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German Pages 617 [624] Year 1929
Pestalozzi Sämtliche Werke herausgegeben von
Artur Buchenau
Eduard Spranger
Hans Stettbacher
4. Band
Berlin und Leipzig 1929
Verlag von Walter de Gruyter & Co. vormals
G . J. Göscben'schs
buchhandlung
— Georg
Verligshandlung
Reimer
—
—
J. Guttentag,
Karl J. Trübner
—
Veit &
VerlagsComp.
A u s l i e f e r u n g f . d . S c h w e i z : A r t . Institut O r e l l Füssli Z ü r i c h
Pestalozzi Sämtliche Werke 4. Band Lienhard und Gertrud (Zweite Fassung)
1. Teil
1790
2. Teil
1790
3. Teil
1792
Entwürfe zu einem 4. T e i l Entwurf zu Bonais Cronik bearbeitet von
Gotthilf Stecher
Berlin und Leipzig 1929
Verlag von Walter de Gruyter & Co. vormals G . J . GSschen'sche Verlagsbandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — G e o r g R e i m e r — K a r l J. T r ü b n e r — V e i t & C o m p .
Auslieferung f. d. Schweiz: Art. Institut Orell FQssli Zürich
Druck von W a l t e r de G r u y t e r & Co., Berlin W 10
Inhalt. Seite
Vorwort L i e n h a r d u n d G e r t r u d . E r s t e r T h e i l . 1790 Eine Frau im Elend, und ein Herr, der helfen will Ein Unmensch erscheint E r will Meister bleiben Ein geretteter Mann Selbstsucht mit Weibergalle Der Vogt hat Arbeit Ein Sterbbett Eine Reihe geschilderter Menschen Sein heiliger Abend Auch hier ists heiliger Abend Aus einer Predigt Die Wirkung der Wahrheit auf Menschen, die ohne Liebe sind E s fällt eine L a r v e herunter Der Einfluß der Gutmüthigkeit auf das Menschenglück E r versuchts zum letzten mal, Meister zu werden E s nahen sich für den Unmensch verdiente Plagen Die Hauptgesichtspunkte des Buchs nähern sich, und die Sachen nehmen eine andere Wendung Die Fülle der Bosheit und Teufelsfurcht beyeinander Seine K r a f t besteht in seiner Menschlichkeit Der Mensch wird leicht hart, und im Elend führt Schwäche zur Sinnlosigkeit Der Verfasser lenkt gegen die Fundamente der Volksgesetzgebung . . . Näherung zum Hauptgrundsatz des Buchs Die Schwierigkeiten der Volksverbesserung fangen an sich darzustellen. . Sie suchen bey dem Teufel Hülfe — und dann beym neuen Untervogt . . Arners Vaterherz Gutmüthigkeit ist dem Schurken wie eine Lockspeise zur Frechheit. . . . Ein Schelm, aber für den Gesetzgeber ein wichtiger Mann E s thut gar schwachen Leuten nicht wohl, wenn man sie zu obrigkeitlichen Personen macht L i e n h a r d u n d G e r t r u d . Z w e i t e r T h e i l . 1790 Wie viel der Lump und der Schelm thut, um nicht so zu heissen . . . . Wieder der schwache Vogt
IX 1 3 8 17 27 29 31 32 40 54 59 66 69 73 77 84 93 106 118 127 132 136 152 153 159 163 164 166 167 175 177 180
VI
Inhalt
Die Form der öffentlichen Gerechtigkeit ist vielen großen Schelmen im Land ihr höchster bester Trost im I.eben bis zum Sterben A u c h die Weiber bestreiten A m e r n sein Polizey-Recht, und die Männer tun noch etwas Schlimmeres dagegen E r macht die Blinden sehen Sie sehen jezt, daß er Meister worden Ein Bild v o n tiefem Menschenelend Vieler Menschen Sorgen Vorfragen zur Einrichtung einer guten Bauernschule Ein Bergbauer, der das K i n d mit dem B a d e ausschüttet Ein Mann, den man nicht in diesem Dorf suchte W a s ein einziger Mensch mit Arbeitskenntniß, Ordnung und guten Sitten zum Glük seiner Nebenmenschen beitragen kann A u c h den A l t e n bringt sie in Ordnung Ein Heirathsantrag — nicht v o n einem Mann Ein Volkserzieher neben einer Bauernfrau Ein Versuch, einen grössern Stein des Anstosses, in vielen Dingen, aus dem W e g zu räumen Der Gesezgeber steigt von seinen Höhen zu Ziegenbubenordnungen und zu kleinen Kreuzerersparnissen hinunter Hindernisse, die dem E n d z w e k k e , dem Volk zu helfen, immer im W e g stehen Fortsezzung. Hindernisse von den Müttern selbst Fortsezzung. Hindernisse — noch einmal von den Reichen Ein Gesezgeber muß Hülfsmittel von der A r t nicht übersehen Eine Dorffrau, die nicht Standes gemäß handelt Drei Pfarrer, ein Vikari, und viele Irrthümer Der Unterschied zwischen Salz und Arsenik ist nicht grösser Herzklopfen, Sinnes-Aenderungen, Wortverdrehungen, Unverschämtheiten, und andere Heirathsbewegungen Einlenkung zur bürgerlichen Freiheit, mit Festhaltung des stehenden Fusses der Dinge, und der positiven Rechte aller Klassen der Menschen. Viele arme Leute, und eine von der Gesezgebung notorisch verderbte Frau. Drei gute Frauen, und die Tochter eines Mannes, der sich selbst entleibt hat. Vater-Empfindungen, und eine Milchsuppe Hoher Sinn des wahren Adels, und die Feier des Vaternamens Eine Weiberarbeit, die ganz eigentlich ins F a c h der Gesetzgebung gehört. Eines guten Mannes Tochter auf seinem Grab Ein nichtswürdiger Minister neben einem edlen Fürsten Vorzügliche Gesichtspunkte bei der Erziehung des Landvolks Vollendung auch des Schlechtesten ist Vollkommenheit, und jede Vollkommenheit führt unendlich weit Bauern-Erfahrungen in aller E i n f a l t benuzt V o n der Weitläufigkeit im Religionsunterricht, und vom Predikantenübel. Eines guten Mannes A r t , Bauernmeinungen zu bestreiten Einfluß des Schulmeister-Handwerks auf die innerste Stimmung schwacher und schlechter Menschen Die K r a f t des Wirthshauses auf den Volksgeist Ein Stein des Anstosses, und ein Versuch, ihn zu heben Sorgfalt wirkt im Ganzen vielleicht mehr Gutes, als K r a f t
Seite
182 185 188 195 ig7 198 201 202 205 211 216 217 219 223 227 229 230 231 232 234 235 237 239 244 247 252 256 259 261 266 267 270 276 281 285 287 289 292 294 299
Inhalt
VII Seite
Undelikatesse und Standesirthümer adelicher Leute Auch dieses noch Der gute Pfarrer versucht das Unmögliche Cyklopengrundsäzze in vielen Ständen Hauptsachen Der höchste Zwek der Menschenreligion ist harmonisches Gleichgewicht seiner Kräfte Von der wahren Erkenntniß Gottes L i e n h a r d u n d G e r t r u d . D r i t t e r T h e i l . 1792 Neue Hindernisse Tyranney und Menschlichkeit Ein Brief mit seinen Folgen . Die Sache nimmt eine andere Wendung Ein gewagtes Spiel, das verlohren geht Die traurigste Folge ihrer Bosheit Ein Bild aus der Vorzeit Viele Menschen wünschen Arners Tod Ein böses Weib macht einen guten Menschen glüklich Eine gestrandete Hofnung Es zeigt sich, daß sein Werk tiefere Wurzeln habe Es ist bei solchen Leuten, wo ein Herrschaftsherr wahre Hülfe zur Volksbildung findet Verzweiflung und Menschennatur Regierungswahrheiten und Täuschungen Ein Charletan beym Krankenbett, und ein Staatsminister in einer Schule. Es wird jetzt wieder viel anders Der Edelmann wieder im reinsten Verhältniß gegen seine Unterthanen. . Ein Rittersaal mit Spiegeln, wie es wenige giebt Er erlößt eine oberkeitliche Person Eine neue Vogts-Wahl Anfangsgründe der Volksgesetzgebung und der Volksbildung Der Bauern Urtheil über diese Anfangsgründe. Volksphilosophie über die Verbrechen 1. Diebstahl 2. Unzucht 3. Wucher 4. Mord 5. Aufruhr Die Philosophie des Buchs Arners Fest Eine Hochzeit Arners Gesetzgebung Der Mittelpunkt seiner gesetzgeberischen Vorkehrungen Seine Gerechtigkeitspflege Fortsetzung seiner Rechtspflege und Prozeßform Seine Gesetzgebung wider den Diebstahl Seine Gesetzgebung wider die Ausschweifungen des Geschlechtstriebs. . Seine Gesetzgebung wider den Wucher Wider den Mord
