GmbH, Im Mittelbruch, Postfach, 64380 Rossdorf-Gundernhausen, Deutschland E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Brigitte Schulte-Fortkamp Technische Universität Berlin, Institut für Strömungsmechanik und Technische Akustik, Psychoakustik und Lärmwirkung, Einsteinufer 25, 10587 Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]
Dr. Hendrik Sell Vibracoustic GmbH & Co. KG, SET/Leiter Akustik, Fahrzeugversuch & NVH Nfz, Hörstener Strae 45, 21079 Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected]
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Autoreninformation
Dipl.Ing. Bernhard Snitil TIE Engine Airborne Noise, IDTC Noise & Vibration, Adam Opel GmbH, 65423 Rüsselsheim, Deutschland E-Mail: [email protected]
Dr.-Ing. Roland Sottek HEAD acoustics GmbH, Ebertstr. 30a, 52134 Herzogenrath, Deutschland E-Mail: [email protected]
Klaus F. Steinberg ehem. BMW F & E, Eibenweg 1, 85419 Mauern, Deutschland E-Mail: [email protected] URL: www.7senses.org
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Autoreninformation
Prof. Dr. rer. nat. Michael Vorländer Institut für Technische Akustik, RWTH Aachen University, 52056 Aachen, Deutschland E-Mail: [email protected]
Klaus Wolff FEV Motorentechnik GmbH, Neuenhofstr. 181, 52078 Aachen, Deutschland E-Mail: [email protected]
Dr.-Ing. Olgierd Zaleski Novicos GmbH, Kasernenstrae 12, 21073 Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected]
Grundlagen der Fahrzeugakustik
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Michael Vorländer
1.1 Akustische Grundbegriffe In der Fahrzeugakustik finden sich Probleme der Ausbreitung von Schwingungen und Luftschall in vielfältigen Zusammensetzungen. Allein die unterschiedlichen Quellen der Geräusche bedürfen einer detaillierten Betrachtung, und Fragen der Ausbreitungswege und Kopplungen bis hin zur Beurteilung des resultierenden Schalls „am Fahrerohr“ sind nur auf Grundlage einiger elementarer physikalischer Gegebenheiten zu behandeln. Somit müssen die akustischen Phänomene der Wellenausbreitung, die Zusammensetzung der Schallsignale sowie die Signalcharakteristika selbst analysiert und beurteilt werden. Schall ist eine mechanische Wellenerscheinung in fluiden oder festen Stoffen. Man benennt die wichtigsten Untergebiete der Akustik folglich Luftschall, Wasserschall und Körperschall. Dementsprechend lässt sich aus den dynamischen Gesetzen des Mediums eine Schwingungs- und Wellendifferentialgleichung ableiten, die Grundlage aller linearen Schallvorgänge ist. Diese physikalischen Voraussetzungen und die eindimensionale Wellengleichung sowie deren dreidimensionale Verallgemeinerung werden in diesem Abschnitt vorgestellt.
1.1.1 Schallfeldgleichungen und Wellengleichung Die wichtigsten Schallfeldgröen bei Schallausbreitung in Luft sind der Schallwechseldruck p (kurz: Schalldruck) und die Schallschnelle v. Darunter versteht man die in einer Schallwelle auftretenden, orts- und zeitabhängigen Schwankungen des Luftdrucks und die Geschwindigkeit, mit der die Teilchen des Mediums um ihre Ruhelage schwingen (s. Abb. 1.1 und Tab. 1.1).
M. Vorländer () Institut für Technische Akustik, RWTH Aachen University, 52056 Aachen, Deutschland E-Mail: [email protected] K. Genuit (Hrsg.), Sound-Engineering im Automobilbereich, DOI 10.1007/978-3-642-01415-4_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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M. Vorländer
Abb. 1.1 Mikroskopischer Blick in ein Medium mit Schall. Links: Schallquelle zur Erzeugung einer ebenen Welle, die sich nach rechts ausbreitet
Tab. 1.1 Grundgröen der Akustik Größe
Übliches Symbol
Einheit
Schalldruck Schallschnelle
p v
[Pa = N/m ] [m/s]
Größenordnung (in Luft) 2
20 μPa … 20 Pa 50 nm/s … 50 mm/s
Beide sind als Funktionen von Frequenz f und Zeit t verknüpft durch die Schallfeldgleichungen
grad p = 0
div v =
∂v ∂t
1 ∂p , 0 c2 ∂t
(1.1)
(1.2)
mit ρ0 = Ruhedichte der Luft, c = Schallgeschwindigkeit, aus denen sich durch Eliminieren der Schallschnelle v die Wellengleichung
p
1 ∂ 2p 1 2 p¨ c2 ∂t 2 c
(1.3)
gewinnen lässt1. Die Schallgeschwindigkeit c der Luft beträgt ( θ ist die Temperatur in °C) c (331,4 + 0,6 ) m/s. 1
(1.4)
Auer für den Druck weisen in einer Schallwelle auch alle anderen Zustandsgröen der Luft (Dichte, Temperatur) entsprechende Schwankungen auf.
1
Grundlagen der Fahrzeugakustik
3
1.1.2 Elementare Wellenformen Für die Akustik ist das Verständnis einiger elementarer Feldformen wichtig. Für einfache Wellenfelder – die ebene Welle und die Kugelwelle – werden in diesem Abschnitt die Lösungen der Wellengleichung in Form von harmonischen Wellen in Luft abgeleitet. Begriffe der Schallgeschwindigkeit, der Schallintensität, der Energiedichte und des „Schalldruckpegels“ werden eingeführt, sowie einige elementare Gesetze der Schallreflexion. Ebene Welle Hängt der momentane Zustand in einer Schallwelle nur von einer einzigen Richtung, etwa der x-Richtung ab, so spricht man von einer ebenen Welle. Sie lässt sich immer darstellen durch p(x, t) = f (x ct) + g(x + ct),
(1.5)
wobei f und g beliebige, durch die Art der Schallerregung gegebene Funktionen sind. Der erste Term der rechten Seite stellt eine Störung (Schallwelle) dar, die sich mit der Geschwindigkeit c unter Beibehaltung von Form und Stärke in Richtung der positiven xAchse ausbreitet; entsprechend ist g ein Wellenanteil, der sich in die negative x-Richtung fortpflanzt. Mit Hilfe der Gl. (1.1) findet man leicht, dass für eine in positive x-Richtung fortschreitende ebene Schallwelle p 0 c Z0 , v
v vx
(1.6)
gilt. Diese sehr wichtige Gröe bezeichnet man als den „Wellenwiderstand“ des Mediums. Er hat für Luft von 20 °C und bei Normaldruck den Wert 414 kg/(m2 s). Ein wichtiger Sonderfall von Gl. (1.5) ist die so genannte harmonische Welle p(x, t) = pˆ cos (x ct) = pˆ cos(t kx) = Re pˆ e j(tkx) c
(1.7)
mit der Kreisfrequenz ω = 2πf ( f = Frequenz in Hz) und der Kreiswellenzahl k mit c 2π/ . λ ist die räumliche Periodenlänge der Welle und wird als „Wellenlänge“ bezeichnet. Es gilt auch c = f . Der rechte Term in Gl. (1.7) drückt die Schallwelle in komplexer Schreibweise aus. Diese Terminologie ist bei der Berechnung von akustischen Vorgängen sehr nützlich. Sie ist als Darstellung von Schwingungen oder Wellen über ein Zeigerdiagramm zu interpretieren, wobei ein „Dreh-Zeiger“ mit der Kreisfrequenz ω jeweils einen Umfang zurücklegt und die Zeigerlänge p bzw. die Momentanphase (Drehwinkel) t kx sind. Der Drehzeiger kann somit für eine Interpretation der zeitlichen Abfolge der Schwingung oder Welle in der Zeit t oder der Verteilung der Wellenzustände im Ort x verwendet werden (s. Abb. 1.2).
k
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M. Vorländer
1
real
1
1 imag
0
Winkel
–1
Abb. 1.2 Komplexe Zeigerdarstellung einer harmonischen Welle
Abb. 1.3 Wellenfronten einer ebenen Welle und einer Kugelwelle
Kugelwelle War für die Vorstellung der ebenen Schallwelle noch eher zweitrangig, woher die Welle stammt, so sind die ebenso wichtigen „Kugelwellen“ zwingend mit der Vorstellung bestimmter Quellen verbunden. Dem entsprechend wird bei der Erklärung der Kugelwelle als Wellenfeld unmittelbar Bezug genommen auf elementare Quelltypen, die trotz ihrer Einfachheit bereits grundlegende Eigenschaften realer Schallquellen aufweisen, wie z. B. Schallleistung und Strahlungsimpedanz. Kugelstrahler, die radialsymmetrische Wellen aussenden, nennt man auch Monopolstrahler oder Strahler nullter Ordnung. Eine weitere einfache Lösung der Wellengleichung ist2 p(r, t) =
r ρ0 ˙ . Q t 4r c
(1.8)
Sie stellt eine Kugelwelle dar, die sich aus einer durch die Funktion Q beschriebenen Druckstörung ergibt (s. Abb. 1.3). Sie breitet sich mit der Schallgeschwindigkeit c von einem in r = 0 gelegenen Punkt in Richtung wachsender Entfernungen r aus, und zwar 2
Der Punkt in Gl. (1.8) bedeutet eine partielle zeitliche Differentiation.
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Grundlagen der Fahrzeugakustik
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Abb. 1.4 Schnitt durch eine atmende Kugel mit Kugelschalen-„Hub“
gleichmäig nach allen Raumrichtungen. Dabei behält sie ihre Form bei, ihre Stärke nimmt aber proportional zu 1/r ab. Q ist das Volumen des Mediums, das pro Sekunde von einer bei r = 0 gedachten Punktschallquelle periodisch ausgestoen und eingesogen wird (Abb. 1.4). Sie wird als Volumenschnelle der Schallquelle bezeichnet. Sie ist das Produkt aus dem Hub der Kugelschale und der Kugelfläche. Für eine harmonische Kugelwelle muss p=
ˆ j(ωtkr) jωρ0 Q e 4r
(1.9)
sein, mit der Volumenschnelle. ˆ jt . Q Qe
(1.10)
Die akustische Leistung (in Watt) einer Punktschallquelle lässt sich bei gegebener Volumenschnelle wie folgt ausdrücken: P
ˆ2 ρ0 ω2 Q . 8c
(1.11)
1.1.3 Energie und Pegel Anstelle des Schalldrucks wird in der Praxis meist der Schalldruckpegel (mit einem Bezug auf p0 = 20 μPa, p = „effektiver Schalldruck“) angegeben: L 20 log
p p0
[dB],
(1.12)
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M. Vorländer
mit T 1 p2 (t) dt, p T
(1.13)
0
wobei T die Mittelungszeit ist und für die es Normwerte wie „SLOW“ (1 s) und „FAST“ (125 ms) gibt. Die in einer Schallwelle gespeicherte Energie lässt sich durch die Energiedichte w charakterisieren: w
p2 . 0 c2
(1.14)
Der Schalldruckpegel hängt also auch mit der Energiedichte zusammen (w0 p20 /0 c2 ) :
p L 20 log p0
w 10 log w0
(1.15)
Der Energietransport in einer Schallwelle wird durch die Intensität I (=Energiestromdichte) und durch den Intensitätspegel LI gekennzeichnet. Dieser Effekt erlaubt einen tiefen Einblick in komplexe Schallfelder, weil die Beziehung zwischen Schalldruck und Schallschnelle zahlreiche Aufschlüsse nicht nur über den Energietransport, sondern auch über Schallquellenlokalisation und Abstrahlungsstärken (Abstrahlgrade schwingender Strukturen, s. u.) erlaubt.
1 I = p v= T
T
p v dt
(1.16)
0
LI = 10 log
I
1012 W/m2
.
(1.17)
Mit der Einführung der Intensität, deren Normalkomponente I n und mit dem Wissen, dass über den Gau’schen Satz P
I n dS
I (r) r 2 dr sin()ddϕ
(1.18)
bei Hüllflächen um eine Quellanordnung die im umhüllten Volumen befindliche Schallleistung ermittelt werden kann (die letztere Formel für kugelförmige Hüllflächen), ist die
1
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Grundlagen der Fahrzeugakustik
Schallleistung und ihr Pegel LW für beliebige Quellen definiert, mit einem Bezugswert von P0 = 10−12 W, P P0
LW 10 log
(1.19)
Bei Kugelwellen gelten ferner die einfachen Zusammenhänge I
P 4r 2
(1.20)
w
P . 4cr 2
(1.21)
und
Pegel-Berechnungen Wirken mehrere Schallanteile zusammen, z. B. von verschiedenen Quellen oder von verschiedenen Frequenzbereichen, so müssen zur Ermittlung des Gesamtsignals die einzelnen Komponenten überlagert werden. Grundsätzlich gilt Folgendes: Falls die Anteile kohärent, d. h. von der gleichen Frequenz und bekannter Phasenbeziehung sind, müssen die Schalldrucksignale über ihren tatsächlichen Zeitverlauf addiert werden. Falls jedoch die Anteile inkohärent sind, d. h. mit stochastischer Phasenbeziehung (z. B. bei zwei Rauschsignalen) oder bei der Überlagerung unterschiedlicher Frequenzbereiche, so darf man die Anteile „quadratisch“ überlagern, d. h. die Energien oder die Intensitäten addieren:
wgesamt
N i1
wi
N 1 2 pi . 0 c2
(1.22)
i1
Sind von mehreren inkohärenten Schalldrucksignalen nur die Schalldruckpegel bekannt, so ergibt sich als „Pegeladdition“ der Pegel der Summe der Energiedichten wi:
Lgesamt 10 log
N
wi
i1
w0
10 log
N
p2i
i1 p20
10 log
N
10Li 10 ,
(1.23)
i1
mit w0 = Bezugsenergiedichte = 3 × 10−15 J/m3. Diese Art der Pegeladdition wird z. B. auch bei der Bestimmung des „A-Schallpegels“ verwendet:
LA = 10 log
N i=1
10(Li Ai )/10
(1.24)
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M. Vorländer
1.1.4 Flächige Strahler und Multipolstrahler In diesem Abschnitt werden Schallquellen höherer Ordnung beschrieben, die im Wesentlichen in der räumlichen Abstrahlung strukturiertere Charakteristika aufweisen als der elementare Kugelstrahler. Ausgehend von der Anordnung zweier Punktschallquellen – dem Dipolstrahler – werden komplexe Strahler eingeführt. Die Gln. (1.19–1.23) gelten für das Schallfeld einer Punktschallquelle und weitgehend (bis auf eine eventuelle Richtungsabhängigkeit) im „Fernfeld“ beliebiger Schallquellen. Eine reale, ausgedehnte Schallquelle besitzt jedoch auch ein Nahfeld und erfährt darüber hinaus eine Rückwirkung des Mediums. Eine Kugelwelle kann auch von einer Kugelfläche beliebiger Gröe erzeugt werden, deren Radius a sich nach einem bestimmten Zeitgesetz ändert („atmende Kugel“). Erfolgt diese Änderung sinusförmig, dann ist die Kugelwelle harmonisch. Die pulsierende Kugelfläche muss dabei die Reaktionskraft des umgebenden Medium überwinden (s. auch Abb. 1.4). Diese Überlegung führt zur Strahlungsimpedanz Zs =
0 cS . 1 1 jka
(1.25)
Aus ihr bzw. Ihrem Realteil lässt sich die in das Medium abgestrahlte Wirkleistung P berechnen: P
1 1 |v(a, t)|2 Re Z s |v(a, t)|2 Ws 2 2
(1.26)
WS ist allgemein der Strahlungswiderstand; im vorliegenden Fall ist er Ws =
0 cS S0 ck 2 a2 1 S0 c 1+ 2 2 k a
für ka >> 1 . für ka >> 1
(1.27)
Diese Frequenzabhängigkeit des Strahlungswiderstands und damit der bei frequenzkonstanter Strahlerschnelle v( a,t) abgegebenen Leistung (s. Abb. 1.5) lässt sich verstehen, wenn man den Kehrwert der Strahlungsimpedanz nach Real- und Imaginärteil zerlegt: 1 1 1 = , Zs S0 c jωMs
(1.28)
wobei Ms 4a3 ρ0
(1.29)
die „mitschwingende Mediummasse“ des Kugelstrahlers ist. Die mechanische Last besteht demnach aus einem reellen Anteil und der mitschwingenden Mediummasse (Abb. 1.6). Bei tiefen Frequenzen wird überwiegend die letztere hin und her geschoben, was ohne nennenswerte Schallabstrahlung erfolgt. Bei höheren Frequenzen widersetzt sich das Medium
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Grundlagen der Fahrzeugakustik
Abb. 1.5 Strahlungsimpedanz flächiger Strahler
Ws Sρ0c
Kugelstrahler
Kolbenmembran
0 0,1
Abb. 1.6 Modell der Strahlungsimpedanz flächiger Strahler
1
10
ka
V
pS
Sρ0c
Ms
aufgrund seiner Massenträgheit der Hin- und Herbewegung; es wird jetzt zunehmend auf Kompression beansprucht, und die damit verbundenen Druckänderungen werden als Schall in den Raum abgestrahlt. Die Begriffe Strahlungsimpedanz, Strahlungswiderstand und mitschwingende Mediummasse lassen sich nicht nur auf die pulsierende Kugel, sondern auf viele andere Strahlerarten (z. B. Konuslautsprecher, Kolbenmembran) anwenden. Andere als die zuvor besprochenen Schallquellen kann man sich zusammengesetzt denken aus mehreren oder auch sehr vielen Punktschallquellen, die im Grenzfall eine Strahlerfläche beliebiger Form bilden. Dabei können die Amplituden- und Phasenbeziehungen zwischen den Quellen theoretisch frei gewählt werden. In diesem Fall erfolgt die Schallabstrahlung nicht gleichmäig nach allen Seiten, es tritt eine Richtcharakteristik auf. Das gleiche gilt, wenn die Gesamtschallquellenanordnung nicht klein im Vergleich zur Schallwellenlänge ist: Die einzelnen Beiträge zum Gesamtschalldruck im Beobachtungspunkt P haben ortsabhängige Laufzeit- bzw. Phasendifferenzen gegeneinander. Daher hängt auch der Gesamtschalldruck vom Ort, d. h. auch von der Richtung ab, in der P liegt. Für eine aus mehreren kohärenten Punktschallquellen zusammengesetzte Schallquelle ist der Gesamtschalldruck p: p=
jωρ0 ˆ e j(ωtkrn ) r n = |rn | Qn 4 n rn
(1.30)
10
1
M. Vorländer
Der Aufpunkt sei nun so weit von der Schallquelle entfernt, dass näherungsweise gilt (Fernfeldnäherung): p=
jωρ0 j(ωtkr) ˆ e jkrn cos e Q n 4r n
r,rn
.
(1.31)
Damit ist der Richtfaktor G als der allein geometrie- und winkelabhängige Term definiert p=
ˆg jωρ0 Q e j(ωtkr) G(ϕ, ). 4πr
(1.32)
Dabei sind φ und θ passend zu wählende Richtungswinkel. Im Fernfeld hat der Schalldruck also die gleiche Entfernungsabhängigkeit wie eine Kugelwelle. Der Betrag G (ϕ, ) lässt sich als Polardiagramm darstellen und ist die Richtcharakteristik des Strahlers. Für die Wirkleistung des Strahlers ergibt sich wiederum durch Integration der Intensität über eine Kugelfläche P
ˆ g2 ρ0 Q 8πc
ω2
|G(ϕ, )|2 d,
(1.33)
wobei dΩ das Raumwinkelelement ist. Für den Punktstrahler hat das Integral den Wert 1. Gleichung (1.21) kann man mit der Vorstellung einer „1/r-Kugelwelle mit Richtcharakteristik“ leicht ergänzen (in Hauptabstrahlrichtung): w
P G2 , 4cr 2
(1.34)
mit dem sog. Bündelungsma: LB 20 log
G(ϕ, ) d.
(1.35)
Eine besondere Rolle spielt der Dipolstrahler aus zwei Punktquellen der Volumenschnelle Q im Abstand d, aber mit entgegen gesetzter Phase. Er bildet zusammen mit der Punktquelle (Monopol) die wichtigsten Elementarquellen der Akustik zur Formulierung beispielsweise der Helmholtz-Kirchhoff-Abstrahlungsgesetze, der Randelementemethode, BEM, oder auch der Wellenfeldsynthese, WFS. Seine Richtcharakteristik ist „acht“-förmig. G() cos ,
(1.36)
und sein Feld berechnet sich nach p≈
ˆ ˆ j(ωtkr) jωω0 Q k 2d Q · jkd cos ϑ = ρ0 c e cos ϑ · e j(ωtkr) . 4r 4r
(1.37)
1
11
Grundlagen der Fahrzeugakustik
1.1.5 Reflexion, Streuung, Beugung In diesem Kapitel werden elementare Ausbreitungsphänomene wie Schallreflexion an groen Hindernissen, Brechung innerhalb eines inhomogenen Mediums oder bei Mediumsübergängen und Beugung an kleinen Hindernissen erläutert sowie besondere Effekte der Schallausbreitung bei bewegtem Sender oder Empfänger. Fällt eine ebene Schallwelle auf eine unendlich ausgedehnte glatte Wand, so wird sie an dieser nach dem Reflexionsgesetz zurückgeworfen. Dabei verringert sich ihre Amplitude, zugleich ändert sich die Phase um einen Betrag φ. Wird die unter einem Winkel θ auftreffende Welle durch p und die reflektierte mit p beschrieben (Abb. 1.7), so ist der r e Reflexionsfaktor R definiert als R=
pr pe
=
Z cos ρ0 c Z cos + ρ0 c
(1.38)
mit der Wandimpedanz Z verknüpft, die als das Verhältnis des gesamten Schalldrucks zur wandnormalen Komponente der Gesamtschnelle, beides an der Wand, definiert ist. Hängt sie nicht vom Einfallswinkel θ ab, so spricht man von einer „lokal reagierenden“ Wandfläche. Für die Praxis ebenfalls sehr wichtig ist der „Absorptionsgrad“ α, der das Verhältnis der Intensitäten der nicht reflektierten und der einfallenden Welle ist: 2 2 pe pr 2 = = 1 R . 2 pe
(1.39)
(vr)x reflektierte Welle vr
(vr)y
ϑ
y
ϑ x
Abb. 1.7 Reflexion einer ebenen Welle
einfallende Welle
vi (vi)y (vi)x
x=0
12
1
M. Vorländer
Der Absorptionsgrad ist im Allgemeinen frequenz- und richtungsabhängig. Zwischen der Wandimpedanz und dem Reflexionsfaktor gilt Z=
p vn
Wand
=
ρ0 c 1 + R . cos 1 R
(1.40)
Ist die Wand rau mit Unebenheiten, die nicht klein im Vergleich zur Wellenlänge des Schalls sind, dann wird Schall nicht geometrisch, d. h. nach dem Reflexionsgesetz reflektiert, sondern in viele Richtungen gestreut. Der Grenzfall ist derjenige der ideal diffusen Streuung (Lambert-Streuung). Ersetzt man die Wand durch ein Hindernis begrenzter Ausdehnung, so entsteht hinter diesem nur dann ein ausgeprägter Schallschatten, wenn es gro im Vergleich zur Wellenlänge ist. In jedem Fall wird ein Teil des Schalls in den geometrischen Schattenraum „gebeugt“, was bei kleinen Hindernissen zum Verschwinden des Schattens führen kann. Das Hindernis ist demgemä Ausgangspunkt einer Sekundärwelle, der Beugungs- oder Grenzwelle, die sich in alle Richtungen ausbreitet, wobei die Richtungsverteilung von der Schallfrequenz sowie von der Form, Gröe und materiellen Beschaffenheit des Hindernisses abhängt. Ist dieses sehr klein im Verhältnis zur Wellenlänge, dann beeinflusst es die Ausbreitung der primären Schallwelle praktisch überhaupt nicht. Dies wird mit Objektstreuung gekennzeichnet, wenn das Objekt klein ist und durch seine komplette Geometrie berücksichtigt werden muss, und als Beugung, wenn es eher um eine Kante geht oder um eine Linie zweier angrenzender Impedanzen. Die Berechnungsverfahren sind in beiden Fällen ähnlich und basieren auf einer Überlagerung des einfallenden Feldes mit einer Sekundärwelle (Streuwelle, Beugungswelle), die vom Objekt oder der Kante auszugehen scheint. Die analytischen Verfahren für Beugung und Streuung sind für groe Entfernungen zwischen Beugungskante oder Streukörper und Empfänger konzipiert. Am Beispiel der Fahrzeugakustik und der Kopfstütze ist allerdings das Problem des Nahfeldes des Streukörpers offensichtlich. Derartige Probleme können daher nur numerisch mit Hilfe von wellentheoretischen Verfahren wie BEM oder FEM gelöst werden.
1.2 Schallfelder in geschlossenen Räumen Das prägnanteste Empfinden des Menschen beim Hören in Räumen ist das Vorhandensein von Nachhall, ganz im Gegenteil zur „trockenen“ Akustik im Freien. In einem geschlossenen Volumen empfängt ein Hörer nicht nur den direkt von der Schallquelle herkommenden Schallanteil (Direktschall, meistens in Form einer Kugelwelle), sondern auerdem sehr viele Anteile (Rückwürfe), die einmal oder mehrmals an Raumbegrenzungsflächen reflektiert wurden. Da die reflektierten Schallanteile längere Wege zurückzulegen hatten als der Direktschall, treffen sie auch später beim Empfänger ein als dieser und sind gegen diesen verzögert und auch abgeschwächt. Die zunehmende Abschwächung der Rückwürfe ist auf Reflexionsverluste an den Wänden, auf die Wirkung der geometrischen Intensitätsabnahme mit der Entfernung zurückzuführen.
1
13
Grundlagen der Fahrzeugakustik
Auch im Frequenzbereich ist eine Beschreibung dieser Reflexionsfolge möglich. Jeder Rückwurf erzeugt eine Übertragungsfunktion mit einer spezifischen Struktur von Kammfiltern bei spezifischen Frequenzen, an denen Auslöschungen auftreten. Bei höheren Frequenzen überlagern sich diese Effekte der Verstärkung und Abschwächung zu einer statistischen Übertragungsfunktion. Nun stellt sich das Problem, die „Raumakustik“ mit charakteristischen Aussagen zu beschreiben, die einerseits mit Impulsen und Hall und andererseits mit Tönen und spektralen Parametern im Einklang sind. Die letztendlich besser geeignete Beschreibung hängt also von der Art der Anregung ab und auch von der Raumgröe ab, wie im nächsten Abschnitt erläutert wird.
1.2.1 Eigenfrequenzen Eine physikalisch korrekte Beschreibung der Schallausbreitung in geschlossenen Räumen muss von der Wellengleichung (Gl. (1.3)) ausgehen, die durch geeignete Randbedingungen zu ergänzen ist. Für harmonische Schwingungen p pˆ e jt wird aus der allgemeinen Wellengleichung die Helmholtz-Gleichung: p k 2 p = 0.
(1.41)
Man kann nun beispielsweise für einen Quaderraum mit den Abmessungen Lx, Ly, Lz ( V = Lx ·Ly ·Lz) zeigen, dass diese Gleichung bei reflektierenden Raumwänden nur für bestimmte Werte von k, die „Eigenwerte“ klmn gelöst werden kann, aus denen sich die „Eigenfrequenzen“ ( l, m, n ganze Zahlen)
flmn
c = 2
l Lx
2
m Ly
2
n Lz
2
=
c klmn 2
(1.42)
ergeben. Zu jeder Eigenfrequenz gehört eine charakteristische räumliche Verteilung der Schalldruckamplituden, die als „Eigenschwingung“ oder „Mode“ bezeichnet wird. Beispielsweise für einen quaderförmigen Raum und mit schallharten Wänden (d. h. Z = ∞ an allen Wänden) sind die Eigenschwingungen gegeben durch
lx m y n z plmn (x, y, z, t) = p0 cos cos cos e jωt . Lx Ly Lz
(1.43)
Allgemein gilt für die Zahl der Eigenfrequenzen, die in einem Frequenzintervall von 0 bis f liegen (unabhängig von der Raumform): Nf
3 4 f . V 3 c
(1.44)
Ihre Dichte auf der Frequenzachse ist dNf f2 4V 3 . df c
(1.45)
14
1
M. Vorländer
Jedes Schallfeld in einem Raum setzt sich nun aus derartigen Eigenschwingungen zusammen, und zwar unabhängig von der Raumform. Die Raumform bestimmt lediglich die spezielle Lage der Eigenfrequenzen und die Form der Eigenschwingungen. Mit Berücksichtigung der Verluste an den Raumwänden, sind die Eigenwerte k lmn komplex, und die Eigenschwingungen treten nicht nur praktisch exakt bei den Eigenfrequenzen auf, sondern in einer gewissen Breite (Halbwertsbreite) um die nominelle Eigenfrequenz. Dadurch und durch die auf der Frequenzachse zunehmende Dichte überlappen sich die Eigenschwingungen mehr und mehr. Da sich dann stets zahlreiche unterschiedlich stark angeregte Eigenschwingungen mit verschiedensten Phasen überlagern, ist die Übertragungsfunktion H(f )
p(r)
(1.46)
p(r0 )
zwischen zwei Punkten im Raum r und r0 praktisch als Zufallsprozess im Frequenzbereich anzusehen. Die Frequenz zwischen den beiden Bereichen (modale Struktur auf der einen und statistische Überlagerung auf der anderen Seite) hängt von der mittleren Dämpfung ab, die über die Nachhallzeit T (s. Abschn. 1.2.2) und vom Raumvolumen V angegeben werden kann. Diese Übergangsfrequenz wird „Schroeder-Frequenz“ genannt: fS 2000
T V
(1.47)
Sie liegt für mittelgroe Pkw-Innenräume bei 800 Hz (s. Abb. 1.8). Im statistischen Fall der überlappenden Moden oberhalb der Schroeder-Frequenz ist die Feinstruktur der Übertragungsfunktion quasi stochastisch. Insbesondere die Phasen sind empfindlich von p
1
f/fs
Abb. 1.8 Modale ( linker Teil) und statistische ( rechter Teil) Raumübertragungsfunktion. Auftragung des Schalldruck-Betrags gegen die normierte Frequenz f/fS
1
Grundlagen der Fahrzeugakustik
15
kleinsten Änderungen der Temperatur oder von Luftbewegungen abhängig. Die exakte physikalische Lösung der statistischen Moden ist also instabil und in der Praxis untauglich. Zu dem kommt, dass beim Hören in Räumen diese Effekte nicht wahrnehmbar sind und allenfalls der mittlere Frequenzverlauf des Betrags der Übertragungsfunktion relevant ist. Und bei der Frage der Wahrnehmung kommen neben der Übertragungsfunktion die Signalquelle und deren Spektrum ins Spiel. Rein harmonische Signale, wie sie in der Lösung der Eigenschwingungen verwendet wurden, sind kaum praxisnah. Motor- oder Windgeräusche, Schalle aus dem Car-Audio-System oder Sprache aus der Freisprecheinrichtung sind breitbandiger Natur. Auch dies spricht für eine Betrachtung nicht der Feinstruktur, sondern der Frequenzbänder. Im folgenden Abschnitt werden daher nur Frequenzbänder (typischerweise Oktaven, Terzen oder Frequenzgruppen, s. u.), die Pegelverteilung im Raum und deren Abklingverhalten, also Nachhall, diskutiert.
1.2.2 Diffuse Schallfelder Der Vorstellung des diffusen Schallfeldes liegt zugrunde, dass die modale Mischung mit einem energetischen Zeitbereichsmodell beschrieben werden kann, dessen Phasen vernachlässigt werden und dessen Energien den Beträgen der Übertragungsfunktion in Frequenzbändern entsprechen. Das Modell basiert auf einer Schallausbreitung in Strahlen. Die reflektierten Schallanteile treffen nun aus unterschiedlichen Richtungen am Empfangsort ein. Man idealisiert diesen Sachverhalt häufig durch die Annahme eines diffusen Schallfelds. Darunter versteht man, dass in jedem Raumpunkt alle Schallausbreitungsrichtungen gleichermaen am Energietransport beteiligt sind. Diese Annahme ist in realen Räumen meist nur annähernd erfüllt, ist aber gleichwohl eine nützliche Modellvorstellung. Eine sehr wichtige Eigenschaft diffuser Schallfelder ist nicht nur die Gleichverteilung der Einfallsrichtungen, sondern als dessen Folge die Gleichverteilung der Schallenergie im Raum und auf den Begrenzungsflächen. Insbesondere letzteres ist bei der Betrachtung der auf ein Wandelement diffus einfallenden Intensität bzw. der Energie relevant. Die Gröe wird Bestrahlungsstärke B genannt und berechnet sich nach B
p2 . 40 c
(1.48)
Im Rauminneren stellt sich eine konstante Energiedichte von w
p2 0 c2
(1.49)
ein. Nachhall und Nachhallzeit Wird eine Schallquelle in einem Raum plötzlich abgeschaltet wird, so hört man den so genannten Nachhall als exponentielles Abklingen der Energie bzw. von Eigenschwingungen. Man kennzeichnet seine Dauer unter Voraussetzung eines nahezu
16
1
M. Vorländer
Abb. 1.9 Nachhallkurve in einem Raum
∆L in dB 0
– 20
– 40
– 60
0
T
Zeit
linearen Pegelabfalls durch die Nachhallzeit. Das ist die Zeit, in welcher der Pegel um 60 dB (die Energiedichte im Raum also um einen Faktor 106) abfällt (s. Abb. 1.9). Die Nachhallzeit ist eine der wichtigsten Gröen in der Raumakustik. Die Nachhallzeit wird gemessen, auch unter Bedingungen mit Störgeräuschen, in dem man üblicherweise den Anfang des Pegelverlaufs des Nachhalls registriert und den Abfall um 60 dB mit einer Geraden extrapoliert. Für „kleine“ Räume wie typische Pkw-Innenräume (V = 2,5 m3, T = 0,1 s) liegt die Schroeder-Frequenz relativ hoch, so dass sich der Bereich der modalen Effekte bis etwa 700 Hz erstreckt, wobei die erste Längsmode in einem ca. 3 m langen Pkw-Innenraum bei ca. 50 Hz liegt. In diesem Bereich bestimmt die Dämpfung der Moden durch Verluste an den beteiligten Raumbegrenzungen (Sitze, Textilien, Verkleidungen, Dachhimmel, etc.) die Nachhallzeit. Ihre Gröenordnung lässt sich aus dem Betrag des Reflexionsfaktors T ≈
L 1 · 50 ln(R)
(1.50)
schätzen, sofern die Eigenfrequenzen sich geometrisch durch gegenüberliegende Flächen im Abstand L (im m) abbilden lassen: fn n
c 2L
(1.51)
Dies gilt immerhin näherungsweise für die Höhe, die Breite oder für die Länge des PKWInnenraums. Im Übrigen ist dabei in der Verwendung von R senkrechter Schalleinfall vorausgesetzt. Allgemeine Aussagen können hier ohne eine Studie der tatsächlichen Moden und deren Dämpfung nicht gemacht werden. Sofern die Frequenzkurven der Moden ermittelt wurden (experimentell oder numerisch), kann die Nachhallzeit aus den Halbwertsbreiten 2ΔfMode
1
17
Grundlagen der Fahrzeugakustik
T =
6,9 13,8 4,4 = ≈ Mode π 2fMode 2fMode
(1.52)
berechnet werden. Für „groe“ Räume, d. h. oberhalb der Schroeder-Frequenz wird ein anderes Konzept verfolgt, nämlich das des diffusen Schallfeldes. Für den Zusammenhang zwischen der Nachhallzeit und den Raumkenngröen kann man folgende grundlegende Gleichungen ableiten. Der Schalldruckpegel fällt nach Abschalten des Signals im Raum linear ab: L(t) = L0 + 4,34 n¯ t ln(1 ).
(1.53)
Hierin sind n die mittlere Stozahl, n¯
cS , 4V
(1.54)
und α der mittlere Absorptionsgrad der Begrenzungsflächen. Daraus folgt T =
60 4,34¯n ln(1 )
(1.55)
und mit c = 340 m/s findet man die so genannte Eyring’sche Formel T =
V V 24 ln(10) = 0,16 . c S ln(1 ) S ln(1 )
(1.56)
Für kleine Absorptionsgrade gilt – ln(1 – α) ≈ α und somit die „Sabine’sche Nachhallformel“ T 0,16
V V 0,16 S A
(1.57)
mit V in m3, S und A in m2, T in s. Ferner ist der Mittelwert des Absorptionsgrades zu berechnen aus ¯
N A 1 Si i ; S S i1
S
N i1
Si ;
A
N
Si i ,
(1.58)
i1
wobei Si der Flächeninhalt und αi der Absorptionsgrad der i-ten Teilfläche ist. A ist die äquivalente Absorptionsfläche. Stationäre Energiedichte in einem Raum Bei stationärer Schallanregung mit einer konstanten Schallquellenleistung P muss diese gleich der sekundlich an allen Wänden absorbierten Energie α B S sein. Da die Bestrahlungsstärke aller Wände näherungsweise konstant ist, ergibt sich die Energiedichte im Raum zu w=
4P AS , e cA
(1.59)
18
1
M. Vorländer
falls ein diffuses Schallfeld vorausgesetzt werden kann. Aber auch dann gilt diese Gleichung nur in Entfernungen, in denen der Direktanteil an der Energiedichte w
P 4cr 2
(1.60)
( r = Abstand von der Schallquelle) vernachlässigbar klein ist. Die Entfernung, in der beide Anteile gleich gro sind, bezeichnet man als „Hallradius“: rH
A V 0,057 16 T
(1.61)
mit, wie immer, V in m3 und T in s. Für r < rH überwiegt die Direktschall-Energiedichte. Für den typischen Pkw-Innenraum beträgt rH ca. 30 cm. Man beachte ferner, dass nur die Energiedichte in diffusen Schallfeld auswertbar ist, die Wirk-Schallintensität hingegen nicht. Diese ist theoretisch gleich Null, da sich inkohärente Wellen gleichzeitig aus allen Richtungen überlagern, d. h. vektoriell aufheben.
1.3 Körperschall Im groen Gebiet des „Körperschalls“ ist die Komplexität der Schallphänomene gegenüber Schall in fluiden Medien höher anzusiedeln. Das liegt, unmittelbar einsichtig, an der weit höheren möglichen Anzahl von Freiheitsgraden für Kraft- bzw. Drehmomentwirkungen. Im Gegensatz zu Flüssigkeiten setzen nämlich Festkörper nicht nur einer Volumenänderung (Dichteänderung), sondern auch einer Formänderung einen elastischen Widerstand entgegen, wodurch sich die Zahl der möglichen Wellenarten erhöht. Wir beschränken uns zur Einführung zunächst auf isotrope Festkörper, deren physikalische Eigenschaften richtungsunabhängig sind und auf den quellfreien Fall.
1.3.1 Spannungen und Dehnungen, Wellengleichung Auf ein gedachtes oder wirkliches, zur x-Achse senkrechtes Flächenelement, können im Allgemeinen eine Normalspannung oder Zugspannung σxx (Spannung = Kraft/Fläche) und zwei zueinander senkrechte, in der Fläche liegende Tangential- oder Schubspannungen τxy und τxz wirken. Darüber können die Spannungs-Dehnungs-Beziehungen (Hooke’sches Gesetz) mit den lokalen Auslenkungen s (x, y, z) {ξ (x, y, z), η(x, y, z), (x, y, z)} zusammengefasst werden: σxx
∂ξ ∂ξ ∂ = 2µ λ div s , τxy = µ ∂x ∂y ∂x
und analog für σyy, σzz, τxz, τyz.
(1.62)
1
19
Grundlagen der Fahrzeugakustik
Tab. 1.2 Materialdaten fester Stoffe Material
ρ [103 kg/m3]
γ
E [109 N/m2]
cL [m/s]
cT [m/s]
Aluminium Nickel Stahl Kupfer Messing Glas Plexiglas
2,7 8,9 7,9 8,9 8,6 3,9 1,2
0,355 0,336 0,300 0,370 0,374 0,224 0,400
70 220 200 125 105 54 4
6.420 6.040 5.790 5.010 4.700 3.980 2.680
3.040 3.000 3.100 2.270 2.110 2.380 1.100
Die Konstanten μ und λ heien Lamé’sche Elastizitätskonstanten. In der Festigkeitslehre wird μ auch als Schubmodul bezeichnet, und auerdem ist 2µ =
E E ; λ= , 1+ (1 + )(1 2 )
(1.63)
mit E = Elastizitätsmodul, γ = Poisson’sche Querkontraktionszahl (0 < γ < 0,5) (s. Tab. 1.2). Setzt man alle an einem Volumenelement in x-Richtung angreifenden Kräfte ins Gleichgewicht mit der Trägheitskraft, so erhält man die Wellengleichung
µξ (µ )
∂ ∂ 2ξ (div s) = ρ0 2 ∂x ∂t
(1.64)
und entsprechende Gleichungen für die Verschiebungskomponenten η und ζ.
1.3.2 Longitudinal- und Transversalwellen in unbegrenzten Festkörpern Wir beschränken uns nun auf ebene, in positiver x-Richtung fortschreitende Wellen. Dann verschwinden alle Differentialquotienten nach y und nach z. Aus Gl. (1.62) und den für η und ζ geltenden, analogen Gleichungen ergeben sich dann eine Longitudinalwelle, bei der die Auslenkung in Ausbreitungsrichtung erfolgt, sowie zwei Transversalwellen, deren Auslenkungen senkrecht zur Ausbreitungsrichtung erfolgen (s. Abb. 1.10). ∂ 2ξ ∂ 2ξ = ρ 0 ∂x2 ∂t 2 2 ∂ 2η ∂ η µ 2 = ρ0 2 ∂x ∂t ∂ 2 ∂ 2 µ 2 = ρ0 2 ∂x ∂t
(2µ λ)
(1.65)
20
M. Vorländer
1
Abb. 1.10 Auslenkungen in einer Longitudinalwelle ( links) und einer Transversalwelle ( rechts)
Die entsprechenden Wellengeschwindigkeiten sind cL =
2µ ρ0
(1.66)
. ρ0
(1.67)
und cT
Wie bei allen Transversalwellen (z. B. bei Funkwellen oder in der Optik) gibt es auch hier linear, zirkular oder elliptisch polarisierte Wellen.
1.3.3 Anregung von Körperschall Die Charakterisierung von Körperschallquellen erfordert die Berücksichtigung der aktiven Prozesse der Schwingungserzeugung. Zudem muss das dynamische Verhalten der Quelle und der angekoppelten Struktur bekannt sein. Im geometrisch einfachen Fall einer punktförmigen Krafteinleitung kann man die Quellcharakteristik auf einige elementare Parameter zurückführen, die analog zu realen und idealen Spannungsquellen gesehen werden können. Die abgegebene Leistung und die resultierende Schnelle einer realen Quelle hängen dementsprechend vom Verhältnis des Innenwiderstands der Quelle zur angekoppelten Impedanz ab. Bei komplexen Gebilden (Verbrennungsmotor, Elektromotoren, Lüfter etc.) sind die Umständen wesentlich schwieriger, da Punktimpedanzen nicht zu definieren sind und die Bewegung selbst nicht nur eindimensional, sondern unter zahlreichen Freiheitsgraden erfolgt, die untereinander zudem energetisch gekoppelt sind. Auf diese Fragen wird in Kapiteln zur Quellcharakterisierung und zur Transferpfadanalyse einzugehen sein. Im Allgemeinen müssen die Kontakte zwischen der Krafteinleitung und der Struktur über sechs komplexe Leistungen und sechs Impedanzen bestimmt werden (s. Abb. 1.11). Dabei wird immer vorausgesetzt, dass die Komponenten orthogonal sind, d. h. sich nicht gegenseitig beeinflussen. Diese Beschreibung kann durch eine Matrixdarstellung gut und
1
21
Grundlagen der Fahrzeugakustik
Abb. 1.11 Punktkontakt einer Quelle auf einer Fläche mit Angabe der Freiheitsgrade des Kraft- und Drehmomentvektoren (nach Petersson u. Gibbs 2000)
Fy My Fx
Mz Mx Fz
übersichtlich erfasst werden. Deren Lösung ist jedoch schwierig, wenn man alle möglichen Kopplungen berücksichtigen will. Es kommt also auch die Identifikation der wichtigen Pfade an (s. auch Molloy 1957).
1.3.4 Wellen auf Platten und Stäben Auf begrenzten Festkörpern wie Platten und Stäben gibt es aufgrund der Randflächeneinflüsse neue Wellenformen (Dehnwellen und vor allem Biegewellen, s. Abb. 1.12). Kenntnisse über Dehnwellen und Biegewellen sind aufgrund des Einsatzes von Platten, Wänden oder Blechen in der Technik wichtig für die Schallleitung und die Abstrahlung bzw. Anregung von Luftschall. Bei der Ausbreitung elastischer Wellen auf Platten und Stäben ist die elastische Rückstellungskraft geringer als bei der Ausbreitung im unbegrenzten Festkörper, da an den Oberflächen durch Querkontraktion ein teilweiser Ausgleich des elastischen Zwangs möglich ist. Infolgedessen sind die entsprechenden Ausbreitungsgeschwindigkeiten im Allgemeinen kleiner als im unbegrenzten Festkörper. Sind die Querabmessungen (Plattendicke h) kleiner als oder klein gegen die Wellenlänge, so gibt es folgende Grundtypen der Wellenausbreitung: Beide Wellentypen kann man sich durch gleich- oder gegenphasige Überlagerung von Oberflächenwellen auf beiden Plattenseiten entstanden denken. Die Dehnwellen sind überwiegend longitudinale, die Biegewellen überwiegend transversale Wellen. Die Dehnwellengeschwindigkeit auf Stäben kann man zu cD, Stab
E
Abb. 1.12 Auslenkungen in einer Dehnwelle ( oben) und einer Biegewelle ( unten)
(1.68)
22
1
M. Vorländer
Tab. 1.3 Biegesteifen von Platten und Stäben Platte der Dicke h
B=
E h2 · 12 1 2
Zylinderstab mit Radius a B=
a2 E 4
Rechteckstab b h (h = Abmessung in Biegerichtung) B=
h2 E 12
herleiten. Bei Platten ist die Möglichkeit zur Querkontraktion kleiner, daher die Dehnwellengeschwindigkeit gröer: cD, Platte =
E . ρ(1 2 )
(1.69)
Biegewellen Für die Ausbreitung von Biegewellen kann eine vereinfachte Differentialgleichung 4. Ordnung hergeleitet werden, deren elastische Komponente durch die sog. „Biegesteife“ B gegeben ist ( ρ = Dichte des Materials), s. Tab. 1.3. Die Biegesteife wird hier bezogen auf die Plattendicke h bzw. den Stabquerschnitt S angegeben3. Mit dem Lösungssatz für die Auslenkung in quasi-transversaler Richtung mit der Bedeutung von „Wellen“ (x, t) = ˆ e j(ωtkB x)
(1.70)
erhält man einen Satz von Biegewellenzahlen kB, welche die Wellengleichung erfüllen. √√ 4 ω ω kB4== ωω2 , .d. .h. kB== √ B . . (1.71) √ B j ωω 4 B
Die beiden ersten, reellen Lösungen für kB entsprechen Wellen in positiver und negativer x-Richtung, die beiden letzteren dagegen sog. evaneszente Moden, nämlich gleichphasige Schwingungen, deren Amplitude in x-Richtung exponentiell abfallen (oder anwachsen, was physikalisch unsinnig ist). Wir betrachten im Folgenden ausbreitungsfähige Biegewellen in positiver x-Richtung und setzen dementsprechend √ (1.72) kB ω 4 . B Dieser Zusammenhang zwischen der Wellenzahl und der Kreisfrequenz ist nicht linear. Diese in der Wellenlehre recht verbreitete Erscheinung bezeichnet man als Dispersion. Man beachte, dass Dispersionseffekte nicht allein in Biegewellen auftreten, sondern ein allgemeines physikalisches Phänomen darstellen. Ein weiteres bekanntes Beispiel für optische Dispersion ist die farbspezifische Brechung am Prisma aufgrund frequenz-
3 Demgegenüber wird in der Mechanik üblicherweise die tatsächliche Biegesteife B′ verwendet. Es gilt für Platten B′ = B h und für Stäbe B′ = B S.
1
23
Grundlagen der Fahrzeugakustik
Abb. 1.13 Dispersionskurve von Biegewellen
ω
c'B cB
kB
(farb-)anhängiger Wellengeschwindigkeiten. Unter der Dispersionsrelation versteht man die Funktion (kx ).(s. Abb. 1.13). Das Verhältnis cB
kB
(1.73)
ist die Phasengeschwindigkeit der Welle. Mit ihr breitet sich eine bestimmte Phase (z. B. ein Nulldurchgang) aus. Ihr Gegenstück ist die Gruppengeschwindigkeit cB =
d , dkB
(1.74)
die sich auf die Ausbreitung der Wellen-Hüllkurve bezieht. Damit folgt für die Phasengeschwindigkeit der Biegewelle √ 4 B ω cB ω (1.75) kB und für die Gruppengeschwindigkeit √ 4 B dω . cB = =2 ω dkB
(1.76)
Bei Biegewellen tritt also Dispersion auf, wobei die Gruppengeschwindigkeit gleich der doppelten Phasengeschwindigkeit ist. Schallabstrahlung von Platten Die Abstrahlung von Luftschall aus Dehnwellen ist aufgrund des „akustischen Kurzschlusses“ sehr gering. Flächenteile mit positiver Bewegungsrichtung gegen die Plattennormale schieben Luftmengen von der Platte weg, wobei benachbarte Elemente mit entgegen gesetzter Phase diese Luftmengen ansaugen. Dies erzeugt ein Nahfeld mit intensiven Luftbewegungen, aber keine Kompression und damit keine Schallabstrahlung. Man könnte auch sagen, dass die Plattenschwingung als Ganzes einen verschwindend kleinen Strahlungswiderstand hat. Zudem kommt, dass die Amplituden dieser Dickenschwingung sehr klein sind.
24
1
M. Vorländer
Abb. 1.14 Abstrahlung von Luftschall aus Biegewellen
Von einer (unendlich) groen Platte, auf der sich Biegewellen ausbreiten, wird jedoch unter Umständen sehr effektiv Schall in die umgebende Luft abgestrahlt. Dies ist der Tatsache zu schulden, dass die Verhältnisse von Biegewellenlänge zu Luftwellenlänge je nach Frequenzbereich eine gute oder eine schlechte Kopplung bilden. Bei guter Kopplung, die man auch Koinzidenz nennt, erfolgt dies in Form einer ebenen Welle unter dem Winkel θ gegen die Plattennormale (s. Abb. 1.14). Dann ist sin
λ c , λB cB
(1.77)
was nur erfüllbar ist, wenn die Schallgeschwindigkeit c der Luft kleiner ist als die der Biegewellen cB. Da die letztere mit der Frequenz anwächst, gibt es eine als „kritische Frequenz“ bezeichnete Grenzfrequenz fK, oberhalb derer allein Schall abgestrahlt werden kann. Mit der Gl. (1.72) ergibt sich diese zu fk
c2 2
ρ B
(1.78)
( ρ = Dichte des Plattenmaterials). An der Plattenoberfläche muss die Normalkomponente v cosθ der Luftschnelle mit der Schnelle jωζ der Platte übereinstimmen. Daraus folgt für die Intensität der abgestrahlten Welle I=
f3 1 ρ0 c|v|2 = 2π 2 ρ0 c| |2 . 2 f fk
(1.79)
Unterhalb der kritischen Frequenz bildet sich, wie bei Dehnwellen, in der Nähe der Platte lediglich eine Ausgleichsströmung aus, und da die Luft dadurch nicht zusammengepresst wird, entsteht auch kein Luftschall. Die im Bild dargestellte Situation heit Koinzidenz oder Spuranpassung. fK ist also die niedrigste Frequenz, bei der Koinzidenz auftreten kann und wird daher auch als Koinzidenzgrenzfrequenz bezeichnet.
1
Grundlagen der Fahrzeugakustik
25
Eine wichtige Gröe bei der Behandlung praktischer Probleme der Schallabstrahlung ist der sog. „Abstrahlgrad“ σ. Er ist definiert als das Verhältnis der abgestrahlten Schallleistung zur (maximal) möglichen Leistung, die ein Schwinger der Fläche S und der Schnelle veff bei idealer Anpassung an den Strahlungswiderstand des Mediums erzielen würde: σ
P . 2 0 cSveff
(1.80)
Neben den Dehn- und Biegewellen gibt es auf Platten und Stäben, wie im unbegrenzten Festkörper, auch reine Schubwellen. Bei Platten erfolgt die Verschiebung aus der Ruhelage parallel zur Plattenebene und senkrecht zur Ausbreitungsrichtung. Bei Rundstäben handelt es sich um die Verdrehung (Torsion) von Stabquerschnitten gegeneinander, weshalb man hier diese Welle als Torsionswelle bezeichnet. Bei endlich groen Platten sorgen die Plattenränder für Störungen und damit für eine (relativ) schwache Schallabstrahlung auch unterhalb der kritischen Frequenz.
1.4 Akustische Wandler 1.4.1 Mikrofone Als Mikrofon im weitesten Sinn bezeichnet man allgemein jeden elektromechanischen oder elektroakustischen Schallempfänger. Mikrofone für Luftschall enthalten meist eine leicht bewegliche Membran, die von den auftreffenden Schallwellen in Schwingungen versetzt wird. Diese wiederum werden von einem elektromechanischen Wandler in elektrische Schwingungen gewandelt. Dabei wird im Allgemeinen möglichst weitgehende Linearität und Frequenzunabhängigkeit angestrebt. Welcher Schallfeldgröe das elektrische Ausgangssignal entspricht, hängt von der Art des elektromechanischen Wandlers, von seinem mechanischen Verhalten sowie davon ab, ob die Druckschwankungen der Schallwelle nur auf eine oder auf beide Seiten der Membran einwirken. Im ersteren Fall ist die auf die Membran wirkende Kraft dem Schalldruck, im zweiten der Normalkomponente des Schalldruckgradienten proportional. Die Membranschnelle wird dann durch die mechanische Impedanz des Mikrofons bestimmt, während der Frequenzgang der Ausgangsspannung davon abhängt, wie der Wandler Schnelle und Spannung miteinander verknüpft. Die Empfindlichkeit eines Druckmikrofons kennzeichnet man durch die erzeugte Leerlaufspannung, bezogen auf die Schalldruckamplitude am Mikrofon. Jedes in ein Schallfeld eingebrachte Mikrofon verzerrt jedoch dieses Feld, und zwar umso mehr, je gröer das Mikrofon im Vergleich zur Schallwellenlänge ist. Man unterscheidet demnach mehrere Arten der Empfindlichkeit: die Druckempfindlichkeit, die sich auf den verfälschten Schalldruck an der Membran bezieht, und die Freifeld- und Diffusfeldempfindlichkeit, die sich auf den Druck im unverzerrten Schallfeld beziehen. Die Empfindlichkeit liegt bei Kondensator-Messmikrofonen typischerweise zwischen 10 und 50 mV/Pa, was auch oft in der Form − 40 dB bis −26 dB re 1 V/Pa angegeben wird.
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1
M. Vorländer
Die am einfachsten allgemein beschreibbare Art von Mikrofonen besitzt eine frequenzund richtungsunabhängige Empfindlichkeit. Man spricht dann auch von einem „Kugelmikrofon“. Als Messmikrofone werden sie in Frequenzbereichen genutzt, in welchen die Mikrofonmembran sehr klein gegenüber der Schallwellenlänge ist. Für 1/2-Zoll Mikrofone ist diese einfache Betrachtungsweise bis etwa 2 kHz erfüllt. Oberhalb dieser Frequenzgrenze verfälscht Beugung am Mikrofon den Schalldruck. Die Gesamt-Auslenkung der Membran wird durch eine Integration über die Membran-Flächenelemente bestimmt, die von der einfallenden Schallwelle mit unterschiedlichen Phasen getroffen werden. Daher kommt es zu winkelabhängigen Empfindlichkeiten, die mit Hilfe einer Richtcharakteristik beschrieben werden können. Es ist bei Kalibrierungen dann stets die Schalleinfallsrichtung anzugeben. Dieses Verhalten ist bei Mikrofonkalibrierungen vor allem bei höheren Frequenzen zu berücksichtigen. Es gibt daher unterschiedliche Mikrofontypen, die entweder im freien Schallfeld für Schalleinfall von vorne oder für diffusen Schalleinfall eine jeweils frequenzunabhängige Empfindlichkeit besitzen.
1.4.2 Kunstköpfe Mit Kunstkopf-Mikrofonen werden räumliche Schalle binaural erfasst. Mit dem Begriff des binauralen Hörens beschreibt man die Tatsache, dass Schall vom menschlichen Gehör „zweiohrig“ aufgenommen und verarbeitet wird. Die Konsequenzen des zweiohrigen Hörens sind vielschichtig und bieten die Grundlage für wichtige Leistungsmerkmale des Gehörs (s. Kap. 2). Insbesondere das Richtungs- und Entfernungshören werden durch binaurales Hören ebenso erst ermöglicht wie beispielsweise eine sehr effektive Art der Störgeräuschunterdrückung beim Sprachverstehen in lärmerfüllten Räumen. Wenn Schall binaural gemessen werden soll, muss er also zunächst zweikanalig (für das rechte und das linke Ohr getrennt) empfangen werden, und zwar in einer Weise, dass die beiden Signale möglichst exakt den Schalldruck vor dem Trommelfell eines (gedachten) Hörers repräsentieren. Die Geometrie und das Übertragungsverhalten von Kunstköpfen im freien und diffusen Schallfeld ist in internationalen Normen festgelegt (ISO TR 60959 und ITU S. 58). Beispiele für Anwendungsbereiche sind neben der Fahrzeugtechnik Messungen von Hörgeräten und von Telefonen (Hören und Sprechen) sowie die Raumakustik.
1.4.3 Schnellemessung Zwar ist der Schalldruck in der angewandten Akustik die wichtigere der beiden Schallfeldgröen. Doch für Untersuchungen der physikalischen Details von Schallfeldern ist die Messung der Schnelle erforderlich, insbesondere für Betrachtungen von Feldimpedanzen, von gekoppelten Schwingungs-Abstrahlungs-Problemen (Abstrahlgrade) und, vor allem, für die Messung der Schallintensität. Zur Messung der Schnelle kommen Gradientenmikrofone in Frage, des weiteren Kombinationen mehrerer Druckmikrofone (ebenfalls zur Bestimmung des Druckgradienten, auch vektoriell), sowie direkte Schnellesensoren.
1
Grundlagen der Fahrzeugakustik
27
Praxistaugliche direkte Schnellesensoren gibt es ebenfalls in Form von Hitzdraht-Anemometern. Diese Art von Temperatursensoren wird als Platinwiderstände in Form sehr dünner Drähte ausgeführt, die bei einer Betriebstemperatur von 200–400 °C ihre Wärmeenergie an die umgebende Luft abgeben. Bei Vorhandensein einer schallbedingten lokalen Luftströmung ändert sich die Temperaturverteilung asymmetrisch. Verwendet man zwei nah beieinander liegende Drähte, so erzeugt die Temperaturdifferenz eine Widerstandsund Spannungsdifferenz zwischen den Drähten, die auf die Schallschnelle zurückgeführt werden kann. Messbereiche von 100 nm/s bis 0,1 m/s sind erzielbar.
1.4.4 Schwingungssensoren Unter Beschleunigungsaufnehmern versteht man Empfänger zur Messung von Schwingungen fester Körper und Strukturen. Sie müssen fest auf der zu untersuchenden Oberfläche angebracht sein. Im Prinzip stellen sie stets einen mechanischen Resonator dar, bestehend aus einer „seismischen“ Masse m, einer Feder mit der Nachgiebigkeit n und einem die unvermeidlichen Schwingungsverluste darstellenden Reibungswiderstand w. Am häufigsten verwendet man hochabgestimmte Körperschallempfänger, für die die messbare Relativamplitude zwischen der seismischen Masse und der schwingenden Fläche der Beschleunigung der Unterlage proportional ist. Beim piezoelektrischen Beschleunigungsempfänger beispielsweise verwendet man als Feder ein Piezoelement, das durch die Relativbewegung der Masse elastisch beansprucht wird.
1.5 Klassische Schallpegelmessung Grundsätzlich lässt sich fast jede akustische Messapparatur in einen Sende- und einen Empfangsteil unterteilen. Der Empfangsteil besteht meistens aus einem „Schallpegelmesser“ oder „Analysator“, der entweder einen Summen-Schallpegel in Dezibel ermittelt und anzeigt oder eine frequenzabhängige Analyse durchführt und ein „Spektrum“ ausgibt.
1.5.1 Schallpegel-Messung und -Bewertung Die hier zu betrachtende Grundgröe ist der Schalldruckpegel p L = 20 log ; p0
p0 = 2 · 105 N/m2
p ist der über eine bestimmte Mittelungsdauer Tm nach
(1.81)
28
1
M. Vorländer
Tm 1 p p2 (t)dt Tm
(1.82)
0
gebildete Effektivwert eines Schalldruck-Zeitverlaufs p( t ), z. B. gilt für harmonische Signale pˆ p(t) pˆ sin t, p √ . 2
(1.83)
Entsprechend des Bildungsgesetzes des Effektivwertes findet man im englischen Sprachgebrauch auch die Bezeichnung „r m s“ = root (mean (square)).
1.5.2 Zeitkonstanten Da nicht allgemein von periodischen Signalen und eindeutig zu definierender Mittelungsdauer ausgegangen werden kann, müssen spezielle Zeitkonstanten gewählt werden. Die Dauer der Mittelwertbildung Tm hängt entscheidend davon ab, ob das Zeitsignal p( t) eher impulshaltig oder eher stationär ist. Man hat in internationalen Normen vereinbart, dass die Zeitkonstanten 125 ms (=„FAST“) oder 1 s (=„SLOW“) verwendet werden sollen. SLOW hat den Vorteil, dass die Schallpegelanzeige nicht schnell schwankt und daher leicht abzulesen ist. Allerdings werden eventuell zu messende Impulsspitzen stark geglättet. Neben FAST und SLOW gibt es noch andere (auch unsymmetrische) Zeitbewertungen wie beispielsweise die Impulsbewertung. Wichtig ist ferner eine Gröe, die es erlaubt, eine Art „Schalldosis“ zu bestimmen, den so genannten „äquivalenten Dauerschallpegel“ Leq. Die Mittelungszeit kann in diesem Falle einige Stunden betragen, um die insgesamt einwirkende Schallenergie zu beschreiben.
1.5.3 Frequenzbewertung Eine zweite wesentliche Bewertung ist die Frequenzbewertung. Hierbei wird versucht, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass das menschliche Gehör nicht bei allen Frequenzen gleich empfindlich ist. Historisch hat sich die so genannte „A-Bewertung“ – das dB(A) – durchgesetzt. Diese bedeutet, dass der Schallpegelmesser ein spezielles, genormtes Bandpassfilter einschleift, welches die Frequenzkurve gleicher subjektiver Lautstärke bei relativ leisen Schallen von etwa 40 phon nachbilden soll. Die verwendeten Filter sind allerdings stark vereinfacht, um sie mit einfachen Mitteln realisieren zu können. Auch B- und C-Bewertungen sind in Gebrauch. Sie sollen die Kurven im „lauteren“ Bereich der Hörfläche nachbilden. Dennoch wird auch bei lauten Geräuschen meistens die A-Bewertung verwendet, wodurch allerdings tiefe Frequenzen zu schwach in die Bewertung eingehen. Die Wahl der Zeit- und Frequenzbewertung wird bei
1
Grundlagen der Fahrzeugakustik
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jeder Art der Schallmessung evtl. unterschiedlich gehandhabt. Eine genaue Bezeichnung in Form von Indices am Schalldruckpegel muss daher beachtet werden, z. B. LAF, LA,Eq oder LCS. Wichtig anzumerken ist, dass die A-Bewertung eine sehr grobe Vereinfachung darstellt und psychoakustische Effekte wie beispielsweise die Verdeckung nicht abbilden kann.
1.5.4 Bandpassfilter Eine modernere, aber auch wesentlich aufwendigere Art der Schallpegelmessung ist die Analyse in Frequenzbändern (typischerweise Terz- oder Oktavbänder). Ein herkömmlicher Schallpegelmesser kann mittels eines Bandpassfilters ergänzt werden, um den Schalldruckpegel in einem bestimmten Frequenzband zu ermitteln. Ein komplettes Spektrum müsste dann durch eine sequentielle Messung aneinandergrenzender Terz- oder Oktavbändern aufgenommen werden. Falls das Schallereignis nicht stationär ist, müssen jedoch die Bandfilter gleichzeitig und parallel arbeiten. Dies geschieht in einem Echtzeit-Frequenzanalysator. An die Bandfilter sind Anforderungen gestellt, und zwar hinsichtlich der Bandbreite und der Flankensteilheit im Sperrbereich. Terzfilter sind auf einer logarithmischen Frequenzachse folgendermaen definiert: fo = 21/3 · fu
f = fo fu = fu 21/3 1 fm = fu · fo
(1.84)
fm+1 = 21/3 fm .
mit fu und fo als untere und obere Eckfrequenz und fm, fm + 1 Mittenfrequenz des Bandes m und des benachbarten Bandes m + 1. Für Oktavfilter gilt entsprechend: fo = 2fu
f = fo fu = fu √ fm = fu · fo = 2 fu
(1.85)
fm+1 = fm · 2.
Diese Art der klassischen Frequenzanalyse ist sehr weit verbreitet. Dennoch hat sie ihre Grenzen, und diese sind mit psychoakustischen Erkenntnissen leicht nachvollziehbar. Breitbandige Schalle und Signalgemische werden vom Gehör nicht linear oder energetisch summiert, sondern in einem komplexen Prozess als Ganzes verarbeitet, wobei insbesondere das Phänomen der Verdeckung eine groe Rolle spielt. Dies ist weder in Terzfiltern noch im dB(A) enthalten. Selbst die Messgröe „Dezibel“ ist kein dem Gehör adäquate Gröe, denn sie vermittelt keine gleichmäige lineare Lautheitsskala. Zu weiteren Details und mehr spezifischen psychoakustischen Messgröen s. Kap. 2.
30
1
M. Vorländer
1.6 Digitale Signalverarbeitung Digitale Messmethoden basieren üblicherweise auf einer Zeit-Frequenz-Transformation und entsprechenden Analyseverfahren zur Beurteilung von Signalcharakteristika oder von Übertragungsstrecken für Schall- oder Schwingungen. Diese Verfahren gehen von linearem Verhalten der Materialien und der Wandler oder anderer Komponenten aus. Viele Messobjekte in der Akustik sind in der Tat in sehr guter Näherung sog. „LTI-Systeme“ („lineare zeit-invariante Systeme“, engl. „linear time invariant systems“). Dies sind definitionsgemä Systeme, die in ihrem akustischen Verhalten (also hier bei der Übertragung von Schall) ihr Ausgangssignal gemä einer linearen Gesetzmäigkeit vom Eingangssignal ableiten. Zusätzlich muss dieses Verhalten zu jedem beliebigen Zeitpunkt unverändert vorliegen (Zeitinvarianz). Viele in der Akustik übliche Messobjekte zeigen in der Tat ein solches Verhalten. So erzeugt ein Lautsprecher einen der Stärke des Eingangsstromes proportionalen Schalldruck, solange er im linearen Bereich betrieben wird. Auch die Änderung der Übertragungseigenschaften mit der Zeit ist meist vernachlässigbar, solange er sich nicht während des Betriebes erheblich erhitzt. Systeme, die sich infolge von Alterungseinflüssen oder anderen, sehr langsamen Prozessen verändern, können für kurze Zeiträume (z. B. während einer Messung) als LTI-Systeme angesehen werden. Das LTI-System kann durch seine Reaktion auf geeignete Testsignale beschrieben werden. Diese Reaktion ist sowohl im Zeit- als auch im Frequenzbereich charakteristisch für das System und liefert eine vollständige Beschreibung des Übertragungsverhaltens.
1.6.1 Impulsantwort und Übertragungsfunktion Der Begriff der Faltung Wird ein LTI-System mit einem Eingangssignal s( t) gespeist, so kann ausgangsseitig ein Signal g( t) empfangen werden, für welches gilt: g(t) =
∞
∞
s( )h(t )d = s(t) ∗ h(t),
(1.86)
wobei h(t) die Impulsantwort (oder Stoantwort) des Systems genannt wird und das Integral eine Faltungsoperation ausdrückt. Diese allgemeine und sehr wichtige Formel ist die Grundlage für alle theoretischen Betrachtungen an LTI-Systemen. Sie erlaubt insbesondere die Konstruktion von Filtern. Die Impulsantwort hat bei einigen akustischen Systemen eine unmittelbare Bedeutung und wird als Messgröe direkt benötigt (z. B. in der Raumakustik). Eine besondere Bedeutung kommt dem Dirac-Sto δ( t) zu. Er ist anschaulich definiert als Nadelimpuls unendlicher Höhe, aber endlichen Flächeninhalts. Man kann ihn sich beispielsweise über den Grenzübergang 1 t (t) = lim rect T0 0 T0 T0
(1.87)
1
Grundlagen der Fahrzeugakustik
31
vorstellen. Der Dirac-Sto ist die Impulsantwort eines ideal verzerrungsfreien Systems. In diesem Falle ist nämlich das Ausgangssignal gleich dem Eingangssignal: g(t) =
∞
∞
s(τ )(t τ )dτ = s(t).
(1.88)
Übertragungsfunktion Die Übertragungseigenschaften eines LTI-Systems lassen sich auch im Frequenzbereich durch eine Signaldarstellung in sog. Frequenzfunktionen S( f ) darstellen, und zwar entweder durch die Komponenten Real- und Imaginärteil (Re{ S(f )} bzw. Im{S( f )}) oder in der äquivalenten Form als Betrag und Phase (S( f ) bzw. φ( f )). S( f ) bedeutet nichts anderes als die frequenzabhängige Amplitude und Phase eines Signals. S( f ) = Re{S( f )} + j Im{S( f )} = S( f ) e j( f ) .
(1.89)
Wird ein System geeignet (z. B. Ton für Ton sequentiell, mit einer Signalbetrachtung im Frequenzbereich) angeregt, ist erkennbar, welche Resonanzen in einem Raum oder einer Struktur oder welchen Frequenzumfang beispielsweise ein elektroakustischer Wandler übertragen kann. Sollen nun die Übertragungseigenschaften eines Systems bezüglich der Frequenz dargestellt werden, ist besonders die Information von Interesse, um welches Ma ein eingespeistes Signal einer bestimmten Frequenz von dem System gedämpft oder verstärkt wird. Wird der Quotient aus durchgelassenem zu eingespeistem Signal gebildet, wird die resultierende Funktion H ( f ) Übertragungsfunktion genannt. H(f )
G( f ) S( f )
(1.90)
Auch die Übertragungsfunktion ist im Allgemeinen komplexwertig und kann wie die Frequenzfunktion in Gl. (1.89) kartesisch oder in Polarkoordinaten dargestellt werden. Die Übertragungsfunktion ist im Frequenzbereich die bedeutendste Funktion der Signalverarbeitung, da auch sie, genau wie die Impulsantwort, die kompletten linearen Eigenschaften ihres Systems repräsentiert. Für den Vergleich der Frequenzdarstellung mit dem Höreindruck ist die logarithmische Auftragung des Betrags der Funktion über der Frequenz gut geeignet. Diese Darstellung lässt erkennen, über welchen Frequenzbereich sich z. B. ein Geräusch erstreckt oder welche (Ober-)Töne in einem Klang enthalten sind. Die Ermittlung und Darstellung komplexer Spektren von Signalen oder Übertragungsfunktionen erlaubt eine wesentlich detailliertere Frequenzanalyse als eine terzweise Bandfilterung. Die Methode zur Umrechnung von Daten im Zeitbereich in den Frequenzbereich ist die Fouriertransformation.
1.6.2 Fouriertransformation Liegt nun von einem System die Impulsantwort h( t) vor, so kann diese Funktion mit der Fouriertransformation
32
1
M. Vorländer
Abb. 1.15 Eingangs- und Ausgangssignale an einem linearen zeitinvarianten System
s(t)
∗
h(t) g(t)
LTI G(f)
S(f)
•
H(f ) =
h(t) =
∞
∞
∞
∞
h(t) · ej2ft dt
H ( f ) · e j2ft df
H(f)
(1.91)
(1.92)
in die Übertragungsfunktion H (f ) bzw. diese wieder zurück überführt werden. Die Transformationsgleichung ist durch das Fourierintegral gegeben. Somit können LTI-Systeme vollständig entweder im Zeitbereich oder im Frequenzbereich charakterisiert werden, und an mehreren Stellen ist mittels der Fouriertransformation ein Übergang zwischen den Bereichen in beide Richtungen möglich. Man beachte die Äquivalenz der Faltungsoperation im Zeitbereich mit der Multiplikation im Frequenzbereich (Abb. 1.15). Die Fouriertransformation ist jedoch nicht nur auf Impulsantworten h( t) anwendbar (siehe ein Beispiel in Abb. 1.16). Jedes Signal am Eingang oder Ausgang einer Übertragungsstrecke oder ein aufgezeichnetes Signal, welches analysiert werden soll, kann mit der Fouriertransformation in eine entsprechende Frequenzfunktion umgewandelt werden.
1.6.3 Digitalisierung von Messsignalen Um rechnerisch auswertbare Signale zu erhalten, müssen die vom Mikrofon aufgenommenen und als analoge Spannung vorliegenden Signale digitalisiert werden. Dies geschieht mittels eines Analog/Digital-Umsetzers. Die Feinheit der Diskretisierung hängt von der verwendeten Zeit- und Amplitudenauflösung ab. Typisch für Signale im Hörbereich sind Abtastraten von 44,1 kHz oder 48 kHz bei einer Auflösung von mindestens 16 bit (diskretisiert in Stufen von −32768 bis +32767). Der notwendige Zeittakt der Quantisierung, die sog. Abtastrate, hängt davon ab, welche Frequenzanteile im Signal enthalten sind. Systemtheoretisch bedeutet Abtastung eine Multiplikation des Zeitsignals mit einer Impulsfolge. Dadurch wird das Spektrum des ursprünglich kontinuierlichen Signals vervielfältigt.
33
Grundlagen der Fahrzeugakustik
Amplitude
1
0
0.005
0.01
0.015
– 40
0.02 0.025 0.03 Zeit in Sekunden
0.035
0.04
0.045
0.05
10k
20k
– 45
Betragsspektrum in dB
– 50 – 55 – 60 – 65 – 70 – 75 – 80 – 85 – 90 20
40
60
100
200
400 1k Frequenz in Hz
2k
4k
6k
Abb. 1.16 Beispiel einer Impulsantwort und Übertragungsfunktion (Betrag) zwischen einer Position auf dem Rücksitz zur Kopfposition des Fahrers in einem Pkw
34
M. Vorländer
1
S(f)
A
–fmax
0
f
fmax Ss(f)
idealer Tiefpass
–2fs
–fs
A T
–fmax
0
fmax
fs
2fs
f
Abb. 1.17 Ausblenden der Alias-Spektren zur Rekonstruktion des analogen Signals
Falls die Impulsfolge die schnellen Schwankungen eines Signals nicht in genügend kurzen Abständen „abtasten“ kann, kommt es zu Abtastfehlern, die sich im Frequenzbereich als Überlapp von Anteilen gespiegelter Spektren bemerkbar machen (Aliasing), s. Abb. 1.17. Zur Vermeidung von Aliasing benutzt man daher Tiefpassfilter, die den auswertbaren Frequenzbereich auf höchstens die Hälfte der Abtastfrequenz begrenzen (NyquistTheorem). Unter Berücksichtigung der Diskretisierung in Zeit und Amplitude stellen die Abtastwerte ein hinreichend genaues Bild des analogen Signals dar. Alle weiteren Manahmen der Filterung, Analyse, Verstärkung, Speicherung, etc. können nun durch mathematische Funktionen durchgeführt werden, wodurch erheblich gröere und flexiblere Möglichkeiten der Signalverarbeitung gegeben sind (Digitalfilter, Digitalspeicher, DFT, FFT. etc.).
1.6.4 Diskrete Fouriertransformation DFT Nun ist für die Messtechnik an LTI-Systemen die Frequenzanalyse ein sehr wichtiges Werkzeug. Setzt man abgetastete Funktionen voraus, so stellt sich die Frage nach einem effizienten Algorithmus zur Fouriertransformation dieser Zahlenfolge. Zuerst einmal muss berücksichtigt werden, dass die Abtastwerte zeitdiskret sind, d. h. das durch Fouriertransformation erhaltene (kontinuierliche) Spektrum ist periodisch. Entscheidende Voraussetzung für eine numerische Berechnung des Spektrums ist jedoch dessen Darstellung durch diskrete Zahlen, da man nur endlich viele Frequenzstellen auswerten kann. Man ist also
1
35
Grundlagen der Fahrzeugakustik
s(n)
S(f) FT
0
n
s(n)
0
f
0
k
S(k)
DFT
n
0
Abb. 1.18 Abtasten und Verarbeitung eines Signals s( n) ( oben links), entsprechendes Spektrum S( f ) ( oben rechts), numerische Repräsentanz dieses Spektrum S( k) ( unten rechts) und das zugehörige numerisch vorliegende periodische Signal s( n) ( unten links)
an die Berechnung eines Linienspektrums gebunden. Linienspektren besitzen aber nur periodische Signale, womit nun neben der Abtastung die zweite wesentliche Voraussetzung feststeht: Man muss beachten, dass sich numerisch ermittelte (Linien-)Spektren streng auf periodische Signale beziehen (s. Abb. 1.18). Die Berechnungsvorschrift für die diskrete Fouriertransformation DFT lautet dann (vgl. Gl. (1.91))
S(k) =
N 1 1 s(n)ej2nk/N N n=0
(1.93)
k = 0,1, . . . , N 1.
Zur Lösung sind N 2 (komplexe) Multiplikationen auszuführen. Die Variable „n“ repräsentiert den Zeitbereich und „k“ das Frequenzspektrum.
1.6.5 Fast Fourier Transformation FFT Eine schnelle Variante der DFT ist die sog. „Fast Fourier Transformation“, FFT. Sie ist eine schnellere und dennoch numerisch exakte Lösung der Gl. (1.93), die sich allerdings nur auf N = 2m (= 4, 8, 16, 32, 64, usw.) Abtastwerte anwenden lässt. Grund für die Beschleunigung der Berechnung ist die Reduzierung der Rechenschritte auf einen Bruchteil, in dem redundante bzw. drehsymmetrische Rechenschritte zusammengefasst werden. Das kann man sich so vorstellen, dass der Drehzeiger-Term e−j2πnk/N periodisch in 2π ist und für Zustände von n und k gleiche Winkelzustände, also gleiche Phasenfaktoren
36
1
M. Vorländer
vorliegen, die wieder verwendet werden können. Die Anzahl der Rechenoperationen fällt dadurch von N2 auf N ld( N/2) z. B. für N = 4.096 von 16.777.216 auf 45.056 (d. h. auf 1/372). Mögliche Fehler Es wird oft vergessen, dass eine FFT mit periodischen Signalen verknüpft ist. Wenn also ein ohnehin periodisches Signal (z. B. ein Sinus- oder ein Dreiecksignal) ausgewertet werden soll, muss das Auswertefenster, die sog. „Blocklänge“ einer glatten Anzahl von Perioden entsprechen, damit das zugehörige Linienspektrum unverzerrt berechnet werden kann. Sofern die Möglichkeit besteht, Anfang und Ende des auszuwertenden Blocks einzustellen, muss auf einen korrekten Anschluss geachtet werden. Meistens stimmt aber dann die Blocklänge nicht mit der FFT-Regel von N = 2m überein (s. Abb. 1.19). Im Allgemeinen kann durch Abtastratenwandlung das gewünschte Auswerteintervall glatter Periodenzahl auf eine FFT-Blocklänge von 2m abgebildet werden. Ein weiteres, allerdings nicht so exaktes Verfahren zur Verringerung dieser Fehler ist die Fenstertechnik. Ein „Fenster“ in diesem Sinne ist eine Zeitfunktion mit Anstieg und Abfallflanke, mit welcher das auszuwertende Signal multipliziert wird. Durch das Fenster werden die eventuellen Unstetigkeiten an den Grenzen des Auswertebereiches mit geringerem Gewicht berücksichtigt.
dB
V
0 0.5 –10 0
–20 –30
–0.5 –40 –1
0
1
2
3
4
t in ms
V
0 1
5
10
15
0 1
5
10
15
f in kHz
dB 0
0.5 –10 0
–20 –30
–0.5 –40 –1
0
1
2
3
4
t in ms
f in kHz
Abb. 1.19 1 kHz-Zeitsignal und Spektrum einer diskreten Fouriertransformation ( oben: exakt 6 Perioden; unten: 6,25 Perioden)
1
Grundlagen der Fahrzeugakustik
37
Weiterführende Literatur Möser M (2005) Technische Akustik. 6. Auflage, Springer-Verlag, Berlin, 2005 Möser M (2009) Messtechnik der Akustik. Springer-Verlag, Berlin, 2009 Molloy C (1957) Use of Four-Pole Parameters in Vibration Calculations. J. Acoust. Soc. Am. 29 (1957), p. 842 Ohm J-R, Lüke H D (2007) Signalübertragung. Springer-Verlag, Berlin, 2007 Petersson B A T, Gibbs B M (2000) Towards a structure-borne sound source characterization. Applied Acoustic 61 (2000), p. 325 Vorländer M (2008) Auralization. Springer-Verlag, Berlin, 2008
Das menschliche Gehör und Grundlagen der Psychoakustik
2
Klaus Genuit und Roland Sottek
2.1 Das menschliche Gehör Das menschliche Gehör ist ein äuerst komplexes Empfangs- und Signalverarbeitungssystem. Es ist als Schallanalysator in Leistungsfähigkeit und Vielseitigkeit von technisch-analytischen Verfahren nach wie vor unerreicht. Die Signalverarbeitung läuft auf Grundlage komplexer Prozesse ab, die in ihrer Gesamtheit bislang nicht vollständig erfasst sind. Verschiedene Modelle zur gehörgerechten Zeit- und Frequenzanalyse ahmen jene komplexen Prozesse und Verarbeitungsmechanismen nach, die im menschlichen Gehör vollzogen werden. Da die Anatomie und die generelle Funktionsweise des menschlichen Gehörs in vielen Lehrbüchern ausgiebig beschrieben sind, sollen diese hier nicht weiter ausgeführt werden. Vielmehr werden im Folgenden die Aspekte kurz vorgestellt, die im Rahmen der Wahrnehmung und Beurteilung von Fahrzeuggeräuschen relevant sein können. Die auffälligste Besonderheit des menschlichen Gehörs besteht im Vorhandensein zweier Eingangskanäle. Dabei kommt dem zweiten Eingangskanal nicht die „redundante“ Rolle eines Ersatzteiles zu. Vielmehr ermöglicht die zweikanalige „Apparatur“ das räumliche Hören, wobei neben der zweiohrigen Aufnahme noch eine nachgeschaltete binaurale Signalverarbeitung und Mustererkennung durchgeführt werden. Dadurch wird die Leistungsfähigkeit gesteigert und perzeptive Höchstleistungen, wie Richtungshören, Selektivität und Störgeräuschunterdrückung, ermöglicht. Die zeitlichen und spektralen Differenzen zwischen den beiden Ohrsignalen liefern der Nachverarbeitung des Gehörs wesentliche Informationen, die es bei der Bildung eines Hörereignisses bezüglich der räumlichen Position nach Richtung, Elevation, Entfernung und auch hinsichtlich der Beurteilung von Geräuschqualität nutzt. Dass das zweiohrige Hören tatsächlich eine Bedeutung für die Bewertung von Geräuschen hat, verdeutlichen einige Untersuchungen. Zum Beispiel besitzt die räumliche Anordnung von Schallquellen bereits einen Einfluss auf physiologische
K. Genuit () HEAD acoustics GmbH, Ebertstr. 30a, 52134 Herzogenrath, Deutschland E-Mail: [email protected] K. Genuit (Hrsg.), Sound-Engineering im Automobilbereich, DOI 10.1007/978-3-642-01415-4_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
39
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K. Genuit und R. Sottek
2
Abb. 2.1 Simultanverdeckung bei räumlich verteilten Quellen: maskierendes 4 kHz-Terzrauschen und maskierte 4 kHz-Impulsfolge; oben: beide Quellen von vorn; unten: Rauschen von 60° rechts und Impulsfolge von 60° links kommend. Dargestellt ist jeweils das Spektrogramm des linken und rechten Ohrsignals. Ein Messmikrofon würde in beiden Situationen das gleiche Ergebnis liefern (vgl. oberes linkes oder rechtes Spektrogramm)
Reaktionen und Geräuschbewertungen. Bewegte Geräuschquellen rufen im Vergleich zu ortsfesten Quellen unterschiedliche Reaktionen hervor (Genuit et al. 1997). Die auerordentliche Bedeutung des zweiohrigen Hörens ist in der Abb. 2.1 verdeutlicht. Eine Simultanverdeckung, gegeben durch ein 4 kHz-Terzrauschen und einen pulsierenden 4 kHz-Ton in einer Beschallungssituation, bei der eine Quelle (Terzrauschen) 60° nach rechts und eine weitere Quelle (getakteter Sinuston) 60° nach links in der Horizontalebene ausgelenkt sind, führt bei der Messung mit einem monauralen Messmikrofon zu einem anderen Ergebnis als eine Messung mit einem Kunstkopf-Messsystem. Während im ersten Fall der pulsierende Sinuston nicht sichtbar ist, wird dieser bei der Wiedergabe der Kunstkopfmikrofonsignale deutlich wahrnehmbar. Die Ursachen für die unterschiedlichen Auswirkungen liegen in der Filtercharakteristik des menschlichen Auenohrs, in Beugungs- und Abschattungseffekten und in der binauralen Signalverarbeitung des menschlichen Gehörs begründet. Diese besonderen Eigenschaften des menschlichen Gehörs sollen im Folgenden näher erläutert werden.
2.1.1 Dynamik- und Frequenzbereich des menschlichen Gehörs Der Dynamikbereich des menschlichen Gehörs ist durch die Ruhehörschwelle (absolute Hörschwelle) und Schmerzschwelle begrenzt. Die Hörfläche liegt zwischen den genann-
2
Das menschliche Gehör und Grundlagen der Psychoakustik
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ten Schwellen. Die Schwellen sind stark frequenzabhängig, wobei die höchste Sensitivität des menschlichen Gehörs im mittleren Frequenzbereich zwischen 0,5 und 4,0 kHz zu finden ist. Dagegen müssen Signale mit tieferen und höheren Frequenzen einen deutlich höheren Schalldruck aufweisen, um eine vergleichbare Lautheitsempfindung auszulösen. Hörereignisse können bereits ab 16–20 Hz hervorgerufen werden. Die obere Grenze liegt bei ca. 16 kHz. Die Hörbarkeit hoher Frequenzen ist stark altersabhängig. Aufgrund von „Ermüdungs- und Abnutzungserscheinungen“ der Haarzellen im Innenohr nach jahrelanger Belastung sinkt die obere Grenze hörbarer Frequenzen um ca. 1 kHz pro Lebensdekade (Mazurek et al. 2008). Diese altersabhängige Abnahme der Hörbarkeit hoher Frequenzen wird Presbyakusis genannt. Durch verschiedene Faktoren, wie Stoffwechselerkrankungen, Umweltfaktoren (Lärm), Gifte (Nikotin), kann der Prozess der Altersschwerhörigkeit beschleunigt werden. Die Schmerzschwelle ist weniger stark frequenzabhängig, d. h. mit zunehmendem Schalldruckpegel sinkt der Einfluss der Frequenz auf die Kurven gleicher Lautheit (Isophonkurven) und die Kurven werden zunehmend flacher. Die Kurven gleicher Lautheit wurden bereits 1933 durch Fletcher und Munson, (Fletcher u. Munson 1933) und später von Robinson und Dadson (Robinson u. Dadson 1956) in überarbeiteter Form bestimmt. Allerdings basierten die Kurven gleicher Lautheit auf stark streuende Messdaten und die ursprünglich 1961 verabschiedete und 1985 überarbeitete ISO 226 wurde 2003 daher erneut revidiert. Neuere Untersuchungen zeigten, dass vor allem im tieffrequenten Bereich die Kurven deutlich abwichen. Die Kurven gleicher Lautheit dienten u. a. als Grundlage verschiedener Gewichtungsfunktionen für den Schalldruckpegel zur Anpassung der physikalischen Gröe Schalldruck an die Lautstärkeempfindung. Der A-Bewertungsfilter, der im Wesentlichen die inverse Kurve gleicher Lautheit bei ca. 20 bis 40 phon widerspiegelt (DIN EN 61672), setzte sich als „empfindungsangepasstes“ Filter für den Schalldruck durch und wurde zum Standard in zahlreichen Richtlinien und Normen. Sämtliche Immissionsrichtwerte im Bereich der Umgebungsgeräusche geben als einzuhaltende Grenzwerte zeitlich gemittelte (energie-äquivalente) A-bewertete Schalldruckpegel an. Nur in einigen Fällen werden weitere Bewertungsfilter angewendet, die dem Umstand Rechnung tragen, dass die Frequenzempfindlichkeit bei der Lautheitswahrnehmung mit der Gröe des Schalldrucks variiert. Beispielsweise wird zur Bewertung von Fluglärm die D-Bewertung genutzt oder zur Detektion wesentlicher tieffrequenter Geräuschbeiträge die C-Bewertung angewendet bzw. die Differenz zwischen C-bewertetem und A-bewertetem Schalldruckpegel gebildet (TA Lärm). Wird der Bereich zwischen der Ruhehörschwelle und der Schmerzschwelle betrachtet, ist zu erkennen, dass der Mensch einen Dynamikbereich von 120 bis 140 dB aufweist. D. h., Schalldrücke in Form einer Hörempfindung können über sechs bis sieben Zehnerpotenzen verarbeitet werden (Abb. 2.2). Daraus lassen sich die Anforderungen an die Messtechnik zur Aufnahme von Schallereignissen ableiten. Hörversuche zeigten bereits Mitte des 20. Jahrhunderts mit Hilfe von Experimenten zur Bestimmung von Mithörschwellen1 von Sinustönen in weiem Rauschen (Fletcher 1
Die Mithörschwellen bezeichnen den Effekt der spektralen Verdeckung. Innerhalb einer Frequenzgruppe kann z. B. ein Ton durch ein spektrales Rauschen in der Nähe des Tones maskiert werden. Ist das Maskierungssignal auerhalb der Frequenzgruppe des zu verdeckenden Tones, ist eine Verdeckung nur mittels deutlich höherer Schalldruckpegel möglich.
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max. SPL für ein Kunstkopf-Messsystem
140
2
120 Schmerzschwelle 100
dB � Lspl
typisches mittleres Geräuschspektrum im Kfz-Innenraum
80 60
Hörschwelle
40 20 0 –20 0,02
Grundgeräusch Kunstkopf-Messsystem
0,05
0,1
0,2
0,5
1
2
5
10
20
f � kHz
Abb. 2.2 Vergleich des Dynamikbereiches des menschlichen Gehörs mit dem eines Kunstkopfmesssystems. (Genuit et al. 1997)
1940), dass das menschliche Gehör Geräuschanteile, die in ihrer Frequenz nahe beieinander liegen, in spezifischen Frequenzabschnitten zusammenfasst. Die Verarbeitung eines akustischen Signals basiert auf der Separation des akustischen Signals in Frequenzbändern. Diese vom menschlichen Gehör verwendeten Frequenzbänder werden als Frequenzgruppen bezeichnet. Durch Aneinanderreihen der Frequenzgruppen entsteht die „Tonheitsskala“ mit der Einheit Bark. Bis zu den Mittenfrequenzen von 500 Hz beträgt die Bandbreite der Frequenzgruppen ca. 100 Hz, die oberen Frequenzgruppen weisen annähernd eine konstante relative Bandbreite (bezogen auf die jeweilige Mittenfrequenz) von ca. 20 % auf. Diese Eigenschaft oberhalb von 500 Hz lässt sich mit Terzfiltern als Annäherung an die eigentlichen Gehörfilter abbilden (Fastl 1997). Die Frequenzgruppen sind mit einer Filterbank vergleichbar, in der Bandpassfilter unterschiedlicher Breite und Güte enthalten sind. Bei der Bestimmung der Lautheit wird diese Form der Signalverarbeitung berücksichtigt und die Frequenzgruppenverarbeitung des Gehörs mit Hilfe von Terzpegeln nachgestellt. Allerdings operiert das menschliche Gehör nicht mit statischen, festen Filtern, sondern ist in der Lage, die Gehörfilter entsprechend der Eigenschaften der zu analysierenden Geräusche adaptiv anzupassen. Diese Möglichkeit erhöht zusätzlich die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehörs und zeigt die enorme Komplexität seiner Signalverarbeitung. Die nachfolgende neuronale Verarbeitung kann als hochauflösende Spektralanalyse aufgefasst werden, wobei dominante spektrale Komponenten hinsichtlich einer Mustererkennung ausgewertet werden (Sottek 1993).
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2.1.2 Auflösungsvermögen des Gehörs im Zeit- und Frequenzbereich Das Gehör besitzt ein hohes Auflösungsvermögen im Zeit- und Frequenzbereich. Konventionellen technischen Analysatoren sind aufgrund des Zeitgesetzes der Nachrichtentechnik enge Grenzen gesetzt. Hier gilt, dass das Produkt aus Frequenz- und Zeitauflösungsvermögen größer/gleich eins ist (B × T ≥ 1). Ist beispielsweise ein hohes Zeitauflösungsvermögen gewünscht, bedingt dies eine niedrigere Frequenzauflösung und umgekehrt. Psychoakustische Untersuchungen belegen jedoch, dass das menschliche Gehör ein Auflösungsvermögen entsprechend einem B × T-Produkt von ungefähr 0,3 aufweist (Zwicker 1982). Darüber hinaus wurden im Rahmen psychoakustischer Experimente eben wahrnehmbare Unterschiede (Bestimmung von Unterschiedsschwellen bzw. Modulationsschwellen) untersucht. Hier zeigt sich ebenfalls die Leistungsfähigkeit des Gehörs. Schalldruckpegelunterschiede bis zu 0,2 dB sind im direkten Vergleich zweier Reize diskriminierbar. Daneben ist es mit Hilfe des auditiven Kurzzeitgedächtnisses möglich, Frequenzunterschiede zweier Töne von nur 0,7 % Frequenzunterschied zu erkennen (Fastl u. Zwicker 2007). Für die Bewertung von Alltagsgeräuschen sind diese „Laborleistungen“ allerdings von geringer Bedeutung (s. Abschn. 4.3).
2.1.3 Grundlagen zur Filtercharakteristik des Außenohrs Das Auenohr überträgt einfallende Schallwellen bis zum Trommelfell. Der Gehörgang wirkt dabei als akustische Leitung. Das Auenohr im erweiterten Sinn2 ist ein richtungsabhängiges Filter, das in Abhängigkeit des Schalleinfallswinkels und der Frequenz den Schalldruckpegel wichtet. Die Änderungen liegen in einem Bereich von –30 bis 15 dB.
Dadurch wird der Grundstein zum Richtungshören gelegt. Wie Abb. 2.3 verdeutlicht, führen die Filtereigenschaften des Auenohrs in Abhängigkeit von der Schalleinfallsrichtung zu deutlichen Klangverfärbungen. Das dargestellte Spektrum des rechten Ohrsignals spiegelt eine Kunstkopfaufnahme wider, bei der sich eine Schallquelle (weies Rauschen) beginnend von vorn (frontal) 360° um einen Kunstkopf im Uhrzeigersinn bewegt. Hierbei ist das Spektrum des rechten Ohrkanalsignals auf das Spektrum des Signals bezogen, das mit einem Messmikrofon mit frequenzunabhängiger Übertragungsfunktion im Freifeld an Stelle des Kunstkopfes gemessen wird. Deutlich sind charakteristische Klangverfärbungen aufgrund der Filtereigenschaften des Auenohrs zu erkennen. Befindet sich beispielsweise
2
Das Auenohr besteht aus der Ohrmuschel, dem Ohrkanal und dem Trommelfell. Allerdings wird im Bereich der Betrachtung von kopfbezogenen Übertragungseigenschaften gleichzeitig der Einfluss des Kopfes, der Schulter und des Oberkörpers darunter subsumiert.
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Abb. 2.3 Richtcharakteristik des rechten menschlichen Ohres im Freifeld als Funktion der Schalleinfallsrichtung (Winkel im Uhrzeigersinn) und der Frequenz
die Schallquelle auf der ohrabgewandten Seite (270°) sind deutliche Verringerungen des Schalldruckpegels im mittleren und hohen Frequenzbereich beobachtbar. Auf Grund dieser Klangverfärbungen sind sogar einseitig taube Menschen in der Lage, in eingeschränkter Weise Richtungen von Schallquellen zu orten. Neben den richtungsabhängigen Einflüssen des menschlichen Auenohrs müssen auch richtungsunabhängige Filtereigenschaften berücksichtigt werden. Die richtungsabhängigen Einflüsse lassen sich auf Beugungen und Reflexionen, die durch die äuere Geometrie des Menschen, wie Ohrmuschel, Kopf, Schulter und Oberkörper verursacht werden, zurückführen (Abb. 2.4). Dagegen sind richtungsunabhängige Einflüsse Resonanzen, die durch die spezifische Anatomie des Ohres (Ohrmuschelhöhle (cavum conchae) und Ohrkanal) hervorgerufen werden.
Abb. 2.4 Einfluss der Geometrie auf die Auenohrübertragungsfunktion
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Ein konventionelles Messmikrofon weist für alle Schalleinfallsrichtungen einen vergleichsweise linearen, frequenzunabhängigen Pegelverlauf auf und kann daher keine Abbildung von räumlich verteilten Geräuschquellen leisten.
2.1.4 Richtungshören Der Mensch nutzt für das Richtungshören die Hörsignale beider Ohren. Das Auenohr prägt durch die speziellen Filtereigenschaften den von der Schallquelle erzeugten akustischen Signalen ein spezifisches Muster auf, indem es einfallende Schallsignale in für alle Einfallsrichtungen „unverwechselbare“ Ohrsignale codiert. Die monauralen und interauralen Merkmale der akustischen Ohrsignale liefern die wesentlichen Informationen, die für die Bildung eines Hörereignisses bezüglich der räumlichen Position nach Richtung und Entfernung notwendig sind. Dabei werden zeitliche wie auch spektrale Eigenschaften der Hörsignale zum Richtungshören herangezogen. Die Analyse der binauralen Information erlaubt die auerordentlichen Ortungsleistungen, wobei auch die Auswertung monauraler Informationen Richtungshören graduell erlaubt. Auf Grund der räumlichen Trennung der Ohren sind die Signale des linken und rechten Ohres i. d. R. nicht identisch, d. h. die Ohrsignale sind dichotisch. Die zwischen dem linken und rechten Ohr auftretenden interauralen Zeit- und Intensitätsdifferenzen werden vom menschlichen Gehirn ausgewertet. Ist beispielsweise eine Schallquelle seitlich ausgelenkt, so trifft auf das abgewandte Ohr Schall zeitlich verzögert ein. Diese Differenzen werden in nachgeschalteten neuronalen Verarbeitungsschritten zur Lokalisation von Schallquellen interpretiert. Dazu werden ebenfalls durch Abschirmungs- und Beugungseffekte und durch unterschiedliche Laufwege entstandene Pegeldifferenzen vom Gehör analysiert. Neben der Fähigkeit eine Richtung einer Schallquelle zuzuordnen, ist es dem Menschen auf Grund der gezielten Auswertung der Ohrsignale möglich, Anzahl, Richtung und Entfernung mehrerer Schallquellen zu erkennen sowie gleichzeitig raumakustische Informationen zu erfassen.
2.1.4.1 Frontalebene und Horizontalebene Für Schallquellen auerhalb der Medianebene entstehen zwischen den beiden Ohren frequenzabhängige Pegel- und Laufzeitdifferenzen. Die interauralen Laufzeitdifferenzen entstehen durch die unterschiedlichen Wege des Schalls zur ohrzugewandten (ipsilaterale) und ohrabgewandten (kontralaterale) Seite (Abb. 2.5). Bei Wellenlängen des Schalls, die im Vergleich zur Kopfgeometrie gro sind, treten Laufzeitunterschiede auf, die vom Gehör identifiziert werden können. Bei Frequenzen oberhalb von 1,5 kHz ist diese Phasenverschiebung allerdings nicht mehr eindeutig. Das menschliche Gehör wertet daher ebenfalls die Einhüllende der Ohrsignale aus, wodurch eine eindeutige Zuordnung der Laufzeitdifferenz bei höheren Frequenzen möglich wird. Die interauralen Intensitätsdifferenzen werden im Wesentlichen durch die Abschattung der kontralateralen Ohrseite auf Grund des Kopfes hervorgerufen. Die Abschattung tritt für
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Abb. 2.5 Kopfbezogene Ebenen: Horizontal-, Frontalund Medianebene
Horizontalebene (vorn, rechts, hinten, links)
Frontalebene (oben, links, unten, rechts)
Medianebene (vorn, oben, hinten, unten)
Wellenlängen auf, die im Vergleich zur Kopfgeometrie sehr klein sind. Damit sind wesentliche interaurale Intensitätsdifferenzen im höherfrequenten Bereich zu finden. Die Schallanteile auf der abgewandten Kopfseite sind durch die frequenz- und richtungsabhängige Abschattung gegenüber der zugewandten Seite gedämpft und um eine mittlere interaurale Laufzeit zeitlich verzögert.3 Die nicht diametrale Anordnung der Ohrmuscheln am Kopf liefert dem Gehör nicht nur unterscheidbare interaurale Merkmale zur vorne/hinten Unterscheidung, sondern vor allem signifikant veränderte Ausprägungen der Struktur der monauralen Auenohrübertragungsfunktion, d. h. die Auenohrübertragungsfunktion für einen Horizontalwinkel φ1 unterscheidet sich von der für einen Einfallswinkel φ2 = 180° – φ1. Auf Grund der Beugungs- und Reflexionseigenschaften des Kopfes entstehen zusätzliche Phasenlaufzeitverzerrungen. Wie Abb. 2.6 exemplarisch zeigt, ist das menschliche Ohr bzw. der Ohrkanaleingang i. d. R. weder zur Horizontalebene noch zur Frontalebene symmetrisch angeordnet. Das cavum conchae und die äuere Ohrmuschel sind nicht kreisförmig, der Ohrkanaleingang liegt nicht im Brennpunkt des cavum conchae. Bei seitlichen Auslenkungen der Schallquelle aus der Medianebene kann das menschliche Gehör bereits Auslenkungen im Bereich von ein bis zwei Grad auf Grund spektraler Änderungen der Auenohrübertragungsfunktion erkennen (Blauert 1996).
2.1.4.2 Medianebene Liegt eine Schallquelle in der Medianebene, so sind die Ohrsignale als ungefähr gleich zu bezeichnen und es treten keine signifikanten interauralen Laufzeit- und Pegeldifferenzen auf. Allerdings liegen aufgrund von Unsymmetrien des Körperbaus keine absolut diotischen Ohrsignale vor (Chouard 1997), wie Untersuchungen zu den Auenohrübertragungsfunktionen bei Schalleinfall aus der Medianebene belegen. Das Gehör muss, da nur minimale, nicht signifikante interaurale Unterschiede vorliegen, im Wesentlichen auf monaurale Merkmale bei der Lokalisation einer Quelle in der Medianebene zurückgreifen 3
Die interauralen Laufzeitdifferenzen sind auf Grund von speziellen Beugungseffekten frequenzabhängig.
2
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Abb. 2.6 Schematische Darstellung eines durchschnittlichen menschlichen Kopfes, a) Horizontalebene, b) Frontalebene. (Genuit 1984)
b)
a)
(Blauert 1969). Die durch die Auenohrfilterung bewirkten linearen Verzerrungen führen zu spezifischen Anhebungen und Absenkungen im Leistungsdichtespektrum, den so genannten richtungsbestimmenden Bändern (Blauert 1969), die vom Gehör einer Hörereignisrichtung zugeordnet werden. Die Ohrmuschel ist aufgrund der geringen geometrischen Abmessungen nur für Frequenzen oberhalb von 3,5 kHz von Bedeutung. Richtungshörtests haben gezeigt, dass die Fehlerhäufigkeit der Richtungserkennung in der Medianebene bei der Verwendung breitbandiger Signale mit hochfrequenten Anteilen sinkt, da sich dann der Einfluss der Ohrmuschel spektral auswirkt und entsprechend interpretiert werden kann. Änderungen im Spektralbereich von 1 bis 2,5 kHz werden durch die Schulter verursacht und werden ebenfalls zur Lokalisation von Schallquellen herangezogen (Genuit 1984).
2.1.5 Spezielle Wahrnehmungsphänomene 2.1.5.1 „Cocktailpartyeffekt“ Mit Hilfe von binauralen Signalverarbeitungsprozessen ist es dem menschlichen Gehör möglich, eine Einzelquelle aus mehreren unkorrelierten Schallquellen zu selektieren. Auch
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zur Verbesserung der Sprachverständlichkeit in störschallerfüllter Umgebung wird die Fähigkeit zur Selektion einer Schallquelle aus einem Konglomerat mehrerer Schallquellen genutzt (Cherry 1953).
2.1.5.2 Binaurale Störgeräuschunterdrückung Aufgrund binauraler Signalverarbeitung können Störgeräusche graduell reduziert und unterdrückt werden, um bestmöglich Nutzschall hören zu können. Von dieser Möglichkeit macht der Mensch vor allem im Bereich von Sprachschall Gebrauch. Binaurale Informationen werden hinsichtlich interauraler Betrags- und Phasendifferenzen verarbeitet und analysiert, wodurch eine Störschallunterdrückung von 9 bis 15 dB erreicht wird. Die Abb. 2.7 verdeutlicht das erhöhte Leistungsvermögen des Gehörs aufgrund binauraler Signalverarbeitung. Mit Hilfe eines Tests bezüglich der Bestimmung binauraler Verständlichkeits-Pegelunterschiede ( Binaural Intelligibility Level Differences, kurz BILD) lässt sich diese besondere Fähigkeit darstellen. In einem BILD-Test wird der Unterschied in der Sprachverständlichkeit bei der Benutzung von einem oder beiden Ohren gemessen, wenn Nutzschall (Sprache) und Störschall aus verschiedenen Richtungen dargeboten werden. Je nach räumlicher Verteilung der Nutz- und Störschallquelle beträgt die SchwelBinaurale Signalverarbeitung 14 12 10 8 BILD in dB
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6 4 2 0 –2 –4
0°
30°
60°
90°
120° 150° 180° 210° 240° 270° 300° 330° 360°
Schalleinfallswinkel der Nutzschallquelle BILD -normale Außenohrübertragungsfunktion BILD -nur linkes Ohrsignal (Simulation einseitiger Taubheit) BILD -nur Betrag und Minimalphase der Außenohrübertragungsfunktion BILD -nur mit Simulation der interauralen Gruppenlaufzeitdifferenzen
Abb. 2.7 Bestimmung der Binaural Intelligibility Level Difference (BILD) als Funktion des Schalleinfallswinkels einer Nutzschallquelle (Sprache) für ein Störsignal von hinten (180°) unter verschiedenen Testbedingungen. (Hövel 1984)
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lendifferenz bei Normalhörenden 8 bis 10 dB. In der Abb. 2.7 sind verschiedene Beschallungssituationen untersucht worden. Es ist zu erkennen, dass unter der Benutzung der normalen Auenohrübertragungsfunktion die Probanden je nach Winkel deutlich höhere Schalldruckpegel einer Störschallquelle kompensieren konnten. Fallen Teile binauraler Informationen weg (nur Betrag und Minimalphase der Auenohrübertragungsfunktion, nur Simulation der Gruppenlaufzeitdifferenzen), verschlechtert sich die Erkennungsleistung. Für den Fall, dass nur ein Ohrsignal zur Verfügung steht (einseitige Taubheit), ist kaum eine merkliche Störgeräuschunterdrückung möglich (Hövel 1984).
2.1.5.3 „Im-Kopf-Lokalisation“ Bei der so genannten Im-Kopf-Lokalisation wird ein Hörereignis direkt im Kopf lokalisiert. Dieses Wahrnehmungsphänomen ist i. d. R. nur bei einer Kopfhörerwiedergabe zu beobachten. Diese „Fehllokalisation“ tritt im Allgemeinen dann auf, wenn dem Gehör ungewohnte Ohrsignale dargeboten werden.
2.1.5.4 „Haaseffekt“ (Precedence Effect) Das Gesetz der ersten Wellenfront beschreibt die Bildung der Hörereignisrichtung (Haas 1951). Es werden bis zu einer bestimmten Zeit verzögert eintreffende Reflexionen aus anderen Richtungen vom Gehör der Richtung der Ausgangsschallquelle zugeordnet. Dieser Effekt führt sogar dazu, dass bei einer Wiedergabe mit zwei Lautsprechern, die im Stereodreieck aufgestellt sind und nicht synchron abstrahlen, sondern um wenige Millisekunden zeitversetzt, vermeintlich (subjektiv) nur der zeitlich frühere Lautsprecher abstrahlt. Dieser Effekt kann auch bei einer Kopfhörerwiedergabe und einer entsprechenden zeitlichen Verzögerung der Kanäle realisiert werden. Die maximal zulässige Verzögerungszeit, d. h. die Zeit bevor die Reflexionen als Echos aus unterschiedlichen Richtungen interpretiert werden, muss kleiner als 50 ms sein und ist auch vom Schalldruckpegel der jeweiligen Reflexion abhängig. Die untere Grenze liegt bei ca. 1 ms.
2.1.5.5 Summenlokalisation (Phantomschallquelle) Die Summenlokalisation ist ein Sonderfall der Hörereignisbildung im überlagerten Schallfeld. Falls zwei Lautsprecher, die sich in der Horizontalebene befinden und symmetrisch aufgestellt sind, mit kohärenten Signalen gespeist werden, wird der Hörer nur ein Hörereignis wahrnehmen (lokalisiert auf der Mittelsenkrechten der Lautsprecherbasis). Der Effekt der Summenlokalisation wird bei der Stereo-Lautsprecher Wiedergabe genutzt, um Schallquellen zu erzeugen (Phantomschallquellen), die nicht mit den realen Orten der Schallquellen (Lautsprecherpositionen) übereinstimmen.
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2.2 Gehörgerechte Schallmesstechnik – Aufnahme und Wiedergabe Der Tatsache, dass der Mensch mit zwei Ohren Geräusche wahrnimmt, trägt der Ansatz der gehörgerechten Schallmesstechnik (kopfbezogene Stereofonie) Rechnung. Kopfbezogene Stereofonie bedeutet das Aufnehmen und Übertragen von Signalen zweier Mikrofone, deren Richtcharakteristik der des menschlichen Gehörs entsprechen, sowie die anschlieende gehörrichtige Reproduktion der Ohrsignale. Konventionelle monaurale Messtechnik dagegen „ignoriert“ die räumlichen Informationen komplexer Geräuschsituationen, wodurch ein charakteristischer Aspekt des Geräuschereignisses ausgeblendet wird, der mitunter wahrnehmungs- bzw. beurteilungsrelevant sein kann. Dagegen geht bei der Anwendung der kopfbezogenen Stereofonie die räumliche Information nicht verloren. Die gehörgerechte Schallmesstechnik zeichnet Schallereignisse nahezu originalgetreu auf und gilt deshalb bei der Aufzeichnung von Geräuschen, die in Hörversuchen evaluiert werden sollen, als Standard (Otto et al. 1999).
2.2.1 Prinzip der kopfbezogenen Stereofonie Das Grundprinzip besteht in der verzerrungsfreien Messung, Übertragung und Reproduktion von den Schalldrucksignalen an den menschlichen Trommelfellen. Beim Hörvorgang wird in Abhängigkeit von der Einfallsrichtung Schall durch die Filterwirkung des Auenohrs gewichtet. Über entsprechende Impedanzanpassung im Mittelohr wird das Signal zum Innenohr übertragen und dort durch ein spezifisches Filterbanksystem im Innenohr einer Spektralanalyse unterzogen. Diese Signale werden in einem nachfolgenden binauralen Prozessor hinsichtlich verschiedener Eigenschaften verarbeitet. Diese funktionale Verarbeitungskette muss eine kopfbezogene Stereofonie berücksichtigen. Die sogenannten Auenohrübertragungsfunktionen spiegeln die Übertragungseigenschaften des Auenohrs in Abhängigkeit von der Frequenz und des Ortes der Schallquelle wider. Es lassen sich folgende Anforderungen an ein Kunstkopf-Messsystem formulieren: (a) die Richtcharakteristik des Kunstkopfes entspricht der mittleren Richtcharakteristik des Menschen, (b) das Eigenrauschen der Mikrofone ist nicht wahrnehmbar, wodurch Hörversuche im Bereich der Hörschwelle durchführbar sind, (c) die Dynamik erstreckt sich bis zur menschlichen Schmerzgrenze, um eventuelle Pegelspitzen unverzerrt zu erfassen, (d) das System ist kalibrierfähig und kompatibel zu konventionellen Schallaufnehmern (für spezielle Beschallungssituationen). Die erforderlichen Komponenten des Kunstkopfmikrofons bestehen aus einem Impedanzwandler, Vorverstärker und einem Entzerrer. Grundsätzlich lassen sich beim Hörvorgang richtungsabhängige von richtungsunabhängigen Veränderungen des Schallsignals unterscheiden, die durch die spezifische Anatomie bzw. Geometrie des menschlichen Hörapparats hervorgerufen werden (Abb. 2.9). Die Beeinflussung des Schalls bei der Hinführung des Schalls von der Ohrmuschelhöhle (cavum conchae) über den Ohrkanal (meatus acusticus externus) zum Trommelfeld (membrana tympani) ist richtungsunabhängig.
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Abb. 2.8 Kunstkopf-Messsystem mit zum menschlichen Gehör vergleichbaren und kalibrierfähigen Übertragungseigenschaften
Die äueren Körperpartien (Schulter, Kopf, Ohrmuschel) führen zur richtungsabhängigen Beeinflussung des Schallfeldes, da Teile des Schalls von Schulter und Kopf reflektiert sowie durch die Ohrmuschel je nach Einfallsrichtung „gewichtet“ zum Ohrkanal gelangen (Abb. 2.8). Daraus resultiert nachvollziehbar eine Veränderung der Klangfarbe und des Schalldruckpegels. Diese Veränderungen im Spektralbereich werden in der binauralen Signalverarbeitung bestimmt und hinsichtlich Lokalisation und Raumeindruck interpretiert sowie zur Selektion einer Geräuschquelle aus einer komplexen Geräuschsituation genutzt. Mittels entsprechender Filter werden die richtungsabhängigen und richtungsunabhängigen Einflüsse bei der Kunstkopfaufnahme für bestimmte, unten angegebene Beschallungssituationen herausgerechnet (entzerrt). Damit ist die Kunstkopfaufnahme mit monauralen Schallaufnahmen kompatibel, da eben jene gehörspezifischen Aspekte und schallfeldbedingte Verzerrungen unberücksichtigt bleiben. Damit können vergleichbare Ergebnisse gewonnen werden.
Abb. 2.9 Modell der Einflüsse auf die Auenohrübertragungsfunktion
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10
2
Freifeld Diffusfeld Richtungsneutral
5 | H(f) |
dB
0 –5 –10 –15 –20 0,2
0,5
1
2 f in kHz
5
10
20
Abb. 2.10 Vergleich von unterschiedlichen Entzerrungen (Freifeld, Diffusfeld, richtungsneutrale Entzerrung (independence of direction))
Zur adäquaten Filterung der richtungsabhängigen Veränderungen (Verzerrungen) des Geräuschs muss das Schallfeld, in dem die Aufnahme stattfand, betrachtet werden. Durch entsprechende Entzerrungsfilter ist eine Kompatibilität mit konventioneller Messtechnik gegeben. Ein frontales Schallereignis erzeugt ein anderes Spektrum als eine seitlich zum Ohr gelegene Schallquelle. Neben der Freifeld- und Diffusfeldentzerrung ist auch eine Entzerrung ohne Richtungsabhängigkeit bekannt (Abb. 2.10). Die Freifeld- und Diffusfeldentzerrung beinhalten richtungsabhängige Parameter. Bei dem Freifeldbezug werden die richtungsabhängigen Übertragungseigenschaften des Auenohrs für den Schalleinfall von vorn erfasst, beim Bezug auf das diffuse Schallfeld erfolgt eine Gewichtung mit der komplexen Überlagerung von allen richtungsabhängigen Übertragungseigenschaften des Auenohrs für alle Schalleinfallsrichtungen. Dazu werden die richtungsunabhängigen Schallfeldstörungen durch das Auenohr gleichermaen berücksichtigt. Diese Übertragungseigenschaften müssen bei der Wiedergabe entsprechend berücksichtigt werden. Hier erfolgt eine Filterung mit einer speziellen Entzerrungskurve, um die Schalldrucksignale für die mit Kopfhörern abhörende Person derart zu erzeugen, als wenn diese sich im Originalschallfeld befunden hätte (Genuit u. Sibinger 1994). Abbildung 2.11 zeigt das grundsätzliche Prinzip der kopfbezogenen Stereofonie. Darüber hinaus gilt beim Hören einer Kunstkopfaufnahme zu berücksichtigen, dass sich die Kopfhörermembran nicht unmittelbar vor dem Trommelfell befindet. Die Schallwellen durchlaufen bei einer Wiedergabe erneut die Ohrmuschelhöhle sowie den Gehörgang. Diese Einflüsse sowie die Übertragungseigenschaften des Kopfhörers müssen aus dem Signal „herausgerechnet“ werden, so dass die Aufnahme gehörrichtig reproduziert wird. Die rich-
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Abb. 2.11 Blockschaltbild einer kopfbezogenen Übertragung. Durch die Entzerrer wird erreicht, dass die Signale sl(t) und sr(t) kompatibel zu konventionellen Aufnahmeverfahren sind. Mit Hilfe des Kopfhörerentzerrers werden lineare Übertragungsfehler des Kopfhörers derartig korrigiert, dass an den Ohren der abhörenden Person die Schalldrucksignale pl'(t), pr'(t) am Ohrkanaleingang vorliegen, vergleichbar zu den Signalen (pl(t), pr(t)), befände sich der Zuhörer in der Original-Beschallungssituation
tungsneutrale Entzerrung realisiert dagegen eine vom Schallfeld unabhängige Entzerrung. Diese beinhaltet aufnahmeseitig die Korrektur aller richtungsunabhängigen Parameter, lässt aber richtungsabhängige Parameter unberücksichtigt.
2.3 Einführung in die Psychoakustik Die Psychoakustik beschäftigt sich mit der (quantitativen) Verknüpfung von physikalischen Reizen und den von ihnen hervorgerufenen Hörwahrnehmungen. Es wird die Rückführung von psychischen auf physikalische Variablen angestrebt. Mit Hilfe von psychoakustischen Empfindungsgröen und auditiven Empfindungsschwellen, die mittels psychometrischer Methoden ermittelt werden, können verschiedene Empfindungen abgebildet werden. Die Vorgehensweise zur Erforschung einzelner Aspekte der Geräuschwahrnehmung besteht darin, aus gemessenen Zusammenhängen zwischen Reiz und Empfindung eine mathematische Beschreibung abzuleiten, aus der dann ein Modell resultiert (Sottek 1993). Bisher haben sich die psychoakustischen Parameter Lautheit, Schärfe, Rauigkeit, Tonalität und Schwankungsstärke als klassische psychoakustische Parameter etabliert (Tab. 2.1). Da-
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Tab. 2.1 Psychoakustische Gröen im Überblick
2
Psychoakustischer Parameter
Kurzbeschreibung
Lautheit
Berücksichtigung der Frequenzgruppenaufteilung und der Maskierungseigenschaften im Gehör (DIN 45631/A1, ISO 532) Gewichtetes erstes Moment der Tonheitsverteilung der spezifischen Lautheit; Verhältnis der Lautheit der höherfrequenten Spektralanteile zur Gesamtlautheit (DIN 45692) Berücksichtigung der zeitlichen Struktur eines Schallsignals, Modulationsgrad und Pegeldifferenz (Amplituden-, Frequenzmodulation) Periodische Schwankungen des Schallsignals mit Modulationsfrequenzen kleiner 20 Hz Anteil von tonalen, schmalbandigen Komponenten eines Schallsignals; abhängig von der Frequenzlage, dem Pegelüberschuss und der Bandbreite
Schärfe
Rauigkeit Schwankungsstärke Tonalität
rüber hinaus sind noch zahlreiche weitere gehörbezogene Gröen und Parameter bekannt, die häufig Anwendung finden.
2.3.1 Lautheit Der psychoakustische Parameter Lautheit spiegelt die subjektiv empfundene Lautstärke von Schallen wider. Die Lautheitsskala ist mit Hilfe psychophysischer Verhältnisskalierung, d. h. auf der Basis von Verhältnisurteilen, entstanden. Die Lautheitsskala wurde entwickelt, um die Wahrnehmung von Lautstärke gemä dem menschlichen Empfinden auf einer linearen Skala abzubilden. Dabei erhält das Referenzsignal, ein Sinuston mit der Frequenz 1 kHz und einem Schalldruckpegel von 40 dB, per Definition die Lautheit 1 sone. Da es sich um eine Verhältnisskalierung handelt, entspricht die Lautheit doppelt so laut empfundener Signale 2 sone. Die Lautheit gilt als wesentlicher Parameter im Bereich der Geräuschqualität (Fastl 1997). Zahlreiche Laboruntersuchungen zeigten systematisch die verschiedenen Einflüsse auf die Lautheitswahrnehmung auf. Es wurde festgestellt, dass die Intensität eines Schallereignisses für die Lautheitsempfindung eine wesentliche Rolle spielt, allein aber zur Ermittlung der Lautheit nicht hinreichend ist. Das bekannteste Verfahren aus der Psychoakustik ist die Lautheitsmessung, die für stationäre, zeitinvariante Schallereignisse entsprechend nach dem auf Zwicker beruhendem Berechnungsverfahren in der ISO 532 B und in der DIN 45631 (1991) standardisiert worden ist. Die aktuelle Neufassung der DIN 45631/A1 sieht die Bestimmung der Lautheit zeitveränderlicher Geräusche vor. In dem Anhang A1 der DIN 45631 ist im Wesentlichen ein nichtlineares Abklingverhalten des menschlichen Gehörs nachgebildet worden, wodurch den temporalen Effekten bei der Wahrnehmung von Lautheit Rechnung getragen wird. Die angewendete Filtercharakteristik zur Nachbildung der frequenzgruppenbasierten Funktionsweise des menschlichen Gehörs ist für die Berechnung zeitvarianter wie auch stationärer Geräusche identisch.
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Zur Unterscheidung zwischen stationären und zeitvarianten Geräuschen schlägt die DIN 45631/A1 vor, den Quotienten N5/N95 zu bilden.4 Im Falle, dass der Quotient gröer als 1,1 ist, kann von einem zeitvarianten Geräusch ausgegangen werden. Es sind nahezu alle realen Geräusche (technische oder natürliche) zeitvariant. Nur sehr selten liegen tatsächlich stationäre Geräusche vor (Genuit et al. 2009).
2.3.1.1 Einfluss der Frequenz auf die Lautheit Der Einfluss der Frequenz auf die Lautheitsempfindung ist aus den Kurven gleicher Lautheit (Isophone) ersichtlich. Die Kurven erstrecken sich über den gesamten hörbaren Frequenzbereich und geben den Schalldruckpegel bei bestimmten Frequenzen an, der benötigt wird, um bezüglich einer Referenz den gleichen Lautheitseindruck hervorzurufen (Abb. 2.12). Diese Kurven wurden mit Hilfe von Vergleichsmessungen ermittelt. Die Kurven gleicher Lautheit zeigen, dass im Frequenzbereich von 2 bis 5 kHz das menschliche Gehör besonders empfindsam ist. Der Grund für diese Sensitivität liegt in anatomischen Gegebenheiten des Gehörs (Resonanz des cavum conchae und Ohrkanals). Darüber hinaus ist zu erkennen, dass im Bereich der tiefen Frequenzen sehr groe
Abb. 2.12 Kurven gleicher Lautheit. (nach ISO 226: 2003)
4
NX-Lautheit stellt den Lautheitswert dar, der in X % der Messzeitintervalle erreicht oder überschritten wird.
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K. Genuit und R. Sottek
Anregungen notwendig sind, um geringe Lautheitsempfindungen zu erzielen. Jedoch weisen die Kurven gleicher Lautheit in diesem Bereich deutlich geringere Abstände zueinander auf, so dass verhältnismäig geringe Pegelanstiege bereits deutliche Lautheitsveränderungen hervorrufen können.
2.3.1.2 Einfluss der Dauer auf die Lautheit Die wahrgenommene Lautheit hängt auch von der Dauer eines Stimulus auf Grund eines zeitlichen Integrationseffektes ab (Abb. 2.13). Kurze Geräuschereignisse führen zu einer geringeren wahrgenommenen Lautheit als längere Geräusche mit identischem Schalldruckpegel. Der Lautheitseindruck ist für Geräusche, die nur eine zeitliche Länge von 1/10 der Zeit zum Referenzgeräusch aufweisen, nur halb so gro. D. h. das kürzere Geräusch müsste um ca. 10 dB angehoben werden, um den gleichen Lautheitseindruck zu erzeugen. Erst ab einer gewissen Dauer (ca. 0,2 s) bleibt der Lautheitseindruck konstant (Fastl u. Zwicker 2007).
2.3.1.3 Einfluss der spektralen Bandbreite auf die Lautheit Breitbandige Geräusche wirken bei gleichem Schalldruckpegel lauter als schmalbandige Geräuschereignisse. Wie Abb. 2.14 zeigt, steigt die Lautheit bei zunehmender Bandbreite des Geräuschs an. Mit zunehmender Bandbreite erfolgt eine Erregung in mehreren Frequenzgruppen. Da die Gesamtlautheit die Summe der spezifischen Lautheiten bildet, d. h. der gesamten Fläche unter der Lautheitsverteilung, steigt damit die Gesamtlautheit. Solange ein Signal nur eine Frequenzgruppe anregt, verändert sich trotz zunehmender Bandbreite die Lautheit kaum. Der Einfluss der Bandbreite auf die wahrgenommene Laut-
Abb. 2.13 Lautheit für Geräusche mit identischem A-bewerteten SPL und variabler Dauer (1 kHz Ton mit 80 dB SPL und einer Dauer von 25, 50, 125, 1000 ms); Lautheit über Zeit
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Das menschliche Gehör und Grundlagen der Psychoakustik
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Abb. 2.14 Lautheit für Geräusche mit 80 dB(A) SPL bei unterschiedlicher Bandbreite (1 kHz-Ton (grün), Weies Rauschen bandpassgefiltert 920–1480 Hz (blau), Weies Rauschen bandpassgefiltert 920–8000 Hz (pink)); Oben: A-bewerteter Pegel über Zeit, unten: Lautheit über Zeit
heit wird somit erst bedeutsam, wenn die Grenzen einer Frequenzgruppe5 überschritten werden.
2.3.1.4 Temporale Verdeckung Die Verdeckung kann in drei Phänomene unterteilt werden, die Vorverdeckung, die Simultanverdeckung und die Nachverdeckung (Abb. 2.15). Bei der Vorverdeckung werden Stimuli, die zeitlich vor dem Maskierer auftreten, verdeckt. Die Ursache für dieses erstaunliche Phänomen ist vermutlich einfach. Unterschiedliche Latenzen bei der Verarbeitung von 5
Bei dem menschlichen Gehör sind die Frequenzgruppenbreiten nicht starr und unveränderlich. Vielmehr kommt es je nach Geräusch zu Verschiebungen der Frequenzgruppen. Mit Hilfe der Anpassungen der Lage der Frequenzgruppen wird die Leistungsfähigkeit des Gehörs gesteigert.
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K. Genuit und R. Sottek
L
Vorverdeckung < 20ms
Simultanverdeckung
Nachverdeckung < 200ms
Abb. 2.15 Schematische Darstellung von Verdeckungseffekten; die gestrichelten Linien stellen Beginn und Ende des Maskierers dar; die durchgezogene Linie stellt schematisch die Intensität des Nutzsignals dar, die mindestens erreicht werden muss, um nicht maskiert zu werden
Reizen im menschlichen Gehör verursachen den Vorverdeckungseffekt. Die erforderliche Zeit zur Signalverarbeitung variiert mit der Reizgröe. Bei der Simultanverdeckung maskiert ein Reiz einen anderen Reiz, der zeitlich simultan auftritt. Entscheidend für diesen Effekt sind die spektrale Lage sowie die jeweilige Intensität der Reize. Bei der Nachverdeckung wird ein Reiz auf Grund eines zeitlich vorangegangenen Reizes, der sozusagen in seiner Wirkung ausklingt, verdeckt. Einfluss der Vorverdeckung Hinsichtlich des Phänomens der Vorverdeckung wird angenommen, dass ein lautes Schallereignis schneller als ein leises Ereignis verarbeitet wird, das zeitlich vorgelagert stattfindet. Der Zeitraum, der für die Vorverdeckung relevant ist, beläuft sich auf ca. 20 ms.6 Inwiefern die Dauer des Maskierers eine Rolle spielt, ist noch unklar. Insgesamt kann der Effekt der Vorverdeckung im Vergleich zur Nachverdeckung vernachlässigt werden und besitzt für gehörbezogene Analysen eine untergeordnete Relevanz (Sottek 1993). Einfluss der Simultanverdeckung Bei der Simultanverdeckung wird ein Geräusch durch ein weiteres, simultan auftretendes Geräusch verdeckt (s. Abschn. 2.3.1.5). Einen Einfluss auf die Mithörschwelle und Ruhehörschwelle besitzt auch die Dauer des verdeckten Reizes. Erst ab einer Grenzdauer von 100 bis 200 ms beeinflusst die Dauer die Ruhe- und Mithörschwelle nicht mehr (Fastl u. Zwicker 2007). D. h., umso kürzer der zu verdeckende Schall, desto höher muss dessen Schalldruckpegel sein, um nicht durch den jeweiligen Maskierer verdeckt zu werden. Einfluss der Nachverdeckung Verschiedene Versuche haben gezeigt, dass in den ersten 5 ms nach Ende des Maskierers die Nachhörschwelle, unterhalb derer der nachfolgende Reiz vollständig verdeckt wird, relativ konstant ist. Hier ist die Nachhörschwelle mit der Simultanhörschwelle vergleichbar. Danach sinkt die Nachhörschwelle bis nach ungefähr 200 ms die Ruhehörschwelle erreicht wird. Der Verlauf der Nachhörschwelle ist allerdings ebenfalls von der zeitlichen Länge des Maskierers abhängig. Bei kurzen Geräuschereig6
Fastl und Zwicker: „Psychoacoustics. Facts and Models“ (2007) „[…] each sensation – including premasking – does not exist instantaneously, but requires a build-up time to be perceived. If we assume a quick build-up time for loud maskers and a slower build-up time for faint test tones, then we can understand why premasking exists. The time during which premasking can be measured is relatively short and lasts only about 20 ms.“
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Das menschliche Gehör und Grundlagen der Psychoakustik
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nissen unterscheidet sich der Verlauf der Nachhörschwelle deutlich zur Nachhörschwelle bei längeren Maskiergeräuschen. Die Ruhehörschwelle wird deutlich schneller bei kurzen Maskiergeräuschen wieder erreicht. Der Effekt der Nachverdeckung ist ein nichtlineares, komplexes Wahrnehmungsphänomen.
2.3.1.5 Spektrale (simultane) Verdeckung Für die (simultane) Verdeckung spielt die spektrale Zusammensetzung des Maskierers wie auch des verdeckten Reizes eine wesentliche Rolle. Mit Hilfe der Mithörschwellen kann der Effekt der spektralen Verdeckung verdeutlicht werden. Die Mithörschwelle gibt denjenigen Schalldruckpegel an, den ein Testschall haben muss, damit dieser neben dem Störschall eben noch wahrgenommen werden kann, d. h. gerade noch mitgehört wird (Zwicker 1982). In den vom Störschall weit entfernten Frequenzbereichen ist die Mithörschwelle nahe der Ruhehörschwelle. Eine unvollständige Verdeckung eines Reizes durch einen Maskierer resultiert in einer Verringerung der Lautstärkeempfindung des verdeckten Reizes. Die vom weien Rauschen erzeugten Mithörschwellen verlaufen bei tiefen Frequenzen horizontal und steigen oberhalb von 500 Hz mit zunehmender Frequenz an. Der Anstieg beträgt ungefähr 10 dB pro Dekade. Diese Beobachtung führte zur Entdeckung der Frequenzgruppen, die die Basiseinheiten der Reizverarbeitung im Gehör darstellen. Die Mithörschwellen sind in dem Frequenzbereich bis ca. 500 Hz konstant und liegen bei Testtonpegeln um rund 15–20 dB höher als der Dichtepegel des Maskierers. Bei einer Erhöhung des Dichtepegels um 10 dB verschiebt sich die Mithörschwelle nahezu exakt ebenfalls um 10 dB. Die Mithörschwellen von Schmalbandrauschen sind je nach Bandmittenfrequenz des Rauschens unterschiedlich. Mit zunehmender Frequenz des Maskierers sinkt das Maximum der Mithörschwelle leicht. Ein zweiter Effekt betrifft den Verlauf der Mithörschwelle. Zu tiefen Frequenzen hin „verbreitert“ sich die Mithörschwelle, d. h. auch der spektrale Bereich unterhalb der Frequenz des Maskierers wird stärker spektral verdeckt. Bei höheren Frequenzen ist der Anstieg der Mithörschwelle mit ca. 100 dB/Oktave sehr steil. D. h. Geräusche, die spektral unterhalb des Maskierers liegen, werden kaum verdeckt. Damit wird auch die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehörs ersichtlich, nur sehr steile Filter vermögen die Flankensteilheit der Mithörschwellen nachzubilden. Der Bereich ab der Bandmittenfrequenz zu höheren Frequenzen hin wird deutlich stärker maskiert. Abbildung 2.16 zeigt die Mithörschwellen für Schmalbandrauschen mit einer Mittenfrequenz von 1 kHz mit unterschiedlichen Schalldruckpegeln. Der Anstieg der Mithörschwelle ist für alle Schalldruckpegel des Maskierers sehr steil. Mit zunehmendem Schalldruckpegel flacht die obere Flanke allerdings ab, der Maskierer verdeckt einen zunehmend gröeren Spektralbereich. Der Effekt der spektralen Verdeckung ist somit von der Frequenz bzw. spektralen Zusammensetzung sowie vom Schalldruckpegel des Maskierers abhängig. Die Einbrüche, die in den oberen Flanken der Mithörschwellen mit hohen Störpegeln zu sehen sind, können möglicherweise auf Differenzrauscheffekte zurückgeführt werden. Durch Nichtlinearitäten im Gehör wird ein Differenzrauschen erzeugt, das in den unteren Frequenzbereich fällt
60
K. Genuit und R. Sottek
80
LG = 60
2 LT dB
80 dB
40
60
20 0
0.02
40
Ruhehörschwelle
0.05
0.1
0.2
0.5
1
2
5
10
20
f kHz
Abb. 2.16 Mithörschelle LT verdeckt durch Schmaldbandrauschen der Mittenfrequenz 1 kHz mit verschiedenen Schalldruckpegeln LG. (Sottek 1993)
und vermutlich von Probanden als das zu hörende Signal interpretiert worden ist (Fastl u. Zwicker 2007).
