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German Pages [264] Year 2011
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Studien zu Politik und Verwaltung Herausgegeben von Christian Brünner · Wolfgang Mantl · Manfried Welan Band 101
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Norbert Leser
Skurrile Begegnungen Mosaike zur österreichischen Geistesgeschichte
Mit einem Vorwort von William M. Johnston
Böhl au Verl ag Wien · Köln · Graz
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Gedruckt mit der Unterstützung durch :
Bundesministerium für Bildung~ Wissenschaft und Kultur
Kulturabteilung der Stadt, MA 7, Wissenschafts- und Forschungsförderung Arbeiterkammer Wien Bundeswirtschaftskammer Österreich
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78658-0 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2011 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co.KG, Wien · Köln · Weimar http ://www.boehlau-verlag.com Umschlaggestaltung: Michael Haderer Umschlagabbildung: © Heribert Corn Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck : Balto print, Vilnius
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Vorwort : Eine Ahnengalerie für das 21. Jahrhundert (W. Johnston).. . . . 7 Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kardinal Franz König – Der »rote Kardinal« . . . . . . . . . . . . . . . .
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Stefan Rehrl – Der christliche Epikureer . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Heimito von Doderer – Der skurrile Poet .. . . . . . . . . . . . . . . . .
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Richard Berczeller – Arzt, Emigrant und Schriftsteller in der »Neuen Welt« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Hans Weigel – Der literarische Virtuose . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Thomas Bernhard – Der dichterische Leidenskönig .. . . . . . . . . . . . 63 Friedrich Heer – Der Intellektuelle Österreichs schlechthin .. . . . . . . . 71 Ernst Bloch – Marxistische Prophetennatur .. . . . . . . . . . . . . . . . 79 Anton Wildgans und Hugo von Hofmannsthal – Frühe Erwecker Österreichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Erwin Stransky – Jüdischer Deutschnationaler bis zum bitteren Ende . . . 105 Hans Kelsen – Der Jurist des Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Adolf Julius Merkl – Der gelehrte Philanthrop . . . . . . . . . . . . . . . 121 Alfred Verdroß-Droßberg – Das Völkerrecht als globale Brücke . . . . . . 127 Karl Wolff – Der juristische Enzyklopädist . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
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Charlotte Bühler – Der menschliche Lebenslauf als Drama .. . . . . . . . 135 Josef Dobretsberger – Österreichs »Sowjetsberger« . . . . . . . . . . . . . 143 Adam Schaff – Vom Chefideologen zum Chefdissidenten .. . . . . . . . . 149 Josef Hindels – Der letzte Austromarxist . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Ernst Koref – Humanistischer Sozialdemokrat . . . . . . . . . . . . . . . 167 Viktor Matejka – Kommunist und doch ehrlich . . . . . . . . . . . . . . 177 Alfred Maleta – Der immerwährende Zweite . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Hertha Firnberg – Charmeurin mit Krallen .. . . . . . . . . . . . . . . . 191 Milovan Djilas – Einzelkämpfer gegen die »neue Klasse« . . . . . . . . . . 201 Helmut Zilk – Vollblutbürgermeister und Medienstar . . . . . . . . . . . 211 Otto von Habsburg – »Der hohe Herr« .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Julius Meinl III. – Grandseigneur der alten Schule . . . . . . . . . . . . . 225 Günther Nenning – Der wandlungsreiche Proteus . . . . . . . . . . . . . 231 Hans Schmid – Der Herr des Wienerliedes . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Nachwort .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Personenregister .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
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Vorwort : Eine Ahnengalerie für das 21. Jahrhundert Norbert Leser hat seine Karriere als Geisteshistoriker und Sozialwissenschaftler durch dieses Füllhorn gekrönt. Dieses Buch ist keine Anekdotensammlung, sondern eine Porträtgalerie von 29 Personen, die fast alle von Österreich geprägt worden sind und die wiederum Österreich seit 1945 mitgeprägt haben. Dadurch hat der Autor eine Ahnengalerie für das Österreich des 21. Jahrhunderts geschaffen. Die Untertitel der Kapitel liefern Epitheta, die man in Marmor meißeln könnte. Vom Auftakt bei Kardinal König über hinreißende Begegnungen mit Hans Weigel und Hans Kelsen oder Friedrich Heer und Otto von Habsburg bis zum Ausklang mit dem Meister des Wienerlieds Hans Schmid liefert diese Ahnengalerie eine bunte Serie von manchmal unerwarteten Persönlichkeiten, die glänzend differenziert worden sind. Übrigens, wer außer Norbert Leser hätte wohl Hans Schmid in Beziehung zu Arthur Schopenhauer bringen können ? Wenige sind Experten für »skurrile Begegnungen«, aber das Konzept passt besonders gut zum facettenhaften Kulturleben von heute. Warum geht es aber gerade um »skurrile« Begegnungen ? Hier einige Überlegungen zur Relevanz des Beiwortes »skurril« für Deutungen der österreichischen Geistesgeschichte. Das lateinische Hauptwort skurrilis bedeutete einen nackten Ringer im altrömischen Volkstheater. Diese verachteten Ringer haben dem englischen Beiwort scurrilous einen schlechten Ruf gegeben. Das englische Wort wird meistens auf Diskurs verwendet und bedeutet »niederträchtig« oder wohl »obszön«. Scurrilous language ist »obszön beleidigende Sprache«. Auf Deutsch aber bedeutet das Beiwort »skurril« etwas anderes, nämlich so etwas wie »unbegreiflich« oder »nicht zusammengehörend“. Ein Nebeneinander von unzusammenhängenden Phänomenen kann den Ausruf »das ist skurril!« provozieren. Beim Lesen dieses Buches dürfte das öfters passieren. Auf Englisch wäre dieser Sprachgebrauch unverständlich, weil scurrilous eine obszöne Beleidigung bedeutet und keineswegs, wie auf Deutsch, einen unerklärliches Zusammentreffen von grundverschiedenen Phänomenen. Vermutlich benutzen die Österreicher das Beiwort »skurril« lieber und häufiger als die Deutschen oder wenigstens die Norddeutschen. Auf den ersten Blick hängt das mit der Häufigkeit der unvorstellbaren Phänomene im österreichischen Alltag zusammen. In diesem banalen Sinn gilt das Wort »skurril« als eine beliebte österreichische Redewendung. Diese harmlose Sprachgewohnheit hat aber eine tiefere Bewandtnis, die die österreichische Kulturgeschichte angeht. Bekanntlich hat das Habsburgerreich allerart Zusammentreffen zwischen den verschiedensten
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Vorwort
Bevölkerungen und ihren Kulturen ermöglicht. Altösterreichs »geistiges Konnubium« (Hermann Bahr) hat skurrile Zusammenstöße überall gefördert. Béla Bartók (1881–1945) untersuchte relevante Beispiele auf dem Gebiet der Volksmusik, bei der ihn der Austausch zwischen den Volksmusiken benachbarter Ethnien faszinierte. Auf Grund von Forschungen unter den Bauern Ungarns beobachtete er seit 1905 einen häufigen Fall: Eine ungarische Volksmelodie konnte von einem rumänischen bzw. slowakischen Nachbarn übernommen und dann leicht geändert werden. Später konnte der ursprüngliche Ungar oder sein Nachkomme die veränderte Melodie vom Nachbarn wieder zurücknehmen, um sie dann noch einmal leicht zu verändern. Dadurch entstand eine zweifach gewandelte Melodie, und dieser Prozess konnte sich durch Jahrhunderte wiederholen. Durch das Nebeneinanderleben der Ethnien hat das geistige Konnubium Altösterreich derartige Kreuzungen und Rückkreuzungen ungemein gefördert. Wenn man ein buntes Nebeneinander der verschiedensten Volksmotive als »skurril« bezeichnet, dann kann man den folgenden Schluss daraus ziehen: ein Teil der Kreativität der (Alt-)Österreicher geht auf derartige Aus- und Rückleihungen der Themen, Thesen und Ideen zurück. Die Häufigkeit der »skurrilen« Zusammentreffen zwischen nicht zusammengehörenden Dingen hat die schöpferischen Geister Österreichs dazu angeregt, sonst unvorstellbare Kombinationen von Formen und Visionen herzustellen. Norbert Lesers »skurrile Begegnungen« mit schöpferischen Geistern des 20. Jahrhunderts gehören dieser Tradition an. Das Buch ist voll von wenig bekannten Namen und unerwartetem Nebeneinander. Dabei erweist sich Norbert Leser als eine Fundgrube der Österreichkunde und der Lebensweisheit. In jedem Porträt sieht man die Hand des Meisterhistorikers, der Ungemeines erzählt und Unerhörtes mit unerschüttertem Gleichmut vergleicht. Das Buch hätte ebenso gut »erfrischende Begegnungen« heißen können, denn in Norbert Lesers Text wirkt das Unwahrscheinliche erfrischend und manchmal verjüngend. Daher bleibt es zu wünschen, dass andere diesem Beispiel folgen werden, indem sie ihre eigenen »skurril-erfrischenden« Begegnungen niederschreiben. Dieses Buch ist ein Selbstbild, das Professor Leser den Österreichern der Zukunft schenkt. In dieser Ahnengalerie soll ein jeder Österreicher, ja ein jeder Europäer etwas nach seinem eigenen Geschmack finden. In Lesers Erinnerungen kehrt das geistige Konnubium Österreichs noch einmal wieder, vielleicht zum letzten Mal in solcher Breite und Tiefe. William M. Johnston Melbourne, Australien, Jänner 2011
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Einleitung Motto : »Willst Du Dich selber erkennen, so siehe, wie die Anderen es treiben. Willst Du die Anderen verstehen, so blick’ in Dein eigenes Herz.« Friedrich Schiller aus den »Tabulae vitae«
Wenn ich im folgenden Werk eine Art Lebenssumme in Form von Begegnungen mit Zeitgenossen und Geistesverwandten unternehme und der Öffentlichkeit vorlege, so tue ich dies unter einem dreifachen Aspekt. Der eine, von meiner Erfahrung ausgehende ist der autobiografische, der an sich schon interessant genug erscheint, da es mir vergönnt war, durch äußere und innere Gesetze diktiert, prägende Beziehungen zu anderen Persönlichkeiten zu pflegen und damit auch in bestimmte Sphären, vor allem in die wissenschaftliche, aber auch in die künstlerische, die religiös-kirchliche und nicht zuletzt auch in die politische hineinzureichen und hineinzuwirken. Der zweite, damit zusammenhängende ist die Erschließung und Skizzierung anderer Biografien. In dieser Beziehung waltet jenes Gesetz, das besonders der deutsch-amerikanische Soziologe Alfred Schütz als die »Reziprozität der Perspektiven« bezeichnet hat : jede Begegnung in der sozialen Welt ist eine wechselseitige und rückbezügliche ; die durch den Kontakt eröffneten Bezüge decken einander in den seltensten Fällen, sonst würde es sich mehr um ein Echo als eine lebendige Durchdringung handeln. Da Begegnungen zwischen Menschen nur in Raum und Zeit, also unter äußerlich fixierbaren und bestimmbaren Bedingungen, stattfinden können, eröffnet sich als dritter Aspekt der zeitgeschichtliche, der die einander begegnenden Individuen nicht nur erst in die Lage versetzt, einander zu begegnen, sondern die Begegnungen auch überformt und in einen größeren Zusammenhang einordnet. Bei den in diesem Band vorgestellten Persönlichkeiten handelt es sich mit einer Ausnahme nur um bereits verstorbene, da jede Beziehung zu Lebenden als unabgeschlossen zu gelten hat und daher noch keiner abschließenden Darstellung zugänglich sein kann. Meist handelt es sich um Persönlichkeiten, denen ich höchstpersönlich begegnet bin und mit denen ich auch eine länger andau-
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Einleitung
Eine dere zahlrichen Begegnungen mit Bruno Kreisky
ernde Beziehung entwickelt habe, ausnahmsweise auch mit solchen, die ich bloß gehört habe und zu der nur eine punktuelle Beziehung vorhanden war, so in dem Hinhören auf Heimito von Doderer. Einzigartig ist die Wiedergabe des im Jahr 2000 im Rodauner Schlössl gehaltenen Vortrages über Anton Wildgans und Hugo von Hofmannsthal, die lange vor Beginn meiner Lebenszeit wirkten, denen ich aber in meinem Schaffen so tief verbunden bin, dass sie als Teil meines eigenen Lebenswerks gelten können. Außerdem spielen diese beiden Vorläuferpersönlichkeiten eines zu sich selbst gekommenen Österreich im Werk William M. Johnstons »Der österreichische Mensch« eine zentrale Rolle, und Johnston hat mich nicht zuletzt durch diesen Exkurs zur vorliegenden Arbeit angeregt. Zur Form der Präsentation meiner Beiträge ist zu sagen, dass sie zwar Werk eines Wissenschaftlers sind, der sein Handwerk nicht abgelegt hat oder verleugnet, gleichzeitig aber eine literarische und innerhalb der Literatur essayistische Arbeit darstellt. Es war meine essayistische Herangehensweise an Probleme und Phänomene, die mir 1992 den Wildgans-Preis, der jährlich von der Industriellenvereinigung vergeben wird, einbrachte. Um diesen essayistischen Charakter zu betonen, habe ich die Gewohnheit des Wissenschaftlers, mit Fußnoten zu ar-
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Einleitung
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1984 mit Kardinal König ber der Verleihung des Komturkreuzes des Sylvesterordens
beiten, weitgehend abgelegt. Alle Zitate aus den Hauptwerken der dargestellten Persönlichkeiten sind belegbar, aber nicht ausdrücklich belegt. Wenn Wissenschaft, Kunst, Politik und Religion in meinem Leben eine Rolle gespielt haben, so weisen diese drei Sphären untereinander Bezüge auf, die auf mich zurückfallen und eine Interdependenz untereinander aufweisen, die mit der schon erwähnten Reziprozität der Perspektiven korrespondierten. Ich hoffe, dass dieses Geflecht doch eher einem bei aller Komplexität klaren Kosmos gleicht als einem Labyrinth. Doch dies muss der Beurteilung des Lesers, zu dem ich als Autor spreche, überlassen werden. Warum aber, so lautet die berechtigte Frage, ist diese Summe eine skurrile, warum ist sie ausgerechnet unter diesem Etikett zusammengefasst worden ? Es gibt gute Gründe, die die Wahl des Adjektivs rechtfertigen. Sicherlich hat auch der Einfluss William Johnstons, der den Begriff der Skurrilität in der österreichischen Literatur- und Geisteswelt entdeckt und zur Anwendung gebracht hat, bei der Wahl des Titels eine Rolle gespielt. Doch auch ganz unabhängig von Johnston hat der Begriff des »Skurrilen« einen viele Begegnungen besonders charakterisierenden Stellenwert. Einige der geschilderten Begegnungen sind skurril von der Persönlichkeit her, die als
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Einleitung
Subjekt bzw. als Objekt der Darstellung gewählt wurde. Denn kann man sich etwas Skurrileres vorstellen als einen jüdischen Professor, der, wie Erwin Stransky, noch 1943 an den deutschen Sieg glaubte, ja auf ihn hoffte ? Und hat nicht die literarische Figur Heimito von Doderers unabhängig von der Relation zu meiner Person etwas Skurriles ? Manchmal liegt der Charakter des Skurrilen in der Art der Begegnung zwischen den Persönlichkeiten, so wenn ich an die langjährige Beziehung eines Sozialdemokraten, wie ich einer bin oder war, mit Otto Habsburg denke. An diesem Punkt scheint es mir nötig, auf den Begriff des Skurrilen selbst einzugehen. Er wird in der 9. Auflage des Fremdwörterduden aus dem Jahr 2006 wie folgt definiert : »Sonderbar, auf befremdliche oder lächerliche Weise eigenwillig«. Über das Abstraktum »Skurrilität« ist das Folgende zu lesen : »ein sonderbares Wesen, bizarre Beschaffenheit, bizarres Aussehen, Verschrobenheit«. Der Begriff »bizarr«, der als Synonym für »skurril« gelten kann, erhält die folgende Charakterisierung : »von absonderlicher, eigenwilliger, schroff verzerrter – fremdartig – fantastischer Form«. Diese Definitionen erhalten durch die Charakterisierung des »Skurrilen« als »unbegreiflich« und »unzusammenhängend« und durch den Hinweis auf die »Häufigkeit des Unerwarteten in Österreich« durch Johnston eine dem österreichischen Gegenstand der in diesem Bande vereinten Persönlichkeiten eine, ja die dem Österreichischen insgesamt angemessene Vertiefung und Spezifizierung. Es gibt noch einige andere Adjektiva bzw. die dazugehörigen Abstrakta, die Berührung mit dem »Skurrilen« aufweisen, so der Begriff des Grotesken, der aber mehr der bildenden Kunst als der Literatur entsprechend erscheint : so werden die Skulpturen und Persönlichkeitsdarstellungen von Franz Xaver Messerschmidt mit Recht als »grotesk« bezeichnet. Im Grunde entbehrt kaum eine menschliche Begegnung eines skurrilen Elements, sodass der Begriff der »skurrilen Begegnung« dann so etwas wie einen Pleonasmus darstellt. Wenn man das Denkschema Martin Bubers, der menschliche Beziehungen in »Ich-Es-Beziehung«, »Ich-Du-Beziehung« und »Ich-GottBeziehung« einteilt, ernst nimmt, ist jede Ich-Du-Beziehung gegenüber der Ich-Gott-Beziehung etwas Skurriles im Sinne von Befremdlichkeit und Entfremdung, die auch noch der intensivsten menschlichen Beziehung als Defizit gegenüber dem ewigen Du anhaftet. Dann handelt es sich bei der Frage, ob und wie eine menschliche Beziehung skurril genannt zu werden verdient, um ein »Mehr oder Weniger«, nicht um die Frage des »Dass«, das schon durch die Spannung zwischen Transzendenz und Immanenz gegeben ist. Insofern jede Begegnung
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Einleitung
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zwischen Menschen zum Absoluten, auf das die menschliche Existenz angelegt ist, es aber doch nur anklingen lässt, hinstrebt, es aber doch verfehlt, haftet auch jeder Begegnung ein Moment der entfremdeten Skurrilität an. Insofern jede Begegnung in dieser Spannung zwischen Irdischem und Ewigem auch eine zwischen Erhabenem und Lächerlichem ist, da nach den Worten von Thomas Bernhard angesichts des sicheren Todes, der uns alle erwartet, alles lächerlich ist, erhält auch die in der Definition der Skurrilität enthaltene Lächerlichkeit den ihr neben der Entfremdung legitimen Stellenwert. Verwandte Begriffe zum »Skurrilen« sind wohl auch »schräg«, »exzentrisch« und wohl auch »pathologisch«, wobei in Bezug auf das Pathologische der Satz von Freud »Am Pathologischen wird der Normalfall sichtbar« Sinn hat. Ein anderer, dem Skurrilen verwandter Begriff ist der des Obskuren, der wieder dem Dämonischen, das im Werk Heimito von Doderers eine so große Rolle spielt, verwandt ist. Im »Armen Spielmann« Franz Grillparzers heißt es an einer Stelle : »Man kann die Berühmten nicht verstehen, wenn man die Obskuren nicht durchgefühlt hat.« Damit sind wir bei unserem Nationaldichter Franz Grillparzer, der einen Begriff eingeführt hat, der für die Begegnung von Menschen, aber auch für Österreich insgesamt charakteristisch und bei Aufzählung synonymer Begriffe unerlässlich ist. Friedrich Torberg hat einmal die Frage nach dem Wesen des Österreichischen mit dem Hinweis auf die »Halbheit« beantwortet. Im Drama »Bruderzwist in Habsburg« erwähnt und betont Grillparzer »den Fluch von unserm edlen Haus«, der darin begründet liegt, »auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mitteln zauderhaft zu streben«. Diese Aussage ist nicht nur auf das im »Bruderzwist« gemeinte Haus Habsburg anwendbar, sondern durchzieht die ganze österreichische Geschichte, auch hier oft zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen schwankend, so etwa zuletzt bei der Inkonsequenz und Halbheit des Rauchverbots. Auch in den menschlichen Beziehungen spielt die Halbheit eine Rolle : sowohl in dem Sinne, dass Beziehungen oft Halbheiten bleiben und Menschen nicht die äußersten Möglichkeiten aus einer Beziehung herausholen, aber auch in dem anderen Sinn, dass es den wenigsten gelingt, die Hälften oder anderen Teile der eigenen Existenz zu einer Einheit zusammenzufügen, wohl auch weil das Ganze der menschlichen Person nicht selten im Laufe des Lebens gebrochen wird, sodass der Anteil gebrochener Menschen und Charaktere gerade im geistigen Leben groß ist und nicht einfach wegerklärt werden kann. Für die Unterstützung beim Zustandekommen dieses Werkes, die weit über technische Hilfe hinausgeht, sage ich Herr Dieter Knoflach herzlichen Dank.
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Kardinal Franz König (1905–2004) Der »rote Kardinal«
Kardinal Franz König ist als eine der prägenden Figuren nicht nur in die öster reichische Geschichte, sondern auch in die der Weltkirche eingegangen. Die rund zwanzig Jahre an der Spitze der Erzdiözese Wien überschnitten sich mit den Zeiten Bruno Kreiskys und des Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger, sodass es naheliegend war, die drei »Ks« dieser Persönlichkeiten in einen nicht bloß zeitlichen sondern auch sachlichen Zusammenhang zu stellen. Bescherte Kreisky seiner Partei und dem Land einen neuen Frühling und Kirchschläger so etwas wie gelebte Einheit von privater Frömmigkeit und staatlicher Klugheit, so verkörperte König den Aufbruch des Zweiten Vatikanums der katholischen Kirche, an dem er maßgeblich mitgewirkt hatte. Als Franz König nach dem Tode seines Vorgängers Theodor Innitzer 1956 die Leitung der Erzdiözese übernahm, soll Bundeskanzler Julius Raab gesagt haben : »Das weltliche und das geistliche Schwert kommen aus St. Pölten.« Doch es war nicht das machtgestützte Schwert, das noch sein Vorgänger und erst recht dessen Vorvorgänger Gustav Piffl getragen und geschwungen hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte sich die Kirche vom politischen Katholizismus frei, der in der Zwischenkriegszeit als Ersatz für die 1918 verlorengegangene Anlehnung des Altars an den Kaiserthron in Form der engen Verbindung mit der Christlichsozialen Partei agierte. Symbol und Personifikation dieser Union von weltlicher und geistlicher Macht war der mehrmalige Bundeskanzler Ignaz Seipel, der auch für höchste kirchliche Würden ausersehen war und, wenn es seine Kräfte noch erlaubt hätten, auch Nachfolger Piffls als Erzbischof geworden wäre. König aber konnte sein Amt bereits unter dem Motto des Mariazeller Katholikentages 1952 »Eine freie Kirche in einem freien Staat« bzw. einer freien Zivilgesellschaft antreten. König stand und kämpfte für eine Öffnung der Kirche gegenüber der Welt und auch gegenüber dereinst verfemten politischen Kräften. Er betonte immer wieder, dass er kein Bischof der ÖVP, aber auch keiner der spö, sondern aller Katholiken seines Wirkungsbereiches sei. Er sprach gelegentlich von »Äquidistanz« und meinte damit nicht, dass die Kirche eine gleiche Dis tanz gegenüber den bestehenden Parteien hätte, sondern dass die Parteien selbst es in der Hand hätten, ihre Nähe oder Ferne zur katholischen Kirche zu bestim-
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Kardinal Franz König
men. Während die ÖVP immer noch als eine christliche und kirchennahe Partei galt, machte es ihm die spö nicht immer leicht, einen Kurswechsel zu ihr hin zu vollziehen. König ließ sich trotz schmerzlicher Wunden, wie die 1972 eingeführte Fristenlösung, die die spö im Alleingang der Kirche beibrachte, nicht von seinem Kurs der Nicht-Identifikation mit einer Partei abbringen. Er zog sich durch seine Haltung nicht nur Freunde in der Kirche zu, sein Kurs als der eines »roten« Kardinals wurde nicht nur inhaltlich, sondern auch durch bewusst ausgestreute Gerüchte über sein Privatleben bekämpft, die noch heute allgemein kursieren, obwohl sie jeder Grundlage entbehren. Kardinal König war und blieb ein Mann der Öffnung, nicht nur gegenüber politischen Parteien, sondern auch im Verhältnis zur Ostkirche, auch über die von König ins Leben gerufene und bis zum heutigen Tag wirkende Stiftung »Pro Oriente«, die den Brückenschlag zwischen getrennten Traditionen durchführen sollte und seither auch laufend in Angriff nimmt. Wenn ich mir zugutehalten darf, selbst eine gewisse Brückenfunktion im Geiste Kardinal Königs und unter seinen Fittichen eingenommen zu haben, so bezieht sich diese Funktion darauf, als eine Art Mittelsmann zwischen Kardinal König und Bruno Kreisky gewirkt zu haben. So wendete sich der Kardinal wiederholt an mich, um bei Kreisky gegen verbale antiklerikale Über- bzw. Untergriffe sozialistischer Jugendorganisationen in deren Publikationen zu intervenieren und ihn zu motivieren, gegen diese Entgleisungen und Rückfälle in den Antiklerikalismus der Vergangenheit vorzugehen. Als Mittelsmann zwischen mir und Kardinal König fungierte wiederholt auch Prälat Leopold Ungar, der lange Zeit nicht nur Direktor der Caritas, sondern auch die rechte bzw. linke Hand Kardinal Königs war. Als gleichsam »roter« Virilist wurde ich auch in den Laienrat berufen, der ein inzwischen sanft entschlafenes Gremium zur Beratung des Kardinals darstellte. Eine Sitzung, die im Juni 1971 stattfand, ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Entgegen seiner sonstigen gewohnten Pünktlichkeit ließ uns König einige Zeit warten, um uns dann, sich entschuldigend, zu berichten, dass Kardinal Mindszenty eben seine Bereitschaft erklärt hätte, die amerikanische Botschaft, in der er seit der Niederschlagung der ungarischen Volksrevolution 1956 untergebracht war, zu verlassen. Die Nennung des Namens József Mindszenty weckte Erinnerungen und Assoziationen in mir. Ich erinnerte mich an den Sommer 1947, als ich bei meinen Großtanten väterlicherseits im ungarischen Steinamanger weilte und um Verlängerung meiner Aufenthaltsbewilligung bat, um an Jubiläumsfeierlichkeiten des Doms, die Mindszenty damals zelebrierte, teilnehmen
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Der »rote Kardinal«
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zu können. Der naive Hinweis auf den Grund meines Ansuchens war nicht dazu angetan, meinem Willen zu entsprechen, die neuen Machtverhältnisse kündigten sich bereits darin an, dass mein Ansuchen keine Gegenliebe fand und ich nach Österreich zurückfahren musste. Ich erinnerte mich aber auch an das, was mein akademischer Lehrer und Erwecker August Maria Knoll über Mindszenty gesagt hatte : »Mindszenty ist ein Opfer des Antichrist geworden, aber auch der feudalen Kirche Ungarns.« In der Tat enthalten die »Erinnerungen« Mindszentys, die noch zu seinen Lebzeiten 1974 in deutscher Übersetzung erschienen, nichts, was auf eine kritische Reflexion der eigenen kirchlichen Vergangenheit hindeutet. Er hat sich mit Recht als Opfer des Antichrist gefühlt, aber nicht erkannt, dass die starre Haltung der katholischen Kirche, ihre Unfähigkeit und Unwilligkeit, sich rechtzeitig vom Großgrundbesitz zu trennen, das Spiel der Kommunisten erleichterte. Jedenfalls zeigt das Schicksal der beiden Kardinäle, wie grundverschieden eine kirchliche Karriere unter verschiedenen Zeitumständen verlaufen kann. Die Fälle König und Mindszenty offenbaren aber auch, dass Dankbarkeit und Rücksicht nicht nur in der weltlichen, sondern auch in der Kirchenpolitik oft keinen bestimmenden Stellenwert haben, sondern durch Machtüberlegungen verdrängt werden. So musste Kardinal Mindszenty erleben, dass seine Diözese Esztergom gegen seinen Willen als vakant erklärt und nachbesetzt wurde. Er wurde am Altar der Staats- bzw. Kirchenräson geopfert, was er mit der überlieferten Bemerkung kommentierte : »Ich bin zweimal gekreuzigt worden. Das eine Mal von den Kommunisten, das zweite Mal von meiner Kirche.« Kardinal König ist nichts ähnlich Schwerwiegendes widerfahren, aber doch auch eine Kränkung, die sich an der Kirche selbst bitter gerächt hat. Anstelle des Wunschkandidaten Königs und auch des Wiener Klerus, Weihbischof Helmut Krätzl, wurde der weitgehend unbekannte Benediktinerpater Hans Hermann Groër als Nachfolger Königs eingesetzt, was der Kirche Österreichs schweren Schaden zugefügt hat, den sie sich andernfalls erspart hätte. König war tatsächlich einer der Königsmacher Johannes Pauls II. und musste die Übergehung seines Wunsches als groben Undank empfunden haben, war aber loyal genug, diese Ernennung auch nach eingetretenem Schaden nicht zu kritisieren. Ein paralleler Vorgang in der österreichischen Innenpolitik erscheint mir auch berichtenswert : Obwohl Fred Sinowatz seine Nominierung zum Bundeskanzler und Parteiobmann Bruno Kreisky verdankte, berücksichtigte er den Wunsch Kreiskys, Alfred Dallinger zu seinem Nachfolger zu machen, nicht, sondern holte sich Franz Vranitzky, der der Partei zwar eine Wahlniederlage ersparte, aber der Partei den Rest
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Kardinal Franz König
von Seele, der ihr noch verblieben war, raubte. Kirchliche und innerweltlich-politische Machtausübung zeichnen sich nicht nur durch gelegentlichen Machiavellismus und durch Brutalität, sondern mitunter auch durch Fehlspekulationen und Eigentore aus. Betrachtete ich es vor 1967 als meine Aufgabe, das Kommen Bruno Kreiskys und seine Nominierung zum Parteiobmann zu unterstützen, so fiel mir nach dieser historischen Wende bis zu den Wahlen im März 1970 die Aufgabe zu, Kreisky bei seinen Bemühungen zur Aussöhnung mit der katholischen Kirche beizustehen. Ich trat bei mehreren Tagungen als Redner und Debatter auf, so bei einer Podiumsdiskussion im großen Saal der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten in der Maria-Theresien-Straße, bei der Kreisky mit Prälat Ungar und mir auf die Aspekte des historisch belasteten Verhältnisses zwischen Kirche und Sozialdemokratie einging. Kreisky stellte sich nicht bloß mit schönen Worten dieser Diskussion, er kam nicht mit leeren Händen, sondern hatte schon Vorleistungen erbracht, die eigentlich dem ursprünglichen Konzept der Sozialdemokratie »Religion ist Privatsache« widersprachen. So, als er sich als Außenminister im Rahmen von Konkordatsvereinbarungen erfolgreich dafür einsetzte, katholische Privatschulen zu subventionieren und deren Personalkosten zu übernehmen. Obwohl selbst Agnostiker, der sich aber darauf nichts einbildete, sondern wiederholt eher bedauernd erklärte, »nicht die Gnade des Glaubens« zu besitzen, stand er der katholischen Kirche mit Sympathie und Hochachtung gegenüber. Aber nicht nur in Wien, sondern auch in Niederösterreich, im St. Pölten Kardinal Königs, und in anderen Orten kamen Tagungen zustande. Bei einer dieser Tagungen kam auch der ehemalige Justizminister und spätere sozialistische niederösterreichische Landespolitiker Otto Tschadek, einer der wenigen, wenn nicht überhaupt der einzige praktizierende Katholik in der Führungsriege der SPÖ, zu Wort. Tschadek, der leider schon 1969 starb, ließ einmal auf einem Parteitag der SPÖ mit der verärgerten Bemerkung aufhorchen, er habe es satt, als Katholik immer nur als Sozialdemokrat zweiter Güte behandelt zu werden. In der Tat hatte und hat es ein praktizierender Katholik oder überhaupt Christ in einer Partei mit fehlenden religiösen Verbindungen und Querverbindungen nicht leicht, ganz im Gegensatz zu Deutschland, wo führende SPD-Politiker auch aktive und bekennende Christen sind. Einen Beitrag, auf den ich besonders stolz war und bin, konnte ich leisten, als Kreisky mich bat, für die längst dahingegangene Zeitschrift »Die Republik«, eines ebenso längst nicht mehr existierenden österreichischen Nationalinstituts unter der Leitung Walter Jambors den Entwurf eines Artikels zum Thema »Kir-
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che und Sozialdemokratie« fertigzustellen. Ich dachte mich in das, worum es Kreisky ging, hinein und übermittelte Kreisky wunschgemäß dieses Exposé. Zu meiner freudigen Überraschung wurde mein Entwurf vollinhaltlich, ohne Abstriche und Zusätze, unter dem Namen Kreiskys gedruckt und 1968 in dieser Zeitschrift veröffentlicht. Diesmal durfte ich als echter Ghostwriter und nicht bloß als Stichwortlieferant fungieren. Ich erhielt für dieses Wirken auch Anerkennung von beiden Seiten, so aus der Hand Kardinal Königs den päpstlichen Sylvesterorden. 1984 erhielt ich auf ausdrückliches Ersuchen Kreiskys die höchste Auszeichnung, die die Stadt Wien zu vergeben hat, nämlich den Karl-Renner-Preis, verliehen mit der Begründung, dass ich »für den Ausgleich der Gegensätze im öffentlichen Leben« gewirkt habe. Immer wieder hatte ich Gelegenheit, mit Kardinal König kürzer, aber auch länger zu sprechen, so bei zwei Reisen der Stiftung »Pro Oriente«, an denen ich Ende der Siebzigerjahre und im September 1980 teilnahm. Die erste dieser beiden Reisen führte nach Rom und Istanbul, die zweite in die damals noch tief kommunistische Sowjetunion. Diese Reise, die uns auch nach Georgien, der Heimat Stalins, aber auch nach Armenien, das trotz Kommunismus ein christliches Land geblieben war, führte, war besonders lehrreich, obwohl der eigentliche Zweck, nämlich eine Zusammenkunft Kardinal Königs mit dem damaligen Patriarchen Pimen, vereitelt wurde. Wir wurden zwar nach einer vielstündigen orthodoxen Festmesse in Zagorsk, dem Zentrum der russischen Orthodoxie, als angereiste Delegation zum Mittagessen eingeladen. Zu einer eigentlichen Begegnung zwischen den beiden Würdenträgern durfte es offenbar, obwohl ursprünglich angekündigt, nicht kommen. Sie hätte aber auch nicht viel gebracht, denn der Patriarch stand wohl nicht zu Unrecht im Ruf, ein KGB-Agent zu sein. Die Einwohner des Ortes, die offenbar noch nie einen Kardinal im Ornat gesehen hatten, hielten Kardinal König, wie uns berichtet wurde, für den Papst persönlich. Es war ein Erlebnis, Kardinal König auf dieser Reise wie noch nie zuvor nahekommen und mit ihm bei Tisch sprechen zu können. Vor allem die Disziplin, die sich der Kardinal beim Essen und Trinken auferlegte, war bewundernswert. Auch was er sagte, war immer voll Güte und Weisheit. Sein Humor wirkte aber oft künstlich und aufgesetzt, es fiel ihm schwer, wirklich aus sich herauszugehen. Er hat selbst einmal gleichsam entschuldigend gesagt, dass es ihm seitens seines Stiefvaters an Anerkennung gefehlt und er sich daher auf sich selbst zurückgezogen und eine gewisse Verschlossenheit nie ganz abgelegt habe. Viele seiner Be-
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merkungen sind mir unvergesslich geblieben, so wenn er einmal, als ich mich beklagte, auch in dem, in dem ich recht hatte und recht behielt, wenig politische Gegenliebe zu finden, sagte er mit einem feinen Lächeln nur das eine Wort, das aber wohl den Nagel auf den Kopf traf, das Wort »Prophetenschicksal« nämlich. Die höchste Ehrung, die ich aus seinem Munde erfuhr, war »Sie sind ein einmaliger Mensch«. Als ich abwehrend reagierte und erwiderte, dass ja jeder Mensch einmalig sei, erwiderte er seinerseits »Sie sind aber nicht nur in dem Sinn einmalig«, ohne diese kryptische Äußerung weiter zu begründen. Doch es waren nicht bloß mündliches Lob und mündliche Ermunterung, die mir von Kardinal König zuteil wurden. Als sich vor nunmehr bereits dreißig Jahren den Band 1 meines Werkes »Grenzgänger. Österreichische Geistesgeschichte in Totenbeschwörungen« im Böhlau Verlag veröffentlichte, zu dem ich gegen Ende meiner Tage zurückgekehrt bin, erwies mir der Kardinal die Ehre eines Geleitwortes, in dem er unter anderem ausführte : »Der vorliegende Sammelband Norbert Lesers ist nicht nur eine Aneinanderreihung biografischer Skizzen verstorbener Persönlichkeiten des katholischen Österreich, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Geschichte und zum Selbstverständnis der Kirche in Österreich. Leser versteht es, das Allgemeine im Besonderen, das Prinzipielle im Konkreten sichtbar zu machen und zu zeigen, wie sich katholische Existenz – in bewegten Zeiten in individuellen Ausprägungen – in sehr persönlicher Art und Weise entfaltet und verwirklicht hat.« Der Kardinal gab auch seiner Zuversicht Ausdruck, »dass die Substanz der Kirche stark genug ist, um eingetretene Fehlentwicklungen durch Rückgriff auf sie zu überwinden«. Und zum Abschluss seiner Ausführungen würdigte er mein Buch als »ein Vermächtnis, das die in diesem Band gewürdigten Toten hinterlassen haben und das die Kirche aufzunehmen und weiterzutragen nicht müde werden darf«. In diesem Sinne ist auch das vorliegende Buch als Versuch zu verstehen, die Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten durch liebevolle Versenkung in die Schätze der Toten herzustellen und zu zeigen, dass Tradition nicht nur eine Last, sondern auch eine Stütze und Hilfe zur Bewältigung der Probleme der Gegenwart ist. Noch ein zweites Mal ist mir Kardinal König mit einem Vorwort zur Seite gestanden, und zwar, als er 1992 meine Kommentare als langjähriger Kolumnist der »Furche«, die als Sammelband im Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei unter dem Titel »Von Leser zu Leser. Glossen, Kommentare, Analysen eines engagierten Zeitgenossen« erschienen waren, einleitete. Auch in diesem Zusammenhang fand König Worte, die etwas vom Verständnis für mein Schaffen und meine Motivationen verraten : »Leser ist in seinen Beiträgen kritisch, aber nie
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verletzend oder lieblos. Er umspannt einen weiten Bogen, der von den Tagesaktualitäten bis zu den spekulativen Höhen der Philosophie und Theologie reicht. In nicht wenigen Fällen enthalten auch die zeitgebundenen Aussagen Hinweise auf das Zeitlose. Da er sich schwer einordnen oder vereinnahmen lässt, gelingt es ihm, Zusammenhänge aufzuspüren, die dem durchschnittlichen Zeitgenossen verborgen bleiben.« Durch und über Kardinal König bin ich auch in näheren Kontakt mit Prälat Leopold Ungar gekommen. In seinem Domizil in einem Caritasheim auf der Sulzwiese nahe dem Kahlenberg, in einer Wohnung und einen Garten, durch die die Grenze zwischen Wien und Niederösterreich hindurchging, trafen sich Persönlichkeiten der kirchlichen Mitte, die versuchten, die Engpässe von Traditionalismus, aber auch eines naiven Progressismus, zu vermeiden. Zu den Persönlichkeiten, die dort gern zusammenkamen, gehörten unter anderem Richard Barta, ein enger Mitarbeiter des Kardinals, der auch als Verfasser des Mariazeller Manifests in die österreichische Kirchen- und Geistesgeschichte eingegangen ist. Doch es blieb nicht bei dieser geselligen Runde, es entwickelte sich auch eine persönliche Beziehung zwischen Ungar und mir. Des Öfteren war ich bei ihm zum Abendessen eingeladen und erlebte an einigen dieser Abende auch, dass der Kardinal noch spät abends anrief. Ein Zeichen für das Vertrauensverhältnis, das zwischen beiden bestand. Die Gespräche mit Ungar waren immer anregend, er hatte, wie er meinte, eine von der Verehrung für Karl Kraus ererbte Schreibhemmung, aber dafür war er mündlich ein messerscharfer Formulierer. Ich erfuhr aus seinem Munde einiges Aufschlussreiche über seine Persönlichkeit. So offenbarte er mir, dass es nicht die österreichischen Katholiken und die österreichische Kirche waren, die ihn zu Christus und zum Priesteramt führten, sondern Karl Kraus, den er nicht bloß als großen Geist, sondern als prophetische Persönlichkeit ansah, obwohl Karl Kraus, der ursprünglich vom Judentum zur katholischen Kirche konvertierte, aus Protest gegen die Unterstützung der Salzburger Festspiele aus dieser wieder austrat. Es war eine Aura der Tragik, die diesen einsamen Mann, dem man sich nur schwer nähern konnte, umgab. Diese Tragik hing sicherlich mit seiner Konversion vom Judentum zusammen, auf die er aber nicht gern angesprochen werden wollte. Doch aus Erzählungen anderer wurde mir bekannt, dass seine Konversion bei seiner orthodoxen jüdischen Familie kein Verständnis fand, sondern er wie ein Verstorbener behandelt wurde. Sein Vater war von Beruf Weinhändler und Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Wiener Neustadt, wo eine Gedenk tafel an seinem Elternhaus heute noch an ihn erinnert.
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In dem nach dem Tode Friedrich Heers von mir herausgegebenen Gedenkband »Heer Schau. Briefe an und über Friedrich Heer« ist Ungar mit einem kurzen, aber vielsagenden Beitrag vertreten. Am Ende dieses Beitrags bemerkte Ungar, Heer zugewendet : »Du hast mich mit Deiner Gelassenheit dem Tod gegenüber beschämt, wie sie mir nur aus antiken oder mittelalterlichen Darstellungen eines stoischen Gleichmutes, eines Boethius oder eines Thomas Morus bekannt ist. Das und Dein realistisches Verständnis der christlichen Friedensaufgabe sowie der gelegentliche Geistesblitz in einem Wust von Assoziationen oder historischen Informationen machen Dich für immer zu einem erhellenden Element in meinem dunklen und frostigen Leben.« Was muss alles in einem Menschen vorgehen, der sein Leben selbst als »dunkel und frostig« bezeichnet ? Man konnte in seiner Gegenwart jedenfalls nicht den Eindruck haben, der Glaube habe ihm Frohsinn und Heiterkeit verliehen. Doch dies spricht nicht gegen seine Person und auch nicht gegen die Authentizität seines Glaubens, denn eine der Seligpreisungen Jesu gilt den Trauernden und nicht den Fröhlich-Unbekümmerten. Ich regte ihn durch die Assoziationen, die ich einbrachte, zu solchen seinerseits an, unsere Gespräche entbehrten nicht eines Tiefganges, wie man ihn selten in kongenialer Zweisamkeit antrifft. Ich vermochte es sogar, ihm seine Schreibhemmung überwinden zu helfen. So verfasste er ein Vorwort zu dem 1978 im Herold-Verlag erschienenen Büchlein »Gottes Spuren in Österreich. Mein Verhältnis zum politischen Katholizismus«, in dem es zum Schluss heißt : »Ich kann mich nicht mit allem in der Bekenntnisschrift Lesers identifizieren, aber ich teile mit ihm die Hoffnung, dass die Kirche in Österreich nichts Zweitrangiges, Strukturen und Gesetze, für die Hauptsache halten möge … Die Verteidigung von Ghettos jeder Art, das sich verlassen auf die Abschirmung vor dem ›Bösen‹ darf nicht dazu führen, die Wahrheit aus dem Auge zu verlieren, dass die Gnade ansteckender ist als die Sünde und dass seit der Erlösung dort, wo die Sünde überfließt, die Gnade überströmt.« Ich habe mit dem Tode Leopold Ungars 1992, in seinem achtzigsten Lebensjahr, einen Gesprächspartner verloren, ohne wieder einen Ersatz, einen geistiggeistlichen Mentor seines Kalibers, zu finden. Manchmal spaziere ich vom Kahlenberg herunter und besuche Ungars Grab auf dem aufgelassenen, aber für ihn persönlich zugänglich gemachten Kahlenberger Friedhof. Ich empfinde es nicht als Profanierung, wenn ich nach einem Gebet am Grabe beim Sirbu, dem der Lage nach wohl schönsten Heurigen Wiens, einkehre und das Gebet, aber auch die Erinnerungen an die schönen Abende nachklingen lasse. Der »rote Prälat«,
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der in seiner eigenen Kirche zwar respektiert, aber doch auch als Fremdkörper empfunden wurde, und der »rote Leser«, den die Seinen auch nicht voll aufgenommen haben, passen in der österreichischen Geistes- und Kirchengeschichte sehr wohl zusammen. Prälat Ungar ist nicht nur als langjähriger Präsident der Caritas, bei deren Leitung er den ökonomischen Sachverstand seiner Familientradition einbringen und zugunsten der Notleidenden inner- und außerhalb Österreichs einsetzen konnte, in Erinnerung geblieben, sondern als eine überragende Persönlichkeit, die sich mit Recht als Schüler von Karl Kraus, als seines Geistes Kind, fühlen, ihn aber auch durch sein Wirken als katholischer Priester überbieten konnte. Im Zusammenhang mit dem Büchlein »Gottes Spuren« möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass ich ein Exemplar auch an einen gewissen Professor Joseph Ratzinger schickte, der mir nicht nur mit ein paar höflichen Worten, sondern in einem mehrseitigen Schreiben, das in meinem Nachlass zu finden ist, antwortete. Ich hatte meinen theologischen Kollegen Jahre vorher in Bad Hofgastein kennengelernt, und zwar im Hause des dortigen Pfarrers, der mich zur Jause mit Ratzinger einlud. Auch der Bruder des späteren Erzbischofs von München und Kardinals war bei dieser Aussprache zugegen, nahm aber nur als stummer Zeuge an unserem Gespräch teil. Joseph war damals »nur« Professor für Dogmatik in Regensburg, so wie ich Professor für Politikwissenschaft an der Universität Salzburg war, so dass wir gleichsam auf gleicher Augenhöhe miteinander kommunizierten. Das Gespräch dauerte mehr als eine Stunde, und drehte sich um die Stellung des Papsttums, obwohl wohl keiner von uns ahnen konnte, welche Zukunft dem geistlichen Besucher noch bevorstand. Ich erinnere mich, damals vor allem auf das damals noch aktuelle Schisma mit Bischof Lefèvre Bezug genommen zu haben. Ich meinte, dass es ein Novum in der Kirchengeschichte sei, dass ein Antipapist aus den Reihen der Traditionalisten komme, wo es doch in der Vergangenheit meist die Reformer, wie Luther, gewesen seien, die der päpstlichen Gewalt trotzten und widersagten. Damit war in diesem Gespräch ein Punkt berührt, der mir auch heute noch ein neuralgischer für die kirchliche Entwicklung zu sein scheint. Denn der katholischen Kirche droht heute, unter dem Pontifikat Ratzingers, die Gefahr, wie zu Luthers Zeiten eine Spaltung zu riskieren, wenn es nicht zu längst fälligen Reformen kommt. Die Kirche steht im Sinne des damals mit Ratzinger geführten Gespräches zwischen Lefèvre und Luther. Sie läuft Gefahr, in den Traditionalismus vor dem ZweitenVatikanum, an dem Ratzinger als damals noch reformfreudiger Konzilstheologe mitwirkte, zurückzufallen und immer mehr die Züge einer Sekte anzunehmen, damit aber
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den universalen und ökumenischen Anspruch zu verlieren. Auch Luther wollte ja ursprünglich keine eigene Kirche gründen, sondern die bestehende reformieren. Diese aber verschloss sich den auch damals dringend notwendigen Reformen, statt diese durchzuführen und in die bestehende Kirche zu integrieren. Der evangelisch-reformierte Wiener Theologe Ulrich Körtner hat nicht ganz unrecht, wenn er die Überschätzung des päpstlichen Hirtenamts in der katholischen Kirche als »Papolatrie« qualifiziert, statt sich auf den Ehrenvorrang des Petrusamtes, das allgemeine Anerkennung der Christen findet, zu konzentrieren und zu beschränken. Es ist mir aus dem Gespräch, das ich damals mit Ratzinger führen durfte, erinnerlich, dass von seiner Seite der Name des protestantischen Theologen Karl Barth fiel, den er als »größten Theologen« bezeichnete, ohne dieses Attribut konfessionell zu qualifizieren. Karl Barth aber war es, der der katholischen Kirche vorwarf, im Gegensatz zu Christus zu unbarmherzig, zu reich und zu machthungrig zu sein und damit die Botschaft des Kreuzes, das ja den Mittelpunkt des Christentums darstellt, zu verdunkeln. Wenn der jetzige Papst nicht den Mut zu Reformen aufbringt, wird es der nächste tun müssen, wenn eine Kirchenspaltung vermieden werden soll.