305 311 314 320 326 33 1 333 339 34 1 346 348 349 351 354 356 359 360 363 364 366 368 370 372 375 377 379 383 384 388 393 395 395 396 398 399 399 401 402 404 407 410 411 415 4x7 419 423 423
VIH
Inhalt Seite
W i d e r den A u f r u h r S e i n e G e s e t z g e b u n g in A b s i c h t auf die R e l i g i o n E i n B l i c k i n d a s W e s e n der S a c h D i e U n t e r o r d n u n g der Religionslehre u n t e r eine h ö h e r e P o l i z e y D e r l e t z t e F e i n d der n i c h t a b g e t h a n wird E i n B a u e r , d e r w e i t e r g e h t als A r n e r E i n A m t m a n n in puris Naturalibus D i e A m t m ä n n i n ebenso in püris H i e r ist d o c h w i r k l i c h eine kleine B a n d e b e y e i n a n d e r E i n A m t l e u t e n - B e r i c h t über A r n e r s E i n r i c h t u n g e n E i n G e g e n b e r i c h t ü b e r die nehmliche S a c h e E i n B l i c k ins I n n e r e vieler V e r f a s s u n g e n Ein aufgelöstes Problem, und große eröffnete Aussichten D e r F r e y h e i t s h u t u n d d a s R e c h t der K r o n e a u f einer E d e l m a n n s w a a g e . . . E i n F ü r s t e n h e r z , d a s a u c h noch in seiner t i e f s t e n S c h w ä c h e verehrenswürdig A e c h t e r G e i s t der V o l k s f e i n d e V o n der A u f k l ä r u n g f ü r V o l k s f e i n d e S e l b s t b e t r u g u n d H ä r t e der V o l k s f e i n d e und aller M e n s c h e n g r ö ß e , die eine Zigeunerrichtung genommen D e r F ü r s t n ä h e r t d e m ä c h t e n G l ü c k seines S t a n d s G r ü n d e f ü r die M ä ß i g u n g einiger V o l k s k l a g e n w i d e r d e n A d e l L e t z t e Ä u ß e r u n g der Menschengröße, die eine Z i g e u n e r r i c h t u n g genommen. L e b e n s g e s c h i c h t e eines V o l k s f e i n d s Ü b e r s i c h t der F u n d a m e n t e der V o l k s b i l d u n g , u n d E i n l e n k u n g z u m Ziel meines L e b e n s , und z u m E n d e des B u c h s Entwürfe E n t w ü r f e zu e i n e m v i e r t e n T e i l E n t w u r f zu B o n a i s Cronik I. A n h a n g . T e x t k r i t i k II. Anhang. Sacherklärung III. Anhang. Worterklärung
423 424 426 429 434 440 44g 452 453 456 457 459 461 464 466 469 471 474 476 479 483 484 492 503 549 557 563 580 601
Dortrort.
Der oorliegenbe Banb enthält bie ganjc $voe\iz Raffung oon „£ienharb unb (Sertrub" J790—92 ( = b) mit 3ahlreichen Gang des Zürnenden thönt durch die Halle. Nach langem erscheint ihm wieder an einem dunkeln Ort der lange hagere Pater, den er nicht kannte. Dieser bükte sich wieder tief, hielt die Hand wieder auf die Brust und sagte: E r solle in Gnaden verzeihen, seine hochwürdigen Oberen können ihm diese ganz 10 unstatthafte, siegellose und nichts beweisende Schrift, um seiner Seelen Heil willen nicht wieder zurükstellen, indem dieselbe den wunderthätigen Gnadensitz ihres Klosters widerrechtlich bekümmere, und ihre Bauern zu aufrührischen, lästerlichen Worten und Handlungen gegen dasselbe verführe. 15 E r setzte hinzu: daß es auf seine des Ritters Seele fallen müßte, wenn er fortfahren werde, ihre Unterthanen mit einer solchen falschen Schrift gegen ihre leibliche und geistliche Obrigkeit aufzuwiegeln, und damit war der Pater verschwunden. Er th;it ihm wohl. Der Ritter griff nach ihm, eben da er in seine 20 Höhle verschwand. Ha! sagte der Ritter, und stampft mit seinem Fuß: Meines Vaters Schrift eine falsche Schrift, von ihnen, die sein Brod essen! und drohte, das Kloster zu befehden. Aber die Patres fürchteten das Volk und den Namen des christlichen Ritters. 25 Sic krochen zum Kreutz, und sandten den Pater Prior und Kanzler zum Ritter. Diese schoben die Schuld auf den langen, hagern Pater und sagten, er habe die Schrift nicht an Behördt übergeben. Jetzt da es geschehen, seye Ihre Hochwürden und Gnaden der Abt und ein hochwürdiges Convent erbietig, wenn 30 sie schon nicht die behörige Rechtsform besitze, ihrer doch zu geleben. Der Ritter suchte nichts mehr, und war wieder wie vorhin des Klosters Freund. Dieser Ritter schrieb alle Rechte seiner Bauern und die 35 ganze Art und Weise, wie er mit ihnen umgieng in sein Buch, aber seine Nachkommen waren so wenig als die Patres im Himmelauf geneigt, Lumpenbauern so Treu und Glauben zu halten. Sie hiessen vielmehr den Christlichen Junker schon seit Jahrhunderten einen alten Narren, der die besten Rechte 40
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Lienhard und Gertrud
der Herrschaft verschenkt, und nicht die geringsten gesunden Begriffe von den Vorzügen ihres Standes und den ansehnlichsten Quellen seiner Einträglichkeit gehabt. Es behagte ihnen gar nicht, wie er auf eine so einfache, gutmüthige un& verfängliche Art mit seinen Bauern umgieng; wie er ihrem Streit und ihrem Unglück von allen Seiten vorbog, und täglich dahin trachtete, daß keine Haushaltung, die ihm angehöre, verlassen und unbesorgt seye; hauptsächlich aber, wie wenig er zu seinem Edelmanns-Aufwand, nach seinem Ausdruck, von dem Brod seiner Bauern abschnitt, und dabey sein Haus doch auf eine Höhe brachte, als kein Edler in der Nachbarschaft, davon viele nicht blos das Brod ihrer Bauern, sondern sie selbst auffrassen. Sie verbargen desnahen diese alte Urkunde ihres Hauses vor jedermann, sogar vor sich selber; sie i5 hätten sie verbrennt, wenn nicht einige Sachen darinn ihnen nützlich gewesen wären. Der gute Junker schätzte diese Urkunde für die Bildung seines Carls für so wichtig, daß er ihm jetzt selbst noch erzählte, wie viel der Ahnherr für sein Volk that, und wie wenig 20 er von ihm zog. Er setzte hinzu: Lieber Carl! denk an das, was ich dir jetzt sage, und halte es in deinem Leben, wie er, nicht für eine edle Ritterordnung, sondern für eine unedelmüthige Juden- und Wucherordnung, aus dem Volke immer mehr zu ziehen, und 25 immer minder für dasselbe thun zu wollen. Er nahm auch vom Rollenberger, Glülphi und dem Pfarrer Abschied. Der Lieutenant konnte es fast nicht aushalten. Der Mann, der in seinem Leben vor nichts zitterte, zitterte vor seinem 3o Bett. Arner sah sein Entsetzen, nahm ihn bey der Hand, und sagte: Lieber Mann, wenn einer von uns beyden sterben muß, so ist es für das, was wir bey de suchen, unendlich besser, wenn ich, als wenn Sie sterben sollten. Der Pfarrer war viel ruhiger. Seit vierzig Jahren gewohnt 35 beym Todbett der Menschen ihr Seelenloses, Nichtiges zu Grund gehen zu sehen, war's ihm wirklich auf eine Art wohl, bey Amern, dessen Seele sich höher hob, je näher sein Tod schien. Die Wehmuth übernahm ihn erst beym letzten Handdruck, und er wandte sich von ihm, seinen Thränen den Lauf 40 zu lassen.
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Dritter Theil 1792
Rollenberger hatte einen alten Vater daheim, und zehen Geschwisterte; aber wenn er schon auf dem Todbett gewesen wäre, er hätte sein Bett nicht stärker mit Thränen benetzt. Viele M e n s c h e n w ü n s c h e n A r n e r s
Tod.