2.3.1.6 Zusammenfassung der Einflüsse auf die Lautheitswahrnehmung Für Töne kann näherungsweise angenommen werden, dass ein 10 dB Anstieg des Schalldruckpegels zu einer Verdoppelung der Lautheit führt. Jedoch ist festzuhalten, dass die Lautheit nicht exakt zu den Pegelstufen proportional ist. Folgende Aspekte müssen bei der Bestimmung der Lautheit gemä menschlichen Empfindens berücksichtigt werden. Töne mit gleichem Schalldruckpegel aber unterschiedlicher Frequenz werden nicht als gleich laut wahrgenommen. Breitbandige Geräusche werden im Vergleich zu schmalbandigen Geräuschen bei gleichem Schalldruckpegel als lauter wahrgenommen. Durch Simultanverdeckungen im Spektralbereich kann sich bei gleichem Schalldruckpegel der Lautheitseindruck ändern. Darüber hinaus muss die zeitliche Struktur aufgrund von Vorund Nachverdeckungseffekten in die Lautheitsbestimmung eingehen. Die zeitliche Dauer eines Geräuschs beeinflusst ebenfalls die subjektiv empfundene Lautheit. Die Lautheit nimmt mit der Dauer des Reizes zu, erst nach 200 ms wird eine „endgültige“ Lautheit erreicht (Tab. 2.2). Darüber hinaus muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass sich die in der Tab. 2.2 dargestellten Zusammenhänge auf die Einohrbetrachtung beziehen. Wie in Abb. 2.1 zu erkennen, können bei der binauralen Signalverarbeitung z. B. Mithörschwellen, je nach Position der Schallquellen, andere Effekte aufweisen. Darüber hinaus sind Verdeckungsund Maskierungseffekte wesentlich komplexer und hängen mageblich von der Schallfeldsituation ab (Bunse 1999).
2
61
Das menschliche Gehör und Grundlagen der Psychoakustik
Tab. 2.2 Einflüsse auf die Lautheitswahrnehmung Einflussparameter
Effekt
Schalldruckpegel
SPL und Lautheit sind keine redundanten Gröen; je nach veränderten Signaleigenschaften kann mit Zunahme des SPL sogar eine Verringerung der Lautheit einhergehen und umgekehrt Dauer Zunahme der Dauer eines Reizes Verdeckung Vorverdeckung temporal Nachverdeckung Verdeckung spektral Simultanverdeckung
Spektrale Bandbreite Zunahme der spektralen Bandbreite Frequenz
Frequenzabhängiges Lautheitsempfinden
Gültigkeitsbereich Solange ein Signal in Dauer und Spektrum identisch bleibt, führt ein erhöhter SPL dieses Signals auch zu einer erhöhten Lautheit; ändern sich auch weitere Signaleigenschaften sind zusätzliche Effekte zu berücksichtigen
Bis ca. 200 ms steigt die Lautheit an; danach bleibt diese konstant Bis ca. 20 ms feststellbar Bis ca. 200 ms feststellbar Hauptsächlich bei Signalanteilen innerhalb einer Frequenzgruppe beobachtbar; bei hoher Erregung auch Auswirkung auf benachbarte Frequenzgruppen Sobald die Bandbreite über Frequenzgruppenbreite hinaus zunimmt, steigt die Lautheit deutlich an Töne mit einer Frequenz um 3 bis 4 kHz rufen eine relativ hohe Lautheit hervor; Töne mit deutlich geringerer oder höherer Frequenz benötigen wesentlich höhere Pegel, um eine vergleichbare Lautheitsempfindung auszulösen
2.3.2 Schärfe Geräusche, deren energetischer Schwerpunkt im Bereich hoher Frequenzen liegt, werden von Hörern häufig mit Attributen wie „scharf“, „schrill“ oder „hell“ beschrieben. Die psychoakustische Gröe „Schärfe“ bezieht sich auf diese Empfindung. Die Hörempfindung Schärfe beschreibt denjenigen Aspekt der Klangfarbenwahrnehmung, der mit der spektralen Hüllkurve von Schallen korreliert ist (DIN 45692).
Klangfarbenunterschiede, die durch die spektrale Feinstruktur oder durch Änderungen der zeitlichen Hüllkurve bedingt sind, werden dagegen nicht zur Hörempfindung Schärfe gezählt. Der Parameter Schärfe stellt ein Ma für den Schwerpunkt der Fläche der Einhüllenden des Spektrums dar und spiegelt das Verhältnis der spezifischen Lautheiten der höherfrequenten Spektralanteile zur Gesamtlautheit wider. Dabei erzeugt ein kontinuierliches Spektrum (Breitbandrauschen) einen ähnlichen Schärfeeindruck, wie ein Geräusch
62
2
K. Genuit und R. Sottek
mit vielen tonalen Anteilen bei vergleichbarer spektraler Hüllkurve. Bei Betrachtung eines Schmalbandrauschens ist festzustellen, dass der Schärfeeindruck mit zunehmender Mittenfrequenz des Rauschens zunimmt. Im unteren und mittleren Frequenzbereich gilt ein nahezu linearer Zusammenhang zwischen der Tonheit z und der Zunahme der Schärfe. Das Ohr analysiert komplexen Schall in Form von Frequenzgruppen, in denen spezifische Geräuschanteile separiert verarbeitet werden (s. Abschn. 2.1). Diese Integrationseinheiten spielen ebenfalls bei der Schärfeempfindung eine wesentliche Rolle und werden zur Berechnung dieser Gröe herangezogen. Das lineare Verhältnis zwischen der Vergröerung der Frequenzgruppe und der Erhöhung des Schärfeeindrucks gilt bis zur Frequenzgruppe 16, die einer Mittenfrequenz von ungefähr 3 kHz entspricht. Für die weiteren Frequenzgruppen gilt dieses Verhältnis nicht mehr. Der Schärfeeindruck steigt mit Zunahme der Mittenfrequenz eines Schmalbandrauschens steiler an. Ein Schmalbandrauschen mit einer Mittenfrequenz von rund 10 kHz hat eine 50-mal gröere Schärfe, als ein Rauschsignal mit einer Mittenfrequenz von 0,2 kHz (Fastl u. Zwicker 2007). Diesem Umstand wird in den Berechnungsverfahren zur Schärfe entsprechend Rechnung getragen. Mit Hilfe einer Gewichtungsfunktion bei der Schärfeberechnung werden die Anteile der höheren Frequenzgruppen stärker gewichtet. Der psychoakustische Parameter Schärfe wird in der Einheit acum (lat. scharf) angegeben. Je weiter sich der energetische Schwerpunkt zu den hohen Frequenzen verschiebt, desto schärfer wird das Geräusch beurteilt. Referenzschall ist hier ein Schmalbandrauschen in Frequenzgruppenbreite bei 1 kHz (920 Hz–1080 Hz) und einem Schalldruckpegel von 60 dB. In diesem Fall beträgt die Schärfe definitionsgemä 1 acum. Tabelle 2.3 und die Diagramme der Abb. 2.17 zeigen bekannte Berechnungsverfahren und deren Anwendung. Die Verfahren DIN 45692 und v. Bismarck (v. Bismarck 1974) führen in der Analyse von Geräuschen zu ähnlichen Werten. Beide Verfahren sind nahezu unabhängig von der Gesamtlautheit. Das Verfahren nach Aures zur Schärfeberechnung (Aures 1984, 1985) zeigt dagegen eine deutliche Abhängigkeit von der Gesamtlautheit, wie aus der Formel in Tab. 2.3 zu ersehen ist. Bei zunehmender Gesamtlautheit und gleichem spektralen Hüllkurvenverlauf nimmt auch die Schärfe zu. Insgesamt gilt, dass mit ansteigender Schärfe Geräusche oft als aggressiver und lästiger empfunden werden (DIN 45692). Der psychoakustische Parameter Schärfe ist eine charakteristische Gröe im Bereich der Geräuschqualitätsklassifikation. Bezüglich einer Vielzahl an Geräuschgruppen (z. B. Roll-, Wind-, Tür-, Klimaanlagengeräusch, etc.) besitzt diese psychoakustische Gröe signifikante Bedeutung. Die Schärfe korreliert i. d. R. mit der bewerteten Lästigkeit von Geräuschen. Kulturelle Einflüsse können allerdings einen wesentlichen Faktor bei der Interpretation von Geräuschurteilen auch hinsichtlich der Gröe Schärfe spielen, d. h., dass dann dieser Parameter nicht die typische, wie in europäischen Studien oft beobachtete, negative Bedeutung aufweist. Oft ist zu beobachten, dass die gehörmäige Beurteilung bezüglich Geräuschqualität und Lästigkeit nicht nur von absoluten Pegel- oder Lautheitswerten abhängt, sondern auch von Parametern wie Schärfe oder zeitlichen Strukturen (Modulationen). Zur Berechnung der Schärfe sind, wie aus Tab. 2.3 zu entnehmen, verschiedene Verfahren bekannt. Inwiefern der Schärfeeindruck durch das jeweilige Lautheitsniveau beeinflusst wird, ist nach wie vor nicht geklärt. Daher empfiehlt es sich, je nach Untersuchungsgegenstand, verschiedene Schärfeberechnungsverfahren in der Aus-
2
63
Das menschliche Gehör und Grundlagen der Psychoakustik
Tab. ab. 2.3 Berechnungsverfahren für den psychoakustischen Parameter Schärfe Berechnungsverfahren
Berechnung
Aures (Aures 1984) SA = 011
24Bark z=0
N (z) gA (z) 24Bark 0
mit gA (z) = 0078
e
0171
v. Bismarck (Bismarck 1974)
24Bark z=0
acum
z Bark
z Bark
N sone N +1 ln 005 sone
N (z) dz
SB = 011
(2.1)
N (z) dz
und N =
z dz Bark
(2.2)
(2.3)
z dz N (z) gB (z) Bark acum 24Bark N (z) dz
(2.4)
z=0
mit gB (z) =
DIN 45692 S=k
1 02 · e0308·(z/Bark15) + 08
24Bark z=0
N (z) g(z) 24Bark z=0
mit g(z) =
k N′( z) N z g
z dz Bark
acum
für z ≤ 15Bark für z 15Bark
(2.5)
N (z) dz
1 015 · e042(z/Bark15,8) + 085
für z ≤ 158Bark für z 158Bark
die Normierungskonstante zum Abgleich der berechneten Schärfe des Referenzschalls auf 1 acum; dabei gilt 0,105 ≤ k < 0,115 spezifische Lautheit Gesamtlautheit Tonheit (in Bark) Gewichtungsfunktion
wertung zu berücksichtigen. An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass sich der psychoakustische Parameter Schärfe nicht eignet, um tieffrequente Phänomene zu beschreiben. In einigen Studien wird der Parameter Schärfe als (negativer) Indikator für „Brummphänomene“ (engl. booming) benutzt. Diese Schlussfolgerung ist unzulässig, da sich der Parameter Schärfe ausschlielich auf die Wahrnehmung höherfrequenter Anteile bezieht. Eine geringe Schärfe darf daher nicht als Hinweis auf ein besonders tieffrequentes Geräusch verstanden werden. Eine Erhöhung der Schärfe trägt auch nicht unweigerlich zur Verringerung von „Brummphänomenen“ bei.
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K. Genuit und R. Sottek
2
Abb. 2.17 Berechnung der Schärfe nach DIN 45692, Aures, v. Bismarck; links: Weies Rauschen mit 64 dB (SPL), rechts: Weies Rauschen mit 84 dB (SPL); Schärfe über Zeit
2.3.3 Rauigkeit Die psychoakustische Gröe Rauigkeit beschreibt eine Empfindung, die durch Modulationen in einem Schallereignis hervorgerufen wird. Der Eindruck entsteht, falls innerhalb einer Frequenzgruppe eine zeitvariante Einhüllende vorliegt, d. h. wenn beispielsweise Töne eine zeitliche Struktur durch die permanente Änderung der Amplitude oder der Frequenz aufweisen (Abb. 2.18). Ein amplitudenmoduliertes Signal lässt sich dadurch beschreiben, dass ein ganz bestimmtes Trägersignal, beispielsweise eine Sinusschwingung, durch eine zweite Schwingung moduliert wird (Gl. (2.6)): UAM (t) = (1 + mAM cos(2 f mod t)) Aˆ cos(2 f0 t)
(2.6)
als Amplitudenwert mit UAM( t) als amplitudenmoduliertes Signal zum Zeitpunkt t, A des Trägersignals, f0 als Trägerfrequenz und fmod als Modulationsfrequenz sowie mAM als Modulationsgrad, der das Amplitudenverhältnis des Wechselanteils zum Gleichanteil der Hüllkurve darstellt. Aus Gl. (2.6) kann mit der Umformung nach Gl. (2.7) cos() · cos(β) =
1 1 · cos( + β) + · cos( β) 2 2
(2.7)
die Frequenzzusammensetzung für das modulierte Signal abgeleitet werden: mAM · Aˆ · (cos(2 · ( f0 + fmod ) · t) 2 + cos(2 · ( f0 fmod ) · t))
UAM (t) = Aˆ c · cos(2 · f0 · t) +
(2.8)
Aus Gl. (2.8) wird deutlich, dass neben der Trägerfrequenz f0 zwei weitere Schwingungen mit den Frequenzen f0 – fmod und f0 + fmod entstehen (Abb. 2.19). Befinden sich die
2
Das menschliche Gehör und Grundlagen der Psychoakustik
Abb. 2.18 Schematische Darstellung von Amplituden- und Frequenzmodulation
Abb. 2.19 Typisches Spektrum einer Amplitudenmodulation (mit Träger) mit der Trägerfrequenz f0 und mit der Modulationsfrequenz fmod bei einem Modulationsgrad von 1
65
66
2
K. Genuit und R. Sottek
auftretenden und zur Modulation führenden tonalen Komponenten innerhalb einer Frequenzgruppe, entsteht ein Rauigkeitseindruck. Der Höreindruck von amplitudenmodulierten Signalen hängt allgemein von der Trägerfrequenz, von der Modulationsfrequenz, vom Modulationsgrad und ebenfalls geringfügig vom Schalldruckpegel ab. Die in Abb. 2.19 dargestellte Modulation wird in der Nachrichtentechnik als „Amplitudenmodulation mit Träger“ bezeichnet. Grundsätzlich entsteht bereits eine Rauigkeit, wenn nur zwei Töne in einer Frequenzgruppe auftreten (Amplitudenmodulation ohne Träger). Die bislang bekannten Berechnungsverfahren scheinen, aufgrund z. B. der verwendeten festen Einteilung des menschlichen Filtersystems in diskrete Frequenzgruppen, unzureichend. Die Darbietung von amplituden- oder frequenzmodulierten Tönen führt zu zwei verschiedenen Hörempfindungen. Liegt die Modulationsfrequenz deutlich unter 20 Hz, wird der daraus resultierende gehörmäige Eindruck in der Psychoakustik mit der so genannten „Schwankungsstärke“ beschrieben. Gehört wird die Trägerfrequenz, die sich hinsichtlich ihrer Amplitude mit der Modulationsfrequenz verändert. D. h. ein 1 kHz Ton, der mit 4 Hz moduliert wird, wird weiterhin als ein 1 kHz Ton wahrgenommen, dessen Lautstärke sich allerdings mit 4 Hz verändert. Dagegen werden Hüllkurvenschwankungen mit Modulationsfrequenzen zwischen 20 und 300 Hz als Veränderung des Tones empfunden und das resultierende Geräusch als rau bezeichnet, d. h. es werden nicht mehr Lautheitsschwankungen wahrgenommen, sondern die Schwingung klingt dann verzerrt und rau. Für Modulationsfrequenzen gröer 300 Hz ist das Gehör nicht mehr in der Lage die zeitlichen Veränderungen aufzulösen. Denn bei Modulationsfrequenzen um 250 Hz beträgt eine Signalperiode 4 ms und die Änderungen von Maximum zum Minimum liegen im Millisekundenbereich. Durch Maskierungseffekte werden die zeitlichen Änderungen „verschmiert“ und die Schwankungen nicht mehr als Änderung wahrgenommen. Oberhalb einer Modulationsfrequenz von 300 Hz werden bei reinen amplitudenmodulierten Tönen die Haupt- und Seitenlinien als einzelne Töne hörbar, da diese i. d. R. auch bereits in unterschiedlichen Frequenzgruppen liegen. Die Abhängigkeit der Rauigkeit von der Trägerfrequenz f0, Modulationsfrequenz fmod, Modulationsgrad m, Dauer und Schalldruckpegel ist in der Literatur leider nicht einheitlich dargestellt. Die Abhängigkeit der Rauigkeit von der Modulationsfrequenz besitzt einen Bandpasscharakter, d. h. zu geringeren und zu hohen Modulationsfrequenzen nimmt die Rauigkeitsempfindung deutlich ab. Bei einer Beurteilung verschiedener amplitudenmodulierter Sinustöne, die jeweils eine Trägerfrequenz von 1 kHz und einen Modulationsgrad von 1 besitzen, aber unterschiedlich moduliert sind, liegt das Maximum der Rauigkeitsempfindung bei 70 Hz Modulationsfrequenz (Fastl u. Zwicker 2007). Darüber hinaus ist bekannt, dass mit steigendem Modulationsgrad die Rauigkeitsempfindung anwächst. Bei niedrigeren Trägerfrequenzen verschiebt sich das Maximum zu niedrigeren Modulationsfrequenzen hin (s. Tab. 2.4). Die Rauigkeit eines mit 70 Hz amplitudenmodulierten 1 kHz-Tones mit dem Modulationsgrad von 1 und einem Schalldruckpegel von 60 dB wird als 1 asper definiert. Rauigkeit wird durch amplitudenmodulierte Töne hervorgerufen, aber auch durch Frequenzmodulationen und durch amplitudenmoduliertes Rauschen.
2
Das menschliche Gehör und Grundlagen der Psychoakustik
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Tab. 2.4 Einflüsse auf die Rauigkeitsempfindung Parameter
Einfluss auf die Rauigkeitsempfindung
Modulationsgrad
Bei Zunahme des Modulationsgrades m steigt der Rauigkeitseindruck (Maximum bei m = 1,2) (Sottek 1993) Trägerfrequenz Bei einer Trägerfrequenz f0 von 1 kHz und einer Modulationsfrequenz fmod von 70 Hz ist der Rauigkeitseindruck maximal; bei höheren f0 reduziert sich bei konstanten fmod der Rauigkeitseindruck; bei f0 kleiner 1 kHz und gleichem fmod sinkt ebenfalls der Rauigkeitseindruck Modulationsfrequenz Mit Zunahme von fmod mit einem Maximum bei 70 Hz steigt der Rauigkeitseindruck; bei fmod gröer 70 Hz reduziert sich wieder der Rauigkeitseindruck; bei Trägerfrequenzen kleiner 1 kHz verschiebt sich allerdings das Maximum zu kleineren Modulationsfrequenzen hin SPL Mit Zunahme des Schalldruckpegels steigt der Rauigkeitseindruck geringfügig; bei einer Zunahme um 40 dB ist ungefähr von einer Verdreifachung des Rauigkeitseindruckes auszugehen
Insbesondere in Verbindung mit der Motorakustik hat sich der Bereich mit einer Modulationsfrequenz um 20 Hz als psychoakustisch relevant herausgestellt. Diese Modulation erzeugt eine so genannte R-Rauigkeit, da der Konsonant „R“ in der gesprochenen Sprache eine typische Modulation von ca. 20 Hz aufweist. Aus der psychoakustischen Betrachtung heraus wird eine Modulation um 20 Hz weder als besonders rau noch als besonders schwankend wahrgenommen. Insbesondere beim Kraftfahrzeug-Innengeräusch entstehen durch die Verbrennungsvorgänge des Motors verschiedene amplitudenmodulierte Signale, die ganz bestimmte Gehörempfindungen auslösen können. Die 20 Hz Modulationen treten bei Verbrennungsmotoren sehr häufig auf und werden oft mit dem Begriff „Kollern“ beschrieben (s. Abschn. 2.4). Da je nach Charakter des Fahrzeugs und der Erwartungshaltung des Fahrers unterschiedliche Ausprägungen der Modulationen bevorzugt werden (sportlich gegenüber komfortabel), können Modulationen im Fahrzeuginnengeräusch nicht grundsätzlich einer guten oder schlechten Geräuschqualität zugeordnet werden. Anmerkungen zur Berechnung der Rauigkeit In der Regel werden bei der Berechnung einer Gesamtrauigkeit aus den Modulationsgraden von Teilbandsignalen entsprechende Teilrauigkeiten bestimmt und diese zu einer Gesamtrauigkeit summiert. Ein zu berechnendes Signal wird mit einer Filterbank in Teilbänder zerlegt, die jeweils breiter sind, als eine Frequenzgruppenbreite und sich entsprechend überlappen. Diese im Vergleich zur Lautheitsberechnung gröere Bandbreite ist notwendig, um gröere Modulationsfrequenzen zu berücksichtigen. Problematisch ist häufig, dass bei einer Analyse von Signalen mit unmoduliertem Rauschen verschiedene Berechnungsverfahren zu groe Rauigkeitswerte ermitteln. Neuere Ansätze zur Berechnung der Rauigkeit berücksichtigen diesen Effekt. Verschiedene Modelle zur Bestimmung und Berechnung der Rauigkeit von Schallen sind bekannt und vielfach diskutiert worden. Modelle zur Berechnung der Rauigkeit wurden beispielsweise von Vogel (Vogel 1975), Aures (Aures 1984) oder Daniel und Weber (Daniel u. Weber 1993) publiziert. Im Folgenden soll die Rauigkeitsberechnung auf Basis des Gehörmodells nach Sottek kurz vorgestellt werden (Sottek 1993). Diese Analyse bildet
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K. Genuit und R. Sottek
2
Abb. 2.20 Blockschaltbild der Rauigkeitsberechnung auf der Basis des Gehörmodells nach Sottek. (Sottek 1993)
die Signalverarbeitung des Hörvorgangs nach. Das Blockschaltbild in Abb. 2.20 skizziert die Rauigkeitsberechnung auf der Basis des Gehörmodells. Nach einer Filterung des Zeitsignals, um den Einfluss von Auen- und Mittelohr zu berücksichtigen, wird das Signal mit einer Filterbank aus parallel und überlappend angeordneten Bandpässen zerlegt. Nach der Filterung werden die Hüllkurven der Teilbandsignale mittels Hilberttransformation ermittelt. Zur Berücksichtigung der Ruhehörschwelle werden die Erregungspegel mit ca. 20 dB pro Dekade für Frequenzen unter 500 Hz reduziert. In der nächsten Verarbeitungsstufe erfolgt eine Filterung mit Tiefpässen dritter Ordnung. Die Grenzfrequenz der Filter ist frequenzabhängig und beträgt bei 1 kHz etwa 120 Hz. Die Tiefpassfilterung trägt der Tatsache Rechnung, dass das Gehör dem Verlauf der Hüllkurvenschwankungen nicht beliebig schnell folgen kann. Danach werden die Hüllkurvenschwankungen nichtlinear verzerrt. Als nichtlineare Kennlinie wird eine Potenzfunktion mit einem Exponent von 0,125 verwendet. Dann erfolgt die Berechnung der Autokorrelationsfunktion, um „zufällige“ kurze Modulationen, wie in rauschähnlichen Signalen, nicht als Rauigkeit zu interpretieren. Anschlieend lassen sich die Teilrauigkeiten durch die Filterung mit Hochpässen 3. Ordnung und einer Verstärkung gR ( zi) bestimmen. Sowohl die Grenzfrequenz der Hochpässe als auch die Gewichtung sind abhängig von der Frequenzlage des analysierten Teilbandes. Die Hochpassfilterung ist notwendig, um die Abnahme der Rauigkeit für niedrige Modulationsfrequenzen zu berücksichtigen. Die Kombination der eingesetzten Hochpassund Tiefpassfilter bildet die typische Bandpasscharakteristik bzgl. des Zusammenhangs
2
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Tab. 2.5 Vergleich von Rauigkeitswerten synthetischer Signale, die mit verschiedenen Rauigkeitsberechnungsverfahren ermittelt wurden Verfahren/Signal
Rauigkeitsbestimmung (Fastl u. Zwicker 2007 )
Rauigkeitsverfahren 1 (in Anlehnung an Aures 1984 )
Rauigkeitsverfahren 2 (Sottek 1993 )
fc = 1 kHz, fmod = 70 Hz, m = 1, SPL = 60 dB fc = 1 kHz, fmod = 70 Hz, m = 0,5, SPL = 60 dB fc = 1 kHz, fmod = 30 Hz, m = 1, SPL = 60 dB
1 asper
1 asper
1 asper
ca. 0,35 asper
0,6 asper
0,35 asper
ca. 0,45 asper
0,48 asper
0,50 asper
zwischen Rauigkeit und Modulationsfrequenz ab. Die Gewichtung gR ( zi) berücksichtigt den Einfluss der Frequenzlage der Trägerfrequenz für die Rauigkeitsempfindung. Zusätzlich wird noch eine frequenzbänderübergreifende Gewichtung durchgeführt (Sottek et al. 1994). Diese gewichtet die Rauigkeit der Frequenzbänder, in denen eine hohe Rauigkeit vorliegt, stärker. Auf diese Weise wird eine Art Maskierungseffekt nachgebildet: Wenn in einem Frequenzband eine besonders hohe Rauigkeit vorkommt, wird diese Rauigkeit die Rauigkeiten der benachbarten Frequenzbänder maskieren und muss aus diesem Grund stärker zur Gesamtrauigkeit beitragen als die Rauigkeiten der benachbarten Frequenzbänder. Nach der Gewichtung wird abschlieend die Gesamtrauigkeit durch die Summe der Teilrauigkeiten berechnet. Tabelle 2.5 zeigt, dass mit verschiedenen Rauigkeitsberechnungsverfahren unterschiedliche Rauigkeitswerte ermittelt werden. Die Ergebnisse der Rauigkeitsberechnung auf Grundlage des Gehörmodells (rechts) liefern Ergebnisse, die sich mit den Untersuchungen von Fastl und Zwicker gut decken (Fastl u. Zwicker 2007). Die aktuellen Bemühungen im Rahmen der Standardisierung des psychoakustischen Parameters Rauigkeit lassen eine Vereinheitlichung der Rauigkeitsbestimmung von Geräuschen in Zukunft erwarten, womit eine gute Vergleichbarkeit von Berechnungsergebnissen ermöglicht wird.
2.3.4 Schwankungsstärke Der psychoakustische Parameter Schwankungsstärke beschreibt die Wahrnehmung von „langsamen“ Modulationen. Die Schwankungsstärke spiegelt die Empfindung wider, die bei Signalschwankungen mit sehr geringen Modulationsfrequenzen entsteht. Geräusche, die mit 20 Hz und weniger moduliert sind, werden als „schwankend“ wahrgenommen. Ein einfaches Beispiel ist ein Geräusch, das aus zwei Tönen besteht, die einen geringen Frequenzunterschied aufweisen. Die verursachte Schwebung, eine Schwingung mit periodisch veränderter Amplitude, wird als schwankendes Geräuschereignis wahrgenommen.
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Das Maximum dieser psychoakustischen Gröe liegt bei Modulationsfrequenzen um 4 Hz und ist nur wenig vom Schalldruckpegel abhängig. Die Einheit ist vacil. Definiert ist, dass eine Schwankungsstärke von 1 vacil durch einen 1 kHz-Ton hervorgerufen wird, der mit einer Modulationsfrequenz von 4 Hz und einem Modulationsgrad von 1 bei einem Schalldruckpegel von 60 dB moduliert ist. Ein Anwachsen des Signalpegels um 20 dB bewirkt ungefähr eine Verdoppelung der Schwankungsstärke. Abbildung 2.21 zeigt die Ergebnisse der Rauigkeits- und Schwankungsstärkenanalyse für ein Geräusch, das aus zwei Anteilen besteht, einem 1 kHz-Ton und einem Sweep, dessen Frequenz sich in 20 s von 1.000 Hz auf 800 Hz ändert. Deutlich ist zu erkennen, dass bei einer geringen Differenz der Frequenzen von wenigen Hz die Schwankungsstärke maximal wird. Dagegen wird die Rauigkeit erst bei einer gröeren Frequenzdifferenz der spektralen Beiträge dieses Geräuschs maximal. Wird eine gewisse Differenz überschritten, dann werden zwei einzelne Töne wahrgenommen und zeitliche Schwankungen nicht mehr aufgelöst. Abbildung 2.22 demonstriert die Berechnung der Schwankungsstärke von zwei Sprachsignalen. Bei gesprochener Sprache sind durchschnittlich 4 Silben pro Sekunde zu finden; d. h. Sprache ist ungefähr mit einer Frequenz von 4 Hz moduliert. Damit Sprache gut verständlich ist, sollte u. a. der Modulationsgrad gro sein. Wird in einer lauten Umgebung gesprochen, reduziert das Störgeräusch den Modulationsgrad und die Sprachverständlichkeit sinkt. Die grüne Kurve in Abb. 2.22 zeigt den Schwankungsstärkenverlauf von drei kurzen Sätzen, die in ruhiger Umgebung gesprochen wurden. Die rote Kurve zeigt die Analyseergebnisse derselben Sätze, die dagegen in störschallerfüllter Umgebung (einem fahrenden Fahrzeug) gesprochen wurden. Bei beiden Kurven steigt die Schwankungsstärke während der Sätze an (2–5 s, 7–11 s, 11,5–13 s) und fällt in den Sprechpausen. Allerdings erreicht der Parameter Schwankungsstärke der im Auto aufgenommenen Sprache deutlich geringere Werte. Die Schwankungsstärke des Sprachsignals wird verringert.
2.3.5 Tonalität Die Tonhaltigkeit ist eine weitere eindimensionale psychoakustische Empfindungsgröe, die isoliert wahrgenommen werden kann. Ein Geräusch gilt als tonhaltig, wenn einzelne Töne bzw. tonale Komponenten deutlich wahrnehmbar sind. Schmalbandiges Rauschen wird oft ebenfalls als tonhaltig empfunden, aber mit zunehmender Bandbreite verringert sich dieser Effekt deutlich. Hinsichtlich dieser Empfindungsgröe ist die Verarbeitung von Geräuschen in einzelne Integrationseinheiten, den Frequenzgruppen, im Gehör von Bedeutung. Hier sind die kritischen Bandbreiten der Frequenzgruppen entscheidend und bestimmen die Hörbarkeit von tonalen Komponenten mageblich. Zur Berücksichtigung der spektralen Analyse im Gehör wurde die Skala Tonheit z in Bark eingeführt, die den Frequenzgruppen des Gehörs entspricht. Die Einheit der Tonalität ist tu (tonality unit). Ein 1 kHz-Ton mit einem Schalldruckpegel von 60 dB ist der Referenzschall mit der Tonalität 1 tu. Nach der DIN 45681 ist die Tonhaltigkeit definiert als das „Auftreten eines Tones im Geräusch, dessen Pegel der übrigen Geräuschanteile in der Frequenzgruppe […] um die Tonfrequenz um weniger als
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Abb. 2.21 Zusammenhang zwischen der Frequenzdifferenz von Tönen und der Empfindung der Schwankung und Rauigkeit; das Geräusch besteht aus einem 1 kHz-Ton und einem Sweep der von 1.000 auf 800 Hz in 20 s abfällt; FFT über Zeit ( oben), Rauigkeit über Zeit ( Mitte), Schwankungsstärke über Zeit ( unten)
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Abb. 2.22 Zeitverlauf der Schwankungsstärke von zwei Sprachsignalen; grün: Sprache ohne Hintergrundgeräusch, rot: Sprache im Fahrzeuginnenraum eines fahrenden PKWs
den Betrag des Verdeckungsmaßes […] unterschreitet“ (DIN 45681). Das Verdeckungsma entspricht der frequenzabhängigen Mithörschwelle eines Sinustons. Je deutlicher sich eine tonale Komponente vom Hintergrundgeräusch abhebt, desto stärker wird diese im Sinne der Tonhaltigkeit wahrgenommen. Die Tonhaltigkeitsempfindung nimmt um etwa 10 % zu, wenn der tonale Anteil um 10 dB erhöht wird (Fastl u. Zwicker 2007). Wird die Lage im Frequenzspektrum untersucht, ist festzustellen, dass reine Töne im mittleren Frequenzbereich zur gröten Tonhaltigkeit führen. Bei Schmalbandrauschen steigt die Tonhaltigkeit mit der jeweiligen Mittenfrequenz des Rauschens, sofern nicht die Bandbreite der entsprechenden Frequenzgruppe überschritten wird. Tonalität von nicht harmonischen und stationären Geräuschen kann z. B. mit dem tone-to-noise oder dem prominence-ratio-Verfahren bestimmt werden. Bei den Verfahren werden die Schalldruckpegel auffälliger tonalen Komponenten (lokale Maxima aus berechnetem Spektrum) in Beziehung zum Schalldruckpegel der zentrierten Frequenzgruppe ohne den Beitrag des Tons gesetzt. Treten mehrere tonale Anteile innerhalb einer Frequenzgruppe auf, werden diese unter Berücksichtigung der Verdeckung zu einem Gesamttonpegel addiert. Zur Vergabe eines Tonzuschlags gemä der DIN 45681-2002 wird die maximale Pegeldifferenz ΔL = TNR−aυ für alle betrachteten Töne verwendet. Aus ihr wird ein ganzzahliger Wert zwischen 0 und 6 dB abgeleitet, der dem Leq als Korrekturgröe zugeschlagen werden kann. Nach der ANSI S1.13-2005/A7 liegt dann ein tonales Ereignis vor, wenn die Differenz zwischen dem SPL des Tons und dem errechneten Maskierungspegel der um den Ton zentrierten Frequenzgruppe einen Wert gröer als 8 dB aufweist (ANSI S1.13-2005/A7). Dies gilt für Töne oberhalb von 1 kHz. Bei dem prominence-ratio-Verfahren können mehrere tonale Anteile innerhalb einer Frequenzgruppe berechnet werden. Weiter wird ebenfalls dem Einfluss von Verdeckungseffekten durch benachbarte Frequenzgruppen Rechnung getragen. Das Verfahren ist definiert als das Verhältnis des SPL eines Tons, für den eine Frequenzgruppe zentriert angenommen wird, zu den Pegeln der benachbarten Frequenzgruppen. Falls Differenzen gröer 9 dB vorliegen, wird von einem prominenten Ton ausgegangen, zumindest für Fre-
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quenzbereiche oberhalb von 1 kHz (ANSI S1.13-2005/A8). Der grundlegende Ansatz zu der Berechnungsmethode „prominence-ratio“ ist bereits 1991 von Nobile und Bienvenue entwickelt worden (Nobile u. Bienvenue 1991). Die Differenz des Tonpegels zum Pegel des/der umliegenden Frequenzbandes/Frequenzbänder muss für tiefe Frequenzen deutlich höher als die erwähnten Pegelabstände sein, um als tonale Komponente wahrgenommen zu werden. Die dargestellten Verfahren schlagen diesbezüglich unterschiedliche Anstiege des Pegeldifferenzkriteriums im Bereich der tiefen Frequenzen vor. Das tone-to-noise Kriterium schlägt einen Anstieg von 2,5 dB pro Oktave vor; das prominence- ratio Kriterium steigt laut ANSI S1.13-2005 mit 3 dB pro Oktave an.
2.4 Die Anwendung der Psychoakustik in der Fahrzeugakustik – Einige Beispiele 2.4.1 Getriebe Im Folgenden soll kurz die Identifikation eines unangenehmen „Rasselgeräusches“ im Getriebe eines Mittelklassewagens behandelt werden, das im Zugbetrieb in den Drehzahlbereichen um 1.000 bis 2.000 min−1 auftritt. Dabei handelt es sich um höherfrequente und breitbandige Impulse, die im Frequenzbereich von 1 bis ca. 5 kHz auftreten. Mit einem Kunstkopf-Messsystem wurde das Fahrzeuginnengeräusch vor und nach der Modifikation des Getriebe-Antriebsstrangs im Fahrbetrieb aufgenommen. Mit Hilfe konventioneller Analysen ist der wahrnehmbare Unterschied in der Geräuschqualität kaum zu identifizieren, obwohl Hörer deutlich zwischen unmodifiziertem („Getrieberasseln“) und modifiziertem Fahrzeug („Modifikation“) unterscheiden können. Weder die Terzspektren noch die Darstellung des Schalldruckpegels (Abb. 2.23) sowie der Lautheit, Rauigkeit und Schärfe
Abb. 2.23 Vergleich eines Fahrzeugs mit dem Störgeräusch „Getrieberasseln“ vor und nach einer Modifikation; A-bewerteter Schalldruckpegel über Drehzahl; grün (linkes Ohr) und rot (rechtes Ohr): unmodifiziertes Fahrzeug; dunkelgrün (linkes Ohr) und pink (rechtes Ohr): modifiziertes Fahrzeug
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können in der Analyse den subjektiven Höreindruck adäquat wiedergeben. Durch Hören und Manipulieren im Zeit- und Frequenzbereich sind die für das Rasselgeräusch signifikanten Parameter isoliert und einer speziellen Filterung unterzogen worden, um sie vom Gesamtgeräusch getrennt analysieren zu können. Vor allem in der drehzahlbezogenen Darstellung sind die Signalunterschiede zwischen den beiden Aufnahmen vor und nach der Modifikation deutlich zu erkennen. Werden nur die für das Rasselgeräusch relevanten Spektralkomponenten betrachtet, liefert bereits die Schalldruckpegelanalyse auffällige Pegeldifferenzen (Abb. 2.24 oben). Werden nur die Zeitabschnitte selektiert, in denen das Rasseln auftritt, erhöhen sich die Pegelunterschiede deutlich und es sind im Gegensatz zur breitbandigen Analyse Differenzen bis zu 7 dB detektierbar (Abb. 2.24 unten).
2.4.2 Motorrauigkeit Beim Verbrennungsmotor entstehen in Abhängigkeit von seiner Konstruktionsweise drehzahlabhängig unterschiedliche tonale Komponenten. Ein Vierzylinder-Viertakt-Motor erzeugt z. B. bei einer Drehzahl von 3.000 min−1 eine 2. Motorordnung ( n = 2) mit 100 Hz (Gl. (2.9)). fnte Ordnung =
Drehzahlmin1 · n Hz 60
(2.9)
Aufgrund der explosionsartigen Anregungsart entstehen neben der Grundwelle auch zahlreiche Oberwellen, d. h. hier eine 4., 6., 8. Ordnung usw. Entstünden nur diese Grundordnungen, würde das Gehör dieses Frequenzgemisch nicht als Modulation empfinden (da die einzelnen Töne in unterschiedliche Frequenzgruppen fallen), sondern einzelne Töne wahrnehmen. Bei einem Viertakt-Motor erfolgt nach jeder 2. Umdrehung bei jedem Zylinder der gleiche Ablauf. D. h. jeder Zylinder für sich allein erzeugt eine halbe Motorordnung. Das wäre bei 3.000 min−1 die Frequenz 25 Hz. Wäre der Vierzylinder-Motor hinsichtlich Ansaugung-, Abgas- und Verbrennungsvorgängen vollständig symmetrisch aufgebaut, entstünde eine Kompensation der halben Motorordnungen und nur die Grundfrequenz des Motors und deren Vielfache würden auftreten, da beim Vierzylinder zwei Zündungen pro Umdrehung erfolgen. Tatsächlich sind die Verbrennungsvorgänge in jedem Zylinder nicht exakt identisch. Insbesondere durch Variationen im Ansaugtrakt oder Abgaskrümmer können Amplituden- und Phasenunterschiede zwischen den einzelnen Verbrennungsvorgängen in den Zylindern auftreten, so dass neben den Grundordnungen auch halbe Motorordnungen vorkommen. Die Aufgabe eines Akustikingenieurs besteht darin, den für das jeweilige Fahrzeug und den für die intendierte Kundengruppe entsprechenden Sound umzusetzen. Der Sound wird wesentlich durch die Gestaltung der unterschiedlichen Modulationen in den unterschiedlichen Betriebszuständen beeinflusst. Eine kontinuierlich hohe Rauigkeit wird i. d. R. als lästig empfunden; dagegen kann eine punktuell auftretende, sich bei Beschleunigungsvorgängen verändernde Rauigkeit als durchaus dynamisch und kraftvoll empfunden werden.
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Abb. 2.24 Vergleich gefilterter Fahrzeuggeräusche (BP 1–5 kHz) vor und nach einer Modifikation. Oben: FFT über Drehzahl des unmodifizierten Fahrzeugs, Mitte: FFT über Drehzahl des modifizierten Fahrzeugs; unten: Schalldruckpegelverläufe der verschiedenen Geräusche in dB über Drehzahl (jeweils für das linke und rechte Kunstkopfohr)
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Abb. 2.25 Amplitudenspektrum (linkes und rechtes Ohr), Teillast, 3600 min−1
Im Folgenden soll kurz ein Beispiel behandelt werden, in dem eine Modulation bzw. Motorrauigkeit beanstandet wurde. Es handelt sich um ein Fahrzeug der gehobenen Luxusklasse (V8-Motor), das bei insgesamt niedrigem Geräuschniveau in bestimmten Teillastbereichen bei nahezu konstanter Geschwindigkeit eine deutliche Modulation mit ausgeprägtem Modulationsgrad aufwies. Abbildung 2.25 zeigt eine ausgeprägte 8. Motorordnung bei ca. 480 Hz und zahlreiche tonale Komponenten mit 30 Hz Abstand aufgrund einer Modulation mit der halben Motorordnung. Dieses Geräusch entspricht hier einem unangenehmen „Kollern“ (engl. „rumbling“), das im Fahrzeuginneren präsent ist (Raubold et al. 2002). Zur Reduzierung dieses Phänomens wurde die Binaurale Transferpfad Analyse und Synthese (BTPA und BTPS) eingesetzt (Genuit u. Nettelbeck 2003). Die BTPA bestimmt alle relevanten Luft- und Körperschallübertragungswege zum linken und rechten Fahrerohr im Zeitbereich (s. Abschn. 8.2), so dass die Möglichkeit der Auralisierung der einzelnen Beiträge besteht. Mit Hilfe der BTPS kann das gesamte Innengeräusch sowie einzelne Komponenten mit bestimmten Übertragungswegen getrennt analysiert und evaluiert werden. Auf diese Weise ist es möglich, zu erkennen, aus welchen Quellen und über welche Übertragungswege sich die einzelnen störenden Komponenten im Gesamtgeräusch zusammensetzen. In Abb. 2.26 sind die Schalldrucksignale für die drei Lagerbefestigungspunkte (linkes und rechtes Motorlager sowie Getriebelager) für die Schwingungsrichtungen x, y und z dargestellt. Es ist deutlich erkennbar, dass der beanstandete Rauigkeitsbereich durch das rechte Motorlager in der Schwingungsrichtung x, die der Fahrtrichtung entspricht, eingeleitet wird. Abbildung 2.27 zeigt das Ergebnis einer Modifikation am Fahrzeug. Dargestellt ist das Spektrogramm eines Hochlaufes. Links ist das Geräusch des Ausgangszustandes und rechts das Geräusch des modifizierten Fahrzeugs mit identischem Motor aber verändertem Übertragungsweg bezüglich der rechten Motorbefestigung zu sehen (jeweils rechtes Fahrerohr). Die ausgeprägten Strukturresonanzen im Bereich von 400 bis 500 Hz und insbesondere im Spektralbereich oberhalb von 1 kHz sind deutlich reduziert. Obwohl sich der identische Motor im Untersuchungsfahrzeug befindet, ist der Höreindruck aufgrund der Mo-
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Abb. 2.26 Spektrogramme der akustischen Teilbeiträge im Kfz-Innenraum, erzeugt durch die an den Befestigungspunkten eingeleiteten Kräfte (linkes Fahrerohr)
difikation eines Übertragungsweges deutlich verbessert worden. Der Motor klingt nicht mehr rau und das neue Klangbild spiegelt den gewünschten Charakter des Fahrzeugs wider. Oft besteht auch die Aufgabe darin, den Sound eines sportlichen Fahrzeugs attraktiver zu gestalten, was i. d. R die Erhöhung der Motorrauigkeit für Beschleunigungsvorgänge
Abb. 2.27 Veränderung motorbasierter Rauigkeit durch Modifikation eines signifikanten Übertragungsweges (rechtes Fahrerohr), links: Spektrum vor der Modifikation, rechts: Spektrum nach der Modifikation (jeweils rechtes Fahrerohr)
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beinhaltet. Durch zielgerichtet forcierte Modulationen im Luftschallbereich – ohne eine wesentliche Anhebung des Schalldruckpegels bzw. der Lautheit – wird ein sportlicher und kraftvoller Sound erzeugt. Auch hier bieten BTPA und BTPS die Möglichkeit, Quellen und Übertragungswege zu identifizieren und Manahmen abzuleiten, um systematisch entsprechende halbe Motorordnungen zu generieren (z. B. durch Modifikation auf der Ansaugseite).
2.4.3 Türgeräusche Türgeräusche werden bereits seit geraumer Zeit von Automobilherstellern weltweit untersucht und optimiert. Dabei wird vor allem zwischen dem Öffnungsgeräusch und dem Schliegeräusch unterschieden, die beide stimmig sein und einen hohen Qualitätseindruck vermitteln sollten. Diese Geräusche werden i. d. R. von einem potentiellen Kunden als erstes wahrgenommen und als Qualitätsmerkmal verarbeitet. Grundsätzlich sollten diese Geräusche nicht laut oder lästig sein, andererseits jedoch dem Benutzer wichtige Informationen liefern, z. B. Informationen über das korrekte Schlieen der Tür. Zusätzlich wird es dazu verwendet, den Eindruck eines hochwertigen Produktes mittels eines „satten“ Sounds zu vermitteln. Die Analyse eines derartigen Geräuschs ist schwierig, da die zeitliche Dauer des Geräuschereignisses kurz und dabei das Frequenzspektrum sehr breit ist. Im Gegensatz zu einem normalen FFT-Analysator besitzt das menschliche Gehör eine hohe Auflösung sowohl im Zeit- als auch Frequenzbereich (s. Abschn. 2.1). Dennoch wird häufig die Fast Fourier Transformation (FFT) für die Spektralanalyse akustischer Signale angewendet. Da diese Technik das gleiche Fenster für die Untersuchung aller relevanten spektralen Komponenten verwendet, ist die Auflösung im gesamten Frequenzbereich konstant. Die Auswahl der Fensterlänge bedeutet zwangsläufig immer einen Kompromiss. Die Definition des Analysefensters definiert gleichzeitig die Zeit- und Frequenzauflösung. Eine hierauf basierende Spektralanalyse erlaubt entweder eine feine Unterteilung im Frequenzbereich für tieffrequente Signalanteile bei Verwendung eines langen Fensters oder eine entsprechende Detaillierung im Zeitbereich für hohe Frequenzen bei Verwendung eines kurzen Fensters. Daher ist die FFT nur begrenzt für eine wahrnehmungsorientierte Beschreibung von akustischen Signalen geeignet. Mit Hilfe der variablen Fouriertransformation (VFR) kann eine Verringerung der Nachteile der FFT erreicht werden (Sottek 1990). Die Basis dieser gehörorientierten Spektralanalyse stellt eine Unterteilung des Frequenzbereichs unter Nutzung von Filtern dar. Die spektrale Zusammensetzung der bandpassgefilterten Signale wird nacheinander unter Nutzung von Analyseverfahren mit unterschiedlicher Länge untersucht. Eine geeignete Filterbank ermöglicht es, der Auflösung des menschlichen Gehörs in einer Abfolge von mehreren Stufen sehr nahe zu kommen. Im Folgenden werden Untersuchungen von vier verschiedenen Türzuschlaggeräuschen dargestellt. Die Messungen wurden in einem reflexionsarmen Raum mit einem Kunstkopf-Messsystem durchgeführt. Hierbei war der Kunstkopf in einem Abstand von 1,50 m frontal zur Fahrertür aufgestellt. Vier Fahrzeuge unterschiedlicher Klassen wurden gemessen. Aufgrund der groen Unterschiede der Geräuschqualität konnte in Hörversuchen eine eindeutige Reihenfolge ermittelt werden. Die
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Abb. 2.28 Spezifische Lautheit über der Zeit von 4 Türzuschlaggeräuschen (linkes Ohrsignal); Tür 1 – schlechteste Bewertung, Tür 4 – beste Bewertung; Spez. Lautheit über Zeit. (DIN 45631/A1)
vier Türen (Tür 1 bis Tür 4) wurden in Reihenfolge der aufsteigenden Geräuschqualität bezeichnet. Abbildung 2.28 zeigt die spezifische Lautheit in Abhängigkeit von der Zeit für die verschiedenen Türen. Es zeigt sich, dass auch dieses Verfahren den subjektiven Eindruck nicht vollständig wiedergeben kann. Im Fall der Tür 1 ist der Anstieg der Lautheit für hohe Frequenzen offensichtlich. Dieses Charakteristikum ist wesentlich für den negativen Geräuscheindruck verantwortlich. Eine umfangreiche Klassifikation anhand der spezifischen Lautheit aller Geräusche ist dagegen nicht möglich. Die zeitliche und spektrale Struktur der Geräusche wird nicht vollständig deutlich. Abbildung 2.29 zeigt die Ergebnisse für die variable Frequenzauflösung, die vergleichbar mit der Wavelet-Transformation ist (Genuit u. Sottek 1995). Hier werden die zeitlichen Strukturen und die spektrale Zusammensetzung des Türzuschlaggeräusches deutlich, wie der langsame Abfall im Frequenzbereich zwischen 800 und 3.500 Hz bei Tür 1 oder die zeitliche Struktur aufgrund des ungleichförmigen Kontaktes einzelner Komponenten bei Tür 2 zeigen. Gleichzeitig ist eine hohe Frequenzauflösung bis hin zu tiefen Frequenzen gewährleistet. Abbildung 2.30 zeigt Spektrogramme basierend auf einem Gehörmodell (Sottek 1993), das wesentliche Prozesse der menschlichen Signalverarbeitung widerspiegelt. Darüber hinaus lassen sich die klassischen psychoakustischen Parameter nutzen, um die einzelnen Geräuschqualitäten zu bestimmen. Abbildung 2.31 zeigt abschlieend einige Parameter, die häufig im Rahmen von Geräuschqualitätsuntersuchungen Anwendung finden. Mittels der Betrachtung dieser Gröen kann die subjektive Reihenfolge der Geräuschqualitätsurteile nachvollzogen werden.
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Abb. 2.29 VFR-Spektralanalyse von 4 Türzuschlaggeräuschen (linkes Ohrsignal)
Abb. 2.30 Spektrogramm von 4 Türzuschlaggeräuschen (linkes Ohrsignal) basierend auf einem Gehörmodell. (Sottek 1993)
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Abb. 2.31 Psychoakustische Analyse der Türzuschlaggeräusche (linkes Ohrsignal); Von oben nach unten: Lautheit über Zeit (DIN 45631/A1), Schärfe über Zeit (DIN 45692), Rauigkeit über Zeit. (Gehörmodell nach Sottek 1993)
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Mit Hilfe der Lautheit, analog zu den gezeigten Spektrogrammdarstellungen, kann erkannt werden, dass das Türgeräusch 1 eine besonders schlechte Qualität aufweist und im Vergleich zu den anderen Geräuschen abfällt. Mit weiteren Analysen können ebenfalls die Beurteilungsunterschiede, die bezüglich der Türgeräusche 2, 3 und 4 auftreten, erklärt werden. Das Türgeräusch 4 weist – bei einem geringen Lautheitsniveau – die geringste Schärfe und Rauigkeit auf und ist als akustisch unauffällig einzustufen. Dagegen zeigt das Türgeräusch 3 eine höhere Schärfe und ausgeprägtere akustische Muster, die beispielsweise mit der Relative Approach-Analyse (Genuit 1996) angezeigt werden (s. Abschn. 4.1). Jedoch im Vergleich zum Türzuschlaggeräusch 2 weist das Geräusch 3 grundsätzlich einen konstanteren Verlauf auf, d. h. mit nur einem auditiv feststellbaren Ereignis. Dagegen treten bei dem Türgeräusch 2 mehrere Geräuschereignisse auf, die als Echo oder Nachschwingen interpretiert werden könnten. Deutlich zeigen die Spektrogrammdarstellungen das zeitlich vorgelagerte Geräuschereignis bei ca. 0,1 s für das Türgeräusch 2. Diese zeitliche Struktur führt zu einer herabgesetzten Wertigkeitsempfindung. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Geräuschqualität von Türzuschlaggeräuschen wesentlich durch deren Lautheit und Schärfe bestimmt wird. Geringe Lautheit und Schärfe sind die Voraussetzungen für eine gute Geräuschqualität. Darüber hinaus ist die zeitliche und spektrale Struktur des Geräuschs wichtig. Das Geräusch muss sehr „kompakt“ sein, d. h. zusätzliche Einzelgeräusche neben dem „Hauptgeräuschereignis“, wie ein Nachschwingen der Tür, müssen unbedingt vermieden werden. Ferner sollte es deutlich tieffrequente Anteile aufweisen, die zu einem Eindruck eines „satten“ Geräuschs führen.
2.4.4 Elektromotoren In den letzten Jahren erfolgt in zunehmendem Mae der Einbau von elektrischen Kleinmotoren im Kfz-Bereich. Neben Scheibenwischern und Lüftungsgebläsen werden inzwischen immer häufiger Scheibenheber, Sitzverstellungen, Auenspiegel usw. durch elektrische Kleinmotoren angetrieben. Aufgrund der deutlichen Reduzierung der Kfz-Innengeräusche bezüglich Verbrennungs-, Antriebsstrang-, Wind- und Rollgeräuschanteilen kommt es häufiger zu Beanstandungen hinsichtlich der Geräuschqualität der von elektrischen Kleinmotoren ausgehenden Schallereignissen. Zur akustischen Untersuchung derartiger Schallereignisse sind geräuschabhängig folgende Analysen zu empfehlen: A-bewerteter Schalldruckpegel (auch frequenzselektiv), Terzspektrum, Lautheit, Schärfe, FFT-Spektrum, VFR-Analyse, Zoom-FFT, Ordnungsanalyse, Modulationsspektrum und Kurtosis. Zur Objektivierung von bislang nicht quantifizierbaren Geräuschbeanstandungen bei der akustischen Prüfung von elektrischen Kleinmotoren lässt sich feststellen, dass auch komplexere Geräusche durch frequenzselektives Analysieren und unter Berücksichtigung der Modulationsspektralanalyse durchaus mit einfachen Analyseverfahren beschreibbar sind (s. Abschn. 4.1 und im Internet auf http:\\extras.springer.com/2011/978-3-642-01414-77).
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Im Internet auf http:\\extras.springer.com/2011/978-3-642-01414-7 sind zahlreiche Störgeräuschbeispiele aus dem Bereich der elektrischen Kleinmotoren enthalten, die exemplarisch mit einigen akustischen Analysen ausgewertet worden sind.
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2.4.5 Abgasanlagengeräusche Abbildung 2.32 zeigt das Spektrogramm des aufgezeichneten Geräuschs einer Abgasanlage im Zug- und Schubbetrieb, wobei im oberen Drehzahlbereich im Zug wie auch im Schub ein unangenehmes „Pfeifen“ zu konstatieren ist. Gemessen wurde mittels eines Kunstkopf-Messsystems hinter dem Fahrzeug in einem Abstand von 1,4 m und unter 45°, wobei sich die Kunstkopfmikrofone auf einer Höhe von 1,20 m befanden. Im Spektrogramm ist deutlich eine tonale Komponente bei 4 kHz im oberen Drehzahlbereich zu erkennen. Für eine automatische Klassifizierung von Geräuschen ist jedoch eine solche Darstellung nicht ausreichend. In Abb. 2.33 ist daher die Analyse Prominence Ratio 3D dargestellt (s. Abschn. 2.3), die sehr dezidiert zeigt, dass in der Frequenzgruppe um 4 kHz in einem spezifischen Zeitabschnitt (Drehzahlbereich von ungefähr 2.400 bis 2.600 min−1) ein auffallend tonaler bzw. schmalbandiger Überschuss im Vergleich zu den anderen Frequenzgruppen vorzufinden ist.
Abb. 2.32 Spektrogramm des Geräuschs einer Abgasanlage ( links: Zugbetrieb, rechts: Schubbetrieb); FFT über Drehzahl (linker Kanal)
Abb. 2.33 Geräusch einer Abgasanlage im Zug- und Schubbetrieb; Spezifische Prominenzanalyse in Frequenzgruppen über Drehzahl (linker Kanal)
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Abb. 2.34 Vergleich des schmalbandigen Schalldruckpegels der 4 kHz Frequenzgruppe (1/6 OktavBP gefiltert) und des Summenschalldruckpegels (linker Kanal)
Im nächsten Schritt kann ein entsprechendes Bandpassfilter eingesetzt werden, das nur den Schalldruckpegel dieser Frequenzgruppe erfasst. Dieser Schalldruckpegel wird in der Abb. 2.34 in Relation zum Summenpegel dargestellt. Das Bild zeigt wie plötzlich dieser Bereich angeregt wird (Pegelerhöhung von ca. 15 dB) und damit den Gesamtpegel wesentlich bestimmt. Der Abstand zwischen Summenpegel und dem frequenzselektiven Pegel kann hier als objektives Merkmal zur Beschreibung des „Pfeifens“ herangezogen werden. In Abb. 2.35 ist das Modulationsspektrum für den Frequenzbereich um 4 kHz in 2Dund 3D-Darstellung abgebildet. Es ist zu erkennen, dass im entsprechenden Drehzahlbereich (obere Abbildung von 1,2 bis 2,1 s) Modulationsfrequenzen um 40 und 80 Hz stark vertreten sind. Daher ist ersichtlich, dass das „Pfeifen“ selbst kein reiner Ton ist, sondern die tonalen Anteile in dieser Frequenzgruppe mit ca. 40 und 80 Hz moduliert sind. Im unteren Teil der Abb. 2.35 ist deutlich zu erkennen, dass eine Modulationsfrequenz von 44 Hz vorliegt, die einer Anregung mit der 1. Motorordnung entspricht, da der zu diesem Zeitabschnitt zugehörige Drehzahlbereich bei ca. 2.600 min−1 liegt.
2.4.5.1 Geräuschdesign an einer Abgasanlage Bei der Geräuschgestaltung von Abgasanlagen ergeben sich zwei grundsätzliche Forderungen: Einerseits muss eine Abgasanlage frei von unerwünschten Geräuschen sein, andererseits ist es notwendig, den Geräuschcharakter des Abgasanlagensystems in Übereinstimmung mit dem Fahrzeugimage (Limousine, Sportwagen, etc.) zu gestalten. Detailuntersuchungen zeigten (Genuit 1999), dass Subharmonische für den Geräuscheindruck relevant bleiben, sofern diese zwischen 20 bis maximal 26 dB unterhalb der dominanten Harmonischen liegen. Dieser Effekt hängt von der Frequenz sowie von Maskierungseffekten ab.
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Abb. 2.35 Modulationsspektrum für die Frequenzgruppe 4 kHz; oben: Modulationsspektrum über Zeit, unten: gemitteltes Modulationsspektrum (jeweils linker Kanal)
Weiterführende Analysen wurden für die Verteilungen einer 3. (dominante Harmonische) und 6. Harmonischen sowie den halben Ordnungen von der 1,5. bis zur 6,5. Ordnung bezüglich eines sportlichen Sounds durchgeführt. Es zeigte sich, dass das Pegelverhältnis zwischen der 3. und 1,5. Ordnung einen Schlüsselfaktor darstellt: Im Fall eines sportlich ausgelegten Geräuschs sollte die 1,5. Ordnung während einer Beschleunigung und im Schub hörbar sein, da die hiermit verbundene Frequenz einen Eindruck vom Leistungsvermögen vermittelt. Übersteigt der Ordnungspegel ein bestimmtes Ma, so führt dies zu einem Eindruck von Rauigkeit. Die 1,5. Ordnung sollte im Schubbetrieb die 3. Ordnung nicht übertreffen, da ansonsten das Geräusch als unangenehm eingestuft wird. Für einen limousinenartigen Klang sollte die 1,5. Ordnung vor allem im Schubbetrieb reduziert werden. Ein zu hoher Pegel dieser Subharmonischen gibt den hier unerwünschten Eindruck von Rauigkeit wieder. Das Zusammenspiel zwischen der 5,5. und 6,5. Ordnung einerseits und der 6. Ordnung andererseits trägt entscheidend zum Charakter eines sportlichen Geräuschs bei. Die 5,5. und 6,5. Ordnung verstärken den Eindruck von Sportlichkeit, wenn deren Pegel im Vergleich zur 3. Ordnung einem Modulationskoeffizienten von ca. 0,1 entspricht. Geht es dagegen um die Verwirklichung eines limousinenartigen Geräuschs, so sollte die
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Tab. 2.6 Geräuscheigenschaften einer Abgasanlage, dessen Geräusche als sportlich bzw. als limousinenartig bewertet werden
α
ΔL
Sportliche Abgasanlage Limousinen-Abgasanlage
−5 dB/1.000 min−1 −8 dB/1.000 min−1
15 dB 20 dB
Abb. 2.36 Quantitative Analyse eines „sportlich betonten“ und eines „limousinenhaften“ Klangbildes für den Drehzahlbereich Hz
1000
Deutlich ist in Abb. 3.10 die prinzipielle Auslegung des Motorlagers auf 200 Hz für einen 4-Zylinder-Motor zu erkennen. Hier ist das Motorlager sehr weich ausgelegt, zu höheren Frequenzen ist das Lager zunehmend steifer. Die Methode der quantitativen Analyse der Körperschallübertragung mit Hilfe einer Kaskadierung mechanischer Vierpole wurde bereits in den frühen 90er-Jahren entwickelt und experimentell angewendet (Krämer u. Helber 1993; Meier u. Wunsch 1995). Bei der
3
99
Akustikgestaltung in der Fahrzeugentwicklung
Abb. 3.10 Dynamische Steifigkeit des hydraulischen Motorlagers aus Abb. 3.7
Steifigkeit
2500
N /mm
2000 1500 1000 500 0
10
100 f -> Hz
1000
Vierpolmethode werden die dynamisch-mechanischen Übertragungseigenschaften der einzelnen Übertragungsglieder einer Übertragungsstrecke in Analogie zur elektrischen Vierpoltheorie durch Übertragungsmatrizen beschrieben, deren mathematische Verknüpfung die Gesamtübertragung der untersuchten Übertragungsstrecke ergibt (Krämer u. Helber 1993). Unter Berücksichtigung der Randbedingungen der Schnittstellen im Fahrzeug können die extern ermittelten Vierpolparameter herangezogen werden, um einen virtuellen Übertragungspfad zu berechnen, der dem eingebauten Zustand entspricht. Somit kann nicht nur das Verhalten des Lagers in-situ, sondern auch die Auswirkungen von Parametervariationen unter Einbeziehung der Quell- und Senkenimpedanzen (z. B. Tragarm – Lager – Karosserie) vorhergesagt werden (s. Abschn. 8.2). Anforderungen zur Vermeidung körperschallgetragener Anteile im mittel- und höherfrequenten Spektralbereich, wie Dieselnageln und Injektortickern oder Anregungen verursacht durch Hybrid- oder Elektroantrieb, gewinnen in Zukunft an Bedeutung. Lager müssen entsprechend auch für diesen Anwendungsbereich ausgelegt werden. In frühen Phasen des Entwicklungsprozesses, wo die Mehrzahl an Komponenten nur virtuell vorliegt, können Mess- und Berechnungsdaten kombiniert und für hybride Simulationen verwendet werden. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit von Hardwarekomponenten im fortschreitenden Entwicklungsprozess muss das Wechselspiel zwischen Schwingungsverhalten der Antriebsquellen und Lagerperformanz experimentell validiert und ggf. angepasst werden. Diese Verfahren sind einfachen Abkopplungsmethoden, bei denen mit Hilfe der Unterbrechung einer Übertragungsstrecke der Beitrag durch Differenzbildung aus Komplett- und Abkoppelmessung abgeschätzt wird, erheblich voraus.
3.2.4 Entwicklungssystematik 3.2.4.1 Systematische Überprüfung aller bekannten NVH-Phänomene Im Fahrzeugentwicklungsprozess wird oft ein intensives Testprogramm mit umfangreichen Einzeluntersuchungen von Motoren, Getrieben, Antriebskomponenten, Chassis, etc. auf Prüfständen durchgeführt. Dazu muss ebenfalls eine extensive Gesamtfahrzeugerprobung erfolgen, bei der auch potentielle Interaktionen verschiedener Komponenten untersucht
100
B. Pletschen
Abb. 3.11 Philosophie des Vorgehens in der Akustikentwicklung
3 und überprüft werden. Ferner werden verschiedene Entwicklungs-Erprobungs-Schleifen durchlaufen, in denen Komponenten oder ganze Baugruppen mit stetig zunehmenden Reifegraden ihre Qualität beweisen müssen und potentielle NVH-Probleme frühzeitig erkannt und behandelt werden können.
3.2.4.2 Pegelreduktion, Störgeräuschbeseitigung, Soundgestaltung Begriffe wie „Pegelreduktion“, „Störgeräuschbeseitigung“ und „Soundgestaltung“ spiegeln den vielschichtigen Aufgabenbereich und die Spannweite der Arbeit der Akustikingenieure in der Fahrzeugentwicklung wider (s. Abb. 3.11). Es geht nicht nur um die Vermeidung von Emissionen (Geräuschen und Vibrationen), sondern neben der obligatorischen Eliminierung von unerwünschten Geräuschen, den Störgeräuschen, geht es auch wesentlich um die bewusste Betonung spezifischer Geräusche, die zu einem positiven Erleben des Fahrzeugs führen.
Die Summe optimierter Komponenten bedeutet nicht zwangsläufig ein optimales Gesamtsystem.
D. h. neben der obligatorischen Strukturoptimierung des Rohbaus, der Komponentenoptimierung, der Aggregateoptimierung bedarf es gleichermaen der Komposition und Optimierung des Gesamtsystems. Dabei muss das subjektive Empfinden in den Fokus der Akustikentwicklung gerückt werden und Experten wie potentielle Kunden den entwickelten Sound als passend, hochwertig und markentypisch empfinden. Hier liefert die Psychoakustik einen wertvollen Beitrag, da hier Verknüpfungen zwischen der Physik und der menschlichen Empfindung hergestellt werden können, deren Informationsgehalt erheblich über die Aussagekraft des Schalldruckpegels hinausgeht.
3.2.5 Exemplarische Maßnahmen zur Zielerreichung 3.2.5.1 Strukturoptimierung Rohbau Der Rohbau bietet die Basis zur Erlangung von Abstimmspielräumen für spätere Entwicklungsphasen. Insgesamt muss eine zielgerichtete Auslegung und frühzeitige rechnerische
3
Akustikgestaltung in der Fahrzeugentwicklung
101
Abb. 3.12 Bodenstruktur Mercedes-Benz E-Klasse (W212). (Quelle: Daimler AG)
Absicherung der Rohbaugestaltung in der Fahrzeugentwicklung erfolgen. Hier sind als wesentliche Manahmen exemplarisch zu nennen: optimierter Karosseriebau, ausgeprägte Trägerstrukturen, hohe lokale Eingangssteifigkeiten und Wölbstruktur im Bodenbereich (s. Abb. 3.12).
3.2.5.2 Laufkultur Powertrain Laufkultur ist ein wichtiges Qualitätskriterium im Bereich des Geräusch- und Vibrationskomforts, die eine harmonische, ausgewogene, gleichmäige Belastung durch Geräusche und Vibrationen beschreibt. Antriebsstrang-Schlagen, Drehungleichförmigkeiten, starke Massekräfte und Unwuchten im Antriebsstrang, ungleichmäige Leerlaufgeräusche, ausgeprägte Vibrationsmaxima müssen im Hinblick auf eine exzellente Laufkultur vermieden werden. Die Abb. 3.13 zeigt Beschleunigungen, die am Lenkrad und Sitz über den Drehzahlbereich von 1.000 bis 3.000 rpm−1 gemessen worden sind. Hierbei ist zu erkennen, dass die wesentlichen Motorordnungen im Beschleunigungsspektrum dominant sind und beispielsweise am Lenkrad die 2. bzw. 4. Motorordnung (MO) in unterschiedlichen Drehzahlbereichen Beschleunigungsmaxima aufweisen. Analog zeigt sich am Sitz eine sehr auffällige Beschleunigung im unteren Drehzahlbereich der 2. MO sowie bei der 4. MO im oberen Drehzahlbereich. Die starke Anregung (4. MO) im höheren Drehzahlbereich ist insofern kritisch, als das die menschlichen Hände und Arme sehr sensitiv auch für höhere Frequenzen sind. Diese wirken daher am Lenkrad deutlich auffälliger und sind daher kritischer als am Sitz. Diese drehzahlabhängigen Anregungen bzw. Beschleunigungen zeugen nicht von einer hohen Laufkultur, der Beschleunigungsverlauf der Motorordnungen variiert auffällig. Hohe Laufkultur zeichnet sich durch eine hohe Gleichmäigkeit bei geringen
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B. Pletschen
3
Abb. 3.13 Komfortbewertung am Lenkrad und Sitz für einen Motorhochlauf, links: Lenkrad, rechts: Sitz. (Quelle: Daimler AG)
Unregelmäigkeiten hinsichtlich von Geräuschen aus, Resonanzen im Körperschallbereich sind nicht spürbar.
3.2.5.3 Geräuschdämmung und -dämpfung Zur Gewährleistung des angestrebten und im Lastenheft definierten Geräuschkomfortniveaus wird ein erheblicher Aufwand zur Geräuschdämmung betrieben (s. Abschn. 9.2). Idealerweise erfolgt je nach Geräuscheintrag ein punktgenaues Einbringen von Dämmung, Dämpfung und Absorption. Darüber hinaus muss eine Vielzahl von Schaumstoff-Absorbern in den Hohlräumen der Karosserie zur Vermeidung von schwingenden Luftsäulen platziert werden. Abbildung 3.14 zeigt den Bauteilumfang an Absorberelementen zur Schallisolation für eine Baureihe.
3.2.5.4 Optimierung von Windgeräuschen Bei der Optimierung von aerodynamisch erzeugten Geräuschen, den Umströmungs- bzw. Windgeräuschen, ist das Ziel, den Schalldruckpegelverlauf über der Frequenz möglichst nahe und gleichmäig an vorgegebene Ideallinien heranzuführen. Die in der Abb. 3.15 dargestellte Ideallinie wurde für ein spezifisches Segment entwickelt und als Target für das Windgeräusch definiert. Die dargestellten farbigen Kurven rot und grün verdeutlichen
3
103
Akustikgestaltung in der Fahrzeugentwicklung
Abb. 3.14 Bauteilumfang zur Schallisolation in der aktuellen Mercedes-Benz S-Klasse des Baumusters 221. (Quelle: Daimler AG)
die sukzessive Optimierung des Windgeräusches durch optimale Formgestaltung und Isolation. Eine gute Aeroakustik bildet eine grundlegende Voraussetzung für Langstreckenkomfort, da bei Langstreckenreisen häufig hohe Geschwindigkeiten über einen längeren Zeitraum gefahren werden. Zur Optimierung von Windgeräuschen werden in Windkanälen verschiedene Messungen vorgenommen. Mit Hilfe von Hohlspiegel-Messungen im Windkanal lassen sich beispielsweise auffällige und störende Geräuschquellen lokalisieren (s. Abschn. 8.5.2). Hierbei sind die kritischen Stellen vor allem die A-Säulen, die Auenspiegel-Gehäuse und die Türdichtungen, die einer umfassenden aeroakustischen Gestaltung bedürfen.
65 Innengeräusch Fondsitzposition äußeres Ohr 140 km/h
Abb. 3.15 Gemitteltes Frequenzspektrum (FFT) im Windkanal per Kunstkopf gemessener Geräuschsignale; blau: idealer frequenzabhängiger Schalldruckpegelverlauf, rot: Ausgangszustand im frühen Entwicklungsstadium, grün: Erreichter Serienstand. (Quelle: Daimler AG)
Schalldruckpegel/dB (A)
55 45 35 25 15 5 –5
0
1
2
3
4 5 6 Frequenz/Hz
7
8
9 10 in 1000
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B. Pletschen
3.2.5.5 Optimierung von Betätigungsgeräuschen
3
Betätigungsgeräusche spielen in der Wahrnehmung und Beurteilung eines Fahrzeugs eine auerordentlich bedeutsame Rolle. Betätigungsgeräusche begegnen einem potentiellen Kunden bereits im Verkaufsraum und werden unterschwellig zu einer ersten Zuschreibung von Produktqualität genutzt, die sich später nur schwer revidieren lässt. Diese Geräusche, wie elektrische Verstellsysteme (Spiegelverstellung, Schiebedach, Zentralverriegelung, Fensterheber, Sitzverstellung, Lenkradverstellung) oder auch Schalterbetätigungsgeräusche, beeinflussen den Qualitätseindruck noch vor Beginn der ersten Probefahrt. Generell gilt, eine akustische Rückmeldung ist durchaus erwünscht, diese muss aber ausnahmslos hochwertig und passend klingen. Hierbei muss sich die Funktion in dem entsprechenden Geräusch wieder finden; ein unpassendes Geräusch mindert den Qualitätseindruck erheblich.
3.2.6 Methoden, Prüfstände und Werkzeuge der NVH-Entwicklung 3.2.6.1 Berechnungsmethoden des digitalen Prototyps Mit Hilfe hochauflösender Finite-Elemente Rechnungen zur Rohbau-, Motor-, Triebstrang- und Gesamtfahrzeugauslegung werden vielfältige Analysen vorgenommen, die bereits im digitalen Prototyp für hohen Akustik- und Schwingungskomfort sorgen und die Voraussetzungen schaffen, die abgesteckten konzeptionellen Ziele umsetzen zu können (s. Abschn. 10.1). Die FEM-Berechnungen erlauben die dezidierte Betrachtung von Strukturdynamikaspekten in der Karosserie, im Fahrwerk, Motor, Getriebe, Antriebstrang und Gesamtfahrzeug. Hier müssen Themenkomplexe, wie Rohbaueigenschwingungen, Gesamtfahrzeugschwingungen, Lenkradschwingungen, lokale Schwingungsphänomene, niederfrequente Innenraumakustik, Lagerauslegung und -optimierung, etc. bereits intensiv behandelt werden. Mit Hilfe von Transferpfad- und Wirkkettenanalysen lässt sich das komplexe System Fahrzeug von den Quellen über die Übertragungspfade schrittweise optimieren und notwendige konstruktive Modifikationen schon frühzeitig identifizieren.
3.2.6.2 Prüfstände Diverse Prüfstände für Akustik- und Schwingungsuntersuchungen erlauben Untersuchungen an Prototypen und Komponenten, die notwendig sind, um den vielfältigen Aufgaben im NVH-Bereich gewachsen zu sein und anspruchsvolle Ziele erreichen zu können. In der Akustikentwicklung bei Mercedes-Benz Cars stehen rund 70 Prüfstände für Akustik- und Schwingungsuntersuchungen zur Verfügung, um Themen wie
3
Akustikgestaltung in der Fahrzeugentwicklung
105
Fahrzeugakustik, Strukturdynamik, Aerodynamik, Motorschwingungen, Motorakustik, Triebstrang usw. zu behandeln. In der Regel weisen die Prüfstände „akustische Freifeldbedingungen“ auf und sind von übrigen Gebäudeteilen entkoppelt. Unter den diversen Prüfstandstypen befinden sich mobile wie stationäre Schwingungsprüfstände, Windkanäle und Motorenprüfstände (s. Abschn. 8.1), die im Prozess der Fahrzeugentwicklung kontinuierlich Anwendung finden. Die Nutzung von spezifischen Prüfständen erlaubt das Prüfen verschiedener Funktionsapplikationen unter beliebigen reproduzierbaren Belastungsszenarien. Diese Vorgehensweise erhöht die mögliche Abdeckung von Applikationsvarianten und Betriebsszenarien im Vergleich zum Gesamtfahrzeugtest, wodurch eine rasche Ursachenfindung bei hohem Optimierungsgrad gegeben ist.
3.2.6.3 Werkzeuge Zur Gestaltung des Fahrzeuggeräuschs ist eine umfassende Palette an Werkzeugen in Anwendung, die das Erreichen der markentypischen Geräuscheigenschaften und der Zielgeräuschumsetzung schrittweise sicherstellen helfen. Insgesamt ist allerdings anzumerken, dass nur durch Einsatz mehrerer Werkzeuge und Tools ein erfolgreiches Soundengineering realisiert werden kann und dass jede neue Fahrzeugentwicklung neuartige Herausforderungen mit sich bringt, die eine intelligente und kreative Anwendung der bekannten Werkzeuge erfordert. Zur Identifikation von Geräuschquellen kann die Technologie der akustischen Kamera eingesetzt werden. Der Aeroakustik-Hohlspiegel (Abb. 3.16) dient zur Lokalisierung
Abb. 3.16 Aeroakustik-Hohlspiegel zur Windgeräuschoptimierung. (Quelle: Daimler AG)
106
3
B. Pletschen
störender Schallquellen, das Kugelarray ermöglicht die dreidimensionale Abbildung von akustischen Quellen im Fahrzeuginnenraum, Beitragsflächenanalysen geben Auskunft über die akustischen Kontributionen verschiedener Panels im Fahrzeug. Dazu lässt sich die Relevanz einzelner Beiträge und Schallquellen in Fahrsimulatoren und Hörstudios für die Wahrnehmung und Beurteilung des Gesamtgeräuschkomforts bestimmen. Im Akustiklabor werden Zielgeräusche entwickelt, psychoakustische Bewertungen vorgenommen und die akustische Wirkung neuer Komponenten, wie alternative Antriebe, detailliert untersucht. Zur Erhöhung der Aussagekraft der Urteile aus dem Akustikstudio können Geräusche auch im Audiomobil, d. h. in realer Fahrzeugumgebung mit authentischen Interaktionsvorgängen, dargeboten und beurteilt werden. Hier erfolgt eine fahrzeuggestützte Bewertung der entsprechenden Messsignale.
3.3 Neue Trends und zukünftige Herausforderungen Neue Trends werden durch technologischen Fortschritt sowie durch gesetzliche Anforderungen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen forciert und getrieben. Der Klimabericht des Klimagremiums der Vereinten Nationen (IPCC) von 2007 sorgte für einen politisch-gesellschaftlichen Aufschrei und die so genannte CO2-Krise beschleunigte die Nachfrage nach neuen Antriebskonzepten zur erheblichen Reduzierung des CO2Ausstoes von Kraftfahrzeugen. Die Erfüllung der Zielvorgabe von 95 g/km CO2-Austo der PKW-Flotte bis 2020, die durch das Europäische Parlament definiert wurde, ist nur mit Hilfe der serienmäigen Einführung verschiedener alternativer Antriebe in der Flotte realisierbar. Die Automobilhersteller müssen dabei diesen Herausforderungen im Spannungsfeld der Finanz- und Weltwirtschaftskrise 2008/2009/2010 und steigenden Kundenansprüchen kompromisslos begegnen. Die „neuen“ Technologien und alternativen Antriebe im Bereich der Fahrzeugentwicklung brachten neue Herausforderungen auch für die Akustikentwicklung hervor. Das charakteristische Merkmal dieser neuen Herausforderungen ist, dass vom Verbrennungsmotor zum Hybrid- bzw. Elektromotor kein linearer sondern ein sprunghafter Übergang vorliegt und deswegen das schlichte Weiterführen bisheriger Ansätze und Lösungen nicht ausreichen wird. Es geht nicht um die schrittweise Optimierung bekannter Konflikte, sondern um das Bewältigen neuer Aufgaben, das Finden von Antworten auf völlig neue Fragen. Das Brennstoffzellenfahrzeug bringt beispielsweise komplett neue Geräuschquellen mit sich, bei denen weder das Störgeräuschpotential noch die Kundenbewertung vollständig bekannt sind. Direkteinspritzende Ottomotoren, hubraumreduzierte, aufgeladene Motoren (down sizing), Leichtbau zur Gewichtsreduzierung, Verbrennungsmotoren in Kombination mit Hybridantrieben und damit geänderte Karosseriesteifigkeiten, geänderte Anregungen, Zunahme an Wechselmomenten, stellen nur einige der aktuellen Herausforderungen dar, die nach intelligenten Lösungen im Bereich des Soundengineering verlangen. Dabei ist es notwendig, nicht vom bisherigen Komfortniveau abzuweichen, wie eine Gewichtsreduktion beispielsweise durch ein „Decontenting“ herbeigeführt werden könnte. Jegliche Ma-
3
Akustikgestaltung in der Fahrzeugentwicklung
107
nahmen, die zur Erfüllung steigender Emissionsvorgaben geplant und umgesetzt werden, müssen mit dem Markenversprechen im Einklang stehen. Hinsichtlich der Leichtbauweise kommt es aktuell zu einem Paradigmenwechsel. Das Reduzieren von Gewicht besitzt oberste Priorität und bei der konstruktiven Leichtbauoptimierung werden höhere Kosten nicht gescheut. Wichtig ist, dass bezüglich der Vermeidung von unerwünschten NVH-Phänomenen eine Erhöhung der Steifigkeit der Struktur ohne Massenzunahme bzw. sogar mit dem Ziel der Gewichtsverringerung realisiert wird. Ferner verlangen leistungsstärkere verbrauchsarme Antriebe mit signifikant gröeren Anregungen neue Ansätze zur Abkopplung von Körperschallpfaden. Die innovative BLUETEC-Technologie, die für niedrige Schadstoff- und Partikelemisssionen sorgt, muss unterschiedliche landestypische Kraftstoffqualitäten „bewältigen“. Eine zu erwartende restriktivere Auengeräuschgesetzgebung wird beträchtliche Optimierungen akustischer Emissionen erfordern. Abbildung 3.17 zeigt das durch neue Antriebstechnologien bedingte Anwachsen technologischer NVH-Herausforderungen. Die neuen Antriebstechnologien unterscheiden sich zunehmend vom konventionellen Fahrzeugtypus mit Verbrennungsmotor und daher müssen schnelle Antworten auf neuartige Problemstellungen gefunden werden. Fehlende Maskierung der Nebenaggregate sowie des Abroll- und Windgeräusches ist nur ein Aufgabenfeld, das völlig neue Probleme aufwirft, aber auch Möglichkeiten offeriert. Dabei ist nicht zu vergessen, dass immer mehr technisch ausgereifte Fahrzeuge auf den Markt drängen und damit die Zeit, die effektiv zur Entwicklung neuer, innovativer Fahrzeuge zur Verfügung steht, sich zunehmend verkürzt. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass in einer Zeit, in der die Belastung des Menschen durch sein immer komplexer werdendes Umfeld stetig zunimmt, gleichermaen das Verlangen und das Bedürfnis nach Ruhe steigt. Der Trend zum Cocooning, d. h. der zunehmende Rückzug der Menschen aus der hektischen und teilweise bedrohlichen Umwelt in scheinbar sichere Rückzugsgebiete, verstärkt das Bedürfnis nach einem persönlichen
Abb. 3.17 NVH-Herausforderungen durch neue Antriebstechnologien
108
3
B. Pletschen
Rückzugsraum, der Halt und Sicherheit bietet und das auch im Bereich der Fahrzeugwahl. Die Fahrzeugeigenschaft Fahrkomfort/NVH gewinnt daher im Umfeld stark steigender Komfortansprüche und Cocooning-Tendenzen zunehmend an Bedeutung. Demzufolge gilt auch in der Zukunft, dass Komfort ein auerordentlich wettbewerbsrelevantes Kriterium darstellt. Komfort (ride and acoustic comfort) ist traditionell ein Haupt-Markenkennwert von Mercedes-Benz und diese Positionierung wird auch zukünftig nachdrücklich verfolgt werden. Hauptfokus bei der Fahrzeugentwicklung ist und bleibt ein herausragender Fahrkomfort, gepaart mit einem auf das Fahrzeugsegment abgestimmten akustischen Eindruck. Die Empfindung von Geräuschqualität bleibt markenspezifisch. Der Fahrzeugsound sollte sich harmonisch, stilvoll, kraftvoll, einzigartig, dezent aber charakteristisch in den Gesamtauftritt des Fahrzeugs einfügen.
Literatur Helber R, Doncker F (1989) Methode zur Ermittlung der komplexen Steifigkeit von Gummimetallteilen im Frequenzbereich von 3 Hz bis 2 kHz, Automobiltechnische Zeitschrift, 91, 397–399 ISO 362-1:2009 (2009) Acoustics – Engineering method for the measurement of noise emitted by accelerating road vehicles. Part 1: Vehicles of categories M and N ISO 362-2:2009 (2009) Acoustics – Engineering method for the measurement of noise emitted by accelerating road vehicles. Part 2: Vehicles of category L Krämer M, Helber R (1993) Methode zur quantitativen Analyse der Körperschallübertragung in Kraftfahrzeugen, Wiener Motorensymposium 1993, VDI Reihe 12, Band 182, VDI-Verlag, Düsseldorf, S. 362–379 Meier H E, Wunsch B (1995) Fahrzeuglager als mitbestimmendes Element der Geräuscheinleitung, Haus der Technik 1995, Essen, Deutschland
Bewertung von Fahrzeuggeräuschen
4
Klaus Genuit, Brigitte Schulte-Fortkamp, André Fiebig und Michael Haverkamp
4.1 Bewertungsgrößen Klaus Genuit, HEAD acoustics GmbH Bei der Wahrnehmung und Beurteilung eines Automobils sind unzählige Merkmale und Eigenschaften von Bedeutung. Dabei können Merkmale objektiv-technisch beschrieben werden, wie Angaben zur Motorisierung, Höchstgeschwindigkeit, Drehmoment, zulässige Zuladung, Verbrauch usw. Daneben sind weitere Eigenschaften von Bedeutung, die sich einer einfachen objektiv-technischen Beschreibung entziehen. Hier sind Begriffe zu nennen, wie Sicherheit, allgemeine Qualitätsanmutung, Design, Ergonomie, Komfort, Haptik, Fahrdynamik, Zuverlässigkeit, die deutlich schwieriger objektiv erfassbar und beschreibbar sind (Abb. 4.1). Die Bewertung der Fahrzeugakustik auch unter Berücksichtigung der Schwingungen und Vibrationen im Fahrzeug gehört der zweiten Merkmalskategorie an. Hier ist die einfache Erfassung physikalisch-messbarer Gröen unzureichend, um die Ausprägung eines Merkmals zu beschreiben bzw. zu messen. Da die Empfindung von Geräuschqualität eine von mehreren Dimensionen abhängige Empfindung darstellt, können verschiedene Attributsbeurteilungen zur Bestimmung dieser komplexen Gröe beitragen. Ferner ist der Begriff Geräuschqualität als bewertungsrelevantes Kriterium im Bereich der Fahrzeugakustik nicht ausreichend. Denn „das meist unbewusste Registrieren einer Flut von Informationen aus gesehenen und empfundenen Eindrücken führt zu einem Urteil über ein Fahrzeug, in dessen Aussagen häufig Begriffe verwendet werden wie etwa sympathisch, komfortabel, sportlich, hart, ruppig, kernig, geschmeidig, usw“ (Heiing u. Brandl 2002). Diese allgemeinen, mehrere Dimensionen integrierenden Urteile lassen keine gezielten Rückführungen auf Ursachen für etwaige nachteilige Bewertungen zu, vielmehr können diese (nur) als Indikator für gelungene bzw. unvollkommene Fahrzeugentwicklung betrachtet werden.
K. Genuit () HEAD acoustics GmbH, Ebertstr. 30a, 52134 Herzogenrath, Deutschland E-Mail: [email protected] K. Genuit (Hrsg.), Sound-Engineering im Automobilbereich, DOI 10.1007/978-3-642-01415-4_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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K. Genuit
Abb. 4.1 Multisensorische Wahrnehmung eines Kraftfahrzeuges
4
Selbstverständlich ist diese allumfassende Beurteilung letztendlich der Prüfstein der Fahrzeugentwicklung und spiegelt die „Stimmigkeit des Gesamtkonzepts“ wider. Der Erfolg des Produkts (neben anderen Kriterien wie Preis, Image, Marktbedürfnisse und -bedingungen etc.) wird von jenen Gesamturteilen mageblich abhängen. Um aber Aussagen über verbesserungswürdige Details zu erhalten, muss die Gesamtbeurteilung auf verschiedene „Einzelbeurteilungen“ herunter gebrochen werden (Tab. 4.1). Die Beurteilungen verschiedener spezieller Aspekte können dann als Grundlage für die Identifikation von Schwachstellen und Stärken dienen. Allerdings bleibt hier festzuhalten: Die Summe des Ganzen ist oft mehr als die Summe der Einzelteile. D. h., dass gute Beurteilungen einzelner Aspekte nicht unweigerlich auf eine gute Gesamtbeurteilung schlieen lassen. Hier sind Konstellationen denkbar, in denen isolierte Bewertungen eine gute Qualität bescheinigen, aber die Einzelkategorien im „Zusammenspiel“ versagen. Das Gesamtbild ist nicht stimmig oder das Gehörte wird als nicht zum Objekt passend empfunden (s. Abschn. 4.2). Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass die Bewertung der Akustik eines technischen Produkts, wie ein Automobil, oft nur unter Berücksichtigung weiterer Sinne, Tab. 4.1 Häufig untersuchte Merkmale und Geräuschklassen in der Fahrzeugakustik Begriffe
Geräuschklassen/Geräusche
Geräuschqualität (Sound Quality) Lästigkeit Angenehmheit Komfort Souveränität Luxuriösität Sportlichkeit Hochwertigkeit Lautheit Rauigkeit
Türgeräusche Getriebegeräusche Antriebsstranggeräusche Motorgeräusche Schaltergeräusche, Blinkergeräusche Geräusche von Nebenaggregaten Lüftergeräusche, Geräusche der Klimaanlage Rollgeräusch, Reifen-Fahrbahngeräusch Windgeräusche Bremsgeräusche Geräusch der elektrischen Feststellbremse Anlassergeräusch Geräusche der Ansaugung, Abgasanlage (Vibrationen des Sitzes und der Lenkung)
4 Bewertung von Fahrzeuggeräuschen
111
die aktiviert werden, umfassend und aussagekräftig vorgenommen werden kann. Damit wird die Übertragbarkeit von Erkenntnissen auf reale, laborferne Situationen gewährleistet (externe Validität), in denen weitere Sinne ebenfalls angesprochen werden (Schulte-Fortkamp et al. 2007). Insofern finden verschiedene Bewertungsgröen, je nach Untersuchungsgegenstand und gewünschter Reichweite und Gültigkeit der Ergebnisse, Anwendung im Bereich der Fahrzeugakustik. Im Folgenden soll ein kurzer Abriss über schwingungstechnische Bewertungsgröen gegeben werden, um die Bandbreite relevanter Gröen zu verdeutlichen.
4.1.1 Störgeräusche „Störgeräuschen kommt eine hohe Bedeutung zu, da sie unter Wettbewerbsgesichtspunkten eine entscheidende Rolle spielen und im Allgemeinen mit unzureichender Produktqualität gleichgesetzt werden“ (FVV 2001). Die Eliminierung von Störgeräuschen besitzt oberste Priorität im Bereich der Fahrzeugentwicklung. Die Identifikation und Eliminierung von Störgeräuschen muss dabei frühzeitig im Entwicklungsprozess realisiert werden, um drohende Geräuschkonflikte aktiv zu vermeiden. Denn Störgeräusche sind „u. U. als lauter [einzustufen], wenn sie unregelmäig auftreten, sich in Intensität, Klangfarbe und zeitlicher Struktur verändern, zwischen 1 und 5 kHz liegen, durch nichtakustische Reize unterstützt werden, sich als ungewohnt erweisen“, führt die VDI 2563 aus, die sich mit der messtechnischen Erfassung und Bewertung von Geräuschanteilen von Straenfahrzeugen beschäftigt. Tabelle 4.2 beinhaltet eine Auswahl an bekannten Störgeräuschen, wodurch bereits die Vielfalt an potentiellen Störgeräuschphänomenen verdeutlicht wird.1 Die Identifikation von Störgeräuschen geht mit der Suche nach adäquaten sensitiven und physikalischen Deskriptoren einher. Die sensitiven Beschreibungen können als Wahrnehmungsmerkmale verstanden werden und vereinfachen die Kommunikation über Störgeräuschphänomene. Dagegen erfolgt mit Hilfe der physikalischen Deskriptoren bereits eine technisch-analytische Übersetzung des Wahrnehmungsphänomens in eine physikalisch-technische Dimension. Die detaillierte Bestimmung physikalischer Indikatoren für spezielle Geräusche erleichtert die Zuordnung eines Geräuschs zu einer speziellen Tab. 4.2 Auswahl an bekannten Störgeräuschphänomenen. (FVV 2001) Störgeräusche (Auswahl): Dröhnen, Brummen, Quietschen, Buhen, Knarzen, Muhen, Schnarren, Rumpeln, Poltern, Heulen, Nageln, Klingeln, Singen, Pfeifen, Rasseln, Knistern, Klappern, Zischen, Mahlen, Rattern, Tackern, Trillern, Zirpen, Wummern, Blubbern, Kieseln, Schettern, Schnattern, Patschen, Weinen, Wimmern, Klopfen, Pochen, Grollen, Kollern, Grunzen, Kreischen, Puffern, Summen, Quieken, Scheppern, Jaulen, Stottern, Trommeln, Brutzeln, Schmettern, Schwirren, Quaken, Prasseln
1
Eine groe Auswahl von Störgeräuschen (z. B. aus dem Bereich der Verbrennungsmotoren und den elektrischen Kleinmotoren) ist im Internet auf http:\\extras.springer.com/2011/978-3-64201414-7 als Hörprobe mit exemplarischen Analysen enthalten.
112
4
K. Genuit
Störgeräuschklasse und damit oft eine erhebliche Eingrenzung möglicher Ursachen für das unerwünschte Geräusch. Denn letztendlich werden mit der Identifikation und Beschreibung eines auftretenden Störgeräuschs gleichermaen die Ursachenfindung und das Ableiten von Gegenmanahmen initiiert. Daher forcierte beispielsweise die Forschungsvereinigung für Verbrennungskraftmaschinen verschiedene Vorhaben, die sich mit der Objektivierung von subjektiven Beurteilungen beschäftigen und die objektive Kennwerte zur Bewertung der Lästigkeit verschiedener Geräuscharten von Verbrennungsmotoren auf Basis subjektiver Beurteilungen erarbeiteten (FVV 2006). Tabelle 4.3 und 4.4 verdeutlichen die Möglichkeiten der Geräuschbeschreibung und der Störgeräuschanalyse für Kfz-Störgeräusche. Tabelle 4.5 zeigt eine Klassifizierung von Störgeräuschphänomenen im Bereich der elektrischen Kleinmotoren, die zunehmend an akustischer Bedeutung im Kraftfahrzeug gewinnen. In der Fahrzeugakustik sind zahlreiche Störgeräuschphänomene bekannt und in zahlreichen Untersuchungen sensitiv wie auch physikalisch-technisch analysiert worden. Neben der Eliminierung, d. h. das Modifizieren des Fahrzeugs zur Vermeidung der Anregung und Geräuschentstehung, können auch gezielt Maskierungs- und Verdeckungseigenschaften des menschlichen Gehörs genutzt werden. Allerdings muss hier erwähnt werden, dass das Gehör äuerst leistungsfähig ist und eine intendierte Maskierung von
Tab. 4.3 Auswahl an Störgeräuschen mit akustischen Eigenschaften. (FVV 2001) Störgeräusch Brummen Heulen Knattern Nageln Quietschen Rasseln Tickern Wummern
Bandbreite
Spektrum
Signalart
Modulationsfrequenz
Breit Schmal Tief Mittel Hoch Tonal Stoch. Impulsh. kl. fm mittl. fm hohe fm x x
x
x x
x x
x x x x x
x x
x x x x
x
x x x
x x
x x x
x
x x
Tab. 4.4 Analysemethoden für Störgeräuschmuster. (FVV 2001) Wavelet Ordnungs- Spec. Level N Spec. S I Modul. VFR Rel. filtered N analyse Approach spektrum Prominence Brummen x x Heulen x Knattern x Nageln x Quietschen Rasseln x x x Tickern x Wummern x N Lautheit, S Schärfe, I Impulshaltigkeit
x x x
x x
x x x x
x
x
x
x x
4
113
Bewertung von Fahrzeuggeräuschen
Tab. 4.5 Auswahl typischer Geräuschbezeichnungen von elektrischen Kleinmotoren und deren Beschreibung Geräuschart Geräuschquelle Heulen
Brummen Quietschen
Pfeifen
Flöten
Zirpen Jaulen
Rattern Nageln
Mahlen
Tackern
Trillern
Grunzen
Rasseln
Zwirbeln
Klimaanlage, Wischer
Geräuschbeschreibung
Tonaler, tieffrequenter Ton, leichte Schwankung in der Frequenz und/oder Amplitude Sitzverstellung, Gemisch von tieffrequenten, moduSchiebedach lierten tonalen Anteilen Lüftung Hochfrequentes, FM moduliertes Signal, tieffrequente Anregung einer Strukturresonanz Kühler, Lüftung Hochfrequentes, mehrfach AM moduliertes Signal, tieffrequente Anregung einer Strukturresonanz Kühler, Lüftung Auf- und abschwellender, harmonischer Klang aus Grundwelle und Vielfachen, drehzahlabhängig Lüftung Auf- und abschwellendes, AM-moduliertes hochfrequentes Klangbild Schiebedach, Schwankende höhere MotorordnunWischer gen, Drehzahl fallend, tieffrequente AM-Modulation Mittlerer Frequenzbereich, moduliert Schiebedach mit höheren Motorordnungen Mittlerer Frequenzbereich, moduliert Schiebedach, mit mehreren Motorordnungen, Spiegel, insbesondere mit Grundwelle Scheinwerfer Wischer, Spiegel, Auf- und abschwellende Modulation Scheinwerfer durch mehrere Motorordnungen einer Strukturresonanz Lüftung Tieffrequente, periodische Anregung einer Strukturresonanz im höheren Frequenzbereich Lüftung Doppelt modulierter tonaler Anteil, tieffrequente Schwankung eines AM modulierten Tons ASR, ABS Tieffrequente Anregung einer Strukturresonanz bei höheren Frequenzen, überlagert mit Modulation Spiegel, Anregung von mehreren Strukturresonanzen mit ausgeprägten AMScheinwerfer Modulationen durch Grundwelle Sekundärgebläse Drehzahlabhängig zunehmende Modulation in Verbindung mit einer starken Resonanz
Spektrum in [Hz] 180–500
20–180 1.000–7.000
3.000–10.000
500–2.500
3.000–12.000 300–2.500
300–1.500 300–3.000
400–1.500
1.000–8.000
1.000–4.000
100–5.000
1.000–8.000
500–5.000
Störgeräuschen mittels höherer Schalldruckpegel anderer Geräuschquellen nicht unweigerlich angenommen werden kann. Das Gehör analysiert Geräusche in einzelnen Frequenzbändern, arbeitet also frequenzselektiv und entdeckt zeitliche und spektrale Muster auch in Fällen, in denen laute
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Abb. 4.2 Störgeräusch „Tickern“; FFT über Zeit; linkes Fahrerohr
stationäre Geräusche in spektraler Nachbarschaft auftreten. Dagegen ist das Erkennen und Memorisieren von absoluten Gröen und Werten akustischer Reize weniger ausgeprägt. Das wiederum bedeutet, dass die Reduzierung eines Störgeräuschs um 1 bis 2 dB nicht unbedingt zu einer merklichen Verbesserung der Beurteilung des Fahrzeuggeräuschs führen muss. Ist das Störgeräusch nach wie vor detektierbar, adaptiert sich das Gehör an den verringerten Schalldruckpegel und der Hörer ist mittelfristig vergleichbar belästigt. Im Folgenden sind einige exemplarische Analyseergebnisse dargestellt, die das jeweilige Störgeräusch und deren Ausprägung herausstellen. Wie aus dem Spektrum der FFT-Analyse des Störgeräuschs „Tickern“ ersichtlich, liefert ein 3-D Spektrum oft wertvolle Hinweise für weitere Analysen, ist aber als alleinige Analysebasis und zur Erkennung von Störgeräuschen häufig unzureichend (Abb. 4.2). Werden zusätzlich weitere, der Merkmalsausprägung entsprechende Analysen verwendet, kann das jeweilige untersuchte Störgeräusch identifiziert und das „Störpotential“ abgeschätzt werden. Bei dem Geräuschphänomen „Tickern“ kann auf Grundlage einer Relative ApproachAnalyse (Genuit 1996), mit deren Hilfe Zeit- und Spektralmuster identifiziert und quantifiziert werden können, die spezielle Charakteristik dieses Störgeräuschs herausgearbeitet werden (Abb. 4.3). Die Relative Approach-Analyse ist allgemein zur Detektion zeitlicher und spektraler Geräuschmuster gut geeignet, wie sie bei transienten oder tonalen Ereignissen auftreten. Es wird davon ausgegangen, dass das Gehör, um Muster zu identifizieren, eine Referenz auf der Basis vergangener Geräuschereignisse bildet und das momentane Geräusch mit dieser Referenz vergleicht. Gröere Unterschiede werden dann als Muster interpretiert. Die Relative Approach-Analyse ermittelt aus dem bis zum aktuellen Zeitpunkt bekannten Signalverlauf einen Schätzwert, vereinfacht den Mittelwert der vergangenen Signalwerte, und subtrahiert diesen Wert vom tatsächlichen Signalwert. Die Differenz zwischen dem tatsächlichen Signalwert und dem Schätzwert stellt ein Ma für die Änderung des Signals dar. Damit ermittelt diese Analyse keine absoluten, sondern – analog zum menschlichen Gehör – relative Werte. Die Relative Approach-Analyse kann ein Geräusch
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Abb. 4.3 Störgeräusch „Tickern“; Relative Approach-Analyse (Zeitmuster); linkes Fahrerohr
in die Anteile mit und ohne Muster zerlegen und erlaubt so eine Bewertung der vorhandenen Geräuschmuster. Weitere akustische Analysen sind in den Abb. 4.4, 4.5 und 4.6 gezeigt, in denen die akustischen Eigenschaften weiterer Störgeräusche (Squeak, Pfeifen) transparent werden. Beispielsweise können mit Hilfe der Prominenzanalyse tonale Komponenten ermittelt werden (Nobile u. Bienvenue 1991). Die Relative Approach-Analyse entdeckt wieder zeitliche und spektrale Muster, die vom Gehör erkannt werden. Darüber hinaus wurden verschiedene Hörmodelle entwickelt, die Analysen vergleichbar zum menschlichen Auflösungsvermögen im Zeit- und Frequenzbereich erlauben (z. B. Sottek u. Genuit 2005), um spezielle Phänomene identifizieren und in deren Relevanz interpretieren zu können.
Abb. 4.4 Störgeräusch „Squeak“; Spezifische Prominenzanalyse über Zeit; linkes Fahrerohr
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Abb. 4.5 Störgeräusch „Squeak“; Relative Approach-Analyse über Zeit (Zeit- und Frequenzmuster); linkes Fahrerohr
Abb. 4.6 Störgeräusch „Pfeifen“; Spezifische Prominenzanalyse über Zeit; rechtes Fahrerohr
Störgeräusche: Wummern, Dröhnen und Brummen Im Fahrzeuginnenraum können durch Luft- oder Körperschallanregung tieffrequente Schwingungen entstehen, die das menschliche Gehör nicht unbedingt als laut, aber durchaus als unangenehm, ermüdend und belastend empfindet. Ein typisches Geräusch ist das so genannte „Wummern“, das i. d. R. in einem Spektralbereich kleiner 100 Hz auftritt. Das Geräuschphänomen „Wummern“ bedeutet in Abgrenzung zu „Brummen“ ein tieffrequentes und zeitlich langsam moduliertes Signal. „Brummen“ gilt auch als tieffrequent, besitzt aber keine besonderen Modulationen. Das Geräuschphänomen „Dröhnen“ weist dagegen neben tieffrequenten Anteilen auch Modulationen im höherfrequenten Bereich auf. Während „Dröhnen“ und „Brummen“ oft nur als akustische Erscheinungsform unangenehm beurteilt werden, entsteht beim „Wummern“ zusätzlich eine wesentliche physiologische Auswirkung in Form von Übelkeit und Erschöpfung. Leider werden die genannten Phänomene selbst in Fachkreisen oft falsch zur Beschreibung spezifischer Störgeräusche verwendet und sogar
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Abb. 4.7 Spektrogramme der Störgeräusche Wummern ( links), Brummen ( Mitte) und Dröhnen; oben: FFT über Zeit (mit einer Fensterbreite von 4.096 Abtastwerten bei einer Abtastrate von 4.096); unten: FFT über Zeit (mit einer Fensterbreite von 512 Abtastwerten bei einer Abtastrate von 4.096)
verwechselt. Daher sollen hier kurz die charakteristischen Merkmale der einzelnen Störgeräusche exemplarisch an synthetisch erzeugten Signalen erläutert werden. Abbildung 4.7 zeigt Spektrogramme (3D Campbell-Diagramme), die mit Hilfe der Fast Fourier Transformation für die Geräuschphänomene „Dröhnen“, „Brummen“ und „Wummern“ berechnet worden sind. Deutlich ist der Einfluss der Fensterlänge (Blocklänge) auf das Analyseergebnis zu erkennen, denn bedingt durch die zeitliche Fensterung unterliegt die FFT-Analyse einer Zeit-Frequenz-Unschärfe (s. Kap. 1). Im oberen Teil der Abbildung ist das Ergebnis der Fast Fourier Transformation dargestellt, bei der die Fensterbreite 4.096 Abtastwerte bei einer Abtastrate von 4.096 betrug. D. h., das Fenster hat eine Länge von 1 s, was zu der hohen Frequenzauflösung führt (1 Hz); Verschmiereffekte und Unstetigkeiten am Fensteranfang und Fensterende ( Leakage-Effekt) fallen sehr gering aus. Mittels verschiedener Fensterfunktionen wird versucht, den Einfluss von Unstetigkeiten an den Fensterenden abzuschwächen (s. Kap. 1). Als Fensterfunktion wurde hier das Hanning-Fenster verwendet. Mit Hilfe der hohen Frequenzauflösung sind die spektralen Bestandteile in den Störgeräuschen klar zu erkennen. Wummern besitzt spektral dicht beieinander liegende tonale Komponenten im tieffrequenten Bereich. Beim Brummphänomen zeigt sich nur eine auf-
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fällige tieffrequente tonale Komponente. Dagegen sind beim Dröhnen neben dem Ton bei 100 Hz auch höherfrequente tonale Elemente zu erkennen, die hier auf eine Modulation von ca. 70 Hz hinweisen. Die Wahrnehmung des zeitlichen Verlaufs ist dagegen bei der unteren Darstellung der Abb. 4.7 zu erschlieen. Hier wurde eine Fensterbreite von 512 Abtastwerten bei einer Abtastrate von 4.096 mit der Fensterfunktion Hanning gewählt. Die zeitliche Auflösung beträgt daher 0,125s bei einer Frequenzauflösung von 8 Hz. Deutlich ist die zeitliche Struktur beim Wummern zu erkennen. Das Geräusch wird mit einer Modulationsfrequenz von 4 Hz langsam laut und leise; das menschliche Gehör kann diese Lautheitsschwankungen zeitlich auflösen. Es zeigte sich, dass bei solchen langsamen Lautheitsschwankungen, die mit dem psychoakustischen Parameter Schwankungsstärke beschrieben werden, viele Menschen mit Unwohlsein, Übelkeit und schneller Ermüdung auf das Geräusch reagieren, wenn die langsame Modulation eine sehr tieffrequente Trägerfrequenz besitzt. Auch diese Geräusche sind neben einer groen Auswahl an realen Störgeräuschen im Internet auf http:\\extras.springer.com/2011/978-3-642-01414-7 enthalten. Grundsätzlich kann „Wummern“ durch reine Luftschallanregung, z. B. Belüftung/Klimaanlage, geöffnetes Schiebedach oder – was häufiger anzutreffen ist – durch in die Karosserie eingeleitete Kräfte, die dann von verschiedenen schwingenden Oberflächen als Luftschall abgestrahlt werden, entstehen, d. h. durch Anregung des Fahrwerks über Strukturresonanzen in die Karosserie eingeleitete Kräfte.
4.1.2 Die Bewertungsgröße „Geräuschqualität“ Aufgrund von steigenden Kundenanforderungen und wachsendem Wettbewerbsdruck rückt das gezielte Gestalten von Fahrzeuggeräuschen zunehmend in den Vordergrund. Die Vermeidung von Störgeräuschen allein führt nicht unweigerlich zum bestmöglichen Fahrzeugsound. Sportlichkeit, Kraft, Sicherheit, Souveränität oder Komfort und Luxus sollen sich auch in der Geräuschkulisse des Fahrzeugs widerspiegeln. Oft wird hier auch vom Targetsound bzw. Zielgeräusch gesprochen, das das optimale Fahrzeuggeräusch unter Berücksichtigung der Erwartungshaltung der Zielgruppe, des Images und des Corporate Sounds, etc. repräsentiert. Dabei wird oft auf Basis aktueller Produktgeräusche die Geräuschqualität ermittelt, sowie durch gezielte Manipulation dieser Geräusche oder durch die Simulation zukünftiger Produkte das optimale Produktgeräusch bestimmt. Im Gegensatz zu den klassischen psychoakustischen Parametern, die wie bereits dargelegt eindimensional sind, handelt es sich bei dem Phänomen Geräuschqualität i. d. R. um eine mehrdimensionale Gröe. D. h. verschiedene Wahrnehmungsdimensionen, wie Lautheit, Schärfe, Rauigkeit, Tonalität, tragen in unterschiedlichem Ma zur Wahrnehmung von Geräuschqualität bei. Diese Parameter können in komplexen Zusammenhängen zueinander stehen. Ziel in Untersuchungen zur Geräuschqualität ist es, Parameter zu determinieren, die als Indikator für gute oder schlechte Qualität von Geräuschen interpretierbar sind. Die Intention ist, eine gesicherte Prognose der Geräuschqualität von spezifischen Geräuschen anhand physikalisch messbarer Parameter vornehmen zu können (Patsouras 2003). Dabei werden häufig klassische Methoden und Verfahren eingesetzt, die in der Psychoakustik bereits etabliert sind. Die Methode des Paarvergleichs, der Rangordnung,
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die Methode des Semantischen Differenzials sowie Kategorialbeurteilungen und Gröenschätzungsverfahren werden gleichermaen im Bereich der Untersuchung von Geräuschqualität genutzt (Fastl 2002). Darüber hinaus finden zunehmend neuartige Verfahren Anwendung, die abweichend von den klassischen, laborbezogenen Methoden den Probanden einen höheren Grad an Flexibilität und Freiheit zugestehen und nicht die Kontrolle/Konstanz aller Störvariablen vorsehen (Genuit et al. 2006). Abbildung 4.8 zeigt schematisch die typische Vorgehensweise bei der Untersuchung von Geräuschqualität. Dabei kommt der technisch-physikalischen Analyse der Produktgeräusche wie auch der subjektiven Beurteilung der Geräusche durch Experten und typischen Produktanwendern eine gleiche Bedeutung zu. Mit Hilfe von Gesprächen und Befragungen und deren Auswertung ist es möglich, komplexe Empfindungen zu strukturieren und wesentliche sensitive Deskriptoren abzuleiten. Es werden aus allgemeinen Zustimmungs- oder Ablehnungsaussagen wesentliche Attribute herausgearbeitet, die die Wahrnehmung der Produktgeräusche und deren Qualitätsbeurteilung beeinflussen. Diese werden häufig in weiteren Hörversuchen im Labor bewertet. Die subjektiven Urteile werden auf Grundlage verschiedener statistischer Verfahren mit den Ergebnissen aus der technisch-physikalischen Analyse verknüpft. Idealerweise können dann physikalische Deskriptoren abgeleitet werden, die das Beurteilungsverhalten der Versuchspersonen hinsichtlich wesentlicher Geräuschfacetten repräsentieren. Abschlieend lässt sich mit Hilfe von Modellen eine Abschätzung der Geräuschqualität auf Grundlage physikalischer Gröen vornehmen.
Abb. 4.8 Schematische Vorgehensweise zur Untersuchung von Produktgeräuschqualität
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Geräuschqualität – Eine Definition An verschiedenen Stellen wurde schon auf die Mehrdimensionalität des Phänomens Geräuschqualität und Geräuschkomfort hingewiesen. Daher ist die Objektivierung der zu unterschiedlichen Qualitätsurteilen führenden Merkmale schwierig. Bereits die Etablierung einer allgemeingültigen, universellen Definition von Geräuschqualität stellt sich als schwieriges Unterfangen heraus. Oft wird von Produktgeräuschen gesprochen, die als „akustische Signatur“ dienen, von akustischer Qualität, die ein Produktimage verkörpert, von Geräuschen, die als Informationsträger fungieren und Funktionalität widerspiegeln, von Angenehmheit oder Passung. Lyon betont das Wort Akzeptanz im Zusammenhang mit Geräuschqualität (Lyon 2000), Blauert und Jekosch sehen die Adäquatheit des Geräuschs als oberste Prämisse, die sich in der Angemessenheit der Geräusche innerhalb der kognitiven, aktionalen und emotionalen Situation der Benutzer und der bevorzugten Produktattribute manifestiert (Blauert u. Jekosch 1997). Nach Guski kann Geräuschqualität mittels der drei Kriterien Eignung (Suitability), Angenehmheit und Identifizierbarkeit bestimmt werden (Guski 1997). Der gemeinsame Nenner ist: Geräuschqualität existiert nicht per se; Geräuschqualität ist nicht absolut. Einerseits ist eine optimale Geräuschqualität für eine Produktgruppe nicht auf eine andere übertragbar, da Geräuschqualität nur im Zusammenhang mit den spezifischen Rahmenbedingungen, die das entsprechende akustische Anforderungsprofil der jeweiligen Produktgruppe definieren, existiert. Andererseits handelt es sich bei dem Phänomen Geräuschqualität um ein „mentales Konstrukt“. Die Empfindung bzw. Beurteilung entsteht nicht im Hörapparat, sondern erst in nachfolgenden Verarbeitungsprozessen, in denen einfachen Nervenimpulsfolgen spezifische Bedeutungen zugeschrieben werden (Kognition). Zeitler trennt daher den Charakter eines Geräuschs, der sich primär auf die sensorischen Eigenschaften eines Schallsignals bezieht, vom Begriff der Geräuschqualität, der bereits die affektive und kognitive Bewertung einschliet und vom Situationskontext abhängig sei (Zeitler 2007). Es wird eine begriffliche Unterscheidung zwischen „Charakter eines Geräuschs“ und „Qualität eines Geräuschs“ vorgenommen, wobei dem ersten Terminus lediglich die isoliert betrachteten Geräuscheigenschaften zugeschrieben werden und dagegen der Begriff der Geräuschqualität bereits die affektive, situative und kognitive Reaktion auf ein Geräusch beinhaltet (Nykänen 2008). Geräuschqualität bekommt erst im Kontext eines introspektiven Vergleiches, des Vergleiches des auditiven Ereignisses mit einem internalisierten Bezugsrahmen und der kognitiven Erörterung Gestalt. Ohne Kontext und geeigneten Bezugsrahmen (Vergleichserfahrungen) scheinen Urteile zur Geräuschqualität zu Bewertungen allgemeiner Lästigkeit zu werden (psychoacoustic annoyance (Fastl u. Zwicker 2007)). Im objektfremden Raum lässt sich Geräuschqualität nicht bestimmen; die Urteile rekurrieren lediglich auf die allgemeine Lästigkeit oder Angenehmheit des Geräuschereignisses. Das „introspektive Matching“ mit einer internen Referenz, die entweder auf tatsächliche Erfahrungen oder auf eine Reihe von Annahmen und Assoziationen beruht, ist zur Entscheidungsfindung unausweichlich und läuft stets im Prozess der Qualitätsbildung ab. Wie sicher lässt sich ein spezifisches Objekt beurteilen, z. B. eine Limousine der Oberklasse, ohne jemals eine solche gefahren bzw. vorher gehört zu haben? Erst ein erweiterter Erfahrungshorizont, der Kontakte mit der zu beurteilenden Objektgruppe beinhaltet, befähigt zu einem „sicheren“ Urteil. Dabei geht es nicht um richtige oder falsche Urteile, sondern nur um die Referenz, auf die sich das Urteil bezieht. Für die Beurteilung der Geräuschqualität ist es hinsicht-
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lich der Zuverlässigkeit der Urteile notwendig, dass Versuchsteilnehmer vergleichbare Bezugssysteme zur Bewertung nutzen. Diese Erfahrungen und Bezugsrahmen lassen die Probanden zu Experten werden. Beruhen die verwendeten Bezugssysteme auf tatsächlichen Erfahrungen mit vergleichbaren Objekten, ist eine gewisse Ähnlichkeit der Bezugssysteme zu erwarten, die die natürliche Bandbreite von Erfahrungen mit der untersuchten Objektgruppe widerspiegeln. Fehlt dagegen ein erfahrungsbasierter Bezugsrahmen oder ist der eigentliche Objektkontext den Probanden nicht bekannt, urteilen Versuchspersonen auf Grundlage freier Assoziationen, die individuell stark voneinander abweichen können. Im Weiteren wird Geräuschqualität unter der folgenden Definition verwendet: Geräuschqualität beschreibt die Wahrnehmung eines durch ein Objekt abgestrahlten Geräuschs, das in seiner Gesamtheit zur Steigerung der objektbezogenen Qualitätsanmutung führt. Qualitätsanmutung ist hier als Zuschreibung von herausragender Qualität und Funktionalität hinsichtlich spezieller Kriterien oder der Gesamtheit des Objektes zu verstehen.
4.2 Ökologische Validität und subjektive Evaluation von Geräuschen zur Bestimmung der Qualität von Fahrzeuggeräuschen Brigitte Schulte-Fortkamp, Technische Universität Berlin Vorbemerkung Die Bewertung von Geräuschen hat im „Sound-Engineering“ eine lange Geschichte von der einfachen Pegelreduzierung hin zur Bestimmung der Qualität von Geräuschen. Es hat viele Auseinandersetzungen darüber gegeben, wie objektiv denn die subjektive Empfindung bezogen auf Geräusche erfasst werden kann und entsprechend viele Diskussionen wurden geführt, welches denn der „richtige“ Test ist, und vor allem welche Verfahren denn die „richtigen“ Antworten geben. In diesem Kapitel geht es darum, Verfahren und ihre Targets zu diskutieren sowie die Testverfahren vorzustellen, die Anwendung finden müssen, um dem Produkt und seiner Funktion gerecht zu werden. Dargestellt wird, welche Parameter die Realität der Bewertungsumgebungen so konstituieren, dass sie dem Produkt und seiner Applikation adäquat sind und eine Bewertung ermöglichen, die der gesellschaftlichen Anforderung an den „Sound“ entspricht. Korrespondierend damit wird die Passung von Sound und Produkt garantiert.
4.2.1 Einleitung Unter Bewertung von Geräuschen werden in der Regel Anwendungen von Messverfahren verstanden, die Standardisierungen und Normierungen unterliegen, z. B. die A-Bewertung. Bei der Untersuchung von Reaktionen auf Geräusche wird hingegen von Empfindungen, die beurteilt werden oder auch von Wahrnehmung im Sinne von Verarbeitung der Informationen physikalischer Reize gesprochen. „Die Wirkung akustischer Reize auf den Menschen wird, wie seit langem durch zahlreiche Studien belegt, nicht allein durch die Schall-
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intensität bestimmt. Auch Untersuchungen zur Geräuschqualität im Kfz-Innenraum haben beispielsweise gezeigt, dass eine Reihe von akustischen und nicht-akustischen Parametern in die Bewertung von Pkw-Geräuschen einfliet“ (Gärtner et al. 2003). Während hier noch oder nur von einer „Reihe von Parametern“ gesprochen wird, gibt es auch Untersuchungen, die zeigen, dass es um die „Kopplung verschiedener Sinnesbereiche“ geht (Haverkamp 2002). Wesentlich ist, dass wenn Menschen urteilen, immer alle Sinne beteiligt sind und die Bewertung immer im Kontext geschieht. Diese holistische Betrachtung setzt in der gegenwärtigen Diskussion um Bewertungen die entscheidenden Akzente, weil sie anders als bei reduktionistischen Bewertungen das Produkt in seiner Ganzheit betrachtet und nicht nur Einzelanalysen zusammenführt. Die subjektive Evaluation von Geräuschen ist zur Bewertung von Geräuschqualität neben den physikalischen Parametern Pegel, Einwirkungsdauer, spektrale Zusammensetzung und zeitliche Struktur unerlässlich. Die Erfahrung, die Erwartungshaltung und die subjektive Einstellung der urteilenden Person beeinflussen die Klassifizierung und Beurteilung von Geräuschqualität. So erfolgen Urteile über die Bildung von Alltagskonstrukten und Normalformerwartungen; Urteile sind also reflexiv eingebunden in konstituierende Lebenssituationen. Daher sind Beurteilungen im Labor konsequent immer konstruierte Alltagsunterbrechungen und stellen somit hohe Anforderungen an Versuchspersonen. Der Bewertungsrahmen wird also aufgespannt von der Pegelbetrachtung bis zur subjektiven Beschreibung von Gefühlen und Empfindungen und erfasst so auch notwendig psychoakustische Parameter und Metriken als Basis für Geräuschanalysen durch Triangulation von akustischen, psychoakustischen, und subjektiven Daten. Zwar sind multifaktorielle Ausrichtungen von Studien zur Geräuschqualität noch in der Minorität, aber immer häufiger wird die Forderung nach Evaluation von Produkt Sound Quality unter interdisziplinären und sogar holistischen Aspekten gestellt.
4.2.2 Hörversuche oder doch eher Experimente zu akustischen Wahrnehmungen? Der Terminus „Hörversuch“ wird gebraucht, um Verfahren der subjektiven Bewertung von Geräuschen zu beschreiben. Wird nach einer Definition gesucht, lässt sich beispielsweise im „Kompendium zur Durchführung von Hörversuchen in Wissenschaft und industrieller Praxis“, kürzlich herausgegeben von der DEGA e.V., die folgende Erklärung finden: „Unter dem Begriff Hörversuch wird eine planmäige, wiederholbare und unter kontrollierten Bedingungen durchgeführte Untersuchung mit Probanden verstanden, denen akustische Reize präsentiert werden, die von den Probanden nach entsprechender Instruktion beurteilt werden. Ein Hörversuch stellt somit eine experimentelle Untersuchung dar. Unsystematische, eher beiläufig erhobene Beobachtungen können unter Umständen wertvolle Anregungen liefern oder interessante Fragen aufwerfen, stellen jedoch keine Hörversuche dar.“ Oder auch eine Definition bei Wikipedia erscheint hilfreich: „Hörversuche sind Experimente, bei denen unter definierten Bedingungen die akustischen Wahrnehmungen untersucht werden“. Offen bleibt, ob diese Experimente im Labor oder Feld durchgeführt werden; jedoch zeigt die Praxis, dass es sich in der Regel um Versuche im Labor handelt. Zunächst muss die Adäquatheit eines Experiments zur Bestimmung der akustischen Wahrnehmungen geklärt werden. Die Adäquatheit bezieht sich nicht nur auf das
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Experiment an sich, sondern natürlich auch auf das Spezifische des Produkts in Raum und Zeit. In einer Vielzahl von Studien sind physikalische Messungen und/oder psychoakustische Metriken untersuchungsleitend, die Evaluation durch „Hörversuche“ in den Mittelpunkt stellen. Otto (Otto et al. 1999) diskutieren in einer Studie über Testverfahren zur Bewertung der Sound Quality in Fahrzeugen verschiedene Vorgehensweisen und schätzen Verfahren wie Paarvergleiche, Ranking, Semantisches Differenzial und Rating Skalen als die effektivsten Verfahren ein. Wesentlich hier: „however, unlike other vehicle attributes for which performance measures are available (fuel economy, emissions, etc.), sound quality attributes can only be judged by humans. Similarly, in audio engineering, power and distortion can be measured objectively but loudspeaker timbre requires subjective judgment (Bech 1990). Thus, an important part of any sound quality process is to measure subjective perception via listening tests … The goal is to correlate these subjective impressions with the properties of the sound that govern these perceptions. If this can be done, then one knows how the sound must be changed to improve the perception“. Also ganz deutlich: es geht um die Kombinationen von akustischen Messverfahren und Verfahren zur Bewertung der Perzeption. Auch die Bedeutung der Auswahl der richtigen Testpersonen in den Testreihen wird hier thematisiert; in der Regel geht es dabei um die „richtigen“ Experten, wobei die Expertise dann im Bereich Sound Quality den Ingenieuren zugeschrieben wird, andere Testpersonen dann als „naive“ Testpersonen eingeordnet werden. Diese Vorgehensweise, die fast „etabliert“ ist, erscheint äuerst kritisch, ebenso die Festlegung auf Untersuchungen im Labor. Untersuchungen im Labor und im Feld fallen immer unterschiedlich aus; auch trotz vielfältiger Möglichkeiten in Bezug auf Auralisation und Visualisierung bis hin zur Konstruktion virtueller Welten ist in vielen Fällen eine Diskrepanz von Geräuschbeurteilungen im Labor im Vergleich zu Felduntersuchungen festzustellen. Es stellt sich also die Frage nach der Repräsentativität. Im Falle, dass verwendete Stimuli und Experimentalbedingungen repräsentativ für die natürlichen Stimulus- und Kontextbedingungen sind, wird von „externer Validität“, „Kriteriumsvalidität“ oder speziell von „Ökologischer Validität“ gesprochen (Guski 1997). In der Regel ist jedoch dieses Kriterium nicht erfüllt. Die Ursachen für die Diskrepanzen sind dabei äuerst komplex und vielfältig: Geräuschbewertungen im Labor sind hochgradig komplexe Ereignisse, die die Alltagssituation unterbrechen. Mehrere Studien können zeigen, dass sich neben akustischen bzw. psychoakustischen Faktoren, wie Geräuschcharakteristika und Geräuschart, interindividuelle psychologische Beurteilungskategorien wie Assoziationen, Vorerfahrungen und Erinnerungen auf das Urteil der Probanden auswirken (Paul et al. 2004, Genuit u. SchulteFortkamp 2005, Genuit et al. 2005, Schulte-Fortkamp u. Genuit 2005). Kontextsensitive Verfahren, die existierende psychoakustische Verfahren und explorative Methoden aus den Sozialwissenschaften miteinander kombinieren, ermöglichen eine detaillierte und ausführliche Beschreibung und Evaluierung von Geräuschen im Labor. Die Evaluierung von Geräuschen beziehungsweise ihrer Qualität hängt nicht allein von den Merkmalen eines Geräuschs ab, sondern vor allem von dem Kontext, in den das Urteil durch das evaluierende Individuum gestellt wird (Crewe 1994; Hashimoto et al. 1996, Blauert u. Jekosch 1997, Brandl 1997, Guski 1997, Broner 1998, Davies 1998, Becker u. Heppelter 2003, Fastl 2005, Sottek u. Mauer 2006, Bray 2007, Fastl 2007). In Blauert u. Jekosch 2003 wird gefordert: „Effort is put into an attempt to discuss … the different
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aspects of sound quality in a concerted way, such as to show that the general procedure in which sound quality is formed is relatively invariant across specific applications“ (Blauert u. Jekosch 2003). Unter dem Aspekt ökologischer Validität werden die Reichweiten für die Beschreibungs- und Bewertungsverfahren zur Diskussion gestellt und die Bedeutung von Triangulationen aufgezeigt, insbesondere unter dem Aspekt physikalisch-technische und perzeptive Daten zu verknüpfen (Schulte-Fortkamp 2003).
4 4.2.3 Die Versuchsumgebung – Labor Im Bereich „Sound Quality“ oder auch „Sound Design“ sind die so genannten Hörversuche in der Regel so aufgebaut, dass binaurale Aufnahmen „auditive Akkuratesse“ garantieren. Das heit, oft bietet die akustische Darbietung kein Problem, jedoch problematisch ist, welche Geräusche in welcher Umgebung bewertet werden (Sottek 2008). Ein Beispiel soll das Problem beschreiben: Bei der Bewertung von Fahrzeuginnengeräuschen ist es üblich, diese Geräusche im Labor beurteilen zu lassen; häufig geschieht dies „am Tisch“, und zwar auch in so genannten Hörstudios oder auch „Abhörkabinen“. Aber: Fahrzeuginnengeräusche entstehen im Fahren, sind an die Fahrsituationen gebunden, und sind geschwindigkeits- und beschleunigungsabhängig. Jedoch ist die Versuchsperson gefordert, diese Geräusche im Kontext „Hörstudio“ zu bewerten. Wie soll sie dies adäquat tun? Dies geschieht durch Übertragungsleistungen, die stillschweigend von der Versuchsperson gefordert werden. Um zu garantieren, dass die Bewertungen auch „richtig“ sind, wird eine entsprechend hohe Anzahl von Versuchspersonen akquiriert. Das heit, das Problem, das durch die „andere Umwelt“ (fahren am Tisch) entsteht, wird angeblich statistisch „ausgeglichen“ (Schulte-Fortkamp 1994a). Solche vielfach irrtümlich als objektiv bezeichneten Bewertungen des subjektiv erfahrenen auralen Ereignisses wie das Skalieren und Urteilen nach dem semantischen Differenzial werden in der Regel innerhalb von Laborbedingungen durchgeführt. Laborversuche werden auch gern mit der Reduzierung der so genannten beeinflussbaren Parameter wie Umfeld, Klientel, usw. begründet (Chouard u. Hempel 1999, Hempel u. Chouard 1999). Die Mehrzahl der Studien, die zur Evaluierung von Geräuschen durchgeführt werden, sind Laborstudien. Geräusche werden über Kopfhörer „vorgeführt“, das gilt für die Bewertung von Fahr- wie von Fluggeräuschen bis in das Jahr 2000; ausnahmsweise werden Versuche auch in so genannten „Sound Cars“ oder „Mock-ups“ durchgeführt; d. h. die Realitätsadäquatheit der zu erforschenden Situation muss im Kopf der Versuchsperson stattfinden. Sie hat dann eine andersartige Intentionalität in ihrer richtunggebenden Bewusstheit im Vergleich zu realen Fahr-Situationen. In vielen Versuchen, die sich mit der Evaluierung von Geräuschqualitäten befassen, erscheinen die multifaktoriellen Interdependenzen der beitragenden Faktoren in unabweisbarer Deutlichkeit. Physikalische, physiologische, psychologische und kognitive Dimensionen erfordern neue Forschungsansätze. Während binaurale Mess- und Analysentechniken aus der Psychoakustik wohl schon etablierter sind, fast „state-of-the-art“,
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und als wertvolle Hilfswerkzeuge beschrieben werden, werden kontextorientierte sensitive Verfahren eher kritisch betrachtet. Kontextorientierte sensitive Verfahren, die existierende psychoakustische Verfahren und explorative Methoden aus den Sozialwissenschaften miteinander kombinieren, gestatten aber eine detaillierte und ausführliche Beschreibung und Evaluierung von Geräuschen im herkömmlichen Labor und in Simulatoren (SchulteFortkamp 2003, Schulte-Fortkamp u. Genuit 2005).