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Stefan Rehrl (1913–1998) Der christliche Epikureer
Wenn ich an meine Salzburger Zeit von 1971 bis 1980 zurückdenke, so gibt es keine Persönlichkeit an der Universität, die mich so beeindruckt hat und der ich so nahegekommen bin wie Stefan Rehrl, der gar nicht mein Fakultätskollege an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, sondern Moraltheologe war, allerdings mit Qualifikationen als Staatswissenschafter und Philosoph, die durch drei Doktorate aktenkundig waren. Sein Schriftenverzeichnis verrät eine umfassende Kenntnis sowohl der antiken Philosophie – so hat er z. B. die »Frage der Usia bei Aristoteles« und das »Problem der Demut in der griechischen Profanlitertur« behandelt – als auch der mittelalterlich-scholastischen, so wenn er die »Grundlegung der Moral bei Johannes Duns Scotus« erörterte. Doch auch ein so entlegen scheinendes Problem wie »Das physikalische Weltbild des Kindes« erregte seine wissenschaftliche Neugier. Auch an skurrilen Themen fehlt es in seinem Œuvre nicht : Er hat die moraltheologische Qualifikation des Wilderns zum Gegenstand seiner Reflexion gemacht, ein Problem, das in der bäuerlichen Gegend, aus der er stammt, ein sehr wohl relevantes ist. Mein Kontakt mit Stefan Rehrl begann damit, dass er mich als amtierender Rektor kurze Zeit nach meiner Ernennung zum Ordinarius für Politikwissenschaft am 1. Februar 1971 angelobte. Nach der Erledigung dieses Formalakts zogen wir uns auf seine Initiative hin in ein Empfangszimmer zurück. Rehrl rauchte eine Virginia, wie er überhaupt ein Genießer war, der einmal über sich sagte : »Wäre ich kein Christ, so wäre ich ein Epikureer. Da ich aber nun einmal Christ bin, bin ich eben ein christlicher Epikureer.« Um diese Selbstdarstellung richtig einordnen zu können, muss man allerdings wissen, dass Epikur im Gegensatz zu dem Ruf, den er als Lobredner des Genusses bei vielen oberflächlichen oder falsch informierten Adepten seiner Philosophie genießt, nur den maßvollen Genuss befürwortete, nicht aber den un- und übermäßigen, der leicht zu Leid und Unglück führen kann. Bei diesem Gespräch nach der Angelobung klangen bereits persönliche Fragen, die über das bei solchen Anlässen Übliche hinausgingen, an, auch gemeinsame Interessen kamen zur Sprache, waren wir beide doch interdisziplinär und fakultätsübergreifend angelegt.
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Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis sich unsere Wege akademisch kreuzten. Es kam zu einem über viele Semester hindurch geführten Seminar, an dem neben Rehrl als Theologen und mir als Juristen und Politologen auch noch der Leiter der Landesnervenklinik Heimo Gastager und seine Frau Susanne teilnahmen. Die beiden waren nicht nur durch eine Familie mit zahlreichen Kindern verbunden, sondern auch durch gemeinsame wissenschaftliche Arbeit, so veröffentlichten sie eine Studie, die einem sehr modernen, verbreiteten Phänomen, nämlich der »Fassadenfamilie«, gewidmet war, das beide aus ihrer Praxis kannten, obwohl ihre Ehe selbst keineswegs diesem negativ konnotierten Begriff entsprach, sondern eher eine katholische Musterehe war. Ich bin außer Susanne der letzte Überlebende dieses jahrelangen Dreier- bzw. Vierergespanns und habe jeden dieser Nachmittage, die sich oft auch in Form eines gemütlichen Abends in Salzburg oder in einem Fischrestaurant am Irrsee fortsetzten, genossen. Man kann sich vorstellen, dass bei einer so verschiedenartigen und doch verwandten Zusammensetzung der Teilnehmer wie in diesem Seminar im Laufe der Zeit so ziemlich alle Probleme zwischen Himmel und Erde zur Sprache kamen. Rehrl war aber nicht nur ein guter Seminarteilnehmer, sondern auch ein guter und beliebter Vortragender, der auch den Humor, ohne den auch die Theologie tierisch ernst wird, nicht zu kurz kommen ließ. Ich habe nur einmal erlebt, dass er die Grenzen des guten Geschmacks überschritten hat und sich zu einem problematischen Scherz hinreißen ließ. Da aber diese Szene wirklich komisch war, erlaube ich mir, sie ohne damit sein Andenken zu verunehren, wiederzugeben. Einmal sagte er zu einer ohnehin schüchtern wirkenden jungen Teilnehmerin das Folgende : »Frau Kollegin, Sie gefallen mir, ja ich begehre Sie sogar. Warum soll ich es nicht sagen ? Der da oben weiß es sowieso.« Überhaupt war man bei Rehrl nicht immer sicher, ob er eine markante Aussage ernst meinte oder bloß als Scherz ansah. So sagte er einmal vor Zeugen zu mir : »Du hast Deine Laufbahn versäumt. Du hättest zu uns in die Kirche kommen sollen. Dann hätte es nur zwei Möglichkeiten gegeben. Entweder wir hätten Dich gleich hinausgeworfen oder Du wärest Kardinal geworden.« Noch bei einer anderen Gelegenheit vereinnahmte er mich für die Theologie. Nach einem Vortrag, den ich vor Dutzenden Kollegen, Ordensleuten und Novizen hielt, sagte er zur Einleitung der Diskussion, dass er sich glücklich geschätzt hätte, im Laufe seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Theologieprofessor einen so theologischen Kopf wie mich hervorgebracht und gefördert zu haben. Dieses Lob brachte mich in einige Verlegenheit, denn damit sagte er, dass die übrigen der Anwesenden keine solchen Köpfe sind. Rückblickend bin ich aber trotz
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dieser theologischen Neigungen der Meinung, dass durch das Ausschlagen dieser Möglichkeit ein Kelch an mir und an der Kirche vorübergegangen ist, denn wäre ich innerhalb der Kirche so oppositionell und kritisch gewesen wie in der spö, wäre es mir wesentlich schlimmer ergangen, denn die spö hat mich ja nur links bzw. rechts liegen gelassen, aber sonst keine Disziplinarmaßnahmen ergriffen. Als die Stunde des Abschieds von Salzburg nahte, da ich eine Berufung als Sozialphilosoph an die Universität Wien erhielt, lud mich Rehrl in den Peterskeller ein und trug mir das Du-Wort an, fügte dann aber hinzu : »Jetzt, wo du als Philosoph an die Uni Wien kommst, kann ich dir ja sagen, was ein Philosoph ist : ein Mann, der viel soff.« Rehrl selbst sprach dem Wein oft mehr zu, als ihm guttat. Einmal wurde er von der Polizei aufgehalten und kontrolliert, worauf es in Salzburg hieß : »Der Rehrl musste ins Röhrl blasen.« Auch nach meinem Weggang von Salzburg blieb unser Kontakt noch Jahre aufrecht, zu meinem 50. Geburtstag, den ich in Wien, aber auch in meiner burgenländischen Heimat feierte, kam er nach Eisenstadt und gab dem Fest damit auch eine höhere Weihe. Nachher verflüchtigte sich der Kontakt, weil Rehrl viele Jahre lang an einer schweren Krankheit litt, die ihm einen erbärmlichen Zustand bereitete, in dem er sich nicht präsentieren, sondern zurückziehen wollte. Er verbrachte all diese Jahre in häuslicher Pflege in Tirol, sodass es nur noch zu wenigen telefonischen Gesprächen kam. An seinem Begräbnis im Jänner 1998 habe ich teilgenommen und mich dankbar der vielen schönen und besinnlichen Stunden erinnert, die wir gemeinsam verbringen durften. Unter den Teilnehmern an diesem Begräbnis befand sich auch der mir von der Universität und vom persönlichen Umgang her bekannte Landtagspräsident Helmut Schreiner, der wenige Jahre später während einer Landtagssitzung ganz plötzlich an Herzversagen starb. Er hatte zum Unterschied zu Stefan Rehrl nicht mit einem langsamen Verfall des Körpers zu kämpfen, sondern wurde durch einen Sekundentod aus der Welt gerissen. Da erinnerte ich mich, dass Rehrl ein um das andere Mal sagte : »Der Tod hat tausend Gesichter.« Auch die Theologie muss vor der Frage, wie diese Ungleichheit im Leben und im Tod zu erklären sei, die Segel streichen und kann nur auf die Vorsehung, die jedem das ihm Zukommende zuteile, verweisen. Und wenn dieser Begriff auch von Hitler missbraucht wurde, um seine Schreckensherrschaft zu rechtfertigen, so hört er dennoch nicht auf, eine legitime theologische Antwort zu sein. Denn der Missbrauch eines Begriffs hebt den richtigen Gebrauch, den man von ihm machen kann, nicht auf, der allgemeine und spezielle Heilswille
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Gottes bleibt doch, durch den blasphemischen Gebrauch, den Hitler von ihm machte, unberührt. Im Übrigen hat Rehrl in kleinem Kreis, wenn auch nicht in Vorlesungen, Reflexionen angestellt, die in mir nachgewirkt haben. So äußerte er wiederholt, dass Hitler einen Teufelspakt geschlossen und seine Seele gegen das Versprechen des Satans, ihm die Herrschaft über die Welt zu verschaffen, verkauft habe. Rehrl meinte in solchen vertraulichen Gesprächen auch, dass ein Teil des Bösen in der Welt dem Wirken und den Einflüsterungen böser Geister zuzuschreiben sei. Wer die Dämonen leugne, mache die Menschen schlechter, als sie sind. Denn wenn es gute Geister wie die Engel gibt, warum soll es dann nicht auch gefallene Engel, die zu bösen Geistern werden, geben ? Der Umstand, dass wir diese Geister nicht mit unseren Sinnen wahrnehmen, heißt nicht, dass sie nicht existieren. Denn auch Gott, der nicht sichtbar ist und eine unsichtbare Welt neben der sichtbaren geschaffen hat, ist für den Menschen erkennbar, wenn auch nicht mit den Sinnen wahrnehmbar. Diese und ähnliche Spekulationen hat Rehrl in vertrautem Kreise angestellt. Da einiges von dem nach außen und auch nach Wien gedrungen ist, fühlte sich Hertha Firnberg, die meine Ernennung in Salzburg begrüßt und gefördert hatte, zu dem Spott berechtigt : »Der Leser ist in Salzburg ganz verpfafft worden.« Ich selbst aber behalte die Überlegungen, die Rehrl mir und anderen gegenüber anstellte, als Bereicherungen und Erweiterungen meines Horizonts, denn warum soll etwas, das sich unseren Sinnen entzieht, nicht wahr und wirksam sein können ? In langen Gesprächen, die mehr Beichtgespräche als wissenschaftliche Erörterungen waren und einmal sogar in eine regelrechte Beichte mündeten, sagte mir Rehrl wiederholt auf den Kopf zu : »Sie sind ein paulinischer Mensch.« Da raufhin nahm ich mir die Briefe des Apostel Paulus vor und erkannte mich in gar manchen Sätzen von Paulus wieder, ja diese Sätze stellten so etwas wie Leuchttürme und Stützpunkte, an denen ich mich festhalten konnte, dar. Ein solcher Satz war und bleibt für mich Römer, 14, 28. Dort heißt es nämlich : »Denn unser keiner lebt sich selbst, und unser keiner stirbt sich selbst. Leben wir, so leben wir dem Herrn, und sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum, ob wir leben oder sterben, wir sind des Herrn.« Dieser Satz gibt das Grundgefühl wieder, das ich in meinem Leben als wahr und lebendig empfunden habe. Ich hatte und habe immer noch, ja mehr denn je, das Gefühl, geführt zu werden und geführt worden zu sein und auch meine Vollendung nicht selbst herbeiführen zu können oder zu wollen, obwohl es verzweifelte Situationen gegeben hat, in denen der Gedanke, sein Leben selbst zu beenden, in mir aufkeimte. Dies ist, wenn man
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dem Seelenarzt der Nation, Erwin Ringel, folgt, gar nichts Außergewöhnliches oder Pathologisches. Ringel meinte, dass sich jeder Mensch einmal mit dem Gedanken, sich selbst zu töten, konkret und nicht bloß als Möglichkeit befasst und meist auch die Art des Selbstmordes fantasiert habe. Wer sich im Leben geführt weiß, muss sich auch um seinen Tod keine Sorgen machen, der genau so gegeben wird wie das Geschenk des Lebens. Man kann das Wort »Gott«, an dem sich viele stoßen, auch durch das »gütige Geschick« ersetzen, in beiden Fällen steckt die Überzeugung, von einer dem Menschen wohlwollenden Macht abhängig und in ihr geborgen zu sein, dahinter. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber, der übrigens in Wien geboren wurde, unterscheidet drei Formen und Ebenen von Beziehungen, deren der Mensch fähig ist : die Ich-Du-Beziehung zu anderen Menschen, die Ich-Es-Beziehung zur Natur und zu Sachen, und last, but not least die Ich-Gott-Beziehung, die beide andere Beziehungsformen überschattet, krönt und vollendet. Ohne die Hinordnung auf das ewige Du bleiben die beiden anderen Beziehungsmuster bruchstückhaft und unabgerundet. Atheisten und Agnostiker glauben auf diese Meta-Ebene verzichten zu können, ja sie tun sie als überflüssige Komplizierung der Wirklichkeit ab. Aber sie täuschen sich und berauben ihre Existenz einer notwendigen Dimension und Perspektive. Paulus lässt auch die Ausrede, Gott nicht erkannt zu haben oder erkennen zu können, nicht gelten, denn in Römer 1,20 ist zu lesen : »Damit, dass Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen, so man des wahrnimmt an den Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt ; also dass sie keine Entschuldigung haben.« Man muss Paulus in der Verurteilung nicht folgen, kann und muss ihm aber recht geben und feststellen, dass sich die Atheisten oder Agnostiker, ob schuldhaft oder nicht, seiner Möglichkeit, die das Menschsein erst vollendet, begeben. Ein anderer Satz des hl. Paulus lautet in der etwas altertümlichen, aber immer noch unübertroffenen Übersetzung Martin Luthers : »Denn ich halte es dafür, dass dieser Zeit Leiden nicht wert sei der Herrlichkeit, die an uns soll offenbart werden« (Römer 8, 18). Die Hoffnung auf ein höheres und besseres Leben als das irdische ist freilich mit der Mahnung zur Bescheidenheit und zur Selbstbescheidung verbunden, wenn Paulus ausführt : »Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben« (in 2. Korinther 2, 9 ; Jesaia 64, 3). Wir können und sollen mit unseren irdischen Augen und Ohren nicht zu erfassen versuchen, was einer anderen und kommenden Welt vorbehalten ist. Ich bin im Laufe vieler Glaubensgespräche
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mit vielen Menschen darauf gekommen, dass viele, die sich fälschlich für ungläubig halten, es nur deshalb zu sein glauben, weil sie sich weder Gott noch ein ewiges Leben vorstellen können. In diesem Sinne sind freilich auch die Gläubigen Ungläubige, weil sie bzw. wir uns dieses höhere Leben nicht vorstellen und ausmalen können. Die Gläubigen unterscheiden sich von den Ungläubigen wohl aber dadurch, dass sie eine solche Vorwegnahme des Kommenden gar nicht wünschen, sondern in Geduld ausharren und die Dinge an sich herankommen lassen und aus dem Faktum der Unvorstellbarkeit nicht den falschen Schluss der Nicht-Existenz dessen ziehen. Schon im Alten Testament heißt es : »Der stirbt, der Gott schaut (Exodus 33, 20).« Diese Aussagen stimmen mit dem antiken Höhlengleichnis Platos überein, der es für unmöglich hält, dass der von der hinter ihm liegenden Lichtquelle, die Bilder auf eine Schattenwelt wirft, erleuchtete Mensch die Lichtquelle selbst erträgt, er muss sich, solange er Gefangener in der Höhle und als an den Leib gebundener Mensch ist, mit den Schatten zufriedengeben. Dem Gläubigen muss das genügen, was Paulus als Sprachrohr Gottes den gläubigen Gotteskindern verheißt : »Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen (Römer 8, 28).« Freilich erspart diese Verheißung und Hoffnung den Gläubigen nicht die Traurigkeit, aber es handelt sich um eine andere Traurigkeit als die der Kinder dieser Welt, die keine Hoffnung haben : »Denn die göttliche Traurigkeit wirkt zur Seligkeit eine Reue, niemandem reut, die Traurigkeit der Welt aber wirkt den Tod (in 2. Korinther, 7, 10).« Auch die Bergpredigt preist die Trauernden selig, was aber nicht heißen soll, dass die Trauernden in der Traurigkeit versinken sollen, denn auch hier gilt die Mahnung des Paulus mit den Trauernden zu weinen, aber auch mit den Fröhlichen fröhlich zu sein (Römer 12, 15). Im ersten Brief an die Korinther spricht Paulus im Kapitel 1, 18ff. vom Kreuz als der zentralen christlichen Botschaft : »Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit … Denn die göttliche Torheit ist weiser als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker als die Menschen sind.« Am Kreuz scheiden sich wirklich die Geister. Und doch gibt es Zugänge zu ihm, die auch zum Glauben führen können, wenn auch nicht müssen. Das Kreuz ist das wohl verbreitetste Symbol, das auch kulturübergreifend präsent ist, und da der Mensch ein »animal symbolicum« (Ernst Cassirer) ist, stellt es ein Indiz für die Wahrheit und Überlegenheit des Christentums dar. Es kann sich auch all jenen verständlich machen, die mit dem Gekreuzigten und seinen heilsgeschichtlichen Implikationen nichts anzufangen wissen. Aber auch die
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können sich, wenn sie in ihr Herz blicken und sich in der Welt umsehen, mit dem Gekreuzigten insofern identifizieren, als er den leidenden Menschen zur Darstellung bringt. Wer könnte von sich behaupten, kein Kreuz tragen zu müssen, keinen Tribut an die Hinfälligkeit alles Irdischen, leisten zu müssen ? Und wer könnte sich, ohne Unmensch zu sein, dem Leide der anderen, die ihr Kreuz zu tragen haben, verschließen ? Selbst Spöttern und Kirchenfeinden nötigt das Kreuz, wenn auch nur ironisch gewürzten Respekt ab. So sagte der Kirchenfeind Thomas Bernhard über sich selbst : »Ich bin durch und durch glücklich. Von oben bis unten, von der linken Hand bis zur rechten. Das ist wie ein Kreuz. Und das ist das Schöne daran. Eine katholische Existenz.« Und in einem Interview sagte der Dichter : »Der am Kreuz hat sich noch am besten gehalten.« Wer hätte dies besser verstehen können als Thomas Bernhard, der selbst lebenslänglich ein Schmerzensmann war und sein Werk unter Schmerzen geboren hat ? Allen, die dem Kreuz gleichgültig gegenüberstehen, fehlt eine Sensibilität für das Leiden der Mitmenschen, und alle, die das Kreuz aktiv bekämpft haben, sind von seiner Realität eingeholt worden. Dass durch das Kreuz nicht nur ein Symbol des menschlichen Leidens in die Welt gekommen ist, sondern auch das Heil für alle Menschen gewirkt wurde, ist eine Überzeugung, die durch die Vernunft und die sentimentale Identifikation mit den Leiden allein nicht hergestellt werden kann, hier kommt die Realität der Gnade des Glaubens ins Spiel, die für den Ungläubigen freilich nur eine Illusion ist. Meine Schilderung der Annäherung an Paulus meinerseits bliebe aber unvoll ständig und unaufrichtig, wenn sie nicht auch die weniger strahlenden und erhebenden Aspekte, die bei Paulus zu finden sind, enthielte. Was mich mit Paulus auch verband und verbindet, ist die Klage, die Paulus in Römer 7,14 ff. anstimmt, wenn er sagt : »Ich aber sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern. Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes ?« Paulus gesteht aber auch ein, dass er nicht immer imstande war, dem Gesetz zu genügen und zu gehorchen : »Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.« Paulus kommt im zweiten Brief an die Korinther im 12. Kapitel noch einmal auf das schon im Römerbrief Gesagte zurück. Er spricht nicht, wie Exegeten, die das Andenken des hl. Paulus nicht belasten wollen, meinen, hier von etwas ganz anderem als dort, sondern er meint ein und dieselbe fatale Sache. Heißt es dort »der sündige Gesetz in den Gliedern«, so hier »Pfahl im Fleisch«, ja sogar
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»Satansengel«, mit welchem Ausdruck aber gleichzeitig zum Ausdruck gebracht wird, dass dieser Pfeil und Stachel ein Teil der göttlichen Berufung ist, »auf dass ich mich nicht überhebe«. »Dafür ich dreimal zum Herrn gefleht habe, dass er von mir wiche. Und er hat zu mir gesagt : ›Lass Dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.‹« Es gibt für mich keinen Zweifel, dass Paulus im zweiten Fall nicht von einer geheimnisvollen Krankheit, sondern von eben dem spricht wie im Römerbrief. Auch ich muss gestehen, dass ich das fleischliche Begehren überwiegend, wenn auch nicht immer als Störung, als Bedrängnis, als etwas Unheimliches und mich Überwältigendes, und nicht als harmonische Ergänzung des Geistigen erfahren und empfunden habe. Der Stachel im Fleisch machte sich in der Regel als Widersacher und böser Feind, bzw. Geist bemerkbar. Aber ich habe wie der hl. Paulus gleichzeitig immer das Gefühl gehabt, dass dieser Stachel im Fleisch ein Teil meiner Berufung ist, dass ich ohne ihn wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen wäre, eine Rolle im Geiste und Fleisch anderer, die ich als kritischer Wissenschaftler zu erfüllen hatte, zu spielen. Diese Aussage mag irritierend sein und bei meinen Lesern auf Skepsis stoßen, wofür ich durchaus Verständnis habe, aber auch die Skeptiker können nicht sicher sein, dass ich nicht doch recht habe. Viele Zeitgenossen neigen dazu, den Widerstreit zwischen fleischlichem Begehren und dem Gesetz, das diesem entgegensteht, dadurch zum Verschwinden zu bringen, dass sie sowohl die Sünde als auch das Ideal bzw. die Norm, dieses Ideal schützt und verkörpert, infrage stellen und aus der Welt schaffen wollen. Dieser scheinbare Ausweg ist aber zu billig und kurzschlüssig. Es gibt nämlich eine Dialektik von Sünde und Gnade, auf die Paulus hinweist : »Das Gesetz ist aber neben eingekommen, auf dass die Sünde mächtiger würde. Wo aber die Sünde mächtig geworden ist, ist doch die Gnade viel mächtiger geworden« (Römer 5,20). Damit will Paulus nicht sagen, dass man sündigen darf, um die Gnade mächtig werden zu lassen, wohl aber, dass, wenn man zu schwach war, das Gesetz zu erfüllen, nicht zu verzweifeln braucht, sondern auf die Gnade vertrauen darf. Das Missing Link, der Brückenschlag zwischen den Aussagen von Römer 1 und 2. Korintherbrief, stellt meines Erachtens die Aussage im 1. Korintherbrief 9,27 dar, wo Paulus sagt : »Ich betäube meinen Leib und zähme ihn, dass ich nicht anderen predige und selbst verwerflich werde.« Auch in diesem Zusammenhang ist nicht nur vom sportlichen Aspekt des guten Laufens und Kampfes, von dem Paulus spricht, die Rede, sondern wohl auch von der Anfechtung, der man widerstehen muss, um der Berufung, die man erhalten bzw. auferlegt bekommen hat, nicht untreu zu werden. Auch ich glaube Ähnliches
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erfahren zu haben : ich musste an mich herantretende fleischliche Versuchungen überwinden, um meiner Berufung im doppelten Sinn des Wortes nicht entgegenzuarbeiten. Wenn ich diesen Kampf auch nicht immer gewonnen habe, so doch ausreichend, um meine eigentlichen Aufgaben, von denen mich die Versuchung ablenkte, nachkommen zu können. Ich selbst kann jedenfalls aus eigener Erfahrung bestätigen, was wohl auch andere erfahren haben werden : dass es drei parallele und komplementäre, aber nicht aufeinander reduzierbare, sondern selbständige, wenn auch ineinandergreifende Prozesse gibt : den der Dialektik von Gnade und Sünde, den der Dialektik von Depression und Euphorie und den die Kreativität betreffenden von Stagnation und Produktivität. Der Versuch, diese drei Prozesse aufeinander abzustimmen und in den Griff zu bekommen, ist in der Nachfolge Christi und des hl. Paulus jedenfalls leichter als ohne Anlehnung an diese Vorbilder. Jedenfalls geht es nicht an, die Sicht des hl. Paulus und des hl. Augustinus, die im Fleischlichen eher etwas Negatives als etwas Positives sehen, als bloßes Missverständnis abzutun. Sollte es ein solches sein, so bin ich eben auch ein Opfer dieses Missverständnisses, befinde mich aber jedenfalls als vergleichsweise kleines Licht in einer Lichterkette, die vom heidnischen Plato über den Apostel Paulus und den hl. Augustinus bis in die Gegenwart reicht, in bester Gesellschaft. Meines Erachtens sind weder rationale Argumente noch Schwierigkeiten mit der Einhaltung der Gebote ein Grund, den Glauben nicht anzunehmen oder mit ihm zu brechen. Es war für mich eine angenehme Überraschung, meinen Glauben an einer Stelle und bei einer Person wiederzufinden, bei der ich es nicht vermutet hätte. Ein Weltmann und Spötter wie Georg Kreisler hat in seiner vor wenigen Jahren erschienenen Autobiografie »Letzte Lieder« das paulinische, auch für mich gültige Lebensprinzip mit den folgenden Worten angesprochen : »Es ist die alte Frage, ob man lebt oder gelebt wird. Die Entscheidung wird jeder für sich treffen, heutzutage ist sie fast unlösbar, aber nur fast. Wie immer man sich entscheidet, die Rätsel bleiben, mit denen man das Leben interessanter machen kann. Es gibt viel Mystisches, Geheimnisvolles zu pflegen in Kunst, Wissenschaft und Religion. Das Gefühl, dass die Wahrheit hinter dem Horizont liegt, kann einem niemand nehmen.« Und weil hier kein Theologe und Philosoph, sondern ein Weltmann bzw. Mann von Welt spricht, zitiere ich, was er den atheistischen und agnostischen Zeitgenossen ins Stammbuch geschrieben hat : »Zu leugnen, dass es einen Gott gibt, ist vor allem unglaublich arrogant, denn es bedeutet, dass alles, was über unseren Horizont geht, nicht existiert. Wenn wir versuchen, einem Hund die
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Schönheit einer Landschaft zu erklären, so geht das über seinen Horizont, also warum soll auch nicht etwas über den Horizont eines Menschen gehen ? Diese bodenlose Überheblichkeit, zu glauben, dass ein Gott, den man nicht sieht, hört oder versteht, auch nicht vorhanden ist, verblüfft und ärgert mich immer wieder. Das Argument der Atheisten, dass ein angeblich gütiger Gott die vielen Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten, mit denen wir täglich konfrontiert werden, nie zulassen würde, trifft ebenfalls ins Leere. Denn auch hier wird nichts anderes behauptet, als dass wir alles verstehen müssen, dass alles nach menschlichem Ermessen erklärt werden kann … Wir verstehen Auschwitz nicht und daher kann es keinen Gott geben, sagen die Atheisten. Wir glauben lieber, dass die Natur auf unserem und wahrscheinlich auch anderen Planeten rein zufällig funktioniert und sich laufend regeneriert. Darwin erklärt alles … Uneinsichtiger und überheblicher geht es wirklich nicht.« Kreisler kommt dann auch auf den Künstler zu sprechen, doch was er ausführt, gilt aber auch für den Wissenschaftler : »Nun gibt es auch Spinozas Gott, also einen Gott, der alles geschaffen hat und dann weggegangen ist. Aber dem widerspricht unter anderem die Kunst, denn für die Künstler ist der Glaube an Gott eine Selbstverständlichkeit.« André Gide sagte : »Die Kunst ist eine Zusammenarbeit zwischen Gott und dem Künstler, und je weniger der Künstler dazu beiträgt, desto besser. Kein Künstler kann erklären, wieso er Gedanken hat, die andere nicht haben … Demütig glaube ich, dass es ein Wesen gibt, das man der Einfachheit halber ›Gott‹ nennt, das mein Leben auf die gütigste Weise beeinflusst.« Eine für jemanden, der dem Holocaust entkommen ist, bemerkenswerte und großartige Aussage. Jedenfalls empfinde ich das allmähliche Erlöschen des Geschlechtstriebes im Alter nicht wie viele Altersgenossen als Verlust oder Beeinträchtigung, sondern als Wohltat und Erlösung. Auch in diesem Zusammenhang kann ich einen großen Philosophen, Aristoteles, als Gewährsmann anführen, dem nach eingetretener Impotenz der Ausspruch zugeschrieben wurde : »Ich habe meinen größten Feind verloren.«
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Heimito von Doderer (1896–1966) Der skurrile Poet
Ich habe nie die persönliche Bekanntschaft von Doderer gemacht, es gibt jedoch Anknüpfungspunkte, die es rechtfertigen, ihn in die Reihe der zu porträtierenden Persönlichkeiten aufzunehmen. Ich habe Doderer wiederholt im Kreise seiner Freunde und Bewunderer im Café Brioni sowie beim Blauensteiner gesehen. Bei einer Rede, die eine Dankesrede für eine feierliche Ehrung im Rathaus war, habe ich aus seinem Munde Worte vernommen, die mir unvergesslich geblieben sind, handelte es sich doch um eine Aussage von allgemeiner Gültigkeit, die vor allem für Künstler, aber auch für Wissenschaftler und Menschen des Geistes überhaupt zutrifft. Doderer sagte damals ziemlich wörtlich, jedenfalls aber sinngemäß das Folgende : »Viele glauben, dass die Kunst etwas Höheres sei. Aber ich kann ihnen aus eigener Erfahrung sagen : Das Höhere ist nur für die anderen, für das Publikum. Für den Künstler selbst ist dies« – und hier verwendete Doderer einige Metaphern, die an Churchills berühmte Kriegsrede erinnerten – »Schweiß, Blut und Tränen«. Wenn man die ansonsten geschmacklosen Indiskretionen Dorothea Zeemanns, der Geliebten Doderers, liest, die in dem Buch »Jungfrau und Reptil« enthalten sind, erfährt man überdies, dass die in dieser Rede erwähnten Metaphern auch als konkrete Beschreibungen der erotischen Erlebniswelt Doderers zu verstehen sind. Jedenfalls hat Doderer damals einen Gedanken aufgegriffen und variiert, der sich schon vor ihm bei Dichterkollegen findet, die er aber als eigene Erfahrung eindrucksvoll bestätigt hat. So hat unser österreichischer Nationaldichter Franz Grillparzer in seinem Gedicht »Abschied von Gastein« aus 1819 den Dichter und wohl auch den Künstler überhaupt mit einem Muscheltier verglichen, das unter Qualen Perlen gebiert, an denen sich andere erfreuen können. Das Gedicht schließt mit den Versen : »Der Dichter so, wenn auch vom Glück getragen, umjubelt von des Beifalls lautem Schall, Er ist der welke Baum, vom Blitz geschlagen, das arme Muscheltier, der Wasserfall. Was ihr für Lieder haltet, es sind Klagen, gesprochen in ein freudenleeres All, und Flammen, Perlen, Schmuck, die euch umschweben, gelöste Teile sind’s von seinem Leben.«
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Heimito von Doderer
Schon der antike Dichter Vergil hat sich bestimmter Tiere bedient, um nicht nur deren Verhalten und Funktion, sondern über Vergleichswege auch die Menschen und deren Schicksal zu umschreiben. So heißt es : »Sic vos non vobis nidificates aves, sic vos non vobis vellera fertis oves, sic vos non vobis mellificates apes, sic vos non vobis fertis aratra boves«, was auf Deutsch wie folgt klingt : »So baut ihr Nester, o Vögel, nicht für euch, so tragt ihr Wolle, o Schafe, nicht für euch, so macht ihr Honig, o Bienen, nicht für euch, so zieht ihr Pflüge, o Rinder, nicht für euch.« Das »sic vos non vobis« bedeutet also insgesamt ein »von euch« bzw. »an euch«, aber nicht »für euch«. In der christlichen Vorstellungswelt, der Doderer zeitlebens zuneigte, ist es vor allem das Lamm, das geopfert wird bzw. sich opfert, um den Menschen das Heil zu bringen. Die Nachfolge Christi besteht für den einzelnen Gläubigen darin, sich auch selbst im Dienste an anderen, an einem Werk oder einer Idee, zu verausgaben, im Opfer über sich selbst hinauszuwachsen. Der Künstler wird nun, wenn man Doderer folgen darf, ob er will oder nicht, dazu gezwungen, sich im Werk zu verausgaben, ohne sicher sein zu können, dass dieses abverlangte Opfer auch gewürdigt und angenommen wird. Er kann wie die übrigen Menschen, auch, freiwillig das ihm Auferlegte tun oder es sich abpressen lassen. Schon Seneca hat den Gedanken, dem Schicksal auf jeden Fall ausgeliefert zu sein, es aber in der Hand zu haben, mit ihm gleichsam zu kooperieren oder sich nötigen zu lassen, formuliert : »Ducunt volentem fata, nolentem trahunt.« Auf Deutsch lautet diese Maxime : »Den, der ja zu ihm sagt, führt sein Schicksal voran, den, der sich ihm widersetzt, schleppt es doch mit sich fort.« Dieser stoische Gedanke wird im Christentum überhöht. An die Stelle eines blinden Fatums oder gütigen Geschicks treten die Vorsehung und der besondere Heilswille Gottes. Viele Zeitgenossen fallen durch ihr unbekümmertes Leben nicht nur hinter die christliche Deutung des Lebens, sondern auch hinter die antike zurück, wenn sie sich für Herren des eigenen Lebens oder für einen bloßen Spielball der Zufälle halten. Diese und ähnliche Überlegungen hat Doderer mit seiner eindrucksvollen Rede in mir ausgelöst, Gedanken, die auch nach dem Verklingen der gehörten Worte nachwirken. Ich habe Doderer als Bruder im Geiste, freilich auch als Bruder in der Schwachheit des Fleisches entdeckt und auch seine Tagebücher daraufhin gelesen. In diesem Tagebuch findet sich häufig die Abkürzung a. s. m. apud sanctam missam, die also die Teilnahme an einer heiligen Messe festhält. Freilich finden sich auch Hinweise auf sexuelle Obsessionen, die mit der
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christlichen Grundhaltung des Autors im Widerspruch stehen. Auch in dieser Unfähigkeit, das eigene Privatleben dauernd mit dem bekannten Glauben in Einklang zu bringen, habe ich mich wie wohl viele andere auch wiedererkannt. Doderer ist zu einer Quelle und Fundgrube von Einsichten geworden, wie kaum ein anderer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Es ist eine der vielen Ungerechtigkeiten, von denen das Leben voll ist und von denen keiner verschont bleibt, dass Doderer den Nobelpreis für Literatur nicht erhalten hat, dafür aber Elias Canetti, mit dessen »Blendung« es Doderer mit seinen beiden Romanen »Die Strudlhofstiege« und »Die Dämonen« durchaus aufnehmen kann. Doderer ist erst spät, als er schon Mitte fünfzig war, berühmt und einigermaßen wohlhabend geworden und hat auch nicht die Gnade eines hohen Alters, die ihn für den späten Beginn seiner öffentlichen Anerkennung entschädigt hätte, erreicht. Als Historiker des Austromarxismus hat mich natürlich der Roman »Die Dämonen«, in dem der 15. Juli 1927‚ der auch Canetti zu »Masse und Macht« angeregt hat, eine zentrale Rolle spielt, besonders interessiert. Meine Schrift über den Austromarxismus »Zwischen Reformismus und Bolschewismus. Der Aust romarxismus als Theorie und Praxis«, mit dem ich mich 1968/69 habilitierte, war ohne Kenntnis des 1956 erschienenen Romans »Die Dämonen« herausgekommen. Später führte ich mir das Werk Doderers natürlich zu Gemüte, entdeckte aber zu meiner Erleichterung nichts, was meiner Darstellung und meinen Schlussfolgerungen widersprochen hätte, im Gegenteil : Doderers Einschätzung dieses Tages als eines Tages, »der ganz nebenhin das Cannae der österreichischen Freiheit« bedeutete. »Aber das wusste damals niemand und wir am allerwenigsten«, stimmt mit meiner Analyse überein. Auch der Schutzbundführer Julius Deutsch äußerte Doderer gegenüber Zustimmung : »Ich kenne keine literarische Würdigung dieses Unglückstages, die gerechter wäre als die Ihre.« Der Hinweis auf die Schlacht von Cannae, die 216 v. Chr. stattfand und in der die sich für unbesiegbar haltenden Römer von den Karthagern und ihren Verbündeten vernichtend geschlagen wurden, ist überaus treffend. Denn der 15. Juli 1927, dessen Tragweite die Zeitgenossen nicht erkannten, die sich aber später mehr und mehr als Datum der Wende zum Unheil herausstellte, war nicht nur ein Cannae der österreichischen Freiheit und Demokratie, sondern auch der Sozialdemokratie, die sich bis dahin als im Besitz der Straße befindlich für unschlagbar hielt, aber gerade auf dieser Straße, die bis dahin nur ihr zu gehören schien, geschlagen, ja vernichtet wurde. Wenn Doderer vom »unversöhnlichen Brand« des Feuers spricht, trägt er damit der katastrophalen Nah-
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und Fernwirkung, die an diesem Tage ausbrach, um sich nie mehr zu beruhigen, Rechnung. Für die Sozialdemokratie war dieser Tag ein Schicksalstag, der nicht von ungefähr kam und bereits in der Vorgeschichte dieser Partei angelegt war, im Sinne des Diktums von Victor Adler aus dem Jahre 1892 : »Ich meine immer, der Krach wird uns über den Hals kommen, wenn wir Hofräte der Revolution am wenigsten daran denken.« Wie archetypisch und nicht bloß zufällig das Geschehen dieses Tages war, geht aus einer Äußerung des Gewerkschaftsführers Anton Hueber hervor, die wie der zitierte Ausspruch Victor Adlers noch ins 19. Jahrhundert zurückreicht und am Parteitag 1894 gemacht wurde. Hueber wandte sich in scharfer Form gegen das Zurückweichen der Partei in der Wahlrechtsfrage, die nur noch eines Vorstoßes bedurft hätte, um verwirklicht zu werden, und sagte dann : »Wenn man aber das eine sagt, dann soll man auch konsequent bleiben, nicht aber, wenn man einmal entflammt hat und die Flamme hochgeht, mit der Spritze kommen, um die Flamme zu löschen.« Was Hueber 1894 metaphorisch gemeint und ausgeführt hatte, ereignete sich am 15. Juli real und buchstäblich. Der Grundwiderspruch zwischen revolutionärer Phraseologie und zurückweichender Praxis rächte sich an diesem Tage und begrub alle Hoffnungen auf einen Sieg, der schon greifbar nahe schien, unter sich. Der Widerschein des Feuers hörte nicht auf, Freund und Feind in Atem zu halten. Von nun ging es mit der Partei und der österreichischen Demokratie bergab, ohne dass noch jemand imstande gewesen wäre, ein Kommando retour zu geben. Doderer analysierte messerscharf, dass der Unmut der Arbeitermassen angesichts des Freispruchs der »Mörder« von Schattendorf in keinem Verhältnis zum Anlass stand und eigentlich unlogisch war. Aber der Sturm auf die Bastille – wenn man historisch Kleines mit Größerem vergleichen darf – fand auch zu einer Zeit statt, in der es kaum noch Gefangene in dieser symbolischen Zwingburg gab. Die Zeit war eben reif, die eigene Frustration, trotz aller Wahlsiege von der Macht ausgeschlossen zu sein und freiwillig in Opposition zu verharren, zu entladen. Doderer führte zur Motivation der demonstrierenden Arbeiter vor Wien Folgendes aus : »Sie marschierten nicht, weil die Mörder eines Kindes und eines Kriegsinvaliden freigingen. Sondern weil jenes Kind ein Arbeiterkind gewesen war und der Invalide ein Arbeiter. Die ›Massen‹ verlangten die Klassenjustiz, gegen welche einstmals ihre Führer so oft vermeint hatten, auftreten zu müssen. Das Volk schäumte gegen das Urteil des Volksgerichts, gegen sein eigenes Urteil. Damit war der Freiheit das Genick gebrochen, sie hielt sich auch in Österreich nur mehr durch kurze Zeit und künstlich aufrecht.« So ungeeig-
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net der Anlass des Massenunmutes auch war, der Unmut selbst war schon die längste Zeit da und drängte nach einer Entladung. Der Leitartikel der »Arbeiter-Zeitung« vom 15. Juli aus der Feder des Chefredakteurs Friedrich Austerlitz, der in seinen Schlussworten drohend vom »Bürgerkrieg« sprach, wurde in der Absicht geschrieben, wieder einmal Dampf abzulassen und sicher nicht in der Absicht, zu Gewalttaten aufzustacheln. Doch diesmal funktionierte der dahin schon zur Routine gewordene Mechanismus des Aufwiegelns und Abwiegelns nicht, die Arbeiter, an Wechselbäder zwischen Warm und Kalt gewöhnt und geduldig im Ertragen dieser Prozedur, kollabierten diesmal wie ein überstrapazierter menschlicher Organismus. Doderer erklärte auch, was an diesem Tage in den Massen vorging : »Dieser Tag ist reich gewesen an sogenannten ›Instinkt-Handlungen‹, denen man gern etwas Positives und Unnachahmliches nachsagt, aber es gibt auch durchaus abträgliche, und solche werden sogar sehr leicht und gerne nachgeahmt. Wilde Muskel-Beschlüsse, die ganz selbstständig auftreten. Ja, fast wie ein außen Geschehendes.« Doderer erkannte auch, dass in dem Konflikt, der am 15. Juli mit tödlichen Wirkungen ausbrach, ein totalitäres Element zum Ausdruck kam, das den ansonsten friedlichen Austromarxismus durchzog. Die Idealisierung der eigenen Klasse ging Hand in Hand mit einer Verdammung der an der Macht befindlichen Klasse, die man, wenn auch auf demokratischem Wege, entmachten und im Proletariat aufgehen lassen wollte. Schon zehn Jahre später wurde dieser Klassenkampf in einen durch einen Rassenkampf, durch einen künstlich erzeugten Konflikt zwischen »Ariern« und »Nichtariern« abgelöst, die Nichtarier sollten nicht nur aus dem Stadtbild verschwinden und in der Ariermasse aufgehen, sondern physisch vernichtet werden. Doderer hat, aus den Erfahrungen seines eigenen Lebens schöpfend, diesen Zusammenhang in den »Dämonen« wie folgt charakterisiert : »Wer irgendwo und irgendwie zu schwach ist, um in der Welt, wie sie eben ist, zu leben, der verabsolutiert gern ›idealistisch‹ einen Zustand, der sein soll, gegenüber dem tatsächlich seienden. In welche Richtung immer solch ein ›Idealist‹ sich die Sache nun denkt, jener ersehnte Zustand wird doch stets ein und dasselbe Grundmerkmal haben – dass nämlich die Schwäche, um die es hier jeweils geht, innerhalb seiner als Stärke werde auftreten können. In einer ›rassenreinen‹ Gesellschaft wird jeder Simpel und Brutalist, der nicht vorwärtsgekommen ist, mindestens einen ›Arier‹ vorstellen, die gleiche Auszeichnung kann, bei anders gerichtetem ›Idealismus‹, darin liegen, für einen Prolet-arier zu gelten. Dort eine vermeintliche Gemeinsamkeit der Rasse,
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hier eine der Klasse, es ist gehupft wie gesprungen. Klassen können ja zu Rassen werden, und umgekehrt.« Der Proletarierkult, der, ungleich schwächer als im Sowjetsystem, aber dennoch im »Roten Wien« betrieben wurde, so vom Parteidichter Josef Luitpold Stern, von den Genossen nur »Josef Luitpold« genannt und verehrt, war ungleich sympathischer und vor allem gewaltfreier als der spätere Arierkult der Nazis, er war aber trotzdem ein vielleicht erhabenes, aber realitätsfernes Wunschbild. Der Philosoph und Pädagoge Max Adler widmete dem »neuen Menschen« ein Buch. Das pädagogische Ideal des Austromarxismus war der selbstlose, idealistische, asketische Proletarier, den es im »Roten Wien« auch tatsächlich in nicht bloß vereinzelten Exemplaren gab, aber wahrscheinlich nur deshalb, weil die Verlockungen des Konsums gering waren und es noch keine Massenmotorisierung und keine Massenmedien, aber auch noch keinen Massentourismus als Ablenkungen vom politischen Kampf, auf den sich alles konzentrierte, gab. Doderer schildert durch fingierte Augenzeugen den dramatischen Ablauf der Ereignisse, an denen der sozialdemokratische Schutzbund, die Polizei und die Feuerwehr, vor allem aber die außer Rand und Band geratenen Demonstranten beteiligt waren. Sie alle waren Getriebene und zugleich auch Opfer einer Situation, die sie überforderte. Der Gedanke der Opferrolle ist kein bloß konstruierter, sondern ein sich aufdrängender Brückenschlag zu den eingangs erwähnten Gedanken Doderers über das Opfer als Grundmotiv alles Schöpferischen. Die demonstrierenden Massen waren Opfer ihrer Leidenschaft und Ungeduld, die Polizei Opfer ihrer Pflichterfüllung, der Schutzbund Opfer seiner eigenen Propaganda, die gerade im Ernstfall, für den man vorgab, gerüstet zu sein, als solche versagte und nicht jene Ordnungsmacht war, die sie zu sein beanspruchte. Der Wiener Bürgermeister Karl Seitz auf dem Löschwagen der Feuerwehr, beide bemüht, dem rettenden Einsatz den Weg durch die blockierenden Massen zu bahnen, war und bleibt das Symbol einer außer Kontrolle geratenen Situation. Wie konnte es zu einem solchen Exzess der Gewalt, aber auch einem, der Hilflosigkeit war, kommen ? Kein Geringerer als der sozialdemokratische Politiker Wilhelm Ellenbogen erhebt in seinen Erinnerungen den schwerwiegenden Vorwurf, die Partei bzw. deren Führung habe die Massen bewusst sich selbst überlassen, in der Hoffnung, dass es schon wieder gut ausgehen werde. In diesem Verhalten manifestierte sich die Halbheit und Gebrochenheit des Austromarxismus. Es hätte zwei Möglichkeiten gegeben, die Katastrophe zu vermeiden : entweder durch rechtzeitige Alarmierung und Einsatz des Schutzbundes, um den friedlichen Charakter der Demonstration zu garantieren, oder den
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Einsatz des Schutzbundes, um die Demonstration zu verhindern. Beide Wege wurden nicht gewählt, der Parteiführer Otto Bauer wich, wie Ernst Fischer, der damals Redakteur der »Arbeiter-Zeitung« war, zu berichten weiß, ratsuchenden Arbeitern im »Vorwärts«-Gebäude aus. Wenn es also Schuldige und nicht bloß freiwillige und unfreiwillige Opfer gab, so war es die Führung, allen voran der Parteiführer Otto Bauer, der sich an diesem Tag wieder einmal, und auch nicht zum letzten Mal, als jener »Illusionist« entpuppte, als den ihn der Historiker Ernst Hanisch bezeichnet. Nach diesem Tag hätte es, spätestens am darauffolgenden Parteitag, zu einer Gewissenserforschung, zu einer selbstkritischen Analyse und auch zu politischen Konsequenzen kommen müssen. Zu diesen Analysen und Konsequenzen kam es aber nicht, denn sonst hätte es zu einem Führungswechsel an der Spitze, also etwa der Ersetzung Otto Bauers durch Karl Renner, und zu einem Wechsel der politischen Strategie, zum Übergang von einem Oppositions- zu einem Koalitionskurs kommen müssen. Ohne diese gravierenden Veränderungen aber blieb im Grunde alles beim Alten. Die Parteiführung setzte ihre Strategie und Taktik, die sich bis zum 15. Juli bewährt hatte, nun aber ad absurdum geführt worden war, fort, ohne dass diese noch den ursprünglichen Zweck erfüllen konnte. Dieser Zweck hatte darin bestanden, durch eine verbalradikale Sprache die eigenen Anhänger mit Zuversicht und Siegesbewusstsein zu erfüllen und die Gegner einzuschüchtern. Ab dem 15. Juli wurde dieses strategische Konzept unwirksam : Die eigenen Anhänger waren entmutigt und demoralisiert, die Führer der Gegenseite, allen voran Prälat Ignaz Seipel als Führer des bürgerlichen Lagers, verloren die Angst vor den Drohungen der Sozialdemokratie, weil sich am 15. Juli gezeigt hatte, dass hinter der geballten Massenkraft keine zielstrebige Konzeption und keine Bereitschaft zum Ernstmachen standen, sodass die Energie der Massen sinnlos verpuffte und ins Leere ging. Die kleinbürgerliche Gefolgschaft des Bürgerblocks aber lernte erst richtig das Fürchten, vor allem das vor einer Wiederholung der blutigen Ereignisse des 15. Juli. Seipel ging zum Heimwehrkurs über und sah die Möglichkeit, die Sozialdemokratie, deren Anhänger er für eine massa damnata hielt, politisch auszuschalten, ja zu vernichten. Von da an wirkten alle Faktoren zum Untergang der Demokratie und der Sozialdemokratie, die trotz totalitärer Anwandlungen die verlässlichste Stütze dieser Demokratie war, weil sie glaubte, mit deren Hilfe an die Macht kommen zu können, zusammen. Auch ein Koalitionsangebot Seipels an die Sozialdemokratie 1931 konnte an der verfahrenen Situation nichts mehr ändern, weil das gegenseitige Misstrauen schon zu groß geworden war, um noch eine Sanierung der Demokratie herbeizuführen.