Im Dorf, wo ihn alles so viel als für todt hielt, entspannen 5 sich in den Köpfen der Leute die sonderbarsten Gedanken, in ihren Herzen regten sich die sonderbarsten Wünsche. Junge und Alte dachten, ich mache dann dieses oder jenes auch wieder, wie ich will; ich bekomme dann auch wieder, was ich jetzt nicht mehr bekomme. Andere: dieß oder jenes, 10 das mir ein Dorn in den Augen ist, muß dann auch nicht mehr seyn, wie es jetzt ist, und dergleichen mehr. Hinter diesen Gedanken steckte ein abscheulicher Wunsch, der zitterte, sich zu zeigen, und doch immer weiter vorrückte; wie hinter Busch und Schilf ein Ausreisser zittert sich zu zeigen, 15 und doch immer weiter vorrückt, wohin er zielt. In allen Häusern zeigt sich ein lächelndes Fragen von Männern und Weibern: Ich will doch gern sehen, wie es dann kommt. Andere sagten: Er ist in Gottes Namen ein Mensch, er wird 20 sterben müssen, wie ein anderer auch. Noch andere: Es scheint, es komme jetzt doch, wie die Jungfer im Schloß prophezeyet, die neue Ordnung nehme noch in diesem Jahr ein Ende. Wieder andere: Wenn ein König stürbe, es könnte kein grösserer Lärm seyn: und es steht doch sicher kein Pflug still, wenn er schon 25 todt ist. Die guten Leute! Sie konnten ja nicht wider Gottes Willen; und wenn sie ein Kraut, oder ein Pulver gewußt hätten, das wider den Tod gut wäre, sie hättens ihm, denk ich, dennoch gebracht. 30 Ich weiß nicht: Sie fürchteten ihn nicht mehr. Säufer bringen am hellen Tag wieder Wein über den Berg. Spieler sitzen bey offenen Thüren zusammen; die Reichen lachen ob den zehndfreyen Aeckern, und ihre Hirten trieben das Vieh wieder in die Einschläge der Armen. 36 Der alte Schulmeister hatte jetzt wieder Hoffnung den Heidenmann zu vertreiben; er nennt Arners Krankheit ein
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L i e n h a r d u n d Gertrud
Wunder vom Herrn, und sagt laut, sie sey ein sichtbares Strafzeichen für seinen Unglauben, und seine Versündigung mit der Schule. Der Jakobli thu mir nichts, fühlt nur die halbe Last seines 5 Untervogtdienstes. — Der schwache Mann kommt auf den Gedanken, seine Stelle könnte wirklich minder beschwerlich werden, wenn er stürbe, als wenn er lebe. Ein böses Weib m a c h t einen guten Menschen glüklich. Du siehest jetzt, sagte seine Frau zu ihm, was es für eine Narrheit gewesen wäre, selbige aufzugeben; wenn es auch nur wäre, dem Lumpen Rudi den Meister zu zeigen, du hättest es mir nicht thun müssen. Dann fiel sie auf den Gedanken, dieser Umstand könnte dazu dienen, die Meyerin wieder von ihm abzubringen. Sie is hat ihm sicher nur, sagt sie zu ihrem Jakobli, um des Junkers willen Hoffnung gemacht! jetzt falle dieser Grund weg; es sollte ihr also, meynte die Vögtin, natürlich wieder anders kommen, und sie werde vielleicht jetzt froh seyn, den Sonnenwirth jetzt wieder zu nehmen. 20 Jakobli antwortete der Frau: Ja, J a ! das wird sich dann etwan wohl geben. Sie. Du kommst immer mit deinem, es wird sich wohl geben. Du Narr, es giebt sich nichts, als was man macht. Er. Man wird ihn doch zuerst müssen sterben lassen. 25 Sie. Eben das nicht. Du solltest dich schämen; sie ist so lange deine Schwester, und du kenntest sie nicht besser, wenn er todt ist, so kommt der Hochmuth noch mehr ins Spiel; sie will dann noch weniger den Namen haben, daß sie etwas um seinetwillen gethan. 30 Er. Das ist wahr! aber du zankest doch immer. Sie. Und du bist immer der Alte. Er durfte keinen Augenblick säumen; er mußte zur Schwester, mit ihr zu reden. — Aber es war vergebens. Es empörte die Meyerin, daß sie ihr zeigen durften, sie glauben, sie habe dem 35 Hübel-Rudi nur um des Junkers willen Hoffnung gemacht, und noch mehr, daß sie im Stand waren, die Krankheit des 10
Dritter Theil
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J u n k e r s zu gebrauchen, u m sie auf eine A r t dem guten Menschen, wie abzustehlen. Sie gab ihm zur A n t w o r t : Sie brauche in dieser Sache keine Anschickmänner, und wollte mit ihm kein W o r t darüber verlieren. 6 Die Vögtin v e r s t a n d die Antwort dahin, der Sonnenwirth solle selber k o m m e n , wenn er mit ihr etwas wolle; und sandte eilend zu ihm über den Berg, daß er doch auf der Stelle zu ihr k o m m e . — A b e r der U n t e r v o g t war kaum fort, so sagte die Meyerin 10 zu sich selber: es ist genug, ich habe ihn nur zu lange aufgehalten. I c h will ihn in Gottes N a m e n nehmen; einen so gutmüthigen, u n d einen so dankbaren Menschen finde ich sonst nirgends; ich kann Mutter an seinen Kindern seyn, und will es seyn. is So redete sie m i t sich selber, staunt wieder und sagt d a n n : I c h h a b e ihn j a so lange w a r t e n lassen; und es ist jetzt genug. T h r ä n e n sind j e t z t in ihren Augen. Sie verschließt sich in ihre Stuben, und betet das Gebet einer Tochter, die in den E h e s t a n d t r e t e n will. 20 N a c h d e m sie es vollendet, steht sie beruhiget auf, trocknet ihre Augen, u n d geht dann zur Gertrud. Diese h a t t e schon eine Weile für ihren R u d i nichts mehr gehofft, und d a die Meyerin jetzt s a g t : I c h will ihn in Gottes N a m e n nehmen, v e r s t u n d diese es v o m Sonnenwirth, er- 25 schrack, und wollte über die Meyerin zürnen. Diese ließ sie nicht lange im Zweifel, und Gertrud v e r g a ß j e t z t den kranken J u n k e r und tausend Sorgen, die sie selber h a t t e . — Sie d a c h t e jetzt nur an ihren glücklichen Rudi, und r u h e t e nicht, bis die Meyerin mit ihr zu ihm hingieng. 30 Dieser h a t t e alle Hoffnung aufgegeben, doch d a c h t e er T a g und N a c h t a n sie, und sagte oft zu sich selber, ich bin j a sonst a u c h so glücklich; ich habe j a meine Wiese wieder, und die schönste K u h im Dorf, und die gute Gertrud ist meinen Kindern m e h r als M u t t e r . I c h will doch nicht gegen Gott und Menschen 35 undankbar seyn, und alles andere vergessen und immer nur a n sie denken! E r sagte noch g a r : es ist ihr in Gottes N a m e n nicht z u z u m u t h e n ; ich habe sieben Kinder, und bin zwanzig J a h r e im B e t t e l gewesen, und ein alter schwacher M a n n ; sie kanfl es nicht thun. 40
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Lienhard und Gertrud
So redete er wirklich mit sich selbst, als die Thüre aufgieng, und die Meyerin mit der Gertrud in seine Stube hinein kam. Er haspelte eben das Garn seiner Kinder. Aber der Haspel stund ihm in der Hand still, und die Augen im Kopf, so übers nahm ihn ihre Erscheinung. Auch die Meyerin war still. Gertrud sagte zuerst: Danke Gott, sie ist jetzt dein! Es war ihm, als ob ers nicht glauben könnte. Er zitterte, da er ihre Hand nahm, und sein erstes Wort war: Das habe ich in Gottes Namen nicht mehr gehoffet; und dann, wie beym Junker: o Es ist meiner Mutter Segen! Ach! ich habe es nicht verdient, daß Gott alle Wünsche meines Herzens erfülle! Sie hatten jetzt alle drey ihre Hände in einander, und alle waren still; es stunden allen Thränen in den Augen. Die Kinder bewegten kein Rad; sie wußten eine Weile nicht, was das sey; s dann flüsterte Lise dem Heirli ins Ohr: Sie wird gewiß unsere Mutter. Bald sagt eins zum andern: Sie wird unsere Mutter! Die Meyerin sieht das Wort in ihren Augen, steht auf, giebt einem nach dem andern die Hand, und sagt ihnen jetzt selber: Ich bin nun euere Mutter! Jetzt stehen die Kinder auf, drängen sich an sie und den Vater und die Gertrud, und sagen: Wir bekommen jetzt eine Hochzeit! und springen und lachen. Gertrud sagte der Lise: Wie ist's jetzt, Lise, wolltest du mich noch Heber, als sieben Mütter ? Die Meyerin besorgte den ganzen Abend die Kinder. Sie sagte zur Gertrud: Du mußt mich jetzt machen lassen, wie wenn du schon nicht mehr Mutter wärest. Sie stand mit dem kleinsten auf dem Arm hinter ihren Rädern, besorgte ihre Arbeit, ihr Abendessen, ihr Lernen und betete noch mit ihnen ihre Abendgebeter. Rudi haspelte nicht mehr, er stand immer hinter ihr, wie ihr Schatten. Als sie fort wollte, gab er ihr noch ein trauriges Kleinod. Er hatte es unter seiner Frau selig vor sieben Jahren versetzen müssen, und seit dem nicht mehr auslösen können. Die Meyerin fragte ihn lächelnd, wie er hierzu gekommen, und er erzählte ihr noch die Geschichte des Halsbands mit Thränen.