4.2.4 Kontextumwelten – neue Räume Wenn Bewertungen in Versuchen durchgeführt werden, entstehen zumindest zwei Kontextebenen: Die Ebene, die von dem Versuch determiniert wird und diejenige, die in den versuchsbedingten Rahmen durch die Versuchsperson hineingetragen wird. Der an den Versuch gebundene Kontext entsteht durch die Anlage und den Aufbau des Versuchs, das versuchsbedingte Umfeld, die Instruktion der Versuchsperson, das Evaluierungsinstrument, die Platzierung der Versuchsperson innerhalb des Versuchs, den Typus der Versuchsperson, den Typus der Gruppe, die den Versuch leitet, die Beziehung zwischen der Leitung und der Versuchsperson, den Versuch selber und dessen potentielle Wiederholbarkeit, die Dauer des Versuchs. Die Versuchsperson andererseits bestimmt die zweite Kontextebene aufgrund ihrer Herkunft und Veranlagung, d. h. mit ihrem Alter, Geschlecht, Einkommen, Ehestand, Erziehung, Beruf, Alltagsroutine, individueller Anlage in Bezug auf den Gegenstand des Versuchs, den gesellschaftlichen Kontext in Bezug auf das Subjekt des Versuchs, und die psychische und physische Konstitution während der Zeit der Versuchsdurchführung (Schulte-Fortkamp 1994b). Die Bedeutung der Kontextumwelten für die Versuchsanordnung Die entscheidende Frage hier ist, wie die gegenseitige Wirksamkeit einer Vielzahl von Parametern – die sowohl abhängig sind von dem Versuch selbst als auch von den betreffenden Versuchspersonen – in einer adäquaten Versuchsanordnung erfasst werden kann. Diverse neue Studien bestätigen eigene frühere Forschungsergebnisse, insbesondere, dass Versuchspersonen innerhalb jedes gegebenen Versuchsrahmens frei assoziieren. Dabei ist es egal, ob solche Assoziationen abgefragt werden oder nicht: eine Versuchsperson kann nur ein Urteil erbringen, wenn sie das zu beurteilende Geräusch „einordnen“ kann. Das heit, sie bringt immer ihren eigenen Kontext in den bestehenden Versuch mit ein, der damit den konstruierten Versuchskontext beeinflusst. Versuche, Geräusche im Labor zu bewerten – in denen parallel zu bestehenden Verfahren, wie der Skalierung gemä psychoakustischen Parametern sensitive, kontextorientierte Verfahren angewandt wurden – haben zu folgenden Ergebnissen bezogen auf das Verhalten der Versuchspersonen geführt: Verschiedene Gruppen von Versuchspersonen nutzen vergleichbare Strategien, sich innerhalb eines gegebenen Versuchs „zu bewegen“. So besteht u. a. eine nachgewiesene Abhängigkeit von den gegebenen Geräuschen und ihrem Ausma an Vertrautheit für die Versuchsperson. Im Falle eines unbekannten Geräuschs versuchen Versuchspersonen dieses mit bekannten vergleichbaren Geräuschen zu assoziieren und zu dem gegebenen Versuchskontext eine Brücke zu schlagen (Schulte-Fortkamp 1994a; European
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Research Project Obelics 2002). Weiterhin lassen sich für Laborversuche vier Gruppen von Versuchspersonen in der Forschung unterscheiden: 1. Versuchspersonen, die eine Tendenz zeigen, ihre Urteile auf den konstruierten Versuchsaufbau zu beziehen und sich mit der Versuchsanleitung zu identifizieren, 2. Versuchspersonen, die ihren alltäglichen Erfahrungen mit Geräuschen folgen und versuchen diese zum Thema des Versuchs zu machen, 3. Versuchspersonen, die ihre Urteile vor allem auf die Erfahrung gründen, die sie mit Geräuschen in früheren Laborversuchen hatten, 4. Versuchspersonen, die die gegebenen Geräusche auf ihre kontextuelle Alltagsroutine beziehen und sie entsprechend ihres normativen Erwartungsniveaus beurteilen. Solche Verhaltenstendenzen lassen sich nach Lenz (Lenz 1986) als typische Musterkombinationen von Bewältigung und Verarbeitung erklären, deren relative Bedeutung sich aus der Versuchsanordnung und dem Alltagskontext ergibt. Wesentlich ist, dass Versuch und Wechselspiel von Verhalten und Handeln unterschiedliche Normalformerwartungen auslösen. Zunächst tritt eine Art von naiver Erwartungshaltung bezogen auf den Hörversuch auf, eine so genannte affirmative Normalformerwartung: die Erwartung ist geprägt von dem, was „normalerweise“ in solchen Versuchen „geschieht oder geschehen ist“. Häufig kann auch eine Kristallisierung von faktischer Normalformerwartung festgestellt werden, d. h. die Versuchspersonen „entdecken“ ihre Urteilsstrategien innerhalb des Versuchsanordnungsrahmens, und sie handeln dementsprechend. Sie bewegen sich demnach auf einer Meta-Ebene. Laborversuche verursachen eine Kontextreduzierung durch den gegebenen physischtechnischen Messaufbau und vernachlässigen in der Regel den Kontext, der durch die Versuchsperson mit in den Versuch eingebracht wird. Eine Kombination von explorativen und bereits entwickelten Evaluierungsverfahren kann dieses Defizit durch die neuen Formen der interaktiven Evaluation ausgleichen wie Erfahrungen in Projekten zeigen, die Geräusche im Fahrzeuginnenraum sowie Fahrzeugkomfort untersuchen (Genuit u. Schulte-Fortkamp 2005). Die Bedeutung der sensoriellen Moderatoren im interaktiven Kontext In einer Reihe von Versuchen zur Evaluierung von Fahrzeuginnenräumen wurde die Methode AISP (Associated Imaginations on Sound Perception) explizit entwickelt, um die Emotionen, die durch die Sounddemonstration ausgelöst wurden, zu erforschen (Schulte-Fortkamp u. Genuit 2005). Diese Methode ist eingebettet in Methodologien, die sich auf das Subjekt konzentrieren: Menschen urteilen im Normalfall in Kontexten, die über soziale Strategien ebenfalls den Habitus festlegen. Dies hat sinnvollerweise Auswirkungen auf adäquate Erhebungsverfahren, denn die Verbalisierung von Bewertungen ist sehr hilfreich, weil sie über die Semantik Verhaltensmuster veräuert. Über Sprache werden Entscheidungsfindungsvorgänge demonstriert und offengelegt, sowohl bezogen auf die Sensitivität als auch auf den Entscheidungsprozess selber. Diese vorgeschlagene Form der semantischen Beurteilung erweist sich als Kontextualisierung der Signal-Entdeckungs-Theorie, die zwischen der Änderung der Empfindlichkeit und der Änderung des Reaktionskriteriums unterscheidet. AISP beginnt mit spontanen Assoziationen der Vorstellung und der Erinnerung der Versuchsperson, während sie die gegebenen Geräusche hört. Die Forschung richtet sich hier auf den emotionalen Impakt und sie erlaubt es, Gefühle und Vorstellungsbilder bezogen auf das Geräusch zu evaluieren und die verbalen Attribute innerhalb der
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deskriptiven Kategorien zu entdecken, sowie Empfindlichkeiten und Reaktionen Kriterien zuzuordnen, die im Evaluierungsprozess entstehen. Das Evaluierungsverfahren AISP leistet einen besonderen Beitrag aufgrund seiner semantischen Qualität, es erlaubt den Sprachgebrauch für die PCA (Principle Component Analysis) zu detektieren. Die Kombination von Methoden, die einen unterschiedlichen Grad an Sensitivität in Bezug auf die Aufgaben der Versuchsperson während des Wahrnehmungsprozesses haben, ist notwendig für eine gründlichere und tief greifende Analyse und Interpretation der vorliegenden Daten. Durch die Ausforschung der Kontextkonstruktionen wird es möglich, Parameter zu identifizieren. Darüber hinaus leisten Methoden, die kontextsensitiv sind, einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der potentiellen Widersprüche, die während der Analyse der gesammelten Daten auftreten können, wie bei der Analyse semantischer Differenziale. Es zeigt sich immer wieder, dass herkömmliche Verfahren, die z. B. auf einfache A/B Vergleiche beruhen, zu kurz greifen. Auch den Kunden interessieren im Allgemeinen keine Normvorschriften, sondern sie nutzen Bewertungskategorien wie „billig“, „schlecht“, „laut“, „angenehm“, „sportlich“ oder„luxuriös“ für die Bewertung von Fahrzeuggeräuschen. Daher sollten subjektive Bewertungen während der Fahrt die akustischen Analysen der Fahrzeuggeräusche ergänzen. Hier können konventionelle Methoden, z. B. standardisierte Kategorialskalen mit definierten Antwortkategorien wie auch Face-to-Face Interviews auf der Basis von standardisierten Fragebögen oder Leitfäden zur Datenakquise verwendet werden. Diese Daten erlauben einerseits die explorative Erweiterung des Wissens bezüglich des Prozesses der Wahrnehmung und Beurteilung von Fahrzeuginnengeräuschen und andererseits die Verfeinerung physikalisch-analytischer Verfahren zur Bestimmung menschlicher Empfindungswirklichkeit. Diese perzeptiven Daten sollen nicht konventionelle Messungen und Berechnungsmethoden ersetzen, sondern sind als interaktiver Evaluationsprozess zu verstehen. Die Beurteilung eines Fahrzeuginnengeräusches ist also nachweislich stark kontextabhängig. In einem einfachen Laborversuch können konstituierende Parameter nicht ausreichend berücksichtigt werden, woraus abzuleiten ist, dass die Ergebnisse von Laboruntersuchungen hinsichtlich der Gesamtgeräuschqualität eines Fahrzeugs fehlerhaft und nicht ausreichend sein können. Erfahrungen, Geräusche und Schwingungen und andererseits Interaktivität mit dem Produkt beeinflussen die Beurteilung von Fahrzeuginnengeräuschen signifikant. Das folgende Modell stellt die Einflüsse und Abhängigkeiten von Urteilen dar (Abb. 4.9). Zahlreiche Laborexperimente im Bereich der Bewertung von Fahrzeuggeräuschen haben verdeutlicht, dass Evaluationen auerhalb des realistischen Kontexts Fahrzeug nicht unmittelbar auf alltägliche Fahrsituationen und deren Bewertungen übertragbar sind. Daher werden verstärkt Fahrsimulatoren in der Datenerhebung eingesetzt, um eine hohe Validität der Daten zu gewährleisten. Fahrsimulatoren erlauben, trotz der Zunahme der Komplexität der Versuchssituation, weiterhin die Kontrolle der Randbedingungen. Vielmehr, aufgrund der technischen Weiterentwicklung der Fahrsimulatoren, können Versuche mit definierten und kontrollierbaren Reizen auch im Feld durchgeführt werden (Genuit u. Schulte-Fortkamp 2005).
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B. Schulte-Fortkamp
Interaktiver Kontext
Psychoakustik
Zeitgeist
Sound Design
4 Sound Quality
Perzeption
Kognition
Metriken
Emotionale Qualität
Abb. 4.9 Modell: Kontextabhängigkeit von Bewertungen von Fahrzeuggeräuschen. (Schulte-Fortkamp 2009)
Mobile Fahrsimulatoren ermöglichen reale Fahrten unter Versuchsbedingungen. Die Beurteilungen der Fahrgeräusche durch die Versuchsteilnehmer weisen aufgrund der Realitätsnähe des Versuches eine hohe Validität auf. Anstelle von einfachen „Laborwerten“ entsteht eine Datenbasis, die akustische und perzeptive Daten vereint. Das Urteil der Versuchsperson wird abgreifbar bezogen auf die jeweilige Geräuschsituation. EVE – Explorative Vehicle Evaluation Die explorative Fahrzeugevaluation setzt die Forderungen nach interaktiver Bewertung unter Einbeziehung akustischer und perzeptiver Daten konsequent um. Ausgehend davon, dass die Bewertung nur verstanden werden kann, wenn Gefühle und Einstellungen evaluiert werden, findet die Beurteilung der Geräusche im Fahrzeug statt, das von den Versuchspersonen jeweils selbst gefahren wird. (Schulte-Fortkamp 2003, 2008). Aufgezeichnet werden sowohl die akustischen als auch die verbalen Bewertungsdaten, um in der Verbindung der Daten den Erfahrungs- und Bewertungsraum der Versuchsperson aufzuspüren (s. Abb. 4.10). Die Versuchsperson ändert in solchen Evaluationsverfahren auch ihren Status, sie wird zum „Neuen Experten“, der die entscheidenden Informationen in der Bewertung vermittelt. Die Expertise basiert auf den Erfahrungen und Erwartungen der beteiligten Personen. Die Abb. 4.11 zeigt wie die Ebenen „Fahrer“ und „Fahrzeug“ in der Bewertung vermittelt werden: über die Interaktion mit dem Fahrzeug als Ganzes, wird deutlich, wie holistisch der Bewertungsprozess ist und in welcher Weise die Kontextumwelten „miteinander“ verbunden sind.
4
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Bewertung von Fahrzeuggeräuschen
Geräuschereignis (binaural) Akustische Daten
Pulsdaten (Geschw., Drehzahl)
Vibrationen
left
right
Seat Seat
Verbale Kommentare bzgl. Geräuschereignis
Transkription und Textanalyse
Interview
Perzeptionsdaten
Abb. 4.10 Kombination akustischer und perzeptiver Daten. (Modell aus Schulte-Fortkamp et al. 2006) environment • weather • traffic • state of the road
TEST
DRIVER
experience knowledge
EXPECTATION
state of the art
interest
impression
preoccupation (prejudice)
look, shape, size, design, material, ...
equipment
verifying the expectations
manner of driving
riding quality
cogency discontentment uneasiness, stress negative decision contentment well being
CONSENT cultural background/ living situation
vibration
forced change of behavior
Passung
confusion/ avoidance of spec. driving situations
stability of character
instable
emotional/ subjective reality
coping anticipation feeling of control, safety
conditions • idle • partial load • full load • constant speed • push
sound
creation of an acoustical character
stable
truthfulness
acceptance positive decision, identification
haptics
imagination ascription → stylization
intention, use of purpose driver (predisposition, character,...) preference
VEHICLE
classification
INTERACTION
informative/ speed, rpm
information content
ACOUSTIC FEEDBACK handling • ergonomics • gear shift • pedal play
Abb. 4.11 Modell: Interaktive Beiträge zur Bewertung von Fahrzeuggeräuschen. (Modell aus Schulte-Fortkamp et al. 2006)
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B. Schulte-Fortkamp
4.2.5 Paradigmenwechsel – neue Prüfkriterien
4
Ökologische und emotionale Kriterien lösen zunehmend die vormals pragmatischen Ansprüche an ein Fahrzeug ab. Das Auto wird nicht mehr ausschlielich als Fortbewegungsmittel verstanden, sondern als Quelle neuer emotionaler Erlebnisse und als Ausdruck persönlichen Lifestyles in einer Gesellschaft, die durch Klimawandel und ökonomische Krisen geprägt ist (Abb. 4.12). Diese Reflektion neuer individueller Bedürfnisse manifestiert sich in der Beobachtung mit Leitmotiven der Gesellschaft, die mit ökologischer Funktionalität, Zuverlässigkeit und Ökologie operiert. Die subjektive Wahrnehmung ist bedeutsam und lässt sich nicht durch die Angabe objektiver Leistungsangaben bestimmen. Multisensorische Empfindungen sind neue Prüfkriterien für die Leistungen der Fahrzeugentwicklung. Ökologische Klänge sind die Forderungen für die neuen Fahrzeuge in Hybrid- und E-Version. „Grün ist schick“. Das Auto verliert seine Funktion als Gradmesser für den sozialen Status (Ruhkamp 2009). Messungen verschiedener physikalischer Parameter, Testfahrten mit ausgewählten Fahrern und die Befragung einzelner Kunden sowie die Meinungen von Experten sind häufig eingesetzte Instrumente im Feld der Qualitätsbestimmung von Automobilen. Durchgesetzt haben sich die Technologie der binauralen Signalverarbeitung, in der die Geräuschaufnahme mit einem Kunstkopf-Aufnahmesystem realisiert wird und die Analyse mit entsprechenden Algorithmen und Berechnungsmethoden analog der kognitiven Verarbeitung. Mit Hilfe der Messung psychoakustischer Parameter kann den Besonderheiten des menschlichen Hörens Rechnung getragen werden. Die Bestimmung der Lautheit, Schärfe, Rauigkeit, Schwankungsstärke und Tonalität ergänzen notwendig die Schalldruckmessungen. Zur Ermittlung von subjektiven Empfindungen und Bewertungen gibt es unzählige Verfahren und Prozeduren. Die Versuchsteilnehmer vergleichen Reizpaare, müssen auf Rating-Skalen mit äquidistanter Unterteilung ihre Urteile einordnen, auf MagnitudeSkalen Empfindungen beziffern oder bipolare Kategorialskalen anwenden. Diese Untersuchungen werden häufig im Labor unter so genannten streng kontrollierbaren Bedingungen durchgeführt.
emotional
problemorientiert
Abb. 4.12 Modell: Von pragmatischer zur ökologischen Fahrzeugbewertung. (aus Schulte-Fortkamp 2008)
ökologisch
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Bewertung von Fahrzeuggeräuschen
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Bewertung der akustischen Qualität im Fahrzeuginnenraum Methodenparadigmen herkömmlicher Messverfahren vernachlässigen das Wissen um unterschiedliche Beurteilungen identischer akustischer Ereignisse. Als Problem zeigt sich nachhaltig, dass in der Reduktion der Komplexität der Realität eine höhere Validität angenommen wird. Durch die Isolation eines Reizes aus seiner ursprünglichen Umgebung könne eine hohe interne Validität gewährleistet werden und liee sich sogar die externe Validität und Generalisierbarkeit steigern. Dieses Paradigma, die zielgerichtete Untersuchung einer Gröe unter definierten und konstanten Bedingungen, gerät zunehmend in die Diskussion. Die Künstlichkeit der Testsituation sorgt, besonders beim Einsatz des Messinstruments „Mensch“, zu einer unkontrollierbaren, unsymmetrischen Verzerrung der Urteile. Im Bereich der Fahrzeugentwicklung entführt der herkömmliche Laborversuch den Fahrer in einen abstrakten Erlebnisraum und reit ihn aus seinem alltäglichen multisensorischen Interaktionsprozess, in dem das Erleben von Fahrsituationen bzw. Fahrzeuggeräuschen eingebettet ist. Klassische Laborartefakte, wie das Fehlen des realistischen Kontextes und die Nichtberücksichtigung der Interaktionsvorgänge, in die Entscheidungs- und Bewertungsprozesse eingebunden sind, können vermieden werden, wenn der Versuchsteilnehmer die Stimuli im authentischen Kontext wahrnimmt und evaluiert, während er gewohnte Handlungen vollführt. Simulatoren, die ein alltägliches, vertrautes Umfeld den Probanden zur Verfügung stellen, ermöglichen durch die Fortschritte auf dem Gebiet der „Virtuellen Realität“ mittlerweile die Bereitstellung verschiedener sensorischer Reize. Ein weiterer Schritt bezüglich der Weiterentwicklung von Fahrsimulatoren ist die Verlagerung des Fahrsimulators vom Labor auf die reale Strae. Ein mobiler Fahrsimulator bringt das Labor unmittelbar in die Realität und berücksichtigt den Prozess der Interaktivität des Fahrers mit dem Fahrzeug, in der Beurteilungsvorgänge regulär eingebunden sind. Der menschliche Evaluator findet sich in einer alltäglichen Umgebung wieder. Dadurch kann ein Expertenwechsel stattfinden, da nicht nur der Akustiker in der Wahrnehmung von Produktgeräuschen Experte ist, sondern der Konsument aufgrund seiner fundierten, alltäglichen Erfahrungen mit dem entsprechenden Produkt als „Neuer Experte“ hinreichend Kenntnisse zu einer zuverlässigen Evaluation besitzt. Letztendlich muss sich im alltäglichen Gebrauch das entwickelte Produktgeräusch bewähren. Insofern erscheint die Durchführung von Hörversuchen bzw. Benchmarking unter realen, alltäglichen Bedingungen fast obligatorisch, um eben jene (Umwelt-)Faktoren im Entwicklungsprozess zu berücksichtigen, die im Forschungslabor den „Expertenohren“ verborgen bleiben. Darüber hinaus ermöglicht eine Erweiterung der konventionellen Methoden zur Bestimmung subjektiver Evaluationen eine Steigerung der Datenqualität. Neue Verfahren zum Benchmarking von Fahrzeuginnengeräuschen Mit Hilfe mobiler Fahrsimulatoren können Versuchspersonen in vertrauter, realistischer Umgebung Fahrzeuggeräusche bewerten (Genuit u. Schulte-Fortkamp 2005). Die Darbietung der unterschiedlichen Geräuschsettings erfolgt während einer realen Fahrt, das heit die „Neuen Experten“ beurteilen die Geräusche im ursprünglichen, realen Umfeld. Hier können jetzt insbesondere die verbalen Bewertungen der Versuchspersonen genutzt werden, die Black Box „Perzeption“ wird geöffnet. Analysemethoden zur Auswertung qualitativer Daten werden der empirischen Sozialforschung entlehnt. Dadurch wird es möglich, weiterführende Untersuchungen
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A. Fiebig und K. Genuit
neben konventionellen A-B Vergleichen und Benchmarking durchzuführen. Hintergründe können eruiert werden, die Zusammenhänge und Verknüpfungen zwischen Reiz und Reaktion aufdecken. Mit diesem Wissen wird nachvollziehbar, welche Geräuscheigenschaften einer positiven Evaluation von Fahrzeuginnengeräuschen zuträglich bzw. abträglich sind. So kann beispielsweise geklärt werden, weshalb Geräusche sich trotz ihrer grundsätzlich positiven Konnotation in speziellen Fahrzeugen als ungeeignet herausstellen. Insgesamt erlaubt die interaktive Einflussnahme auf die simulierten Fahrzeuggeräusche ein zielgerichtetes und schnelles Sound Design. Dabei ist durch die reale Fahrsituation, in der die Fahrzeuggeräusche bewertet werden, eine hohe Transferierbarkeit der Versuchsevaluationen auf Alltagsevaluationen zu erwarten. Die neue Orientierung auf E-Fahrzeuge stellt höchste Anforderungen in Bezug auf Sound Design. Der neue Sound ist „grün“, aber es ist unbekannt, welche akustischen Komponenten das Grün „gestalten“ werden. Eine explorative Evaluation von Visionen und Erwartungsmustern in der Kombination von akustischen und perzeptiven Daten ist die Herausforderung. Darüber hinaus erscheint das Design und nicht nur die Reduktion der Fahrgeräusche zunehmend unerlässlich. Den neuen Anforderungen kann die Fahrzeugakustik nur in der Kombination von Verfahren gerecht werden, die ökologische Validität garantieren.
4.3 Hörversuche und Metrikentwicklung André Fiebig, HEAD acoustics GmbH Klaus Genuit, HEAD acoustics GmbH
4.3.1 Einleitung Mit Hilfe von Hörversuchen werden komplexe Geräuschwahrnehmungen in quantitative Einzahlwerte überführt. Diese Werte erlauben die Verknüpfung von subjektiven Urteilen mit physikalischen Gröen. Da komplexe Bewertungskriterien wie Geräuschqualität oder Lästigkeit oft nicht hinreichend mit einer physikalischen Gröe erfasst werden können, werden häufig Metriken entwickelt, in denen mehrere physikalische Gröen kombiniert sind. Eine Metrik ist ein Messwert für ein komplexes Merkmal, der aus den Messwerten mehrerer Indikatorvariablen zusammengesetzt wird (Bortz u. Döring 2003). Die Erstellung einer Metrik, die es erlaubt ohne Durchführung weiterer Hörversuche Voraussagen über potentielle Reaktionen von Hörern auf andere Geräusche zu treffen, ist ein häufig verwendetes Mittel im Bereich der Untersuchung von Produktgeräuschqualität. Dabei wird der Begriff der Objektivierung von subjektiven Beurteilungen als Ausdruck des Aufschlüsselns von komplexen Beurteilungen auf einige physikalische Gröen verwendet. Die Güte der Metrik hängt dabei wesentlich davon ab, ob alle relevanten Indikatoren und Dimensionen mit angemessener Gewichtung Berücksichtigung fanden (Bortz 2005). Der Mensch als Erhebungsinstrument wird also mittels einer Metrik ersetzt.
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Bewertung von Fahrzeuggeräuschen
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4.3.2 Design eines Hörversuchs Im Rahmen der Durchführung von Hörversuchen können diverse Methoden, singulär und kombiniert, zur Anwendung kommen. Die Bestimmung eines geeigneten Versuchsdesigns ist elementar und muss vor Beginn einer Untersuchung ausführlich diskutiert werden. Die Methode muss entsprechend dem Untersuchungsgegenstand, dem Untersuchungsziel, der Ressourcen zur Realisierung der Versuche, der Verfügbarkeit von Testpersonen, etc. ausgewählt werden. Daher kann keine generelle Empfehlung einer Versuchsmethode zur Bestimmung von Produktgeräuschqualität und der Entwicklung einer Metrik gegeben werden. Wichtig ist, eine Methode zu wählen, die Daten auf dem gewünschten Skalenniveau erzeugt. Verschiedene Skalenarten lassen nach Skalenniveau bestimmte mathematische Operationen zu, die bei der Auswertung der Daten berücksichtigt werden müssen. Bei Intervall- und Verhältnisskalen können die Gleichheit von Differenzen bzw. von Verhältnissen angenommen werden, während bei Ordinalskalen nur die Ableitung von „gröer/kleiner“-Relationen zulässig ist. Im Folgenden werden kurz gebräuchliche Methoden und deren Skalenniveaus erläutert.
4.3.2.1 Rangfolgentests Bei einem Rangfolgentest (engl. Ranking) ordnet eine Versuchsperson n-Untersuchungsobjekten hinsichtlich eines vorgegebenen Merkmals oder Eigenschaft eine Rangreihenfolge von 1 bis n zu. Dabei bekommt das Objekt mit der stärksten Ausprägung des Merkmals den Rangplatz 1 und das Objekt mit der geringsten Merkmalsausprägung den Rangplatz n zugeordnet. Um eine hohe kognitive Beanspruchung zu vermeiden, die bei der Bewertung mehrerer unabhängiger Objekte entlang eines konstruierten Kontinuums vorliegt, ist die Anzahl von zu vergleichenden Objekten zu limitieren. Bei der Geräuschbewertung empfiehlt sich eine Anzahl von bis zu sieben Geräuschen, um den kombinatorischen Aufwand für die Versuchspersonen überschaubar zu halten. Anmerkungen zum Rangfolgentest: Der repräsentative Rang eines Reizes bei mehreren Beurteilern entspricht der Reihenfolge der bewerteten Ränge (ganzzahlig und Verbundränge). Der Nachteil von Rangfolgenversuchen ist, dass der Abstand zwischen den Rängen keinen metrischen, kardinalen Abstand darstellt, da die Rangskala einer Ordinalskala entspricht. Dies muss bei der Auswertung und Interpretation der Ergebnisse stets berücksichtigt werden. D. h., dass keine quantitativen Aussagen hinsichtlich der Intensität der Merkmalsausprägung bei unterschiedlichen Rängen abgeleitet werden können. Zwar wäre eine Transformation der ordinalen Urteile in intervallskalierte Merkmalsausprägungen grundsätzlich möglich, allerdings sind hierbei einige Modellannahmen vorzunehmen, deren Gültigkeit oft nicht gegeben oder nur schwer nachweisbar ist.
4.3.2.2 Paarvergleich Der Paarvergleich gilt als eine der einfachsten Versuchsaufgaben, in dem häufig zwei Geräusche hinsichtlich der Ausprägung eines Merkmals verglichen werden. Die Paarvergleichs-
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A. Fiebig und K. Genuit
methode ist mit der Rangfolgenmethode verwandt, gilt aber als verlässlicher (Bortz 2005). Die Methode bietet sich vor allem an, wenn die unterschiedlichen Merkmalsausprägungen gering sind. In der Regel werden alle Objekte miteinander verglichen. Daraus ergibt sich die Anzahl der notwendigen Paarvergleiche mit n·(n1) . Mit Hilfe adaptiver Reizdarbietungen, 2
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in denen bereits abgegebene Antworten berücksichtigt werden, kann der hohe Aufwand aufgrund des vollständigen Vergleichs aller Objekte miteinander reduziert werden. Zur Bewertung der Objekte hinsichtlich eines Urteilskriteriums stehen zwei bzw. drei Urteilsmöglichkeiten zur Verfügung: Eine Entscheidung wird erzwungen, indem nur die Antwortmöglichkeiten A > B und B > A zur Verfügung stehen. Erweiternd kann die Antwortmöglichkeit A = B zugelassen werden. Allerdings neigen Versuchspersonen dazu, die Schwierigkeiten bei der Erfüllung der Bewertungsaufgabe haben, eine Entscheidung zu vermeiden und tendieren zu A gleich B. Die Auswertung der Beurteilungsmatrix kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Es können indirekte Rangordnungen der einzelnen Objekte ermittelt werden. Ferner ist es möglich, von der Vergleichsmatrix zu einer Intervallskalierung zu gelangen, z. B. nach der Methode „Law of Comparative Judgement“ (Bortz 2005). Bei Untersuchungen zur Geräuschqualität kann das Transitivitätsprinzip (wenn A > B und B > C, dann A > C) verletzt werden. Da das Merkmal Geräuschqualität unterschiedliche Dimensionen beinhalten kann, muss dieses Prinzip nicht unweigerlich gelten. Beispielsweise kann in einem Vergleich der Lautheitsunterschied, bei einem weiteren Paar der Schärfeunterschied entscheidend sein. Damit spielen unterschiedliche Dimensionen bei der Bewertung eine Rolle, die zu scheinbaren Inkonsistenzen führen, die aber nicht als „Urteilsfehler“ verstanden werden dürfen, sondern vielmehr in der unberücksichtigten Mehrdimensionalität des untersuchten Merkmals begründet liegen. In diesem Fall sind intransitive Urteile die Konsequenz. Auch in interindividuellen Unterschieden kann sich eine unberücksichtigte Mehrdimensionalität des Untersuchungsgegenstandes äuern. Anmerkungen zum Paarvergleich: Hinsichtlich dieser Methode gilt es zu beachten, dass der Mensch nicht über ein ausgeprägtes auditives Langzeitgedächtnis für absolute Werte verfügt, sondern stark auf Auffälligkeiten und Muster im Geräusch rekurriert (s. Abschn. 4.3.3). An dieser Stelle sei auf eine Bemerkung aus der Literatur verwiesen. Hier wird behauptet, dass die Paarvergleichsmethode sehr natürlich sei, da „Vergleiche vornehmen“ einer typischen Alltagshandlung entspräche (Otto et al. 1999). Dennoch, in Alltagssituationen finden Vergleiche häufig nicht unmittelbar, sondern zeitlich versetzt statt. Beispielsweise können Fahrzeuginnengeräusche kaum unter Zuhilfenahme des Kurzzeitgedächtnisses verglichen und bewertet werden. Vielmehr spielen sich Alltagsbewertungen in einem räumlich und zeitlich singulären Moment ab. Daher gilt es festzuhalten, dass in realen Lebenssituationen nicht oder nur selten die Möglichkeit besteht, Produktgeräusche ähnlich der Paarvergleichsmethode unmittelbar zu vergleichen. Daher müssen solche Versuchsergebnisse unter Berücksichtigung der dargelegten Einschränkung interpretiert werden.
4.3.2.3 Ratingskalen Ratingskalen werden am häufigsten zur Bewertung von Geräuschen hinsichtlich von Merkmalsausprägungen wie Angenehmheit, Lästigkeit oder Qualität verwendet. Diese
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Bewertung von Fahrzeuggeräuschen
Tab. 4.6 Kategorialskalen (KS) nach Rohrmann. (Rohrmann 1978) KS der Intensität Verbal Nicht Numerisch 1 Symbolisch −−
Wenig 2 −
Mittelmäig 3 0
Ziemlich 4 +
Sehr 5 ++
KS der Häufigkeit Verbal Nie Numerisch 1 Symbolisch −−
Selten 2 −
Gelegentlich 3 0
Oft 4 +
Immer 5 ++
Stimmt ziemlich 4 +
Stimmt sehr
KS der Bewertung von Aussagen Verbal Stimmt nicht Stimmt wenig Stimmt mittelm. Numerisch 1 2 3 Symbolisch −− − 0
5 ++
Skalen geben markierte Abschnitte eines Merkmalskontinuums vor, die die Urteilenden als gleich gro verstehen sollen, d. h. es wird davon ausgegangen, dass die Stufen der Ratingskala eine Intervallskala bilden (Bortz u. Döring 2003). Daher können diese Urteile unmittelbar als intervallskaliert interpretiert werden. Die äquidistanten Abschnitte können mit verbalen, numerischen, bildlich-symbolischen oder grafischen Objekten vorgegeben werden. Dabei sind bipolare Ratingskalen, die konträre Extrema benennen, von unipolaren Ratingskalen zu unterscheiden. Die unipolaren Skalen verwenden keine Antonyme, sondern teilen das Merkmalskontinuum in gleiche Abstände auf, die daher nicht zwangsläufig Gegensatzpaare am Skalenende beinhalten. Zur Gewährleistung, dass die Zuschreibungen der einzelnen Kategorien äquidistante Ausprägungen des Untersuchungsmerkmals aufweisen, empfiehlt es sich, auf verbreitete und etablierte Begrifflichkeiten zurückzugreifen (z. B. Rohrmann 1978) (s. Tab. 4.6). Die Anzahl der Stufen (Kategorien) wird häufig unterschiedlich, je nach gewünschtem Differenzierungsgrad der Merkmalsausprägung, gewählt. Es kann dabei eine gerade oder ungerade Stufenanzahl gewählt werden. Die ungerade Anzahl weist den Vor- oder Nachteil einer neutralen Mittelkategorie auf. Der Vorteil ist, dass bei mittlerer Merkmalsausprägung der Proband entsprechend die Mittelkategorie wählen kann. Der Nachteil dagegen ist, dass sich bei einer schwierigen Versuchsaufgabe oft eine zentrale Tendenz im Antwortverhalten der Testteilnehmer beobachten lässt. Der Proband will „fehlerhafte“ Urteile vermeiden und wählt daher eine neutrale Beurteilung. Ratingskalen mit einer geraden Stufenanzahl vermeiden dagegen das Ausweichen und erzwingen ein Urteil mit Tendenz. Damit der gesamte Bereich einer Skala durch die Bewerter genutzt wird, kann es sinnvoll sein, einige Reize (Anker) vorab zu präsentieren, die die Bandbreite an Geräuschen mit unterschiedlicher Merkmalsausprägung verdeutlichen. Damit kann die Gefahr des Auftretens von „ceiling“ und „floor“-Effekten verringert werden (s. Tab. 4.7). Bezogen auf die Anzahl der Skalenabstufungen sollte die maximale Differenzierungskapazität der Probanden berücksichtigt und ausgeschöpft werden. Oft wird in der Fahrzeugakustik eine in der VDI 2563 definierte Skala bemüht, um die Geräuschqualität bzw. Geräuschlästigkeit spezifischer Fahrzeuginnengeräuschanteile zu erfassen und zu beschreiben. Diese
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Tab. 4.7 Skala zur subjektiven Beurteilung von Fahrzeuginnengeräuschen nach VDI 2563. (VDI 2563 1990)
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Note
Verbalbeschreibung
10 9 8 7 6 5 4 3 2 1
Auch von geübten Beurteilern nicht feststellbar Nur von geübten Beurteilern feststellbar Nur von kritischen Beurteilern feststellbar Von allen Personen feststellbar Von einigen Personen als störend empfunden Von allen Personen als störend empfunden Von allen Personen als Fehler empfunden Von allen Personen als schwerer Fehler empfunden Nur noch bedingt zumutbar Nicht mehr akzeptabel
Skala ist allerdings nur bedingt zur „Messung“ subjektiver Empfindungen einsetzbar, da die Verbalbeschreibungen der einzelnen Noten nicht unproblematisch sind und die Abstände zwischen den einzelnen Noten, zumindest auf Grundlage der Verbalbeschreibungen, keine einheitlichen Abstände widerspiegeln. Der Beurteiler kann sich nicht gleichzeitig in die Perspektive des „kritischen“ sowie des „ungeübten“ Beurteilers („von allen Personen“) begeben, vielmehr kann der Beurteiler nur aus einer Perspektive, d. h. mehr oder weniger geübt, beurteilen. Anmerkungen zur unipolaren Kategorialskala: Auch bei der Bewertung auf einer Ratingskala kann es zu „Urteilsfehlern“ (bias) kommen. Ein Geräusch, das nach einem Stimulus folgt, der extrem hinsichtlich des jeweiligen Bewertungskriteriums beurteilt wurde, wird anders bewertet, als im Falle eines „unauffälligen“ Vorgängers. Die Beurteilung eines Geräuschs wird durch das vorhergehende Geräusch beeinflusst, der so genannte Sequenz/Kontext-Effekt tritt unvermeidlich auf. Dieser Effekt kann durch wiederholte Beurteilung der Geräusche in randomisierter Reihenfolge deutlich reduziert werden. Ein weiterer Effekt betrifft das unterschiedliche Ausnutzen der Skala durch die Versuchspersonen. Wie bereits oben erwähnt, verzichten Versuchspersonen häufig auf die Verwendung der Skalenextreme und wählen bevorzugt Antworten im mittleren Skalabereich. Eine Ursache für dieses Beurteilungsverhalten besteht darin, dass die Versuchspersonen „Freiraum“ für Geräusche mit noch stärkerer Merkmalsausprägung, die eventuell im fortschreitenden Verlauf des Versuchs auftreten, bereithalten und reservieren möchten. Dieser Effekt kann durch ein Training verhindert werden, indem die Versuchsperson z. B. mit Ankergeräuschen mit mittlerer und extremer Merkmalsausprägung vertraut gemacht wird. Die unterschiedliche Ausnutzung der Skala durch verschiedene Versuchspersonen kann durch Normalisierungen (z. B. z-Transformation) ausgeglichen werden.
4.3.2.4 Semantisches Differenzial Das semantische Differenzial ist eine besondere Form der Ratingskala und findet vor allem im Zusammenhang der Bestimmung konnotativer Bedeutungen und affektiver Qualitäten von Objekten Anwendung. Es besteht in der Regel aus 10 bis 30 siebenstufigen bi-
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Abb. 4.13 Beispiel eines semantischen Differenzials
polaren Skalen (Abb. 4.13). Analog zu den Ratingskalen lassen sich durch die Bewertung verschiedener Kriterien mit Hilfe des semantischen Differenzials Korrelationen zu den Ergebnissen physikalischer Analysen bestimmen. Bei dieser Methode werden mehrere Attribute eines Geräuschs beurteilt. Daher findet es oft dann Anwendung, wenn eine qualitative Beschreibung von Geräuschen vorgenommen werden soll. Darüber hinaus ist diese Methode besonders geeignet, wenn es primär um die Identifikation wesentlicher Attribute zur umfassenden Bewertung einer Geräuschgruppe geht. Mittels einer multivariaten statistischen Auswertung (z. B. Faktorenanalyse) lässt sich der „semantische Raum“, der oft aus mehreren Dimensionen besteht, aufspannen. Anmerkungen zum Semantischen Differenzial: Die Beurteilung eines Geräuschs mittels des Semantischen Differenzials ist zeitaufwendig. Die Anzahl der Geräusche sowie der zu beurteilenden Items ist limitiert, da aufgrund begrenzter Konzentrationsfähigkeit und zumutbarer Belastung der Versuchsperson der Umfang angepasst werden muss. Die Auswahl der Attributspaare ist von besonderer Bedeutung. Bei der Verwendung von unangemessenen Attributen ist verstärkt eine zentrale Urteilstendenz festzustellen. Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass die Attributspaare unterschiedliche Aspekte abdecken, um das Generieren redundanter Informationen zu vermeiden. Korrelieren die Bewertungen verschiedener Attributspaare stark miteinander, ist bei Folgeuntersuchungen die Abfrage eines Attributspaares ausreichend. Die Wahl des jeweiligen Antonyms zu einem Attribut muss sehr sorgfältig erfolgen. Beispielsweise erzeugt das Antonym „alt“ zum Attribut „jung“ einen anderen „Merkmalsraum“ als das Attributspaar „alt“ und „neu“. Bei dem Erstellen eines Beurteilungsbogens mit mehreren Items, sollten die negativen Attribute nicht ausschlielich auf einer Seite stehen, um Gewöhnungseffekte zu vermeiden. Andererseits besteht bei unregelmäiger Anordnung der negativen und positiven Attribute die Gefahr, dass Versuchspersonen versehentlich ein falsches Urteil abgeben. Solche Inkonsistenzen lassen sich mit Hilfe von Plausibilitätsprüfungen feststellen. In einigen Hörversuchen werden die Items für jedes Testgeräusch in eine neue Reihenfolge gebracht. Auf diese Weise soll erreicht werden, dass die Versuchsperson sich auf die Items einzeln konzentriert.
4.3.3 Hörversuchsrelevante Aspekte Auswahl und Präsentation von Geräuschen Bei der Wiedergabe von Geräuschen sind grundsätzlich zwei Varianten möglich: der Proband steuert die Geräuschwiedergabe selbst
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und bestimmt, wann und wie oft die Reize gehört werden (individuelle Steuerung) oder die Stimuli werden in definierter Weise dargeboten und beurteilt (externe Steuerung). Die erste Variante ist von Vorteil, wenn die Signale kurz sind. Die Versuchsperson kann bei Unsicherheit das Geräusch erneut hören. Dagegen können bei externer Steuerung mehrere Personen gleichzeitig am Versuch teilnehmen. Allerdings muss dabei gewährleistet sein, dass sich die Versuchspersonen nicht gegenseitig beeinflussen oder stören. Die Geräusche müssen eine hohe und konstante Qualität aufweisen. Ungewollte Störgeräusche müssen in den Aufnahmen eliminiert werden. Um der Versuchsperson einen räumlichen Eindruck vermitteln zu können, bietet sich die Verwendung von Kunstkopfaufnahmen an. Wenn es sich im Hörversuch um die Bewertung von Produktgeräuschen handelt, sollten diese derart aufgezeichnet werden, dass diese der herkömmlichen Nutzung des Produktes entsprechen, d. h. nur zulässige Betriebszustände auftreten. Auerdem ist darauf zu achten, dass die Aufnahmen mit gleicher Aussteuerung und Entzerrung, in vergleichbarer Umgebung, unter ähnlichen Nutzungsbedingungen und mit vergleichbarer Messtechnik aufgezeichnet wurden. Damit kann gewährleistet werden, dass die Probanden nicht ungewollt beeinflusst werden. Ferner ist hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Urteile eine ähnliche Präsentationsdauer der Geräusche anzustreben. Vermeidung von Fremdgeräuschen Bei der Durchführung von Hörversuchen besitzt die Vermeidung von Fremdgeräuschen, d. h. nicht versuchsrelevanten Geräuschen oberste Priorität. Allerdings kann eine einfache Mindestanforderung bezüglich des notwendigen Signal-Rausch-Abstandes nicht definiert werden. Einzahlwerte in dB oder dB(A) als Signal-Rausch-Abstandsbedingung sind oft nicht hinreichend. Sogar Oktavpegelangaben sind ungenügend, da tonale Geräuschkomponenten von Fremdgeräuschen nicht zwingend eine ausreichende Berücksichtigung in Oktavpegeln finden. Verschiedene Standards beschäftigen sich mit dieser Thematik und bieten entsprechende Orientierungswerte.2 Grundsätzlich gilt, die Umgebungsgeräusche im Versuchsraum sollten so unauffällig wie möglich sein. Bei sehr leisen Geräuschen muss der Hörversuch ggf. in einem schallisolierten Raum durchgeführt werden. Raumakustik des Versuchsraums Im Fall der Wiedergabe der Geräusche mit Lautsprechersystemen ist die Raumakustik des Versuchsraumes von besonderer Bedeutung. Nachhall, das Verhältnis von Direktschall zu Reflektionen, die frühen Reflektionen und Raummoden sind wesentliche raumakustische Eigenschaften und haben Einfluss auf das Schallfeld. Der Versuchsraum sollte daher eingemessen und die Lautsprecher für spezielle Hörplätze entzerrt werden. Weniger offensichtlich ist der Einfluss der Versuchsraumakustik auf die Urteile bei einer Kopfhörerwiedergabe. Auch dabei kann die Akustik des Versuchsraumes eine Rolle spielen. Die akustische Orientierung ist eine fundamentale Fähigkeit des menschlichen Hörens. Das Gehör adaptiert sich permanent an die jeweilige akustische Umgebung. Es ist bereits auf Grundlage einiger Millisekunden in der Lage, 2
Entsprechende Vorschriften und Empfehlungen zu raumakustischen Anforderungen sind u. a. zu finden in: ANSI S3.1-1991 „Maximum permissible ambient noise levels for audiometric test rooms“, ANSI S12.2-1995 „Criteria for evaluating room noise“, DIN 18041:2004-05 „Hörsamkeit in kleinen bis mittelgroen Räumen“.
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Bewertung von Fahrzeuggeräuschen
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sich an den Raum mit seinen raumakustischen Eigenschaften anzupassen und entwickelt eine Vorstellung von räumlichen Gegebenheiten und Abmaen. Im Gegensatz zur Realität ist die akustische Orientierung im Hörversuch bei Kopfhörerwiedergabe gestört, da die gehörte Umgebung nicht mit der des Hörstudios übereinstimmen muss. Ohne eine erneute Anpassung an den „virtuellen akustischen Raum“ werden die gehörten Reize anfänglich mittels der „abgespeicherten“ Raumakustik interpretiert. Diese Annahme verändert die Geräuschbeurteilung. Mittels einer Akklimatisationseinheit zum Versuchsanfang kann dieses Phänomen in seiner Relevanz deutlich reduziert werden. Köpfhörerwiedergabe oder Lautsprecherwiedergabe In einigen Anwendungen wird der Einsatz von Lautsprechern zur Geräuschwiedergabe bevorzugt. Aber, inwieweit kann eine elektroakustische Wiedergabe mit Lautsprechern „originalgetreu“ sein? „Originaltreue“ heit, dass die Hörereignisse der Originalsituation und der Wiedergabe hinsichtlich der räumlichen und eigenschaftlichen Merkmale (Richtung, Entfernung, Klangfarbe) übereinstimmen. Methoden der kopfbezogenen Stereophonie oder der Schallfeldsynthese mit Lautsprechern versuchen, eine originalgetreue Wiedergabe zu erreichen. Es wurden Mehrkanalsysteme entwickelt, um eine räumlich gute Darbietung von Geräuschen für eine gröere Anzahl von Personen zu ermöglichen. Einige Systeme werden speziell in Verbindung mit gleichzeitigen visuellen Präsentationen eingesetzt (z. B. Dolby Surround). Der Vorteil einer Lautsprecherwiedergabe ist, dass Kopfbewegungen nicht das akustische Bild stören und die Geräuschquellen stabil in dem virtuell lokalisierten Ort bleiben (Genuit et al. 1992). Im Bereich der Kopfhörerwiedergabe ohne Head-Tracking-Methoden können Kopfbewegungen und die damit verbundenen scheinbaren Bewegungen der Geräuschquellen irritierend sein. Allerdings ist die Genauigkeit der Abbildung der Räumlichkeit deutlich gröer. Diese ist mit einer Lautsprecherwiedergabe nur schwer zu realisieren. Daher schlussfolgert Fastl: „[…] the presentation of sounds by loudspeakers cannot be recommended“ (Fastl 1997). Teilweise empfinden Probanden die Wiedergabe tieffrequenter Geräuschbeiträge bei einer Kopfhörerwiedergabe, trotz korrekter Entzerrung, unzureichend. Diese Diskrepanz kann auf fehlenden Knochenschall zurückgeführt werden. Dieser „subjektive Fehler“ kann mit dem Einsatz eines Subwoofers, der tieffrequente Geräuschanteile wiedergibt, deutlich reduziert werden. Damit kann die spektrale Balance und Originalität subjektiv wieder hergestellt werden.3 Die Entscheidung für eine Lautsprecherwiedergabe oder für eine Kopfhörerwiedergabe hängt wesentlich vom jeweiligen Untersuchungsgegenstand ab. Das auditive Gedächtnis Das menschliche Signalverarbeitungssystem kann nur begrenzt absolute Werte im Langzeitgedächtnis speichern. Dagegen können mittels Kurzzeitgedächtnis bereits geringe Reizunterschiede sicher identifiziert werden. Auf Grundlage von Hörversuchen konnten psychometrische Funktionen ermittelt werden, in denen auf Basis eben wahrnehmbarer Unterschiede eine Empfindungsdimension abgebildet wird. Eine 3
Detaillierte Untersuchungen zu den Ursachen des beschriebenen Wahrnehmungseffektes stehen noch aus.
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4
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solche Funktion wurde mittels direkten Vergleichen ermittelt. Dabei kann der Hörer die Versuchsaufgabe mit Hilfe des Kurzzeitgedächtnisses lösen. Es zeigte sich, dass Schalldruckpegeldifferenzen bis zu 0,2 dB und Frequenzunterschiede von bis zu 0,7 % detektiert werden können (Fastl u. Zwicker 2007). Diese Diskriminationsfähigkeit ist zeitlich limitiert und wird nicht auf Basis des Langzeitgedächtnisses erreicht. Dort scheinen weniger absolute Werte als vielmehr charakteristische Geräuscheigenschaften, Muster und relationale Gröen abgespeichert zu werden. Eine Untersuchung zeigte, dass die Erkennungsrate bei einem Unterschied von 3 dB zweier zeitlich isolierter Geräusche mitunter nur 50 % beträgt (Jäger et al. 1997). Dabei sinkt die Erkennungsrate weiter, wenn der Hörer dazu noch kognitiv belastet wird oder das Geräusch zeitlich variiert. Im Falle von Beurteilungen, die ausschlielich auf Basis des Kurzzeitgedächtnisses vorgenommen wurden, lassen sich diese Ergebnisse nicht ohne weiteres auf Geräuschbeurteilungen im Alltag übertragen. Konzentrationsfähigkeit und Ermüdungseffekte Mentale und körperliche Ermüdungseffekte müssen bei der Hörversuchsgestaltung berücksichtigt werden. Die Versuchsaufgabe und -dauer müssen der physischen und psychischen Belastbarkeit des Probanden angemessen gewählt werden. Beispielsweise ist die Fähigkeit, sich Objekte ohne vertiefendes Lernen im Kurzzeitgedächtnis zu merken, limitiert. Ein „durchschnittlicher“ Proband kann sich bis zu sieben Objekte ohne gröere Belastung merken und miteinander vergleichen, wie es bei einer Rangordnungsaufgabe gefordert wird.4 Mit steigender Anzahl an zu vergleichenden Objekten wächst nicht nur die Belastung oder werden Objektrelationen verwechselt, sondern kann der Urteiler auch zunehmend überfordert werden. Versuchsverweigerung oder „konfusionsbedingte“ inkonsistente Beurteilungen können die Folge sein. Bezüglich der zu vermeidenden physischen und psychischen Ermüdung der Versuchsperson gilt es auch, die Versuchsdauer zu betrachten. Ermüdungseffekte können aufgrund hoher Intensität oder hoher Lästigkeit der Stimuli sowie hoher Komplexität der Versuchsaufgabe forciert werden. Die zeitliche Dauer eines Hörversuchs kann demnach nicht generell definiert werden, sondern hängt wesentlich von den Rahmenbedingungen des Versuches ab.
4.3.4 Versuchsartefakte Tabelle 4.8 zeigt eine Auswahl von potenziellen Versuchsartefakten. Es muss allgemein angestrebt werden, den Einfluss versuchsbedingter Artefakte auf die Untersuchungsergebnisse so gering wie möglich zu halten. Die Bedeutung der Versuchsartefakte sollte stets während der Auswertung und auch hinsichtlich Validität und Reliabilität der Ergebnisse diskutiert werden.
4
Bortz u. Döring 2003: „Die Grenzen der Urteilskapazität werden mit zunehmender Anzahl der zu ordnenden Objekte rasch erreicht.“
4
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Tab. 4.8 Auswahl an potenziellen Versuchsartefakten Effekt
Beschreibung
„Gegenmaßnahmen“
Primäreffekt
Frühe Reize und Informationen färben die Wahrnehmung und Beurteilung nachfolgender Reize Beschreibt die Tendenz, dass unmittelbar erfahrende Reize die Beurteilung von folgenden Reizen beeinflussen Reihenfolge der Stimuli beeinflusst die nachfolgenden Urteile Unsichere Versuchspersonen wählen häufig die (neutrale) Mittelkategorie, um sich nicht festlegen zu müssen
Systematische Variation der Reizreihenfolge
(ungeplante) Beeinflussung der Testergebnisse durch den Versuchsleiter (z. B. Art der Begrüung, emotionale Atmosphäre, nonverbale Kommunikation, äueres Erscheinungsbild)
Standardisierung der Untersuchungsbedingungen und des Versuchsleiterverhaltens; Beobachtung des Testablaufs und des Versuchsleiterverhaltens durch eine weitere Person; mehrere Versuchsleiter
Rezenzeffekt
Sequenzeffekt
Systematische Variation der Reizreihenfolge
Systematische Variation der Urteilsreihenfolge Vorabpräsentation von Reizen, Zentrale die die Bandbreite an GeräuUrteilstendenz schen mit unterschiedlicher Merkmalsausprägung verdeutlicht (z. B. in Form einer Trainingssequenz) Beurteiler vermeidet Extrembewer- Vorabpräsentation von ReiVermeidung von zen, die die Bandbreite an Extremurteilen tungen in Erwartung von noch Geräuschen mit unterschiedstärker ausgeprägten Reizen licher Merkmalsausprägung verdeutlichen (z. B. in Form einer Trainingssequenz) „Ceiling-Effekt“ bzw. Urteile eines Beurteilers „drängen“ Dem Urteiler wird eine Auswahl an Objekten mit vermeintlich „Floor-Effekt“ sich an der obersten oder untersextremen Merkmalsauspräten Kategorie zusamgungen (in beiden Richtunmen (entsteht, wenn der gen) vorgestellt Beurteiler nicht das Spektrum an Merkmalsausprägungen kennt und frühzeitig eine extreme Bewertung bei „mittlerer“ Ausprägung wählt) Versuchsleiterartefakte
4.3.5 Entwicklung einer Metrik Mittels konventioneller Hörversuche ist es möglich, subjektive Hörempfindungen auf quantitative Gröen zurückzuführen. Häufig werden Beurteilungsdaten, wie oben bereits erläutert, mit Hilfe von Paarvergleichen, Rangfolgenversuchen, Semantischen Differenzialen oder unter Verwendung von Ratingskalen gesammelt. Es bietet sich an, nach
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Abschluss der Bewertungsaufgaben ein kurzes Gespräch mit den Probanden zuführen. Hier können zusätzlich Informationen hinsichtlich bewertungsrelevanter Aspekte sowie über potenzielle Versuchsartefakte und „Beurteilungsfehler“ gewonnen werden. Der Begriff Beurteilungsfehler bezieht sich dabei weniger auf die Unkonformität der Beurteilungen der Probanden, sondern vielmehr auf urteilsdeterminierende Effekte, die aufgrund der Probandenperspektive die Urteile bestimmen, die nicht bei der Versuchserstellung intendiert waren bzw. vermutet wurden. Bei der Entwicklung einer Metrik werden die quantifizierten subjektiven Urteile mittels verschiedener statistischer Verfahren (Korrelationsanalysen) mit akustischen Parametern verknüpft. Ziel ist es, mit Hilfe akustischer Parameter (Prädiktorvariablen) die gemittelten subjektiven Urteile abzubilden. Die Methode zur Ermittlung einer Metrik kann nicht generalisiert werden. Vielmehr ist die Vorgehensweise abhängig vom gewählten Erhebungsinstrument, der Zuverlässigkeit der Urteile, der Datenmenge, der Komplexität des abzubildenden Merkmals, usw. Die notwendige Versuchspersonenanzahl Die Auswahl und Anzahl der Versuchspersonen muss dem verwendeten Verfahren, der Komplexität der Beurteilungsaufgabe, den definierten Qualitätskriterien sowie den zeitlichen und finanziellen Ressourcen entsprechend bemessen werden. Im Falle der Produktgeräuschbewertung sollte neben der generellen Offenheit bezüglich der Hörversuchsteilnahme auch eine ausreichende Erfahrung mit dem untersuchten Produkt vorliegen. Die Zusammenstellung der Versuchsgruppe ist hinsichtlich der angestrebten Ergebnisqualität und des Untersuchungsgegenstandes sorgfältig vorzunehmen. Otto et al. definieren, dass Kunden an Hörversuchen teilnehmen sollten, wenn segmentspezifische Informationen benötigt werden. Wenn Kunden als Versuchsteilnehmer an Tests teilnehmen, müssten um die 75 bis 100 Probanden ausgewählt werden, da diese in der Regel eine geringere „Leistung“ aufwiesen (Otto et al. 1999). Inwiefern naive Bewerter tatsächlich eine „schlechtere“ Bewertungsleistung mit gröeren intra-individuellen Beurteilungsunterschieden aufweisen, soll an dieser Stelle nicht thematisiert werden (s. Abschn. 4.2). Grundsätzlich kann keine allgemeingültige Vorgabe bezüglich der notwendigen Versuchspersonenanzahl gegeben werden. Entscheidend ist, dass die Stichprobe repräsentativ für die zu betrachtende Gesamtheit ist. Je nach Heterogenität der Grundgesamtheit muss die Gröe der Stichprobe gewählt werden. Um festzustellen, ob genügend Versuchspersonen am Hörversuch teilgenommen haben, können verschiedene statistische Analysen herangezogen werden. Grundsätzlich gilt eine Stichprobe dann als ausreichend gro, wenn sich der Mittelwert der Urteile nicht oder nur noch geringfügig ändert, wenn weitere Versuchspersonenurteile in die Auswertung einflieen. Mit Hilfe von Konfidenzintervallen und der Prüfung der Signifikanz kann eine Angabe erfolgen, wie wahrscheinlich eine Änderung der Mittelwerte bei einer gröeren Anzahl von Versuchsperson ist. Allerdings kann auch eine groe Anzahl von Versuchspersonen kein unzureichendes bzw. verzerrtes Versuchspersonensampling „kompensieren“. Ist die Stichprobe nicht repräsentativ, sondern systematisch verzerrt, werden Zusammenhänge entdeckt, die nicht für die Gesamtpopulation gültig sein müssen. Bewertung erhobener Daten vor der statistischen Auswertung Versuchsdaten sollten vor einer „Weiterverarbeitung“ bezüglich ihrer Tauglichkeit geprüft werden. Aus-
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reier sollten identifiziert und ggf. von der nachfolgenden Auswertung ausgeschlossen werden. Mit Hilfe von Clusteranalysen (z. B. nach average linkage, complete linkage, Ward-Methode) lassen sich Gruppen sowie Ausreier(-gruppen) innerhalb der Stichprobe ermitteln. Hier werden Ähnlichkeiten bezüglich des Antwortverhaltens unter den Probanden bestimmt und grafisch in einem Dendrogramm dargestellt. Mittels der Clusteranalyse lassen sich die Abstände bzw. die Fehler bestimmen, die auftreten, wenn Objekte in ein Cluster zusammengeführt werden. Je nach Wahl des Fehlerkriteriums lassen sich somit Gruppen identifizieren, die Beurteilungsunterschiede innerhalb der Stichprobe zeigen. Analog lässt sich eine Clusteranalyse auch in Hinblick auf die Ähnlichkeit der beurteilten Geräusche verwenden. Findet man spezielle Gruppen, die sich stark voneinander unterscheiden, ist eine gruppenunspezifische Zusammenführung der Beurteilungsdaten zur Mittelwertbildung oft nicht sinnvoll, da die Beurteilergruppe sehr heterogen ist und folglich groe Streuungen auftreten werden. Zum Nachweis, dass ermittelte Beurteilungen unabhängig von der Auswahl der Versuchspersonen sind, bietet sich der Vergleich zweier unabhängiger Stichproben an (z. B. Testgruppe und Kontrollgruppe), deren Urteile mittels eines t-Tests verglichen werden. Beispielsweise wäre ein 2-seitiger Test mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% eine typische Bedingung. Die t-Verteilungen sind im Vergleich zur Normalverteilung schmalgipfeliger und repräsentieren die Verteilung von Stichprobengröen mit den jeweiligen Freiheitsgraden. Ist dann festzustellen, dass die jeweiligen Mittelwerte vergleichbar sind und sich nicht signifikant unterscheiden, ist die Stichprobe für die Grundgesamtheit repräsentativ.
4.3.5.1 Herstellung mathematischer Zusammenhänge Mit Hilfe von Korrelationsanalysen lassen sich mathematische Zusammenhänge zwischen Urteilen und akustischen Parametern aufdecken. Unabhängig vom eingesetzten statistischen Verfahren ist Vorsicht hinsichtlich der identifizierten akustischen Parameter geboten, die mit den Urteilen korrelieren. Eine Plausibilitätsprüfung der identifizierten Gröen ist stets vorzunehmen. Denn eine Korrelation zeigt einen stochastischen Zusammenhang an, nicht aber unweigerlich eine Kausalbeziehung. Es können beispielsweise Parameter als scheinbar relevant identifiziert werden, die untereinander zufällig korrelieren und deswegen auch gleichermaen eine Übereinstimmung mit den Urteilen aufweisen. Daraus ist weder zu schlussfolgern, dass eine der Gröen redundant ist, noch kann daraus abgeleitet werden, dass die Parameter in gleichem Mae von Bedeutung sind. Um solche „Fehlinterpretationen“ zu vermeiden, ist es sinnvoll, groe Variationen der Geräuschstimuli zur Bewertung zuzulassen. Plausibilitätsprüfungen können zum Beispiel mittels Interviewverfahren durchgeführt werden. Hier wird direkt oder indirekt ermittelt, welche der akustischen Gröen für den Beurteiler relevant sind. Da häufig auch naive Versuchspersonen an Versuchen teilnehmen, die keine Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Akustik besitzen, ist zu prüfen, inwiefern die von den befragten Personen verwendeten Begrifflichkeiten dem tatsächlichen Verständnis einer benannten akustischen Gröe entsprechen. Eine weitere Möglichkeit, eine „zufällige“ Korrelation auszuschlieen, ist
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die gezielte Variation eines akustischen Parameters unter Konstanthaltung anderer akustischer Gröen. Damit kann die vermeintliche Bedeutung eines Parameters verifiziert bzw. falsifiziert werden. Dabei besteht allerdings die Gefahr, dass durch die gezielte Auswahl der Reize die jeweilige Hypothese untermauert werden kann ( self-fulfillingprophecy).
4
Mittelwertbildung der subjektiven Urteile Da bei der Erhebung von subjektiven Urteilen von verschiedenen Versuchspersonen in der Regel interindividuelle Bewertungsunterschiede auftreten, müssen Werte ermittelt werden, die das mittlere Beurteilungsverhalten der Probanden widerspiegeln (Mae der zentralen Tendenz). Darüber hinaus muss eine Abschätzung erfolgen, wie aussagekräftig die bestimmten Mittelwerte sind und wie gut oder schlecht der oder die Mittelwerte die Verteilung der Gesamtheit wiedergeben (Variabilität und Dispersion der Urteile). Bei Bewertungen, die mittels einer Intervall- oder Verhältnisskala erhoben worden sind, können arithmetische Mittelwerte berechnet (Gl. 4.1) und sinnvoll interpretiert werden.
x¯
n
xi
(4.1)
i1
n
Für ordinalskalierte Werte einer Merkmalsausprägung (z. B. Ränge) eignen sich Median(der Wert, der die Häufigkeitsverteilung der Merkmalsausprägungen halbiert) oder Modalwerte (der am häufigsten aufgetretene Wert) zur Kennzeichnung des Wertes, der die Verteilung der Werte am besten repräsentiert. Rangwerte können auch arithmetisch gemittelt werden, hier müssen aber, da keine metrischen Abstände vorliegen, abschlieend die Mittelwerte wieder auf Ränge zurückgeführt werden. Mit Hilfe von so genannten Dispersionsmaen lässt sich darstellen, wie „gut“ die gesamte Verteilung der Werte das zentrale Tendenzma widerspiegelt. Häufig wird der Interquartilbereich angegeben, innerhalb dessen 50 % aller Werte liegen. Dabei bilden die unteren und oberen 25 % der Werte die Grenzen des Interquartilbereiches. In Box-plots wird dazu noch der Median, der 50 % Wert, eingetragen. Standardabweichung und Varianz sind ebenfalls häufig verwendete Mae zur Kennzeichnung der Variabilität der Verteilung der Werte, in denen alle Werte Berücksichtigung finden. Die Varianz gibt die Summe der quadrierten Abweichungen vom Mittelwert bezogen auf die Anzahl an Werten an (s. Gl. 4.2). Die Standardabweichung stellt die Wurzel der Varianz dar (Gl. 4.3), da die Varianz als quadrierte Gröe nur schwer interpretierbar ist und nicht auf die eigentliche „Einheit“ bezogen werden kann.
s2 =
s=
n
i=1
(xi x¯ )2
(4.2)
n
n (xi x¯ )2 i=1 n
(4.3)
4
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Bewertung von Fahrzeuggeräuschen
Für eine Normalverteilung der Werte gibt die Standardabweichung bereits Auskunft über die Verteilung der Werte. Zwischen x¯ s und x¯ s liegen 68,26 % der Werte und zwischen x¯ + 2 s und x¯ 2 · s sind ca. 95 % aller Werte zu finden. Ob im Einzelfall in einer Untersuchung eine Normalverteilung vorliegt, muss geprüft werden. Lineare Regression Die einfachste Beziehung zwischen zwei intervall- oder verhältnisskalierten Variablen ist die lineare Beziehung, in der der x-Wert die unabhängige Variable und der y-Wert die abhängige Variable kennzeichnet. Mit Hilfe der linearen Regression kann der lineare Zusammenhang zweier Variablen geprüft werden. In der Regel ist das quantifizierte Urteil die abhängige Variable und eine betrachtete akustische Gröe die unabhängige Variable. Besteht eine Beziehung zwischen den Variablen, kann eine Regressionsgerade bestimmt werden. Bei der linearen Regression ist die Regressionskurve eine Gerade, die die Summe der quadrierten Vorhersagefehler minimiert. Die Fehler müssen quadriert werden, damit sich positive und negative Fehler nicht aufheben und einen Fehler von „0“ ergeben. min
n 2 yi yˆ i,vorhergesagt
(4.4)
i=1
Um die minimale Abweichung (in y-Richtung) zu finden, können die Regressionskoeffizienten (Steigung und Schnittpunkt mit der Ordinate) mit Gln. 4.5 und 4.6 ermittelt werden.
Steigung =
n·
n
i=1
(xi · yi )
n·
n
i=1
xi2
n
i=1 n
xi ·
i=1
xi
n
i=1
2
yi
(4.5)
mit n = Anzahl der Wertepaare Schnittpunkt mit Ordinate = y¯ Steigung · x¯
(4.6)
Multiple (Lineare) Regression Werden mehrere Variablen zur Vorhersage der Kriteriumsvariablen benötigt, muss eine multiple Regression angewendet werden. Mit Hilfe der multiplen Regression wird auf Grundlage mehrerer „Prädiktorvariablen“ eine abhängige Variable vorhergesagt. Wie bei der bivariaten Regression, in der nur zwei Variablen betrachtet werden, wird die Regressionsgleichung nach dem Kriterium der kleinsten Quadrate mit Hilfe mehrerer Variablen bestimmt. Das Ergebnis ist eine Linearkombination der Prädiktorvariablen. xˆ cm = b1 x1m + b2 x2m + + bk xkm + a (Regressionsgl mit untransf Werten) x cm = Vorhergesagter Wert der Kriteriums k = Anzahl der Prädiktorvariablen m = Messwert
(4.7)
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b = Gewichtungsfaktoren a = absolutes Glied
4
Für einige Auswerteverfahren besteht die Notwendigkeit, die Merkmalsausprägungen zu normieren. Eine solche Standardisierung ist mittels z-Normierung (z-Transformation) möglich, bei der der Mittelwert aller Merkmalsausprägungen den Wert 0 und die Standardabweichung den Wert 1 annimmt. Gleichung 4.8 zeigt die Umrechung der Urteile in ztransformierte Werte. Der Einfluss bestimmter Effekte, wie das unterschiedliche Verwenden einer gegebenen Skala durch verschiedene Probanden, kann so verringert werden. z(xi ) =
xi x¯ s
(4.8)
Damit lässt sich ebenfalls die multiple lineare Regression durchführen. zˆcm = b1 z1m b2 z2m . . . bk zkm
standardisierte Werte)
(4.9)
mit zcm = Vorhergesagter z-transformierter Wert der Kriteriumsv k = Anzahl der Prädiktorvariablen m = Messwert b = Gewichtungsfaktoren
Für zwei Prädiktorvariablen können die Gewichtungsfaktoren wie folgt bestimmt werden: r1c r2c · r12 2 1 r12 r2c r1c · r12 b2 = 2 1 r12 b1 =
sc s1 sc b2 = b2 s2
(für z-standardisierte Werte, a = 0)
(4.10)
b1 = b1
für untransformierte Werte)
a = x¯ (b1 x¯ 1 + b2 x¯ 2 )
(4.11)
(4.12)
Bei der multiplen Regression ist die Korrelation zwischen der Linearkombination und der abhängigen Variablen mindestens so gro wie die höchste Einzelkorrelation unter den Prädiktorvariablen. Idealerweise sollten voneinander unabhängige Prädiktorvariablen, die jeweils mit der Kriteriumsvariablen korrelieren, zur Vorhersage der Kriteriumsvariablen genutzt werden. Dazu können auch Erkenntnisse aus einer Faktorenanalyse genutzt werden. Verändert sich die Korrelation durch Hinzunahme einer weiteren unabhängigen Variablen nur gering, ist grundsätzlich davon auszugehen, zumindest für den analysierten Datenbestand, dass diese Variable keine besondere Bedeutung in Hinblick auf die Vorhersage der abhängigen Variablen besitzt. Allerdings kann es den speziellen Fall geben, dass eine Prädiktorvariable zu einer anderen Prädiktorvariablen redundant ist. Durch eine Berücksichtigung der „redundanten“ Variablen wird sich die Vorhersage der Kriteriumsvariablen
4
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nur geringfügig verbessern. Allerdings ist es schwierig, zu entscheiden, welche der zusammenhängenden Variablen tatsächlich eine sinnvolle und notwendige Prädiktorvariable ist. Im Falle, dass mehr als zwei Prädiktorvariablen zur Vorhersage der Kriteriumsvariablen benötigt werden, muss folgendes Gleichungssystem zur Identifikation der Regressionskoeffizienten gelöst werden:
Rx b = rxc
1 r21 → rk1
r12 1
1
r1k b1 b2 r2k bk 1
r1c r2c = rkc
(4.13)
Da die Gewichtungsfaktoren b1 bis bk gesucht werden, muss die Inverse von Rx ermittelt und mit den jeweiligen Korrelationen der Prädiktorvariablen mit der Kriteriumsvariablen multipliziert werden. Interessant ist, dass sich hier Variablen (so genannte Suppressorvariablen) als bedeutsam erweisen können, die allein keine hohe Korrelation mit der Kriteriumsvariablen aufweisen. Es ist möglich, dass eine solche Variable gerade die Anteile (Varianzen) unterdrückt, die durch andere Prädiktorvariablen „fehlerhaft“ bestimmt werden. Nichtlineare Regression Da Zusammenhänge zwischen Variablen nicht unweigerlich linear (im Sinne der kleinsten Summe der quadrierten Abweichungen) sein müssen, sollten auch nichtlineare Beziehungen stets zur Vorhersage von Kriteriumsvariablen in Erwägung gezogen werden. Hier sind beispielsweise parabolische, kubische, exponentielle oder logarithmische Zusammenhänge denkbar. Auf Grundlage der Betrachtung der Summe der quadrierten Abweichungen der vorhergesagten Werte zu den tatsächlichen Werten lässt sich die Nützlichkeit von nichtlinearen Regressionsfunktionen abschätzen. Ist diese Summe der Abweichungen geringer als die Summe, die mit Hilfe der linearen Regression bestimmt wurde, könnte tatsächlich ein nichtlinearer Funktionszusammenhang vorliegen. Hier müssen Überlegungen hinsichtlich der Plausibilität von nichtlinearen Zusammenhängen zwischen den untersuchten Variablen angestellt werden. Die mathematische Betrachtung allein ist kein Beweis für die Richtigkeit des erkannten Zusammenhangs. Die Regressionskoeffizienten müssen für die einzelnen denkbaren Zusammenhänge separat bestimmt werden. Hier sollte aufgrund theoretischer Vorüberlegungen die Anzahl möglicher Funktionen im Vorfeld reduziert werden. Tabelle 4.9 zeigt exemplarisch die Verwendung der beschriebenen Möglichkeiten zur Regressionskurvenermittlung. Güte und Generalisierbarkeit der Vorhersagen mittels Prädiktoren Mit Hilfe von Regressionsanalysen lassen sich stochastische Zusammenhänge in scheinbar funktionale Beziehungen überführen. Wie gut aber die Vorhersagegenauigkeit der abhängigen Variable mit dem ermittelten funktionalen Zusammenhang tatsächlich ist, lässt sich auf Grundlage der Korrelation abschätzen. Die Kovarianz gibt über das (gemittelte) Ausma der Merkmalsunterschiede der xWerte bezogen auf die entsprechenden Merkmalsunterschiede der y-Werte Auskunft (Gl. 4.14). Treten die Merkmalsunterschiede der beiden Variablen zu deren Mittelwerten stets mit gleichem Vorzeichen auf (gleichgerichtete Abweichungen), ist eine positive
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Tab. 4.9 Regression
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Kovarianz zu verzeichnen; sind die Vorzeichen der Merkmalsunterschiede stets entgegengesetzt (ungleichgerichtete Abweichungen), liegt eine negative Kovarianz vor. Die Kovarianz ist ein Indikator für einen Zusammenhang zweier Variablen.
cov(x, y) =
n
i=1
(xi x¯ ) · (yi y¯ ) n
(4.14)
Da die Kovarianz allerdings abhängig vom Mastab der Variablen ist, kann damit keine quantitative Aussage über die Enge des Zusammenhangs der Variablen getroffen werden. Der Korrelationskoeffizient dagegen ist gegenüber Mastabsveränderungen der Variablen invariant und daher ein Ma zur Bestimmung der Enge des (linearen) Zusammenhangs zweier Variablen. Die Berechnung des Korrelationskoeffizienten r nach Pearson entspricht der Kovarianz, die durch das Produkt der Standardabweichungen der Variablen dividiert wird (Gl. 4.15). Die Division der Kovarianz durch die Standardabweichungen führt zu einer Entkopplung vom Mastab der untersuchten Merkmale. r=
cov(x, y) sx s y
(4.15)
Ab einem Korrelationskoeffizienten von 0.7 wird von einer hohen Korrelation und ab 0.9 von einer sehr hohen Korrelation zweier Variablen ausgegangen. Das Bestimmtheitsma r² ist das Quadrat des Korrelationskoeffizienten und gibt an, wie redundant eine Variable aufgrund der Vorhersage durch die andere Variable ist (bezogen auf 1); d. h. es schätzt denjenigen Teil der Varianz der Kriteriumsvariablen, der durch die Prädiktorvariable(n) vorhergesagt werden kann. Natürlich können zwischen den Variablen auch nichtlineare Beziehungen (z. B. exponentieller Zusammenhang) bestehen, die ebenfalls mit Regressionsberechnungen bestimmt werden können. Bei der Anwendung multipler Regression, d. h. der Verwendung mehrerer Prädiktorvariablen zur Vorhersage von Kriteriumswerten, ist bezüglich der Gültigkeit der Regressionsgleichung Vorsicht geboten. Die Regressionskoeffizienten reagieren stark auf stichproben-
4
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bedingte Zufälligkeiten. Mit Hilfe der einfachen Methode einer Kreuzvalidierung kann die Gültigkeit der ermittelten Regression abgeschätzt werden. Diese sieht vor, dass für zwei Teilmengen aus der Gesamtpopulation jeweils Regressionsgleichungen bestimmt werden. Die jeweiligen Regressionsgleichungen werden auf die jeweils andere Stichprobe angewendet. Damit wird ein Eindruck der Robustheit der Regressionsgleichung gewonnen. Genauigkeit und Signifikanz von Ergebnissen Da in Untersuchungen zur Wahrnehmung von Geräuschen nur eine Teilmenge (Stichprobe) aus der Grundgesamtheit (Population) betrachtet werden kann, muss eine statistische Abschätzung über die Repräsentativität der Stichprobe und der ermittelten Zusammenhänge für die Gesamtheit getroffen werden. Die Schätzung der Populationsvarianz (da die wahre Populationsvarianz oft nicht bekannt ist) erfolgt über die Gl. 4.16.
2
ˆ =
n
i=1
(xi x¯ )2
(4.16)
n1
Die Schätzung des Standardfehlers des Mittelwertes ist: n (xi x¯ )2 i=1 ˆ x¯ = (n 1) · n
ˆ bzw. ˆ x¯ = √ n
(4.17)
Der Standardfehler gibt Auskunft darüber, wie gro Unterschiede bei der Erhebung von Mittelwerten bei verschiedenen Stichproben aus einer Grundgesamtheit sein können. Ein kleiner Standardfehler deutet darauf hin, dass der ermittelte Mittelwert beinahe dem tatsächlichen Wert für die Gesamtheit entspricht. Mit zunehmendem Standardfehler steigt die Unsicherheit, vom Mittelwert der Stichprobe auf den Mittelwert der Grundgesamtheit zu schlieen. Da bei unendlich vielen Stichproben mit hinreichendem Umfang deren Mittelwerte zu einer Normalverteilungsfunktion führen, kann auf Grundlage des Mittelwertes x und dem Umfang n der Stichprobe ein Konfidenzintervall abgeschätzt werden. Das Konfidenzintervall besitzt, je nach Konfidenzkoeffizienten, eine endliche Breite, innerhalb dessen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit der „wahre“ Wert der Grundgesamtheit liegt (Gl. 4.18). Dabei wird das Konfidenzintervall mit Hilfe der Schätzung des Standardfehlers ( ˆ x ) (wie stark streuen die gesammelten Urteile) und den zu der gewünschten -Irrtumswahrscheinlichkeit entsprechenden z(/2) -Werten, die in der Standardnormalverteilung beidseitig die Enden um 2 abschneiden, bestimmt. D. h., für eine Irrtumswahrscheinlichkeit von beispielsweise 5 % werden links und rechts der Standardnormalverteilungsfläche jeweils 2,5 % abgeschnitten. Bei kleinen Stichproben sollte die t-Verteilung verwendet werden. KI B1 = 2 · z(/2) · σˆ x¯
(4.18)
Typische Konfidenzintervalle spiegeln eine 95 % bzw. 99 % Wahrscheinlichkeit wider, innerhalb dessen der gesuchte Wert der Population, abgeleitet aus der Stichprobe, liegen
150
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müsste. Die Irrtumswahrscheinlichkeit, d. h. die Wahrscheinlichkeit, dass mit der Untersuchung (zufällig) ein falscher Wert bestimmt worden ist, beträgt 5 % bzw. 1 %. Mit Hilfe des Konfidenzintervalls wird die Unsicherheit des Stichprobenwertes in Hinblick auf den tatsächlichen Wert der Population angegeben. Mit x (arithmetischer Mittelwert gewonnen aus einer Stichprobe) als Schätzung für den Mittelwert der Grundgesamtheit und der z-Werte, die eine bestimmte Fläche der Standardverteilung begrenzen (95 % bzw. 99 % der Fläche) kann eine obere und untere Grenze des Konfidenzintervalls bestimmt werden. untere Grenze = x¯ 1.96 1 96 · ˆ x¯ und obere Grenze = x¯ + 1.96 · ˆ x¯ (95% KI) untere Grenze = x¯ 2.58 · ˆ x¯ und obere Grenze = x¯ + 2.58 · ˆ x¯ (99% KI)
(4.19)
(4.20)
Das Konfidenzintervall ist somit ein Indikator für die Genauigkeit der Untersuchung bzw. der ermittelten Werte. Für sich überlappende Konfidenzintervalle der Bewertungen kann mit dem gewählten Stichprobenumfang nicht zuverlässig abgeleitet werden, dass die Geräusche (trotz unterschiedlicher Mittelwerte) unterschiedlich bewertet worden sind. Mittelwerte sind dagegen signifikant unterschiedlich, wenn sich deren Konfidenzintervalle nicht überlappen. Die Signifikanz eines Ergebnisses sagt aus, wie (un-)wahrscheinlich es ist, sich mit Hilfe der erhobenen Daten irrtümlich für die zu überprüfende Hypothese zu entscheiden und die Nullhypothese zu verwerfen. Ist die (statistische) Irrtumswahrscheinlichkeit, sich fälschlicherweise für die Hypothese entschieden zu haben, sehr gering, gilt das Ergebnis (die Bestätigung der Hypothese) als signifikant. Eine Hypothese H1 im Bereich der Geräuschbewertung kann sein, dass die Bewertungen von zwei Geräuschen unterschiedlich ausfallen, d. h. A < B ist (Mittelwerte der Grundgesamtheit, die in der Regel nicht bekannt sind, lediglich x ist direkt bestimmbar). Grundsätzlich gilt ein Ergebnis (z. B. Ungleichheit der Bewertungen eines Geräuschs vor und nach einer Modifikation) dann als bestätigt, wenn eine bestimmte kritische Irrtumswahrscheinlichkeit unterschritten bzw. das definierte Signifikanzniveau erreicht wird. Mit Hilfe des Signifikanztestes wird festgestellt, wie ein Stichprobenergebnis, das „Zufallsschwankungen“ unterliegt, eine bestimmte Theorie bzw. Hypothese ( H1) bestätigt oder widerlegt. Die komplementäre Gegenthese zu H1 wird Nullhypothese H0 genannt. Es lassen sich Unterschiedshypothesen, die im Zusammenhang mit Mittelwertsvergleichen untersucht werden, von Zusammenhangshypothesen, die mit Korrelationsrechnungen geprüft werden, unterscheiden. Da meist nur eine Stichprobe aus der Grundgesamtheit betrachtet wird, kann nie mit absoluter Sicherheit eine Hypothese bestätigt bzw. widerlegt werden. Es bleibt immer eine Restwahrscheinlichkeit, z. B. durch die Auswahl der Untersuchungsteilnehmer einen nicht-repräsentativen Wert ermittelt zu haben. In der Wissenschaft hat sich als maximal zulässige Irrtumswahrscheinlichkeit 5 % bzw. 1 % etabliert, die nicht zu einer Negierung der H1 führt. Ist der so genannte α-Fehler oder auch p-Wert (probability), d. h. die Wahrscheinlichkeit, sich fälschlicherweise für H1 zu entscheiden, geringer als das vorgegebene Signifikanzniveau, gilt die Hypothese als bestätigt im Sinne einer statistischen (Wahrscheinlichkeits-)Prüfung.
4
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p(Ergebnis | H0 ) ≤ 5% >
p(Ergebnis | H0 ) ≤ 1% >
signifikantes Ergebnis hoch signifikantes Ergebnis
Es sei an dieser Stelle nochmals erwähnt, dass eine Korrelation eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für tatsächlich kausale Abhängigkeiten darstellt. Selbstverständlich können auch die Ausprägungen mehrerer unabhängiger Variablen hinsichtlich der Varianz der abhängigen Variablenwerte von Bedeutung sein. Untersucht man beispielsweise das Phänomen „Geräuschqualität“, ist davon auszugehen, da es sich um eine mehrdimensionale Empfindung handelt, dass mehrere akustische Gröen für die Merkmalsausprägung „Geräuschqualität“ relevant sind. Hier können mehrfaktorielle Varianzanalysen angewendet werden, um über den Einfluss mehrerer Variablen aufzuklären. Als datenreduzierendes Verfahren kann die Faktorenanalyse (Hauptkomponentenanalyse) eingesetzt werden, auf deren Basis eine endliche Menge an Variablen gemä ihrer korrelativen Beziehungen in voneinander unabhängige Gruppen klassifiziert werden. Sie kann herangezogen werden, um die tatsächliche Mehrdimensionalität komplexer Merkmale zu bestätigen bzw. zu widerlegen. Die Theorie mehrfaktorieller Varianzanalyse soll mit dem Hinweis auf einschlägige Fachliteratur an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden (Revenstorf 1976, Hartung u. Elpelt 1999, Krzanowski 2000). Validierung einer Metrik Eine Möglichkeit zur Validierung einer entwickelten Metrik, die einen funktionalen Zusammenhang zwischen einer abhängigen Variable (z. B. empfundene Geräuschqualität) und „unabhängigen“ Variablen herstellt, kann über das Erheben und Anwenden weiterer Daten erfolgen. Die Ergebnisse zwischen den vorhergesagten Werten (Metrikwerte) und den tatsächlichen Werten (subjektive Urteile) sollten eine ausreichende Korrelation aufweisen. Nur so lässt sich feststellen, wie robust und zuverlässig die Metrik ist.
4.3.6 Metrikbeispiele In vielen Publikationen werden Metriken präsentiert, die mit Hilfe von Hörversuchen ermittelt worden sind, und die es erlauben sollen, ohne die Erhebung weiterer Subjektivdaten, zuverlässige Voraussagen hinsichtlich der Beurteilung von weiteren Geräuschen abzugeben. Hier sollen drei bekannte Formeln exemplarisch vorgestellt werden, die zeigen, in welchen mathematischen Zusammenhängen verschiedene akustische Parameter stehen können. Fastl et al. entwickelte eine Metrik zur Prädiktion der Lästigkeit ( psychoacoustic annoyance) von Geräuschen (Fastl u. Zwicker 2007). Diese Metrik (Gln. 4.21–4.23) gelte für synthetische wie auch reale Geräusche, könne aber nicht ästhetische und kognitive Aspekte berücksichtigen. 2 2 PA = N5 1 + ws + wFR (4.21) ws =
N5 S 175 · 025log + 10 acum sone
für
S > 175acum
(4.22)
152
A. Fiebig und K. Genuit
wFR =
4
218 (N5 /sone)04
F R 04 + 06 vacil asper
(4.23)
Eine weitere entwickelte Formel beschreibt dagegen nicht die Lästigkeit von Geräuschen, sondern bestimmt den empfundenen Wohlklang (Aures 1984). Der sensorische Wohlklang eines Schalles sei dabei keine elementare Empfindungsgröe, sondern eine höhere abgeleitete Beschreibungsgröe des Geräuschs, die sich auf mehrere elementare Empfindungsgröen zurückführen liee. Der Wohlklang wird durch die Rauigkeit, Schärfe, Lautheit und Klanghaftigkeit (Tonalität) der Geräusche beeinflusst. Eine hohe Schärfe S und hohe Rauigkeit R verringern den sensorischen Wohlklang. Dagegen trägt die Klanghaftigkeit K positiv zum sensorischen Wohlklang bei. Ab einer gewissen Lautheit wird mit zunehmender Lautheit N der sensorische Wohlklang geringer (Gl. 4.24). Die Berechnungsformel des Wohlklangs ist in Gl. 4.25 aufgeführt, die für einen 1 kHz-Ton mit einem Pegel von 60 dB einen Wohlklang Wber von 1 ergibt. 2
W = 1125 · e07R · e108S · (124 e243K ) · e(0023N ) 2
Wber = e0,55R · e0113S · (124 e22K ) · e(0023N )
(4.24) (4.25)
Eine weitere bekannte Metrik ist Zwickers Entwurf zur Bestimmung der unbeeinflussten, vorurteilslosen Lästigkeit ( Unbiased Annoyance (UBA)), worunter die subjektive Reaktion auf ein rein akustisches Ereignis im Labor hinsichtlich Lästigkeit verstanden wird, für den Fall, dass keine Beziehung zur Geräuschquelle besteht (Zwicker 1991). D. h. lediglich die psychoakustischen Eigenschaften, nicht aber Bedeutungszuschreibungen, kognitive und kontextuelle Aspekte standen im Untersuchungsfokus. Die Aussagekraft der abgeleiteten Formel (Gln. 4.26–4.28) ist daher begrenzt und kann nicht auf die Beurteilung von Alltagsgeräuschen übertragen werden. Dennoch kann diese Metrik hilfreich sein, um eine Tendenz hinsichtlich des grundsätzlichen Potenzials der Lästigkeit eines Geräuschs zu bestimmen, ungeachtet der Bedeutung des Geräuschs. Neben der Lautheit N10 haben die Tageszeit d, die psychoakustischen Parameter Schärfe S und Schwankungsstärke F einen wesentlichen Einfluss auf die unbeeinflusste Lästigkeit UBA.
UBA = d
N10 sone
13
(1 + s + f ) in [au]
dday = 1 und dnight = 1 +
N10 5 sone
05
,
N10 S 1 · lg + 10 und acum sone F 1 + N10 /sone f = 03 · · vacil 03 + N10/sone
s = 1 + 025 ·
(4.26)
(4.27)
(4.28)
4
Bewertung von Fahrzeuggeräuschen
153
Der Parameter Rauigkeit spielte bei den Untersuchungen von Zwicker hinsichtlich der unbeeinflussten Lästigkeit nur eine untergeordnete Rolle. Die dargestellten Formeln verdeutlichen die auerordentliche Bedeutung psychoakustischer Parameter in Hinblick auf die Modellierung komplexer Urteile, wie Lästigkeit, Qualität oder Angenehmheit.
4.3.7 Limitationen bei der Verwendung von Metriken Zur Vermeidung von „Störungen“ bei der Urteilsfindung werden aus dem Messverfahren, hier der Hörversuch, weitgehend alle potenziellen Störvariablen verbannt. D. h., es werden alle Umgebungseinflüsse konstant gehalten, damit die gesammelten Urteile eindeutig der untersuchten Merkmalsausprägung zugeordnet werden können. Daraus kann folgendes Problem resultieren: Der ermittelte Zusammenhang zwischen Reiz und Reaktion (Bewertung) gilt lediglich für die Bewertung unter den Versuchsbedingungen. In komplexeren Situationen, in denen „Störvariablen“ typischerweise variieren, ist das Beurteilungsverhalten nicht mit der „mathematischen Verknüpfung“, die unter klinischen Bedingungen erstellt wurde, hinreichend beschreibbar. Störvariablen können auch „maskierend“ wirken, so dass sich die erwartete, vorhergesagte Merkmalsausprägung nicht einstellt. Damit ist die externe und ökologische Validität nicht gegeben, da die Untersuchungsergebnisse, die unter spezifischen Versuchsbedingungen gewonnen wurden, nicht auf weitere Personen, Zeitpunkte und Situationen übertragbar sind. Ein weiteres Problem stellt die Übertragbarkeit und Zuverlässigkeit der entwickelten Metrik auf unbekannte Datensätze dar (Problem der Bestimmung der externen Validität). Decken die zur Metrikentwicklung bewerteten Geräusche nur eine geringe Bandbreite an Geräuschen aus der untersuchten „Geräuschklasse“ ab, kann es hier zu deutlichen „Überoder Unterschätzungen“ des untersuchten Merkmals kommen. Ferner muss immer bedacht werden, dass eine entwickelte Metrik nur für die untersuchte Geräuschgruppe bzw. Geräuschart anwendbar ist. Die Übertragung auf andere Geräuschtypen und Anwendungen ist in der Regel nicht möglich. Eine universelle Geräuschqualitätsmetrik gibt es leider nicht.
4.4 Geräuschbilder gestalten: Verbindungen zwischen auditiven und visuellen Merkmalen beim Automobil Michael Haverkamp, Ford Werke GmbH
4.4.1 Einleitung Im Automobilbau spielen gestalterische Aspekte eine bedeutende Rolle zur Gewinnung von Kundenakzeptanz und Markenidentität. Während das visuelle Design bislang tradi-
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M. Haverkamp
Abb. 4.14 Die komplexe Fahrerumgebung verlangt präzise multisensuelle Gestaltung – FORD S-MAX Individual, 2007
4
tionell im Vordergrund stand, werden inzwischen alle Sinnesbereiche mit in den Entwicklungsprozess einbezogen (Luckner 2002). Seit etwa zwei Jahrzehnten stellt insbesondere auch die Geräuschgestaltung einen wesentlichen Faktor des Produktdesigns dar. Zur Optimierung der komplexen Produkterscheinung eines Automobils muss dazu neben dem Gesamtgeräusch auch das Geräuschverhalten aller Komponenten in den Entwicklungsprozess eingebunden werden. Im Hinblick auf die Integration des Fahrers in das komplexe Mensch-Maschine-System (Abb. 4.14) gilt es, Information tragende Signale klanglich zu optimieren und eine präzise Rückmeldung der gewünschten Funktion einzelner Aggregate an den Fahrer sicherzustellen ( Operational Noise); Geräusche ohne jeden Informationsgehalt müssen dagegen minimiert, verdeckt oder ganz unterdrückt werden. Alle wahrnehmbaren Elemente der Mensch-Maschine-Schnittstelle ( Human Machine Interface, HMI) sind im Entwicklungsprozess sorgfältig zu optimieren. Die funktionsgerechte Gestaltung aller Geräusche erfordert zunächst eine Prognose der vom Schallvorgang ausgelösten Wahrnehmung – auf Grundlage elementarer Eigenschaften des Gehörs. Dies leistet die Psycho-Akustik, mit deren Hilfe eine Beurteilung der Eigenschaften der ausgelösten auditiven Wahrnehmungsereignisse möglich ist. Für die Interpretation eines Geräuschs vor einem komplexen Wahrnehmungshintergrund ist jedoch nicht allein das auditiv Erfasste mageblich. Identifizierung der Geräuschquelle (ikonisch) und Bestimmung von Aspekten der Bedeutung (semantisch) kommen intuitiv hinzu und ermöglichen die Interpretation der zugrunde liegenden Vorgänge. Dies ist nur möglich durch Einbezug des bereits gespeicherten Wissens über die multisensuelle Natur der wahrgenommenen physikalischen Objekte. Dieses Wissen ist in Form multisensueller Wahrnehmungsobjekte repräsentiert. Das Wahrnehmungsobjekt „Blinkerhebel“ ist zum Beispiel durch taktile (Empfindung bei Berührung), propriozeptive (Armkraft und -bewegung), visuelle (Stellung des Hebels) und auditive Eigenschaften („Klacken“ bei Betätigung) definiert. Erst aus dem Zusammenspiel aller beteiligten Sinne erschliet sich dem Fahrer die Verlässlichkeit der ausgeführten Betätigung. Eine genaue Abstimmung aller Sinnesreize der Fahrerumgebung aufeinander ist daher nicht Ergebnis gestalterischer Kür, sondern mit zwingender Notwendigkeit gefordert. Gerade die Gestaltung neuartiger Produktgeräusche – wie im Fall von Fahrzeugen mit Elektroantrieb – verlangt nach schlüssigen, multisensuellen Ansätzen.
4
Bewertung von Fahrzeuggeräuschen
155
4.4.2 Synästhesie – Synästhetik Es genügt nicht, eine Optimierung der wahrnehmungsrelevanten Eigenschaften in jedem Sinnesbereich getrennt durchzuführen. Vielmehr müssen der Gestaltung Erkenntnisse über systematische Verbindungen der Sinnesempfindungen zu Grunde gelegt werden. Die Quellen systematischer Konzepte stehen jedoch noch am Beginn ihrer Erschlieung. So werden erst seit etwa 15 Jahren wieder synästhetische Wahrnehmungsphänomene untersucht – nach 50-jähriger Zwangspause, während der die Analyse subjektiver Erscheinungen und innerer Bilder im Rahmen „behavioristischer“ Paradigmen als unwissenschaftlich galt. Es handelt sich dabei um Wahrnehmungen, die bei Reizung eines Sinnensbereiches in einem anderen Sinnesbereich auftreten. So kann ein Geräusch auch zur Empfindung von Farben oder Formen führen (Abb. 4.15). Dies geschieht zwar nur bei wenigen Menschen spontan und unmittelbar – die Erforschung solcher auch als genuine Synästhesie bezeichneter Wahrnehmungsformen stellt jedoch eine wichtige Quelle der Erkenntnis multisensueller Verbindungen dar. Alle Menschen sind hingegen in der Lage, intuitiv Verbindungen zwischen den Sinnen herzustellen. Auf diese allgemein verbreiteten Mechanismen muss sich das synästhetische Design stützen. In Abgrenzung zu dem individuellen, seltenen Phänomen der genuinen Synästhesie soll hier die Synästhetik als allgemeine Methodik der multisensuellen Gestaltung betrachtet werden (in Anlehnung an die Bezeichnung bei Filk 2004). Sie umfasst wiederum verschiedene Strategien der Verbindung zwischen den Sinnesbereichen ( Modalitäten), die als intermodale Verknüpfungen zunächst der Definition bedürfen.
4.4.3 Verknüpfung auditiver und visueller Wahrnehmung Zur Klassifizierung der verschiedenen Strategien des Wahrnehmungssystems, Reize der Sinnesbereiche zu verknüpfen, ist es sinnvoll, die dazu angewandten Grundmechanismen zu betrachten. Diese sind in Abb. 4.16 als Ebenen dargestellt.
Abb. 4.15 Fotografien entsprechend auditiv ausgelöster visueller Wahrnehmung des Synästhetikers Matthias Waldeck: links: „Fliegengebrumm“; rechts: „Summen einer Festplatte“. (Haverkamp – Geräuschbeispiel 1)
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bewusst
mathematisch / physikalische Korrelation
Konstruktion
Symbol / Metapher
4 spontan kontextbezogen
konkrete Assoziation
intuitive Eigenschaften
intermodale Analogie
spontan genuin
elementare Verknüpfung genuine Synästhesie
Gegenstand der Forschung
Abb. 4.16 Schema intermodaler Verknüpfungsstrategien
So kann ein auditiver Reiz ( Stimulus), der vom Gehör aufgenommen wird, die Wahrnehmung oder Vorstellung visueller Phänomene auslösen. Die daran beteiligten Prozesse können spontan und fest ( genuin) oder spontan und kontextabhängig sein. Es ist auch möglich, Verbindungen bewusst zu konstruieren. Die drei im Schema gelb unterlegten Ebenen spielen bei der Wahrnehmung und Beurteilung von Objekten oder Atmosphären eine entscheidende Rolle, sie umfassen die intuitiven Strategien intermodaler Koppelung. Genuine Synästhesie tritt nur bei relativ wenigen Menschen in Erscheinung (Day 2005). Die damit verbundenen Wahrnehmungsphänomene beziehen sich auf das Erscheinen einzelner Merkmale in Sinnesbereichen, die momentan nicht angeregt werden. Der Begriff Synästhesie wurde aus den griechischen Worten „syn“ = zusammen und „aisthesis“ = Empfinden gebildet. Zumeist handelt es sich um abstrakte Erscheinungen (Farben, Formen, Töne, bewegte Objekte), die keine übergeordnete Systematik der Zuordnung zwischen den Sinnesbereichen erkennen lassen. Daher existiert ausschlielich eine individuelle Systematik, die sich bei keinem zweiten Menschen mit synästhetischen Wahrnehmungsphänomenen findet. So kann beim Farbenhören ein gehörter Ton z. B. zusätzlich die Empfindung einer Farbe auslösen. Abbildung 4.17 gibt Beispiele synästhetischer Farbwahrnehmung beim Hören von Klaviertönen unterschiedlicher Tonhöhe – nach Beschreibung von Erblindeten (zur Phänomenologie und Theorie der genuinen Synästhesie
Abb. 4.17 Genuin synästhetische Wahrnehmung. Farbwahrnehmungen bei bestimmter Tonhöhe nach Berichten von Erblindeten. links: Paul Dörken (Anschütz 1927a); rechts: Schüler des Blindenlehrers Wilhelm Voss. (Voss 1936)
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Abb. 4.18 Bewegungskurve des Geräuschs eines Scheibenwischers. Dazu sind zwei Zyklen dargestellt. Zeichnung des Autors. (Haverkamp – Geräuschbeispiel 2)
siehe z. B. Cytowic 2002, Emrich et al. 2001, Robertson u. Sagiv 2005 und Dittmar 2007). Aufgrund ihrer stark individuellen Ausprägung ist die Bedeutung dieser Art der Verknüpfung für die multisensuelle Gestaltung zurzeit allerdings noch unklar. Intermodale Analogie bezieht sich auf die Fähigkeit jedes Menschen, über die Sinnesgrenzen hinweg Korrelationen zwischen Objekteigenschaften zu bilden. Die damit zusammengefassten Verknüpfungsstrategien verbinden ebenso wie die genuine Synästhesie einzelne Eigenschaften verschiedener Sinnesbereiche, wie Farbe, Rauigkeit, Volumen, Härte, Bewegung und viele andere. Abbildung 4.18 zeigt einen Ansatz der Visualisierung der von einem Scheibenwischer-Geräusch implizierten Bewegung in der Darstellungsweise nach (Truslit 1938). Auch die Tonfolge des Signals einer Einparkhilfe muss ganz intuitiv eine Analogie zum Abstand von Hindernissen vermitteln. Im Gegensatz zur genuinen Synästhesie sind solche Verknüpfungen systematisch und quantifizierbar. Allerdings sind die Zuordnungen nicht absolut – es besteht eine Abhängigkeit vom Kontext. So ist die Helligkeit eines Objektes nicht als absolute Gröe, sondern im Verhältnis zu anderen hellen Strukturen oder zur Helligkeit der Umgebung wahrnehmbar. Intermodale Analogien spielen eine besondere Rolle bei der Verarbeitung unbekannter Reize, denn sie ermöglichen durch Verkoppelung einzelner Eigenschaften erst die Generierung neuer Wahrnehmungsobjekte. Dies ist für innovative Elemente der Produktgestalt von besonderer Bedeutung. Konkrete Assoziation oder ikonische Verknüpfung bezeichnet die Zuordnung wahrgenommener Eigenschaften über die Identifizierung multisensueller Objekte. Diese Art der Koppelung wirkt daher nur bei bekannten Objekten. So werden Geräusche intuitiv mit ihrer Quelle verknüpft. Chion verwendet dazu die Bezeichnung Causal Listening (Chion 1994). Visualisierungen auditiver Ereignisse zeigen oft Strukturen, die in Zusammenhang mit der Entstehung ähnlicher Geräusche gesehen wurden. Die visuelle Erscheinung einer Explosion liefert z. B. eine Struktur, mit der ein derartiges Geräusch häufig verknüpft ist (Abb. 4.19). Multisensuelle Assoziationen bilden auch die notwendige Grundlage der Lautmalerei, die zur verbalen Beschreibung auditiver Ereignisse nicht nur im Automobilbereich intensiv genutzt wird (z. B. beim Knarzen, Quietschen, Rasseln, Knattern, Wummern oder Zirpen). Es ist daher generell sinnvoll, bei Versuchen zur Geräuschbeurteilung assoziative Elemente mit zu berücksichtigen (Schulte-Fortkamp u. Genuit 2005). Symbol und Metapher: Zusätzlich zu den Merkmalen, die eine Identifizierung multisensueller Reizquellen ermöglichen, können Objekte auch mit übergeordneten Bedeutungen versehen sein. Diese Bedeutungen manifestieren sich als Symbolik oder sprachliche Metaphorik – sie sind häufig unabhängig von den übrigen Objekteigenschaften. Das Martinshorn eines Unfallwagens verweist so auf eine Notfall-Situation. Diese Verbindung kann jedoch nur geknüpft werden, wenn die Bedeutung ihrer Merkmale gelernt wurde. Auch die
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Abb. 4.19 Assoziative Darstellung eines Knalls. Schülerzeichnung aus einer Klasse von Walter Behm, 1920er-Jahre. (Anschütz 1931)
4
Verarbeitung von Sprache fällt in diesen Bereich: Die Wirkung verständlicher Sprache auf der Symbolebene ist grundsätzlich verschieden zur Wirkung unverständlicher Laute, die ausschlielich Assoziationen ansprechen. Das assoziative Erkennen eines Menschen als Quelle gesprochener Sprache ist allerdings unabhängig vom Verständnis der sprachlichen Inhalte. Typische Klänge und Geräusche mit symbolischem Inhalt sind z. B. Sound-Logos von Firmen und Institutionen (Bronner u. Hirt 2007, Kastner 2008) sowie Jingles, die eine technische Funktion widerspiegeln. Mathematisch/physikalische Verknüpfung unterscheidet sich als Prozess bewusster kognitiver Konstruktion grundlegend von den anderen Strategien. Im Gegensatz zu den dort intuitiv und unwillkürlich ablaufenden Prozessen beinhaltet dies die Umrechnung von Parametern verschiedener Sinnesbereiche ineinander. Auf diese Weise lassen sich Algorithmen entwickeln, die eine solche Transformation leisten. Die bekannteste alltägliche Anwendung dazu besteht in automatischen Visualisierungen durch Media-Player. Zusätzliche Systematisierung wird auf Grundlage der Vergleichbarkeit physikalischer Gröen erreicht. So können Tonfrequenzen und Lichtfrequenzen auch rechnerisch voneinander abgeleitet werden. Das obere Diagramm der Abb. 4.31 (s. u.) zeigt den Bezug der Spektralfarben zur Tonhöhe innerhalb einer Oktave, wobei jedem chromatischen Ton ein Farbton zugeordnet ist. Solche Konzepte wurden zur Visualisierung musikalischer Strukturen im Sinne der Farblichtmusik ( Colour Music) oder zur Gestaltung rein visueller Musik angewandt (Kienscherf 1996, Sidler u. Jewanski 2006). Man vergleiche die klare Systematik der Abb. 4.31 mit der genuin synästhetischen – und damit individuellen – Zuordnung der Abb. 4.17. Elementare Verknüpfungen umfassen Mechanismen, die gerade für die Ausführung grundlegender Körperfunktionen von Bedeutung sind. Dabei handelt es sich besonders um den Austausch von Informationen zur motorischen Kontrolle. Diese Verbindungen der Sinnesbereiche treten normalerweise nicht als Ergebnis einzelner Reize in das Bewusstsein. Auditive Reize führen z. B. über Prozesse des Richtungshörens zu intuitiven Kopfbewegungen, die die Lokalisationsschärfe verbessern (Blauert 1997). Diese Bewegungen werden jedoch in der Regel nicht wahrgenommen, da eine Interaktion mit visuellen Phä-
4
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nomenen zur Kompensation der Bildbewegung führt, so dass parallel zu statischen Schallquellen ein stehendes Bild gesehen wird.
4.4.4 Exkurs: Schall und Schwingungen Auch die Wahrnehmungen von Schall und Schwingungen können sich im Sinne einer elementaren Verknüpfung wechselseitig beeinflussen. Unterhalb etwa 20 Hz werden auch Schallvorgänge groer Energie in der Regel nicht mehr gehört ( Infraschall). Solche Schalle werden jedoch über Rezeptoren im Bauchraum wahrgenommen. Es ist wahrscheinlich, dass dies über dieselben Sinnenszellen geschieht, die auch Schwingungen registrieren. Tieffrequenter Infraschall kann ebenso wie Ganzkörper-Schwingungen zu einer Verminderung des Wohlbefindens bis hin zu ausgeprägtem Unwohlsein führen. In diesem Sinne können unhörbare Schallanteile bei tiefen Frequenzen die Wahrnehmung hörbarer Signale beeinflussen – zumeist verstärken sie eine negative Bewertung des Gehörten (Howarth u. Griffin 1990). Gleiches gilt für Fälle, in denen Schall und Schwingungen zugleich einwirken. Infraschall und Schwingungen spielen etwa bei der Arbeit mit Presslufthämmern eine wesentliche Rolle. In Fahrzeugen wird der Höreindruck des Gesamtgeräusches durch die typischen Sitzschwingungen sowie durch fahrdynamische Kräfte mit bestimmt, die auf den Körper einwirken. In solchen Fällen führt die Bewertung des Geräuschs allein anhand der Empfindlichkeit des Gehörs – wie durch die A-Bewertung mit einer Darstellung des Schallpegels in dB(A) – zu einer Unterschätzung des Gesamteffektes. Die Wahrnehmung von Musik kann durch Sitzschwingungen allerdings auch positiv beeinflusst werden: Bei zusätzlicher Transformation tiefer Frequenzen des Musiksignals in Sitzschwingungen erfährt das Musikerlebnis eine Bereicherung. Dies gilt jedoch nur im Frequenzbereich unterhalb 100 Hz – höhere Schwingfrequenzen werden bei der Musikwiedergabe dagegen nicht generell als positiv beurteilt (Merchel u. Altinsoy 2008). Schwingungen sehr niedriger Frequenzen können bei hinreichender Auslenkung auch visuell wahrgenommen werden. Zusätzlich beeinflussen sie Körperbewegungen sowie die Ausführung mechanischer Bedienvorgänge (Haverkamp 1990, Nakamura u. Haverkamp 1991). Auch diese sekundären Effekte verändern die Wahrnehmung von Schwingungen. Generell können die Wahrnehmungsqualitäten von Schall und Schwingungen jedoch bewusst unterschieden werden. Die Frage, ob Ergebnisse von Wahrnehmungsversuchen eine gegenseitige Beeinflussung der Reize zeigen, hängt daher mageblich von der Aufgabenstellung an die Versuchspersonen ab.
4.4.5 Grundregeln der Verknüpfung Alle hier beschriebenen Ebenen der Verknüpfung enthalten wiederum eine Vielzahl von Möglichkeiten (Teilprozessen) der Koppelung zwischen den Sinnesbereichen. Auch in grafischen Darstellungen genuin-synästhetischer Phänomene, die durch auditive Reize ausgelöst wurden, finden sich nicht selten zusätzlich Merkmale, die als Ergebnis intermodaler Analogie oder konkreter Assoziation interpretierbar sind (Abb. 4.20).
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Abb. 4.20 Grafische Darstellung synästhetischer Formwahrnehmung von Heinrich Hein (Anschütz 1927b); links: Motorengeräusch eines Fischkutters; Mitte: Geräusch eines „leise fahrenden“ Autos; rechts: Schiffssignale („Dampfertuten“)
Aus den intermodalen Strategien des Wahrnehmungssystems lassen sich Strategien der Gestaltung ableiten. Die sinnvolle Gestaltung multisensueller Objekte kann jedoch nicht auf einzelne Strategien der Verknüpfung beschränkt bleiben. Erst eine umfassende Betrachtung der vielfältigen Erscheinungsformen multisensueller Wahrnehmung – unter Einschluss individueller Phänomene – eröffnet die Möglichkeit systematischer Anwendungen im Design. Die intuitiven Strategien intermodale Analogie, konkrete Assoziation und Symbolik eignen sich besonders zur Schaffung solcher Verbindungen zwischen den Sinnen, die unmittelbar passend erscheinen und leicht interpretierbar sind. Damit gelangt man zu optimalen Ergebnissen der Produktgestaltung, die als intuitives Design dem Kunden unmittelbar einleuchten, da sie ein sinnvolles Zusammenwirken aller Sinnesbereiche ermöglichen. Geschieht dies in Übereinstimmung mit der gewünschten Funktion des Produktes, so ist ein schlüssiges, ganzheitliches Design die Folge, das entscheidende Kriterium für eine solide Kundenakzeptanz erfüllt. Grundlage des in Abb. 4.16 dargestellten Modells ist die Annahme, dass Strategien der multisensuellen Verknüpfung zunächst voneinander unabhängig sind und parallel ablaufen können. Es ist bekannt, dass die enorme Leistungsfähigkeit des Gehirns bei gleichzeitiger hoher Verarbeitungsgeschwindigkeit und Effizienz auf das Prinzip der Parallelverarbeitung zurückzuführen ist, das auf allen neuronalen Ebenen wirksam ist (Campenhausen 1993). Parallelverarbeitung ist damit ein grundlegendes Prinzip der Hirnfunktion. So erfolgt der Signalfluss von den Sinnesorganen aus über parallele Nervenbahnen, die aufgrund spezifischer Eigenschaften schon während der Datenübertragung wesentliche Analyseprozesse ausführen. Aus der Verschaltung dieser Prozesse entstehen räumliche Muster, die zur Erzeugung komplexer Wahrnehmungsbilder verwendet werden. Das Gehirn bezieht seine Leistungsfähigkeit daher nicht aus wenigen, hochkomplexen Vorgängen der Informationsverarbeitung. Grundlage dafür ist eher die komplexe, doch flexible Verschaltung einer extrem hohen Zahl einfacher Prozesse, die gleichzeitig ablaufen. Für eine erste Annäherung an die verschiedenen Strategien des Wahrnehmungssystems, Informationen verschiedener Sinne miteinander zu verknüpfen, können folgende Regeln angenommen werden:
4
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1. Verschiedene Strategien der multisensuellen Verknüpfung werden parallel angewandt. 2. Die Ergebnisse der Verknüpfung sind zunächst voneinander unabhängig und können widersprüchlich sein. 3. Verschiedene Strategien können jedoch auch zu Ergebnissen führen, die in die gleiche Richtung weisen. 4. Führen verschiedene Strategien zu widersprüchlichen Ergebnissen, so ist das Wahrnehmungssystem bestrebt, diese zu harmonisieren. Gelingt das nicht, so entsteht ein Wahrnehmungskonflikt, der bewusst empfunden werden kann. 5. Ergebnisse der Verknüpfung können bewusst akzeptiert, kombiniert oder verworfen werden. Im Rahmen der Gestaltbildung folgt das wahrnehmende System der Tendenz zur Integration der Ergebnisse der Verknüpfungsstrategien in ein widerspruchsfreies Wahrnehmungsbild. Jede Verknüpfungsstrategie kann jedoch vom wahrnehmenden Subjekt selbst bewusst separiert und analysiert werden. So kann z. B. die Helligkeit einer Lampe in Bezug zur Helligkeit der Klangfarbe eines Geräuschs beurteilt werden. Bei entsprechender Wahl geeigneter Versuchsbedingungen ist das Ergebnis dann unabhängig von assoziativen und symbolischen Aspekten. Umgekehrt kann das Experiment ausschlielich auf Aspekte der Quellenidentifikation oder auf den Bedeutungsgehalt fokussiert werden.
4.4.6 Wahrnehmungsobjekt und subjektive Qualitäten Das bewusst erlebte Ergebnis von Vorgängen der Wahrnehmung, Erinnerung und Vorstellung ist nur dem Individuum zugänglich, das sie empfindet (Abb. 4.21). Zwar können die Sinneseindrücke, die so entstanden sind, anderen beschrieben oder skizziert werden; das, was tatsächlich erlebt wird, bleibt stets dem wahrnehmenden Subjekt vorbehalten.
Wahrnehmungssystem
physikalischer Reiz
beschreibbar messbar
physiologische Reizverarbeitung
neuronale Aktivität
messbar
Reaktion, Verhalten
messbar
beschreibbar messbar
Qualia subjektiv, nicht messbar nur äußerst grob beschreibbar (Beschreibbarkeit verlangt Konsensbildung)
Abb. 4.21 Schema zur Erklärung der Wahrnehmungsqualitäten – Qualia
162
4
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Für die Wahrnehmung und Wertung von Objekten – und damit auch von Produkten – sind individuelle Empfindungen von entscheidender Bedeutung. Subjektive Wahrnehmungsqualitäten – Qualia – repräsentieren den individuellen Erlebnisgehalt mentaler Zustände, d. h. die qualitativen Aspekte des Bewusstseins. Für das, was als Ergebnis eines Reizes empfunden wird, ist auch die Bezeichnung Wahrnehmungsereignis gebräuchlich – als Gegensatz zum physikalischen oder chemischen Ereignis, das den Reiz bewirkt. Die empfundenen Eigenschaften eines Wahrnehmungsereignisses bestimmen dessen Qualitäten, die Qualia. So beeinflussen die Änderungen weniger Eigenschaften bereits deutlich die wahrgenommene Geräuschqualität, wie der Vergleich von 38 kleinen Gerätelüftern belegt (Haverkamp – Geräuschbeispiel 3). Eine Wahrnehmungsqualität im visuellen Sinnesbereich ist z. B. „wie es sich anfühlt, rot zu sehen“. Diese Empfindung ist ausschlielich dem Individuum zugänglich. Aufgrund der beschränkten Verarbeitungsgeschwindigkeit der Sinnesorgane und des Gehirns ist es dem Wahrnehmungssystem allerdings nicht möglich, die Wirklichkeit vollständig zu erfassen. Stattdessen werden vereinfachte Modelle etabliert, die Umwelt und Körper mit Hilfe einfacher Merkmale nachbilden. Diese Modelle erscheinen im Bewusstsein als Wahrnehmungsobjekte, die mit klar definierten Eigenschaften voneinander abgegrenzt sind. So repräsentieren Wahrnehmungsobjekte die wahrgenommene Wirklichkeit im Bewusstsein. Die Gestaltung von Dingen ist damit eine Gestaltung von Wahrnehmungsobjekten (!). Im visuellen Bereich bedeutet die Beschränkung auf die wesentlichen Eigenschaften z. B., dass nur ein sehr begrenzter Frequenzbereich wahrgenommen wird. Wir sehen daher nur einen kleinen Teil des Lichtes, das von einem Objekt abgestrahlt wird. Die sehr groe Zahl der möglichen Lichtspektren wird zudem in eine eindimensionale Sinnesqualität umgewandelt: die Farbe. Farbe ist ein vom Gehirn erzeugter Modellparameter, der in der physikalischen Umwelt – im Gegensatz zu unserer projizierten Wahrnehmung – nicht existiert. Die Reduktion der spektralen Eigenschaften des Lichtes auf diesen Parameter ist jedoch ausreichend, um die optischen Eigenschaften von Objekten und deren Oberflächen zu ermitteln. Eine vollständige Identifizierung von Objekten ist allerdings erst möglich, wenn alle wesentlichen Eigenschaften erkannt wurden. Da die Objekte der Umwelt durch eine Vielzahl physikalischer und chemischer Eigenschaften gekennzeichnet sind, die über verschiedene Sinneskanäle erfasst werden, sind auch die Wahrnehmungsobjekte in der Regel multisensueller Natur (Abb. 4.22). Wahrnehmung, die sich auf einen Sinnesbereich beschränkt, existiert nur in Ausnahmefällen. Dann kann es zur Bildung von Wahrnehmungsobjekten in einem Sinnesbereich kommen ( unimodal). Auch wenn Sinnesreize nur in einer Modalität vorliegen, ist das Wahrnehmungssystem jedoch bestrebt, diese mit multisensuellen Wahrnehmungsobjekten zu verknüpfen und so die fehlenden Sinnesbereiche zu ergänzen. Unimodale Wahrnehmungsobjekte können als Teilmengen entsprechend multisensueller Modelle verstanden werden. Selbst die Reizung nur einer Modalität mit unbekannten Stimuli – z. B. durch ungewohnte Geräusche – führt in der Regel zur Bildung hypothetischer, multisensueller Wahrnehmungsobjekte. Isolierte Wahrnehmung bzw. Empfindung in nur einem Sinnesbereich ist zumeist Ergebnis bewusster Fokussierung der Aufmerksamkeit. Dies wird in Wahrnehmungsversuchen ausgenutzt. Wahrnehmungsobjekte sind nicht an starre, materielle Vorgaben gebunden. Sie können auch flüchtiger oder instabiler Natur sein, wie eine
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Bewertung von Fahrzeuggeräuschen
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Abb. 4.22 Modell des multisensuellen Wahrnehmungsobjektes. Die beteiligten Sinnesbereiche sind als Teilmengen repräsentiert, die sich aus den wahrgenommenen Eigenschaften (Attributen) zusammensetzen. Einige Eigenschaften sind hier exemplarisch benannt
aud it iv
4
Form
ng
egu
Bew
Wolke, eine Flamme, ein Blitz oder ein Wasserstrahl. Ebenso können sie durch Abwesenheit von Materie entstehen – wie ein Loch – oder ideeller Natur sein: etwa der Staat, das Prestige oder das Wahrnehmen selbst.
4.4.7 Intermodale Analogie, konkrete Assoziation, Symbolik Die Gestaltung multisensueller Merkmale von Objekten gelingt dann besonders gut, wenn die intuitiven Verknüpfungen intermodale Analogie, konkrete Assoziation und Symbolik berücksichtigt werden. Die Parallelität der Gestaltung entspricht dann der Parallelität der Verarbeitung im Wahrnehmungssystem. Über intermodale Analogien werden einzelne Merkmale über die Sinnesgrenzen hinweg verknüpft. Solche Prozesse bilden damit eine wesentliche Grundlage der multisensuellen Optimierung von Produkteigenschaften (Haverkamp 2006). Die wichtigsten Analogien sind: • Zeitliche Analogie, Synchronie. Die Wahrnehmung einer Gleichzeitigkeit auditiver und visueller Signale hängt von der Art des Geräuschs ab. Treffen die Signale mit Verzögerungen von max. 50–100 ms ein, so können beide als synchron wahrgenommen werden. Dabei werden gröere Verzögerungen toleriert, wenn das Audio-Signal gegenüber dem Videosignal verzögert ist (Kohlrausch 2005). Bauchredner nutzen die Wirkung synchroner Effekte, um das Publikum über den wahren Ort der Schallquelle zu täuschen. Der Ventriloquismus-Effekt bewirkt dabei, dass die auditive Information zur Lokalisation der Schallquelle zugunsten der visuellen Information ausgeblendet wird (Alais 2004, Vroomen u. Gelder 2004).
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Abb. 4.23 Analogie des Rhythmus: Der Rhythmus als auditives, dynamisches Merkmal kann auch im statischen Bild vermittelt werden. Diese Grafik wurde aus der gegenständlichen Darstellung eines Tänzers abgeleitet. Das Ergebnis der vollständigen Abstraktion ist die Spur der Bewegung in Form von Serien vertikaler und horizontaler Balken. Theo van Doesburg: Rhythmus eines russischen Tanzes, 1918
• Analogie des Rhythmus. Die periodische Wiederholung von Strukturen wird in jedem Sinnesbereich als besonderes Merkmal wahrgenommen (Abb. 4.23). Eine Wahrnehmung auditiver Strukturen wird durch die gleichzeitige Darbietung bewegter visueller Muster beeinflusst, wie unter anderem das Betrachten von Musikvideos zeigt. Dabei spielt die rhythmische Abfolge der Bilder eine gröere Rolle als die inhaltliche Aussage (Hurte 1982). Umgekehrt wird auch die visuelle Wahrnehmung durch auditive Reize beeinflusst: So kann die Wahrnehmung einzelner Bilder einer schnell wechselnden Bildfolge durch überraschend eingespielte Geräusche kurzzeitig heller oder in der Dauer verlängert erscheinen (Freezing Phenomenon, Vroomen u. Gelder 2004). In speziellen Fällen erzwingen auditive Reize die Wahrnehmung visueller Rhythmik: Ein visueller Impuls in Form eines einzelnen Blitzes kann bei gleichzeitiger Darbietung einer Folge akustischer Impulse seinerseits als Folge mehrerer Blitze wahrgenommen werden (Shams 2000). • Intersensorielle Attribute. Dies sind Eigenschaften, die in jedem Sinnesbereich vorkommen. Heinz Werner zählt dazu Intensität, Helligkeit, Volumen, Dichte und Rauigkeit (Werner 1966; siehe auch Hornbostel 1927, Schiller 1932). Mit intersensoriellen Merkmalen lassen sich auditiv-visuelle Formanalogien ableiten (Abb. 4.24). Für die Darstellung von Geräuschen ist die Korrelation der visuellen Helligkeit zu Tonhöhe und Klangfarbe (Obertongehalt, Schärfe) von besonderer Bedeutung (Wellek 1931, Behne 2002). Bei der manuell betätigten Parkbremse (Handbremse) wird als intermodale Analogie vorausgesetzt, dass die Zahl hör- und spürbarer Klicks sich proportional zur wahrgenommenen Anzugskraft – und damit zur Bremskraft – verhält. • Bewegungsanalogie und Kinetic Design. Die Bewegung des eigenen Körpers wird über Gleichgewichtsorgane und Mechano-Rezeptoren in Sehnen und Muskeln erfasst. Neben dem Sehen von Bewegung weisen auch auditive Signale und Musik dynamische Eigenschaften auf (Truslit 1938, Eitan u. Granot 2004). Multisensuelle Analogie zu
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Abb. 4.24 Weiche und scharfe Geräusche. Aus einer audiovisuellen Animation von Adriano Abbado. (s. auch Abbado 1988)
Bewegungsvorgängen ist für die visuelle Gestaltung von Fahrzeugen besonders interessant, um als Kinetic Design die dynamischen Eigenschaften des Produktes optimal zur Geltung zu bringen. • Räumliche Analogie und Soundscapes. Aufgrund der Fähigkeit des räumlichen Hörens wird auch eine Anordnung von Schallquellen analog zu einer Verteilung visueller Objekte wahrgenommen. Eine Theorie der Klanglandschaft ( Soundscape) wurde mageblich von Murray Schafer erarbeitet (Schafer 1977). Es gilt, multisensuelle Landschaften zu gestalten, die visuelle (z. B. Lightscape), auditive ( Soundscape) und taktile ( Touchscape) Komponenten aufweisen. Dabei ist eine Hierarchisierung gefragt, die wesentliche, Bedeutung tragende Objekte vom Hintergrund abhebt. Neben konkreten Informationen wird auch eine Atmosphäre vermittelt, die in allen Sinnesbereichen stimmig erscheinen sollte. So gleicht die Gestaltung der multisensuellen Bedienumgebung im Fahrzeug der Gestaltung einer Landschaft (Abb. 4.25). • Funktionale Analogie. Die optimale Nutzung technischer Geräte erfordert eine Rückmeldung der gewünschten Funktion. Diese kann taktil, visuell und auditiv erfolgen. Über die Geräuschqualität kann ein robuster Eindruck ebenso vermittelt werden wie die Empfindung fehlerhafter Funktion (Defektgeräusch). Die Schnittstelle zwischen
Abb. 4.25 Räumliche Analogie: Touchscape und Lightscape in der Bedienumgebung eines Automobils. Beides bildet eine dreidimensionale Struktur, die durch ein differenziertes Soundscape sinnvoll ergänzt wird. Ford Verve Konzeptstudie, 2007
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Mensch und Maschine beruht auf funktionalen Analogien, die im Idealfall über verschiedene Sinne vermittelt werden. So soll das Geräusch beim Anziehen und Lösen einer elektrischen Parkbremse (EPB) den Vorgang des „Zufassens“ bzw. Lösens der „Bremsfaust“ zum Ausdruck bringen. • Taktiles Design. Die taktilen Eigenschaften von Bedienelementen und Oberflächen sollten auch visuell vermittelt werden. Eine zusätzliche auditive Komponente entsteht beim Berühren. Obwohl zumeist unbewusst wahrgenommen, geben Berührungsgeräusche wesentlichen Aufschluss über Materialeigenschaften und Qualität (Haverkamp – Geräuschbeispiel 4). Auditive Wahrnehmung führt auch zur Beeinflussung taktiler Information (Altinsoy 2006). Grundlage der Bildung intermodaler Analogien sind Korrelationen – Ähnlichkeiten – von Eigenschaften. Es ist möglich, diese Ähnlichkeit von Parametern zahlenmäig zu erfassen. Da die Sinnesorgane die Fähigkeit der Adaption an die Umgebungsbedingungen besitzen, werden intermodale Analogien jedoch vom Kontext der Wahrnehmung beeinflusst. Aus diesem Grund sind quantitative Zuordnungen nicht absolut, sondern über Verhältnisskalen (Ratioskalen) möglich (Stevens 1961). So kann die relative Stärke verschiedenster Sinnesreize z. B. mit der Lautheit von Tönen korreliert werden (Stevens 1966). Auch über die Identifizierung bekannter Elemente, die in verschiedenen Sinnesbereichen wahrgenommen werden, ist eine Verknüpfung zu multisensuellen Wahrnehmungsobjekten möglich (konkrete Assoziation). Dies setzt voraus, dass die betreffenden Sinneseindrücke früher bereits zusammen wahrgenommen wurden, denn assoziative Verknüpfungen werden durch Lernprozesse aus der Wahrnehmungserfahrung abgeleitet. Dies ist mit einer Zuordnung verschiedener Sinnesreize zu deren Ursprung, der Reizquelle, verbunden. So ist auch eine Verknüpfung visueller Wahrnehmung zu Schallreizen auf assoziativem Wege möglich. Die Darbietung der Geräusche flieenden Wassers führt oft zu der Vorstellung wellen- oder blasenartiger Strukturen sowie zu Formen, die beim Flieen des Wassers, durch Tropfen oder Lichtreflexionen gebildet werden (Abb. 4.26). Die Wirkung von Geräuschen, die Unbehagen verursachen, wie das Quietschen von Fingernägeln auf einer Tafel oder das Sirren des Zahnarztbohrers, wird verstärkt, wenn die zugehörige Situation zusätzlich visuell wahrgenommen wird (Cox 2007). Wie im Alltagsleben, so deuten auch im Film Geräusche, die durch Berührungen von Materialien entstehen, auf das verwendete Material hin ( Materializing Sound Indices, Chion 1994). Generell zeigt das Wahrnehmungssystem die Tendenz, Geräusche unmittelbar mit mentalen und inneren Bildern, Ereignissen oder Erinnerungen zu verknüpfen (Riccò 2002). Die Verwendung assoziativer Formen und Strukturen ist ein wichtiges Element der Produktgestaltung. So kann auf Formen Bezug genommen werden, die bereits Bestandteil erfolgreicher Produkte waren und sich dem Gedächtnis potentieller Kunden mit entsprechenden Wertungen eingeprägt haben. Extremfälle der Übernahme assoziativer Elemente finden sich bei Me-Too-Products und beim Retro-Design. Die Aufnahme etablierter Formen in ein neues Design setzt jedoch voraus, dass Wahrnehmung und Erfahrungshintergrund des Kunden bekannt und mit genau den positiven Emotionen verknüpft sind, die Voraussetzung der erfolgreichen Vermarktung sind. In den 1940er bis 60er-Jahren waren z. B. Formen aus Luft und Raumfahrt besonders beliebt (Abb. 4.27) – und stromlinienförmige Gestaltung machte sogar vor Haushaltsgeräten nicht Halt. Aus technischen Gründen konnten entsprechende Geräusche zu dieser Zeit nicht gleichermaen berücksichtigt wer-
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Abb. 4.26 Visuelle Assoziationen zu Geräuschen flieenden Wassers: „Brunnengeriesel“ ( links), „Brunnengeplätscher“ ( rechts). Schülerarbeiten aus dem Kunstunterricht von Rudolph Gahlbeck, 1920er-Jahre. (Anschütz 1930) Abb. 4.27 Assoziative Elemente im Fahrzeugdesign. Futuristische Verbindung von Lufteinlass und Fahrlicht beim GM Firebird II, 1956
den. Die Entwicklung futuristischer Sounds erlebte daher zunächst im Science-FictionFilm eine erste Blüte. Der symbolische Gehalt wahrgenommener Strukturen kann ebenfalls die Basis von Koppelungen zwischen den Sinnesbereichen bilden. In diesem Fall bilden semantische Korrelationen Verbindungen von Bedeutung. Das Symbol muss vom Icon unterschieden werden, das assoziative Informationen vermittelt. Als Symbol wird hingegen ein abstraktes Zeichen verstanden, dessen Bedeutung sich nicht durch assoziative Merkmale oder aus dem Kontext unmittelbar erschliet. Es ist vielmehr über einen Code verschlüsselt, der zunächst gelernt werden muss. Ein Symbol kann in jedem Sinnesbereich gebildet werden.
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Abb. 4.28 Die Zusammenstellung ( Cluster) verschiedener Anzeigen im Automobil beruht auf verschiedensten semantischen und assoziativen Zeichen. Ford Mondeo, 2007
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Optische Schriftzeichen und akustische Signale sind ebenso symbolisch wie Worte gesprochener Sprache oder die Blindenschrift, die taktil entziffert wird. Die Bedeutung des Symbols erschliet sich erst nach Entschlüsselung seines Codes. International verständliche Zeichen sind im Mensch-Maschine-System von groer Bedeutung (Abb. 4.28). Um das Lernen neuer Bedeutungen zu erleichtern, geschieht die Gestaltung von Symbolen sinnvoll durch Verwendung bekannter, assoziativer Elemente. Auch die Wahrnehmung und Beurteilung von Geräuschen wird durch semantische Inhalte mageblich beeinflusst (Jekosch 2005). Ein typisches, Bedeutung tragendes Geräusch ist das Sound-Logo der Deutschen Telekom (Haverkamp – Geräuschbeispiel 5). Auch typische, funktional bedingte Geräusche können den symbolischen Gehalt der Produkterscheinung transportieren, wie es etwa durch das Motorgeräusch einer HarleyDavidson geschieht (lautmalerisch: „potato-potato“). In diesem Fall besteht jedoch ebenfalls eine assoziative Zuordnung, denn das Geräusch führt zunächst zu einer Identifizierung seiner Quelle (Haverkamp – Geräuschbeispiel 6). Als Spezialfall multisensueller Symbolik erfreuten sich synästhetische Metaphern insbesondere in der Lyrik der Romantik groer Beliebtheit (Wanner-Meyer 1998). So textet Nikolaus Lenau (1802–1850) in dem Gedicht „Liebesfeier“: „An ihren bunten Liedern klettert die Lerche selig in die Luft“. Hier finden sich sowohl visuell empfundene Klangfarben, als auch Analogien zur Bewegung. Charakteristisch ist die Verbindung von Substantiv und Adjektiv aus verschiedenen Sinnesbereichen („bunte Lieder“). Auch wenn solche Verbindungen Ergebnis sprachlicher Konstruktion sind, werden sie in der Regel intuitiv erfasst und verstanden – ein Beleg für die Tendenz des Wahrnehmungssystems, Verbindungen zwischen den Sinnesbereichen zu ermöglichen. Synästhetische Metaphern können als Grundlage des Semantischen Differentials und daraus abgeleiteter Polaritätsprofile dienen, die zur Beurteilung von Produkteigenschaften im Wahrnehmungsversuch häufig eingesetzt werden (Haverkamp 2009). Generell beziehen sich verschiedene Strategien der Verknüpfung zwischen den Sinnesbereichen auch auf Unterschiede der Komplexität von Merkmalen (Abb. 4.29). Über intermodale Analogien werden einzelne Eigenschaften bzw. Wahrnehmungsqualitäten korreliert. Assoziationen berücksichtigen die Erkennung ganzer Wahrnehmungsobjekte, während Symbolik sich überwiegend auf Strukturen gröerer Komplexität, z. B. auf Gruppen mehrerer Wahrnehmungsobjekte bezieht. Ein längeres Musikstück eignet sich daher als multisensuelle Referenz über Symbolik – die Vielzahl der Einzelmerkmale (Töne, Klangfarben, Bewegungen) erlaubt dagegen keine sinnvolle Koppelung über intermodale Analogien.
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Abb. 4.29 Bezug intuitiver Strategien der Verknüpfung auf verschiedene Grade der Komplexität von Merkmalen
Gruppen von Wahrnehmungsobjekten
symbolische Verknüpfung
konkrete Assoziation
Komplexität
4
einzelne Wahrnehmungsobjekte
einzelne Eigenschaften (Qualitäten) von Wahrnehmungsobjekten
intermodale Analogie
Bei der Visualisierung von Schallmerkmalen in der Fahrzeugakustik spielen intermodale Analogien dagegen eine wesentliche Rolle. Zur Skalierung von Schallattributen, deren Wahrnehmung mit einer Ordinal-, Intervall- oder Ratioskala quantifizierbar ist, empfiehlt sich die Verwendung einer Farbskala mit daran angepasster charakteristischer Helligkeit. Abbildung 4.30 zeigt ein Beispiel für die Darstellung des Schallpegels eines 1000
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600 f / Hz 400
200
100 1000 35
2000 40
45
3000 50
rpm
L/dB[SPL]
4000
5000 65
70
6000 75
80
Abb. 4.30 Darstellung eines Motorgeräusches im Campbell-Diagramm unter Verwendung einer Farbskala mit monoton zunehmender Helligkeit. Ordinate: Frequenz in Hz; Abszisse: Drehzahl rpm als Umdrehungen n pro Minute; Farbskala: Schallpegel in dB
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Fahrzeuggeräuschs im Campbell-Diagramm mit einer Farbskala, deren Helligkeit von schwarz über blau, rot, gelb bis zu wei kontinuierlich zunimmt. Die Grafik bezieht sich auf das im Fahrgastraum während der Fahrt gemessene Innengeräusch bei Zunahme der Motordrehzahl vom Leerlauf bis zum Maximum (Haverkamp – Geräuschbeispiel 7). Die intermodale Analogie besteht in diesem Fall in der Verbindung des Schallpegels mit der Farbhelligkeit. Im hier betrachteten synästhetischen Zusammenhang weist diese Farbskala für die Darstellung von Fahrzeuggeräuschen weitere Vorteile auf: • Die monotone Zunahme von kalten zu warmen Tönen entspricht der Zunahme thermischer, kinetischer und akustischer Energie. • Die dominanten Hauptfrequenzen des Motors ( Motorordnungen) erscheinen gelb/wei und symbolisieren die Energie des Verbrennungsprozesses. • Die hellen Linien der Motorordnungen auf dunklem Grund entsprechen Grundmustern der Wahrnehmung und fesseln daher die Aufmerksamkeit. • Das Gegensatzpaar Rot – Grün mit dem ausgeprägten symbolischen Gegensatz positiv – negativ wird vermieden. Die charakteristischen Helligkeiten beider Farben sind annähernd gleich, daher ist Grün in diesem Fall überflüssig. Darüber hinaus kommt das hier dargestellte Campbell-Diagramm der intermodalen Analogiebildung durch die aufsteigende Frequenzachse – entsprechend der Tonhöhe – und durch die nach rechts weisende Drehzahlachse entgegen. Die in Analogie zur Schreibrichtung aufgetragene Drehzahlachse entspricht dabei der kontinuierlichen Zunahme dynamischen Potentials mit der Drehzahl.