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Heimito von Doderer
Der schon erwähnte Wilhelm Ellenbogen hat das Schicksal der Sozialdemokratie rückblickend als Drama besonderer und eigener Art charakterisiert, und zwar mit den geradezu klassischen Worten : »Ein Drama, folgerichtig gebaut nach den aristotelischen Grundsätzen war dieses Parteischicksal : Exposition, Entwicklung, Peripetie, Katastrophe. Hinreißend in seiner Tendenz, spannend in seiner Entwicklung, erschütternd in seinem Untergang.« Wenn man diesem aristotelischen Schema folgt, war der 15. Juli 1927 zweifellos die Peripetie, von der ein gerader und abschüssiger Weg in die Katastrophe führte. Ich habe schon ausgeführt und muss es eindringlich wiederholen, dass die Führung, primär gegenüber den eigenen Anhängern, Schuld auf sich geladen hat, indem sie weiter so tat, als ob sich alles nach wie vor auf den Sieg zubewege, obwohl sie im Geheimen die ärgsten Befürchtungen hegte. So hat mir der journalistische Haudegen Alfred Magaziner, der in der Ersten und in der Zweiten Republik im »Vorwärts«-Gebäude Dienst machte, erzählt : »Wir im Haus haben gewusst, dass mit dem 15. Juli der Kampf um die Macht verloren war.« Magaziner und die anderen hüteten sich aber, dieses Gefühl preiszugeben und auf entsprechende Änderungen hinzuwirken. Nach wie vor tat man so, als ob man über eine schlagkräftige und einsatzbereite Kampftruppe in Gestalt des Republikanischen Schutzbundes verfüge. Dabei gab es weder ein Konzept für den Ernstfall noch die Bereitschaft, von den immerhin noch vorhandenen Möglichkeiten wenigstens zur Verteidigung der Demokratie Gebrauch zu machen. Theodor Körner, der im Gegensatz zu Julius Deutsch und Alexander Eifler ein Militärstratege und -kopf ersten Ranges war, hat diese Sachlage frühzeitig erkannt und sich mit den überlieferten Worten »Mit einer Armee von Pazifisten kann man keinen Krieg führen« aus dem Schutzbund zurückgezogen. Man hat mir und anderen Kritikern des Austromarxismus vorgeworfen, als nachträgliche Besserwisser aufzutreten. Auf diesen Vorwurf hat der deutsche Politiker Julius Leber, der ein Opfer des 20. Juli 1944 wurde, in einer auch für die österreichische Partei zutreffenden Weise geantwortet : »Man wird vielleicht den Einwand machen, solche Kritik sei nachträglich und in der Rückschau leicht. Dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Es ist schon in jener, unserer Erinnerung so fernen Zeit, Kritik geübt worden. Wer hat es gehört ? Wer hat darauf reagiert ?« Ich selbst darf für die von mir geübte Kritik, ohne unbescheiden zu sein, das in Anspruch nehmen, was Doderer in den »Dämonen« geschrieben hat : »Jedermann, der einer Sache wirklich nützen will und nicht nur irgendwas nachplappert, wird von den durchschnittlichen Anhängern der Richtung für zweideutig gehalten werden, nur weil er kein Simpel ist.« Leider dominiert in der offiziellen
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Parteigeschichtsschreibung nach wie vor eine simplification terrible, haben Terrible Simplificateurs das Sagen. Im Jahre 2002 habe ich, anlässlich des 75. Jahrestages der Ereignisse vom 30. Jänner 1927, ein Buch im Verlag va bene unter dem Titel »1927. Als die Republik brannte. Von Schattendorf nach Wien« herausgegeben, das Forschungen verwertete, die ich zusammen mit meinem langjährigen Mitarbeiter und späteren Dissertanten Paul Sailer-Wlasits schon viele Jahre vorher am Schauplatz des Geschehens in Schattendorf vorgenommen hatte. Diese auch durch Tonträger dokumentierten Interviews mit Ortsbewohnern schlossen auch den damals noch lebenden Tscharmann-Bruder ein, der zu unserer Verwunderung zugab, selbst nicht mit einem Freispruch gerechnet zu haben. Berufsrichtern wäre der schwerwiegende Fehler dieses Urteils sicher nicht unterlaufen, aber die Geschworenen neigten auch in anderen Fällen als dem zudem so folgenreichen zum Freispruch. Damals zog sich noch der Eiserne Vorhang durch die Ortschaft, ja auch durch den Friedhof, außerhalb dessen der sechsjährige Peppi Grössing begraben liegt. Es mutet symbolisch an, dass der am 30. Jänner 1927 zu Tode gekommene Knabe am 12. Februar geboren ist, an dem Tag, an dem 13 Jahre nach seiner Geburt die österreichische Demokratie endgültig zugrunde gegangen ist. Wir sprachen auch mit einer Großtante dieses Opfers vom 30. Jänner und mit anderen Hinterbliebenen und sonstigen Ortsbewohnern. Wir gewannen den Eindruck, dass die Gräben von damals weitgehend zugeschüttet sind, es gibt keine parteipolitisch getrennten Gasthäuser mehr, und auch die politisch-persönlichen Feindschaften von damals scheinen durch persönliche Beziehungen, die ehemals Getrennte verbinden, weitgehend überwunden. Köstlich fand ich, dass eine der von uns Interviewten von sich sagte : »Mein Vater war rot, meine Mutter schwarz. Ich bin eine Gscheckerte.« Hätte es nur mehr solche »Gscheckerte« gegeben, dann wäre es nicht zur verhängnisvollen Entzweiung der politischen Lager gekommen. Amüsant war in diesem Zusammenhang auch, dass die schon erwähnte Großtante erzählte, dass ihre zwei Enkel vor ihr in Streit darüber geraten seien, ob ich, der Norbert Leser, ein Roter oder ein Schwarzer sei. Die Möglichkeit, die wertvollen Elemente beider Richtungen in einer Person zu integrieren, überstieg offenbar die Vorstellungskraft nicht nur dieser Enkel. Jedenfalls führt von den Ereignissen in Schattendorf, deren Verlauf und Auswirkungen Sailer-Wlasits und ich rekonstruierten, ein direkter Weg nach Wien und dem blutigen 15. Juli 1927. Darum wollen die Schattendorfer von heute
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Heimito von Doderer
gar nicht gern hören, dass von ihrer Ortschaft eine Blutspur nach Wien geführt hat. Sie lassen die Vergangenheit lieber auf sich beruhen und führen als moderne Dorfbewohner ein Leben wie in anderen burgenländischen Gemeinden auch. Aber in der historischen Retrospektive führt kein Weg an Schattendorf vorbei, wenn man den 15. Juli, dessen tiefere Ursachen allerdings nicht in Schattendorf allein oder auch nur vorwiegend da liegen, sondern in der ganzen Vorgeschichte der Ersten Republik zu suchen sind, verstehen will. Wenn das marxistische Theorem der Einheit von Zufall und Notwendigkeit je Gültigkeit hatte, dann am 15. Juli 1927. Dieser Tag ist geradezu ein Anschauungsbeispiel und Paradefall für ein Zusammenwirken subjektiver Faktoren und historischer Gesetzmäßigkeiten. Auch die österreichische Halbheit, die Friedrich Torberg als das nationale Charakteristikum der Österreicher und des Österreichischen identifiziert hat, feierte an jenem Tag traurige Triumphe. Ebenso findet das Diktum des Philosophen Arthur Schopenhauer, dass das Leben im Großen eine Tragödie, in den einzelnen Szenen aber eine Komödie, insgesamt also eine Tragikomödie sei, an diesem Tag und durch ihn eine Bestätigung. Die komische Seite des tragischen Tages hatte Otto Bauer wohl im Auge, wenn er in seiner Rede im Nationalrat zu den Ereignissen von einem »Ballawatsch« sprach. Heimito vor Doderer hat in seinen Romanen und Erzählungen nicht nur Meisterwerke voll epischer Breite und Tiefgang geschaffen, er ist auch als Persönlichkeit ein Stück Zeitgeschichte. Auf ihn und die von ihm erfundenen Figuren, wie dem Sektionsrat Geyrenhoff in den »Dämonen«, trifft der Begriff »skurril« in dem von William Johnston definierten Sinn des »Unzusammengehörenden« und doch in der Einheit der Persönlichkeit widerspruchsvoll Vereinigten zu. So ist es skurril, wenn ein Mann, der mit einer Jüdin verheiratet war, der N SDAP beitritt, deren oberstes Prinzip der Antisemitismus war. Doderer steht mit dieser Ambivalenz und Skurrilität aber beileibe nicht allein da, das Verhältnis der »arischen« Bevölkerung Wiens zu den jüdischen Mitbürgern, die gleichzeitig als Fremdkörper empfunden wurden, belastete und erregt die Wiener nicht erst seit dem Einmarsch der deutschen Truppen 1938, auch wenn der österreichische Antisemitismus ohne die Machtübernahme der Nazis in Österreich auch nie ein für die Juden unschädliches Maß überschritten hätte. Angesichts der in die Tausende, ja Zehntausende, in Deutschland sogar in die Hunderttausende gehenden »Mischehen« sprechen doch deutlich dafür, dass es nicht nur Antisemitismus, sondern auch Philosemitismus und Toleranz gegeben hat, denn Eheschließungen finden ja nicht im luftleeren, hermetisch geschlossenen Raum statt, sondern bedürfen einer wenigstens minimalen Akzeptanz durch
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die Umgebung. Es ist bezeichnend, dass Doderer in einem nicht zur Verwirklichung gelangten Romankonzept das Problem der Apartheid zwischen Juden und Nichtjuden bearbeiten wollte, offenbar beschäftigte ihn dieses Thema literarisch, aber auch existenziell, denn es ging mitten durch ihn und sein Leben hindurch. Hugo Bettauer hat dieses Problem auch in seinem Roman »Die Stadt ohne Juden« lange vor der tatsächlichen Vertreibung der Juden thematisiert, die dort geschilderte Vertreibung ist unter viel schrecklicheren Umständen, als sie sich Bettauer und andere Zeitgenossen in den Zwanzigerjahren vorstellen konnten, wahr geworden, die Rückholung nach diesem Aderlass hielt sich in engen Grenzen. Überhaupt ist es schwer verständlich, dass ein so gebildeter Mann wie Doderer einem »barbarischen Irrtum«, als welchen er seine Zugehörigkeit zur NSDAP später selbst bezeichnete, erliegen konnte, noch dazu ohne erkennbaren Druck, aber sehr wohl im Einklang mit einem Zeitgeist, besser Zeitungeist zu nennen, der nicht nur primitive Menschen erfasste und deformierte. Auch die Tatsache, dass Doderer die ersten Jahre der Naziherrschaft in Deutschland in Dachau verbrachte, entbehrt nicht einer gewissen Skurrilität. Befand sich doch in Dachau das erste Konzentrationslager, dessen Existenz aber die dort lebenden Menschen und die Künstlerkolonie, der Doderer angehörte, nicht sonderlich zu stören und zu irritieren schien. Doch darf man von Künstlern, ja von Menschen überhaupt, verlangen, dass sie sich einer Sache, auf die sie keinen Einfluss haben, die sie aber in ihrem Alltag nicht betrifft, annehmen ? Hätte Goethe, wenn es damals schon ein kz Buchenwald gegeben hätte, als Klassiker, der in höchstem Maße war, anders reagiert als die geistig minderbemittelten Mitbürger ? So trifft auf Doderer der Spruch zu, den Conrad Ferdinand Meyer in der epischen Dichtung »Huttens letzte Tage« Hutten in den Mund legt : »Ich bin kein ausgeklügelt Buch, ich bin ein Mensch in seinem Widerspruch.« Und ein Mensch mit seinen Widersprüchen bringt dann auch in seinen Büchern widerspruchsvolle Charaktere hervor. Das Leben Doderers, das offizielle und das »verleugnete Leben«, das Wolfgang Fleischer als Titel seiner Doderer-Biografie gewählt hat, ist ein faszinierendes Stück Zeitgeschichte, aus dem man viel ablesen kann.
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Richard Berczeller (1902–1994) Arzt, Emigrant und Schriftsteller in der »Neuen Welt«
Ich lernte Richard Berczeller, den ich bis dahin zwar dem Namen nach kannte, während meines ersten Aufenthaltes in den usa im Mai 1966 kennen. Da ich damals schon den Ruf einer erfolgversprechenden politischen und wissenschaftlichen Nachwuchskraft genoss, erhielt ich vom State Department die Einladung, sechs Wochen durch die Vereinigten Staaten zu reisen, wobei ich mir die Stationen meiner Reise und die Personen, die ich aufsuchen wollte, selbst aussuchen konnte. Selbstverständlich stand auch eine Woche Aufenthalt in der Weltstadt New York auf dem Programm. Kaum hatte ich mein Zimmer in einem schönen Hotel bezogen, läutete schon das Telefon, und es meldete sich Richard Berczeller, der von meiner Ankunft erfahren hatte. Nun erwachte in mir eine vage Erinnerung, die Richard Berczeller in eine Verbindung mit meinem Onkel, dem 1946 verstorbenen burgenländischen Landeshauptmann Ludwig Leser, brachte. Berczeller lud mich mit seiner Frau und seinem Sohn Peter, der bereits ein auch akademisch etablierter Chirurg war, in ein Restaurant mit Windlichtern, die mich an Wiener Heurige erinnerten, ein. Daraufhin war ich noch mehrere Male Gast in der Privatwohnung Richards, ich genoss die burgenländisch-ungarische Küche, die Richards Frau, Mutzi genannt, exzellent zubereitete. Natürlich war viel von meinem bereits zwanzig Jahre zuvor verstorbenen Onkel, aber auch von anderen Bezugspersonen die Rede. An diesen Abenden begann eine Freundschaft, die noch ein Vierteljahrhundert bis zu Richards Tod halten sollte. Es trat der seltene Fall ein, dass ein Toter noch nach seinem Tode eine Freundschaft zwischen zwei Angehörigen verschiedener Generationen stiften konnte. Die Freundschaft erschöpfte sich nicht in gemeinsamen Erinnerungen, sondern wurde zu einer produktiven Form der Kommunikation, die auch zwei Bücher hervorbrachte. Wir sahen uns nicht nur in den usa wieder, wo ich 1983 mit meiner Mutter, die damals bereits 73 Jahre alt war, wieder einen schönen Aufenthalt in New York hatte, sondern auch und vor allem in Wien und Bad Hofgastein, wo Richard mit seiner Frau während der Sommermonate auf Erholung war. Richard hatte ein bemerkenswertes und abenteuerliches Leben als Emigrant hinter sich. Bis 1938 verlief sein Leben in geordneten Bahnen, er stammte aus einer jüdisch-sozialdemokratischen Familie, sein Vater Adolf Berczeller war
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Richard Berczeller
lange Zeit in Ungarn tätig, wo Richard 1902 in Sopron (Ödenburg) geboren wurde und maturierte. Nach dem Sturz der Räteregierung musste die Familie Ungarn verlassen und nach Österreich übersiedeln. Vater Adolf Berczeller, der schon in Ungarn politisch hochaktiv gewesen war, beteiligte sich am Aufbau einer burgenländischen Landesverwaltung und war Direktor der Burgenländischen Landeskrankenkasse und Vizepräsident der Burgenländischen Arbeiterkammer. Richard Berczeller begann Anfang der Zwanzigerjahre Medizin zu studieren und promovierte 1926. Er heiratete im selben Jahr seine Mutzi, eine geborene Unger, ein Jahr später wurde sein Sohn Peter Hans geboren. 1930 ließ er sich als praktischer Arzt in Mattersburg nieder. Richard Berczeller war während seines Studiums nahe daran, damals schon in die usa, die ihm später zur zweiten Heimat werden sollte, zu ziehen. Er lernte nämlich den Filmemacher Michael Curtis kennen, der mit seinem Klassiker »Casablanca« weltberühmt werden sollte, und arbeitete neben seinem Studium auch für ihn. Curtis, der später in Berlin wirkte, in einem Studio, das Marlene Dietrich engagierte und damit den Grundstein ihrer großen Karriere legte, wollte Richard Berczeller als Mitarbeiter engagieren. Dieser aber ließ sich von seinem einmal eingeschlagenen Studienweg nicht abbringen und wurde Arzt. Sein einflussreichster Lehrer, dem er auch politisch und persönlich nahestand, war der große Anatom und Stadtrat für Wohlfahrtsangelegenheiten Julius Tandler, der nicht nur eine Leuchte seines Fachs war, dessen Lehrbuch und Atlas der Anatomie sogar in der Nazizeit als Lehrbehelf kursierte, sondern auch ein Pionier des »Roten Wien«, das er zusammen mit dem Finanzstadtrat Hugo Breitner zu einer Heimstätte des gesellschaftlichen Fortschritts machte. Tandler bekämpfte nicht nur die Proletarierkrankheit der Tuberkulose, die wegen ihrer starken Verbreitung in Wien »morbus Viennensis« genannt wurde, er schuf auch vorbildliche soziale Einrichtungen medizinischer und pädagogischer Art. Sein Leitspruch war »Jedes Mitglied der menschlichen Gesellschaft hat einen Anspruch auf Hilfe, die menschliche Gesellschaft hat sie pflichtgemäß zu leisten«. Symbolisch für diese Art von Politik war das Säuglingswäschepaket, das jedes Neugeborene bzw. dessen Eltern ohne Rücksicht auf deren sozialen Status kostenlos erhielten. Richard Berczeller hielt zeitlebens an den Impulsen, die er in Wien empfangen hatte, fest, er war politisch aktiv und mit meinem Onkel Ludwig Leser engstens verbunden. Nach 1934 schloss er sich den illegalen »Revolutionären Sozialisten« an, blieb aber im Lande, während mein Onkel nach Preßburg und später Prag emigrierte und von dort aus illegales Material wie die »Arbeiter-Zeitung« nach Österreich leitete.
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Das Jahr 1938 war nicht nur im Leben der Familie Berczeller, sondern auch in dem unzähliger Schicksalsgenossen eine plötzliche und tragische Zäsur. Im Burgenland wurde die Judenverfolgung unter Gauleiter Tobias Portschy besonders schnell und konsequent angegangen, was aber den Vorteil hatte, dass sich viel mehr jüdische Mitbürger rechtzeitig absetzen und in Sicherheit bringen konnten als in anderen Bundesländern. Auch Berczeller und seine Familie wurden bereits im März 1938 verhaftet und nur unter der Bedingung entlassen, dass sie das Land so schnell als möglich verlassen sollten. Nun begann für die Familie Berczeller eine wahre Odyssee : Sie flohen zunächst nach Paris, wo Berczeller vorübergehend als Arzt in einem Bordell tätig war, und über die Elfenbeinküste 1941 in die usa, wo sich Richard eine neue Existenz als Arzt aufbauen konnte. Auf ihrer Reise machten sie auch auf der Insel Madeira Halt und besuchten die Kirche in Monte, einem Dorf über der Hauptstadt Funchal, in der der letzte österreichische Kaiser Karl, inzwischen auch seliggesprochen, begraben liegt. Über diesen Besuch erzählte mir Richard wiederholt die folgende rührende Geschichte : Als der Sohn Peter Blumen auf den Sarkophag des Kaisers legte, sagte Richard zu ihm : »Aber wir sind doch Republikaner.« Daraufhin sagte Peter : »Aber er war doch ein so armer Emigrant wie wir.« – Richard berichtete mir, dass er diese Episode einmal Otto Habsburg erzählt habe, der daraufhin in Tränen ausgebrochen sei. Leider ist es in der österreichischen Emigration in den usa nicht gelungen, diesen Geist des Einvernehmens zwischen den sozialistischen und monarchistischen Emigranten herzustellen und in eine gemeinsame Aktion münden zu lassen, wie die von Otto Habsburg initiierte, aber nicht zustande gekommene Idee eines »österreichischen Bataillons«, das auf alliierter Seite zur Befreiung Österreichs beitragen sollte. War es schon eine große Leistung, in bereits fortgeschrittenem Alter eine neue Existenz als Arzt aufzubauen, so eine noch größere, eine ganz anders geartete Karriere neu zu beginnen, was Richard Berczeller erstaunlicherweise gelang. Er entdeckte eine bis dahin nicht aktivierte Ader schriftstellerischer Natur in sich und schrieb sogar Bestseller, wie »Displaced Doctor« und »Time was«, die auch in deutscher Sprache als »Die sieben Leben des Dr. B« erfolgreich waren. Dass diese Emigrantenwerke trotz der schon bestehenden Fülle an einschlägiger Literatur, Anklang fanden, ist ein Zeichen für die Begabung, sich in einer Sprache, die nicht seine Muttersprache war, formvollendet und locker auszudrücken und ein Publikum zu finden. Berczeller gelang es auch, im »New Yorker«, einem literarischen Magazin von Weltruf und Weltrang‚ Short Storys unterzubringen,
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die dann auch als gesammelte Beiträge in einem Buch »A Trip into the Blue and other stories« erschienen. Berczellers Leistung auf diesem bis dahin brachliegenden Gebiet ist auch ein Zeichen dafür, dass ungewohnte und ungeahnte Herausforderungen schlummernde Potenzialitäten wachrufen und sich so auch ein Unglück in Glück verwandeln kann. Als wir uns entschlossen, unsere bereits dokumentierten schriftstellerischen Talente und Neigungen zu verbinden, um etwas Gemeinsames hervorzubringen, lag es nahe, zunächst mit dem Burgenland zu beginnen und eine Fibel der burgenländischen Kultur und Geschichte zusammenzustellen. Wir verständigten uns über den Inhalt und die Arbeitsteilung und fanden auch einen passenden, dem Text der Landeshymne entnommenen Titel »… mit Österreich verbunden«, dem wir den Untertitel »Burgenlandschicksal 1918–1945« gaben. Berczeller steuerte seine Erinnerungen und die an prägende Persönlichkeiten der burgenländischen Geschichte bei, ich selbst konzentrierte mich auf systematisch-politologische Kapitel und Probleme wie dem »Land der Minderheiten«. Wir schrieben unsere Beiträge getrennt in Wien bzw. New York, und koordinierten sie bei gemeinsamen Arbeitsbegegnungen in Wien bzw. Bad Hofgastein. So brachten wir dann nach fast zehnjähriger Freundschaft ein gemeinsames Werk zustande, das 1975 im Verlag Jugend und Volk erschien und das ein Titelblatt, das das einer Landkarte bzw. einen Globus eingetragene Burgenland darstellte, hatte. Wir widmeten das Buch unseren Vätern, meinem Vater Franz, der burgenländischer Landesbeamter und als solcher Rechnungsdirektor war, und dem schon erwähnten Adolf Berczeller, als Motto unseres Exkurses in die Vergangenheit wählten wir den Vers der Dichterin des Textes unserer Bundeshymne, Paula von Preradović : »Siehe, die Ahnen, sie harren des Liedes.« Es wurde aber trotz dieser lyrischen Einstimmung kein nostalgisches Buch, sondern eines, das viel von den Schwierigkeiten, denen sich das Burgenland im Österreich der Ersten Republik ausgesetzt sah, zu berichten wusste. Das Burgenland als jüngstes und neuntes Bundesland, das eigentlich erst 1921 ganz, mit der Ausnahme der als Hauptstadt vorgesehenen Grenzstadt Ödenburg, zu Österreich kam, war ein Sorgen- und Stiefkind, das erst um seine Anerkennung und Gleichberechtigung kämpfen musste. Von den Bürgerblockregierungen innerhalb Österreichs benachteiligt und vor einer nach wie vor agierenden magyarischen Irridenta bedroht, die sich mit dem Verlust der einstigen ungarischen Provinz nicht abfinden wollte, musste sich das Burgenland erst durchsetzen, was nur zum Teil gelang. Der eigentliche Aufstieg des Burgenlands und die volle Gleichberechtigung gegenüber den anderen Bundesländern
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blieben der Zweiten Republik vorbehalten. Die Aufgabe des Buches bestand darin, den Vorkämpfern des Anschlusses des ehemaligen Deutschwestungarn an Österreich, aber auch den Pionieren der Ersten Republik, innerhalb derer der Landeshauptmann Ludwig Leser die Spitze und der ruhende Pol war, ein Denkmal zu setzen. Mein Onkel Ludwig Leser faszinierte mich als Politologen durch seine geniale Strategie und Taktik, er brachte im Laufe seiner dreizehnjährigen politischen Tätigkeit verschiedene Regierungsformen und wechselnde Konstellationen zustande : Es gab eine rot-schwarze, zweimal aber auch eine nach der heutigen Terminologie rot-blaue Koalition mit dem großdeutschen Gymnasialprofessor und Dichter Alfred Walheim, der als Land- bzw. Bauernbündler kandidierte, als Landeshauptmann ; sogar eine Minderheitsregierung Leser gab es eine Zeit lang. Das so entstandene Buch wurde mit einem Vorwort von Fred Sinowatz, der damals Unterrichtsminister war und vor seiner ganz großen Karriere, die freilich nicht großartig enden sollte, stand, eingeleitet und beehrt. Berczeller, Sinowatz und ich kamen, vor allem, wenn Berczeller in Wien war und die Verbindung herstellte, des Öfteren zusammen. Das Buch wurde in einem ehemaligen Badehaus des Fürsten Esterhazy in Großhöflein vorgestellt, obwohl es ein Mangel dieses Buches ist, auf die Rolle, die der Fürst Esterhazy und der Streit um seinen Besitz spielte, zu wenig eingegangen zu sein. Die Buchpräsentation war, wie burgenländische Veranstaltungen es zu sein pflegen, ein rauschendes und langdauerndes Fest, in Gegenwart des Landeshauptmanns Theodor Kery, der sich nicht nur bei einem Auftreten im Schloss, sondern auch sonst als Landesfürst und großzügiger Gastgeber fühlte. Nach diesem Exkurs in die burgenländische Geschichte lag es nahe, ganz Österreich einer gemeinsamen Betrachtung zu unterziehen. Denn wenn nach den Worten des Wahlösterreichers Friedrich Hebbel Österreich »die kleine Welt« ist, »in der die große ihre Probe hält«, so lässt sich das Burgenland als verkleinertes Abbild Österreichs verstehen und deuten. Musste das Burgenland um seine Gleichberechtigung innerhalb Österreichs kämpfen, so Österreich um seine Geltung in der Welt und um die Bestimmung des Verhältnisses zu den Nachbarländern. Karl Renner, dessen Frau Luise Burgenländerin aus Güssing war, sagte nach den Friedensverhandlungen, die eigentlich ein Friedensdiktat waren : »Die Tatsache, dass wir das Burgenland bekommen haben, ist ein Zeichen, dass wir den Krieg doch nicht ganz verloren haben.« Damit war aber nur gesagt, dass das Burgenland eine Art Trostpreis inmitten eines großen Unglücks war, das Österreich 1918 und 1919 traf.
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Die Mehrheit der Österreicher konnte sich mit der Kleinstaatsexistenz, auf die Österreich zurückgefallen war, nicht abfinden und erblickte im Anschluss an Deutschland die natürliche Lösung der Probleme, die innerhalb Österreichs und von Österreich selbst nicht gelöst werden konnten. Ein Teil der Bevölkerung trauerte dem verlorenen Reich nach, ein größerer wollte dem deutschen Reich einverleibt werden und erblickte im Anschluss die rettende Lösung, die den Österreichern vorenthalten wurde. Beide Teile waren von der selbstständigen Lebensfähigkeit des Landes nicht überzeugt, der Hinweis auf die mangelnde Lebensfähigkeit war ein willkommener Vorwand, um sich den Problemen dieses Staates nicht stellen zu müssen. Die Überzeugung von der Lebensunfähigkeit Österreichs war nicht das Ergebnis einer rationalen Analyse und eines ökonomischen Kalküls, sondern, wie man auf Englisch zu sagen pflegt, »a foregone conclusion«, eine von vornherein feststehende Überzeugung. Dabei hätte es schon damals die Möglichkeit gegeben, sich an der benachbarten Schweiz ein Beispiel nehmen zu können. Doch daran dachte man ebenso wenig, wie man im alten Österreich die Mahnungen Karl Renners und des jüdischen Freiheitskämpfers von 1848, Adolf Fischhof, ernst nahm oder gar Konsequenzen in diese Richtung zog. Fischhof hatte nämlich dafür plädiert, eine »Eidgenossenschaft der Nationen« nach Schweizer Vorbild zu machen. Erst in der Zweiten Republik entdeckte man die Schweiz als Vorbild für die österreichische Neutralität als Königsidee, die zum Staatsvertrag 1955 und damit zur Rettung Österreichs führte. In der Ersten Republik kam es jedenfalls noch nicht zu dieser Geisteshaltung. Auch mein ansonsten so weitblickender Onkel Ludwig Leser war ein begeisterter Deutschnationaler und Anschlussbefürworter, der wegen seiner »Verdienste um das Grenzlanddeutschtum« und als Anerkennung seiner Vortragstätigkeit in Deutschland 1931, zu einer Zeit, als dies noch keineswegs üblich war, das Ehrendoktorat der Universität Heidelberg verliehen bekam. All dies mussten Berczeller und ich in dem zweiten gemeinsamen Buch, das 1977 erschien und dem wir den Titel »Als Zaungäste der Politik« und den Untertitel »Österreichische Zeitgeschichte in Konfrontationen« gaben, erklären und noch einiges mehr. Hatten wir das erste Buch unseren Vätern gewidmet, so widmeten wir das zweite unseren Müttern, die beide ungarische Gymnasien besucht hatten, später aber gute Österreicherinnen wurden und waren. Die burgenländische Geschichte seit 1945 harrt noch einer abschließenden Darstellung, sofern eine historische Darstellung überhaupt je abschließend sein kann. Eine solche Geschichte wäre aber auch keine bloße Erfolgsgeschichte, obwohl in der Zweiten Republik die Aufhol- und Nachholjagd siegreich beendet
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werden konnte, die in der Ersten Republik noch nicht gelungen ist. Der burgenländische Minderwertigkeitskomplex ist ebenso verschwunden wie die Kleinmütigkeit der Österreicher im Großen. Aber auch die Defizite dieser Entwicklung dürften in einer kritischen Darstellung und Aufarbeitung nicht fehlen. Zu diesen Defiziten gehört die systematische Zerstörung des traditionellen Ortsbildes durch eine nicht selten geschmacklose Modernisierung. Es hätte Möglichkeiten einer Modernisierung unter Bewahrung der erhaltenswerten Strukturen und Bauformen gegeben. Sowohl die Bevölkerung als auch die sie repräsentierenden Politiker aber förderten die Zerstörung des Alten, pauschal für rückständig Gehaltenen auf Kosten fragwürdiger Modernität. Über die Geschichte der Zweiten Republik liegen genügend Monografien vor, die so gut wie alle Probleme und Stationen der Nachkriegsentwicklung abdecken. So hat sich der große österreichische Historiker Gerald Stourzh besonders um die Geschichte des Staatsvertrags, der eine Art Magna Charta unserer Freiheit wurde, verdient gemacht. Wir erhoben mit unserem Buch nicht den Anspruch eines Werkes, der in allen Aspekten wissenschaftlichen Standards genügt, nicht nur deshalb, weil Richard Berczeller eben kein Wissenschaftler war, sondern weil wir uns gemeinsam vornahmen, die österreichische Geschichte essayistisch und eher literarisch zu betrachten. Richard und ich sind in vielen, wenn auch bei Weitem nicht allen problematischen Fragen der österreichischen Geschichte zu ähnlichen Resultaten gekommen. Auch Berczeller, der im Banne des Austromarxismus stand und unter ihm groß wurde, erkannte dessen Schwächen und Wunschträume. Wie schon im ersten Buch, ja mehr noch in diesem als in jenem, war unsere Arbeitsteilung im Großen und Ganzen die, dass ich mich auf die Probleme als Schwerpunkte konzentrierte, während er vorwiegend Erinnerungen an Persönlichkeiten vorlegte. Doch auch in diesen biografischen Skizzen kamen grundsätzliche Fragen zu ihrem Recht. So kritisierte Richard in seinem Beitrag über Robert Danneberg, dass dieser in seiner Schrift »Das sozialdemokratische Programm« den Anschein erweckt habe, die Partei könne den Menschen den Himmel auf Erden bringen, eine Überforderung und Übertreibung, die nur in Enttäuschungen und der ihnen folgenden Frustration enden konnten, den Großtaten des »Roten Wien« aber trotzdem nichts von ihrer Größe nehmen wollten und konnten. Als »Zaungäste der Politik« brachten wir jedenfalls unsere Erinnerungen, aber auch unsere weiterführenden Reflexionen ein, es waren Mosaike der österreichischen Geschichte, die wir zu einem bunten Bild fügen wollten, ohne dabei krampfhaft zu harmonisieren.
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Hans Weigel (1908–1991) Der literarische Virtuose
Wenn ich an Hans Weigel zurückdenke, kommt mir zu Bewusstsein, dass er, ohne es zu wissen und zu wollen, eine weichenstellende Bedeutung für meine Entwicklung hatte. Er genoss, als ich meine ersten schriftstellerischen Gehversuche begann, bereits längst den Ruf, ein Förderer junger Talente zu sein, wie es auch in den von ihm herausgegebenen »Stimmen der Gegenwart«, die 1951 bis 1954 erschienen, dokumentiert ist. Unter dem von ihm entdeckten und geförderten Talenten, die zum Teil auch seine Freunde, bzw. Freundinnen waren, ragen Namen wie Ingeborg Bachmann und Gerhard Fritsch hervor, aber auch kleine Lichter wurden von ihm zur Ausstrahlung gebracht. Da ich mich auch für ein Talent hielt, ging ich eines Tages als der in Ausbildung befindliche Student, der ich war, mit einem Prosamanuskript und einigen Gedichten mit klopfendem Herzen in seine damalige Wohnung in der Siebensterngasse und warf meine Texte, ohne anzuläuten, durch seinen Türschlitz. Die Antwort ließ einige Zeit auf sich warten, war aber deswegen nicht minder entmutigend. Ich erinnere mich, dass er das ihm von meiner Seite Dargebotene als »anfängerhaft« abqualifizierte. Ich war natürlich enttäuscht, zog aber daraus doch nicht den Schluss, es mit dem Schreiben ganz bleiben zu lassen, sondern erkannte, dass meine Fähigkeiten eben nicht in. der Erzählprosa und in der Lyrik, sondern im Essayistischen liegen. Als ich Hans Weigel Jahrzehnte später mit meinem damaligen Assistenten Alfred Pfabigan in seinem Haus in Maria Enzersdorf, in dem er gemeinsam mit der Schauspielerin Elfriede Ott lebte, besuchte, war die Episode von anno dazu mal längst vergessen und wurde von mir auch nicht angesprochen. Erfuhr ich seinerzeit eine heilsame Entmutigung, die mich auf meinen rechten Weg führte, so gab es diesmal Lob und Bestätigung von seiner Seite. So sagte er mir, der ich damals noch häufig im Rundfunk zu hören war, die kurzen, aber prägnanten Worte : »Sie haben eine seltene Eigenschaft. Ihnen hört man gerne zu.« Gleich darauf überraschte er mich mit der Frage, ob ich sternkreiszeichenmäßig ein Zwilling sei, da es bei Zwillingen öfter als bei sonstigen Tierkreiszeichenunterworfenen Doppelbegabungen gäbe und ich eine wissenschaftlich-literarische Doppelbegabung sei. Ich musste die Frage wahrheitsgemäß bejahen, und es
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Hans Weigel
stellte sich beim Vergleich unserer Geburtsdaten heraus, dass wir nur zwei Tage auseinanderliegen, er war am 29. Mai, ich am 31. geboren. Daraufhin schrieb er mir in eines seiner Bücher, die ich zur Signierung mitgebracht hatte, die höchstpersönliche Widmung »Meinem Zwillingsnachbarn…«, eine Formulierung, die einem Außenstehenden, der sie liest, nicht ohne Weiteres verständlich ist, für mich aber ein Grund zur Freude und Genugtuung war. Danach kam es noch wiederholt zu zufälligen, aber auch geplanten Treffen. So lud mich Weigel eines Abends in das heute auch nicht mehr existierende britische Lokal »Saint George and the Dragon« ein, während seine Lebensgefährtin, die Schauspielerin Elfriede Ott, in den nahe gelegenen Kammerspielen auftrat. Ich erinnere mich noch an den hochinteressanten Inhalt unseres Gesprächs. Ich sprach ihn auf die von ihm in einem seiner Bücher getroffene Feststellung an, dass die Depression, an der er auch immer wieder zu leiden hatte, geradezu die »Berufskrankheit« der Schriftsteller sei, mehr als die anderer Künstler. Deshalb gibt es auch weitaus mehr Selbstmörder unter den Männern und Frauen der Feder. Die Erklärung, die wir gesprächsweise für diese unbestreitbare Tatsache fanden, war die, dass der Musiker die Möglichkeit hat, sich am Klang zu berauschen, der Maler an der Farbe, der Mann des Wortes aber mit dem Papier, auf dem er seine Gedanken ausbreitet, allein ist und nicht weiß, ob das, was er zu Papier bringt, auch Leser finden wird. Die Unerbittlichkeit des Wortes, das keine Verschmierung und Verhübschung zulässt, kommt auch darin zum Ausdruck, dass Schriftsteller in totalitären Staaten weitaus gefährdeter sind als Musiker und Maler ; wer nichts zu sagen hat, wird schnell entlarvt, wer aber sehr wohl etwas zu sagen hat, dieses Etwas aber, gerade wenn es den Nagel auf den Kopf trifft, nicht erwünscht ist, bekommt die Sanktionen zu spüren, auch wenn diese nur im Totschweigen (»Sein Name werde nicht genannt«) bestehen. Ich habe die Frage der künstlerischen Neigung zu Depressionen wiederholt mit kreativen Persönlichkeiten besprochen, die mir bzw. Weigel recht gaben, aber auch solche, denen diese Erklärung nicht einleuchtet. Als Schriftsteller war Hans Weigel mit oder ohne Depression jedenfalls mit einer gehörigen Portion Aggression ausgestattet. Seine Kritiken waren gefürchtet und zum Teil auch persönlich verletzend. Eine der so sich verletzt Fühlenden, die Schauspielerin Käthe Dorsch, ließ sich sogar zu einer Ohrfeige hinreißen, was noch ein gerichtliches Nachspiel hatte, in dessen Verlauf Raoul Aslan, nach dem Kriege der erste Direktor des Burgtheaters, sogar die Todesstrafe oder die Landesverweisung für Weigel beantragte. Andere begnügten sich damit, vom Unterrichtsminister Heinrich Drimmel einen Schutz gegen die Invektiven Wei-
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gels zu verlangen, was an eine Episode aus dem alten Österreich erinnert, in der Anton Bruckner den Kaiser in einer Audienz bat, dem Hauptkritiker Bruckners, Eduard Hanslick, das Schreiben zu verbieten, was dieser natürlich ebenso ablehnen musste wie Drimmel das an ihn gerichtete Ansinnen. Die Affäre mit Käthe Dorsch zeigt jedenfalls, wie gefürchtet und verhasst Weigel bei vielen Betroffenen, aber auch bei bloßen Zuschauern war. Und wenn man das 1983 erschienene Werk »1001 Premiere. Hymnen und Verrisse« liest, ist man über die Heftigkeit mancher Ausfälle entsetzt und kann die Reaktion Betroffener verstehen. Später freilich wurde Weigel, der ja nicht nur Kritiker, sondern auch Schriftsteller von erstaunlicher Vielseitigkeit war, um vieles milder, wohl nicht zuletzt unter dem läuternden Einfluss, den Elfriede Ott auf den Hitzkopf von einst ausübte. Weigel aber konnte auch noch als relativ Abgeklärter sehr emotional reagieren und das Publikum vor den Kopf stoßen. So lud ich ihn im Juni 1980 zu einer Ringvorlesung über »Das geistige Leben Wiens in der Zwischenkriegszeit« ein, in dessen Rahmen er zum Thema »Jugend und Literatur« in diesem Zeitraum sprechen sollte, wozu er aufgrund seiner schon umfangreichen kabarettistischen und sonstigen literarischen Tätigkeit vor 1938 der Berufene war. Es gab an diesem Abend im Gegensatz zu früheren anderen wenig Publikum, was ihn schon in eine Missstimmung versetzte. Dazu kam noch, dass ihm der Kameramann, der den Vortrag aufnehmen wollte, zweimal zu nahe kam, worauf er die Rede beleidigt abbrach und auch später nicht bereit war, seinen Text auszuarbeiten und für die Veröffentlichung der Vorträge als Buch, die dann schon ein Jahr später auch zustande kam, zur Verfügung zu stellen. Weigel konnte also auch noch in späteren Jahren bockig und kindisch sein. Zu diesen kindischen Zügen gehört wohl auch, dass er Zuspätkommende, auch wenn sie triftige Gründe für ihre Verspätung hatten, nicht mehr empfing. In solchen Situationen konnte er das Gebaren einer Diva an den Tag legen. Diese Schwächen können freilich nichts an dem positiven Urteil ändern, das man über sein Wirken in der Zweiten Republik fällen muss. Erstaunlich war nicht nur sein Talent, sondern auch seine Vielseitigkeit und sein immenser Fleiß. Er war nicht nur Schriftsteller, Kritiker und Förderer junger Talente, sondern auch Literaturhistoriker und Theatermacher, so rief er zusammen mit Elfriede Ott die unweit ihres Wohnhauses gelegenen Nestroy-Festspiele auf der Burg Liechtenstein ins Leben und wirkte bei den Aufführungen sogar als Tschinellenspieler mit. Dazu kommt noch die große Leistung, die in der Übersetzung der Werke Molières im Reimmaß von Alexandrinern besteht. Als Literaturhistoriker
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war er freilich mitunter auch parteiisch und ungerecht, so wenn er unseren Nationaldichter Franz Grillparzer als »Zweitklassiker« und als »unaufführbar« bezeichnete, wofür es Gegenbeweise am laufenden Band gibt. Auch Anton Wildgans und Hugo von Hofmannsthal fanden bei ihm nicht die ihnen gebührende Anerkennung. Er war aber jedenfalls ein großer Anreger und Gestalter. So hat seine Sammlung »In memoriam«, die 1983 erschien, als ein Umweg zur Autobiografie durch die Biografie Verstorbener, auch mich zu dem vorliegenden Buch inspiriert. Auch die Anzahl der im Porträt Festgehaltenen stimmt, ohne dass ich die Übereinstimmung gesucht hätte, mit der von mir vorgelegten Auswahl fast überein. Weigels Biografie von Karl Kraus verrät die Geistesverwandtschaft eines Mannes, der ähnlich wie Weigel geliebt und verehrt, aber auch gehasst und abgelehnt wurde. Der Titel dieser Biografie »Die Macht der Ohnmacht« enthüllt ebenso wie ein anderer Buchtitel, »Die Flucht vor der Größe«, etwas vom Wesen des Österreichers, der autobiografische Roman »Niemandsland«, der aus dem Nachlass stammt, verrät seine Ambivalenz gegenüber seiner Heimat, die auch vielen anderen Großen dieses Landes eigen war. Wenn man versucht, das Wirken Hans Weigels im Rahmen der österreichischen Literatur, aber auch des öffentlichen Lebens der Zweiten Republik zu resümieren und zu kommentieren, kommt man nicht umhin, die Haltung Weigels in zwei Fragen, die nicht nur literarische Geschmacksfragen sind, unter die Lupe zu nehmen. Die eine lässt sich unter dem Schlagwort »Brecht-Boykott« zusammenfassen. Weigel hat schon in seinem 1945 entstandenen Roman »Der grüne Stern«, der eine Art Bekenntnisschrift war, sein Credo gegen jede Form des Totalitarismus formuliert. Für ihn war der Kommunismus eine nicht minder verwerfliche Ideologie, von der eine große Gefahr für die Freiheit ausgeht, wie der Nationalsozialismus. Daher lehnte er jeden Kompromiss und jedes Zurückweichen mit und gegenüber dem Kommunismus ab. Doch nicht nur das : Er setzte sich wie sein Schriftstellerkollege Friedrich Torberg vehement gegen die Aufführung von Dramen Bert Brechts auf österreichischen Bühnen und gegen die Einbürgerung Brechts nach Österreich ein. Er wurde deshalb von den österreichischen Kommunisten und linken Sympathisanten wie Hilde Spiel als »österreichischer McCarthy« apostrophiert. Weigel brach auch persönliche Beziehungen, die er früher und in der Schweizer Emigration mit kommunistisch Gesinnten, wie dem späteren Komponisten der ddr-Hymne, dem Komponisten Hanns Eisler, und dem musikalischen Begleiter von Karl-Kraus-Vortragsabenden, Georg
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Knepler, hatte, ab. Er war ein militanter kalter Krieger. Nach der Dorsch-Affäre nannte ihn die kommunistische »Volksstimme« einen »Sittenrichter ohne Sitten«. Es ist verständlich, dass Weigel in einer Zeit, in der Österreich noch nicht frei und souverän war, jedes Nachgeben gegenüber dem immer noch gefährlichen Kommunismus verurteilte und in einer Aufführung von Werken Brechts eine solche ideologische Form der Nachgiebigkeit erblickte. Problematisch war, dass er diese Haltung auch noch beibehielt, als Österreich durch den Staatsvertrag aus der sowjetischen Schusslinie ausgeschieden und frei war. Schade war es auch, dass das Scala-Theater auf der Wieden, an dem hervorragende Schauspieler wie Karl Paryla und Wolfgang Heinz wirkten, einer finanziellen Aushungerungspolitik zum Opfer fiel und diese Schauspieler, nachdem das Theater zusperren musste und sogar abgerissen wurde, nach Ost-Berlin abwandern mussten. Doch in einem Krieg, wenn er auch nur ein kalter war, wird nun eben einmal, und zwar immer wieder, übers Ziel geschossen. Eines lässt sich, ohne Weigel zu nahe zu treten, doch mit Fug und Recht sagen : Seine Funktion als kalter Krieger zählt nicht zu den Ruhmesblättern seiner an Ruhmesblättern im Übrigen reichen Biografie. Noch problematischer als seine Militanz als kalter Krieger war seine große Milde gegenüber den Resten des Nationalsozialismus, seine fehlende Bereitschaft, seinen Beitrag zur Aufarbeitung der österreichischen Vergangenheit zu leisten. Doch es war noch schlimmer, er wirkte den Ansätzen und Bestrebungen zur Vergangenheitsbewältigung entgegen, wenn er 1945 im »Wiener Kurier« schrieb : »Wir haben einander nichts vorzuwerfen. Seine Toten kann keiner lebendig machen, bei euch sind viele tot und bei uns. Wir Überlebenden aber sind quitt. Wir denken gar nicht allzu viel an gestern.« Diese Haltung wurde natürlich von den überlebenden Nationalsozialisten, die gerade im österreichischen Kulturbetrieb wieder auftauchten und auftraten, als ob nichts geschehen gewesen wäre, als wertvolle Schützenhilfe begrüßt. Und Weigel hatte im Gegensatz zu seiner Kommunistenscheu und -hatz keine Berührungsängste mit ehemaligen Nationalsozialisten. Ich selbst war als sozialistischer Student an einer Aktion beteiligt, die als Protest gegen die Wiederzulassung des Theaterwissenschaftlers Heinz Kindermann als Professor am gleichnamigen Institut an der Universität 1955 gerichtet war. Kindermann hatte sich den Nazis nicht nur notgedrungen angepasst, sondern hatte in seinen Schriften antisemitische Fleißaufgaben und nicht bloße Pflichtübungen gemacht. Gegen diese Rehabilitierung eines prominenten Nationalsozialisten, dem es 1943 gelungen war, sogar ein eigenes Institut mitten im Krieg zu etablieren, wollten wir damals auftreten. Wir hatten schon
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Knallfrösche und andere Utensilien, die den Verlauf der Antrittsvorlesung stören, ja verunmöglichen sollten, hergerichtet und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Doch es kam anders. Unser Plan wurde durchkreuzt und die Vorlesung einfach abgesagt, unsere Vorbereitungen waren offenbar nicht unbemerkt geblieben. Zu unserer nicht geringen Überraschung war unter denen, die gekommen waren, um die Vorlesung zu besuchen und keineswegs zu stören, Hans Weigel, der deutlich machte, dass seine Sympathien nicht uns galten, sondern Heinz Kindermann, der seine Vorlesung zelebrieren wollte. Auch sonst machte Weigel aus seiner toleranten Haltung gegenüber ehemaligen Nationalsozialisten keinen Hehl, er gab sogar der rechtsradikalen »Deutschen Soldatenzeitung« ein Interview und scheute sich auch nicht, im Ennstaler Kreis und beim Pürggtreffen, bei dem sich ehemalige Nazis um ihre Rehabilitierung bemühten, ohne ihrer alten Gesinnung genügend abzuschwören, aufzutreten. Im Gegensatz zu Friedrich Torberg, der gleich Weigel militanter Antikommunist, aber dagegen war, sich mit den Tätern auf Kosten der Opfer des Dritten Reiches zu versöhnen, und der Weigel wegen seiner Haltung auch kritisierte, lehnte Weigel trotz seiner jüdischen Herkunft jede Solidarisierung mit den jüdischen Opfern ab. Diese Haltung ist auch im Rückblick nicht nur unverständlich, sondern auch unverzeihlich. Denn wenn er auch das Recht hatte, die Rassentheorie des Nazismus abzulehnen und nicht auf sich angewendet wissen wollte, und wenn er auch keine Verbindung zur jüdischen Religion hatte, so hatte er doch nicht das Recht, sich von der jüdischen Schicksalsgemeinschaft loszusagen und von ihr auszuschließen. Im Übrigen hatte Hans Weigel sehr wohl ein religiöses Empfinden, wenn auch kein jüdisches mehr, so erzählte mir Elfriede Ott, die er wiederholt bat, ihm ein Partikel der Hostie, die sie bei der heiligen Kommunion empfing, mitzunehmen und nach Hause zu bringen. Hans Weigel hatte das Glück gehabt, in der Schweizer Emigration im Vergleich zu den meisten anderen Vertriebenen relativ komfortabel zu überleben. Diese Tatsache und der Umstand, dass er nicht, wie etwa Friedrich Torberg oder Gerhard Bronner, den Großteil seiner Verwandten im Holocaust verlor, hätte aber kein Grund sein dürfen, sich mit seinen Leidensgenossen nicht zu solidarisieren, ganz im Gegenteil. Doch auch für Hans Weigel gilt, was ich im Zusammenhang mit Thomas Bernhard ausgeführt habe und was auch ganz allgemein gilt : dass Charakterschwächen, ja selbst ausgesprochene Defekte, kein Grund sein dürfen, das Werk des Trägers schlechter Eigenschaften zu missachten oder in Misskredit zu bringen. Es ist über einen Menschen auszusprechen, was Sache und Tatsache
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ist. Und es ist auch das Werk unabhängig von Einwänden des Charakters selbstständig zu würdigen. Die Abwägung, in welchem Verhältnis das Werk eines Menschen zu seinem Wesen steht und wie dieses Wesen insgesamt moralisch zu beurteilen ist, sollten wir einer höheren Instanz überlassen und uns nicht zu Richtern aufschwingen.