Dritter Theil
Eine
gestrandete
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Hofnung.
D a sie heim k a m , f a n d sie den S o n n e n w i r t h v o r der Thüre. Die Vögtin h a t t e den feisten V e t t e r eilend über den Berg k o m m e n lassen, u n d ihm so viel Hoffnung gemacht, daß er m i t Ungeduld v o r d e r Thüre auf sie w a r t e t e . J e z t k a m sie, aber 5 sie m a c h t e grosse Augen, da sie ihn sah. Sie m e r k t e sogleich, daß die U n t e r v ö g t i n , die ihren B r u d e r h e u t a m Morgen zu ihr geschickt, n u n auch diesen sende. Sie w u ß t e i m A n f a n g nicht, ob sie zürnen oder lachen w o l l t e ; doch w ä h l t e sie b a l d das Letzte. Sie grüßte ihn freundlich, u n d 10 f r a g t e , o b er ein K a l b im D o r f e suche, oder w a s ihn sonst Gutes noch h e u t e so spät über den Berg bringe. D e r Metzger a n t w o r t e t e eben so freundlich, d a ß er kein K a l b im Dorf suche u n d keinen Stier, u n d daß ihn so spät nichts über den Berg bringe, als die Hoffnung, die sie w o h l wisse. 15 A b e r sie w o l l t e nicht wissen, w a s f ü r eine Hoffnung es w ä r e , u n d der Metzger m u ß t e sich deutlicher erklären, er m e y n e , d a b e y d e m J u n k e r a n kein A u f k o m m e n zu denken, so w e r d e sie den B e t t e l R u d i j e t z t gern f a h r e n lassen. S i e . Die U n t e r v ö g t i n h a t m i r dieses diesen Morgen sagen 20 lassen. E r . U n d m i r Nachmittag. S i e . D a s d a c h t e ich e b e n ; aber weißest du auch meine A n t wort ? Er. J a freylich! D u brauchest keine Anschicksmänner, 25 ich soll selber kommen, wenn ich etwas wolle, auf diesen B e richt bin ich so geschwind ich können, über den Berg gelaufen; ich w ä r e a b e r schon lange v o n m i r selber wieder zu dir gek o m m e n , w e n n ich geglaubt hätte, du w ü r d e s t auch einen E n t schluß nehmen. 30 S i e . M a n h a t dir meine A n t w o r t b e y weitem nicht recht ü b e r b r a c h t ; das m a c h t aber j e t z t nichts; es ist m i r doch lieb, d a ß d u hier bist, denn ich h a b e wirklich einen Entschluß gen o m m e n , u n d du k o m m s t eben recht, dazu, daß ich dir ihn sage. 85 D e r f e i ß t e Mensch zweifelte j e t z t nicht mehr, die Sache seye in der O r d n u n g ; er lächelte aber redete nichts weiter, in der "Meynung, sie krieche sicher zum K r e u z , u n d werde j e t z t w o h l selber e t w a s sagen, w e n n sie ihn wolle.
364
Lienhard und Gertrud
Sie sah seine Gedanken, lächelte auch, schwieg eine Weile, machte indessen einen Blumenstrauß zurecht, und sagte dann nichts weiter, bis sie ihn vollendet hatte; aber dann sprach sie: Herr Sonnenwirth! ich bin des Hübel Rudis Braut; diese s Blumen sind aus seinem Garten. Nicht wahr, Herr Sonnenwirth, er kommt uns an die Hochzeit ? E r ist der erste Mensch, dem ich es sagte, daß ich eine Braut bin. Der Sonnenwirth wußte nicht, wo ihm der Kopf stund; er antwortete nach einer Weile: Aber ist es auch Ernst ? Und 10 da er völlig verstanden, daß es recht Ernst sey, sagte er dann: Also hätte ich wohl können daheim bleiben, und klagte, daß ihn die Vögtin so eilfertig über den Berg gesprengt, und dann noch bei einem so schlechten Wetter. Die Meyerin erwiederte, ob er so gar müd geworden? 15 Er antwortete: Es sey ein gewaltiger Koth. Sie. Was thut dein Pferd daheim? Er. Ich schone ihm, und brauche es nie ohne Noth; aber man verdirbt bey dergleichen schlechten Wetter an Schuhen und Kleidern, was man am Roß ersparen will. 20 So machte die Krankheit Arners vieler Menschen Gedanken offenbar. Sie waren alle so böse. Ach, es ist schwer die Menschen zu ändern! Es wünschten ihm viele den Tod, weil er dieses versuchte. E s zeigt sich, daß sein W e r k t i e f e r e W u r z e l n 25
habe.
Indessen war es nichts weniger, als daß selbst diejenigen die seinen Tod wünschten, auch allgemein gern gesehen hätten, daß die alte Ordnung in allen Theilen wieder eingeführt würde; der eine wünschte es nur in diesem, der andere in jenem Stück. Viele wünschten es gar nicht. 30 Die Menge der Armen jammerten, daß es um alle ihre Hoffnungen geschehen, ihre neuen Aecker und Wiesen, das Batzensparen, selber die Hoffnung ihrer Zehendfreiheit schien ihnen jetzt wie ein Traum; einer sagte dem andern, wenn bey dergleichen neuen Sachen kein Herr da ist, der sie in der Ord35 nung leitet, so können sie keinen Bestand haben. Es that den Armen so weh! doch trösteten sich die Liederlichsten damit, wenn er todt sey, so fordere ihnen niemand
Dritter Theil
365
1792
n i c h t s m e h r f ü r d i e Z i e g e n , d i e sie i h m s c h u l d i g S e y e n .
Leute
w i e K r i e c h e r u n d M a r x a b d e r R ü t i d a c h t e n , es z w i n g e sie d a n n n i e m a n d m e h r , d e n K i n d e r n z u g e b e n , w a s sie s e l b e r g e r n e s s e n . Der
schwache
Kienast
gieng
seufzend
umher,
er
sagte
dem
S u s a n e l i u n d den a n d e r n K i n d e r n : w e n n e r t o d t ist, so h a l t e n m i r die V o r g e s e t z t e n kein W o r t , holz und mit
allem wie
u n d es ist m i t d e m
5
Burger-
nichts.
A l s o t r a u e r t e n viele; a b e r die m e i s t e n u m ihrer selbst willen. —
d o c h a u c h e i n i g e , w e i l sie i h n l i e b t e n ; a m m e i s t e n d i e K i n d e r ,
d i e i m G a r t e n a u f s e i n e r S c h o o ß s a s s e n ; d i e s e b e t r ü b t e n s i c h , 10 w i e w e n n i h r e E l t e r n s t e r b e n w o l l t e n . W e n n sie a u s d e r heim
kamen,
nant
den ganzen
lehren
könne
erzählten Tag
wie
sie gewöhnlich,
wie a u c h
kein trocken A u g habe,
sonst.
Die
meisten
und
Eltern
Schule
der
Lieute-
sie
nicht
antworteten
i h n e n : E r h a t s e i n e g u t e n U r s a c h e n z u w e i n e n , m a n w i r d s e i n e n 15 Brodkorb mit dem Andere:
Er
J u n k e r ins G r a b legen.
kann
dann
auch
wieder
—
spazieren,
wo
er
her-
gekommen. D a s w a r den K i n d e r n entsetzlich. d a ß er dann nicht m e h r ihr Eltern
antworteten
M a n n zahlen ? Tausend
ihnen:
Sie k o n n t e n n i c h t glauben,
Schulmeister seyn werde. Ihr
Narren,
wer
wollte
V i e l e 20
so
einen
E i n m a l wir nicht, u n d im Dorf gewiß niemand.