4.4.8 Das „Farbe-Ton-Problem“ Schon seit langem wird nach systematischen Verbindungen zwischen auditiven und visuellen Parametern gesucht. Bis zum Beginn des 20sten Jahrhunderts stand dabei die Beziehung von Tonhöhe und Farbton im Vordergrund (Jewanski 1999). Die Suche nach der einen, eindeutigen Zuordnung blieb jedoch erfolglos. Andererseits beeinflusst die Farbe von Produkten auch die Beurteilung der mit dem Betrieb verbundenen Geräusche. So zeigen systematische Versuche, dass die wahrgenommene Lautheit von Sportwagen auch durch deren Farbe beeinflusst wird: Parallel zu einem sportlichen Vorbeifahrt-Geräusch wurde im Labor das Bild eines Sportwagens projiziert, dessen Karosserie entweder rot, blau, hell- oder dunkelgrün eingefärbt worden war. Bei gleichem Schallsignal wurde das rote Fahrzeug in bis zu 16,6 % der Beurteilungen, das Dunkelgrüne bei bis zu 11,7 % als lauter wahrgenommen als bei blauer oder hellgrüner Farbe (Menzel 2007). Rot und dunkelgrün wurden offenbar als typische Sportwagenfarben interpretiert und unterstützten die Bildung besonders „sportlicher“ Wahrnehmungsobjekte. Ähnliche Versuche wurden auch zum Einfluss der Farbe von Zügen auf die Geräuschwahrnehmung durchgeführt (Patsouras 2003). Darüber hinaus konnten die Befunde mit Geräuschen eines Computer-Druckers bestätigt werden, und zwar sowohl mit deutschen als auch mit japanischen Versuchpersonen (Menzel 2008).
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Bei der Darstellung von Geräuschparametern ist es wichtig, intuitiv wirksame Wahrnehmungsanalogien möglichst gut zu berücksichtigen, um dem Betrachter ein schnelles Verstehen unter Vermeidung von Missverständnissen zu ermöglichen. Bei der Auswahl visueller Eigenschaften der Darstellung ist darauf zu achten, dass diese im Sinne der Skalentheorie den Skalentypen der darzustellenden Schallattribute entsprechen (Haverkamp 2009). Lässt man Unterschiede der Helligkeit auer Acht, so bilden Farbtöne lediglich eine Nominalskala und können daher nur als Analogie zu Schallmerkmalen ohne Rangordnung und ohne quantitative Beschreibung verwendet werden. Es existiert keine wahrnehmungspsychologisch optimale bzw. natürliche Farbskala. Die Farbwahl ist vielmehr eine Frage individueller Präferenzen – wie auch das Farbenhören als synästhetisches Phänomen zeigt – sowie eine Frage sozio-kultureller Gegebenheiten, die sich auf Assoziationen und die Verständlichkeit der Farbsymbolik beziehen. Als Farbskala wird häufig die Farbreihe des Regenbogens gewählt, die einer Ordnung nach den Wellenlängen monochromatischen Lichtes entspricht. Bevor Isaac Newton durch Prismenzerlegung des weien Lichtes den Zusammenhang zwischen Wellenlängen und Farben nachgewiesen hat (Newton 1721), wurden dagegen Farbskalen als natürlich empfunden, die Farbtöne entsprechend zunehmender Helligkeit ordnen (Roque 2000). Im Gegensatz zu objektiven, an physikalischen Gegebenheiten orientierten Zuordnungen handelt es sich um subjektive Farbe-Ton-Beziehungen. Es sind jedoch beide Seiten zu betrachten: physikalische Phänomene bilden Reize, durch die Prozesse der visuellen Wahrnehmung angestoen werden, die letztlich zur Empfindung subjektiver Wahrnehmungsqualitäten führen. Im Zuge der wissenschaftlichen und industriellen Entwicklung wuchs das Interesse an der Visualisierung von Musik besonders zu Beginn des 20sten Jahrhunderts stark an (Kienscherf 1996). Dies wird unter anderem auch durch die groe Zahl von Patenten technischer Verfahren belegt, die bereits vor 1950 erteilt wurden (Betancourt 2004). Abbildung 4.31 zeigt Vorschläge für systematische Zuordnungen von Farbe und Tonhöhe des Malers und Farblichtmusikers Alexander Wallace Rimington (Rimington 1911). Farben werden den Tönen einer Oktave entsprechend der Reihenfolge der Lichtfrequenzen zugeordnet (oben) oder auf einen weiteren Tonumfang verteilt (Mitte) (Haverkamp – Geräuschbeispiel 8–9). Ein Problem der zahlenmäigen Zuordnung von Ton- und Lichtfrequenzen besteht darin, dass der Tonumfang neun Oktaven umfasst, während der Bereich sichtbaren Lichtes weniger als einer Oktave entspricht – d. h. die höchste sichtbare Lichtfrequenz ist etwas kleiner als der doppelte Wert der tiefsten sichtbaren Frequenz. Ein weiteres Problem der Zuordnung von Farben zu Tonhöhen einzelner Töne wird im unteren Teil der Abb. 4.31 deutlich: Mehrstimmige Akkorde führen zu einem Verblassen oder einer Dämpfung ( Verdunkelung) des zugeordneten Farbtons – abhängig davon, ob additive oder subtraktive Farbmischung verwendet wird. Während die auditive Qualität bei mehrstimmigen Klängen zunimmt, nimmt die Farbigkeit als visuelle Qualität aufgrund der Farbmischung ab (Haverkamp – Geräuschbeispiel 10). Verschiedene Ansätze systematischer Zuordnung von Tönen und Farben führten zu Ergebnissen, die ohne Vorwissen nicht nachvollziehbar sind und daher eher theoretischen Wert besitzen (z. B. bei László 1925). Bei der Wahl von Zuordnungen von visuellen Elementen zu Geräuschen ist daher darauf zu achten, dass das Ergebnis stets intuitiv nachvollziehbar bleibt. Ein Beispiel für die gelungene Visualisierung von Geräuschen soll als
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Abb. 4.31 Vorschlag verschiedener Farbskalen für die Visualisierung von Musik ( a und b), sowie Anwendung auf eine musikalische Phrase bei additiver Farbmischung (c)
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Anregung für Anwendungen im Geräuschdesign kurz beschrieben werden: Die Grundelemente der Geräuschkomposition Artikulation von György Ligeti sind Fragmente, die ausschlielich elektronisch erzeugt wurden. Darunter finden sich reine Sinustöne, harmonische Spektren, breitbandiges und schmalbandiges Rauschen sowie Impulse. Die auf Magnetband aufgezeichneten Geräusche wurden durch Variation der Bandgeschwindigkeit verfremdet und schlielich manuell zusammengefügt. Einige Jahre nach der Erstaufführung der Komposition erarbeitete Rainer Wehinger eine Hörpartitur zu diesem Stück, die als Musterbeispiel für die systematische Entwicklung visueller Elemente aufgrund auditiver Strukturen gelten kann (Wehinger 1970). Abbildung 4.32 verdeutlicht die Grundelemente der Partitur. Die Farben wurden zunächst assoziativ gewählt, dann weiter systematisiert: • schwarz/braune Farben bezeichnen rauschartige Signale • reine Farben symbolisieren tonale Anteile • die Formen bilden Analogien zur Zeitstruktur In der Komposition entwickeln sich auf Basis der Grundelemente jedoch Strukturen, die an Mono- oder Dialoge erinnern. Der Titel Artikulation verweist darauf, dass bewusst eine künstliche Sprache artikuliert wird. In der zweiten Hälfte des 20sten Jahrhunderts wurden die technischen Möglichkeiten künstlerischer Gestaltung multimedialer Verbindungen durch Laser, Kybernetik, Elektronik und Computer wesentlich erweitert. In dem Mae, in dem die technische Realisierung
4
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Einzelton, Rauschen: Sinuston
harmon. Spektrum:
Impuls:
wenig geräuschhaft
Tonhöhe hoch
Rauschen terzgefiltert Rauschen oktavgefiltert
Tonhöhe mittel mehr geräuschhaft
weißes Rauschen
Tonhöhe gering ungefiltert
Abb. 4.32 Zeichensystem von Rainer Wehinger für die Hörpartitur zu György Ligetis elektronischer Komposition Artikulation, 1958 (Auszug)
solcher Vorhaben zunehmend möglich ist, sinkt offenbar jedoch die Bereitschaft, feste Zuordnungen zwischen Tönen, Klängen und Farben zu treffen. Systematische Konzepte sind zugunsten gröerer kreativer Freiheit und Emotionalität in den Hintergrund getreten. Jedoch beruhen Visualisierungen durch Media-Player stets auf Algorithmen, die eine Zuordnung visueller zu auditiven Elementen leisten. Die damit verbundene Systematisierung kann mitunter vom Hörer/Betrachter durchaus nachvollziehbar sein – wie eigenes Experimentieren mit den Optionen der Darstellung zeigt. Nicht jede systematische Verbindung zwischen den Sinnesbereichen wird jedoch vom Rezipienten akzeptiert. Die intuitive Nachvollziehbarkeit muss daher im Gestaltungsprozess durch Wahrnehmungsversuche geprüft werden.
4.4.9 Schlussfolgerung – Ausblick
Stärke der Verbindung
Flexibilität
Generell kann von einer Hierarchie der drei intuitiven Strategien ausgegangen werden, die bei der Gestaltung von Verbindungen zwischen Geräuschen und visuellen Aspekten sinnvoll nutzbar ist. Als einfaches Modell dient das in Abb. 4.33 dargestellte Schema: Symbolik baut auf Assoziationen auf, diese wiederum auf Analogiebeziehungen.
Symbolik Bedeutung Konkrete Assoziation Objektidentifikation Intermodale Analogie Korrelation der Eigenschaften
Richtung der Gestaltung
Abb. 4.33 Rolle von Analogien, Assoziationen und Symbolik in der Gestaltung
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Nur wenn eine Symbolik so fest in einer Kundengruppe verankert ist, dass eine Änderung der Bedeutung während der Laufzeit des Produktes vollkommen ausgeschlossen ist, kann diese ohne Unterstützung durch weitere Strategien verwendet werden. Sicherer ist es jedoch, eine etablierte Symbolik durch assoziative Merkmale zu untermauern. Auch die Schaffung neuer symbolischer Inhalte kann auf diesem Weg geschehen, über den z. B. der Grüne Punkt auf die assoziativ geprägte Farbsymbolik aufbaut. Assoziative Verbindungen können durch Analogien erzeugt werden. Die Gestaltung neuer assoziativer und symbolischer Verbindungen muss daher im Modell der Abb. 4.33 von unten nach oben erfolgen. Wenn ein Elektrofahrzeug mit einem innovativem Geräuschverhalten auszustatten ist, muss sich dies analog zu weiteren, z. B. funktionalen Eigenschaften darstellen. Wird dabei jedoch das Geräusch eines herkömmlichen Automobils durch Abspielen von True Sounds kopiert, so handelt es sich um assoziative Elemente der Gestaltung. Analogiebeziehungen ermöglichen maximale Flexibilität – so können sich neue Verbindungen am schnellsten einprägen. Symbolik weist die gröte Stärke ( Macht) der Verbindung auf, da sie die bestmögliche Aufmerksamkeit und emotionale Beteiligung ( Involvement) des wahrnehmenden Subjektes ermöglicht. Sie setzt jedoch Lernprozesse voraus und ist durch Umwertungen gefährdet. Es ist daher sinnvoll, symbolische Inhalte durch ein Fundament aus Assoziationen und Analogien zu untermauern. Ziel des synästhetischen Designs ist es, alle Sinneseindrücke, die von einem Objekt ausgehen, so aufeinander abzustimmen, dass ein stimmiger Gesamteindruck vermittelt wird, der sich mit der gewünschten Funktion deckt. Der Begriff Synästhetisches Design unterstreicht den Ansatz einer systematischen Gestaltung intermodaler Beziehungen, im Gegensatz zum multisensuellen bzw. multisensorischen Design, das alle Sinne berücksichtigt, jedoch die Möglichkeit systematischer Verbindungen nicht explizit in den Vordergrund stellt. Auch Giovanni Anceschi und Dina Riccò behandeln bereits ein Synesthetic Design, jedoch ohne die hier vertretene Berücksichtigung aller Strategien multisensueller Verknüpfung (Riccò 1999, Anceschi 2000). Eine präzise Abgrenzung der verschiedenen Mechanismen multisensueller Verknüpfung im Wahrnehmungssystem ist ein wesentlicher Schritt zum Verständnis der Unterschiede und hin zu systematischen Konzepten der Gestaltung. Alle Menschen sind in der Lage, intuitiv Verbindungen zwischen den Sinnen herzustellen. Auf diese allgemein verbreiteten Mechanismen muss sich das synästhetische Design vorrangig stützen. Die Synästhetik als Methodik der multisensuellen Gestaltung umfasst jedoch alle möglichen Strategien der Verbindung zwischen den Sinnesbereichen. Synästhetisches Design hat zum Ziel, eine optimale Gestaltung auf Grundlage systematischer Verbindungen zwischen den Sinnesbereichen zu erreichen. Der herkömmliche Prozess der Produktgestaltung sieht oft bereits eine Behandlung aller – oder zumindest der wesentlichen – Sinnesbereiche vor, wie der linke Teil der Abb. 4.34 verdeutlicht. Ohr, Auge und Tastsinn stehen bei den meisten industriellen Produkten im Vordergrund. Der Geruch der Werkstoffe wird dagegen mit niedrigerer Priorität behandelt, während der Geschmack naturgemä eher beim Design von Lebensmitteln eine Rolle spielt. Jeder Sinnesbereich hat verschiedene Eigenschaften zu berücksichtigen, die im Bild durch die Einteilung der vertikalen Balken in Segmente angedeutet sind. Dazu gehören im visuellen Bereich Form, Farbe, Gröe, sichtbare Oberflächentextur, Orientierung im Raum, Bewegung und viele weitere Parameter. Der konventionelle Gestaltungsprozess beinhaltet die Definition von Eigenschaften und Qualitätsparameter in jedem Sinnesbereich,
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konventionelle Gestaltung Hören
Sehen
Tasten
Synästhetisches Design
Riechen Schmecken
Hören
Sehen
Tasten
Riechen Schmecken
Verknüpfungsstrategien
bewusste Konstruktion
symbolische Verknüpfung ü
konkrete Assoziation
intermodale Analogie
genuine Synästhesie
Sinnesbereiche
Abb. 4.34 Vergleich des konventionellen Gestaltungsprozesses mit dem synästhetischen Design. Der herkömmliche Gestaltungsprozess ( links) beruht primär auf einer Optimierung der Produkteigenschaften in einzelnen Sinnesbereichen. Synästhetisches Design ( rechts) konzentriert sich dagegen auf die möglichen Verknüpfungsstrategien, zu denen die geeigneten Produkteigenschaften ausgewählt werden
an denen die Güte des Produktes und seiner Komponenten zu messen ist. Die Optimierung erfolgt somit innerhalb der Sinnesbereiche. Eine Verknüpfung der Eigenschaften zwischen verschiedenen Sinnesbereichen wird dagegen nur in Ausnahmefällen berücksichtigt. Da eine konsequente Systematik zur Optimierung der Sinnesverknüpfungen bislang fehlte, werden bei der Gestaltung bestenfalls intuitive Prozesse angewandt. Das hier vorgeschlagene Vorgehen des Synästhetischen Designs beruht dagegen auf einer Kenntnis der Wahrnehmungsprozesse, die eine Koppelung der Sinnesbereiche ermöglichen. Diese werden in die in Abb. 4.34 rechts in horizontaler Richtung dargestellten fünf Hauptstrategien eingeteilt, hinter denen sich zahlreiche spezielle Mechanismen verbergen. Im Rahmen des Gestaltungsprozesses werden zunächst die Strategien ausgewählt, die bei dem angestrebten Produkt eine Koppelung der Sinnesbereiche ermöglichen. Erst im zweiten Schritt werden die Produkteigenschaften ausgewählt, die mit Blick auf die gewählten Verknüpfungsstrategien besonders geeignet sind. Rapide Änderungen grundlegender Technologien erfordern auch ein schnelles Umschwenken auf innovative Lösungen der Gestaltungsaufgabe. So ist bei der bereits erwähnten Umstellung auf elektrische Fahrzeugantriebe ein ungewohntes Geräuschverhalten zu berücksichtigen. Sehr leise Fahrzeuge können auch zu einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer führen, besonders dann, wenn sie nicht oder zu spät wahrgenommen werden. Die Gestaltung eines Geräuschverhaltens, das zugleich neuartig und intuitiv verständlich ist und sich mit Merkmalen anderer Sinnesbereiche verbindet, ist eine Aufgabe, die nur mit einem synästhetischen Ansatz optimal zu lösen ist.
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K. Genuit et al.
4.4.10 Geräuschbeispiele im Internet
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Geräusche zweier Computer-Festplatten (Abb. 4.15 rechts) Bewegung als Geräuschmerkmal: Scheibenwischer 38 kleine Gerätelüfter Berühren von Oberflächen: Styropor, Filz, Krepp Sound-Logo: Deutsche Telekom Motorgeräusch: Harley-Davidson Motorgeräusch: Sport-Coupe mit Boxermotor Chromatische Tonskala – eine Oktave (Abb. 4.31 oben) Chromatische Tonskala – vier Oktaven (Abb. 4.31 Mitte) Musikbeispiel Alexander Wallace Rimingtons (Abb. 4.31 unten)
Literatur Abbado A (1988) Perceptual Correspondences of Abstract Animation and Synthetic Sound. MIT, M.S. Thesis, 1988. Alais D, Burr D (2004) The Ventriloquist Effect Results From Near-Optimal Bimodal Integration. Current Biology. Bd. 14, 257–262, 2004 Altinsoy E (2006) Auditory-Tactile Interaction in Virtual Environments. Aachen: Shaker Verlag, 2006 Anceschi G, Riccò D (2000) Research of Communication Design: a synesthetic approach. Proceedings of the „Design plus Research“ international conference, Politecnico di Milano, 2000 Anschütz G (1927a) Untersuchungen zur Analyse musikalischer Photismen (Sonderfall Paul Dörken). In: Anschütz G (Hrsg.) Farbe-Ton-Forschungen. Bd. 1. Leipzig: Akademische Verlagsgesellschaft, 1927 Anschütz G (1927b) Untersuchungen über komplexe musikalische Synopsie (Sonderfälle Max Gehlsen, Hugo Meier und Dr. H. Hein). In: Georg A (Hrsg.) Farbe-Ton-Forschungen. Bd. 1. Leipzig: Akademische Verlagsgesellschaft, 1927 Anschütz G (1930) Die Farbe als seelischer Ausdruck. Mitteilungen der Pelikan-Werke, Nr. 37. Hannover & Wien: Verlag Günther Wagner, 1930 Anschütz G (Hrsg.) (1931) Farbe-Ton-Forschungen. Bd. 3. Bericht über den 2. Kongress für Farbe-Ton-Forschung. Hamburg: Psychologisch-Ästhetische Forschungsgesellschaft, 1931 ANSI S3.1-1991 „Maximum permissible ambient noise levels for audiometric test rooms“, 1991 ANSI S12.2-1995 „Criteria for evaluating room noise“, 1995 Aures W (1984) Der Wohlklang: Eine Funktion von Schärfe, Rauhigkeit, Klanglichkeit und Lautheit, DAGA, Darmstadt, Deutschland, 1984 Bech S (1990) Listening Tests on Loudspeakers – A Discussion of Experimental Procedures and Evaluation of The Response data, Proceedings of The 8th International Audio Engineering Society Conference, Washington, USA, 101–115, 1990 Becker J, Heppelter M (2003) The influence of different runup slopes on sound quality evaluation in vehicle interior sounds, DAGA, 2003 Bednarzyk M (1999) Qualitätsbeurteilung der Geräusche industrieller Produkte. Der Stand der Forschung abgehandelt am Beispiel der Kfz-Innenraumgeräusche, Reihe 12, Nr. 396. Düsseldorf: VDI-Verlag, 1999 Behne K-E (2002) Synästhesie und intermodale Analogie – Fallstudie eines Notations-Synästhetikers. In: Adler H (Hrsg.) Synästhesie. Interferenz – Transfer – Synthese der Sinne. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2002
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Klaus F. Steinberg
5.1 Einleitung Ein Automobil-Kunde, der wegen Knarzen, Klappern usw., den so genannten Störgeräuschen in die Werkstatt fährt, hat das Gefühl, ein schlechtes Produkt zu besitzen und ärgert sich! Durch Reduzierung von Motor-, Abroll-, und Windgeräuschen wurden Ende der „Neunziger“ Jahre die Fahrzeuge im Innenraum immer leiser, so dass Geräusche, die vorher verdeckt wurden, jetzt als störende Geräusche für Fahrer und Mitfahrer hervortreten.1 Derzeit, mit der Einführung von Hybrid- und Elektrofahrzeugen etc. wird gerade die zweite Stufe bezüglich Innengeräusch-Reduktion vollzogen und dadurch eine weitere Demaskierung von Störgeräuschen „sichtbar“ (Abb. 5.1). Die Automobilindustrie zahlt mehrstellige Millionen-Beträge pro Groserien-Fahrzeug-Typ im Jahr als so genannte Gewährleistungskosten für störende Geräusche. An den inzwischen hoch komplexen Automobilen, die aus ca. 25.000 Teilen bestehen, sind ca. 800 bis 1.000 störgeräuschkritische Kontaktstellen, an denen störende Geräusche ursächlich vorkommen können.
1 In den folgenden Inhalten dieses Kapitels wurden die Bücher „Mit allen Sinnen – Das groe Buch der Störgeräuschakustik“ ISBN 3-935861-09-5 und der englischen Ausgabe „With all senses“ Wjr-Verlag, ISBN 3-935659-62-8 sowie „Shaker-Systeme“ Wjr-Verlag, ISBN 3-935659-65-2 als auch „Störgeräuschakustik (2010)“ Wjr-Verlag, ISBN 3-935659-67-9 wiederholt zitiert. Zur besseren Lesbarkeit des Textes wurde auf einen permanenten Verweis auf diese Literaturquellen verzichtet.
K. F. Steinberg () ehem. BMW F & E, Eibenweg 1, 85419 Mauern, Deutschland E-Mail: [email protected] URL: www.7senses.org K. Genuit (Hrsg.), Sound-Engineering im Automobilbereich, DOI 10.1007/978-3-642-01415-4_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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K. F. Steinberg
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Abb. 5.1 Heute und Zukunft der Störgeräusch-Demaskierung
5.2 Was bedeutet „störend“ im Automotive-Lebensraum Störende Geräusche sind Gefühlssache.
Aber: Absolute Stille wirkt bedrohlich. Wie schädlich störende Geräusche sind, bestimmt nicht nur der in Dezibel gemessene Schallpegel. Eigentlich ist der Schallpegel nur eine Hilfsgröe. Eine sehr wichtige Rolle spielt auch die Information, die ein Geräusch vermittelt. So kann schon das leise Wimmern eines Säuglings Eltern aus dem Schlaf hochschrecken lassen, Schnarchen des Partners mitunter laut wie eine befahrene Strae sein. Lästige oder störende Geräusche bestimmt sich weniger nach dem „Krach“ in dB(A) als nach der Menge der gestörten Befindlichkeit. Die Lästigkeit von Geräuschen hängt stark von der aktuellen eigenen Stimmung ab. Wer Geräuschen in keiner Weise ausweichen kann, und sich ihnen ausgeliefert fühlt ist, empfindet diese i. d. R. störend. Ein Störgeräusch muss nicht laut sein: Eine Mücke in einem Schlafzimmer kann ein störendes Geräusch produzieren, obwohl es sehr leise ist und nur bei ca. 30 bis 35 dB(A) liegt. Ein Orchester kann (muss aber nicht) dagegen sehr angenehme Klänge erzeugen, selbst wenn sie nahezu 90 dB(A) und mehr betragen. Das Finale einer Wagner-Oper kann ebenso laut ausladen wie Autobahnlärm. Doch jeder unterscheidet unbewusst zwischen „guten“ und „bösen“ Lauten. Jedes Geräusch signalisiert eine bestimmte Botschaft an das Unterbewusstsein. Wenn sie unwillkommen ist, kann das zum Problem werden. Es ist also das Gehirn und nicht das Ohr, das darüber entscheidet, ob ein Geräusch als angenehm empfunden wird. Der menschliche Gehörapparat registriert lediglich wie ein physikalisches Messgerät Druckwellen und Frequenzen des
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Schalls. Ganz oben in der Hitliste der lästigsten Geräusche im Fahrzeuginnenraum rangieren Stick-slip-Geräusche (Haft-Gleit-Geräusche) wie Quietschen, Knarzen und Knarren. Definition „Störgeräusch“ Es wird ein Geräusch dann als Störgeräusch bezeichnet, wenn mindestens eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist: • Ein Geräusch (Funktionsgeräusch) kann unangenehm oder störend sein, selbst wenn ein Fahrzeug-Insasse eben jenes Geräusch aufgrund seines Handelns erwartet. • Die Geräuschqualität ist schlechter als erwartet. • Der Grad der Störung (gering oder hoch) ist nicht relevant. • Ein Geräusch tritt auf, ohne dass der Benutzer das Geräuschereignis durch sein Handeln erwarten kann (z. B. Anschlagen von Innenraumverkleidungen). • Das Geräusch ist kein Informationsträger im Sinne der Benutzerführung (z. B. Warngeräusch bei mangelnder Motorschmierung). Störgeräusche sind Geräusche mit negativer Geräuschqualität, d. h. das Schallereignis führt zu einem Hörereignis, welches als unangenehm, lästig, störend, negative Assoziationen auslösend, oder als nicht zum Produkt passend empfunden wird (Abb. 5.2). In die Festlegung der Geräuschqualität gehen eine Vielzahl von Parametern ein. Die Definition berücksichtigt die psychologisch wichtige Unterscheidung zwischen Stör- und Funktionsgeräuschen. So sind Funktionsgeräusche, z. B. ein satter Klang des Motors, durchaus erwünscht. Auch herrscht Einigkeit unter den Automobilentwicklern, dass eine vollständige akustische Dämmung vom Kunden nicht unbedingt erwünscht ist. Da im Automobilbereich genaue Differenzierungen notwendig sind, um die Zusammenarbeit der verschiedensten internen und externen Fachstellen zu ermöglichen, wurde eine leicht verständliche Bewertung erarbeitet. Aber nicht nur die Zusammenarbeit, sondern auch der Abrechnungsmodus zwischen den Servicestellen und dem OEM muss eindeutig und unmissverständlich geregelt sein. Durch exakt in der „Kundenerlebniswelt“ beschriebene und bewertete Störgeräusch-Problemfälle, wird ein genauer Kosten-Ausgleich
Abb. 5.2 Auftretenshäufigkeit gegenüber Lästigkeit. (Quelle: Studie von Thees Frank b. BMW)
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Abb. 5.3 Störgeräuschbewertungs-Beschreibung mit Index
zwischen „Service“ (Werkstatt) und OEM inklusive der System-Lieferanten bewirkt. Dieser Bewertungskatalog ist mit einem international verständlichen Index gekennzeichnet. Da im Straenverkehr das Ampelsystem weltweit bekannt ist, wurde der Zahlen-Index zusätzlich mit den Ampelfarben – rot, gelb, grün – und deren Bedeutung verschmolzen (Abb. 5.3). Die Farbe Rot ist eine Warnfarbe, deswegen ist das Ampelrot mit dem Hinweis „Stopp“ versehen. Grün ist für das Signal „Freie Fahrt“ gewählt, weil es in der Farbwahrnehmung des Menschen am kontrastreichsten ist. Es ist für unsere Augen damit quasi das Pendant zum warnenden Rot. Auerdem hat die Farbe Grün eine beruhigende Wirkung. Gelb ist eine Art warnende Zwischenphase. Es wurde als Ampel-Farbton ausgewählt, weil Gelb in der menschlichen Farbwahrnehmung genau zwischen Rot und Grün liegt und trotzdem hell scheint und damit gut sichtbar ist.
5.3 Ursachen von Störgeräuschen wie Knarzen Störgeräusche entstehen durch Relativbewegung an Kontaktstellen. Zur Entstehung von solchen störenden Geräuschen müssen zwei Bedingungen gemeinsam erfüllt sein: (a) Der Kontakt zwischen Körpern, (b) Relativbewegung zwischen Körpern. Ursache dieser zum gröten Teil im Innenraum wirkenden Störgeräusche ist die Relativbewegung verschiedener Bauteile zueinander, die durch die Vibrationen während der Fahrt ausgelöst
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werden. Störgeräusche im Sinne von BS&R (buzz, squeak and rattle) entstehen an Kontaktstellen. Schlagen zwei Teilen aufeinander oder reiben sich gegeneinander, können diese speziellen Geräusche entstehen (s. auch Abb. 5.4 und 5.5). Daher ist die Suche nach den Kernursachen von Störgeräuschen eng verknüpft mit der Suche nach relevanten Kontaktstellen. Anhand der Vorerfahrungen aus vorangegangenen Produkten, anhand von weiteren Befragungen der Qualitäts-Spezialisten aus der Produktion, anhand von Befragungen von Störgeräuschspezialisten sowie durch eigenes Wissen können inzwischen alle kritischen Kontaktstellen isoliert und markiert werden. Hier werden zusätzlich Konstruktionszeich-
HemmungsEffekte (meist Funktionsgeräusch)
Stick-SlipEffekt
Abb. 5.4 Effekten-Propeller
Abb. 5.5 Kontaktstellen Bewegungsformen
Ticken Klicken Klacken
Schlagen Klopfen
Knarzen Quietschen Knacken Knarren Scheuern
Klappern Klirren Scheppern Rasseln
Anschlagen oberflächenweicher Teile
Anschlagen oberflächenharter Teile
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nungen, Bilder, Handskizzen (und was auch immer sonst erhältlich ist) benutzt, um das Problem visuell darzustellen. Videos aus Vorerfahrungen sind dabei besonders wichtig, weil sie den audiovisuellen Teil des menschlichen Gehirns ansprechen und daher besonders effizient in der Erzeugung von Problembewusstsein sind. (Quelle: Studie von Thees Frank b. BMW).
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5.4 Einflussgrößen der Störgeräuschentstehung In den vorangegangenen Abbildungen und Beschreibungen sind die grundlegenden Entstehungsmechanismen der Störgeräusche dargestellt. Diese Mechanismen können nur unter bestimmten Rahmenbedingungen eintreten. Die Rahmenbedingungen werden im Wesentlichen durch Anregungsgröen wie Vibrationen, Ma- und Lageabweichungen sowie Materialkennwerten beeinflusst. Vibrationen sind die Ursache für die Relativbewegungen, die bei zu geringen Bauteilabständen und ungünstigen Materialpaarungen zu Störgeräuschen führen. Die Bauteilabstände sind im Wesentlichen abhängig von drei Gröen: • Bauteilgeometrie • Bauteilmaabweichungen • Lageabweichungen. Die Einflussgröen sind in einem Ishikawa-Diagramm (Fischgrätendiagramm) strukturiert (Abb. 5.6). Sie sind die entscheidenden Stellhebel zur Beseitigung auftretender Störgeräusche. Ein gutes Beispiel für die Kontaktstellen-Komplexität ist der elektrische Lenksäulenantrieb. Die Komplexität der Störgeräusch-Eliminierung wird sichtbar, wenn z. B. ein „elektrischer Lenksäulenantrieb“ per SAL-Prozess (Störgeräuschakustik-Assistent mit Analyse- und Lösungsfinder) störgeräuschfrei gemacht wird. FahrwerksVibrationen der Abstimmung Antriebswelle Beladung Vibrationen des Getriebes StrassenMotor Montagevorgang profil FahrVibrationen Befestigungsart Geschwindigkeit Vibrationen des Antriebsstrangs
Vibrationen des Fahrwerks
Lageabweichungen der Teile
StögeräuschEntstehung Materialpaarung
UmgebungsBedingungen
Material 2 Feuchtigkeit Material 1 Temperatur Oberflächen
BauteileGeometrie
BauteilMaßabweichungen
Messfehler Lieferant FertigungsVerfahren
Abb. 5.6 Ishikawa-Diagramm zur Störgeräuschentstehung
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5.5 Physikalische Effekte wie Stick-slip-Effekt Der Stick-slip-Effekt bezeichnet den periodischen Wechsel zwischen Haften (engl. Stick) und Gleiten (engl. Slip) zweier relativ zueinander bewegter Oberflächen (Abb. 5.7). Moderne Anforderungen im Fahrzeugbau – getrieben von Design (Spaltfreiheit) und der Forderung nach hoher Haltbarkeit von Materialien, Konstruktionen und Konzepten – führen dazu, dass sich Materialien/Oberflächen an Kontaktstellen unter Druck berühren. Physikalisch wirken bei vielen Werkstoffen nun adhäsive Kräfte, die die beiden Materialien ineinander haften lassen (Stick). Bei der Straenfahrt verwindet sich die Karosserie und es werden Kräfte frei, die die Haftung an der Kontaktstelle lösen. Die Materialien gleiten nun aufeinander (Slip). Der Wechsel zwischen Stick und Slip findet auf mikroskopischem Niveau meist mehrmals hintereinander statt und steht in ursächlichem Zusammenhang mit der Emission akustischer Töne, die auf Menschen aufgrund des extrem instationären und kurzzeitigen Charakters störend wirken. Die wesentlichen Einflussgröen im folgenden Ablaufschema wurden zur weiteren Entwicklung von Stick-slip-Effekt-freien Oberflächen analysiert. Gemessen wird: Anpressdruck, klimatische Einflüsse, Relativbewegung (Frequenz, Amplituden), Reibwerte, Berührungsgeometrie (makroskopisch, mikroskopisch) und das Schwingungsverhalten der Bauteile (Abb. 5.10).
Abb. 5.7 Stick-slip-Effekt
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K. F. Steinberg
Stick-slip-Geräusche sind Haft-Gleit-Geräusche wie Quietschen, Knarzen und Knarren. Bei diesem Geräuschtyp reiben zwei Körper aneinander. Diese Bewegung erfolgt aber nicht gleitend, sondern in kurzen, stotternden Intervallen. Die einzelnen Etappen des Ablaufschemas: Die Körper haften aneinander, werden in Bewegung versetzt, die wiederum von den Haftkräften gestoppt werden, woraufhin erneut die Bewegungskräfte die Oberhand gewinnen, usw. Die Tonerzeugung bei einer Geige ist genau auf diesen Effekt zurückzuführen. Der Geigenbogen wird über eine Saite der Geige gezogen und lenkt diesen durch die Haftreibung aus der Ruhelage aus. Wenn die Auslenkung der Saite einen Grenzwert erreicht und die Haftreibung überschreitet, reit die Saite vom Geigenbogen ab, schwingt unter dem weiterbewegten Geigenbogen durch, bis sie schlielich wieder an diesem haftet und der Zyklus von neuem beginnt. Der Haft-Gleit-Effekt (auch Stick-slip-Effekt s. Abb. 5.8) ist ein tribologischer Zustand, der unter der Rubrik äuere Reibung einzuordnen ist. Nach DIN ISO 4378 ist die äuere Reibung definiert als der Widerstand gegen die Relativbewegung zwischen zwei Körpern, hervorgerufen an der Berührungsfläche. Von der äueren Reibung, die dann vorliegt, wenn es zu einer Berührung und Relativbewegung von Stoffbereichen verschiedener Zugehörigkeit kommt, muss man die innere Reibung unterscheiden. Sie liegt bei einer Berührung und Relativbewegung von Stoffbereichen gleicher Zugehörigkeit vor. Haft- und Gleitreibung: Für die Entstehung des Stick-slip-Effekts ist ein stetiger Wechsel zwischen Haftung und Gleitreibung verantwortlich. Haftreibung (Reibung der Ruhe) entsteht, wenn ein Körper unter Einwirkung einer resultierenden Kraft F, die ihn gegen eine Unterlage presst, in Ruhe bleibt. Die Verteilung der Flächenpressung zwischen Körper und Unterlage ist meist unbekannt und wird durch die Reaktionskraft FN (Normalkraft, mit welcher der Körper senkrecht auf die Berührungsfläche drückt) ersetzt. Der Körper bleibt so lange in Ruhe, bis die Reaktionskraft den Grenzwert erreicht (s. Abb. 5.9 und 5.10).
Abb. 5.8 Reibungsarten
5
Charakterisierung von Störgeräuschen
Abb. 5.9 Stick-slip-Messprinzip
Abb. 5.10 Stick-slip Prüfmaschine (BMW Patent)
191
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K. F. Steinberg
5.6 Lokalisierung- und Messbarkeit von Störgeräuschen
5
Störende Geräusche werden akustisch durch Hörprobe, optisch durch Stroboskopaufnahmen, messtechnisch durch Beschleunigungsaufnehmer (Messschriebe) „sichtbar“ gemacht. Die Menge kritischer Kontaktstellen im Automotive-Bereich, an denen Störgeräusche entstehen können, erreicht die Gröenordnung von ca. 800 bis 1.000. Diese vorgenannten Kontaktstellen sind über das gesamte Produkt verteilt. Mit dieser Fülle kritischer Kontaktstellen an einem Pkw, welche bei der Analyse wiederum mit etwa 60 Kriterien pro Kontaktstelle zu Buche schlagen, wurde eine Komplexität erreicht, die zur Entstehung des SAL (Störgeräuschakustik-Assistent mit Analyse- und Lösungsfinder) führte. So, wie man den Ton eines Streichinstruments (Stick-slip-Effekt) von dem eines Klaviers (Aneinanderschlagen) unterscheidet, beinhalten auch die Störgeräusche Ursacheninformationen. Die Kenntnis über mögliche Kontaktstellenpartner beim Hören einer bestimmten Geräuschart kreist die Ursache des Störgeräuschs ein (Abb. 5.11, 5.12, 5.13 und 5.14). Die Richtungserkennung mit beiden Ohren hilft oft bei der groben Ermittlung des Störgeräusch-Entstehungsortes. Im Fahrzeug ist dies aber oft schwierig, da die Schallwellen mehrfach reflektiert werden und nicht eindeutig aus einer Richtung kommen. Oft wirken Fahrzeugteile auch als eine Art Telefon oder Resonator, die ganz woanders abstrahlen. Der Entstehungsort kann weit entfernt sein.
Abb. 5.11 Fehlerbild Differenzierung
5
Charakterisierung von Störgeräuschen
Abb. 5.12 Kontaktstellen-Katalog
Abb. 5.13 Audiovisuelle Lokalisierung
193
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K. F. Steinberg
5
Abb. 5.14 Lokalisierung von Störgeräuschen
Während sich einige Störgeräusche relativ leicht lokalisieren lassen, kommt bei der Jagd nach anderen das Ausschlussprinzip zum Einsatz. Das heit, es werden so lange Teile ausgebaut, bis das Geräusch verschwunden und auf diese Weise die Störquelle gefunden ist. Tabelle 5.1 zeigt eine Checkliste zur Lokalisierung des Ortes, an dem das Störgeräusch entsteht. Anschlagen Der Sto zwischen zwei sich unabhängig voneinander bewegenden Bauteilen wird „Anschlagen“ genannt. Die dabei vorherrschende Bewegungsrichtung ist senkrecht zur Bauteiloberfläche. Der Sto bewirkt zwei Effekte, die Schallemissionen zur Folge haben. Zum einen werden ein oder beide Körper zu Schwingungen angeregt, die wiederum an der Grenzschicht Körper/Luft in Luftschall umgewandelt werden. Zum anderen wird beim Kontakt Luft aus der Kontaktzone stoartig verdrängt. Diese Luftverdrängung stellt eine Dichtewelle und damit Luftschall dar. Je nach Beschaffenheit der Körper und ihrer Oberflächen treten verschiedene Geräusche auf. Körper mit hoher Eigendämpfung und hohem spezifischen Gewicht schwingen beispielsweise eher kurz und mit niedriger Frequenz als leichte Körper mit geringer Eigendämpfung. Je weicher die Oberflächen der Körper sind, desto geringer ist die Schallemission, da die Einleitung von Kräften durch die reduzierte Maximalamplitude verringert ist. Hemmungseffekt (ruckartiges Ablösen) Mit dem ruckartigen Ablösen wird ein Effekt bezeichnet, der beim Ablösen von Bauteilen mit adhäsiven Oberflächen auftritt (s. Abb. 5.15). Die vorherrschende Bewegungsrichtung ist dabei senkrecht von der betrachteten Bauteiloberfläche weggerichtet. Auf die Fügestelle zwischen beiden Körpern wird dabei eine Kraft aufgebracht.
5
195
Charakterisierung von Störgeräuschen
Tab. 5.1 Checkliste zur Lokalisierung des Störgeräuschfehlerorts Beschaffung benötigter Informationen
Zeichnungen, aktuelle Nacharbeitszahlen und Nacharbeitstätigkeiten zur Behebung des Fehlers
Systematische Eingrenzung und Findung des Fehlerortes durch geräuschbeeinflussende Manahmen Dokumentation der gezielten Geräuschmanipulation mittels Video Validierung der Ergebnisse am Vergleichsfahrzeug mit entsprechender Dokumentation Ermittlung der geräuschrelevanten Zusammenhänge und Parameter
Stützen, Halten, Zerlegen Komponentenweiser Wechsel Strukturierung nach Baugruppen und Schnittstellenthemen
Bewertung/Diskussion der Ergebnisse im ModulTeam mit allen Experten
Auf der Straenfahrt gem. Schritt a Auf dem Hydropuls gem. Schritt b Beschaffung der Detailzeichnungen Konstruktions-, Fertigungs- und Montagevorgaben, speziell Toleranzen CAD-Daten, Lokalisierung von Störgeräuschen Bei Kaufteilen Auditierung/Zusammenarbeit mit dem Systemlieferanten, Untersuchung (Auditierung) der Fertigung/Montage für diesen Bereich, Vermessung der geräuschrelevanten Parameter der Versuchsfahrzeuge im Vergleich zu einer Grundgesamtheit nicht auffälliger Fahrzeuge Behandlung der Problematik gemä Vorgehensweise, Manahmen festlegen, Verantwortliche festlegen, Störgeräusche entstehen nur bei Kontakt und Relativbewegung zweier Bestandteile oder Teile
Zunächst kann die Kraft aufgrund der Adhäsion aufgenommen werden. Ab einem bestimmten Grenzwert versagt die Fügestelle jedoch spontan, und die Körper werden ruckartig voneinander gelöst. Dabei werden ähnlich wie beim „Anschlagen“ sowohl Körperals auch Luftschall erzeugt. Die entstehenden Geräusche können mit „Knacken“ oder „Klicken“ bezeichnet werden. Um die Frage nach dem „Ursprung“ (Entstehungsort) so genannter Störgeräusche zu beantworten, wird im Automotive-Service viel Zeit und Geld
Abb. 5.15 Hemmungseffekt
196
K. F. Steinberg
englisch Ursache deutsch klappern
Spiel zwischen oberflächenharten Objekten, die durch eine bestimmte Anregung und gegebenen Freiheitsgraden, gegeneinander schlagen.
rattling, knocking
5 klirren
1Hz bis 100Hz
Stick-slip-Effekt, Materialpaarung ist in Kontakt während der Relativbewegung. Einzelanregungen können noch vom Ohr wahrgenommen werden.
creakig, grinding
knarzen
Anregung
Sehr harte Objekte schlagen mit höherer Frequenz als beim Klappern gegeneinander. Oft metallische Beteiligung.
clashing, jangling
1Hz bis 300Hz
2Hz
cracking
Störgeräusch Begriffe (Geräuschkatalog)
Mikrobruchvorgänge in spröden Materialien, Geräusch mit sehr hohen Frequenzanteilen, meist Verbundwerkstoffe, Nichtmetalle. Selten Schnittstellen- bzw. Kontaktstellen-Problem
knistern
Handschuhkasten-Deckel, Gurtschloss
2Hz bis 500Hz
Stick-slip-Effekt, Knacken kann als singuläres Knarzen aufgefasst werden. Flächenpressung meist höher als beim Knarzen; selten periodisch, meist stochastisch.
knacken
Beispiel am PKW
Leder/ Leder, Türverkleidung/ Lack
Blechteile
Kunststoff-Glaspaarung, Abgasanlage
niedrig
Papier, Sitze, Ablegeboden.
crackling
klicken
Typisch für Schalterbetätigung. Hohe Frequenzanteile durch harte Materialien. clicking
15Hz
Relais, Schlösser
Stick-slip-Effekt mit hohen Frequenzanteilen. Materialpaarung ist in Kontakt während der gleichförmigen oder periodischen Relativbewegung. Einzelanregungen können vom Ohr nicht mehr getrennt werden. I.d.R. Objekte mit mittlerer bis hoher Federsteifigkeit.
quietschen
500Hz bis >1000Hz
Bremsen, Türscharniere.
squeakig
klacken
Ähnlich wie klicken, jedoch mehr Resonanz und mit tieferfrequenten Anteilen. clacking
3.000 min−1 verschwimmen diese zu einem „Rauschen“. Nachteilig wirken sich Ventiltriebgeräusche auf Sound Design aus, da diese immer vorhanden sind, also auch im Schub, bilden sie somit einen permanenten Hintergrund. Zur Beherrschung bietet sich zuallererst die Reduzierung der inneren Kräfte (leichte Ventile, kleine Federkräfte, Nockenprofile mit moderaten Beschleunigungen, An- und Ablauframpen am Nockenprofil) und dann die Verhinderung der Abstrahlung an (schwingungsisolierte Ventilhauben, Werkstoffauswahl, Zusatzcover).
Abb. 6.2 Opel A20DTHMotor mit split gear im Nockenwellenantrieb
209
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
Abb. 6.3 Schmalbandschallleistungsspektrum eines 2,0 L Opel Dieselmotors, zwischen 3 und 6 kHz werden die Pegel um ca. 6–8 dB reduziert durch Einsatz der Scherenräder
split cam2cam gear, exhaust side
split gear for high pressure diesel fuel pump drive
Abb. 6.4 Nockenwellenantrieb Honda Accord i-CTDi Z 22 TDCR-Motor
Abb. 6.5 Gleich zwei split gear-Antriebe in einem Honda Accord i-CTDi Z 22 TDCR-Motor
210
K. Engel und B. Snitil
6.1.1.5 Ausgleichwellenantriebe
6
Üblich sind Zahnrad- oder Kettentriebe. Grundsätzlich gilt hier das im Kapitel Nockenwellenantrieb Gesagte. Kritisch sind vor allem die auf doppelte Kurbelwellendrehzahl übersetzenden Getriebe, klassisch ist hier der Lancaster-Ausgleich für 4-Zyl-Reihenmotoren. Pfeifgeräusche von Zahnradstufen treten hier nicht als reine tonale Komponenten auf, es sind in der Regel Seitenbänder vorhanden, da der Zahneingriff der natürlichen Drehungleichförmigkeit der Kurbelwelle ausgesetzt ist und die Unwuchtmassen die Wellen zu- bzw. auseinander verlagern. Das resultierende Geräuschbild hat einen sehr lästigen, wimmernden Charakter, der besonders in Schubphasen sich ins Ohr der Fahrgäste eingräbt und den Geräuschkomfort ruiniert.
6.1.1.6 Ölpumpen Die Ölpumpe bildet zusammen mit dem Nockenwellentrieb die wesentliche Quelle für Heul- und Pfeifgeräusche im Basismotor. Als Bauform treten neben den bisher eingesetz-
Abb. 6.6 Motorluftschall-Spektrogramm eines 4-Zylinderreihenmotors mit Ausgleichwellen
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
211
ten Zahnradpumpen zunehmend bedarfsgeregelte Konzepte auf, von denen man sich Verbrauchsvorteile verspricht. Neben dem direkten Antrieb der Ölpumpe durch die Kurbelwelle findet man über Kettentriebe entkoppelte Systeme integriert in den Ölsumpf. Auch die kombinierte Anwendung von „hang on balance shafts units“ mit in das System integrierter Ölpumpe setzt sich durch. Die kurzen Kettentriebe sind akustisch unkritisch, dennoch muss der angesprochenen Drehzahlverdopplung bei dieser Kombination seitens der Ölpumpenauslegung Rechnung getragen werden. Die gebräuchlichste Bauform bildet die Innenzahnradpumpe. Typische Zähnezahlen und damit Zahneingriffsordnung bewegen sich zwischen 6 und 12. Die Geräuschanregung erfolgt durch Wechselkräfte infolge Druckpulsation in Förderzone, im Zahneingriff und im Druckraum. Es gilt einen stetigen Druckanstieg ohne groe Druckspitzen sicherzustellen. Das Zahneingriffsverhalten wird neben der Profilauswahl durch die volumetrisch vertretbare Spielsituation bestimmt und bildet zusammen mit der Ausgestaltung der Druckniere die bestimmenden Konstruktionsparameter zur Reduzierung der Geräuschanregung auf Fluid- und Körperschallpfad. Bei den bedarfsgeregelten Varianten sei die Pendelschieberzellenpumpe und die Flügelzellenpumpe genannt. Die Anzahl der Kammern bestimmt die Ordnungszahl der Druckpulsation, der Volumenstrom wird bei diesem Wirkprinzip durch die Exzentrizität zwischen Hubring und des mit Lamellen besetzten Innenrotors eingestellt. Die Amplitude muss über die Ausgestaltung der Druckniere beherrscht werden. Die Lamellenkörper müssen in radialer Richtung der Exzentrizität folgen. Durch die Bewegungsumkehr können Rasselgeräusche im leerlaufnahen Bereich auftreten, die sich durch eine vorspannungsfreie Zwangsführung beherrschen lassen. Bemerkenswert ist darüber hinaus das Verkippen der Lamellen in ihren radialen Führungen, wodurch massive tonale Quietsch-Geräusche insbesondere im Zusammenspiel mit Torsionsschwingungen des Ölpumpenantriebs entstehen können.
6.1.1.7 Turbolader Abgasturbolader finden seit Ende der 70er Jahre Verwendung im PKW-Motorenbau und bilden die Grundlage heutiger Downsizing-Strategien. Die akustische Befriedung gelingt nur über einen Systemansatz unter Einbeziehung der Frischluft und Abgas führenden Teile. Turbolader regen eine Vielzahl tonaler und strömungsbedingter Geräusche an und können in der frühen Entwicklungsphase durchaus einen dampfmaschinenartigen Höreindruck hinterlassen. Wirkprinzipbedingt treten Laderdrehzahlproportionale Heulgeräusche (1. Ordnung) in Erscheinung: Ursache bildet die Restunwucht des Rotorsystems aus abgasseitig angetriebener Turbine und reinluftseitigem Kompressor zusammen mit Moden des Laders. Eine weitere Ursache bilden Pulsationen der Ladeluft hervorgerufen durch Geometriefehler des Verdichterrades.
212
K. Engel und B. Snitil
Tab. 6.1 Turbolader Störgeräusche Bezeichnung
Auftreten
Ursache
Unwucht
Heulgeräusch proportional Laderdrehfrequenz Heulgeräusch proportional Laderdrehfrequenz
Unwucht des Laderrotors
Pulsation
6
Schwankung im Liefergrad des Kompressorrades während einer Umdrehung Schaufelfrequenz Proportional dem Produkt aus Lader- „Drehklang“ drehfrequenz und Schaufelzahl Konstantton Nach Kaltstart Moden der Rotorlagerung Abriss der Strömung am Hiss-Noise oder Breitbandiges Rauschen nahe Kompressorrad pre surge der surge line (low end torque-Bereich) Let off Beim Gaswegnehmen unter Volllast Betriebspunkt jenseits der PumpSurge-Noise und Teillast grenze des Laders StrömungsrauGut reproduzierbar beim BeschleuZu hohe Strömungsgeschwinschen digkeiten, Strömungsablönigen im groem Gang sung an Umlenkungen und Querschnittsprüngen
Das Auftreten der Heulgeräusche ist verstärkt bei Dieselfahrzeugen gegenüber Ottomotoren zu beobachten. Eine Begründung ist in der leichteren Bauweise ohne Wasserkühlung zu suchen, der eine gewisse Empfindlichkeit gegenüber Unwuchtanregung nachgesagt wird. Eine Geräuschanregung durch die Schaufelzahlen ist nur im Lkw-Bereich von groer Bedeutung aufgrund der geringeren Laderdrehzahlen. Die Lagerung des Rotors kann insbesondere in der Warmlaufphase verstärkt zu Eigenmoden neigen, die über das Ladergehäuse abstrahlt werden und im warmen Betriebszustand verschwinden. Zisch-Geräusche (Hiss Noise oder pre surge) entstehen nahe der Pumpgrenze markiert durch die „Surge-Line“, die die linke Kennlinie im Kompressorkennfeld darstellt und den Strömungsabriss der zu fördernden Ladeluft markiert. Aus der Fahrsituation heraus können Pumpgeräusche (Surge) auftreten. Wird etwa aus dem Beschleunigen heraus das Gaspedal zurückgezogen, z. B. beim Umspringen der Ampel auf rot, so muss die komprimierte Ladeluft über die Betätigung eines Schubumluftventils auf die Niederdruckseite zurückgeführt werden. Andernfalls kommt es aufgrund des sich einstellenden Druckgefälles am Kompressor ebenfalls zum Strömungsabriss. In diesem Fall spricht man von so genanntem „let off surge“. Das Betätigen des Schubumluftventils bildet die laderinterne Gegenmanahme gegen „let off surge“. Hierbei können erhebliche Strömungsgeräusche entstehen, die insbesondere von Kunststoffteilen in der Ansaugung abgestrahlt werden können. Eine bewusste Ausgestaltung dieses Geräuschs ist auf die Tuning-Scene durch so genannte Blow-off oder Pop Off-Ventile beschränkt. Strömungsgeräusche treten auslegungsbedingt auf, der Wunsch nach frühzeitigem Drehmomentaufbau beschert bereits im unteren Motordrehzahlbereich eine stärkere Volumenstromzunahme. Auch unter Restriktionen des Bauraumes gilt es eine ablösefreie Aus-
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
213
gestaltung der luftführenden Teile auf Nieder- und Hochdruckseite zusammen mit einer ausreichenden Dämmung umzusetzen, im Bedarfsfall sichert nur der Einsatz von Sekundärmanahmen eine akzeptable Geräuschperformance.
6.1.1.8 Motorstruktur, passive Komponenten Die Modellierung der Geräuschentstehungskette von der Anregung, über die Übertragung bis zur Abstrahlung entsprechend der Grundgleichung der Maschinenakustik bildet die Basis für strukturmechanische Ansätze zur Optimierung der Motorkonstruktion. Bei den passiven Komponenten kann man auf die Strukturimpedanz an der Anregungsstelle, das modale Strukturverhalten und die Abstrahlfähigkeit fokussieren. Entsprechend dem in den einzelnen Entwicklungsstufen zur Verfügung stehenden Detaillierungsgrad kann der Einsatz der Entwicklungswerkzeuge variieren. Am Ende der vorwiegend wissensunterstützten Konzeptphase hat sich die Ausarbeitung verschiedener in die engere Auswahl gekommener Konzepte und eine Konzeptbewertung auf virtueller Ebene etabliert. Als besonders sinnvoll hat sich die Kombination aus einfachen Simulationsmodellen in der hardwarefreien Entwicklungsphase, abgesichert durch innovative experimentelle Verfahren in der nachgeschalteten Prototypenphase, erwiesen. Diese hybride Entwicklungsmethode kann bei sinnvoller Rollenverteilung erste schnelle Optimierungsansätze auf Grundlage von A/B-Vergleichen anhand einfacher Modelle etwa auf der Komponentenebene liefern. Die Abbildung der wahren Randbedingungen und aller Quellen sowie die Ermittlung der absoluten Schallleistungspegel von Komponenten und Gesamtmotor obliegt noch immer dem experimentellen Verfahren im geschleppten oder befeuerten Motorbetrieb. Das „Noise Source Ranking“, genauer gesagt die Hitliste der geräuschabstrahlenden Komponenten, gibt Aufschluss über das notwendige Optimierungsprogramm und ausstehende Potentiale. Die Werkstoffwahl für die Ausgestaltung einzelner passiver Motorkomponenten wird häufig durch das angestrebte Gesamtgewicht, prozess- und funktionsbedingte Argumente bestimmt. Elastizitätsmodul und spezifische Dichte lassen bei gleicher Steifigkeit keine Vorteile für den Einsatz von Aluminium erkennen. In akustischer Hinsicht führen Aluminium Konstruktionen die Negativ-Hitliste der Werkstoffe an. Der Gestaltung der Aluminium-Baugruppen ist somit besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Wandstärke und notwendige Verrippung brauchen die erzielten Gewichtseinsparungen teilweise wieder auf. Steife und schwere Komponenten treten in der Regel nicht in Erscheinung, z. B. Grauguss-Blöcke. Die Materialdämpfung der einzelnen Komponenten ist hier weniger von Bedeutung als man annehmen könnte, vielmehr gilt es die Strukturdämpfung an den Fügestellen zur Befriedung des gesamten Motorverbundes zu nutzen, diese kann Zehnerpotenzen über der Materialdämpfung liegen. Grundsätzlich sollten Bauteileigenfrequenzen aus dem Betriebsbereich hinausgeschoben werden durch entsprechend massive Versteifung. Für die Anregung durch die Zündfrequenz des Motors ist dies einfach sicherzustellen, weitaus schwieriger wird dies bei Quellen mit höherem Ordnungsinhalt.
214
K. Wolff
6.1.2 Getriebe Klaus Wolff, FEV Motorentechnik GmbH
6.1.2.1 Einleitung
6
In diesem Kapitel wird ein kurzer Überblick über die gängigsten im Pkw-Sektor eingesetzten Getriebetypen und deren Geräuschabstrahlung gegeben. Dazu wird zunächst auf die allgemeine Funktion des Getriebes im Antriebsstrang eingegangen, bevor die hauptsächlich zum Einsatz kommenden Pkw-Getriebetypen und deren Applikationsvarianten beschrieben werden. Des Weiteren werden die gängigsten Geräuschphänomene im Pkw-Getriebe bezüglich ihrer Entstehung und Ursache, Analyse und Bewertung sowie möglicher Optimierungsansätze beschrieben. Die Hauptfunktion des Getriebes im Pkw-Antriebsstrang lässt sich vereinfachend als Verbindungsglied zwischen Verbrennungsmotor und Antriebsrädern beschreiben, das das Anfahren sowie die Drehzahl- und Drehmomentanpassung an verschiedene Fahrzustände ermöglicht. Die im Pkw-Sektor hauptsächlich eingesetzten Otto- und Dieselmotoren mit ihrer zyklischen Verbrennung bieten den Vorteil eines niedrigen Leistungsgewichts bei geringem Platzbedarf und vergleichsweise gutem Wirkungsgrad. Dem gegenüber stehen jedoch Nachteile wie fehlender Drehmomentaufbau beim Anfahren (Motordrehzahl 0), ein eng begrenztes Drehzahlband mit maximaler Motorleistung sowie eine starke Abhängigkeit des Kraftstoffverbrauchs vom Betriebspunkt des Motors. Das Getriebe übernimmt im Pkw-Antriebsstrang die Funktion der Drehzahl- und Drehmomentwandlung, um im Fahrzeug günstige Verbrauchs- und Fahrleistungsbetriebspunkte des Verbrennungsmotors realisieren zu können. Durch die Wahl der Übersetzungsverhältnisse der einzelnen Gänge erfolgt in gewissen Grenzen die Abstimmung der Fahrleistungen (Beschleunigung, maximale Geschwindigkeit) und des Verbrauchs. Mit zunehmender Anzahl der Gänge nähert man sich immer mehr dem Optimum einer gelungenen Kombination aus Fahrleistungen und Verbrauch. Den Idealfall stellt hier das stufenlose CVT3-Getriebe dar.
6.1.2.2 Getriebetypen Im Folgenden werden die im Pkw-Bereich am häufigsten eingesetzten Getriebetypen und ihre Besonderheiten kurz beschrieben. Die Verteilung der unterschiedlichen Getriebetypen ist sehr stark vom jeweiligen Pkw-Markt abhängig. So unterscheiden sich die Märkte der Pkw-Getriebe in Europa, Japan und der NAFTA4-Region deutlich in ihrer Zusammensetzung (Naunheimer et al. 2007). In Europa dominiert der Anteil der Handschaltgetriebe 3 4
Continuously Variable Transmission North American Free Trade Agreement
215
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
Hybrid
CVT
100% 3 AT
4 AT
5 AT
6/7/8 AT 6/7/8 DCT 5/6/7 AMT
5 MT
50%
6 MT 4 MT
0% 1985
1990
1995
2000
2005
2010
2015
Abb. 6.7 Trends für den Einsatz von Pkw-Getrieben in Europa (Stand 2005). (Naunheimer et al. 2007)
deutlich vor Automatikgetrieben während in Japan und der NAFTA der Anteil der Automatikgetriebe den Automobilmarkt dominiert. Abbildung 6.7 zeigt exemplarisch den Trend für den Einsatz von Pkw-Getrieben in Europa für die vergangenen und kommenden Jahrzehnte. Die Bauartenvielfalt an PkwGetrieben hat im letzten Jahrzehnt stetig zugenommen, was unter anderem auf den starken Trend der Individualisierung von Automarken und den damit verbundenen neuen Fahrzeugklassen zurückgeführt werden kann. Neben den klassischen Handschalt- (MT – Manual Transmission) und Automatikgetrieben (AT – Automatic Transmission) gewinnen automatisierte Handschalter (AMT – Automated Manual Transmission), Doppelkupplungsgetriebe (DCT – Double Clutch Transmission) sowie stufenlose Getriebe (CVT – Continuously Variable Transmission) immer mehr Marktanteile. Neben der eigentlichen Grundfunktion des Getriebes rücken durch die starke Differenzierung auch immer stärker Imageaspekte des betroffenen Fahrzeugsegmentes und auch der Fahrzeugmarke mit in den Vordergrund. Zum Beispiel werden mit dem Einsatz von Doppelkupplungsgetrieben eher sportliche Fahrzeuge in Verbindung gebracht. Handschaltgetriebe und automatisierte Handschaltgetriebe Handschaltgetriebe sind die in Europa zurzeit am häufigsten im Pkw-Bereich eingesetzten Getriebe, deren Dominanz auch in Zukunft erhalten bleiben wird. Die groen Vorteile des Handschaltgetriebes liegen in der kostengünstigen Produktion und dem geringen Gewicht, welches insbesondere im Rahmen der Verbrauchs- und CO2-Diskussion eine wichtige Rolle spielt. Der gröte Nachteil der Handschaltgetriebe liegt in der prinzipbedingten Zugkraftunterbrechung während des Schaltvorganges. Bei automatisierten Handschaltgetrieben wird der Gangwechsel als auch der Schaltkuppelvorgang durch Aktuatoren ausgeführt. Diese Getriebe verbinden die Wirkungsgrad-
216
6
K. Wolff
vorteile von Handschaltgetrieben mit den Bedienungskomfortvorteilen vollautomatischer Getriebe. Des Weiteren wird die Entwicklung von Schaltgetrieben mit mehr als sechs Vorwärtsgängen möglich, die trotzdem durch den Fahrer manuell oder auch vollautomatisch bedient werden können. Der Nachteil der Zugkraftunterbrechung bei Schaltgetrieben lässt sich bei automatisierten Handschaltgetrieben durch kürzere Schaltzeiten zwar deutlich reduzieren aber nicht vollständig eliminieren. Der klassische Aufbau eines Handschaltgetriebes besteht aus der Eingangswelle, der Vorgelege- und evtl. weiterer Seitenwellen sowie der Ausgangswelle. Zwei- und DreiWellengetriebe mit fünf oder sechs Vorwärtsgängen sind Standard. Ausnahmen bilden Vier-Wellengetriebe, die aufgrund ihres verkürzten Bauraumes jedoch nur in speziellen Anwendungen zum Einsatz kommen, z. B. Ford Focus ST. Auf den Wellen sind aufeinander abkämmende Zahnräder gelagert, die im Pkw-Bereich ausschlielich als Schrägverzahnung ausgeführt sind, um auftretende Heulgeräusche zu minimieren. Es werden ein-, zwei- und mehrstufige Getriebe unterschieden, wobei eine Stufe als Zahnradpaar verstanden werden kann und dem Leistungsfluss von einer Welle auf die nächste Welle entspricht. Ein Zahnradpaar setzt sich üblicherweise aus einem Fest- und einem Losrad zusammen. Die Losräder einzelner Gangstufen werden über Schaltklauen kraftschlüssig mit der Welle verbunden und ermöglichen so den Kraftfluss zwischen den Wellen. Bei allen Zahnradpaarungen, die sich nicht im Kraftfluss befinden, kann sich das Losrad frei auf der jeweiligen Welle drehen. Die Losteile im Getriebe, wie Losräder oder Synchronringe, können durch ihre Eigendynamik im Getriebe Rasselgeräusche verursachen. Automatikgetriebe mit Wandlerautomatik Automatikgetriebe mit Wandlerautomatik und bis zu acht Vorwärtsgängen kommen in Europa hauptsächlich in Mittel- und Oberklassenfahrzeugen zum Einsatz. Neben den Komfortaspekten zum Beispiel beim Anfahren zeichnen sich Automatikgetriebe durch ihre automatische Schaltung ohne Zugkraftunterbrechung aus. Das konventionelle Stufenautomatgetriebe besteht aus einem hydrodynamischen Drehmomentwandler, der gleichzeitig auch die Kupplungsfunktion übernimmt, und einem oder mehreren nachgeschalteten Planetenradsätzen. Planetengetriebe bieten den Vorteil, bereits mit nur einem einzelnen Radsatz eine Vielzahl von möglichen Übersetzungen realisieren zu können. Ein häufig in Automatikgetrieben eingesetzter Radsatz ist der Ravigneaux-Planetenradsatz, der auch als reduziertes Planetengetriebe bezeichnet wird. In diesem Planetengetriebe sind konstruktiv Teile einfacher Planetenradsätze zusammengefasst, wodurch sich eine sehr kompakte Bauform realisieren lässt (Loomann 1996). Durch das In-Reihe-Schalten mehrerer Planetenradsätze lassen sich somit eine groe Anzahl an Gängen in vergleichsweise kompakter Bauform realisieren. Als Beispiel zeigt Abb. 6.8 einen Acht-Gang-Stufenautomaten (8HP 70 von ZF Getriebe) mit vier in Reihe geschalteten Planetenradsätzen. Zur Schaltung der verschiedenen Gangstufen werden bei einem Automatengetriebe Kupplungen und Bremsen benötigt, die ihrerseits einen wesentlichen Anteil am Bauraum benötigen. Die Ansteuerung der Bremsen und Kupplungen erfolgt hydraulisch mittels Drucköl, das von einer Ölpumpe bereitgestellt werden muss. Im Gegensatz zum Handschaltgetriebe erfolgt die Leistungsübertragung nicht allein durch das Abwälzen von Zahnrädern, sondern auch durch die Zahnmitnahme. Heulgeräusche, wie bei Handschaltgetrieben, verursacht durch das Abwälzen der Zahnräder, treten auch bei
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
Radsatz 1 Radsatz 2 Radsatz 3
217
Bremse B Bremse A
Radsatz 4
Kupplung D Kupplung C
Antrieb Flügelzellenpumpe
Kupplung E
Abb. 6.8 Acht-Gang-Stufenautomat. (Scherer et al. 2008)
Automatengetrieben auf, während Rasselgeräusche aufgrund von Losteilschwingungen nicht auftreten können. Eine Sonderform unter den Automatikgetrieben sind die Pkw-Hybridantriebe auf Basis von Planetenradsätzen. Hierbei erfolgt die Kopplung von Elektromotor und Verbrennungsmotor über die Radsätze mit unterschiedlichsten Schaltstrategien. Hybridantriebe werden im Wesentlichen in Mikro-, Mild- und Vollhybride unterschieden (Vahlensieck 2005). Die Unterteilung spiegelt im Wesentlichen die Leistung des Elektromotors und die damit verbundene Funktionalität wider, die von Start-Stopp bis hin zu reinem elektrischen Fahren reicht. Heulgeräusche aus den Rädertrieben können im reinen elektrischen Fahrbetrieb aufgrund des niedrigeren Gesamtgeräuschniveaus kritischer sein als im Betrieb mit Verbrennungsmotor. Doppelkupplungsgetriebe (DKG, DSG, DCT)5 Das Doppelkupplungsgetriebe soll die Wirkungsgradvorteile eines Handschaltgetriebes mit den Vorteilen des konventionellen Automatikgetriebes bzgl. Komfort beim Anfahren oder automatisches Schalten ohne Zugkraftunterbrechung in Bezug auf Sportlichkeit und Fahrdynamik vereinen. Es kann als Zusammensetzung von zwei voneinander unabhängigen Teilgetrieben verstanden werden. Die Teilgetriebe ihrerseits sind mit dem Aufbau und der Funktionalität eines Handschaltgetriebes vergleichbar. Dabei sind die geraden und ungeraden Gänge jeweils einem Teilgetriebe zugeordnet. Jedes der beiden Teilgetriebe ist über eine eigene Kupplung mit dem Verbrennungsmotor verbunden, so dass der Kraftfluss vom Motor direkt auf das erste oder zweite Getriebe geleitet werden kann. 5
Deutsch: DKG (Doppelkupplungsgetriebe), englisch: DSG (Direct Shift Gearbox) oder DCT (Dual Clutch Transmission)
218
K. Wolff
Filtersystem
6 Radsatz
Doppelkupplung und Drehschwingungsdämpfer
Mechatronik
Abb. 6.9 Doppelkupplungsgetriebe. (Copyright GETRAG FORD Transmissions GmbH)
Die Aufteilung benachbarter Gangstufen auf zwei unabhängige Getriebe und die beiden Kupplungen ermöglichen das Schalten benachbarter Gänge ohne Zugkraftunterbrechung. Das bedeutet, dass in einem Teilgetriebe schon der nächst höhere oder niedrigere Gang eingelegt werden kann, während der Kraftfluss über das jeweils andere Getriebe läuft. Über das automatische Betätigen der beiden Kupplungen wird dann ohne Zugkraftunterbrechung der Gangwechsel vollzogen. Abbildung 6.9 zeigt als Beispiel ein Sechs-Gang-Doppelkupplungsgetriebe (6DCT470 PowerShift® von GETRAG). Bauartbedingt gibt es eine Hohlwelle und eine dünne Vollwelle als Eingangswelle für das jeweilige Teilgetriebe, wodurch sich die Steifigkeiten der Wellen im Vergleich zu einem konventionellen Handschaltgetriebe verringern. Heulgeräusche wie bei Handschaltern oder Automatikgetrieben, die durch die Verzahnung verursacht werden, ebenso wie Rasselgeräusche treten auch in einem Doppelkupplungsgetriebe auf. Stufenlos variable Getriebe (CVT) Das stufenlos variable Getriebe wird auch als CVT (Continuously Variable Transmission)-Getriebe bezeichnet. Im Gegensatz zu den diskreten Gangstufen eines herkömmlichen Schaltgetriebes kann das Leistungsangebot des Verbrennungsmotors innerhalb des Übersetzungsverhältnisses optimal ausgenutzt werden. Somit lässt sich der Verbrennungsmotor sowohl in verbrauchs- als auch in leistungsoptimalen Betriebspunkten betreiben. CVT-Pkw-Getriebe besitzen in Europa nur einen sehr geringen Marktanteil, während zum Beispiel die Verbreitung auf dem japanischen Markt deutlich gröer ist, insbesondere im Kleinwagensektor. Die in Serien-Pkw eingesetzten stufenlosen Getriebe sind nahezu
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
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ausschlielich Umschlingungsgetriebe. Das zentrale Element des Umschlingungsgetriebes ist der Variator, der aus zwei Kegelradpaaren und der Kette besteht. Über die umlaufende Kette wird die Leistung übertragen. Die Kegelräder sind axial verschiebbar, wodurch die Kette auf unterschiedlichen Kegelraddurchmessern umläuft. Die Übersetzung kann damit stufenlos im Bereich der wirksamen Kegelraddurchmesser variiert werden. Besondere Bedeutung kommt in einem CVT-Getriebe der Regelung des Anpressdruckes der Kegelräder zu. Ein zu hoher Anpressdruck führt zu Wirkungsgradverlusten, während ein zu niedriger Anpressdruck das Durchrutschen der Kette und damit im Extremfall die Zerstörung des Getriebes verursachen kann. Zur Leistungsübertragung kommen Zuggliederketten oder Schubgliederbänder, auch unter dem Begriff Schubgliederkette bekannt, zum Einsatz. Zuggliederketten weisen bauartbedingt den besseren Wirkungsgrad auf und können gröere Momente übertragen. Daher werden in CVT-Getrieben zur Übertragung hoher Leistungen hauptsächlich Zuggliederketten eingesetzt. Bei geringerer Anforderung an die Leistungsübertragung, zum Beispiel auf dem japanischen Kleinwagensektor, kommen dagegen Schubgliederbänder zum Einsatz. Sie weisen eine geringere Geräuschanregung in Bezug auf den „Eingriffssto“ auf, der bei CVT-Getrieben mit Umschlingungsgetriebe kritisch sein kann. Die Eingriffstöe der Kettenglieder können zu einem auffälligen Heulgeräusch führen. In der Vorgelegestufe kann es auch beim CVT-Getriebe zu Rassel-Problemen kommen.
6.1.2.3 Getriebeapplikation im Antriebsstrang Die in 6.1.2.2 beschriebenen Pkw-Getriebetypen kommen in unterschiedlichster Bauform im Pkw-Bereich zum Einsatz. Aus der Anordnung im Antriebsstrang leitet sich die Getriebeapplikation ab, während der zur Verfügung stehende Bauraum die Bauform des Getriebes stark beeinflusst. Die beschriebenen Getriebetypen lassen sich in die folgenden Applikationen im Antriebsstrang unterteilen: Quermotor mit Getriebe vorn, Antrieb vorn → klassisches Fronttrieb-Konzept Längsmotor mit Getriebe vorn, Antrieb hinten → klassisches Hecktrieb-Konzept Längsmotor mit Getriebe vorn, Antrieb vorn Längsmotor mit Getriebe hinten, Antrieb hinten → Transaxle-Getriebeapplikation: Diese Applikation kommt bei sehr sportlichen Fahrzeugen zum Einsatz, um die Gewichtsverteilung im Fahrzeug zu optimieren. • Quer- oder Längsmotor mit Getriebe vorn, Antrieb vorn und hinten → klassisches Allradantrieb-Konzept. Ein Fronttrieb- oder Längstrieb-Konzept wird mit einem zusätzlichen Abtrieb erweitert, um die zweite Fahrzeugachse mit anzutreiben. • • • •
6.1.2.4 Getriebeakustik In diesem Abschnitt werden für die vorher beschriebenen Getriebetypen die wichtigsten Geräuschphänomene vorgestellt. Dazu werden neben den beteiligten Komponenten die
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K. Wolff
Ursachen und Effekte beschrieben, sowie ein kurzer Überblick über gängige Signalanalysen und die Bewertung des Geräuschphänomens gegeben. Abschlieend werden mögliche Lösungsansätze zur Optimierung des Geräuschs erläutert. Zunächst erfolgt eine kurze Einführung in die Getriebeakustik und die Vorstellung von Methoden zur Optimierung im Versuchs- und CAE-Bereich.
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Einführung in die Getriebeakustik Der Geräuschpegel von Getrieben liegt typischer Weise 10 bis 20 dB unterhalb des Geräuschpegels des mit dem Getriebe verbundenen Verbrennungsmotors und steigt mit der Drehzahl der Getriebeeingangswelle an. Die Geräuschverteilung in einem Motor-Getriebe-Verbund beträgt ca. 70 % Motor- zu 30 % Getriebeanteil. Aus diesem signifikanten Abstand der Geräuschanteile wird deutlich, dass es sich vorwiegend um Qualitäts- und weniger um Pegel-Probleme handelt. Die für das Fahrzeuginnengeräusch relevanten Getriebegeräusche sind das tonale Heulen und das impulsartige Rasseln. Weitere Geräuschphänomene wie Mahlgeräusche in den Wälzlagern oder Schaltgeräusche können ebenfalls auftreten, sind aber nicht typisch und spielen somit nur eine untergeordnete Rolle (Fechler et al. 2002, Pischinger et al. 1999). Die steigenden Komfortansprüche der Kunden haben in der Vergangenheit zu einer stetigen Reduzierung des Fahrzeuginnengeräusches durch primäre Manahmen auf der Motorseite und sekundäre Manahmen auf der Karosserieseite geführt. Da das abgestrahlte Motorgeräusch meist frei von tonalen Geräuschanteilen ist, können insbesondere tonale Geräusche, wie das Getriebeheulen, für den Kunden in den Fokus rücken und zu Beanstandungen führen. Die Bewertung des Fahrzeuginnengeräusches aus Kundensicht, insbesondere in Bezug auf die Geräuschqualität, ist daher zur Beurteilung und Optimierung von Getriebegeräuschen besonders wichtig. Methoden zur Getriebegeräuschoptimierung im Versuchs- und CAE-Bereich Die Methoden zur Optimierung des Getriebegeräusches lassen sich grob in den Versuchsbereich mit Untersuchungen am Komponentenprüfstand oder direkt im Fahrzeug und den CAEbasierten Bereich mit Simulationen zur Struktur- und Laufzeugoptimierung unterteilen. Im Versuchsbereich werden Luft- und Körperschallmessungen durchgeführt, um die Relevanz des Getriebegeräusches für das Fahrzeuginnengeräusch zu bewerten. Fahrzeugmessungen bieten hierbei den Vorteil, dass das Gesamtsystem aus Antrieb bzw. Anregung und Karosserie bzw. Übertragungsverhalten vorhanden ist und bewertet werden kann. Sowohl Anregung als auch Übertragungsverhalten werden jeweils in einen Luftschall- und einen Körperschallanteil unterteilt. Damit lassen sich Optimierungsmanahmen ableiten, die sich speziell auf die Anregung und/oder auf den Übertragungspfad beziehen. Akustische Messungen auf dem Komponentenprüfstand können dagegen nicht direkt bezüglich ihrer Relevanz für das Fahrzeuginnengeräusch bewertet werden, weil sowohl die reale Anregung durch den Verbrennungsmotor als auch das Übertragungsverhalten der Karosserie fehlen. Daher gewinnen Methoden zur Vorausberechnung von Fahrzeuginnengeräuschen, wie sie in (Eisele et al. 2005) beschreiben sind, immer stärker an Bedeutung. Bei diesen Methoden wird die am Prüfstand ermittelte Luft- und Körperschallanregung mit entsprechenden Übertragungsfunktionen gewichtet. Das Ergebnis ist ein berechneter Getriebegeräuschanteil am Fahrzeuginnengeräusch, der wiederum vergleichbar zu den Fahrzeugmessungen bewertet werden kann. Optimierungsmanahmen am Komponentenprüfstand beziehen sich in erster Linie auf Struktur- und Laufzeugoptimierungen.
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
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Neben den praktischen Untersuchungen am Komponentenprüfstand oder im Fahrzeug werden CAE-Methoden wie Finite-Elemente-Methode (FEM) und Mehrkörpersimulation (MKS) zur akustischen Optimierung von Getrieben eingesetzt. Mittels FEM-Analysen werden Optimierungen der Gehäusestruktur durchführt. Dazu wird das Getriebe durch ein Finite-Elemente-Modell abgebildet, wie es als Beispiel in Abb. 6.10 auf der linken Seite dargestellt ist. Das FEM-Modell wird in den Wellenlagern mit charakteristischen Anregungsspektren beaufschlagt, und eine Forced-Response-Analyse im Frequenzbereich liefert anschlieend als Ergebnis die Verschiebungen der schallabstrahlenden Oberflächen. Diese komplexen Oberflächenverschiebungen werden in Schnellequadrate umgerechnet und über die gesamte Getriebeoberfläche aufsummiert. Das Ergebnis ist ein Ma für die Schallabstrahlung der Getriebestruktur. Abbildung 6.10 zeigt im rechten Bild ein Beispiel für eine Schnelleverteilung auf der Oberfläche eines Getriebes. Auffälligkeiten aus der Frequenzanalyse können so frühzeitig analysiert und Optimierungen mittels weiterer Variationsrechnungen auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden. Bei der akustischen Optimierung des Laufzeuges mittels MKS-Rechnungen wird der nichtlineare Kontakt der Verzahnung im Hinblick auf Rassel- und Heulphänomene untersucht. Für die Analyse der Rasselsensitivität wird dem MKS-Modell die durch den Verbrennungsmotor verursachte Drehungleichförmigkeit (DU), bezogen auf die Getriebeeingangswelle, aufgeprägt. Zur Auswertung werden die Impulshaltigkeit der Zahnkontaktkräfte und die Lagerreaktionen der Wellen analysiert. Kommt es hierbei zu signifikanten Überhöhungen der Impulshaltigkeit einzelner Zahnkontaktkräfte, liegt eine erhöhte Rasselsensitivität vor. Eine schlichte Detektion von Spieldurchläufen ist nicht zielführend, da diese permanent an den Losrädern auftreten. Die DU als anregende Kraft kann für die Analyse von Heuleffekten in Stufengetrieben vernachlässigt werden, dafür muss jedoch die Zahn(rad)steifigkeit in Abhängigkeit des Kontaktpunktes berücksichtigt werden. Die Analyse des Getriebeheulens fokussiert sich auf die Verzahnungsordnung des eingelegten Ganges in den Wellenlagerreaktionskräften. Die Bewertung erfolgt anhand von Zielwertkurven für die jeweilige Verzahnungsordnung.
Abb. 6.10 Links: FEM-Modell einer Getriebeschottwand mit Optimierungsmanahmen Rechts: Oberflächenschnelleverteilung als Ergebnis einer FEM-Simulation
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6.1.2.5 Getriebegeräuschphänomene Bei der akustischen Untersuchung von Getriebegeräuschen werden im Wesentlichen die beiden Phänomene Heulen und Rasseln unterschieden als jene bauartbedingten Geräusche, die am typischsten zu Komfortproblemen führen. Die folgenden Beschreibungen erklären die Ursachen und nennen wichtige Stellhebel zur Optimierung. Auf weitere Geräuschphänomene wie Schalt- oder Mahlgeräusche wird anschlieend kurz eingegangen, sie treten eher selten auf und sind auf fehlerhafte Ausführungen oder Schäden zurückzuführen.
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Heulen Bei jedem Zahnradgetriebe treten systembedingt tonale Geräuschphänomene auf, die durch Schwingungen belasteter Zahnräder aufgrund von Parametererregung, Eingriffstöen und Abwälzgeräuschen verursacht werden. Idealerweise treten diese drehzahlproportionalen Geräusche mit der Zahneingriffsfrequenz des eingelegten Ganges oder deren höheren harmonischen Schwingungen auf. In der Literatur ist eine Einteilung von Heuleffekten in Stufengetrieben in Abhängigkeit ihrer Frequenzlage bekannt. Demnach wird für niedrige Drehzahlen in Heulen und für hohe Drehzahlen in Pfeifen unterschieden. Aufgrund von Fertigungs- und Betriebsfehlern können auch Seitenbänder zu den Zahneingriffsfrequenzen auftreten, die sich in diskreten Abständen der Modulationsfrequenz wiederholen. In der Theorie der Verzahnungsgeometrie wird davon ausgegangen, dass zwei rotationssymmetrische Körper in einer gemeinsamen Wälzebene schlupffrei und somit formschlüssig aufeinander abwälzen. Mit dieser theoretischen und idealen Sichtweise sollte der Eingriff der Zähne kinematisch auf einer gemeinsamen Tangente bei konstanter Winkelgeschwindigkeit erfolgen und somit keine Stoanregung verursachen. Der Berührpunkt zweier Zahnflanken bewegt sich dabei während des gesamten Eingriffs auf dem „Kontaktpfad“, bis er das kopfseitige Ende der Zahnflanke erreicht hat und dann auf der Tangente wieder ausläuft. In der Realität besitzen Zahnradzähne jedoch eine endliche, zeitlich veränderliche Elastizität und verursachen damit eine Abweichung des Zahneingriffverlaufs von den idealen Vorstellungen. Dies verursacht dynamische Kräfte im Zahneingriff, die als Parametererregung bezeichnet wird und eine Anregungsquelle für den Heuleffekt darstellt. Die dynamischen Kräfte können die übertragenen statischen Kräfte um ein vielfaches übersteigen. Die statischen Kräfte ergeben sich aus dem Moment, welches antriebsseitig in das Zahnradgetriebe eingeleitet und über die im Eingriff befindlichen Zähne auf die Abtriebsseite geleitet wird. Zwischen den Zähnen verursacht das Moment eine Kraft, die als statische Kraft bezeichnet wird (Bader 2006). Eine weitere Ursache für die Schwingungsanregung belasteter Zahnräder stellen die Eingriffsstöe dar, wobei hier zwischen Stöen in den lastfreien Bereichen, wie zum Beispiel zwischen Fest- und Losrad, und Stöen im Lastbetrieb unterschieden werden muss. Der Eingriffssto unter Lastbedingungen ist die Folge der Verlagerung der Zähne unter Last aufgrund ihrer veränderlichen Elastizität um die Zahnwurzel. Die Verformung des Zahnes verursacht eine Verdrehung des treibenden gegenüber dem getriebenen Zahnrad, wodurch Abweichungen vom idealen Zahneingriffsverlauf verursacht werden. Vernachlässigbar ist im diesem Zusammenhang der Austrittsto mit seiner wesentlich geringeren Impulsanregung. Hierbei führt der austretende Zahn freie Schwingungen mit seiner Eigenfrequenz aus, die für das Fahrzeuginnengeräusch nicht relevant ist.
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
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Die Anregung durch Verzahnungsfehler oder -schäden lässt sich auf fertigungs- oder montagebedingte Abweichungen der Verzahnung von dem idealen Zahnprofil zurückführen. Diese Fehler werden auch als verteilte Fehler bezeichnet, da sie über den Zahnradumfang gleichmäig verteilt sind. Zu diesen Fehlern zählen zum Beispiel Flanken- und Formfehler, Teilungs- und Eingriffswinkelfehler oder auch montagebedingte Rundlauffehler. Die herstellungsbedingten Fehler können auch so genannte „Geisterordnungen“ verursachen, die wie die Zahneingriffsordnung zwar drehzahlproportional sind, jedoch nicht in einem ganzzahligen Verhältnis zur Zähnezahl stehen. Das Heulgeräusch ist in den meisten Fällen resonanzbehaftet. Es tritt also nur bei bestimmten Frequenzen und damit auch nur bestimmten Drehzahlen oder Fahrzeuggeschwindigkeiten (Differentialheulen) in den Vordergrund. Der Grund für die Frequenzabhängigkeit liegt in dem frequenzabhängigen Übertragungsverhalten und/oder in den Torsions- und Biegeeigenfrequenzen der Wellen. Die Analyse der Heul- und Pfeifgeräusche aufgrund der Zahneingriffsfrequenz bezieht sich im Wesentlichen auf die Analyse der tonalen Geräuscheffekte bzw. deren Anteile am Gesamtgeräusch. Dazu werden zum Beispiel Frequenz- und Ordnungsanalysen durchgeführt, die sich auf die Zahneingriffsfrequenz sowie deren Harmonische beziehen. Des Weiteren werden Analysen zur Bewertung des tonalen Charakters der Zahneingriffsordnung in Bezug auf das Gesamtgeräusch und spezieller Frequenzbandpegel ausgeführt. Da der Geräuscheffekt Heulen primär die Geräuschqualität aus der Sicht des Kunden beeinflusst, werden insbesondere im Bereich der akustischen Fahrzeuguntersuchungen subjektive Bewertungen vorgenommen. Bei akustischen Untersuchungen am Komponentenprüfstand wird üblicherweise die Differenz zwischen abgestrahltem Gesamtgeräusch und dem Niveau der Zahneingriffsordnung bewertet, um eine Aussage über mögliche Probleme im Fahrzeug zu treffen. Nachteilig wirkt sich bei den Prüfstandsmessungen das Fehlen des Übertragungsverhaltens von Motor-Getriebe-Lagerung und der Karosserie aus, um zielgerichtet entwickeln zu können. Jedoch können auch die auf dem Komponentenprüfstand ermittelten Getriebegeräusche unter Berücksichtigung der Luft- und Körperschalltransferfunktionen bis in den Fahrzeuginnenraum prognostiziert werden. Als Beispiel ist in Abb. 6.11 auf der linken Seite das aus Prüfstandsmessungen berechnete und auf das Fahrzeuginnengeräusch bezogene Getriebegeräusch in Form eines Campbell-Diagramms dargestellt. Deutlich zu erkennen sind die schräg durch das Diagramm laufenden Ordnungspegel der Zahneingriffsordnung für das Differential und den eingelegten Gang sowie deren höhere Harmonische. Diese Ordnungspegel können nun anhand von Zielkurven bewertet werden, wie sie als Beispiel rechts in Abb. 6.11 dargestellt sind. Die Zielkurve orientiert sich ihrerseits am Fahrzeuginnengeräuschniveau und berücksichtigt so die jeweilige Fahrzeugklasse bzw. die Ansprüche des Kunden. Zur Reduzierung der Heul- bzw. Pfeifgeräusche bei stirnradgetriebenen Fahrzeuggetrieben können die Optimierungsmanahmen in fertigungstechnische sowie konstruktive Manahmen unterteilt werden. Auf der fertigungstechnischen Seite können Optimierungen von Teilungs- und sonstigen Geometriefehlern zu einer Reduzierung des Getriebeheulens führen. Weiteres Potential zur Reduzierung des Heulgeräusches bietet die Verbesserung der Oberflächengüte. Allen fertigungstechnischen Manahmen gemein ist die Tatsache, dass der Rahmen, in dem sich die fertigungstechnische Güte steigern lässt, sehr begrenzt
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Transmission Noise Estimation of Interior Noise Relevance Level
Frequency [Hz]
Sound Pressure Level L [dBA]
FEV-Scatterband Mid-Class-Gasoline (9 Vehicles)
l) eve
ll L
a ver rve Cu ise (O o get Tar rior N Inte
15 dB
el) Lev e urv (Sum C get vel Tar er Le Ord
2000 3000 4000 5000 el 1000 Tr ac Engine Speed n [rpm] kin g
ev
6
rL de Or
Engine speed [rpm]
[dB]
Ordnungspegelverlauf der Zahneingriffsordnung
5 dB
Coasting
6000
Abb. 6.11 Links: Simulierter Getriebegeräuschanteil am Fahrzeuginnengeräusch Rechts: Zielwertdefinition für die Anregung durch die Zahneingriffsordnungen. (Steffens et al. 2008)
ist. Ein weiterer Nachteil sind die mit zunehmender Fertigungsqualität stark ansteigenden Produktionskosten. Die konstruktiven Manahmen zur Reduzierung des Getriebeheulens lassen sich in die Optimierung des Laufzeuges, wie Zahnräder und Wellen, sowie die Optimierung der Gehäusestruktur unterteilen. Zu den konstruktiven Manahmen am Laufzeug zählt unter anderem die Optimierung des Überdeckungsgrads der im Eingriff befindlichen Zähne. Die Auslegung bzw. Optimierung des Zahnprofils ist dabei ein weiterer Punkt, der zu berücksichtigen ist. Die Optimierung der Biege- und Torsionssteifigkeit der Getriebewellen bietet weiteres Potential zur Reduzierung von Heuleffekten, da die Eigendynamik der Wellen reduziert wird und somit ein möglichst optimaler Zahneingriff gewährleistet werden kann. Die konstruktiven Manahmen an der Getriebegehäusestruktur beziehen sich typischer Weise auf die Verrippung und Konturierung groer Oberflächen, um den Abstrahlgrad der Gehäuseoberfläche zu optimieren. Manahmen im Inneren des Gehäuses beziehen sich auf die Auslegung der Wandstärke von Schottwänden im Hinblick auf eine günstige Eingangsimpedanz. Hierbei soll die Übertragung der Anregung aus den Wälzlagern, in denen die Getriebewellen gelagert sind, auf die Gehäusestruktur minimiert werden. Rasseln Neben dem Getriebeheulen können Rasselgeräusche bei stirnradverzahnten Stufengetrieben ein Komfortproblem im Fahrzeuginnengeräusch darstellen. In der Literatur wird je nach Betriebsbedingung noch zusätzlich in Klappern/Rasseln im Leerlaufbetrieb und in Rasseln im Zug- und Schubbetrieb sowie Rasseln im Kriechbetrieb (geringe Last und Drehzahl) unterschieden. Rasseln entsteht, wenn unbelastete Komponenten auf den Getriebewellen, wie Losräder, Synchronringe oder Schiebemuffen, zu Schwingungen angeregt werden, bei denen diese Komponenten ihr funktionsbedingtes Spiel durchlaufen. Beim anschlieenden Aufeinandertreffen der unbelasteten Komponenten auf ihre entsprechenden wellenfesten Gegenkomponenten entstehen lastfreie Stöe. Die durch Synchronringe und Schiebemuffen verursachten Stöe weisen im Vergleich zu den in den Verzahnungen auftretenden Stöen eine deutlich geringere Intensität auf und sind somit in
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
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Bezug auf Komfortprobleme im Fahrzeuginnengeräusch eher zu vernachlässigen (Novak et al. 2008). Als Ursachen der Schwingungsanregung der unbelasteten Komponenten sind die vom Verbrennungsmotor über die Getriebeeingangswelle in das Getriebe übertragenen Drehschwingungen sowie die durch den Antriebsstrang in das Getriebe induzierten Torsionsschwingungen im Resonanzbereich des Antriebsstrangs zu nennen. Die Drehschwingungen des Motors werden einerseits durch diskontinuierliche Verbrennungsvorgänge verursacht, die zu einem periodisch schwankenden Drehmoment an der Kurbelwelle führen. Andererseits beeinflussen auch unausgeglichene Motormassen die Drehbewegung der Kurbelwelle. Die Resultierende aus diesen Gas- und Massenkräften ist der gleichförmigen Drehbewegung der Kurbelwelle überlagert und führt zur DU bzw. Drehschwingung. Beim Vier-Zylinder-Motor wirkt die Gaskraft der Massenkraft der zweiten Motorordnung entgegen, dadurch wird die Drehungleichförmigkeit im unteren Drehzahlbereich durch die Gaskraft und im oberen Bereich durch die Massenkraft bestimmt. Im mittleren Drehzahlbereich heben sich Gas- und Massenkraft der zweiten Ordnung auf, so dass hier die DU gering ist. In den letzten 20 Jahren konnte durch den Einsatz des Zweimassenschwungrades, welches die DU des Verbrennungsmotors nahezu eliminiert, die Einleitung der Torsionsschwingungen in das Getriebe ausreichend vermieden werden. Der Trend zur Zunahme der Zylinderdrücke durch Aufladung, die geringere Zylinderzahl im Zuge von Downsizing-Konzepten sowie Manahmen zur Verbrauchsoptimierung oder Abgasemissionsreduzierung verursachen jedoch einen starken Anstieg der DU. Heutige Vier-Zylinder-Motoren dringen in Leistungs- und Drehmomentenregionen vor, die früher nur Sechs-Zylinder-Motoren vorbehalten waren und verschärfen somit die Anregungsproblematik der DU. Vier-Zylinder-Motoren sind in diesem Zusammenhang prinzipiell kritischer zu beurteilen als Sechs-Zylinder Motoren, da bei gleichem quasistatischem Drehmoment die Wechselmomentanregung des Vier-Zylinder Motors deutlich gröer ist. Hinzu kommt, dass die Erregerfrequenz bei gleicher Drehzahl aufgrund der geringeren Zylinderzahl niedriger liegt und somit kritischer zu bewerten ist. Häufig erreichen die Rasselgeräusche des Getriebes erst dann ein unakzeptables Niveau, wenn Torsionseigenfrequenzen des Antriebsstrangs die eigentliche Anregung durch den Verbrennungsmotor verstärken. Dabei stellt der gesamte Antriebsstrang, vom Schwungrad bis zum Reifen, ein resonanzbehaftetes Schwingungssystem dar, welches durch Trägheiten, Torsionssteifigkeiten und Dämpfung der Subsysteme verändert werden kann. Typischer Weise treten die kritischen Antriebsstrangresonanzen in einem Drehzahlbereich von 1.000 bis 2.500 1/min auf. Die Analyse von Klapper- oder Rasselgeräuschen im Fahrzeuginnenraum erfolgt im Wesentlichen durch Subjektivbeurteilungen und durch geeignete Auswertungen von Messungen. Da es sich hier, wie beim Getriebeheulen, eher um Komfortprobleme handelt, ist eine reine Betrachtung des Gesamtgeräuschniveaus nicht zielführend. Neben der subjektiven Geräuschbeurteilung werden auch Kennzahlen zur objektiven Bewertung des Geräuschphänomens eingesetzt, wie sie in (Pischinger et al. 2006) beschrieben sind, um die Relevanz des Geräuschs beurteilen zu können. Des Weiteren erfolgen Analysen der auftretenden Stöe und deren Impulse im Zeit- und Frequenzbereich. Die impulsartige Anregung der Stöe im Zeitbereich verursacht im Frequenzbereich eine breitbandige
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10k
1k 500 200 100
Rasseln KS_Getriebe_vom
6
1000
1500 2500 Motordrehzahl [1/min]
Frequenz [Hz]
2k
Modulationsfrequenz (doppelte Zündordnung)
50 50
150 Modulationsfrequenz [Hz]
Frequenz [Hz]
10k 8k 6k 5k 4k 3k 2.4k 2k 1.6k 1.2k 1k 800 600
5k
200
Abb. 6.12 Links: Frequenzanalyse eines Rasseleffektes aus einem Körperschallsignal, Rechts: Modulationsspektrum des Körperschallsignals
Frequenzantwort, die typischer Weise in einem Frequenzbereich von 1 bis 4 kHz liegt und mit der Frequenz der ersten oder zweiten Zündordnung moduliert. Diese Impulsfrequenz ergibt sich aus dem Aufeinanderschlagen der Zahnflanken im Takt der DU (erste Zündordnung) mit zwei Kontakten pro Periode bei jedem Wechsel der Umfangsbeschleunigung. Abbildung 6.12 zeigt auf der linken Seite das Frequenzspektrum einer Körperschallmessung bei dem Rasseln deutlich in einem breitbandigen Frequenzbereich um 2.000 1/min zu erkennen ist. Auf der rechten Seite ist ein Modulationsspektrum dargestellt, in dem die breitbandige Frequenzanregung mit der Modulationsfrequenz der doppelten Zündordnung erkennbar ist. Die experimentelle Analyse von Rasselgeräuschen wird auch an Getriebekomponentenprüfständen durchgeführt. Dabei wird primär die Sensitivität des Getriebes bzw. seiner Losteile bezüglich ihrer Rasselneigung untersucht. Als Antrieb können beispielsweise Elektromotoren dienen, die bei entsprechender Ansteuerung die DU eines Verbrennungsmotors simulieren. Durch das Erhöhen der DU bei konstanter Antriebsdrehzahl wird ein Betriebszustand provoziert, bei dem die eingeleitete Torsionsschwingung die Losteile zu entsprechenden Schwingungen anregt. Kommt es aufgrund der Schwingungsanregung zu Stöen zwischen den Los- und Festrädern, kann dies in einem deutlichen Anstieg der Luftund Körperschallabstrahlung gemessen werden. Somit lässt sich die Rasselsensitivität des Getriebes isoliert beurteilen und optimieren, unabhängig von den Einflussgröen Motor, Schwungrad und Antriebswellen. Eine Übersicht der Optimierungsmöglichkeiten aufgeteilt in die verschiedenen physikalischen Wirkprinzipien zeigt Abb. 6.13. Die Möglichkeiten zur Optimierung von Rasselund Klappergeräuschen lassen sich in ihre physikalischen Wirkprinzipien Anregung und Weiterleitung unterteilen. Die Anregung kann zum einen durch die Reduktion der DU und zum anderen durch die Verringerung der Kraftimpulse der Losräder erreicht werden. Eine Reduzierung der DU kann durch eine verbesserte Drehschwingungsentkopplung zwischen Motor und Getriebe erreicht werden. Einen Meilenstein in der Entkopplung brachte vor ca. 20 Jahren der Einsatz des Zweimassenschwungrades. Seit kurzem wird diese Technologie mit dem Prinzip des Fliehkraftpendels kombiniert, wodurch eine weitere Reduktion
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Optimierungsmöglichkeiten
physk.Prinzip
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
Anregung Anregungsimpuls
Drehungleichförmigkeit
Isolation Getriebe mit Kupplung: - EMS - ZMS - ZMS+FKP - Kupplung -… Getriebe mit Wandler: - Schlupf - TSD einfach - TSD zweifach - TSD + FKP -…
Weiterleitung
Reso-ATS
Konstruktion
Dämpfung
- Wellensteifigkeiten - Trägheiten - Drehtilger
- Anzahl LR - Anordnung LR - Trägheit LR - Zahnspiel - Axialspiel -…
- Ölviskosität - Öltemp. - Materialdämpfung (Werkstoffverbundzahnräder) -…
EMS: Einmassenschwungrad ZMS: Zweimassenschwungrad FKP: Fliehkraftpendel (drehzahladaptiver Tilger) TSD: Torsionsdämpfer LR: Losräder
Innerhalb d. Getriebes
Außerhalb d. Getriebes
- GehäuseStrukturSteifigkeit - Dämpfung - Wälzlager -…
- (Teil-)Kapsel -…
TSD einfach: TSD mit einer Torsionsfeder TSD zweifach: TSD mit zwei in Reihe geschalteten Torsionsfedern TSD + FKP: Torsionsdämpfer kombiniert mit Fliehkraftpendel
Abb. 6.13 Optimierungsmöglichkeiten zur Reduzierung des Rasselgeräusches aufgeteilt nach ihren physikalischen Prinzipien
der DU von 50 % und mehr erreicht wird. Die Manahmen auf der Antriebsstrangseite beziehen sich im Wesentlichen auf die Optimierung der Torsionsschwingungsresonanzen. Optimierungsansätze ergeben sich dabei sowohl in Bezug auf die Eigenfrequenzlage als auch in Bezug auf die Anregungsamplitude. Typische antriebsstrangseitige Optimierungsmanahmen sind die Änderung der Torsionssteifigkeit der Antriebswellen, Schwingungstilger etc. Die Manahmen zur Reduzierung der Stoimpulse zielen im Wesentlichen darauf ab, die Bewegungsfreiheit der Losteile innerhalb ihrer systembedingten Spiele einzuschränken. Insbesondere die durch die Schwingungen der Losräder verursachten Impulse sollen somit reduziert werden. Hierzu wird die Auslegung des Losrades bezüglich seiner geometrischen Daten optimiert. Dazu zählen zum Beispiel Durchmesser, Massenträgheit, Masse, Schrägungswinkel und Übersetzungsverhältnis zum Festrad. Weiteres Potential zur Reduzierung der Rasselgeräuschanregung bietet eine optimale Abstimmung von Verdrehflanken- und Axialspiel. Die sekundären Manahmen zur Reduktion der Schallabstrahlung bzw. deren Weiterleitung in den Fahrzeuginnenraum umfassen typischerweise Kapselmanahmen direkt am Getriebegehäuse oder zusätzliche Dämmmanahmen auf der Karosserieseite. Nachteilig an diesen Manahmen sind die zusätzlichen Kosten sowie der steigende Kraftstoffverbrauch aufgrund des zusätzlichen Gewichts. Mahl- und Schaltgeräusche Geräuschphänomene, die als Schalt- oder Mahlgeräusche beschrieben werden, treten eher selten auf und zählen nicht zu den typisch bzw. systembedingt vorkommenden Getriebegeräuschen. Sie treten meistens getriebespezifisch auf und sind zum Beispiel auf eine fehlerhafte Ausführung oder Komponentenschäden zurückzuführen.
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6
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Mahlgeräusche werden üblicher Weise auch als Lagergeräusch umschrieben, wie sie als Laufgeräusch von Wälzlagern auftreten, die die verschiedenen Getriebewellen im Getriebegehäuse lagern. Werden diese Geräusche so auffällig, dass sie beanstandet werden, ist das typischerweise ein Hinweis auf einen mechanischen Defekt des Wälzlagers, der auch zu einem kompletten Versagen des Bauteils führen kann. Mechanische Defekte sind zum Beispiel Materialausbrüche (Pittings) in der Laufbahn der Wälzkörper, die zu einer entsprechenden Geräuschanregung führen. Mit zunehmender Laufzeit nehmen die Schäden und Fehler weiter zu, wodurch auch die Geräuschanregung zunimmt. Durch den Austausch des defekten Wälzlagers lässt sich diese Geräuschanregung beheben. Schaltgeräusche können systembedingt aus der äueren oder inneren Schaltung resultieren. Dabei berücksichtigt die äuere Schaltung alle Komponenten auerhalb des Getriebegehäuses, während die innere Schaltung alle Schaltelemente im Inneren des Getriebegehäuses umfasst. In der Literatur werden Schaltgeräusche als Kratzen und Ratschen beschrieben und sind der inneren Schaltung zugeordnet. Diese Geräusche entstehen durch fehlerhaft ausgeführte Schaltvorgänge innerhalb der Schaltverzahnung. Durch konstruktive Optimierungsmanahmen der Synchroneinheit können diese Geräuschphänomene eliminiert oder zumindest reduziert werden. Bei automatisierten Schaltgetrieben kann es aufgrund der sehr schnellen Schaltvorgänge, im Vergleich zum Schaltvorgang von Hand, zu Schaltgeräuschen in Form von Schaltimpulsen bei der Gangsynchronisation kommen. Diese lassen sich jedoch durch einen zeitlich optimierten Schaltvorgang soweit reduzieren, dass die Geräuschanregung nicht mehr als störend empfunden wird.
6.1.3 Ansaugung Rainer Handel, MAHLE Filtersysteme GmbH
6.1.3.1 Aufbau des Ansaugsystems Die Hauptaufgabe des Ansaugsystems ist, dem Motor in allen Betriebspunkten und Fahrsituationen ausreichend Frischluft für die Verbrennung zuzuführen. Im Allgemeinen besteht es aus dem Rohluftkanal, dem Luftfilter, der die angesaugte Luft von Partikeln reinigt, dem Reinluftkanal und dem Saugmodul, das die Luft auf die einzelnen Zylinder verteilt. Um möglichst kühle Luft abzugreifen, wird der Lufteinlass vorzugsweise an die Fahrzeugfront, z. B. neben den Scheinwerfern, oberhalb des Kühlers oder ins Radhaus verlegt. Eine groe Herausforderung für den Ingenieur ist, die Luftführungskanäle unter Berücksichtigung der Bauraumvorgaben mit minimalem Strömungswiderstand durch den Motorraum zu legen, damit eine hohe Motorleistung bzw. ein geringer Kraftstoffverbrauch erreicht werden kann. Abbildung 6.14 zeigt beispielhaft den Ansaugtrakt des Audi V6 3.2 l FSI Saugmotors, die Luftführung ist durch die blauen Pfeile dargestellt. Bei aufgeladenen Motoren erweitert sich das Ansaugsystem um zusätzlich durchströmte Komponenten. Zwischen den Reinluftkanal und dem Saugmodul werden der Verdichter, die heie Hochdruckleitung, der nachgeschaltete Ladeluftkühler und die kalte Hochdruckleitung in die Ansaugluftführung integriert.
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
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Abb. 6.14 Ansaugsystem des Audi V6 3.2 l FSI mit Saugrohrlängenschaltung
6.1.3.2 Akustisches Verhalten des Ansaugsystems Die durch Druckpulsationen während des Ladungswechsels erzeugten Schallwellen breiten sich durch den Ansaugtrakt gegen die Strömungsrichtung aus. Dabei regen sie die Oberflächen der im Laufweg befindlichen Komponenten zu Schwingungen an. Die übrige Schallenergie tritt direkt aus der Ansaugöffnung aus und wird als Mündungsschall bezeichnet. Sowohl die Oberflächenabstrahlung als auch der Mündungsschall kann mageblich zum Innenraumgeräusch oder zum Auengeräusch (Vorbeifahrt) beitragen. Die Charakteristik des Ansauggeräusches wird durch die Saugmodulgeometrie bestimmt. Bei symmetrischen Bauformen, d. h. gleiche akustische Lauflängen über die jeweiligen Saugrohre und den Luftsammler, werden durch Interferenzen die Pegel der jeweiligen Hauptmotorordnungen verstärkt und die Nebenmotorordnungen ausgelöscht. Wird die Symmetrie gestört, kommen die Nebenordnungen stärker zur Geltung. Dies erzeugt einen raueren Klang, der vor allem bei sportlichen Fahrzeugen erwünscht sein kann. Wie dieses Geräusch vom Austritt aus dem Saugmodul bis zur Ansaugmündung gedämpft bzw. verändert wird, ist durch die geometrische Auslegung des Ansaugtrakts vorgegeben. Das Luftfiltervolumen beispielsweise wirkt als Expansionsdämpfer und führt oberhalb der ersten Resonanzfrequenz des Systems zu einer breitbandigen Absenkung des Mündungspegels. Die Längen der Kanäle vor und nach dem Luftfilter bestimmen die Frequenzlage der Rohrresonanzen, welche zu groen Schallpegeln führen und störend sein können. In der Regel sollen Roh- und Reinluftseite unterschiedliche Längen haben, wobei es vorteilhaft ist, die Dämpfungseinbrüche auf Frequenzen abzustimmen, die in dem Anregungssignal weniger stark vertreten sind. Falls diese Basisauslegung das angestrebte Akustikverhalten nicht erreicht, kann der Frequenzverlauf mit gezielt ausgelegten Resonatoren (s. Abschn. 6.1.3.4) weiter optimiert werden. Bei aufgeladenen Motoren kommen weitere Aspekte hinzu. Zum einen verändern die in die Luftführung zusätzlich integrierten Komponenten Verdichter und Ladeluftkühler durch ihre Dämpfungswirkung den Charakter des Verbrennungsgeräusches und die markanten Hauptmotorordnungen treten im Mündungsgeräusch weniger definiert auf. Zum
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6
R. Handel
anderen werden neue störende Schallanteile induziert. Strömungsablösungen am Verdichterrad erzeugen ein breitbandiges, höherfrequentes Rauschen, während Unwuchten zusätzliche Töne – das so genannte Turboheulen – bewirken können. Deshalb kommen bei aufgeladenen Systemen eher Hochfrequenzmanahmen zum Einsatz. Oberflächenschwingungen durch Druckanregung treten i. d. R. bei Komponenten mit hoher Nachgiebigkeit auf, z. B. Luftfilteroberflächen oder Elastomerschläuche. Die fehlende Steifigkeit dieser Bauteile muss durch geeignete Manahmen (s. Abschn. 6.1.3.4) kompensiert werden. Im Allgemeinen ist es vorteilhaft, Resonatoren nah an den Schallquellen zu positionieren. Zum einen wirken Mündungsschallmanahmen an Stellen hoher Druckamplituden effektiver, zum anderen treten dadurch kritische Oberflächenschwingungen im weiteren Luftführungsverlauf nicht oder nur geschwächt auf.
6.1.3.3 Auslegung und Abstimmung Targets Die Akustik-Entwicklung eines Ansaugsystems beginnt im Allgemeinen mit der Erstellung von Entwicklungstargets. Solche Ziel- oder Grenzwerte für Einzelkomponenten oder für das Gesamtsystem basieren meist auf den Erfahrungen aus Vorgänger- oder Vergleichsprojekten. Häufig betrachtet werden beispielsweise: • • • •
Die dynamische Steifigkeit von Bauteiloberflächen Die Schallabstrahlung von Bauteiloberflächen Die Einleitung von Körperschall in die Fahrzeugkarosserie Der Gesamtpegel, die Höhe einzelner Motorordnungen oder auch einzelner Terzen/ Oktaven für die Ansaugmündung(en) sowie für verschiedene Positionen des Fahrzeuginnenraums. Hierfür werden Grenzwerte für Drehzahlhochläufe in verschiedenen Lastzuständen definiert.
Schwerer in Targets zu fassen sind psychoakustische Phänomene. Daher gehört zu einer Akustik-Entwicklung in nicht unerheblichem Ma auch eine subjektive Bewertung am Motor bzw. im Fahrzeug. Die Akustik der Ansauganlage muss ins Gesamtfahrzeugkonzept passen. Numerische Simulation Als Berechnungsmethoden für Ansaugakustik haben sich unter anderem folgende Verfahren etabliert: • Für schnelle Mündungsschallvorhersagen sind 1D-Solver interessant. Die Ausbreitung der Druckwellen wird über hintereinander geschaltete Transfermatrizen, die jeweils einem Bauteil zugeordnet sind, berechnet. Übertragungsfunktionen lassen sich mit dieser Methode ohne groen Zeitaufwand bestimmen. Da in manchen Solvern nicht nur die Ansaugung, sondern das Komplettsystem mit Motor inklusive Anregung und Abgastrakt abgebildet wird, kann man sogar das Ansauggeräusch über einen Motorhochlauf simulieren. Unter anderem kann dieses Verfahren jedoch keine akustischen Quermodes abbilden, deshalb nimmt die Genauigkeit bei höheren Frequenzen stark ab. • Ein für die Ansaugakustik hervorragend geeignetes Simulationsverfahren ist die 3DFEM/BEM Berechnung. Vorteile gegen über 1D-Methoden sind die höhere Genauigkeit, die Möglichkeit, auftretende Druckwellen zu visualisieren und die Fähigkeit,
231
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
9 8
Frequenz [Hz]
7 6 5 4 3 2 1 Drehzahl [U/min]
Schalldruckpegel [dB(A)]
10
Schalldruckpegel [dB(A)]
12 11
overall, calculation overall, measurement 2.order, calculation 2.order, measurement Drehzahl [U/min]
Abb. 6.15 Simulierter Motorhochlauf: Mündungsgeräusch (links) und Vergleich zur Messung (rechts)
die Wechselwirkung zwischen Luftschall und Strukturschwingungen zu betrachten. Über diese so genannte Fluid-Struktur-Interaktion können gleichzeitig Vorhersagen für Mündungs- und Oberflächenschall, die im Auenraum auch miteinander interferieren können, getroffen werden. Die Beschränkung auf lineare Akustik im Frequenzraum ermöglicht die vollständige Berechnung eines Motorhochlaufes mit der für Messungen typischen Auflösung innerhalb weniger Stunden. Die Anzahl virtueller Mikrofonpositionen für die Auswertung ist dabei beliebig (siehe Abb. 6.15 und 6.16). Nachteile der hier beschriebenen FEM/BEM-Methode sind der höhere Modellierungsaufwand und die vorgenommene Beschränkung auf lineare Akustik. • Ein bisher kommerziell nicht erhältlicher FEM-Solver6 kann zusätzlich zum oben beschriebenen Verfahren die Schallwellenausbreitung in einem strömenden Medium beschreiben. Diese bereits an Prüfständen validierte Methode benötigt zusätzlich Ergebnisse aus stationären CFD-Berechnungen als Input. • Obwohl transiente CFD-Berechnungen (FV- und LB-Verfahren) im Moment noch zu zeitintensiv sind, um in der Komponentenentwicklung eingesetzt zu werden, können diese Verfahren in der Zukunft eine bedeutende Rolle einnehmen. Vor allem das Lattice-BoltzmannVerfahren wird zu einem groen Genauigkeitssprung für die akustische Vorhersage führen, da neben Nichtlinearitäten (Stowellen) auch akustische Quellen abgebildet werden.
Abb. 6.16 Berechnete Druckwellen im Auenraum 6
Interne Software der Firma MAHLE
232
6
R. Handel
Tab. 6.2 Beurteilungsmöglichkeiten der einzelnen Prüfverfahren Komponentenprüfung ohne Motoranregung Lautsprecherprüfstand Akustisches Dämpfungsverhalten der Komponente/Strecke Impulshammer Dynamisches Verhalten der Struktur einer Komponente Modalshaker Dynamisches und modales Verhalten der Struktur einer Komponente Shaker Dynamisches und modales Verhalten der Struktur einer Komponente in realer Einbausituation mit zusätzlicher Temperaturüberlagerung Komponentenprüfung mit Motoranregung Geschleppter Motorprüfstand Erste Bewertung der Oberflächenabstrahlung und des Mündungsschalls Befeuerter Motorprüfstand Bewertung der Oberflächenabstrahlung und des Mündungsschalls hinsichtlich der Komponentenzielerfüllung Fahrzeuguntersuchungen Fahrzeug auf Rollenprüfstand Ermittlung des Bauteileinflusses auf den Innenraum und Möglichkeit der Trennung hinsichtlich Quelle und Übertragung (Oberflächenabstrahlung, Körperschalleinleitung und Mündungsschall) Fahrzeug auf Testgelände Subjektive Beurteilung des Innenraumgeräusches unter realen Fahrbedingungen und Ermittlung des Einflusses der Ansaugluftführung bei der beschleunigten Vorbeifahrt Fahrzeug auf Strae Subjektive Beurteilung des Innenraumgeräusches unter realen Fahrbedingungen
Versuche Zur Bestimmung des akustischen Verhaltens der Ansaugkomponenten werden je nach Reifegrad der Entwicklung unterschiedliche Messverfahren und Prüfstände eingesetzt. Hierbei wird zwischen der Komponentenprüfung und der Messung im Fahrzeug unterschieden. Die Komponentenprüfung selbst kann in Messungen mit und ohne Motoranregung unterschieden werden. Im akustischen Entwicklungsablauf ändert sich der Versuchsschwerpunkt von Komponentenprüfungen hin zu Fahrzeugbewertungen, welche am Ende der Entwicklung in der subjektiven Beurteilung des Fahrzeugs auf der Strae oder auf dem Testgelände münden. In Tab. 6.2 werden die Messverfahren kategorisiert und ihre akustischen Aussagemöglichkeiten dargestellt.
6.1.3.4 Akustikmaßnahmen Mündungsschall Der Mündungsschall setzt sich aus den tonalen Ordnungsanteilen und breitbandigen Rauschanteilen zusammen. Bei Saugmotoren überwiegen die tonalen
233
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
Frequenz [Hz] 10
100
1000
10000
Helmholtzresonator λ/4-Rohr Umwegrohr Spaltresonator Lochkammerresonator Schaumauskleidung poröser Gewebeschlauch Venturidüse
Abb. 6.17 Einsatzspektrum von Akustikmanahmen
Anteile der Hauptordnungen, während es beim aufgeladenen Motor hauptsächlich höherfrequente Rauschanteile sind, die den Gesamtschalldruckpegel bestimmen. Je nach Frequenzbereich und Breitbandigkeit des störenden Geräuschanteils werden zur Reduktion des Mündungsschalls unterschiedliche Akustikmanahmen eingesetzt. In Abb. 6.17 sind Beispiele von Akustikmanamen und deren Einsatzfrequenzbereiche dargestellt. Für schmalbandige tonale Geräuschphänomene im unteren Frequenzbereich werden hauptsächlich Helmholtzresonatoren im Nebenschluss und Pfeifenresonatoren (sog. λ/4-Rohre) eingesetzt. Zur Reduktion von breitbandigen Geräuschanteilen werden neben einer absorbierenden Auskleidung des Luftfiltergehäuses auch sogenannte Breitbandresonatoren genutzt, welche aus mehreren hintereinandergeschalteten Lochkammer- oder Spaltresonatoren bestehen. Oberflächenabstrahlung Unter Oberflächenabstrahlung versteht man den von einer Struktur abgestrahlten Schall. Bestimmende Gröen hierbei sind das Material, die Temperatur und die Geometrie. Das verwendete Bauteilmaterial muss für den jeweiligen Einsatz temperatur- und medienbeständig sein, die Auswahl wird nach Steifigkeit, Dämpfungsverhalten, Designanforderungen und Kosten vorgenommen. Ist das Material festgelegt, kann eine Optimierung des Abstrahlverhaltens, z. B. durch Verringerungen der Schwingungsamplituden bzw. Frequenzverschiebungen, nur durch Modifikationen der Bauteilgeometrie erreicht werden. Der Priorität ihrer Umsetzung nach sind dies: • • • •
Ebene Flächen mit einem Radius ausführen (beidseitige Bombierung) Verrippung (Kreuz-, Längs- oder Querverrippung) Zuganker Erhöhung der Wandstärke oder Einsatz von Schwingungstilgern.
234
R. Handel
Nicht immer ist eine komplette Elimination des Oberflächenschalls gewünscht. Vielmehr eröffnet sich durch eine gezielte geometrische Ausführung einer oder mehrerer Bauteilflächen die Möglichkeit, den Sound im Innenraum positiv mitzugestalten.
6
Körperschall Um Einleitung von Körperschall von Motor bzw. Karosserie in die Komponenten der Ansaugluftführung zu verhindern, werden Entkopplungselemente eingesetzt. Dies können einfache Auflagepuffer sein oder auch Verschraubungen, zwischen denen das jeweilige Bauteil über Elastomere schwimmend gelagert ist. Ein möglicher Körperschallpfad über die Leitungen kann verhindert werden, indem man einen Abschnitt durch Verwendung von weichem Material, bzw. nachgiebiger Geometrie (Faltenbalg), elastisch auslegt. Diese Manahme ermöglicht auch den nötigen Bewegungsausgleich zwischen motor- und fahrzeugfesten Komponenten und vereinfacht die Montage. Add-On Systeme Immer komplexere Fahrzeugantriebe mit einer Vielzahl von Zusatzaggregaten und Anbauteilen begrenzen die Designmöglichkeiten des Ansauggeräusches. Aufgeladene Motoren beispielsweise weisen Verdichter-spezifische Geräuschkomponenten auf, die sich nicht ohne weiteres in jedes Gesamtakustikkonzept integrieren lassen. Andererseits fehlen gerade diesen Motoren aufgrund der hohen Dämpfung der Ladeluftstrecke häufig markante ordnungshaltige Anteile des Ansauggeräusches. Zusätzliche Systeme, sog. Add-On-Systeme, erlauben eine Kompensation solcher Defizite. Es wird zwischen Systemen unterschieden, die aktiv oder passiv arbeiten. Active Noise Control (ANC) Aktive Systeme bieten die Möglichkeit, sowohl störende Geräusche mit Hilfe von gegenphasigem Schall zu eliminieren als auch gezielt zusätzliche Geräuschanteile zu erzeugen. Diese Systeme nutzen Mikrofonsignale, die in einem separaten Steuergerät verarbeitet werden und entsprechend über Lautsprecher oder lautsprecherähnliche Schallquellen abgegeben werden (s. Abschn. 6.1.4.3). Passive Systeme Im Gegensatz zu den ANC-Systemen nutzen passive Systeme die Schallenergie des Motors, die aus der Ansaugleitung über ein Resonanzvolumen mit integrierter Membran in Richtung Fahrzeuginnenraum gelenkt wird. Beispiel für ein solches passives System ist das Motor-Soundsystem.7 Hauptkomponente ist der Soundgenerator (Abb. 6.18). Er besteht aus nur drei Teilen: einem Gehäuse, einer gasdicht verschweiten Membran und einem Deckel. Die Membran entspricht einem Feder-Masse-System, bei dem der versteifte Boden (Masse) auf dem weichen Faltenbalg (Feder) schwingt, und kann dank der speziellen geometrischen Gestaltung auch an aufgeladenen Motoren eingesetzt werden. Das Motor-Soundsystem entfaltet seine Wirkung vor allem bei geöffneter Drosselklappe, beispielsweise bei einem Zwischenspurt auf der Landstrae. Durch gezielte Abstimmung können manche Frequenzbereiche des abgestrahlten Geräuschs betont, andere ausgeblendet werden (Abb. 6.19). So entsteht ein Soundeindruck, der vom Fahrer als besonders angenehm oder auch als besonders aggressiv empfunden wird – je nach Philosophie des Fahrzeugherstellers.
7
Patentiertes System der Firma MAHLE
235
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
Abb. 6.18 Komponenten des Soundgenerators
Gehäuse
Membrane
Deckel
8
8
7
7
6 5 4 3
6 5 4 3
2
2
1
1
Motordrehzahl [1/min]
Schalldruckpegel [dB(A)]l
mit mit Motor Motor Sound Sound System System
Frequenz [Hz]
Frequenz [Hz]
ohne ohne Motor Motor Sound Sound System System
Motordrehzahl [1/min]
Abb. 6.19 Messung im Fahrzeug-Innenraum ohne ( links) und mit Motor-Soundsystem ( rechts)
6.1.4 Abgasanlage Jan Krüger, J. Eberspächer GmbH & Co. KG
6.1.4.1 Grundsätzlicher Aufbau Die Abgasanlage übernimmt am Verbrennungsmotor im Kraftfahrzeug folgende Aufgaben: • Wegführung der durch den Verbrennungsprozess entstehenden heien Abgase vom Motor ins Freie, • Reinigung des Abgases von schädlichen chemischen Verbindungen und Partikeln zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen,
236
Abb. 6.20 Einflutiges Abgassystem für ein Fahrzeug mit 4-Zylinder-Benzinmotor
J. Krüger
Katalysator
Nachschalldämpfer
Mittelschalldämpfer
• Dämpfung des Abgasgeräusches auf das gesetzliche Mindestma (ECE Regulation 51) und darüber hinaus Gestaltung im Sinne des vom Kunden gewünschten Sound Designs.
6
Zur Erreichung dieser Funktionalität bestehen Abgasanlagen je nach Motor- und Fahrzeugtyp aus den folgenden Komponenten: • Abgaskrümmer zur Zusammenfassung der aus den Zylindern des Motors ausströmenden Abgasen, • Abgasturbolader (ATL) zum Antrieb eines Aufladesystems, • Katalysatoren und Partikelfiltern zur Abgasreinigung, • Vor-, Mittel- und Endschalldämpfern zur Minderung des Abgasgeräusches, • Verrohrung zur Abgasführung und • Endrohren zum Auslass des Abgases in die Umgebung. In vielen Dieselmotoren wird zudem eine Abgasrückführung (AGR) vorgenommen. Dazu wird am Krümmer (Hochdruck AGR), manchmal auch nach dem Partikelfilter (Niederdruck AGR), ein Abzweig zum Ansaugsystem eingebaut. In diesem Abzweig wird über das AGR-Ventil die Menge des entnommenen Abgases gesteuert. Das konkrete Layout der Abgasanlage hängt vom Fahrzeugtyp, der Motorisierung und der Anordnung des Motors im Fahrzeug ab. Bei Pkw mit Frontmotorisierung wird die Abgasanlage aus dem Motorraum kommend im Allgemeinen unter dem Fahrzeugchassis bis zum Fahrzeugheck geführt. Dabei werden die oben aufgeführten Komponenten in Serie hintereinander verbunden (Abb. 6.20). Katalysatoren und Partikelfilter werden motornah angeordnet, um eine gute Abgasreinigung zu erreichen. Die Schalldämpfer sind dahinter angeordnet. Bei Motoren mit mehr als 5 Zylindern (V6, V8 oder V12) kommen häufig 2 parallele Abgasstränge (zweiflutige Systeme) zum Einsatz (Abb. 6.21). Jeweils ein Abgasstrang ist dann einer Zylinderbank zugeordnet. Manchmal sind diese Abgasstränge über Rohre oder gemeinsame Schalldämpfer miteinander verbunden. In seltenen Fällen erfolgt das Ausströmen der Abgase nicht am Fahrzeugheck sondern bereits hinter den Vorderrädern oder vor den Hinterrädern über so genannte Sidepipes. Bei Pkw mit Heckmotorisierung sowie bei Nutzfahrzeugen werden die Komponenten für die Abgasreinigung häufig in den Schalldämpfer integriert (s. Abb. 6.22 und 6.23).
Vorschalldämpfer Nachschalldämpfer
Katalysatoren
Abb. 6.21 Zweiflutiges Abgassystem für ein Fahrzeug mit V6 Benzinmotor
Mittelschalldämpfer
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
237
Abb. 6.22 Schalldämpfer mit integriertem Katalysator für einen Kleinwagen mit 3-Zylinder-Heckmotor. (Quelle: Eberspächer)
Aufgrund des Bauraums werden für Nutzfahrzeuge häufig mehrere Katalysatoren und Partikelfilter im Schalldämpfergehäuse parallel eingebaut. Die Hauptursache für das Abgasgeräusch sind die Gaspulsationen des Verbrennungsmotors, d. h. die Gasschwingungen, die durch den Verbrennungsprozess und das Ausschieben des Abgases durch die Auslassventile bei jedem Arbeitstakt des Motors entstehen. Man nennt dies auch das Pulsationsgeräusch. Die Form des Druckpulses eines Zylinders hängt dabei vom Verbrennungsprozess wie auch der Ventilhubkurve ab (Abb. 6.24). Dabei wird der Anstieg des Druckpulses von der Ventilhubkurve stark beeinflusst, während der Rest des Pulses vom Ausschieben des Abgases bestimmt ist. Aus diesem Puls ergibt sich ein breitbandiges Geräuschspektrum. Durch die periodische Wiederholung des Arbeitsprozesses ist der Hauptgeräuschanteil synchron zur Motorumdrehung und wird daher auf die Motorordnung (MO) bezogen. Für
Abb. 6.23 NFZ Abgassystem mit integrierten Schalldämpfungs- und Abgasreinigungskomponenten
238
Abb. 6.24 Druckverlauf im Auslasskanal nach Auslassventil geöffnet (AÖ)
J. Krüger
Druck
UT
6 AÖ
OT AS
°KW
einen Einzylinder-Viertaktmotor ist die 0.5te MO dominierend, da die Gemischzündung und das Ausschieben bei jeder zweiten Kurbelwellenumdrehung stattfinden. Diese Motorordnung wird auch Zündfrequenz genannt. Bei mehreren Zylindern ergibt sich folgender Zusammenhang für die Zündfrequenz: MO(Zündfrequenz) = (Anzahl Zylinder)/2. Die dominierende Motorordnung ist daher beim 4-Zylindermotor die 2. Ordnung und beim 6-Zylindermotor die 3. Motorordnung. Weitere starke Geräuschanteile treten oft bei Harmonischen der Zündfrequenz auf. Deren Pegel sinken jedoch mit ansteigender Frequenz ab. Je nach Zündfolge des Motors und Konstruktion des Krümmers treten auch Komponenten mit halben Motorordnungen auf. Insgesamt liefern die Motorordnungen wesentliche Beiträge zum Mündungsschall in einem Frequenzbereich von etwa 30–800 Hz (bei Ottomotoren) und 20–600 Hz (bei Dieselmotoren). In Abb. 6.25 und 6.26 erkennt man sehr gut, dass die Hauptmotorordnungen (in diesem Fall 3., 4,5., 6. und 9. MO) das Gesamtgeräusch bis 600 Hz und ca. 4.000 U/min Motordrehzahl dominieren. Bei höheren Drehzahlen und Frequenzen wird das Strömungsrauschen bestimmend. Genau wie die Gaspulsation können auch kurbelwinkelsynchrone Schwingungen des Motors in die Abgasanlage eingeleitet werden. Diese Schwingungen der Abgasanlage können dann über die Aufhängung an der Karosserie in den Innenraum übertragen werden und dort Störgeräusche hervorrufen. Eine weitere Geräuschquelle in der Abgasanlage ist der Turbolader. Aufgrund der hohen Umdrehungszahlen des Laufrades (ca. 100.000–250.000 U/min), können hochfrequente tonale Geräusche (bis 1–15 kHz) entstehen. Die Frequenz dieser tonalen Geräusche ist im Allgemeinen nicht synchron zur Motordrehzahl sondern synchron zur Drehzahl des Turboladers bzw. konstant über der Motordrehzahl. Man spricht auch häufig vom Turboladerheulen oder -pfeifen. Diese Geräusche können sowohl über Körperschall als auch über Luftschall in die Abgasanlage eingeleitet und dann von ihr abgestrahlt werden. Weiterhin entstehen beim Aussto sowie der Weiterleitung des Abgases erhebliche Strömungsgeräusche. Diese sind im Allgemeinen sehr breitbandig und reichen im Unterschied zu den Pulsationsgeräuschen in den hohen Frequenzbereich bis etwa 10 kHz. Je nach Anordnung der Schalldämpfervolumen können auch strömungsinduzierte tonale Ge-
239
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
3. 4.5 6. 9. MO 85
5500
80
105
75
100 Pegel [
5000
70
Drehzahl [U/min]
4500
250 500 1k 2k 4k 8k 16k Frequenz [Hz]
95
4000
90
3500 85
Pegel [dB(A)]
1.5 6000
3000 80 2500 75
2000
70
1500 31.5
63
125
250
500 1k Frequenz [Hz]
2k
4k
8k
16k
Abb. 6.25 Campbell Diagramm vom Abgasmündungsgeräusch bei einem Benzinmotor bei Beschleunigung unter Volllast
räusche (Pfeifen) im hohen Frequenzbereich erzeugt werden. Der Pegel der Strömungsgeräusche ist je nach Erzeugungsmechanismus proportional zur 4.–6. Potenz der Strömungsgeschwindigkeit. Die Frequenzbereiche tonaler Geräusche sind abhängig von der Strouhalzahl (Jebasinski et al. 2005). In Abb. 6.27 ist das Auftreten von Pfeifgeräuschen im Mündungsgeräusch beispielhaft dargestellt. 110
Pegel [dB(A)]
100
Gesamtgeräusch 3. Ordnung 4.5 Ordnung 6. Ordnung
90
80
Abb. 6.26 Gesamt- und Ordnungspegel Abgasmündungsgeräusch extrahiert aus dem Campbell Diagramm in Abb. 6.25
70
2000
3000 4000 Drehzahl [U/min]
5000
6000
240
J. Krüger
m/s 80
dB(A) 100
70
6
Gasgeschwindigkeit
90 60 80
50
40
70 Pfeiftöne
30
60 800
1600
2400
3200 4000 Frequenz [Hz]
4800
5600
6400
Abb. 6.27 Mündungsgeräuschpegel über Frequenz in Abhängigkeit von der Gasgeschwindigkeit im Einlassrohr Schalldämpfer
6.1.4.2 Charakterisierungsmethoden Zur Charakterisierung des Abgasgeräusches werden im Allgemeinen Mikrofonmessungen im Nahfeld der Endrohrmündung auf dem Rollen- oder Motorprüfstand durchgeführt. Dabei sind Rollenprüfstände immer als Halbfreifeldräume d. h. reflektierender Boden, aber Wände und Decke mit schalltoter Auskleidung (Abb. 6.28) und Akustikprüfstände häufig als Freifeldräume (Boden, Decke und Wände mit schalltoter Auskleidung) konzipiert (s. Abschn. 8.1). Die Körperschallabstrahlung der Schalldämpfer kann ebenfalls durch Nahfeldmessungen auf dem Rollen- oder Motorprüfstand ermittelt werden (Abb. 6.29). Je nach Schalldämpfergröe werden dazu meist mehrere Mikrofone eingesetzt. Eine andere Möglichkeit, die Körperschallabstrahlung der Schalldämpfer zu bestimmen, ist die Schallleistungsmessung. Dazu kann entweder eine Intensitätssonde oder ein kleiner Hallraum genutzt werden (Nicolai u. Krüger 2003). Die Schwingungen der Abgasanlage werden ebenfalls auf dem Rollenprüfstand mit Beschleunigungssensoren gemessen. Gleichzeitig wird häufig noch das Innenraumgeräusch aufgenommen, um den Einfluss des Mündungsgeräusches bzw. der Schwingungen zu bestimmen. Dieser Prozess wird auch als Transferpfadanalyse bezeichnet (s. Abschn. 8.2). Die Dämpfungseigenschaft einzelner Komponenten kann mithilfe der Durchgangsoder Einfügedämpfung (Transmission Loss bzw. Insertion Loss) ermittelt werden. In Abb. 6.30 ist der Messaufbau zur Ermittlung der Durchgangsdämpfung dargestellt.
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
241
Abb. 6.28 Fahrzeug in einem Halbfreifeld-Rollenprüfstand. Die Schaumstoffwürfel und Kissen dienen der Schottung von Reifen- und Antriebsstrangeräuschen, so dass das Mikrofon nur das Abgasmündungsgeräusch aufnimmt Abb. 6.29 Aufbau Nahfeldmessung Körperschallabstrahlung in einem Freifeld-Motorprüfstand
6.1.4.3 Wirkung der Einzelkomponenten auf das Abgasgeräusch Einfluss des Krümmers auf die Ordnungsverteilung Der Krümmer hat über den Ladungswechsel ebenso wie die Ansauganlage einen erheblichen Einfluss auf die vom Motor abgegebene Leistung bzw. das Drehmoment.