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Thomas Bernhard (1931–1989) Der dichterische Leidenskönig
Wenn ich Thomas Bernhard in den Kreis der von mir Porträtierten aufnehme, so nicht deshalb, weil ich mich einer engen Beziehung und Verbundenheit mit ihm rühmen kann, hat es sich doch um eine relativ flüchtige Beziehung mit einer Reihe von Begegnungen an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten gehandelt. Doch auch eine flüchtige Beziehung kann erwähnenswert sein, besonders wenn Anlass besteht, so etwas wie Selbstkritik zu üben und dem Verstorbenen Abbitte zu leisten. Unsere Beziehung war zwar flüchtig, unsere geistige Verwandtschaft aber nahe genug, um das Misslingen dieser Beziehung, die in diesem Fall mir zur Last fällt, zu dokumentieren und zu bedauern. Doch zunächst die nicht gerade sehr ergiebigen Fakten. Natürlich war ich, seit der Stern Thomas Bernhards am literarischen Himmel auftauchte, bemüht, möglichst viele seiner schnell aufeinanderfolgenden Werke zu lesen. Vieles an seinen Ausführungen und Aussagen sprach mich an, was mich abstieß, waren seine heftigen Angriffe auf die katholische Kirche, die dieser meiner festen Überzeugung nach Unrecht zufügten, obwohl die schlechten Erfahrungen im Salzburger Borromäum diese verständlich erschienen ließen. Eines Tages schrieb ich ihm noch dazu nicht mit der Maschine, sondern, um den persönlichen Charakter zu betonen, mit der mir eigenen eigentümlichen Handschrift, die zu entziffern gar manchem nicht leicht fällt. Ich war daher auch nicht erstaunt oder beleidigt, keine Antwort zu erhalten. Später erfuhr ich, dass Bernhard an ihn ergangene Post, wenn sie nicht gerade von seinem Verleger stammte, nicht nur nicht beantwortete, sondern gar nicht erst öffnete. Also hätte auch ein säuberlich maschingeschriebenes Schriftstück meinerseits kein Glück bei ihm gehabt. Unabhängig von dieser Vorgeschichte, die eigentlich gar keine ist, aber trotzdem nicht unerwähnt bleiben soll, kam ich mit Bernhard in Kontakt, als ich ihn nach einer seiner Lesungen als Sammler solcher weltlichen Reliquien um ein Autogramm bat. Während er aber die anderen Autogrammjäger stumm mit seiner Unterschrift abfertigte, sagte er zu mir, noch dazu mit einem gewinnenden Lächeln : »Ich kenne Sie«, und schrieb in der Widmung meinen Namen ein. Seither trafen wir uns, meist zufällig, in der Straßenbahn, die er von seiner Döblinger Wohnung aus nahm, um in die Stadt zu kommen, oder in den
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nicht mehr existierenden Döblinger Kaffeehäusern Grillparzer und Zögernitz. Wir kamen ins Gespräch und entdeckten einige Gemeinsamkeiten : So schien er von meiner Kritik an der spö und am technokratischen Führertyp Vranitzky angetan, meine positive Einstellung gegenüber der katholischen Kirche gefiel ihm weniger gut. Er sagte ein um das andere Mal, was ihm sein Großvater, der Schriftsteller Johannes Freumbichler, mit auf den Lebensweg mitgegeben hatte : »Die Kirche und die Pfarrer verbriefen etwas, was es nicht gibt.« Dem standen freilich ehrfürchtige Aussagen über den Gekreuzigten gegenüber. War er doch selbst ein physisch und psychisch leidender Mensch. Eines Tages trafen wir einander im Ausland, ich weilte über Silvester 1977 mit meiner Mutter im Dubrovnik. Bei einem Spaziergang durch die Altstadt wurden wir durch unsere engsten Bezugspersonen einander wieder zugeführt. Er war nämlich mit seiner Wahltante, seinem »Lebensmenschen« Hedwig Stavianecek, unterwegs. Wir trafen uns dann zweimal ohne unsere Begleitpersonen, deren Begleitpersonen wir unsererseits waren, und tauschten nicht nur Freundlichkeiten aus, sondern kamen auch auf existenzielle und höchstpersönliche Dinge zu sprechen. So glaubte ich aus seinen sich selbst ironisierenden, aber trotzdem durchaus ernst gemeinten Worten über sich selbst herauslesen zu können, dass er gleich mir einen gewissen Abscheu vor körperlichen Kontakten, ob nun mit dem eigenen oder fremden Geschlecht, hatte und hegte. Alle diese Begegnungen waren durchaus erfreulich, wenn auch nicht amikal. Bis ich eines Tages aus mir nicht erinnerlichen und daher auch nicht nachvollziehbaren Gründen einen Angriff gegen ihn startete, den ich im Folgenden veröffentliche, obwohl ich heute nicht mehr dazu stehe und über meine damaligen Motive rätsle. Manchmal blickt man eben auf unzweifelhaft aus der eigenen Feder stammende Auslassungen wie auf abgetragene Kleider zurück, von denen man sich nachträglich fragt, wie man eben diese tragen und ertragen konnte. Jedenfalls fügte ich unserer losen, aber bis dahin durch gegenseitige Wertschätzung charakterisierten Beziehung einen nicht wieder gut zu machenden Schaden zu. Welcher Teufel ritt mich damals ? In diesem Zusammenhang kommt mir eine Aussage Martin Luthers in seiner Kampfschrift gegen Erasmus von Rotterdam in den Sinn, dass wir immer »von Gott oder dem Teufel« geritten werden. Nun, ich wurde vor der Abfassung des Beitrags »Warum Bernhard (noch) kein Moralist ist« und seiner Veröffentlichung im »profil« im Oktober 1985 zweifellos vom Teufel geritten, der mir keinen guten Text eingab. Zum Glück habe ich andere, um vieles bessere Texte geschrieben, sodass ich es mir leisten zu können glaube, diesen Text, mit dem ich das Ende meiner Beziehung mit Thomas Bernhard her-
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beiführte, gleichsam dokumentarisch wiedergeben zu können, ohne mich dazu bekennen zu müssen. Ich ging jedenfalls ohne zwingenden Grund oder aus fragwürdigen Gründen auf den Dichter los, was mir später leid tat und heute mehr denn je tut, zumal ich erfahren habe, dass er sich über diesen unerwarteten Angriff aus meiner bis dahin so wohlwollenden Ecke nicht nur wunderte, sondern auch kränkte. Wenn ich den Text im Folgenden ungekürzt wiedergebe, hoffe ich, tätige Reue zu üben, die den Angegriffenen versöhnen könnte, wenn er nur rechtzeitig und nicht verspätet, ja zu spät, erfolgt wäre. Ich schrieb damals : »Die Auseinandersetzungen rund um den Autor Thomas Bernhard haben sich zuletzt auf die falsche und irreführende Frontstellung : hier ein unbeugsamer Moralist, dort ein in Anhänger und Bewunderer einerseits, Unverständige, Neider und Gegner anderseits gespaltenes Publikum, aus dem einige betroffene Politiker negativ hervorragen, zugespitzt. Doch die Frontstellung, die durch das Für und Wider, das Hin und Her der öffentlichen Bewegung rund um diesen zum ›Fall‹ gewordenen Autor entstanden ist, ist schon deshalb schief und zu hinterfragen, weil Thomas Bernhard, unbeschadet seiner unbestreitbaren literarischen Qualitäten, ja seiner Singularität, eines mit Sicherheit nicht ist : nämlich ein Moralist. Da ihm einige seiner Bewunderer diesen Ehrentitel taxfrei verliehen haben und er selbst dieser Apostrophierung nicht widersprochen hat, sondern sie sich gern gefallen lässt, muss er gewärtig sein, dass dieser Anspruch kritisch überprüft und untersucht wird, ob sein Werk bzw. sein Leben eine solche schmeichelhafte Charakterisierung rechtfertigt. Stellt man einen solchen Versuch der Konfrontation von Anspruch und Wirklichkeit an, muss man zum Schluss kommen, dass Thomas Bernhard die ihm zuteil gewordene Rangerhöhung nicht verdient hat, dass er sie weder durch sein Werk noch durch sein Leben einlöst. Zum Ersten darf man von einem Moralisten verlangen, dass er das System deklariert, von dem aus er bestehende Zustände und Verhältnisse, agierende Personen und deren Handlungen beurteilt und kritisiert. Denn wenn ein solcher Wertmaßstab nicht zu erkennen ist, hat jede und auch die berechtigte Kritik etwas Zufälliges und Beiläufiges, sie ist dann punktuell und impressionistisch, aber es geht ihr das Pathos einer auf grundlegenden Einsichten basierenden Empörung ab. Nun ist im Werk von Thomas Bernhard beim besten Willen nichts zu erkennen, was auch nur im Entferntesten nach einem festen Standort aussieht. Bernhard ist ein erklärter Gegner der christlichen, insbesondere der katholischen Moral, aber auch dem Sozialismus als utopischem Entwurf und Maßstab zur
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Veränderung der Gesellschaft vermag er offenbar nichts Positives abzugewinnen. Auch alle anderen wertbildenden und -stützenden Einheiten, wie die Familie und der Staat, ernten vonseiten Bernhards nur Spott und Hohn, ja sein letztes Werk ›Alte Meister‹ liest sich passagenweise wie ein Bekenntnis zum Anarchismus, das Bernhard umso leichter ablegen kann, als der gelästerte Staat ohnehin die Ungestörtheit des Bernhard’schen Schaffens garantiert und alle übrigen Leistungen, die er anderen Mitgliedern der Gesellschaft gegenüber vollbringt, den nur auf sich konzentrierten Autor ohnehin nicht kümmern. Die Kritik Bernhards an allem und jedem verträgt sich gut mit Verkaufserfolgen, weil es sich bei seiner Kritik um eine solche handelt, die alle und damit auch niemanden betrifft, mit der man sich identifizieren kann, ohne die geringsten Konsequenzen für sich persönlich zu ziehen. Die generelle Denunziation liefert denen, die sich betroffen fühlen müssten, gleichzeitig auch das Gegengift und Exkulpation. Da keine Ansatzpunkte der Reform angegeben werden, dürfen sich alle in dem Bild der Schlechtigkeit, das der Autor zeichnet, wiedererkennen, brauchen ihm aber auch nicht zu entfliehen, da es sie ohnehin immer wieder einholt. Dieselbe linke Schickeria, der es sonst nicht progressiv und optimistisch genug zugehen kann, solidarisiert sich in diesem Fall mit einem Autor, der nicht nur die Revolution, sondern auch die vermittelnden Schritte der Reform ablehnt, sondern alles im Grau einer Totalkritik untergehen lässt, die gerade dadurch, dass sie nicht differenziert, ihre Funktion als Kritik verfehlt und einer Verewigung der bestehenden Verhältnisse und Missstände Vorschub leistet. Doch es gibt noch einen zweiten und schwerwiegenderen Grund, warum man Thomas Bernhard, jedenfalls vorläufig und bis zum Beweis des Gegenteils, den Ehrentitel des Moralisten absprechen muss. Denn alle literarischen Moralisten, von Voltaire über Emile Zola, der mit seinem flammenden ›J’accuse‹ den Prozess der Rehabilitierung des zu Unrecht verurteilten französischen Hauptmanns Dreyfus einleitete, bis zum unvergesslichen Heinrich Böll, der Alexander Solschenizyn beherbergte und sich auch sonst zahlloser Anliegen und Personen annahm, haben eines gemeinsam gehabt, was Thomas Bernhard völlig abgeht und was einen Schriftsteller erst zum Moralisten macht : dass er sich für die Anliegen von Kollegen und Gruppen, von Verfolgten und Bedrückten einsetzt und das durch sein Werk angesammelte materielle und prestigemäßige Kapital anderen zugutekommen lässt. Gerade dieses Element der Transzendierung der eigenen Individualität und des eigenen Werkes in Richtung auf humanitäre Aspekte, die nicht notwendigerweise politische sein müssen, aber jedenfalls den Horizont des lieben oder gar nicht so lieben eigenen Ichs überschreiten, fehlt bei Thomas Bern-
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hard, soweit öffentlich erkennbar, völlig. Bernhard lässt die konkreten Leiden seiner Zeitgenossen ungerührt an sich vorbeiziehen und wendet sein Mitgefühl und seinen schriftstellerischen Einsatz nur fingierten Personen zu. Wer aber mit den Möglichkeiten eines Thomas Bernhard an den Leiden der wirklich lebenden Menschen vorbeilebt und für nichts einsteht, was nicht unmittelbar dem eigenen Schaffen und Vorteil dient, muss sich den Verdacht gefallen lassen, dass er nur in das Gewand des Moralisten geschlüpft ist und seine Pose angenommen hat, weil auch dies eine wirkungsvolle Masche zur Vermarktung der eigenen narzisstischen Persönlichkeit ist. Erst ein Thomas Bernhard, der sich und sein Werk humanitären Anliegen öffnen würde, ohne seiner künstlerischen Substanz Abbruch zu tun, würde zu jener menschlichen Größe vorstoßen, die diesem großen Autor vorläufig noch fehlt.«
Soweit meine damalige Meinung. Wenn ich in dem Profil-Artikel moralische Vorwürfe gegen Thomas Bernhard erhoben habe, so sehe ich dies heute anders. Und dies nicht nur deshalb, weil der Autor in seinem Büchlein »Wittgensteins Neffe«, dem er den Untertitel »Eine Freundschaft« gab, meine und alle sonstigen Angriffe auf seine moralische Integrität mit der Selbstcharakterisierung »Ich bin kein guter Charakter. Ich bin ganz einfach kein guter Mensch« gegenstandslos zu machen schien. Trotzdem klagte er sich selbst an, den kranken Freund gemieden und nicht besucht zu haben, und ließ den schlechten Charakter nicht als Ausrede gelten. Wir Menschen fühlen uns also trotz unsere Schwächen und Schlechtigkeiten für unser Tun und Lassen verantwortlich. Daher klage ich mich an, Thomas Bernhard mutwillig gekränkt zu haben, wie er sich anklagt, seinen Freund verlassen zu haben. Nicht einmal die Teufel, die uns geritten haben, sind eine Ausrede, wohl aber ein Milderungsgrund, denn es steht doch wohl in unserer Macht, Gott vor dem Teufel den Vortritt zu lassen. Heute sehe ich ein, dass ich nicht nur nicht berechtigt war, einen moralischen Vorwurf gegenüber Bernhard zu erheben, und dies nicht nur deshalb, weil ich mich selbst keines nur guten Charakters rühmen kann, denn sonst dürfte wohl niemand je eine Verurteilung seiner Mitmenschen wagen, um die man aber in der Praxis des Lebens nicht herumkommt. Ich hatte abgesehen von dieser prinzipiellen Überlegung auch in der Sache unrecht. Denn ein Mensch, der so viel gelitten hat wie Bernhard und sich in seinem Schaffen so verausgabt hat, hat wohl das Recht, sich auf sich selbst zu konzentrieren und das Schicksal anderer auf sich beruhen zu lassen, und außerdem sind Künstler, wenn man der Analyse Freuds folgt, nicht nur exhibitionistische, sondern auch narzisstische Persönlich-
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keiten, die keine starke soziale Ader haben, auch wenn sie nicht so leidvoll leben mussten, wie Thomas Bernhard es musste. An dieser Stelle meine heutige Einschätzung des Werkes von Thomas Bernhard, die wohl nicht nur von dem allzu früh verstorbenen Wendelin SchmidtDengler, sondern auch von anderen Germanisten und literarischen Konsumenten geteilt wird. Thomas Bernhard ist eine Erscheinung, die die bis dahin wirkenden Stars des Literaturbetriebs, wie Heimito von Doderer und Alexander Lernet-Holenia, aber auch die des gegenwärtigen an Breite und Tiefgang des Œuvres, an Resonanz und Anklang im Ausland, übertrifft, und dies schon deshalb, weil er nicht bloß klassische Prosa, sondern auch Dramen, die die Theaterwelt erobert haben, produziert hat. Es ist also keine Schmeichelei aus schlechtem Gewissen, wenn man ihm unter den österreichischen Schriftstellern und Dichtern einen einzigartigen Rang einräumt, der das Wort »unübertrefflich«, mit dem man vorsichtig umgehen soll, rechtfertigt. Als weibliches Gegenstück zu Thomas Bernhard könnte man allenfalls nur noch die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek gelten lassen. Thomas Bernhard ist auch eine Wortschöpfung hoch anzurechnen, die er aus eigener Erfahrung in die Literatur eingeführt hat : der Begriff des Lebensmenschen nämlich, der auch in andere Sprachen, wie im Englischen durch das Vokabel »life-person«, Eingang gefunden hat. Der eigentliche Lebensmensch, den jeder Mensch kraft der Geburt, mit der er ins Dasein getreten ist, hat, ist die eigene Mutter, zu der Thomas Bernhard kein gutes Verhältnis gehabt hat. Umso mehr wusste er die Fürsorge seines Lebensmenschen Hedwig Stavianicek zu schätzen. Wahlverwandtschaften und erst recht Lebensmenschen kann man sich im Gegensatz zu den Blutsverwandten aussuchen. Freilich muss eine gewisse Affinität vorliegen, sodass das Sprichwort »Gleich und gleich gesellt sich gern« viel eher zutrifft als das ihm widersprechende »Gegensätze ziehen sich an«. Gegensätze vermögen sich zwar anzuziehen, aber sie begründen keine lebenslängliche Verbundenheit wie die Lebensmenschen, die oft die Funktion von menschlichen Engeln und Schutzgeistern haben. Der von Thomas Bernhard eingeführte und praktizierte Begriff »Lebensmensch« ist für jeden einzelnen die Veranlassung, sich zu fragen, wer dieser Lebensmensch ist, den man sich ausgesucht hat und der einem doch auch zugefallen ist. Und mehr als einen Lebensmenschen oder höchstens zwei hat wohl niemand in seiner Lebensbilanz vorzuweisen, wobei das Bewusstsein der Lebensmenschlichkeit nicht immer gleich wie der Blitz einschlägt, sondern sich erst in der Lebensbewährung entwickelt und entfaltet. Auch ich habe das Glück, über so einen Lebensmenschen zu verfügen, einen
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geistigen Ziehsohn, der zwar, schon bedingt durch die räumliche Distanz, nicht immer an meiner Seite war, aber immer, wenn Gefahr im Anrollen war oder wenn es ein besonderes Fest zu feiern gab, an meine Seite trat. Auch eine burgenländische Arztfamilie, deren einen Sohn ich zur Firmung führen durfte, hat Züge einer Lebensmenschenschaft. Mehr sollte man sich, ohne unbescheiden zu werden, auch nicht erwarten. Als ich, schon ziemlich gegen Ende der Arbeit an meinem Buch, diese sehr persönlichen ergänzenden Zeilen schrieb, konnte ich nicht ahnen, dass mir in meinem Leben noch ein Ereignis bevorstehen sollte, das alles bisher Erlebte an Ungewöhnlichkeit übertraf. Ausgerechnet an meinem 77. Geburtstag, am 31. Mai 2010 erlitt ich auf dem Weg zu meinem ältesten Schul- und Lebensfreund Alfred Missong einen Sturz auf der Straße, an den ich mich nicht erinnern kann, der mich also urplötzlich und ohne Vorwarnung ereilt hat. Ich wachte, offenbar von der Rettung dorthin gebracht, im Spital auf, wo man eine Schädelfraktur und leichte Gehirnblutungen bei mir feststellte, die aber keinen operativen Eingriff erforderlich machten. Nach einer Woche wurde ich nach Hause entlassen. Ich beging den Fehler, an diesem Abend auszugehen und an einer Versammlung in der Nationalbibliothek, zu deren Sponsoren ich gehöre, teilzunehmen. Ich telefonierte abends noch mit meinem Freund und versuchte, zu Bett zu gehen, war aber außerstande, mich auszuziehen und hinzulegen. Stattdessen kam ich in einem benommenen Zustand zu Fall und war unfähig, das nahegelegene Telefon oder Handy zu erreichen. Als mein Freund mich in der Früh nicht erreichte, ergriff er die Initiative und brach mithilfe der alarmierten Polizei meine Wohnungstür auf. Dieses Handeln befreite mich aus meiner misslichen und gefährlichen Lage und rettete mir wahrscheinlich das Leben, denn ein weiteres Verharren in diesem Zustand hätte eher früher als später zum Versagen meiner Kräfte und zum Hinübergleiten in eine bessere Welt geführt, die mir aber offenbar noch nicht bestimmt war. So erhielt ich am Morgen des 9. Juni 2010 mein schwindendes Leben zurückgeschenkt und lebe seither in noch viel intensiverem Bewusstsein der Vergänglichkeit als vorher. Nach allem, was ich schon vorher über mich berichtet hatte, durfte ich dieses dramatische Ereignis und die Zäsur, die es mit sich brachte, nicht verschweigen, sondern musste es, gleichsam frisch erfahren, den Lesern, die Interesse an meinem Leben zeigen, wenn sie mein Buch lesen, präsentieren, auch in der Überzeugung, dass es sich nicht um einen bloßen Zufall, sondern um ein schicksalhaftes Ereignis, ja eine göttliche Mahnung handelt.
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Friedrich Heer (1916–1983) Der Intellektuelle Österreichs schlechthin
Es besteht kein Zweifel, dass Friedrich Heer der bedeutendste, am weitesten ausstrahlende und farbigste Intellektuelle der Zweiten Republik ist. Er verfügte über eine immense Schaffenskraft, eine stupende Vielseitigkeit und eine enorme Produktivität. Adolf Gaisbauer hat sich 1990 der Mühe unterzogen, eine Bib liografie von nicht weniger als 536 Seiten, einen wahren Wälzer akribischer Vollständigkeit, der nicht bloß aufzählt, sondern auch Kommentare zu den Publikationen liefert, herzustellen. Es ist bei einem solchen quantitativen Ausstoß nicht verwunderlich, dass sich in Heers Werk viele Flüchtigkeiten, ja regelrechte Fehler nachweisen lassen, was aber der Genialität seines Schaffens keinen Abbruch tut und im Vergleich zu der Fülle, aus der er schöpfte und die er uns allen zuteilwerden ließ, eine Nebensächlichkeit ist. Allerdings haben sich kleinere Geister und Beckmessernaturen gerade auf diese Schönheitsfehler gestürzt und sie zum Anlass genommen, um Heer der Ungenauigkeit zu überführen, ganz im Sinne des Schiller-Wortes »Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen und das Erhab’ne in den Staub zu zieh’n«. Friedrich Heer steckte an Fruchtbarkeit und Originalität eine ganze Fakultät ein, jedes Mitglied einer Fakultät aber konnte ihm kleinere Verstöße gegen das wissenschaftliche Regelwerk, gegen Zitierweise und andere Hilfsmittel nachweisen. Friedrich Heers großes Verdienst lag in der Darstellung, Erschließung und Aufarbeitung der österreichischen, aber nicht nur der österreichischen, sondern auch der europäischen Geistesgeschichte. Der »Aufgang Europas« und »Die Tragödie des heiligen Reiches« stellten wahre Offenbarungen dar, er verstand es, in Wort und Schrift Studenten und älteren Semestern die faszinierende Welt eines geistigen Universums, das im alten Österreich seine Heimat hatte, nahezubringen. Sein Schreibstil war von barocker Überladenheit, sein Sprechstil von übersprudelnder Getriebenheit. Ein besonders Anliegen Friedrich Heers war die Aussöhnung des Christentums und des Judentums, wie sie im Zweiten Vatikanum Gestalt angenommen hat. Heer wusste und demonstrierte, dass eine solche Aussöhnung nicht möglich ist, ohne den christlichen Antisemitismus, der in dem Heer’schen Werk »Der Glaube des Adolf Hitler« gipfelte, historisch zurückzuverfolgen. Dabei ging
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Heer nicht nur mit der katholischen Amtskirche, sondern auch mit Denkern und Politikern, die sich wie der dissidente Christlichsoziale Anton Orel bei ihrem Antisemitismus auf das Christentum beriefen, hart ins Gericht, manchmal zu hart, denn man kann Persönlichkeiten der Vergangenheit, wenn man nicht eine Art historische Sippenhaftung konstruieren will, Vorgänger und Vorläufer nicht für unvorhersehbare und ungewollte Fernwirkungen ihres Tuns zur Verantwortung ziehen. Aber es bleibt dessen ungeachtet als schwere Schuld der Christenheit die Tatsache bestehen, dass die Christen die Juden im Allgemeinen nicht im Sinne Johannes Pauls II. als »ältere Brüder«, sondern als Fremdlinge betrachtet und behandelt haben. In die österreichische Zeitgeschichte hat sich Friedrich Heer vor allem durch das von ihm nicht nur propagierte, sondern auch gepflegte »Gespräch der Feinde« eingetragen. Heer ging es darum, die hasserfüllte Haltung der beiden historischen Lager der österreichischen Innenpolitik zu überwinden. Denn trotz der großen Koalition, die das erste Vierteljahrhundert der österreichischen Nachkriegsgeschichte politisch dominierte, war das Lagerdenken der Ersten Republik längst nicht überwunden. Die Mentalität der politischen Akteure und deren Anhänger passte sich dem Zwang zur Zusammenarbeit nur unvollständig an, nach wie vor betrachteten viele Lagerangehörige das eigene Lager als das alleinseligmachende und das andere höchstens als ein notwendiges Übel. Wenn Heer versuchte, Brücken zwischen den Lagern zu schlagen und das Gute und Richtige in beiden zu entdecken, so begab er sich ins Zwielicht. Das dritte Lager, das am Ende der Ersten Republik von Ausnahmen abgesehen zum Nationalsozialismus übergegangen ist, hat sich erst seit 1949 regeneriert und ins politische Spiel eingebracht. Dieses Lager hat seine Vergangenheit noch weniger selbstkritisch aufgearbeitet als die beiden anderen, obwohl es mehr Gründe hatte, in sich zu gehen und den Resten einer dunklen Vergangenheit abzuschwören. Friedrich Heer musste am eigenen Leibe und mit blutendem Herzen erleben, dass seine Bemühungen um eine Transzendierung der Lagermentalität nicht nur auf Bewunderung und Gegenliebe stießen, sondern auch auf Ablehnung und Abwehrreaktionen. Diese manifestierten sich in einem allerdings auch von ihm selbst provozierten Ausschluss aus dem cv, der traditionellen Kaderschmiede des katholisch-konservativen Lagers. Ein Widersacher Heers, der auch seine volle akademische Etablierung verhindern konnte, war der langjährige Unterrichtsminister Heinrich Drimmel, der, wie mir August Maria Knoll nach einem Besuch bei ihm brühwarm erzählte, auf die Frage Knolls »Wann wird der Friedrich Heer endlich Ordinarius ?« trocken antwortete : »Bis die Bolschewiken kom-
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men.« Dabei war Heinrich Drimmel ein Intellektueller von Format, der aber trotz großkoalitionärer Praxis, so bei der Verabschiedung der Schulgesetze im Parlament 1962, noch vom Freund-Feind-Denken der Ersten Republik geprägt war. Ich erinnere mich an eine Rundfunkdiskussion, an der ich neben Friedrich Heer und Heinrich Drimmel teilnahm. In der Vorbesprechung zur Sendung fragte Heer Drimmel ganz direkt, warum dieser ihn so ablehnte. Die Antwort Drimmels war kurz, aber vielsagend : »Ich habe nicht gerne den Feind in den eigenen Reihen.« Drimmel bekämpfte in seinem Machtbereich alles, was auch nur im Geruch des »Sinistrismo« stand. Unter Sinistrismus verstand Drimmel alle Fehlentwicklungen seit der Französischen Revolution, ja seit der Renaissance, während in der Gotik der Kathedralen die Welt noch heil und im Einklang mit Gott war. Anfang der Sechzigerjahre hielt Drimmel im gesteckt vollen Auditorium maximum einen Vortrag zum Thema »Sinistrismo und Rechtsabweichungen«. Dieser Vortrag wäre schon vor dem Ende des Jahrzehnts der Sechzigerjahre in einem Proteststurm untergegangen. Damals aber blieben seine Ausführungen von Missfallenskundgebungen unbehelligt. In diesem Vortrag führte Drimmel aus, dass der eigentliche Feind besagter Sinistrismo war, den er so weit als möglich von seinem Einflussbereich fernhalten wollte. Und Drimmel hatte in seiner Sphäre Mitte der Fünfziger- bis Mitte der Sechzigerjahre einen ähnlich starken Einfluss wie Julius Raab im politischen und Reinhard Kamitz im ökonomischen Bereich. Seine Personalpolitik entsprach dem, was er in dem erwähntem Vortrag ausgeführt hatte : der Hauptfeind steht links, demgegenüber beurteilte er die »Rechtsabweichungen« vom rechten Pfad, wie Faschismus und Nationalsozialismus, relativ milde, als verirrte Brüder im Geiste, die durch eine fehlende Verbindung mit der Kirche in die Irre gegangen seien, obwohl auch sie von der Sehnsucht nach einer umfassenden Ordnung getragen gewesen seien. Daher war Drimmel ein pardonierter Nazi, der aber zu Kreuze kroch, lieber als ein Linkskatholik. So versuchte er, den Deutschen und Ritterkreuzträger von der Heydte gegen den Linkskatholiken Stephan Verosta als Völkerrechtler an der Universität durchzusetzen. Drimmel begann, nachdem er sich nach einem Zwischenspiel als schwarzer Vizebürgermeister der Stadt Wien 1964–1969 ganz aus dem politischen Leben zurückgezogen hatte, eine zweite Karriere als Schriftsteller, der die österreichische Vergangenheit in mehr als einem Dutzend Büchern aus konservativer Sicht darstellte und analysierte. Friedrich Heer und Heinrich Drimmel waren nicht gleichrangig, weder im Hinblick auf die gesellschaftliche Funktion noch was die Qualität ihrer litera-
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rischen Produktion anbelangte, in der Heer Drimmel weit überragte. Drimmel agierte noch mit dem kirchlichen Rückenwind der vorkonziliaren Zeit und konnte in diesem Sinne in seinem zitierten Vortrag sagen : »Es gibt im Grunde nur Rom und Moskau. Alles, was dazwischenliegt, ist ein bunter Haufen brodelnder Ideologien.« Doch dieser Rückenwind kam Drimmel durch das Zweite Vatikanum abhanden. Und Moskau ist inzwischen auch längst nicht mehr das, was es Anfang der Sechzigerjahre noch war. Dieses Beispiel lehrte mich, wie schnelllebig unsere Zeit ist, so dass selbst fest gefügt scheinende Mächte diese ihre Macht verlieren. Dabei hätte Drimmel als Katholik nur die Worte beherzigen müssen, die im Rahmen der Zeremonie zur Inthronisation des Papstes noch bei Paul VI. ausgesprochen wurden. Zur dreimaligen Verbrennung eines Büschels Werg (Hanf ) vor den Augen des zu Inthronisierenden wurden dreimal die Worte »Sancte pater, sic transit gloria mundi« gesprochen, und der, dem gerade eine Machtfülle übertragen wurde, wurde gleichzeitig auch an deren Vergänglichkeit gemahnt. Und was für die kirchliche Macht gilt, gilt für die politisch-weltliche umso mehr. Die Versuchung Jesu, sich der Macht zu unterwerfen und irdische Königreiche zu errichten, macht auch vor der Kirche selbst nicht Halt. Unter diesem Aspekt verkörperte Heinrich Drimmel die Anlehnung an die Macht, Friedrich Heer deren Relativierung und kritische Durchleuchtung. Insofern haben auch beide ihren Platz in der österreichischen Zeit- und Geistesgeschichte. Ich setzte mich mit der Gedankenwelt Heinrich Drimmels nach diesem Vortrag bald auch schriftlich auseinander und widmete ihm in meinem Erstlingswerk, das 1963 unter dem Titel »Begegnung und Auftrag« und dem erklärenden Untertitel »Beiträge zur Orientierung im zeitgenössischen Sozialismus« erschien, ein Kapitel, das wiederum unter dem Titel »Sozialismus und österreichische Traditionen. Totes und Lebendiges aus Österreichs Vergangenheit« stand. In diesem Beitrag analysierte ich Drimmels Doppelbödigkeit : Auf der einen Seite bekannte er sich zur Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie, deren Frucht z. B. die Schulgesetze 1962 waren, auf der anderen Seite zeigte er eine bedenkliche Schlagseite nach rechts, wenn er die deutschnationalen, schlagenden Burschenschaften gegen eine »Hetze von Links« verteidigte und damit einen couleurstudentischen Brückenschlag, der mehr der Vergangenheit als der Gegenwart und Zukunft zugewandt war, vornahm. Bedenklich war auch, dass er sich zu einem seiner Amtsvorgänger, dem Wiener Universitätsprofessor Heinrich Ritter von Srbik (1878–1951), bekannte, denn Besagter war nicht nur begeisterter Verfechter einer »gesamtdeutschen Geschichtsauffassung«, die den Anschluss von 1938
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vorwegnahm, er war auch Mitglied des deutschen Reichstages gewesen, der unter Hitler zwar keine großen keine realen Funktionen erfüllte und praktische Bedeutung hatte, umso mehr aber einen symbolischen Stellenwert. Ich übersandte Drimmel diese meine erste Talentprobe und erhielt einen ausführlichen Antwortbrief, der die Ambivalenz seiner Positionen widerspiegelte. Immerhin konnte ich diesem Brief auch einen Brückenschlag mir gegenüber entnehmen, wenn er an einer Stelle uns beide mit der Etikette »unsereiner« bedachte. Es kam dann noch zu wiederholten Begegnungen mit ihm, so bei einem Abend in der Volkshochschule Ottakring, wo er meine dort eingenommene Einstellung gegenüber der Ersten Republik als »couragiert« bezeichnete. Bei einer Veranstaltung im Volksheim Brigittenau traf er die für mich schmeichelhafte Feststellung, dass er es bedauere, dass das bürgerliche Lager über keinen Norbert Leser verfüge. Freilich konnte man diese Äußerung auch so verstehen, dass ich besser ins bürgerliche Lager passe als ins sozialistische. Denkwürdig war auch ein Mittagessen, das im Februar 1970, also kurz vor Beginn der Ära Kreisky, und zwar in einem nicht mehr existierenden Nobellokal am Franziskanerplatz, stattfand. Bei dieser Gelegenheit gingen in Gegenwart Christian Brodas, der zu diesem Mittagessen geladen hatte, seine Sympathiekundgebungen mir gegenüber so weit, dass er mich als »die erste glaubwürdige Verbindung zwischen Sozialdemokratie und Katholizismus« apostrophierte. Trotz all dieser Komplimente bezweifle ich, dass mich Drimmel, wenn er in die Lage gekommen wäre, in den Sattel des Ordinarius gehoben hätte, obwohl, ja gerade weil er meine Kapazität hoch einschätzte. Es wäre bei seiner Grundhaltung durchaus naheliegend gewesen, mich eher als Gefahr denn als Chance einzuschätzen. Denn auch sein Gegenspieler Josef Klaus hatte, wie mir mein Salzburger Mentor René Marcic erzählte, schon meine Habilitation argwöhnisch beobachtet und Marcic gegenüber warnend kommentiert. Im Unterschied zu meiner bloß punktuellen Berührung mit Drimmel war meine Freundschaft und Seelenverwandtschaft mit Friedrich Heer voller Herzlichkeit und von Ambivalenzen ungetrübt. Hatten wir doch einen ähnlichen Weg eingeschlagen : er von rechts kommend wie ich von links, hatten wir uns in der Mitte genähert und dort gefunden. In vielen Gesprächen kamen wir einander, nicht nur im gesellschaftspolitischen Denken, sondern auch in der existenziellen Befindlichkeit näher. So, wenn er gelegentlich zu mir sagte : »Du hast, indem du nicht geheiratet hast, den besseren Weg gewählt. Geistesmenschen wie wir sollten allein bleiben und nicht andere in ihr Unglück hineinziehen.« Auch die Widmungen seiner Bücher verraten ein Vertrauens- und Naheverhältnis. So schrieb
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er in seinem unter dem Pseudonym Hermann Gohde veröffentlichten Roman »Der achte Tag« die berührenden Worte : »Lieber Norbert. Es ist so schön, dass es Dich gibt.« Heer beließ es aber nicht bei diesen privaten Zuwendungen : Er dokumentierte seine Verbundenheit auch öffentlich. So schrieb er ein Nachwort zu dem 1981 im Böhlau Verlag erschienenen ersten Band der »Grenzgänger. Österreichische Geistesgeschichte in Totenbeschwörungen«, in dem ich eine Plejade katholischer Intellektueller, zu denen ich auch einen persönlichen Bezug hatte, versammelte und präsentierte. Das ausführliche Postskriptum Heers trug den programmatischen Titel »Salz, Same, Zugvögel«, alle drei als Allegorie mit biblischen Anklängen zu verstehen. Der Hinweis auf das Salz hat es mir besonders angetan, und ich habe auch Jahre später, 1988, dem bisher verkaufsmäßig erfolgreichsten meiner Bücher den Titel »Salz der Gesellschaft. Wesen und Wandel des österreichischen Sozialismus« gegeben. In diesem Buch, das mir viel, viel Ehre, aber auch viel Ablehnung einbrachte, ging ein Same, den Heer in mir gesät hatte, als Frucht auf. Auch das Bild des Zugvogels, dessen Flug durch einen unwiderstehlichen Antrieb in Gang gehalten wird, der sich über alle Niederungen erhebt, ist geeignet, sowohl Heer als auch mich, aber auch das, was uns verband und zusammenführte, zu charakterisieren. Wir beide fühlten uns als Kämpfer »um die österreichische Identität«, der wir uns von verschiedenen Ausgangspositionen her näherten. Heer sprach auch die Einsamkeit, die allen von mir porträtierten Persönlichkeiten und uns beiden im Besonderen und in besonderem Maße zukam, an. Er beruft sich auf den großen Denker des Franziskanerordens, Duns Scotus, der die »ultima solitudo« als menschliches Existenzial, gerade des kreativen Menschen, beschwört. Gottfried Benn hat diese letzte Einsamkeit auch ohne religiösen Hintergrund in die Worte gebannt : »Nur, wer allein ist, der ist im Geheimnis, immer seht er in der Bilder Flut«, jener Flut, die die Fantasie anregt, hervorbringt und wie ein perpetuum mobile in Gang hält. Den schönsten Freundschaftsbeweis hat sich Friedrich Heer für den Schluss seines Lebens aufgehoben und mir auf den weiteren Lebensweg mitgegeben. Es war im Sommer des Jahres 1983, in dem ich Heer wieder einmal in seiner Wohnung in der Johann-Strauß-Gasse besuchte, ohne zu ahnen, dass es meine letzte irdische Begegnung mit ihm sein würde. Bei dieser Gelegenheit bat ich ihn, mir das Manuskript eines Artikels zur Verfügung zu stellen, das er, wie man mich wissen ließ, in den Mitteilungen des pen-Clubs, dem wir beide angehörten, zu meinem 50. Geburtstag verfasst hatte. Heer sagte wörtlich zu mir : »Warte nur, bis das Manuskript gedruckt vorliegt. Du wirst dich sehr freuen.« Doch als das Mitteilungsblatt im September 1983 herauskam, war Friedrich Heer, der seit
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Langem an Blutkrebs gelitten hatte, bereits tot. Was Heer in dieser Würdigung aussprach und mir bzw. der Nachwelt hinterließ, übertraf alle meine Erwartungen. Schon die Einleitungsworte des achtseitigen Beitrages, den Heer unter den Titel »Ein Denker der Koexistenz. Norbert Leser zum 50. Geburtstag« stellte, waren ein Paukenschlag : »Norbert Leser ist der Denker der Koexistenz in der Zweiten Republik Österreich. Dies seine Stellung im politischen, im geistigen Leben, dies seine Funktion : erstmalig, in ihrer ganzen Prägung einmalig.« Heer geht in diesem Beitrag liebevoll allen Spuren meines Lebens, aus denen auch der Geist Nahrung bezieht, nach : dem mütterlichen Erbe, dem Burgenland als meiner engeren Heimat, meiner Vorliebe für den Wein, die ich mit Heer teilte, meine depressive Grundhaltung, die aber im Freundeskreis und in geselliger Runde einer Heiterkeit, mitunter sogar Ausgelassenheit weicht. Heer hatte ein Gespür für die Vielseitigkeit, die mich auszeichnet und wissenschaftlich zur Interdisziplinarität von Rechtswissenschaft, Philosophie, Zeitgeschichte und Theologie führt. Bei der letzten Begegnung, die uns beschieden war, konnte ich dem »lieben Fritz«, wie ich ihn gern nannte, noch Mitteilung davon machen, dass die Gründung eines Ludwig-Boltzmann-Institutes für neuere österreichische Geistesgeschichte unter meiner Leitung bevorstehe. Ich verdankte dieses Institut, in dem ich von 1984 bis 2004 meine Lieblingsthemen institutionell betreiben und betreuen konnte, meiner mütterlichen Freundin Hertha Firnberg. Dieses Institut bot mir die Möglichkeit, Symposien und Seminare zu veranstalten und eine eigene Schriftenreihe im Böhlau Verlag zu begründen. Es war mir eine Ehrenpflicht, als eine der ersten Publikationen bereits 1985, also nur zwei Jahre nach Heers Tod, einen Band mit dem Motto und Titel »Briefe an und über Friedrich Heer« herauszugeben, in dem ich Freunde und Weggefährten Heers mit sehr persönlichen Reminiszenzen und Reflexionen, die aber zum Teil auch Briefe in eine andere und bessere Welt waren, zu Worte kommen zu lassen. So verschiedene Persönlichkeiten wie Erika Weinzierl und Prälat Leopold Ungar huldigten jeweils auf ihre Art und mit ihren besonderen Erinnerungen dem für alle zu früh Dahingegangenen, und auch ich stimmte in diesen Chor im Bewusstsein mit ein, eine von Heer autorisierte Solound Sonderstimme einbringen zu können. Umso mehr traf und verletzte es mich, dass im März/April 2006, zum 90. Geburtstag des Verewigten, ein Symposion stattfand, noch dazu in den Räumlichkeiten der Wiener Universität, der ich bis 2001 als Ordinarius angehört hatte, ohne dass ich eingeladen wurde. Diese Tagung ist auch unter dem Titel »Die geistige Welt des Friedrich Heer« als Publikation erschienen. Auch eine Gesamtausgabe der Werke Friedrich Heers wurde in Angriff genommen,
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allerdings kam dieser ehrgeizige Plan aufgrund eines Einspruches der Familie über vier Bände nicht hinaus. Auch in diesem Falle traten die Herausgeber trotz meines dokumentierten Naheverhältnisses zu Friedrich Heer nicht an mich heran. Dabei hat mir Adolf Gaisbauer als Biograf Heers bestätigt, dass sich im gesamten Œuvre Heers keine so ausführliche und liebevolle Würdigung einer lebenden oder verstorbenen Persönlichkeit findet als die, die mir zuteilwurde, ohne dass ich die Initiative zu dieser Ehrung ergriffen hätte. Zu diesem ausschließenden Vorgang, der im akademischen Leben durchaus nicht einzig dasteht, sondern auch Entsprechungen in anderen Fachbereichen hat, ist mir primär das Goethe-Wort eingefallen : »Über das Niederträchtige sich niemand beklage, es ist das Mächtige, was man Dir auch sage.« Ja, Friedrich Heer hat mich, aus eigener Erfahrung sprechend, schon zeitlebens auf die erlittene Kränkung schonend vorbereitet, wenn er sagte : »Erwarte nicht, dass die Zweitrangigen deine Höherrangigkeit anerkennen, die Mittelmäßigen bleiben lieber unter sich.« Dass mein Ausschluss aus den erwähnten Vorhaben mala fide erfolgt ist, geht auch daraus hervor, dass nicht direkt in Prioritätsprobleme Verstrickte die Rangordnung, die in den erwähnten Fällen verletzt wurde, sehr wohl erkennen. So hat Hubert Christian Ehalt bei der Feier meines goldenen Doktordiploms und 75. Geburtstages am 27. Mai 2008 im Kleinen Festsaal der Wiener Universität davon gesprochen, dass mir Heer durch seine auf mich bezogene Publikation, die eine der letzten vor seinem Tode war, quasi »den Ifflandring der Geisteswissenschaften« verliehen habe. Im Übrigen entscheidet nicht die Mitwelt, sondern erst die unbestechliche Nachwelt über den Wert und die Beständigkeit wissenschaftlicher und sonstiger Leistungen.
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Ich habe den damals bereits hochbetagten, aber geradezu juvenil wirkenden Philosophen Ernst Bloch in den frühen Siebzigerjahren an verschiedenen Orten und bei verschiedenen Gelegenheiten getroffen und näher kennengelernt. Die erste Begegnungsstätte war Wien, wo Bloch viel beachtete Vorträge hielt, die zweite war Salzburg, wo ich als frisch installierter Ordinarius für Politikwissenschaft Bloch während der Salzburger Festspiele und bei anderen Auftritten erleben und mit ihm ins Gespräch kommen durfte. Am eindrucksvollsten aber war die Begegnung an der Universität Tübingen, wo ich selbst als Redner in Erscheinung trat und natürlich auch eine Vorlesung Ernst Blochs, der seine Tage als Gastprofessor in Tübingen beschloss, besuchte. Der Besuch dieser Vorlesung war ein geradezu umwerfendes Erlebnis. Ich konnte mich selbst weder in Salzburg noch in Tübingen über einen Mangel an Zuhörern beklagen. Was aber Bloch auf die Beine stellte und zustande brachte, war beispiellos und übertraf alle Erwartungen. Der große Hörsaal war so voll, dass Bloch kaum stehen konnte, so umringt war er von Studenten und Studentinnen, die ihm kaum Platz für sich selbst ließen und ihm fast die Kleider vom Leibe rissen. Es war ein feuriger Strom der Rede, der da auf die andächtig lauschenden Zuhörer niederging. Und es war nicht nur ein Strom, sondern es war auch von einem Strom die Rede. Bloch unterschied den »Kältestrom« im Marxismus, den der rationalen Analyse und dialektischen Logik, er bestand aber vor allem auf dem »Wärmestrom«, der sozialen Empathie und dem humanistischen Impetus, der ebenso zum Marxismus gehört wie der Kältestrom. Er schleuderte die Frage in den Raum : »Wozu ist der ganze Sozialismus gut, wenn er eiskalt ist und die Menschen kalt lässt ?« Diese an die Funktionäre gerichtete rhetorische Frage hatte ihn in der DDR, in der er jahrelang als Paradephilosoph des Systems an der Universität Leipzig gewirkt hatte, in Schwierigkeiten gebracht und ihn schließlich sogar in Ungnade fallen lassen. In Tübingen aber war er zwar von keinem politischen System geschützt, aber auch vor keiner staatlichen Stelle in seiner Lehrfreiheit bedroht. Hier konnte er sich zum Entzücken seiner Zuhörer ganz seinen Eingebungen überlassen und hingeben. Unter den 68er-Studenten genoss er jedenfalls große Sympathien, mit dem legendären Rudi Dutschke verband ihn eine persönliche Freundschaft.