Gedanken
giengen
jetzt
durch
die j u n g e n
Köpfe
d e r K i n d e r ; ihrer viele s a g t e n , sie wollten gern ihr
Spaargeld
daran
sie
geben,
wenn
er
nur
bleiben
könnte;
wenn
s c h o n 25
a l l e s v e r l i e r e n m ü ß t e n , w a s sie d a r a u s h a b e n k a u f e n w o l l e n
—
u n d w e n n sie a u c h k e i n e z e h n d f r e y e n A e c k e r b e k o m m e n w ü r d e n . S e l b s t d i e H o f f ä r t i g s t e n s a g t e n : sie w o l l t e n , b i s sie e r w a c h s e n , kein
unnützes
Band
kaufen,
wenn
sie n u r
machen
könnten,
d a ß er bleibe.
30
S o s t a n d e n die g u t e n K i n d e r oft stundenweise b e y
einander,
und j a m m e r t e n fast n o c h m e h r u m ihren Schulmeister als Arner.
A l l e s s a g t e i h n e n , sie w e r d e n i h n s i c h e r v e r l i e r e n ;
lich g a b
eins den
Rath:
sie w o l l t e n
f a n d e n sie alle d a s B e s t e . und sagten sie n i c h t Es
ihr
Spaargeld
dem
edlen
Mann
Ihr Lieben! E u e r
selber
fragen.
Das
S i e t h a t e n s a m n e m l i c h e n A b e n d , 35
reuen, wenn er nur
brach
bewegt:
ihm,
ihn
um end-
und
a l l e s w a s sie h a b e n ,
soll
bleibe. das
Herz;
er
Herz freut mich,
antwortete aber euer
innig Spaar-
366
Lienhard und Gertrud
geld will ich nicht; wenn ich auch nur Wasser und Brod finden würde, so will ich bey euch bleiben, darauf könnt ihr zählen. Die Kinder trockneten noch auf der Strasse die Augen; eins sagte dem andern: Gott Lob, daß er doch bleibt, und da sie 5 heim kamen, war ihr erstes, ein fröhliches Rufen: Vater! Mutter! er bleibt, er bleibt jetzt sicher, er hat es selber gesagt! Viele Eltern antworteten ihnen: Es ist nicht die Frage, ob er wolle, es ist die Frage, ob er könne! K i n d e r . Ja! Ja! er kann es sicher, wenn er will! 10 E l t e r n . Das werdet ihr jetzt wissen? K i n d e r . Ja! Ja! das wissen wir jetzt: wenn er auch nur Brod und Wasser hat, so will er doch bleiben. E l t e r n . Ja! Ja! Das ist bald gesagt; aber die Herren essen gern Fleisch, und trinken gern Wein. 15 Es
ist bey solchen L e u t e n , wo ein H e r r s c h a f t s herr wahre H ü l f e zur V o l k s b i l d u n g f i n d e t .
Von den Alten meynte jetzt alles, es sey da nichts anders, wenn Arner todt seye, so werde im Dorf wieder der Stärkste Meister, und dann sey alles wieder wie vorher. Die Spinner20 weiber klagten dem Mareili alle Tage mehr, wie man in den grossen Häusern schon öffentlich über ihre zehndfreyen Aecker, über das Spaargeld ihrer Kinder, und über die ganze neue Ordnung ein Gespött treibe, und wie in Gottes Namen nichts anders zu hoffen sey, als daß die Schule und alles mit einander 25 wieder ein Ende nehme, so bald er die Augen zugethan. Das Mareili tröstete die Spinnerweiber. Aber es war ihm selber nicht wohl zu Muth. Die gute Tochter war vom Tag an, da sie Amern kennen lernte, so für ihn eingenommen, daß sie an diesem Abend, da sie schon alle ihre Nachtgebeter so vollendet, noch einmal die Hände faltete, und betete: Lieber Gott! hilf auch dem guten Herrn in allem, was er vor hat, ich will ihm einmal auch helfen, was ich kann und mag! Sie hielt von dieser Stund an ihr Wort treulich. Es erquickte ihr Herz zu hoffen, der gute Junker werde in seinem 85 Dorf zu Stand bringen, was man ihrem Bruder vor zwanzig Jahren von Oberkeitswegen gehindert hatte, auszurichten. Jetzt sah sie alle diese Hoffnungen wie ein Traum ver-
Dritter Theil 1792
367
schwinden. Tausend Gedanken, ob denn gar nicht möglich zu helfen wäre, wälzten sich in ihrer Stirne; zuletzt ward sie endüch in einer schlaflosen Nacht dahin mit sich einig, daß man einmal den Schulmeister in keinem Fall aus dem Dorf lassen müsse, es möge auch mit Amern kommen wie es wolle, s Dieses mit sich selber in Ordnung, stand sie lange vor allen im Haus auf, und gieng in die Kammer, wo ihr Bruder noch schlief. So bald er erwachet, saß sie zu ihm hin auf sein Bett und sagte dann: Ich bin jetzt zwanzig Jahre bey dir, und das Glück hat in unser Haus wie hinein geregnet; du weissest, 1° wie viel ich dazu beygetragen, und wie ich mir bey Tag und Nacht keine Mühe dauern lassen, in allem zu rathen und zu helfen, als wenn es das Meinige wäre. Du sagtest auch immer, was dein sei, sey mein; aber ich suchte das nicht, ich achtete deine Kinder für die Meinigen, und begehrte für mich nie is etwas; jetzt aber habe ich eine Bitte, und die mußt du erfüllen. Welche Vorrede! sagte der Meyer, du weißt, daß ich nicht ungerecht und nicht undankbar bin. Und da er dann hörte, daß es nur darum zu thun sey, zu helfen, daß der Schulmeister auf keinen Fall aus dem Dorf 20 fort müsse, antwortete er lachend: du machtest mich glauben, deine Bitte betreffe mein halbes Vermögen; für den Schulmeister hast du gar nicht zu bitten; ich müßte mir selber Feind seyn, wenn ich es nicht mit gleicher Angelegenheit wünschte, wie du. Das Gespinst im Dorf hat seit den wenigen Wochen, 25 in denen er Schul haltet, mehr zugenommen, als sonst in so viel Jahren, und was ich nie hoffen dürfen, die Weberey empor zu bringen, und zu merklich reinen Tüchern zu gelangen, dessen bin ich jetzt sicher, wenn er dabey bleibt. Also muß ich es wünschen, wie du. Aber es ist in solchen Fällen nie gut, 30 daß einer in einem Dorfe solche Sache allein mache, sie wird siebenmal besser, wenn etliche zusammen halten. Denn machte er ihr begreiflich, daß wenn Gertrud ihren Vetter, den alten Lindenberger, und die Renoldin ihren Schwiegervater dahin bringen würden, in dem grossen Haufen 35 dafür anzuhalten, daß man den Schulmeister auf keinem Fall aus dem Dorf lasse, so schlage das diesem Alten kein Mensch ab. Sie fand den Rath gut, und säumte nicht, sie eilte von seiijem Bett weg, mit den zwey Weibern zu reden. Gertrud versprach für ihren Vetter zum Voraus. Da das *o
368
L i e n h a r d und Gertrud
Mareili zur Renoldin kam, war ihr Mann im Stall bey einer kranken Kuh. E r wollte ihr eben nur noch ein Trank geben. Aber er mußte von ihr, und zuerst den Großvater rufen, der nicht in ihrem Haus wohnte. Es freute den Alten. E r gieng s zur Stund in die vordere Gasse zu den grossen Häusern; wo er hin kam, da fragten ihn Vettern und Basen: Wie kommts doch, daß der Großvater bey diesem schlechten Wetter ausser das Haus geht ? E r fragte zuerst Kindern und Kindskindern nach, ob sie alle gesund seyen, und was sie Guts machen? 10 Dann von den jüngsten, ob sie dem neuen Schulmeister auch in die Schule gehen und brav bey ihm lernen? Wenn dann die Eltern die Kinder und den Schulmeister rühmten, so sagte er dann bald, wie himmelschreyend es wäre, wenn man so einen Mann, unter was für Umständen es auch wäre, wieder 15 weglassen würde. E s widerspricht dem Alten niemand. Seine Freundlichkeit brachte Leute, die dem Junker den Tod wünschten, wie nichts dahin, daß sie ihm unterschrieben, seinen Schulmeister zu erhalten. 20 So leicht ist es, das Volk zu führen; aber es muß die Fäden nicht spüren, mit denen man es bindet. Der Baumwollenmeyer verstund es, er brauchte dazu Weiber und alte Männer. Verzweiflung 25
und
Menschennatur.