242
J. Krüger
Abb. 6.30 Schematischer Aufbau zur Messung der Durchgangsdämpfung mit der 4- Mikrofontechnik. (Chung u. Blaser 1980)
Mikrofone
Schalldämpfer
Der Ladungswechsel wird insbesondere durch Reflexionen der von den Auslassventilen ausgehenden Druckwellen an allen Veränderungen des Rohrquerschnitts beeinflusst. Hierbei haben die ersten Reflexionen an motornahen Bauteilen, wie den Zusammenführungen der Krümmerrohre bzw. Vorrohre sowie Katalysatoren, die gröten Auswirkungen und müssen daher sorgfältig abgestimmt werden. Gleichzeitig wird durch diese Reflexionen auch die Ordnungs- bzw. Frequenzzusammensetzung mageblich beeinflusst. In Abb. 6.31 ist dargestellt, wie allein durch unterschiedliche Wahl der Krümmerrohrlängen und damit verursachten unterschiedlichen Laufzeiten der Druckwellen die Ordnungspegel verändert werden können. Daneben kann auch mit dem Rohrdurchmesser die Ausbreitungsgeschwindigkeit und somit die Laufzeit der Druckwellen geändert werden. Durch gröere Rohrquerschnitte nimmt die Strömungs- und Ausbreitungsgeschwindigkeit ab. Mit einem symmetrischen Krümmer treten beim 4-Zylinder Motor nur die Zündfrequenz (2. Motorordnung) und deren Harmonische (4., 6., 8. usw.) auf. In diesem Fall sind damit nur gerade Motorordnungen vertreten. Sind dagegen nur die Rohrlängen einer Zy-
4-2-1 symmetric 4-2-1 asymmetric 4-3-2-1 log-type
Amplitude
6
Lautsprecher Mikrofone
0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 3.0 3.5 4.0 4.5 5.0
5.5 6.0 6.5 7.0 7.5 8.0
Motorordnungen
Abb. 6.31 Einfluss des Krümmerlayouts auf die Ordnungszusammensetzung
243
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
Abb. 6.32 Katalysator mit Ein- und Auslasstrichter sowie zwei beschichteten Keramikmonolithen
lindergruppe (hier Zylinder 1 und 2 bzw. 3 und 4) gleich, so kommen noch ungerade Motorordnungen hinzu. Ist der Krümmer komplett unsymmetrisch so treten sogar noch „halbe“ Ordnungen auf. Mit dem Krümmer wird somit im Zusammenspiel mit der Zündfolge des Motors die Ordnungszusammensetzung des Abgasgeräusches kreiert, die ohne aktive Manahmen durch die dann folgende Abgasanlage nicht mehr verändert werden kann.
Die Wirkung von Abgasreinigungselementen Katalysatoren zur Abgasreinigung bestehen aus einem Einlauf- und Auslauftrichter sowie einer Ummantelung des beschichteten Monolithen (Abb. 6.32). Der Monolith besteht aus einer Wabenkeramik oder einem Metallsubstrat mit vielen kleinen Kanälen, in denen die katalytisch aktive Beschichtung aufgebracht ist. Diese Kanäle haben durch die Beschichtung eine groe Oberflächenrauheit. Dadurch spielt die Reibung des durchströmenden Abgases eine groe Rolle für die Akustik. Die Katalysatorsubstrate verhalten sich akustisch wie ein Absorptionsschalldämpfer mit geringer Auskleidungstiefe (siehe Abschnitt Absorptionsschalldämpfer unten). Seit der EU4-Gesetzgebung für Pkw werden in Europa die Abgasanlagen für Dieselfahrzeuge zunehmend mit Dieselpartikelfiltern (DPF) ausgestattet. Ab der Norm EU5 bzw. EU6 für Pkw werden alle Dieselmotoren einen DPF benötigen. Bei den Nutzfahrzeugen
Abb. 6.33 Durchgangsdämpfung von einem leeren Katalysatorgehäuse und einen Katalysatorgehäuse mit Monolith
Durchgangsdämpfung [dB]
20 Katalysatorgehäuse
15
Katalysator
10 5 0
0
200
400
600 800 1000 1200 1400 1600 Frequenz [Hz]
244
6
30 Filtergehäuse Filter ohne Ruß
25 Durchgangsdämpfung [dB]
Abb. 6.34 Durchgangsdämpfung eines leeren Filtergehäuses, eines Filters mit Siliziumcarbid-Substrat aber ohne Rubeladung und eines mit Ru beladenen Filters
J. Krüger
Filter mit Ruß 20
15
10
5 0 0
200
400
600 800 1000 1200 1400 1600 Frequenz [Hz]
wird dies mit EU6 ebenso der Fall sein. Im Gegensatz zu dem Katalysator sind beim DPF die Kanäle des Substrates wechselseitig verschlossen. Dadurch ergibt sich die Filterwirkung, jedoch auch ein deutlich höherer Strömungswiderstand für das Abgas im Vergleich zum Katalysatorsubstrat. Grundsätzlich ist die akustische Wirkung ähnlich wie beim Katalysatorsubstrat. Da die Kanäle aber wechselseitig verschlossen sind, muss das Abgas jedoch durch die porösen Wände hindurch gepresst werden, womit sich die Schalldämpfung wie auch der Druckverlust nochmals erhöht. In Abb. 6.34 ist im Vergleich die Durchgangsdämpfung eines leeren Filtergehäuses, des Filter-Substrates ohne Rubeladung und mit Rubeladung dargestellt. Das leere Gehäuse weist wie schon beim leeren Katalysatorgehäuse die Charakteristik einer Expansionskammer auf. Durch das Filter-Substrat ohne Rubeladung ergibt sich im Vergleich eine höhere Dämpfung ab ca. 350 Hz und darunter eine niedrigere Dämpfung. Durch die Rubeladung erhöht sich die Dämpfung speziell im oberen Frequenzbereich nochmals merklich. Da mit zunehmender Rubeladung auch der Druckverlust ansteigt, wird der DPF regelmäig durch Kraftstoffnacheinspritzung regeneriert. Dies geschieht im Allgemeinen durch motorische Nacheinspritzung und somit verändertem Verbrennungsverlauf. Dies kann zu einem Anstieg des Abgasgeräusches, speziell in niedrigen Lastzuständen, führen und ist bei der Auslegung von Schalldämpferanlagen für Dieselmotoren zu berücksichtigen.
Die Wirkung von Schalldämpfern Beim Aufbau von Schalldämpfern unterscheidet man grundsätzlich nach den physikalischen Prinzipien der Absorption und Reflexion. Weiterhin werden Schalldämpfer auch danach unterteilt, ob sich die akustische Wirkung durch ein Schaltelement während des Betriebs ändert (semiaktive Schalldämpfer) oder der Schall direkt mit einem Schallerzeuger durch Wellenüberlagerung ausgelöscht wird (aktive Schalldämpfer). Unter diesen Gesichtspunkten werden konventionelle Absorptions- und Reflexions-Schalldämpfer auch als passive Schalldämpfer bezeichnet. Andererseits funktionieren semiaktive und aktive Schalldämpfer letztlich nach dem Reflexionsprinzip.
245
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
Abb. 6.35 Fiktiver Schalldämpfer mit allen Dämpfungsprinzipien
Reflexion
Absorptionkammer Resonanzkammer
In Abgasanlagen werden als Schalldämpfungsprinzipien meist sowohl Reflexion, Resonanz und Absorption wie auch Mischformen eingesetzt (Abb. 6.35).
Reflexionsschalldämpfer Im Reflexionsschalldämpfer wird durch Interferenz von hin- und rücklaufenden Wellen eine schalldämpfende Wirkung erzielt. Schalldämpfer dieser Bauart bestehen aus verschieden langen Expansionskammern, die durch Rohre oder Perforierungen im Rohr miteinander verbunden sind. Die Querschnittssprünge zwischen Rohren und Kammern, sowie die Umlenkungen des Abgases und die sich aus den Verbindungsrohren mit den Kammern bildenden Resonatoren erzeugen eine besonders für tiefe Frequenzen wirksame Dämpfung. Je mehr solcher Kammern vorhanden sind, desto effizienter wird die Dämpfung des Schalldämpfers. Jede Umlenkung und speziell jeder Querschnittsprung im Reflexions-Schalldämpfer verursacht aber einen Druckverlust, so dass immer ein Kompromiss zwischen Dämpfung und Druckverlust gewählt werden muss. In Abb. 6.36 ist die Durchgangsdämpfung eines typischen Reflexionsschalldämpfers dargestellt. Resonanzschalldämpfer Zur Beseitigung von schmalbandigen Geräuschüberhöhungen im Mündungsgeräusch einer Schalldämpferanlage (z. B. Anfahrbrummer) werden als Resonanzschalldämpfer, so 70 Reflexions-SD
Durchgangsdämpfung [dB]
60
Abb. 6.36 Durchgangsdämpfung eines Reflexionsschalldämpfers mit ca. 20 L Volumen
50 40 30 20 10 0
0
200
400
600 800 1000 1200 1400 1600 Frequenz [Hz]
246
J. Krüger
genannte Abzweig-Resonatoren in Form von λ/4-Resonatoren oder Helmholtz-Resonatoren eingesetzt. Aufgrund der eher tieffrequenten Geräuschanteile im Abgasmündungsgeräusch werden meistens Helmholtz-Resonatoren eingesetzt. Die hohen Strömungsgeschwindigkeiten in der Abgasanlage wirken sich beim Helmholtz-Resonator allerdings negativ auf die Dämpfung aus. Sie können daher nur an Stellen mit niedriger Geschwindigkeit angebracht werden. Da der Helmholtz-Resonator auerdem nur bei einer Frequenz wirkt, steht das Volumen nicht für die Dämpfung anderer Frequenzen bzw. bei anderen Drehzahlen zur Verfügung. Er wird daher eher selten verwendet.
1,0 0,9 0,8 Absorptionsgrad [-]
6
Absorptionsschalldämpfer Von Absorption spricht man in der Akustik, wenn Schallenergie durch Reibung der Gasmoleküle untereinander oder an Strukturen in Wärme umgewandelt wird. Die Reibung zwischen den Gasmolekülen ist in Luft relativ gering, so dass die so genannte Luftabsorption meist vernachlässigbar ist. Die Reibung an Strukturen ist umso gröer, je gröer die Oberfläche des Materials ist. Poröse und faserige Materialien wie Wolle und Schaum absorbieren daher besonders gut, weil die Luftteilchen gut in das Material eindringen und an den vielen dünnen Fasern bzw. vielen kleinen Poren stark reiben. Die Wirksamkeit dieses akustischen Effekts wird mit dem Absorptionsgrad gemessen, der als Verhältnis der absorbierten zur auftreffenden Schallleistung definiert ist. Wie man in Abb. 6.37 sieht, variiert der Absorptionsgrad sehr mit der Frequenz und der Dicke des Materials. Im Allgemeinen nimmt die Absorption ebenso wie die Schalldämpfung von tiefen zu hohen Frequenzen hin zu. Als Absorptionsmaterial dient manchmal Glaswolle; wegen der besseren Temperaturbeständigkeit wird aber meist eher langfaserige Basalt- oder Steinwolle mit einer Stopfdichte von etwa 100–150 g/L Volumen verbaut.
0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 d = 2cm
0,2
d = 4cm
0,1
d = 8cm
0,0 31
63
125
250
500
1000
2000
4000
8000
Frequenz [Hz]
Abb. 6.37 Berechneter Absorptionsgrad von Faserabsorbern mit unterschiedlicher Auskleidungstiefe d und einem Strömungswiderstand von 10 kPas/m2
247
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
70
60
Durchgangsdämpfung [dB]
50 Leer 120 g/l
40
30
20
10
0
0
200
400
600
800 1000 Frequenz [Hz]
1200
1400
1600
Abb. 6.38 Durchgangsdämpfung einer Expansionskammer im Vergleich zu einem Absorptionsdämpfer gleicher Gröe (Auskleidungstiefe 3,5 cm und 120 g/L Stopfdichte)
In Abb. 6.38 ist im Vergleich die Durchgangsdämpfung eines einfachen Absorptionsschalldämpfer zu einer Expansionskammer gleicher Gröe (ca. 10 L bei 500 cm Länge) dargestellt. Man erkennt die höhere Dämpfung über nahezu den gesamten Frequenzbereich. Im tiefen Frequenzbereich, welcher häufig der Zündfrequenz im unteren Drehzahlbereich entspricht, ist die Dämpfung des Absorptionsdämpfers allerdings schlechter als die der Expansionskammer (Jebasinski 2000). Da es hier häufig ein akustisches Komfortproblem („Anfahrbrummer“) gibt, werden Absorptionsdämpfer fast ausschlielich in Kombination mit Reflexionsdämpfern eingesetzt.
Semi-aktive Schalldämpfer Eine gute akustische Dämpfungswirkung kann man auch dadurch erreichen, dass ein Teil des Strömungsweges in bestimmten Betriebszuständen blockiert wird (Inaba et al. 1989, Suyama et al. 1989, Santiago et al. 1992). Verschliet man z. B. durch eine Abgasklappe (Abb. 6.39) eines von zwei Schalldämpferendrohren, dann sinken die tieffrequenten Mündungsgeräusche im Vergleich zu einer Anlage ohne Abgasklappe deutlich. Tieffrequente Mündungsgeräusche treten hauptsächlich bei Stadtfahrten und verstärkt im Schubbetrieb auf (etwa vor Ampeln). Bei hoher Drehzahl und Last (z. B. schnelle Fahrt auf der Auto-
248
J. Krüger
Abb. 6.39 Aktiv geschaltete Abgasklappe an einem Endrohr eines Nachschalldämpfers
6
bahn), wenn ohnehin Roll- und Fahrgeräusche überwiegen, steht jedoch die Verringerung des Abgasgegendrucks im Vordergrund. Dazu öffnet die Klappe den 2. Strömungsweg. Das Gas strömt dann durch beide Endrohre, die Gasgeschwindigkeit wird somit herabgesetzt und das Strömungsgeräusch reduziert, der Abgasgegendruck sinkt und der Motor kann seine Leistung besser entfalten. Es existieren sowohl über Druck und Strömung selbstgesteuerte Klappen (Olszok et al. 1999) als auch extern angesteuerte Klappen. Die externe Ansteuerung erfolgt über eine Schnittstelle zur Motorelektronik. Dadurch ist diese Technologie deutlich vielseitiger in der last- und drehzahlabhängigen Wahl des Umschaltpunktes und es bieten sich erheblich flexiblere Möglichkeiten der kennfeldabhängigen Soundgestaltung. Auerdem ist der durch eine extern gesteuerte Klappe verursachte Gegendruck geringer, als bei einer durch die Strömung betätigten Klappe, da die Klappe vollständig öffnet (Hill 2002). Demgegenüber ist aber der technische Aufwand erheblich gröer als bei selbst gesteuerten Klappen, weshalb sie nur in technisch anspruchsvollen Fahrzeugen zum Einsatz kommen. In Abb. 6.40 ist beispielhaft der Mündungspegel einer einflutigen Abgasanlage mit aktiv geschalteter Klappe im Endrohr dargestellt.
Aktive Schalldämpfer (ANC) Das Wirkprinzip von aktiver Lärmbekämpfung (englisch: active noise control – ANC) ist in (Nelson u. Elliott 1992, Hansen 2001) detailliert beschrieben und basiert auf der Auslöschung gegenphasiger Wellen mit gleicher Amplitude. Grundsätzlich eignet sich dieses Verfahren sehr gut zum Einsatz in Abgas-Schalldämpfern, da es sich hauptsächlich um tieffrequente Geräusche (Motorordnungen) handelt. Zudem breiten sich diese in der Abgasanlage nur eindimensional aus und können daher gut vorausberechnet werden. Im Antischall-Generator (Aktor) dient ein spezieller Schallwandler, im Allgemeinen ein Lautsprecher, als Quelle des gegenphasigen Geräuschs (Lehringer u. Zintel 1995, Lehringer 1998, Eriksson 1996, Berkman u. Bender 1997, Kim et al. 1999, Leventhall 2001, Boonen et al. 2009). Für die zeitliche Koordinierung und richtige Stärke des Antischalls muss eine schnelle Elektronik sorgen.
249
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
120
Overall Noise Valve open Valve closed Valve controlled
110
dB (A)
100 90 80 70 60
1000
2000
3000
4000
5000
6000
1/min
Abb. 6.40 Gesamtschalldruckpegel an der Mündung einer Abgasanlage mit aktiv geschalteter Abgasklappe
Trotz der faszinierenden Möglichkeiten aktiver Schalldämpfer in Abgasanlagen sind zum aktuellen Zeitpunkt weltweit noch keine Serienanwendungen in Kraftfahrzeugen, ja selbst an Abgasanlagen von Verbrennungskraftmaschinen allgemein, bekannt. Die Gründe dafür sind sicher in den hohen technischen Anforderungen zu suchen, deren Lösung zunächst einen erheblichen Entwicklungs- und anschlieend gegebenenfalls einen wesentlichen Fertigungsaufwand nach sich ziehen. Als wesentliche technische Herausforderung sei hier neben dem thermischen Schutz von Schallwandler und Mikrofon vor allem die erforderliche Präzision des Regelkreises genannt. Zusätzlich entsteht auerdem ein Mehraufwand für die nötigen neuen Komponenten, die in passiven Schalldämpfern nicht vorkommen, also z. B. Controller, Lautsprecher, Mikrofon und Verkabelung. In der aktuellen wirtschaftlichen Situation der Automobilindustrie und der öffentlichen Diskussion um die CO2-Bilanz von Kraftfahrzeugen werden jedoch auf der Suche nach Gegendruck- und Leichtbaupotentialen intensiver als je zuvor konventionelle Konzepte hinterfragt und es entstehen neue Chancen für die innovative aktive Schalldämpfertechnologie. Eine Markteinführung wird gelingen, wenn die mit der Technologie verbundenen Zusatzkosten insbesondere der elektronischen Komponenten, durch die nachgewiesenen technischen Vorteile (niedriger Gegendruck, einfacher Aufbau, geringere Entwicklungszeit, systematischer Leichtbau) aufgewogen werden bzw. der Markt bereit ist, für einen auergewöhnlich guten und möglicherweise auch individualisierten Sound, sei es Komfort oder Sportsound, einen Mehrpreis zu zahlen. Aus dem Grundprinzip der Wellenauslöschung durch Überlagerung ergibt sich, dass nur bei einer exakten Übereinstimmung der Amplitude und einer exakten Phasenverschiebung um 180° die Auslöschung vollständig ist. Bereits kleine Phasenabweichungen δ und kleine Amplitudenfehler ε ergeben nach dem bereits in (Mangiante 1977) erstmals dargestellten Zusammenhang
250
J. Krüger
10
6
Sound Pressure Level/dB
5 0 –5 –10 –15 –20 –25 –30 –35
3 2
–40
1
90
0
120
–1
150 Phase/°
–2
180 210
AmplitudeRatio/dB
–3 240
-40--35
-35--30
-30--25
-25--20
-20--15
-15--10
-10--5
-5-0
0-5
5-10
Abb. 6.41 Schalldruckpegel nach der Überlagerung zweier Wellen
L = 10 · lg ε 2 + 2(1 + ε)[1 cos ( 180)]
(6.1)
c = 330 06 Tgas
(6.2)
schnell deutlich kleinere Pegelminderungen L (s. Abb. 6.41). Beispielhaft führt ein Amplitudenfehler von nur 1,0 dB und eine Phasenabweichung von nur 10° bereits zu einer maximalen Pegelabsenkung von nur noch 14 dB. Um einen Einblick in die Komplexität dieser Anforderung zu geben, sei hier auf die Veränderung der akustischen Ausbreitungsbedingungen auf Grund unterschiedlicher Temperaturverhältnisse eingegangen. Während des Betriebs eines Fahrzeugs kann sich die Abgastemperatur Tgas vom Kaltstart mit z. B. 0 °C bis zum Höchstwert von ca. 700 °C nach längerer Volllast-Fahrt ändern. Nach dem bekannten überschlägigen Zusammenhang
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
251
ändert sich damit die Schallausbreitungsgeschwindigkeit c etwa zwischen 330 m/s und 750 m/s. Der bei Volllast überlagerte Abgasmassenstrom führt zu einer weiteren Erhöhung der Schallausbreitungsgeschwindigkeit um bis zu ca. 170 m/s auf 920 m/s. In der Folge breitet sich eine Schallwelle auf dem z. B. 1,0 m langen Weg vom Lautsprecher zum Fehlermikrofon in etwa 3,0 ms (Kaltstart) oder 1,1 ms (Volllast) aus. Die Differenz von 1,9 ms führt bei einer Schallwelle mit einer Frequenz von 100 Hz und einer Periodendauer von 10 ms bereits zu einer Phasenverschiebung von 68° bzw. einem Phasenfehler von ±34°. Dieser Phasenfehler allein reduziert die maximale Dämpfung auf nur 5 dB. Für höhere Frequenzen wird dieses Problem immer offenbarer und ab einem Phasenfehler von ±60° ist darüber hinaus die Stabilität des gesamten Regelkreises nicht mehr gewährleistet. Mit neu entwickelten leistungsfähigen Schallwandlern und Aktorkonstruktionen sind jedoch wesentliche Fortschritte bei Kfz erzielt worden (Krüger et al. 2007, 2010). Darüber hinaus kann man feststellen, dass auf Grund der bei Dieselmotoren im Vergleich zu Benzinmotoren im Allgemeinen geringeren Abgastemperaturen sich diese Technologie zunächst besonders für eine Serienanwendung mit Dieselmotoren anbietet. Ein weiteres Problem wurde durch Fortschritte in der Mikroelektronik und deren massenhafter Verbreitung in der Fahrzeug- und Konsumgüterindustrie in den letzten Jahrzehnten verringert: Die nötige Controller-Hardware könnte heute in übliche Motorsteuergeräte integriert werden oder als kleines separates Steuergerät mit diesem über ein Standardbus (CAN, MOST, FLEXRAY) kommunizieren (Abb. 6.42). Beispielhaft sind in Abb. 6.43 die an einem Mittelklassefahrzeug mit 6-Zylinder-Dieselmotor erzielten Ergebnisse dargestellt. Hierbei wurden im Vergleich zur Serienanlage die zwei Nachschalldämpfer (2 × 13,5 = 27 L) durch deutlich kleinere Aktoren (2 × 5 = 10 L) ersetzt, die entsprechend optimierte Lautsprecher enthielten. Weiterhin wurde die aktive Abgasanlage durch Verwendung gröerer Rohrquerschnitte in der Abgasführung deutlich entdrosselt und der Gegendruck um ca. 150 mbar gesenkt. Mit eingeschaltetem ANC-System wird im gesamten Drehzahlbereich bei allen relevanten Motorordnungen eine wesent-
Abb. 6.42 Prinzipschaltbild der ActiveSilence-Technologie® für Abgasanlagen
252
Abb. 6.43 Summenschalldruckpegel und Schalldruckpegel der 3. Motorordnung bei Volllast im Nahfeld der Mündung einer Abgasanlage mit Aktiv-Schalldämpfern im Vergleich zur deutlich gröeren Serien-Abgasanlage
J. Krüger
90 80 Serie ANC off off ANC ANC on
70
6
OVL
Sound Pressure Level/dB(A) 100
60 50
1000
2000
3000
Sound Pressure Level/dB(A) 100
4000 Speed/rpm 3rd Order
90 80 70 60 50
1000
2000
3000
4000 Speed/rpm
liche Pegelminderung erreicht. Konkret wurde hier die dominierende 3. Motorordnung um ca. 10–20 dB(A) abgesenkt. Obwohl dadurch das sehr niedrige Niveau der Serie nicht überall erreicht wird, gelingt im Gesamtpegel dennoch eine gewisse Reduzierung, da durch die strömungsgünstigere Abgasführung der aktiven Schalldämpfer weniger hochfrequentes Rauschen entsteht, das den Gesamtpegel bei hohen Drehzahlen typischerweise dominiert. Insgesamt wurde dadurch an einem realen Fahrzeug mit typischer Diesel-Abgasanlage nachgewiesen, dass der gleiche akustische Komfort durch eine erhebliche kleinere und gegendruckärmere Abgasanlage mit aktiven Schalldämpfern ersetzt werden könnte. Zweiflutige Abgasanlagen Bei Pkw mit leistungsstarken Verbrennungsmotoren (z. B. in V6-, V8-, V12-Ausführung) erfolgt die Abgasführung häufig aus zwei Zylinderbänken über zwei Krümmer in zwei Strängen bis zu den Nachschalldämpfern. Weiterhin befinden sich aus akustischen Gründen meist ein oder zwei Vor- und Mittelschalldämpfer im vorderen und mittleren Bereich der Abgasanlage. Hierbei unterscheidet
253
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
man zwischen Abgasanlagen mit vollständiger Strangtrennung und Abgasanlagen mit Übersprechstelle (ÜSS). Im letzteren Fall wird konstruktiv ein Gasaustausch zwischen den beiden Abgassträngen hergestellt. Dabei hat sowohl die Form als auch die Längsposition der Übersprechstelle einen erheblichen Einfluss auf den Ladungswechsel und die Akustik (Letens et al. 2007). Bei komplett getrennten Abgassträngen ergibt sich infolge der separaten Wegführung der Abgase aus den zwei Zylinderbänken das akustische Verhalten von zwei Motoren mit halber Zylinderzahl. Dies bedeutet, dass z. B. bei einem 6Zylindermotor mit einsträngiger Abgasführung die 3. Motorordnung das Abgasgeräusch dominiert, während bei getrennter Gasführung die 1,5. Motorordnung besonders ausgeprägt ist. Dies gilt prinzipiell auch drehzahlunabhängig über den gesamten genutzten Drehzahlbereich. Beispielhaft zeigt Abb. 6.21 den Aufbau einer typischen zweiflutigen Abgasanlage mit einem Mittelschalldämpfer in dem ein Gasaustausch zwischen den zwei Strängen stattfinden kann. Abbildung 6.44 zeigt die Mündungspegel eines 6-Zylinder-V-Motors mit einer zweiflutigen Abgasanlage, wobei diese lediglich im mittleren Bereich variiert wurde. Der schwarz dargestellte Verlauf repräsentiert dabei einen seriennahen Stand mit einem Mittelschalldämpfer mit Gasaustausch, während im grau dargestellten Verlauf ohne Mittelschalldämpfer der zu erwartende Verlust an Schalldämpfung ersichtlich wird. Ersetzt man den Mittelschalldämpfer hingegen durch eine Übersprechstelle die vor bzw. hinter der Mittelschalldämpferposition angeordnet ist, ergeben sich deutlich andere Schalldruckpegel, die je nach Drehzahlbereich sogar unter dem der Anordnung mit Mittelschalldämpfer liegen. Es bleibt hinzuzufügen, dass die Variation der Übersprechstelle neben der akustischen Auswirkung zu erheblichen Änderungen im Drehmomentverlauf des Motors führt und daher 120
Schalldruckpegel/dB(A)
115 110 105 100 ohne ÜSS und MSD 95 ÜSS hinten 90
ÜSS vorn
85
MSD mit ÜSS
80 1000
1500
2000
2500 3000 Drehzahl/U/min
3500
4000
4500
Abb. 6.44 Gesamtschalldruckpegel im Nahfeld der Mündung einer zweiflutigen Abgasanlage eines V6-Motors mit unterschiedlichen Übersprechstellen
254
J. Krüger
beide Gröen stets gemeinsam optimiert werden müssen. Insgesamt ergeben sich dadurch erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten für die Soundabstimmung sportlicher Fahrzeuge.
6.1.4.4 Die Körperschallabstrahlung der Komponenten
6
Neben dem Schall aus der Endrohrmündung strahlt eine Abgasanlage auch über ihre Oberfläche Schall ab. Diese Körperschallabstrahlung wird entweder durch Vibrationen hervorgerufen, die ihrerseits durch mechanische Anregung über den Motor oder den Turbolader erzeugt werden können oder über die pulsierende Gassäule erzwungen werden. Die Weiterleitung von Körperschall, der von Motor oder Turbolader über Rohre zu den Schalldämpfern gelangt, kann durch Körperschall-Entkopplungselemente im motornahen Bereich wirkungsvoll unterdrückt werden. Zur Reduzierung der Abstrahlung von Körperschall über den Mantel eines Gehäuses (Schalldämpfer, Katalysator, Diesel-Partikelfilter) bestehen technisch mehrere Möglichkeiten: • • • •
Erhöhung der Wandstärke des Bleches, Verwendung von Doppelblech, Abstützung durch Innenböden sowie Optimierung der äueren Gestalt.
Eine stärkere Wand führt infolge der Massenerhöhung und Versteifung der Struktur meist auch zu einer Verringerung der Körperschallabstrahlung. Infolge der zusätzlichen Masse und Kosten wird von dieser Möglichkeit jedoch nur ungern Gebrauch macht. Bei Doppelblech kommt es auf Grund der bei Schwingungen auftretenden Relativbewegung zwischen den zwei Blechlagen zu Reibung, die ebenfalls die Körperschallabstrahlung mindert. Teilweise wird zur thermischen Isolierung sowie zur weiteren Verbesserung der Entkoppelung beider Lagen auch eine Vlieslage eingebracht. Diese Lösung ist jedoch ebenfalls technisch recht aufwendig und mechanisch nicht so stabil wie Einfachblech. Bei Schalldämpfern, die aus Halbschalen gefertigt sind, kann die Optimierung der äueren Form zu einer Vermeidung von hörbaren Strukturresonanzen beitragen. Dabei sind jedoch häufig Kompromisse bezüglich der Bauraumausnutzung, der Dauerhaltbarkeit und der Herstellbarkeit der Werkzeuge einzugehen. Somit verbleibt es eine jeweils im Einzelfall zu lösende Entwicklungsaufgabe, welche der oben genannten Lösungen der Vorzug gegeben wird. Beispielhaft zeigt Abb. 6.45 eine Studie an unterschiedlichen Nachschalldämpfern
Abb. 6.45 Einfache Nachschalldämpfer mit unterschiedlicher äuerer Gestalt
255
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
Schalldruckpegel dB(A) 110 / rechteckig / oval / rund / trioval
100
90
80
70
1000
2000
3000
4000
5000
6000 1/min
Abb. 6.46 Abgestrahlter Körperschall an einem Nachschalldämpfer mit gleichem Volumen aber unterschiedlicher Gestalt
in Wickelausführung, die sich bei gleichem Volumen und gleicher Wandstärke nur durch die Querschnittsform (rechteckig, oval, rund, trioval) unterscheiden. In Abb. 6.46 ist der im Nahfeld der Schalldämpfer über mehrere Mikrofone gemittelte Schalldruckpegel gemessen bei Volllast an einem 4-Zylinder-Motor dargestellt. Es zeigt sich, dass besonders im unteren Drehzahlbereich der kreisrunde Querschnitt anderen Formen überlegen ist. Bei Schalldämpfern in Schalenbauweise kommt der Optimierung der äueren Gestalt ebenfalls eine besondere Bedeutung zu. Hierbei wird meist durch Wölbung und das Anbringen von Sicken die Mantelstruktur gezielt versteift. Die körperschallrelevante Auswirkung diverser Konstruktionsstände kann vorab gut durch die FE-Berechnung der ersten Eigenfrequenz der Schale vorhergesagt werden. Abbildung 6.47 zeigt dazu das Ergebnis einer durchgeführten Formoptimierung an einem Mittelschalldämpfer. Im links dargestell-
Abb. 6.47 Körperschallorientierte Formoptimierung an einer Nachschalldämpferschale ( links Ausgangszustand – f1 = 537 Hz, rechts Zustand nach der Optimierung – f1 = 658 Hz)
256
ten Fall lag die erste Eigenfrequenz bei ca. 537 Hz und damit zunächst noch im Frequenzbereich, der von der 6. Motorordnung eines Benzinmotors abgedeckt wird. Durch iterative Designoptimierungen konnte diese Eigenfrequenz im rechten Beispiel trotz gleicher Wandstärke auf 658 Hz angehoben werden, womit sie von der 6. Motorordnung bis zur Nenndrehzahl nicht mehr erreicht wird. Während bei Schalldämpfern die ersten Eigenfrequenzen und meist auch die Körperschallabstrahlung unter 1 kHz liegen bzw. relevant sind, ist dies bei Komponenten im vorderen Teil der Abgasanlage (Krümmer, Katalysatoren, Partikelfilter) meist nicht der Fall. Hier dominieren eher Frequenzen über 1 kHz, die von den noch ungedämpften Auslassstöen beim Öffnen der Auslassventile herrühren oder vom Turbolader durch die Unwucht des Rotors oder andere luftschallbasierte Effekte im Turbolader verursacht werden. Während die Katalysatorgehäuse im zylindrischen Teil meist durch die Lagermatten gut bedämpft sind, können die Ein- und Auslasstrichter recht effektiv Körperschall abstrahlen. Das Lokalisieren der Quelle von Körperschallabstrahlung im motornahen Bereich gestaltet sich dabei deutlich komplizierter als bei Schalldämpfern, da durch die hohe Temperatur der Bauteile Nahfeldmikrofone nicht zum Einsatz kommen können. Mit einzelnen Mikrofonen im Fernfeld ist jedoch eine klare Zuordnung bzw. Abgrenzung der Schallquellen nicht möglich, da auch die Motoroberfläche sowie die Ansauganlage in einem ähnlichen Frequenzbereich abstrahlen. Mit neuen bildgebenden Verfahren wie der akustischen Kamera gelingt diese Lokalisierung jedoch recht gut, wie Abb. 6.48 zeigt. Dargestellt ist hier der farbig codierte abgestrahlte Schalldruckpegel über der Oberfläche eines 6-Zylindermotors mit motornahem Krümmer-Katalysator-Modul bei Volllast und ca. 3.000 U/min. Hierbei zeigte sich in einer frühen Entwicklungsstufe eine erhebliche hochfrequente Kör-
76.7 76.0
75.0
74.0
73.0
Effective value (dB) (A)
6
J. Krüger
72.0
71.0 70.7
Abb. 6.48 Mit einer akustischen Kamera gemessene Körperschallabstrahlung an einem Krümmer-Katalysator-Modul
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
257
perschallabstrahlung am Einlasstrichter des Katalysators der Zylinderbank 4 bis 6, die durch Formoptimierung in weiteren Entwicklungsschritten verringert wurde.
6.1.4.5 Berechnung der akustischen Eigenschaften von vollständigen Abgasanlagen Die Berechnung der Dämpfung von einzelnen Schalldämpfern kann mit der Vierpoltheorie durchgeführt werden und auch auf ganze Schalldämpferanlagen ausgeweitet werden (Munjal 1987, Lehringer 1988, Garcia et al. 1992). Diese Berechnungen finden im Frequenzbereich statt und setzen eine 1-dimensionale lineare Wellenausbreitung voraus. Daher kann man diese Methode nicht für die komplette Abgasanlage nutzen, da im vorderen Bereich die Schalldruckpegel so hoch sind, dass nichtlineare Effekte auftreten. Zudem sind zweiflutige Abgasanlagen komplizierter zu beurteilen, da die einfache Vierpoltheorie nur einen Eingang und einen Ausgang voraussetzt. Seit den 90er-Jahren wird daher stärker mit numerischen Methoden im Zeitbereich gearbeitet. Mit diesen eindimensionalen Gasdynamikprogrammen kann sowohl der Verbrennungsprozess, das Ausschieben aus dem Zylinder unter Berücksichtigung der Ventilsteuerzeiten, als auch die nichtlineare Wellenausbreitung in der Abgasanlage berechnet werden (Jebasinski 1995). Als Ergebnisse stehen u. a. die Temperaturen und Drücke in der Abgasanlage sowie der Mündungsschall in jedem interessierenden Motorbetriebspunkt (Drehzahl und Last) zur Verfügung. Durch konsequente Nutzung statistischer Verfahren, wie Design of Experiment (DoE) und Verknüpfung diverser Softwaretools, ist heute eine automatisierte akustische Auslegung von Abgasanlagen Stand der Technik in der Entwicklung (Rose u. Jebasinski 2003, Jebasinski et al. 2006). Die Vorhersagegüte dieser Methode ist für die dominierenden Motorordnungen sehr gut (Jebasinski 2000). Strömungsgeräusche können dagegen nur mit hohem numerischem Aufwand berechnet werden, so dass ein produktiver Einsatz in der Serienentwicklung noch nicht stattfindet. Hier nutzt man stattdessen empirisch ermittelte Auslegungsformeln (Green u. Smith 1988). Die Schallabstrahlung von Komponenten kann prinzipiell über die Finite Element Methode (FEM) (Geissler u. Horn 1993) oder die Boundary Element Methode (BEM) (von Estorff 1995) berechnet werden. Hierzu werden aber neben dem Strukturnetz der Komponente auch die Anregungsdaten (Luft- oder Körperschall) benötigt. Aufgrund der Komplexität der Berechnungskette ist die Vorhersage des abgestrahlten Schalldruckpegels nur eingeschränkt möglich. Vielmehr wird in der Praxis die Schale des Schalldämpfers über eine FEM-Formoptimierung versteift (Garcia et al. 2006, Göttlicher 2006).
6.1.4.6 Übertragung Schwingung/Luftschall Innenraum Das Innengeräusch eines Kfz wird als wesentliches Produktmerkmal zur Differenzierung von Qualität und Designanspruch wahrgenommen. Deshalb ist es wünschenswert, schon in einem frühen Entwicklungsstadium des Fahrzeugs, Aussagen zum Innengeräusch treffen zu können und so Designentscheidungen zu unterstützen. Dabei wird häufig die bei Körperschallquellen bekannte und bewährte Methode der Transferpfadanalyse/Transferpfadsynthese (Hohenberger et al. 2006, Genuit 2006) auch auf die am Fahrzeug vorhande-
258
6
J. Krüger
nen Luftschallquellen übertragen. Das Abgasmündungsgeräusch spielt als eine wesentliche Luftschallquelle nicht nur im Auen- sondern auch im Innengeräusch eine erhebliche Rolle. Eine genaue Vorhersage des Innengeräuschanteils ist jedoch nur möglich, sofern nicht nur das Mündungsgeräusch selbst, sondern auch die anderen Beiträge sowie die Übertragungswege bekannt sind und die Phasenbeziehungen des Mündungsgeräuschanteils zu den anderen Quellen bei der Synthese korrekt berücksichtigt werden. In frühen Stadien der Entwicklung, wenn das Mündungsgeräusch noch auf Gasdynamikberechnungen beruht, liegen aber oft noch keine, für diesen Weg gültigen Übertragungsfunktionen vor. Im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium, wenn Messwerte für Übertragungsfunktion und Abgasmündungsgeräusch vorliegen, besteht hingegen die Schwierigkeit, die in mehreren Messdurchläufen ermittelten einzelnen Geräuschanteile phasenrichtig zu synthetisieren (Nicolai u. Krüger 2008).
Prognose des Mündungsanteils Der Mündungsanteil am Innengeräusch (IG) resultiert aus dem von der Abgasmündung abgestrahlten Geräusch und dessen Übertragung auf seinem Weg ins Innere. Dieser Transferpfad wird durch die Transferfunktion (TF) beschrieben, die hier messtechnisch zwischen der Mündungsmikrofonposition auen und dem interessierenden Messpunkt im Fahrzeuginneren ermittelt wird (siehe Abb. 6.49). Für die Prognose wird diese TF als Filter auf das gemessene (oder berechnete) Mündungsgeräusch angewendet. Wichtig für eine gute Prognosegenauigkeit ist, dass die TF tatsächlich am betreffenden Fahrzeug bestimmt wird. Sie gilt nämlich nur dort und auch nur für die jeweils bestimmte Kombination aus Mündungs- und Sitzposition. Ebenso kann eine Übertragbarkeit der TF zwischen Vorgänger- und Nachfolgerfahrzeug nicht einfach vorausgesetzt werden. Beispielhafte Vergleiche an mehreren Mittelklassefahrzeugen ergaben, dass die Schwankungsbreite zwischen deren TF bereits im unteren Frequenzbereich 10–15 dB beträgt und mit steigender Frequenz noch zunimmt (s. Abb. 6.50).
Innengeräusch vorne rechts
Meßsystem
Innengeräusch hinten links
Lautsprecher zur Schallerzeugung Mikrofon an der Mündungsposition
Abb. 6.49 Aufbau zur direkten Messung der Transferfunktion zwischen der Mündung und den Innenraumpositionen
259
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
Betrag der TF Mündung zu Innen HL\dB
–10
–20
–30
–40
–50
–60
0
200
400
600
800
1000
Frequenz / Hz
Abb. 6.50 Gegenüberstellung der Transferfunktionen einiger Mittelklasse-Fahrzeuge verschiedener Hersteller und Modelljahre
Einfluss des Mündungsgeräusches auf das Innengeräusch Abbildung 6.51 und 6.52 stellen den Einfluss des Mündungsgeräusches auf das Innengeräusch eines Mittelklasse-Fahrzeugs mit 6-Zylindermotor beispielhaft dar. Abbildung 6.51 zeigt dafür zunächst die im Mündungsgeräusch dominierende 3. Motorordnung der AbgasSchalldruckpegel an der Mündung/dB(A) 3. MO
110
100
90
80 70 1000
2000
3000 4000 Drehzal/U/min
5000
6000
Freie Klappenfläche: Klappe 100% (maximal geöffnet) Klappe 39% Klappe 14% Klappe 6% Klappe 0% (ganz geschlossen)
Abb. 6.51 Schalldruckpegel der 3. Motorordnung an der Mündung einer Abgasanlage mit unterschiedlichen Klappenstellungen bei Volllast
260
K. Wolff
Schalldruckpegel im Innenraum HL/dB(A)
3. MO
80 Innen hinten links
70
60
50
6
40
1000
2000
3000 4000 Drehzahl/U/min
5000
6000
Abb. 6.52 Schalldruckpegel der 3. Motorordnung im Innenraum eines Fahrzeugs mit unterschiedlichen Klappenstellungen bei Volllast
anlage. Mit Hilfe einer steuerbaren Endrohrklappe und unterschiedlichen Klappenstellungen wurde hier eine Pegeländerung gezielt hervorgerufen. Mit zunehmendem Winkel der Klappe, d. h. gröer werdender Öffnung, steigt der Mündungspegel der 3. Motorordnung kontinuierlich im gesamten Drehzahlbereich an. Im Innenraum wirkt sich dieser Anstieg jedoch äuerst unterschiedlich aus, da sich hier Schallanteile von anderen Teilschallquellen jeweils konstruktiv oder destruktiv überlagern (Abb. 6.52). Dabei gibt es durchaus Drehzahlbereiche, in denen der Mündungspegel dominiert und die Pegeldifferenzen aus der Mündung auf den Innenraum übertragbar sind (z. B. bei ca. 1.500 U/min), während in anderen Drehzahlbereichen (z. B. 2.000 U/min) keine Veränderungen sichtbar sind. Aufgrund der Schwierigkeit, in frühen Entwicklungsphase alle Teilschallquellen und Übertragungspfade ausreichend präzise vorherzusagen, wird daher bisher der Einfluss des Mündungsgeräusches auf das Innengeräusch noch immer erst bei Vorliegen von realen, seriennahen Versuchsträgern mit hinreichender Genauigkeit von einigen Dezibel ermittelt.
6.1.5 Hybridakustik Klaus Wolff, FEV Motorentechnik GmbH
6.1.5.1 Einleitung In diesem Kapitel erfolgt nach einer kurzen Einleitung eine allgemeine Einführung in die Hybridtechnik. Anschlieend werden hybridspezifische Akustikthemen analysiert. Bei dem Geräusch- und Schwingungsverhalten von Hybridfahrzeugen geht es zum einen darum, die neue Technologie sicher zu beherrschen, und zum anderen darum, die
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
261
neuen Freiheitsgrade, die diese Technologie dem Akustiker bereitstellt, zu nutzen. Zudem gilt es auch, ein Verständnis für die Erwartungshaltung des Kunden aufzubauen, da hybridspezifische Betriebszustände, wie rein elektrisches Fahren oder Bremsenergierückgewinnung (Rekuperation), neu sind. Wie von konventionellen Antrieben gewohnt, erwartet der Kunde ein akustisches Feedback zu dem aktuellen Fahrzustand des Fahrzeugs. Sicherlich wäre es falsch zu versuchen, einen Hybridantriebsstrang wie einen Standardantrieb klingen zu lassen. Die neue Technik soll der Kunde erleben, auch durch ein hybridspezifisches akustisches Feedback.
6.1.5.2 Allgemeine Einführung in die Hybridtechnologie Die Geschichte des Hybridantriebs reicht bis ins Jahr 1898 zurück, als der Spanier Emilio de la Cuadra in Barcelona das erste Hybridfahrzeug baute (Wikipedia). Wie häufig in der Automobilgeschichte findet die Umsetzung einer neuen Technologie in die Serienentwicklung jedoch erst viele Jahre später statt. So wurde mit dem Prius I 1997, also ungefähr 100 Jahre später, das erste Hybridfahrzeug in nennenswerter Stückzahl von Toyota auf dem Markt angeboten. Die Motivation, den Verbrennungsmotor intelligent mit den Vorteilen des E-Motors zu kombinieren, liegt in der weiteren Verbrauchs- und Emissionsreduzierung. Die Klimaerwärmung durch den Anstieg der CO2-Emissionen in Kombination mit den stark ansteigenden Ölpreisen haben den Weg für die aufwendige und kostenintensive Technologie geebnet. Einige Fahrzeuge sind bereits auf dem Markt, und viele Firmen arbeiten an verschiedenen Lösungen, die in den nächsten Jahren in die Serienproduktion gehen werden. Die gewählten Lösungen orientieren sich an Verbrauchsreduzierung, Mehrgewicht, Komplexität und Mehrkosten. Als Ergebnis wird dem Kunden in naher Zukunft eine Vielzahl von Fahrzeugen mit unterschiedlichen Hybridisierungsgraden angeboten. Dabei wird folgende Einteilung des Hybridisierungsgrades verwendet: 1. Mikrohybrid Das Fahrzeug verfügt über eine automatische Start-Stopp-Funktion und über die Möglichkeit der elektrischen Bremsenergierückgewinnung zum Laden einer kleinen Starter-Batterie. Als Beispiele für dieses Konzept können der Toyota Crown (THS8-M) aus dem Jahr 2001 und GM Chevy S3X (BAS9) aus dem Jahr 2007 sowie die BMW Fahrzeuge mit „Efficient Dynamics“ genannt werden. 2. Mildhybrid Ein Elektromotor wird eingesetzt, um den Verbrennungsmotor z. B. in Beschleunigungsphasen zu unterstützen. Diese Konfiguration kann auch zur Effizienzsteigerung genutzt werden, da der Verbrennungsmotor in seinem optimalen Betriebspunkt betrieben werden kann. Beispiele für den Mildhybrid sind der Honda Insight, der Honda Civic, der Honda Accord, der GM Chevrolet Silverado und der GMC Sierra. 8 9
THS: Toyota Hybrid System BAS: Belt Alternator System
262
K. Wolff
30 NEDC, 1500 kg vehicle weight, Gasoline HEV
6
Fuel Saving Potential [%]
25 20
Calculated values
15 10 5 0 –5
Start/ Stop
Optimized Engine Operation
Brake Energy Recovery
Electric Drive
Fuel Saving Potential for Gasoline HEV up to 24 %
Additional Weight Functions
Abb. 6.53 Verbrauchsreduzierungspotentiale der unterschiedlichen Hybridfunktionen. (Jené et al. 2004)
3. Vollhybrid Ein so genannter Vollhybrid zeichnet sich dadurch aus, dass ein rein elektrisches Fahren möglich ist. Dabei besitzen der Elektro- und der Verbrennungsmotor Leistungen in vergleichbarer Gröe. Beispiele sind der Toyota Prius 2, der Toyota Highlander, der Lexus RX 400 h, der Lexus GS 450 h, der Lexus LS 600 h, der Ford Escape Hybrid oder der Mercury Mariner Hybrid. Die Verbrauchsreduzierungspotentiale der unterschiedlichen Hybridisierungsgrade können dem Abb. 6.53 entnommen werden. Mit Hilfe der Start-Stopp-Funktion (Mikrohybrid) ist eine Verbrauchsreduzierung von ca. 5 % möglich, weitere 5 % sind mit einem Mildhybrid durch die optimierten Betriebsbedingungen erreichbar. Ein Vollhybrid erreicht ein Sparpotential von bis zu 25 %. Eine weitere in der Literatur häufig verwendete Unterscheidung der Hybridantriebe definiert sich über die Kopplung des Verbrennungsmotors mit der E-Maschine und den Rädern. Die drei wichtigsten Konzepte sind in Abb. 6.54 dargestellt. Beim seriellen Hybridantriebsstrang treibt der Verbrennungsmotor einen Generator an. Dessen elektrische Energie treibt einen Elektromotor an, der für die Fortbewegung des Fahrzeugs sorgt. Gleichzeitig kann eine Batterie geladen werden. Beim parallelen Hybridantriebsstrang sind Verbrennungsmotor und Elektromotor mechanisch mit den Antriebsrädern gekoppelt. Die Drehmomente der einzelnen Antriebe sind gleichzeitig für die Fortbewegung verfügbar. Mit leistungsverzweigtem Hybrid wird eine Kombination aus den beiden oben genannten Konzepten bezeichnet. Ein Beispiel ist das Power-Split-Konzept, umgesetzt im Toyota Prius II. Bei der Weiterentwicklung der Hybrid- und Elektro-Fahrzeuge nimmt die Speicherung der elektrischen Energie eine wesentliche Rolle ein. Hierbei spielen die Themen Dauerhaltbarkeit, Sicherheit, Gewicht und Kosten die Hauptrollen und werden mit über die
263
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
Classification: Energy Flow
ICE
Serial Hybrid
Conv. battery
Generator
ICE power completely converted into electrical power via generator no direct connection ICE / driveline
E-Motor/Generator High-performance battery
Split Hybrid ICE & E-Motor connected to driveline ICE power converted into electrical power via generator & used for drive mono* & dual drive possible Parallel Hybrid
ICE & E-Motor connected to driveline mono* & dual drive possible *: depending on concept
P1
P1f
BSG
E-Motor
P2
P1fP2 BSG Cluster
P3 P4
E-Motor
P12 P14 E-Motor
Abb. 6.54 Einteilung von Hybridkonzepten – Serial Hybrid: serieller Hybrid; Split Hybrid: leistungsverzweigter Hybrid; Parallel Hybrid: paralleler Hybrid; ICE: Interner Verbrennungsmotor; Conv. Battery: konventionelle Batterie
Verbreitung der Technologie entscheiden. Bisher verwendet beispielsweise Toyota NickelMetallhydrid-Akkumulatoren. Mercedes hingegen wird 2009 das erste Hybridfahrzeug mit einem Lithium-Ionen-Akkumulator auf den Markt bringen. Wesentlicher Vorteil der Lithium-Ionen-Technologie ist die höhere Energie- und Leistungsdichte sowie eine höhere Lebensdauer. Die Nachteile dieser Technologie liegen in dem aufwendigen Thermomanagement zur Realisierung der optimalen Betriebstemperatur von 15 bis 35 °C sowie dem komplexen Sicherheitskonzept.
6.1.5.3 Hybridspezifische NVH-Themen Im Markt befindliche Hybridfahrzeuge sind im Vergleich zu konventionellen Antrieben mit Verbrennungsmotor generell leise. Aufgrund des geringen Geräuschniveaus entfallen aber Maskierungseffekte von sonst unauffälligen Geräusch- und Schwingungsquellen. Es können dadurch Geräusche und Schwingungen in hybridspezifischen Betriebszuständen, wie Rekuperationsbetrieb, auffällig werden. Abbildung 6.55 zeigt einen Überblick der NVH-Phänomene für ein Power-Split-Hybridsystem in den verschiedenen Betriebsmodi. Wie bereits erwähnt, können im rein elektrischen Betrieb bisher als unkritisch eingestufte Geräusche, wie Lüftungsgeräusch der Klimaanlage, durch die fehlende Maskierung des Verbrennungsmotorgeräusches als störend empfunden werden. Bei den Übergängen vom reinen elektrischen Betrieb zum Betrieb mit Verbrennungsmotor darf der Startvorgang des Verbrennungsmotors keine unangenehmen Schwingungen oder
264
K. Wolff
Drehmomentschwankungen
6 Start/ Stopp
Angefordertes Drehmoment
unsauberes Geräusch
Demaskierung
Leistungsverteilung beim Toyota-Hybrid System (THS)
Verbrennungsmotor aktiv, Batterie und Generator treiben den Elektromotor Schaltungsgeräusch
Verbrennungsmotor aktiv, Generator treibt den Elektromotor
rein elektrischer Antrieb
Verbrennungsmotor aktiv/ Generator lädt Batterie Fahrgeschwindigkeit
Abb. 6.55 NVH-Phänomene des Toyota Hybridsystems bei unterschiedlichen Betriebsmodi
Geräusche verursachen. In den beiden Betriebsbereichen, in denen der Verbrennungsmotor zum einen mit dem Generator und zum anderen mit dem E-Motor in Kombination betrieben wird, müssen intelligente Regelungen abrupte Drehmomentveränderungen und -schwankungen vermeiden. Im Folgenden sind relevante NVH-spezifische Aspekte von Hybridantriebssträngen gelistet und nach verschiedenen Kriterien sortiert (Yoshioka 2001, Komada u. Yoshioka 2005, Ishihaman 2004). Grundsätzlich erfolgt eine Einteilung der hybridspezifischen NVH-Probleme in drei Kategorien: 1. Neue akustische Phänomene 2. Neue dominante Geräusche infolge fehlender Maskierungseffekte 3. Unerwartetes akustisches Verhalten (z. B. Motordrehzahlverlauf bei Beschleunigung) Neue akustische Phänomene Ein Hybridantriebsstrang zeichnet sich gegenüber dem konventionellen Antrieb durch zusätzliche Komponenten aus, wie Elektromotoren, Schaltgeräte und Hochspannungsbatterie. Es ergeben sich damit verschiedene neue Wechselwirkungen zwischen diesen Komponenten, die in dieser Form bei konventionellen Fahrzeugen nicht bekannt sind. Sowohl die zusätzlichen Komponenten wie auch die resultierenden Interaktionen können zu akustischen Problemen mit negativer Wirkung auf den Komfort führen. In Tab. 6.3 und 6.4 sind mögliche NVH-Phänomene zusammengestellt, die auf hybridspezifische Komponenten beziehungsweise deren Wechselwirkungen zurückgeführt werden. Jedes dieser Phänomene ist in der Regel an einen bestimmten hybridspezifischen Betriebsmodus gekoppelt. Zum Beispiel wird das hochfrequente Pfeifgeräusch beim regenerativen Bremsen durch den Generator verursacht.
265
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
Tab. 6.3 Hybridspezifische Komponenten und Auswirkungen auf die NVH-Qualität Neue hybridspezifische Komponente
Betriebsmodi
NVH-Phänomen
E-Motor/Generator
Regeneratives Bremsen
Steuergerät Elektromotor
Übergänge zwischen Betriebsmodi Rein elektrischer Antrieb
Magnetische Geräusche, Verzahnungsgeräusche im Getriebe Schaltungsgeräusch
Verbrennungsmotor/spezielle Brennverfahren Batteriekühlungssystem/Lüfterräder
Verbrennungsmotorischer Antrieb Unabhängig von den Betriebsmodi
E-Motorgeräusch und -schwingungen Verbrennungsmotorgeräusche Aerodynamische Geräusche
Eine geeignete Methode, um besonders im Stadtverkehr den Verbrauch deutlich zu senken, ist der Einsatz von Start-Stopp-Systemen. Bei einem Start-Stopp-System schaltet sich der Motor im Stillstand automatisch aus, z. B. vor einer Ampel oder im Stau, und startet wieder, sobald der Fahrer weiterfahren will. Dieser Start-Stopp-Vorgang tritt im Stadtverkehr häufig auf. Deshalb sollten seine Einflüsse auf die Schwingungen und die verursachten Geräusche gründlich betrachtet und analysiert werden. Die auf das NVH-Verhalten bezogenen Hauptaufgaben liegen in der Tab. 6.4 Wechselwirkungen von Komponenten und Auswirkungen auf die NVH-Qualität echselwirkungen der W Komponenten
Betriebsmodi
NVH-Phänomene
Starter-Generator/Verbrennungsmotor
Start/Stopp
Achsen und Planeten-getriebe
Übergänge zwischen Betriebsmodi
Verbrennungsmotor und Elektromotor
Kombinierter elektrischer und verbrennungsmotorischer Antrieb und schneller Hochlauf des Verbrennungsmotors Kombinierter elektrischer und verbrennungsmotorischer Antrieb (Modus für hohes Drehmoment bei niedriger Drehzahl) Unabhängig von den Betriebsmodi
Niederfrequente Schwingungen/Schütteln des Fahrzeugs Änderung des Trägheitsmoments und der Eigenfrequenzen des Antriebsstrangs Verbrennungsmotorordnungen in der Nähe von Elektromotorordnungen (unsauberes Geräusch)
Verbrennungsmotor- und Elektromotorsteuerung
Batterie und Karosserie
Karosserievibrationen und Dröhnen
Neue Gewichtsverteilung, dadurch Änderung der globalen Karosserieeigenfrequenz
266
K. Wolff
Tab. 6.5 Schwingungsquellen beim Start und die entsprechenden akustischen Manahmen Schwingungsquelle
Akustische Maßnahmen Betriebsstrategie
Anlassen
Anlassreaktions- Anlassdrehmoment- Optimierung der Lagerung optimierung kraft/Pummit Elektropendruck im motor/AnsaugZylinder luftdrosselung mit variabler Ventilsteuerung
Verbrennungs- Schneller Drehbeginn momentanstieg nach dem Zünden
Aktivlagerung/aktive Schwingungsminderung mit Elektromotoren
Startdrehzahl/Zündwinkelsteuerung und Kraftstoffeinspritzsteuerung
Optimierung der Vibrationen im Fahrzeug beim Starten und Abschalten des Motors und in der Vermeidung störender Geräusche des Start-Stopp-Systems. Tabelle 6.5 zeigt die Schwingungsquellen beim Start des Verbrennungsmotors und die entsprechenden akustischen Manahmen zur Schwingungsoptimierung. In modernen Fahrzeugen, wie dem Lexus RX 400 h oder dem Lexus LS 600 h, werden aktive Regelungsmethoden benutzt, um die Schwingungen in diesen Start/Stopp-Phasen zu vermindern (Kawabata 2007). Beispielhaft ist in der Abb. 6.56 die simulierte Fahrzeuglängsbeschleunigung während des Startvorgangs des Verbrennungsmotors vom Lexus RX 400 h mit und ohne aktive Regelung gezeigt. Das Fahrzeug fährt im elektrischen Betrieb mit konstanter Geschwindigkeit und schaltet zum Zeitpunkt t ≈ 3,5 s nun den Verbrennungsmotor zu. Der Startvorgang ist in zwei Phasen unterteilt. In der ersten Phase des Startvorganges (Anlassen) wird der Verbrennungsmotor durch den E-Motor auf eine Zieldrehzahl geschleppt. Neben der Tatsache, dass aufgrund der höheren Leistung des E-Motors dieser Vorgang viel schneller 1 Mit Regelung 0.5
Ohne Regelung
Abb. 6.56 Simulierte Fahrzeugbeschleunigung beim Startvorgang mit und ohne Regelung (Feedforwardregelung beim Anlassen, Feedbackregelung beim Verbrennungsbeginn) eines leistungsverzweigten Hybrid-Antriebsstranges
0.25 0 –0.25
Anlassen 0
1
2
3
4 t [s]
–0.5
Verbrennungsbeginn 5
6
–0.75 7
aFzg [m/s2]
6
Regelungstechnik
Passive Methoden
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
267
und damit unauffälliger erfolgt als bei einem konventionellen Verbrennungsmotor, wird die Drehungleichförmigkeit infolge der Kompressionskräfte durch die Regelung des EMotors drastisch reduziert. Hierbei handelt es sich um eine einfache Feedforwardregelung. Das bekannte (nicht gemessene) schwankende Anlassdrehmoment des Verbrennungsmotors wird durch ein geregeltes E-Motor-Moment in ein konstantes Moment umgewandelt. Als Regelgröe dient die Verdrehwinkelgeschwindigkeit des Torsionsdämpfers, die Null sein soll. In der zweiten Phase des Startvorgangs, dem Einsetzen der Verbrennung, schliet sich, wie hier simuliert, ein zweiter Regelvorgang an. Durch das zusätzliche Moment des Verbrennungsmotors würde ein Antriebsmomentensprung entstehen, wenn der E-Motor mit konstanter Leistung weiter arbeiten würde. Dies würde zu komfortminderndem Längsruckeln führen. Das allgemeine Regelziel ist also die Reduzierung der Antriebsstrangdrehschwingungen bei schnellem Drehmomentenanstieg oder -abfall des Verbrennungsmotors. Dies wird durch eine Feedbackregelung erreicht, die den Unterschied zwischen der aktuellen dynamischen Raddrehzahl und der (auf das Rad reduzierten) Drehzahl des E-Motors durch die Regelung des E-Motormomentes minimiert (Tomura 2006). Ein anderer NVH-Aspekt von Hybridfahrzeugen ist der für das Innengeräusch kritische Betrieb des Verbrennungsmotors bei hohen Lasten und niedrigen Drehzahlen. Dieser Betriebsbereich erlaubt geringeren Brennstoffverbrauch. Allerdings verursachen die höheren Drehmomentschwankungen tieffrequente Karosserieschwingungen und Dröhngeräusche. Bei einem konventionellen Fahrzeug tritt dieser Betriebszustand nicht lang andauernd auf. Effiziente Hybridfahrzeuge werden jedoch mit deutlich höheren Zeitanteilen in diesem Bereich verweilen. Ein Beispiel ist das THS des Prius I, welches bei konstanter Geschwindigkeit oder bei leichter Beschleunigung in diesem Kennfeldbereich verweilt (Yoshioka 2001). Hier muss also bereits in der frühen Entwicklungsphase besonderes Augenmerk auf die Abstimmung von Karosserie- und Antriebsstrangresonanzen gelegt werden. Als letztes Beispiel werden die Rekuperationsgeräusche und die entsprechenden Transferpfade analysiert. Grundsätzlich sollten Rekuperationsgeräusche vermieden werden, da der Kunde bei einem Bremsvorgang kein heulartiges Geräusch erwartet. Abbildung 6.57 zeigt ein Campbell-Diagramm einer Luftschallaufnahme im Motorraum während eines Rekuperationsbetriebes. Es sind verschiedene Ordnungen über der Drehzahl benannt, die zu einem deutlichen Heulton führen. Das Heulen wird in diesem Beispiel nicht nur durch die Magnetgeräusche des Generators (rote Zahlen) erzeugt, sondern es wird auch durch die Getriebeverzahnungsgeräusche (blaue Zahlen) verstärkt. Das Heulgeräusch dieses Fahrzeugs war im Innenraum deutlich wahrnehmbar. Als Transferpfade konnten sowohl der Luftschallpfad als auch der Körperschallpfad über ein Aggregatlager als dominant identifiziert werden. Neue dominante Geräusche infolge fehlender Maskierungseffekte Bei Fahrzuständen mit abgeschaltetem Verbrennungsmotor treten akustische Phänomene in den Vordergrund, die bei konventionellen Fahrzeugen durch das Geräusch des Verbrennungsmotors maskiert werden. Typische Beispiele hierfür sind das Wasserpumpen-, das Lüfter- und das Rollgeräusch sowie Umweltgeräusche. In Abb. 6.58 ist das Innengeräuschspektrum einer Lüftungsanlage bei verschiedenen Gebläsestufen dargestellt. Zusätzlich zeigt der graue Bereich das Leerlaufinnengeräusch von typischen Otto- und Dieselmotoren. Es ist zu erkennen, dass das Lüftergeräusch bis
268
K. Wolff
6
Abb. 6.57 Campbell-Diagramm einer Motorraum-Luftschallaufnahme während Rekuperation
zur Stufe 3 durch das Motorgeräusch maskiert wird. Der Effekt, dass im Leerlauf das Lüftungsgeräusch in den Vordergrund tritt, ist aufgrund der immer geringeren Motorinnengeräusche schon seit Jahren ein stetiger Trend. Die Notwendigkeit leiserer Lüftungsgeräusche ist für Hybridfahrzeuge aufgrund des häufig abgeschalteten Verbrennungsmotors
Abb. 6.58 Innengeräuschspektrum der Lüftungsanlage bei verschiedenen Gebläsestufen
269
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
noch wichtiger. Erreicht wird dies durch die Auswahl eines leisen Ventilators und durch eine gute strömungstechnische Auslegung der Rohrleitungen und Klappen. Zusätzlich ist es möglich, das Geräusch durch den Einsatz von Absorptionsmaterial in den strömungsführenden Bauteilen zu verbessern. Unerwartetes akustisches Verhalten In diesem Kapitel werden zwei für Hybridfahrzeuge wesentliche Betriebszustände beschrieben, bei denen ein falsches, vom Fahrer nicht erwartetes akustisches Feedback als störend empfunden werden kann. Bei konventionellen, allein durch einen Verbrennungsmotor angetriebenen Fahrzeugen, besteht ein Zusammenhang zwischen Fahrzeuggeschwindigkeit und Motordrehzahl. Das Fahrzeuginnengeräusch empfindet der Fahrer als Feedback des Fahrzustandes. Das Gegenteil gilt für Hybridfahrzeuge, da die Fahrzeuggeschwindigkeit nicht allein vom Verbrennungsmotor bestimmt ist, sondern je nach Konfiguration zusätzlich vom Betriebszustand des oder der Elektromotoren. Es gibt häufig keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Fahrzeuggeschwindigkeit und Motordrehzahl, was darauf zurückzuführen ist, dass die Drehzahl des Verbrennungsmotors auch durch den Fahrt- und Batteriezustand beeinflusst wird. Abbildung 6.59 zeigt die Motordrehzahl und die Geschwindigkeit eines Hybridfahrzeugs während einer Volllastbeschleunigung. Die Fahrzeuggeschwindigkeit steigt nahezu linear mit der Zeit an. Die Motordrehzahl hingegen zeigt zu Beginn der Beschleunigung einen Sprung und bleibt nach ca. 15 s nahezu konstant. Dieser Drehzahlverlauf verursacht ein gegenüber dem konventionellen Antriebsstrang ungewöhnliches Innengeräusch. Hier gilt es, einen ausgewogenen Kompromiss zwischen dem erwarteten akustischen Feedback und einem verbrauchsgünstigen Motordrehzahlverlauf zu finden. Das zweite Beispiel zeigt den Wechsel zwischen elektro- und verbrennungsmotorischem Antrieb bei Konstantfahrt mit geringer Geschwindigkeit. Abbildung 6.60 zeigt ein Beispiel, bei dem der Fahrer den Wechsel zwischen elektro- und verbrennungsmotorischem Antrieb kaum merklich wahrnimmt. Es handelt sich um einen Zeitausschnitt einer Konstantfahrt, bei dem der Verbrennungsmotor in drei kurzen Zeitabschnitten in Betrieb ist, nämlich immer dann, wenn die 3. Motorordnung (6 Zylinder) auf dem Pegeldiagramm erkennbar ist. Jedoch liegt der Pegel dieser Ordnung 15 dB(A) unterhalb des Gesamtpegels und wird somit nur als leichtes „Hintergrundgeräusch“ wahrgenommen. Der Grund, dem Fahrer keine akustische Antwort zu geben, ist der, dass der Betrieb des Verbrennungsmotors von dem Ladezustand n/rpm 6k
Speed/km/h 150
5k
125
4k
100
3k
75 50
Abb. 6.59 Volllastbeschleunigung eines Fahrzeugs ausgestattet mit einem leistungsverzweigten Hybridantrieb
25 0
2k
Motordrehzahl Geschw.
-
5
10
15
t/s
25
30
1k
35
+
40
0
270
F. Gauterin
Abb. 6.60 Innengeräusch eines Hybridfahrzeuges bei Konstantgeschwindigkeit im rein elektrischen Betrieb und mit Verbrennungsmotor
6
der Batterie abhängt und somit unabhängig vom Fahrerwunsch ist. Der Fahrer würde verwirrt sein, wenn bei Konstantfahrt plötzlich, für den Fahrer ohne erkennbaren Sinn, der Verbrennungsmotor anspringen und das Fahrzeuginnengeräusch dominieren würde.
6.2 Reifen-Fahrbahngeräusche Frank Gauterin, Karlsruher Institut für Technologie
6.2.1 Einleitung Reifen-Fahrbahngeräusche gehören neben den Antriebs- und Windgeräuschen zu den wichtigsten Geräuschen des Automobils. Sie dominieren vielfach zwischen 30 und 130 km/h Komfort und Geräuschemission, je nach Fahrbahnbelag, Antriebskonzept und Fahrzustand auch darunter. Damit sind sie die Hauptquelle des Verkehrslärms. Im Gegensatz zu Antriebsgeräuschen können Reifen-Fahrbahngeräusche nicht beliebig reduziert werden, da sie durch den Kontakt zwischen Reifen und Fahrbahn entstehen, über den die gesamte Kraftübertragung des Fahrzeugs realisiert wird. Aus Gründen der Bodenfreiheit kommt eine Kapselung nicht in Betracht. Reifen-Fahrbahngeräusche sind jedoch nicht nur lästig, sie haben auch Vorteile. Sie liefern sicherheitsrelevante Rückmeldungen an den Fahrer über den Fahrbahnzustand sowie an Fugänger und Fahrradfahrer über die Annäherung eines Fahrzeugs.
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
271
Im folgenden Unterkapitel wird nach einer kurzen historischen Betrachtung die Entstehung und Weiterleitung von Reifen-Fahrbahngeräuschen detailliert behandelt. Es folgen anhand der einzelnen Geräuschphänomene jeweils eine Beschreibung der Ursachen, des wahrnehmbaren Geräuschcharakters, der objektiven Geräuschmerkmale, der Betriebsbedingungen, unter denen die Phänomene besonders deutlich auftreten sowie von Ansätzen zur Optimierung und zu beachtenden Zielkonflikten.
6.2.2 Historie Reifen-Fahrbahngeräusche begleiteten Fahrzeuge seit Anbeginn. Schon im alten Rom gab es tageszeitabhängige Fahrverbote, um die erheblichen Geräusche von Fahrzeugen auf innerstädtischem Pflaster zu regulieren (Schafer 1994). In London beklagte man den Lärm eisenbewehrter Räder (Crocker 1984) und nutzte Stroh als Geräuschminderungsmanahme, mit dem das Pflaster im Bereich vor Krankenhäusern bestreut wurde (Sandberg u. Ejsmont 2002). Auch Holzpflasterungen waren in der Zeit der Kutschen in vielen Städten üblich, man findet Reste noch heute in Havanna (Crocker 1984, McShane 1979, Sandberg u. Ejsmont 2002). 1845 erfand Robert William Thomson den Luftreifen (Thomson 1845, Robertson 1847), für den er einen lederummantelten Kautschukschlauch verwendete. In einer Werbeanzeige dieser Tage hie es: „[…] They entirely prevent the carriage making any noise […]“ (Whitehurst 1847). Das anfällige Produkt setzte sich damals nicht durch. Erst mit dem Automobil begann Ende des 19. Jahrhunderts eine gröere Verbreitung. Nach dem 2. Weltkrieg etablierte sich der heute übliche Radial-Gürtelreifen, der gegenüber dem Diagonalreifen hinsichtlich des Komforts erhöhte Anforderungen in der Entwicklung mit sich brachte. Im Innen- und Auengeräusch wurde der Reifen seitdem deutlich weiterentwickelt (Gauterin u. Ropers 2004, Gauterin 2005). Moderne offenporige Asphaltdeckschichten reduzieren Reifen-Fahrbahngeräusche sehr wirkungsvoll (Beckenbauer 2004).
6.2.3 Geräuschentstehung und -weiterleitung Reifen-Fahrbahngeräusche entstehen durch den Kontakt von Reifen und Fahrbahn. Sie werden von beiden Partnern stark beeinflusst, wobei heute übliche Fahrbahnbeläge eine gröere Streuung aufweisen als gebräuchliche Reifen. Dabei gibt es eine ganze Reihe von Geräuschentstehungsmechanismen (Abb. 6.61). Ungleichförmigkeiten von Reifen und Fahrbahn deformieren die Reifenstruktur und führen zur Erregung von Strukturschwingungen und zur Verdrängung von Luft aus Hohlräumen zwischen Reifen und Fahrbahn und aus den Profilrillen, dem so genannten „Airpumping“. Dabei genügen sehr kleine Ungleichförmigkeiten im Mikrometerbereich um eine erhebliche Geräuschentwicklung zu bewirken. Auf glatten Fahrbahnoberflächen ist die Profilierung des Reifens die dominante Anregung. Die Profilklötze treffen auf der Fahrbahn auf und erzeugen Kraftspitzen. Da die in Umfangs- und Querrichtung gekrümmte Reifenoberfläche sich im Latsch in eine Ebene verformt, treten Scherkräfte auf, die zu einer Deformation der Profilklötze führen. Beim Austritt aus der Kontaktzone entspannen
272
F. Gauterin
Drehrichtung Reifenungleichförmigkeit
ReifenSchwingungen
6
Profilklotzaufschlag
TrichterEffekt
Makro-Rauhigkeit
TrichterEffekt
Airpumping
Stick-Slip, Gleiten
ProfilklotzAusschnappen
Mega-Rauhigkeit
Anregung durch Fahrbahntextur
Abb. 6.61 Entstehungsmechanismen des Reifen-Fahrbahngeräuschs im Reifen-Fahrbahn-Kontakt
sich die Klötze, sie schnappen aus und schwingen in ihren bei etwa 800 Hz beginnenden Eigenmoden nach. Das Auftreffen und Ausschnappen der Klötze geschieht mit der Klotzeinlauffrequenz, die sich vereinfacht aus der Anzahl der Profilklötze und der Drehzahl des Reifens errechnet, und die im Geräuschspektrum stets deutlich sichtbar wird. Um eine schmalbandige Geräuschentwicklung bei einer bestimmten Radordnung zu vermeiden, wird die Profilklotzlänge über dem Umfang variiert. Bei Umfangskraft am Rad können schon innerhalb der Aufstandsfläche die Scherkräfte die Haftreibungskräfte zwischen Reifen und Fahrbahn übersteigen und zur Ablösung der Profilklötze von der Fahrbahnoberfläche führen. Bei dem einsetzenden Gleitvorgang erfolgt einerseits durch die Textur der Fahrbahnoberfläche im Wellenlängenbereich unterhalb eines Millimeters eine breitbandige Anregung der Reifenstruktur, die insbesondere bei Frequenzen von einigen Kilohertz zu erhöhter Geräuschentwicklung führt. Andererseits kann es zu selbsterregten Stick-Slip-Schwingungen kommen, wenn der Reibkoeffizient mit steigender Gleitgeschwindigkeit abnimmt, etwa wenn Adhäsion als Kontaktmechanismus zwischen Reifen und Fahrbahn auftritt. Dabei treten meist schmalbandige Geräusche um 1 kHz auf (Gauterin et al. 2009). Auftreffen und Entspannen der Profilelemente sowie die Unebenheiten der Fahrbahnoberfläche regen die Reifenstruktur zu Eigenschwingungen an, deren tieffrequenteste etwa bei 40 Hz liegt. Die Eigenfrequenzen steigen mit dem Reifenfülldruck stark an, da dieser die Spannung im Materialverbund erhöht. Wird ein frei hängender Reifen mit einer statischen Vertikalkraft belastet, steigen Eigenfrequenzen mit der Ausbildung der Aufstandsfläche sprungartig an, da die freie Weglänge für Strukturschwingungen kleiner wird. Die Moden spalten jeweils bezüglich einer quer zur Äquatorialebene des Reifens durch die Radmitte verlaufende Vertikalebene in einen symmetrischen und einen asymmetrischen Anteil auf. Eine weitere Steigerung der Radlast bringt nur noch eine geringfügige Anhebung der Eigen-
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
273
frequenzen. Durch die Drehung des Reifens wird das Elastomermaterial beim Durchgang durch die Aufstandsfläche stark deformiert, was spontan zu einem erheblichen Abfall seiner dynamischen Steifigkeit führt, die Struktureigenfrequenzen sinken deutlich ab. Bleiben groe Deformationen über ca. 3 % aus, versteift sich das Material wieder. Dabei sind mehrere materialphysikalische Phänomene mit Zeitkonstanten vom Millisekundenbereich bis zu Stunden und Tagen beteiligt (Heinrich et al. 2005, Volk u. Ropers 2005, Wrana u. Härtel 2008). Bei höheren Rollgeschwindigkeiten oberhalb 100 km/h steigen die Eigenfrequenzen wieder leicht an, da durch die Zentrifugalkräfte die Reifenstruktur stärker ausspannt. Aus demselben Grund sinkt die Abhängigkeit der Eigenfrequenzen vom Fülldruck. Die modale Dämpfung steigt mit der Rollgeschwindigkeit an, weswegen sich die Überhöhung der Systemantwort im Frequenzbereich bei schnellerer Fahrt erheblich verflacht und verbreitert. Man unterscheidet im Wesentlichen zwischen In-plane-Moden, bei denen die Verformungen in der Äquatorialebene des Reifens und spiegelsymmetrisch zu ihr erfolgen sowie zu ihr nicht spiegelsymmetrische Out-of-plane-Moden. Bis etwa 350–400 Hz sind In-plane-Moden in Umfangsrichtung eindimensional, d. h. Schwingungsknoten und -bäuche sind über dem Umfang angeordnet und betreffen den gesamten Reifen-Querschnitt, oberhalb dieser Frequenz treten auch über den Reifenquerschnitt Abfolgen von Schwingungsknoten und -bäuchen auf (Saemann et al. 2003). Das Schwingungsverhalten des LaufbandGürtel-Bereichs des Reifens kann bis ca. 250 Hz mit dem einer gespannten Saite, bis etwa 350–400 Hz eines Biegebalkens und darüber einer Biegeplatte angenähert werden (Kropp 1999, Graf 2002). Ab etwa 1 kHz treten Schwingungen im Schichtverbund des Reifenaufbaus senkrecht zur Reifenoberfläche hinzu. Struktureigenschwingungen des Reifens sind stark temperaturabhängig, da der Elastizitätsmodul von Elastomermaterialien mit steigender Temperatur sinkt, Eigenfrequenzen also kleiner werden (Volk u. Ropers 2005). Temperatur und Schwingungsfrequenz sind materialphysikalisch gekoppelt und haben eine ineinander umrechenbare Auswirkung auf die dynamischen Materialeigenschaften. Zu höheren Frequenzen hin steigt die Steifigkeit und mit ihr die Dämpfung des Elastomermaterials, so dass sich Strukturschwingungen bei 1 kHz und darüber oftmals nicht mehr über den gesamten Reifen ausbreiten (Kropp et al. 2004). Die höchsten Oberflächenschnellen treten direkt an der Einlauf- und der Auslaufkante der Bodenaufstandsfläche auf. Hier liegen die Hauptschallquellen für das nach auen abgestrahlte Reifen-Fahrbahngeräusch. Der Schalltrichter, der durch die Oberfläche des Laufstreifens und der Fahrbahn gebildet wird, führt durch Impedanzänderung zusätzlich zu einer vermehrten Abstrahlung oberhalb von etwa 800 Hz (Sandberg u. Ejsmont 2002). Tiefe Frequenzen werden aus diesem Grund und wegen des akustischen Kurzschlusses durch benachbarte, gegenphasig schwingende Oberflächenbereiche des Reifens sehr viel weniger stark abgestrahlt. Gemeinsam mit der erhöhten Materialdämpfung bei höheren Frequenzen und der untersten Profilklotzeigenfrequenz ergibt sich das im Auengeräusch stets beobachtete Maximum im Reifen/Fahrbahn-Geräuschspektrum bei ca. 1 kHz. Normalerweise sind Fahrbahndeckschichten akustisch dicht und weisen nur einen geringen akustischen Absorptionsgrad aus. Drainasphalte sind jedoch für die Aufnahme und unterirdische Ableitung von Regenwasser ausgelegt. Der Schall kann in die untereinander verbundenen Hohlräume eindringen und wird wirkungsvoll absorbiert. Die Schallabstrahlungseffizienz des Schalltrichters nimmt damit deutlich ab, eine Reduzierung des Vorbeirollpegels von
274
6
F. Gauterin
6 dB ist typisch. Dabei werden die Dicken der absorbierenden Schichten so gewählt, dass die Absorption um 1 kHz besonders hoch ist. Es wird dadurch auch die Ausbildung von Hohlraumresonanzen, also von stehenden Wellen in den Profilrillen des Reifens vermieden, eine Quelle des Reifen-Fahrbahn-Geräuschs, die allerdings nur auf sehr glatten Fahrbahnoberflächen von Bedeutung ist, etwa beim Befahren von Fahrbahnmarkierungen. Die Geräuschminderung von Drainasphalten beruht nicht allein auf der Schallabsorption. Durch das verbundene Hohlraumsystem kommt es zu einem geringen Druckaufbau in den Vertiefungen der Fahrbahn und in den sich beim Einlaufen in die Aufstandsfläche verengenden Profilrillen des Reifens, die Strömungsgeschwindigkeiten bleiben klein und weniger direkter Luftschall wird angeregt. Allerdings muss die Fahrbahnoberfläche trotz Hohlraumöffnungen an der Oberfläche sehr eben sein („Plateaus mit Schluchten“ statt „Täler mit Bergen“ (Beckenbauer et al. 2002)), um eine erhöhte Strukturschwingungsanregung durch die Fahrbahntextur zu vermeiden. Reifeneigenschwingungen bis ca. 350–400 Hz tragen zwar wenig zur Schallabstrahlung bei, dafür umso mehr zum im Fahrzeuginneren wahrnehmbaren Rollgeräusch. Elastomerlager und -buchsen im Fahrwerk sowie die Masse seiner Komponenten dämmen hohe Frequenzen ab, so dass das Fahrzeug ein Tiefpassfilter für reifen- und fahrbahnerregte Strukturschwingungen ist. Gerade die tieffrequentesten Eigenschwingungen des Reifens erzeugen resultierende Wechselkräfte an der Radmitte, die daher deutlich zum Fahrzeuginnengeräusch beitragen. Höherfrequente Reifenstrukturmoden weisen zunehmend komplexe Modenformen auf, bei denen vielfach eine auf die Felge wirkende Kraftkomponente an einer bestimmten Stelle des Umfangs durch einen gegenphasig schwingenden Bereich auf der gegenüberliegenden Seite kompensiert wird. In der Summe werden die Strukturschallbeiträge mit steigender Frequenz immer geringer. Resultierende Kräfte auf die Felge stammen insbesondere von den so genannten Kavitätsmoden, Luftsäulenschwingungen im Hohlraum zwischen Reifen und Felge, deren Schwingungsfrequenzen sich im Wesentlichen aus dem mittleren Umfang des Hohlraums und der Schallgeschwindigkeit im Füllgas ableiten. Bei Pkw-Reifen liegen sie bei ca. 230 Hz. Obwohl es sich lediglich um ein Luftvolumen von einigen Litern handelt, trägt dieses Geräuschphänomen bei vielen Pkws erheblich zum Fahrzeuginnengeräusch bei. Es treten im Stand zwei Moden auf, deren Eigenfrequenzen nur wenige Hertz auseinander liegen und von denen eine Wechselkräfte in horizontaler und die zweite in vertikaler Richtung auf die Radnabe ausübt. Da auf den Umfang genau eine Wellenlänge entfällt, liegen zu jedem Zeitpunkt auf gegenüberliegenden Seiten des Hohlraums Hoch- und Tiefdruckgebiete vor, deren Kräfte auf die Felge sich gleichsinnig addieren. Bei drehendem Rad ergeben sich für eine mit und eine gegen die Drehrichtung umlaufende Schallwelle bei mitrotierendem Füllgas jeweils unterschiedliche Schallgeschwindigkeiten, so dass eine dem Torusumfang entsprechende Wellenlänge bei unterschiedlichen Frequenzen erreicht ist. Die Frequenzdifferenz steigt linear mit der Rollgeschwindigkeit, solange die Querschnittskontur des Reifens als konstant angenommen werden darf. Die Eigenfrequenzen der Hohlraummoden sind wie die Schallgeschwindigkeit stark temperaturabhängig. Bei einer Fahrgeschwindigkeit bis 50 km/h fällt auch die Klotzeinlauffrequenz in den Bereich bis 400 Hz und wird vorrangig als Strukturschall ins Fahrzeuginnere eingeleitet. Abbildung 6.62 zeigt die Haupteinleitungspfade des Reifen-Fahrbahngeräuschs.
275
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
Körperschall
TorusLuftraum
Felge
Achse, horizontal
Stick-Slip
Gleiten FahrbahnTextur
Achse, vertikal
Airpumping
Luftschall
Horneffekt
Unterboden
Fahrer
Reifenprofil
ReifenStrukturschwing.
Karosserie
Anregung
Fenster, Türen Öffnungen
Abb. 6.62 Einleitungspfade des Reifen-Fahrbahngeräuschs in das Fahrzeuginnere
Nachdem durch das Reifenprofil, die Fahrbahntextur sowie die Haft- und Gleitvorgänge zwischen Reifen und Fahrbahn die Reifenstruktur zu Schwingungen angeregt wurde, werden diese über die Reifenseitenwand und Felge zum Radträger weitergeleitet. Über die Achskinematik koppeln Vertikal- (z) und Horizontalrichtung (x). Wenngleich Schwingungsamplituden meist in z-Richtung gröer sind als in x-Richtung können diese Beiträge dennoch erheblichen Einfluss auf den Rollgeräuschkomfort im Fahrzeuginneren haben. Die Elastizitäten in Lagern und Buchsen erlauben ein komplexes Schwingungsverhalten des Komplettrades, wodurch ebenfalls eine Kopplung der Schwingungsrichtungen erfolgt. Je nach Fahrzustand, etwa in der Kurve oder beim Bremsen, sind Lager und Buchsen unterschiedlich quasistatisch vorgespannt. Aufgrund ihrer nichtlinearen Federkennlinien wird dadurch das Schwingungsverhalten des gesamten Fahrwerksystems und die Dämmungswirkung für höherfrequente Schwingungen variiert, also der akustische Arbeitspunkt verschoben. Toleranzen der Bauteile und des Einbaus führen in der Praxis oftmals zu starken Abweichungen der tatsächlichen Lagersteifigkeiten von den Sollwerten. Temperatur und groe Materialdeformationen ändern weiterhin, wie bereits für den Reifen beschrieben, die dynamischen Materialeigenschaften gravierend. Der Hauptübertragungsweg für Reifen-Fahrbahngeräusche führt über den Radträger mit seiner Sperrmassenwirkung über den Dämpfer und die Aufbaufeder in die Karosserie. Da der Aufbaudämpfer oberhalb von etwa 50 Hz bei üblichen Fahrbahnanregungen völlig versteift und bezüglich der Schwingungsübertragung einer massiven Stahlstange entspricht, wird er an seinem oberen Ende über ein Kopflager an die Karosserie angebunden, das mit seiner etwa dem Reifen entsprechenden dynamischen Steifigkeit eine Schwingungsdämmung für hochfrequente Anregungen realisiert. Aufgrund der erheblichen Haftreibkraft des Aufbaudämpfers gleitet auf sehr ebenen Fahrbahnen oder im Laborbetrieb auf Trommelprüfständen der Dämpferkolben nicht im Dämpfergehäuse, was zu einer erhöhten Schwingungsübertragung führt. In horizontaler Richtung werden Schwingungen vor allem über die Längslenker an die Karosserie oder, falls vorhanden, an einen von der Karosserie über Elastomerlager entkoppelten Achshilfsrahmen übertragen. Die Charakteristik der Längslenkerbuchsen bestimmt den Abrollkomfort deutlich. Aufgrund der breitbandigen Anregung des Fahrzeugs durch die Fahrbahn und der zu höheren Frequenzen stark steigenden Modendichte des Reifens werden bei beliebiger
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6
F. Gauterin
Fahrgeschwindigkeit Baugruppen- und Komponenteneigenschwingungen in Fahrwerk und Karosserie angeregt und tragen zum Rollgeräusch bei. So entstehen spezifische Schwingungsempfindlichkeiten des jeweiligen Fahrzeugs, etwa durch Torsions- und Biegemoden der Karosserie, Längsschwingungen des Fahrschemels in seinen Lagern, torsionales Aufziehen der Achse mit Einknick-Schwingung des Aufbaudämpfers bei Mc Pherson Federbeinen, Eigenschwingungen des Stabilisators, Karosserieblechschwingungen, Luftsäulenschwingungen in der Fahrgastkabine u.v.a.m. (Gauterin u. Ropers 2004). Oberhalb 400 Hz erfolgt der Schalleintrag vor allem über Luftschall in das Fahrzeug. Da die Schallabtrahlung der meisten Reifen vor allem in und gegen die Fahrtrichtung erfolgt, dringt Schall im Unterbodenbereich hinter den Vorderrädern und vor den Hinterrädern über Öffnungen direkt oder über die Anregung von Karosserieblechschwingungen als Sekundärschall in das Fahrzeuginnere. Er breitet sich im Inneren von Holmen und Karosserieprofilen aus, weitere Schwachstellen sind Tür- und Fensterdichtungen sowie die Scheiben.
6.2.4 Geräuschphänomene, Maßnahmen und Zielkonflikte Im Folgenden werden die wichtigsten Phänomene des Reifen-Fahrbahngeräuschs in ihrer subjektiven und objektiven Ausprägung beschrieben, Betriebsbedingungen, unter denen sie besonders deutlich auftreten, dargestellt sowie Verbesserungsmanahmen und Zielkonflikte (Gauterin 2005) aufgezeigt. Da Schwingungsphänomene von vielen Parametern abhängen und ein fallspezifisches Vorgehen erfordern, können die genannten Manahmen nur eine kleine Auswahl möglicher Optimierungsansätze sein. Profilgeräusch Ursache: Reifenprofilierung. Geräuschcharakter: tonal bis Bandpassrauschen, Tonhöhe steigt mit Fahrgeschwindigkeit. Objektiv: meist ein bis zwei Terzen breites Ordnungsband mit einer mittleren Ordnung von etwa der Profilklotzanzahl auf dem Umfang (typisch 65). Die doppelte Profilklotzordnung trägt nur selten zum subjektiven Eindruck bei, falls ja, ergibt sich ein turbinenartiger Klang. Betriebsbedingung: Ausrollen auf Glattasphalt 120 bis 20 km/h. Auf Rauasphalt meist unhörbar. Manahmen (und Zielkonflikt): Profil mit wenig oder nur schmalen Querrillen, kleiner Winkel zwischen Umfangsrichtung und Querrille (Traktion auf Schnee), groes Umfangslängenverhältnis zwischen längstem und kürzestem Profilklotz (ungleichmäiger Abrieb), Optimierung der Profilklotzlängenabfolge, weiches Laufstreifenmaterial (Lenkpräzision, Abrieb). Wummern Ursache: Reifenungleichförmigkeit. Geräuschcharakter: lautstärke- und tonhöhenschwankendes Profilgeräusch. Geht bei stärkerer Ausprägung in ein Klopfen über. Objektiv: Modulation des Profilgeräuschs durch Reifenungleichförmigkeit mit der Raddrehfrequenz.
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
277
Betriebsbedingung: ebene Glattasphaltstrecke, Ausrollen 80 bis 30 km/h. Manahmen (und Zielkonflikte): Verringertes Profilgeräusch, verringerte Reifenungleichförmigkeit. Grummeln Ursache: hohe Amplituden der untersten Reifeneigenfrequenzen. Geräuschcharakter: tieffrequentes Bandpassrauschen, stochastisch fluktuierend. Objektiv: Tiefpassrauschen von der unteren Hörgrenze bis 100 Hz mit hohem Schalldruckpegel. Betriebsbedingung: Ausrollen 120 bis 70 km/h auf Glattasphalt. Manahmen (und Zielkonflikte): Laufstreifen schwerer, Reifenseitenwand steifer und höher dämpfend (höherfrequentes Rollgeräusch, Einzelhindernisüberfahrt). Druckgefühl Ursache: Resonanz tieffrequenter Karosserieeigenmoden, Reifenmoden und ggf. der untersten Hohlraummode im Fahrgastraum. Geräuschcharakter: Druckgefühl auf den Ohren, eher zu spüren als zu hören, kann Übelkeit verursachen. Objektiv: sehr hohe Amplituden bei sehr tiefen Frequenzen an der der unteren Hörgrenze. Manahmen: Verstimmung Reifeneigenfrequenzen, Karosserieversteifung, aktive Geräuschkompensation im Fahrzeuginneren. Dröhnen Ursache: Anregung von Fahrzeugeigenschwingungen durch Reifenprofil oder Radeigenschwingungen. Geräuschcharakter: tonal. Objektiv: Anregung einer oder mehrerer Eigenschwingungen (Resonanz) durch schmalbandige Anregung hoher Schwingungsleistung. Betriebsbedingung: Ausrollen auf 120 bis 40 km/h auf Rauasphalt, Grötkorn ≥ 11 mm falls Reifeneigenschwingungen beteiligt, auf Glattasphalt 120–30 km/h falls Anregung durch Reifenprofilordnung. Manahmen (und Zielkonflikte): Steifigkeitsänderung am Reifen zur Vermeidung einer Resonanz von Reifen- und Fahrzeugeigenschwingungen oder Verbesserung Profilgeräusch, Veränderte Steifigkeit von Achshilfsrahmenlager, erhöhte Bodenblechsteifigkeit und -dämpfung, Vermeidung von Hohlraumresonanzen im Fahrzeuginneren insbesondere bei Caravan und SUV. Reifen-Kavitätsgeräusch Ursache: Luftsäulenschwingungen im Reifentorus. Geräuschcharakter: tonal, deutlich nachklingend nach Impulsanregung. Objektiv: sehr schmalbandige Spektralpeaks im Innengeräuschspektrum bei ca. f = c/U, c Schallgeschwindigkeit, U mittlerer Umfang des Reifentorus. Frequenzdifferenz der Peaks rollgeschwindigkeitsabhängig. Betriebsbedingung: Überfahren Einzelhindernisse auf Glattasphalt bei 30 km/h, Ausrollen auf Rauasphalt von 120 bis 20 km/h. Manahmen (und Zielkonflikte): Einbringung von Absorptionsmaterial in den Reifen (zusätzliches Bauteil, Kosten), Beimischung Füllgas mit anderer Schallgeschwindigkeit (schneller Druckverlust), Vermeidung Übereinstimmung Reifenstruktureigenfrequenz
278
F. Gauterin
und Toruseigenfrequenz unter der als störend ermittelten Betriebsbedingung, Vermeidung Resonanz mit Fahrwerkbauteilen, z. B. Stabilisator.
6
Mahlen Ursache: Anregung Gürtelbiegeschwingungen durch ungleichmäig abgeriebenes Reifenprofil. Geräuschcharakter: ähnlich wie defektes Radlager. Objektiv: Pegel im Frequenzband von 80 bis 250 Hz. Betriebsbedingung: Ausrollen 50 bis 10 km/h auf Glattasphalt. Manahmen (und Zielkonflikte): geringere Längenunterschiede der Profilklötze (Profilgeräusch). Zischen Ursache: Airpumping und Gleitvorgänge in der Aufstandsfläche durch Umfangskraft oder auf glatter Fahrbahn. Geräuschcharakter: scharfes Rauschen. Objektiv: Hochpass-Schalldruckpegel des Fahrzeuginnengeräuschs >2.000 Hz. Betriebsbedingung: 100 km/h Glattasphalt, beschleunigt in hohem Gang. Manahmen (und Zielkonflikte): Vermeidung einseitig geschlossener und zu schmaler Profilrillen, geringere Profilklotzschersteifigkeit in Umfangsrichtung (Agilität). Quietschen Ursache: a) Stick-Slip-Effekt bei langsamer Fahrt auf adhäsiver Oberfläche aufgrund der Differenz zwischen Haft- und Gleitreibungskoeffizient; b) selbsterregte Reibschwingung aufgrund über der Schlupfgeschwindigkeit abnehmendem Reibkoeffizienten; c) Ausschnappen von Profilklötzen durch Umfangskräfte. Geräuschcharakter: tonal mit hoher Lautstärke. Objektiv: Schalldruckpegel in einem definierten schmalen Frequenzband um die dem Quietschen zuzuordnenden Spektralpeaks. Betriebsbedingung: versiegelter Boden in Parkgaragen, schnelle Kurvenfahrt auf Glattasphalt, Vollbremsung, hohes Antriebsmoment am Rad. Manahmen (und Zielkonflikte): höhere Dämpfung des Laufstreifenmaterials (Rollwiderstand), optimierte Schersteifigkeitsverteilung des Reifen-Laufstreifens in der Aufstandsfläche. Schwebung Ursache: meist ausgeprägte, schmalbandige Ordnung(en) des Reifenprofils in Frequenznähe einer ausgeprägten Ordnung des Motors oder Antriebsstrangs. Auch: Gleiche ausgeprägte Profilordnung zweier Reifen mit leicht unterschiedlichem Abrollumfang. Geräuschcharakter: tonal, langsam in der Lautstärke schwankend. Objektiv: zwei oder mehrere eng benachbarte Spektralpeaks. Betriebsbedingung: Glattasphalt, Geschwindigkeit je nach Auftreten des Phänomens. Manahmen (und Zielkonflikte): Profiloptimierung (Kosten), Antriebsstrangoptimierung. Rauer Ablauf Ursache: Makro- (Wellenlänge 0,5–50 mm) und Megarauhigkeit (50–500 mm) der Fahrbahn regen Reifen, Fahrwerk und Karosserie zu Eigenschwingungen an. Geräuschcharakter: Rauschen mittlerer Tonhöhe, sehr rau.
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
279
Objektiv: Bandpassrauschen zwischen etwa 50 bis 350 Hz, breitbandiges Amplitudenmodulationsspektrum. Betriebsbedingung: Ausrollen auf Rauasphalt von 120 bis 10 km/h. Manahmen (und Zielkonflikte): weiche Laufstreifenmischung (Agilität, Abrieb), biegeweiche Reifenseitenwand (Lenkpräzision, Agilität, tieffrequentes Rollgeräusch), hohe ungefederte Masse (Fahrsicherheit), Zweipfad-Federbeinkopflager mit Lose im Dämpferpfad, geringe Längslenkerbuchsensteifigkeit um die Konstruktionslage, weiche Achshilfsrahmenbuchsen, abgestimmte Karosseriesteifigkeit an den Fahrwerksanbindungspunkten, Boden- und Türverkleidung. Stoßempfindlichkeit/Impact Damping Ursache: auf- und absteigende Querkanten und Rillen in der Fahrbahn. Geräuschcharakter: Geräusch- und Schwingungsimpuls. Objektiv: Kurzzeitpegel im Frequenzbereich 3–130 Hz. Steiler Pegelanstieg, hohes Pegelmaximum und langsames Abklingen werden als subjektiv unangenehm empfunden. Betriebsbedingungen: Überfahrt auf- und absteigender Kanten sowie Schwellen und Querrillen unterschiedlicher Höhe mit konstanter Geschwindigkeit zwischen 30 und 80 km/h. Manahmen: reduzierte Dämpferreibung und Nebenfederraten, Dämpfercharakteristik, weicher Laufstreifen, Reifenseitenwand biegeweich oder Fülldruckerniedrigung (Agilität, Lenkpräzision, Wanken) bei Fahrzeugen mit hoher Vertikal-, biegesteif bei hoher Horizontalempfindlichkeit, Bedämpfung Reifen-Kavitätsgeräusch (Kosten), Abstimmung Längslenkerbuchsensteifigkeit und -dämpfung, Abstimmung Hilfsrahmenlagerung, steife Karosserie (Kosten), Boden- und Türverkleidung. Poltern Ursache: Unstetigkeitsstelle in der Federcharakteristik von Fahrwerkslagern oder -buchsen. Geräuschcharakter: unregelmäiges Klopfen. Objektiv: Impulshaltigkeit im Frequenzbereich bis 400 Hz, stochastische Abfolge auf unebener Fahrbahn. Betriebsbedingung: Konstantfahrt 40 km/h auf welligem Asphalt oder Flickasphalt mit abgerundeten Kanten. Manahmen: Federkennlinien von Fahrwerkslagern und -buchsen mit sanftem Übergang in die Progression.
6.3 Umströmungsgeräusche Martin Helfer, Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart
6.3.1 Bedeutung der Umströmungsgeräusche für das Innen- und Außengeräusch von Kraftfahrzeugen Die Bedeutung der einzelnen Anteile am Fahrzeug-Gesamtgeräusch hängt wesentlich vom Betriebszustand ab. Bei niedrigen Fahrgeschwindigkeiten und hoher Motorbelastung dominiert das Antriebsgeräusch. Ist die Motorbelastung nur gering, so liefert schon
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6
M. Helfer
bei kleinen Geschwindigkeiten das Reifen-Fahrbahn-Geräusch den gröten Beitrag zum Auengeräusch. Selbst bei Volllastbeschleunigung im Geschwindigkeitsbereich um 50 km/h kann dieses Geräusch wegen des besonders bei Lkw ausgeprägten Anstiegs der Geräuscherzeugung bei hohen Zugkräften am Reifen eine dominierende Rolle spielen. Im Innengeräusch leisten bei niedrigeren Fahrgeschwindigkeiten zusätzlich zum Antriebsgeräusch und den über die von auen eingeleiteten Reifen-Fahrbahn-Geräuschen noch die über Körperschall eingeleiteten Reifen-Fahrbahngeräusche einen wichtigen Beitrag. Mit weiter zunehmender Fahrgeschwindigkeit gewinnen die Umströmungsgeräusche wesentlich an Bedeutung, weil ihre Schallleistung mit der fünften bis sechsten Potenz der Geschwindigkeit zunimmt, während der Anstieg des Reifen-Fahrbahn-Geräuschs nur mit ungefähr der dritten Potenz erfolgt (Riegel 2010).10 Bei Überlagerung mehrerer Geräusch-Entstehungsmechanismen ist es von groem Vorteil, wenn eine isolierte Messung der einzelnen Quellen möglich ist. Dabei sollten die relevanten Randbedingungen durch die Messanordnung nicht wesentlich beeinflusst werden. Solche Prüfstände werden für die akustische Entwicklung auf dem Gebiet der Antriebsgeräusche und Reifen-Fahrbahn-Geräusche seit langer Zeit eingesetzt. Bei Umströmungsgeräuschen wurde zunächst versucht, die akustische Optimierung in konventionellen Windkanälen durchzuführen. Besonders im Hinblick auf das aerodynamische Auengeräusch erwies sich dies jedoch wegen der starken Beeinträchtigung durch das Eigengeräusch der Windkanäle als schwierig bis unmöglich. Auch der Einsatz psychoakustischer Beurteilungsmethoden scheiterte meist am zu hohen Hintergrundgeräusch. In den letzten Jahren wurden daher zunehmend spezielle aeroakustische Windkanalanlagen in Betrieb genommen. Dies hat zu neuen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Aeroakustik geführt. Hierbei lag ein deutlicher Schwerpunkt auf der Reduzierung der Innengeräusche zur Steigerung des Fahrkomforts. Auch die Relevanz der Umströmungsgeräusche in Bezug auf das Gesamtgeräusch verschiedener Fahrzeuge wurde untersucht. Auch hier beschäftigen sich nur wenige Untersuchungen mit den aerodynamischen Auengeräuschen (Helfer et al 1997, Busch 1997, Helfer 2007). Die Abb. 6.63 und 6.64 zeigen die jeweiligen Beiträge der verschiedenen Geräuschquellen zum Innengeräusch eines modernen Fahrzeugs der oberen Mittelklasse bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Bei 50 km/h dominiert in weiten Frequenzbereichen das Antriebsgeräusch. In schmaleren Frequenzbändern leisten jedoch auch das Rollgeräusch (unter 100 Hz) und das Reifen-Fahrbahngeräusch (um 1 bis 2 kHz) einen wesentlichen Beitrag. Das Spektrum bei 160 km/h ist eindeutig durch das Umströmungsgeräusch geprägt. Lediglich in wenigen Frequenzbereichen leisten das Antriebsgeräusch (typische Motorordnungen) und wiederum das Reifen-Fahrbahn-Geräusch (um 1 bis 2 kHz) hier noch einen gewissen Beitrag. Untersuchungsergebnisse für das Fahrzeugauengeräusch verschiedener Fahrzeuge auf unterschiedlichen Fahrbahnoberflächen sind in den Abb. 6.65, 6.66 und 6.67 dargestellt (Helfer 2007).11 10
Mit Rollgeräusch wird hier der Geräuschanteil bezeichnet, der durch die beim Abrollen der Räder auf der Fahrbahn in die Radaufhängung eingeleiteten Wechselkräfte angeregt, als Körperschall übertragen und schlielich von der Karosserieoberfläche ins Fahrzeuginnere abgestrahlt wird. 11 Die Betonfahrbahn wies dabei eine eher ungewöhnliche estrichartige Struktur auf, was zu relativ niedrigen Pegeln beim Reifen-Fahrbahn-Geräusch führt.
281
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
Schalldruckpegel / dB(A)
70
60
50
40
30
20 31.5
100
1000
10000
Frequenz / Hz Straßenmessung
Windgeräusch
Motorgeräusch
RF-Geräusch
Rollgeräusch
ber. Gesamtgeräusch
Abb. 6.63 Gesamtgeräusch und Teilgeräusche in einem Pkw der oberen Mittelklasse bei v = 50 km/h (RF = Reifen-Fahrbahn); gestrichelt eingetragen: das aus den Teilgeräuschen am Prüfstand berechnete Gesamtgeräusch. (Riegel 2010)
Schalldruckpegel / dB(A)
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20 31.5
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Frequenz / Hz Straßenmessung RF-Geräusch
Windgeräusch Rollgeräusch
Motorgeräusch ber. Gesamtgeräusch
Abb. 6.64 Gesamtgeräusch und Teilgeräusche in einem Pkw der oberen Mittelklasse bei v = 160 km/h (RF = Reifen-Fahrbahn); gestrichelt eingetragen: das aus den Teilgeräuschen am Prüfstand berechnete Gesamtgeräusch. (Riegel 2010)
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8 5 ,0 0 8 0 ,0 0 7 5 ,0 0 7 0 ,0 0
A sp h a ltstra ß e
6 5 ,0 0
B eto nstra ß e
6 0 ,0 0
W in d ka n al
5 5 ,0 0 5 0 ,0 0 4 5 ,0 0 4 0 ,0 0 40
60
80
100
120
140
160
Geschwindigkeit v / (km/h)
Abb. 6.65 A-Pegel-Verläufe von Teststreckenmessung und Windkanalmessung für einen BMW 520i. (Helfer 2007)
Im unteren Geschwindigkeitsbereich zeigt sich deutlich noch die Dominanz des ReifenFahrbahn-Geräuschs. Bei höheren Geschwindigkeiten verliert sich diese zunehmend. Den geringsten Beitrag leistet das Reifen-Fahrbahn-Geräusch bei der Drainasphaltstrecke. Bei der Bewertung ist zu beachten, dass ein Abstand von 3 dB(A) zwischen Windkanal- und Teststreckenpegel bereits einen Gleichstand von Umströmungs- und Reifen-Fahrbahn-Ge90 ,00 85 ,00 Schalldrucksummenpegel L / dB(A)
6
Schalldrucksummenpegel L / dB(A)
9 0 ,0 0
80 ,00 75 ,00 IS O -A sp h a lt
70 ,00
A sphaltstraß e
65 ,00
B e to nstraß e
60 ,00
W indkana l
55 ,00 50 ,00 45 ,00 40 ,00 40
60
80
10 0
12 0
14 0
16 0
Geschwindigkeit v / (km/h)
Abb. 6.66 A-Pegel-Verläufe von Teststreckenmessung und Windkanalmessung für einen Audi S 8. (Helfer 2007)
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
283
Abb. 6.67 A-Pegel-Verläufe von Teststreckenmessung und Windkanalmessung für einen Mercedes C-Klasse. (Helfer 2007)
räusch bedeutet, da die Ergebnisse der Testfahrten auf der Strae das Windgeräusch ja ebenfalls beinhalten. Alle Ergebnisse sind für einen Mikrofonabstand von 5 m in 0,8 m Höhe angegeben.
6.3.2 Aeroakustische Geräuschentstehung Aerodynamische Geräusche werden im Wesentlichen durch drei unterschiedliche Geräusch-Entstehungsmechanismen verursacht: • Volumenstrom durch kleine Öffnungen, • Wechseldruckbeaufschlagung fester Oberflächen, • turbulente Schubspannungen. All diese Entstehungsmechanismen sind auch in der Aeroakustik von Fahrzeugen wirksam. Jeder von ihnen ist jedoch von unterschiedlicher Bedeutung. Zur Charakterisierung der einzelnen Mechanismen können idealisierte Näherungsmodelle herangezogen werden (sog. Ffowcs Williams-Hawkings-Analogie): • Volumenströme können durch Monopolstrahler repräsentiert werden. Beispiele für diese Art von Schallquellen sind Leckagen in Dichtungssystemen oder die Auspuffmündung eines Fahrzeugs. • Der akustische Effekt der Wechseldruckbeaufschlagung einer festen Oberfläche kann durch einen Dipolstrahler repräsentiert werden. Diese Art von Geräuscherzeugung ist immer dann vorhanden, wenn eine freie oder abgelöste Strömung auf eine Oberfläche auftrifft. An Fahrzeugen gibt es eine Vielzahl von Gebieten, die frei angeströmt werden oder an denen abgelöste Strömung vorherrscht.
284
M. Helfer
Abb. 6.68 Schematische Darstellung der in der Aeroakustik relevanten Strahlertypen. (Helfer 2002)
Monopol � 4 � c
�m ~
Dipol � �d ~ 3 �6 c
6
Quadrupol � 8 �q ~ � c5
� Schallintensität � Strömungsgeschwindigkeit � Luftdichte c Schallgeschwindigkeit
• Turbulente Schubspannungen erzeugen Quadrupolstrahler. Solche Strahler entstehen beispielsweise in turbulenten Scherschichten oder im Nachlauf eines Fahrzeugs. Eine schematische Darstellung der drei Strahlertypen zeigt Abb. 6.68. Wie oben bereits erwähnt, sind die Intensitäten dieser drei Quellenarten recht unterschiedlich. Für eine Monopolquelle gilt mit der Strömungsgeschwindigkeit v, der Dichte ρ, der Schallgeschwindigkeit c und der Machzahl Ma: Im ∼
ρ 4 = ρ Ma v 3 c
(6.3)
für eine Dipolquelle Id ∼
ρ 6 = ρ M a3 v3 c3
(6.4)
und für eine Quadrupolquelle
Iq ∼
ρ 8 = ρ M a5 v3 . c5
(6.5)
Der Vergleich der Intensitäten zeigt, dass bei niedrigen Strömungsgeschwindigkeiten (Mach-Zahlen kleiner als 1) die Monopolquelle am effektivsten ist, gefolgt von der Dipolquelle. Die geringste Abstrahlung wird von Quadrupolquellen erzeugt, die in der Fahrzeug-Aeroakustik in den meisten Fällen vernachlässigt werden können. Wenn eine Monopolquelle vorhanden ist, wird diese also in der Regel die lauteste Quelle sein. Nur wenn alle Monopolquellen eliminiert werden, kann eine der verbleibenden Dipolquellen dominieren. Wie aus den obigen Gleichungen entnommen werden kann, ist die Schallleistung
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
285
einer Monopolquelle proportional zur 4. Potenz der Anströmgeschwindigkeit, während die Schallleistung einer Dipolquelle mit der 6. Potenz der Geschwindigkeit ansteigt. Da die wirksamen aerodynamischen Geräuscherzeugungsmechanismen von Fahrzeugen im Allgemeinen durch eine Mischung von Monopol- und Dipolstrahlern repräsentiert werden können, wird im Experiment – abhängig vom dominierenden Entstehungsmechanismus – häufig ein Anstieg der Schallleistung mit der 4. bis 6. Potenz der Geschwindigkeit beobachtet. Bei aeroakustischen Messungen muss daher die Geschwindigkeit sehr genau eingehalten werden. Schon geringe Abweichungen in der Einstellung können zu deutlichen Pegelveränderungen führen. Dies bedeutet, dass aeroakustische Messungen auf der Strae bei unvorhersehbaren Windverhältnissen nur unter Vorbehalt aussagefähig sind, wenn die relative Anströmgeschwindigkeit und -richtung nicht miterfasst werden. Da die Verteilung der Strömungsgeschwindigkeit über der gesamten Fahrzeugoberfläche sehr ungleichmäig ist, ist die potentielle Geräuschanregung abhängig vom Anregungsort unterschiedlich gro. Setzt man Dipolverhalten voraus, so ist der an einem Ort erzeugte Schall über 10 dB lauter, als an einem benachbarten, wenn die dort vorherrschenden lokalen Geschwindigkeiten sich um den Faktor 1,5 unterscheiden, wobei dieser Faktor für unterschiedliche Gebiete um das Fahrzeug herum durchaus noch gröer sein kann. Dies zeigt, dass die Positionierung von Anbauteilen, z. B. Auenspiegeln oder Antennen, von groer Bedeutung für das aeroakustische Verhalten eines Fahrzeugs sein kann.
6.3.3 Aeroakustische Messtechnik 6.3.3.1 Aeroakustische Windkanäle Durch elektrische Geräusche am Antrieb und aerodynamische Geräusche in der Luftführung und am Gebläse ist der Geräuschpegel in Windkanälen recht hoch, wenn nicht geräuschmindernde Manahmen ergriffen werden (Helfer u. Wiedemann 2007). Zunächst ist hierbei das Gebläsegeräusch aus der Messstrecke fernzuhalten. Einbauteile (z. B. Fangnetze) sind so anzuordnen, dass das durch sie erzeugte Geräusch in der Messstrecke möglichst nicht wahrgenommen werden kann. Weitere Manahmen betreffen die Messstrecke selbst. Sie wird im Allgemeinen reflexionsarm ausgelegt, wobei die Messhallenwände mit Absorbern verkleidet werden. Dies ist wesentlich einfacher für offene als für geschlossene oder geschlitzte Messstrecken zu realisieren. In den ersten Aeroakustik-Windkanälen wurde die Geräuschminderung durch Schalldämpfer und Beschichtungen aus Fasermaterialien erreicht. In neueren Windkanälen, ein Beispiel zeigt Abb. 6.69, werden meist alternative Schallabsorber eingesetzt, die aus einer Kombination von Schaumstoffen und Platten- oder Membranabsorbern bestehen. Die Absorber sind hierbei auf den tieferen Frequenzbereich abgestimmt, während die Schaumstoffe die höherfrequenten Geräuschanteile absorbieren. Die Wirkung der einzelnen Manahmen in einem Aeroakustik-Windkanal zeigt Abb. 6.70 am Beispiel einer Kombination aus Membranabsorbern und offenporigen Schaumstoffplatten.
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6
Abb. 6.69 Grundriss eines modernen Aeroakustik-Windkanals (FKFS): ( 1) und ( 2) Umlenkschalldämpfer mit als Membranabsorber ausgebildeten Splitterplatten und schaumstoffbeschichteten Umlenkecken, ( 3) schallabsorbierende Auskleidung der Messhalle (s. Abb. 6.70), ( 4) AkustikLabors und Vorbereitungshallen. (Helfer 2005a) 1,4 1 1,2
Absorptionsgrad αs
1,0 3 0,8
0,6 2 0,4 0,2 0,0
50
100
200
400 800 Terzmittenfrequenz f
1600
3150 Hz
Abb. 6.70 Schallabsorptionsgrade der verschiedenen Einzelkomponenten der Messhallen-Auskleidung eines Windkanals; ( 1) 140 mm dicke Schaumstoffplatte, ( 2) 100 mm dicke Membranabsorber, ( 3) 100 mm dicke Membranabsorber mit 10 mm vor der Deckmembran angeordneter 140 mm dicker Schaumstoffplatte. (Helfer 2005a)
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
287
Die faserfreie Auslegung der geräuschmindernden Manahmen hat in Windkanälen deutliche Vorteile, da bei umströmten Fasermaterialien Partikel von der Luft mitgerissen werden können, was sich sowohl auf die akustische Wirksamkeit als auch auf die Luftqualität auswirkt.
6.3.3.2 Messung von Innengeräuschen Für die Erfassung aerodynamischer Innengeräusche werden die in der Fahrzeugakustik üblichen Messtechniken eingesetzt. Wie allgemein in der Maschinenakustik üblich, werden auch hier meist Kunstköpfe oder Einzelmikrofone eingesetzt (s. Abschn. 2). Kunstköpfe eignen sich besonders zur Erfassung der Geräuscheinwirkung auf die Insassen und für psychoakustische Analysen, während Mikrofone häufig dann eingesetzt werden, wenn direkt an der Schalleintrittsstelle gemessen werden soll, wo Kunstköpfe wegen ihres Bauraumes oft ungünstig sind oder wenn das Schallfeld über eine gröere Anzahl von Messpositionen erfasst werden soll. Der Schalleintritt lässt sich auch relativ gut mit Schallintensitätssonden ermitteln. Der Einsatz bleibt hier jedoch im Wesentlichen auf den höheren Frequenzbereich beschränkt, in dem das Schallfeld weniger hallig ist. Des Weiteren können spezielle, meist kugelförmige, Mikrofonarrays für Innengeräuschmessungen eingesetzt werden, die sich – ebenso eher im höherfrequenten Bereich – zur Ortung aeroakustischer Quellen eignen. Speziell für den unteren Frequenzbereich eignen sich Arrays, die auf der Nahfeld-Holografie basieren.
6.3.3.3 Messung von Außengeräuschen Wegen der Luftströmung um das Messobjekt ist der Einsatz konventioneller akustischer Messtechniken zur Erfassung des Auengeräusches in Windkanälen problematisch. Einerseits entsteht an den Mikrofonen durch Beaufschlagung der Messmembran mit Strömungswechseldrücken sog. Pseudoschall. Im Unterschied zu „wirklichem“ Schall propagieren diese Wechseldrücke ungefähr mit Strömungsgeschwindigkeit (Turbulenzen) und nicht mit Schallgeschwindigkeit. Bei Geräuschmessungen wirken sie daher störend. Andererseits werden an Mikrofongehäusen, Vorverstärkern und Halterungen ebenfalls Strömungsgeräusche und damit Fremdgeräusche erzeugt, die bei der Messung stören. Für Auengeräuschmessungen werden daher meist speziell entwickelte Messtechniken eingesetzt. Intensitätsmessungen mit Spezialsonden Schallintensitätsmessungen zur Erfassung des aerodynamischen Auengeräusches erfolgen in der Regel in der Strömung, da Intensitätssonden in Messrichtung nur eine geringe Richtwirkung besitzen und daher meist nahe am Objekt gemessen wird. Dies ist mit handelsüblichen Doppelmikrofon-Sonden aus den bereits dargelegten Gründen nicht möglich. Es müssen also Spezialsonden eingesetzt werden. Abbildung 6.71 zeigt eine solche Messeinrichtung. Die Sonde muss in Strömungsrichtung ausgerichtet werden. Ein Einsatz in Zonen mit hohem Turbulenzgrad (z. B. hinter dem Auenspiegel) ist nicht möglich, da dies wiederum zu Pseudoschall führen würde.
288
M. Helfer
Abb. 6.71 Schallintensitätssonde mit parallel angeordneten Mikrofonen und Nasenkonen über dem Auenspiegel eines Pkw. (Helfer 2000)
6
Theoretisch ist eine exakte Bestimmung der Schallintensität mit der Zweimikrofontechnik nur ohne Strömung oder bei ebenen Schallwellen in einer eindimensionalen Strömung möglich. Aerodynamische Schallquellen strahlen jedoch weder ebene Wellen ab, noch ist die Umströmung eines Fahrzeugs eindimensional. Versuche haben jedoch ergeben, dass bei üblichen Fahrgeschwindigkeiten die Fehler sehr klein bleiben (Helfer 2000). Mikrofonarrays Mikrofonarrays werden häufig dann eingesetzt, wenn Messungen in der Nähe des Messobjektes nicht (oder nur mit groem Aufwand) möglich sind. Daher wurden sie auch schon „akustische Teleskope“ genannt. Sie eignen sich aber auch sonst hervorragend zur Geräuschquellenortung. Mikrofonarrays bestehen aus einer Anzahl von Mikrofonen, die für Auengeräuschuntersuchungen meist auf einer ebenen Fläche angeordnet sind. Wie diese Anordnung erfolgt, ist nahezu beliebig. Es gibt zufallsverteilte, ringförmige, kreuzförmige und lineare Arrays. Das Messprinzip beruht darin, das Array auf die verschiedenen Messpunkte auf dem Messobjekt zu „fokussieren“. Dies erfolgt durch eine der Laufzeit vom Messpunkt zum jeweiligen Mikrofon entsprechenden Zeitverschiebung der von diesem Mikrofon erfassten Signale. Die zeitkorrigierten Signale aller Mikrofone werden dann aufsummiert. Hierdurch ergibt sich ein dem jeweiligen Messpunkt zugeordnetes Zeitsignal. Der Schall der anderen Quellen wird dabei weitestgehend eliminiert (herausgemittelt). Der vom jeweiligen Messpunkt (Fokuspunkt) abgestrahlte Schall wird hingegen verstärkt (s. Abschn. 8.5.1). Der Frequenzbereich von Mikrofonarrays wird nach unten durch die Array-Gröe begrenzt: je gröer das Array, desto niedriger seine Grenzfrequenz. Im oberen Frequenzbereich treten – besonders bei regelmäig angeordneten Mikrofonen – verstärkt Fehler durch Schein-Schallquellen (Aliase) auf, die zu Fehlinterpretationen führen können. Diese sind umso geringer, je kleiner der minimale Mikrofonabstand im Array ist. Hauptanwendungsgebiete der Arraytechnik waren bislang die Schienenfahrzeug- und die Luftfahrttechnik (Barsikow u. Klemenz 1998, Michel et al. 1998). Inzwischen wird sie jedoch auch in Fahrzeugwindkanälen häufig eingesetzt (Helfer u. Wiedemann 2007). Vor-
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
289
wiegend geschieht dies in offenen Messstrecken von Aeroakustikkanälen. Das Array wird dann auerhalb der Strömung im Plenum angeordnet. Selbstverständlich muss in diesem Falle der Einfluss der Strömung und der Scherschicht am Strahlrand eines Windkanals herauskorrigiert werden. Es finden sich jedoch auch Arrays mit bündig in die Messstreckenwände eingesetzten Mikrofonen, die dann auch für geschlossene Messstrecken geeignet sind (Guidati u. Wagner 2002). Akustische Nahfeld-Holografie Auch die akustische Nahfeld-Holografie (auch STSF – Spatial Transformation of Sound Fields, räumliche Schallfeld-Transformation) basiert auf Messungen mit einer Anzahl von Mikrofonen. Meist wird ein rechteckiges Array verwendet mit zusätzlichen Referenz-Mikrofonen, die in der Nähe der interessierenden Schallquellen positioniert werden. Durch Bestimmung der Kreuzleistungsspektren zwischen den Referenzmikrofonen selbst und zwischen diesen und jedem Mikrofon des Arrays wird eine Hauptkomponentendarstellung des Schallfeldes berechnet, die sowohl für die Durchführung der akustischen Nahfeld-Holografie als auch für die Helmholtz-Integralgleichung zur Berechnung des Fernfeldes herangezogen werden kann (Hald 1995). Die akustische Holografie erlaubt nach der Vermessung eines Arrays in der Nähe der Schallquelle die Berechnung des Schallfeldes in einer anderen Ebene, die entweder näher an der Schallquelle oder weiter von ihr entfernt sein kann. Durch die Berechnung der Kreuzleistungsspektren werden nicht korrelierte Signalanteile der Mikrofone herausgemittelt. Dies gilt meist auch für den Pseudoschall an Mikrofonen in der Strömung. Aus diesem Grund eignet sich die akustische Holografie auch für Messungen mit umströmten Mikrofonen. Ein möglicher Messaufbau im Windkanal ist in Abb. 6.72 gezeigt. Er besteht aus 8 Mikrofonen im Vertikalabstand von 120 mm, die über die Traversieranlage im Plenum
Abb. 6.72 Messanordnung zur akustischen Holografie im Windkanal; Mikrofonabstand 120 mm. (Helfer 2000)
290
6
M. Helfer
verfahren werden können, sowie einem oder mehreren Referenzmikrofonen. Die holografischen Ergebnisse geben dann jeweils den Anteil des Schalls wieder, der mit den Signalen am Referenzpunkt korreliert ist. Um Frequenzen bis zu ca. 4 kHz noch erfassen zu können, müssen in Vertikalrichtung 2 zusätzliche Messpositionen zwischen den benachbarten Mikrofonpositionen angefahren werden, so dass der Abstand der Messpunkte auf 40 mm reduziert wird. Die gleiche Messpunktdichte ist dann auch in Fahrzeuglängsrichtung vorzusehen, wobei darauf zu achten ist, dass die Mikrofone nicht in Zonen hohen Turbulenzgrades positioniert werden (z. B. im Nachlauf des Auenspiegels), da die dort erzeugten Pseudoschall-Anteile an den Mikrofonen selbst durch die Mittelungswirkung der Kreuzleistungsberechnung nicht eliminiert werden können. Die Nahfeld-Holografie erfordert im Windkanal also einen recht hohen Messaufwand, als Ergebnis erhält man jedoch eine vollständige Beschreibung des Schallfeldes vor dem Messobjekt. Hohlspiegelmikrofone Hohlspiegelmikrofone (s. Abschn. 8.5.2) werden in Windkanälen mit offener Messstrecke häufig zur Ermittlung von Auengeräuschen eingesetzt. Ein Beispiel ist in Abb. 6.73 gezeigt. In geschlossenen Messstrecken ist diese Technik nicht einsetzbar, da das System hier in der Strömung angeordnet werden müsste.
Abb. 6.73 Hohlspiegelmikrofon in der Messstrecke eines aeroakustischen Windkanals. (Helfer 2005a)
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
291
6.3.3.4 Messung von Körperschall Um die Übertragungsmechanismen in der Fahrzeugstruktur zu ermitteln und stark schwingende Karosseriebereiche zu identifizieren, werden häufig Körperschallmessungen durchgeführt. Allgemein werden dafür meist piezoelektrische Beschleunigungsaufnehmer eingesetzt. Bei Blechstrukturen mit dünnen Wandstärken muss jedoch darauf geachtet werden, dass das Schwingungsverhalten durch das Aufnehmergewicht nicht wesentlich beeinflusst wird. Daher werden an Fahrzeugstrukturen Miniaturaufnehmer, die nur wenige Gramm wiegen, verwendet. Wenn möglich, wird jedoch die Laser-Doppler-Vibrometrie eingesetzt, sodass ganz auf die Applikation von Aufnehmern verzichtet werden kann. Bei diesem Verfahren wird die Frequenzveränderung in einem am Messpunkt reflektierten (Streulicht) Laserstrahl als Ma für die Schwingschnelle verwendet. Es handelt sich also um eine völlig rückwirkungsfreie Messung. Vorteilhaft ist es hierbei, ein System einzusetzen, das das automatische Abscannen einer groen Anzahl von Messpunkten erlaubt. Auf diese Weise kann die Messzeit stark verkürzt werden, was bei den hohen Stundensätzen von Fahrzeugwindkanälen zu beträchtlichen finanziellen Einsparungen führt.
6.3.3.5 Schallquellenortung mit Hilfe von Spezialinstrumenten Dichtigkeitsprüfungen mit Ultraschall Oft ist es nicht ganz einfach, eine Undichtigkeit am Fahrzeuginnenraum mit einfachen akustischen Mitteln zu identifizieren. Daher wird häufig auf die Möglichkeit zurückgegriffen, einen Ultraschallsender im Fahrzeug zu platzieren und mit einem Ultraschallempfänger an der Auenhaut oder am Unterboden Undichtigkeiten zu suchen, an denen Ultraschall austritt. Dies kann auch auerhalb des Windkanals geschehen. Handelsübliche Sender strahlen den Schall halbkugelförmig ab und erzeugen Frequenzen von ca. 40 kHz. Sie werden im Fahrzeuginneren so angeordnet, dass sie die zu untersuchenden Bereiche möglichst effektiv bestrahlen können. Mit dem Sensor, der in einem handgehaltenen Gehäuse untergebracht ist, kann man nun z. B. Tür- oder Fensterdichtungen gezielt abfahren. Trifft der Sensor eine Stelle, an der Ultraschall nach auen dringt, so gibt der Detektor ein hörbares Schallsignal ab. Die Lautstärke dieses Signals ist dabei ein Ma für die Intensität des Ultraschalls an dieser Stelle. So können Fehler an Dichtungen und andere Luftschallbrücken schnell erkannt werden. Mikrofonsonden Zum Aufspüren von Schallquellen im Fahrzeug können neben Stethoskopen auch spezielle Mikrofonsonden herangezogen werden. Solche Sonden bestehen aus einem – manchmal flexiblen – Röhrchen, in das ein Mikrofon eingesetzt ist. Dieses Röhrchen wird in einem Gehäuse gehalten, in dem ein Kopfhörerverstärker mit Lautstärkeregler und eine Spannungsversorgung untergebracht sind. An diesem Gehäuse kann ein Kopfhörer angeschlossen werden, über den das Signal des Mikrofons abgehört werden kann. Ein Beispiel für ein solches Gerät zeigt Abb. 6.74.
292
M. Helfer
Abb. 6.74 Mikrofonsonde mit Kopfhörer. (Helfer 2005a)
6 6.3.4 Hauptgeräuschquellen und Minderungsmöglichkeiten Bei der aeroakustischen Entwicklung von Kraftfahrzeugen muss eine beträchtliche Anzahl möglicher Störgeräuschquellen untersucht werden. Während der Detailoptimierung ist es dabei günstig, wenn die interessierende Schallquelle möglichst isoliert betrachtet werden kann. Je mehr Schallquellen nämlich in einem Geräusch zusammen wirken, desto schlechter können Änderungen an einer von ihnen messtechnisch und subjektiv akustisch bewertet werden. Daher wird man z. B. bei der aeroakustischen Entwicklung des Auenspiegels sämtliche Fenster- und Türdichtungen mit Stoff- oder Aluminiumband abkleben, um Einflüsse von Undichtigkeiten zu vermeiden (s. Abschn. 6.3.4.1). Ebenso werden weitere Anbauteile, wie Antenne und Scheibenwischer gegebenenfalls entfernt. Falls der A-Säulenwirbel hierdurch nicht wesentlich verändert wird, können auch die Wasserfangleisten glattflächig abgeklebt werden. Auch am Spiegel selbst können Schallquellen, die nicht betrachtet werden sollen, eliminiert werden. Dies gilt beispielsweise für das Abkleben sämtlicher Spalte am Spiegelfu bei der akustischen Optimierung der Wasserablaufrinnen am Spiegelgehäuse. Bei der Untersuchung von anderen Schallquellen kann in ähnlicher Weise vorgegangen werden, um deutlichere Veränderungen des Schallpegels zu erzielen. Zur Beurteilung der Notwendigkeit einzelner akustischer Optimierungen, die evtl. auch teuer sein können, ist am Ende jedoch stets eine Überprüfung im „Serienzustand“ nötig.
6.3.4.1 Leckagen Wie bereits in Abschn. 6.3.2 erwähnt, ist die Vermeidung von Leckagen wegen des Monopolcharakters des von ihnen erzeugten Geräuschs besonders wichtig. Beim Kraftfahrzeug betrifft dies hauptsächlich die Entwicklung von Fenster- und Türdichtungen, die mit groer Sorgfalt erfolgen muss. Besonders bei höheren Geschwindigkeiten, bei denen die Druckdifferenz zwischen innen und auen gröer wird, erhöht sich das Risiko von Undichtigkeiten dadurch, dass die Türen durch die auen wirksamen hohen Unterdrücke aus ihren Dichtungen gehoben werden.
293
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
Bereits auerhalb des Windkanals kann die Dichtigkeit der Karosserie mit Hilfe von Ultraschallgeräten geprüft werden, wie in Abschn. 6.3.3.5 erläutert. Im Windkanal werden zur Ermittlung des Einflusses der Dichtungen auf das Innengeräusch zunächst alle Spalte und Fugen der Karosserie bündig mit Klebeband abgedeckt. Durch Vergleich der Messergebnisse ohne und mit Klebeband ergibt sich der Gesamtanteil aller Fugen am Windgeräusch. Soll der Anteil eines einzelnen Dichtungsabschnittes oder einer einzelnen Fuge ermittelt werden, so wird ausschlielich diese geöffnet, während alle anderen Fugen abgeklebt bleiben. Zur Untersuchung weiterer Abschnitte wird die vorherige Fuge wieder geschlossen und der nun interessierende Bereich geöffnet. Die jeweiligen Messergebnisse werden mit den Ergebnissen bei vollständig abgeklebten Fugen verglichen. Auf diese Weise lassen sich die Beiträge der einzelnen Bereiche zum Innengeräusch getrennt ermitteln und vergleichen. Abbildung 6.75 zeigt den Einfluss eines Dichtungssystems auf den Schalldruck am linken Fahrerohr in einem Serienfahrzeug im Vergleich zum Einfluss der Anbauteile (Auenspiegel, Scheibenwischer, Antenne). Deutlich ist der dominierende Beitrag des Dichtungssystems am Innengeräusch zu erkennen. Eine effektive aber relativ teure Manahme zur Minderung dieses Beitrags ist die Verwendung von Mehrfach-Dichtsystemen. Auch die Abdichtungen am Spiegelfu sowie zwischen den Radhäusern und dem Bereich der A-Säule müssen sorgfältig ausgeführt werden. Hier entsteht der Schall zwar nicht direkt in der Fahrgastzelle, es besteht jedoch die Möglichkeit, dass die Geräusche durch Hohlräume von Türen und Karosserie eingeleitet werden. 70
Schalldruckpegel/dB(A)
60
50
40
30
20 Dichtungen abgeklebt ohne Anbauteile 10
Serie ohne Anbauteile Serie
0
400
630
1000
1600 2500 Frequenz/Hz
4000
6300
10000
Abb. 6.75 Einfluss eines schlechten Dichtungssystems auf das Schalldruckspektrum im Fahrzeuginnenraum im Vergleich zum Einfluss der Anbauteile. (Burgade 2000)
294
M. Helfer
6.3.4.2 Außenspiegel
6.3.4.3 Scheibenwischer Auch die Scheibenwischer haben bei der aeroakustischen Optimierung einen hohen Stellenwert. In der Parkposition können sie häufig im Schutz der Motorhaube angeordnet werden. In einigen Fällen, z. B. bei Minivans, sind sie jedoch teilweise direkt dem Fahrtwind ausgesetzt, was zu wesentlichen Pegelerhöhungen im Innengeräusch führt (Zaccariotto et al. 1997). Abhilfe können hier, wie aus Abb. 6.78 zu entnehmen, Anspoilerungen vor der Windschutzscheibe schaffen, die den Luftstrom über die Wischer leiten. Auch während des Betriebes kann das Geräusch von Scheibenwischern mit seiner deutlichen Fluktuation störend wirken. Die höchsten Pegel entstehen hierbei meist dann, wenn sich die Wischer ungefähr in einer Position senkrecht zur Anströmrichtung befinden.