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Wie er so dastand und loslegte, schien er mir eine Mischung verschiedener Elemente zu sein, die in seiner Person zusammenflossen. Ein Element seiner Wirkung war die des marxistischen Revolutionärs, der zwar nicht mehr die Partei- und Staatsdoktrin der DDR vertrat, aber der heimatlos gewordenen Linken noch immer eine kollektive Dimension der Verwirklichung anbot. Das zweite Element, das seinem Wesen und Wirken innewohnte, war das des jüdischen Propheten, der eine chiliastische Verheißung verkündete. Schon Marianne Weber, die Gattin Max Webers, mit dem er universitär in Berührung gekommen war, hatte ihn als »Vorläufer eines neuen Messias« bezeichnet, eine Bezeichnung, die keineswegs als Kompliment gedacht war, sondern einen Vorbehalt zum Ausdruck brachte. Aus dieser frühen Heidelberger Zeit ist auch das Scherzwort von den neuen vier Evangelisten »Matthäus, Markus, Lukács und Bloch« überliefert, war Bloch doch mit dem ungarischen Georg Lukács freundschaftlich verbunden, was ihn nicht hinderte, später mit ihm in einen Streit über den Expressionismus zu geraten. Das dritte Element, das aus Bloch hervorbrach, war die schon durch die schwäbische Färbung seiner Sprache manifeste pietistische Note einer weltlichen Frömmigkeit und Feierlichkeit. Last, not least hätte man ihn mit seiner markanten Nase und Gesamterscheinung auch für eine männliche Hexe halten können, für einen Hexerich, der im Mittelalter sicher verbrannt worden wäre. Trotz dem zwischen uns bestehenden Rang- und Altersunterschied behandelte er mich als gleichwertigen Gesprächspartner, er lud mich nach seiner Vorlesung zusammen mit seinem Sohn Jan Robert, seiner Gattin Karola und dem Literaturpapst Hans Mayer zum Nachtmahl in ein nobles Restaurant ein. Mir fiel auf, dass sein Sohn aus dritter Ehe im Gespräch eine gewisse Aggressivität gegenüber seinem Vater an den Tag legte. Später erfuhr ich, dass eben dieser Sohn Jan Robert seinem Vater öffentlich seine Verbeugungen vor den Diktatoren des Kommunismus als mit dem von ihm verkündeten »aufrechten Gang« öffentlich unvereinbar vorgehalten hatte. Und Bloch hatte in dieser Beziehung einiges auf dem Kerbholz, was er später nur zum Teil abarbeitete. Sein in der amerikanischen Emigration geschriebenes Hauptwerk »Das Prinzip Hoffnung« enthielt das fatale Diktum : »Ubi Lenin, ibi Jerusalem«, eine Äußerung, die wiederum die religiöse bzw. pseudoreligiöse Schwarmgeisterei seiner Philosophie illustriert und zum Vorschein bringt. Auch seine Verteidigung der stalinistischen Säuberungen und der Moskauer Prozesse hingen ihm nach, auch als er sich längst von diesen Verirrungen distanziert und befreit hatte. Aber allzu lang war er bereit gewesen, sich mit Ehren überhäufen zu lassen und die gepredigte Weltsicht nicht an der Realität zu messen. Aber all dies ändert nichts daran, dass Ernst Bloch
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ein großer Denker war und blieb, dass er eine originelle und faszinierende Version des Marxismus verfocht, die die eigentlichen Schwächen der marxistischen Doktrin durch Amalgamierung mit anderen Denkströmungen und mit einer Überlagerung durch eine hinreißende Sprache und Rede verdeckte. Doch die Sachwalter des Marxismus erkannten spätestens seit 1956, als er Sympathien für den ungarischen Aufstand zu erkennen gab, dass er ein unsicherer Kantonist und Bundesgenosse war, sie fühlten auch seinem theoretischen System mit ihren Bohrern auf den Zahn und kamen zu dem Schluss, dass »Ernst Blochs Revision des Marxismus« eine Häresie und Abweichung von der allein gültigen materialistischen Lesart des Marxismus war, also nicht nur durch seine Praxis, sondern auch durch sein Denken in die Irre führte. Seine Gegner, wie die Fakultätskollegen Rugard Otto Gropp und Johannes Heinz Horn machten ihm nicht mehr und nicht weniger als den materialistischen Charakter seiner Philosophie streitig, obwohl Bloch beteuerte, in all dem, was er lehrte, Materialist und Marxist zu sein. Noch 1972 versuchte er in seinem Werk »Das Materialismusproblem, seine Geschichte und Substanz« sein Denken als authentisch marxistisch darzustellen. Doch was war das für ein Materialismus, den Bloch lehrte und verkündete ? Es war einer, der viel mehr dem utopischen Denken der vormarxistischen Sozialisten, wie dem ebenfalls prophetischen Moses Heß als dem Materialismus von Marx und Engels verpflichtet war. Schon 1921 hatte er Thomas Münzer als »Theologen der Revolution« entdeckt und schon 1918 den »Geist der Utopie« beschworen. Auch die rein philosophische Seite seiner Philosophie war eine apokryphe und heterodoxe, insofern nämlich, als er die These in den Raum stellte, dass »Die Genesis nicht am Anfang«, sondern am Ende der Geschichte zu suchen sei. Die Gegenwart betrachtete Bloch als ein Zwischenstadium zwischen »Nicht-Mehr« und »Noch Nicht-Sein«. Das Vollkommene, das am Ende der Geschichte liegt, erzeuge einen »Vor-Schein«, der sich im »antizipierenden Bewusstsein« materialisiere. Es dränge die Materie, die ihr vorgezeichneten Inhalte »auszudeterminieren«. Es gäbe in der Natur wie in der Geschichte ein fortwährendes Transzendieren, freilich ohne Transzendenz, denn an der Alleinigkeit der Materie wollte Bloch nicht rütteln. Der Kernsatz der Bloch’schen Philosophie lautet : »Ich bin, aber ich habe mich nicht, darum werden wir erst.« Bloch verzeichnete also keineswegs auf die kollektive Dimension der Umsetzung des in der Materie angelegten Überschusses. Blochs Kritiker wendeten ein, dass die Annahme einer in der Geschichte waltenden Finalität, einer besonderen Kraft, die in der Materie wirkt, dem Materialismus und dem lückenlos geltenden Kau-
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salprinzip widerspreche. Zwar wollten und wollen auch die orthodoxen dialektischen Materialisten zur klassenlosen Gesellschaft gelangen, sie betrachten aber den Kausalmechanismus, der Natur und Geschichte beherrscht, als ausreichend, um dieses Ziel zu erreichen. Die Sachwalter des Diamat rochen den idealistischen Kern in der materialistischen Schale Blochs. Ähnlich wie Alfred Adler und die von ihm begründete Individualpsychologie, die Freud schon deshalb ablehnte, weil in ihr ein Finalitätsgedanke verankert war, der dem strikt kausalen Prinzip der Erklärung des Seelenlebens zuwiderläuft, witterten die orthodoxen Marxisten hinter der Finalität die Einschmuggelung einer finalen Kraft. Sowohl Bloch als auch die konsequenten dialektischen Materialisten aber sehen sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, die Entwicklung der Welt ohne Annahme einer immanenten Finalität erklären zu wollen, aber nicht erklären zu können. Wenn man eine finalisierende Kraft, die die Materie antreibt, annimmt, ist der Schluss naheliegend, ja unausweichlich, dass ein der Welt nicht bloß immanenter, sondern transzendenter Geist die Materie mit der Fähigkeit ausgestattet hat, immer weiter zu gehen und an ihr Ziel zu gelangen. In meinen Gesprächen mit Bloch hielt ich ihm immer wieder die Argumente entgegen, die Max Adler, obwohl auch Marxist, aber eben nicht Materialist, Lenin und den anderen Materialisten gegenübergestellt hat. Bloch hat, obwohl er meinem Standpunkt nicht beitrat, es als mein großes Verdienst anerkannt, als »großer Erneuerer von Max Adler« dessen Philosophie in die Diskussion zurückgeführt zu haben. Das Hauptargument Max Adlers gegen Lenin und die Materialisten, die den Vorrang der Materie gegenüber dem Geist bereits durch die Tatsache, dass die Erde ja schon vor dem Menschen existiert habe, für zugunsten des Materialismus entschieden halten, setzte den folgenschweren Satz entgegen : »Gewiss hat die Erde vor dem Menschen existiert, aber nicht vor dem Bewusstsein.« Und er fügte poetisch, aber logisch unanfechtbar hinzu : »Die Zustände, in denen der Mensch noch nicht existierte, existieren doch nur im Denken des Menschen und wären ohne diesen gar nicht vorhanden. Und über den Wassern, aus denen sich die Welt erst zu bilden strebt, schwebt bereits der Geist des Bewusstseins, das diese Vorstellungen hat.« Es gibt, wenn man diesen Überlegungen folgt, ein ontologisches Prius des Geistes gegenüber der Materie. Die philosophische Frage beginnt erst dort, wo der materialistische Evolutionismus mit seinem Latein am Ende ist. Der Materialismus beruft sich darauf, dass das tierische und das menschliche Bewusstsein an eine Gehirnmaterie gebunden ist. Sie schließen aber daraus, übers Ziel schießend, dass es kein anderes Bewusstsein, das nicht an diese Voraussetzung
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gebunden ist, geben könne, ja dürfe. Ein echter Agnostiker müsste wenigstens die Möglichkeit der Existenz eines solchen Bewusstseins einräumen, der dogmatische Materialist und Atheist aber kann eine solche Möglichkeit nicht zugeben, ohne die eigene philosophische Position ins Wanken zu bringen. Der Streit zwischen Bloch und seinen materialistischen Kritikern bringt nur die Schwierigkeit zum Bewusstsein, die allen Materialisten gemeinsam ist, sie können ohne Annahme einer finalisierenden Kraft die Bewegung der Materie nicht erklären, mit dieser Annahme aber werden sie dem rein kausalwissenschaftlichen Ansatz untreu und geraten in die Nähe des Idealismus. Denn wenn keine das Gelingen der Evolution existierende finale Kraft vorhanden ist, hätte die Materie an einem Punkt ihrer Entwicklung auch stehen bleiben können. Wäre dann ein Entwicklungsprozess als stattgefunden habend überhaupt feststellbar gewesen ? Hier greift das Argument des zeitgenössischen Philosophen Robert Spaemann, der aus dem Futurum exaktum, aus der Tatsache, dass alles einmal gewesen sein wird, den Schluss zieht, dass es einen Ort, einen Punkt, ja ein permanentes Sein gegeben haben muss, in dem dieses vergangene Sein aufgehoben und aufbewahrt war, sonst könnten wir nach Abbruch der Evolution keine Aussage über das vormalig Gewesene und Gewordene treffen. Ein ähnliches Argument findet sich beim englischen Philosophen und Theologen George Berkeley, von dem die Formel »esse = percipi« stammt. Eine Welt, die in niemandes Bewusstsein war, ist weder empirisch fassbar noch auch bloß denkbar. Und dieses metaphysische Argument trifft sich mit dem positivistischen des Wiener Kreises, der davon ausgeht, dass wissenschaftliche Aussagen nur über messbare und beobachtbare Dinge möglich sind. Damit aber fallen auch die Aussagen der Materialisten, die seelenruhig über Dinge und Vorgänge urteilen, denen keine Erfahrung zugrunde liegt, in den Bereich der Metaphysik, ein Beweis für die These des deutschen Wissenschaftstheoretikers Wolfgang Stegmüller, der in seinem Werk »Wissenschaft. Metaphysik. Skepsis« die Auffassung vertritt, dass das menschliche Denken der Metaphysik gar nicht entrinnen und entraten kann und dass auch die scheinbare Entscheidung gegen die Metaphysik eine metaphysische ist. Anhand der angeführten Argumente lässt sich zeigen, dass auch der philosophische Materialismus eine Art von Metaphysik ist, allerdings eine schlechte und keineswegs plausible, sodass Max Adler mit seiner Aussage, der Materialismus sei »unbegründbar und widersinnig« den Nagel auf den Kopf trifft. Es ist daher auch kein Zufall, dass alle großen Philosophen der Philosophiegeschichte keine Materialisten, sondern Idealisten waren, die vom ontologischen Primat des Geistes und Bewusstseins vor der Existenz der Materie
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ausgehen. Auch die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft, insbesondere der Physik, ändern daran nichts. So hat der österreichische Physiker Walter Thirring seinen »Kosmischen Impressionen« den Untertitel »Gottes Spuren in den Naturgesetzen« gegeben. Und Herbert Pietschmann hat einem seiner Bücher sogar den Titel »Gott wollte Menschen« gegeben und darin Folgendes ausgeführt : »Das Bewusstsein war am Anfang und nicht am Anfang, denn es gab keine Zeit – es war in Ewigkeit in der All-Gegenwart. Das Bewusstsein entfaltete seine Kraft, denn seine Kraft war es selbst. Es gab nur das Bewusstsein – nichts als das Bewusstsein.« Der Versuch, das Bewusstsein als ontologische Kategorie und als ein Prius gegenüber der Materie zum Verschwinden zu bringen, ist also zum Scheitern verurteilt. Denn das Sich-Hinwegdenken des Bewusstseins ist wiederum nur mithilfe des Bewusstseins möglich, das Bewusstsein bleibt eine nicht hintergehbare Realität. Selbst der materialistisch gesinnte französische Denker Emile du Bois – Reymond hat es für unmöglich erklärt, das Hervorgehen des Geistigen aus der Materie zu beweisen, und zwar für immer »Ignoramus et ignorabimus«. Der Materialismus muss, um seine Konstruktion aufrechterhalten zu können, unendlich lange Zeiträume annehmen, in denen sich die Materie bis zum Geist entwickelt hat. Sie verabsolutiert also das Relative und landet in einem unendlichen Regress. Demgegenüber vertritt die Philosophia perennis den Standpunkt, dass dem in Raum und Zeit existierenden Sein ein ewiges gegenübersteht, das dem endlichen Sein auch erst seinen Stellenwert zuweist. Der materialistische Marxismus krankt auch an einem Grundwiderspruch zwischen einem unbändigen innerweltlichen Optimismus und einem Pessimismus, der nach Erreichung der klassenlosen Gesellschaft das Sein wieder ins Nichts zurückfallen lässt, aus dem es gekommen ist. Friedrich Engels prophezeit in seiner »Dialektik der Natur« einen kosmischen Kältetod, der alles organische Leben zum Verschwinden bringen wird, Ernst Bloch erwartet sich eine Überwindung der Spaltung zwischen Subjekt und Objekt, was also auch auf ein Verschwinden der Individualität hinausläuft. Wozu der Klassenkampf und der Sieg über die Klassengesellschaft, wenn letztendlich doch alles dem Untergang geweiht ist ? Wenn man den Marxismus als eine säkularisierte Version des christlichen Denkens ansieht, muss man auch hier der transzendenten Vorlage den Anspruch der Überlegenheit attestieren, denn in der christlichen Vorstellung der Vollendung bleiben die Individuen als Personen erhalten und können sich der Anschauung eines ihnen überlegenen, sie erst fundiert habenden Seins erfreuen.
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Die Gespräche mit Ernst Bloch und die Befassung mit seiner Philosophie haben mich im Ergebnis in meiner Auffassung bestätigt, dass die traditionelle Philosophie und der mit ihr verschwisterte christliche Glaube keinen Grund haben, von ihren Positionen abzurücken. Die traditionelle Position der philosophia perennis, wie sie im Anschluss an den Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz benannt wird, ist zwar gegenüber einem hochtrabend daherkommenden und mit seiner angeblichen einzigartigen Wissenschaftlichkeit prunkenden Evolutionismus und Materialismus, wie ihn in Österreich z. B. Rudolf Burger und Franz M. Wuketits vertreten, in der Defensive, hat aber sub specie aeternitatis den längeren Atem, sie ist nicht nur moralisch erbaulicher und ästhetisch befriedigender als der Materialismus, sondern hat auch die überwiegenden vernünftigen Gründe auf ihrer Seite. Ich darf mich glücklich schätzen, von Ernst Bloch nicht nur durch Gespräche gewürdigt worden zu sein, sondern auch durch einige an mich gerichtete persönliche Briefe, die auch noch handschriftlich an mich ergangen sind, was heute schon Seltenheitswert hat. Bei Blochs Handschrift ist mir aufgefallen, dass seine Schriftzüge massiven Höhenketten und mächtigen Gebirgen gleichen. Aber diese fantastischen Wortgebäude, mittels derer Bloch seine Philosophie in den Raum stellte, sind, so eindrucksvoll sie auch erscheinen, da materialistisch gedacht, doch auf Sand gebaut und von einer zwar glänzenden, aber in der Sache begründeten Brüchigkeit. Da mich die Handschrift Blochs so sehr beeindruckte, da sie von anderen Schriftbildern so markant abwich und den geistigen Höhenflug, der mit seiner Philosophie einherging, symbolisierte, erscheint es mir angebracht, einen kleinen Exkurs über die Grafologie einzuschalten. Sie scheint mir ein Beispiel für eine Disziplin zu sein, die, ähnlich wie die Parapsychologie, wenig offizielle wissenschaftliche Anerkennung genießt, aber doch einen großen praktischen Wert haben muss, wenn kostenbewusste Bankinstitute Geld dafür ausgeben, handschriftlich verlangte und gelieferte Lebensläufe begutachten zu lassen. Auch ich selbst suchte einmal vor vielen Jahren den Rat eines führenden Grafologen namens Muckenschnabel, der ein Büro in Hietzing hatte und eine florierende Praxis betrieb, … Ich konsultierte ihn im Zusammenhang mit einem Mitarbeiter, über den ich gerne näher Bescheid gewusst hätte und über den ich dann auch Sachdienliches erfuhr. Bei dieser Gelegenheit legte ich ihm auch meine eigene Schrift vor, zu der er sagte, dass sie ganz aus dem gewohnten Rahmen falle und, wenn man wie gewöhnlich nach Ähnlichkeiten sortiert, ganz allein unter Tausenden Handschriften übrig bleiben würde. Ich weiß bis heute nicht,
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ob ich diese Analyse eines Experten als Kompliment oder als das Gegenteil davon empfinden soll. In unvergesslicher Erinnerung im Zusammenhang mit Ernst Bloch ist mir eine frühe Tagung in Salzburg, bei der es um die Konzepte der Sinngebung der Geschichte als Gesamtprozess ging und an der neben Ernst Bloch der Philosoph Karl Löwith, der durch fundamentale Werke wie »Von Hegel zu Nietzsche« berühmt geworden ist, und der Benediktinerpater Thomas Michels, eine Kardinalsfigur im Habit eines Ordensmannes, teilnahmen. Ernst Bloch entwickelte beredt und feurig wie immer seine marxistisch-materialistische, gleichzeitig aber chiliastische Welt- und Geschichtsschau, während Michels die heilsgeschichtliche Perspektive der christlichen Tradition ausbreitete. Löwith vertrat demgegenüber einen geschichtsskeptischen Standpunkt, der der Geschichte einen sinnvollen Gang so oder so absprach und sie als Summe zusammenhangloser Einzelheiten und Absurditäten hinstellte. Ich für meinen Teil, der ich damals nur Zuhörer und nicht mitdiskutierend war, vermag in der Geschichte doch einen Sinn und in ihr das Wirken Gottes zu erblicken. So scheinen mir das Schicksal des Nationalsozialismus, aber auch des Kommunismus Beispiele für eine bald eintretende Strafe für die in diesen Systemen am Werk gewesene Hybris zu sein. Angeregt durch Stefan Rehrl und andere habe ich in meinen Vorlesungen immer wieder zum Ausdruck gebracht und hervorgekehrt, wie sich die wahnsinnigen Ziele des Nazismus nicht nur nicht erfüllt haben, sondern sich ins glatte Gegenteil verkehrten. So hatte Hitler drei große Ziele und Absichten : die Ausrottung der Juden, die Ersetzung des auserwählten Volkes durch das eigene, sich anstelle dessen für auserwählt haltende, die Vernichtung des Bolschewismus, ohne den Hitler nie an die Macht gekommen wäre, da er die Angst vor ihm als Hauptmotor neben dem Antisemitismus brauchte, und die Eroberung neuen Lebensraumes für die Deutschen und die Besiedlung der eroberten Ostgebiete durch Deutsche. In allen drei Punkten erreichte Hitler das Gegenteil des von ihm Angestrebten : Ohne Auschwitz hätte es keinen Staat Israel gegeben, Hitler hat den Juden also zum größten Triumph ihrer Geschichte verholfen. Die Vernichtung des Bolschewismus misslang nicht nur, der deutsche Angriff auf die Sowjetunion brachte die Russen nach Europa, was wiederum ein Sargnagel für den später aber doch auch scheiternden Bolschewismus wurde. Anstelle der Besiedlungspolitik der Deutschen kam es zu einer Massenvertreibung der Deutschen und zu einer neuen Völkerwanderung. Gottes Mühlen mahlen also gar nicht so langsam, wie das Sprichwort meint, freilich unter unzähligen und unsäglichen Opfern wurden verbrecherische und
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wahnsinnige Ziele schon in historisch kurzen Zeiträumen ad absurdum geführt. Freilich scheint der Preis, der für die Bestrafung der Hybris zu zahlen ist, zu hoch, aber auch in diesem Zusammenhang ist an den hl. Paulus zu erinnern, der dem Geschöpf das Recht abgesprochen hat, mit dem Schöpfer zu rechten, so wie der Ton nicht mit dem Töpfer rechten und hadern darf. Es ist jedenfalls dafür gesorgt, dass die menschlichen Bäume nicht in den Himmel wachsen, am Ende des kurzen 20. Jahrhunderts waren die beiden totalitären Systeme, die nicht weniger als die Weltherrschaft angestrebt hatten, vernichtet, der Nationalsozialismus als besonders verrückt und verbrecherisch früher, aber auch der gottlose Bolschewismus später. Damit ist noch nicht Frieden und Gerechtigkeit in die Welt zurückgekehrt, aber nach dem Machtwort Gottes gegen die Tyrannei besteht Hoffnung auf eine friedliche Entwicklung, die freilich nie ein Paradies auf Erden sein wird, das dem biblischen »neuen Himmel und der neuen Erde« vorbehalten bleibt und nicht durch menschliche Bemühungen herbeigeführt werden kann. Das 20. Jahrhundert, das Nadeshda Mandelstam, die Witwe des russisch-jüdischen Lyrikers Osip Mandelstam, der unter Stalin im Archipel Gulag umkam, in einem gleichnamigen Buch »Das Jahrhundert der Wölfe« nannte, ist eine Bestätigung dessen, was ein so universaler Geist wie Goethe im »West-östlichen Diwan« 1819 ausgeführt hat : »Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des Unglaubens und Glaubens. Alle Epochen, in welchen der Glaube herrscht, unter welcher Gestalt er auch wolle, sind glänzend, herzerhebend und fruchtbar für Mitwelt und Nachwelt. Alle Epochen dagegen, in welchen der Unglaube, in welcher Form es sei, einen kümmerlichen Sieg behauptet, und wenn sie auch einen Augenblick mit einem Scheinglanz prahlen sollten, verschwinden vor der Nachwelt, weil sich niemand gern mit der Erkenntnis des Unfruchtbaren abquälen mag.« Verglichen mit dem 20. Jahrhundert erscheint auch das »finstere Mittelalter« in einem anderen Licht, denn mag es auch finster gewesen sein, so war es doch, wie der österreichische Historiker Heinrich Fichtenau meinte, »eine Sternennacht«. Freilich hat es nicht beim Mittelalter bleiben können, aber neuzeitliche Aufklärung und Säkularisierung, die ihm folgten, hätten nicht in »politische Religionen« wie Nationalsozialismus und Kommunismus umschlagen müssen, ja dürfen, wenn sie die Verbindung mit der tragenden Idee des Abendlandes, dem Christentum, nicht verloren hätten.
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Die beiden österreichischen Dichter Wildgans und Hofmannsthal haben mich, seitdem ich mich von Jugend an mit österreichischer Literatur beschäftigt habe, besonders interessiert, ja begeistert. Das erste Mal, dass ich das Haus der Familie Wildgans in Mödling besucht habe, war noch zu einer Zeit, als die Witwe des Dichters Lilly noch lebte und durch das Haus führte, in dem Wildgans lange Jahre gewirkt hat und in dem er am 3. Mai 1932, erst 51-jährig, gestorben ist. Seither hat mich mein Weg zu offiziellen Anlässen, aber auch zu privaten Zusammenkünften mit der Familie in dieses schöne und gastliche Haus geführt. Durch meine Tante Viktoria Leser, die Gattin des Landeshauptmannstellvertreters des Burgenlandes in der Ersten Republik, Ludwig, der auch Landeskulturreferent war, fiel mir ein in rotes Leinen gebundenes Buch, das Epos »Kirbisch«, des Dichters in die Hände, das Wildgans meinem Onkel mit Dank für eine Führung durch das Land gewidmet hat. Ich habe also mit meiner Arbeit über Wildgans und durch mein Eintreten für ihn eine Art Familientradition fortgeführt. Es war mir aber abgesehen von dieser familiären Komponente eine Ehre, einen Dichter zu würdigen, der meiner Generation und der nachgekommenen und nachkommenden umso weniger noch ein Begriff ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Wildgans noch viele Jahre in den Schulbüchern präsent, besonders mit seiner auch auf Schallplatte aufgenommenen und von Raoul Aslan deklamierten »Rede über Österreich«. Unter dem Einfluss bestimmter Germanisten, die Anton Wildgans als bloßen »Verseschmied« abqualifizierten, fand eine Verdrängung dieses Mannes und Patrioten statt, der sich nicht nur durch seine »Rede über Österreich« große Verdienste um das Land erworben hat und in einer Zeit für dieses Land einstand, als sich nur wenige zu dessen Selbstständigkeit und Lebensfähigkeit bekannten. Doch nicht allein durch diese Rede und nicht allein durch sein in Hexametern abgefasstes Epos »Kirbisch«, das in der deutschen modernen Literatur seinesgleichen sucht, ist Wildgans in die Geschichte eingegangen und in ihr trotz mancher Behinderungen fortwirkend. So hat seine Lyrik nach wie vor eine treue Lesergemeinde, seine Frühlingsballade »Das Lächeln« gehört zum Schönsten und ergreifendsten Zeugnis dieser Literaturgattung.
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Anton Wildgans und Hugo von Hofmannsthal
Ich habe erstmals 1973 in der leider längst nicht mehr existierenden Zeitschrift »Die Republik« unter der Leitung Walter Jambors den Fall »Anton Wildgans – ein österreichisches Schicksal« aufgerollt und damit einen nicht als bloße Ehrenrettung eines halb vergessenen Dichters gedachte Würdigung, die auch mehrfach nachgedruckt wurde, veröffentlicht. 1977 habe ich die Schrift der Witwe von Anton Wildgans, Lilly Wildgans, »Anton Wildgans und seine Freunde« bearbeitet neu herausgegeben und mit einem Vorwort versehen. Anlässlich des 100. Geburtstages des Dichters habe ich in der niederösterreichischen Kulturzeitschrift »Morgen« im Juni 1981 im Rahmen einer Sondernummer, zu der u. a. auch der Wildgans-Fan Erwin Ringel einen Beitrag geschrieben hat, eine weitere Darstellung von Leben und Werk des Dichters veröffentlicht. Der hundertste Geburtstag des Dichters war auch ein Anlass, den Dichter in Mönichkirchen, das ihm neben Wien und Mödling zur dritten Heimat geworden war, besonders zu ehren. Die Gemeinde dieses Ortes veranstaltet auch alljährlich bis zum heutigen Tage Lesungen aus dem Werk des Dichters oder Aussagen über ihn. Als Krönung meiner Tätigkeit im Dienste am Werk von Anton Wildgans habe ich die Wahl zum Präsidenten der Wildgans-Gesellschaft und den Anton-Wildgans-Preis der Industriellenvereinigung für mein essayistisches Werk 1991 empfunden. Zum Glück bin ich nicht der Einzige, der das Andenken und Fortleben des Dichters pflegt und betreibt. So war es ein Herzenswunsch von Otto Schenk, das Schauspiel »Armut« im Theater in der Josefstadt zur Aufführung zu bringen. Auch Hugo von Hofmannsthal ist mir seit meiner Jugend nahegegangen, obwohl es in diesem Fall keine familiären Anhalts- und Anknüpfungspunkte gibt. Mich hat wie im Falle von Wildgans seine Lyrik begeistert, so das wunderschöne Gedicht »Vorfrühling«, das der Frühlingsballade von Wildgans ebenbürtig an die Seite zu stellen ist. Dabei sind Wildgans und Hofmannsthal eher Kontrast erscheinungen denn Komplementärphänomene, was schon in der durchaus verschieden gearteten Physiognomie zum Ausdruck kommt. Wildgans wirkt eher derb und rustikal, während Hofmannsthal vergeistigte und ausgesprochen schöne Züge aufweist, die schon Stefan George, der ihn, als er noch Mittelschüler war, in Wien besuchte und umschwärmte, entzückten. Für mich ist auch der »Jedermann«, der so viel angefeindet und verspottet wird, ein Meisterwerk, das allen Totsagungen zum Trotz alljährlich die Besucher der Salzburger Festspiele, und nicht nur diese, beglückt und besinnlich stimmt. Auch seine Dramen »Der Schwierige« und »Der Turm« erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Hofmannsthal ist jedenfalls, nicht zuletzt durch die Initiative zur Gründung der
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Salzburger Festspiele, aus der österreichischen Literatur, aber auch der allgemeinen Geistesgeschichte nicht hinwegzudenken. Sein Grab auf der Stirnseite des Friedhofes in Kalksburg, in dem neben Hugo von Hofmannsthal seine Gattin Gertrude und seine beiden Söhne Raimund und Franz und seine Tochter Christiane Zimmer sowie Lady Elisabeth von Hofmannsthal, geb. Lady Paget, als Verwandte begraben liegen, ist von erhabener Schönheit und ist mit einem Vers aus einem von Hofmannsthals Gedichten geschmückt, dessen Wortlaut »Und mein Teil ist mehr als dieses Lebens schlanke Flamme oder schmale Leier« ist. Eine unvergessliche Erinnerung, die mit diesem Friedhof und mit Hofmannsthals Grab zusammenhängt, ist ein trüber Jännertag des Jahres 1987, in dem Christiane Zimmer, als letztes Kind der Familie, aus den Vereinigten Staaten überführt, zu Grabe getragen wurde. Christiane war mit dem Indologen Heinrich Zimmer in Heidelberg verheiratet gewesen, dem sie 1933 in die Emigration in die USA folgte. Nach seinem Tode begann Christiane, die durch die Rechte am Werk ihres Vaters, der ja auch ein Richard-Strauß-Librettist und als solcher Tantiemenempfänger war, zu etwas Geld gekommen, ein drittes Leben, in dem sie in ihrem gastfreundlichen Haus in Greenwich Village Gäste aus der Sphäre der Literatur wie Max Frisch, Peter Handke und Ingeborg Bachmann begrüßte und so eine Art geistiger Brückenkopf zwischen der alten und der neuen Welt war. Die Dichtertochter und Gelehrtenwitwe setzte solcherart die Tradition ihres Vaters in Rodaun fort. Das Begräbnis war ergreifend, es waren viele Menschen von nah und fern, darunter einige auffallend schöne Gesichter und Profile, gekommen, um der dahingegangenen 84-jährigen letzten Nachfahrin Hugo von Hofmannsthals die letzte Ehre zu erweisen. Enttäuschend war wohl nicht nur für mich, dass der Priester, der die Einsegnung vornahm, der Benediktinerpater Beda Döbrentei, eine ganz allgemein gehaltene Rede hielt, die in keiner Weise auf die Bedeutung der Verblichenen Bezug nahm. Wenn der Tod auch alle Unterschiede zwischen Menschen relativiert und aufhebt, eine der Verstorbenen und der Familie Hofmannsthal angemessene Verabschiedung hätte sich die Tote und die Familie, deren letzter Spross sie war, wohl verdient. Eine Publikation des Briefwechsels zwischen Hugo von Hofmannsthal und Anton Wildgans, die bereits 1971 erschienen war und 2000 von Norbert Altenhofer in Heidelberg neu herausgegeben und kommentiert wurde, war ein willkommener Anlass, die Vorstellung dieser Dokumentation an einem historischen Ort, dem von Hofmannsthal bewohnt gewesenen Schlössl in Rodaun, das Maria Theresia der Erzieherin ihrer Kinder, der Gräfin Fuchs, zum Geschenk ge-
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macht hatte, vorzunehmen. An diesem denkwürdigen Abend, dem 11. November 2000, hielten Ralf Wildgans, der um das Werk seines Großvaters verdiente Enkel, und ich Vorträge über die beiden Persönlichkeiten, die einander räumlich nahe lebten und auch eine gewisse geistige Affinität aufwiesen, gleichzeitig aber auch distanziert zueinander waren. Es erscheint mir sinnvoll, dieses Zeugnis der Würdigung der beiden österreichischen Dichter im Rahmen dieses Buches, das nicht nur das von mir unmittelbar Erlebte, sondern auch mittelbar Erschlossene enthält, erneut vorzustellen und zum Ausdruck zu bringen. Posthum hat Maja Rauch 1991 im Fischer Verlag Frankfurt Dokumente der 1987 Begrabenen herausgegeben, und zwar Auszüge aus den Tagebüchern 1918–1923 und Briefe des Vaters Hugo von Hofmannsthal an seine Tochter, beides ergreifende persönliche Zeugnisse zweier nicht nur durch Verwandtschaft, sondern auch durch ein gemeinsames kulturelles Erbe verbundener Persönlichkeiten. Während der Vorbereitung zu diesem Vortrag sind mir zwei Goethe-Zitate eingefallen, die dem Anlass und dem historischen Rahmen dieses Raumes, in dem ich den Spuren von Hofmannsthal und Wildgans nachgehe, angemessen sind. Das erste Wort, das ich als eine Art Grußwort und Tribut an den Genius loci betrachte, ist dem Torquato Tasso entnommen und lautet beziehungsvoll : »Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, ist eingeweiht ; nach hundert Jahren klingt sein Wort und seine Tat dem Enkel wieder.« Dieses Zitat scheint mir umso passender, als es im Sommer des kommenden Jahres tatsächlich hundert Jahre her sein wird, dass Hugo von Hofmannsthal mit seiner in jenem Jahr angetrauten Gattin Gertrud Schlesinger in diesem Schlössl, das der Überlieferung nach ein Geschenk Maria Theresias an die ihr so eng verbundene Gräfin Charlotte Fuchs war. Einzug hielt, und das er bis zu seinem allzufrühen Tod am 15. Juli 1929 bewohnte. Das Schlössl war und ist nur einen Fußweg von etwa zwei Stunden vom Haus Anton Wildgans’ entfernt ; der Weg steht aber nicht nur für die räumliche, sondern auch für die seelisch-geistige Nähe, die die beiden bei aller Distanz verband. Das zweite Zitat ist dem Faust Goethes entnommen, in dessen Verlauf Mephisto die ebenfalls zum Anlass passenden Worte spricht : »Weh dir, dass du ein Enkel bist !« Mit diesen Worten ist die Größe, aber auch die Last der Tradition angesprochen, die die Nachgeborenen herausfordert, sich der großen Vorgaben der Altvorderen würdig zu erweisen. Wenn im Folgenden versucht werden soll, den historischen, aber auch den ideell-geistigen Zusammenhang zwischen den beiden großen österreichischen
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Dichtern aufzuspüren und wiederaufleben zu lassen, ja darüber hinaus einen Vergleich zwischen ihnen anzustellen, bildet der 1971 veröffentlichte Briefwechsel Hugo von Hofmannsthal. Anton Wildgans den Ausgangspunkt.1 Dieser sporadische, aber sich über einen großen Teil der Lebenszeit der beiden hinziehende Briefwechsel kann nicht eigentlich als Dokument einer lebenslangen Freundschaft gelten, wie es etwa beim Briefwechsel Hofmannsthals mit Richard Beer-Hofmann der Fall ist. Dazu waren die beiden Protagonisten trotz aller Berührungspunkte doch zu verschieden. Wenn man den um einige Korrespondenzzeugnisse erweiterten Briefwechsel mit dem 1934 erschienenen Teildruck des Briefwechsels vergleicht, kann man mit dem Herausgeber und Kommentator Norbert Altenhofer als »Fazit der Neuausgabe« so etwas wie »Ernüchterung«2 verspüren. Hofmannsthal hat es in einem an Wildgans gerichteten Schreiben vom 8. Jänner 1928 selbst auf den Punkt gebracht, indem er von »höchst sonderbaren Anziehungen und Abstoßungen zwischen Zeitgenossen, doppelt, wenn sie noch dazu Landsleute sind«3, sprach. Die meisten innigen Beziehungen und Freundschaften zwischen geistig Verwandten und Gleichstrebenden sind durch das vom Schweizer Psychiater Eugen Bleuler geprägte Phänomen der Ambivalenz4, des gleichzeitigen oder aufeinanderfolgenden Vorhandenseins entgegengesetzter Gefühlsregungen, das auch Freud übernahm und ausbaute, charakterisiert. Aber auch die weniger innigen Beziehungen sind, wenn schon nicht von Liebe und Hass, so doch von Sympathie und Antipathie durchwirkt. Hofmannsthal hatte schon 1907 als ästhetische Maxime formuliert, was auch und in besonderem Maße für die Beziehungen zwischen Persönlichkeiten zutreffend ist : »Durch Sein und Schein wirkt jeder Mensch im Dasein. Beide Formen sind aber nicht bestimmt, einander aufzuheben, sondern einander zu unterstützen. Der das Leben instinktiv oder bewusst als Kunst treibt (wohin jedes schöpferische Individuum zu rechnen ist), muss sich an den Schein halten, weil er das fremde Sein nur in dieser Form in sich aufnehmen kann. Form ist Maske, aber ohne Form weder Geben noch Nehmen von Seele zu Seele.«5 Man darf auch auf eine Art Nachruf Wildgans’ in einem Briefe nach dem Tode des Vorangegangenen vorgreifen, um das Spannungsfeld, 1 Hugo von Hofmannsthal. Anton Wildgans. Briefwechsel, Neuausgabe. Hg. u. kommentiert v. Norbert Altenhofer. Heidelberg 1971. 2 Ebd., 43. 3 Ebd., 35. 4 Vgl. Eugen Bleuler : Ambivalenz. Zürich 1910. 5 Briefwechsel Hofmannsthal – Wildgans (s. Anm. 1), 50.
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das zwischen den beiden ausgeprägten Individuen zeitlebens bestand, zu umschreiben : »Man mag über Hofmannsthal denken, wie man will. Aber das göttliche Verzehren war in ihm, mag er diese Flamme bisweilen erst angefacht haben, mag er auch Zeit seines Lebens mehr bereits von anderen Gedachtes, Gefeiltes und Gestaltetes als unmittelbar Erlebtes verarbeitet haben. Vielleicht kommt es auf das letztere gar nicht so sehr an, wenn es einem gelingt, einem Stoff, einem Problem die letzte und endgültige Form zu geben.«6 In diesen Worten schwingt neben der unbestreitbaren Anerkennung, die Wildgans Hofmannsthal zollt, der kaum versteckte Vorwurf des Epigonentums mit, wie er sich etwa in der Bearbeitung des Jedermann-Stoffes manifestiert. Gefühle des Neides und der Eifersucht sind eben auch den wohlmeinendsten Zeitgenossen, so sie nur in derselben Sphäre wirken, nicht ganz fremd. Doch kehren wir zum Briefwechsel und zu den konkreten Situationen zurück, in denen sich die Berührungen, aber auch die Gegensätze zwischen den beiden ungleichen Partnern vollzogen. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs befanden sich die beiden in einer ähnlichen Situation. Sie mussten beide keinen Kriegsdienst an der Front leisten, fühlten sich aber verpflichtet, der patriotischen Sache als »Männer des Wortes« zu dienen. So ließ sich Wildgans unmittelbar nach Ausbruch des Krieges zu einigen Kriegsgedichten hinreißen, zu denen er sich später nicht mehr bekennen wollte, waren sie doch, wie er selbst meinte, eine Art Wehrdienstersatz und Hilfeleistung für die unter Einsatz ihres Lebens Kämpfenden. In dem langen und in mehrfacher Hinsicht aufschlussreichen Brief vom 7. Dezember 1914 gab er bereits seiner Furcht Ausdruck, »immer unpatriotischer werden zu müssen«.7 Mit einem seiner Kriegsgedichte, Legende, kam Wildgans sogar mit der Zensur in Konflikt, da die Schlusszeile »Nicht einmal Gott hat ihn sterben gesehen« amtlich als Gotteslästerung angesehen wurde, obwohl Wildgans den »Helden« »Hollerbeck oder Hallubetz« damit nur in die Nähe Christi rücken wollte, »der vom Kreuze empor zu Gott rief : Warum hast du mich verlassen ?«8 Beide Autoren waren parallel bemüht, durch eine Sammlung von Gedichten in Form einer »Österreichischen Bibliothek« inmitten des Kriegslärms die Stimme der Humanität zu Gehör zu bringen und nicht verstummen zu lassen. In diesem Zusammenhang bat Hofmannsthal Wildgans, zum Abschluss des von 6 Ebd., 49. 7 Ebd., 8. 8 Ebd.
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ihm betreuten Bandes ein Gedicht zur Verfügung zu stellen, das die Idee des alten Österreich, des multinationalen Vielvölkerstaates, bejahen und besingen sollte. Wildgans aber konnte diese Bitte nicht erfüllen, weil seine Konzeption Österreichs inhaltlich von den Schwerpunkten abwich, die Hofmannsthal gesetzt sehen wollte. Freundlich, aber bestimmt legte er Hofmannsthal seinen patriotischen Dissens dar : »Sie schlagen mir, hochverehrter Herr Doctor, vor, zum Abschluss des Bändchens ein Gedicht zu machen, das dem Beieinander der vielen Nationalitäten unserer Reichshälfte Rechnung tragen möge, um es kurz zu sagen. Hiermit berühren sie etwas für mich sehr Problematisches. Dass mir Ähnliches mit den beiden bewussten Namen vorschwebte, ist ihnen nicht entgangen. Aber ich gestehe ihnen, dass ich weiter darin nicht gehen möchte. Ich bin Österreicher mit Leib und Seele. Ich liebe dieses Land und Volk so sehr, dass sich in die Bewunderung des deutschen Volkes im Reiche draußen manchmal – dies darf ich ihnen wohl anvertrauen – kleinlicher Neid, dessen ich mich zu schämen habe, hineinmischt. Ich weiß ferner, dass wir den slawischen, magyarischen und romanischen Einschlägen in unserem Blute jene Fülle von Geist und Talent zu verdanken haben, die in unseren heimischen Menschen aufgespeichert sind. Und doch vermag ich darin keinen Segen für uns als Staatsvolk, d. h. für ein Volk, das eine Staatsidee tragen, verkörpern und durchsetzen soll, zu erblicken. Mag vielleicht auch ein Staat, der nicht auf einheitlicher Nationalität aufgebaut ist, staatsrechtlich-theoretisch ein höheres Gebilde sein … ich glaube dennoch nur dann an die ethische Kraft eines Staates von verschiedenen Nationalitäten, wenn eine von ihnen hegemonisch überwiegt. Und so muss ich innig wünschen, dass diese Führerrolle in unserem Vaterlande dem deutschen Stamm zufiele.«9 Wildgans, der in seiner Rede über Österreich 1929 die Rolle des alten Österreich als »Schwerthelfer des Germanentums« problematisierte und durchaus nicht in den Chor der vorherrschenden Anschlussfreunde einstimmte, war 1914 und darüber hinaus jedenfalls noch ein Deutschnationaler, der dem Hofmannsthal’schen Konzept eines multinationalen Staates, das die Gleichwertigkeit aller vereinigten Völker und Nationen postulierte und verwirklicht sehen wollte, skeptisch gegenüberstand. Hofmannsthals Programm war durch das A. E. I. O. U. – »Austria erit in orbe ultima« – charakterisiert und griff daher weit über den deutschen Sprachraum hinaus, Wildgans dagegen gab schon durch die Auswahl der von ihm ausgewählten Beiträge, von Max Mell bis Rudolf Hans Bartsch, seine Beschränkung auf die »deutsche« Kultur zu verstehen. 9 Ebd., 8ff.
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Die Auffassungsunterschiede zwischen Hofmannsthal und Wildgans in dieser Frage sind unübersehbar. Vielleicht war es auch die jüdische Abkunft seiner Vorfahren und die innige Beziehung zu seiner lombardischem Adel entstammenden italienischen Großmutter, die Hofmannsthal zu der Universalität seiner Konzeption prädisponierten. Er erkannte jedenfalls früher und schärfer als andere, welches Vakuum der Zerfall des alten Österreich hinterlassen würde und wie sehr Kräfte der Barbarei in dieses Vakuum eindringen würden. Er ähnelt in dieser Beziehung der Figur des Regimentsarztes Dr. Grün im Drama 3. November 1918 von Franz Theodor Csokor, der dem toten Kameraden, der sich aus Verzweiflung über den Zusammenbruch des alten Österreich das Leben genommen hatte, »Erde aus Österreich« in das offene Grab wirft, während sich die Angehörigen der anderen Völker schon als dessen verselbstständigte Vorboten gerieren und die Erde ihrer sich eben erst bildenden Heimat spenden. Die Juden hatten jedenfalls am meisten Grund, das Hinscheiden des alten Österreich zu beklagen, hatten sie doch mit ihm und dem alten Kaiser eine Schutzmacht verloren, ohne einen Ersatz dafür zu erhalten. Der Gegensatz zwischen Hofmannsthal und Wildgans zeigte sich, zwar unter veränderten Vorzeichen und Bedingungen, aber der Sache nach ähnlich bleibend, gegen Ende der 1920er-Jahre. Während Wildgans in seiner Rede über Österreich zwar für ein selbstständiges Österreich, aber unter Bewahrung und Betonung seiner deutschen Substanz, eintrat, war der Blick Hofmannsthals in eine ganz andere Richtung gewendet. Zwei Jahre vor seinem Tode, am 10. Jänner 1927, hielt Hofmannsthal im Auditorium maximum der Universität München einen Vortrag über Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation, den er mit einem Bekenntnis zum Prozess »einer konservativen Revolution« ausklingen ließ«.10 Diese »konservative Revolution« stellte sich ihm als »Gegenbewegung gegen jene Geistesumwälzung des sechzehnten Jahrhunderts, die wir in ihren zwei Aspekten Renaissance und Reformation zu nennen pflegen«11, dar. Die Renaissance symbolisierte für Hofmannsthal wohl die Selbstvergottung und Emanzipation von der transzendenten Einheit, die noch in der Gotik vorgewaltet hatte, die Reformation das Aufbegehren gegen eine die Nationen überwölbende geistige Ordnungsmacht, die sich für ihn in der katholischen Kirche verkörperte. Die Hinwendung Hofmannsthals zu einer illusionären »konservati10 Hugo von Hofmannsthal : Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation. In : Ders.: Ausgewählte Werke in zwei Bänden. Bd. 2 : Erzählungen und Aufsätze. Frankfurt/M. 1966. 740. 11 Ebd.