Dieser Erfolg zeugte, daß Arners Thun tiefere Wurzeln habe. Der Jammer über ihn war bey einigen ohne Gränzen. Die Rickenbergerin, die ihm den Vaternamen wieder gab, gieng wie eine Verirrte umher. Sie dachte jetzt wieder, es sey nicht Gottes Willen, daß ein guter Vater auf der Welt sey; 30 wenn einer da sey, so müsse er sterben. Auch gieng sie wieder jede Nacht auf des Vaters Grab und klagte mit Thränen den neuen Schmerz. Der Pfarrer redete am Sonntag auf offener Kanzel fast ihre Sprache. Nämlich es sey, wie wenn es nicht seyn müsse, daß Menschen durch Menschen versorget werden, 35 die ganze Natur sagte er, und die ganze Geschichte rufe den Menschen zu, es solle ein jeder sich selber versorgen, es versorge ihn niemand, und könne ihn niemand versorgen.
Dritter T h e i l
369
1792
D a s beste das ein Mensch dem andern t h u n könne, seye ihn d a h i n zu leiten, d a ß er suche, es selber zu t h u n . D a n n b a l d d a r a u f : E s liegt in der N a t u r , d a ß der M e n s c h auf n i e m a n d zähle auf E r d e n . Selbst Eltern, die den Säugling zu r e t t e n in F e u e r u n d W a s s e r springen, u n d sich f ü r ihn den Bissen aus dem hungernden Munde nehmen würden, s a g e n z u m K i n d , w e n n es e r w a c h s e n : D u b i s t e r z o g e n , hilf dir jetzt selber.
5
U n d im G r u n d ists vollkommen recht, u n d d e m Menscheng e s c h l e c h t h e i l s a m , d a ß E l t e r n u n d O b e r k e i t e n e s d a h i n w e i s e n ; 10 w e n n es n ä m l i c h w a h r ist u n d K i n d e r u n d Volk wirklich erz o g e n sind. A b e r w e n n es nicht w a h r , u n d die a r m e n Geschöpfe in b e y d e n Verhältnissen zu K r ü p p e l n u n d Serblingen gem a c h t sich weniger als U n m ü n d i g e helfen k ö n n e n , u n d E l t e r n u n d O b e r k e i t e n d a n n d o c h z u i h n e n s a g e n : H e l f e t e u c h s e l b e r ! is D a n n ists etwas anders. W e n n sie sich selber n i c h t h e l f e n können, u n d Eltern u n d Oberkeiten ihnen nicht helfen, wer soll i h n e n d a n n h e l f e n ? O Arner, Arner, wie sähest du das ein! Wie würdest du h e l f e n , w e n n d u l e b t e s t ! A b e r , G o t t i m H i m m e l , w a s k ö n n e n 20 wir hoffen! L e r n e t doch a r m e Menschen euch selber versorgen, es versorget e u c h n i e m a n d auf E r d e n . So redete der M a n n ; u n d wer verzeiht ihm, wer verzieht d e r R i c k e n b e r g e r i n diese S p r a c h e n i c h t ? W e r will sagen, es i s t w i d e r G o t t , w e n n M e n s c h e n f ü r M e n s c h e n b a n g w i r d ? U n d 25 es ist w i d e r die O b e r k e i t , w e n n der M e n s c h f ü r die U n v e r sorgten im L a n d mit einem Feuer redet, das brennt ? — Nein! das F e u e r des Eiferers, der i m Gefühl der Verwahrl o s u n g unsers Geschlechts die S p r a c h e der Verzweiflung redet, i s t e i n h e i l i g e s F e u e r , e s i s t e i n v e r b l i c h e n e s S i e g e l d e r G ö t t - 30 lichkeit u n s e r e r N a t u r , u n d ein S c h a t t e n d e r h i m m l i s c h e n Weisheit. A c h ! I m T o b e n des rasenden Sohns höret der Vater schreckliche W a h r h e i t , u n d F ü r s t e n neigen ihr Ohr zur S t i m m e des A u f r u h r s , w e i l sie die V ö l k e r v e r w a h r l o s e t . 35
Pestalozzi Werke IV.
24
370
Lienhard und Gertrud
Regierungswahrheiten
und
Täuschungen.
Also trauerte, wer ihn nahe kannte, am tiefsten. In Arnburg war keine Seele, die nicht von Schmerz gebeugt, wie ein Schatten einher gieng. 5 Therese kam weder Tag noch Nacht von seiner Seite. E r redte oft von Bylifsky, und sie schrieb ihm jetzt, wenn er den Freund noch sehen wolle, so solle er eilen. Dieser empfieng den Brief bey Endorf, mit dem und mit Neleron er Arners Werk von neuem erwog. 10 Je mehr sie es überlegten, je mehr fanden sie, seine Versuche knüpfen den Faden der Justitz und Finanz bestimmt da wieder an, wo alle Weisheit der in Ausübung stehenden Gesetzgebungen bis jetzt nicht verhüten können, ihn abzuschneiden. 15 Endorf sagte mit Lebhaftigkeit, daß diese Versuche, indem sie das Interesse des Fürsten mit demjenigen des Volkes vereinigen, auf die einfacheste Art zu dem einzigen möglichen Mittel führen, die menschliche Natur in den Verhältnissen des gesellschaftlichen Lebens zu befriedigen. Er fuhr fort: 20 Die Finanz, wie sie jetzt betrieben wird, ist ein ewiger Strudel, der alles, was sich ihm nahet, verschlingt; und die Justitz, wie die Pest, die öffentlich tödtet, was sie im Finstern anstekt. Ernst, wie der Tod, setzte Neleron noch hinzu: Wenn denn noch ein Wüterich, wie unser Ziginer dem Fürsten sein Herz äs zu Grund richtet, ihm alles reine Gefühl seiner Verhältnisse gegen das Volk raubt, und in seinem Namen, das Elend und die Verwirrung des Menschen in allen Ständen auf das äusserste treibt, so ist sich zulezt würklich nicht mehr zu verwundern, wenn das Volk endlich so unnatürlich wird, als die Regierung, 30 und mit dem einzigen Mittel, das unter diesen Umständen in seiner Hand ist, mit dem Aufruhr droht, wie wir dieses jezt gefahren. Neleron. Aber, wissen Sie, daß der Bösewicht dieses wünscht ? 35 E n d o r f . Das wird er doch nicht. Neleron. Er sagte gestern ausdrüklich, das Herzogthum solle nur aufstehen, er wolle es mit zwey Regimentern zusammenhauen, und dann sicher bey den Aufrührern das Geld finden, das ihm die Unterthanen abschlagen.
371
Dritter Theil 1 7 9 2
Neleron und Endorf sahen jezt, daß sie aus Mangel an tiefer Kenntniß der eigentlichen Volksumständen und seiner ersten Unterhaltungswege das Glük des Staats bloß durch strenge Festhaltung der alten Gerechtigkeits- und Finanz-Einrichtungen erzwingen wollten, und daß sie mit allem ihrem Thun s nur auf die Oberfläche dieser Gegenstände wirkten, indem das wahre Wohl des Volks unmöglich anders, als durch die einzelne Sorge seiner ihm nahen Ortsoberkeit und Herrschaftsherren zu einem hohen Grad von Vollkommenheit gebracht werden kann. Sie sahen jezt, daß, wenn sie vor zwanzig Jahren die 10 Menschlichkeits-Phantasien des Herzogs an diesen grossen Staatsbegriff geknüpft, sie dadurch das Herzogthum gerettet, und den Liebling für immer von dem Fürsten entfernt haben würden. Sie kannten das Volk wirklich nicht, und ahndeten nicht, 15 wie viel es brauche, den Menschen einzeln in eine Ordnung zu bringen, daß sein freyes Thun und Lassen mit den Forderungen der Justiz und Finanz übereinstimmen. Der Fürst sah diese Lücke ihrer Staatskunst; sein fühlendes Herz wollte helfen. Sie aber sahen den Irrthum seiner 20 Mittel, und so trafen sie nie zusammen. Ihre Wahrheit und Treue stand wie eine Eiche in einem Garten. Also im Wesen ihrer Grundsätze getrennt, entfernten sie das Herz des Fürsten immer mehr, indem sie ihm jeden Irrthum, der in seinen Lieblingswünschen statt hatte, aufdekten. 25 Ihr Widerspruch mußte ihn um so mehr kränken, je edler seine Wünsche waren, und je mehr Wahrheit dieselbe zum Grund hatten. Sie waren eben in diesem Gespräch, als Byüfsky Theresens Brief erhielt. Er verlohr seine Gesichtsfarbe, zeigte ihn mit so blassen Lippen den Freunden, und eilte dann von ihnen zum Herzog, der die größte Theilnehmung für Arners Schiksal zeigte, und seinem Leibarzt befahl, Byüfsky zu begleiten, und so lange in Arnburg zu bleiben, als er nur immer glauben könne, daß seine Gegenwart nüzlich seyn könne. n-.>
24*
372
Lienhard und Gertrud
E i n C h a r l e t a n b e y m K r a n k e n b e t t , und ein m i n i s t e r in einer S c h u l e .