2000 1800 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0 –200 –1000 –600 –200 200
> 84.4 81.4 78.4 75.3
Pegel/dB (A)
z-Position/mm
6
Eine Vielzahl von aeroakustischen Untersuchungen betrifft die Auenspiegel. Sie sind in Zonen hoher Strömungsgeschwindigkeiten angebracht und daher akustisch besonders problematisch. Bei Transportern können sie die Hauptschallquelle für das aerodynamische Auengeräusch sein (Abb. 6.76). Die Spiegel-Ausformung wird stark vom Design bestimmt. Auch funktionelle Gesichtspunkte sind zu beachten. Akustische Verbesserungsmanahmen konzentrieren sich daher hauptsächlich auf Details wie Tiefe und Formgebung von Wasserablaufrinnen, Klapp-Fugen und Gehäuse-Entwässerungen. Häufig haben die Geräusche hier tonalen Charakter (Pfeifen). Bei solchen Geräuschen helfen oft Wirbelerzeuger, die vor den Orten der Schallentstehung angeordnet werden und die Periodizität der Schallerzeugung stören, Abb. 6.77 zeigt ein Beispiel. Diese Methodik wird ähnlich auch bei anderen Schallquellen angewandt, wie in den Abschn. 6.3.4.4 und 6.3.4.6 gezeigt.
72.3 69.3 < 600 1000 1400 1800 2200 2600 3000 3400 3800 4200 x-Position/mm
Abb. 6.76 Abstrahlcharakteristik eines Transporters in der 2-kHz-Terz bei 140 km/h Anströmgeschwindigkeit. (Helfer 2007)
295
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
Schalldruckpegel/dB(A)
Abb. 6.77 Wirbelerzeuger zur Vermeidung tonaler Geräusche im Bereich eines Auenspiegels. (Helfer 2005b)
mit Scheibenwischern ohne Scheibenwischer mit Scheibenwischern + 8 mm Anspoilerung mit Scheibenwischern + 20 mm Anspoilerung
400
630
1000
1600 2500 Frequenz/Hz
4000
6300
10000
Abb. 6.78 Wirkung von Anspoilerungen unterschiedlicher Höhe vor der Windschutzscheibe eines Minivans auf das Innengeräusch; Wischer in Parkposition. (Burgade 2000)
296
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6.3.4.4 Antennen Antennen können tonale Geräusche erzeugen. Diese auch Hiebtöne genannten Pfeifgeräusche werden durch regelmäige, wechselweise rechts und links am Antennenstab erfolgende Strömungsablösungen hervorgerufen, die auf der Leeseite eine so genannte Kármánsche Wirbelstrae bilden. Eine Geräuschminderung kann durch möglichst starke Schrägstellung der Antenne und durch eine Drahtwendel um die Antenne erreicht werden. Diese Manahme verhindert den Aufbau der regelmäigen Wirbelablösung. Eine industriell gefertigte Antenne dieser Art ist in Abb. 6.79 zu sehen.
6 6.3.4.5 A-Säule Die Gestaltung der A-Säule wirkt sich deutlich auf die aerodynamische Geräuschentwicklung aus. Durch sie wird die Gröe und Ausprägung des Ablösewirbels auf der Seitenscheibe bestimmt, der auch die Geräuschabstrahlung des Auenspiegels beeinflussen kann. Des Weiteren sind die in der A-Säule integrierten Wasserfangleisten geräuscherzeugende Elemente.
Abb. 6.79 Umwendelte Serienantenne. (Helfer 2005b)
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
297
Schalldruckpegel/dB(A)
80.0
70.0
60.0
Wasserfangleiste schräg abgeklebt Serienzustand 50.0 100
1000 Frequenz/Hz
10000
Abb. 6.80 Einfluss der Wasserfangleisten auf die Schallabstrahlung; Messung mit einem Hohlspiegelmikrofon von oben bei 140 km/h, Fokussierung auf die Mitte der A-Säule. (Helfer 2005b)
Optimierungen werden auch hier meistens iterativ vorgenommen. Wie in Abb. 6.80 zu erkennen ist, können die Potentiale beträchtlich sein. Das Bild zeigt Ergebnisse von Messungen mit einem Hohlspiegelmikrofon von oben. Diese Messtechnik ermöglicht es, die aeroakustische Entwicklungsarbeit für diesen Karosseriebereich bereits am Hartmodell zu beginnen. Auch der Rundungsradius der A-Säule ist ein wichtiger Parameter für die aerodynamische Geräuscherzeugung. Abbildung 6.81 zeigt die Erhöhung des Schalldruckpegels am
Abb. 6.81 Schalldruckpegeländerung im Innengeräusch durch Schräganströmung bei unterschiedlichen A-Säulenradien. (Burgade 2000)
„Pegeldifferenz“ (Punkte)
80 70 60 50 40 30 20 10 0 0
5
10 15 Radius A-Säule/mm
20
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Fahrerohr beim Wechsel von 0° auf 10° Anströmwinkel für verschiedene A-Säulen-Abrundungen. Die Pegeldifferenz ist in „Punkten“ aufgetragen, die sich aus der Summe der Pegeldifferenzen in den einzelnen Terzen von 400 Hz bis 10 kHz errechnen. Man erkennt, dass sich die Pegelzunahme bei Schräganströmung bei kleinen Rundungsradien bis ca. 10 mm zunächst wenig ändert. Bei gröeren Radien wird sie jedoch deutlich geringer. Dies bedeutet, dass Fahrzeuge mit groen A-Säulen-Radien akustisch weniger auf Schräganströmung reagieren und daher im realen Verkehr in turbulenter Anströmung weniger Modulationen im Innengeräusch aufweisen.
6
6.3.4.6 Hohlraumresonanzen Bei Kraftfahrzeugen kommen zwei Arten von Hohlraumresonanzen vor: zum einen Resonanzen, in denen der gesamte Fahrzeuginnenraum angeregt wird, z. B. durch ein offenes Fenster oder das geöffnete Schiebedach; zum anderen Luftschwingungen in kleinen Hohlräumen, z. B. Nuten, Schlitzen, Rillen oder Bohrungen. Diese Resonanzen werden in ähnlicher Weise angeregt, wie dies bei der Erzeugung von Tönen durch das Überblasen eines Flaschenhalses geschieht. Der Hohlraum wirkt als eine Art Helmholtz-Resonator, dessen Eigenfrequenz stark vom Volumen des Hohlraumes abhängt. Im Resonanzfalle lösen sich an der Vorderkante der Öffnung kohärente Wirbelstrukturen ab, die auf die Hinterkante auftreffen und dort zu Druckwellen führen, die den Innenraum anregen und an der Vorderkante wiederum zur Ausbildung neuer Wirbelablösungen führen. Ob sich eine Resonanz ausbildet oder nicht, ist stark von der Relativgeschwindigkeit der Wirbelstrukturen abhängig, diese wiederum wird durch die Strömungsgeschwindigkeit bzw. Fahrgeschwindigkeit bestimmt. Wummergeräusche bei geöffnetem Schiebedach treten daher z. B. nur in eng begrenzten Geschwindigkeitsbereichen auf (meist irgendwo zwischen 40 und 90 km/h). Verstimmt man die Eigenfrequenz des Innenraumes, z. B. durch Verändern der Zahl der Passagiere, so verändert sich auch der Geschwindigkeitsbereich, in dem Wummern auftritt. Schiebedachwummern erzeugt Schalldrücke bis ca. 130 dB bei Frequenzen um ca. 20 Hz und stellt eine bedeutende Komfortbeeinträchtigung dar. Eine Absenkung der Schalldruckpegel kann dadurch erreicht werden, dass ein Auftreffen der Wirbelstrukturen auf die Hinterkante des Schiebedachs vermieden wird. Dies kann durch die Definition einer so genannten Komfortstellung des Schiebedaches geschehen, in der der Öffnungsweg begrenzt ist. Erst beim weiteren Öffnen kommt es zum Wummern. Des Weiteren werden Windabweiser vor dem Schiebedach eingesetzt, die einerseits das Wiederauftreffen der an der Vorderkante gebildeten Ablösungen auf Bereiche hinter der Schiebedachöffnung verlagern können, andererseits auch mit Wirbelerzeugern (z. B. Kerben, Schlitzen, Nuten, Noppen, Bohrungen) versehen werden können, die die Regelmäigkeit dieser Ablösungen zerstören, siehe Abb. 6.82. Bei sehr groen Schiebedachlängen (oberhalb von ca. 400 mm), z. B. Panoramadächern, reichen derartige Windabweiser in der Regel jedoch nicht mehr aus. Hier müssen Netzwindabweiser eingesetzt werden (s. Abb. 6.83).
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
299
Abb. 6.82 Windabweiser mit Kerben und Schlitzen. (Helfer 2005b)
Wie erwähnt, tragen auch kleinere Hohlräume zur Erzeugung von tonalen Geräuschen bei. So können z. B. Bohrungen in Achskörpern Pfeifgeräusche bei mehreren kHz hervorrufen, die auch im Fahrgastraum unangenehm auffallen können. Um derartige Geräuschanregungen zu vermeiden, sollten Schlitze und Bohrungen an der Karosserieauenhaut und am Unterboden so weit wie möglich vermieden oder abgedeckt werden.
6.3.4.7 Schiebedach-Öffnungsgeräusche Wegen der Druckunterschiede zwischen dem Fahrzeuginneren und der Dachoberfläche werden beim Öffnungsvorgang von Schiebedächern in die Hubstellung transiente, teilweise tonale Geräusche erzeugt. Diese können z. B. durch eine Zahnleiste an der Hinterkante des Schiebedachs, wie sie in Abb. 6.84 dargestellt ist, verhindert werden.
Abb. 6.83 Netzwindabweiser an einem Serienfahrzeug
300
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Abb. 6.84 Zahnleiste zur Verhinderung von Öffnungsgeräuschen am Schiebedach eines Serienfahrzeugs
6
6.3.4.8 Radhäuser Besonders die vorderen Radhäuser sind nahezu über den gesamten Frequenzbereich die Hauptquellen für das aerodynamische Auengeräusch. Sie wirken sich jedoch – u. a. wegen der ohnehin starken Geräuschdämmung der Spritzwand – nur in geringem Mae auf das Innengeräusch aus. In Abb. 6.85 ist das Abstrahlverhalten eines Pkw für zwei Frequenzbereiche bei einer Anströmgeschwindigkeit von 140 km/h dargestellt. Deutlich ist der Beitrag des vorderen Radhauses im gesamten Frequenzbereich zu erkennen. Das hintere Radhaus ist an der Geräuschabstrahlung typischerweise deutlich weniger und nur im oberen Frequenzbereich beteiligt. Auf dem hinteren Kotflügel ist der Einfluss der Antenne sichtbar. Bisher ist nicht bekannt, wie sich die Raddrehung auf die Geräuschanregung in den Radhäusern auswirkt, da bei drehenden Rädern die Abrollgeräusche der Reifen nicht von den aerodynamischen Geräuschen getrennt werden können. Es ist jedoch zu vermuten, dass die Geräuschanregung durch die zusätzliche Drehbewegung der umströmten Radscheiben eher zunimmt. Auch sind Fälle bekannt, in denen an den Vorderrädern erzeugte Wirbelstrukturen zu Geräuscheinträgen an den hinteren Seitenscheiben führten.
6.3.4.9 Unterboden Für tieffrequente Innengeräusche ist – neben der Anregung durch Reifen-Fahrbahngeräusche beim Befahren von Straen mit hoher Makro- oder Mega-Rauigkeit – häufig die Überströmung des Unterbodens verantwortlich. Diese Geräusche können äuerst lästig sein und den Komfort im Fahrzeug beträchtlich mindern. Die am Unterboden in die Karosserie eingeleiteten Luftkräfte regen die gesamte Fahrzeugstruktur zu Schwingungen an. Der Körperschall wird dann von bestimmten Teilflächen in den Innenraum abgestrahlt. Tiefgezogene
301
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
0
500
1000
1500
2000
2500
3000
3500
4000
x-Position/mm
z-Position/mm
Frequenzband 4 - 9,5 kHz 1200 1000 800 600 400 200 0 –200 –400 –1000 –500
0
500
1000
1500
2000
2500
3000
3500
Schalldruckpegel
z-Position/mm
Frequenzband 0,5 - 4 kHz 1200 1000 800 600 400 200 0 –200 –400 –1000 –500
4000
x-Position/mm
Abb. 6.85 Abstrahlcharakteristik eines Pkw in zwei unterschiedlichen Frequenzbereichen bei 140 km/h Anströmgeschwindigkeit. (Helfer 2000)
Bugschürzen und eine möglichst glatte Ausführung der Fahrzeugunterseite können hier Abhilfe schaffen. Im Diagramm (Abb. 6.86) ist die Auswirkung einer Abdichtung zwischen vorderem Stofänger und Windkanalboden auf das Innengeräusch dargestellt. Besonders im Frequenzbereich unter 1 kHz macht sich die Wirkung der Unterbodenströmung bemerkbar.
Abb. 6.86 Schalldruckpegel am linken Fahrerohr bei Serienzustand (———) und bei geschlossenem Spalt zwischen vorderem Stofänger und Fahrbahn (- - - - -). (Helfer 2005b)
Schalldruckpegal/dB(A)
60.0
50.0
40.0
30.0
20.0
10.0 100
1000
Frequenz/Hz
10000
302
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6.3.4.10 Innengeräusch-Reduzierung durch Erhöhung der Verglasungsstärke Auch die Dicke der Verglasung hat einen beträchtlichen Einfluss auf das Innengeräusch. Eine Erhöhung der Scheibendicke trägt wesentlich zur Reduzierung des Innengeräusches bei (Burgade 2000, Zaccariotto et al. 1997, Melchger 2003). Auch durch den Einsatz einer hochdämmenden Zwischenfolie bei zweischaligem Scheibenaufbau kann eine deutliche Geräuschminderung erreicht werden, wie aus Abb. 6.87 hervorgeht (Melchger 2003).
6 6.3.4.11 Cabrios
Abb. 6.87 Schalldruckpegel im Fahrzeug bei Standardscheiben und „Akustikscheiben“ mit Zwischenfolie. (Melchger 2003)
Schalldruckpegel/dB(A)
Bei Cabrios sind in den letzten Jahren deutliche Verbesserungen erreicht worden. Zum einen werden zunehmend gefütterte Verdecke eingesetzt, die neben Vorteilen bei der Innenraum-Klimatisierung auch akustisch wirksam sind; zum anderen verhindern eingenähte Spriegel und straffer gespannte Stoffe unerwünschte Verdeckbewegungen, was sich sowohl auf die Akustik als auch auf das Ballooning (Aufwölben des Daches während der Fahrt) positiv auswirkt. Trotzdem sind, selbst bei ähnlich gutem Dichtungssystem, CabrioFahrzeuge gegenüber Coupés akustisch immer noch im Nachteil. Besonders gilt dies für den unteren Frequenzbereich (Helfer 2005b). Gerade das Dichtungssystem muss bei Cabrios sorgfältig entwickelt werden. Besonderes Augenmerk sollte hierbei z. B. auf Verzweigungen gerichtet werden, an denen Undichtigkeiten häufiger vorkommen. Auch im offenen Zustand weisen Cabrios akustische Besonderheiten auf. Während das eindringende Motorgeräusch, weil fahrzeugtypisch designed, von den Insassen häufig positiv bewertet wird, werden extreme Zugerscheinungen und Umströmungsgeräusche eher kritisiert. Gerade Systeme für die Zugfreihaltung (Windschotts) können sich jedoch ungünstig auf die Geräuschentwicklung auswirken (Helfer 2005b).
Akustikscheiben Standardscheiben
10 dB
Frequenz/Hz
303
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
2.00 1.80
Schärfe/acum
1.60 1.40 1.20 1.00 Gesamtgeräusch auf Asphalt Gesamtgeräusch auf Beton Windgeräusch Antriebsgeräusch Rollgeräusch auf Asphalt Rollgeräusch auf Beton
0.80 0.60 0.40 0.20 0.00
40
60
80
100 120 Geschwindigkeit/km/h
140
160
Abb. 6.88 Schärfe am rechten Beifahrerohr in einem Fahrzeug der oberen Mittelklasse für unterschiedliche Geräuschanteile über der Geschwindigkeit. (Riegel u. Wiedemann 2003) 10
Windtunnel, Tu=3.1%
6 4
fm/Hz
8
2 1
1
2
2
3
3
4
4
5
t/s
m/%
6
5
7
6
8
7
9
10
0
8
10
6 4
fm/Hz
8
Road Measurement, Tu=4.3%
2
1 1
2
22
3
33
4
44
5
t/s
m/% m/%
6
55
7
66
8
77
9
10
0
88 10
Road Measurement, Tu=7.4%
8 6 4
fm/Hz
1
2 1
1
2
2
3
3
4
4
5
t/s
m/%
6
5
7
6
8
7
9
10
0
8
Abb. 6.89 Modulationsspektrum für das Frequenzband 4–8 kHz des Innengeräusches in einem Mittelklassefahrzeug über der Zeit (Abszisse); aufgetragene Modulationsfrequenzen 0 bis 10 Hz (Ordinate); aufgetragener Modulationsgrad (Farbskala) 1 bis 8 %; oben: im Windkanal mit Turbulenzerzeugern, Mitte und unten: Straenmessungen bei unterschiedlichen Anströmbedingungen. (Riegel et al. 2006)
304
M. Helfer
6.3.5 Psychoakustische Gesichtspunkte
10k 9k 8k
region of constant noise
7k
e Luv sid uence fl wind in
6k 5k
f/Hz
Lee s wind ide influ ence
4k 3k 2k 1k –20
–20
–15
–10
–10
0
–5
5
ϕ/° 10
15
L/dB(A)[SPL] 30
40
50
0
20
60
10k 9k 8k
Le e win side d in flue
nce
Abb. 6.90 Schalldruckspektrum am linken Fahrerohr über dem Anströmwinkel für ein bei Turbulenz auf der Strae aeroakustisch positiv ( oben) und negativ ( unten) beurteiltes Fahrzeug. (Riegel et al. 2006)
region of constant noise
e sid ence Luv d influ in w
7k 6k 5k 4k 3k 2k 1k
–20
–20
–15
–10
–10
0
–5 0 5 10 L/dB(A)[SPL] 30
ϕ/° 10
40
15
50
20
60
f/Hz
6
Die Lästigkeit von aerodynamischen Geräuschen wird meist subjektiv beurteilt. Es gibt jedoch auch Ansätze zur Objektivierung (Otto u. Feng 1995). Auch ist seit längerem bekannt, dass die Schärfe des Innengeräusches fast ausschlielich durch das aerodynamische Geräusch bestimmt wird (Helfer u. Busch 1992). Dies konnte in späteren Untersuchungen für weitere Fahrzeuge bestätigt werden, wie in Abb. 6.88 zu erkennen. Als besonders störend im Umströmungsgeräusch können auch die auf der Strae durch voraus fahrende Fahrzeuge oder Böen hervorgerufenen Fluktuationen empfunden werden. Diese verändern zwar die gemittelten Innengeräusch-Spektren nur unwesentlich, modulieren jedoch das Schalldrucksignal, was bei entsprechenden Analysen dann auch deutlich zu erkennen ist, wie in Abb. 6.89 dargestellt. Die auf der Strae auftretenden Turbulenzen können in Windkanälen zwar ansatzweise durch Wirbelgeneratoren simuliert werden, die Turbulenzskalen sind jedoch meist deutlich kleiner als auf der Strae. Daher werden Ansätze verfolgt, das insta-
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
305
tionäre Strömungsgeräusch durch eine Geräuschsynthese anzunähern (Krampol et al. 2009). Hierbei wird für das zu untersuchende Fahrzeug eine Datenbank mit im Windkanal stationär gemessenen Innengeräuschen bei systematischer Variation von Anströmwinkel und Anströmgeschwindigkeit erzeugt. Zudem werden typische Anströmverläufe (ebenfalls Anströmwinkel und -geschwindigkeit) bei Straenfahrten ermittelt, z. B. bei böigen Windverhältnissen oder vorausfahrenden Fahrzeugen. Durch zeitliches Aneinanderreihen von Samples aus der Datenbank entsprechend dem Anströmverlauf wird dann ein synthetisches binaurales Audiosignal erzeugt, das es erlaubt, das akustische Verhalten eines Fahrzeugs bei turbulenter Anströmung subjektiv und analytisch zu bewerten. Einfachere Ansätze in dieser Richtung bewerten lediglich die akustische Empfindlichkeit eines Fahrzeugs auf Schräganströmung, die bei ungestörter Anströmung im Windkanal ermittelt wird. Aus den Pegelanstiegen bei bestimmten Anströmwinkeln im Vergleich zur Anströmung genau von vorn wird hierbei auf das akustische Verhalten bei Turbulenz geschlossen. In Abb. 6.90 sind beispielhaft Ergebnisse einer derartigen Untersuchung für zwei unterschiedlich bewertete Fahrzeuge dargestellt.
6.4 Nebenaggregate Otto Brass, Robert Bosch GmbH In modernen Kraftfahrzeugen werden für die Kernfunktion Fahren, das Motormanagement und die Elektrifizierung von Komfortfunktionen viele zusätzliche Nebenaggregate benötigt. Diese Nebenaggregate stellen potentielle Geräuschquellen dar und deren Auslegung und Einbau stellen hohe Anforderungen an die Entwickler. Aus der Funktion und den zeitlich veränderlichen Kräften der Nebenaggregate lassen sich die Eigenschaften der entstehenden Geräusche erkennen und Strategien für Analyse und Messtechniken ableiten. Simulationstechniken werden neue Wege beim Verständnisgewinn von Wirkzusammenhängen, die durch Messungen nicht direkt zugänglich sind, und bei der Beherrschung vielparametrischer Optimierungen eröffnen.
6.4.1 Einleitung Herr Meier ist stolz auf sein neues Auto. Viel besser als das Alte, denkt er. Kurven, die er vorher nur vorsichtig durchfahren konnte, werden jetzt sicher und wie im Traum gemeistert. Er merkt kaum noch, ob Schnee auf der Straße liegt, oder ob sie nass ist. Gestern hat er wegen eines Kindes plötzlich bremsen müssen. Ohne Schleudern oder Ausbrechen des Fahrzeugs kam er sicher zum Stehen. Wie von Geisterhand bewegen sich die Fenster auf und ab und Vieles geschieht automatisch – sein Auto denkt mit. Bis zu 200 „kleine Helfer“ unterstützen den Fahrer in modernen Fahrzeugen. Es geht längst nicht mehr darum lästige Funktionen, die von Hand bedient werden mussten, durch
306
6
O. Brass
Elektroantriebe zu ersetzen. Immer mehr wird der Fahrer bei der Kernfunktion Fahren unterstützt. ABS, ESP und andere sind bekannte Schlüsselbegriffe. Elektrische Lenkhilfen eröffnen neue Möglichkeiten bei der Implementierung von Lenkstrategien. Die klassischen Pedalfunktionen werden mehr und mehr durch intelligente Software gesteuerte Aktuatorik unterstützt oder ersetzt. So können die Fahrzeuge heute selbstständig beschleunigen, bremsen oder schalten. Der Wunsch des Fahrers, durch das Pedal angegeben, ist nur noch ein Eingangswert für die Steuerungssoftware. Ein weiteres Anwendungsfeld ist das Motormanagement. Von der Einspritzung bis Abgasbehandlung sind viele Ventile, Pumpen und Lüfter notwendig. Hier greifen mehrere Kreisläufe ineinander. Für die Kraftstoffförderung, Druckaufbereitung und Einspritzung, Abgasbehandlung mit Turboladern, Ölschmierstoffförderung, Druckaufbereitung und Dosierung, sowie das Thermomanagement mit Kühlwasserkreisläufen und Wärmetauschern ist eine groe Anzahl von Nebenaggregaten notwendig. Die Elektrifizierung der Komfortfunktionen wie elektrische Fensterheber, Sitzverstellungen und Schiebedachantriebe schreitet weiter voran. Heutzutage sind zum Beispiel 10 Elektromotoren in einem komfortablen Sitz keine Seltenheit mehr. Auch ist hier der Trend zur Verbindung von Komfort mit Sicherheitsaspekten zu erkennen. Beispiel ist der Sitz, der bei einer Crashsituation automatisch die für den Insassen optimale Position anfährt, bzw. einstellt. Wegen der steigenden Anzahl von Klimaanlagen (HVAC = Heating, Ventilation, Air Conditioning) hat sich die Zahl der Nebenaggregate im Fahrzeug deutlich erhöht. Wegen immer höherer Forderungen nach zugfreier Belüftung, gleichmäiger Temperierung und optimales Entfernen von Eis und Beschlag der Scheiben, sind feinere Regelungen mit mehr und besseren Ventilen, leistungsfähigere Lüfter und zusätzlichen Lüftungskanälen erforderlich. Aber: akustisch gesehen werden 200 potentielle zusätzliche Geräuschquellen eingebaut.
Ziel dieses Kapitels ist es, die verschiedenen Geräuscharten, die durch obige Funktionen entstehen, zu charakterisieren und ihre Schallausbreitung zu beschreiben. Weiterhin soll eine Übersicht über die Mess- und Analysemöglichkeiten gegeben werden. Zuerst wird näher auf die Erwartungen an das Geräuschniveau eingegangen und es werden Hinweise zur objektiven Beschreibung gegeben. Schwerpunkt ist dann die Beschreibung von Geräuschquellen als Kraftquellen. Hieraus werden Ideen zur Analyse, Messung, und Weiterleitung auf Basis von Energieflüssen entwickelt. Abschlieend wird auf zukünftige Anforderungen und Trends eingegangen.
6.4.2 Geräuscharten der Nebenaggregate Die Erwartungen, wie ein Nebenaggregat klingen darf, sind sehr unterschiedlich. Sie lassen sich in zwei Hauptgruppen unterteilen. In der ersten Gruppe sind die Nebenaggregate, deren Betrieb vom Fahrer/Insassen veranlasst wird. Hierzu zählen die Scheibenwischer, elektrische Fensterheber, Sitzverstellungen etc. Bei dieser Art von Nebenaggregaten wird in der Regel eine Rückmeldung über die Funktion sogar erwartet. Diese
6 Wesentliche Geräuschquellen im Fahrzeug und deren Charakterisierung
307
kann optischer oder akustischer Art sein. Die akzeptierten Pegel im Fahrzeuginnenraum bewegen sich heute im Bereich < 35 dB im wesentlichen Frequenzbereich. Die Anforderungen an die zweite Gruppe sind deutlich höher. In dieser Gruppe befinden sich die Nebenaggregate, die ohne bewusste Betätigung des Insassen in Aktion treten. Beispiele sind Klappenverstellungen der Klimaanlagen, Regelventile im Motormanagement, oder Hydraulikpumpen für ABS, ESP oder ESR. Hier ist in der Regel keine Rückmeldung erwünscht, die Zuordnung eines Geräuschs zu einem Nebenaggregat ist oft den Fachleuten vorbehalten. Wer wei zum Beispiel heute schon, ob im Fahrzeug ein schaltendes oder proportional regelndes Wasserventil eingebaut ist. Die Anforderungen bewegen sich heute im Bereich < 30 dB mit klarer Tendenz zu „unhörbar“. Da Nebenaggregate selten für einzelne Fahrzeuge entwickelt werden, sondern aus Baukästen oder Plattformentwicklungen abgeleitet werden, ist der Unterschied zwischen Fahrzeugen im oberen und unteren Preissegment weniger von Bedeutung. Die akustische Grundauslegung orientiert sich immer an den höchsten Anforderungen. Genauso sind die länder- und kulturbedingten Anforderungen zu sehen. Gab es früher noch Unterschiede zwischen z. B. Europa und Asien in der Vorstellung, wie ein Nebenaggregat zu klingen hat, so muss ein Produkt heute alle Anforderungen erfüllen. Differenzierungen wird es nicht aus akustischen Gründen, sondern nur aus Kostengründen geben. Für die objektive Beschreibung des Geräuschs eines Nebenaggregates, gelten die in vorherigen Kapiteln abgeleiteten Regeln uneingeschränkt und werden hier nicht näher beschrieben. Um das Geräuschniveau zu charakterisieren, ist eine einzelne Pegelangabe unzureichend. Es sollten immer mindestens Angaben zur Lautstärke (z. B. A-Pegel, Lautheit, etc.) zur Frequenzzusammensetzung (z. B. Tonalität, Terzpegel, Schärfe, etc.) und zur zeitlichen Veränderung des Geräuschs (z. B. Rauigkeit, Modulationsgrad, Schwankungsstärke, etc.) gemacht werden. Um das Geräuschniveau im eingebauten Zustand unter realen Betriebsbedingungen zu beurteilen, hat sich die Kunstkopfmesstechnik durchgesetzt. Der Vorteil ist die objektive Dokumentation von Geräuschsituationen, wie ein Fahrer oder Beifahrer sie im Auto erleben würde. Hörvergleiche im Studio oder Analysen sind anschlieend möglich (s. Abschn. 4.2). Genauere Angaben zu Messtechnik und Auswertungen sind im DIN Fachbericht 72 vorgeschlagen (DIN Fachbericht 1998). Kunstkopfmesstechnik ist notwendig, um den binauralen Höreindruck zu konservieren.
Eine einfache Mikrofon-Messung weist zwar eine bessere Messgenauigkeit auf, kann aber den binauralen Eindruck nicht konservieren und kommt deshalb nur dort zur Anwendung, wo das Geräusch schon analysiert worden ist. Im nächsten Kapitel werden auf die Nebenaggregate als Kraftquellen eingegangen und Mess- und Analysemethoden abgeleitet.
6.4.3 Analyse- und Messmethoden Es gibt nicht nur eine Geräuschquelle im Nebenaggregat, sondern konstruktionsbedingt mehrere Quellen. Hauptquelle ist sicher der antreibende Teil, im Falle eines
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6
O. Brass
Elektromotors oder Ventils ist das der elektromechanische Teil. Hier wird aus elektrischer Energie mechanische Energie erzeugt und ein Teil davon in unerwünschte Schallenergie. In der Gesamtenergiebilanz ist dieser Anteil zwar zu vernachlässigen, aber das Ohr ist ein sehr empfindlicher Sensor und kann Leistungen von 10−12 Watt schon detektieren. Weitere Geräuschquellen sind Lagersysteme, Getriebe, Lüfter und Luftführungsteile, Anschläge und andere bewegte Teile. Vergessen werden oft die Anregungen durch elektronische Ansteuerungen. Zum Beispiel kann ein Elektromotor, der durch eine Pulsweitenansteuerung mit 1 kHz getaktet wird, auch ein Geräusch bei 1 kHz haben. Oft finden sich diese 1 kHz dann auch als Modulationsfrequenz oder Seitenband eines anderen Geräuschs wieder. Die genaue Kenntnis der Funktion der Nebenaggregate und ihres Aufbaus ist Voraussetzung für ein Verständnis des Geräuschbildes und dessen Analyse. Nur wenn die Wirkzusammenhänge und die Schallausbreitungswege bekannt sind, können konstruktive Manahmen abgeleitet werden. Dabei ist immer das Gesamtsystem zu betrachten. Hierauf soll im Folgenden näher eingegangen werden. Ein guter Ansatz ist es, den Gesamtweg von der Quelle bis zum Ohr zu betrachten. Als Quelle werden hier Kraftanregungen gesehen. Unabhängig davon, ob es sich um funktions-, betriebs-, oder konstruktionsbedingte Kräfte handelt, ist die zeitliche Struktur und damit die Frequenzzusammensetzung von Interesse. Wechselnde Kräfte erzeugen Geräusche.
Zum Beispiel erzeugt ein 2 poliger, 8-nutiger Motor einen Pegel bei der 8-fachen Drehfrequenz, weil 8-mal pro Umdrehung des Ankers der Strom kommutiert wird und bei nicht sinusförmiger Kommutierung des Stromes Wechselkräfte auftreten. Die entscheidende Frage ist immer, wo können welche Kräfte auftreten und welche zeitliche Struktur besitzen sie. Dazu ist es oft sinnvoll, sich in Form eines systematischen Ansatzes einen vollständigen Überblick zu beschaffen. Dies könnte z. B. grafisch mit einem Ursachenbaum-Diagramm dargestellt werden. Die Äste können weiter verfeinert werden, bis zu konkreten Formen und Formeln, welche je nach Detaillierungsgrad firmeneigenes Wissen darstellen. Ab dieser Detaillierungstiefe können Aussagen über den zeitlichen Verlauf getroffen werden. Damit ergeben sich wesentliche Ansätze für Messmethoden und Analysemöglichkeiten. Als Beispiel wird die statische Unwuchtkraft eines rotierenden Ankers eines Elektromotors betrachtet. Us (t) = m(t) e(t)
(6.6)
Beispiel Statische Unwuchtkraft (DIN Taschenbuch 1997); Us(t) ist die statische Unwucht; m(t) ist die wirksame Masse des rotierenden Teils; e(t) ist die Exzentrizität. Während einer Umdrehung ist die Unwuchtkraft nicht konstant, sondern variiert lokal an einem gedachten Punkt auf der mechanischen Struktur, da e(t) ein rotierender Vektor ist. Die genaue Form des Exzentrizitätsvektors bestimmt die zeitliche Struktur der Unwucht. Mit Hilfe einer Fouriertransformation lässt sich die Kraftfunktion Us(t) in eine Funktion Us(f) als Funktion der Frequenz, oder in diesem Fall auch Us(n) mit der Drehzahl n als Führungsgröe darstellen. Es sei hier nochmals darauf hingewiesen, dass die Fouriertransformation
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309
eine orthogonale und vollständige Koordinaten Transformation oder Reihenentwicklung darstellt. Orthogonalität bedeutet die Unabhängigkeit der Summanden voneinander und Vollständigkeit die Tatsache, dass keine Information durch die Transformation verloren geht. Ein bestimmter Sachverhalt wird durch verschiedene Funktionen dargestellt, die sich 1:1 ineinander umrechnen lassen. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass nicht immer die FFT (Fast Fouriertransformation) die beste Lösung darstellt, sondern andere Funktionen sinnvoll sein können, die dem Problem besser angepasst sind. Beispiele sind nicht äquidistante Stützstellen, oder gerade bei rotierenden Maschinen die Anzahl der Stützstellen (z. B. Winkel), die sich nicht durch 2n darstellen lassen. Das Ergebnis dieser Transformation ist eine Kraftverlaufs Darstellung, bei dem die Zeitabhängigkeit in periodische Anteile (Frequenz oder Drehzahl) zerlegt worden ist. Die Phasen geben dabei die zeitliche Beziehung der unabhängigen Summanden wieder, während die Fourierkoeffizienten die Beiträge oder Amplituden einzelner Summanden darstellen. Für eine spätere Analyse ist das von wesentlicher Bedeutung, da die Zusammensetzung der Periodizität, oder die der diskreten Frequenzen (Drehzahlen) wie ein Fingerabdruck unverkennbare Eigenschaften der Quelle sind. Bei der Schallausbreitung und Weiterleitung bleibt diese Information erhalten. Die Amplitude der einzelnen Koeffizienten kann dagegen von der Quelle bis zum Ohr verändert werden. Die Übertragungsfunktionen und Abstrahlfunktionen im System sind in der Regel nur frequenzabhängig und nicht zeitabhängig. Die zeitliche Struktur einer Kraft ist unabhängig von der Weiterleitung und der abstrahlenden Struktur.
Erst wenn verschiedene Kräfte wechselwirken, wird das Erscheinungsbild nach auen komplexer und zeitliche Strukturen im Gesamtsignal können überdeckt und geändert werden. Um ein befriedigendes Geräuschniveau zu bekommen, müssen die hörbaren Wechselanteile der anregenden Kräfte klein gehalten werden. Aber es geht nicht nur alleine darum, die Amplituden klein zu halten, sondern auch die Zusammensetzung der Frequenzen ist wesentlich. Viele hochfrequente Anteile ergeben ein scharfes Geräusch. Viele nichtharmonische Vielfache der Grundanregung können einen disharmonischen und unangenehmen Eindruck erzeugen. Schwebungen sind genauso unangenehm wie Schwankungen und Modulationen (s. Abschn. 2). Die Gestaltung und nicht nur Minimierung der anregenden Kräfte sind die besten Wege zu einem guten Geräuschniveau.
Die Schallausbreitungswege der Nebenaggregate sind vielfältig. Meist sind sie hinter Abdeckungen eingebaut oder irgendwo im Motorraum versteckt. In den seltensten Fällen sind sie direkt sichtbar oder zugänglich. Das hat zur Konsequenz, dass überwiegend die direkte Luftschallabstrahlung der Aggregate selber eine untergeordnete Rolle spielt. In der Regel werden die anregenden Wechselkräfte als Körperschall über Halterungen, Kabel, Hydraulikleitungen oder sonstige Verbindungen in die Fahrzeugstrukturen eingeleitet. Dort werden sie durch die Kraftfahrzeugkarosserie weitergeleitet, abgestrahlt und hörbar. Es gilt 3 Hauptregeln zu beachten.
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6
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1. Um die Körperschalleinleitung klein zu halten, müssen die Befestigungen so gestaltet werden, dass ein möglichst kleiner Energiefluss (Cremer u. Heckl 1996) stattfindet. Da der Energiefluss = Kraft mal Geschwindigkeit ist, können die Kraft, die Geschwindigkeit oder beides klein gehalten werden. Bewährt haben sich in der Praxis der Einbau von Impedanzsprüngen, wie z. B. Gummientkopplungen, die Befestigung an Kraftknotenpunkten oder der Anbau an möglichst steifen Punkten der Karosserie. Es ist in der Regel nicht vorteilhaft Befestigungspunkte weicher zu machen, um einen Impedanzsprung zu erzeugen. Muss an groen Abstrahlflächen befestigt werden, sollte die Geschwindigkeit klein gehalten werden, da die abgestrahlte Schallleistung proportional zur mittleren Schwinggeschwindigkeit ist. 2. Vermeidung von Resonanzen. 3. Kleine Abstrahlflächen, um direkten Luftschall zu vermeiden Aus den vorgenannten Überlegungen müssen Anforderungen an die verwendeten Messmethoden abgeleitet werden. Wurde das Geräuschniveau im eingebauten Zustand mit Kunstkopfmesstechnik dokumentiert, muss die Komponente Nebenaggregat alleine beurteilt werden. Dies ist sehr viel schwieriger. Eine Vielzahl von Prüfständen und Prüfmethoden ist hierzu entwickelt worden. Der Erfolg oder Misserfolg ergibt sich letztlich daraus, wie gut die Korrelation der Prüfstandsergebnisse mit den Aussagen der Kunstkopfmessungen im Fahrzeug ist. Ein besonderes Augenmerk ist auf eine Trennung des Fahrzeugeinflusses und der Nebenaggregateigenschaften zu richten. Dies ist nicht immer möglich und muss bei der Beurteilung von Messgröen beachtet werden. Auf jeden Fall ist auf eine genaue und statistisch abgesicherte Fähigkeitsanalyse (Messgerätefähigkeit) der Prüfstände oder Prüfmethoden zu achten (s. Abschn. 8.1). Um die akustischen Nebenaggregateigenschaften zu beurteilen, sollten diese möglichst realitätsnahe betrieben werden, wenn nichts oder wenig über die Wirkzusammenhänge der anregenden Kräfte und der angeregten Strukturen bekannt ist. Typischerweise werden dazu Prüfstände gebaut und der Körperschall mit Beschleunigungsaufnehmern, oder der Luftschall mit Mikrofonen gemessen. Da diese „integralen“ Gröen von vielen Einflussparametern abhängen, die i. d. R. kaum alle kontrolliert eingestellt werden können, ist die Korrelation zu Fahrzeugmessungen oft nicht zufrieden stellend. Bessere Ergebnisse werden erzielt, wenn einiges über die anregenden Kräfte bekannt ist und diese direkt gemessen werden, als über den Umweg der indirekten Erfassung über Körperschall oder Luftschallmessungen. Ein typisches Beispiel ist die Messung von „Brummgeräuschen“ von Elektromotoren, welches unter anderem in der Anregung durch die Unwucht des Rotors seine Ursache hat. Die Gröe der Unwucht kann direkt gemessen werden und braucht nicht über den Umweg des Körperschalls bestimmt werden. Der Proportionalität zwischen gemessenem Körperschall und der Unwuchtskraft ist in der Regel ausreicht gut. Die Messung der direkten Ursachen/Kräfte ergibt bessere Ergebnisse.
Da Nebenaggregate in der Regel versteckt eingebaut sind, kommt dem Körperschall eine besondere Bedeutung zu. Neben dem schwingendem Bauteil ist die Messung des weitergeleiteten Energieflusses an den Befestigungspunkten von Bedeutung (s. Abschn. 8.2). Kraftaufnehmer, die alle drei Raumrichtungen gleichzeitig erfassen, gibt es heute auf dem Markt. Die Messung der Geschwindigkeit mit Beschleunigungsaufnehmern oder Laservibrometern ist Standard. Einzig die Messung der rotatorischen Freiheitsgrade der Befes-
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311
tigungspunkte ist schwieriger. Diese sind aber meistens von untergeordneter Bedeutung, da die Gesamtrotation des Nebenaggregats bei mehreren Befestigungspunkten mit den Kraftaufnehmern erfasst wird und berechnet werden kann. Eine weitere Möglichkeit verbesserte Aussagen zu bekommen, ist die Verwendung von Eigenschaften der Nebenaggregate als Führungsgröen. Bei rotierenden Maschinen sollte die Drehzahl erfasst werden. Bei verstellenden oder taktenden Nebenaggregaten sind es der Verstellwinkel oder eine Triggerposition. Die Analyse der Signale orientiert sich an zwei Punkten. Was ist für den Höreindruck wichtig und welche Informationen ergeben sich aus der Kenntnis der anregenden Kräfte und Übertragungswege. Ersteres kann mit psychoakustischen Merkmalen objektiviert werden, letzteres eher mit konventionellen Analysemethoden. Leider ist die Normung auf diesen Gebieten noch nicht so weit fortgeschritten, wie es wünschenswert wäre, sodass es eine schier unübersehbare Vielfalt von realisierten Analyseverfahren gibt. An dieser Stelle sei nur auf die vorangegangenen Kapitel und weiterführende Literatur verwiesen. Es ist empfehlenswert, sich an bekannten Verfahren zu orientieren, bevor neue Verfahren geschaffen werden. Der Zugewinn ist meist kleiner als der Nutzen.
6.4.4 Zukünftige Anforderungen und Trends Die zukünftigen Anforderungen sind geprägt von leiser, leichter und kostengünstiger. Extrem hohe Leistungsdichten der Nebenaggregate führen zu immer höheren Drehzahlen bei Antrieben. Das sich daraus ergebende Frequenzspektrum verschiebt sich zu den höheren Frequenzen hin, die besser hörbar sind und eher unangenehm empfunden werden. Die Modendichte der Strukturen in diesem Bereich wird gröer, sodass sich eher Konflikte zwischen Anregung und Resonanzen ergeben. Die Modenfrequenzen ändern sich zu höheren Frequenzen hin, bedingt durch die kleineren Strukturen. Neue Techniken, wie Hybrid- oder Elektroauto erfordern neue Nebenaggregate mit neuen Funktionen. Diese erscheinen dann in einem neuen Geräuschumfeld. Aggregate, die heute unauffällig sind, können hörbar werden. Die Auslegung nähert sich immer mehr den physikalischen Grenzen, sodass die Robustheit gegenüber Fertigungstoleranzen an Bedeutung gewinnen wird. Positiv wird sich der höhere Anteil an mechatronischen Lösungen auswirken. Mit Elektronik lassen sich viele Situationen von vornherein entschärfen. Beispiele sind Drehzahlregelungen gegen schwankende Geräusche, Sanftanlauf, oder die Gestaltung von Kraftverläufen. Den gröten Fortschritt wird die Beherrschung von Simulationstechniken ergeben. Der Verständnisgewinn durch Modellierung, automatische Optimierung von vielparametrischen Systemen und Berechnung von Gröen, die sich experimentell nur schwierig messen lassen, wird neue Wege eröffnen.
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312
6
K. Engel et al.
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Fahrzeug-Außengeräusch
7
Klaus Genuit
7.1 Einführung Wirtschaftliches Wachstum ist mit steigenden Anforderungen an Mobilität und Transport verknüpft. Zukunftsorientierter Fortschritt muss hierbei die Wirkungen von Verkehrsgeräuschen auf Mensch und Umwelt berücksichtigen, um eine hohe Lebensqualität sicherstellen zu können. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung in der EU fühlt sich durch Verkehrslärm belästigt oder befürchtet direkte Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden. Nach einer repräsentativen Umfrage des Umweltbundesamtes fühlen sich durch Straenverkehrslärm 20 % der Bevölkerung stark oder wesentlich belästigt (UBA 2008). Daher ist das „FahrzeugAuengeräusch“ Gegenstand zahlreicher Forschungsprojekte zu Themen wie Identifikation wesentlicher Geräuschquellen, Zusammenhang zwischen Verkehrsgeräusch und Belästigung, medizinische Folgen aufgrund chronischer Lärmexposition, Geräuschqualität, Entwicklung neuer Methoden und Technologien zur Fahrzeug-Auengeräuschmessung und das Fahrzeug-Auengeräusch als wesentliches Produktattribut, das aktiver Gestaltung bedarf. Die Betrachtung des Kfz-Auengeräusches kann unter unterschiedlichen Gesichtspunkten erfolgen. In Abb. 7.1 ist dargestellt, welche Aspekte im Komplex „Kfz-Auengeräusch“ von besonderer Bedeutung sind.
7.2 Die Analyse des Fahrzeug-Außengeräusches 7.2.1 Der Gesetzgeberaspekt – Gesetzliche Aspekte beim Fahrzeug-Außengeräusch Bezüglich der Geräuschemission von Kraftfahrzeugen gilt der allgemeine Grundsatz: „Sie müssen so betrieben werden, dass vermeidbare Emissionen verhindert und unvermeidbare K. Genuit () HEAD acoustics GmbH, Ebertstr. 30a, 52134 Herzogenrath, Deutschland E-Mail: [email protected] K. Genuit (Hrsg.), Sound-Engineering im Automobilbereich, DOI 10.1007/978-3-642-01415-4_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
317
318
K. Genuit
Kfz-Außengeräusch
Gesetzgeberaspekt
Kundenaspekt
Umweltaspekt
ISO 362
Sound
Belästigung
SPL
psychoakustisch
physikal.
psychoakustisch
physikal.
physiologisch
Abb. 7.1 Aspekte bei der Betrachtung des Kfz-Auengeräusches
7
Emissionen auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben“1. Zur Gewährleistung dieser grundsätzlichen Forderung im Bereich des Fahrzeug-Auengeräusches sind entsprechende gesetzliche Grundlagen geschaffen worden, die im Wesentlichen auf die Einhaltung definierter Grenzwerte bei einer Vorbeifahrt abzielen. Bei der Festlegung der Grenzwerte wird nach Fahrzeugklassen unterschieden und in Messvorschriften entsprechende repräsentative und reproduzierbare Fahrsituationen definiert. Der Nachweis der Einhaltung gesetzlich definierter Geräuschpegelgrenzwerte muss in einem so genannten EG-Typgenehmigungsverfahren erbracht werden, bei dem „ein für den zu genehmigenden Fahrzeugtyp repräsentatives Fahrzeug“2 vom Fahrzeughersteller dem prüfenden Technischen Dienst zur Verfügung gestellt werden muss. Erst bei Erteilung einer solchen Typgenehmigung wird eine Betriebserlaubnis erteilt und das Fahrzeugmodell kann in der EU verkauft werden. Mit der Richtlinie 92/53/EWG (1992) (Neufassung der 70/156/EWG) wurde eine gesamteuropäische Betriebserlaubnis für Pkws eingeführt (Rodi 2002). Hier sind über 50 Einzelrichtlinien bekannt; die Bewertung der Geräuschemission ist eine Wesentliche davon. Die einzuhaltenden Geräuschpegelgrenzwerte sind in der Richtlinie 70/157/EG bzw. in der Richtlinie 2007/34/EG festgelegt und mehrfach in den letzten Jahrzehnten verringert worden (Abb. 7.2). Seit 1996 kam es allerdings nicht mehr zu einer weiteren Reduzierung der gesetzlich zulässigen maximalen Vorbeifahrtspegel für Neufahrzeuge verschiedener Fahrzeugklassen. Allerdings ist in der Richtlinie 2007/34/EG nachzulesen: „Die letzte Senkung brachte nicht die erwarteten Ergebnisse, und nachfolgende Untersuchungen zeigten, dass die verwendete Messmethode das reale Fahrverhalten nicht mehr adäquat wiedergibt.“3 Daher wurde ein neues Verfahren zur Prüfung der Erteilung der Typgenehmigung entwickelt, worauf später noch eingegangen werden soll. Die derzeit gültigen Grenzwerte bezüglich des Vorbeifahrtgeräusches sind in der Tab. 7.1 aufgelistet. Seit dem Inkrafttreten der Richtlinie 70/157/EWG im Jahre 1970 sind die maximal zulässigen Geräuschpegel für Kraftfahrzeuge mehrmals gesenkt worden, dennoch verringerte sich die Geräuschbelästigung durch Straenverkehrslärm nicht merklich. Eine Ursache für den unbefriedigenden Erfolg hinsichtlich der Verringerung der Lärmbelastung und Lärmbelästigung ist unter anderem in der bisherigen unzureichenden Messvorschrift, der ISO 362:1998, zur 1 2 3
§ 38 Abs. 1 S. 2 BImSchG. Richtlinie 2007/34/EG (2007). Richtlinie 2007/34/EG (2007).
Geräuschemissionsgrenzwert in dB(A)
7
319
Fahrzeug-Außengeräusch
94,0
90,0
86,0
82,0
78,0
74,0
70,0 1970
1980
1990
2000
Jahr alle PKW
PKW > 70PS
PKW ≤ 70PS
LKW ≥ 150KW
LKW 75KW...< 150KW
LKW < 75KW
Bus ≥ 150KW
Bus < 150KW
Motorrad > 175cm
3
Abb. 7.2 Gesetzliche Geräuschemissionsgrenzwerte für verschiedene Fahrzeugklassen in dB(A) über die letzten 40 Jahre
Bestimmung des Vorbeifahrtspegels zu sehen. Hier wurde die beschleunigte Vorbeifahrt unter Volllast als wesentliche Betriebsbedingung zur Typprüfung definiert. Das zu untersuchende Fahrzeug muss dabei 10 m vor dem Messmikrofon, d. h. an der Stelle AA', wobei das Mikrofon in einer Höhe von 1,2 m in 7,5 m Entfernung zur Straenmitte auf Höhe PP' positioniert ist, im 2. bzw. 3. Gang eine Volllastbeschleunigung durchführen, um bei PP' auf eine Geschwindigkeit von 50 km/h zu kommen (Abb. 7.3). Das Prüfgelände sollte neben den in Abb. 7.3 dargestellten Abmaen zusätzlich in einem Umkreis von 50 m um den Mittelpunkt der Prüfstrecke keine groen Schall reflektierenden Gegenstände aufweisen (ISO 10844 1994). Der gemessene Maximalwert des A-bewerteten Schalldruckpegels (LAmax) innerhalb des betrachteten Teststreckenabschnitts repräsentiert den für das Fahrzeug ermittelten Vorbeifahrtspegel, der dann die gesetzliche Vorgabe erfüllen muss. Tab. 7.1 Geräuschpegelgrenzwerte. (nach Richtlinie 2007/34/EG) Fahrzeugklasse
Wert in dB(A)
Fahrzeuge für die Personenbeförderung mit höchstens neun Sitzplätzen einschlielich Fahrersitz Fahrzeuge für die Personenbeförderung mit mehr als neun Sitzplätzen einschlielich Fahrersitz und einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 t
74
• mit einer Motorleistung von weniger als 150 kW • mit einer Motorleistung von 150 kW oder mehr
78 80
Fahrzeuge für die Güterbeförderung mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 t • mit einer Motorleistung von weniger als 75 kW • mit einer Motorleistung von 75 kW oder mehr, jedoch weniger als 150 kW • mit einer Motorleistung von 150 kW oder mehr
77 78 80
320
K. Genuit
P‘
B‘
10 m
A‘
≥3 m
7.5 m
C
C‘
10 m
7.5 m
7 10 m
10 m A
10 m P
B
Abb. 7.3 Räumliche Dimensionen der Teststrecke zur Vorbeifahrtsmessung nach ISO 362
Der Vorteil dieser Messvorschrift war die hervorragende Reproduzierbarkeit der Messergebnisse. Allerdings ist diese weder praxisgerecht noch realitätsnah, da die festgelegten Fahrbedingungen nicht repräsentativ für reale Fahrsituationen und das reale Fahrverhalten sind. Der Einfluss der Reifen-Fahrbahngeräusche auf das Gesamtgeräusch ist dabei eher gering. Ferner wurde das Leistungsvermögen des Fahrzeugs nicht bei der Wahl der Betriebsbedingungen in der Messung berücksichtigt. Darüber hinaus wurde dem Fahrzeughersteller die Wahl des Reifens überlassen, wodurch ausschlielich lärmarme Reifen bei den Vorbeifahrtsmessungen verwendet wurden, die nicht eine typische Bereifung im realen Verkehr darstellen. Diesbezüglich wurde reagiert und mit der Einführung einer europäischen Reifenrichtlinie im Jahr 2001 erstmals auch Grenzwerte für das Rollgeräusch von Reifen definiert (Richtlinie 2001/43/EG (2001)). Aufgrund der oben genannten Schwächen der ISO 362:1998 wurde ein neuer Prüfzyklus eingeführt und die Fahrbedingungen bei der Prüfung des Geräuschpegels an reale Fahrbedingungen angenähert. Der neue Prüfzyklus ist in der UN/ECE-Regelung Nr. 51 (2007) und in den neuen Entwürfen der ISO 362 enthalten (ISO 362-1 2007, ISO 362-2 2009). Mit Hilfe der neuen Prüfbedingungen wird eine höhere Effektivität von Grenzwertsenkungen angestrebt, da die Typprüfbedingungen eher realen Betriebsbedingungen im Verkehr entsprechen. Hier wird das Verhältnis aus Leistung zur Masse (engl. power to mass ratio) gebildet (7.1), um eine für das Fahrzeug angemessene, mittlere Beschleunigung ableiten zu können. PMR =
Pn 1000 kgkW mt
(7.1)
Die abgeleitete mittlere Beschleunigung soll dann „an acceleration at partial throttle condition in urban traffic“4 darstellen. Dabei wird mit Hilfe verschiedener Gänge die Zielbeschleunigung unter- bzw. überboten. Auf Höhe der Mikrofone ( PP′) muss die Testge4
ISO 362-1:2007 (2007).
7
Fahrzeug-Außengeräusch
321
schwindigkeit von 50 km/h erreicht werden. Die Geschwindigkeit am Punkt AA′ (Abb. 7.3) beträgt dann je nach Motorisierung des Prüffahrzeuges eine Geschwindigkeit um 35 km/h. Diese kann je nach Gangwahl unter- und überschritten werden. Die Bereifung des Prüffahrzeuges kann nach wie vor durch den Hersteller gewählt werden, wobei allerdings nur eine am Markt erhältliche und für das Fahrzeug zugelassene Bereifung eingesetzt werden darf. Der maximale A-bewertete Schalldruckpegel (LAmax) wird bestimmt während das Fahrzeug die Messzone AA′–BB′ (Abb. 7.3) durchfährt. Dieser muss über 4 aufeinander folgenden Messungen innerhalb einer 2 dB Toleranz konstant bleiben. Die Messung der beschleunigten Vorbeifahrt wird in mehreren Gängen durchgeführt. Danach wird aus Lcrs rep für die Konstantfahrt mit einer Geschwindigkeit von 50 ± 1 km/h und aus Lwot rep für die beschleunigte Vorbeifahrt (Volllast) ein Wert bestimmt. Aus diesen beiden Werten wird mit Hilfe eines Gewichtungsfaktors ein Lurban abgeleitet. Damit wird laut ISO 362 das Ziel verfolgt, „[…] to reproduce the level of noise generated by the principal noise sources during normal driving in urban traffic“5. Da aufgrund der neuen Messprozedur Vorbeifahrtspegel ermittelt werden, die im Vergleich zur ISO 362:1998 tendenziell um 1 bis 2 dB geringer ausfallen, ist mit einer Verschärfung der gesetzlichen Grenzwerte in naher Zukunft zu rechnen. Spessart rechnet gar mit einer Herabsetzung des zulässigen Vorbeifahrtspegels auf 67 dB(A) im Laufe der nächsten 10 Jahre (Spessart 2003). In der Richtlinie 2007/34/EG wird bereits auf die anzupassenden Grenzwerte eingegangen. Dort heit es: „Die Ergebnisse aus beide(n) Prüfungen (sollten) der Kommission gemeldet werden. Dies würde es der Kommission ermöglichen, die Daten zu erhalten, welche erforderlich sind, um die geeigneten Grenzwerte für die neue, das derzeitige Prüfprotokoll ersetzende Messmethode zu ermitteln.“6 Daher sind die Automobilhersteller schon heute darauf angewiesen, zukünftige Fahrzeuge mit Blick auf potentiell verschärfte Auengeräuschnormen zu entwickeln.
7.2.2 Der Umweltaspekt Trotz der sukzessiven Senkung des gesetzlich zulässigen maximalen Vorbeifahrtspegels, wie in Kapitel „Gesetzgeberaspekt“ beschrieben, konnte keine signifikante Verringerung des Straenverkehrslärms bzw. der resultierenden Lärmbelästigung durch Kraftfahrzeuge festgestellt werden (Abb. 7.4). D. h., trotz restriktiverer Bestimmungen konnte die Belästigungswirkung durch Verkehrsgeräusche nicht nachhaltig reduziert werden. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Die bisherige realitätsferne Bestimmung des Vorbeifahrtspegels auf Grundlage der ISO 362:1998 sowie die stetige Zunahme an Kraftfahrzeugen (Tab. 7.2) sind Gründe für die gleich bleibend hohe Belästigung durch Straenverkehrslärm. Die Zunahme an Personenkraftwagen in den letzten 10 Jahren ist sogar im zweistelligen Prozentbereich anzusiedeln. Die Belästigung lässt sich nicht nur durch physikalische und psychoakustische Analysen beschreiben, sondern lässt sich auch in Form von physiologischen Reaktionen bei den 5 6
Diese Textpassage ist aus dem Abstract zur ISO 362-1:2007 entnommen. (www.iso.org) Richtlinie 2007/34/EG.
322
K. Genuit
70 60 50 %
40 30 20 10 0
7
2000
Straßenverkehr
2002
Flugverkehr
2004 Jahr der Befragung Schienenverkehr
2006
Industrie/Gewerbe
2008
Nachbarschaft
Abb. 7.4 Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage zur Belästigung von Lärm: Anteil der Bevölkerung in Prozent, die angibt, von Lärm belästigt zu werden. (Nach Quelle: Umweltbundesamt, Umweltbewusstsein in Deutschland 2008, Berlin http://www.umweltbundesamt-umweltdeutschland.de/umweltdaten)
Betroffenen beobachten. Lärm führt zu Stressreaktionen im menschlichen Organismus, die bei lang anhaltender Exposition zu chronischen Dysfunktionalitäten im menschlichen Körper führen können (Babisch 2008). Sogar eine unterschiedliche Bebauung besitzt einen Einfluss auf evozierte physiologische Reaktionen beim Hörer. In einem Versuch hörten Probanden Verkehrsgeräusche mit gleichem energieäquivalenten Dauerschallpegel (LAeq) und gleicher Verkehrsdichte (gering), die an einem einseitig bebauten Straenzug (L-Form) und an einer beidseitig bebauten Strae (U-Form) aufgenommen worden sind. Es zeigte sich beispielsweise eine unterschiedliche Veränderung der Hautleitfähigkeit. Das am einseitig bebauten Straenzug aufgezeichnete Verkehrsgeräusch führte zu einer höheren Hautleitfähigkeit als das Geräusch von der beidseitig bebauten Strae, was einer stärkeren physiologischen Reaktion entspricht. Eine mögliche Ursache hierfür könnten Reflektionen sein, die bei der beidseitigen Bebauung zu einem langsameren Anstieg und Abfall des Schalldruckpegels bei einem Vorbeifahrtsereignis führten; der Hörer wurde dadurch weniger durch ein Geräuschereignis „überrascht“ und „erschreckt“ (Notbohm et al. 2002). Tab. 7.2 Fahrzeugbestand in Deutschland. (Statistisches Bundesamt Deutschland 2010) Bestand
Anzahl
2005
2006
2007
2008
Bestand an Kraftfahrzeugen Insgesamt (Stand 01.01.) Kraftfahrräder Pkw Lkw Sattelzugmaschinen
in 1.000 in 1.000 in 1.000 in 1.000 in 1.000
48.180,6 3.292,4 40.179,5 2.199,9 1.839,5
48.444,9 3.384,3 40.659,5 2.212,8 1.856,4
48.989,0 3.475,7 41.019,7 2.270,9 1.889,8
49.330,0 3.566,1 41.183,6 2.323,1 1.923,2
7
Fahrzeug-Außengeräusch
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Der allgemeine Verkehrslärm wird nicht nur allein durch das einzelne Kraftfahrzeug erzeugt, sondern hängt auch von dem Verkehrsverhalten der Verkehrsteilnehmer (häufiges Anfahren, konstante Geschwindigkeiten, Beschleunigungsvorgänge) ab, von der Verkehrsverteilung, d. h. wird der Verkehr als konstanter Verkehrsfluss wahrgenommen oder ist jedes Kraftfahrzeug als Einzelereignis wahrnehmbar, und hängt letztlich auch von der gesamten Straenkonstruktion ab, d. h. welche Straenoberfläche und welche Art der Bebauung liegt vor. Die Realisierung einer qualitativen Verbesserung von Verkehrsgeräuschen hat voraussichtlich unmittelbar positive Auswirkungen auf die Lebensqualität des Menschen und würde zu einer Verringerung der Lärmbelästigung führen. Zudem wäre ein Sicherheitszuwachs durch entsprechende gezielte Gestaltung akustischer Informationen möglich. Es ist vorhersehbar, dass neuartige und innovative Ansätze erforderlich sind, um die mit (Straen-)Verkehrslärm verbundenen Nachteile für den Menschen ausreichend zu reduzieren. Die Belästigungswirkung auf den Menschen durch Fahrzeug-Auengeräusche wird nur teilweise von hohen Schalldruckpegeln verursacht. Auch wenn der A-bewertete Schalldruckpegel in allen üblichen Abnahmeprüfungen als charakteristischer Wert vorgeschrieben wird, ist für eine umfassende Betrachtung der Auswirkungen auf den Menschen die Berücksichtigung psychoakustischer Aspekte und der Besonderheiten des menschlichen Hörens erforderlich. Hierbei erscheint ein mehrdimensionaler Ansatz notwendig, der die empfundene Belästigung und die physiologische Wirkung von Verkehrslärm miteinander verknüpft.
7.2.3 Der Kundenaspekt – Sound Design am Fahrzeug-Außengeräusch Zunehmend werden neben der Erfüllung gesetzlicher Auflagen auch weitere Aspekte zum Fahrzeug-Auengeräusch intensiv diskutiert. Hier ist vor allem der „Kundenaspekt“ in den Vordergrund der Betrachtungen getreten. Ein potentieller Kunde hört, ob bewusst oder unbewusst, das Auengeräusch von unterschiedlichen Fahrzeugen in unterschiedlichen Betriebszuständen. Je nach Übereinstimmung der empfundenen Geräuschqualität mit der Erwartungshaltung des potentiellen Kunden können kaufrelevante Entscheidungen beeinflusst werden. Ein Kfz-Auengeräusch, das zwar den gesetzlichen Rahmenbedingungen genügt, aber als lästig oder als nicht zum Produkt passend empfunden wird, könnte eine zukünftige Kaufentscheidung negativ beeinflussen. Insbesondere Kraftfahrzeuge, bei denen Fahrspa und Emotion im Vordergrund stehen, wie Sportwagen, SUV oder Luxuslimousinen, sollten auch nach auen einen repräsentativen Sound emittieren. Dieser Anspruch gilt dabei für verschiedene Betriebszustände wie Leerlauf, Ampelstart, Beschleunigung und Konstantfahrt. Diese Geräuschqualitätsaspekte lassen sich nicht mit dem A-bewerteten Schalldruckpegel adäquat beschreiben. Hier spielen psychoakustische Parameter eine Rolle wie Rauigkeit (Modulationen und Schärfe) und Harmonie, d. h. wie sich das Ordnungsspektrum von ganzen und halben Motorordnungen in den einzelnen Betriebszuständen darstellt. Hinsichtlich des Kraftfahrzeug-Innengeräusches werden innerhalb der Automobilindustrie und deren Zulieferer seit Ende der 70er-Jahre komplexe Geräuschanalysen
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angewendet. Während beim Innengeräusch die Zielsetzung ist, den Fahrer, der i. d. R. auch der Käufer des Produktes ist, hinsichtlich der Geräuschqualität zufrieden zu stellen, richtet sich das Kfz-Auengeräusch an Betroffene wie auch an potentielle Kunden. Dabei soll möglichst ein angenehmes Auengeräusch mit einem hohen Wertigkeitseindruck vermittelt werden. Um diesem Ziel gerecht zu werden, sind neue Mess- und Analysemethoden erforderlich, die über die bisher angewandten Verfahren hinausgehen.
7.2.3.1 Die binaurale Aufnahme des Fahrzeug-Außengeräusches
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Da grundsätzlich bei der Analyse des Kfz-Auengeräusches eine subjektive Beurteilung erforderlich ist, empfiehlt sich der Einsatz der Kunstkopftechnologie. Nur so ist eine gehörrichtige Schallaufnahme und Wiedergabe gewährleistet (Genuit 1986). In Verbindung mit einer ersten subjektiven Einschätzung aufgrund des Abhörens von Kunstkopfsignalen erfolgen Analysen, die Hinweise über Schalldruckpegel, spektrale Verteilung, zeitliche Strukturen und räumliche Verteilung der Schallquellen liefern. Basierend auf einer eingehenden subjektiven Beurteilung kann anschlieend eine Selektion relevanter Geräuschanteile vorgenommen werden, die als Grundlage für die Erarbeitung von objektiven Parametern dient: Die Bestimmung des zeit- und/oder drehzahl- und geschwindigkeitsabhängigen Pegelverlaufes mit dessen Schwankungen bietet die Möglichkeit zur Bestimmung relevanter Werte, um die subjektive Beurteilung reproduzierbar beschreiben zu können. Zur Verdeutlichung, inwieweit die Kunstkopf-Messtechnik zur konventionellen Messtechnik kompatibel ist, erfolgte eine parallele Aufzeichnung der Kunstkopf- und der Messmikrofonsignale. Abbildung 7.5 zeigt die A-bewerteten Schalldruckpegelverläufe für das linke und rechte Kunstkopfmikrofon sowie für das monaurale Messmikrofon. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Messung mit einem Messmikrofon einen etwas geringeren Schalldruckpegel aufweist als die Kunstkopfsignale. Hintergrund ist die unterschiedliche Richtcharakteristik des Kunstkopfes im Vergleich zum Mikrofon (Schwarz 2003, Poggenburg u. Genuit 1999).
Abb. 7.5 Vergleich Kunstkopf zu Messmikrofon; A-bewertete Schalldruckpegelverläufe bei einer Vorbeifahrt mit einer Konstantgeschwindigkeit von 50 km/h
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7.2.3.2 Die akustische Analyse des Fahrzeug-Außengeräusches In Abb. 7.6 sind die Vorbeifahrten von zwei Fahrzeugen mit unterschiedlicher Bereifung bei 100 km/h dargestellt, die mit einem Kunstkopfmesssystem aufgezeichnet wurden.
Abb. 7.6 Vergleich von zwei Vorbeifahrten mit unterschiedlichen Reifenvarianten mit einer Konstantgeschwindigkeit von 100 km/h (Reifenvariante 1 (hellgrün/rot) und Reifenvariante 2 (dunkelgrün/magenta)), gemessen mit einem Kunstkopf-Messsystem; Von oben nach unten: Schalldruckpegel (A-bewertet) über Zeit, Lautheit über Zeit, Schärfe (Aures) über Zeit
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Abb. 7.7 Spektrogramm-Darstellung der Kunstkopf-Mikrofonsignale von zwei Vorbeifahrten zweier Fahrzeuge mit unterschiedlichen Reifenvarianten mit einer Konstantgeschwindigkeit von 100 km/h: Reifenvariante 1 ( oben) und Reifenvariante 2 ( unten); FFT über Zeit
Die Fahrzeuge rollten bei ausgekuppeltem Motor mit Leerlaufdrehzahl von rechts nach links an den Messmikrofonen aus. Der zeitabhängige A-bewertete Schalldruckpegelverlauf unterscheidet sich deutlich zwischen dem linken und dem rechten Kunstkopfohr. Die subjektive Beurteilung beider Geräusche führte zu einem eindeutigen Urteil: Das Fahrzeug mit der Reifenvariante 1 ist deutlich angenehmer bezüglich der Geräuschqualität, obwohl die Pegelwerte der beiden Fahrzeuge nahezu identisch sind. Eine genauere Analyse der Unterschiede zwischen diesen beiden Fahrzeugen erlaubt in diesem Fall bereits die Spektrogrammdarstellung, dargestellt in Abb. 7.7. Diese spiegelt die spektrale Verteilung in Abhängigkeit von der Zeit wider. Die Abbildung verdeutlicht, dass bei Fahrzeug 2 mit der Reifenvariante 2 insbesondere im höheren Spektralbereich über 4 kHz ein gröerer Schalldruckpegel auftritt und nach dem Passieren des Messpunktes deutlich mehr Energie im höherfrequenten Spektralbereich abgestrahlt wird. Dieser Umstand wird bereits in den Messwerten deutlich, in dem die Schärfe für das Fahrzeug 2 im Vergleich zum Fahrzeug 1 gröer ausfällt. Die Schärfe korreliert in diesem Fall eindeutig mit der Lästigkeit von unerwünschten Geräuschen, was den neuesten Erkenntnissen über die Signalverarbeitung im Gehör entspricht (DIN 45692 (2007)). Tabelle 7.3 verdeutlicht die Unterschiede der beiden Reifenvarianten anhand einiger ausgewählter Parameter. In Abb. 7.8 ist das Differenz-Terzspektrum dargestellt, wobei die Messung mit Fahrzeug 2 auf die Messung des Fahrzeugs 1 bezogen wurde. Im höherfrequenten Spektralbe-
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Tab. 7.3 Vergleich von zwei Vorbeifahrten zweier Fahrzeuge mit unterschiedlichen Reifenvarianten mit einer Konstantgeschwindigkeit von 100 km/h
Vorbeifahrt mit Reifenvariante 1
Vorbeifahrt mit Reifenvariante 2
links/rechts
links/rechts
Schalldruckpegel, LAeq Schalldruckpegel, LAmax Lautheit, DIN 45631/A1, N5 Lautheit, DIN 45631/A1, N50 Schärfe (DIN 45692), Smax Schärfe (Aures), Smax
dB(A) dB(A) sone(GF) sone(GF) acum acum
73,5/75,0 78,7/79,7 37,0/40,3 18,0/21,4 1,6/1,5 2,9/3,1
73,2/75,3 78,7/80,4 37,0/ 40,2 15,2/19,3 1,9/1,7 3,5/3,6
Abb. 7.8 Differenz-Terzspektrum: Reifenvariante 2 (Fahrzeug 2) bezogen auf Reifenvariante 1 (Fahrzeug 1)
reich ist ein signifikanter Überschuss zu sehen, der für das Reifengeräusch von Fahrzeug 2 in eine höhere Schärfe und damit schlechtere Geräuschqualität resultiert.
7.3 Die Messung und Simulation von Vorbeifahrtgeräuschen Für die weitere Entwicklung bzw. Optimierung eines Kfz-Auengeräusches sind Simulationsverfahren von groer Bedeutung. Beispielsweise werden Vorbeifahrtsmessungen auf einem Rollenprüfstand im reflexionsarmen Raum simuliert, wobei sich das Fahrzeug (räumlich fest) nur auf einer Rolle bewegt und auen mit einer groen Anzahl räumlich verteilter Mikrofone das Vorbeifahrtgeräusch bestimmt wird (Abb. 7.9). Hier zeigen neue Ansätze (Krebber et al. 2002, Hoffsümmer et al. 2003), dass es möglich ist, von einer simulierten Vorbeifahrt ein Zeitsignal zu synthetisieren, das dem
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Abb. 7.9 Simulation einer Vorbeifahrt mit Hilfe eines Mikrofonarrays (einseitig)
Mikrofon aber auch dem Kunstkopfsignal einer klassischen Vorbeifahrtsmessung nach ISO 362 entspricht. Ein weiterer Schritt hinsichtlich der Simulation und insbesondere einer verbesserten Vorhersagemöglichkeit bezüglich der Einzeleinflüsse der unterschiedlichen Komponenten am Fahrzeug wie Antriebsstrang, Ansaugung, Abgasanlage und Reifen ist die Berechnung des Auengeräusches basierend auf Nahfeldaufnahmen. Aufgrund steigender Lärmbeschwerden in Ballungsgebieten wurde das EU-Forschungsprojekt SVEN (SVEN 2003) zum Thema „Fahrzeugauengeräusche“ initiiert, in dem verschiedene Themen, von akustischen Messungen über Hörversuche bis hin zu Lärmwirkungen, behandelt wurden. Insbesondere erfolgte in diesem Forschungsprojekt die Simulation von binauralen Zeitsignalen basierend auf Nahfeldmikrofonaufnahmen zur objektiven wie auch gehörmäigen Beurteilung der Gesamtvorbeifahrt wie auch der Beiträge der Einzelquellen.
7.3.1 Simulation von Vorbeifahrtgeräuschen mittels Mikrofonarrays Im Folgenden wird kurz ein Verfahren zur Simulation einer Vorbeifahrt vorgestellt, bei dem auf einem Rollenprüfstand in einem reflexionsarmen Raum oder Halbfreifeldraum ein Mikrofonarray eingesetzt wird. Der Vorteil einer solchen Vorbeifahrtssimulation ist neben potentiellen Kosteneinsparungen, da Messungen auf einer Teststrecke entfallen, vor allem die Unabhängigkeit von Wettereinflüssen (Wind, Niederschlag). Insbesondere
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Abb. 7.10 Schematischer Messaufbau zur Simulation einer Vorbeifahrt mittels Mikrofonarray (y = 7,5 m, Abstand zwischen x1 und xn beträgt 20 m + Fahrzeuglänge)
für drehzahlbasierte Analysen bietet das Verfahren Vorteile, da die aufwendige und teilweise fehleranfällige Aufzeichnung der Drehzahlinformation auf der Teststrecke mittels Telemetrie entfällt und der Dopplereffekt nicht „herausgerechnet“ werden muss. Innerhalb des Messraums wird eine gröere Anzahl von Mikrofonen, z. B. 20 Mikrofone, jeweils links und rechts vom Fahrzeug in 7,5 m Abstand, wenn die räumlichen Dimensionen des Prüfraumes es zulassen, parallel zur Fahrzeugachse in jeweils einer Reihe positioniert (Abb. 7.10). Aus der gewonnenen mehrkanaligen Mikrofonaufnahme kann ein monaurales Signal, vergleichbar mit einer Mikrofonaufnahme einer realen Vorbeifahrt, und ein binaurales Signal, analog zu einer Kunstkopfaufnahme, bestimmt werden. Für die Auralisation müssen die exakten Positionen der Mikrofone relativ zum Fahrzeug bekannt sein. Das Fahrzeug wird als Punktschallquelle interpretiert. Zuerst wird aus dem Geschwindigkeitsverlauf durch Integration die entsprechende Wegstrecke ermittelt. Anhand dieser Information kann z. B. der Geschwindigkeits- und Drehzahlverlauf über dem Weg dargestellt werden. Durch Überblenden (crossfading) der einzelnen Mikrofonsignale lässt sich nun aus den n-Mikrofonaufnahmen ein einzelnes monaurales Signal berechnen, welches noch nicht den Doppler-Effekt beinhaltet (Abb. 7.11). Bei dem Überblenden der zeitlich versetzten Abschnitte der Mikrofonsignale ist zu beachten, dass kohärente und inkohärente Anteile mit unterschiedlichen Algorithmen behandelt werden müssen. Für kohärente Anteile, z. B. tonale Komponenten, verwendet man eine cos²-Funktion, während für inkohärente Anteile (Rauschen) lediglich eine cos-Funktion als Überblendalgorithmus angewendet wird. Es werden die einzelnen Mikrofonsignale sukzessive in Abhängigkeit von der Position des Fahrzeugs und dessen Geschwindigkeit „umgeschaltet“; die Mikrofone „passieren“ virtuell das Fahrzeug. Aus dem erzeugten Zeitsignal lassen sich nun relevante Drehzahlanalysen (z. B. Ordnungsanalysen) berechnen. Im nächsten Schritt kann noch der Doppler-Effekt, d. h. die Frequenzverschiebung und die Pegeländerung in Abhängigkeit von Geschwindigkeit und Position des Fahrzeugs, eingerechnet werden. Eine weitere entfernungsabhängige Pegelkorrektur ist darüber hinaus für die virtuellen Fahrzeugpositionen auerhalb des Mikrofonbereiches notwendig. Abschlieend besteht die Möglichkeit mittels binauraler Synthese das linke und rechte Ohrsignal zu bestimmen. Dabei wird das Signal jeweils mit der zu seiner aktuellen (virtuellen) Position zugehörigen, kopfbezogenen Impulsantwort verrechnet.
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Multimikrofonaufnahme mit v(t) und rpm
s(t) = ∫ v(t) dt
monaurales Mikrofonsignal ohne Doppler
Doppler f(v) und L(v)
monaurales Mikrofonsignal mit Doppler
Binaurale Kodierung
Doppler f(v) und L(v)
binaurales Mikrofonsignal
Überblenden der n-Kanäle
monaurales Mikrofonsignal ohne Doppler
Abb. 7.11 Signalflussdiagramm zur Berechnung der monauralen und binauralen Vorbeifahrtgeräusche
Ein Nachteil dieser Methode ist der erforderliche groe Halbfreifeld-Messraum, der häufig nicht in einer derartigen räumlichen Dimension vorhanden ist. Ansätze, mit einem verringerten Messabstand des Mikrofonarrays das Vorbeifahrtsgeräusch zu bestimmen, indem die Messung auf das Fernfeld bezogen wird, sind bereits entwickelt (wie in Abb. 7.9 gezeigt). Das Verfahren ermittelt ein Geräusch vergleichbar mit einer realen Vorbeifahrt (Abb. 7.12) unter Vernachlässigung des Windgeräusches. Allerdings gilt es erneut zu erwähnen, dass nicht nur der A-bewertete Schalldruckpegel bestimmt werden sollte, sondern mit Hilfe dieses Verfahrens das Zeitsignal ermittelt wird, um eine gehörmäige Beurteilung zu ermöglichen, wie auch gehörgerechte akustische Analysen einsetzen zu können.
7.3.2 Simulation von Vorbeifahrtsgeräuschen mittels Nahfeldmessungen Neben dem im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Verfahren zur Simulation eines Vorbeifahrtsgeräusches besteht ebenfalls die Möglichkeit, die Einzelbeiträge von Teilschallquellen (Komponenten) zu bestimmen und deren Einfluss auf das Gesamtgeräusch zu untersuchen. Das Geräusch der beiden Kunstkopfsignale wird durch Überlagerung von unabhängigen Teilschallereignissen simuliert. Gerade im Hinblick auf die Optimierung des Kfz-Auengeräusches sind detaillierte Informationen über den Beitrag der einzelnen Teilschallquellen erforderlich, um gezielt Manahmen zur Verbesserung des Geräuschs bzw. des Höreindrucks ableiten zu können. Hierbei wird im Nahfeld relevanter Teilschallquellen mit Mikrofonen gemessen (Abb. 7.13). Diese Messungen können auf einem Rollenprüfstand oder auf einer Teststre-
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Abb. 7.12 Vergleich des Spektrums und des Pegelverlaufs einer Vorbeifahrtsmessung nach ISO 362 und einer Vorbeifahrtssimulation mit Hilfe eines Mikrofonarrays; oben: FFT vs. Zeit, unten: Schalldruckpegel (A-bewertet) über Zeit
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Abb. 7.13 Komponentenmessungen im Nahfeld der Geräuschquelle (Reifen, Motor, Abgasanlage)
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cke realisiert werden. Die Mikrofone müssen so dicht wie möglich an der Teilschallquelle appliziert werden, um ein Übersprechen ( crosstalk) von anderen Quellen zu vermeiden. Ferner müssen die Transferpfade von den Einzelquellen zum Hörerohr (bzw. die Fernfeldposition in 7,5 m Abstand) bestimmt werden. Hierbei kann die SRTF (source related transfer function) gemessen werden, welche die Luftschalltransferfunktion (airborne transfer function) zwischen Teilschallquelle und einer beliebigen Position im Fernfeld darstellt. Dazu wird in der Nähe der Quellen mit einem Messlautsprecher angeregt. Die Übertragungsfunktionen werden aus den simultan gemessenen Schalldruckverläufen an den beiden Kunstkopfmikrofonen (bzw. Fernfeldmikrofon) und dem jeweils betrachteten Nahfeldmikrofon mittels Korrelationsanalyse berechnet. Da diese direkte Messung zur Ermittlung der Übertragungsfunktionen mit einem hohen Messaufwand verbunden ist, wird oft mit einer reziproken Messung operiert (Fahy 1995). Die reziproke Messung kann mit Hilfe einer Monopolschallquelle realisiert werden (Abb. 7.14). Gemä der ISO 362 ist die
Abb. 7.14 Monopolschallquelle (entwickelt durch das Institut für Technische Akustik, RWTH Aachen); links: Dodekaeder für mittlere Frequenzen und Subwoofer, rechts: Dodekaeder für hohe Frequenzen
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Component recordings
Radiation factor
SRTF
Auralization
intake
x
Rfint
x
TFint, obs
x
HRTF
left engine side
x
Rfles
x
TFles,obs
x
HRTF
right engine side
x
right front wheel out
x
Rfrfo
x
TFrfo,obs
x
HRTF
x
Rfexh
x
TFexh,obs
x
HRTF
exhaust
Rfres
x
TFres,obs
x
Synthesis
left ear
HRTF
Σ right ear
Abb. 7.15 Schematische Signalflussdarstellung für die Berechnung eines binauralen Vorbeifahrtsignals basierend auf Komponentenmessungen; die Nahfeldaufnahmen werden mit den quell- und kopfbezogenen Übertragungsfunktionen gefaltet
Berücksichtigung von SRTFs für Fernfeldpositionen von ±60° analog zur Mikrofonarraymessung ausreichend. Die Beiträge der Teilschallquellen aus dem Nahfeld werden mit den dazugehörigen SRTFs gefiltert. Die Summierung dieser gefilterten Beiträge ergibt das Gesamtgeräusch für die betrachtete Position im Fernfeld. Zur Bestimmung binauraler Ohrsignale werden je nach Position der Schallquellen entsprechende Auenohrübertragungsfunktionen ( head related transfer functions) angewendet. Das vereinfachte Blockschaltdiagramm dieses Simulationsverfahrens zur Synthese von Vorbeifahrtsgeräuschen mittels Komponentenmessungen ist in Abb. 7.15 dargestellt. Abbildung 7.16 zeigt die Beiträge von einigen Teilschallquellen, die in der Summe mit allen Teilschallquellen das Gesamtgeräusch der Vorbeifahrt darstellen. Die vorgestellten Simulationsverfahren führen zu vergleichbaren Vorbeifahrtsgeräuschen, wie aus den Abb. 7.17 und 7.18 zu entnehmen ist.
7.4 Die Bedeutung des Fahrzeug-Außengeräusches in der Zukunft Da eine deutliche Reduzierung des Schalldruckpegels des Kfz-Auengeräusches bei herkömmlichen Verbrennungsmotoren inzwischen nur mit enormen technischen Aufwand möglich ist, die dabei nicht zwangsläufig zu einer subjektiv empfundenen Verbesserung der Geräuschqualität führt, wird die gehörgerechte Gestaltung von Fahrzeugauengeräuschen einen Schwerpunkt zukünftiger akustischer Entwicklungen im Automobilbereich darstellen.
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Abb. 7.16 Vergleich der Spektren und der Pegelverläufe der Vorbeifahrtgeräusche für verschiedene Komponenten ( oben: linker Kanal; Mitte: rechter Kanal; von links nach rechts: Gesamtvorbeifahrtgeräusch, Motor, Abgasanlage und Ansaugung); oben: FFT vs. Zeit, unten: Schalldruckpegel (A-bewertet) über Zeit
Gerade im Bereich der Entwicklungen alternativer Antriebe, die neuartige Auengeräusche mit sich bringen, sind zukunftsorientierte Gestaltungskonzepte des Auengeräusches notwendig. Das Gestalten des Kfz-Auengeräusches wird in der Zukunft eine noch höhere Priorität erlangen. Ein Bericht der amerikanischen National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA 2009) vom September 2009, in dem für Fugänger und Radfahrer ein höheres
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Abb. 7.17 Vergleich der Spektren der Vorbeifahrtgeräusche für die Vorbeifahrtsmessung nach ISO 362 ( links) im Vergleich zur simulierten Vorbeifahrt mit Hilfe der Mikrofonarraymessung ( Mitte) und mittels Komponentenmessung ( rechts); FFT über Zeit
Abb. 7.18 Vorbeifahrtsmessung nach ISO 362 (hellgrün, rot) im Vergleich zur simulierten Vorbeifahrt mit Hilfe der Mikrofonarraymessung (dunkelgrün, magenta) und mittels Komponentenmessung (hellblau, blau); Schalldruckpegel (A-bewertet) über Zeit
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Unfallrisiko in Zusammenhang mit einem Hybridfahrzeug als mit einem reinen Verbrennungsmotorfahrzeug ermittelt wurde, beflügelte die Diskussion über notwendige akustische Warnsysteme. Ansätze zur Geräuschdarbietung mit nach vorn wirkenden Lautsprechern, bei dem synthetische (Motoren-) Geräusche dargeboten werden und sich die Gefahr des „Überhörens“ des Fahrzeugs verringert, werden bereits kommerziell umgesetzt. Es ist aber anzumerken, dass diesen neuen Herausforderungen, wie das Verschwinden des typischen Geräuschs durch den Verbrennungsmotor und die damit verbundenen potenziellen Unfallrisiken für Fugänger aufgrund „geräuschloser“ Fahrzeuge, in Hinblick auf Nachhaltigkeit und Ökologie ohne übertriebenem Aktionismus entgegen getreten werden muss. Aktuelle Richtlinien zur dauerhaften Emission von Warnsignalen zum Schutz von Fugängern und Radfahrern vor Elektrofahrzeugen sind möglicherweise kurzfristig sinnvoll, erscheinen aber schon mittelfristig aus der Perspektive umfassender Lärmschutzbemühungen der letzten Jahrzehnte im Umweltgeräuschbereich überholt. Nachhaltige Konzepte zur Vermeidung von Unfällen und zum Schutz vor Verkehrslärm müssen erarbeitet und ausgereifte technische Lösungen umgesetzt werden. Abschlieend lässt sich festhalten, dass der Charakter des Kfz-Auengeräusches vielfältiger werden und dessen Bedeutung weiter zunehmen wird, nicht nur durch die überarbeitete ISO 362-Norm und die zu erwartenden gesetzlichen Verschärfungen bzw. Absenkungen zulässiger Vorbeifahrtspegel, sondern auch hinsichtlich der Kundenerwartung und allgemeiner Verkehrslärmaspekten werden Aktivitäten zur Geräuschvermeidung und zur Geräuschgestaltung durch Akustikingenieure erforderlich sein. Darüber hinaus werden aktuell auch Manahmen der Verkehrssteuerung zur Schaffung bzw. Erhaltung von Ruhebereichen (quiet areas) diskutiert, in denen Fahrzeuge mit üblichen Geräuschemissionen keinen oder nur gebührenpflichtigen Zugang in schutzbedürftige Bereiche erhalten. Hier sind sogar Plakettenkonzepte denkbar, die analog zur Feinstaubplakette (35. BImSchV (2006)) den jeweiligen Geräuschbeitrag des Fahrzeugs verdeutlichen. Daraus könnten dann Einschränkungen und Sanktionen für laute Fahrzeuge resultieren. Zur Erfüllung dieser Aufgaben müssen weiter leistungsfähige Analyse- und Simulationswerkzeuge entwickelt werden, die ein innovatives und effizientes Geräuschdesign unter Berücksichtigung der Charakteristika des menschlichen Geräuschempfindens sowie der Kundenerwartungen oder gesetzlicher Rahmenbedingungen ermöglichen. Dabei können diese Gestaltungsaufgaben nur bei detailliertem Wissen über Geräuschentstehungsmechanismen und bei profundem Wissen über die subjektive Wahrnehmung und Beurteilung von Fahrzeugauengeräuschen effektiv bearbeitet werden.
Literatur Babisch W (2008) Road traffic noise and cardiovascular risk. Noise Health, 10(38), 27–33 DIN 45631/A1:2010 (2010) Berechnung des Lautstärkepegels und der Lautheit aus dem Geräuschspektrum – Verfahren nach E. Zwicker – Anhang 1: Berechnung der Lautheit zeitvarianter Geräusche DIN 45692 (2007) Messtechnische Simulation der Hörempfindung Schärfe. Beuth Verlag Fahy F J (1995) The vibro-acoustic reciprocity principle and applications to noise control. Acustica, 81, 544–558 Fünfunddreiigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (35. BImSchV) (2006) Verordnung zum Erlass und zur Änderung von Vorschriften über die Kennzeichnung emissionsarmer Kraftfahrzeuge, 10. Oktober 2006
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Genuit K (1986) A special calibratable artificial-head-measurement-System for subjective and objective classification of noise. Inter-Noise 1986, Cambridge, Massachusetts, USA Hoffsümmer H, Genuit K, Müsch U (2003) Auralisation des Vorbeifahrtsgeräusches aus einer Multimikrofonaufnahme im Auengeräuschprüfstand. DAGA 2003, Aachen, Deutschland ISO 10844:1994 (1994) Acoustics – Specification of test tracks for the purpose of measuring noise emitted by road vehicles ISO 362:1998 (1998) Acoustics – Measurement of noise emitted by accelerating road vehicles. Engineering method ISO 362-1:2007 (2007) Acoustics – Engineering method for the measurement of noise emitted by accelerating road vehicles. Part 1: Vehicles of categories M and N ISO 362-2:2009 (2009) Acoustics – Engineering method for the measurement of noise emitted by accelerating road vehicles. Part 2: Vehicles of category L Krebber W, Genuit K, Sottek R (2002) Verfahren zur Simulation von Vorbeifahrtgeräuschen aus Einzelkomponenten. DAGA 2002, Bochum, Deutschland National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA), Dot HS 811204 (2009) Incidence of pedestrian and bicyclist crashes by hybrid electric passenger cars. Technical Report, September 2009 Notbohm G, Gärtner C, Schwarze S (2002) Evaluation of sound quality of vehicle pass-by noises by psycho-physiological measures – comparison of traffic noise in streets with L- and U-shaped building. Inter-Noise 2002, Sound Quality Symposium, Dearborn, Michigan, USA Poggenburg J, Genuit K (1999) Verkehrsgeräusche unter dem Aspekt der subjektiven Beurteilung. Konferenz „Verkehrslärm“, 08.–09.Oktober 1999, Dresden, Deutschland Richtlinie 70/157/EWG (1970) Richtlinie 70/157/EWG des Rates vom 6. Februar 1970 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den zulässigen Geräuschpegel und die Auspuffvorrichtung von Kraftfahrzeugen Richtlinie 92/53/EWG (1992) Richtlinie 92/53/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Änderung der Richtlinie 70/156/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger Richtlinie 2001/43/EG (2001) Richtlinie 2001/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 zur Änderung der Richtlinie 92/23/EWG des Rates über Reifen von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern und über ihre Montage Richtlinie 2007/34/EG (2007) Richtlinie 2007/34/EG der Kommission vom 14. Juni 2007 zur Anpassung der Richtlinie 70/157/EWG des Rates über den zulässigen Geräuschpegel und die Auspuffvorrichtung von Kraftfahrzeugen an den technischen Fortschritt Rodi M (2002) Nichteinhaltung der Dauerhaltbarkeitsanforderungen in Bezug auf Abgasgrenzwerte sowie Veränderung der Geräuscheigenschaften (Reifen) bei Feldüberwachung/laufende Tests. Umweltbundesamt, Berlin, Deutschland Schwarz H (2003) Messung von Straenverkehrsgeräuschen mit standardisierter und binauraler Messtechnik. DAGA 2003, Aachen, Deutschland Spessart B (2003) Möglichkeiten der Reduktion von Straenverkehrslärm. VCD Tagungsband, Leise in die Zukunft Statistisches Bundesamt Deutschland (2010) http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/ destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/Verkehr/VerkehrsmittelbestandInfrastruktur/ Tabellen/Content75/Fahrzeugbestand,templateId=renderPrint.psml SVEN (2003) EU-Forschungsprojekt „Sound Quality of Vehicle Exterior Noise (SVEN)“ G6RDCT-1999-00113 Umweltbundesamt (UBA) (2008) http://www.umweltbundesamt-umwelt-deutschland.de/umwelt daten UN/ECE Regelung Nr. 51 Revision 1-Änderung 3 (2007) Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Kraftfahrzeuge mit mindestens 4 Rädern hinsichtlich ihrer Geräuschemission
Messung und Analyse
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Hartmut Bathelt, Michael Scheinhardt, Hendrik Sell, Roland Sottek, Sandro Guidati und Martin Helfer
8.1 Prüfstände und Messräume Hartmut Bathelt, Akustikzentrum GmbH
8.1.1 Einleitung Für die Beurteilung von Akustik und Fahrkomfort eines Fahrzeugs gilt in der Fahrzeugentwicklung immer noch der alte Grundsatz: „Der Kunde fährt nicht am Prüfstand, sondern auf der Strae“. Daher werden Gesamtbeurteilungen des Entwicklungsstandes und Konkurrenzvergleiche (Benchmarking) nach wie vor auf der Strae durchgeführt, meist auf ausgewählten Fahrbahnen am Prüfgelände oder im Rahmen der regelmäigen Winter- und Sommererprobungen unter extremen Witterungsverhältnissen. Die Analyse und Bearbeitung der dabei festgestellten Probleme findet heute aber ausschlielich in den Labors der „Technischen Entwicklung“ und der „Qualitätssicherung“ statt. Nur dort sind exakt definierte Umgebungs- und Fahrbedingungen realisierbar, die Voraussetzungen für vergleichbare und reproduzierbare Messergebnisse sind. Die in der Entwicklung von Akustik und Schwingungskomfort eingesetzten Prüfstände sind spezielle Instrumente, auf denen sich die verschiedenen Geräusch- und Schwingungserscheinungen isoliert anregen lassen. Diese spielen in der Fahrzeugentwicklung zur Analyse von Akustik- und Schwingungsphänomenen und zur Entwicklung von Abhilfemanahmen eine magebliche Rolle. Ziel ist dabei immer, die einzelnen Geräusche, insbesondere Motor-, Roll- und Windgeräusche, zu isolieren und unter definierten Bedingungen reproduzierbar zu machen. Für Untersuchungen am Gesamtfahrzeug ist das wichtigste Instrument der Rollenprüfstand im reflexionsarmen Raum. Hinsichtlich der Konzeption von Prüfständen gilt es die speziellen Anforderungen an das Prüfstandskonzept, die akustischen H. Bathelt () Akustikzentrum GmbH, Gerokstr. 70, 70184, Stuttgart, Deutschland E-Mail: [email protected] K. Genuit (Hrsg.), Sound-Engineering im Automobilbereich, DOI 10.1007/978-3-642-01415-4_8, © bei den Autoren
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H. Bathelt
Vorgaben, die Bedeutung von Fahrzeugkühlung und -fesselung zu berücksichtigen und mögliche Planungsfehler zu vermeiden. Für die Motor- und Getriebeakustik werden spezielle Aggregate- und Antriebsstrangprüfstände in allseitig absorbierenden Messräumen eingesetzt. Darüber hinaus sind weitere Messräume und Prüfanordnungen zur Entwicklung des „sound package“ zu nennen, mit denen vornehmlich in der Zulieferindustrie schalldämmende Innenauskleidungen und Motorkapseln optimiert werden.
8.1.2 Akustik-Rollenprüfstände
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8.1.2.1 Konzeptionelle Unterschiede zu Standard-Rollenprüfständen: Rollengrube als Arbeitsraum Nachdem die meisten Akustikprobleme erst beim Fahren auftreten, ist der Rollenprüfstand das erste und wichtigste Instrument im Entwicklungsalltag. Von Rollenprüfständen, die für Funktionsversuche, Dauerlauf oder Emissionsmessungen eingesetzt werden, unterscheidet sich eine Akustik-Rolle vor allem in einem Punkt: der Raum zwischen den Laufrollen, der normalerweise von Antriebswellen durchkreuzt und mit tragenden Strukturelementen zugebaut ist, muss frei und als sicherer Arbeitsplatz ausgeführt sein. Das bedeutet für die konstruktive Ausführung des Prüfstandes, dass die Antriebstechnik auf den Auenseiten der Rollen sitzen muss, meist dadurch realisiert, dass jede der 4 Rollen einzeln von einer Elektro-Maschine angetrieben und gebremst wird (Abb. 8.1). Für eine optimale Zugänglichkeit zur Fahrzeugunterseite sollte die Rollengrube so breit wie möglich ausgeführt werden. Hier wird oft bereits bei der Lastenhefterstellung von Seiten des Nutzers oder Planungsbeauftragten der Fehler gemacht, mit Hinweis auf „Zukunftssicherheit“ exotische Spurweitenbereiche zu fordern, die später nie gebraucht werden, aber die tägliche Arbeit in einer zu schmalen Rollengrube behindern. Da die
Abb. 8.1 Antriebstechnik Akustik-Rolle. (Quelle: Akustikzentrum GmbH)
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Abb. 8.2 Arbeitsraum Rollengrube. (Quelle: Akustikzentrum GmbH)
für die Körperschallübertragung wesentlichen Fahrzeugstrukturen wie Motor-GetriebeBlock, Antriebsstrang, Fahrwerk und Bodenträger der Karosserie nur von unten zugänglich sind, ist die Ausführung der Grube für die Effizienz des Messbetriebes entscheidend. Ein praktisches Beispiel wäre die Betriebsschwingungsanalyse der Bodengruppe mittels Laser-Scanning-Vibrometrie, bei der es wesentlich ist, auch die für die Steifigkeit wichtigen Schweller mit zu erfassen. Dies ist nur bei optimaler Grubenbreite möglich. Auch Ausstattungsdetails wie Beleuchtung, Ablagemöglichkeiten für Werkzeug und Messmittel oder ein höheneinstellbarer Grubenboden sind Gesichtspunkte für einen modernen Arbeitsplatz, s. Abb. 8.2. Ein weiterer Punkt, der in der Planungsphase berücksichtigt werden sollte, ist der Zugang vom Messraum in die Rollengrube. Das ist der am häufigsten gegangene Weg der Akustik-Ingenieure, Messtechniker und Mechaniker bei einer Fahrzeuguntersuchung. Häufig – weil am einfachsten zu realisieren – wird ein Treppenabgang an einem Ende der Grube eingeplant. Aus Arbeitssicherheitsgründen muss aber die Einstiegsöffnung entweder mit einem Geländer gesichert, oder die Grubenabdeckung vor und nach jedem Zugang auf- und zuge-
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Abb. 8.3 Seitlicher Abgang zur Rollengrube. (Quelle: Akustikzentrum GmbH)
fahren werden, was unrealistisch ist. Bei einem Treppenabgang am hinteren Grubenende ist ein versenkbares oder steckbares Geländer noch akzeptabel, weil es nur beim Auf- und Wegfahren des Testfahrzeugs bedient werden muss. Am vorderen Grubenende, wo bei Motoruntersuchungen laufend Messaufnehmer von oben und unterhalb des Motorraums angebracht werden müssen, ist ein abzusichernder Treppenabgang schlicht ein Arbeitshindernis. Als beste Lösung hat sich in der Praxis ein Abgang mit mindestens 2 m Seitenabstand zum Fahrzeug (s. Abb. 8.3) bewährt, der im Messraum die Arbeiten am Fahrzeug nicht behindert und auf kürzestem Weg zum Grubeneinstieg führt. Das setzt voraus, dass der mit der Gebäudeplanung beauftragte Architekt diese Problematik kennt oder von den Auftraggebern darauf hingewiesen wird. Ein weiteres Detail ist unter dem Gesichtspunkt Arbeitseffizienz die Ausführung der Grubenabdeckung. Sie muss beim Auf- und Abfahren des Fahrzeugs geschlossen sein, beim Arbeiten unterhalb des Fahrzeugs ganz oder teilweise offen und bei Luftschallmessungen wiederum geschlossen sein, um die Schallreflexion wie auf der Strae zu erhalten. Drei Ausführungsformen sind am Markt: herausnehmbare Elemente, Jalousielösungen und Verschiebeplatten. Am elegantesten sehen zunächst elektrisch verfahrbare Jalousien aus, haben in der Praxis aber einige Nachteile: leichte Ausführungen mit Alu-Profilen sind begehbar, aber nicht befahrbar, was sicherheitstechnisch nur die 2. Wahl ist. Bei elektrischer Betätigung müssen zum Schutz gegen Einklemmen Schaltleisten am Jalousieende angebracht sein, die sich im Langzeitbetrieb oft als störanfällig herausstellen. Verschiebliche Stahlplatten in leichtgängiger Rollenführung – wie horizontale Schiebetüren – erweisen sich vielfach als praktischer: sind trotz schwerer Ausführung manuell leicht verschiebbar,
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auf eine elektrische Betätigung kann verzichtet werden, sind mit Pkw befahrbar und auf Grund ihrer Masse akustisch eine perfekte Trennwand zur Grube. Mit zwei verschieblichen Platten kann unterhalb des Fahrzeugs an jeder Stelle ein beliebig langes Fenster geöffnet und an die verschiedenen Untersuchungsbedingungen angepasst werden. Wie bei jeder Schiebetür ist der Schacht zum Einschieben der Platten bauseits einzuplanen, d. h. eine entsprechende Ausnehmung im Betonboden bzw. im Estrich vorzusehen. Äuerst flexibel ist auch eine auf den ersten Blick primitiv erscheinende Lösung mit ca. 20 herausnehmbaren Einzelelementen, wenn diese als versteifte und stapelbare Alu-Platten ausgeführt sind: die Teile werden von der Grube aus nach Bedarf übereinandergeschoben und damit der Zugang zur Fahrzeugunterseite dort geöffnet, wo er gebraucht wird. Trotz Leichtbauweise sind die Elemente Pkw-befahrbar. Wirtschaftliche Konsequenzen der Raumplanung und Arbeitsplatzgestaltung: Durch die Schnelligkeit der digitalen Messtechnik wird nur etwa 1/3 der Prüfstandszeit für die eigentlichen Messungen genutzt. Die restliche Zeit wird für Wechsel von Messaufnehmern und Umbauarbeiten am Testfahrzeug benötigt. In dieser Zeit steht der Prüfstand. Fehler bei der Planung der Wege zwischen Kontrollraum und Rollengrube, bzw. Messraum und Rollengrube und nicht praxisgerechte Ausführung des Zugangs und der Grube selbst verlängern diese Standzeiten. Noch gravierender wirkt sich das Fehlen einer wirksamen Fahrtwindkühlung des Fahrzeugunterbodens aus (s. Abschn. 8.1.2.4). Dann kommen nach jedem Volllasthochlauf Wartezeiten dazu, bis die Heiteile des Fahrzeugs soweit abgekühlt sind, dass Montagearbeiten möglich sind. Kalkuliert man Betriebs- und Kapitalkosten eines solchen Prüfstandes mit 3.000 bis 5.000 €/Tag, dann ergeben 20 % längere Standzeiten langfristig eine bemerkenswerte Summe.
8.1.2.2 Akustische und schwingungstechnische Anforderungen an den Rollenprüfstand Während die im vorhergehenden Kapitel beschriebenen Gesichtspunkte häufig vernachlässigt werden, wird die Bedeutung akustischer Grenzwertvorgaben eher überschätzt. Natürlich müssen laute Antriebsaggregate, wie E-Maschinen plus eventuelle Kühlgebläse und Untersetzungsgetriebe entweder gekapselt oder in getrennten Maschinenräumen untergebracht werden. Die meist standardmäig übernommene Lastenheftvorgabe von 50 dB(A) als maximaler Geräuschpegel der leerlaufenden Rollen bei 100 km/h erscheint jedoch überzogen. Der bei Betrieb mit Fahrzeug stets vorhandene Reifengeräuschpegel liegt, wie Abb. 8.4 zeigt, über 85 dB(A). Der in der akustischen Messtechnik üblicherweise geforderte Störabstand beträgt 20 dB. Eine Grenzpegelkurve, die 25 dB unter der Reifengeräuschkurve liegt, hätte also noch ausreichend Sicherheit für den Fall, dass es der Reifenindustrie gelingt, in ferner Zukunft noch leisere Reifen zu entwickeln. Jede Manahme, die getroffen wird um den Störpegel des Prüfstandes weiter abzusenken, ergibt keine Qualitätsverbesserung, sondern erhöht nur die Kosten. In einzelnen Fällen ist dies sogar mit funktionellen Nachteilen verbunden, dazu zwei Beispiele: 1. Beispiel: Akustik-Rollenprüfstände wurden und werden immer noch mit hydrostatischer Rollenlagerung ausgeführt. Dahinter steht die an sich richtige Überlegung, dass
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Glattasphalt 20 bis 100 km/h in 120s OA-level 90 85
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Abb. 8.4 Grenzkurve für Störgeräuschpegel. (Quelle: Zehner GbR)
Gleitlager leiser sind als Wälzlager und bei niedrigen Drehzahlen ein tragender Ölfilm nur mit einer Druckölversorgung sichergestellt werden kann. Allerdings sind bei den auftretenden niedrigen Drehzahlen – ähnlich wie auch im Fahrwerk eines Pkw – bereits die Lagergeräusche einer Wälzlagerung nicht hörbar. Was jedoch im Prüfstandskeller deutlich zu hören ist, sind die äuerst lästigen Geräusche der Hydraulikpumpe, die die hydrostatischen Lager versorgt. Darüber hinaus erwiesen sich in der Vergangenheit die hydrostatischen Lager als die gravierendste mechanische Schwachstelle der Rollen, deren Reparatur zu wochenlangem Stillstand der gesamten Anlage führte. 2. Beispiel: Kapselung der Laufrollen. Im Bestreben, die aerodynamischen Geräusche der Rollen bei hoher Geschwindigkeit zu reduzieren, werden diese mit einer Geräuschkapsel versehen. Hier gilt ebenso: bei Vermeidung unnötiger aerodynamischer Anregungen durch Schlitz- oder Sireneneffekte ist der Strömungsgeräuschpegel so weit unter dem Reifengeräuschpegel, dass er keine Rolle spielt. Was aber eine Rolle spielt (s. Abschn. 8.1.2.1), ist der Platzbedarf der Kapseln und die Konsequenz für die nutzbare Grubenbreite. Wesentlich sinnvoller ist eine akustische Absorptionsverkleidung der Grubenseitenwände zur Bedämpfung der Hohlraumresonanzen der Rollengrube. Diese können eine störende Rolle spielen, wenn bei Abkoppelmessungen ein Teil der Grubenabdeckung nicht geschlossen werden kann. Neben der Frage des Luftschall-Störpegels im Messraum, auf den auch noch in Abschn. 8.1.2.3 und 8.1.2.4 eingegangen wird, ist die Körperschallentkopplung des Prüf-
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standes von der Umgebung ein Thema bei der Konzeption. Standard ist, die elastische Lagerung des Fundamentes auf eine vertikale Eigenfrequenz von 2 Hz abzustimmen, was bei linearen Federn einer statischen Einfederung von ca. 60 mm unter dem Eigengewicht entspricht. Da die dynamische Kraftübertragung auf das Gebäude (Verhältnis der ins Gebäude eingeleiteten Kraftamplitude zur Amplitude der Erregerkraft), also die Schwingungsisolation, ausschlielich von der Eigenfrequenz und nicht von der Fundamentmasse abhängt, kann das Schwingfundament sowohl als schwere Stahlbetonplatte, als auch als steifer Stahlrahmen ausgeführt werden. In beiden Fällen ist bei einer 2 HzAbstimmung die Schwingungseinleitung ins Gebäude vernachlässigbar niedrig, sodass auch empfindliche Messgeräte im selben Gebäude nicht gestört werden. Die Fundamentmasse ist nur hilfreich bei der Reduktion von Schwingbewegungen des Prüfstandes selbst, angeregt etwa durch Restunwucht der Rollen oder Reifenunrundheit des Testfahrzeugs. Da aber auch bei einer reinen Stahlkonstruktion die Prüfstandsmasse nicht unter 20 t liegt, d. h. das Verhältnis Prüfstandsmasse zur Fahrzeugmasse i. A. gröer 10 ist, liegen die Prüfstandsamplituden immer mindestens 20 dB unter den Schwingungsamplituden des Testfahrzeugs und sind vernachlässigbar. Es ist im Einzelfall daher durchaus zu überlegen, ob der bauliche Aufwand für ein Betonfundament von 60 bis 120 t gerechtfertigt ist.
8.1.2.3 Akustische und schwingungstechnische Anforderungen an den Messraum Wie bei einer Fahrt in einem Straentunnel deutlich wird, ist in einem geschlossenen Raum mit schallreflektierenden Wänden keine Ortung von Schallquellen möglich. Daher müssen Akustik-Rollenprüfstände immer in schalltoten Messräumen stehen, bei denen eine schallabsorbierende Wand- und Deckenauskleidung die Freifeldbedingungen wie auf der Strae simuliert. Zwei unterschiedliche Systeme von Absorptionsverkleidungen sind auf dem Markt: Schallschluckkeile oder Platten-Resonanzabsorber. Keilauskleidungen sind für die Absorption der tiefen Frequenzen erforderlich, weil bei normalen flächigen Auskleidungen diese bereits am Impedanzsprung zwischen Luft und Absorptionsmaterial reflektiert werden. Für die Dicke der Auskleidung gilt die Regel: 1/4 der Wellenlänge der Grenzfrequenz, d. h. der tiefsten Frequenz, die noch zu 99 % absorbiert werden soll. Physikalisch erklärt sich das einfach aus der Tatsache, dass bei einer senkrecht einfallenden Schallwelle die Schallschnelle, d. h. die Schwinggeschwindigkeit der Luftmoleküle, an der Wand gleich Null ist und damit im Abstand von 1/4 Wellenlänge die maximale Schnelle herrscht, bei der die Dissipationswirkung der Auskleidung optimal ist. Übliche Vorgabe bei Akustik-Rollenprüfstands-Messräumen ist eine Grenzfrequenz von 70 Hz, die mit einer Keiltiefe von 1 m erreicht wird. Die zweite Möglichkeit, tieffrequente Schallwellen zu absorbieren, ist das Prinzip des Plattenresonators, das vom Fraunhofer-Institut benutzt wurde, um den sogenannten „Breitband-Kompakt-Absorber“ zu entwickeln. Dabei werden die höherfrequenten Schallwellen von einer ca. 150 mm dicken Deckschicht aus Absorptionsmaterial absorbiert. Dahinter liegt eine ca. 1 mm starke Stahlblechplatte, die auf einer weiteren ca. 100 mm dicken Schicht aus Absorptionsmaterial elastisch gelagert ist. In ihrer Eigenfrequenz geht die Im-
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pedanz der Blechplatte theoretisch gegen Null, d. h. sie ist von der einfallenden Schallwelle leicht anregbar und reflektiert sie nicht, sondern gibt ihre Schwingungsenergie an das Absorptionsmaterial ab, in das sie eingebettet ist. Die breitbandige Wirkung wird durch die verschiedenen Eigenschwingungsformen, die eine Rechteckplatte mit steigender Frequenz hat, erzielt. Wie bei jedem Resonanzabsorber oder Schwingungstilger ist die Abstimmung ein Kompromiss zwischen Höhe und Breitbandigkeit der Wirkung, abhängig und steuerbar vom Dämpfungsgrad. Das Sandwich aus Blechplatte zwischen 2 Schichten aus Absorptionsmaterial ist insgesamt nur 250 mm dick und mit Lochblech verkleidet. Das ist der klare Vorteil gegenüber einer Keilauskleidung: der geringe Raumbedarf und die glattflächige, strapazierbare Oberfläche. Die Vorteile beider Systeme lassen sich kombinieren, wenn an Wänden und Türen bis ca. 2,5 m Höhe Flachabsorber und darüber und an der Decke Keilabsorber verbaut werden (Abb. 8.5 und 8.6). Als Absorptionsmaterial sind Mineralwolle, Glaswolle, Melaminschaum und Polyestervlies gebräuchlich. Die Wahl wird weitgehend von den Brandschutzanforderungen bestimmt: Brandschutzklasse A wird von Mineralwolle erreicht, Melaminschaum ist als Duroplast ebenfalls unbrennbar, erreicht aber nur Brandschutzklasse B. Mineralwolle wird heutzutage aber nur hinter Lochblechverkleidung akzeptiert (Optik, Stabilität, Rieselschutz), was bei Keilauskleidung deutlich aufwändiger ist als bei Flachabsorbern (s. Abb. 8.6).
Abb. 8.5 Schallschluckkeile und Flachabsorber. (Quelle: Akustikzentrum GmbH)
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Abb. 8.6 Lochblechkeile an der Decke, Einpunktfesselung mit integrierter Zugkraftmessung. (Quelle: Akustikzentrum GmbH)
Die akustische Qualität eines Schallmessraumes wird daran gemessen, bis zu welcher Frequenz und bis zu welchem Wandabstand Schallausbreitung wie im Freifeld stattfindet. Die Abnahmebedingungen sind in ISO 3745 und DIN 45635, Genauigkeitsklasse 1 festgelegt. Bei der Abnahmemessung wird mit einer Schallquelle in Bodenmitte angeregt und der Pegelabfall über der Entfernung von der Quelle auf verschiedenen Pfaden (längs, quer, diagonal in die Raumecken) gemessen. Die Abweichung der Terzpegel vom theoretischen Freifeld-Wert ist ein Ma für die Absorptionsgüte und das Fehlen von Hohlraumresonanzen im Messraum. Das reine Messergebnis wird auch von der Wahl des Anregesignals (Rauschen oder Sinus) mitbestimmt. Da bei schmalbandiger Anregung Resonanzen deutlicher zum Vorschein kommen, ist die Sinusanregung die schärfere Prüfung. Bei den Lastenheftvorgaben für einen geplanten Messraum ist es also sinnvoll, nicht nur die Grenzfrequenz, sondern zusätzlich das Abnahmeverfahren, die Abmessungen des Quaders innerhalb dessen die ISO 3745 erfüllt sein muss und die Gröe der aus Funktionsgründen vorhandenen Reflexionsflächen (Schalter, Messboxen, Beleuchtung, usw.) festzuschreiben, um nachträgliche Diskussionen auszuschlieen. Die Höhe der Anforderungen wird stark von der Art der akustischen Messungen bestimmt, für die der Raum geplant ist. Die höchsten Anforderungen werden bei einem Auengeräuschprüfstand gestellt, in dem die gesetzliche Vorbeifahrt nachgefahren werden soll. Dort wird der Messquader vom seitlichen Mikrofonabstand von 7,5 m und der Länge der Messstrecke von 20 m bestimmt und die Genauigkeitsanforderungen sind 1/10 dB.
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8.1.2.4 Anforderungen an die Fahrzeugkühlung/Fahrtwindsimulation
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Wie in Abschn. 8.1.2.2 erläutert werden bei den Geräuschpegelvorgaben für den Rollenprüfstand vielfach übertrieben niedrige Werte angesetzt und dagegen das Thema Fahrzeugkühlung unterschätzt oder schlicht vergessen. Es reicht nämlich keineswegs aus, die übliche Be- und Entlüftung in den Raumecken so auszulegen, dass die vom Fahrzeug abgegebene Wärmemenge aus dem Raum transportiert wird. Für das Motorgeräusch und seine Weiterleitung in den Fahrgastraum von erheblichem Einfluss ist die lokale Aufheizung von Auslasskrümmer, Katalysator und Abgasanlage und deren Wärmeabstrahlung auf die umgebenden Karosserieteile. Bei fehlender Kühlung genügen bereits kurzzeitige Volllasthochläufe, um Krümmer, Turbolader oder Katalysator rotglühend werden zu lassen. Temperaturabhängig verändern die schwingenden Gassäulen auf der Ansaug- und Auslassseite ihre Eigenfrequenz, Gummilager und Dämpfungsbeläge der Karosserie ändern ihre elastischen Eigenschaften, sodass tieffrequente Brummgeräusche in ihrem Pegel um bis zu 10 dB variieren können. Reproduzierbare Messergebnisse und aussagefähige Analysen sind nur möglich, wenn es gelingt, die Temperaturen an den Heiteilen im Motorraum konstant zu halten. Daher ist das Anblasen des Wasserkühlers nicht so entscheidend wie ein ausreichender Luftstrom entlang der Fahrzeugunterseite, wie er auch bei Straenfahrt durch den Fahrtwind gegeben ist. Erfahrungsgemä reicht bei Serienfahrzeugen eine Luftgeschwindigkeit von 100 km/h aus, um auch bei längeren oder wiederholten Vollgasfahrten stationäre Temperaturverhältnisse sicherzustellen. Eine Steigerungsmöglichkeit auf 150 km/h ist aber empfehlenswert, um die Abkühlphasen zwischen den Messungen und damit uneffiziente Wartezeiten abzukürzen, die erforderlich sind, um bei heier Abgasanlage Versuchsteile zu montieren oder Messaufnehmer umsetzen zu können, s. Abschn. 8.1.2.1. Der hohe Geräuschpegel (85–90 dB(A)) eines Gebläses mit einer Luftleistung von 150.000 m3/h oder mehr stand in früheren Jahren den Störpegelvorgaben für einen akustischen Messraum entgegen. Seit der Entwicklung aeroakustischer Wind- und Blaskanäle Mitte der 80er-Jahre (Basshuysen u. Bathelt 1989) ist es möglich, das Gebläsegeräusch völlig zu absorbieren, sodass an der Düse bzw. am Testfahrzeug nur das reine Strahlrauschen auftritt. Abbildung 8.7 zeigt das Schema eines solchen Akustik-Blaskanals, wie er im Akustikzentrum des Abgasanlagenherstellers Boysen (Bathelt 2004) und weiteren neueren Anlagen realisiert wurde. Anstelle der Kanalführung über das Dach des Messraums ist auch die saugseitige Luftführung durch den Prüfstandskeller möglich. Die Temperaturregelung durch Frischluftbeimischung ist energiesparend und kostengünstig und ermöglicht in der Jalousieklappen-Stellung für 100 %-Luftaustausch das freie Ausblasen von Abgas in den Messraum, was bei Abgas-Mündungsgeräuschmessungen ein groer Vorteil ist. Durch die niedrige, breite Ausführung der Düse und eine hohe Strömungsqualität mit Luftleitblechen soll vor allem die Unterströmung des Fahrzeugbodens realitätsnah simuliert werden. Ein vor dem Fahrzeug im Messraum platziertes Gebläse – immer noch in vielen Schallmessräumen zu sehen – ist dafür kein Ersatz. Es ist auch schwer erklärbar, den Störpegel der Rolle mit 50 dB(A) vorzuschreiben und im Messbetrieb ein Gebläse mit 85–90 dB(A) in den Messraum zu stellen.
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Abb. 8.7 Akustikmessraum mit schallgedämpftem Blaskanal
8.1.2.5 Fahrzeugfesselung Wenn Akustikmessungen auf Rollenprüfständen schlechte Reproduzierbarkeit aufweisen, liegt es meistens an mangelnder Temperaturkonstanz, s. voriges Kapitel, oder an der Beeinflussung des Fahrzeugzustandes durch die Fesselung. Hier ist einerseits die Forderung nach sicherer Fixierung des Fahrzeugs zu erfüllen – auch bei unbeabsichtigtem Lenkungseingriff oder Reifenplatzern – und die erheblichen Vortriebskräfte bei Volllast abzustützen, andererseits dürfen die Schwingbewegungen des Fahrzeugs nicht behindert werden. Bei Motorgeräuschmessungen ist die vertikale Bewegungsmöglichkeit wichtig, d. h. das Ausfedern der Vorderachse unter Volllast darf nicht behindert werden, weil der Beugewinkel der Gelenkwellen Einfluss auf die Körperschallübertragung ins Fahrwerk und von dort auf die Karosserie hat. Besonders bei Frontantriebsfahrzeugen ist das ein wichtiger Übertragungsweg für Motor-Brummen. Bei Fahrkomfort- und Stuckermessungen hingegen ist die Längskomponente der Karosserieschwingung ein wesentlicher Anteil und darf nicht unterdrückt werden. Hier ist eine in Längsrichtung weiche Fixierung angebracht, zumal bei diesen Messungen keine Vortriebs- und Bremskräfte aufgebracht werden. Es ist offensichtlich, dass einfache Gurtverspannungen diesen Anforderungen nicht gerecht werden und bei mehrmaligem Aufspannen auch nicht reproduzierbar sind. Bei den früher üblichen Ein-Achs-Rollen war die Fixierung der nicht angetriebenen Achse
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eine akzeptable und verbreitete Lösung. Heute sind in der Fahrzeugentwicklung fast ausschlielich Allradrollen im Einsatz, weil die elektronische Fahrwerksregelung (ESP) auch bei reinen Front- oder Heckantriebsfahrzeugen das Fahren mit einer stehenden Achse verhindert und ins Notprogramm schaltet. Die Abstützung des Fahrzeugs muss also über die Karosserie erfolgen. Die „Alternative Radnabenfesselung“, die oft bei Funktions- und Leistungsmessungen eingesetzt werden, scheidet für Akustikmessungen aus: die Zug- und Bremskräfte werden dabei direkt an den Achsen abgestützt, d. h. die Längskräfte zwischen Achsen und Karosserie, die auf der Strae auftreten, werden eliminiert oder verfälscht, damit aber auch die Körperschallübertragung über das Fahrwerk. Aus demselben Grund sind kleine Doppelrollen, zwischen denen die rollende Achse fixiert wird, für Akustikuntersuchungen unbrauchbar. Abbildung 8.5 zeigt eine Abstützung an den 4 Fahrzeugecken mit Airbags nach einem Patent der AUDI AG aus den 70er-Jahren, die bei kleinen Wegen elastisch ist, durch die Progressivität der Airbags aber auch groe Kräfte aufnehmen kann. Die Entwicklung zu weichen Kunststoff-Stofängern und -Frontends bedeutete aber ab dem Jahr 2000 das Aus für diese Lösung. Seitdem sind bei Pkw praktisch nur noch Abstützungen an den Abschlepphaken im Gebrauch. Abbildung 8.8 zeigt eine Stangenfixierung der Firma Bleyer, bei der die Vertikalbewegung durch den drehbaren Anlenkpunkt der Stange an den Stützsäulen ermöglicht wird. Bei der Ein-Punkt-Fesselung nach einem Patent der Akustikzentrum GmbH wird dasselbe durch eine kugelgelagerte Linearführung des Schlittens erreicht, an dem der Ab-
Abb. 8.8 Stangenfesselung. (Quelle: S. Bleyer GmbH)
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Abb. 8.9 Ein-Punkt-Fesselung. (Quelle: Akustikzentrum GmbH)
schlepphaken über ein elastisches Lager verschraubt wird. Die Steifigkeit dieses Lagers ist an die Messanforderungen anpassbar. Eine Ein-Punkt-Fesselung, die naturgemä immer auf der Seite der lenkbaren Achse erfolgen muss, hat den Vorteil, dass sich das Fahrzeug beim Rollen selbst ausrichtet und daher auch nicht unterschiedlich verspannt werden kann. Daher ist diese Aufspannung absolut reproduzierbar. Durch die Abstützung aller Vortriebsund Bremskräfte in nur einem Punkt ist auch eine direkte Zugkraftmessung in die Fesselung integrierbar (s. Abb. 8.9).
8.1.3 Akustik-Motor- und Antriebsstrangprüfstände Zur Abgrenzung von Motorprüfständen für Funktions- und Leistungsuntersuchungen ist grundsätzlich festzustellen: an einem Motor ohne angeblocktes Getriebe sind Akustikuntersuchungen nicht sinnvoll, weil das Getriebegehäuse sowohl die Schwingungen des Motorblocks mitbestimmt, als auch Motorgeräusch mit abstrahlt. Daher wird im Akustikversuch üblicherweise von Triebwerksprüfständen gesprochen, bei denen die Motor-Getriebe-Einheit in den Original-Gummilagern wie im Fahrzeug gelagert ist und der Leistungsabtrieb über die Ausgangswellen des Getriebes erfolgt, beim Standard-Heckantrieb über die Kardanwelle, beim Frontantrieb über die zwei Seitenwellen und beim Allradantrieb über beide. Der Aufwand auf Seiten der elektrischen Antriebs- und Belastungsma-
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Abb. 8.10 Allrad-Antriebsstrangprüfstand. (Quelle: Akustikzentrum GmbH)
schinen ist gegenüber einem reinen Motorprüfstand daher erheblich höher: beim AllradAntriebsstrang unter Einbeziehung des Hinterachsdifferenzials sind 4 E-Maschinen erforderlich (Abb. 8.10), die anstelle der Fahrzeugräder die Antriebsmomente abführen und die Belastung des Motors wie bei Straenfahrt simulieren. Bei Ein-Achs-Antrieben reduziert sich der Aufwand auf 2 E-Maschinen, bei Abtrieb über ein gesperrtes Differenzial kann man mit einer E-Maschine auskommen. Die Vorgänge im Differenzial, insbesondere die Drehschwingungen, werden dann natürlich nicht mehr fahrzeugähnlich abgebildet. Für die räumliche Anordnung sind zwei Konfigurationen ausführbar: a) die Belastungsmaschinen sitzen wie im oberen Bild auf Messraumebene in getrennten Maschinenräumen hinter der Schallschluckauskleidung oder unter Schallkapseln, verbunden über verlängerte Gelenkwellen, b) die E-Maschinen sitzen im Prüfstandskeller unterhalb des Messraums. In diesem Fall muss das Raddrehmoment am Ende der Original-Fahrzeuggelenkwelle über einen Winkeltrieb oder Riemenantrieb nach unten geführt werden. Die räumlichen Randbedingungen werden von den akustischen Messaufgaben bestimmt: da nicht nur der Körperschall des Triebwerkgehäuses, sondern auch die Verteilung der Luftschallabstrahlung auf seiner Oberfläche analysiert werden soll, muss der gesamte Messraum einschlielich Boden reflexionsfrei, also schallabsorbierend ausgeführt werden. Daher besteht der Messraumboden aus schalldurchlässigen Gitterrosten mit darunter liegender Absorptionsauskleidung aus Schallschluckkeilen oder Resonanzabsorbern. Die alltäglichen Montage- und Testarbeiten in solchen Messräumen werden dadurch nicht gerade erleichtert, da jede heruntergefallene Schraube und jede austretende Flüssigkeit durch
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den Rost fällt und sich in der porösen Schallauskleidung ansammelt. Auswechselbare Abdeckungen aus schalldurchlässigem Vlies oder Schaum können eine praktikable Lösung dafür sein. Die Effizienz des Testbetriebs auf einem Akustik-Triebwerksprüfstand hängt auch von der Ausführung der Rahmenstruktur ab, auf der Triebwerk, Kardanwellenmittellager, Hinterachsdifferenzial und die Haken der Abgasanlage gelagert sind. Aus Unsicherheit über die schwingungstechnischen Anforderungen werden häufig schwere, massive Stahlträgerkonstruktionen ausgeführt, die die Zugänglichkeit zum Messobjekt erschweren und mit groen schallreflektierenden Oberflächen das abgestrahlte Schallfeld stören. Gefordert ist hier nicht die absolute Freiheit von Schwingungen, sondern die Rückwirkungsfreiheit, d. h. die Schwingungen der Stahlstruktur dürfen die Schwingungen des Triebwerks und Antriebsstrangs nicht beeinflussen. Entscheidend ist nicht die statische, sondern die dynamische Steifigkeit der Struktur. Als Kriterium können die Inertanzen (Schwingbeschleunigung pro 1 N Anregekraft) der Stahlstruktur gemessen an den Anschraubpunkten der Triebwerkslagerung dienen. Sie sollten niedriger sein als die Werte an den entsprechenden Strukturpunkten einer Pkw-Karosserie. Abbildung 8.11 zeigt die Inertanzen der Motorlagerkonsole eines Oberklasse-Pkw gemessen in den 3 Raumrichtungen. Die als Richtlinie heranziehbare durchgezogene Grenzkurve entspricht einer konstanten dynamischen Steifigkeit von 20.000 N/mm. Mit diesem Wert liegt man 1 bis 2 Zehnerpotenzen über der Steifigkeit üblicher Motorlager, sodass das Testaggregat schwingungstechnisch von der Struktur entkoppelt ist. Erreicht werden solche Werte sinnvollerweise nicht durch Masse, sondern durch steifigkeitsoptimierte Leichtbaukonstruktionen (Kunkel et al. 2005).
–20 –25
((m/s2)/N) dB
–30 –35 –40 längs quer
–45
vertikal
–50
Steifigkeitslinie 20 000 N/mm
–55 –60 25
50
75
125
100 Hz
Abb. 8.11 Inertanz einer Pkw-Struktur. (Quelle: Zehner GbR)
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175
200
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8.1.4 Prüfstände zur Entwicklung von Luftschallmaßnahmen Michael Scheinhardt, Rieter Automotive Germany GmbH
8.1.4.1 Einleitung
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In den letzten 10 Jahren haben sich die Simulationstechniken im Bereich der Fahrzeugakustik am deutlichsten weiterentwickelt. FE und SEA Simulationen zur Optimierung des Geräuschpakets und zur Vorhersage des Innengeräuschpegels in der Fahrzeugkabine zählen mittlerweile zum Standard. Simulationstechniken, die das thermodynamische und strukturelle Verhalten von Vliesen und Schäumen beschreiben und damit die physikalische Wirkung vorhersagen, haben die Labore der Hochschulinstitute längst verlassen. Aus ihnen wurden bedienerfreundliche Programmpakete gestrickt, die bald ihren Siegeszug bei den Automobilakustikern antraten. Getreu der Maxime „Der Kampf gegen Lärm beginnt am PC!“ In der anfänglichen Euphorie glaubte man, in naher Zukunft komplette Fahrzeuge am Rechner entwickeln zu können und auf langwierige Tests und Messungen bald ganz verzichten zu können. Das genaue Gegenteil ist jedoch der Fall! Mit zunehmender Verbreitung der CAE-Tools, sind die klassischen Labormessungen zur Prüfung der akustischen Wirksamkeit immer wichtiger geworden, während stetig neue Messmethoden zur Materialcharakterisierung hinzukamen. Neben verlässlichen Eingangsparametern für die Simulationsprogramme müssen in jeder Phase der Entwicklung (Materialebene, Bauteilebene, Fahrzeugebene) Abgleiche zwischen virtueller und realer Welt erfolgen, um Divergenzen in den Ergebnissen zu verhindern. Im Folgenden werden die wichtigsten Prüfstände zur Entwicklung der Luftschallmanahmen beschrieben, welche die Grundlage für den Praktiker und das Vertrauen für den Entwickler am PC liefern.
8.1.4.2 Alpha-Kabine Der Absorptionskoeffizient α eines porösen Absorbers ist vom Schalleinfallswinkel abhängig. In dem weit verbreiteten Stehwellenrohr (Kundtsches Rohr/Impedanzrohr s. Abschn. 8.1.4.4) wird der Absorptionskoeffizient nur unter senkrechtem Schalleinfall gemessen. Dies ist aber eine sehr groe Einschränkung und von der Realität im Fahrzeug sehr weit entfernt. Im Motorraum und im Innenraum entspricht die Schallfeldcharakteristik, bedingt durch viele Quellen und der reflektierenden Umgebung, eher einem Diffusfeld. Der Absorptionskoeffizient ist im Diffusfeld teilweise völlig anders, insbesondere bei Mehrschichtabsorbern oder absorbierenden Materialien vor einer Wand. Hierfür liefern Impedanzrohrmessungen untaugliche Messergebnisse und führen bei der Absorberentwicklung zu falschen Schlussfolgerungen. Für die wesentlich aussagekräftigeren Absorptionsmessungen im diffusen Schallfeld hat sich die Alpha-Kabine als Standard etabliert (Abb. 8.12). Die Kabine ist mit 6.44 m³ Volumen (V) ein verkleinerter Hallraum in dem mit Probengröen zwischen 0.6 m² und 2,4 m² gearbeitet werden kann.
8
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Abb. 8.12 Alpha-Kabine. (Quelle: Rieter Automotive Germany)
SPL (dB)
T0
60 dB
1
2 3
T1
t (s)
Abb. 8.13 Prinzip Alphakabine. (Quelle: Rieter Automotive Germany GmbH)
Basierend auf ISO 354 wird der Absorptionskoeffizient αS einer Probe (3) mit 1,2 m² Probenfläche (S) über Nachhallzeitmessungen in der Kabine ermittelt. Der Innenraum der Kabine wird über 3 Lautsprecher (2) mit impulsförmigen Signalen angeregt und die Nachhallzeiten an 5 Mikrofonpositionen (1) gemessen (Abb. 8.13). Die Nachhallzeit in der Kabine ist mit eingelegter Probe (T1), aufgrund der zusätzlich eingebrachten Absorption, geringer als bei leerer Kabine (T0). Unter der Nachhallzeit versteht man das Zeitintervall, innerhalb dessen der Schalldruck in einem Raum bei plötzlichem Verstummen der Schall-
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quelle auf den tausendsten Teil seines Anfangswerts abfällt. Das entspricht einer Pegelabnahme von 60 dB. Mit Hilfe der Formel von Sabine S = 0,163 ·
8
V S
1 1 T1 T0
(8.1)
wird aus den beiden gemessenen Nachhallzeiten in der Kabine der Absorptionskoeffizient αS als Funktion der Frequenz von 400 Hz bis 10.000 Hz berechnet. Dieser ist mit dem nach ISO 354 im Hallraum gemessenen Absorptionskoeffizient vergleichbar. Messung und Analyse sind standardisiert und sehr gut reproduzierbar. Studien (Veen, Pan, Saha, 2005) haben gezeigt, dass Messungen in verschiedenen Alphakabinen weitaus weniger streuen, als Messungen in verschiedenen Hallräumen. Im groen Hallraum (>200 m³) beträgt die notwendige Probengröe für Absorptionsmessungen ca. 10–15 m². In der Alpha-Kabine hingegen, reicht eine plane, 1,2 m² groe Materialprobe um den Absorptionskoeffizienten zu bestimmen. Das ist ein groer Vorteil, da während der Entwicklung neuer Materialien oftmals nur wenige Proben verfügbar sind. Absorbierende Bauteile, die im Fahrzeug in einem gewissen Abstand vor einem schallreflektierenden Blech eingebaut werden (z. B. Haubenabsorber oder Dachhimmel), können unter realistischen Einbaubedingungen gemessen werden. Das Bauteil wird zur Messung in dem jeweiligen Blechteil fixiert. Die für die Absorptionsmessung nicht unerheblichen Randbedingungen der Befestigung (Steifigkeit) und des Luftvolumens zwischen Bauteil und dem Blech sind somit exakt wie im Fahrzeug! Für beliebig geformte Bauteile (z. B. Sitze, Bodenverkleidung, …) mit Probengröen (A) zw. 0.6 m² und 2,4 m², wird die äquivalente Absorptionsfläche A∗ = S A
(8.2)
ermittelt. Die Alpha-Kabine ist zwischenzeitlich in den Messspezifikationen sämtlicher Fahrzeughersteller zu finden.