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ven Revolution«12, der längst die historische Basis entzogen war, entbehrt nicht einer tiefen Tragik und Ironie. Denn anstelle der von ihm ersehnten Revolution war gerade im München jener Tage eine Revolution im Vormarsch, die gar nicht universalistisch, humanitär und katholisch, sondern, in vollendetem Gegensatz hiezu, nationalistisch, rassistisch und neuheidnisch war, die des Nationalsozia lismus, die weder Hofmannsthal noch Wildgans als die in Bälde kommende voraussahen. Im Roman-Zyklus Erfolg des Schriftstellers Lion Feuchtwanger war bereits 1930 die Szene beschrieben, aus der sich der Sieg Hitlers herausbilden sollte. Wildgans und Hofmannsthal hätten den Nationalsozialismus fürchten gelernt, wenn sie ihn erlebt hätten. Hofmannsthal aufgrund seiner jüdischen Abstammung sowieso, aber auch Wildgans, wenn er seinen Idealen treu geblieben wäre. Jedenfalls hätte sich Wildgans, wenn er in die Lage gekommen wäre, den »Ariernachweis« erbringen zu müssen, nichts darauf eingebildet, ihn erbringen zu können. Es wäre ihm zum Unterschied von anderen Zeitgenossen, die sich von der rassistischen Welle mitreißen ließen, klar gewesen, dass die »Reinheit« des Stammbaums allenfalls bei Hunden, aber nicht bei Menschen Qualitätsmerkmal ist. Wildgans war nicht nur kein Antisemit, er hatte jüdische Freunde wie Arthur Trebitsch, seinen Jugendfreund, mit dem er 1904/05 eine Weltreise unternahm. Wildgans machte sich bei den damals schon recht virulenten Antisemiten unbeliebt, als er 1931 nach dem Tode Arthur Schnitzlers die Trauerfahne am Burgtheater hissen ließ. Auch die verschiedenen theatralischen Konzeptionen, die Wildgans und Hofmannsthal voneinander trennten, haben einen übergreifenden, gegensätzlichen, weltanschaulichen Hintergrund. Als Dramatiker, aber auch als Persönlichkeiten, deren Wirken mit dem Burgtheater zusammenhing, hatten die beiden Berührungs-, aber auch Differenzpunkte, die nicht erst seit der Burgtheaterdirektion Wildgans’ datierten. Schon vorher waren es die von Hofmannsthal und Max Reinhardt 1920 begründeten Salzburger Festspiele, an denen sich Gegensätze entzündeten. Für Hofmannsthal waren diese Festspiele eine Ersatzwelt für die Größe des entschwundenen Staates, ein Gegengewicht gegen Wien und die dort vorherrschenden theatralischen Ideen. In der Begründung und Gestaltung der Salzburger Festspiele kam auch die katholische Ader Hofmannsthals zum Vorschein. Der Jedermann war ihm nicht ein Drama unter vielen, sondern eines, 12 Vgl. hiezu Armin Mohler : Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. Ein Handbuch. Darmstadt 31989, insbesondere 10, sowie Hermann Rauschning : Die Konservative Revolution. Versuch und Bruch mit Hitler. New York 1951.
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das mit dem Schauplatz des Domes als Nährboden und Hintergrund eine barocke Frömmigkeit wiederbeleben sollte. Auch dies ist eine Komponente, die Hofmannsthal und Wildgans unterschied : Wildgans war zwar in einem weiteren Sinne christlich und – wie man heutzutage zu sagen pflegt – »kulturreligiös«, aber trotz der räumlichen Nähe seines Wohnsitzes zur Kirche St. Othmar nicht das, was man einen »praktizierenden Katholiken« nennt. Hofmannsthal bemühte sich jedenfalls um diese Nähe und wurde als Drittordensmitglied der Franziskaner in deren Gewand aufgebahrt. Die Salzburger Festspiele stießen in ihrer Konzeption und Gestaltung auf höchst unterschiedliche Reaktionen. Einer der heftigsten Kritiker war bekanntlich Karl Kraus, der aus Protest gegen die kirchliche Unterstützung der Festspiele aus der katholischen Kirche austrat. Die Beurteilungsdifferenzen des neuen kulturellen Phänomens zwischen Hofmannsthal und Wildgans waren nicht so scharf und fundamental wie zwischen Karl Kraus und Hofmannsthal, aber immerhin vorhanden und wurden auch deklariert. Wildgans wollte ein bekennendes Theater, das seine Wirkungen vom reinen Worte beziehen und das Schauspielerische nur als Reflexbewegung gelten lassen sollte, »mit der die Körper auf die Erregungen und Erschütterungen der Seele sich selbst antworteten«.13 Damit hing der innere Widerstand zusammen, den Wildgans in sich selbst gegen Reinhardt zu überwinden hatte : »Denn bei Reinhardt wird das Verhältnis umgekehrt – nicht das Theater ist für den Dichter da, sondern der Dichter für das Theater.«14 Das Theater war für Hofmannsthal und Reinhardt ein Teil des »großen Welttheaters«, das alle Beteiligten in ihren Bann schlug und in den theatralischen Sog hineinzog. Natürlich brachte auch die Stellung Wildgans’ als Burgtheaterdirektor Annäherungen, aber auch Entfremdungen zwischen den Dramatikern hervor. So war Hofmannsthals Komödie Der Schwierige, die inzwischen zu einem Dauerbrenner auf verschiedenen Bühnen innerhalb und außerhalb Österreichs geworden ist, ganz und gar nicht nach dem Geschmack Wildgans’, der sie »frivol«15 fand und es daher auch nicht zu einer Aufführung unter seiner Direktion kommen ließ. Hofmannsthals späteres Drama Der Turm hingegen fand bei Wildgans geradezu begeisterte Gegenliebe,16 es kam aber durch den Tod Hofmannsthals nicht mehr zu einer Aufführung unter Wildgans. 13 Briefwechsel Hofmannsthal – Wildgans (s. Anm. 1), 49. 14 Ebd. 15 Ebd., 48. 16 Ebd., 37.
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Diese Diskrepanz in der literarischen Wertung und theatralischen Akzeptanz ist geradezu symbolisch für das Aneinander-Vorbeileben der beiden Zeitgenossen, denen es nicht beschieden war, eine schöpferische Synthese und gemeinsame Frucht hervorzubringen. Freilich muss angemerkt werden, dass Hofmannsthal der Mann mit dem größeren Zuschnitt und dem weiteren Horizont war, dessen Wirkungsgeschichte ungleich reichhaltiger ausfiel als die Wildgans’. Hofmannsthal war aber nicht nur der Produktivere und Vielseitigere von beiden, seine Wirkungsgeschichte ist nicht nur mächtiger, er war auch empfänglicher für die Einflüsse fremder Kulturen und Persönlichkeiten. So stellt seine Beziehung zu Stefan George, der ihn schon als jungen Mann in Wien besuchte und mit ihm die Blätter für die Kunst herausgab, in denen beide publizierten, ein eigenes und eigenartiges Kapitel dar. Die ursprüngliche Anziehung und Annäherung wurde vonseiten Hofmannsthals in dem Maße von Ablehnung und Entfremdung abgelöst, in dem der ältere George versuchte, den jungen Geistesbruder zu vereinnahmen. In der zerbrochenen Beziehung beider spielte wohl auch der Gegensatz zwischen Österreich und Deutschland eine Rolle, welches Hofmannsthal, vor allem in der Erscheinung des Preußentums, fremd und suspekt war. Im Jahre 1917, als Österreich noch in der Waffenbruderschaft mit dem deutschen Reich koexistierte, stellte Hofmannsthal in einem knappen, aber weitreichenden Vergleich Preussen und Österreicher einander gegenüber. Es nimmt nicht wunder, dass dieser Vergleich durchwegs zugunsten Österreichs ausfiel und er den Österreicher z. B. rühmte, »mehr Frömmigkeit, mehr Menschlichkeit« zu besitzen, und ihm auch »Ironie bis zur Auflösung« attestierte.17 Jedenfalls musste Hofmannsthal, um seinen eigenen Weg gehen zu können und sich als selbstständige Persönlichkeit zu behaupten, George, der ein großer Anreger und Verführer, in der Kunst der Verführung ein Meister von geradezu dämonischer Qualität war, widersagen. Hätten die Österreicher insgesamt die Widerstandskraft entfaltet, die Hofmannsthal im Verhältnis zu George an den Tag legte, wäre die österreichische Geschichte wohl glücklicher verlaufen, als sie es unter der erdrückenden Übermacht des Deutschen vermochte. George selbst hat diesen Wunsch, Österreich am deutschen Wesen genesen zu lassen, in einer auch für die Beziehung zu Hofmannsthal gültigen Form zum Ausdruck gebracht : »Da wollten wir euch freundlich an uns reißen – Mit dem was auch in euch noch keimt und wächst, Denn dazu lieben wir zu sehr euch Brüder – Um 17 Vgl. Hofmannsthal Werke II (s. Anm. 10), 615.
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zu genießen nur als spiel und klang – An euch die schwanke schönheit grabesmüder – An euch den farbenvollen untergang.« Hofmannsthal war nicht nur der im Vergleich zu Wildgans für fremde Einflüsse Empfänglichere, er verstand es auch besser, Freundschaften schöpferischer Natur zu pflegen und in andere Sphären der Kunst, besonders der Musik, hi neinzuwirken, wie sein großer Erfolg als Librettist von Richard Strauss beweist. Trotz aller dieser Unterschiede und der Vorzüge Hofmannsthals im Vergleich zu Wildgans teilen doch beide Persönlichkeiten im Urteil der Nachwelt das Schicksal der Umstrittenheit, was ihr Werk als auch ihre Haltung anbelangt, Hans Weigel war beileibe nicht der Einzige, der seine literarischen Giftpfeile gegen beide aussandte. Nicht nur Wildgans fand vor den Augen des gestrengen Kritikers keine Gnade, auch Hofmannsthal nahm in seiner Beurteilung keinen allzu hohen Rang ein, Weigel drohte einmal sogar, einen Verein »gegen die Überschätzung Hugo v. Hofmannsthals« zu gründen, Doch die so Angegriffenen befinden sich, was die Ablehnung anbelangt, in guter Gesellschaft, Weigel ließ nämlich auch Grillparzer, den Hofmannsthal wie Wildgans sehr verehrten, nur als »halben Klassiker« bzw. »Zweitklassiker« gelten.18 Ernster zu nehmen als diese Anwürfe, die sich gegen den literarischen Rang richten, sind die, die Hofmannsthal wegen seiner allgemeinen Haltung in die Nähe des Faschismus rücken. So hat der Amerikaner Michael P. Steinberg in einem eigenen Buch Hofmannsthal und Reinhardt im Zusammenhang mit den Salzburger Festspielen, aber auch ihrer Instrumentalisierung durch den »Ständestaat« 1934–38, dem sie Anknüpfungspunkte geboten hatten, der Faschismusnähe geziehen.19 Und wenn diese Anklagen auch einseitig anmuten, lässt sich doch nicht leugnen, dass Hofmannsthal eine Affinität zu gewissen Elementen des Faschismus hatte. In dieser Beziehung steht Wildgans mit seiner politischen Haltung besser da, obwohl ihm gerade von Robert Musil und anderen der Vorwurf gemacht wurde, einer der wenigen – von beiden großen politischen Lagern der österreichischen Innenpolitik akzeptierten – Großkoalitionäre lange vor der großen Koalition der Zweiten Republik gewesen zu sein. Doch gerade darin kann man auch ein Verdienst und historisches Vorläufertum Wildgans’ erblicken. Die Christlichsozialen respektierten ihn wegen seiner Hochschätzung und Pflege konservativer kultureller Werte, die Sozialdemokratie erblickte 18 Hans Weigel : Flucht vor der Größe. Graz 1978. 127. 19 Vgl. Michael P. Steinberg : Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele 1890–1938. Salzburg, München 2000.
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in ihm einen Hoffnungsträger, der sich sozialer Werte annahm und mit seiner Mitleidsprosa und -poesie an das soziale Gewissen der damaligen Gesellschaft appellierte. Die Verschiedenheiten zwischen Hofmannsthal und Wildgans lassen sich zum Teil, auch wenn man keiner deterministischen Milieutheorie huldigt, aus ihrer sozialen Herkunft und Sozialisation erklären. Wildgans kam aus einer kleinbürgerlichen Familie mit drohendem Abgleiten ins Proletariat, sein Drama Armut trägt wohl starke autobiografische Züge und Anklänge. Hofmannsthal entstammte einer großbürgerlichen Familie, die durch den Börsenkrach 1873 wohl einen Teil ihres Reichtums verlor, aber auch danach wohlhabend blieb ; so war sein Vater auch nach dem Zusammenbruch seiner Bank als Leiter der Rechtsabteilung der Bodenkreditanstalt ein Beamter der gehobenen Gehaltsklasse. Diese so verschiedene Prägung und Jugend wirkte sich auch im Lebensgefühl und Schaffen der beiden schöpferischen Zeitgenossen aus. Während Wildgans volksverbunden war und blieb, fehlt bei Hofmannsthal dieses soziale Element weitgehend. Er ließ zwar den reichen Jedermann vor das göttliche Gericht rufen, die sozialen Unterschiede aber werden bei ihm erst sub specie mortis und aeternitatis eingeebnet und nicht früher. Als Künstlernaturen waren beide Ästheten, aber verschiedener Ausformung : Der bis ins Derb-Sinnliche reichenden Volkstümlichkeit Wildgans’, wie sie in seinem Epos Kirbisch zum Ausdruck kommt, stand bei Hofmannsthal eine elitär-aristokratische Grundhaltung gegenüber. Wenn es tatsächlich einen Brückenschlag von Hofmannsthal zum Faschismus gibt, so ist es dieser elitäre, bewusst gepflegte Einschlag, wie er etwa in seiner Abhandlung über Gabriele d’Annunzio zum Ausdruck kommt. Der Abenteurer und Narziss zog Hofmannsthal magisch an, nicht zufällig war der »Held von Fiume« auch eine Symbolfigur des italienischen Faschismus. Im Persönlichkeitsbild Hofmannsthals lässt sich eine typisch katholische, oft raffinierte Verbindung von Luxus und Askese ausmachen, die ihn von Wildgans und anderen vergleichbaren Zeitgenossen abhebt. Schon vor der Jahrhundertwende beschrieb Hofmannsthal sein Lebensgefühl in Anlehnung an d’Annunzio wie folgt : »Wir haben gleichsam keine Wurzeln im Leben und streichen, hellsichtige und doch tagblinde Schatten, zwischen den Kindern des Lebens umher. Wir ! Wir ! Ich weiß ganz gut, dass ich nicht von der ganzen großen Generation rede. Ich rede von ein paar Tausend Menschen, in den großen europäischen Städten verstreut.«20 20 Vgl. Hofmannsthal Werke II (s. Anm. 10), 292.
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Bei Hofmannsthal dürften sich die Distanz des Künstlers gegenüber der Masse und deren Leben und die Angst des um Assimilation bemühten Menschen jüdischer Herkunft überlagert haben ; selbst wenn diese Herkunft nach den »Nürnberger Rassengesetzen« eine bloß entfernte war, so hätte Hofmannsthal nach diesen unseligen und unsinnigen Gesetzen als »Mischling 2. Grades« gegolten, da er nur einen jüdischen Großelternteil hatte, der sich überdies taufen ließ. Aber noch sein Urgroßvater Isaak Löw war nicht nur jüdischer Herkunft, sondern wollte selbst Rabbiner werden, trat aber später in das Kaufhaus Königswart ein, das es unter seiner Leitung zu Wohlstand und Ansehen brachte. Dieser Urgroßvater spielte in der israelitischen Gemeinde Wiens eine große Rolle und wurde als großzügiger Wohltäter und Spender 1835 als »Edler von Hofmannsthal« nobilitiert, eine Auszeichnung, die nur wenigen – noch dazu nicht getauften – Juden zuteil wurde. Hofmannsthals Urgroßvater wählte als Insignien seines Wappens bezeichnenderweise nicht nur die Seidenraupe auf einem Maulbeerblatt – hatte er doch die Seidenkultur in Ungarn entwickelt und eine Filiale dieser Zucht auch in Perchtoldsdorf, in unmittelbarer Nähe von Rodaun, dem späteren Wohnsitz seines Urenkels, gleichsam als erste familiäre Spur in dieser Gegend, gegründet –, sondern auch den Opferstock und die mosaischen Gesetzestafeln. Isaak Löw war nicht nur ein Philanthrop und Wohltäter, sondern auch ein gottesfürchtiger Mann, dem das Gesetz Moses’ Befehl war und der daraus auch die Verpflichtung ableitete, den vom Schicksal minder begünstigten Glaubensgenossen zu helfen. Als Repräsentant der Wiener jüdischen Gemeinde und Schulinspektor machte er sich um das soziale und kulturelle Leben der Wiener israelitischen Gemeinde hochverdient. Die Hochschätzung des Geistes, die das Geld als Mittel zum Erwerb gesellschaftlichen Ansehens und zur Hinwendung zu geistigen Gütern einsetzte, war nicht nur für die Familie Hofmannsthals, sondern für das jüdische Bürgertum insgesamt typisch, das so große Beiträge zur österreichischen Kultur geleistet hat, ohne damit dem späteren Schicksal der Verfolgung bis hin zum Mord zu entgehen. Gerade das Beispiel Hofmannsthals zeigt auch deutlich, wie förderlich die Mischung der nationalen und religiösen Elemente der Kreativität war. Freilich ist ein solcher Boden auch einer, auf dem starke Spannungen gedeihen. In einem der berühmtesten Gedichte Hofmannsthals, Manche freilich, kommt dieses aus vielen Quellen gespeiste, aber auch bedrängte Lebensgefühl in den Versen »ganz vergessener Völker Müdigkeiten kann ich nicht abtun von meinen Lidern, noch weghalten von der erschrockenen Seele stummes Niederfallen ferner Sterne« zum Ausdruck.
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Mögen Depression und Krankheit bei Hofmannsthal und Wildgans auch denkbar verschiedene Wurzeln gehabt haben, sie blieben beide von diesen Begleiterscheinungen künstlerischer Aktivität und Kreativität nicht verschont. Beide hatten ein kurzes, vorzeitig abgebrochenes Leben. Die österreichische Psychologin Charlotte Bühler, die schon in den 1930er-Jahren die Lebenslaufforschung begründete,21 bezeichnete als »Kurzleben«22 ein solches, das »wesentlich weniger als siebzig Jahre« währt. Heute, da die Lebensdauer stark gestiegen ist, gilt ein Leben, das nicht einmal sechzig Jahre erreicht, umso mehr als Kurzleben. Von der Trias Alter, Krankheit und Tod blieben Wildgans und Hofmannsthal das Alter als Last erspart, allerdings auch die mit ihm wachsenden Möglichkeiten der Vollendung vorenthalten. In beiden Lebensläufen spielte die Krankheit, nicht erst und nicht bloß die eigene, eine große, ja entscheidende Rolle. Wildgans musste das mehr als zehn Jahre währende Siechtum seines durch einen Schlaganfall gelähmten Vaters miterleben und als schreckliche Erinnerung, ja auch in Form der Angst vor einem ähnlichen Schicksal, mit sich tragen, bei Hofmannsthal war es der Selbstmord des Sohnes, der einen tödlichen Schlag herbeiführte. Auch die Gefühle der Einsamkeit und der Depression waren den beiden nicht fremd, sondern wurden ihnen, wie zahlreiche Lebenszeugnisse bestätigen, in reichem Maße zuteil. Beide sind ein Beleg dafür, dass auch eine glückliche Ehe, wie sie beiden vergönnt war, keinen Schutz gegen Gefühle der Einsamkeit und Verlassenheit bietet, ja dass die Einsamkeit in der Zweisamkeit umso stärker empfunden wird. Wildgans wie Hofmannsthal sind Zeugen dafür, dass große Leistungen einem schweren Leben und einer damit verbundenen Schwerlebigkeit und Schwermut abgerungen werden müssen.
21 Vgl. Charlotte Bühler. Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem. Psychologische Monografien. Hg. v. Karl Bühler. IV. Band. Leipzig 1933. 22 Ebd., 271.
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Erwin Stransky (1877–1962) Jüdischer Deutschnationaler bis zum bitteren Ende
Unter den in diesem Band versammelten Persönlichkeiten wird die Erwin Stranskys der Charakterisierung als »skurril« wohl am meisten gerecht. Gleichzeitig bestätigt dieses Leben das Diktum Arthur Schopenhauers, dass das Leben im Großen und Ganzen eine Tragödie, in seinen einzelnen Episoden auch eine Komödie, insgesamt also eine Tragikomödie sei. Dabei verläuft der Werdegang Erwin Stranskys, dessen Name vielen Zeitgenossen kaum mehr etwas sagt, in geordneten Bahnen. Als Sohn eines Fabrikanten namens Moritz Stransky am 3. Juli 1877 geboren, durchläuft er pünktlich und korrekt, wie er auch sonst war, alle Stadien einer medizinisch-wissenschaftlichen Karriere. Er maturiert 1894 mit Auszeichnung und absolvierte sein medizinisches Studium schon 1900, also in einer Rekordzeit. Nach der Promotion trat er in die I. psychiatrische Klinik ein, die unter der Leitung des schon damals berühmten und 1927, ein Jahr vor seiner Emeritierung, mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Professors Julius Wagner-Jauregg stand. 1915 erhielt Stransky den Titel eines ao. Professors. Schon 1908 hatte sich Stransky mit einer Arbeit über die Dementia praecox habilitiert. Er war auf dem Gebiet der Schizophrenieund Parkinsonforschung, aber auch im Bereich der manisch-depressiven Erkrankungen tätig und bahnbrechend, einer seiner späteren Kollegen hat Stransky mir gegenüber als sogar »nobelpreisverdächtig« eingestuft. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete er an einem »Lehrbuch der allgemeinen und speziellen Psychiatrie« . Seine wissenschaftliche Tätigkeit erfuhr allerdings durch einen Felddienst eine zweijährige Unterbrechung. Er dürfte sich aber in dieser kurzen Dienstzeit besondere Verdienste erworben haben, denn er wurde mit der seltenen Auszeichnung des Ritterkreuzes des Franz-JosephsOrdens mit den Schwertern bedacht. Er blieb aber auch nach seiner Demobilisierung dem Militärwesen als psychiatrischer Sachverständiger für die Wiener Militärgerichte erhalten. Er verarbeitete seine Kriegserfahrungen auch wissenschaftlich, so erschien 1918 eine Publikation mit dem einschlägiger Titel »Krieg und Geistesstörung«. 1921 veröffentlichte er eine »Psychopathologie der Ausnahmezustände und Psychopathologie des Alltags«, die an bekannte Schriften Freuds erinnert, die aber bei Stransky, der ein erklärter Gegner und nicht bloß
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Skeptiker gegenüber der Psychoanalyse war, aus ganz anderen Voraussetzungen entstand. Stransky teilte die Ablehnung der Psychoanalyse mit seinem Lehrer und Vorbild Wagner-Jauregg, der zwar psychoanalytisch orientierte Forscher an seiner Klinik tolerant behandelte und gewähren ließ, selbst aber nicht viel von der psychoanalytischen Methode zur Behandlung von Geisteskrankheiten hielt. Stransky zitierte immer wieder in Vorträgen, die er nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem im Rahmen der Volkshochschule Wien-West hielt und die ich so oft als möglich besuchte, zwei Äußerungen Wagner-Jaureggs über die Psychoanalyse bzw. Freud, die beide nicht sehr freundlich sind. Die eine mehr sachliche lautete »Psychoanalyse ist ein Verfahren, bei dem ein Narr den anderen Narren zum Narren hält.« Der zweite, mehr personenbezogene lautete Stransky bzw. WagnerJauregg zufolge : »Freud verdient einen Nobelpreis, aber nicht für Medizin, sondern nur für Literatur.« So arbeitete sich Stransky durch wissenschaftliche Leistungen im Zentralbereich der Neurologie und Psychologie hoch, und es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis er es auch zum Ordinarius in seinem Fach brachte. Doch 1927 kam ein Ereignis aus der privaten Sphäre des Ehepaars Stransky dazwischen, das diese Hoffnungen zunichtemachte. Stransky war seit 1919 mit einer Sängerin verheiratet, die das 1937 erschienene »Lexikon österreichischer Zeitgenossen« mit dem Titel »Wer ist Wer« als »Opern-, Konzert- und Oratoriensängerin« etiket tiert. Seine um rund zwanzig Jahre jüngere Frau Josefine, geb. Holas, war, wie man Berichten über sie entnahmen kann, eine nicht nur um vieles jüngere, sondern auch auffallend hübsche Frau. Das Ehepaar Stransky freundete sich in den Zwanzigerjahren mit dem Opernstar Trajan Grosavescu und seiner Frau Nelly an, und sie verkehrten auch gesellschaftlich miteinander. Ob dieser Verkehr nur ein freundschaftlicher war oder auch in eine Liebebeziehung zwischen der Gattin Stranskys und dem rumänischen Tenor Grosavescu bestand, lässt sich nicht sagen und wäre auch höchstens für die beteiligten Ehepaare von Bedeutung gewesen, wenn es nicht am 15. Februar 1927 zu einer furchtbaren Bluttat gekommen wäre. Die krankhaft eifersüchtige Frau Grosavescu gab im Laufe einer heftigen Auseinandersetzung nach der Heimkehr von der Oper aus einem in ihren Besitz befindlichen Revolver einen Schuss ab, der ihren Gatten blitzschnell tötete. Es musste nach einem solchen Vorfall zu einem Sensationsprozess kommen, der am 22. Juni 1927 vor dem Schwurgericht, das für solche Fälle zuständig war, stattfand. Der Staatsanwalt Dr. Tuppy, der auch nach dem 25. Juli 1934 die Anklage gegen die Mörder von Engelbert Dollfuß vertrat, was ihm 1938 zum tödlichen Verhängnis wurde, plädierte auf Mord. Der Verteidiger Dr. Steger
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verlangte unter Hinweis auf den getrübten Geisteszustand der Angeklagten den Freispruch, zu dem es dann tatsächlich aufgrund des mehrheitlichen Votums der Geschworenen auch kam. Berufsrichter hätten wohl kaum einen solchen Freispruch gefällt und zeigten sich über das Urteil auch empört. Es wurden im Zusammenhang mit diesem Prozess auch Rufe nach einer Reform der Geschworenengerichtsbarkeit laut. Kaum einen Monat später, am 14. Juli 1927, sollte es zu einem Freispruch in dem berühmten Schattendorfer-Prozess gegen drei Männer kommen, die am 30. Jänner 1927 einen Invaliden und ein unbeteiligtes Kind getötet hatten. Dieses Urteil hatte weittragende und ungeahnte Folgen, der Freispruch führte zu den Demonstrationen und bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen des 15. Juli 1927, die einen Wendepunkt in der Geschichte der Ersten Republik darstellten und als ein Vorbote der späteren Vernichtung der Demokratie 1933/34 angesehen werden können. Für das Ehepaar Stransky war dieser Prozess eine private Tragödie ersten Ranges. Ob es nun tatsächlich ein Verhältnis zwischen Frau Stransky und dem rumänischen Tenor gab, ob Frau Stransky bei Grosavescu, wie sie behauptete, nur Gesangsstunden nahm oder ob es, wie Frau Grosavescu argwöhnte, Schäferstündchen zwischen den beiden gab, lässt sich nicht verifizieren, aber wie dem auch gewesen sein mag, Frau Stransky war eine kompromittierte Zeugin, die den guten Ruf ihres Mannes ernstlich beschädigte. Dann aber geschah etwas, das ich nur aus Erzählungen eines guten Bekannten der Familie weiß. Im Gegensatz zu dem, was man in einem solchen Falle erwartete, gab Professor Stransky seiner Frau keine Gelegenheit, sich zu rechtfertigen. Er handelte wie jener Mann in der Schnitzler-Novelle »Die Frau des Weisen«, der seine Frau in einer verfänglichen Situation mit einem jungen Mann überrascht, sie aber nicht zur Rede stellt, sondern sich schweigend zurückzieht und der Frau auch künftig nichts merken lässt. So weise handelte auch Professor Stransky. Sobald sie versuchte, auf dieses Thema zu sprechen zu kommen, wechselte er das Thema. Sie soll dem Bekannten, der mir dies alles erzählt hat, gegenüber gesagt haben, dass sie jeden Vorwurf und jede Strafe liebend gern ertragen hätte und auch erwartet hat. Aber gegen diese Mauer des weisen Schweigens rannte sie vergeblich an. Nur ein sehr weiser Mann und vielleicht überhaupt nur ein Arzt, der in Seelen zu lesen gewohnt ist, ist zu einer solchen Größe fähig. Stransky wusste, dass er sie mit seinem Schweigen über etwas, worüber sich ganz Wien den Mund zerriss, am meisten bestrafte und gleichzeitig noch enger an sich band. Josefine Stransky sollte ein Jahrzehnt später Gelegenheit haben, ihren Fehltritt, so er überhaupt ein solcher war, gutzumachen. Denn mit dem Einmarsch
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Hitlers war Professor Stransky, der nach den Nürnberger Rassegesetzen Volljude, wenn auch ein assimilierter und protestantisch Getaufter, war, über Nacht nicht nur seinen wohlverdienten Posten los, sondern er war, wie alle seine Schicksalsgenossen, der Willkür der neuen Machthaber preisgegeben. Unter diesen Umständen war es für ihn von unschätzbarem Vorteil, eine »arische« Frau zu haben, die ihm Schutz bot und Stütze war. Professor Stransky hat den Krieg und das Tausendjährige Reich, das zum Glück für Österreich hier nur sieben Jahre dauerte, überlebt. Doch auch in der Zweiten Republik sollte es ihm nicht mehr beschieden sein, die ordentliche Professur zu erreichen, denn er hatte einen Konkurrenten in der Person von Hans Hoff, der über die besseren Verbindungen verfügte und den Stransky, wie er mir gegenüber äußerte, als einen persönlichen Feind betrachtete und wohl auch vice versa. Doch noch ist aus der Nazizeit, in der Stransky zwar den Judenstern tragen musste, aber durch die Mischehe vor der Deportation geschützt war, Erstaunliches zu berichten. Die diesbezüglichen Informationen verdanke ich der Tochter des Bundespräsidenten Adolf Schärf, Martha Kyrle ; hätte mir jemand anderer die im Folgenden wiedergegebene Geschichte erzählt, hätte ich sie für die Ausgeburt einer krankhaften Fantasie gehalten. Aber Frau Kyrle hat mir mehrfach bestätigt, dass es sich tatsächlich so verhalten und abgespielt hat. Die Familie Schärf hat bei der Schlacht um Stalingrad ihren Sohn verloren und war dementsprechend zu Weihnachten 1943 in gedrückter Stimmung. Adolf Schärf ging vor dem Heiligen Abend mit seiner Tochter stundenlang spazieren, um irgendwie über den schweren Verlust, der ihm erst seit Kurzem bekannt geworden war, hinwegzukommen. Als Schärf mit seiner Tochter nach Hause kam, war der Christbaum geschmückt, und unter diesem saß auch das Ehepaar Stransky, das im selben Haus, Skodagasse 1, wie Schärf wohnte. Und nun spielte sich folgende wahrhaft denkwürdige Szene ab. Stransky kondolierte dem Ehepaar Schärf, fügte aber hinzu : »Ihr Sohn ist einen Heldentod gestorben und trotz allem, was jetzt geschieht : Deutschland muss den Krieg gewinnen, dann werden wir Hitler loswerden.« Der »Arier« Schärf lehnte diesen Trost ab und glaubte bzw. hoffte längst nicht mehr an und auf einen Sieg Deutschlands. Stransky war schon lange vor Hitler ein rechtskonservativer Deutschnationaler, dessen Einstellung auch der Erschütterung durch Hitler standhielt. Er war sehr autoritär eingestellt und hätte auch von daher eine gewisse Affinität zu diktatorischen Systemen. 1928 veröffentlichte er eine Schrift mit dem Titel »Subordination. Autorität. Psychotherapie«, in der die »Subordinations-Autoritäts-Relation« sehr häufig vorkommt und mit dem Ausdruck »SAR« abgekürzt
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war. Wie er mir im einzigen Gespräch, das ich mit ihm erst Anfang der Sechzigerjahre, also kurz vor seinem 1962 erfolgten Tod auf einer Bahnfahrt von Bruck an der Mur nach Wien führen konnte, erklärte, brauche der neurotische Patient nicht das, was die Psychoanalyse bietet, nämlich »Wühlen in der Vergangenheit«, sondern eine starke und strenge Hand, die ihn auf den rechten Weg zurückführt. Stransky verlangte von seinen Patienten einen handgeschriebenen Lebenslauf, den er auch auf orthografische Fehler hin korrigierte. Er gestand seinen Klien ten nur eine nicht zu lang bemessene Behandlungszeit zu, hielt also nichts von langen Behandlungen und endlosen Vertiefungen. Bei dem erwähnten Gespräch äußerte sich Stransky nicht nur verbal verächtlich über die Psychoanalyse, er unterstrich dieses verbale Urteil auch durch die Geste des Geldzählens mit der rechten Hand. Auch sonst hatte seine extrem konservative Haltung Berührungspunkte mit dem Nationalsozialismus, so erklärte er sich in dem erwähnten Gespräch solidarisch mit dem kriminologischen Kollegen Roland Graßberger, der aus Protest gegen den in der Strafrechtskommission vor Kurzem gefassten Beschluss, die Homosexualität künftig nicht mehr unter Strafdrohung zu stellen, aus der Kommission austrat. Meinen Einwurf, dass es sich auch um einen starken Trieb handle, dem man nur schwer widerstehen kann, quittierte er mit dem Satz »Kein Mensch muss müssen« und erklärte die Homosexualität zu einer »schlechten Gewohnheit«, die man sich auch wieder abgewöhnen könne. Es fällt schwer, eine solche Haltung heute noch zu verstehen, gerade ein Psychiater und noch mehr ein Kriminologe müsste wissen, dass die Strafdrohung die Betätigung der Neigung nicht verhindert, aber der Nährboden für andere Delikte wie Erpressung und Raub ist. Auch in der Abtreibungsfrage nahm er einen extrem konservativen und reformfeindlichen Standpunkt ein. Alle diese Anklänge an NS-Gedankengut ließen in mir die Frage aufkommen, die nicht nur in Bezug auf Stransky relevant ist : Hätten nicht viele Juden, wenn Hitler nicht antisemitisch fixiert gewesen wäre, in den Jubel, der Hitler in Österreich entgegen brauste, wenn er auch nie die Mehrheit der Bevölkerung erfasste, eingestimmt und wären sie ihm wie verblendete »Arier« auch gefolgt ? Freilich lässt sich demgegenüber einwenden, dass Hitler ohne den Antisemitismus nicht denkbar war, dass dies nicht ein Seiten- sondern ein Haupttrieb seiner Bewegung war. Trotzdem bin ich der zeitgeschichtlichen Meinung, dass die Schubkraft, die vom Antisemitismus ausging, allein nicht ausgereicht hätte, um Hitler an die Macht zu bringen. Denn es hat in Deutschland wie auch in Österreich Zehntausende Mischehen gegeben, die mehr für Philo- denn für Antisemitismus sprechen. Entscheidender für den Weg Hitlers an die Macht
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war vielmehr der Antibolschewismus, die Angst des Bürgertums und Kleinbürgertums vor dem Übergreifen des Bolschewismus. Hitler bekämpfte und verteufelte sowohl die Juden als auch den Bolschewismus, Letzteren freilich mit ungleich mehr Recht. Das Thema, wie es möglich war, dass Hitler an die Macht kam, konnte einen Psychiater und Betroffenen wie Stransky nicht loslassen. Er trat 1952 mit einem Werk »Psychopathie und Staatsführung« hervor, in dem er die Forderung aufstellte, Politiker sollten sich von Zeit zu Zeit einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen müssen, um das Unheil, das von geistig Kranken an der Macht ausgeht, von den Menschen abzuwenden. Ich nahm selbst an einigen öffentlichen Diskussionen zu diesem Buch und seinen Thesen teil und erinnere mich noch an den Ausspruch Stranskys : »Hitler wäre nicht durch mein Interrogatorium durchgekommen. Ich hätte ihn als gefährlichen Geisteskranken entlarvt.« Der Einwand, der in der Diskussion prompt kam, war der, dass dann alle Macht von den Politikern an die Psychiater übergehen würde, und sind die Psychiater davor gefeit, ihrerseits geisteskrank zu werden ? In diesem Zusammenhang erinnere ich mich, dass Hertha Firnberg mir gegenüber einmal die Bemerkung gemacht hat, dass es ausgerechnet zwei Psychiater waren, die ihre Lehrkanzeln wegen Geisteskrankheit verloren. Ich bin im Zusammenhang mit diesen Überlegungen der Sache nachgegangen und habe recherchiert, dass es tatsächlich zwei Professoren dieses Faches, Wolfgang Holzer in Graz und Hubert Urban in Innsbruck, waren, denen ein solches Schicksal widerfahren ist. Diese Affinität zu den Patienten, die man zu behandeln hat, lässt sich entweder mit einer von Anfang an bestehenden geistigen Verwandtschaft oder mit einer Deformation professionelle, einer Ansteckung in Ausübung der eigenen Tätigkeit, erklären. Im Zusammenhang mit Prof . Holzer verdient eine Episode Erwähnung, die ich einer Erzählung Erwin Ringels verdanke. Ringel erzählte mir, dass besagter Professor Holzer, der schon amtsenthoben war, dessen Beschwerde aber noch beim Verfassungsgerichtshof anhängig war, beim Begräbnis eines Kollegen, Professor Alexander Pilcz, ungebeten als Grabredner aufgetreten sei und sich unter dem verhaltenen Gelächter der Trauergemeinde als »unabsetzbarer Ordinarius« bezeichnete. Besagten Professor Pilcz habe ich übrigens noch persönlich aus meiner Kindheit in Erinnerung, denn er wohnte schräg gegenüber meiner Elternwohnung in der Alserstraße. Soweit ich mich erinnere, hatte auch Professor Pilcz in dieser Gegend nicht nur den Ruf eines »zerstreuten Professors«, sondern auch den eines Sonderlings, der mitunter mehr seinen Patienten als den braven Durchschnittsbürgern zu gleichen schien. Der langen Rede kurzer Sinn : Der Versuch,
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das Problem der Bändigung der Macht auf dem Umweg über die Psychiatrie in den Griff zu bekommen, ist ebenso zum Scheitern verurteilt wie jedes andere Rezept, das man gegen das Unkraut der Macht zur Anwendung bringen will. Ich habe ungeachtet all dieser Einwände immer wieder mit Vergnügen und geistigem Gewinn Stranskys Vorträge gehört. Einige seiner Äußerungen sind mir in dauernder Erinnerung geblieben. So sagte er einmal : »Ich habe im Laufe meines Lebens sehr wenige echte Atheisten kennengelernt. Die meisten, die sich dafür halten, sind nur aus irgendeinem Grunde böse auf den lieben Gott.« Auch die Fallbeispiele, die Stransky aus seiner Praxis erzählte, haben mich nicht nur amüsiert, sondern auch bereichert. So erzählte Stransky von einem Malermeister in einer niederösterreichischen Kleinstadt, der die Behörden mit Beschwerden überschwemmte und über den er ein Gutachten zu erstellen hatte. Stransky entschloss sich zu einer an sich gewagten, aber dann erfolgreich gewordenen Schocktherapie : er führte den guten Mann in die alte Nervenklinik, über der, wie Stransky sagte, die Überschrift am Eingangstor Danteschen Hölle »Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr hier eintretet« hätte stehen können, und ließ ihn einen Blick durch das Guckloch machen. Da erblickte er sich im eigenen Kot wälzende Gestalten mit Schaum vor dem Mund und schauderte zurück. Stransky aber sagte zum ihm : »Sehen Sie, dort werden Sie auch hinkommen, wenn Sie weiter prozessieren !« Der Geschockte gelobte Besserung und zog alle Eingaben zurück. Der Zufall wollte es, dass ich Professor Stransky während meines Gerichtsjahres 1958 am Hernalser Gürtel hautnah, wenn auch ohne Gespräch, in einer ganz ähnlichen Angelegenheit als Gutachter erleben durfte. Es handelte sich damals um eine Frau, die ihren Mann mit Klagen wegen Ehestörung, die damals noch geltend gemacht werden konnte, eindeckte und auch den Behörden auf die Nerven ging. Der als psychiatrischer Sachverständiger konsultierte Professor Stransky führt aus, dass die eifersüchtige Frau, die er zu beurteilen hatte, im Allgemeinen durchaus normal und zurechnungsfähig sei und er keine Bedenken hätte, ihr sein nicht vorhandenes Vermögen anzuvertrauen. Nur in einem Punkt, der die eheliche Treue ihres Mannes betrifft, hat sie eine fixe Idee, die sie partiell unzurechnungsfähig macht. Die Dame hörte sich das druckreif formulierte Gutachten an, um nach dessen Vollendung wieder auf die alten Beschuldigungen zurückzukommen. Es gereicht der alten Universität zur Ehre, dass sie Charakterköpfe wie Erwin Stransky, auch wenn sie Querköpfe waren, hervorgebracht und ertragen hat. Der vom Schweizer Psychiater Eugen Bleuler geprägte und von Freud vielfach übernommene und angewendete Begriff der »Ambivalenz« erscheint mir geeignet, sowohl meine Einstellung zu Erwin Stransky als auch seine Haltung
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gegenüber dem antidemokratischen und illiberalen Zeitgeist zu charakterisieren. Zunächst zu meiner Einstellung ihm gegenüber : Ich bewunderte den immer elegant und mit Mascherl gekleideten alten Herrn, seine ungeheure Disziplin auch noch im Alter und seine blendende Rhetorik, von der ich mir auch für mich selbst einiges abschauen konnte. Auf der anderen Seite missfiel mir, noch bevor ich von Frau Martha Kyrle über seine Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus, die an das Phänomen der »Identifizierung mit dem Aggressor« grenzte erfuhr, seine stark autoritäre Haltung, die er auch in seiner psychotherapeutischen Praxis zur Anwendung brachte und die bei Patienten, die gewillt waren, sich einem strikten Reglement zu unterwerfen, sicher auch Erfolge hatte. Stransky selbst verfiel dem konservativ-autoritären Syndrom und den Tendenzen, die in diese Richtung gingen. Auch wenn er sich zur Religion äußerte, hatte ich das Gefühl, in ihr und besonders im Christentum, das er als die »den Menschen zuträglichste Form der Religion« charakterisierte, mehr eine Ordnungsmacht als einen Hort der Wahrheit zu sehen. In einem seiner zahlreichen Ausfälle gegen die Freud’sche Psychoanalyse sagte er einmal, dass die Psychoanalyse sowohl vom Kommunismus, als auch vom Nationalsozialismus, aber auch von der katholischen Kirche abgelehnt wurde und wird. Daraus schloss er, dass die Psychoanalyse mit jedwedem strikten Ordnungssystem unvereinbar sei und dieses untergrabe. Gerade darin aber kann man einen Vorzug der Psychoanalyse erblicken, dass sie kritisch gegenüber allen Herrschaftssystemen ist, obwohl Freud selbst ein eher konservativer denn progressiver Gesellschaftsdenker war, für den Repression und Sublimierung einen hohen Stellenwert hatten. Vollends in die Abgründe des Zeitgeistes der Zwanziger- und Dreißigerjahre geriet Stransky, wenn er in einer seiner Abhandlungen allen Ernstes das Problem der psychotherapeutischen Behandlung zwischen Angehörigen verschiedenster Rassen erörterte und damit nicht etwa eine solche Begegnung zwischen Weißen und Schwarzen, sondern zwischen »arischen« und »nichtarischen« Partnern meinte. Es ist unter diesen Vorzeichen auch naheliegend, dass er dem Nationalsozialismus auf dem Umweg der damals selbst von Medizinern wie dem Sozialdemokraten Julius Tandler bejahten Eugenik etwas abgewinnen konnte. In meiner Einschätzung und Rückschau halten sich die Faszination, die von Stransky ausging, und das Abstoßende seiner Ideologie so ziemlich die Waage. Jedenfalls verdient er, als eine der profiliertesten Persönlichkeiten in der Geschichte der Psychiatrie, der durch Zeitumstände nicht voll zur Geltung kam, vermerkt und erinnert zu werden.
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Die Konfrontation mit dem Leben und Werk von Erwin Stransky hat in mir als Zeitgenossen, Zeitzeugen und Zeithistoriker Assoziationen geweckt und mich zu Schlussfolgerungen geführt, die ich abschließend wiedergeben möchte. Eine Überlegung, die sich mir aufdrängt, ist die Folgende : Wenn selbst ein Mann von der Bildung und persönlichen Betroffenheit Stranskys nicht imstande war, sich von seinem Deutschnationalismus zu lösen, kann man es dann den weniger gebildeten und durch die Politik des Nationalsozialismus nicht Betroffenen verargen, dass sie Mitläufer des Systems waren und geblieben sind ? Kann man es ihnen verübeln, wenn sie wie Stransky dachten, der in dem schon erwähnten Gespräch mit mir die Bemerkung machte : »Was ich Hitler am wenigsten verzeihen kann, ist, dass wir uns nach ihm nicht mehr als Deutsche fühlen können.« Wenn wir in der Geschichte weiter zurückgehen, finden wir auch genügend Beispiele dafür, dass Zeitgenossen gleicher Abkunft einander gar nicht verstanden, ja einander verkannten und verhöhnten. So hat der große Karl Kraus, der nicht nur jüdischer Abstammung, sondern auch eine prophetische Natur war, seinen Zeitgenossen Theodor Herzl nicht verstanden, sondern verspottet und sogar das Pamphlet »Eine Krone für Zion« gegen ihn und seine Idee des Judenstaates geschrieben. Kraus und andere Exponenten des liberalen bürgerlichen Judentums wähnten sich sicher und erkannten die Zeichen der Zeit nicht, während die armen Ostjuden inner- und außerhalb Wiens das Anliegen von Herzl sehr wohl verstanden. Und tut man nicht auch dem Wiener Bürgermeister Dr. Karl Lueger, dessen Denkmal manche als moderne Denkmalstürmer verunstalten wollen, unrecht, wenn man, einer falschen Spur, die Hitler in »Mein Kampf« gelegt hat, folgend, Lueger als Wegbereiter und Vorläufer Hitlers denunziert, wo er doch das gerade Gegenteil davon war ? Ein wahrhaft unverdächtiger Zeitzeuge, nämlich Stefan Zweig, hat Lueger in seiner »Welt von gestern« ein literarisches Denkmal gesetzt, das ihn nicht als Vorläufer, sondern als das Gegenteil Hitlers rühmt. Zweig kommt insgesamt zum Ergebnis : »Noch war nicht das Hassgift und der Wille zu gegenseitiger restloser Vernichtung in den Blutkreislauf der Zeit gedrungen.« Freilich muss man rückblickend auch sagen, dass selbst der nicht von Rassenhass erfüllte Antisemitismus religiöser und sozialer Natur zu den Entartungen des Nationalsozialismus beigetragen hat, aber es sollte in der Geschichte keine Erfolgs- und Sippenhaftung geben. Denn dann könnte man auch alle russischen Marxisten für die Verbrechen Stalins verantwortlich machen, die für diese weder vorhersehbar noch von ihnen gewollt waren, wenn sie sich auch in der historischen Abfolge auseinander ergaben.