Staats-
Dieser rettete ihn wirklich, aber er trieb sein Werk wie ein Charletan. Er packte Sachen aus, wie für ein Lazareth; Silber- und Goldzangen, Schwämme und Binden, Stücke von Schlangen, zerriebene Mücken, Metalle und Halbmetalle, Salben und Pflaster, und viele mir namenlose Sachen. E r gieng auf den Zehen, schüttelte den Kopf, wenn sich nur eine Maus regte, 10 zückte die Achsel, was man auch immer fragte, und äusserte, er könnte nicht dafür stehen, wenn die geringste Gemüthsbewegung den Kranken alterire. — Damit entfernte er B y lifsky von seinem Bett. Seine Zeit nicht zu verHeren, reisete dieser auf Bonal, die dortige Schule zu sehen. So sehr er überhaupt den Einrichtungen derselben traute, und so wenig er vom Lieutenant glaubte, daß er Amern mit Absicht hierin Staub in die Augen zu werfen suchte, so hatte er doch noch einiges Mißtrauen in den Gegenstand, und war überhaupt geneigt anzunehmen, daß die Kinder wenigstens 20 in den Arbeitssachen den besten und zwekmäßigsten Unterricht immer zu Haus bey ihren Eltern finden könnten und sollten, und daß die Verbindung des Arbeitens mit dem Lernen gar leicht in ein trügliches Spielwerk ausarten könne. Auch der Grundsatz: daß Weißheit und Kraft in Erwerbung und 25 Aeufnung des Eigenthums das allgemeine Fundament der Bildung des gesellschaftlichen Menschen seyn müsse, schien ihm zu eingeschränkt zu einseitig. Aber der Augenschein überzeugte ihn bald, daß beym allgemeinen Zurükstehen des Volks in allen wirtschaftlichen 30 Kenntnissen und Fertigkeiten, die Kinder daheim in ihren Häusern von Geschlecht zu Geschlecht gleich ungeübt, gleich unwissend bleiben würden, und deßnahen mit solchen Schulen ein Anfang in dieser Bildung gemacht werden müsse. Er bemerkte die Vortheile der Aufsicht, der Leitung und der Nach85 eiferung auf die Vervollkommnung des Kunstfleisses, die in solchen Schulen statt finden, und war überzeugt, daß die Umstände der Privaterziehung den Vortheilen der öffentlichen Bildung nur dannzumalen gleich kommen können, wenn eine
Dritter T h e i l
1792
373
Nazion allgemein in der Ausbildung und Industrie schon merkliche Vorschritte gemacht. Eben so sah er, daß die Einrichtungen von Glülphis Schulstube von einer Einfalt seyen, daß es auch bey den eingeschränktesten Eltern nichts als guten Willen brauche, dieselbe 5 in ihren Haushaltungen nachzuahmen, und daß die Verbindung des Lernens und des Arbeitens in einer Schule auf keine Weise in ein trügliches Spielwerk ausarten könne, wo dasselbe, wie hier, fest an seinen Geldabtrag angeknüpft, und dieses zum einzigen Maasstab des Zunehmens der Kinder in 10 Sachen des Erwerbs angenommen, und beybehalten werde. Er sah nicht weniger, daß Glülphi seinen Grundsatz von der Weisheit und Kraft in Erwerbung und Aeufnung des Eigenthums, in seiner Schulstube, dem höhern Grundsatz unterwerfe, das Wohl der Menschen durch die Vereinigung ihrer u Kräfte und ihres Willens zu erzielen, und diesem untergeordnet, schien ihm jetzt der erste Grundsatz nicht mehr einseitig und eingeschränkt. Er sah mit den Augen des Manns, der im Stand war im Oelkorn den Baum zu sehen, unter dessen Schatten der Wanderer »o ruht. Er redete lange wenig, sah von Tisch zu Tisch, von Kind zu Kind seine Arbeit, und hörte sein Lernen, und beym kleinsten, wie beym größten, übertraf was er sah, seine Erwartung. So von der Güte der Sache in allen Theilen überzeugt, sagte 25 er endlich zu Glülphi: Freund! ich finde Ihre Einrichtungen mit der Natur der Menschen und mit ihrem gesellschaftlichen Zustand auf eine Art übereinstimmend, wie ich es noch nirgend gesehen. Er setzte hinzu, das Schiksal der niedern Menschheit ist • 30 Vogt. Es ist mir bey Got nicht komlich, du kanst doch bis am Montag warten. [Joseph.] Ich mags nichts hören. Jez oder nie, und damit ist's aus. Jez ward dem Vogt angst-, er ist im , der 7 mahl so groß 36 als für andere Menschen: Nun, wen's seyn muß, so will ich es eben geben — und sezt nach hinzu: Aber du haltest mir denn doch Wort? Frylich halt ich dir Wort, sagt der(Vogty Joseph. Und der Vogt ruft der Frauen: Gib dem Michel 3 Thalerl Diese winkt ihn byseits.... < V o g t . Rede mir nichts ein, thue, was ich dir . . . . 40 F r a u . Sey doch kein Narr, du bist besofen, es wird dich m o r g e n . . . . V o g t . Rede mir kein [Wort] mehr; drey Thaler im Augenblik; hörst du, was ich saget J e z t mußte sie gehen. Sie bringt ihm die Thaler; m i t d e n Lekkerbissen der Reichen erquikt u n d v o m Schloß aus nach das Seinige dazu b y t r e g t , d a ß die Dor/töchteren ( i h r e ) in allweg erzogen werden, 5 als w e n n ihre letste Bestimmung, schöne Jungfrauen und ( u n d ) nichts weiter zu werden —. s o springen denn frylich die schöne Jungfrauen d e n Lokkspeisen der H e r r e n e n t g e g e n wj Hüner, d e n e n m a n n Haber streut, ihrem Fraß. Einer s a g t e : E s ist ihnen dan gleich all w e n n dj Höllen — Sie b e h a u p t e t e n , auch das befördere dj Leichtfertigkeit des Volks, d a ß 10 m a n die Amtssöhn, dj Pfarrersöhne, dj Schreiber und die Staatpursche aller A r t nicht mehr mit Ernst den Baurenrechten 3 Schritt v o m L e i b halte, und so Dorfknaben mit Gefengnis bestrafft habe, d a ß sj Herren diser A r t n a c h a l t e m Brauch in ihren Brunen abgekühlt und ungetroknet wieder h e i m g e h e n lassen. 15 H i n g e g e n s a g t e n sie, s y unter ( d e n ) der B a u r e n - J u g e n d ein nächtliches 189—90. Sie b e h a u p t e t e n , ( m a n n köne> ( i n Rüksicht auf> die N a c h t f r y h e i t , 20 s o wie sie unter d e n A l t e n gewesen, habe villes zu V e r h ü t u n g unglüklicher E h e n b e y g e t r a g e n , u n d s e t z e n [hinzu], m a n n wüsse jezt bald nicht m e h r , w a s eine glükliche E h e s y . H a u p t s ä c h l i c h , s a g t e n sj, ( i s t das> s y das das U n g l ü k : es schiene, ( m a n glaube) e s gehöre d e n g e m e i n e n L e u t e n gar keine E h r ; mit diesem nehme 25 m a n n i h n e n a u c h ihr ( G l ü k ) Sicherheit und in Gotts N a h m e n zulest selb(st)er ihren Himel. Die befehlenden Stende bis auf ihe niedersten Verwalter haben alle den Grundsaz, das unterworfene Volk habe gar keinen Anspruch auf selbststendige Ehre, auch der Schatte (einer) der Ehre im Unterthanenlande (syy ruhe nur in der und sye nur als ein verlohrner Lichtstrahl von der Herlichkeit der 30 herrschenden Stende anzusehen. Sie k o n t e n sich n i c h t recht ausdrükken, aber sie fühlten gar wohl; aber dj Sach, dj sj meinten, ist dise.