8.1.4.3 Hallraum Im Hallraum sind Boden, Wände und Decke schallreflektierend. An der Decke aufgehängte Diffusoren aus gebogenem Plexiglas unterstützen die gleichmäige Schallverteilung im Raum, wodurch es zu zahlreichen Reflexionen der Schallwellen kommt. Die Schalldiffusität und die Modendichte sind deshalb hoch. Die bei tiefen Frequenzen notwendige Eigenfrequenzdichte (untere Grenzfrequenz) wird durch das Hallraumvolumen bestimmt. Die einschlägigen ISO Normen geben Richtwerte für diesen Zusammenhang. Bei den üblichen 200 m³ Hallraumvolumen liegt die untere Grenzfrequenz etwa bei 125 Hz. Darunter ist das Schallfeld ungleichmäig, und es bilden sich stehende Wellen aus. Nach oben wird der nutzbare Frequenzbereich durch die von den Klimabedingungen abhängige Luftabsorption begrenzt. Für den 200 m³ Hallraum liegt die obere Grenzfrequenz bei etwa 5.000 Hz. Trotz der zunehmenden Verbreitung der Alpha-Kabine, ist der klassische Hallraum keinesfalls überflüssig geworden. Für Absorptionsmessungen spielt er nur noch eine geringe
8
Messung und Analyse
357
Abb. 8.14 Hallraum mit Diffusoren an der Decke und Membranabsorber-Kassetten an den Wänden. (Quelle: Rieter Automotive Germany)
Rolle. Lediglich wenn sehr groe Bauteile oder Absorptionen bei tiefen Frequenzen gemessen werden müssen. Das ist in der Fahrzeugakustik allerdings selten der Fall. Ist der Hallraum nach den ISO Vorgaben qualifiziert, gro genug und mit dem Pkw befahrbar, kann er auch zur Schallleistungsmessung z. B. des im Fahrzeug eingebauten Motors verwendet werden. Das Fahrzeug steht im Hallraum und alle absorbierenden Bauteile um den Motor herum (Motorhaube, Motorunterschild, …) werden entfernt. Der Motor wird unter konstanter Drehzahl oder Last betrieben. Entsprechend ISO 3741 kann der abgestrahlte Luftschallleistungspegel gemessen werden. Das Verfahren ist zwar nicht so exakt wie Messungen am akustischen Antriebsstrangprüfstand, aber dafür ist es einfach und robust in der Ausführung. Mit dieser Methode können Benchmarkvergleiche zwischen verschiedenen Motorisierungen eines Fahrzeugs sehr schnell durchgeführt werden. Die ermittelten Leistungspegel dienen z. B. der Quellendefinition in SEA Fahrzeugmodellen. Ist der Hallraum neben einem Freifeldraum angeordnet, von diesem entkoppelt und durch eine Öffnung verbunden, lässt er sich als Senderaum für Schalldämmungsmessungen verwenden. Bei Absorptionsmessungen und Schallleistungsmessungen wird eine möglichst groe Nachhallzeit des Raumes gefordert. Als Senderaum darf entsprechend ISO 140-3 die Nachhallzeit einen gewissen Betrag nicht überschreiten. Um beide Anforderungen gleichzeitig erfüllen zu können, werden an der Wand aufgehängte Kassetten mit schmalbandig abgestimmten Membranabsorbern befestigt. Diese bedämpfen die tiefen Frequenzen und können je nach Anwendungsfall ein oder ausgebaut werden (Abb. 8.14).
8.1.4.4 Impedanzrohr Das Impedanzrohr nimmt eine Sonderstellung unter den Messgeräten ein. Lange Zeit war das Kundtsche Rohr das übliche Verfahren zum Messen des Schallabsorptionskoeffizienten von porösen Absorbern. Kundt benutze es 1866 zur Messung der Schallgeschwindigkeit. Mit einem Lautsprecher an einem Rohrende wird eine ebene Schallwelle einer bestimmten Frequenz erzeugt. Die Welle wird am gegenüberliegenden Rohrende durch den Abschluss reflektiert und überlagert sich mit der einfallenden Welle. Es bildet sich eine stehende Welle im Rohr, deren Stehwellenverhältnis n
pmax pmin
(8.3)
358
M. Scheinhardt
mit einem Mikrofon ausgemessen und der Absorptionskoeffizient =
8
4n 1 2n n2
(8.4)
bestimmt wird. Daher auch der Begriff „Stehwellenrohr“. Der im Impedanzrohr ermittelte Absorptionskoeffizient entspricht nicht dem Absorptionskoeffizient nach Sabine aus dem Hallraum oder der Alpha-Kabine ( = S )! Mit Entwicklung der digitalen Frequenzanalyse wurde das Verfahren geändert. Die Messung erfolgt nunmehr mit zwei ortsfesten Mikrofonen im Rohr. Statt einzelner Frequenzen, wird mit einem breitbandigem Rauschsignal angeregt. Es werden die komplexen akustischen Übertragungsfunktionen und daraus der Reflexions- und Absorptionsgrad des am Rohrende eingebauten Materials ermittelt. Obgleich Messungen mit diesem Verfahren viel schneller durchzuführen sind, bleiben die fundamentalen Unterschiede zur Alphakabinenmessung und damit die Nachteile bei der Absorptionsgradmessung. Die Messung liefert nur den Absorptionsgrad bei senkrechtem Schalleinfall, welcher in der praktischen Anwendung in der Fahrzeugakustik kaum Relevanz hat. Auerdem wird nur an sehr kleinen Proben gemessen. Diese sind bei inhomogenen Materialien (z. B. Mischfaservliese) nicht unbedingt repräsentativ für das gesamte Bauteil, und es handelt sich um eine zerstörende Prüfung. Impedanzrohrmessungen haben immer weniger Bedeutung in der praktischen Fahrzeugakustikentwicklung. Diese Nachteile bei den Absorptionsmessungen lassen sich aber als Vorteile für die Materialcharakterisierung und Bestimmung der Biot-Parameter ausnutzen. So kam es zu einer Weiterentwicklung des klassischen Impedanzrohrs, zum ELWIS-Messgerät ( Evaluation of Light Weight Impedance System) (Abb. 8.15). Die Schalldruckmessung wird durch 2 ortsfeste Positionen hinter der Probe erweitert. Die jeweiligen akustischen Transferfunktionen liefern die vollständige akustische Beschreibung
Abb. 8.15 ELWIS Impedanzrohr. (Quelle: Rieter Automotive Germany)
8
359
Messung und Analyse
Abb. 8.16 Prinzip ELWIS Impedanzrohr. (Quelle: Rieter Automotive Germany)
1 6 2
5
3
4
1 Mikrofone
4 Probe
2 Probenhalter
5 Spannsystem
3 Lautsprecher
6 Rohrabschluss
(Absorption, Reflexion, Transmission) der porösen Materialprobe (Abb. 8.16). Zusammen mit weiteren Probeninformationen (Materialtyp, Frequenzbereich, Konvergenz der Optimierung, …) werden die Parameter (Porenformfaktor, Tortuosität, Strömungswiderstand, …) zur analytischen Materialbeschreibung nach dem Biot-Allard-Modell für poröse Absorber ermittelt. Diese beschreiben das strukturelle Skelett und das Fluid, sowie deren kinetischen und thermischen Energieaustausch untereinander. Die mit diesen Parametern erstellten mathematischen Absorbermodelle werden zur analytischen Sound-Package-Optimierung in SEA- oder FE-Simulationen weiterverwendet. In dieser Form erfährt das Impedanzrohr eine Rainseance und wird für akustische Materialsimulationen unentbehrlich.
8.1.4.5 Dämmungsprüfstand Zur Messung der Luftschalldämmung von Materialien und Bauteilen werden bauakustische Dämmungsprüfstände eingesetzt. Man unterscheidet bzgl. der Probenausrichtung zwischen Fensterprüfständen (vertikale Probenanordnung) und Deckenprüfständen (horizontale Probenanordnung). Das Prinzip ist immer gleich. Zwei voneinander entkoppelte benachbart liegende Messräume (ein Senderaum und ein Empfangsraum) sind durch eine Öffnung miteinander verbunden. In diese wird das zu prüfende Material/Bauteil installiert und alle Schallnebenwege hermetisch abgedichtet (Abb. 8.17). Im Senderaum wird über Lautsprecher ein diffuses Luftschallfeld erzeugt. Üblicherweise wird ein breitbandiges, sog. „Weies Rauschen“ verwendet, weil es eine konstante Amplitude über der Frequenz hat. Im Empfangsraum wird die durch das Bauteil hindurchtretende Schallenergie gemessen und jener im Senderaum erzeugten Schallenergie ins Verhältnis gesetzt. Ergebnis ist die Luftschalldämmung ( Sound Transmission Loss STL). Das Verfahren mit 2 benachbarten Hallräumen (EN-ISO 140-3) erlaubt die Bestimmung des STL über der Frequenz. Das Verfahren mit einem Hallraum und einem Freifeldraum und Messung der Dämmung über die Schallintensität (EN ISO 15186-1) erlaubt zusätzlich noch Aussagen über die ortsabhängige Dämmungsverteilung des Bauteils.
360
M. Scheinhardt
8
Abb. 8.17 Bauakustischer Fensterprüfstand. (Quelle: Rieter Automotive Germany)
Mit einer Schallintensitätssonde werden punktweise Messungen senkrecht zur Messfläche aufgezeichnet. Jedem Messpunkt ist ein frequenzabhängiger Intensitätswert zugeordnet. Man erhält eine Intensitäts- bzw. Dämmungskartierung. Es eignet sich besonders für Bauteilmessungen. Wird z. B. eine Stirnwandisolation zwischen den beiden Räumen eingebaut (Abb. 8.18) und mittels Intensitätsmessung eine gleichmäige Verteilung von
Abb. 8.18 Stirnwand im Dämmungsprüfstand. (Quelle: Rieter Automotive Germany)
8
Messung und Analyse
361
Abb. 8.19 Messpunkte über der Stirnwand. (Quelle: Rieter Automotive Germany)
Abb. 8.20 Schallinten sitätskartierung über der Stirnwand. (Quelle: Rieter Automotive Germany)
Messpunkten über das Bauteil gelegt (Abb. 8.19), können lokale Dämmungsschwachstellen (dünnwandige Bereiche, Anbauteile, Durchbrüche, etc.) in Farbkartierungen dargestellt werden (Abb. 8.20).
8.1.4.6 ISOKELL Da bauakustische Dämmungsprüfstände gro und teuer in der Herstellung sind, haben sich noch weitere Verfahren zur Luftschalldämmungsmessung etabliert. Im Isokell (Abb. 8.21), ein verkleinerter Doppelhallraum, kann der STL an ebenen Materialproben und 3 dimensionalen Bauteilen analog EN-ISO 140-3 gemessen werden. Der Empfangsraum ist eine Alpha Kabine mit einer Probenöffnung im Boden. In diese Öffnung können Materialien oder ganze Bauteile (z. B. Stirnwand-, Bodenisolation, etc.) eingesetzt werden. In der
362
M. Scheinhardt
8
Abb. 8.21 ISOKELL. (Quelle: Rieter Automotive Germany) Abb. 8.22 Prinzip Isokell. (Quelle: Rieter Automotive Germany)
Anregungskammer wird über ein Lautsprecher-Array Luftschall erzeugt (Abb. 8.22). Gegenüber dem bauakustischen Dämmungsprüfstand hat der ISOKELL den Vorteil, dass er preiswerter und transportabel ist. Nachteilig ist der teilweise eingeschränkt nutzbare Frequenzbereich. Im Falle von Bauteilmessungen kann nur die Gesamtdämmung gemessen werden. Die örtliche Dämmungsverteilung über dem Bauteil (Dämmungskartierung) wird bei dieser Methode nicht ermittelt.
8
363
Messung und Analyse
8.1.4.7 Apamat Aus Gründen der Vereinfachung wird auf Materialebene oft mit Vergleichsmessungen aus kleinen Prüfständen (Apamat, kleine Kabine) gearbeitet. Der Apamat ermöglicht die Bestimmung der gesamten akustischen Wirksamkeit von Lärmbekämpfungsmaterialien bei kombinierter Luft- und Körperschallanregung. In der Erregerkammer werden Stahlkugeln durch zwei gegenläufig rotierende Gummiwalzen gegen ein Stahlblech katapultiert (Abb. 8.23), wodurch Luftschall (prasselndes Rauschen) und Körperschall (Blechschwingungen durch das Auftreffen der Kugeln) erzeugt wird. Eine typische Erregung in Fahrzeugen. Die zu untersuchenden Materialien werden auf das Blech aufgelegt. Im Empfangsraum wird der Schalldruckpegel des unbehandelten Blechs und des mit Material belegten Blechs gemessen, wobei das spektrale Verhältnis der beiden Messungen die Isolations- und Dämpfungswirkung des Materials beschreibt. Die kleine Kabine ist ähnlich aufgebaut, jedoch wird in der Erregerkammer anstatt der Körperschallanregung mit Kugeln nur ein Luftschallfeld mit Lautsprechern erzeugt. In beiden Fällen wird anstatt der Luftschalldämmung STL, nur die Einfügedämmung des Materials bestimmt. Innerhalb eines Messgerätes sind die Ergebnisse relativ zueinander vergleichbar. Die Einfügedäm-
Empfangskammer
Probe
Anregungskammer
Walzen
Abb. 8.23 Prinzip Apamat. (Quelle: Rieter Automotive Germany)
364
H. Sell
mung ist jedoch im Gegensatz zu dem STL aus den bauakustischen Prüfständen oder dem Isokell kein absoluter Dämmwert und kann dementsprechend nicht in SEA Fahrzeugmodellen weiterverarbeitet werden.
8.2 Transfer-Pfad-Analysen Hendrik Sell, Vibracoustic GmbH & Co. KG
8
8.2.1 Einführung Ziel einer Transfer-Pfad-Analyse ist die Identifizierung der dominierenden Transfer-Pfade für ein Geräuschereignis. In den meisten Fällen wird eine solche Analyse aufgrund einer gewünschten Störgeräuschreduktion durchgeführt. Seit einigen Jahren wird diese Methode zudem verstärkt für Sound Design eingesetzt. Die Ergebnisse einer Transfer-Pfad-Analyse werden genutzt, um sich den Einfluss von Modifikationen anzuhören oder in Form von Diagrammen anzusehen. Die Berechnung der Modifikationen erfolgt dann durch eine Transfer-Pfad-Synthese. Sowohl für die Transfer-Pfad-Analyse als auch für die TransferPfad-Synthese sind eine ganze Reihe von kommerziellen Hard- und Software Produkten verfügbar. Transfer-Pfad-Analysen werden in der Regel für die Untersuchung von Innenraumgeräuschen angewendet. Die Methode lässt sich aber in gleicher Weise auch für die Analyse von Vibrationsproblemen nutzen. Für die Störgeräuschreduktion ist zunächst zu klären, ob die kritische Übertragung in den Innenraum über Luftschall-Pfade, Körperschall-Pfade oder aus einer Mischung von beiden erfolgt. Bei den nachfolgend ausführlich beschriebenen Sender-Empfänger-Methoden können sehr groe Datenmengen auftreten. Es ist daher ratsam alle vorab vorhandenen Informationen zu nutzen, um das Analysemodell, also die Anzahl der Transfer-Pfade, möglichst gering zu halten. Wie bei allen Modellbildungen besteht auch hier die Kunst des Anwenders darin, das Modell so klein wie möglich zu wählen, ohne aber relevante Anteile zu vernachlässigen. Nachfolgend wird eine ganze Reihe von Transfer-Pfad-Methoden vorgestellt, die historisch zu unterschiedlichen Zeiten mit unterschiedlichen Möglichkeiten der Signalaufzeichnung und -analyse entstanden sind. Je nach Zielsetzung werden jedoch alle Methoden noch eingesetzt, da sie verschiedene Gewichtungen zwischen Aufwand und Aussagegenauigkeit aufweisen.
8.2.2 Abkoppel-Methode In den 80er-Jahren war es Stand der Technik und üblich in der Anwendung, das Verfahren zur Einzelankopplung von Übertragungselementen zu verwenden (Bathelt 1981).
8
Messung und Analyse
365
Dabei wird z. B. der Motor vollständig von der Karosserie getrennt und von diesem Zustand ausgehend die Erhöhung des Innengeräuschpegels durch ein einzeln angekoppeltes Motorlager gemessen. Die Simulation realistischer Last- und Fahrbedingungen im Labor erfordert sehr teure bauliche Einrichtungen wie einen Rollenprüfstand in einem schallarmen Raum mit geräuscharmer Kühlung bei gleichzeitig hohem Luftdurchsatz. Trotz des hohen Aufwandes bleiben drei verfahrensbedingte Mängel bestehen (Bathelt 1980, 1981): • die geringe Auflösung der Messungen bei zu niedrigen Pegeln durch den luftschallbedingten Innengeräuschpegel im abgekoppelten Zustand, • die unterschiedlichen Fahrbedingungen bei Einzelankopplung auf der Rolle im Vergleich zur Strae, • die Veränderungen des Fahrzeugs durch die erforderlichen mechanischen Eingriffe beim Abkoppeln. Bathelt zeigt, dass trotz sorgfältiger Ausschaltung aller vermeidbaren Fehler weder Ausgangs- noch Rückmessung des kompletten Fahrzeugs vor und nach der Analyse noch die berechnete Summe aus allen ermittelten Einzelanteilen im gewünschten Mae übereinstimmen (Bathelt 1981). Wie auch bei der nachfolgend vorgestellten Methode der Steifigkeitsvariation gibt es bei der Abkoppel-Methode keine Aussagen zu den relevanten Raumrichtungen der Körperschallübertragung.
8.2.3 Methode der Steifigkeitsvariation Die einfachste Art einer Transfer-Pfad-Analyse besteht darin, elastische Lagerungen mit geänderten Steifigkeiten einzubauen und die Veränderung des Innenraumschalldruckpegels aufgrund dieser Manahme zu messen (Bathelt 1980). Als Hauptüberträger lassen sich jene Verbindungselemente erkennen, bei denen der Innenraumpegel am stärksten auf Steifigkeitsänderungen reagiert. Um die Unterschiede deutlicher zu machen, können spezielle Lagerelemente, z. B. mit einer Zwischenmasse, eingesetzt werden, die besonders stark isolieren. Die Vorteile des Verfahrens liegen in seiner Einfachheit und dem geringen messtechnischen Aufwand. Nachteile des Verfahrens sind die geringe Auflösung, fehlende Einsicht in das Zusammenspiel der einzelnen Überträger und fehlende Richtungsinformationen der Körperschallübertragung an den einzelnen Lagerorten. Letzteres verhindert eine gezielte Weiterentwicklung der Lagerelemente.
8.2.4 Multi-Kohärenz-Methode Im Gegensatz zu den zuvor genannten Methoden sind bei der Multi-Kohärenz-Methode keine Veränderungen am Fahrzeug notwendig. Es erfolgt eine Quantifizierung der einzelnen Übertragungsstrecken mit Hilfe der Kohärenzfunktion (Helber u. Krämer 1993). Die grundlegenden mathematischen Betrachtungen stammen von Bendat, Piersol und Natke
366
8
H. Sell
(Bendat u. Piersol 1980; Natke 1992). Bei dieser Methode werden quellennahe Schallund Schwingungssignale als Eingangsgröen und Schalldruckpegel im Innenraum als Antwortgröen betrachtet. Unter der Voraussetzung, dass die Eingangsgröen statistisch voneinander unabhängig sind, kann mit Hilfe der Kohärenzfunktion zwischen Eingangsund Ausgangssignalen der jeweils verursachte Beitrag zum Gesamtschalldruck ermittelt werden. Der messtechnische Aufwand ist relativ gering, da alle Signale zeitgleich am kompletten Fahrzeug gemessen werden können. In der Praxis kann die Multi-Kohärenz-Methode nicht bei allen Fragestellungen eingesetzt werden, da z. B. beim Motor die Signale an den Koppelpunkten zur Karosserie stark kohärent sind. Rollgeräuschanteile der einzelnen Räder sind niederfrequent meist teilkohärent und nur hochfrequent wenig kohärent. Die Genauigkeit der Berechnung nimmt mit zunehmender Kohärenz ab. Bei teilkohärenten Systemen kann es zu Fehlinterpretationen kommen (Natke 1992). So wird bei Rollgeräuschuntersuchungen die erste Reifenordnung überbewertet, alle weiteren Anregungen unterbewertet. Eine weitere Fehlerquelle besteht darin, dass zwischen Eingangssignalen eine starke Kopplung besteht. Vor der Hauptmessung sollte daher die Kohärenz der Eingangssignale zueinander bestimmt werden. Gut geeignet ist die Methode, wenn z. B. unterschieden werden soll, welche Innenraumgeräuschanteile vom Motor und welche vom Reifen-Fahrbahn-Kontakt verursacht werden, da diese Anregungen voneinander statistisch unabhängig sind.
8.2.5 Sender-Empfänger-Methoden Die Gruppe dieser Methoden wurde bisher meist als Übertragungsfunktionen-Methoden bezeichnet. In den letzten Jahren hat jedoch die Zeitbereichsmodellierung stark zugenommen, bei der die Übertragungsstrecken nicht durch Übertragungsfunktionen sondern meist durch FIR-Filter abgebildet werden. Die Bezeichnung Sender-Empfänger-Methoden steht nun also für frequenz- und zeitbereichsbasierte Methoden.
8.2.5.1 Frequenzbereichs-Methoden Die Transfer-Pfad-Analyse auf Basis von Übertragungsfunktionen wurde von Bathelt eingeführt (Bathelt 1980, 1981). Ziel ist, unabhängig von den stochastischen Zusammenhängen der Eingangssignale, detaillierte Aussagen über die dominanten Transfer-Pfade zu bekommen, ohne bauliche Änderungen am Fahrzeug vornehmen zu müssen. Mittlerweile wurde diese Methode ausführlich erprobt und angewandt (Verheij 1982; Olatunbosun 1995). Übersichtliche Darstellungen der Methode stammen von LMS oder Sell (LMS 1995b; Sell 1998). Sehr detailliert wurde die Übertragungsfunktionen-Methode in dem EU-Forschungsprojekt DIANA untersucht (LMS 1995a; Hermanski 1995). Erweiterungen für Luftschall-Pfade werden von Verheij (Verheij 1982) für maritime Anwendungen und von Koners, Bohineust und Maruyama für Automobilanwendungen vorgestellt und angewandt (Koners 1996; Bohineust et al. 1996; Maruyama 1997).
8
367
Messung und Analyse
Abb. 8.24 Virtueller Freischnitt bei den SenderEmpfänger-Methoden
H1
p
H2
F1
F2
F1
F2
Für Körperschall-Pfade wird die Karosserie durch ein System aus linearen Beziehungen zwischen vielen Eingängen, den Körperschalleinleitungspunkten und ein oder mehreren Ausgängen, den Mikrofonsignalen, abgebildet (Abb. 8.24). Diese Beziehungen werden durch vibroakustische Übertragungsfunktionen H beschrieben, die das Verhältnis von angeregtem Schalldruck am Mikrofonpunkt zur anregenden Kraft am Einleitungspunkt wiedergeben. Jede Übertragungsfunktion steht für einen Übertragungspfad. Um den Teilschalldruck eines Pfades zu bestimmen, muss die Übertragungsfunktion mit der Betriebskraft an der Einleitungsstelle multipliziert werden. pi = H i F i
(8.5)
Der rechnerische Gesamtschalldruck wird durch energetische p
p2i
(8.6)
i
oder phasenkorrekte p
pi
(8.7)
i
Superposition der Teilschalldrücke berechnet. Messtechnisch sind rotatorische Freiheitsgrade schwierig zu untersuchen. Dies liegt am Fehlen von passenden Systemerregungen und geeigneten Sensoren. Wolde, Ivarsson und Sanderson stellen Sensoren für die Beschleunigungsmessung aller sechs Freiheitsgrade vor und untersuchen diese (Wolde et al. 1975; Ivarsson u. Sanderson 2000a). Das Vorgehen zur direkten Messung von rotatorischen Freiheitsgraden wird von Sanderson beschrieben (Sanderson 1995a,b) beschrieben. Sehr umfangreich ist es in dem EUForschungsprojekt QUATTRO untersucht worden (LMS 2000). Da die Erregung einzelner Freiheitsgrade oft kaum umsetzbar ist, stellen Ivarsson und Sanderson eine Multiple Input Multiple Output (MIMO)-Methode vor, bei der die komplette Mobilitätsmatrix auf einmal bestimmt werden kann (Ivarsson u. Sanderson 2000b). Dabei wird auch sicher-
368
H. Sell
gestellt, dass die Matrix symmetrisch ist und die Reziprozitätsbeziehungen gelten. Der Einfluss von rotatorischen Freiheitsgraden hängt immer vom untersuchten System ab. Für Pkw wurden die Einflüsse im EU-Forschungsprojekt DIANA betrachtet (Hermanski 1995; LMS 1995a). Aufgrund der genannten Schwierigkeiten werden meist nur translatorische Freiheitsgrade untersucht. Nachfolgend wird detailliert auf die einzelnen Schritte der ÜbertragungsfunktionenMethoden für die Körperschall-Analyse eingegangen. Anregungskraft-Spektren Der Einsatz von gängigen Kraftaufnehmern zwischen Karosserie und schwingungsisolierenden Lagern zur Direktmessung der Kräfte im Fahrbetrieb scheitert in der Regel aus Gründen mangelnden Bauraums (Helber u. Krämer 1993). Daher wurden mehrere Verfahren zur indirekten Kraftmessung entwickelt.
8
Steifigkeits-Methode Die Steifigkeitsmethode nutzt das Hookesche Federgesetz, welches die Kraft F in Abhängigkeit der Federsteifigkeit c und der Federauslenkung x beschreibt. F = c · x
(8.8)
Bei der Steifigkeitsmethode werden die Wege der Lagerauslenkungen aus Betriebsmessungen bestimmt. Dazu werden Betriebsbeschleunigungen auf beiden Lagerseiten gemessen und im Frequenzbereich voneinander subtrahiert und zweifach integriert. x S steht für die Beschleunigung an der dem Sender zugewandten Lagerseite, x E für die Beschleunigungen an der dem Empfänger zugewandte Seite. x =
x¨ S x¨ E ( j)2
(8.9)
Im Labor werden die dynamischen Transfer-Steifigkeiten c der Lager bestimmt. Bathelt arbeitet Anfang der 80er-Jahre mit einer Schrittsinus-Anregung (Bathelt 1980, 1981). Die fortschreitende Entwicklung der Digitalrechner ermöglicht in den 90er-Jahren auch den Zeit sparenden Einsatz von Rauschanregungen (Helber u. Krämer 1993). Durch Multiplikation der frequenzabhängigen Lagersteifigkeit mit dem Anregungs-Wegspektrum lässt sich das gesuchte Kraftspektrum berechnen. Eine übersichtliche Darstellung der Steifigkeitsmethode liefert LMS (LMS 1995a,b). Inertanz-Methode Bei der Inertanz-Methode werden zur Kraftbestimmung die Eingangs-Inertanz H der Empfängerstruktur und die Betriebsbeschleunigung x E an der Empfängerstruktur verwendet. Diese Methode bietet den Vorteil, dass auch starre Verbindungen untersucht werden können (O’Hara 1967; Bathelt 1981). LMS und Koners gehen auf die Anwendung der Methode ein (LMS 1995b; Koners 1996). Die Methode basiert auf den folgenden beiden Grundgleichungen. Im Laborversuch werden die Eingangs-Inertanzen an den Koppelpunkten aus der Beschleunigungsantwort in Folge einer Kraftanregung bestimmt. H
x¨ FA
(8.10)
8
369
Messung und Analyse
Mit den Betriebsbeschleunigungen aus dem Fahrzeugversuch lassen sich dann die Betriebskräfte bestimmen. Die Übertragungsfunktionen, die die Inertanzwerte angeben, werden invertiert und mit den Spektren der Betriebsbeschleunigungen multipliziert, um das gesuchte Kraftspektrum zu berechnen. F = H 1 · x¨ E
(8.11)
Da die Betriebsbeschleunigungen auch durch Luftschall-Anregung verursacht werden können, kann es zu einer Überschätzung von einzelnen Pfaden kommen. Kann es zu mechanischen Kopplungen zwischen unterschiedlichen Raumrichtungen oder zwischen Lagerpunkten kommen, müssen alle Kreuzinertanzen gemessen werden. Die Kreuzinertanzen zwischen den Krafteinleitungsstellen 1 … N und den Antwortbeschleunigungen 1 … M werden definiert als
Hmn =
x¨ 1 F A1
x¨ M F A1
x¨ 1 F AN
x¨ M F AN
(8.12)
Abbildung 8.25a zeigt die Anregungskräfte F A und Antwortbeschleunigungen x , die zur Bestimmung der voll besetzten Inertanzmatrix notwendig sind. Für die gesuchten Betriebskräfte ergibt sich mit den Bezeichnungen aus Abb. 8.25b F1 = FN
x¨ 1 F A1
x¨ M F A1
···
1 x¨ E1 · x¨ EM
x¨ 1 F AN
x¨ M F AN
(8.13)
a
1
x� 3
x� 2 x� 1 F A2
F A3
x� 6
1
x� 4 F A5 F A4
x� E 3
x� E 2 x� E 1
F3
F2 F1
x� 5
F A6
F A1
b
Abb. 8.25 a Labormessung und b Betriebsmessung für die Inertanz-Methode
2
2
x� E 6
x� E 5 x� E 4 F5
F6 F4
370
8
H. Sell
Bei einer Fahrwerksuntersuchung mit 20 Transfer-Pfaden müssten maximal 400 InertanzÜbertragungsfunktionen gemessen werden. Diese lassen sich in Form einer Übertragungsfunktionen-Matrix darstellen. Durch die Reziprozitätsbeziehung bei linearen passiven Systemen müssen die Nebendiagonalelemente symmetrisch sein. Es sollten aber dennoch alle Übertragungsfunktionen gemessen werden, damit ein Qualitäts- bzw. Linearitätstest durchgeführt werden kann. Queckenberg zeigt, wie es durch den so genannten Pin-Effekt zu Differenzen zwischen den Nebendiagonalelementen kommen kann (Queckenberg 1998). Der Aufwand der Übertragungsfunktionsbestimmung wächst quadratisch mit der Anzahl von Pfaden. Die Kraftanregung im Laborversuch wird üblicherweise per Impulshammer oder elektrodynamischem Schwingungserreger durchgeführt. Olbrechts untersucht den Einfluss der verwendeten Schwingungserreger auf die Inertanzen (Olbrechts et al. 1996). Die Invertierung der Übertragungsfunktionen führt in der Praxis häufig zu mathematischen Problemen, wenn das Gleichungssystem schlecht konditioniert ist. Eine Singulärwertzerlegung mit anschlieender Streichung der kleinsten Singulärwerte kann zu einer Verbesserung der Lösung führen. Lewit geht sehr detailliert auf die inverse Kraftbestimmung ein (Lewit 1995). Fingberg stellt eine Lösung für schlecht zugängliche Punkte und ein Verfahren zur Verbesserung der Ergebnisqualität durch Hinzunahme von Messpunkten ohne Krafteinleitung vor (Abb. 8.26), (Fingberg 1994). Für die Anregungs- und Messpunkte 1 bis 3 gelten folgende Randbedingungen: 1. Möglichkeit zur Kraftanregung und zur Messung von Beschleunigungen 2. Nur Messung von Betriebsbeschleunigungen möglich 3. Kraftanregung und Beschleunigungsmessung möglich – keine Betriebskräfte Für den Laborversuch (vgl. Abb. 8.26a) lässt sich schreiben
x¨ 1 H 11 x¨ 2 = H 21 x¨ 3 H 31
H 12 H 22 H 32
F A1 H 13 H 23 F A2 H 33 F A3
(8.14)
a
1
x� 1
3
x� 3
2
x� 2
FA 1
FA 3
(FA 2)
1 x� E 1
3 x� E 3
2 x� E 2
F3 = 0
F2
b
Abb. 8.26 a Labormessung und b Betriebsmessung für die Inertanz-Methode mit Zusatzpunkten
F1
8
371
Messung und Analyse
Unter Berücksichtigung von F A2 0 lassen sich aus dem Laborversuch die Inertanzen H 11, H 21, H 31, H 13, H 23 und H 33 bestimmen. Für die Betriebsmessung lässt sich mit F 3 0 schreiben: H 11 x¨ E1 x¨ E2 = H 21 x¨ E3 H 31
H 12 F1 H 22 F2 H 32
(8.15)
Mit den Reziprozitätsbeziehungen H 21 H 12 und H 23 H 32 lässt sich die Gleichung nach den gesuchten Kräften umformen. Die benötigten Inertanzen werden, teilweise unter Ausnutzung der Reziprozitätsbedingung, aus dem Laborversuch gewonnen.
F1 F2
=
H 11 H 31
H 21 H 23
1 x¨ E1 · x¨ E3
(8.16)
Die Betriebskraft F 2 am Ort „2“ wird also durch die Betriebsbeschleunigung x E3 am Ort „3“ bestimmt. Mit zusätzlichen Beschleunigungsmessungen an Orten ohne Krafteinleitung lässt sich die Ergebnisqualität überprüfen oder verbessern (Fingberg 1994). Zur Qualitätsüberprüfung werden die Kräfte auch an den Zusatzpunkten bestimmt. Bei idealen Messungen müsste die Summe aller Kräfte an den Zusatzpunkten Null ergeben. Die Randbedingung der sich zu Null ergebenden Kräfte an den Zusatzpunkten kann auch in das Gleichungssystem eingesetzt werden. Es ergibt sich dann ein überbestimmtes Gleichungssystem. In der Lösung wird dadurch der Einfluss der immer vorhandenen Messfehler minimiert. Vibroakustische Transferfunktionen Die Transferfunktionen können berechnet, gemessen oder von Vorgängermodellen zu Abschätzungszwecken übernommen werden. Die gewünschte Berechnung mit FE-Modellen ist beim Pkw bis ca. 200 Hz möglich. Mit aufwändiger Modellierung lässt sich der Frequenzbereich zu höheren Frequenzen hin erweitern. Die stark ansteigende Modendichte in der Metallstruktur, der gröer werdende Einfluss der Innenausstattung, die akustischen Imperfektionen der Akustik-Ausstattung und die bei realer Fertigung auftretenden Streuungen begrenzen den sinnvoll berechenbaren Frequenzbereich (Wood u. Joachim 1984). Zur direkten Messung der Transferfunktionen wird an den Koppelpunkten mit einem Impulshammer oder einem elektrodynamischen Schwingungserreger mit Kraftmessdose angeregt und der Schalldruck im Fahrzeuginnenraum gemessen. Mit Hilfe eines FFT-Analysators können dann die komplexwertigen Übertragungsfunktionen bestimmt werden (Bathelt u. Bösenberg 1976; LMS 1995b). In der Praxis treten bei diesem Verfahren häufig Schwierigkeiten auf. Durch die intensiv genutzten Bauräume ist eine Erregung nicht an jedem Koppelpunkt des Fahrzeugs in jeder Raumrichtung möglich. Aus diesem Grunde werden die Transferfunktionen häufig reziprok gemessen. Wolde et al. dokumentieren die Basis dieser Messmethode (Wolde 1973; Wolde et al. 1975). Anwendungen zeigen Verheij, Helber und Krämer (Verheij 1982; Helber u. Krämer 1993). Es wird im Innenraum des Fahrzeugs an den eigentlichen Empfängerpositionen ein Schall-
372
8
H. Sell
feld erzeugt. Die Schwingungsantworten werden an den Koppelpunkten gemessen. So können bei Platzknappheit an den Koppelpunkten kleine dreiachsige Beschleunigungssensoren eingesetzt werden. Zudem lassen sich nun alle Transferfunktionen zu einer Mikrofonposition gleichzeitig messen. Helber und Fahy geben einen umfassenden Überblick über reziproke Messverfahren in der Vibroakustik (Helber 1998; Fahy 2003). In Sottek et al. (2003) wird ein binauraler Schallsender zur reziproken Bestimmung der Transferfunktionen vorgestellt. Wird die Innenraumakustik eines Fahrzeugs analysiert, repräsentieren die vibroakustischen Transferfunktionen die komplette Strecke zwischen dem Körperschall-Einleitungspunkt und dem Luftschall-Empfängerpunkt im Innenraum. Welche Flächen an der Abstrahlung des Luftschalls in den Innenraum beteiligt sind, lässt sich so nicht berechnen. Für die Bestimmung der relevanten Abstrahlflächen wird im nachfolgenden Kapitel die „Panel Contribution Analyse“ (s. Abschn. 8.3) vorgestellt. Teil- und Gesamtschalldruck Mit den vorgestellten Methoden können die AnregungsKraftspektren und die vibroakustischen Transferfunktionen bestimmt werden. Gemä Gl. 8.5 ergibt sich der Teilschalldruck eines jeden Transfer-Pfades aus dem komplexwertigen Produkt von Kraftspektrum und Transferfunktion. Ein Teilschalldruck repräsentiert den Anteil des Schalldrucks am Empfängerpunkt, der über einen Pfad eingeleitet wird. Er könnte beispielsweise den Schallanteil charakterisieren, der durch das rechte Motorlager in Hochrichtung eingeleitet wird. Abbildung 8.27 zeigt beispielhaft eine kompakte Ergebnisdarstellung einer FahrwerksTransfer-Pfad-Analyse. Jede der 20 Zeilen kennzeichnet den Verlauf des Schalldruckbetra-
Abb. 8.27 Teilschalldruckpegel von 20 Transfer-Pfaden in Abhängigkeit von der Frequenz
8
373
Messung und Analyse
ges eines Transfer-Pfades über die Frequenz. Die Legende an der rechten Seite ermöglicht eine Zuordnung zwischen den Farbtönen im Bild und den dargestellten Schalldruckpegeln. In der unteren Bildhälfte ist ein gemessenes Mikrofonsignal dem Teilschalldruck des auffälligen Pfades 8z gegenübergestellt. Dieser Pfad beschreibt den über ein Längslenkerlager in Z-Richtung übertragenen Schalldruckanteil, der deutliche Überhöhungen zwischen 100 und 180 Hz aufweist. Diese Art der Darstellung liefert einen guten Ergebnis-Überblick. Kritische Frequenzen und Pfade können schnell identifiziert werden. Es ist jedoch zu beachten, dass nur der Betrag der Teilschalldrücke visualisiert wird. Eine Information über die Phasenlagen der Teilschalldrücke zueinander ist nicht ersichtlich. Daher können mögliche Auslöschungseffekte durch gegenphasige Schwingungen aus dieser Darstellung nicht erkannt werden. Ziel einer Transfer-Pfad-Analyse ist es, die kritischen Transfer-Pfade zu ermitteln. Gezielte Modifikationen an diesen Pfaden sollen dann zur Problemlösung führen. Zur Detektion der kritischen Transfer-Pfade sollten die Phasenlagen der Teilschalldrücke zueinander berücksichtigt werden. Von jedem Transfer-Pfad sollte nun nicht der Gesamtbetrag berücksichtigt werden, sondern nur der Anteil in Richtung des Gesamtschalldrucks. Mathematisch ausgedrückt sollte nur der auf den Gesamtschalldruck projizierte Anteil der Teilschalldrücke Eingang in die Berechnung finden. Da die projizierten Anteile der Teilschalldrücke alle die gleiche Phasenlage haben, lässt sich nun auch ein prozentualer Anteil des Teilschalldrucks am Gesamtschalldruck angeben. Für die Darstellung der projizierten Teilschalldruckanteile lässt sich wieder die Darstellungsform, wie in Abb. 8.27 gezeigt, nutzen. Die komplexwertige Addition der einzelnen Teilschalldrücke wird für einzelne Frequenzen häufig wie in Abb. 8.28a oder b visualisiert. Die Beträge der Teilschalldrücke werden linear und nicht als Pegelwert eingetragen. In diesem Beispiel sind vier Teilschalldrücke, mit „1“ bis „4“ bezeichnet, und der resultierende Gesamtschalldruck „R“ in die Diagramme eingetragen. Die rechte Darstellungsform zeigt die graphische Addition der komplexen Werte. Der Graph in Abb. 8.28a lässt sich etwas besser interpretieren. Durch die konzentrischen Kreise lässt sich der Betrag eines jeden Teilschalldrucks leicht
a
b
Pa
Pa 2
1 1
3 Pa
2
3
4
R
Pa R
4
Abb. 8.28 a, b Polardiagramme zur Darstellung der komplexwertigen Teilschalldrücke
374
ablesen. Zudem ist nun auch die zuvor angesprochene Projektion der Teilschalldrücke auf den Gesamtschalldruck, hier schwarz gezeichnet, optisch leicht möglich. In diesem Beispiel stehen die gröten Teilschalldrücke „1“ und „3“ fast rechtwinklig zum Gesamtschalldruck. Der relevante, also projizierte Schalldruckanteil ist hier vernachlässigbar klein. Durch ihre entgegengesetzte Phasenlage löschen sich die Pfade „1“ und „3“ fast komplett aus. Der Anteil des Transfer-Pfades „4“ geht fast vollständig in den Gesamtschalldruck ein. Im Sinne einer Problemlösung sollte der Beitrag dieses Pfades reduziert werden. Für auffällige Frequenzen im Gesamtschalldruck, gemessen oder aus den Teilschalldrücken berechnet, ist eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse möglich. Bisher wurden nur die Teilschalldrücke dargestellt. Da die Teilschalldrücke als Produkt von Anregungskraft und vibroakustischer Transferfunktion berechnet werden, können beide Eingangsgröen für einen hohen Beitrag eines Teilschalldrucks ursächlich sein. Abbildung 8.29 zeigt nicht nur das Produkt (Teilschalldruck), sondern auch die Faktoren Anregungskraft und vibroakustische Transferfunktion, im Bild „LSE“ für den synonymen Begriff Luftschall-Empfindlichkeit genannt. Die dunkelgrauen Balken repräsentieren die Teilschalldrücke der einzelnen TransferPfade. Lediglich die beiden dunkelgrauen Balken ganz rechts stehen für den gerechneten und gemessenen Gesamtschalldruck. Die Berechnung findet hier komplexwertig, also unter Berücksichtigung der Phasenlage statt. Zusätzlich ist in der Darstellung der Anregungs-Kraftpegel schraffiert und der Betrag der Transferfunktion als Pegel in Hellgrau eingetragen. Die beiden gröten Teilschalldrücke kommen über die Pfade „Lager 2 x“ und „Lager 3 x“ und sind in etwa gleich gro. Die Faktoren sind jedoch unterschiedlich gro: Bei dem Pfad „Lager 2 x“ ist die Anregungskraft ca. 10 dB gröer als beim Pfad „Lager 3 x“. Dafür hat dieser Pfad eine 10 dB höhere Empfindlichkeit (Betrag der vibroakus-
80 Kraft [dB-Ref. 1e-2N]
LSE [dB-Ref. 3e-4 Pa/N]
Teil- / Gesamtschalldruckpegel
70 60 50 dB 40 30
Abb. 8.29 Detaildarstellung zu den Transfer-Pfaden bei einer Frequenz
Lager 8 z
Lager 8 y
Lager 8 x
Lager 7 z
Lager 7 y
Lager 7 x
Lager 6 z
Lager 6 y
Lager 6 x
Lager 5 z
Lager 5 y
Lager 5 x
Lager 4 z
Lager 4 y
Lager 4 x
Lager 3 z
Lager 3 y
Lager 3 x
Lager 2 z
Lager 2 y
Lager 2 x
Lager 1 z
Lager 1 y
10
gerechnet gemessen
20
Lager 1 x
8
H. Sell
8
375
Messung und Analyse
tischen Transferfunktion). Bei Überhöhungen im Gesamtschalldruckpegel kann folglich unterschieden werden, ob es sich primär um ein Anregungs- oder Übertragungs-Problem handelt. Im ungünstigsten Fall sind beide Beiträge gro. Vierpol-Modellierung Die Vierpol-Methode stellt eine Erweiterung der Steifigkeitsmethode dar und wurde von Helber und Krämer vorgestellt (Helber u. Krämer 1993)1. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die Lagerelemente nun als Vierpole und nicht nur als idealisierte Federn abgebildet werden. Dadurch können Masseneffekte, Isolationseinbrüche durch Kontinuumschwingungen innerhalb der Lagerelemente und Kopplungen zwischen Lagern und Karosserieeingängen berücksichtigt werden. Die obere Frequenzgrenze für Motorlageruntersuchungen kann damit beispielsweise von ca. 400 Hz bis in den Kilohertzbereich verschoben werden. Weitere Hinweise in der Literatur liefern Sell und Hofmann (Sell 2000; Hofmann 2003). Sell geht sehr detailliert auf die Herleitung der Methode und die Bestimmung von Vierpol-Parametern ein (Sell 2004). Um die vielfältigen Möglichkeiten der Vierpolmodellierung zu verdeutlichen, wird nachfolgend auf die Transfer-Pfad-Analyse von Körperschall näher eingegangen. So wird im Folgenden ein mechanischer Vierpol genutzt, um das dynamische Verhalten eines kompakten Isolationselementes abzubilden. Ein weiterer Vierpol beschreibt das vibroakustische Verhalten der kompletten Fahrzeug-Karosserie. Auf diese Weise kann das Bauteilverhalten innerhalb des Gesamtsystems untersucht werden. Im Gegensatz zu der normalerweise angewandten Übertragungsfunktionen-Methode, die auch in Form von kommerzieller Software verfügbar ist, berücksichtigt die VierpolMethode sowohl das nicht ideale Verhalten der Bauteile als auch Kopplungseffekte zwischen den Subsystemen. Dadurch lässt sich speziell für höhere Frequenzen die Modellgüte deutlich erhöhen. Des Weiteren bietet die Beschreibung der isolierenden Lager und der Karosserie als Vierpol den Vorteil, dass die mechanischen Gröen wie Kraft und Auslenkung zwischen den beiden Elementen nicht explizit gemessen werden müssen. Die Ausgangsgröen der Lager werden zu den Eingangsgröen der Karosserie und tauchen nur in der mathematischen Herleitung des Gesamtvierpols auf. Modellierung der Körperschallpfade Ein Körperschallpfad wird durch eine Serienschaltung von Lager- und Karosserie-Vierpol beschrieben. Die Eingangs-Steifigkeit k L11 , Ausgangs-Steifigkeit k L22 und Transfer-Steifigkeiten k L12 und k L21 sind definiert über:
F1 F2
=
k L11 k L21
k L12 k L22
u1 u2
(8.17)
Der in Abb. 8.30b gezeigte Vierpol setzt die mechanischen Eingangsgröen mit den akustischen Ausgangsgröen der Karosserie in Verbindung. p3 steht für den Schalldruck am Empfänger-Ort, q3 für den Schallfluss. Je Pfad entsteht ein Vierpol, der die KörperschallAnregung an einer bestimmten Stelle der Karosserie in einer bestimmten Richtung mit den akustischen Gröen des Innenraum-Schallfeldes an einer bestimmten Stelle verbindet.
1
In dieser Veröffentlichung ist bei Abb. 2 ein Druckfehler aufgetreten: Im letzten Gleichungsterm sind z1 und z2 vertauscht.
376
H. Sell
Abb. 8.30 Vierpole für a Lager und b Karosserie eines Körperschallpfades
F1
p3
F2 F 2 Karosserie
Lager
q
u2 u2
u1
a
3
b
Nach Helber und Krämer wird die Karosserie vorteilhaft durch einen symmetrischen Vierpol in Hybridform beschrieben (Helber u. Krämer 1993): q3 p3 hK hK 11 12 (8.18) = K hK u2 F2 21 h22
8
Zwei Elemente der so entstehenden Hybridmatrix sind von besonderer Bedeutung: Das Element hK 12 wird oft Luftschall-Empfindlichkeit (LSE), body noise transfer function oder mechano-akustische Übertragungsfunktion genannt und gibt das Verhältnis von erzeugtem Schalldruck zu anregender Kraft an. p3 hK : (8.19) 12 F 2 q 0 3
Diese mechano-akustische Übertragungsfunktion berücksichtigt in diesem Beispiel das Verhalten der Karosserie, der Innenverkleidung und des Luftvolumens in der Fahrgastzelle. Sie setzt somit die Körperschall-Gröen am Eingang mit den Luftschall-Gröen am Ausgang ins Verhältnis. Die Eingangs-Nachgiebigkeit der Karosserie wird durch das Element hK 22 beschrieben. Die Randbedingung q3 0 sagt aus, dass sich keine Schallquelle im Fahrzeuginnenraum befindet. u2 hK : (8.20) 22 F 2 q 0 3
Eine hohe Nachgiebigkeit in einzelnen Frequenzbändern weist auf strukturbedingte Eigenfrequenzen der Karosserie hin. Der Gesamt-Vierpol von Lager und Karosserie (s. Abb. 8.31) ergibt sich durch die Multiplikation der Kettenmatrix des Lagers mit der symmetrischen Kettenmatrix der Karosserie zu G = AL AK
(8.21) F2
F1
F2
KL u1
p3 HK q3
u2
u2
Abb. 8.31 Reihenschaltung der Vierpole von Lager und Karosserie
8
377
Messung und Analyse
mit
G=
k L11 + K L hK 22
k L21 hK 12
1 + k L22 hK 22 k L21 hK 12
L K k L11 hK 11 + K H
k L21 hK 12
L K hK 11 + k 22 H
k L21 hK 12
.
(8.22)
Für das gesamte System folgt daraus
F1 u1
= G
p3 q3
, mit G =
g 11 g 21
g 12 g 22
(8.23)
Befindet sich keine zusätzliche Schallquelle im Fahrzeug, gilt q3 0 und somit F 1 g 11 p3
u1 g 21 p3
(8.24)
q3 0
(8.25)
q3 0
Anhand der Gln. (8.24) und (8.25) lässt sich erkennen, dass nur eine Eingangsgröe messtechnisch bestimmt werden muss, um die zweite Eingangsgröe und den Teilschalldruck am Ausgang berechnen zu können. Ferner sind nur zwei der vier Parameter des GesamtVierpols von Interesse. Berechnung von Teilschalldrücken Der Schalldruck, der über einen Pfad zur Empfängerposition geleitet wird, wird als Teilschalldruck bezeichnet. Zur Berechnung des Gesamtschalldrucks müssen alle Teilschalldrücke summiert werden. In der Praxis werden meist die Auslenkungen bzw. Beschleunigungen am Lagereingang gemessen. Kraftmessungen sind nur selten einfach zu realisieren, z. B. wenn Kraftmessdosen vor die Lager montiert werden können oder die Struktur mit Dehnungsmessstreifen (DMS) versehen wird. Aus diesem Grunde wird der Teilschalldruck eines Pfades aus 8.25 hergeleitet: u1 p3 g 21
(8.26)
q3 0
Mit 8.22 ergibt sich
p3 =
k L21 hK 12 1 + k L22 hK 22
u1
q3 =0
(8.27)
378
H. Sell
Für die Berechnung der Teilschalldrücke sind somit nur zwei Vierpolparameter des Lagers und zwei Vierpolparameter der Karosserie zu bestimmen: L : Übertragungs-Steifigkeit des Lagers k 21 L : Ausgangs-Steifigkeit des Lagers k 22 K : Eingangs-Nachgiebigkeit der Karosserie h 22 K : Luftschall-Empfindlichkeit der Karosserie. h 12
8
Im Unterschied zur herkömmlichen Transfer-Pfad-Analyse mit Übertragungsfunktionen berücksichtigt der Nenner der Gl. 8.27 Kopplungseffekte zwischen Lager und Karosserie. Für niedrige Frequenzen, also für den Bereich der Schwingungsisolierung, treten diese noch nicht in Erscheinung. Für die akustisch relevante Isolation bei höheren Frequenzen L K zu stärkeren Einflüssen führen. Mit zunehmender Frequenz ist der kann der Term k 22 h 22 Massecharakter der Lager von Bedeutung und bewirkt Kopplungseffekte zwischen Lager und Karosserie. Bei vollständiger Anpassung von Lagerausgang und Karosserieeingang kommt es zu erheblichen Überhöhungen der Gesamt-Übertragungsfunktion. Vollständige Anpassung liegt vor, wenn das Produkt k L22 hK 22 den Wert −1 annimmt. Mathematisch tritt dies bei einer Phasendifferenz von 180° zwischen k L22 und hK 22 auf. Anschaulich schwingen Lagerausgang und Karosserieeingang dann in Phase, und kleine eingangsseitige Lagerauslenkungen führen zu groen Schalldruckpegeln am Ausgang. Berechnung von Betriebskräften Aus den gemessenen Auslenkungen am Lagereingang lassen sich mit Hilfe der Vierpolparameter auch die am Lagereingang wirkenden Kräfte berechnen. Aus den Gln. 8.24 und 8.25 folgt:
F1 =
u1
g 11 g 21
q3 =0
=
k L11 + K L hK 22 1 + k L22 hK 22
Für die Kraft am Lagerausgang gilt: F2 =
1 hK 12
p3
u1
.
(8.28)
q3 =0
(8.29)
q3 =0
Durch Einsetzen der Gl. 8.27 ergibt sich für die gesuchte Kraft zwischen den Vierpolen k L21 F2 = u (8.30) 1 L K 1 + k 22 h22 q =0 3
Berechnung von Betriebsauslenkungen Die Betriebsauslenkungen am Karosserieeingang, also hinter dem Lager, ergeben sich zu: u1 =
1
k L21
F 2 k L22 u2
(8.31)
8
379
Messung und Analyse
Durch Umstellen und Einsetzen von Gl. 8.30 folgt nach einigen Umformungen u2 =
k L21 hK 22 1 + k L22 hK 22
u1
(8.32)
Die Auslenkung ist von den Transfer- und Ausgangs-Steifigkeiten des Lagers und der Eingangs-Nachgiebigkeit der Karosserie abhängig. Für die Durchführung solcher Transfer-Pfad-Analysen werden Vierpolparameter der elastischen Lager und der Karosserie benötigt. Ein umfassender Überblick zur Bestimmung von Vierpolparametern findet sich in (Sell 2004). Vorgehen bei mehreren Quellen Werden Systeme mit mehreren Quellen untersucht, müssen die Messwerte erst aufgespalten werden, ehe sie mit den oben beschriebenen Methoden untersucht werden können. Mit Hilfe der Hauptkomponentenanalyse können Signale, die von mehreren teilweise kohärenten Schwingungsquellen verursacht werden, durch mathematische Operationen in Anteile zerlegt werden, die zu unabhängigen Quellen gehören. Diese Schwingungsquellen sind inkohärent zueinander und real nicht vorhanden. Deshalb werden sie virtuelle Quellen genannt. Die berechneten Leistungsspektren der virtuellen Quellen sind die Hauptkomponenten. Aufgrund der Inkohärenz der virtuellen Quellen kann für deren Anteile an den gemessenen Spektren jeweils eine Geräuschpfadanalyse durchgeführt werden. Die Teilschalldrücke einer Quelle werden komplex summiert, während die erhaltenen Teilschalldrücke der Quellen nur energetisch summiert werden dürfen, d. h. ohne Berücksichtigung der Phase, da die Quellen zueinander inkohärent sind und somit auch keine feste Phasenbeziehung untereinander gegeben ist (Fingberg 1994; LMS 1995b). LMS und Carniel et al. gehen neben der Theorie auch auf die Anwendung der Methode ein (LMS 1995a; Carniel et al. 1996).
8.2.5.2 Zeitbereichs-Methoden Ebenfalls im EU-Forschungsprojekt DIANA ist eine zeitbereichsbasierende Methode erarbeitet worden, die eine höhere Auflösung ohne Leckageeffekte ermöglicht (LMS 1995a). Auch können damit transiente Vorgänge analysiert werden. Zuvor ist in dem EU-Projekt AQUSTA bereits eine binaurale Analysemethode entwickelt worden (AQUSTA 1992). Die Anwendung dieser Methode wird in Genuit et al. (1997) gezeigt. Eine Verbreitung in kommerzieller Form hat diese Methode zunächst nicht gefunden. Mit dem stärker werdenden Wunsch der Ergebnis-Auralisierung, also dem hörbar machen, hat die Zeitbereichs-Modellierung nun Eingang in kommerzielle Software gefunden. Die Übertragungsstrecken werden bei dieser Methode mit FIR-Filtern statt mit Übertragungsfunktionen abgebildet. Bohineust et al. (1996) und Hofmann (2003) schildern die Methode detailliert. Die Zeitbereichs-Modellierung bietet einige Vorteile. Ist das Systemverhalten identifiziert, können die Original-Messdaten an den Eingangsstellen als Systemanregung verwendet werden. Als Ergebnis wird das Gesamtschallereignis über der Zeit berechnet, welches sich anhören lässt. Durch den Vergleich mit der Mikrofonaufnahme aus dem
380
R. Sottek
Innenraum lässt sich die Qualität der Transfer-Pfad-Analyse und Synthese überprüfen. Sehr eindrucksvoll können nun auch Beiträge der einzelnen Transfer-Pfade verdeutlicht werden, indem man diese – ggf. auch in Gruppen – ausschalten kann. Zum einen lassen sich so relevante Pfade „erhören“, zum anderen können durch interaktive Modifikationen an den FIR-Filtern auch Zielgeräusche erarbeitet werden, die es dann in der nachfolgenden Produktentwicklung zu erreichen gilt. Eindrucksvolle aktuelle Beispiele sind z. B. beschrieben in Saviharju u. Svensson (2003); Sottek et al. (2006); Riemann et al. (2007) und Sellerbeck et al. (2007). Für Systeme mit mehreren Quellen bietet die Zeitbereichs-Modellierung den Vorteil, dass keine Hauptkomponenten-Analyse zur Berechnung von virtuellen Quellen notwendig ist. Dadurch ergeben sich für solche Analysen Vereinfachungen gegenüber der frequenzbereichsbasierten Modellierung mit Übertragungsfunktionen.
8 8.3 Auralisation schwingender Flächen Roland Sottek, HEAD acoustics GmbH
8.3.1 Einleitung Methoden zur Gestaltung des Fahrzeuginnengeräusches gewinnen zunehmend an Bedeutung. Neben der reinen Reduzierung des Geräuschpegels spielen die Bewertung und die Optimierung der Geräuschqualität oft eine entscheidende Rolle. Dabei sind auer den physikalischen Aspekten auch die psychoakustischen Phänomene wichtig. Das Geräusch sollte zum Fahrzeug passen und die Erwartungen des potenziellen Käufers erfüllen. Für einen Sportwagen wird beispielsweise ein sportlicher Sound angestrebt, der ein gewisses Ma an Rauigkeit enthalten darf. Störgeräusche wie Quietschen und Klappern sollten aber auf jeden Fall vermieden werden. Ein wichtiger Aspekt der Geräuschgestaltung ist die Auralisation nicht nur von Fahrzeugaufnahmen, sondern auch von einzelnen Anteilen des Fahrzeuginnengeräusches, wie die Beiträge verschiedener Teilflächen. Auf diese Weise lässt sich einerseits das Optimierungspotenzial von zusätzlichen Dämmmanahmen abschätzen. Andererseits können auch Vorschläge für eine gezielte Verringerung von Dämmmaterial an den Stellen erarbeitet werden, an denen die akustischen Beiträge nur von untergeordneter Bedeutung sind. Damit wird eine Gewichts- und Kostenreduktion erreicht. Die im Folgenden vorgestellten Methoden bieten dem Akustikingenieur die Möglichkeit, akustisch notwendige und weniger effiziente Komponenten zu unterscheiden. Dabei wird mit der Beschreibung der konventionellen Fenster-Methode (auch subtraktive Methode genannt) begonnen, bei der zunächst eine komplette Kapselung aller äueren Flächen des Fahrgastinnenraums mit entsprechendem Dämmmaterial erfolgt, um den Schallfluss in den Innenraum möglichst stark zu reduzieren. Im Anschluss wird sukzessive das zusätzliche Material wieder von einzelnen interessierenden Teilflächen („Fenster“)
8
Messung und Analyse
381
entfernt, das Innengeräusch erneut gemessen, um dann das Fenster wieder zu schlieen. Der Pegelunterschied zur Referenzmessung mit vollständiger Kapselung gilt als Ma für den akustischen Beitrag dieser Teilfläche zum Gesamtgeräusch. Nachteile dieser Methode sind der enorme Aufwand und die Veränderung der Innenraumakustik durch den massiven Einsatz von Dämmmaterialien. Eine Testfahrt auf der Strae ist aus Gründen der Fahrsicherheit kaum möglich. Als Alternative wurde die Binaural Panel Contribution Analysis (BPCA) (Wolff u. Sottek 2005) entwickelt, die in allen Punkten Vorteile gegenüber dem konventionellen Verfahren aufweist. Die BPCA lässt sich deutlich schneller anwenden, ändert nicht die akustischen Fahrzeugeigenschaften und ermöglicht relevante Betriebszustände auf der Strae zu erfassen. Der neue Ansatz erfordert ein spezielles Sensorarray, um die Schnelleverteilung an den interessierenden Teilflächen zu ermitteln. Die Schnellemessung erfolgt mit speziellen Hitzdrahtanemometern, die erst seit wenigen Jahren in der für diese Anwendung erforderlichen Qualität kommerziell erhältlich sind (de Bree 2003).
8.3.2 Methodenvergleich Konventionelle Fenster-Methode Der Schalldruck im Fahrzeuginnenraum lässt sich als Summe der Schallbeiträge aller den Innenraum einschlieenden Flächen darstellen. Aus dieser Überlegung heraus ist es plausibel, den Beitrag einer einzelnen Fläche dadurch zu bestimmen, dass alle übrigen Flächen an der Abstrahlung von Luftschall gehindert werden. Dies wird durch die komplette Belegung des Innenraums mit Dämmmaterial erreicht. Nur die zu untersuchende Fläche bleibt frei. Das weitere Vorgehen bei der herkömmlichen Fenstermethode läuft in folgenden Schritten ab: Zunächst wird das Fahrzeug von innen komplett mit Dämmmaterial gekapselt. Dann findet für den gewünschten Betriebszustand eine Schalldruckmessung im Innenraum statt. Diese Ausgangsmessung dient als Referenz. Anschlieend wird das Dämmmaterial von der jeweils zu untersuchenden Fläche entfernt. Das Fahrzeug wird wieder in den Betriebszustand gebracht und der resultierende Schalldruck gemessen. Die Differenz zwischen dieser und der Referenzmessung ist ein Ma für den Schalldruckbeitrag dieser Fläche zum Gesamtschalldruck im Innenraum. Dieses Vorgehen wird für alle Flächen wiederholt. Die Abb. 8.32 und 8.33 veranschaulichen die einzelnen Schritte.
Abb. 8.32 Konventionelle Fenstermethode: Vollständige Kapselung des Innenraums
382
R. Sottek
Abb. 8.33 Konventionelle Fenstermethode: Öffnen eines Fensters
8
In der Praxis werden bei der Fenstermethode Schaum/Schwerschicht-Systeme verwendet, die entsprechend der zu untersuchenden Fläche zugeschnitten werden. Dabei ist zu beachten, dass die Fügestellen zwischen den Dämmelementen ausreichend abgedichtet sind, um Schallnebenwege zu unterbinden und daraus resultierende Verfälschungen zu minimieren. Das Öffnen und Verschlieen der Fenster muss sehr sorgfältig durchgeführt werden, damit stets der gleiche Ausgangszustand als Referenz genutzt werden kann. Die Prozedur ist somit sehr aufwendig und zeitintensiv und eignet sich daher nur bedingt für die Automobilindustrie, insbesondere im Hinblick auf die immer kürzer werdenden Entwicklungszeiten. Der Nutzen der Methode besteht darin, den einzelnen Flächen Schalldruckpegelbeiträge zum Innengeräusch zuweisen zu können und eine Rangreihenfolge der wichtigsten Flächenbeiträge zu erstellen. Dies dient dann als Arbeitsgrundlage für eine Verbesserung des Schalldämmpakets. Die Einschränkungen des Verfahrens liegen vor allem in der extensiven Verwendung von Dämmmaterial begründet. So ändern sich die akustischen Eigenschaften des Fahrzeuginnenraums bezüglich der Absorptionscharakteristik, was eine Einschränkung für den mittel- bis hochfrequenten Bereich bedeutet. Auerdem wird durch den massiven Masseeinsatz die Struktur selbst verändert. Zusätzlich wirkt das Dämmmaterial, bedingt durch das Massegesetz der Schalldämmung, hin zu tieferen Frequenzen immer schlechter. Dies stellt eine Einschränkung des Verfahrens für den tieffrequenten Bereich dar. Das Verfahren bewertet nur die Änderungen, die durch eine einzelne Teilfläche hervorgerufen werden, jedoch nicht die Wechselwirkung mehrerer Flächen. Der Einfluss stehender Wellen durch Reflexionen lässt sich so nicht korrekt erfassen. Binaural Panel Contribution Analysis (BPCA) Bei der BPCA bleiben im Gegensatz zur konventionellen Methode alle Teilflächen weitestgehend im ursprünglichen Zustand. Auf Dämmmaterial wird grundsätzlich verzichtet. Anstelle zusätzlicher Materialen werden Schnellesensoren auf den Flächen befestigt, die jedoch kaum Auswirkungen auf die Schallabstrahlung haben (Abb. 8.34). Im gewünschten Betriebszustand erfolgt eine synchrone Aufzeichnung sämtlicher Schnellesignale. Diese Aufnahmen können sowohl auf einem Rollenprüfstand als auch auf der Strae erfolgen. So ist es mit diesem Verfahren auch möglich unter realen Umweltbedingungen (Regen, Wind) zu messen. Die synchronen Aufnahmen ermöglichen auch die Berücksichtigung von Phasenbeziehungen zwischen den Beiträgen der einzelnen Flächen.
8
383
Messung und Analyse
Abb. 8.34 BPCA: Messung der Schnelle auf den Teilflächen mit Arrays von Schnellesensoren
Stehen die Sensoren nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung, dann können einzelne Teilflächen nacheinander gemessen werden. Die phasenrichtige Überlagerung erfordert jedoch dann eine geeignete Synchronisation und gut reproduzierbare Versuchsbedingungen. Mit der beschriebenen Schnellemessung steht der Schallfluss Qi t) der schwingenden Teilfläche (gekennzeichnet durch den Index i) als Produkt von Schnelle vi t) und zugeordneter Fläche Ai als Quell- oder Eingangsgröe für die Berechnung der Flächenbeiträge pi t) am Gesamtschalldruck pt) zur Verfügung: Qi (t) = vi (t) Ai
(8.33)
Der Beitrag einer einzelnen Teilfläche zum gesamten Schalldruck an einem oder mehreren Referenzorten ergibt sich aus der Filterung der Quellgröe mit den Stoantworten der zugehörigen Luftschallübertragungsfunktionen. Werden als Referenzen die Ohrsignale eines Kunstkopfes für eine binaurale Synthese verwendet, so können auch die räumlichen Aspekte des Schallfeldes adäquat wiedergeben werden. Das Verfahren wird wegen der Betrachtung beider Ohrsignale als Binaural Panel Contribution Analysis bezeichnet. Die Bestimmung der Übertragungsfunktionen erfolgt zweckmäig mit einer reziproken Messung. Für die direkte Messung der Übertragungsfunktionen müsste nacheinander an sämtlichen Positionen des Sensorarrays eine Volumenflussquelle positioniert werden, um dann gleichzeitig die Antworten auf ein geeignetes Anregungssignal an den Empfangspositionen (beispielsweise mit einem Kunstkopf im Falle der binauralen Methode) aufzuzeichnen. Die reziproke Methode (Abb. 8.35) nutzt hingegen die Tatsache aus, dass
Abb. 8.35 BPCA: Reziproke Messung der Luftschallübertragungsfunktionen
384
R. Sottek
8
Abb. 8.36 Binauraler Schallsender mit zusätzlichem Subwoofer für Frequenzen unter 200 Hz. Die Geometrie des Senders entspricht nahezu der des Kunstkopfmesssystems HMS III. Daher stimmen auch die Richtcharakteristik von Sender und Empfänger überein. Dies ist eine notwendige Voraussetzung zur Anwendung des Reziprozitätsprinzips. Nähere Informationen sind in (Sottek et al. 2003; Sellerbeck et al. 2003; Klemenz et al. 2003) zu finden
sich die Übertragungsfunktion von der Quelle zum Empfänger für lineare Systeme nicht ändert, wenn Ursache Qt) und Wirkung pt) vertauscht werden. Dabei ist zu beachten, dass die Abstrahlcharakteristik der für die reziproke Messung verwendeten Volumenflussquelle der Empfangscharakteristik des Aufnahmesystems (hier ein Kunstkopf) entsprechen muss. Im Vergleich zur direkten Methode ist das reziproke Verfahren in hohem Mae zeitsparend. Die Konstruktion der verwendeten binauralen Volumenflussquelle basiert auf einem Kunstkopf, in dem für das linke und rechte Ohr jeweils ein Lautsprechersystem installiert ist (Abb. 8.36). Die beiden Einzelsysteme sind voneinander entkoppelt und werden für die Messung der Übertragungsfunktionen nacheinander angesteuert, so dass der Schall jeweils durch eine Ohrkanalöffnung abgestrahlt wird. Für tiefe Frequenzen (unterhalb von 200 Hz) findet ein einziger separater Subwoofer Verwendung, da für diesen Frequenzbereich binaurale Effekte vernachlässigbar sind. Diese Quelle wird auf dem Fahrersitz positioniert und die Übertragungsfunktionen von je einem Ohr zu allen Sensorpositionen simultan bestimmt. L,R Nachdem die Übertragungsfunktionen HQ,i ( f ) aus dem bekannten Volumenfluss L,R QS (t) der kalibrierten binauralen Quelle und den an den Sensorpositionen gemessenen L,R Schalldrucksignalen2 pS,i (t) jeweils für das linke und rechte Ohrsignal (Indizes L bzw. 2
Anstatt Sensoren zu verwenden, die nur die Schnelle messen, ist es zweckmäig sogenannte PU-Sonden einzusetzen, die sowohl für Druck- als auch für Schnellemessungen verwendbar sind.
8
Messung und Analyse
385
R) bestimmt sind, lassen sich aus den Betriebsmessungen durch Filterung mit den entsprechenden Stoantworten hL,R Q,i (t) die Flächenbeiträge ermitteln und zum Gesamtschall summieren: pL,R (t) Ohr L,R pL,R i (t) = Qi (t) hQ,i (t);
pL,R Ohr (t)
pL,R i (t)
(8.34)
(8.35)
i
Das Ergebnis der Filterung kann als Flächenbeitrag einer Teilfläche auralisiert werden. Auch der Einfluss mehrerer Beiträge z. B. einer gröeren Fläche lässt sich hörbar machen. Häufig kann die Messung des kompletten Innenraums nicht in einem Schritt erfolgen, da die Zahl der zur Verfügung stehenden Sensoren nicht ausreicht. Typischerweise wird der gesamte Innenraum in sieben gröere zusammenhängende Teilflächen zerlegt (Cockpit, Boden, linke Seite, rechte Seite, Dach (vorne), Dach (hinten) und Rückbank), die dann beispielsweise mit 20 Sensoren belegt werden, so dass sich insgesamt 140 Flächenbeiträge ergeben. Der Gesamtaufwand erhöht sich dann geringfügig. Die beschriebene Vorgehensweise wird beibehalten und in dem Fall von sieben gröeren Teilflächen mit zwanzig Sensoren dann für jede der sieben Flächen nacheinander durchgeführt. Der Detaillierungsgrad ist bei 140 Flächenbeiträgen wesentlich höher als beim konventionellen Verfahren (10–20 Flächen). Die BPCA liefert nicht nur eine Rangreihenfolge der einzelnen Beiträge sondern ermöglicht auch eine quantitative Auswertung, da kein Dämmmaterial verwendet wird, das zu fehlerhaften Messergebnissen führen würde. Darüber hinaus ist die neue Methode für tiefe Frequenzen wesentlich besser geeignet, da die Wirkung der Massebelegung bei der herkömmlichen Fenster-Methode in diesem Frequenzbereich eingeschränkt ist. Es existieren jedoch auch Grenzen der neuen Methode, die im Wesentlichen auf die Eigenschaften des Sensorarrays zurückzuführen sind. Darauf wird im Abschn. 8.3.3 näher eingegangen. Ein Vergleich der beiden Verfahren ist in Tab. 8.1 zu finden.
8.3.3 Das Sensorarray für die BPCA Grundlagen Die wesentliche Anforderung an das Sensorarray für die BPCA ist eine möglichst genaue und lokale Erfassung der Schnelleverteilung für den gesamten interessierenden Frequenzbereich. Die Beiträge der einen bestimmten Sensor umgebenden Flächen sollten maximal unterdrückt werden. Es wird prinzipiell die Schnelle senkrecht zur abstrahlenden Fläche gemessen. Sie ist proportional zum Druckgradienten in dieser Richtung. Wird die gesamte Fläche vereinfachend als Ensemble von Punktstrahlern aufgefasst, dann stören alle nicht interessierenden Strahler an der betrachteten Stelle mit einem Damit können dann die Messungen im Betrieb und zur Bestimmung der Übertragungsfunktionen mit einer Sensoranordnung erfolgen.
386
R. Sottek
Tab. 8.1 Vergleich der konventionellen Fenstermethode mit der BPCA
Konventionelle Methode
BPCA
Einsatz von Dämmmaterial Zeitaufwand
Notwendig Ca. 2 Wochen für 10–20 Flächen Kunstkopf, Mikrofon
Nein Ca. 3–4 Tage für 140 Flächen
Messequipment
8
20 PU-Sonden, Mehrkanalmesstechnik, binauraler Schallsender Detaillierungsgrad Mittel (10–20 Flächen) Hoch (140 Flächen) Wahl des Betriebszustandes Messungen auf dem Volle Flexibilität: Straenfahrten, Prüfstand Prüfstand, … Einfluss auf Veränderung der Absorption Einfluss vernachlässigbar und der Struktur Innenraumakustik Gültiger Frequenzbereich Ab 80 Hz mit EinschränCa. 80–2.000 Hz kungen durch Massegesetz der Schalldämmung Ab ca. 400 Hz Einschränkungen durch veränderte Absorption Abhängig von der Güte der Ca. ±1,5 dB Genauigkeit der Ergebnisse Fensterung Phasenproblem durch sukzes- Nur durch Synchronisation Durch Synchronisation oder sives Messen der Flächen zu beheben Erhöhung der Sensorzahl zu beheben Auralisation Eingeschränkt möglich Ja
winkel- und entfernungsabhängigen Faktor. Die Störung ist umgekehrt proportional zur Entfernung. Gleichzeitig nimmt mit wachsendem Abstand auf einer (ebenen) Teilfläche auch der Winkel unter dem die anderen Quellen erscheinen ab und damit auch der Beitrag zum Druckgradienten senkrecht zur schwingenden Fläche. Insgesamt ergibt sich für die Winkelabhängigkeit die bekannte Achtcharakteristik eines Druckgradientenempfängers (Abb. 8.37). Mit einer Schnellemessung kann auch unterschieden werden, ob eine Schallabstrahlung von einer tatsächlich schwingenden Fläche (Quelle) stammt oder ob es sich um eine Reflexion handelt. Im akustischen Nahfeld einer schwingenden Fläche liegen ein Maximum der Schnelle und ein Minimum des Schalldrucks vor. Im Falle einer idealen Reflexion an einer schallharten Wand ist es genau umgekehrt. Der Schnellesensor nimmt daher prinzipiell nur die gewünschte Schwingung auf. In der praktischen Anwendung muss ein gewisser Mindestabstand zwischen Sensor und schwingender Fläche eingehalten werden, um zu verhindern, dass er sich gemeinsam mit der zu untersuchenden Fläche bewegt. Es hat sich als zweckmäig erwiesen, die Sensoren zwar auf der Oberfläche zu applizieren, jedoch nicht direkt, sondern entkoppelt mit einem geeigneten Feder-Masse-System. Oberhalb einer Frequenz von ca. 80 Hz ruht der Sensor relativ zur schwingenden Fläche, wie es sich anhand vergleichender Lasermessungen nachweisen lässt. Da die Nahfeldbedingungen nur dann gelten, wenn der Abstand zwischen Sensor und Fläche (ca. 2–4 cm) deutlich kleiner als die Wellenlänge der abgestrahlten Schallwelle ist,
8
387
Messung und Analyse
Abb. 8.37 Empfangscharakteristik des Luftschallschnellesensors (Druckgradientenempfänger)
90° 135°
45°
0°
180°
315°
225° 270°
Maximale Sensorempfindlichkeit
lässt sich das Verfahren bis etwa 2 kHz einsetzen. Es lassen sich verschiedene Möglichkeiten diskutieren, wie der Frequenzbereich für die Anwendung der BPCA erweitert werden kann. Berührungslose Verfahren mittels Lasertechniken oder auch Beschleunigungsmessungen mit sehr leichten Sensoren auf den zu untersuchenden Oberflächen könnten Optionen sein, zumindest für massivere Flächen. Die Abstandsproblematik entfiele, da direkt auf der Oberfläche gemessen würde. Im Gegenzug ergäben sich jedoch neue Herausforderungen hinsichtlich der Schallbeiträge beispielsweise bei der Abstrahlung über poröse Materialien. Die Beiträge von Lüftungskanälen lieen sich grundsätzlich nicht erfassen. Auerdem messen Beschleunigungssensoren oder Laser nur Strukturschwingungen und berücksichtigen nicht den Abstrahlgrad der betrachteten Struktur, der bei Messungen mit Luftschallschnellesensoren implizit enthalten ist. Experimentelle Untersuchungen Das folgende Experiment demonstriert, inwieweit der Einfluss einer unerwünschten Schallquelle bei Schnellemessungen reduziert werden kann. Zunächst erfolgt eine Referenzmessung von Druck und Schnelle mittels einer PU-Sonde im Freifeld bei senkrechtem Schalleinfall (Abb. 8.38). Danach werden Messungen im Fahrzeug vor Flächen mit typischen Impedanzen durchgeführt. Dabei wird stets der für die Schnellemessung ungünstigste Fall des senkrechten Störschalleinfalls betrachtet (Abb. 8.39). Der störende Einfluss reflektierter Schallanteile bei einer Schnellemessung hängt, wie bereits erwähnt, vom Abstand des Sensors von der Fläche und darüber hinaus auch von deren akustischer Impedanz ab. Nur wenn sich der Sensor direkt auf einer schallharten Fläche befindet, lässt sich der Einfluss der unerwünschten Quelle vollständig unterdrücken. Da sich im Fahrzeug Flächen mit unterschiedlichen Impedanzen befinden, erfol-
Abb. 8.38 Messung unter Freifeldbedingungen
388
R. Sottek
Abb. 8.39 Messung vor einer Fahrzeuginnenraumfläche
20 15 10
L/dB
8
25
Abb. 8.40 Verhältnis des Mittelwertes der Impedanzen im Fahrzeug und der Impedanz im Freifeld als Ma für die Unterdrückung des Einflusses unerwünschter Schallquellen durch Messung der Schnelle anstatt des Schalldrucks
5
50
100
200
f/Hz
500
1000
2000
0
gen mehrere Messungen z. B. an Scheiben und Kunststoffverkleidungen (akustisch harte Oberflächen) oder an Sitzen (Flächen mit geringerer Impedanz). Als Ma für den Gewinn einer Schnellemessung gegenüber einer Druckmessung wird das Verhältnis des Mittelwertes der Impedanzen im Fahrzeug und der Impedanz im Freifeld verwendet. Abbildung 8.40 zeigt, dass es bis etwa 2 kHz nennenswerte Unterschiede zur Freifeldbedingung gibt. Dies bedeutet, dass die Schnelle, die auf Grund der Störquelle gemessen wird, in Relation zum Schalldruck auch unter realen Messbedingungen (Sensor mit Dämpfungsglied auf der Fläche befestigt) gering ist. Ein weiteres Experiment verdeutlicht, dass ein Schnellesensor im Wesentlichen auf Veränderungen des Schallfeldes in seiner näheren Umgebung reagiert. Abbildung 8.41 zeigt ein Sensorarray auf einer Fahrzeuginnenraumfläche. Unter Betriebsbedingungen wird in zwei Versuchen zunächst ohne und dann mit zusätzlichem Dämmmaterial (ausschlielich unter Sensor 1) der Beitrag der Teilfläche gemessen.
Abb. 8.41 Sensorarray auf einer Fahrzeuginnenraumfläche. Unter Sensor 1 wurde zusätzliches Dämmmaterial gelegt
8
389
Messung und Analyse
Abb. 8.42 Einfluss des zusätzlichen Dämmmaterials auf Sensor 1
L/dB [SPL] 60
Sensor 1
50 ohne Dämmmaterial
40 30 20 10 0
mit Dämmmaterial
120
200
–10
300
600
1000
2000
f/Hz
Abb. 8.43 Einfluss des zusätzlichen Dämmmaterials unter Sensor 1 auf Sensor 2
L/dB [SPL] 60 ohne Dämmmaterial 50
Sensor 2
40 30 20 10 0 mit Dämmmaterial
120
200
–10
300
600
1000
2000
f/Hz
Die resultierenden Spektren für Sensor 1 zeigen ohne Dämmmaterial unter diesem Sensor einen um ca. 10 dB höheren Beitrag für den gesamten betrachteten Frequenzbereich (Abb. 8.42). Die Auswirkungen auf Sensor 2 sind dagegen vernachlässigbar (Abb. 8.43). Dies bedeutet, dass sich die verwendeten Sensoren in der Tat sehr gut für eine lokale Messung der Schnelleverteilung eignen.
8.3.4 Anwendungsbeispiel für die BPCA Das Verfahren der BPCA wurde erfolgreich an verschiedenen Fahrzeugen erprobt. Im nachfolgend beschriebenen Beispiel wird der Übertragungspfad für eine raue Komponente eines Fahrzeuginnengeräusches im Frequenzbereich zwischen 350 und 550 Hz mittels BPCA gesucht. Es handelt sich hier um ein moduliertes Geräusch, hervorgerufen durch nahe beieinander liegende Motorordnungen (Abb. 8.44).
390
R. Sottek
Abb. 8.44 FFT über Drehzahl (rpm) des Schalldrucksignals am linken Ohr eines Kunstkopfes für einen Volllasthochlauf von 2.750 bis 5.550 rpm
f/Hz 525 500 475 450 425 400 375 3000 35
8
40
3500 45
n/rpm
4500
5000
50 L/dB(A)[SPL] 60
5500
65 70
75
Der Fahrzeuginnenraum wird in sieben Teilflächen unterteilt: Cockpit, Boden, linke Seite, rechte Seite, Dach (vorne), Dach (hinten) und Rückbank. Die Messungen jeder Fläche erfolgen mit einem Array aus 20 PU-Sonden. Die Ergebnisse der BPCA sind in Abb. 8.45 dargestellt. Der Beitrag des Bodens zeigt das auffälligste Muster, welches für die Rauigkeitswahrnehmung wesentlich verantwortlich ist. Ein entscheidender Vorteil der BPCA liegt darin, dass sich die Ergebnisse nicht nur grafisch darstellen lassen, sondern eine Auralisation möglich ist, die die gefundenen Fakten eindrucksvoll bestätigt. Eine detailliertere Betrachtung der Bodenfläche gibt zusätzliche Hinweise auf die für die akustische Rauigkeit relevanten Anteile des Bodens. Jede der 20 in Abb. 8.46 gezeigten
Abb. 8.45 Beiträge der sieben Teilflächen zum Schalldruck am linken Fahrerohr
Messung und Analyse
Abb. 8.46 Detaillierte Darstellung der akustischen Beiträge des Bodens. Die identifizierten relevanten Anteile der Bodenfläche sind besonders gekennzeichnet
8 391
392
R. Sottek
Ergebnisse korrespondiert zu der Teilfläche unter der jeweiligen PU-Sonde. Einzelne Beiträge oder eine Zusammenfassung mehrerer Anteile lassen sich auralisieren. Gegenmanahmen können simuliert werden, indem einzelne Teilbeiträge gefiltert werden. Die verwendeten Filter berücksichtigen den Effekt zusätzlicher Massebelegung oder von Dämpfungsmaterialien. Die BPCA erlaubt neben einer realistischen Auralisation auch eine deutlich verbesserte Analyse und Optimierung der Transfermechanismen zwischen den Quellen und dem resultierenden Schallereignis im Innenraum. Darüber hinaus lässt sich diese Methode durch Laser-Scanning-Vibrometrie und traditioneller Transferpfadanalyse ergänzen, wenn Karosserieschwingungen im Vordergrund stehen und ein noch detaillierteres Messgitter erforderlich ist. Auf die Kombination von Transferpfadanalyse und Lasermessungen für die Auralisation schwingender Karosserieteile wird im Abschn. 8.4 näher eingegangen.
8
8.3.5 Zusammenfassung Für das Sound-Design von Fahrzeuginnengeräuschen ist es häufig von Interesse, die Beiträge einzelner schwingender Teilflächen der Fahrzeugkabine zum Gesamtgeräusch zu kennen. Die konventionelle Fenstermethode erfordert zunächst eine komplette Kapselung dieser Flächen mit entsprechenden Dämmmaterialien. In diesem Zustand erfolgt eine Referenzmessung des Innenraumgeräusches. Im Folgenden wird das Dämmmaterial sukzessive von einzelnen interessierenden Teilflächen („Fenster“) entfernt, das Innengeräusch erneut gemessen, um dann das Fenster wieder zu schlieen, bevor das nächste Fenster betrachtet wird. Der Pegelunterschied gilt als Ma für den akustischen Beitrag dieser Teilfläche zum Gesamtgeräusch. Wesentliche Nachteile dieser konventionellen Methode liegen darin, dass Messungen unter realen Bedingungen auf einer Strae nicht möglich sind und die zusätzlichen Dämmmaterialien durch ihr Gewicht die strukturellen Eigenschaften des Fahrzeugs sowie seine Absorptionseigenschaften ändern. Darüber hinaus ist dieses Verfahren sehr zeitaufwändig und kostenintensiv. Die in diesem Kapitel vorgestellte Binaural Panel Contribution Analysis (BPCA) ermöglicht hingegen Messungen auf der Strae ohne signifikante Änderungen der Fahrzeugeigenschaften. Gleichzeitig nehmen der Messaufwand und die Kosten deutlich ab. Ein weiterer Vorteil ist, dass sich die Beiträge einzelner Flächen auralisieren lassen. Diese innovative Methode basiert auf Messungen der Schnelleverteilung an den relevanten Flächen des Fahrzeuginnenraums und den Übertragungsfunktionen von den schwingenden Flächen zum Fahrerohr.
8.4 Laser-Scanning-Vibrometrie und Binaurale Transferpfadanalyse Roland Sottek, HEAD acoustics GmbH
8.4.1 Einleitung Die Laser-Scanning-Vibrometrie ist in ein etabliertes Werkzeug in Industrie und Forschung für die Analyse von Bauteilschwingungen (Winkler u. Steger 2004). Als berüh-
8
Messung und Analyse
393
rungsloses Messverfahren ergeben sich entscheidende Vorteile gegenüber Messungen mit Beschleunigungssensoren, insbesondere dann, wenn durch die Masse der Sensoren oder durch Kabel das Schwingungsverhalten des zu untersuchenden Bauteils verändert wird. Als wesentliches Ergebnis erhält man eine Aussage über das frequenzabhängige Schwingungsverhalten der betrachteten Struktur. Dies alleine reicht jedoch nicht aus, um die Akustik des Bauteils hinreichend genau zu beschreiben, da nur die Vibrationen analysiert werden. Unberücksichtigt bleiben der Abstrahlgrad der Struktur und der Übertragungsweg zum Empfänger. Stark schwingende Flächen können zwar auf Probleme hinweisen, aber erst die Berücksichtigung der Luftschallübertragung im zweiten Schritt gibt genaue Informationen über die akustischen Beiträge (Wolff et al. 2004). Darüber hinaus lassen sich das Gesamtgeräusch oder auch Teilbeiträge einzelner Flächen als Zeitsignale berechnen, um sie dann zu auralisieren oder mit psychoakustischen Methoden zu bewerten. Typische Anwendungsbereiche finden sich in der Automobilentwicklung oder bei Zulieferern, bei denen die Frage im Mittelpunkt steht, ob und wie stark einzelne Bauteile für das verursachte Geräusch am Fahrerohr verantwortlich sind. Im nächsten Schritt können dann Gegenmanahmen gezielt an den entscheidenden Stellen eingeleitet werden.
8.4.2 Untersuchungen an einem Demonstrationsmodell An einem Modell wird zunächst die prinzipielle Vorgehensweise für die Verknüpfung von Laser-Scanning-Vibrometrie und Binauraler Transferpfadanalyse beschrieben. Das Modell besteht aus einem Stahlrahmen, auf dem Aluminiumplatten unterschiedlicher Gröe befestigt sind. Des Weiteren können mit zwei Shakern gleichzeitig Kräfte in die Struktur eingeleitet werden (Abb. 8.47). Zunächst wird die Struktur bei separater Anregung an den beiden Shakerpositionen mit dem Laser-Vibrometer abgetastet, um die Transferadmittanzen HF , j i (f ) zwischen Kraft FS, j (t) und Oberflächenschnelle vS, i (t) an der gesamten Oberfläche zu ermitteln ( j und i kennzeichnen den Anregungsort bzw. die betrachtete Teilfläche). Im zweiten Schritt erfolgt die Bestimmung der korrespondierenden Luftschallübertragungsfunktionen zu einem Kunstkopf als Empfänger im Innern des Modells. Anstatt an allen Messpunkten mit einem
Abb. 8.47 Demonstrationsmodell für Testmessungen
394
R. Sottek
Impulshammer oder mit einem Shaker anzuregen, wird wie im Abschn. 8.3 beschrieben vom Reziprozitätsprinzip Gebrauch gemacht. Als Volumenflussquelle dient ein binauraler Schallsender (Sottek et al. 2003). Der Schalldruck wird mit konventionellen Mikrofonen an den Punkten aufgezeichnet, an denen im vorhergehenden Schritt die Lasermessungen L, R erfolgten. Die Luftschallübertragungsfunktionen, HQ, i (f ), bzw. die zugehörigen StoL, R L, R antworten, hQ, i (t), ergeben sich aus der Relation von Schalldruck pS, i (t) zu VolumenL, R fluss QS (t) (die Indizes L und R weisen auf die Schallabstrahlung aus dem linken bzw. rechten Kunstkopfohr hin). Im Betrieb ergeben sich die Oberflächen schnellen vi (t) aus den anregenden Kräften Fj (t) ( j = 1, 2 bei zwei Shakern) durch Filterung mit den aus HF , j i (f ) berechneten Stoantworten hF , j i (t): vi (t) =
8
� j
Fj (t) ∗ hF , j i (t) =
�
vj i (t).
(8.36)
j
Die Produkte aus den Schnellen vi (t) und den Flächen Ai, die den jeweiligen Messpunkten zugeordnet sind, stellen die Volumenflüsse Qi (t) dar: Qi (t) = vi (t) · Ai .
(8.37)
Die einzelnen Flächenbeiträge piL, R (t) am linken und rechten Kunstkopfohr (Indizes L R bzw. R) lassen sich durch Filterung der Volumenflüsse Qi (t) mit hL, Q, i (t) synthetisieren: R piL, R (t) = Qi (t) ∗ hL, Q, i (t).
(8.38)
L, R Durch Summation der Teilbeiträge wird der Gesamtschalldruck pKS (t) an beiden Ohren 3 berechnet : L, R pKS (t) =
�
piL, R (t).
(8.39)
i
8.4.3 Erweiterung der Transferpfadanalyse Das vorgestellte Demonstrationsmodell eignet sich besonders für Grundlagenuntersuchungen mit gezielter Krafteinleitung an einzelnen Punkten. Im realen Fahrzeug lassen sich bezüglich der Körperschallübertragung des Motors die Lager als Koppelstellen zwischen Quelle und Struktur definieren. Für die Berechnung der Übertragung wird in der Regel als Eingangsgröe die motorseitige Schnelle vM, j (t) an allen Lagern (jeweils in den drei Raumrichtungen) verwendet. Bei drei Lagern ergeben sich so neun Eingangssignale ( j = 1,…,9) für die Körperschallanteile. Die Lager werden oft vereinfachend über die effektive Lagerübertragungsfunktion, HL, j (f ), dem Produkt aus der Dämpfung4 und der Eingangsimpedanz 3
Der Index KS deutet an, dass hier nur Körperschallanteile betrachtet werden. Sind auch Luftschallbeiträge von Interesse, dann ist Gl. 8.36 um einen Term zu erweitern, der auch Volumenflussquellen berücksichtigt. 4 Verhältnis der Spektren der karosserie- und motorseitigen Schnelle aus Betriebsmessungen.
8
395
Messung und Analyse
der Struktur5 beschrieben. Aus der im Betrieb gemessenen motorseitigen Schnelle vM, j (t) lässt sich durch Filterung mit hL, j (t), der zu HL, j (f ) korrespondierenden Stoantwort, die Betriebskraft FK, j (t), die in die Karosserie eingeleitet wird, ermitteln: FK, j (t) = vM, j (t) ∗ hL, j (t).
(8.40)
Für die Bestimmung der durch diese Kraft an den Fahrerohren hervorgerufenen SchallL, R druckbeiträge pj (t) werden die entsprechenden vibroakustischen Transferfunktionen L, R HAT F , j (f ) jeweils für das linke und rechte Ohrsignal benötigt, bzw. die zugehörigen R Stoantworten hL, AT F , j (t): R pjL, R (t) = FK, j (t) ∗ hL, AT F , j (t).
(8.41)
R Die Bestimmung von hL, AT F , j (t) kann durch direkte Messung mit einem Impulshammer oder reziprok erfolgen (Sottek et al. 2003). Die Summation aller Teilbeiträge ergibt den Körperschallanteil des Schalldrucks an beiden Ohren: L, R pKS (t) =
�
pjL, R (t).
(8.42)
j
Diese Beschreibung der Körperschallübertragungswege hat sich in der Praxis als sehr effiziente Methode bewährt (Sottek et al. 2006), erlaubt aber nur eine Vorhersage der akustischen Gesamtbeiträge, die über die Motorlager übertragen werden (Abb. 8.48). Genauere Informationen erhält man bei Anwendung der am Demonstrationsmodell beschriebenen Methode, die in Abb. 8.49 für die Körperschallübertragung eines Verbrennungsmotors erläutert wird. Zunächst müssen die Transferadmittanzen von den Motorlagern zu den Teilflächen separat für jede Raumrichtung bestimmt werden. Dies kann durch entsprechende Anregung mit einem Shaker und simultaner Messung an den Teilflächen mittels Laser (oder falls dies nicht möglich ist mit einem Array von Schnellesensoren, siehe Abschn. 8.3) erfolgen. Für die reziproke Bestimmung der Luftschallübertragungsfunktionen vom Fahrersitz zu den Mikrofonen an den Messpunkten bietet sich auch in diesem Fall ein binauraler Schallsender an. Das synthetisierte Innengeräusch ergibt sich aus der Überlagerung aller Flächenbeiträge unter beliebigen Fahrbedingungen, selbst auf der Strae. Dazu sind nur
Abb. 8.48 Körperschallübertragungspfad für die Binaurale Transferpfadanalyse (BTPA) 5
Verhältnis der Spektren von Kraft und Schnelle an der Karosserie aus Anschlagmessungen.
396
R. Sottek
8
Abb. 8.49 Erweiterung der Binauralen Transferpfadanalyse und -synthese (BTPA/BTPS) mit detaillierter Information über die einzelnen Flächenbeiträge, exemplarisch für einen Krafteinleitungspunkt dargestellt, d. h. für ein Lager und eine beliebige Raumrichtung x, y oder z. Die karosserieseitige Betriebskraft FK, j(t) ergibt sich nach Gl. 8.40 aus der motorseitigen Schnelle vM, j(t) durch Filterung mit hL, J (t) : a) Ermittlung der Schnelleverteilung an den einzelnen Teilflächen aus FK, j(t) durch Filterung mit hF, ji(t) , der zur Transferadmittanz HF, ji(t) vom betrachteten Motorlager (karosserieseitig) zur Teilfläche i korrespondierenden Stoantwort, b) Bestimmung der Flächenbeiträge durch Filterung der Volumenflüsse Qji(t) , dem Produkt aus der jeweiligen Schnelle vji(t) und der zugehörigen Fläche Ai, mit hL,R Q,i (t) , der zur reziprok gemessenen LuftL,R schallübertragungsfunktion HQ,i ( f ) gehörenden Stoantwort, c) Synthese durch Addition sämtlicher Teilbeiträge
die Eingangssignale, d.h. die motorseitigen Schnellen (oder Beschleunigungen), und alle separat gemessenen Übertragungsfunktionen erforderlich.
8.4.4 Untersuchungen an einem Fahrzeug Nachdem die Testmessungen an dem Demonstrationsmodell abgeschlossen waren, wurden weitere Untersuchungen an einem Fahrzeug unter quasi-stationären Bedingungen durchgeführt. Dabei kann vereinfachend auf eine Bestimmung der Transferadmittanzen, die für den allgemeinen transienten Fall erforderlich sind, verzichtet werden. In diesem Anwendungsbeispiel sind die akustischen Beiträge des linken vorderen Kotflügels und der Fahrertür von Interesse. Abbildung 8.50 verdeutlicht, dass ohne Berücksichtigung von Luftschallübertragungsfunktionen der Kotflügel als akustisch kritisches Bauteil angesehen werden könnte. Abbildung 8.51 zeigt im Gegensatz dazu die mittlere Oberflächenschnelle am Kotflügel und an der Fahrertür bei Anregung mit der Volumenflussquelle im Innenraum des Fahrzeugs für die reziproke Messung der Luftschallübertragungsfunktionen. Hier wird
8
Messung und Analyse
397
Abb. 8.50 Mittlere Oberflächenschnelle am linken vorderen Kotflügel ( links) und an der Fahrertür bei Motoranregung ( rechts)
Abb. 8.51 Mittlere Oberflächenschnelle am linken vorderen Kotflügel ( links) und an der Fahrertür ( rechts) bei Anregung mit einer Volumenflussquelle im Fahrzeuginnenraum
Abb. 8.52 Akustische Relevanz des linken vorderen Kotflügels und der Fahrertür
sehr deutlich, dass der Übertragungsweg vom Kotflügel zum Fahrerohr eine wesentlich geringere Bedeutung hat, als der Weg von der Fahrertür. Erst die Filterung der durch die Motoranregung an den Bauteiloberflächen verursachten Schnelle mit den Stoantworten der korrespondierenden Luftschallübertragungsfunktionen zeigt in der Abb. 8.52, dass der untere Teil der Fahrzeugtür den akustisch relevantesten Beitrag liefert.
398
S. Guidati
8.4.5 Zusammenfassung
8
Laser-Scanning-Vibrometer erlauben die Messung, Auswertung und Visualisierung von Oberflächenschnellen schwingender Strukturen. In der Regel erfolgt eine frequenzabhängige Analyse der Schnelleverteilung an der Oberfläche des Testobjektes. Dabei wird häufig angenommen, dass stark schwingende Bereiche dominante Schallquellen darstellen, die durch entsprechende akustische Manahmen behandelt werden müssen. Die Luftschallübertragung zum Empfänger (z. B. dem Fahrer eines Fahrzeugs) bleibt oft unberücksichtigt. Die akustischen Transferfunktionen mit einzubeziehen, ähnlich wie beim Verfahren der BPCA (s. Abschn. 8.3), bringt jedoch entscheidende Vorteile, um die Auswirkungen der Schwingungen auf das interessierende Geräusch zu analysieren. Die Bestimmung der Luftschallübertragungsfunktionen geschieht auch hier zweckmäig unter Ausnutzung des Reziprozitätsprinzips. Typische Anwendungen der Laser-Scanning-Vibrometrie beschränken sich auf stationäre Betriebsbedingungen, da die Struktur mittels Laser sequenziell abgetastet wird. Eine Verknüpfung mit den eigentlichen Quellen (z. B. ein Verbrennungsmotor) mithilfe der Transferpfadanalyse ermöglicht auch nicht stationäre Betriebsbedingungen zu untersuchen. Gegenüber der konventionellen Binauralen Transferpfadanalyse (BTPA), die zuverlässige Aussagen über Quellen und Hauptübertragungswege wie Motorlager zulässt, kann mit dem neuen Ansatz zusätzlich die Übertragung von Schwingungen über die Karosserie detailliert abgebildet werden.
8.5 Schallquellenortung 8.5.1 Mikrofonarray Technologie Sandro Guidati, HEAD acoustics GmbH
8.5.1.1 Historisches Die Anfänge der Arraytechnologie gehen zurück auf den Ersten Weltkrieg. Damals wurden Arrays aus akustischen Hohlspiegeln zur Ortung von Flugzeugen eingesetzt. Die Verknüpfung bzw. Überlagerung der Einzelsignale erfolgte noch rein mechanisch. Bis in die 1950er-Jahre wurden vor allem im Bereich der Funktechnik Arrays aus Einzelantennen entwickelt. In der U-Boot-Technik entstanden die passiven und bald auch aktiven Sonarsysteme (Bugsonar, Schleppsonar). Die Verknüpfung der einzelnen Sensoren erfolgte jetzt bereits elektrisch. Das bis heute gröte Array der Welt, der VLA, wurde 1973 in der Wüste von New Mexiko in Betrieb genommen. Anfang der 1970er-Jahre wurden auch die ersten akustischen Messungen mit Mikrofonarrays in Windkanälen durchgeführt. Mitte
8
Messung und Analyse
399
der 1990er-Jahre kam es dann durch die Fortschritte auf dem Gebiet der Computertechnik zu einem Evolutionssprung in der Array-Technik. Nun war es möglich, eine immer gröer werdende Anzahl von Kanälen synchron zu digitalisieren. Für die Auswertung konnten herkömmliche PC verwendet werden. Arrays aus mehreren Hundert Mikrofonen wurden erfolgreich bei Überflugmessungen eingesetzt. Die groen Fortschritte im Bereich der Computertechnologie erlauben es heute die gängigen Algorithmen in Echtzeit anzuwenden. Damit ist es möglich, das Ergebnis der Schallquellenlokalisierung, das so genannte Acoustic Image oder Quellkartierung im Online-Betrieb anzuzeigen. Derartige Systeme arbeiten vergleichbar einer Wärmebildkamera, die statt der Temperatur die abgestrahlte Schallenergie als Falschfarbenbild einem herkömmlichen Videobild überlagert anzeigen. Man kann damit die Messobjekte regelrecht abfilmen. Die Auswirkungen von Änderungen am Objekt werden sofort sichtbar.
8.5.1.2 Beamforming Unter dem Begriff Beamforming versteht man die Technik, die Signale einer Anzahl von Sensoren ohne Richtungsinformation so zu verknüpfen, dass die aus einer bestimmten Richtung ankommenden oder von einem bestimmten Ort ausgesandten Signalanteile verstärkt und alle anderen Signalanteile abgedämpft werden. Bei einem Mikrofonarray geht man von einer annähernd richtungsunabhängigen Signalerfassung der Einzelsensoren aus. Die Verknüpfung der Signale und damit verbundene „Ausrichtung“ des Arrays ist primär die Aufgabe der Datenverarbeitung mit Hilfe spezialisierter Algorithmen. Das von einer Punktquelle ausgesandte Signal wird von einer Vielzahl von Sensoren aufgezeichnet. Es ergeben sich Phasen- und Amplitudenunterschiede. Die Einzelsignale werden in einem Rechner überlagert. Dabei werden die Amplituden und Phasenbeziehungen auf der Grundlage des physikalischen Modells einer Punktquelle variiert. Stimmt der Ort der tatsächlichen Punktquelle mit dem angenommenen Ort der Modellquelle überein, addieren sich die korrigierten Einzelsignale in Phase und Amplitude. Verschiebt man die modellierte Punktquelle um einen kleinen Betrag, ändern sich auch die Amplituden- und Phasenbeziehungen zwischen den Mikrofonen. Bei der Überlagerung der so korrigierten Einzelsignale kommt es dadurch zu Phasenauslöschungen Der Zusammenhang zwischen der örtlichen Verschiebung der modellierten Punktquelle und dem Grad der Phasenauslöschung der Einzelsignale beschreibt das räumliche Auflösungsvermögen eines Arrays und damit seine Leistungsfähigkeit. Das Auflösungsvermögen hängt von einer ganzen Reihe von Parametern ab, die nachfolgend beschrieben werden. Algorithmen Entsprechend den Anwendungen existiert eine Vielzahl universeller und spezialisierter Algorithmen, die alle unter dem Begriff Beamforming zusammengefasst werden können. Der in der industriellen Anwendung gebräuchlichste Algorithmus wird in der Literatur gewöhnlich als Classical Beamforming (CBF) oder Delay-And-Sum (DAS)
400
8
S. Guidati
bezeichnet. Andere Algorithmen (Robust Adaptive Focusing, MUSIC) sind darauf spezialisiert, den Ort einer Quelle exakt zu bestimmen. Die Information über die Quellstärke geht dabei teilweise bzw. vollständig verloren. Eine Herleitung dieser und weiterer Algorithmen findet sich bei (Johnson u. Dudgeon 1993; Dassen et al. 1998). Grundsätzlich kann der DAS Algorithmus sowohl im Zeit- als auch im Frequenzbereich angewendet werden. Beide Formulierungen haben Vor- und Nachteile hinsichtlich der Geschwindigkeit der Berechnung in Abhängigkeit des interessierenden Frequenzbereichs. Das Ergebnis ist jedoch identisch. Die verschiedenen weiterführenden Techniken lassen sich in der Regel mit geringerem Aufwand bzw. ausschlielich im Frequenzbereich durchführen. Daher wird im Folgenden die Formulierung im Frequenzbereich hergeleitet. Die Signale der Mikrofone am Ort xm werden in überlappenden Blocken zunächst gefenstert (z. B. Hanning Fenster), dann Fourier-transformiert und im Anschluss als Messvektor angeordnet:
f) P(
P( f , xm1 ) P( f , xm2 ) P( f , xmN )
(8.43)
Nun bildet man die Kreuzkorrelationsmatrix als äueres (diadisches) Produkt des Messvektors: f ) P( f ) A(f ) = P(
(8.44)
Die Schallausbreitung im homogenen Medium wird durch die Helmholtz-Gleichung beschrieben. ∇ 2 P( f , x) + k 2 P( f , x) = ( f , x)
(8.45)
mit k
2f c
(8.46)
Die Lösung dieser Gleichung für eine beispielsweise punktförmige Anregung mit Monopolcharakteristik am Quellort xq lautet: P( f , xq , xm ) g( f , xq , xm )
(8.47)
mit der Green’schen Funktion g( f , xq , xm )=
σeik |xq xm | 4 xq xm
(8.48)
8
401
Messung und Analyse
Nun wird für jeden potentiellen Quellort und tatsächlichen Mikrofonort die Green’sche Funktion berechnet und wiederum als Vektor formuliert:
gg( ( f , xq )
g( f , xq , xm1 ) g( f , xq , xm2 ) g( f , xq , xmN )
(8.49)
Damit kann nun der Delay-And-Sum Algorithmus formuliert werden: 2 =
g A g | g |4
(8.50)
Der Algorithmus liefert also durch den Vergleich der realen Messung A mit simulierten Messungen g die Quellstärke eines Monopols am angenommenen Quellort. In dem man den angenommene Quellort über einen interessierenden Bereich wandern lässt, erhält man eine Kartierung des Quellgebiets. Durch einfachen Austausch der Green’schen Funktion können beliebige Quellcharakteristiken angenommen werden. Eigenschaften des Delay-And-Sum Algorithmus Grundsätzlich gehört der DAS Algorithmus zu den Integraltransformationen (z. B. Fourier, Laplace etc.) und ist daher eng mit der Fourier-Transformation für Zeitsignale verwandt: Ein gegebenes Signal wird mit einer Reihe von Testsignalen verglichen, die wiederum die Eigenschaft haben, dass sie selbst im paarweisen Vergleich verschwinden. Diese Eigenschaft bezeichnet man als Orthogonalität. Nimmt man als Quellcharakteristik ebene Wellen an, entspricht der DAS einer räumlichen Fourier-Transformation: Die Sinus- und Cosinus-Funktionen der Fourier-Transformation entsprechen den ebenen Wellen, die Abtastrate entspricht dem Mikrofonabstand, die Blocklänge entspricht der Arraygröe (Apertur). Die deutlichste Einschränkung besteht in der im Vergleich zur Fourier-Transformation eines Zeitsignals geringen Apertur und Mikrofonanzahl im Verhältnis zur Wellenlänge. Das resultiert in einer groben Auflösung mit nur sehr wenigen Stützstellen in der Quellkartierung (entsprechend den orthogonalen Frequenzlinien der Fourier-Transformation). In der Regel wird daher die Quellkartierung deutlich feiner aufgelöst berechnet. Dadurch werden jedoch die zwischen den orthogonalen Stützstellen gelegenen Sidelobes (Nebenkeulen) sichtbar. Diese Sidelobes sind eine Grundeigenschaft der Integral-Transformationen und treten auch bei der Fourier-Transformation auf, sobald man das Spektrum feiner berechnet als es durch Abtastrate und Blocklänge vorgegeben ist. Im Falle einer Monopolcharakteristik ist allerdings die Grundvoraussetzung der Integraltransformationen, die Orthogonalität, nicht erfüllt. Als Folge dessen kann die Energie einer verteilten Quelle nicht durch einfache Summation über die Quellkartierung bestimmt werden, da sich die Quellen überlappen. Abbildung 8.53 stellt das Ergebnis der Kartierung eines Monopols dar, das so genannte Beam Pattern. Das zugrunde liegende Array ist ein Linienarray mit gleichmäiger Mikrofonverteilung. In Grün ist das ideale Ergebnis dargestellt. In Rot sieht man das Ergebnis des DAS. Das Maximum der Kartierung liegt am Ort der Quelle. Für die gegebene Arraygeometrie und Quellsignalfrequenz liegen nur
402
S. Guidati
Mainlobe
Sidelobe
Beam Pattern 0
8
Array Response [dB]
Dynamik –10
–20
–30
–40
–50 –1
–0.8 –0.6
–0.4
–0.2 0 0.2 Scan in X [m]
Auflösung
0.4
0.6
0.8
1
Array Kartierung Ideale Kartierung
Abb. 8.53 Beam Pattern eines Linienarrays mit Definitionen für Dynamik und Auflösung
insgesamt vier Minima (oder Nullstellen) im interessierenden Bereich, dazwischen erkennt man die Hauptkeule (Mainlobe) sowie die Nebenkeulen (Sidelobes). Den Pegelabstand zwischen der Mainlobe sowie der ersten Sidelobe bezeichnet man als Dynamik. Diese Dynamik begrenzt in hohem Mae die Leistungsfähigkeit eines Beamforming Systems, da die Sidelobes der lautesten Quelle nicht von realen leiseren Quellen unterschieden werden können. Die Breite der Mainlobe bezeichnet die Auflösung oder Schärfe des Arrays. Ist der Abstand zweier Quellen kleiner als die Auflösung, verschmelzen die Quellen in der Kartierung und können nicht lokalisiert und quantifiziert werden. Entsprechend der Analogie zur Fourier-Transformation für Zeitsignale hängt die Auflösung eines Linienarrays von der Frequenz sowie der Geometrie von Quelle und Array ab. Dabei gilt: • Die Auflösung steigt mit steigender Frequenz. • Die Auflösung steigt mit steigender Apertur (Gröe des Arrays). • Die Auflösung steigt mit sinkendem Abstand zwischen Array und Quelle. In der Praxis gibt es für jede dieser Regeln gewisse Grenzen. Die Frequenz ist zumeist durch das Problem vorgegeben, kann also nicht beliebig erhöht werden. Das Array kann nicht beliebig vergröert werden, da abgesehen von räumlichen Gegebenheiten mit der
8
403
Messung und Analyse
Abb. 8.54 Frequenzabhängigkeit des Beam Patterns eines Linienarrays für Beamforming mit ebenen Wellen
20000 17500
Frequenz [Hz]
15000 12500 10000 7500 5000 2500 0 –80 –60 –40 –20
0 20 β[°]
40
60
80
Entfernung zur Quelle auch das Signal-Rauschverhältnis verschlechtert wird. Bei regelmäigen Array Geometrien kommt es in Analogie zur Fourier-Transformation zu räumlichem Aliasing sobald der Mikrofonabstand gröer ist als die halbe Wellenlänge. Um das zu vermeiden muss also die Mikrofonanzahl erhöht werden, wodurch die Systemkosten steigen. Zuletzt kann der Abstand zur Quelle nicht beliebig verkleinert werden, da im Nahfeld einer Quelle die Richtcharakteristik noch nicht vollständig ausgebildet ist und damit die Monopolannahme verletzt wird. Die Abb. 8.54 und 8.55 zeigen die Entwicklung des Beam Patterns über den Frequenzbereich für Beamforming mit ebenen Wellen und Punktquellen. Im ersten Fall sind die Aliasings Figuren deutlich zu erkennen. Im Falle der
20000 17500
Frequenz [Hz]
15000 12500 10000 7500 5000 2500
Abb. 8.55 Frequenzabhängigkeit des Beam Patterns eines Linienarrays für Beamforming mit Monopolquellen
0 –1 –0.8 –0.6 –0.4 –0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 x-Position [m]
1
404
S. Guidati
Punktquelle kommt es an Stelle des Aliasings zu einem generellen Anstieg der detektierten Quellstärke. In beiden Fällen ist das Ergebnis unbrauchbar. Räumliche Auflösung Das räumliche Auflösungsvermögen eines Arrays hängt wie oben beschrieben von einer Vielzahl von Faktoren ab. Darüber hinaus existiert bislang keine allgemeingültige Definition für diesen Begriff. In der Literatur wird gemeinhin definiert, dass zwei inkohärente Quellen dann als räumlich aufgelöst bezeichnet werden, wenn der in der Quellkartierung angezeigte Pegel zwischen den beiden Quellen um mindestens 3 dB abfällt. In diesem Fall ist der durch die nichtlineare Überlagerung im DAS bedingte verbleibende Pegel und Positionierungsfehler gering. Für eine genaue Untersuchung des Arrayverhaltens ist letztendlich eine Simulation erforderlich. Eine ungefähre Abschätzung des Auflösungsvermögens R kann über die folgende Formel erfolgen:
8
R
d Apertur
(8.51)
Dabei bezeichnet d den Abstand zwischen Array und Quelle und die Wellenlänge. Dynamik Die Dynamik bezeichnet den nutzbaren Pegelbereich innerhalb einer Quellkartierung und damit wie oben beschrieben den Abstand zwischen der Mainlobe und der ersten Sidelobe. Diese Dynamik ist wiederum stark von den Array Parametern abhängig. Das theoretische Maximum für DAS liegt bei ungefähr 15 dB.
8.5.1.3 Beamforming Systeme und Array Geometrien Beamforming Systeme bestehen in aller Regel aus einem Mikrofonarray, mindestens einer Videokamera, einem Frontend für die Signalkonditionierung und Digitalisierung der Mikrofonsignale sowie einem Rechner für die eigentliche Berechnung der Quellkartierung, die dann dem Videobild überlagert angezeigt wird. Auf Grund der im Verhältnis zur Arrayapertur groen Wellenlänge ist die Tiefenschärfe der Arrays sehr begrenzt. Es ist daher nicht möglich, die Entfernung einer Quelle aus der Akustik zu berechnen. Da aber nur eine genaue Kenntnis der Entfernungen zu allen Quellen zu richtigen Ergebnissen führen kann, sind die meisten Systeme mit einem Verfahren zur Abstandmessung ausgestattet. Dabei gibt es verschiedene Verfahren (manuelles Ausmessen, Abgleich mit CAD Daten, Laserentfernungsmessung, räumliche Modellbildung und Fokussierung über multiple Videokameras). Der Beamforming Algorithmus stellt keine Einschränkungen bezüglich der Anordnung der Mikrofone. Die Qualität der Quellkartierung bezüglich Dynamik und Schärfe hängt jedoch in hohem Mae von dieser Anordnung, dem so genannten Array Pattern, ab. Bei einer fest vorgegebenen, statischen Messaufgabe ist es daher sinnvoll, das Array Pattern genau für diese Situation zu optimieren. Typische Beispiele für solche Anwendungen sind Messungen im Windkanal (Array schwebt über dem Fahrzeug, ist in die Wand eingelassen oder bildet eine Halbkreisscheibe parallel zum Fahrzeug) oder Spezialmessungen (z. B. Vermessung eines Triebwerksfreistrahls).
8
Messung und Analyse
405
Für einen universellen Einsatz muss ein Kompromiss gefunden werden zwischen der Handhabbarkeit, dem geforderten Auflösungsvermögen und den Kosten für die erforderliche Hardware. Für jede Art von Auenmessung, bei der sich alle Quellen auf einer Seite des Arrays befinden, ist eine zweidimensionale Mikrofonanordnung ausreichend. Ein solches 2D Array kann nicht zwischen Quellen vor bzw. hinter der Mikrofonebene unterscheiden, benötigt jedoch weniger Mikrofone als eine 3D Anordnung mit demselben Auflösungsvermögen. In Innenräumen (z. B. Fahrzeuginnenraum) kann von allen Seiten Schall abgestrahlt werden. Es empfiehlt sich daher die Verwendung eines dreidimensionalen Arrays oder eines zweidimensionalen Arrays, bei dem der rückwärtige Schall durch isolierende Manahmen unterdrückt wird. Grundsätzlich spiegelt sich das Array Pattern in der Sidelobestruktur des Beam Patterns wider. Bei einer Ringanordnung sind die Sidelobes beispielsweise Kreise und bei einer Spirale entsprechend Spiralen. Vorteilhaft ist eine Vermeidung von Symmetrien in der Anordnung, da durch sie eine Mehrdeutigkeit entsteht, die sich in einer Reduktion der Schärfe widerspiegelt. Die Mikrofonanzahl hat groen Einfluss auf die Systemkosten. Dabei gilt es zu beachten, dass bei richtiger Wahl der Mikrofonanordnung nur eine minimale Anzahl erforderlich ist. Eine Erhöhung der Kanalzahl bringt dann keine Verbesserung des Ergebnisses.
Typische 2D Arraygeometrien Matrixanordnung Bei der Matrixanordnung sind die Mikrofone in einem gleichmäigen Gitter (konstanter Mikrofonabstand) angeordnet. Diese Anordnung bietet den Vorteil, dass das Array gegebenenfalls auch für anderweitige Auswertungen herangezogen werden kann (z. B. Schalldruckkartierung, Holographie). Ansonsten überwiegen die Nachteile. Durch die gleichmäige Mikrofonanordnung und die damit sehr hohe Symmetrie kommt es bereits bei vergleichsweise geringen Frequenzen zu räumlichen Aliasing. Ring Die Ringanordnung zeichnet sich durch einen guten Kompromiss aus Mikrofonanzahl und Schärfe aus. Nachteilig ist eine verminderte Dynamik (ca. 7 dB) sowie eine schlechte Tiefenschärfe (hohe Unempfindlichkeit gegen fehlerhafte Tiefenschätzung), da die Mikrofonanordnung eine ausgeprägte Symmetrie (Punkt und Spiegel) zur Mittelachse aufweist. Zufallsanordnung Mit einer zufälligen Anordnung der Mikrofone erreicht man in der Regel erstaunlich gute Ergebnisse bezüglich Auflösungsvermögen und Dynamik, da keinerlei Symmetrien vorkommen. Durch die zufällige Anordnung ist das Beam Pattern (die Sidelobestruktur) ebenso zufällig. Es kann aber zu vereinzelten Sidelobemaxima vor allem im Bereich der höheren Frequenzen und damit zu einer Reduzierung der nutzbaren Dynamik kommen. Spiralanordnung Die so genannte logarithmische Spirale wird in vielen Arraygeometrien (meistens als Multispirale) verwendet. Der Vorteil ist hier eine groe Dynamik (nah am theoretischen Maximum), die nahezu vollständige Unterdrückung von räumlichem Alia-
406
S. Guidati
sing sowie eine gute Tiefenschärfe. Die vergleichsweise geringe Schärfe innerhalb einer Bildebene kann durch erweiterte Algorithmen (frequenzabhängige Gewichtung der Mikrofone) leicht kompensiert werden.
Typische 3D Anordnungen Als dreidimensionale Arrays kommen in der Regel offene oder geschlossene Kugeln zum Einsatz.
8
Offene Kugel Die offene Kugel bietet den Vorteil, dass das Schallfeld nur minimal durch das Array gestört wird. Für die Auswertung des Beamforming Algorithmus kann weiterhin der einfache Monopolansatz verwendet werden. Durch die Notwendigkeit Mikrofone, Kabel und den optischen Sensor möglichst akustisch durchlässig und gleichzeitig hinreichend robust anzubringen, ergibt sich jedoch ein erhöhter konstruktiver Aufwand. Geschlossene Kugel Die geschlossene Kugel bietet den Vorteil, dass Mikrofone Kabel und optischer Sensor auf sehr einfache Weise im Kugelinneren untergebracht werden können, ohne Beeinflussung der akustischen Eigenschaften des Arrays. Darüber hinaus erhält man durch die Beugungs- bzw. Abschattungseffekte der Kugel eine effektive Vergröerung der Arrayapertur und damit der Schärfe. Diese Effekte und die daraus resultierende Empfangscharakteristik der Mikrofone muss jedoch beim Beamforming kompensiert werden.
8.5.1.4 Erweiterungen des Beamforming Algorithmus Im Folgenden werden Lösungsansätze für spezielle Problemfälle beim Einsatz der Arraytechnik vorgestellt. Strömungskorrektur Ein typisches Anwendungsgebiet für die Mikrofonarraytechnik ist die Messung im Windkanal, da man hier in der Regel nicht im Nahfeld der Quellen messen kann, ohne zusätzlichen Lärm zu erzeugen. Durch die Windkanalströmung kommt es zur Konvektion der akustischen Wellen und damit zu einer Verzerrung der Wellenfronten. Der Effekt kann für kleine Machzahlen wie folgt modelliert werden P(x, k, uˆ 1 ) = P(x, k, uˆ 1 = 0)e jkMa(x1 q1 )
(8.52)
mit Ma
uˆ 1 c
(8.53)
8
Messung und Analyse
407
Dabei bezeichnet uˆ 1 die Strömungsgeschwindigkeit und c die Schallgeschwindigkeit. Diese Korrektur gilt nur, wenn Quelle und Beobachter sich in einer homogenen Strömung befinden (z. B. Windkanal mit geschlossener Messstrecke und Mikrofonen in der Kanalwand). In einem Kanal mit offener Messstrecke breitet sich der Schall in der ruhenden Luft anders aus als in der Strömung. Dadurch kommt es in der Scherschicht zwischen strömender und ruhender Luft zu einer Beugung der Schallwellen. Die erforderlichen Berechnungen sind relativ aufwendig. Sijtsma et al. (Sijtsma u. Holthusen 1993) haben jedoch gezeigt, dass man den Scherschichteffekt in guter Nährung mit einer mittleren Machzahl modellieren kann:
P(ˆui ) = P(ˆui = 0)e jkM a(xi qi )
(8.54)
mit
M a Ma
dQSL dXQ
(8.55)
wobei dQSl den Abstand von der Quelle bis zur Scherschicht und dXQ den Abstand zwischen Quelle und Beobachter bezeichnet. Messungen in reflektionsbehafteten Umgebungen Der Beamforming Algorithmus basiert auf einem Modellansatz für die Schallausbreitung zwischen Quelle und Mikrofon. Grundsätzlich kann dabei jede beliebige Ausbreitungscharakteristik angenommen werden (z. B. Monopol, Dipol etc.). Abweichungen zwischen angenommener und tatsächlicher Charakteristik durch Reflexion, Beugung und Absorption resultieren jedoch unweigerlich in Fehlern in der Lokalisierung und Quantifizierung der Quellen. Im Extremfall eines Hallraumes versagt ein Monopolansatz vollständig. Die Charakteristik der Schallausbreitung kann beschrieben werden als ein Array von Übertragungsfunktionen zwischen dem angenommenen Quellort und den einzelnen Mikrofonen. Sind diese Übertragungsfunktionen exakt bekannt, können auch Quellen in stark reflektierender Umgebung lokalisiert und quantifiziert werden. Eine einfache reflektierende Wand kann durch eine kohärente Spiegelquelle hinter der Wand modelliert werden. Schallharte planparallele Wände führen zu stehenden Wellen, bzw. unendlicher Reflexion. Eine Modellierung muss entsprechend eine unendliche Reihe von Spiegelquellen berücksichtigen. In der Regel kommt es immer zu einer Teilabsorption, so dass die Übertragungscharakteristik durch eine endliche Anzahl von Quellen angenähert werden kann. Im Falle von komplexeren Raumgeometrien muss die Übertragungsfunktion durch numerische Verfahren (z. B. Ray Tracing, BEM) angenähert werden. Die Übertragungsfunktionen lassen sich auch messtechnisch erfassen (Guidati 2005). Dazu wird eine kleine kalibrierte Schallquelle mit annähernder Monopolcharakteristik an alle interessierenden Quellorte positioniert. Für jede Position können nun die Übertragungsfunktionen zu den Array-Mikrofonen gemessen und abgespeichert werden. Bei der eigentlichen Quellkartierung wird der Beamforming Algorithmus nur für die zuvor gemessenen Positionen unter Verwendung der zugehörigen Übertragungsfunktionen ausgewertet.
408
8
S. Guidati
Integration des Quellgebiets In Abschn. 8.5.1.2 wurde erläutert, dass beim Beamforming mit Punktquellen (Nahfeld) die Orthogonalitätsbedingung verletzt wird. Daraus folgt unmittelbar, dass bei sich räumlich überlagernden Punktquellen oder Quellgebieten keine absoluten Werte für die Quellstärke angegeben werden können. Die Stärke der einzelnen Quellen wird überschätzt, wobei der Effekt zu den hohen Frequenzen hin abnimmt. Durch das Integrationsverhalten des Arrays hat der in der Quellkartierung angegebene Wert tatsächlich die Einheit Quellstärke mal Längen- bzw. Flächeneinheit. Um dieses Problem zumindest näherungsweise zu lösen, wurden verschiedene Techniken der Quellgebietsintegration entwickelt (z. B. Brooks u. Humphrey 1999). Dabei berechnet man unter Berücksichtigung des bekannten Beam Patterns für das verteilte Quellgebiet eine Ersatzschallquelle. Solange das Quellgebiet begrenzt ist und der kartierte Pegel zu den Rändern signifikant abfällt, kann der Pegel der Ersatzschallquelle mit guter Genauigkeit angegeben werden. Im Falle einer konstanten Linienquelle (z. B. Profilhinterkante) kann die frequenzabhängige Pegelüberschätzung durch eine einfache Entzerrungskurve korrigiert werden. Erweiterte Verfahren für inkohärente Quellen Die Begrenzungen der Arraytechnologie hinsichtlich Dynamik und Schärfe der Quellkartierungen führten zur Entwicklung einer Reihe ergänzender Verfahren, die jedoch mit teils erheblichem numerischem Mehraufwand verbunden sind und daher im Augenblick noch nicht in Echtzeit berechnet werden können. Der CLEAN Algorithmus (Dassen et al. 1998) basiert auf der Eigenschaft, dass die Kartierung eines aus mehreren inkohärenten Quellen bestehenden Gebiets dargestellt werden kann als Summe der Kartierungen der Einzelquellen. Der Algorithmus bestimmt zunächst den Ort der lautesten Quelle. Nun wird eine Quelle am selben Ort simuliert und die resultierende Kartierung von der auf der Messung basierenden Kartierung abgezogen. Im Idealfall ist nun die lauteste Quelle sowie alle zugehörigen Sidelobes entfernt und die nächst leisere Quelle wird sichtbar. In der Praxis wird das Verfahren in kleineren Schritten angewandt, um damit robuster gegen Messfehler zu sein. Das Verfahren funktioniert mit erhöhtem Fehler auch für kohärente Quellen. Bei der Principal Component Analysis geht man ebenso von inkohärenten Quellen aus. Die Korrelationsmatrix des DAS wird über einen Zeitbereich gemittelt. Für jede inkohärente Quelle erhält man einen von null verschiedenen Eigenwert dieser Matrix. Die Eigenvektoren wiederum entsprechen näherungsweise isolierten Messungen der einzelnen Quellen. Mit Hilfe dieser virtuellen Messungen können nun Kartierungen der einzelnen zugeordneten Quellen berechnet werden. Die Eigenwertzerlegung muss für jede interessierende Frequenz separat durchgeführt werden. Das Verfahren ist damit sehr rechenintensiv. Eine wesentlich performantere Alternative bietet die Kohärenzfilterung (Guidati 2009). Hierbei werden durch gleitende zeitliche Mittelung die zu einem Referenzsensor kohärenten Signalanteile in den Mikrofonsignalen verstärkt, bzw. die inkohärenten Anteile gedämpft. Die Quellkartierung zeigt dann nur die zum Referenzsensor kohärenten Quellen (inkl. möglicher Reflexionen). Durch Subtraktion der Kartierungen für die ungefilterten und gefilterten Signale erhält man eine dritte Kartierung, in der nun ähnlich der Ergebnisse des oben beschriebenen CLEAN Algorithmus nur noch die inkohärenten
8
Messung und Analyse
409
Quellen dargestellt werden. Die Qualität der Filterung hängt im hohem Mae davon ab, in wieweit das Referenzsignal die interessierenden Quellen frei von Übersprechen erfasst. Beschleunigungsaufnehmer und Laser liefern daher bessere Resultate als Mikrofone, die in aller Regel auch Anteile aller weiteren Quellen erfassen. Durch die Einfachheit des Algorithmus kann die Kohärenzfilterung auf Standardcomputern in Echtzeit berechnet werden.
8.5.1.5 Beamforming in der Anwendung Die Beamforming Technologie besticht durch ihre Einfachheit in der Anwendung und liefert schnell anschauliche Ergebnisse. Auch absolute Neulinge können mit geringer bis gar keiner Einweisung Resultate erzielen. Hier liegen die Stärken aber auch die potentiellen Gefahren. Die Systeme liefern in der Regel immer ein „buntes Bild“ und können bei falscher Bedienung so sehr schnell zu Fehlinterpretationen führen. Die Bilder oder Filme bestechen durch ihre vermeintliche Beweiskraft und können die Arbeit des Ingenieurs ebenso unterstützen wie behindern. Daher ist es unumgänglich, in der täglichen Arbeit die gegebenen Grenzen der Technologie zu beachten. Begrenzte Dynamik Die Dynamik der Quellkartierung ist begrenzt. Jede reale Quelle erzeugt als Artefakt des Beamforming Algorithmus Geisterquellen (Sidelobes), die zunächst nicht von realen Quellen unterschieden werden können. Es ist daher zwingend erforderlich die Dynamik in der Quellkartierung entsprechend der Arraydynamik einzuschränken. Dies führt dazu, dass oftmals nur noch die dominante Quelle sichtbar wird. Um auch leisere Quellen zu erfassen, muss die dominante Quelle entweder physikalisch (z. B. durch Dämmmanahmen) oder virtuell durch die oben beschriebenen Zusatzalgorithmen (z. B. CLEAN, PCA oder Kohärenzfilterung) gedämpft werden. Begrenzte Schärfe Besonders für tiefe Frequenzen ist das Auflösungsvermögen der Arrays begrenzt. Eine einzelne Punktquelle erscheint als räumlich ausgedehntes Quellgebiet. Die Gröe dieses Gebiets hängt dann primär von der in der Quellkartierung eingestellten Dynamik ab und nicht von der tatsächlichen Ausbreitung der Quelle. Solange man nur den Ort der dominanten Quelle sucht und die Kartierung zeitlich stabil ist (kein Wandern der Quelle), kann durch eine Reduktion der Dynamik der Ort präziser bestimmt werden. Anschaulich gesprochen reduziert man ein ausgedehntes Gebirge nur auf seine Spitze. Entfernungsfehler Aufgrund der verhältnismäig groen Wellenlängen kann man die Entfernung einer Quelle nur sehr schlecht mit einem Array schätzen. In der Regel wird für die Quellkartierung eine feste Entfernung angenommen. Ist diese Entfernung falsch, erhält man dennoch ein „buntes Bild“. Die angezeigten Quellen haben aber nicht den richtigen Pegel und nicht den richtigen Ort. Modellfehler Der wahrscheinlich häufigste Fehler bei der Anwendung liegt in einer Abweichung der angenommenen von der tatsächlichen Abstrahlcharakteristik der Quelle. Wie bereits oben erwähnt, kann der Beamforming Algorithmus mit beliebigen Abstrahl-
410
8
S. Guidati
charakteristiken ausgeführt werden. Eine Abweichung zur tatsächlichen Charakteristik führt aber zwangsläufig zu Quantifizierungs- und Lokalisierungsfehlern. Dabei ist immer der Winkelbereich der Abstrahlung relevant, der vom Array „gesehen“ wird. Hinterkanten von Fahrwerken oder Tragflächen stellen beispielsweise typische aeroakustische Quellen mit ausgeprägter Dipolcharakteristik dar. Solange das Array nur parallel zur Quelle misst, lässt sich die Abstrahlung gut als Monopol annähern. Hinter der Quelle würde das Array jedoch komplett versagen. Insbesondere hochfrequente Quellen können eine stark ausgeprägte Richtcharakteristik besitzen. Wenn nur ein Teil des Arrays die Quelle „sieht“ wird wiederum die Lokalisierung misslingen. Eine Möglichkeit die Qualität der Ergebnisse zu verifizieren besteht darin, die Messung aus verschiedenen Blickwinkeln zu wiederholen. Wenn die Quelle stets am selben Ort abgebildet wird aber mit unterschiedlichen Pegeln, ist die Lokalisierung korrekt und die Quelle besitzt eine gerichtete Abstrahlcharakteristik. Wandert die Quelle bei der Veränderung des Blickwinkels, ist die Richtcharakteristik der Quelle sehr stark ausgeprägt oder das Schallfeld durch Reflexionen etc. gestört. In jedem Fall ist das Messergebnis fraglich. Bei extrem schmalbandigen Quellen (Extremfall Sinuston) kann das Messergebnis bereits durch ein vergleichsweise geringes Ma an reflektierter Energie gestört werden, da die kohärente Reflexion die Phasenlage der Mikrofonsignale verändert. Dieser Effekt wird geringer je breitbandiger die Quelle ist, da der Effekt der Störung sich über mehrere Frequenzen immer mehr herausmittelt. Manchmal zeigt sich in der spektralen Darstellung der Mikrofonsignale Signalenergie, die keiner Quelle in der Kartierung zugeordnet werden kann. Die Kartierung zeigt dann lediglich hochpegeliges Rauschen. In diesem Fall ist entweder die Schallausbreitung extrem gestört oder aber die eigentliche Quelle wird vom Array noch nicht direkt „gesehen“, d. h. sie strahlt primär in eine dem Array abgewandte Richtung. In diesem Fall empfiehlt es sich zunächst, das Array weiter entfernt vom eigentlichen Messobjekt zu positionieren. In aller Regel erfasst man dann den ungefähren Ort der Abstrahlung. Nun kann man sich wieder schrittweise dem Objekt nähern, um den Quellort präziser einzugrenzen. Weiterhin empfiehlt es sich, das Messobjekt wenn möglich mit dem Array zu umkreisen. Damit kann auch im Fall von stark gerichteter Abstrahlcharakteristik der Quellort lokalisiert werden. Zuletzt gilt es zu beachten, dass der DAS auch im Falle von verdeckten Quellen das Schallfeld stets in Monopole (bzw. die angenommene Ausbreitungscharakteristik) zerlegt. Als Folge der mehr oder weniger zufälligen Phasenlage der verschiedenen kohärenten Übertragungswege scheint die Quelle dann hinter der Verdeckung, an deren Rändern oder im Extremfall an einer vollkommen anderen Position zu sein Transiente oder bewegte Quellen Das typische Ergebnis des Beamforming Prozesses ist eine über einen beliebigen Zeitraum gemittelte Quellkartierung. Transiente Ereignisse lassen sich jedoch erst in einem Videofilm korrekt erfassen, da sich vom Beginn des Ereignisses bis zu seinem Abklingen die Abstrahlung permanent ändern kann. Das gleiche gilt für bewegte Quellen. Hier empfiehlt sich wiederum eine Videoauswertung. Für ein stationäres Bild sollte die Bewegung im Algorithmus kompensiert werden (Sijtsma et al. 2001). Dafür muss die Trajektorie der Quelle exakt bekannt sein. Ist dies nicht gegeben empfiehlt
8
Messung und Analyse
411
Abb. 8.56 Kartierung des Motorgeräuschs im Leerlauf
es sich, das Videobild entsprechend der Quellkartierung zeitlich zu mitteln, so dass in der Auswertung die Bewegung festgehalten wird. Die Abb. 8.56 und 8.57 zeigen exemplarisch zwei Anwendungsbeispiele aus dem Bereich Fahrzeugakustik. In Abb. 8.56 ist das Ergebnis der Quellkartierung eines Ottomotors im Leerlaufbetrieb abgebildet. Der Frequenzbereich ist vergleichsweise hoch gewählt (5–7 kHz), so dass die Zylinder als separate Geräuschquellen erkennbar sind. In diesem Fall ist ein über einen längeren Zeitraum gemitteltes Bild weit weniger aussagekräftig als ein Videofilm, in dem insbesondere in Zeitlupe die Zylinderfolge deutlich zu erkennen ist. Abbildung 8.57 zeigt eine Dichtungsprüfung an einem Pkw. Es existieren verschiedene Ansätze um die Dichtungen zu überprüfen. In diesem Beispiel wird die Dichtung von innen mit Druckluft angeblasen. Im Falle der ungestörten Dichtung (linkes Bild) ist nur ein geringer Schallaustritt fest zu stellen. Im rechten Bild ist die innere Dichtung gestört. Die Luft dringt in den Dichtungskanal ein und erzeugt bei der Verwirbelung aeroakustischen Lärm, der sowohl direkt an der Störungsstelle als auch an den beiden Endpunkten des Dichtungskanals eindeutig kartiert wird.