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Hans Kelsen (1881–1973) Der Jurist des Jahrhunderts
Unter den wissenschaftlichen Persönlichkeiten, die mich geprägt und gefördert haben, ragt Hans Kelsen als der unüberbietbare Höhepunkt hervor. Ich verdanke seinen Werken und den Gesprächen mit ihm viel, er war für mich wie für viele andere nicht nur der »Jurist des Jahrhunderts«, sondern auch ein Vorbild und ein Subjekt persönlicher Zuwendung. Ich lernte Hans Kelsen durch Bundesminister Christian Broda, dessen Taufpate der evangelisch getaufte Kelsen war, bei wiederholten Besuchen in Wien kennen. Einmal führte ich sogar den Vorsitz bei einer Veranstaltung, in deren Rahmen Kelsen einen Vortrag zum Thema »Was ist Gerechtigkeit ?« hielt, die auch als Monografie erschienen ist. Ich hatte auch das Vergnügen und die Möglichkeit, zur Verbreitung der Werke Hans Kelsens als Lektor im Verlag der Wiener Volksbuchhandlung beizutragen. Kelsen war nicht nur Jurist, sondern auch Staatswissenschaftler, Rechtsphilosoph und Rechtshistoriker, Ideologiekritiker und Philosoph, kurz ein Polyhistor und Enzyklopädist, wie man ihn heute kaum mehr findet. 1965 gab ich in besagtem Verlag eine Schrift von Hans Kelsen aus dem Jahre 1920, »Sozialismus und Staat«, heraus, in der er sein eigenes Staatsverständnis entwickelte und mit dem der marxistischen Theorie konfrontierte. Max Adler, den Kelsen trotz seiner marxistischen Einstellung 1927 gegen Widerstände in der Fakultät habilitiert hatte, antwortete mit seinem 1922 erschienenen Werk »Die Staatsauffassung des Marxismus«, was wiederum Kelsen zu einer Erwiderung in Form einer 2. Auflage 1923 veranlasste. Nun gab ich nach mehr als vierzig Jahren unter Weglassung des Zeitbedingten an der Polemik eine 3. Auflage heraus. Das Bemerkenswerte an dieser Polemik war und ist nicht nur ihr Inhalt, sondern die Tatsache, dass ein Lehrer mit seinem Schüler einen wissenschaftlichen Gedankenaustausch pflegt, ohne dass die persönliche Beziehung darunter gelitten hätte oder gar zerbrochen wäre. Kelsen war eben ein großzügiger Denker, dem die wissenschaftliche Wahrheit und die Erkenntnis derselben über alles gingen. Er konnte nur zornig werden und dann auch zur Feder greifen, wenn er sich böswillig und unter einem wissenschaftlichen Niveau angegriffen fühlte, etwa als ein gewisser Karl Leiminger die Reine Rechtslehre wissentlich
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Hans Kelsen
missverstand. Kelsen lebte demokratische Toleranz als praktische Maxime seines Handelns vor. Mein verehrter Lehrer August Maria Knoll erzählte mir wiederholt, dass er, durch Kelsens Großzügigkeit beschämt, in seine Wohnung in der Wickenburggasse, die heute eine Gedenktafel ziert, gegangen sei und ihn gefragt habe : »Herr Professor, Sie sind Republikaner, ich bin Monarchist, Sie ein Liberaler, ich bin Konservativer, Sie sind Jude, ich bin Katholik – trotzdem fördern Sie mich ? Warum fördern Sie mich ?« Kelsen umarmte Knoll daraufhin und sagte : »Eben weil Sie alles das, was ich bin, nicht sind, fördere ich Sie.« Knoll seinerseits hat mich gefördert, obwohl er CVer war und ich damals noch linientreuer Sozialist. Er hat den Wunsch, akademischer Lehrer zu werden, in mir geweckt, obwohl er meinen wissenschaftlichen Aufstieg, den er zugrunde gelegt hatte, nicht mehr erleben durfte. Ich meinerseits habe mich in bewusster Nachfolge Knolls und Kelsens in meinem Wirkungsbereich bemüht, es den beiden Vorbildern gleichzutun und Menschen verschiedener Herkunft und Gesinnung bei mir und nicht unter mir arbeiten zu lassen. So habe ich in meinem Salzburger Institut so verschiedene Persönlichkeiten wie Anton Pelinka, Friedhelm Frischenschlager und Erich Fröschl auf ihren Weg gebracht. Wenn man die Polemik zwischen Hans Kelsen und Max Adler aus heutiger Sicht auf sich wirken lässt und beurteilt, fällt nicht nur die ungewöhnliche Toleranz auf, die in dieser Kontroverse zum Tragen kommt, sondern auch, dass Kelsen in der Sache und damit inhaltlich recht behalten hat. Die meisten Erwartungen, die Max Adler als Marxist hegte und für wissenschaftlich gesichert hielt, haben sich als Illusionen erwiesen. In noch höherem Maße gilt dies für einen anderen Fakultätskollegen Kelsens, den Sozialphilosophen Othmar Spann, in dieser Eigenschaft einer meiner Vorläufer an der Universität Wien. Wenn man im Lichte der heutigen Erfahrungen und Einsichten Spanns »Der wahre Staat« liest, glaubt man, es mit einem Märchenbuch zu tun zu haben, so fernab jeder Empirie entwarf Spann sein Idealbild einer ständisch-autoritären Gesellschaft als einer fiktiven Gesamtheit. Auch Max Adlers Wunschbilder, darunter auch sein Erziehungsideal in dem Buch »Neue Menschen«, muten wie fromme Traktate in säkularisierter Form an. Man fühlt sich, wenn man Hans Kelsen mit Max Adler und Othmar Spann vergleicht, an den Vers erinnert, den Goethe dichtete, als er einmal zwischen die zeitgenössischen Wundermänner Lavater und Basedow zu sitzen kam : »Prophete rechts, Prophete links, das Weltkind in der Mitten.« Wenn man das 1929 in zweiter Auflage erschienene Werk »Vom Wesen und Wert der Demokratie«, das nach 1945 neu aufgelegt werden konnte, ohne etwas Wesentliches ändern zu müssen, mit Max Adler vergleicht, so wird man
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erst der souveränen Urteilskraft Kelsens gewahr, der die Demokratie verteidigte, als sie dem Ansturm von rechts wie links ausgesetzt war und auch überrannt wurde, aber, wenn auch nach furchtbaren Opfern, eine Wiederauferstehung erlebte, während die linken und rechten Utopien das 20. Jahrhunderts zum Glück nicht überlebt haben. 1968 gab ich, ebenfalls im Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, eine Aufsatzsammlung unter dem Titel »Demokratie und Sozialismus« heraus. Einer dieser Beiträge, die der Sammlung ihren Namen gab, war bis dahin nur im Amerikanischen vorhanden, wurde aber von mir ins Deutsche übersetzt. Kelsen begleitete diese Übersetzung durch Bemerkungen auf Silberpapier, die eine regelrechte Korrespondenz darstellen, die ich dem Hans-Kelsen-Institut, das 1971 zum 90. Geburtstag Hans Kelsens gegründet wurde, übergab. Es war für mich eine Genugtuung und Belohnung meines Engagements für Kelsen, dass ich von der Bundesregierung, die dieses Institut gegründet hatte, von der Gründung bis 1997 als Vizepräsident nominiert wurde, was mir die Möglichkeit gab, weiter für Kelsen und im Geiste Kelsens zu wirken, so durch die Organisation eines Symposions zum Thema »Reine Rechtslehre und marxistische Rechtstheorie« im Justizministerium 1975. Im Rahmen einer Einladung des State Departments für Nachwuchskräfte hatte ich im Sommer 1966 die Möglichkeit, eine sechswöchige Tour durch die usa zu unternehmen, wobei ich mir die Reiseziele und Ansprechpartner aussuchen konnte. Natürlich stand Kelsen auf dieser Liste der Stationen und Personen an der Spitze. So kam ich denn in die Lage, ihn zweimal in seinem Haus in Berkeley in Kalifornien zu besuchen und mit ihm mehrstündige Gespräche zu führen, bei denen sich mir erst die ganze Größe dieses Mannes offenbarte. Er sagte wenig Schlechtes über andere Menschen in seinem Umfeld, auf die wir zwangsläufig zu sprechen kamen, und zeigte auch für die Schwächen derer, die ihm in den stürmischen Zeiten, die hinter ihm lagen, nicht immer die Treue gehalten hatten, Verständnis. Er erzählte mir, dass sein Bruder als Dominika nerfrater den Krieg in Trinidad überlebt habe und dass er ihn um seinen Glauben beneide. Dieser Bruder Kelsens kam später in das Dominikanerkloster in der Postgasse in Wien, wo er als Pförtner Dienst versah. Die Konvertierung zum Katholizismus war in jüdischen Familien gar nicht so selten. So ist ein Sohn des marxistischen Nationalökonomen Rudolf Hilferding Katholik und Ordensmann geworden, was ihn nicht vor der Vernichtung, der Kelsen und andere zum Glück entkommen waren, bewahrte. Im Zusammenhang mit der Rettung vor dem Holocaust erzählte mir Kelsen von einem Hörer, den er als seinen Lebens-
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retter ansah, dessen Namen er sich aber nicht gemerkt hatte. Dieser Hörer kam eines Tages zu ihm in seine Kölner Wohnung und warnte ihn vor seiner bevorstehenden Verhaftung. Kelsen nahm diese Warnung eines Wohlmeinenden, der offenbar bei der Gestapo arbeitete, sich aber eine Anhänglichkeit an seinen früheren Lehrer bewahrt hatte, durchaus Ernst und veranlasste seine Übersiedlung nach Genf, der andere nach Prag und schließlich in die usa, die ihm das Leben rettete, folgen sollten. Kelsen bezeichnete sich mir gegenüber trotz seiner Taufe als nicht gläubig im Sinne der christlichen Tradition, erklärte aber, immerhin als in dem Sinne gläubig, dass es etwas gebe, was der deutsch-amerikanische Theologe Paul Tillich als »ultimate concern« bezeichnete, also als etwas, »das uns unbedingt angeht«, aber nicht bloß aus uns selbst stammt, sondern die Stimme einer höheren Wirklichkeit ist. Kelsen eröffnete mir auch, dass ihn in den letzten Lebensjahren kein anderer Philosoph so beschäftige und ihm nahegehe, wie Plato, über dessen Liebes- und Gerechtigkeitsbegriff er eigene Monografien verfasst habe. Plato sei jemand, der auf einem fernen Ufer stehe und herüberwinke, ohne dass der Angewunkene sich imstande fühlte, die Kluft zu überwinden und zu ihm hinüberzuschwimmen. Kelsen sprach in fast jedem Satz vom Tod, der nicht mehr lange auf sich warten lassen werde. Immerhin aber lebte der Todesnahe noch weitere sieben Jahre, in denen ich ihn aber nicht mehr zu Gesicht bekam. Der Eindruck aber prägte sich meinem Gedächtnis unauslöschlich ein. Seine Stimme war nicht nur eine Hilfe bei meiner Habilitation in Graz, sondern auch als lebenslänglich nachwirkender Impuls präsent und wirksam. In besonderer Erinnerung ist mir ein Festakt, im Rahmen dessen Hans Kelsen 1961 von der Universität Wien das Ehrendoktorat der Staatswissenschaften verliehen wurde. Es war nicht nur ein großer Ehrentag, sondern wohl auch eine Genugtuung für Kelsen, von der Fakultät, die er 1929 wegen anhaltender Anfeindungen und Verdüsterung der politischen Atmosphäre verlassen hatte, bestätigt und gefeiert zu werden. Immerhin muss man aber zur Ehre der juridischen Fakultät sagen, dass sie Kelsen 1911 habilitierte, 1918 einstimmig zum Extraordinarius und schon ein Jahr später, nach dem Tode von Edmund Bernatzik, zum Ordinarius wählte. Im Laufe der Zeit freilich nahmen die »Hakenkreuzler«, wie man die Hitler-Anhänger inner- und außerhalb der Fakultät nannte, zu. Ein Prachtexemplar dieser Gattung war der Strafrechtler Graf Wenzel Gleispach, der nicht den Anschluss an Deutschland abwartete, sondern frühzeitig nach Berlin ging, um dort die 1938 stattfindende Gleichschaltung der Universität vorbereiten zu können. Kelsen bekam also auch schon in Wien rassistische
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Gegner, besagter Graf Gleispach hatte schon 1933 versucht, in der »deutschen Studentenschaft«, die eine Art Hochschülerschaft darstellte, den Arierparagrafen einzuführen, was damals noch am Veto des Verfassungsgerichtshofes scheiterte. Kelsen erzählte mir während der langen Gespräche in Berkeley, dass er unter keinen antisemitischen Störungen zu leiden hatte, obwohl es gleichzeitig Schlägereien und Attacken aller Art gegen jüdische Studenten gab. Noch hatte der Ungeist nicht völlig Besitz von der Universität ergriffen, speziell Kelsen gegenüber herrschte noch die Hochachtung vor seiner Persönlichkeit und Leistung vor. Nach den Festreden zu Ehren Kelsens ging auch ein ehemaliger Naziprofessor, eine Koryphäe seines Faches, aber dessen ungeachtet ein von Hitler Geblendeter, mit einer verlegenen Geste und ausgestreckter Hand auf ihn zu, die Peinlichkeit der Situation war ihm sichtlich anzumerken. Mir blieb unvergesslich, wie Kelsen auf diese Anbiederung reagierte. Er schlug die ihm angebotene Hand zwar nicht aus, aber es war kein symbolischer Handschlag und Friedensschluss wie zwischen Kreisky und Otto Habsburg : Kelsen blickte, ohne die Hand zurückzuzuweisen, demonstrativ in eine ganz andere Richtung und nicht in das Gesicht dessen, der ihm wohl eine Art Wiedergutmachung zugutekommen oder auch nur dem Unvermeidlichen der Situation Rechnung tragen wollte. Nicht alle Opfer des Nationalsozialismus kamen in die Lage, so nobel und beschämend zugleich reagieren zu können wie Kelsen damals. Diese kleine Episode illustriert, wie die Geschichte manchmal Situationen hervorruft, in denen die Menschen auf unerwartete Art reagieren.
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Adolf Julius Merkl (1890–1970) Der gelehrte Philanthrop
Wenn ich an Adolf Julius Merkl zurückdenke, steht eine der liebenswürdigsten, aber auch skurrilsten Persönlichkeiten, die den Titel meines Buches rechtfertigen, vor meinem geistigen Auge, aber auch vor meinem Gehör. Denn Merkl war ein faszinierender Redner und Vortragender, an den in seinen besten Momenten wenige heranreichten. Seine Vorlesungen waren und wurden, je älter er wurde, immer ideenflüchtiger und unkonzentrierter, aber inmitten der Ruinen seines Geistes ragten immer wieder grandiose Torsi empor. Meine erste Begegnung, von den Rigorosen, die ich bei ihm ablegte, abgesehen, fand 1963 statt, als ich in der Hofburg einen Theodor-Körner-Förderungspreis entgegennahm. Nach der Verleihung kam ich bei der anschließenden gemütlichen Runde, die sich nach dem offiziellen Festakt entwickelte, neben ihm, der ein Mitglied des Kuratoriums der Stiftung war, und dem damaligen Innenminister Franz Olah, über dem sich schon die Wolken der politischen Verfinsterung breitmachten, denen er bald zum Opfer fallen sollte, zu sitzen. Auch Christian Broda, der Todfeind Olahs, der ihn auch bald zur Strecke bringen sollte, war in der Nähe. Ich erinnere mich auch, wie sich Olah, den ich damals auch zum ersten Mal persönlich kennenlernte, über Broda, dessen Bestellung zum Justizminister er verhindern wollte und die ihm auch zum Verhängnis wurde, äußerte : »Wer heutzutage schon Justizminister werden kann.« Aber auch die Worte, die Merkl an mich richtete, sind mir noch in lebhafter Erinnerung. Er sagte nämlich : »Es ist eine Beleidigung Ihrer Person, dass Sie noch nicht habilitiert sind.« Dabei hatte ich damals noch keine größeren, wirklich habilitationswürdigen Publikationen aufzuweisen. Aber Merkl hatte mein Talent schon so früh erkannt und gewürdigt. Die Vorschusslorbeeren, die Merkl mir zuteilwerden ließ, sollten sich zwei Jahre später wiederholen und verstärken. Als ich 1965 im Forum-Verlag den Sammelband »Österreich – geistige Provinz ?« herausgab, war Merkl ein Beitrag über Österreichs Rechtswissenschaft zugedacht, den er zeitgerecht ablieferte. Zu meinem großen Erstaunen nahm er mich als einzigen Nichthabilitierten in die Reihe der von ihm Gewürdigten auf. Bei dieser Gelegenheit sagte er vor dem Verlagsleiter Dr. Franz Hentschel, mit dem ich Merkl in seiner Sommerwoh-
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Adolf Julius Merkl
nung im Raxgebiet besuchte, die mir natürlich unvergesslich bleibenden Worte, die mich für viele Zurücksetzungen und Totschweigungen seitens kleinerer Geister entschädigt haben : »Ich schätze Sie von allen Lebenden am meisten.« Ein solches Lob aus dem Munde eines solchen Mannes war aber nicht nur Genugtuung, sondern auch ein Ansporn, sich diese hohe Einschätzung, die eine Vorwegnahme künftiger Erfolge war, zu verdienen. Das letzte Mal sah ich den verehrten Lehrer im Dezember 1968 im Rahmen einer akademischen Veranstaltung in Graz, als mein akademisches Schicksal noch an der Kippe stand. Als er mich erblickte, rief er mir so laut zu, dass sich die Anwesenden umdrehten : »Wann werden Sie endlich Ordinarius ?«, und er fügte noch hinzu : »Sie sind der geborene Ordinarius.« Zwischen der ersten und letzten Begegnung lagen einige in seinem Haus am Pfarrplatz in Heiligenstadt. Eine ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Ich kam eines Nachmittags zu ihm, eigentlich nur, um ein Manuskript abzuholen. Aber er ließ mich nicht so schnell los, und ich fühlte mich geehrt, von ihm zu einer Jause eingeladen und ins Vertrauen gezogen zu werden. Diese Vertraulichkeit mir gegenüber begann mit einer erstaunlichen Feststellung seinerseits. Er stellte mir seine Frau vor und sagte vor ihr die an Überraschung und Skurrilität kaum zu überbietenden Worte : »Ich verabscheue Alkohol, Nikotin und Sexua lität, und führe mit meiner Frau mit deren Zustimmung eine Josefsehe.« Ich wusste nicht, wie mir geschah, und war natürlich entsprechend verlegen. Ich erzähle diese Geschichte nicht, um Merkl lächerlich zu machen und bloßzustellen, sondern um zu zeigen, dass nicht nur künstlerische Genies, sondern auch wissenschaftliche Persönlichkeiten oft Exzentriker sind. Ich habe diese Geschichte aber auch deshalb nicht unterschlagen, weil sie zeigt, dass die alte Universität, deren Leuchte Merkl war, solche Persönlichkeiten ertrug, ja förderte, während heute in der standardisierten Universität des Mittelmaßes Persönlichkeiten wie Merkl schon im Keime erstickt werden. Der Nachmittag bei Merkls war aber nicht nur wegen dieser kuriosen Einleitung bemerkenswert. Es kam in diesen Stunden auch zum Vorschein, wie einsam sich der große Mann in Wirklichkeit fühlte. Er war froh, einen jüngeren Ansprechpartner gefunden zu haben, von dem ihm Sympathie und Verständnis entgegenschlugen. Noch eine Skurrilität soll nicht verschwiegen werden. Merkl zeigte mir mit Stolz, dass er Ende der Zwanzigerjahre, als das Volksbegehren als Verfassungsinstitut eingeführt wurde, den Versuch unternahm, ein Volksbegehren zur Einführung der Prohibition nach amerikanischem Muster einzuleiten. Er legte Unterschriftenlisten in Wiener Kaffeehäusern auf und erhielt auch, viel-
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leicht nur aus Jux und Tollerei, ein paar tausend Stimmen. Denn ein Alkoholverbot ist in Österreich, wo nicht einmal das weltweit eingeführte Rauchverbot durchsetzbar erscheint, so ziemlich das Letzte, was hierzulande möglich ist. Der Umstand, dass Merkl in einer Heurigengegend wohnte, stellte wohl den Gipfel der Skurrilität dar. In diesem Zusammenhang gebe ich eine Anekdote wieder, die seiner Konsequenz, aber auch seiner Weltfremdheit ein glänzendes Zeugnis ausstellt. Gegen Ende seines Lebens, als er schon ein Pflegefall war, wurde er von einer Pflegerin zu seiner Erfrischung mit Franzbranntwein eingerieben. Dabei soll er getobt und ausgerufen haben : »Mein ganzes Leben habe ich gegen dieses Gift gekämpft, und nun dringt es doch durch meine Poren.« Merkl sagte gesprächsweise mir gegenüber auch den folgenden Satz : »Ich bin ein gläubiger Katholik, aber ich kann nicht glauben, dass Christus tatsächlich ein Gift als Sak rament eingesetzt hat.« Kann man den Kampf gegen den Alkohol wohl nur als fixe Idee eines Asketen abtun, so war Merkls Engagement für den Naturschutz wertvoll und effektiv. In diesem Zusammenhang auch wieder eine Anekdote aus meinem Erfahrungsschatz. Merkl war als Prüfer unberechenbar und ritt gerne seine Steckenpferde, darunter den Naturschutz. War man auf seine Spezialfragen, zu denen auch Extravaganzen wie »Goethe und die Verwaltung«, mit Aufzählung sämtlicher Funktionen, die Goethe in Weimar bekleidete, vorbereitet, konnte man mit einer Auszeichnung rechnen, andernfalls lief man Gefahr, ohne ein »gehobenes Kalkül« auskommen zu müssen oder gar zu scheitern. Merkl hatte auch die Gewohnheit, zwei Kandidaten gleichzeitig und nebeneinander zu prüfen. In einem solchen Falle befand ich mich selbst, als ich mit einem Kollegen das Rigorosum in Staats- und Verwaltungsrecht ablegte. Ich war mit den Fragen Merkls wohlvertraut, während mein Nachbar mangels einer entsprechenden Spezialvorbereitung seine liebe Not hatte. Daraufhin Merkl, an den Kollegen gewendet : »Ein so junger Mensch und so wenig an der Natur interessiert. Nehmen Sie sich ein Beispiel an Herrn Leser, er ist ein Beispiel außerordentlicher Naturverbundenheit.« Dass Merkls Äußerungen nicht immer nur komisch waren und wirkten, sondern auch tödlich ernst werden konnten, hat mir ein Fakultätskollege Merkls in Tübingen, der Soziologe Ernst Fechner, bei einer Fachtagung in Deutschland erzählt. Merkl, der 1938 vom Dienst enthoben wurde, fand 1941 einen akademischen Unterschlupf an der Universität Tübingen. Dort ereignete sich eines Tages die schier unglaubliche Geschichte, die mir Fechner als Zeitzeuge erzählte. Bei einer Fakultätssitzung meldete sich Merkl unter dem jede Tagesordnung abschließenden »Allfälligen« zu Wort und brachte Gerüchte zur Sprache,
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dass Juden deportiert und einem ungewissen Schicksal ausgesetzt seien. Merkl beantragte, dass die Fakultät eine diesbezügliche Anfrage an den Reichsjustizminister richten möge. Alle Anwesenden erstarrten vor Entsetzen, keiner meldet sich zu Wort, es gab keine Debatte, die Anfrage wurde auch nicht protokolliert, geschweige denn weitergeleitet. Die akademische Solidarität funktionierte aber doch immerhin so weit, dass nichts nach außen drang und keiner Merkl denunzierte. Dieser Vorfall zeigt, welch extreme Mischung von Naivität und Menschenfreundlichkeit zu den Wesenszügen Merkls gehörte. Tübingen scheint jedenfalls geradezu eine Zelle des Widerstands gegen den Totalitätsanspruch des Dritten Reiches gewesen zu sein, denn Merkl wusste zu berichten, dass er bei der Begrüßung durch den Dekan einen Blick auf das über dem Schreibtisch des Dekans hängende Führerbild warf, worauf ihm der Dekan sagte : »Irgendwo muss er ja hängen.« Man hatte sich verstanden. Die Universität Tübingen, die Merkl 1950 verließ, um wieder an seinen alten Lehrstuhl an die Universität Wien zurückzukehren, verlieh Merkl das Ehrendoktorat und führte in ihrer Begründung dieser Ehrung aus, »dem mutigen Streiter für die Gerechtigkeit in einer Zeit tiefster Not und Erniedrigung des Rechts, dem selbstlosen Freund der bedrängten Minderheiten und der bedrohten Natur der Wahrheit am nächsten gekommen«. Adolf Julius Merkl war nicht nur als Jurist, sondern auch als zeitgeschichtliche Figur und Persönlichkeit überragend und vorbildlich. Er war sachlich und persönlich aufs Engste mit Hans Kelsen verbunden, dem er auch in der Zeit der Verfemung die Treue hielt. Merkls Lehre vom »Stufenbau der Rechtsordnung« war eine vor Kelsen anerkannte und in seine »Reine Rechtslehre« integrierte Ergänzung der Kelsen’schen Lehre. Kelsen und Merkl waren unabhängige Geister, die bewusst keiner Partei angehören wollten, um nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein, die wissenschaftliche Objektivität zu verlieren oder zu verletzen. Mich selbst rühmte Merkl, trotz meiner Zugehörigkeit zu einer Partei doch stets der Wahrheit gedient zu haben und objektiv gewesen zu sein. Auch dieses Lob seitens Merkls habe ich als Verpflichtung und nicht als Freibrief verstanden. Kelsen und Merkl waren Anhänger des Anschlusses an Deutschland, bevor Hitler die Macht ergriff. Kelsen stand der Sozialdemokratie nahe, Merkl dem großdeutschen Lager, das dann in der großen Mehrzahl mit fliegenden Fahnen zu Hitler überlief. Merkl erhob seine Stimme gegen die Bestrebungen, die Verfassung und den Verfassungsgerichtshof, der Kelsens »liebstes Kind« war, 1929 zu »entpolitisieren«, in Wahrheit aber nur »umzupolitisieren« und letzten Endes auszuschal-
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ten. Merkl kritisierte auch die »ständisch autoritäre Verfassung« von 1934. Die Tatsache, dass dieser »kritisch-systematische Grundriss« 1935 erscheinen konnte, ohne dass dies zu seiner Enthebung führte, illustriert, dass der Ständestaat 1934– 1938 zwar keine Demokratie, aber auch kein Faschismus war, wenn es auch faschistische Elemente, wie das Kruckenkreuz gegen das Hakenkreuz und paramilitärische Organisationen, neben den Heimwehren auch die »Ostmärkischen Sturmscharen«, im Volksmund »Ostmärkische Surmscharen« genannt, gab. Auch der bis 1938 als Privatdozent an der Universität Wien lehrende Eric Voegelin hat den autoritären Staat Österreich nicht als Vorläuferstaat Hitlers, sondern als ein Bollwerk gegen ihn angesehen und monografisch klassifiziert. Sollte sich dies später auch als Irrtum herausstellen, den guten Willen, Hitler aufzuhalten, kann man den Schöpfern des Ständestaates nicht absprechen. Welch große liebende Persönlichkeit Merkl trotz oder gerade wegen seiner Unfähigkeit zur körperlichen Liebe war, erhellt aus einer Szene, die sich an dem schon erwähnten denkwürdigen Nachmittag abspielte. Als wir gerade bei Kaffee und Kuchen saßen, wurde aus dem Nebenzimmer ein Geräusch hörbar, das sich wie das Stöhnen eines wunden Tieres ausnahm. Merkl erklärte mir, dass sich seine Schwiegermutter bemerkbar gemacht habe, die bettlägerig und ein Pflegefall war. Merkl sagte mir, dass er es ablehne, diese arme Frau, die im Krieg zwei Söhne verloren habe, in ein Heim abzuschieben, sondern ihr die Pflege im häuslichen Bereich finanziere. Er gönne sich, so sagte er mir, keine Theater- oder Opernbesuche, weil er nicht einmal in den Verdacht kommen wolle, dieser Frau etwas abgehen zu lassen. Diese Einstellung kann man sicher als die Überempfindlichkeit eines Skrupulanten ansehen, aber auch als die Herzensgüte eines Menschen, der neben der Liebe zur Wahrheit nur der Liebe aus Mitleid fähig ist. Ich hatte jedenfalls an jenem Nachmittag das Gefühl, in einer ganz anderen, besseren und schöneren Welt Einkehr gehalten zu haben, und verließ Merkls Haus mit dem Gefühl, ein anderer und hoffentlich auch besserer Mensch geworden zu sein.
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Alfred Verdroß-Droßberg (1890–1980) Das Völkerrecht als globale Brücke
Unter den Glanzlichtern, die die Wiener Schule der Rechtswissenschaft und die rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät der Alma Mater Rudolfina auszeichneten und zum internationalen Strahlen brachten, nimmt Alfred Verdroß-Droßberg eine hervorragende Stellung ein, die nicht allein durch die internationale Natur seines Hauptfaches Völkerrecht begründet war, sondern auch durch seine besondere Leistung auf diesem Gebiet. Als Sohn eines Kaiserjägergenerals der österreichisch-ungarischen Armee in Innsbruck geboren, wurde er zunächst Diplomat und ab 1922 Professor an der Konsularakademie. Doch schon ab 1924 war er Professor an der Universität Wien, der das Völkerrecht aufs Engste mit der Rechtsphilosophie verband. Zusammen mit Hans Kelsen und Adolf Julius Merkl war er ein führender Repräsentant der Wiener Schule der Rechtswissenschaft. Aber zum Unterschied von Hans Kelsen blieb er nicht bei den Positionen der Reinen Rechtslehre, die auch Merkl in Reinkultur vertrat, stehen, sondern bemühte sich um das, was er »die Einheit des rechtlichen Weltbildes auf der Grundlage der Völkerrechtsverfassung« nannte. Das Verhältnis von innerstaatlichem Recht und Völkerrecht war und blieb das Thema, dem er sich in seinen überfüllten Vorlesungen im Auditorium maximum und in seinen Lehrbüchern des Völkerrechtes, die in verschiedenen Auflagen erschienen, widmete. Seine wissenschaftliche Tätigkeit fand durch zahlreiche in- und ausländische Preise Anerkennung, von 1958 bis 1977 war er auch Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Seine Perspektive ging auch insofern über die weit gespannte Kelsens und die im Innerstaatlichen verbleibende Merkls hinaus, als er sich auf die klassische, christlich-katholische Natur- und Völkerrechtslehre der Schule von Salamanca und auf die Naturrechtslehre des Hugo Grotius und anderer Vorläufer im 17. und 18. Jahrhundert stützte und auch den großen hl. Thomas von Aquin als Erkenntnisquelle benützte und so an einem Jahrhunderte überdauernden Bau mitwirkte und weiterbaute. Der klassische Begriff des bonum commune, des Gemeinwohls, weitete sich ihm bonum commune humanitatis, zur Weltgemeinschaft, von deren Vollendung wir noch weit entfernt sind, zu der aber nach den Exzessen des Zweiten Weltkriegs und der Totalitarismen rechter und linker Prä-
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Alfred Verdroß-Droßberg
gung die ersten Grundlagen geschaffen wurden. Vor allem die Erklärung der Menschenrechte von 1948 der UNO zog die Konsequenz aus den schlimmen Erfahrungen, die die Welt vorher gemacht hat. Nach dieser Menschenrechtskonvention wären Rassengesetze, wie sie im Dritten Reich ohne Rücksicht auf die übrige Welt entwickelt und im Laufe des Kriegs in die ganze Welt exportiert wurden, nicht mehr möglich. Freilich dürfen wir uns auf diese Erklärungen allein nicht verlassen, sondern müssen dafür sorgen, dass das international verbürgte Recht auch wirklich durchgesetzt und lückenlos eingehalten wird. Ein Rückfall in die Barbarei ist jederzeit möglich, weshalb die Aufmerksamkeit und Wachsamkeit der Pflege des Rechtes und des ihm zugrunde liegenden Gedankenguts immer vonnöten ist. Auch zu Felix Ermacora weist mein Wirken einen Zusammenhang auf : Ermacora war vor mir der Präsident des Forschungsinstituts für den Donauraum, das 1953 vom österreichischen Diplomaten und Patrioten Theodor Hornbostel gegründet wurde. Dieses notleidende Institut, das ich zusammen mit meinem Mitarbeiter Georg Rundel durch schwere Jahre hindurch trug, erlebte unter der Präsidentschaft Erhard Buseks, nunmehr als »Institut für den Donauraum und Mitteleuropa«, einen neuen Aufschwung. Ich selbst kam erst nach Vollendung meines Studiums zu wiederholten Malen mit Verdroß in persönlichen Kontakt. Mein akademischer Lehrer und Förderer August Maria Knoll stellte mich ihm bei einer Tagung auf der Edmundsburg in Salzburg 1962, die das »Naturrecht in der politischen Theorie« zum Gegenstand hatte und an der auch Hans Kelsen teilnahm, vor. Zu meiner Überraschung quittierte er diese Vorstellung mit den Worten : »Ach Sie sind der aufsteigende Stern am Himmel der Wiener Universität.« Offenbar hatte den Ruf, den Knoll schon vor Beginn meiner Karriere über mich verbreitete, seine Wirkung getan und auch ihn erreicht. Seither gab es immer wieder Begegnungen, die mir das Gefühl vermittelten, mit meinen Bemühungen und Vorarbeiten auf dem richtigen Wege zu sein. So erinnere ich mich, dass mich Verdroß aufgrund eines Artikels, den ich am 4. Dezember 1964 in der »Arbeiter-Zeitung« über die Antrittsvorlesung des neu ernannten Professors Felix Ermacora, die sich mit dem juristischen Lebenswerk Hans Kelsens beschäftigte, verfasst hatte, ansprach und mich zum Mittagessen bei sich zu Hause einlud. Er war von meinem Beitrag sehr angetan und brachte mir zu Bewusstsein, dass ich in vieler Hinsicht Pionierarbeit leistete. Er sagte mir nämlich, dass es noch nie vorgekommen sei, dass die »Arbeiter-Zeitung« einem akademischen Ereignis einen eigenen Beitrag eingeräumt habe.
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Zu längeren Gesprächen kam es im Zug, wenn ich nach Salzburg und Verdroß nach Straßburg fuhr oder von Straßburg kam. Verdroß war ein charmanter Gesprächspartner, dessen Charme sich in Damengesellschaft noch stärker entfaltete. Ich musste aber auch erleben, dass dieser polyglotte und weltoffene Mann, je älter er wurde, umso mehr vereinsamte. Er hatte zwei Gattinnen überlebt und musste auch erleben, dass eine Tochter, die Ordensfrau war, vor ihm abberufen wurde. Als ich in den Siebzigerjahren eine Wohnung in Döbling bezog, die parallel zu seiner Wohnung in der Pokornygasse liegt, besuchte ich ihn des Öfteren. Die Verständigung war aber durch den Umstand erschwert, dass er immer schwerhöriger wurde und die Unterhaltung mit ihm, die einst so geistreich sprudelnd verlief, mühsamer wurde. In den letzten Jahren lebte er allein. Einmal sagte er zu mir : »Wissen Sie, es ist nicht schön, allen nachschauen zu müssen.« Doch sein Geist blieb trotz körperlicher Gebrechen ungebrochen. Ich erinnere mich an die Rede, die er, druckreif wie immer, zur Feier seines 90. Geburtstages im Wissenschaftsministerium hielt. Bei dieser Gelegenheit war der Abschied zum Greifen nahe. Der Tod schaute ihm schon aus den Augen und bald darauf verstarb er auch in der Tiroler Heimat, in der er aufgewachsen ist und in der er begraben liegt. Wenn man versucht, historische Persönlichkeiten, denen man sich nahe gefühlt hat, zu charakterisieren, erliegt man leicht der Versuchung, die teuren und oft auch lieben Verstorbenen zu idealisieren und zu glorifizieren. Dies alles läuft unter dem Motto : »De mortuis nihil nisi bene.« Wenn man Nachrufe liest und hört, bekommt man das Gefühl, dass es nur gute Menschen gibt oder dass die Schwächen in der Erinnerung verblassen. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, ist es notwendig, auch das, was das Bild der Verstorbenen trübt, bei allem Respekt für die Gesamtpersönlichkeit zur Sprache zu bringen. Besonders im 20. Jahrhundert, in dem Verdroß lebte, war es schwer bis unmöglich, untadelig und den höchsten Maßstäben genügend durchs Leben zu gehen. Vor allem im akademischen Leben grenzte es an Überforderung, alle ethischen Standards, die in ruhigeren Zeitläuften gültig sind, einzuhalten. Besonders durch die Rassengesetze, die in Deutschland schon 1933, in Österreich erst 1938 wie ein Orkan, der alles Menschliche hinwegfegte, hereinbrach, stellten die Gebote der Humanität, denen man sich ansonsten verpflichtet fühlte, auf eine harte Probe, die nicht alle bestanden. Verdroß-Droßberg war zu sehr Edelmann und Katholik, um dem Nationalsozialismus verfallen zu können. Aber er gehörte zu jenen, die Kompromisse schlossen, die andere, allerdings nur wenige, wie Adolf Julius Merkl, verschmäh-
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Alfred Verdroß-Droßberg
ten. Von Verdroß wird berichtet, dass er ein Seminar, das der damaligen Zusammensetzung der Studentenschaft entsprechend »arische« wie »nichtarische« Hörer vereinte, schon vor 1938 an einen anderen Ort verlegte und bei dieser Gelegenheit die »nichtarischen« Teilnehmer nicht mehr einlud. Es war dies eine elegante Form der Arisierung, aber eben doch eine Anpassung an den Zeitgeist, der ein Ungeist war, aber mit gespenstischem Raffinement arbeitete. Ich habe mit Kelsen selbst über diese Affäre gesprochen, er hatte nur ein mildes und verzeihendes Lächeln, denn gemessen an dem, was andere an Niedertracht verübten, war die taktische Wendung Verdroß’ eine Kleinigkeit. Der Eckermann Kelsens, Rudolf Aladár Métall aus Genf, mit dem ich wiederholt sprach, war viel unerbittlicher und verzieh Verdroß diese Vorgangsweise nie. 1968 hat Métall im Deuticke Verlag eine umfangreiche Monografie »Hans Kelsen. Leben und Werk« veröffentlicht. Verdroß war sicher kein Nazi, ja nicht einmal ein Mitläufer, was schon daraus hervorgeht, dass er 1938 über ein Jahr seines Amtes enthoben war. Auch später wurde seine Lehrbefugnis eingeschränkt, aber er konnte immerhin weiter lehren, er muss sich also mit den damaligen Machthabern arrangiert haben. Außerdem war er Richter am politisch relativ unverfänglichen Kieler Priesengericht. Ist ihm daraus ein Vorwurf zu machen oder war es nicht besser, das eigene Gedankengut, das ganz sicher nicht im Sinne der damaligen Machthaber war, wenigstens in Bruchstücken und Ansätzen hinüberzuretten ? Vor dieser Frage standen nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Künstler, die Kompromisse schließen mussten, wenn sie überleben wollten. Wer darf sich zum Richter aufschwingen, der nicht in einer vergleichbaren Situation war ? Ich hoffe, dass ich mit der Frage, die ich am Beispiel einer historischen Persönlichkeit, die in der Zweiten Republik sogar als Bundespräsidentschaftskandidat im Gespräch war, aufwarf, dem Verewigten nicht zu nahe getreten bin und sein Andenken nicht verunehre ; aber ganz über dieses Problem, mit dem damals alle konfrontiert waren, hinwegzugehen, erschien mir nicht redlich. Selbst bei Selig- und Heiligsprechungsprozessen kommen die dunklen Punkte zur Sprache, umso mehr im Zusammenhang mit einer großen Persönlichkeit, die zeitlebens und posthum nie im Geruch der Heiligkeit stand, deren ungeachtet aber einen Ehrenplatz in der österreichischen Geschichte hat. So wie meine Verbindungen mit Hans Kelsen und Adolf Julius Merkl sich nicht im Gespräch und in der Erinnerung erschöpft haben, sondern auch schriftlich dokumentiert sind, so hat auch meine Beziehung mit Verdroß einen Niederschlag gefunden, der mit meiner akademischen Karriere zusammenhängt.
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Mein Habilitationsvortrag zum Thema »Der Konflikt zwischen Recht und Gerechtigkeit in der modernen Rechts- und Staatsphilosophie«, der am 1. Juli 1969 vor der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz stattfand und mir den Durchbruch ins akademische Leben brachte, wurde in der zum 80. Geburtstag 1971 herausgegebenen internationalen Festschrift für Alfred VerdroßDroßberg veröffentlicht. Ich behandelte in dieser Abhandlung ein Thema, das die Brücke zwischen Kelsen und Verdroß schlägt, denn beiden war der Konflikt zwischen den beiden Sphären ein Anliegen, nur dass der Ausgangspunkt Kelsens der Relativismus war und blieb, während Verdroß von der platonischchristlichen Idee der Gerechtigkeit ausging. Trotz der Verschiedenheit der beiden Standpunkte weisen doch beide, wie ich mich zu zeigen bemüht habe, konvergierende Tendenzen auf. Ich war und bin in erster Linie Schüler und geistiger Nachfahre August Maria Knolls, aber auch Kelsen, Merkl und Verdroß waren und sind mir Wegweiser, denen ich mich verpflichtet und zugehörig fühle.
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Karl Wolff (1890–1963) Der juristische Enzyklopädist
Neben der Troika Kelsen, Merkl und Verdroß-Droßberg ist noch eine Persönlichkeit der Wiener Juristenfakultät zu nennen und zu würdigen, die nicht minder bedeutend war als die drei schon Genannten, der aber nicht das gleiche hohe Alter erreichte wie die Methusaleme und daher um die Ehrungen der Langlebigeren kam, die ihm sonst wahrscheinlich auch zuteil geworden wären. Es handelt sich um Karl Wolff, einen Gelehrten, der ein wahrhaft enzyklopädisches Wissen und eine große Bandbreite des juristischen Denkens entfaltete. Ich habe 1960 als bereits promovierter Jurist und Chefredakteur des Verbandsorgans »neue generation« der Sozialistischen Studenten den drei Jubilaren Merkl, Verdroß und Wolff einen Beitrag gewidmet. Karl Wolff kam aus dem alten Österreich, war in Peterwardein geboren und studierte in Czernowitz, wo auch seine akademischen Anfänge liegen. Er war der letzte, der noch unter dem alten Kaiser sub auspiciis imperatoris promovierte. Wolff hat sich auch lebenslänglich eine sentimentale Anhänglichkeit an das alte Österreich bewahrt und ließ, als er an der Wiener Fakultät zum Dekan gewählt wurde, ein Bild Kaiser Franz Josephs über seinem Schreibtisch anbringen. Vorher musste er aber erst eine Laufbahn als Professor an der Universität Innsbruck hinter sich bringen, die im Jahre 1938 eine jähe Unterbrechung erfuhr. Er war nämlich nach den Nürnberger Rassengesetzen Volljude und wurde daher suspendiert. Er hatte das Glück, durch eine sogenannte Mischehe gedeckt zu sein, und konnte daher die Nazizeit mit seiner »arischen« Frau in Wien überleben. Nach dem Kriege konnte er nicht nur seine akademische Lehrtätigkeit wiederaufnehmen, es wuchs ihm auch eine richterliche zu, in der er es bis zum Vizepräsidenten des Verfassungsgerichtshofes brachte. Wolff war in erster Linie Zivilrechtler, in welcher Eigenschaft er einen »Grundriss des bürgerlichen Rechtes« verfasste, der ein bemerkenswertes Dokument seines umfassenden Wissens war. Er kam ohne ein Fremdwort aus, auch enthielt dieses Werk kein überflüssiges Wort, sondern glänzte durch kristallene Klarheit. Allerdings hatte Wolff in fast jeder Sachfrage eine von der herrschenden Lehre abweichende Meinung, sodass man mit dem durch ihn erworbenen Wissen nur bei ihm durchkommen konnte. Als Prüfer war Wolff gefürchtet, man konnte bei ihm, wenn man nicht
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Karl Wolff
präzise auf seine Fragen antwortete, schnell eine negative Zensur erhalten. Eine beliebte Frage lautete : »Was sehen Sie als Jurist, wenn Sie vom Stephansturm herunterblicken ?« Die erwünschte Antwort lautete : »Rechtssubjekte und Rechtsobjekte«. Die gleiche, von einem Kirchenrechtler gestellte Frage erforderte die Antwort : »Kleriker, Religiosen und Laien.« Wolff war sich der Fülle seines Wissens bewusst und litt nicht unter Selbstunterschätzung. So wurde ich Zeuge, wie er einem Sektionschef gegenüber bei einem Empfang die folgende Äußerung tat : »Was Sie können, lerne ich in einem Monat, was ich kann, lernen Sie nie.« Wolff war aber nicht nur ein Meister des bürgerlichen Rechtes, sondern auch des ihm zugeordneten Zivilprozessrechtes, zu dem er ein Lehrbuch schrieb. Darüber hinaus war er ein Rechtslogiker und Rechtstheoretiker ersten Ranges, der von ihm eingeführte Begriff der »Zusinnbarkeit« stellte eine Verfeinerung des juristischen Denkens dar. Die Tatsache, dass es unter den großen Juristen so viele Persönlichkeiten jüdischer Herkunft gab, ist wohl auf die Tradition des Judentums, das seine Existenz einem Buch und dessen Auslegung verdankt, zurückzuführen. Auch der hohe Anteil jüdischer Persönlichkeiten in der Politik, vor allem in der sozialistischen, ist auf eine andere Komponente des Judentums zurückzuführen : Der verdrängte und säkularisierte Messianismus erwies sich als Impuls für Bewegungen, die eine paradiesische oder auch nur bessere Zukunft verheißen. Freilich produziert die kritische Rationalität, die ebenfalls zum Judentum gehört, dann auch wieder Gegenbewegungen und Ernüchterer : So hat der aus Österreich stammende Karl Popper, der zu einem Philosophen von Weltformat wurde, allen messianischen Manifestationen in der Geschichte, wie dem Marxismus, also allen Gegnern der »offenen Gesellschaft«, für die die Geschichte kein Prozess mit offenem Ausgang, sondern eine notwendig ablaufende ist, eine Absage erteilt. Als ich noch Funktionär der Sozialistischen Studenten an der Universität Wien war und noch vor Vollendung meines Studiums stand, ging ich mit einem Gesinnungsfreund zu Karl Wolff, der zu uns sagte : »Ihr müsst schauen, dass ihr auch einen Vertreter in der Fakultät bekommt.« Denn die Zahl der der Sozialdemokratie Zugehörigen oder mit ihr Sympathisierenden war zur Zeit meines Studiums dünn gesät. Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass ich eines Tages zwar nicht an die Juridische, aber an eine Nachfolgefakultät der alten Philosophischen kommen würde, und zwar als Ordinarius. Auch die damalige Äußerung Wolffs hat wohl dazu beigetragen, einen Wunsch in mir zu wecken und ihn auch konsequent zu verfolgen.