es
( W e n n die oberen S t e n d ( i n n w e n d i g schlecht werden und Gottesnichtachtung) durch Gottesnichtachtung (die> (und> zu Menschenverhöhung ( i h n e n 35 erzeigt) hinabsinken, die ( i m wilden L e b e n ) Eigensüchtigkeit unserer Natur ( l i g t ) sich also bald enthüllet, ( s o b a l d w e n n wir) sobald wir innwendig schlecht sind ( a n d uns und alls u m uns her v e r h e e r e t ) ( W e n n wir ihrer wilden Eigensüchtigkeit keinen D a m m feinden, so k o m e n sie schnell dahin, alle Vorz ü g e ( d e s Ehrgefühls i m Volk zu t r e t t e n ) alle Ehr in sich selbst vereinigt zu 40 glauben, a n d e m hingeworfenen Gesindel höchstens Eitelkeit und Hoffart, aber nie keine wahre Ehrliebe ertragen zu k ö n e n . ) W e n n die oberen Stende zu der Menschen Vorso keit unserer N a t u r (unser (mey dem menschlichen Geschlecht h i n ( ü ß e r e n ) ( G e w a l t , w e n n unser uns in unserem innersten fühl) 45 ( w e n n d a s frywillige oder erzwungene Kriech der besseren, sich selber v e r a c h t e n s w ü r d i g f ü h herschet. ( S o l c h e in ihrer innersten S t i m m u n g . . . rhafte (Cosagen u n d ) Kosagen- und Calmugenherrschafit)
538
Entwürfe
So ist der ganze Geist ihrer Herschaft Entwürdigung unserer Natur eifpaltig gefdjrieben unb bridjt fur3 nadj B e g i n n ber jmeiten Spalte con 5 . 3 ab; S . ar cerfeljentlicfj unter ber § i f f e r j s o , bie in p . s Sdjrift leidjt mit perwedjfelt » e r b e n fann. S- 553 z - 49 266 im Jttfir. 26$.
25. güridj, pe(taIo33ianum, IHf. I I , 36 J n c . i t r . J.87 Dgl. 3U (Entwurf 2\, auf ben 3tuet weitere ineinanbergelegte Doppel» folioblätter folgen. Signaturen oielleicfji con frember i j a n b : auf erfter Seite
Textkritik
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Iinfs oben eine unterjtridjene 30; übet ber nberfcfjrift: 2. c ; in bei r e d t e n oberen £ e r f l ä n j n g .
IDenn oben ( S . 56\ f . ) bie ä u ß e r e n Daten ber Zlieberfdjrift, foweit greif* b a t ober erfdjliefjbar, 3ufammengefiellt würben, fo gilt es, n u n n o d j bie i n n e r e n S e 3 i e f ) u n g e n a n j u b e u t e n , bte 3 « ber Umarbeitung f ü h r t e n . D u r d j b a s gan3e 3 a ' ? r 3 e f ! n * oon ; 7 8 X — ä i e l j i fid? bie oielfad; be3eugte Hoffnung peftalo33is, a u ß e r h a l b ber SdjtDetj, wo itjm feine p r i o a t e n praftifdjen D e r f a d j e übel geraten w a r e n , feine ( S e b a n f e n im S t a a t s b i e n f l e r p r o b e n 311 b ü r f e n : „ D e r £>orfd?ritt ber ädjten D o H s f ü I j m n g m u § in ben e3ember \7ärfere, 3ugleicfj beforgte VOaz-nung bes grunbljetrlidjen Übels. Zibgefefjen oon ber oben a n erfter S t e l l e g e n a n n t e n burebgebenben K ü r 3 u n g b e i ZJarftellungsroeife follen alle übrigen f i i t 3 e n b e n ober u m g e f t a l t e n b e n (Ein» g r i f f e , foroeit fie pon B e b e u t u n g f i n b , i m R a h m e n ber f o r t i a u f e n b e n Sacfjer» Harlingen ermähnt werben. H u r e i n e B e o b a c h t u n g m ö g e gleich ifter f ü r s im Meinen i m m e r w i e b e r u n m i l l i ü r l i d j pon f e i n e r f r ä f t i g e n i n n e r e n 2tnfd>auung ber Z>inge 311 n e u e n f a r b i g e n 2 i u s m a l u n g e n unb Dergleichen unb b a m i t 3U (Erweiterungen p e r f ü h r e n , u m nicht 3U f a g e n b i n r e i § e n . D o n biefen j a h l r e i i f j e n , 311m S e i l föftlichen § e u g n i f f e n f e i n e r arbeitenben p b a n t a f i e unb E P i t j e s f r a f t hier n u r ein p a a r cbaraf» teriftifdje B e l e g e ; m a n perglcicf;e 5. S. 5. 5.
\00 3 . 2 8 — 3 3 U 3 g . 27—37 120 3 . — m 12;
mit mit i t mit
5 . 129 3 . 3 3 — 5 . ;30
B b . I I S . ( 8 0 ¿5. 2 \ . B b . I I S . 192 26, 27. B b . I I S . 203 g . 20—23. B b . I I S . 2 0 6 ¿5. 5.
5 mit B b . I I S . 2^8
5 . (72 5 . ( 5 — 1 9 mit B b . I I S . 307 S . 1 Z. 3
S . 1 Z. 5
S. 3 Z. 2 S . 3 Z. 6
S. 3 Z. 1 6
S . 6 Z. 5
8.
2—3.
V e r e i n f a c h u n g ber ( S i u n b f ä t j e ber D o l f s b i l b u n g f. 5 . ( 5 2 2 3 f f . f p ä t e r in ber f t e t s w i e b e r f e h r e n b e n feften ^ o r m e l : W e i s h e i t u n d K r a f t in E r w e r b u n g , A e u f n u n g u n d E r h a l t u n g des E i g e n t h u m s . D e r erfte S e i l u m f a j j t gan3 a I unb tjalb a I I bis einirfjüe^Iid? § 3 7 . D i e räumliche V e r f ü g u n g b e t r ä g t f a f t bie ß ä l f t e ; a u f j e r (tarier g u f a m m e n b r ä n g u n g bes SEertes finb ruitb 28 §§ weg= g e l a f f e n w o r b e n , u «>om erften, (7 p o m 3 » e i t e n S e i l ; bie e i n g r i f f e » e r b e n a l f o fortfehreitenb f t ä r f e r . I>ie © n f l e i b u n g pon a , bie einen alten B o n n a l e r bie (Sefchidjte er3ählen l ä £ t , ift w e g g e f a l l e n . P a s Dorbilb ber © e f t a l t © e r t r u b s ift p . s l a n g j ä h r i g e treue Ittagb unb ß a u s h ä l t e r i n ( E l i f a b e t b i t ä f a u s K a p p e l . Hä» heres B b . I I 5 . $ 6 5 . i b e n f o gefiebert ift a l s gl. 0. 3U 5 . 4 7 0 5 ff.) geht hietimirtfirtfd?aftung eines Bauern» gutes.
H Hag m. 5>aun S. 258 Z. 7 u. a. Halseisen n. pranget S. 16 Z. 37 halten, einen S. 90 Z. 38 es mit einem aufnehmen Handel m. S. 16 Z. 30 u. a. projefj Handschrift /. Sdjulbfdjein S. 21 Z. 10 Harschier, Hatxhier m. S. 84 Z. 33; S. 31 Z.38 Sanbjäger, (Sensbarm Harzer m. S. 100 Z. 10 fjarjfammler Haupt (Vieh) ». S. 192 Z. 31 Stiicf hausen S. 140 Z. 7 u. a. (fparfam) wirtfdfaften Haustenn n. S. 57 Z. 30 Hausflur
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Worterklärung He(e)rd m. heiter heitern Hepfe /. herabbringen Herdscholle /. herumstocheln Heustock m. hinder etwas hinter: die Rechnung hinter dem W i r t machen Hinterhut /. hinunterbringen höfein Hofiarth /. Hübel m. Hudel m.
S. 70 Z. 32; S. 496 Z. 37 u . a S. 222 Z. 36 u. a. S. 329 Z. 38 S. 67 Z. 23 S. 554 Z. 35 S. 443 Z. 37 S. 139 Z. 28 S. 3 Z. 30 S. 525 Z. 19 S. 205 Z. 27
flar, beuilic^ Ijell machen fjefe pererben «rbföolle fidj müßig l)erumireiben aufgefdjidjtetet f j e u o o r t a t im Sdjut} pon fjinter feinem 2tüden
S. S. S. S. S. S.
Hüdfjalt »ererben gute IDorte geben Kletberprun! fjiigel alter Snmpen
481 Z. 12 413 Z. 12 22 Z. 7 141 Z. 26 u. a. 56 Z. 14 211 Z. 32