Abb. 8.57 Dichtungsprüfung an einem Pkw. Links: mit intakter innerer Dichtung. Rechts: mit gestörter innerer Dichtung
412
M. Helfer
8.5.2 Hohlspiegelmikrofone Martin Helfer, Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart
8.5.2.1 Funktionsweise und Aufbau von Hohlspiegelmikrofonen
8
Hohlspiegelmikrofone bestehen aus einem parabolischen oder ellipsoiden Spiegelkörper, in dessen Brennpunkt ein Mikrofon angeordnet ist, das den von der Spiegeloberfläche reflektierten Schall aufnimmt. Bei Parabolspiegeln werden dabei parallel zur Spiegelachse einfallende Strahlen registriert (Abb. 8.58), bei Ellipsoidspiegeln die vom zweiten Brennpunkt des Ellipsoids auf der Spiegelachse ausgehenden Strahlen (Abb. 8.59). Da Parabolspiegel wegen ihres Einsatzes in der Nachrichtentechnik deutlich einfacher zu beschaffen Abb. 8.58 Funktionsschema eines paraboloiden Hohlspiegelmikrofons. (Helfer 2007)
F
F1
Abb. 8.59 Funktionsschema eines ellipsoiden Hohlspiegelmikrofons. (Helfer 2007)
F2
8
413
Messung und Analyse
y = m x2 250 200 y / mm
150 100 50 0
–800 –700 –600 –500 –400 –300 –200 –100
0
100
200
300
400
500
600
700
800
x / mm Kontur des Parabolspiegels
Abb. 8.60 Formbestimmung zur mathematischen Ermittlung der zugrunde liegenden Parabel. (Helfer 2007)
sind als Ellipsoidspiegel (die in der Regel eigens angefertigt werden müssen), wird bei der Entwicklung von Hohlspiegelmikrofonen heute meist auf Parabolspiegel zurückgegriffen. Die etwas schlechtere räumliche Auflösung dieser Bauart kann teilweise durch eine ellipsoid-orientierte Mikrofonpositionierung ausgeglichen werden. Hierzu muss zunächst die Form des gewählten Hohlspiegels exakt ermittelt werden (Abb. 8.60). Ist die mathematische Gleichung der zugrunde liegenden Parabel bekannt, so kann entsprechend Abb. 8.61 y Q
a
B
b αα
β
Hohlspiegel yp
Abb. 8.61 Ermittlung der Mikrofonposition am Hohlspiegel für einen bestimmten Messabstand. (nach Helfer 2007)
Y
P
δ xp
Q: Schallquelle B: Brennpunkt des Spiegels
x
414
M. Helfer
8
Entfernung zwischen Spiegelmittelpunkt und Mikrofon (b)/mm
1050 1000 950 900 850 800 750 700 650 600 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000 4500 5000 5500 6000 6500 7000 7500 8000 8500 9000 9500 10000
Entfernung zwischen Spiegelmittelpunkt und Schallquelle (a)/mm
Abb. 8.62 Zusammenhang zwischen Messabstand und Mikrofonposition (Beispiel). (Helfer 2007)
eine für den Messabstand (Lage des zweiten Brennpunktes Q im Bild) optimale Mikrofonposition (B) ermittelt werden. Die Berechnung erfolgt dabei mittels der Gleichung a mx2 , b = mx2 + xtan 2arctan2mx arctan x
(8.56)
wobei der Parameter m aus dem in Abb. 8.60 angegebenen Zusammenhang gewonnen wird. Wie aus der Gleichung hervorgeht, hängt das Ergebnis vom Reflexionsort am Spiegel (x) ab. Daher kann kein eindeutiges Ergebnis für die Mikrofonposition angegeben werden. Aufgrund der Tatsache, dass die Anzahl der reflektierten Strahlen mit dem Abstand vom Spiegelmittelpunkt (x = 0) linear ansteigt, kann jedoch zur Ermittlung der optimalen Mikrofonposition eine lineare Wichtung der berechneten Mikrofonabstände über dem Parameter x erfolgen. Auf diese Weise kann eine Kennlinie ermittelt werden, die das Verhältnis der Distanzen zwischen optimaler Mikrofonposition und Scheitelpunkt des Parabolspiegels und zwischen Schallquelle und Spiegeloberfläche wiedergibt. Ein Beispiel hierfür ist in Abb. 8.62 dargestellt.
8.5.2.2 Historisches Geräte zur Schallverstärkung und -ortung, die auf dem Reflexionsprinzip beruhen, sind schon seit Jahrhunderten bekannt. Bereits der römische Arzt Archigenes erwähnte im 2. Jahrhundert ein Hörrohr gegen Schwerhörigkeit und eine Miniatur aus dem 12. Jahrhundert zeigt König Artus mit einem Hörrohr auf der Jagd, das wohl zur Ortung von Geräuschen gedient haben mag. Beschrieben wurde dieses Instrument 1650 erstmals durch Athanasius Kircher, der daher als dessen Erfinder gilt. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden
8
Messung und Analyse
415
Abb. 8.63 Einsatz des „Topophones“ von Alfred M. Mayer. (N.N. 1880)
Hörrohre dann in vielfältigen Bauweisen hergestellt, z. T. sogar in Mobiliar (Sessel) integriert. Der letzte Hörrohr-Produzent, F. C. Rein and Son in London, stellte den Betrieb 1963 endgültig ein. Die ersten technischen Anwendungen stammen aus dem 19. Jahrhundert. Am bekanntesten ist wohl das „Topophone“ des amerikanischen Wissenschaftlers Prof. Alfred M. Mayer (1836–1897) von 1880, das u. a. aus zwei verschiebbaren Hörtrichtern bestand und es Seefahrern durch räumliche Ausrichtung und Abstandsveränderung dieser Hörtrichter gestatten sollte, die Nebelhörner von Schiffen in der Umgebung zu orten (Abb. 8.63). Weitere Systeme dienten im 20. Jahrhundert militärischen Zwecken, z. B. der in Abb. 8.64 dargestellte Ringtrichterrichtungshörer (RRH) der deutschen Wehrmacht, der zur Ortung feindlicher Flugzeuge eingesetzt wurde. Auch die ersten wirklichen Hohlspiegelmikrofone entstanden als Frühwarnsysteme zur Erkennung feindlicher Luftschiffe und Flugzeuge. Sie wurden ca. zwischen 1915 und 1930 entlang der englischen Süd- und Ostküste errichtet und bestanden aus einem konkav ausgebildeten Betonkörper mit vorgesetztem Abhörmechanismus. Dieser bestand häufig aus einem Auffangtrichter im Brennpunkt des Spiegels, der über Rohrleitungen in einem Unterstand in der Nähe abgehört wurde, teilweise waren jedoch auch schon Mikrofone im Einsatz.
Abb. 8.64 Ringtrichterrichtungshörer (RRH) der deutschen Wehrmacht (Foto: Helge Fykse, mit freundlicher Genehmigung)
416
M. Helfer
Abb. 8.65 Hohlspiegelmikrofon mit ca. 9 m Durchmesser auf der Halbinsel Dungeness in Kent, Südostengland (Foto: Andrew Grantham, mit freundlicher Genehmigung)
8
Einige dieser Hohlspiegelsysteme sind noch erhalten und können auch besichtigt werden. Abbildung 8.65 zeigt beispielhaft den Spiegel auf der Landspitze Dungeness (Grafschaft Kent), der bereits mit einem Mikrofon ausgerüstet war. In der Fahrzeugakustik werden Hohlspiegelmikrofone heute meist zur Ortung von Geräuschen eingesetzt, wenn eine Messung direkt am Fahrzeug zu aufwendig oder unmöglich ist. Besonders in aeroakustischen Windkanälen mit offener Messstrecke eignen sie sich sehr gut zur Erfassung des nach auen abgestrahlten Umströmungsgeräusches (Helfer 2007), s. Abb. 8.66. Zur effektiveren Bedienung sind die Systeme häufig zusätzlich mit einer Video-Kamera zur Beobachtung des Messgebietes und einem Positionier-Laser zur exakten Ausrichtung ausgerüstet.
8.5.2.3 Eigenschaften Hohlspiegelmikrofone weisen wie Mikrofonarrays (s. Abschn. 8.5.1) bestimmte Ortungseigenschaften und Signalverstärkungen auf. Diese sind sowohl vom Abstand vom Messobjekt, als auch von der Gröe und vom Aufbau des Messsystems abhängig. Je gröer der
8
417
Messung und Analyse
Abb. 8.66 Hohlspiegelmikrofon in einem aeroakustischen Windkanal
Spiegeldurchmesser ist und je kleiner der Messabstand, desto genauer wird das räumliche Auflösungsvermögen des Hohlspiegelmikrofons. Daneben spielt auch noch die Frequenz des Messsignals eine bedeutende Rolle. Höhere Frequenzen sind hier sowohl für die räumliche Auflösung als auch für die Signalverstärkung von Vorteil. Für eine Punktquelle mit einer bestimmten Frequenz wird vom in Abb. 8.67 links dargestellten Hohlspiegelmikrofon bei einer Bewegung in x-Richtung der rechts im Bild dargestellte Verlauf der Signalstärke gemessen. Die Lage der Minima oberhalb und unterhalb der Hauptkeule kann über die Gleichung sin min = 1,22
λ D
(8.57)
und weiter b = A tan min b ≈ A 1,22
(8.58)
(für b 10–3 m
< wenige Meter
Strömungsfeld
turbulente Strukturen
Schallwellen
Druck
105 Pa
> 10–5 Pa
Strömungsfeld
Berechnungsaufwand
10
Für aeroakustische Berechnungen interessieren wie bereist erwähnt im Wesentlichen die Druck- und Geschwindigkeitsfluktuationen. Inwieweit die verschiedenen Verfahren diese Strömungsfluktuationen, bezogen auf deren Skalen, und die Schallwellen direkt berechnen, zeigt qualitativ die Skizze in Abb. 10.31. Die verschiedenen Verfahren zur Turbulenzberechnung sind üblicherweise auf Basis der NSG spezifiziert. Bei der LBM kann man auf vergleichbare Weise die Strömungsfluktuationen modellieren.
Schallwellen
turbulente Strukturen
DS DNS VLES DES
LES
URANS RANS Grad der direkten Berechnung
Abb. 10.31 Qualitative Übersicht der direkten Berechnung der verschiedenen Skalen in den unterschiedlichen Verfahren. (Blumrich 2006)
10
Simulation und virtuelle Realität
541
Sind die Druck- und Geschwindigkeitsfluktuationen mittels eines der verschiedenen CFD-Verfahren berechnet worden, können die akustischen Quellen, abhängig vom Grad der direkten Berechnung, bestimmt werden. Die zeitlichen Variationen der relevanten Fluktuationen entsprechen den akustischen Frequenzen, die zu erwarten sind. Falls die relevanten Gröen mit einem Turbulenzmodell parametrisiert wurden, müssen die Fluktuationen hieraus rekonstruiert werden. Sie werden durch pseudo-stochastische Fluktuationen mit den entsprechenden relevanten Skalen in Zeit und Raum angenähert. Diese pseudo-stochastischen Fluktuationen werden mit Hilfe des statistischen Verhaltens von Turbulenz und den Ergebnissen aus dem Turbulenzmodell, z. B. die turbulente kinetische Energie, synthetisiert. Das so genannte SNGR-Verfahren (Stochastic Noise Generation and Radiation, siehe z. B. in (Béchara et al. 1994, Bailly et al. 1995)) fut auf einer solchen Rekonstruktion. In der Praxis kann in vielen Fällen für die Berechnung des Strömungsfeldes ein inkompressibles Fluid angenommen werden. Dies vereinfacht die Simulation und kann bei niedrigen Mach-Zahlen sowie ohne Wechselwirkung zwischen Akustik und Strömungsfeld durchgeführt werden. Für die Simulation von Effekten wie Schiebedachwummern aber, wo eine Kopplung zwischen der Wirbelablösung und der angeregten Hohlraumresonanz statt findet, sollte die Kompressibilität der Luft für eine korrekte Simulation mit berücksichtigt werden. Natürlich auch, wenn die Ausbreitung der Schallwellen mit berechnet werden soll, wie oben bereits erwähnt.
10.2.3 Berechnung des Schallfeldes im Fluid Ausgehend von den über die Strömungsfluktuationen bestimmten akustischen Quellgebieten kann das Schallfeld am Ort des Empfängers auf verschiedene Art und Weise mit einer Akustik-Berechnung mehr oder weniger genau bestimmt werden, sofern dies durch eine DS nicht schon in der Strömungssimulation enthalten ist. Die einfacheren Methoden gehen von einer rein geometrischen Ausbreitung von der Quelle zum Empfänger aus. Effekte durch die Ausbreitung des Schalls in der inhomogenen Strömung werden also nicht berücksichtigt. Es gibt jedoch auch komplexere Methoden, bei denen die Effekte, die die Schallwellen auf dem Weg von der Quelle zum Empfänger z. B. im inhomogenen Strömungsfeld erfahren, mit berücksichtigt werden. Dies ist z. B. bei den linearisierten EulerGleichungen (Linearised Euler Equations, LEE) der Fall. Abbildung 10.32 gibt einen kleinen Überblick über die verschiedenen Ansätze der Berechnung bis hin zum Schallfeld am Empfänger. In den folgenden Abschnitten werden einige wichtige der bekannten Methoden zur Berechnung des Schallfeldes dargestellt.
10.2.3.1 Aeroakustische Analogien Eine Möglichkeit die Ausbreitung des Schalls bzw. das Schallfeld im Fluid zu berechnen, sind die so genannten Aeroakustischen Analogien (AAA). Wie zuvor bereits erwähnt, wur-
542
R. Blumrich
Direkte Simulation
hybride Methoden
Strömungsfeld Strömungsfeld (kleine Längenskalen, große Energien)
stationäre CFD: RANS + SNGR
instationäre CFD: URANS, VLES, DES, LES, DNS
Quellterme Schallfeld (große Längenskalen, kleine Energien)
Schallfeld Aeroakustische Analogien, Kirchhoff, LEE, FEM, BEM...
hoch aufgelöste kompressible NSG, LBM
10
• hohe Anforderungen an Rechenleistung (großer Skalenbereich)!
• Skalentrennung:
Strömung, Turbulenz ↔ Akustik
Abb. 10.32 Übersicht über die Methoden zur numerischen Simulation der Aeroakustik. (Blumrich 2006)
de die Basis für die AAA von Lighthill (Lighthill 1951a, b) in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelt. Es handelt sich um Berechungsmethoden, bei denen i. d. R. eine geradlinige Ausbreitung des Schalls von der Quelle im Fluid zum Empfänger angenommen wird, d. h. ohne besondere Ausbreitungseffekte. Sie eignen sich im Wesentlichen nur für das Auengeräusch von Fahrzeugen. Lighthill leitete aus den kompressiblen Navier-Stokes-Gleichungen ohne Näherungen eine Wellengleichung ab. Es handelt sich also um eine exakte Theorie. Die linearen und die nichtlinearen Terme wurden getrennt sowie die nichtlinearen Terme zusammen mit den Reibungstermen auf die rechte Seite gebracht. Somit entstand eine inhomogene, akustische Wellengleichung, bei der die Terme auf der rechten Seite als aeroakustische Quellen interpretiert werden können. Sie bestehen sowohl aus Druck- und Geschwindigkeitsfluktuationen als auch aus Spannungstensor und Krafttermen. Des Weiteren wurde der stationäre Anteil der Feldgröen (Druck, Dichte) vom instationären Anteil getrennt. Die von Lighthill entwickelte Gleichung lautet: 2 ∂ 2 Tij ∂2 2 ∂ a = ) ) ( ( 0 0 0 ∂t 2 ∂xi ∂xi ∂xi ∂xj
Tij = ρ vi vj + (p p0 ) a20 (ρ ρ0 ) ij τij
(10.25)
(10.26)
10
543
Simulation und virtuelle Realität
Hierbei sind a0 die Schallgeschwindigkeit, ρ die Dichte des Fluids, ρ0 die Dichte des ungestörten Fluids, p und p0 die entsprechenden Drücke, vi und vj die Fluid-Geschwindigkeit in i- und j-Richtung, δij das Kronecker-Symbol und τij der viskose Spannungstensor. Der Term Tij wird Lighthillscher Spannungstensor genannt. Durch die zweite räumliche Ableitung des Spannungstensors ergibt sich eine Quadrupolverteilung. Das heit, die instationären Fluktuationen der Strömung werden durch eine Verteilung von Quadrupolquellen im selben Volumen dargestellt. Hierbei werden allerdings Quell- und Ausbreitungsterme vermischt. Um die Quellterme von der akustischen Variablen unabhängig machen zu können, wurden Näherungen eingeführt. Für ein ideales Gas, wie Luft in einer isentropen Strömung mit hoher Reynolds- und kleiner Machzahl, wird der Lighthill-Tensor oft wie folgt angenähert: Tij 0 vi vj
(10.27)
Auf diesem Wege sind linearisierte Gleichungen abgeleitet worden, die die Ausbreitung der akustischen Wellen in einem homogenen, ruhenden Medium beschreiben. Letzteres wird angeregt durch die akustischen Quellterme, die aus den turbulenten Fluktuationen bestimmt wurden. Da die Aeroakustik hier durch Gleichungen der klassischen Akustik beschrieben wird, werden solche Verfahren Aeroakustische Analogien genannt. Für die Berücksichtigung der Anwesenheit von festen Oberflächen wurden zunächst von Curle (Curle 1955) und später von Ffowcs Williams und Hawkings (Ffowcs Williams u. Hawkings 1969) formale Lösungen der Lighthill-Gleichung (Gl. (10.25)) entwickelt. Während bei Curle noch Einschränkungen bezüglich der Bewegung der Oberfläche (Normalengeschwindigkeit an der Oberfläche gegen Null) zu beachten waren, sind diese bei der Lösung von Ffowcs Williams und Hawkings nicht mehr gegeben. Da in der Fahrzeugakustik bewegte Oberflächen die Regel sind, wird letztere bevorzugt eingesetzt, sofern Aeroakustische Analogien überhaupt eingesetzt werden. Die Gleichung der Ffowcs-Williams-Hawkings-Analogie lautet: ∂Fi (f ) ∂2 ∂ 2ρ + a20 ∇ 2 (ρ) = Tij H (f ) + 2 ∂t ∂xi xj ∂xi Quadrupol-,
∂f Fi = ρui uj vj + p ij τij ∂ xji ∂f Qi = ρ uj vj + ρ0 vj . ∂ xi
Dipol-,
∂Q(f ) ∂t
(10.28)
Monopolquellen
(10.29)
Die Funktion f( x,t) beschreibt für f = 0 die sich bewegende Oberfläche, δ( f) stellt die Dirac-Funktion dar, H( f) die Heaviside-Funktion. Auf der rechten Seite dieser inhomogenen Wellengleichung finden sich neben den Quadrupoltermen nun auch die für die Fahrzeugaeroakustik wichtigen Dipol- und Monopolterme. An Hand der Dirac- und der Heaviside-Funktionen kann man die verschiedenen Charaktere der Quellterme erkennen. Die Quadrupolterme beschreiben Volumenquellen auerhalb der Oberfläche (siehe oben) und die Dipol- und Monopolterme beschreiben Flächenquellen an der Oberfläche. Monopolquellen werden hier durch die Bewegung der Oberfläche erzeugt.
544
R. Blumrich
Quadrupolquellen (Scherspannungen)
Monopolquellen (zeitl. Volumenstromänderung)
∂ 2 ρ 0 vi v j ∂ xi x j
∂ Fi δ ( f ) ∂ xi
∂ Qδ ( f ) ∂t
Dipolquellen (Druckfluktuationen an Wand)
Abb. 10.33 Aeroakustische Quelltypen und entsprechende Gleichungsterme am Beispiel der turbulenten Umströmung eines Auenspiegels (Quadrupolquellen i. d. R. vernachlässigbar, vergleiche Abb. 10.30). (Blumrich 2006)
10
Im Falle einer hybriden Methode wie im vorherigen Abschnitt beschrieben, dienen die Analogien also zur Auswertung der Gebiete, in denen Schallquellen zu erwarten sind. Abbildung 10.33 illustriert an Hand eines Beispiels eine solche Auswertung. Die turbulente Strömung, hervorgerufen durch einen Auenspiegel, erzeugt Regionen von Quadrupolquellen im Nachlauf (normalerweise vernachlässigbar) und Regionen von Dipolquellen auf Grund der Druckfluktuationen auf dem Seitenfenster. Zusätzlich können Monopolquellen auftreten, beispielsweise durch Leckagen in den Dichtungen. Über die drei hier erwähnten Aeroakustischen Analogien hinaus existieren noch andere, die zum Teil auch in der Fahrzeugakustik eingesetzt werden oder wurden. So zum Beispiel Lilleys Analogie (Lilley 1973) oder diejenigen von Howe (Howe 1975) und Möhring (Möhring 1978). Generell ist jedoch festzuhalten, dass durch das vorwiegende Interesse am Innengeräusch des Fahrzeugs die Analogien, die in erster Linie die Abstrahlung nach auen berechnen können und nicht den Transfer in den Innenraum, in der Numerischen Fahrzeugaeroakustik mittlerweile eine eher untergeordnete Rolle spielen.
10.2.3.2 Kirchhoff-Integral-Methode Um den Schalldruck im Fernfeld bestimmen zu können, betrachtet die Kirchhoff-IntegralMethode nicht die aeroakustischen Quellen im Quellvolumen, sondern die Quellverteilung auf einer dieses Volumen umschlieenden Oberfläche, d. h. einer Hüllfläche. Dies setzt voraus, dass die Druck- und Schnelleverteilung auf der Hüllfläche bestimmt werden kann. Für eine Berechnung wird hierzu das betrachtete Gebiet in zwei Regionen unterteilt: • die innere, nicht-lineare Region, die mit Hilfe von CFD mit kleiner bzw. ohne Diffusion, Dissipation und Dispersion berechnet wird, und • die äuere, lineare Region, in der mit Hilfe eines Integrals über die Quellterme auf dem Rand der nicht-linearen, inneren Region (Kirchhoff-Oberfläche) der Schalldruck im Fernfeld berechnet wird.
10
545
Simulation und virtuelle Realität
Ein theoretischer Hintergrund ist z. B. in Abschn. 1.5 bei Goldstein gegeben (Goldstein 1976). Der Vorteil der Kirchhoff-Integral-Methode gegenüber den Aeroakustischen Analogien ergibt sich aus der Tatsache, dass Oberflächenintegrale über den Quellbereich ausgeführt werden, im Gegensatz zu den Volumenintegralen der Aeroakustischen Analogien. Mit dem harmonischen Ansatz
(x, (x, t) ϕ(x)eiωt
(10.30)
stellen sich die Integrale in allgemein gehaltener Form wie folgt dar:
1 ϕ (x0 ) = 4
eikr ∂ϕ 1 dS + r ∂n 4
S
S
∂ ϕ ∂n
eikr dS. r
(10.31)
Hierbei bezeichnet φ(x0 ) die komplexe Amplitude des akustischen Potenzials (x, t), S die Hüllfläche, r den Abstand zum Aufpunkt x0 , n die Flächennormale. Die Gleichung muss korrekterweise Kirchhoff-Helmholtz-Formel genannt werden. Druck p und Schnelle v des Schallfeldes sind über die zeitliche und räumliche Ableitung mit dem akustischen Potenzial verknüpft: p = 0
∂φ bzw. ∂t
v = grad.
(10.32) (10.33)
Bei den ursprünglichen Verfahren nach der Kirchhoff-Methode musste sich die Integrationsoberfläche auerhalb der wirbelbehafteten Quellströmung und des Scherströmungsbereiches befinden. Bei neueren Verfahren ist dies nicht zwingend erforderlich. Auch bewegte Oberflächen können berücksichtigt werden (Farassat u. Myers 1988).
10.2.3.3 Linearisierte Euler-Gleichungen An Hand der so genannten linearisierten Euler-Gleichungen (Linearised Euler Equations, LEE) kann das Schallfeld am Ort des Empfängers inklusive der Schallausbreitung in der inhomogenen Strömung berechnet werden, sofern es nicht schon durch eine DS direkt mit berechnet wurde. Reflektierende Flächen in der Nachbarschaft der Schallquellen können mit den LEE auch berücksichtigt werden. Die LEE folgen aus den Navier-Stokes-Gleichungen unter Vernachlässigung der nichtlinearen Terme und der Viskosität sowie unter der Annahme, dass die akustischen Terme sehr klein gegenüber den mittleren Strömungsgröen sind. Führt man eine Skalentrennung zwischen den mittleren Strömungsgröen ( p, u, ) und den akustischen Termen ( p, u, ) durch und geht bei der Schallausbreitung in Luft von adiabatischen Prozessen aus, können unter Vernachlässigung der Schwerkraft die LEE in folgender Form geschrieben werden (Blumrich u. Heimann 2002):
546
R. Blumrich
Aeroakustische Analogien
Kirchhoff-IntegralMethode
Linearisierte EulerGleichungen
Abstrahlung mit Aeroakustischer Analogie
Abstrahlung mit Kirchhoff-Integral
Ausbreitung mit LEE
Quellen mit CFD
Quellen mit CFD
Strömung und Quellen mit CFD
Abb. 10.34 Schematische Darstellung der verschiedenen, gekoppelten Methoden zur Berechnung des Schallfeldes im Fluid. Die LEE-Darstellung gilt im Prinzip auch für eine FEM-Berechnung. (Blumrich 2007)
∂ u 1 1 p + u∇ u + u ∇ u + ∇ p ∇p = 0 ∂t ρ ρ p ∂p + u∇p + u ∇p + p∇u + p ∇ u = 0 ∂t
10
(10.34) (10.35)
mit cp cv , dem Verhältnis der spezifischen Wärmekapazitäten der Luft bei konstantem Druck bzw. konstantem Volumen. Obwohl die LEE umfassender und im Allgemeinen genauer als die AAA sind, werden sie in der Regel nur für spezielle Anwendungen herangezogen, da die Anforderungen an die Rechenleistung relativ hoch sind. In Abb. 10.34 ist ein Überblick über die unterschiedlichen Berechungsmethoden, mit denen das Schallfeld am Empfänger im Fluid berechnet werden kann, gegeben. Es ist jeweils eine CFD-Rechnung gekoppelt mit einer akustischen Rechnung. Die Darstellung für die LEE gilt im Prinzip auch für eine FEM-Berechnung mit Luft als Material.
10.2.4 Fluid-Struktur-Kopplung und -Interaktion Bei den bisherigen Betrachtungen wurden nur feste, nicht vibrierende Oberflächen von Strukturen betrachtet, wenn überhaupt, so wie es bei vielen Anwendungen aeroakustischer Berechnungen bisher angenommen wurde. Tatsächlich werden allerdings Fahrzeugstrukturen wie z. B. die Türen, der Unterboden und das Dach durch die aerodynamischen Kräfte zu Vibrationen angeregt. Abbildung 10.35 zeigt beispielhaft die Schwingungsform einer Fahrzeugtür (Vibrationsmode bei 65 Hz), die durch die aerodynamischen Kräfte einer Umströmung von 140 km/h angeregt wurde. Gemessen wurde die Geschwindigkeit normal zur Oberfläche mit einem Laser-Scanning-Vibrometer im Windkanal. Da insbesondere das Innengeräusch in der Regel im Blickpunkt steht, müssen für genaue Berechnungen die hierfür relevanten Karosserievibrationen und ihre Schallabstrahlung in den Innenraum betrachtet werden. Der gesamte Prozess setzt sich aus den Schritten 1. Erzeugung der Wechseldrücke an den Oberflächen, 2. Anregung und Ausbreitung von Strukturvibrationen, 3. Abstrahlung von Luftschall
10
Simulation und virtuelle Realität
547
Abb. 10.35 Vibrationsmode einer Fahrzeugtür bei 65 Hz, angeregt durch die Umströmung (140 km/ h), gemessen im Windkanal mit einem Laser-Scanning-Vibrometer (Geschwindigkeit der Oberflächennormalen, rot: aus der Ebene heraus, grün: in die Ebene hinein). (Blumrich 2008b)
zusammen. Aerodynamische Geräusche, die an Dichtungssystemen erzeugt wurden, können als Spezialfall der Strukturvibrationen gesehen werden. Hierbei gelten auf Grund der relativ weichen Materialien und der sehr kleinen Flächen andere Randbedingungen. Die aerodynamischen Geräusche durch die Dichtungen können, je nach Qualität des Dichtungssystems, den Innenraumpegel dominieren. Auch aerodynamische Geräusche, die im Auenbereich erzeugt wurden wie z. B. an Seitenspiegeln, Antennen oder Dachträgern und durch die Struktur in den Innenraum transferiert werden, können deutlich wahrnehmbar sein und müssen somit berücksichtigt werden. Neben der rein aeroakustischen Berechnung unter der Annahme, dass die Struktur nicht zu Vibrationen angeregt wird, müssen bei der Berechnung der Aeroakustik eines Fahrzeugs zwei verschiedene Wechselwirkungen zwischen dem Fluid, der Luft der Umströmung, und der Karosseriestruktur betrachtet werden: 1. Die Fluid-Struktur-Kopplung unter der Annahme, dass die Strukturvibration mit relativ kleinen Amplituden keinen Einfluss auf die Umströmung hat. Sie wird auch schwache Kopplung oder Ein-Weg-Kopplung genannt. 2. Die Fluid-Struktur-Interaktion, bei der eine starke Strukturvibration oder -verformung die Umströmung beeinflusst und somit eine echte Wechselwirkung stattfindet. Sie wird auch starke Kopplung oder Zwei-Wege-Kopplung genannt. Für die Berechnung von Vibrationen der Karosseriestrukturen unter aero-dynamischer Anregung und der daraus resultierenden Schallabstrahlung müssen Methoden aus der Struktur-Akustik betrachtet werden. Die gängigsten sind die Finite-Elemente-Methoden (FEM, siehe z. B. Fahy 1985), die Randelemente-Methoden (Boundary Element Method, BEM,
548
R. Blumrich
siehe z. B. Banerjee u. Butterfield 1981) und die Statistische Energie-Analyse (SEA, s. z. B. Lyon 1975). In Abb. 10.36 sind Skizzen dargestellt, in denen die prinzipiellen kausalen Zusammenhänge der Berechnungsmethoden für die einzelnen Teilgebiete zu sehen sind. Die obere Skizze gilt für die Fluid-Struktur-Kopplung und die untere für die FluidStruktur-Interaktion. Diese Verfahren sind in Abschn. 10.1 ausführlich beschrieben, weswegen hier unter Verweis auf dieses Kapitel nicht näher darauf eingegangen wird. Es wird nur eine kurze Übersicht gegeben.
Fluid-Struktur-Kopplung Umströmung des Fahrzeugs (CFD)
Vibration der Fahrzeugstruktur (FEM, bedingt BEM und SEA)
S (B cha EM lla , F bstr EM ah , S lun EA g )
ion iss ) sm M an FE lltr er ha od Sc EA (S
Schallpegel im Innenraum
Fluid-Struktur-Interaktion Umströmung des Fahrzeugs (CFD)
anregende Kräfte
Vibration und Verformung der Fahrzeugstruktur (FEM)
Deformation der Struktur ion iss ) sm M an FE lltr er ha od Sc EA (S
Sc (F hal EM la ,B bstr EM ah , S lun EA g )
10
anregende Kräfte
Schallpegel im Innenraum
Abb. 10.36 Prinzip der Fluid-Struktur-Kopplung ( oben) und der Fluid-Struktur-Interaktion ( unten). In Klammern sind die jeweiligen Berechnungsmethoden erwähnt. (FKFS 2009)
10
Simulation und virtuelle Realität
549
Mit der FEM, bei der das Volumen diskretisiert wird, ergeben sich vielfältige Möglichkeiten. Dadurch, dass sowohl das Fluid als auch die Struktur modelliert werden können, sind die Berechnung der Strukturvibrationen, der Schallabstrahlung und eine direkte Berücksichtigung der Wechselwirkung von Fluid und Struktur möglich. Auch Dichtungssysteme mit eventuellen Undichtigkeiten können betrachtet werden. Auf Grund des hohen Diskretisierungsaufwandes und der Notwendigkeit eines abgeschlossenen Volumens, d. h. geeigneter Randbedingungen, ist eine Schallabstrahlungsberechnung bzw. eine Betrachtung des Fluids mit der FEM nur für relativ kleine Lufträume zu empfehlen. Die Berücksichtigung der Kopplung von Innenraum und Karosseriestruktur beim Schalleintrag in den Innenraum wäre eine solche Anwendung. Die BEM wird in der Fahrzeugakustik im Wesentlichen zur Berechnung der Schallabstrahlung von vibrierenden Strukturen eingesetzt. Sie ist hierfür besonders geeignet, da nur die vibrierende Oberfläche diskretisiert wird und somit der Aufwand relativ gering ist. Einige Formulierungen der BEM sind auch für die Berechnung von Struktur-Vibrationen geeignet (z. B. Agnantiaris et al. 1998, Heuer et al. 1990), allerdings ist hierfür die FEM besser geeignet und wird daher auch eher eingesetzt. Die Stärke der BEM liegt in der Lösung akustischer Probleme in unendlich ausgedehnten Gebieten. Dies ist bei Fahrzeugen z. B. bei der Bestimmung der Abstrahlung nach auen der Fall. Trotzdem wird die BEM zum Teil auch zur Berechnung des Schallfeldes im Fahrzeuginneren benutzt. Der höhere numerische Aufwand wird durch den geringeren Vernetzungsaufwand kompensiert. Letzteres reduziert die Arbeitskosten. Die FEM und die BEM sind für höhere Frequenzen, d. h. oberhalb ca. 500 Hz, mit Gesamt-Fahrzeugmodellen auf Grund ihres Vernetzungsaufwandes bzw. numerischen Aufwandes derzeit noch nicht praktikabel. Die SEA hingegen kommt mit wesentlich kleineren Modellen aus und kann mit geringen Rechenleistungen durchgeführt werden. Darüber hinaus fordert sie hohe Frequenzen, da bei ihr eine hohe Dichte an Eigenmoden der betrachteten Struktur vorausgesetzt wird. Die SEA erreicht ihre Effektivität durch die statistische Betrachtung von Energieflüssen. SEA-Modelle von Fahrzeugen bestehen aus so genannten Subsystemen, die sowohl Strukturen als auch Kavitäten bzw. Fluide abbilden. Subsysteme im Bereich Struktur sind z. B. Türbleche, Fenster, Dach. Die Fluid-Subsysteme bestehen z. B. aus Motorraum, dem Bereich zwischen Strae und Unterboden sowie dem Innenraum. Je nach Zielsetzung der Untersuchung wird das Fahrzeug dabei mit 80 bis 150 Subsystemen modelliert. Die SEA wird für Berechnungen des Innenraumpegels von Fahrzeugen für Frequenzen oberhalb von 500 Hz erfolgreich eingesetzt. Die verschiedenen Verfahren zur Berechnung der Strukturantwort können mit den CFD-Programmen gekoppelt werden, um aus der CFD-Rechnung die Anregungsterme bestimmen zu können. Hierfür müssen natürlich entsprechende Schnittstellen vorhanden sein. In der Theorie würden so für jeden Zeitschritt mittels CFD die auf die Struktur wirkenden Kräfte und mit dem Struktur-Code die entsprechende Strukturantwort ermittelt. Sofern eine Wechselwirkung zwischen Fluid und Struktur betrachtet werden soll, würde im nächsten Zeitschritt die veränderte Geometrie der Struktur als neue Randbedingung in die CFD-Rechnung eingehen. Dies wäre allerdings eine äuerst aufwändige Vorgehensweise und kann numerische Probleme hervorrufen. In der Praxis muss entweder die Rückwirkung der Struktur auf die Strömung vernachlässigt werden, so dass keine Iterationen zwischen CFD- und Struktur-Code nötig sind,
550
R. Blumrich
oder das Zeitintervall für den Datenaustausch zwischen CFD- und Struktur-Code vergröert werden. D. h. nicht bei jedem Zeitschritt werden die veränderten Randbedingungen zwischen CFD- und Strukturberechnung übergeben, sondern in ausreichend kleinen Zeitabständen. Die Zeitabstände müssen einerseits genügend gro sein, um den Rechenaufwand handhabbar zu halten, andererseits genügend klein sein, um die Interaktion in etwa abbilden zu können. Dies gilt auch für etwaige Verformungen, die einen stationären Zustand unter dem Strömungseinfluss annehmen, wie der so genannte Ballooning-Effekt bei Stoffdächern von Kabriolets. Neben den bereits erwähnten Struktur-Codes sind auch Kombinationen aus ihnen zur Berechnung der Strukturantwort möglich. Darüber hinaus existieren noch weitere, neuere Methoden, die nicht oder noch nicht so verbreitet sind. Dies sind z. B. die Wave-Based Method WBM, auch Wave-Based Technique, WBT, (Desmet et al. 1998) oder die hybride FEM-WBM Methode (HFE-WBM, (van Hal et al. 2004)). Diese befinden sich jedoch noch in der Entwicklung. Die HFE-WBM kombiniert die geometrische Flexibilität der FEM mit der Fähigkeit der WBM, bei höheren Frequenzen eingesetzt werden zu können.
10
10.2.5 Beispiele aus der Praxis Die numerische Simulation der Fahrzeugaeroakustik ist mittlerweile soweit gediehen, dass sie in einem weiten Bereich der hier auftretenden akustischen Effekte eingesetzt wird. Dies beinhaltet Untersuchungen an Hand von generischen Strukturen, um die Algorithmen weiter zu entwickeln und zu verbessern, aber auch um die Physik der betrachteten Effekte besser zu verstehen. Auch reale einzelne Fahrzeug-Komponenten und ihre Umgebung am Fahrzeug werden betrachtet, um die Aeroakustik dort im Detail zu untersuchen. Gesamtfahrzeuge mit einer umfassenden Darstellung der vorhandenen Effekte können noch nicht simuliert werden. Die bisherigen Simulationen zeigen nicht nur, dass sie weitgehend verlässliche Ergebnisse hervorbringen können, sondern werden auch schon als ergänzende Entwicklungswerkzeuge eingesetzt. Sie können hierbei ihre Vorteile gegenüber den Experimenten einbringen. Diese sind diesbezüglich, wie bereits erwähnt, dass eine erheblich gröere Datenmenge im ganzen betrachteten Volumen erhoben werden kann und dass die „Messung“ der Daten nicht in die Strömung eingreift und somit stört oder gar Störgeräusche hervorruft. In diesem Abschnitt können nur einige wenige Beispiele gezeigt werden. Das erste Beispiel untersucht Kopplungseffekte im Innenraum eines Pkw beim Schiebedachwummern an Hand einer generischen Struktur in Form von einem SAE-Modell im Mastab 1:4 (Blumrich et al. 2007). Betrachtet wurde die Kopplung zweier Volumina (Innenraum und Kofferraum) über Luft oder über eine schwingende Trennwand. Abbildung 10.37 zeigt das Modell mit dem zugehörigen Aufbau des Rechengitters. Die Simulationen wurden mit dem CFD-Programm PowerFLOW® durchgeführt, welches auf der Lattice-BoltzmannMethode beruht. In Abb. 10.38 ist ein Ergebnis aus dieser Untersuchungsreihe zu sehen, nämlich der Vergleich des Falls ohne Kopplung zwischen Innenraum und Kofferraum mit demjenigen mit Luftkopplung. Bei letzterem hat die Trennwand Öffnungen und lässt eine direkte
10
551
Simulation und virtuelle Realität
Abb. 10.37 1:4-SAE-Modell (grau) mit Schiebedachöffnung und Hohlraum sowie Teil des dreidimensionalen Gitters der CFD-Rechnung (dunkelblau: Gebiet mit feinster Auflösung, (Blumrich et al. 2007))
150,0 140,0 130,0
SPL (dB)
120,0 110,0 100,0 90,0 80,0 70,0
Exp. keine Koppl.
Sim. keine Koppl.
Exp. Luftkopplung
Sim. Luftkopplung Geschwindigkeit
Abb. 10.38 Vergleich der Wummerpegel mit und ohne Luftkopplung zwischen Innenraum und Kofferraum und Vergleich zwischen Experiment und Simulation Mikrofon im Innenraum des Modells, s. auch Blumrich et al. (2007)
Kopplung der beiden Volumina zu. Wie die Ergebnisse zeigen, äuert sich der Kopplungseffekt durch eine Verschiebung des Wummermaximums zu höheren Frequenzen hin und eine Absenkung des maximalen Wummerpegels. Experiment und Simulation stimmen im Pegel-Verlauf über der Geschwindigkeit sehr gut überein. Auch im Frequenzverhalten gibt es eine ähnlich gute Übereinstimmung (aus Gründen der Übersichtlichkeit hier nicht dargestellt). Trotz der Wechselwirkung zwischen Akustik und Strömung, die bei den Wummerphänomenen auftritt und im Prinzip eine Berücksichtigung der Kompressibilität der Luft erfordert, ist die Simulationstechnik hier schon relativ weit gediehen. Dies liegt daran, dass
552
10
R. Blumrich
sehr tiefe Frequenzen betrachtet werden und somit die Geometrie relativ grob darstellbar ist. So sind schon einige Simulationen mit Modellen von realen Fahrzeugen durchgeführt worden (z. B. Crouse et al. 2007a, Read et al. 2005, Seibert et al. 2004). Problemfelder hier sind Absorptions- und Kopplungsmechanismen im Innenraum (s. o.). Ein weiteres Beispiel für die numerische Untersuchung aeroakustischer Effekte an Hand von generischen Strukturen ist die Simulation der Umströmung eines Seitenspiegels. Generische Seitenspiegel sind zur Entwicklung und Überprüfung der Berechnungsalgorithmen vielfach numerisch untersucht worden, da der Bereich Seitenspiegel-Seitenscheibe, auch zusammen mit der A-Säule, aeroakustisch bedeutsam ist (s. auch Abb. 10.33). Der Seitenspiegel bewirkt Strömungsfluktuationen auf der Seitenscheibe und generiert somit mögliche Beiträge zum Innengeräusch in der Nähe der Fahrerohren. Abbildung 10.39 zeigt die Ergebnisse einer solchen Simulation, hier berechnet mit dem CFD-Programm Fluent®, welches auf den Navier-Stokes-Gleichungen basiert. In Strömungsrichtung hinter dem Seitenspiegel sind auf der Seitenscheibe deutlich Fluktuationen zu erkennen, die einer Wirbelstrae ähneln. Diese Simulation liefert keine Schallpegel als Ergebnis, sondern Pegel des hydrodynamischen Wechseldruckes. Dieser Wechseldruckpegel lässt jedoch Rückschlüsse auf die Geräuschentstehung zu, auch im Innenraum des Fahrzeugs. Bei der Untersuchung einzelner Fahrzeug-Komponenten wird neben der Komponente selbst auch ihre Umgebung an der Fahrzeugkarosserie modelliert, um die Anströmung richtig nachbilden zu können. Als Beispiel ist in Abb. 10.40 die simulierte Umströmung eines Scheibenwischers zu sehen, berechnet mit Fluent®. Die Abbildung zeigt das Strömungsverhalten an Hand von Stromlinien sowie von Geschwindigkeitsvektoren auf der Windschutzscheibenoberfläche. Auch hier liefert die Simulation keine Schallpegel im Innenraum direkt als Ergebnis. Vielmehr soll mit der Simulation gezeigt werden, inwieweit der Scheibenwischer zu Strömungsfluktuationen auf der Windschutzscheibe führt und somit mögliche Beiträge zum Innengeräusch produziert. In Strömungsrichtung hinter dem Scheibenwischer sind auf der Windschutzscheibe deutlich Wirbel und Fluktuationen zu erkennen. Nutzt man den Vorteil der Simulation der „nicht-störenden Messung“ bzw. Datenerhebung, so kann sie eingesetzt werden, um experimentelle Defizite aufzudecken oder auszu-
Abb. 10.39 Simulierte Umströmung eines generischen Seitenspiegels. Iso-Linien: statischer Druck. Konturflächen: Betrag der Geschwindigkeit. Schaubild: ANSYS Inc.
10
Simulation und virtuelle Realität
553
Abb. 10.40 Simulation der Umströmung eines Scheibenwischers. Gezeigt sind Stromlinien und Geschwindigkeitsvektoren auf der Windschutzscheibenoberfläche (blau = niedrige, rot = hohe Geschwindigkeit). Mit freundlicher Genehmigung der Valeo Wischersysteme GmbH
gleichen. Zu Letzteren zählen Messmethoden, die z. B. die Umströmung stören bzw. verändern. Vergleichende Simulationen können die Störung, die die Messmethode verursacht, abschätzen. Ein Beispiel hierfür ist die Störung der Strömung durch Flachsonden auf der Seitenscheibe zur Messung des Wechseldruckes. Die Flachsonden erzeugen selbst Turbulenzen bzw. Wechseldrücke, d. h. sie messen (frequenzabhängig) i. d. R. höhere Werte als tatsächlich am Fahrzeug ohne die Sonden vorhanden wären. Bei einer diesbezüglichen Untersuchung mit dem CFD-Programm PowerFLOW® wurde die Umströmung ohne Flachsonden, mit Flachsonden sowie mit Flachsonden mit abgeschrägter Einhausung miteinander verglichen (Senthooran et al. 2008). Die abgeschrägte Einhausung simuliert die Anbringung der Sonden auf der Seitenscheibe mittels Klebeband im Experiment. Abbildung 10.41 zeigt Detailaufnahmen von den Flachsonden in Experiment und Simulation sowie von den berechneten Wechseldruckfeldern auf der Seitenscheibe, hier im Oktavband von 177 Hz bis 354 Hz. Der Vergleich zeigt deutlich, dass die Flachsonden in ihrer Umgebung in der Simulation den Wechseldruck erhöhen, besonders diejenigen ohne abgeschrägte Einhausung. Eine Frequenzanalyse der Daten zeigt, in welchem Mae und in welchen Frequenzbereichen die Wechseldruckfelder von den Flachsonden verändert werden können. Am Beispiel zweier Flachsonden am A-Säulen-Wirbel zeigen die Simulationsergebnisse, dass bei Messungen mit Flachsonden ohne Einhausung im Bereich unterhalb von einem Kilohertz bis zu 10 dB erhöhte Werte zu erwarten sind (s. Abb. 10.42). Diese künstliche Erhöhung kann mit der Einhausung unterdrückt werden, wie es auch die Experimente mit Einhausung zeigen (rote Linie). Im Bereich zwischen ca. 2 kHz und 5 kHz sind jedoch auch für die Flachsonden mit Einhausung erhöhte Wechseldruckpegel zu erwarten. Ein weiteres Gebiet in der Fahrzeugaeroakustik, in dem mittlerweile in der Entwicklung die numerische Simulation eine Rolle spielt, sind die Klimaanlagen von Fahrzeugen. Hier sind Kanäle, Filter, Klappen und Düsen wichtige Objekte, an denen auf Grund der Durchströmung aeroakustische Geräusche erzeugt werden können (s. Abschn. 6.3). Lüfter stellen sogar eine Art aktive Schallquelle dar, da sie auch ohne Anströmung aeroakustischen Lärm erzeugen können. In Hinblick auf die Simulationen handelt es sich bei den Klimaanlagen also, verglichen mit den aeroakustischen Quellen auf Grund einer Fahrzeugumströmung, um etwas andere Szenarien. Sie sind von den geometrischen Abmes-
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R. Blumrich
10 Abb. 10.41 Detailaufnahmen der Flachsonden ( oben rechts) und des berechneten Wechseldruckes auf der Seitenscheibe im Oktavband von 177 bis 354 Hz in dB. Die Erhöhung des Wechseldruckes an den Flachsonden ist deutlich zu erkennen. (Senthooran et al. 2008)
sungen her normalerweise kleiner und mit geringeren Geschwindigkeiten behaftet, jedoch in sich unter Umständen komplexer. Als Beispiel für Aeroakustik-Simulationen bei Fahrzeug-Klimaanlagen soll hier die Untersuchung eines generischen Luftausströmers gezeigt werden. Es wurde eine CFDSimulation mit Hilfe von Star-CD® (Basis: Navier-Stokes-Gleichungen) für das Strömungsfeld und eine anschlieende BEM-Berechnung für die Schallabstrahlung durchgeführt (Augustin et al. 2007). In Abb. 10.43 sind das simulierte Geschwindigkeitsfeld und der Aufbau des Vergleichsexperimentes zu sehen. Die Simulationen wurden mit verschiedenen zeitlichen Auflösungen berechnet. Ein Vergleich zwischen den experimentellen Wechseldruckspektren und denen aus den verschiedenen Simulationen von einem Sensor in der Nähe des Ausströmers zeigt inwieweit Simulation und Experiment übereinstimmen und beispielhaft die Abhängigkeit der Ergebnisse von Simulationsparametern (s. Abb. 10.44). Wie bei dem hier gezeigten Beispiel werden auch bei den Klimaanlagen oft noch vereinfachte Geometrien betrachtet, um die Algorithmen zu prüfen und weiter zu entwickeln (s. auch Adam et al. 2008). Schon früher wurden jedoch auch reale Geometrien von Klimaanlagen mit numerischen Mitteln untersucht, wie z. B. die Optimierung eines Luftverteilers (Kühnel et al. 2004). Hier sind jedoch meist stationäre CFD-Rechnungen ohne akustische Nachbearbeitung eingesetzt worden. An Hand des berechneten
10
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Simulation und virtuelle Realität
Power Spectrum (Pressure, MKS) [50 – 3000 Hz] [dimensionless]
100
SPL (dB)
130 120
120
130
140
Experiment Simulation ohne Flachsonden Simulation Flachsonden ohne Einhausung Simulation Flachsonden mit Einhausung
130
SPL (dB)
140
110
110 100 90
120 110 100 90
80
80
70
70
60 10
100
1000
Frequency (Hz)
10000
Experiment Simulation ohne Flachsonden Simulation Flachsonden ohne Einhausung Simulation Flachsonden mit Einhausung
60 10
100
1000
10000
Frequency (Hz)
Abb. 10.42 Frequenzspektren der gemessenen und simulierten Wechseldruckpegel am Ort zweier Flachsonden (Position: blaue Punkte oberes Bild) für die verschiedenen Konfigurationen (Gestrichelte Markierungen: Bereiche mit Pegelerhöhung durch Flachsonden). (Senthooran et al. 2008)
Abb. 10.43 Untersuchung der Aeroakustik eines generischen Luftausströmers. Oben: Momentaufnahme des Betrages des simulierten Geschwindigkeitsfeldes. Unten: experimenteller Aufbau. (Augustin et al. 2007)
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R. Blumrich
120 560 Hz 850 Hz 100
SPL [dB]
80 60 2
40 CFD (750.000 hexas, dt = 2.e-5s) CFD (1.000.000 hexas, dt = 1.e-5s) Measurement
20 0 50
10
100
200
500 1000 Frequency [Hz]
2000
5000
Abb. 10.44 Links: gemessenes (grün) und simulierte Wechseldruckspektren am Luftausströmer. Rechts: Momentaufnahme des simulierten Geschwindigkeitsfeldes (Betrag) mit Aufnahmeposition der Wechseldrücke (2). (Augustin et al. 2007)
Geschwindigkeitsfeldes wurden dann Rückschlüsse auf das akustischen Verhalten gezogen. Weitere Beispiele für aeroakustische Untersuchungen an Fahrzeugen mit numerischen Mitteln lassen sich z. B. für den Bereich Unterboden finden, wo die Umströmung Schwingungen anregt, die zu tieffrequenten Geräuschen im Innenraum führen (s. Ullrich 2008, Crouse et al. 2007b). Auch die Umströmung eines Fahrzeugs mit Dachträgern wurde simuliert (s. Senthooran et al. 2007). Hier entstehen zum Teil sehr störende tonale Geräusche, die es zu vermeiden gilt. Das gleiche gilt für Antennen, besonders in der klassischen Stabform, sofern sie noch als Anbauteil verbaut werden.
10.2.6 Zusammenfassung und Ausblick Aerodynamisch erzeugte Geräusche spielen für Personenwagen vor allem bei Geschwindigkeiten oberhalb von ca. 120 km/h eine dominierende Rolle. Für einzelne Frequenzbänder auch schon bei niedrigeren Geschwindigkeiten. Die wichtigsten Geräuschquellen sind Anbauteile wie die Auenspiegel oder Antenne, spezielle Karosseriestrukturen wie die ASäule oder die Radhäuser (letztere für das Auengeräusch) sowie das Dichtungssystem. Die Berechnung der aerodynamischen Geräusche, d. h. die Simulation der Aeroakustik, ist auf Basis von CFD-Berechnungen möglich. Allerdings muss ein hoher Rechenaufwand in Kauf genommen werden und der Aufbau der Simulation muss sorgfältig gewählt werden. Die Geometrie des Fahrzeugs und des Volumens in den aeroakustisch sensitiven Ge-
10
Simulation und virtuelle Realität
557
bieten muss mit hoher Genauigkeit mit einem passenden Gitter räumlich aufgelöst werden. Der Grad der räumlichen Auflösung richtet sich nach den zu betrachtenden Längenskalen der Turbulenz und der Grad der zeitlichen Auflösung richtet sich nach der Schallgeschwindigkeit, sofern die Schallwellen mit berechnet werden sollen. Die akustischen Ergebnisse reagieren sehr sensitiv auf die simulierten Strömungsfluktuationen. Sie sind stark abhängig von der verwendeten Berechnung der Turbulenz. Auch die Randbedingungen spielen eine wichtige Rolle. Im Falle einer Direkten Simulation werden die Strömungsfluktuationen und die akustischen Wellen direkt berechnet, es findet keine Modellierung bzw. Parametrisierung statt. Die akustischen Ergebnisse sind zuverlässig, solange der Aufbau des Falls richtig gewählt wurde und das numerische Rauschen (abhängig vom Algorithmus) genügend klein ist. Letzteres ist ein Kriterium, das in der Vergangenheit häufig nicht erfüllt war. Die Anforderungen an die Rechnerleistung im Sinne von Geschwindigkeit und Speicherkapazität sind sehr gro für komplexe Fälle. Folglich werden derzeit nur kleinere, tieffrequente oder akademische Fälle mit der DS berechnet, die komplexeren, wie die Simulation eines realen Gesamtfahrzeuges, sind eine Aufgabe für die Zukunft. Im Falle der hybriden Verfahren werden die CFD-Simulationen mit einer akustischen Auswertung der Strömungsfluktuationen gekoppelt. Diese Nachbearbeitung kann mit Hilfe verschiedener Methoden durchgeführt werden. Hierzu zählen u. a. die Linearisierten Euler Gleichungen, die Aeroakustischen Analogien und die Randelemente-Methode. Die Modellierung der Turbulenz muss sorgfältig gewählt werden. Die Genauigkeit der einfacheren Turbulenzmodelle erfüllt bezüglich der Akustik oft nur geringe Anforderungen. Insbesondere wenn Absolutwerte der Schallpegel und der Frequenzen gefordert sind, müssen die Ergebnisse hier mit Vorsicht interpretiert werden. Die meisten kommerziell verfügbaren CFD-Programme wurden inzwischen für aeroakustische Anwendungen erweitert. Während einzelne Hersteller sich auf eines oder wenige Turbulenzmodelle konzentrieren, bieten andere fast die gesamte Bandbreite der üblichen Turbulenzmodelle zur Wahl für die einzelnen zu berechnenden Fälle. DNS und DS ist mit entsprechender Auflösung mit allen Codes möglich, wie bereits erwähnt derzeit allerdings nur für kleine oder akademische Fälle empfehlenswert. Die weiterhin steigende Rechnerleistung erlaubt aber zunehmend auch die Simulation von komplexeren Fällen. Es bleibt festzuhalten, dass die Simulation der Strömungsfluktuationen als mögliche Erreger für aeroakustischen Schall heutzutage fast schon als Standard angesehen werden kann. Die Abstrahlung nach auen ist auf dem Weg dorthin, während die zuverlässige Berechung des Transfers von aeroakustischem Schall in den Innenraum sich in der Entwicklung befindet. Einzig die Statistische Energieanalyse ist hier schon relativ weit gediehen. Sie müsste dann mit einer CFD-Simulation gekoppelt werden. Die Aeroakustik wird auch in Zukunft trotz eventueller weiterer Geschwindigkeitsbeschränkungen eine wichtige Rolle in der Fahrzeugentwicklung spielen. Die weitere Reduktion der anderen Geräuschquellen und die weiter steigenden Komfortansprüche sind der Grund hierfür. Die Simulation wird hierbei weiter Einzug halten, um zur Kostensenkung schon in frühen Entwicklungsphasen Ergebnisse für Design-Entscheidungen zur Verfügung zu haben. Geeignete Werkzeuge zur Simulation des Schalltransfers in den Innenraum werden besonders wichtig sein.
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K. Genuit und A. Fiebig
10.3 Fahrsimulatoren und virtuelle Realitäten Klaus Genuit, HEAD acoustics GmbH André Fiebig, HEAD acoustics GmbH
10.3.1 Bewertung der akustischen Qualität im Fahrzeuginnenraum
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Der Mensch nimmt seine Umwelt mit seinen Sinneszellen auf, die in spezifischer Weise durch Umgebungsreize erregt werden. Es werden simultan auditive, optische, taktile, olfaktorische und gustatorische Eindrücke verarbeitet und zu einer Gesamtwahrnehmung zusammengesetzt. Dieses komplexe Zusammenspiel beeinflusst unterbewusst die Bewertung scheinbar isolierter sensorischer Stimuli. Exemplarisch sei hier auf die Untersuchung der Lautheitsbeurteilung in einem Fahrzeugsimulator mit und ohne Vibrationswiedergabe verwiesen. Die Testpersonen beurteilten die Lautheit von identischen Fahrzeuggeräuschen in Abhängigkeit von der Wiedergabe von Vibrationen unterschiedlich (Obelics 2002). In Experimenten wird oft die Ausgrenzung dieser Einflüsse bzw. Konstanthaltung der Störvariablen angestrebt. Dabei wird die Komplexität der Realität reduziert, um eine gesicherte Annahme über den Zusammenhang einer abhängigen Gröe von einer (oder mehreren) unabhängigen Gröe(n) vornehmen zu können. Durch die Isolation eines Reizes aus seiner ursprünglichen Umgebung und durch die Bestimmung der jeweiligen Reaktion auf diesen Reiz könne somit eine hohe interne Validität gewährleistet werden. Dadurch könne der Einfluss von Störvariablen minimiert und Gütekriterien, wie die Reproduzierbarkeit der Versuchsergebnisse, ausreichend erfüllt werden. Unter Störvariablen versteht man dabei alle Einflussgröen auf die abhängige Variable, die in einer Untersuchung nicht systematisch erfasst werden (Bortz u. Döhring 2002). Allerdings lie sich feststellen, dass gerade die externe Validität von Ergebnissen, die unter klinischen Bedingungen gewonnen wurden, unter der Künstlichkeit der Versuchssituation leidet (s. Abschn. 4.2). Die artifizielle Testsituation führt zu einer nicht bekannten unsymmetrischen Verzerrung der Urteile. Im Bereich der Fahrzeugentwicklung entführt der herkömmliche Laborversuch den Fahrer in einen abstrakten Erlebnisraum und reit ihn aus seinem alltäglichen multisensorischen Interaktionsprozess (Abb. 10.45), in dem das Erleben von realen Fahrsituationen bzw. Fahrzeuggeräuschen eingebettet ist (Genuit u. Fiebig 2005). Klassische Laborartefakte, wie das Fehlen des realistischen Kontextes und die Nichtberücksichtigung von Interaktionsvorgängen, in denen Entscheidungs- und Bewertungsprozesse eingebunden sind, können vermieden werden, wenn der Versuchsteilnehmer die Stimuli in einem authentischen Kontext wahrnimmt und evaluiert, während dieser gewohnte Handlungen vollführt. Daher ist die Durchführung von Versuchen in realen Situationen und Umgebungen sinnvoll. Sollen dabei die zu beurteilenden Stimuli in spezifischer Weise kontrolliert und manipuliert werden, ist der Einsatz von Fahrsimulatoren und virtuellen Realitäten notwendig. Fahrsimulatoren erlauben die Bereitstellung, Veränderung und Manipulation von spezifischen Reizen innerhalb einer realitätsnahen und kontrollierbaren Umgebung.
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Simulation und virtuelle Realität
559
Abb. 10.45 Laborbewertung unter klinischen Bedingungen ( links) und assoziativer Bezugsrahmen der Bewertung, der i. d. R. nicht systematisch erfasst wird ( rechts, schematisch dargestellt)
10.3.2 Einfluss von Vibrationen auf die Bewertung von Geräuschqualität im Fahrzeuginnenraum Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass hinsichtlich der Optimierung des akustischen Komforts im Kraftfahrzeug die Berücksichtigung der Wechselwirkung von Hören und Schwingungsempfindung notwendig ist (Genuit 2008). Die komplexen Interaktionseffekte zwischen verschiedenen sensorischen Gröen sind nach wie vor nicht vollständig erfasst (s. Abschn. 4.4). Tabelle 10.3 führt einige Theorien und Ansätze an, die die gegenseitige Beeinflussung der Vibrations- und Hörempfindung beschreiben. Da häufig multimodale Aspekte die auditive Wahrnehmung beeinflussen, müssen in Hinblick auf die Optimierung des akustischen Komforts Vibrationen gleichermaen berücksichtigt werden.
Allerdings ist zu konstatieren, dass sich noch kein Konzept etabliert hat bzw. die Gültigkeit und Anwendbarkeit der jeweiligen Theorie hängt vermutlich von den unmittelbaren Ausprägungen der sensorischen Reize ab. Amman et al. schlussfolgert sogar, dass es keine signifikante Interaktion der betrachteten Gröen gäbe (Amman et al. 2005). Da dieses Konzept im Widerspruch zu zahlreichen anderen Theorien und Untersuchungsergebnissen steht, sollte nach wie vor von einer gewissen gegenseitigen Beeinflussung dieser Sinne ausgegangen werden, denn im Rahmen der Interaktion von Sehen und Hören belegen Studien eindeutig die Existenz intermodaler Kontexteffekte (Menzel et al. 2009). Mit Hilfe von Fahrsimulatoren ist es möglich, beide sensorische Gröen – Geräusche und Vibrationen – kontrolliert Probanden darzubieten, die Reize zu manipulieren und deren Einfluss auf Geräuschqualitäts- und Komfortbeurteilungen systematisch zu untersuchen. Die Wiedergabe von Vibrationen im Fahrsimulator Bei Fahrzeugen lässt sich die Schwingungsbelastung prinzipiell in regellose, stochastische und rein periodische Anregun-
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K. Genuit und A. Fiebig
Tab. 10.3 Theorien bezüglich der gegenseitigen Beeinflussung von Geräusch- und Schwingungsempfindung (teilweise überlappend) Konzept/Theorie
Beschreibung
Theorien zur Interaktion
„Additive“ Interaktion Vibrationen führen zur Verbesserung von Geräuschurteilen „Subtraktive“ Vibrationen führen zur Verschlechterung von Interaktion Geräuschurteilen Geräusch- und Vibrationsreize stellen eine kogni„Cognitive Capacity tive Belastung von vorhandenen Kapazitäten Theory“ (Genell u. dar; bei hoher kognitiver Belastung ist es Vjästfjall 2007) schwierig, einzelne sensorische Wahrnehmungen separat zu beurteilen Mismatch-Theorie Wenn starke Unterschiede zwischen einzelnen sensorischen Stressoren auftreten, wird ein (Sköld et al. 2005) „Mismatch“ registriert Ein sensorischer Stimulus lenkt von der WahrnehKontrasttheorie mung anderer sensorischer Reize ab (Zeichert 1998) Dominanztheorie Der „stärkere“ Stimulus zieht besondere Aufmerksamkeit auf sich und dominiert die Beurteilung Maskingtheorie Extreme Geräusche erhöhen die Schwingungsfühl(Sato et al. 2006) schwelle und umgekehrt Die Bewertung kombinierter Stimuli ist gleich der Keine Interaktion Summe der Bewertungen der einzelnen senso(Amman et al. rischen Reize 2005)
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gen unterscheiden. Je nach Einleitungsstelle werden stochastische Schwingungen um 23 bis 26 % stärker empfunden als periodische Schwingungen (Mitschke u. Klingner 1998). In einem Forschungsprojekt wurde beispielsweise festgestellt, dass eine Reduktion des Schalldruckpegels der 2. Motorordnung nicht wahrgenommen wurde, solange die Vibrationen unverändert blieben (Obelics 2002). Diese Beispiele belegen die Notwendigkeit der (gleichzeitigen) Betrachtung beider Variablen, Geräusche und Vibrationen, da bei isolierter Behandlung wesentliche Interaktionseffekte verborgen bleiben. Die Schwingungssituation im Fahrzeuginnenraum kann grundsätzlich in zwei Kategorien eingeteilt werden: Zunächst gibt es die Schwingungsanregung durch Funktionselemente eines Fahrzeugs wie Motor, Getriebe, Räder und Fahrwerk. Ein gutes Beispiel für diese Art der Anregung ist die 2. Ordnung eines Vierzylinder-Motors. Darüber hinaus gibt es in zunehmendem Mae Schwingungsanregungen durch Komfortelemente wie elektrische Fensterheber, elektrische Schiebedächer, elektrische Sitz- und Spiegelverstellungen. Erfahrungen in Zusammenhang mit Kundenbeanstandungen in der Fahrzeugindustrie und bei Zulieferern belegen, dass für einen ersten Ansatz die Berücksichtigung der vertikalen Schwingungen am Fahrzeugsitz und der rotatorischen Schwingungen am Lenkrad sinnvoll ist. Für spezielle Anwendungsfälle muss ggf. die Anregung anderer Punkte an der Karosserie berücksichtigt werden. Für den stationären Fahrsimulator SoundCar1 erfolgt die
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Stationäre Fahrsimulatorvariante der Firma HEAD acoustics
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Simulation und virtuelle Realität
561
Abb. 10.46 „Evolution“ der Wiedergabe von Fahrzeuggeräuschen
Sitzanregung in z-Richtung mittels eines elektrodynamischen Shakers, die des Lenkrades in Rotationsrichtung über die direkte Ansteuerung der Lenkachse mit einem speziellen Anregungsmechanismus. Das komplette System muss individuell kalibriert und entzerrt werden. Teilweise wird auch eine direkte Anregung des Bodenblechs bevorzugt, die damit auch für eine Anregung des Sitzes sorgt. Die Wiedergabe von Geräuschen im Fahrsimulator Wie Abb. 10.46 verdeutlicht, sind verschiedene Wiedergabekonstellationen von Fahrzeuggeräuschen und -vibrationen möglich. Dient eine Fahrzeugkabine als Versuchsumgebung, in der Geräusche über Kopfhörer oder Lautsprecher ohne Interaktionsmöglichkeit für den Probanden dargeboten werden, sollten die in Abschn. 4.3 beschriebenen Hörversuchsaspekte Berücksichtigung finden. Erfolgt die Geräuschwiedergabe gemä einer interaktiven Steuerung des Fahrzeugs durch einen Versuchsteilnehmer, muss eine Geräuschsimulation die entsprechenden Fahrzeuginnengeräusche bereitstellen, sofern nicht (ausschlielich) die Geräusche des (realen) Versuchsfahrzeuges beurteilt werden sollen. Dabei lässt sich der stationäre Fall, d. h. das Fahrzeug erfährt keine Bewegung, vom mobilen Fall, das Fahrzeug wird real gefahren, unterscheiden. Im mobilen Fahrsimulator ist eine Lautsprecherwiedergabe aufgrund der Eigengeräusche des Testfahrzeugs nicht empfehlenswert. Hier sollte die Präsentation der Geräusche über Kopfhörer erfolgen. In einem stationären Fahrsimulator kann dagegen die Wiedergabe mittels Kopfhörer oder Lautsprecher erfolgen. Die Wiedergabegenauigkeit ist bei der Kopfhörerwiedergabe allerdings höher. Ein entsprechendes Sound-Simulations-System muss das gesamte auditorische Szenario in Abhängigkeit des vom Fahrer eingestellten Fahrzustandes gehörrichtig erzeugen. Hierbei müssen Motor-, Wind- und Reifengeräusche permanent der momentanen Motordrehzahl, dem Drehmoment und der Fahrzeuggeschwindigkeit angepasst werden. Das hier beschriebene Simulations-System (H3S2) erhält mittels optischer Sensoren sowie Potentiometern zur Bestimmung der Gaspedalstellung permanent Informationen über alle relevanten Parameter. Mit Hilfe dieser Daten und spezifischer Synthese-Algorithmen reagiert das System auf Änderungen der Geschwindigkeit, Drehzahl und Gaspedalstellung. Diese Daten können auch vom CAN-Bus bezogen werden und als Input für das Sound-Simulations-System dienen. Für die Simulation von Schallquellen (Motor, Wind, Reifen) werden die Geräusche im Fahrzeuginnenraum am Ort des Zuhörers binaural mit einem Kunstkopf aufgezeichnet und in einer Datenbank abgelegt. Im Simulationsbetrieb werden die entsprechenden Segmente
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Sound-Simulations-System der Firma HEAD acoustics
562
K. Genuit und A. Fiebig
abhängig vom Fahrzustand abgerufen und zu einem Gesamtgeräusch zusammengeführt. Um bei konstantem Fahrzustand (z. B. Konstantfahrt auf einer geraden Strecke) periodisch wiederkehrende Klangmuster zu vermeiden, für die das menschliche Gehör sehr sensitiv ist, muss ein Algorithmus verwendet werden, der Sprünge zwischen den einzelnen Datenbanksegmenten nach Ähnlichkeit der Segmente in Kombination mit Zufallsprinzipien auswählt. Auch die Manipulation des Fahrbahnbelags und Fahrzeugtyps sowie Fremdgeräuschen während der Simulation kann für verschiedene Untersuchungen relevant sein. Bei der Geräuschsimulation in einem fahrenden Fahrzeug müssen natürlich die Originalgeräusche des Testfahrzeugs unterdrückt werden (z. B. mittels Kopfhörer mit aktiver Geräuschunterdrückung (engl. Active Noise Cancellation-Technologie)). Der „Fahrer“ bestimmt interaktiv das aktuelle Geräuschszenario, das sich aus den Geräuschen der folgenden Komponenten zusammensetzt: Motor, Reifen, Wind, Hintergrund, vorbeifahrende Fahrzeuge, Bedienungs- und Kontrollinstrumente im Innenraum bzw. am Lenker.
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Für jedes Fahrzeug müssen in aufbereiteter Form fahrzeugabhängige Geräusche, z. B. Motorengeräusche (Luft- und Körperschall), Reifen-Rollgeräusche (Luft- und Körperschall), Windgeräusche (Luftschall), Hintergrundgeräusche (Luftschall), Spezialgeräusche (Luftund Körperschall), sowie mögliche fahrzeugunabhängige Geräusche wie Fremdfahrzeuge (Luftschall) oder sonstige Quellen (Luftschall) vorliegen. Die Ausgangsdaten werden mithilfe von mehrkanaligen Aufnahmen auf der Strae und/oder in einem Rollenprüfstand ermittelt. Motorgeräusche werden auf Basis spezieller Synthesealgorithmen als kurze, quasi-konstante Segmente für den gesamten Drehzahlbereich bei sämtlichen ausgewählten Gaspedalstellungen (Hochläufe) gespeichert. Dazu werden entsprechende Messungen auf einem Rollenprüfstand durchgeführt (Abb. 10.47). Zur Generierung der Fahrzeuginnengeräusche werden die einzelnen Komponenten, aus denen sich das Gesamtgeräusch zusammensetzt, in der Datenaufbereitung getrennt. Das Motorgeräusch wird durch die Aufnahme von i. d. R. langsamen Motorhochläufen über den gesamten Drehzahlbereich auf einem Rollenprüfstand in reflexionsarmer Umgebung ermittelt. Die Fahrzeuginnengeräusche werden durch einen Kunstkopf, der auf dem Fahrersitz positioniert ist, aufgezeichnet. Die spätere Wiedergabe des entsprechenden Motorgeräusches hängt von der Drehzahl und von der anliegenden Motorlast ab. Diese Eingangsgröen werden während der Fahrt kontinuierlich ermittelt und unmittelbar die passende Motorgeräuschsequenz dargeboten. Ein Fahrsimulator sollte in der Lage sein, das Reifen- und Windgeräusch situationsabhängig neu zusammenzustellen und die Anteile einzeln zu auralisieren, damit der Benutzer diese unabhängig voneinander bewerten und modifizieren kann. Authentische Reifen-Rollgeräusche und Windgeräusche im Fahrzeuginnenraum können nicht auf einem Rollenprüfstand oder im Windkanal aufgezeichnet werden. Sie lassen sich nur gemeinsam bei ausgeschaltetem Motor auf der Strae messen. Deshalb sind spezielle Verfahren und weitere Messungen notwendig, um das Innenraumgeräusch in die Bestandteile von Reifen und Wind aufzuteilen. Dazu wird ein Ausrollversuch durchgeführt, indem das untersuchte Fahrzeug auf die Maximalgeschwindigkeit beschleunigt wird und anschlieend bei ausgeschaltetem Motor,
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Simulation und virtuelle Realität
563
Abb. 10.47 Auf einem 4-Rad-Rollenprüfstand im reflexionsarmen Halbraum montiertes Fahrzeug mit Kunstkopfmesssystem auf dem Fahrersitz zur Messung des Motorgeräusches über den gesamten Drehzahlbereich bei verschiedenen Laststufen
oder bei Fahrzeugen mit Automatikgetriebe im Leerlauf, ausrollt. Das Reifengeräusch entsteht durch den Kontakt der Reifen mit der Fahrbahn. An diesen Entstehungsorten wird für jeden Reifen die Luftschallabstrahlung über zwei Mikrofone und die Körperschallanregung über einen triaxialen Beschleunigungsaufnehmer aufgezeichnet. Simultan erfolgt die Aufnahme des Innenraumgeräusches durch einen Kunstkopf. Die Entstehung des Innenraumgeräusches kann durch ein Multiple Input Multiple Output Modell (MIMO) beschrieben werden (s. Abb. 10.48). Die zwanzig Eingangssignale xi, fünf für jeden Reifen, werden über Transferfunktionen Hi,j in den Innenraum übertragen. Deren Summe stellt das Reifengeräusch tj dar. Für das Windgeräusch können keine Eingangssignale gemessen werden. Es wird als additive Störung wj beschrieben, die unkorreliert zum Reifengeräusch ist. Im Folgenden werden zwei Verfahren zur Trennung von Reifen- und Windgeräusch kurz vorgestellt, die Multiple Kohärenzfilterung (MKF) (Nettelbeck et al. 2004) und die Operational Path Analysis (OPA) (Sottek u. Philippen 2009). Zuerst wird ein Zeitausschnitt ausgewählt, in dem das Innengeräusch als stationär angenommen werden kann. Analog zum Wienerfilter kann nun das gemessene Innenraumgeräusch gefiltert werden, um eine Schätzung für das Reifengeräusch zu erhalten. Die Übertragungsfunktion dieses Filters ist die multiple Kohärenzfunktion γ²(f) (Bendat u. Pearsol 1986) zwischen den Eingangssignalen xi und dem Innenraumgeräusch yj. Die multiple Kohärenzfunktion ermittelt für jede Frequenz den Anteil der Leistung am Ausgang yj, der durch alle Eingangssignale beschrieben werden kann. Das Ergebnis ist eine reelle Zahl zwischen 0 und 1, wobei 1 bedeutet, dass das Innenraumgeräusch nur aus dem Reifengeräusch besteht und im Falle
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10
Eingänge
Übertragungsfunktionen
x1
H1,1
x2
H2,1
x20
H20,1
Mikrofone Beschleunigungsaufnehmer
Abb. 10.48 Multiple Input Multiple Output Modell des Reifen- und Windgeräusches
K. Genuit und A. Fiebig
Ausgang w1
+
t1
+
y1
Kunstkopf H1,2
H2,2
+
t2
+
y2
w2 H20,2
von 0 nur vom Wind erzeugt wird. Die Filterung mit der komplementären Übertragungsfunktion 1 − γ²(f) erzeugt die Schätzung des Windgeräusches. Ein kompletter Ausrollversuch wird in Segmente mit unterschiedlichen Geschwindigkeitsbereichen unterteilt, so dass innerhalb der Segmente das Innenraumgeräusch näherungsweise konstant ist. Für jedes Segment wird jeweils die multiple Kohärenzfunktion berechnet. Daraus lassen sich nun geschwindigkeitsabhängige Filter generieren, mit denen sich das Innenraumgeräusch in Reifen- und Windgeräusch separieren lässt. Mit diesem Verfahren lässt sich eine gute Trennung durchführen, aber es hat zwei grundlegende Nachteile. Die Schätzungen für das Reifen- und Windgeräusch sind korreliert, obwohl die tatsächlichen Geräusche unkorreliert sind. Auerdem lässt sich mit diesem Verfahren nur eine gute Trennung durchführen, wenn die einzelnen Anteile in unterschiedlichen Frequenzbereichen dominant sind. Dies ist hier in erster Näherung erfüllt. Das Reifengeräusch ist bei tiefen Frequenzen und das Windgeräusch bei hohen Frequenzen dominant. Trotzdem lässt sich mit der Operational Path Analysis (Kousuke u. Y. Junji 2006) eine bessere Trennung durchführen. Da sowohl die Eingangsdaten xi als auch die Ausgangsdaten yj des Modells bekannt sind, können diese verwendet werden, um über Korrelationsverfahren die Transferfunktion Hi,j zu schätzen. Die Summe der gefilterten Eingangssignale xi mit den Filterübertragungsfunktionen Hi,j ergeben die Schätzung des Reifengeräusches. Das Windgeräusch ergibt sich aus der Differenz zwischen Messung und geschätztem Reifengeräusch. Weil nur Betriebsmessungen verwendet werden, wird dieses
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Simulation und virtuelle Realität
565
Abb. 10.49 Die Separation des Wind- und Reifengeräusches erfolgte mittels OPA beispielhaft für ein Fahrzeug. Dargestellt ist die FFT vs. Time Analyse für die Messung ( links), das Reifengeräusch ( Mitte) und Windgeräusch ( rechts) für den Geschwindigkeitsbereich von 200 bis 10 km/h
Verfahren Operational Path Analysis genannt. Die zeit- und kostenaufwändige Messung von Übertragungsfunktionen entfällt hier. Ein Beispiel für die Trennung von Reifen- und Windgeräusch mittels OPA für ein Fahrzeug der Luxusklasse im Geschwindigkeitsbereich von 200 bis 10 km/h ist in Abb. 10.49 zu sehen. Dargestellt sind die FFT vs. Time Analysen der Messung und der geschätzten Reifen- und Windgeräusche. In der Simulation der Fahrzeuggeräusche werden die einzelnen Komponenten des Fahrzeuginnengeräusches gleichzeitig wiedergegeben und mit Hilfe spezieller Synthesealgorithmen zu einem realistischen und gehörrichtigen Gesamtgeräusch verknüpft. Zur adäquaten Wiedergabe gemä der Fahrzeugsteuerung durch den Probanden muss das Geräusch- und Vibrationsszenario in Echtzeit aktualisiert werden. Daher wird fortlaufend Drehzahl, Last und Geschwindigkeit erfasst. Ein realistisches Fahrdynamikmodell berechnet den jeweiligen aktuellen Fahrzustand. Im mobilen Fahrsimulatorsystem muss aufgrund der Erfassung der realen Fahrzustandsdaten kein Fahrdynamikmodell generiert werden. Bei Präsentation von fahrzeugunabhängigen Geräuschen muss ebenfalls die Position und die relative Geschwindigkeit von anderen Objekten berücksichtigt werden. Darüber hinaus müssen auch spezifische Einzelereignisse, wie Start-Stopp-Events, abgebildet werden können. Abbildung 10.50 stellt den Signalfluss des beschriebenen Sound-Simulations-Systems schematisch dar.
566
K. Genuit und A. Fiebig
analoger Mikrofoneigang
Datenbank: monaurale & binaurale Aufnahmen
Nachhall
Luftschall Motor
Filter
Reifen
Filter
Wind
Filter
+ Entzerrer
Lautsprecher vorne
Entzerrer
Lautsprecher hinten
Entzerrer
Subwoofer
Instruktionen Hintergrund Spezial Fremdfahrzeug 1 Mono-Schallquelle 1
+ +
+
Doppler & Binaurale Synthese
+
Doppler & Binaurale Synthese
weitere Fremdfahrzeuge & Mono-Schallquellen
Vibrationskanäle Motor
Filter
Reifen
Filter
+
+
Entzerrer
Entzerrer
Vibrationskanäle
Entzerrer
Spezial
10 Abb. 10.50 Geräusch- und Signalflussdiagramm eines Sound-Simulation-Systems (H3S)
Anwendung von BTPS-Daten in der Sound-Simulation Das Verfahren der Binauralen Transferpfadanalyse und Synthese (BTPA/BTPS) erlaubt eine Vorhersage des Innengeräusches sowie des Schwingungsverhaltens, beispielsweise basierend auf Motorprüfstandsmessungen, ohne den entsprechenden Motor real in ein Fahrzeug einbauen zu müssen. Durch den Einsatz von Fahrsimulatoren ist es darüber hinaus möglich, diese Daten interaktiv und kontextbezogen zu erleben und so eine umfassende Bewertung des (virtuellen) Antriebsstranges zu ermöglichen. Sogar wenn der Motor noch gar nicht existiert, können mit Hilfe von Simulationsdaten reale Messungen ergänzt oder gar ersetzt werden. Dabei ist auf eine phasenrichtige Synchronisation der Simulationsdaten mit den Messdaten zu achten (Riemann et al. 2006). Grundsätzlich ist bekannt (s. Abschn. 8.2), dass durch Filterung der gemessenen Eingangsdaten mit den in der BTPA ermittelten Übertragungsfunktionen (Lagerübertragungsfunktion, akustische Transferfunktionen der Karosserie bzw. Luftschallübertragungsfunktionen) die Beiträge der einzelnen Transferpfade berechnet werden können. Die Summation dieser Teilbeträge ergibt das Fahrzeuginnengeräusch. Die Eingangsdaten können auf einem Rollenprüfstand ermittelt, aber alternativ ebenfalls unter Verwendung von Motorprüfstandsdaten erzeugt werden. Werden solche Daten in einem Fahrsimulatorsystem verarbeitet, können nicht nur die einzelnen Quellen, wie oben beschrieben, analysiert, manipuliert und im „virtuellen“ Fahrbetrieb evaluiert werden, sondern zusätzlich ist auch eine interaktive Modifikation einzelner Transferpfade möglich (Abb. 10.51). Durch eine synthetische Veränderung einzelner Transferpfade oder Anregungen können die Auswirkungen von Modifikationen der Geräuschquellen oder der Übertragungswege auf das zu erwartende Innengeräusch ohne aufwendige und zeitintensive Hardwaretests und Prototypenkonstruktionen vorhergesagt werden. Sämtliche Geräuschquellen und
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Abb. 10.51 Schema eines vibroakustischen Fahrsimulationssystems unter Verwendung von BTPA/ BTPS-Daten
Vibrationen lassen sich während des Betriebes separat steuern und durch Filter interaktiv verändern. Darüber hinaus kann zwischen mehreren Motortypen, Reifen- und Winddatensätzen unmittelbar gewechselt werden, um beispielsweise Benchmarking-Tests durchzuführen. Insgesamt können mit der geschilderten Simulationstechnologie spezifische Fragestellungen verfolgt wie auch globale Geräuschuntersuchungen realisiert werden.
10.3.3 Der Einsatz von Fahrsimulatoren zur Untersuchung von Fahrzeuggeräuschen Eine Studie zum Einsatz von Fahrsimulatoren untersuchte verschiedene Versuchsumgebungen und deren Einfluss auf das Beurteilungsverhalten der Versuchsteilnehmer. Diverse Variablen, wie der Grad der Unnatürlichkeit, die erforderliche Konzentration und die Situationsvertrautheit, beeinflussten erheblich die Qualität der Urteile. Es konnte mit steigender Unvertrautheit mit der Testsituation eine wachsende Unsicherheit bei den Versuchsteilnehmern konstatiert werden. Diese äuerte sich beispielsweise in einem Motivationsverlust (Paul et al. 2004).
10.3.3.1 Fahrsimulatorkonzepte Die Simulatoren, die ein alltägliches und vertrautes Umfeld Probanden zur Verfügung stellen, ermöglichen durch die Fortschritte auf dem Gebiet der „Virtuellen Realität“ die
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Tab. 10.4 Fahrsimulatoren und wesentliche Charakteristika Fahrsimulatorkonzept Wesentliche Eigenschaften Sound Seat Kontrollierte Wiedergabe von Geräuschen Passive Rolle des Probanden
Stationärer Fahrsimulator mit einem Sound-SimulationsSystem
Kontrollierte Wiedergabe von Geräuschen und Vibrationen Bereitstellung fahrzeugbezogener visueller Reize Aktive Rolle des Probanden (Interaktive Einflussnahme auf die Stimuli)
Mobiler Fahrsimulator mit einem SoundSimulations-System
Kontrollierte Wiedergabe von Geräuschen Reale visuelle Reize und Vibrationen Reale Fahrdynamik Wahrnehmung von Beschleunigung Aktive Rolle des Probanden (Interaktive Einflussnahme auf die Geräuschstimuli)
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gezielte, kontrollierte Bereitstellung verschiedener sensorischer Reize. Der Proband kann teilweise interaktiv alltägliche Handlungsabläufe simulieren und die Reizsequenzen beeinflussen (Tab. 10.4). Geräusche und Vibrationen werden dann passend zu den Handlungen an den Bedienelementen dargeboten (Genuit u. Poggenburg 1998). Sie bewerten, was Sie hören und fühlen.
Die Aufnahmen und die Darbietung des Luftschalls erfolgt in der Regel mit Hilfe binauraler Mess- und Wiedergabetechnik. Die „Fahrer“ der Fahrsimulatoren erleben die Geräusche in gehörrichtiger, realistischer Qualität. Für die Wiedergabe der Luftschallsignale mit Kopfhörern kann unterstützend für die Darbietung der tieffrequenten Luftschallanregung ein Subwoofer eingesetzt werden. Um die Laufzeit des Subwoofers auszugleichen, muss das Kopfhörersignal laufzeitkorrigiert werden. Bei der Verwendung eines Subwoofers zur verbesserten Wiedergabe müssen kalibrierte Kopfhörer mit hochpassgefilterten Signalen
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der Grenzfrequenz von 150 Hz eingesetzt werden. Dazu liefern Videosysteme, die mit der akustischen Wiedergabe und den Bedienelementen des Simulators gekoppelt sind, entsprechende visuelle Stimuli. Ein weiterer Schritt bezüglich der Weiterentwicklung von Fahrsimulatoren erscheint die Verlagerung des Fahrsimulators vom Labor auf die reale Strae. Ein mobiler Fahrsimulator bringt das Labor unmittelbar in die Realität und berücksichtigt den Prozess der Interaktivität des Fahrers mit dem Fahrzeug, in der Beurteilungsvorgänge regulär eingebunden sind. Der Beurteiler findet sich daher in einer alltäglichen Umgebung wieder. Dadurch kann ein Expertenwechsel stattfinden, da nicht nur der Akustiker in der Wahrnehmung von Produktgeräuschen Experte ist, sondern jeder Konsument aufgrund seiner fundierten, alltäglichen Erfahrungen mit dem entsprechenden Produkt hinreichend Kenntnisse für eine zuverlässige Evaluation besitzt. Letztendlich muss sich im alltäglichen Gebrauch das entwickelte Produktgeräusch bewähren. Insofern erscheint die Durchführung von Hörversuchen bzw. Benchmarking unter realen, alltäglichen Bedingungen obligatorisch, um eben jene (Umwelt-)Faktoren im Entwicklungsprozess zu berücksichtigen, die im Forschungslabor den „Expertenohren“ verborgen bleiben. Darüber hinaus ermöglicht eine Erweiterung der konventionellen Methoden zur Bestimmung subjektiver Bewertungen eine Steigerung der Datenqualität.
10.3.4 „Hörversuche“ im Fahrsimulator Das Hörversuchsdesign muss entsprechend der ausgewählten Simulatorumgebung gewählt werden. Lassen sich im Hörlabor konventionelle Versuche durchführen, in denen der Proband auf vorgegebenen Skalen seine Urteile aufträgt, können in Versuchsumgebungen, in denen der Beurteiler Fahraufgaben wahrzunehmen hat, diese klassischen Methoden oft nicht eingesetzt werden. Könnte ein Fahrer im stationären Fahrsimulator grundsätzlich Bewertungen auf Fragebögen abgeben, indem dieser seine Fahrtätigkeit unterbricht, ist das bei realen Fahrten nicht sinnvoll möglich. Zudem scheint die Unterbrechung der Fahrsituation, ob im stationären oder mobilen Simulator, nicht zweckmäig, da die angestrebte Realitätsnähe der Fahrsituation deutlich reduziert werden würde (s. Abschn. 4.2). Daher erscheint die Anwendung qualitativer Verfahren sinnvoll. Qualitativ kann dabei folgendes bedeuten: (a) der Versuchsleiter beobachtet den Probanden und registriert bestimmte Verhaltensmuster, die Rückschlüsse auf die Bewertung des Untersuchungsobjektes erlauben; (b) der Versuchsleiter stellt während des Versuches Fragen und gibt eventuell Antwortmöglichkeiten vor; (c) die Versuchsperson bekommt im Vorfeld eine spezifische Aufgabe (z. B. Achten Sie bitte auf ….) und versucht diese Aufgabe zu erfüllen; (d) die Versuchsperson artikuliert frei und spontan Empfindungen, Assoziationen und Gefühle, ohne dass der Versuchsleiter unmittelbar diese forciert. Abbildung 10.52 zeigt eine Versuchssituation, in der der Proband (links) das Fahrzeug führt und ein Versuchsleiter (rechts) die Fahrt begleitet. Da mittels Kopfhörer das zu beurteilende Fahrzeuggeräusch dargeboten (simuliert) wird, bietet sich ein Interview während der Fahrt nicht an. Hier erscheint das „ungefragte“ Kommentieren durch den Probanden der empfundenen Situation inklusive der Betrachtung der Geräusche innerhalb der Versuchsumgebung als geeignet.
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Abb. 10.52 Proband ( links) und Versuchsleiter ( rechts) während einer Testfahrt in einem mobilen Fahrsimulator
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Die Auswertung erhobener qualitativer Daten muss mittels bekannter Verfahren (z. B. Grounded Theory, objektive Hermeneutik, Inhaltsanalyse) erfolgen. Diese sind i. d. R. zeitaufwendiger als die Anwendung deskriptiver Statistik, entbehrt aber nicht einer systematischen Vorgehensweise zur Absicherung der Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität. Ist das Ziel der Untersuchung, eine allgemeine Bewertung der präsentierten Geräusche von naiven Hörern3 zu erhalten, erscheint ein realitätsnahes Versuchsdesign empfehlenswert. D. h., dass während der Fahrt die präsentierten Geräusche nicht modifiziert werden,
Abb. 10.53 Versuchsleiter mit der Möglichkeit während der Fahrt die Fahrzeuggeräusche zu modifizieren
3
Naiv bezieht sich hier auf das Fehlen von fahrzeugakustischem Wissen. In der Regel können Personen, die nicht als Fahrzeugakustik-Ingenieure tätig sind, als naive Versuchspersonen klassifiziert werden.
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so dass die Natürlichkeit der Situation bestehen bleibt. Für den Fall, dass der Einfluss spezifischer akustischer Charakteristika des Fahrzeuggeräuschs während der Fahrt auf die Bewertung der Geräuschqualität untersucht wird, kann der Versuchsleiter auch während der Fahrt den dargebotenen Sound manipulieren (Abb. 10.53). Insgesamt sind der Anwendung von Fahrsimulatoren zur Untersuchungen von Reaktionen auf spezifische Reize keine Grenzen gesetzt. Die Entwicklung von Zielgeräuschen, Untersuchungen zur Wirksamkeit von Warnsignalen, Messungen an sprachgesteuerten Geräten (z. B. Handys) unter realistischen Fahrbedingungen, interaktives Sound Design von Fahrzeuginnengeräuschen spezifischer Pfade und Quellen, Untersuchungen zur Wahrnehmung und Bewertung akustischer Szenarien alternativer Antriebskonzepte, Studien zur akustischen Orientierung im Fahrzeug sind nur einige Anwendungsbeispiele von Fahrsimulatoren zur Beurteilung von Geräuschen im realistischen Kontext. Je nach Untersuchungsgegenstand müssen adäquate Testmethoden angewendet bzw. entwickelt werden.
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Sachverzeichnis
A A-Säule, 296, 552 Radius, 298 A-Schallpegel, 7 Abgasanlage, 235, 437 aktive Manahmen, 492 akustische Eigenschaften, 257 Geräuschdesign, 84 mit Übersprechstelle, 253 Mündungsgeräusch, 492 Turbolader, 238 zweiflutige, 252 Abgasanlagengeräusch, 83, 466 Abgasgeräusch, 237 Charakterisierung, 240 Krümmer, 241 Abgasmündungsgeräusch, 476, 494 Abgasreinigungselement, 243 Abgasrückführung (AGR), 236 Abgasschalldämpfer, 248 Abgasturbolader, 211 Abhörkabine, 124 Abkoppelmethode, 364 Abkoppelungsverhalten, 96 Abrollgeräusch, 91 Absorber-System, 475 Absorption, 479, 480 Absorptionseffekt, 471 Absorptionsfläche, äquivalente, 17 Absorptionsgrad, 11 Absorptionskoeffizient, 354 Absorptionsmessung, 357 Absorptionsschalldämpfer, 243, 246 Abstrahlgrad, 25 Abstrahlungsstärke, 6 Abzweigresonator, 246 Acoustic Image, 399
Active Noise Cancellation, 443, 561 Active Noise Control (ANC), 234, 248 Active Sound Design (ASD), 442, 493 Add-on-System, 234 Aeroakustik, 103, 283 Hohlspiegel, 105 numerische Berechnung, 536, 538 Simulation, 538, 554 Windkanal, 285, 421 Aeroakustische Analogie (AAA), 541, 544, 557 Aerodynamik, 470, 537 AFR-Messung, 485 Air-pumping, 271 Aktiv-Schalldämpfer, 493 Aktorkonstruktion, 251 Akustik Analysetool, 447 Auslegung, 95 Blaskanal, 348 Entwicklungsprozess, 92 Grundgröen, 2 Messung, 349 Motorprüfstand, 351 Rollenprüfstände, 340, 343, 345 Simulationstool, 447 Triebwerksprüfstand, 353 Untersuchung, 104 Prüfstände, 104 Akustikphänomen, 339 Akustikrolle, 340 Akustische Transferfunktion (ATF), 509, 510, 515 Aliasing, 34 Allrad-Antriebsstrangprüfstand, 352 Alpha-Kabine, 354, 355, 467, 484 Amplitudenmodulation, 65
K. Genuit (Hrsg.), Sound-Engineering im Automobilbereich, DOI 10.1007/978-3-642-01415-4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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mit Träger, 66 ohne Träger, 66 Analogie, 173 des Rhythmus, 164 funktionale, 165 intermodale, 157, 160, 163 räumliche, 165 zeitliche, 163 Anlassgeräusch, 436 Anregung, aeroakustische, 528 Anregungskraftspektrum, 368 Ansaugakustik, numerische Simulation, 230 Ansauganlage, aktive Manahmen, 491 Ansauggeräusch, 445 Ansaugsystem, 228, 454 akustisches Verhalten, 229 Anschlagen, 194 Anströmgeschwindigkeit, 305 Anströmwinkel, 305 Antenne, 296 Anti-Friction, 197 Coating, 198, 200 Anti-Sound, 443 Antihaft-Effekt, 197, 198 Antischallgenerator, 248 Antriebsgeräusch, 279, 280, 466 Antriebsstrangprüfstand, 351 Apamat, 363 Apparent mass, 97 Array Geometrie, 404 zweidimensionale, 405 Hohlspiegel, 420, 422 Messtechnik, 288, 489 Associated Imaginations on Sound Perception (AISP), 126 Assoziation, 173 konkrete, 157, 160, 163, 166 Attribute, intersensorielle, 164 Auralisation, 329 schwingender Flächen, 380 Ausgangssteifigkeit, 379 Ausgleichwellenantrieb, 210 Auengeräusch aktiv erzeugtes, 499 akustische Analyse, 325 Analyse, 317 binaurale Aufnahme, 324 gesetzliche Anforderungen, 94, 317 Messung, 287 Normen, 321 Sound Design, 323
Sachverzeichnis
Auenohr, 43 Übertragungsfunktion, 44, 46, 50, 333 Auenspiegel, 294 Automatikgetriebe, 215 mit Wandlerautomatik, 216 Average Linkage, 143 B Ballooning-Effekt, 550 Bändern, richtungsbestimmendes, 47 Bandpassfilter, 29 Bauteildämmung, 487 Beam Pattern, 401, 403 Beamforming, 399, 404, 406, 409 Beitragsanalyse, akustische, 516 modale Berechnung, 516 Benchmarking, 339 Berechnung, akustische, 502 Berger'sches Massengesetz, 474, 481 Beschallung, aktive, 496 Beschleunigungsaufnehmer, 310 Beschleunigungsempfänger, piezoelektrischer, 27 Bestrahlungsstärke, 15 Betätigungsgeräusch, Optimierung, 104 Beton-Jute-Textur, 533 Betriebsauslenkung, Berechnung, 378 Betriebsbeschleunigung, 371 Betriebskraft, 371 Berechnung, 378 Bewegungsanalogie, 164 Bezugsenergiedichte, 7 Biegesteife, 22 Biegewelle, 21, 22 Binaural Intelligibility Level Difference (BILD), 48 Binaural Panel Contribution Analysis (BPCA), 381, 382, 392 Anwendungsbeispiel, 389 Sensorarray, 385 Binaurale Transferpfadanalyse (BTPA), 76, 566 Binaurale Transferpfadsynthese (BTPS), 76 Biot-Allard-Modell, 485 Blaskanal, aeroakustischer, 348 Blow-off-Ventil, 212 BLUETEC-Technik, 107 Body noise transfer function, 376 Booming, 63 Boundary-Elemente-Methode (BEM), 257, 502, 505, 530, 535 Formulierung, 506
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Breitband-Kompakt-Absorber, 345 Breitbandresonator, 233 Brummen, 116 Brummphänomen, 63 Bündelungsma, 10 C Cabrio, 302 CAE-Tool, 354 Campbell-Diagramm, 117, 169, 170, 223, 267, 268 Causal Listening, 157 Ceiling-Effekt, 135 Classical Beamforming (CBF), 399 CLEAN-Algorithmus, 408 CO2-Krise, 106 Cocktailpartyeffekt, 47 Cocooning, 108 Code, 167 Colour music, 158 Complete linkage, 143 Computational Fluid Dynamics (CFD), 537 Simulation, 538 Continuously Variable Transmission (CVT)-Getriebe, 214 Courant-Friedrich-Levi-Kriterium, 539 Craig-Bampton-Modal-Basis, 523 Crossfading, 329 Crosstalk, 332 Curve-Fitting-Algorithmus, 485 D Dämmmaterial, 392 Dämmungsprüfstand, 359, 361 Dämpfung, 478 Dämpfungsmaterial, 478 Dämpfungswirkung, akustische, 247 Darcy-Gleichung, 485 Dauerschallpegel, 322 äquivalenter, 28 Decontenting, 106 Defektgeräusch, 165 Dehnungsmessstreifen (DMS), 377 Dehnwelle, 21 Dehnwellengeschwindigkeit, 21 Delay-And-Sum (DAS), 399, 401 Design intuitives, 160 multisensorisches, 174 multisensuelles, 174 synästhetisches, 174 taktiles, 166
Detached Edy Simulation (DES), 540 DIANA, 368, 379 Dichteänderung, 18 Dichtungsersatzfeder, 520 Dichtungsprüfung, 411 mit Ultraschall, 291 Diesel-Leerlaufklopfgeräusch, 470 Dieselabgasanlage, 252 Dieselpartikelfilter (DPF), 243 Differential, semantisches, 136, 137, 168 Differentialheulen, 223 Differenzrauscheffekt, 59 Diffusfeldentzerrung, 52 Dipolstrahler, 10 Dipolterm, 536 Dirac Funktion, 543 Sto, 30 Direkte Numerische Simulation (DNS), 539 Direktschall-Energiedichte, 18 Dispersion, 22 Dispersionsma, 144 Dispersionsrelation, 23 Dolby Surround, 139 Doppelkupplungsgetriebe, 215, 217 Doppler-Effekt, 329 Drehpol, elastokinematischer, 462 Drehschwingung, 455 Entkopplung, 226 Drehzeiger-Term, 35 Dröhnen, 116, 277 Druckgefühl, 277 Druckgradientenempfänger, 387 Druckmikrofon, 25 Druckschlauch, 454 Durchgangsdämpfung, 247 Dynamik, 402, 404 E E-Motormomente, 267 Echtzeit-Frequenzanalysator, 29 Efficient Dynamics, 261 Eigenfrequenz, 13 Eigenschwingung, 13 Ein-Punkt-Fesselung, 350, 351 Ein-Weg-Kopplung, 547 Einflussmatritze, 505 Einheitskörperschallleistung, 509 Einmassenschwinger, 474 Elastizitätsmodul, 19 Elastokinematik, 459, 460
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Elektrofahrzeug, 132, 336 Elektromotor, 82, 261 Elektronische Fahrwerksregelung (ESP), 350 Elemente, halbunendliche, 532, 533 Ellipsoidspiegel, 412, 419 ELWIS-Messgerät, 358, 485 EMKS-Simulation, 526 End-of-Line-Test, 92 Endschalldämpfer, 440, 476 Energieanalyse, statistische, 557 Energiedichte, 6 stationäre in einem Raum, 17 Engine Noise Simlator, 490 Entdröhnbelag, 476 Ergebnisauralisierung, 379 Ersatzfederkennlinie, 518 Euler-Gleichung, 541 linearisierte, 545, 557 Explorative Vehicle Evaluation (EVE), 128 Eyring'sche Formel, 17 F Fahrdynamikanforderungen, 459 Fahrdynamikmodell, 565 Fahrkomfort, 89 Bedeutung der Akustik, 90 Fahrschemel, 460, 464 Fahrsimulator, 127, 556, 558, 567 Hörversuch, 569 stationärer, 560 Fahrtwindsimulation, 348 Fahrwerk, 458 Transferpfadanalyse, 372 Fahrzeug-Auengeräusch, siehe Auengeräusch Fahrzeugakustik, 89 Geräuschklassen, 10 Grundlagen, 1 Merkmale, 110 Psychoakustik, 73 Störgeräuschphänomene, 112 Fahrzeugbetriebserlaubnis, 318 Fahrzeugbewertung ökologische, 130 pragmatische, 130 Fahrzeugentwicklung Entwicklungssystematik, 99 Fahrzeugfesselung, 349 Fahrzeuggeräusch, 90 Bewertung, 109 Kontextabhängigkeit von Bewertungen, 128 Werkzeuge, 105
Sachverzeichnis
Fahrzeuginnengeräusch, Benchmarking, 131 Fahrzeuginnenraumakustik, 131, 512 Fahrzeugkühlung, 348 Fahrzeugschwingung, 90 Faltenbalg, 234 Faltung, 30 Farbe-Ton-Beziehung, subjektive, 171 Farbenhören, 156, 171 Farblichtmusik, 158 Farbskala, 171 Fast Fourier Transformation (FFT), 35, 78 Fast Multipol Method, 506 Feder-Masse-System, 386, 452, 474 Federabstützung, 465 Fehlerbild Differenzierung, 192 Fenstermethode, konventionelle, 381 Fensterprüfstand, 484 bauakustischer, 360 Fenstertechnik, 36 Fernfeldmikrofon, 332 Fernfeldnäherung, 10 Ffowc-Williams-Hawkings-Analogie, 543 Filterübertragungsfunktion, 564 Finite-Elemente-Methode (FEM), 221, 257, 502, 503, 532, 535 Akustiknetz, 527 Solver, 231 FIR-Filter, 379 Fischgrätendiagramm, 188 Flachabsorber, 346 Flachsonde, 553 Floor-Effekt, 135 Flügelzellenpumpe, 211 Fluid-Struktur-Kopplung/-Interaktion, 231, 546, 548 Fluorpolymeren, 198 Forced-Response-Analyse, 221 Fourier-Koeffizient, 309 Fourier-Transformation, 31, 33, 401 direkte, 34 variable, 78 Freezing Phenomenon, 164 Freifeldentzerrung, 52 Frequenzbereichsmethode, 366 Frequenzbewertung, 28 Frequenzgruppe, 42 Frontklappenabsorber, 468 Funktionsgeräusch, 185 G Ganzkörperschwingung, 159 Gaspulsation, 238, 495
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Sachverzeichnis
Gebläsegeräusch, 348 Gehäusesteifigkeit, 452 Gehör Auflösungsvermögen, 43 menschliches, 39 Dynamik, 40 Frequenzbereich, 40 Gehörfilter, 42 Gehörgang, 43 Geräusch Beschreibung, 196 Bewertung kontextsensitive Verfahren, 123 Signifikanztest, 150 statistische Wahrscheinlichkeitsprüfung, 150 Dämmung, 102 Dämpfung, 102 Dynamik, 435 Emission, 317, 433 gesetzliche Grenzwerte, 319 Erzeugung aeroakustische, 283 aerodynamische, 297 Gestaltung, 427 in der Wahrnehmung, 429 ökologische Validität, 121 Qualität, 109, 118, 151, 323 Definition, 120 Klassifikation, 62 negative, 185 Untersuchung, 119 Simulation, 561 subjektive Evaluation, 121 Verhalten, 175 Vorschrift, 441 Geräuschbild, 153 Geräuschkapsel, 466 Geräuschkatalog, 196 Geräuschkomfort, 120 Geräuschoptimierung der Innenauskleidung, 478 Geräuschpegelgrenzwert, 318 Geräuschquelle, 205 am Fahrzeug, 466 Gesamtschalldruck, 9, 372 Getriebe Akustik, 219 Applikation im Antriebsstrang, 219 Geräusche, 220, 222 Optimierung, 220 Komponentenprüfstand, 226
Rasselgeräusche, 224 stufenloses, 215 variables, 218 Getriebeheulen, 224 Getrieberasseln, 73, 75 Getriebetyp, 214 Gleitreibung, 189 Gleitreibungszahl, 199 GMRES-Algorithmus, 533 Gradientenmikrofon, 26 Gravitationskraft, 522 Green'sche Funktion, 400 Grenzfrequenz, 24 Grounded Theory, 570 Grummeln, 277 Grundbegriffe, akustische, 1 H Haaseffekt, 49 Haft-Gleit-Effekt, 190 Haftreibung, 189, 272 Halbfreifeldmessraum, 330 Halbwertsbreite, 14 Hallradius, 18 Hallraum, 356 Handschaltgetriebe, automatisiertes, 215 Hanning-Fenster, 400 Harmonielehre, 450 Head-related transfer function, 333 Head-Tracking-Methode, 139 Helmholtz-Gleichung, 13, 289, 400, 503, 505 Helmholtz-Kirchhoff-Abstrahlungsgesetz, 10 Helmholtz-Resonator, 233, 298, 471 Hemmungseffekt, 194, 195 Hermeneutik, objektive, 570 Heuleffekt, 222 Heulgeräusch, 223 Hilbert-Transformation, 68 Hinterradrollgeräusch, 476 Hiss Noise, 212 Hitzedrahtanemometer, 27, 381 Hochpassfilterung, 68 Hohlraumresonanz, 298 Hohlspiegelmikrofon, 290, 297, 412, 416, 417, 419 Holographie, 489 akustische, 510 Hook'sches Gesetz, 18, 368, 485 Hörempfindung, 559 Hören binaurales, 26
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räumliches, 39 zweiohriges, 40 Hörschwelle, absolute, 40 Hörstudio, 124 Hörversuch, 122, 132 affirmative Normalformerwartung, 126 Auswahl und Präsentation von Geräuschen, 137 Design, 133 Ermüdungseffekt, 140 Fahrsimulator, 569 Kontextumwelt, 125 Konzentrationsfähigkeit, 140 Kopfhörerwiedergabe, 139 Labor, 124 Lautsprecherwiedergabe, 139 Raumakustik des Versuchsraums, 138 Vermeidung von Fremdgeräuschen, 138 Versuchsartefakte, 140 Versuchsumgebung, 124 Human Machine Interface (HMI), 154 Hybridakustik, 260 Hybridantrieb, 217 Hybridfahrzeug, 336, 499 Hybridmethode, 96 Hybridtechnik, 441 I Icon, 167 Im-Kopf-Lokalisation, 49 Impedanzrohr, 354, 357 Impedanzsprung, 469 Impulsantwort, 30, 33 Inertanzmethode, 368 Infraschall, 159 Innengeräusch, 323 Messung, 287 Mündungsanteil, 258 Innengeräuschreduktion, 183 durch Einbindung der Verglasungsstärke, 302 Innengeräuschsimulation, 528 Innenschalldruckpegel, 365 Innenzahnradpumpe, 211 Integraltransformation, 401 Intensitätsdifferenz, interaurale, 45 Interpolationsalgorithmus, 514 Intervallskala, 135 Ishikawa-Diagramm, 188 ISOKELL, 361 Isolation, 480
Sachverzeichnis
Isolationspaket, 489 Isophone, 55 Isophonkurve, 41 K Kamera, akustische, 105 Kármánsche Wirbelstrae, 296 Karosserie, Strukturmanahme, 456 Kategorialskala, unipolare, 136 Kinetic Design, 164, 165 Kirchhoff-Helmholtz-Formel, 545 Kirchhoff-Integral-Methode, 544 Klangfarbenunterschied, 61 Klangfarbenwahrnehmung, 61 Klanglandschaft, 165 Klimaanlage, 306 Kognition, 120 Kohärenzfilterung, 408 multiple (MKF), 563 Koinzidenz, 24 Kollern, 67, 76 Konfidenzintervall, 149 Konfidenzkoeffizient, 149 Kontaktstellen, Bewegungsformen, 187 Kontextumwelt, 125 Körper-Luftschall-Abstrahlung, 476 Körperschall, 1, 18, 234 Abstrahlung, 240, 254 Amplitude, 455 Anregung, 509 Dämpfung, 478 Einleitung, 310 Energie, 509 Entkopplung, 344 Messung, 291 Quelle, 20 Übertragung, 98, 451 Körperschallmanahme, 451 am Triebwerk, 452 Körperschallpfad, 107, 267, 356, 367 Modellierung, 375 Korrelationsanalyse, 142, 143 Kreuzinertanz, 369 Kreuzkorrelationsmatrix, 400 Kronecker-Symbol, 543 Krümmer, 241 Krümmer-Katalysator-Modul, 256 Kugel, atmende, 8 Kugelmikrofon, 26 Kugelstrahler, 4 Kugelwelle, 4
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Kundtsches Rohr, 354, 357 Kunstkopf-Messtechnik, 26, 40, 50, 307, 324 Kurbelwellengehäuse, 530 Kurzschluss, akustischer, 23 Kurzzeitgedächtnis, additives, 43 L Lagerübertragungsfunktion, 394 Lambert-Streuung, 12 Lamé’sche Elastizitätskonstante, 19 Längsfederung, 461 Large Eddy Simulation (LES), 540 Lärmbelastung, 318 Lärmminderungsmanahme, passive, 467 Laser-Doppler-Vibrometrie, 291 Laser-Scanning-Vibrometrie, 341, 392, 546 Laser-Vibrometer, 310, 393 Lastenheft, 94 Lästigkeit, 151 Lattice-Boltzmann-Methode (LBM), 539, 550 Laufkultur, 101 Laufrolle, Kapselung, 344 Laufzeitdifferenz, interaurale, 45 Lautheit, 54 Einfluss der Dauer, 56 Einfluss der Frequenz, 55 Einfluss der spektralen Bandbreite, 56 Messung, 54 Lautheitswahrnehmung Einflussparameter, 61 Lautstärkeempfindung, 41 Law of Comparative Judgement, 134 Leakage-Effekt, 117 Leck, akustisches, 476 Leckage, 292 Leerlaufinnengeräusch, 267 Legal Sound, 431 Leichtbaukonzept, 96 Let-off surge, 212 Lichtfrequenz, 171 Lighthill-Gleichung, 542, 543 Lightscape, 165 Linear time inavariant system (LTI-System), 30 Übertragungsfunktion, 31 Linearised Euler Equation (LEE), 545 Linearitätstest, 370 Linienspektrum, 35 Lithium-Ionen-Akkumulator, 263 Lochblechkeil, 347 Lochkammerresonator, 233 Lokalisierung, audiovisuelle, 193
Longitudinalwelle, 19 Luftausströmer, generischer, 555 Lüftergeräusch, 267 Luftschall, 1 Abstrahlung, 352, 454 Anregung, 369, 568 Berechnung, 509 Dämmung, 359, 480 Dämpfung, 479 Empfängerpunkt, 372 Empfindlichkeit, 374, 376 Störpegel, 344 Übertragungsfunktion, 383, 394, 396, 566 Luftschallleistung, 509 Luftschallleistungspegel, 357 Luftschallmanahme, 456, 466 Entwicklung, 354 Luftschallpfad, 364, 366 Luftschallquelle, akustische, 484 Lüftungsgeräusch, 268 M Machzahl, 284 Mahlgeräusch, 227 Maschinenakustik, 213 Masse-Absorber-Bauteile, 469 Masse, scheinbare, 97 Massenmatrix, 503 Matching, introspektives, 120 Materialeigenschaften, 197 Materializing Sound Indices, 166 Materialsimulation, 485, 490 Maximaldämpfer, 492 Maxpaket, 489 McPherson-Federbein, 463 Me-Too-Product, 166 Mehrfach-Dichtsystem, 293 Mehrkörpersimulation, 221 Mehrlenker-Hinterachse, 462 Membranabsorber, 285, 357 Mensch-Maschine-Schnittstelle, 154 Mensch-Maschine-System, 154, 168 Mesh-Mapping-Methode, 514 Messraum, 339 akustische Anforderungen, 345 schwingungstechnische Anforderungen, 345 Messsignal, Digitalisierung, 32 Messtechnik, aeroakustische, 285 Metapher, synästhetische, 168 Metaphorik, 157
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Metrik Entwicklung, 132, 141, 142 Versuchspersonenanzahl, 142 Limitationen, 153 Validierung, 151 Mikrofon, 25 Mikrofonarray, 288, 328, 335, 398, 531 Mikrofonsonde, 291 Mikrohybrid, 261 Mildhybrid, 261 Mindest-Schalldruckpegel, 499 Mithörschwelle, 41, 58, 59 Mittelschalldämpfer, 253, 255 MKS-Berechnungsmodell, 518 Mock-up, 124 Modal Expansion Method (MEM), 530 Mode, 13 Modellierungskette, 517 Modifikationsvorhersage, 516 Modulation, 62, 76 Monopolschallquelle, 332 Monopolstrahler, 4 Monopolterm, 536 Motor Akustik, 67 Bauform, 206 Konstruktion, 213 Soundsystem, 234 Motorkapsel, thermoakustische, 470 Motorlagerung, 455 hydraulische, 97 Motorordnung, 101, 170 Motorrauigkeit, 74, 76 Motorraumdämpfung, 470 Multi-Kohärenz-Methode, 365 Multiple Input Multiple Output (MIMO)Methode, 367, 562 Multipolstrahler, 8 Multipoltechnik, 506 Mündungsgeräusch, 229, 239, 259 Mündungsschall, 232 MUSIC, 400 N Nachhallzeit, 14, 15 Nachschalldämpfer, 251, 254, 495 Nachverdeckung, 57, 58 Nahfeldholographie, akustische, 289 Nahfeldmikrofonaufnahme, 328 Navier-Stokes-Gleichung (NSG), 538, 542, 552, 554
Sachverzeichnis
Nebenaggregat, 305, 453 Analyse- und Messmethoden, 307 Geräuscharten, 306 Geräuschquellen, 307 Messmethode, 310 Netzwindabweiser, 299 Nockenwellenantrieb/-steuerung, 207 Noise Source Ranking, 213 Nutzschall, 48 Nyquist-Theorem, 34 O Oberflächenabstrahlung, 233 Oberflächenbeschichtung, 199 Oberflächeneigenschaften, 197 Oberflächenmikrofon, 528 Oberwelle, 74 Objektstreuung, 12 Öffnungsgeräusch, 78 Ohrkanal, 44, 46, 50 Ohrmuschelhöhle, 44, 50 Ohrsignal, akustisches, 45 Oktavbänder, 29 Ölpumpe, 210 Operational noise, 154 Operational Path Analysis (OPA), 563, 564 Ordnungsanalyse, 329 Orthogonalität, 309, 401, 408 P Paarvergleich, 133 Panel-Contribution-Analyse, 510 Parabolspiegel, 412 Parallelverarbeitung, 160 Pegeladdition, 7 Pegelberechnung, 7 Pegelreduktion, 100 Pendelschieberzellenpumpe, 211 Perfectly Matched Layer (PML)-Technik, 504 Pfeifenresonator, 233 Pfeifgeräusch, 223 Phantomschallquelle, 49 Piezo-Kraftmesselemente, 460 Pin-Effekt, 370 Planetengetriebe, 216 Plattenabsorber, 285 Plattenresonanzabsorber, 345 Poisson-Zahl, 485 Poisson’sche Querkontraktionszahl, 19 Polaritätsprofil, 168 Polytetrafluorethylen (PTFE), 198
Sachverzeichnis
Pop-off-Ventil, 212 Positionierlaser, 416 Power-Split-Konzept, 262 Powertrain, 101, 205 Precedence Effect, 49 Principle Component Analysis (PCA), 127 Product Sound Quality, 122 Profilgeräusch, 276 Prominence-ratio-Verfahren, 72 Prominenzanalyse, 115 spezifische, 116 Prototypfahrzeug, 483 Prüfstand, 339 Entwicklung von Luftschallmanahmen, 354 Prüfstandmesse, 345 Pseudoschall, 289 Psychoacoustic annoyance, 120, 151 Psychoakustik, 53, 73, 100, 154, 304, 311 Pulsationsgeräusch, 237 PUR-Schaumsteifigkeit, 474 Q Quadrupolstrahler, 284 Quadrupolterm, 536 Qualia, 162 Qualität, akustische, 443 Qualitätstest, 370 Quality gate, 93 QUATTRO, 367 Quellkartierung, 399, 408 begrenzte Dynamik, 409 begrenzte Schärfe, 409 Entfernungsfehler, 409 Modellfehler, 409 Quiet area, 336 R R-Rauigkeit, 67 Radführungselementsteifigkeit, 463 Radhäuser, 300 Radialgürtelreifen, 271 Radnabenfesselung, alternative, 350 Randelementemethode, 10, 557 Randintegralgleichung, 506 Rangfolgentest, 133 Ranking, 133 Rasselgeräusch im Getriebe, 73 Ratingskala, 134 Rauigkeit, 54, 64 Berechnung, 67 Raumübertragungsfunktion, 14
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Rauschen amplitudenmoduliertes, 66 schmalbandiges, 70 weies, 43, 59, 64, 359 Ray Tracing, 407 Rayleigh-Methode, 506 Realität, virtuelle, 558, 567 Reflexion einer ebenen Welle, 1 Reflexionsgesetz, 11 Reflexionsschalldämpfer, 245 Regression lineare, 145 multiple lineare, 145 nichtlineare, 147 Regressionskoeffizient, 147, 148 Reibung, 463 Reibungsart, 190 Reibungsoptimierung, 461 Reifen Kavitätsgeräusch, 277 Profilierung, 276 Schallabstrahlung, 276 Ungleichförmigkeit, 276 Reifen-Fahrbahn-Geräusch, 270, 275, 280, 281, 320, 438 Geräuschspektrum, 273 Reifenabrollgeräusch, 472 Reifengeräuschpegel, 343 Reifenprofilgeräusch, 472 Reigeneigenschwingungen, 274 Reiz, auditiver, 156 Rekuperation, 261 Relative Approach-Analyse, 114, 116 Resonanzabsorber, 352, 452 Resonanzschalldämpfer, 245 Resonanzüberhöhung, 451 Retro-Design, 166 Reynolds Averaged Navier-Stokes (RANS), 540 Reziprozitätsbedingung, 371 Reziprozitätsgesetz, 490 Richtungshören, 43, 45, 158 Richtungshörtest, 47 Ringtrichterrichtungshörer (RRH), 415 Robust Adaptive Focusing, 400 Rohbaustruktur, 96 Rollengrube, 340 Rollenprüfstand, 331, 332, 339 akustische Anforderungen, 343 Geräuschpegelvorgaben, 348 schwingungstechnische Anforderungen, 343 Rollgeräusch, 271, 276, 366, 461
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Ruhehörschwelle, 40, 58 Rumbling, 76 S Sabine’sche Nachhallformel, 17 Sauganlage, 444, 446 Saugmotor, 232 Schall, 159 sensorischer Wohlklang, 152 Schallabsorber, 285 Schallabsorptionskoeffizient, 357 Schallabstrahlung, 530 Berechnung, 549 von Platten, 23 Schallausbreitungsgeschwindigkeit, 251 Schallausbreitungsweg, 309 Schalldämpfer, 240, 492 aktiver, 244, 248 in Schalenbauweise, 255 semiaktiver, 244, 247 Schalldosis, 28 Schalldruck, effektiver, 5 Schalldruckpegel, 5, 27, 59, 70, 250, 319, 321 Schalldruckverteilung, 512 im Innenraum infolge Türzuschlag, 517 im PKW-Innenraum, 512 Schalleinfallsrichtung, 52 Schallemission, 440 Schallfeld Beeinflussung, 498 Berechnung, 527 diffuses, 15, 17 in geschlossenen Räumen, 12 räumliche Transformation, 289 Simulation, 510 Verteilung, 496 Schallfeldgleichung, 1, 2 Schallgeschwindigkeit der Luft, 2 Schallintensitätsmesstechnik, 489 Schallintensitätssonde, 490 Schallleistungsmessung, 357 Schallmesstechnik, gehörgerechte, 50 Schallnebenweg, 438 Schallpaket-Entwicklung, 478 Schallpegel, 184 Schallquelle Fernfeld, 8 Ortung, 291, 398 Schallreflexion, 11 Schallschluckkeil, 352 Schallschluckteile, 345, 346
Sachverzeichnis
Schallschnelle, 1, 2 Schallschott, 478 Schallsender, binauraler, 384 Schalltransferpfad, 438 Schalltrichter, 273 Schallwandler, 251 Schallwechseldruck, 1 Schallwelle, 1, 3 Schaltgeräusch, 227, 228 Schärfe, 54, 61 Scheibenwischer, 294 Scherenrad, 208 Scherkräfte, 272 Schiebedach-Öffnungsgeräusch, 299 Schliegeräusch, 78 Schmalbandrauschen, 59 Schmerzschwelle, 40, 41 Schnellemessung, 26, 386 Schnellesensor, 388 Schnellesignal, 382 Schroeder-Frequenz, 14, 16, 17 Schwachstellenanalyse, akustische, 206 Schwankungsstärke, 54, 66, 69 Schwerfolie, 483 Schwingung, 159 stochastische, 560 tieffrequente, 116 Schwingungsauslegung, 95 Schwingungsisolation, 451 Schwingungsphänomen, 339 Schwingungssensor, 27 Schwingungstilger, 452 Schwingungsuntersuchung, Prüfstände, 104 Schwingungsverhalten, 90, 273 SEA-Simulation, 484, 490 Sekundärluftschall, 489 Self-fulfilling prophecy, 144 Semantisches Differenzial, 136, 137 Semifreifeldraum, 491 Sender-Empfänger-Methode, 366 Sequenz-Kontext-Effekt, 136 Shaker, 532 Sidelobe-Struktur, 405 Signal akustisches, 120 binaurales, 329 monaurales, 329 Signal-Entdeckungs-Theorie, 126 Signal-Rausch-Abstand, 138 Signalverarbeitung, 39 digitale, 30
Sachverzeichnis
Simulation, direkte, 557 Simulationsmethode, 507 Simultanverdeckung, 57, 58 Sinnesreiz, 162 Sinusschwingung, 64 Sitzschwingung, 159 Sound Car, 124 Cleaning, 205, 430 Design, 427, 430 Flussdiagramm, 442 Simulation, 447 Engineering, 91, 427, 430 Entwicklung, 431 Auengeräusch, 440 Technik, 434 Vorgehensweise, 441 Gestaltung, 100 künstlicher, 442 Package, 340, 456 Entwicklung auf Bauteil-/Komponentenebene, 486 Entwicklung auf Fahrzeugebene, 488 Entwicklung auf Materialebene, 485 Optimierung, 359 passive Systeme, 234 Quality, 123, 428, 430 Scape, 165 Simulations-System, 561 Transmission Loss (STL), 359, 480 Source-related transfer function, 332 Spaltresonator, 233 Spannrolle, automatische, 207 Spannungs-Dehnungs-Beziehungen, 18 Spannungstensor, 543 Spatial Transformation of Sound Fields, 289 Spektogramm, 326 Spektralanalyse, 50, 51 gehörorientierte, 78 Sphere-to-Extruder-Kontaktmodell, 519 Sprachsignal, 72 Starrkörperresonanz, 460 Start-Stopp-Funktion, 262, 265 Statistische Energie-Analyse (SEA), 502, 507, 535, 548 Stehwellenrohr, 354, 358 Steifigkeit, dynamische, 97 Steifigkeitsmatrix, 503 Steifigkeitsmethode, 368 Steifigkeitsvariation, 365 Stereofonie, kopfbezogene, 50, 52
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Steuerkette, 207 Stick-slip-Effekt, 189, 190, 199 Stimulus, 156 Stirnwandisolation, 473, 474 Stirnwandisolation, 486, 487 Dämmungsverteilung, 488 Stochastik Noise Generation and Radiation(SNGR)-Verfahren, 541 Störgeräusch, 82 Beseitigung, 100 Bewertung, 186 binaurale Unterdrückung, 48 Charakterisierung, 183 Definition, 185 Einflussgröen, 188 Entwicklung störgeräuschfreier Produkte, 202 Erkennungssystem, 201 Fehlerort, 195 Grenzkurve, 344 Identifikation, 111 Identifizierungssystem, 200 Kontaktstellen, 203 Lokalisierung, 192, 194 Messbarkeit, 192 Ursachen, 186 Störschall, 48 Stoantwort, 30 Strahler flächiger, 8 nullter Ordnung, 4 Strahlrauschen, 348 Strahlungsimpedanz, 9 Strahlungswiderstand, 8 Straenverkehrslärm, 318 Stroboskop, 192 Strömungsgeräusch, 212 Strömungssimulation, 538 Strömungswiderstand, 469 Strouhal-Zahl, 239 Struktureigenschwingungen des Reifens, 273 Strukturoptimierung Rohbau, 100 Strukturvibration, 549 Stuckern, 96 Stufenautomatikgetriebe, 216 Substrukturierung, wellenbasierte, 517 Subwoofer, 568 Summenlokalisation, 49 Suppressorvariable, 147 Surge-Line, 212 Symbol, 167
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Symbolik, 157, 160, 163, 173 Synästhesie, 155 genuine, 155, 156 Synchronie, 163 Systematic Low Noise Design, 206 T Target-Fahrzeug, 484 Target-Sound, 118 Taubheit, einseitige, 49 Teilflächendämmung, 487 Teilschalldruck, 372, 373 Berechnung, 377 Teilschallquelle, 496 Teleskop, akustisches, 288 Terzbänder, 29 Terzpegel, 42 Tickern, 114 Tiefpassfilterung, 68 Tonalität, 54, 70, 152 Tone-to-noise-Verfahren, 72 Tonfrequenz, 171 Tonhaltigkeit, 70 Tonheit, 62 Tonheitsskala, 42 Torsionsschwingung, 225 Resonanzen, 227 Torsionswelle, 25 Touchscape, 165 Transferfunktion akustische, 394 vibroakustische, 371 Transfermatrix-Methode, 485 Transferpfadanalyse, 240, 257, 362, 364, 366, 373, 392 binaurale, 392 Transfersteifigkeit, 368, 379 Transitivitätsprinzip, 134 Transversalwelle, 19 Tribologie, 199 Tribosystem, 199 Triebwerksstütze, 452 Troubleshooting, 489 Tunnelabsorber, 469 Turbolader, 211 Türgeräusch, 78 psychoakustische Analyse, 81 Relative Approach-Analyse, 82 VFR-Spektralanalyse, 78 Türmassenmittelpunkt, 526 Türstarrkörpermode, 522
Sachverzeichnis
U Überblendalgorithmus, 329 Übersprechen, 332 Übertragungsfunktion, 30, 31, 33, 366, 566 Matrix, 370 mechanoakustische, 376 Übertragungsmatrix, 511 Ultraschallempfänger, 291 Umschlingungsgetriebe, 219 Umströmungsgeräusch, 279, 416 Unbiased annoyance, 152 Unsteady Reynolds Averaged Navier-Stokes (URANS), 540 Unterboden, 300 Unwuchtkraft, statische, 308 V Ventiltriebgeräusch, 208 Ventriloquismus-Effekt, 163 Verbrennungsgeräusch, 229 Verdeckung spektrale (simultane), 59 temporale, 57 Verdeckungsma, 72 Verhalten unerwartetes akustisches, 269 vibroakustisches, 90 Verknüpfung elementare, 158 Grundregeln, 159 ikonische, 157 mathematisch physikalische, 158 Verständlichkeits-Pegelunterschied, binauraler, 48 Very Large Edy Simulation (VLES), 540 Verzahnungsgeometrie, 222 Vibrationsempfindung, 559 Vibroakustik, 372 Vierpolmethode, 99 Vierpolmodellierung, 375 Vierpoltheorie, 97, 257 Virtuelle Realität, 131 Visual SISAB, 485 Vollhybrid, 262 Volumenschnelle, 5 Vorbeifahrtgeräusch, 440 Messung, 327 Simulation, 327 mittels Mikroarray, 328 mittels Nahfeldmessung, 330 Vorbeifahrtpegel, 321
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Sachverzeichnis
Vorlast, statische, 464 Vorverdeckung, 57, 58 W Wahrnehmung auditive, 155 multisensorische, 110 multisensuelle, 154 visuelle, 155 Wahrnehmungsanalogie, 171 Wahrnehmungsereignis, 162 Wahrnehmungserfahrung, 166 Wahrnehmungskonflikt, 161 Wahrnehmungsobjekt, 162 Wahrnehmungsqualität, 161 Wandimpedanz, 12 Reflexionsfaktor, 12 Wandler, akustischer, 25 Ward-Methode, 143 Wasserschall, 1 Wave-Based-Method (WBM), 550 Wavelet-Transformation, 79 Welle ebene, 3 Reflexion, 11 elastische, 21 Wellen-Hüllkurve, 23
Wellenfeldsynthese, 10 Wellenform, elementare, 3 Wellengeschwindigkeit, 19 Wellengleichung, 1, 2, 13 Wellenlänge, 3 Wellenwiderstand, 3 Werbeträger, akustischer, 95 Windabweiser, 299 Windgeräusch, 438, 466, 536 Optimierung, 102 Windkanal, 304, 404 aeroakustischer, 285, 348 Wirbelgeneratoren, 304 Wummern, 116, 118 Z Zahneingriffsordnung, 223 Zahnriementrieb, 207 Zeit-Frequenz-Unschärfe, 117 Zeitbereichsmethode, 379 Zielgeräusch, 94, 118 Spezifikation, 94 Zugstrebenachse, 462 Zündfrequenz, 238 Zwei-Wege-Kopplung, 547 Zweimassenschwungrad, 226