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Charlotte Bühler (1893–1974) Der menschliche Lebenslauf als Drama
Ich hatte das Glück, während meiner Tätigkeit am Ford-Institut für Höhere Studien (IHS) 1963–1966 auch Vorlesungen der weltberühmten Psychologin Charlotte Bühler zu hören, die nach dem Tode ihres nicht minder berühmten Mannes Karl Bühler 1963 noch ein Jahrzehnt des Lebens und Wirkens hatte. Natürlich faszinierten mich diese Vorlesungen, stellten sie doch für mich wie für andere Hörer eine Einladung dar, mich mit dem eigenen Lebenslauf zu beschäftigen und sowohl das Typische als auch das höchst Individuelle im eigenen Lebenslauf aufzuspüren. Ich befand mich damals noch in einer labilen Übergangssituation und hatte als Dreißigjähriger noch keinen festen Platz im Leben und keine gesicherte Position gefunden. Die auf einer großen Erfahrung beruhenden Ausführungen der großen alten Dame waren mir eine willkommene Entscheidungshilfe auf meinem erst im Werden befindlichen Lebensweg. Nicht dass Charlotte Bühler einfache Rezepte zur Bewältigung der Lebenswirklichkeit anbieten wollte oder anzubieten hatte, aber die durch ihre Erörterungen ausgelöste Reflexion kam jedenfalls meinem weiteren Leben entgegen und zugute. Später ergänzte ich die Anregungen, die ich durch die Vorträge erfahren hatte, durch das Studium des einschlägigen Hauptwerkes der Autorin, das unter dem Titel »Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem« 1933, dem Jahr der Machtergreifung Hitlers in Deutschland, gerade noch in einem deutschen Verlag in erster Auflage erscheinen konnte. Das Jahr 1933 bzw. für Österreich 1938 sollte für ungezählte Menschen, darunter auch das Ehepaar Bühler, zum Schicksalsjahr werden. 1933 war noch nicht absehbar, dass Millionen Menschen durch Krieg, Vertreibung und Ermordung vorzeitig ihr Leben verlieren würden und nicht zur Entfaltung eines Volllebens kommen würden. Die Tatsache, dass – um in der Terminologie Charlotte Bühlers zu sprechen – Millionen Menschen ein gewaltsam abgebrochenes »Kurz-Leben« zu erleiden hatten, beraubt ihre bahnbrechenden Erkenntnisse nicht ihrer prinzipiellen Gültigkeit, bringt uns aber erst richtig zum Bewusstsein, dass es keineswegs selbstverständlich ist, von einem gewaltfrei endenden Leben auszugehen. Der Hinweis auf die zahllosen Opfer des 20. Jahrhunderts führt uns vor Augen, dass es ein besonderes Privileg ist, wieder in Zeiten leben zu können, in denen die Führung eines erfüllten
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Charlotte Bühler
Lebens wenigstens prinzipiell möglich ist. Erst wenn diese Voraussetzung durch eine bestimmte historische Konstellation gewährleistet ist, können sich die Regelmäßigkeiten und Typologien, die Charlotte Bühler in ihrem Werk dargelegt hat, entfalten und profilieren. Wenn ich heute, bereits im 77. Lebensjahr stehend, also längst nach Überschreitung meines Lebenshöhepunktes, auf das Werk Bühlers zurückblicke, ist es naheliegend, das vor Jahrzehnten an theoretischem Wissen Erworbene auf die eigene Lebenswirklichkeit anzuwenden. Zum einen, weil dieses Buch auch sonst autobiografische Züge aufweist, zum anderen, weil man nur den eigenen Lebenslauf wirklich kennt und sich nur mit ihm identifizieren kann, wenn einem andere Menschen auch nahe stehen. Ich finde vieles von dem, was Charlotte Bühler über den menschlichen Lebenslauf gesagt hat, in und an meinem eigenen Leben bestätigt, vor allem, was die fünf Phasen der Entwicklung anbelangt, die jeder Mensch, so er nicht vorzeitig aus dem Leben gerissen wird, durchlaufen muss. Die erste Lebensphase ist nach Bühler die der Kindheit und Jugend, in der bereits Entscheidungen fallen, die das spätere Leben bis zu einem gewissen Grad präjudizieren. Die zweite Lebensphase wird von ihr als eine der Expansion identifiziert, die aber noch nicht spezifiziert ist und erst in der dritten Phase eine Konkretisierung erfährt. Erst in dieser dritten Phase bahnen sich die Werkreife und die spezifische Bearbeitung eines bestimmten Materials an, die Funktionslust geht mehr und mehr in eine Schaffens- und Werklust, in eine sachorientierte Aufgabenstellung über. Das Sachliche gewinnt langsam, aber sicher das Übergewicht über das Subjektive und Funktionale. In der vierten Phase beginnt sich das Werk von der Person abzulösen, das Persönliche hinter der Leistung zurückzutreten. In der fünften und letzten Phase, in der ich mich längst befinde, kommen der Rückblick auf die eigene Vergangenheit und der Ausblick auf das nahende Ende in den Vordergrund und melden ihre Rechte an. Ich ergreife daher die sich im Rahmen der Gesamtüberlegungen dieses Buches aufdrängende Möglichkeit, im Lichte der Erkenntnisse Bühlers auf das eigene Leben zurückzublicken, das jedenfalls kein Kurz-Leben mehr ist, sondern im Zeichen der Trias von Alter, Krankheit und Tod steht. Obwohl meine Kräfte wie auch die meiner Altersgenossen abnehmen und der Abbau dem Aufbau folgt, bewahrheitet sich doch an meinem Beispiel das, was Bühler die »Vergeistigung im Vitalen« bzw. die »Vitalität im Geistigen« nennt. Bei Menschen, die vorwiegend von Geistigem leben und nicht wie die Sportler und manuellen Arbeiter das Schwergewicht im Biologischen haben, reicht die
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Der menschliche Lebenslauf als Drama
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Kurve der Kreativität weit über die biologische Kurve des physischen Abbaus hinaus und treibt nicht dem »Verenden«, sondern der »Vollendung« zu. Obwohl ich nach herkömmlichen Kriterien gar nicht gesund gelebt, also weder Sport getrieben noch genügend Bewegung gemacht habe, hat mich das Bewusstsein, für etwas zu leben und eine Aufgabe erfüllt zu haben, zwar nicht den biologischen Gesetzmäßigkeiten entzogen, sie aber so überformt, dass sie sich in den Dienst der Sache stellen mussten. Das Nietzsche-Wort »Wer ein Was zu leben hat, wird fast jedes Wie ertragen« findet in den Forschungsergebnissen Bühlers und meinen eigenen Erfahrungen ihre Deckung. Allerdings hat sich dieses »Was« nicht sofort, sondern erst im Zusammenhang mit der Berufswahl, die ja ein Feld der menschlichen Wirksamkeit ist, herausgestellt. Fest stand schon ziemlich früh etwas, das aber erst die Richtung, nicht aber schon den Inhalt der künftigen Lebensaufgabe bestimmte : Es musste ein Beruf sein, in dem andere gezwungen sind, mir zuzuhören. Alfred Adler hat mehr noch als Sigmund Freud Wert auf die kindlichen Erlebnisse im Vorschulalter gelegt und gelehrt, dass uns diese Erlebnisse Auskunft über uns selbst geben und Schlüssel zum Verständnis der Persönlichkeit sind. Ein solches Erlebnis, das sich noch während meiner Kindheit in Eisenstadt, also vor Übersiedlung meiner Eltern nach Wien 1938, ereignete, hatte die folgende Szene zum Inhalt : Ich ging mit meinen Eltern eines schönen Tages in einen Gasthausgarten, der von Menschen bevölkert war. Ich entsinne mich, plötzlich auf einen Tisch oder Sessel gestiegen zu sein und zu reden begonnen zu haben. Ich suchte mir quasi mein erstes Publikum. Ich sehe noch einen Bauern vor mir, dem vor lauter Erstaunen, dass sich dieser Knirps präsentiert und produziert, die Pfeife aus dem Mund gefallen ist. Damals habe ich gleichsam den Entschluss gefasst, einen Beruf zu ergreifen, der andere Menschen zu Zuhörern macht. Da meine Rednergabe und meine Lust zu reden schon seit dem französischen Kindergarten, den ich in Eisenstadt besuchte, meine hervorstechendste Fähigkeit war, kam nur ein Beruf infrage, der es mir ermöglicht, diese Redelust voll auszuleben und gleichzeitig zu meiner Pflicht zu machen. Damit war aber noch längst nicht die Entscheidung für die akademische Laufbahn gefallen, die ich erst viel später mit Erfolg einschlug. Noch gab es das, was Charlotte Bühler, den »Bestimmungsspielraum« nennt. Es gab noch andere Berufs- und Entwicklungsmöglichkeiten, die auch mit der Kunst der Rede zusammenhängen. Die erste Möglichkeit, die sich schon aus meiner familiären Konstellation, in der mein Onkel als Landeshauptmann des Burgenlandes
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Charlotte Bühler
dominierte, ergab, wäre die des aktiven Politikers in Land oder Bund gewesen. Lange Zeit waren ich und viele in meiner Umgebung, der Meinung, dass meine Rednergabe ein großer Vorteil für die Politik sei und mir alle Wege ebnen würde. Doch im Laufe der Zeit musste ich erkennen, dass ich andere Eigenschaften habe, die mich für die aktive Politik disqualifizieren, so z. B. die Unfähigkeit, eine gute Pointe zu unterdrücken und mein Mundwerk überhaupt im Zaum zu halten. Auch dies ist wohl eine Erfahrung, die ziemlich allgemein gilt : dass man nämlich erst durch die Reaktionen der Umwelt erfährt und nicht schon aus sich selbst weiß, wozu man sich eignet oder nicht. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, Schauspieler zu werden. In der Familienchronik spukte als entferntes Vorbild der große Burgtheatermime Josef Kainz herum. Ich ging tatsächlich, um meine Eignung zu testen, in eine Schauspielschule und sagte einen eingelernten Text auf. Die Reaktion meines Gegenübers war nicht dazu angetan, mich zu ermutigen. Der gute Mann sagte ziemlich wörtlich : »Für einen jugendlichen Liebhaber sind Sie zu wenig schön. Aber das nervöse Charakterfach käme für Sie in Frage.« Da ich mich selbst für einen »nervösen Charakter« im Sinne Alfred Adlers halte, meinte ich, diese mir zugedachte Rolle im Leben selbst spielen zu können, ohne dazu den Beruf des Schauspielers ergreifen zu müssen. Schließlich blieb noch der priesterliche Beruf, der mich, da ich immer religiös eingestellt war, anzog. Doch auch für diesen Beruf hatte und habe ich Neigungen, die mit dem Priesterberuf, der ja eine Berufung sein sollte, kollidieren, sodass auch der Weg ins Seminar, der ansonsten infrage gekommen wäre, als konkrete Möglichkeit wegfiel. Damit war aber immer noch nicht die Entscheidung für das akademische Leben, in dem ich mich erst 1968/69 etablieren sollte, gefallen. Ich hatte, nicht meiner Neigung, aber meinem praktischen Sinn folgend, nicht Philosophie, sondern Jus studiert und trat nach einem Studienjahr an der London School of Economics 1960 in den Staatsdienst ein, und zwar in der legistischen Abteilung des Verkehrsministeriums. Als sich 1963 durch die Gründung des FordInstituts die Möglichkeit bot, als Assistent an dem neu gegründeten Institut zu wirken, ging ich das Risiko ein, verließ den Staatsdienst und bereitete mich auf eine akademische Laufbahn vor. 1966–1969 hing ich beruflich in der Luft, setzte aber, von mir selbst überzeugt, alles auf eine Karte, die dann auch nach anfänglichen Widerständen stach und mich 1971 zum ersten Ordinarius für Politikwissenschaft an einer österreichischen Universität, der von Salzburg, machte.
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Hinter meiner Risikobereitschaft stand das, was Charlotte Bühler den »Einsatz« nennt, ohne den man weder besondere Leistungen erbringen noch den Erfolg erringen kann. An meinem Fall manifestiert sich noch eine andere Gesetzmäßigkeit, deren Kenntnis ich nicht Charlotte Bühler verdanke, sondern der Nationalökonomie als verwandter Disziplin entlehnt habe. Und zwar hat der österreichische Nationalökonom Eugen von Böhm-Bawerk ein Gesetz aufgestellt, das er »die schöpferische Mehrergiebigkeit zeitraubender Produktionsumwege« nennt. Ein Beispiel dafür ist, wenn jemand an einer Erfindung arbeitet und auf eine herkömmliche Produktionsweise zeitweise verzichtet. Er kann dadurch vorübergehend ins Hintertreffen geraten, holt aber diesen Nachteil durch die angewandte Neuerung wieder auf, ja überkompensiert ihn. Auch dies ist ein Begriff, der mit der Adler’schen Psychologie zusammenhängt, die Überkompensation von Minderwertigkeitsgefühlen spielt im Rahmen der Individualpsychologie eine überragende Rolle. Was mein Beispiel überdies lehrt, ist, dass Entscheidungen häufig durch Ausscheiden von alternativen Möglichkeiten, die verworfen werden oder abhandenkommen, zustande kommen. Omnis determinatio est negatio. Nicht immer freilich gelingt es dann auch, die ausgeschiedenen Möglichkeiten in die getroffene Wahl zu integrieren : so wie ich als akademischer Lehrer priesterliche, schauspielerische und politische Elemente zu einer Einheit, zu einer Art Gesamtkunstwerk gestalten konnte. Mein Beispiel lehrt mich auch, dass nicht nur die Welt des Berufes, sondern auch des Themas, mit dem man in den Beruf einsteigt, von weittragender Auswirkung ist. Ich war durch meine nebenberufliche Tätigkeit als Lektor des Parteiverlages der Wiener Volksbuchhandlung in die Lage versetzt worden, die verborgenen Schätze der in Vergessenheit geratenen austromarxistischen Literatur ans Licht zu heben und jüngeren Menschen zugänglich zu machen. So bot mir das 1964 erschienene Buch »Werk und Widerhall. Große Gestalten des österreichischen Sozialismus« Gelegenheit, fünfzig Persönlichkeiten aus der Geschichte der Sozialdemokratie vorzustellen und lebendig zu machen. Ich hatte sowohl bei der Auswahl der darzustellenden Personen als auch bei der der Autoren freie Hand. Ich erfuhr aus begleitenden Erzählungen eingeladener Beiträger mehr über die wahre Geschichte als aus dem gereinigten Text selbst. Ich fand als Herausgeber austromarxistischer Texte, wie denen von Max Adler, eine paradoxe Situation vor : Die Partei berief sich zum Unterschied von der övp, die sich 1945 als neue Partei konstituierte, dazu, eine Nachfolgeorganisation der im Bürgerkrieg untergegangenen und schon vorher verbotenen sdap, nunmehr
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spö genannt, zu sein, ließ sich aber mit der Pflege der überkommenen Schätze Zeit, da die neue Führung, vor allem Adolf Schärf und Oskar Helmer, zwar die Vergangenheit der Partei für sich reklamierte, gleichzeitig aber alles tat, um die Praxis und Theorie des Austromarxismus vergessen zu machen und nicht in die Fehler der Vergangenheit zurückzufallen, die zum Untergang der Sozialdemokratie beigetragen hatten. In diese Lücke stieß ich mit meinen Neuauflagen vor und erwarb mir noch vor meiner akademischen Etablierung den Ruf eines Parteihistorikers, der damals noch mehr Archivar als Kritiker war, sich aber langsam zu einem solchen entwickelte. Als es nun 1968 zur Habilitation kam, baute ich meine schon bisher angestellten Studien zur Geschichte der Partei in der Zwischenkriegszeit aus und reichte 1968 mein Werk über den Austromarxismus an der Universität Graz ein. Von allen möglichen wohlmeinenden Seiten wurde mir abgeraten, mich mit einem noch so aktuellen und kontroversiellen Thema vorzuwagen und es lieber mit einem harmloseren zu versuchen. Doch ich selbst wusste, dass ich gerade mit diesem Thema stehe oder falle. Und der Erfolg hat mir recht gegeben. Mein Werk ist zu einem Standardwerk, das Neuland betreten und erschlossen hat, geworden. Die weitere Folge war, dass man von mir die Fortsetzung und Verlängerung der Forschungstätigkeit bis in die Gegenwart erwartete, die aber, den wissenschaftlichen Standards entsprechend und genügend, auch wieder kritisch ausfallen musste, was meine schrittweise Entfremdung von der Partei mit sich brachte. Ich hätte ohne diese Erwartung und Enttäuschung ein bequemeres Leben gehabt und wäre nicht so umstritten geworden, aber dieser Preis der Umstrittenheit und Unbequemlichkeit musste bezahlt werden und konnte nicht unterschritten werden. Ich konnte dem Thema, das von allen Seiten auf mich zukam, nicht ausweichen oder es später ad acta legen, sondern musste es, koste es, was es wolle, weiterführen. Mit Recht hebt Charlotte Bühler die große Bedeutung der biologisch-genetischen Daten und Rahmenbedingungen hervor, ohne deren Vorhandensein ein Lebenslauf überhaupt nicht möglich ist. Diese Daten betreffen vor allem die familiäre Konstellation, die ein Ineinander biologischer und tiefenpsychologischer Faktoren darstellt. So erweist sich die Stellung des Kindes innerhalb der Familie als ein Moment, das auch Auswirkungen auf die künftige Familienkonstellation des Kindes hat, nicht im Sinne einer strikten Determinierung, wohl aber in dem einer Inklination. Ich habe aus den Vorlesungen von Professor Walter Toman ebenfalls am Ford-Institut erfahren, dass die Stellung in der Geschwisterreihe einen wesentlichen Einfluss auf die spätere Entwicklung des Kindes ausübt. Ein-
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zelkinder wie ich werden überdurchschnittlich häufig Junggesellen, die keine eigene Familie gründen. Bei Einzelkindern ist auch die Mutterbindung stärker als bei Kindern, die die Liebe der Mutter mit Geschwistern teilen müssen. Die ungeteilte Zuwendung der Mutter hat auch Auswirkungen auf den beruflichen Erfolg, auf die Sigmund Freud an zwei Stellen seiner Werke mit den folgenden Worten hinweist : »Wenn man der unbestrittene Liebling der Mutter gewesen ist, so behält man fürs Leben jenes Eroberungsgefühl, jene Zuversicht des Erfolges, welche nicht selten wirklich den Erfolg nach sich zieht.« Auch diese Feststellung Freuds trifft auf mich vollinhaltlich zu. Meine Gönnerin Hertha Firnberg, auf die meine starke Mutterbindung nahtlos überging, hat diese Einsicht Freuds vertieft und auf mich angewendet : »Leser hat sich vom Einzelkind zum Einzelgänger, vom Einzelgänger zum Unikum und vom Unikum zum Unikat stilisiert.« Für meine Karriere, die mit einem großen Risiko behaftet war, war der mütterliche Rückhalt, den ich bei meiner Mutter und ihrem Ehrgeiz sowie bei Hertha Firnberg genoss, unbezahlbar. Dazu kam noch, dass ich als jemand, der keine Familie zu gründen beabsichtigte, nicht wie andere Kollegen auf Weib und Kind Rücksicht nehmen musste, sondern nur meine eigene Haut zu Markt tragen musste. Freilich gibt es keinen Vorteil, der sich im Laufe des Lebens nicht in einen Nachteil verwandeln kann. Die Ausblendung des familiären Faktors stellt ein Defizit dar, das sich mit zunehmendem Alter auch zunehmend bemerkbar macht und durch Erfolge nur zum Teil kompensiert werden kann. Dabei war und bin ich als Vertreter von Fächern, die wie Philosophie, Politikwissenschaft und Zeitgeschichte auch eine breitere Öffentlichkeit interessieren, in einer privilegierten Situation gegenüber Kollegen, die mit ihren Leistungen meist nur die kleinere Öffentlichkeit der Fach- und Gelehrtenwelt erreichen. Wie immer man es aber anstellt : Der emotionale Sättigungsgrad, der aus der Anerkennung durch die engere und weitere Umwelt erreicht wird, bleibt meist hinter den Erwartungen zurück, weshalb es günstig ist, sich nicht zu stark von der zeitgenössischen Resonanz abhängig zu machen. Man sollte zufrieden sein, wenn man auch im Alter noch einigermaßen gesund und mobil ist, und auch die geistigen Fähigkeiten sollten so lange als möglich erhalten bleiben. Ein Problem, mit dem man sich bei Betrachtung des eigenen Lebenslaufes oder auch dem anderer konfrontiert sieht, ist das vom französischen Philosophen und Soziologen Pierre Bourdieu aufgeworfene der »illusion biografique«. Bourdieu zufolge beruht die Fiktion eines einheitlichen, gesetzmäßig ablaufenden Lebenslaufes auf der Rückprojektion des Resultats und des Ergebnisses des Lebens auf die Anfänge, sodass man der Illusion erliegt, sich von Anfang an auf
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Charlotte Bühler
das, was schließlich herauskommt, zubewegt zu haben. Wenn man Alfred Adlers Theorie des »Lebensplanes« und dementsprechenden »Lebensstils« ernst nimmt, muss man Bourdieu in dieser Skepsis gegenüber der Einheitlichkeit und Folgerichtigkeit des Lebenslaufes nicht folgen. Der Lebensplan ist demzufolge keine bloße Rückprojektion, sondern eher eine Rekonstruktion des ursprünglich Gewollten. Ohne eine Leitidee, die das eigene Tun beflügelt, kann sich das Leben gar nicht richtig entfalten, auch wenn man den eigenen Lebensplan, den man mehr unbewusst als bewusst verfolgt hat, erst aus der zunehmenden Erfassung des eigenen Lebens kennenlernt. So habe ich rückblickend betrachtet, ein Aufstiegsmuster verfolgt, das von dem der meisten meiner Alterskollegen abweicht, ein Muster, das wiederum mit meiner Stellung als Einzelkind zusammenhängt. Meine Aufstiegstechnik bestand darin, mich nicht von den Altersgenossen, also der peer-group, sondern von den Älteren über die Köpfe der Altersgenossen hinweg hinabtragen zu lassen. Erst der Erfolg hat mir zu Bewusstsein gebracht, dass ich im Sinne meines Aufstieges richtig gehandelt habe. Freilich ist nicht nur in diesem Zusammenhang an den Satz Friedrich Nietzsches »Der Erfolg ist der größte Lügner« zu erinnern. Daher sollte man über den erreichten Erfolg froh und dankbar sein, aber ihn nicht als Freibrief betrachten, auf die minder Erfolgreichen herabzublicken. Der Tod relativiert alle zwischen Menschen bestehenden Unterschiede, einschließlich und besonders die zwischen Erfolg und Misserfolg. Wenn es einen Lebensplan gibt, in den man sich eingefügt hat, bleibt immer noch die Frage, ob dieser Lebensplan wirklich frei gewählt oder eine Bestimmung ist, in die man sich ergeben hat und die dem Leben erst Sinn verleiht. Jedenfalls ist, wenn man Viktor Frankl folgt, dieser Sinn nur durch Transzendierung des eigenen Selbst zu finden und zu verwirklichen, sei es in Form der Transzendenz und Hinwendung zu einer Person, einem Werk oder einer Idee. Dass auch diese Sinnfindung zur Illusion werden kann, dafür bietet gerade die Geschichte des 20. Jahrhunderts zahllose negative Beispiele. Wie viele Menschen haben nicht ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um einem Massenwahn nachzulaufen und einer totalitären Versuchung zu erliegen ? Freilich lässt sich hier philosophisch sagen, dass diese Menschen eben einer falschen Transzendenz, die das, was einer künftigen Welt vorbehalten bleibt, jetzt und hier schon verwirklicht sehen wollen, erlegen sind. Doch auch die, die dieser Versuchung nicht erlegen sind, müssen zur Kenntnis nehmen, dass unser Leben auch im besten Fall – und wie selten ist der beste Fall – Stückwerk und Fragment bleibt und daher nie ganz gelingen kann.
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Josef Dobretsberger (1903–1970) Österreichs »Sowjetsberger«
Josef Dobretsberger war und bleibt im Rückblick eine der interessantesten, aber auch zwielichtigsten Persönlichkeiten der österreichischen Universitäts- und Zeitgeschichte. Er machte früh große Karriere in verschiedenen Bereichen. Der frühere Assistent des großen Rechtslehrers Hans Kelsen wurde schon 1931 als noch nicht Dreißigjähriger Professor für politische Ökonomie an der Universität Graz und wurde 1935 in den Generalrat der Oesterreichischen Nationalbank berufen. Doch damit war sein Ehrgeiz noch nicht erschöpft, 1935 wurde er Sozialminister im Kabinett Schuschnigg. Er war ein Mann der Theorie und der Praxis gleichzeitig und strebte die Vereinigung dieser Sphären in seiner Person jedenfalls an. Schon 1932 beschäftigte er sich mit der Grundfrage »Freie oder gebundene Wirtschaft«. Auch den 1934 etablierten Ständestaat bedachte er 1934 mit einer gedanklichen Annäherung »Vom Sinn und Werden des neuen Staates«, jenes Ständestaates also, den er als ein Bollwerk gegen den Nationalsozialismus prinzipiell bejahte, dessen Konstruktionsfehler ihm aber als Wissenschaftler, der er in erster Linie war, nicht verborgen bleiben konnten. Er sollte auch als Sozialminister bald die Erfahrung machen, die seit den Tagen Platos alle Denker machen mussten, die sich in Nähe zur und Abhängigkeit von der Macht begeben. Dobretsberger versuchte, ausgehend von Fragen seines Ressorts, die Satzungen des staatlichen Einheitsgewerkschaftsbundes zu liberalisieren und durch Gründung einer Sozialen Arbeitsgemeinschaft eine Zusammenarbeit und Versöhnung mit der Sozialdemokratie herbeizuführen. Hätte sich diese Linie Dobretsbergers der Verständigung mit der Linken durchgesetzt, so wäre diese Zusammenarbeit möglicherweise imstande gewesen, eine Einheitsfront gegen den Nationalsozialismus herzustellen. Aber Schuschnigg ging bewusst einen anderen Weg des immer weiteren Nachgebens gegenüber Nazis, die im Juliabkommen 1936 einen vorläufigen Höhepunkt erreichte und schließlich in der Unterwerfung unter den Gewaltstreich der deutschen Truppen endete. So wie Viktor Matejka in Wien, musste Dobretsberger gesamtösterreichisch der verhängnisvollen Appeasement-Politik Schuschniggs weichen. Dobretsberger wurde gegangen, der Verräter Guido Schmidt dagegen als Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten berufen. Die Schmidts und Seyß-Inquarts bereiteten
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Josef Dobretsberger
die Auslöschung Österreichs vor, der Herr von Papen als deutscher Botschafter tat sein Übriges, um Österreich, statt es zu erhalten, an Hitler-Deutschland auszuliefern. Es ist selbstverständlich, dass Dobretsberger 1938 seine Professur an der Universität Graz, in der »Stadt der Volkserhebung«, verlor und in die Emigration gehen musste, die er dann in Kairo und Istanbul verbrachte. 1946 kam Dobretsberger nach Österreich zurück, zu spät, um noch eine politische Position neben seiner wiederaufgenommenen Lehrtätigkeit zu erlangen, auf die er aufgrund seiner großen Begabung wohl auch Anspruch gehabt hätte. Von da an begann ein zweiter, problematischerer als der erste Lebensweg vor 1938. Dobretsberger war mit dem nach 1945 eingeschlagenen politischen Kurs und auch mit den handelnden Personen, besonders mit Julius Raab, nicht einverstanden. In seinem Denken und Handeln vermischten sich fortan, von ihm selbst nicht sorgfältig getrennt, berechtigte Kritik an Fehlern der Nachkriegsentwicklung mit enttäuschtem Ehrgeiz. Bald nach seiner Rückkehr trat er mit einer Publikation hervor, die eine neue Weichenstellung in der Sozialpolitik und darüber hinaus in der Politik überhaupt einleiten sollte. Mit der Schrift »Katholische Sozialpolitik am Scheideweg« versuchte er eine Neugründung und -schöpfung einer katholischen Soziallehre, die Einfluss auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens gewinnen wollte. Er ging davon aus, dass der alte politische Katholizismus tot sei und es einer Neuorientierung bedürfe. Die katholische Soziallehre und die sie in die Tat umsetzenden Politiker sollten sich von den Restbeständen romantischen und ständischen Denkens der Zwischenkriegszeit lösen, es sollte zu neuen »Schnittflächen« zwischen den beiden Kreisen von Religion und Wirtschaft kommen. Ich selbst habe 1960 im Verlag der Wiener Volksbuchhandlung eine von mir und der Gattin meines Lehrers August Maria Knoll aus dem Amerikanischen übersetzte Ausgabe des Buches »Austrian Catholics and the First Republic« von Alfred Diamant, das den Zeitraum 1918–1934 umfasste, herausgebracht. Aus diesem Werk geht hervor, dass der österreichische Katholizismus in der Zwischenkriegszeit in die Lager einer rückwärtsgewandten Sozialreform und einer die Moderne akzeptierenden Sozialpolitik gespalten war. Dobretsberger knüpfte an diese letzte Tradition von damals an, verstärkte und verschärfte aber den antikapitalistischen Akzent, der schon in den modernen Strömungen enthalten war. So führte er in seiner »Sozialpolitik« aus : »Der Kapitalismus und die kapitalistische Gesellschaft von heute ist nicht mehr dieselbe, auf die sich die Enzyklika ›Rerum novarum‹ von 1891 bezog. Wenn wir die heutige Phase ›Spät-Kapitalismus‹ nennen, deuten wir an, dass das System seinem Ende zugeht. Andere sprechen von der Krise, von der Sprengung, von der Vergreisung des Ka-
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pitalismus. Marx’ These von der Selbstauflösung dieser Wirtschaftsordnung war noch nie so augenscheinlich wie heute … Die Kirche hat auch gegenüber dem Kapitalismus ihre ablehnende Haltung nicht geändert. Es ist nichts unrichtiger, denn die Lehrer des Katholizismus als Kapitalismus-freundlich einzustellen.« Welch ein Unterschied zu der Aussage, die Prälat Ignaz Seipel, der Führer des bürgerlichen Lagers in der Ersten Republik, getan und die August Maria Knoll zum Beweis seiner These, dass sich die Kirche jeder gegebenen wirtschaftlichen Ordnung anpasst, immer wieder zitiert hat : »Ecclesia Romana vivit modo capitalistico.« Es bleibt die Frage, ob sich Dobretsberger nicht nur einer bestimmten Interpretation der katholischen Soziallehre bedient hat, um die antikapitalistische Stoßrichtung seines politischen Wirkens zu rechtfertigen. Denn Dobretsberger gründete 1949 eine eigene Partei namens »Demokratische Union«, die sich aber nicht als lebensfähig erwies und 1953 mit der KPÖ und den Linkssozialisten zu einer »Volksopposition« zusammenschloss, an deren Spitze Dobretsberger kandidierte. Doch er zog nach der Wahl nicht ins Parlament ein, an seiner Stelle erhielt der linkssozialistisch-kommunistische Erwin Scharf ein Mandat. So sollte sich an Dobretsberger, der längst den Spitznamen »Sowjetsberger« verpasst erhalten hatte, erfüllen, was er in seiner »Sozialpolitik« ausgeführt hatte : »Jene Katholiken, die in den letzten Jahren den Autoritätsstaat unterstützten, haben bittere Enttäuschungen erfahren. Der totale Staat, dem sie in den Sattel halfen, missbrauchte sie als Werkzeug, das man verwirft, wenn es seinen Dienst getan hat.« Es ist schwer zu verstehen, dass ein Mann, der wie Dobretsberger den rechten Totalitarismus so richtig einschätzte und dementsprechend konsequent bekämpfte, gegenüber dem Kommunismus so unkritisch und willfährig sein konnte, obwohl er, wie er selbst zugibt, als Katholik kein Marxist sein kann. Es besteht kein Zweifel, dass Dobretsberger, wenn die Pläne der Kommunisten verwirklicht worden wären, die Rolle eines bürgerlichen Aushängeschildes für ein volksdemokratisches Regime gespielt hätte. Das Beispiel Dobretsbergers zeigt aber auch, dass selbst bedeutende Männer, die zum Unterschied von ihren Zeitgenossen einen Fehler vermieden haben, später nicht einen anderen, nicht minder gefährlichen, begehen können. Können Ehrgeiz und ideologische Voreingenommenheit so weit gehen, selbst einen nüchtern analysierenden Wissenschaftler, noch dazu einen Nationalökonomen, kritiklos zu machen ? Denn wie schon in seiner »Sozialpolitik« fehlte eine kritische Auseinandersetzung mit dem kommunistischen System der Zentralverwaltungswirtschaft, obwohl damals ge-
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nügend Erfahrungen über die Schwächen dieser angeblichen Alternative zum Kapitalismus vorlagen und andere Nationalökonomen, wie Ludwig v. Mises, die »Undurchführbarkeit des Sozialismus« auch schon vor dem Vorliegen schlechter Erfahrungen erkannt und vorausgesagt hatten. Ich habe vor meiner Habilitation einige Male mit Dobretsberger gesprochen und gewann den Eindruck einer Persönlichkeit, die zwar geistreich, aber nicht weise und mit sich und der Welt zerfallen war. Er beklagte sich über alles, was er nicht erreicht hatte, statt sich seiner früheren Erfolge zu erfreuen. Auch im Zusammenhang mit meiner Habilitation an der Universität Graz lernte ich ihn, dessen Unterstützung ich als selbstverständlich annahm, von einer nicht gerade erfreulichen Seite kennen. Als ich ihn einmal in Wien zufällig traf, fragte ich ihn, was er gegen meine Habilitationsschrift über den Austromarxismus einzuwenden habe. Er antwortete mir mit entwaffnender Offenheit : »Ihre Schrift ist hervorragend, aber ich beurteile sie deshalb negativ, weil bei Ihnen Karl Renner so gut wegkommt, der seinen Frieden mit den Nazis geschlossen hat, während wir in die Emigration gehen mussten.« Dabei hat sich meine Hochschätzung Renners nur auf seine Gesellschaftsschau, nicht aber auf sein opportunistisches Verhalten 1938 bezogen. Die Haltung Dobretsbergers bestätigte mir wieder einmal, dass persönliche Ressentiments bei der Beurteilung eines Werkes oft eine größere Rolle spielen als sachliche und dass die erwartete Unterstützung trotz günstiger Auspizien oft ausbleibt. Ist Josef Dobretsberger auf der einen Seite ein Beispiel dafür, dass sich ein Denker nicht immer auf der Höhe seiner Einsicht bewegt und in der Praxis nicht die Höhe seiner Theorie erreicht, so ist er auf der anderen Seite auch ein Beispiel dafür, dass eine fragwürdige Praxis die Gedanken, die ein Schriftsteller hinterlassen hat, durch die Verbindung mit einer problematischen Persönlichkeit und Lebensführung nichts von ihrer Wahrheit und Tiefe verliert. So bleibt die »Katholische Sozialpolitik am Scheideweg« eine Fundgrube von Gedanken, die ihre Bedeutung nicht verloren haben. Dobretsberger war in diesem auch heute noch lesenswerten Werk bemüht, wie er selbst in einer repräsentativen Kapitelüberschrift ausführte, »Zeitliches und Ewiges in der Sozialethik zusammenzubringen. Allein dieses Bestreben adelt das Büchlein, sind und waren doch auch schon damals viele andere im Gegenteil bemüht, den Hinweis auf das Ewige zum Verschwinden zu bringen und zugunsten dessen, was Dobretsberger »Soziologismus« nannte, einzuebnen, also alles soziologisch zu erklären und zu relativieren. In diesem Zusammenhang bleiben die Mahnungen Dobretsbergers wert, erinnert und in die Gegenwart hinübergerettet zu werden : »Nichts kenn-
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zeichnet die Niedergangsperiode der Gegenwart besser als der Relativismus der Wissens-Soziologie … Der Katholik kann diesem uferlosen Soziologismus nicht zustimmen.« An die Stelle dieses Relativismus setzte und postulierte Dobretsberger »das transzendentale Koordinatensystem«. Zum Abschluss seines Werkes führte er aus : »Wäre das Soziale der Inhalt unseres Lebens, ginge es nur darum, den Menschen in dieser Welt so leid- und sorglos wie möglich zu machen, müssten wir wohl unser Bemühen aufgeben. Wir haben uns lange genug von den Trugbildern des Fortschritts, der Humanität, des größten Glücks der größten Zahl äffen lassen – über eine Pyramide von Totenschädeln, um am Ende in das furchtbare Elend zu stürzen. Was wir bestenfalls erreichen können, ist Milderung des Leidens, des Hasses, der Ungerechtigkeit, aber nicht die Überwindung des Übels. Für den Katholiken bleibt diese Welt mit dem Fluch Adams belastet, aber der Zweck des Menschen weist über alles Erdgebundene, Soziale hinaus. Das Erdenleben ist nur ein Zwischenakt.« Es scheint, als ob sich Dobretsberger gleichsam im Voraus für die zu enge Bindung an eine Ideologie, die den alten Adam sehr wohl durch den »neuen Menschen« ersetzen und kein Jenseits anerkennen wollte, entschuldigt hätte. Umso mehr gilt diese Entschuldigung im Rückblick als ein Zeichen dafür, dass der Geist freier und unabhängiger ist als der fehlbare Mensch, der nicht immer auf der Höhe seiner Ideale lebt, aus welchen Gründen immer. Wenn Dobretsberger die Weltflucht als die Perspektive des Urchristentums, die Weltdurchdringung als die des Mittelalters und die Verweltlichung als die der Neuzeit charakterisiert hat, so bleibt nur zu hoffen, dass die Politik der Zukunft eine Synthese dieser drei Zugänge zur Wirklichkeit finden wird und verwirklichen kann.
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Adam Schaff (1913–2006) Vom Chefideologen zum Chefdissidenten
Der marxistische Philosoph und Politologe Adam Schaff war ein Denker von Format, der sich den Widersprüchen seiner Zeit gestellt hat. Adam Schaff, der weit über sein Land hinaus bekannte polnische Philosoph und Politikexperte, ist im November 2006 93-jährig in seiner Heimat verstorben. Sein Tod hat in Österreich keinen nennenswerten Widerhall gefunden, was verwunderlich ist, hatte Schaff doch neben seinen zahlreichen Funktionen im politischen und geistigen Leben Polens jahrzehntelang zwei Standbeine in Wien. Zum einen leitete er seit 1963 ein sozialwissenschaftliches europäisches Institut mit Sitz in der Grünangergasse, zum anderen war er seit 1972 Gastprofessor für Sozialphilosophie an der Universität Wien. Er wäre dort auch gerne ordentlicher Professor geworden, sein Ruf als Ideologe des polnischen Kommunismus stand aber einer solchen Berufung im Wege. Ich selbst hatte schon als Student der Jurisprudenz einiges über Adam Schaff gehört. Er war einer der ersten marxistischen Denker, die sich auch mit existenziellen Fragen, wie dem Schicksal des menschlichen Individuums (dem Schaff ein eigenes Buch widmete) und den Fragen von Leid und Tod, beschäftigten. Die marxistische Betrachtung der Welt war vor Schaff weitgehend auf die Prob leme der Revolution, auf die Eroberung und Behauptung der Macht konzent riert, ohne sich zu fragen, wie der Mensch mit dieser neuen Realität zurechtkomme. Es war eines der Verdienste Schaffs, diese vernachlässigten Themen aufzugreifen. Freilich sind die Antworten, die die marxistische Philosophie und der Materialismus auf diese Probleme zu geben vermögen, mangels einer metaphysischen Perspektive dürftig. Schaff aber erkannte früher als andere, dass die Revolution und die eroberte Macht Stückwerk bleiben, wenn sie sich nicht auch dieser Fragen annehmen. Er hielt den damals noch sehr einflussreichen Existenzialismus zwar für eine bürgerliche Ideologie, nahm aber die Herausforderung, die diese Strömung für den Marxismus bedeutete, ernst und widmete ihr mehrere Publikationen, so das Buch »Marx oder Sartre ?«. Darüber hinaus war Schaff ein angesehener Sprachphilosoph, seine »Einführung in die Semantik« stellte eine auch für Nichtmarxisten brauchbare Annäherung an diese Disziplin dar.
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Adam Schaff
All diese Leistungen und Aktivitäten wurden freilich durch seine Rolle als eine Art Chefideologe der polnischen KP überschattet. Die Kurzlehrbücher Schaffs über den dialektischen Materialismus stellten eine katechismusähnliche Zusammenfassung materialistischer Gedanken dar, die für Studierende aller Fächer Pflichtlektüre und Prüfungsgegenstand war. Schaff gehörte von 1955 bis 1969 dem Zentralkomitee der KP an, und war dank dieser Funktion durch seine Verankerung in der Akademie der Wissenschaften und als Direktor des Instituts für Philosophie und Soziologie eine überaus einflussreiche Persönlichkeit. Doch es sollte sich, wie schon in ähnlichen Fällen vor ihm, herausstellen, dass Geist und Macht auf Dauer nicht harmonieren, sondern an irgendeinem kritischen Punkt miteinander in Konflikt geraten. Schaff fiel den antisemitischen Säuberungen, die 1969 in Polen stattfanden, zum Opfer. Er war aber schon vor seiner Entfernung aus dem zk als Dissident unangenehm aufgefallen, sodass seiner Entwicklung vom orthodoxen Parteigänger zum selbstständig denkenden Geist und Abweichler nur nachgeholfen zu werden brauchte. Ich selbst lernte Schaff in den frühen Siebzigerjahren persönlich kennen, als ich der erste Professor für Politikwissenschaft in der Zweiten Republik an der Universität Salzburg war. Wir begegneten einander im Salon der Gräfin Herberstein, die in ihrer Wohnung in der Salesianergasse Intellektuelle und Künstler um sich scharte und zu Wort kommen ließ. Schaff kam nach einem Vortrag, den ich in diesem Kreis hielt, auf mich zu und zeigte sich an einem Kontakt mit mir sehr interessiert. Wir vertraten nicht nur die gleichen Fächer, sondern waren auch existenziell in einer ähnlichen Situation. Obwohl ich nie eine so hohe Position in der SPÖ bekleidete wie Schaff in der polnischen KP, galt ich doch lange Zeit als einer der intellektuellen Wortführer der Partei und in Wahrnehmung dieser informellen Funktion als einer der Wegbereiter Kreiskys. Doch auch bei mir stellten sich im Laufe der Zeit Frustrationen und Kollisionen mit der Macht des Apparates ein. Obwohl zwischen Kommunismus und Sozialdemokratie Welten liegen, lassen sich doch weder die Gemeinsamkeit des Ursprungs beider Richtungen noch gewisse bürokratische Deformationen, die beiden eigen sind, leugnen. Wir arbeiteten unsere wechselseitigen Enttäuschungen in langen Gesprächen und auf Ausflügen so gründlich miteinander ab, dass Schaff sagte : »Wir zwei gehören zusammen.« Je weiter die Zeit voranschritt, umso dramatischer entwickelte er sich von seinem Bezugssystem weg. Er wurde nicht nur in seiner Heimat als Unperson betrachtet, auch linke Studenten kritisierten ihn wegen revisionistischer Ansichten, sodass ich ihm mitunter in seinen Lehrveranstaltungen zu Hilfe kom-
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men musste. Schaff verfolgte die Vorgänge in Polen mit zunehmendem Entsetzen. Ich erinnere mich an eine Äußerung aus seinem Munde, die für einen ehemaligen Chefideologen wahrlich erstaunlich war : »Der Kommunismus ist eine Bewegung, die nicht nur ihre Feinde, sondern ihre eigenen Exponenten und ihre eigene Geschichte getötet hat. Zwischen Lenin und Breschnew klafft ein großes schwarzes Loch, in das alle hineingefallen sind oder hineingestoßen wurden.« Adam Schaff war nicht der Mann, der solche Einschätzungen auf Dauer für sich behalten konnte. Er nützte die Freiheit, die ihm seine Stellung in Wien gab, und ging in den Achtzigerjahren in die Offensive. 1982 veröffentlichte er die wahrhaft kühne Streitschrift »Die kommunistische Bewegung am Scheideweg.« Von da an ging es Schlag auf Schlag. Vor allem in der von Paul Lendvai edierten Zeitschrift »Europäische Rundschau« veröffentlichte er Beiträge, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Einige seiner Abrechnungen mit dem in Polen herrschenden kommunistischen System erschienen Anfang 1984 unter dem Titel »Polen heute« im Europaverlag. Es war wirklich starker Tobak, den Schaff seinen polnischen und österreichischen Lesern da bot. Dabei kämpfte er nach wie vor unter der Prämisse, dass das sozialistische System erhalten bleiben und nicht in das westliche Bündnissystem abwandern sollte. Er war dieser Meinung, weil er nicht alle Brücken zu seinem früheren politischen Bezugssystem abbrechen wollte, aber auch, weil er überzeugt war, dass eine Lossagung vom Warschauer Pakt nicht ohne Revolution und Blutvergießen erfolgen könnte. Er hielt einen gleichsam friedlichen Zusammenbruch des Kommunismus in Polen damals noch für unmöglich, im Besonderen traute er der Bewegung der Solidarność nicht zu, eine gewaltfreie Veränderung herbeizuführen, hielt er diese Bewegung doch für klerikal-reaktionär. Dabei waren es gerade die Arbeiter der Danziger Werft, die unter der Führung Lech Wałesąs die Axt an den Bau der kommunistischen Systeme legten. Waren es in Ungarn 1956 und in der čSSR 1968 noch überwiegend nationale Konflikte mit dem aufgezwungenen Sowjetsystem, so zeigten die polnischen Arbeiter, dass die Behauptung, die Arbeiterklasse sei an der Macht, eine Lüge war. In diesem Fall spielte Schaffs trotz allem noch marxistische Perspektive ihm einen Streich. Er konnte sich nicht vorstellen, dass eine so reaktionäre Institution zum Wandel fähig sei. Schaff ging der Sache auf den Grund und gab sich nicht mit der Kritik an einzelnen Fehlern und Deformationen des Systems zufrieden. Er zog der herrschenden KP Polens bildlich gesprochen den Teppich unter den Füßen weg, indem er es zur »Erbsünde« erklärte, in einem rückstän-
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Adam Schaff
digen Land, das weder industriell noch mentalitätsmäßig darauf vorbereitet war, ein sozialistisches System eingeführt zu haben. Schaff bediente sich mit dem theologischen Begriff »Erbsünde« derselben Terminologie, die Karl Kautsky 1918 und 1919 in seinen Schriften »Terrorismus und Kommunismus« und »Die Diktatur des Proletariats« verwendet hatte, um die bolschewistische Revolution als einen Irrweg und eine Abweichung vom Marxismus zu verurteilen. Nicht zu Unrecht ist Lenin damals gegen diesen »Renegaten« zu Felde gezogen, hatte Kautsky der Sowjetmacht doch die marxistische Legitimationsgrundlage abgesprochen. Schaff tat später Ähnliches und erschien der Partei deshalb gefährlicher als die bourgeoisen Kräfte, die dem System nach dem Leben trachteten. Nimmt man nämlich das Bild von der »Erbsünde« ernst, kann die Erlösung nur durch den Einbruch eines völlig Neuen erfolgen, das im Christentum die Heilstatt Christi ist, und nur durch einen konträren Akt aus der Welt geschafft werden. Es war daher selbstverständlich, dass die KP, die nach der Verhängung des Ausnahmezustandes 1981 angefochtener denn je war, in einer verzweifelten Notwehr Schaff aus der KP ausschloss, und zwar wegen »bourgeoisen und revisionistischen Gedankenguts«. Schaff hatte mit dieser Bezugnahme auf Kautsky, den er readaptierte, seinen Rückzug nach dem tatsächlich erfolgten Zusammenbruch 1989 vorbereitet : Er blieb dabei, dass nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht die Theorie des Marxismus widerlegt worden sei, sondern nur dessen falsche Anwendung am falschen Ort und zur falschen Zeit. Ähnlich wie der ungarische Marxist Georg Lukács flüchtete sich Schaff in die Hoffnung, dass es dereinst gelingen werde, der verratenen Idee zum Durchbruch zu verhelfen. In einem unserer letzten Gespräche äußerte ich ihm gegenüber meine Zweifel, ob sich je wieder eine Bevölkerung als Versuchskaninchen für die marxistische Theorie zur Verfügung stellen würde. Es bedarf keines besonderen Scharfsinns, die Rückzugsposition Schaffs als unhaltbares, verzweifeltes Manöver zu entlarven. Denn es sind rein ökonomische Gründe, die gegen die Annahme sprechen, der Sieg des Sozialismus in einem fortgeschrittenen Industrieland würde zu einem besseren Funktionieren führen. Der österreichische Nationalökonom Ludwig von Mises hat schon in den Zwanzigerjahren in seinem Buch »Die Gemeinwirtschaft« dargelegt, warum eine sozialistische Zentralverwaltungswirtschaft nicht funktionieren könne und keine Alternative zum funktionierenden Markt anzubieten habe. Außerdem ist es kein Zufall, dass die marxistische Theorie nicht imstande war, die Massen der westlichen Länder an den Sozialismus heranzuführen. Eine
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Theorie, die sich in einer so grundlegenden Annahme und Erwartung getäuscht hat, hat sich durch dieses Versagen von innen her die eigene Legitimationsbasis entzogen. Adam Schaff wurde 1989 von einer nichtkommunistischen Regierung zusammen mit allen vom kommunistischen System Geschädigten rehabilitiert – eine Paradoxie, die ihresgleichen in der Geschichte sucht. Denn diese Rehabilitierung stellt zugleich die Verurteilung des marxistischen Theoretikers Schaff dar. Er selbst hat sich anlässlich seines 85. Geburtstages als »Don Quichotte des Sozialismus« bezeichnet und damit das Treffendste gesagt, was sich zur Charakterisierung seiner tragikomischen Figur sagen lässt. Dessen ungeachtet, ja geradezu deswegen, ist er eine Figur nicht bloß der Wissenschaft, sondern auch der Zeitgeschichte geworden und geblieben. Der Widerspruch, der die Welt so lange erschütterte, ist mitten durch seine Person hindurch gegangen. Als ich ihn im Laufe unserer zahlreichen Gespräche einmal fragte, ob Lenin die Oktoberrevolution gewagt hätte, wenn er vorausgesehen hätte, dass sie ohne die erwartete Anschlusswirkung im Westen bleiben würde, antwortete Schaff : »Wahrscheinlich nicht«. In der Tat hatte Lenin fest damit gerechnet, dass die russische Revolution der Beginn und Startschuss für eine Revolution in den – nach der marxistischen Theorie eigentlich dazu prädestinierten – westlichen Industriestaaten sein würde. Die einzige Möglichkeit, doch noch einen Ausweg aus dem marxistischen Dilemma zu finden, wäre gewesen, dass der Weltgeist, der absolute Geist Hegels, die Illusion Lenins als Vehikel für die »List der Vernunft« benützt habe, um seine Ziele durchzusetzen. Gerade dieser Ausweg aber bleibt einem konsequenten Materialisten versagt, gibt es doch für ihn zwar eherne Gesetze, aber keinen wundertätigen Gott, der diese Gesetze im Einzelfall aufheben kann. Damit sind wir in der Rekonstruktion meiner mündlichen Auseinandersetzungen mit Adam Schaff an jenem Punkt gelandet, der in unseren Diskussionen eine nicht minder wichtige Rolle spielte wie die Debatte über den Kommunismus. Es ging in den Diskussionen zwischen dem Atheisten und Materialisten Adam Schaff und mir, der ich mich als gläubiger Katholik fühlte und immer noch fühle, nicht zuletzt um die Streitfrage, ob das Bewusstsein nur eine Funktion und Erscheinungsform der Materie sei oder ob nicht umgekehrt die Materie auf ein höheres, sie erst ermöglichendes Bewusstsein zurückzuführen sei. In dieser Beziehung lehnte ich mich nicht nur an die christliche Theologie an, die vom Vorrang des Geistes gegenüber der Materie ausgeht und die Welt als die Schöpfung Gottes versteht, sondern gab auch die Aussage wieder, die Max Adler,
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der marxistische Philosoph der Zwischenkriegszeit (der zwar historischer Materialist, aber philosophisch ein Idealist reinsten Wassers war), Lenin gegenüber getroffen hatte : »Die Erde war zwar vor dem Menschen hier, aber nicht vor dem Bewusstsein.« Dabei erhebt sich natürlich die Frage, in wessen Bewusstsein denn die Welt vor Erreichung der materiellen Bewusstseinsstufe existierte ? In diesem Zusammenhang erzählte mir Schaff, dass er eines Tages einer Nonne im Habit die obligate Prüfung über dialektischen Materialismus abgenommen habe und sie nach der Prüfung, die sie glänzend bestand, gleichsam privat fragte, wie sie die eben wiedergegebenen Lehrsätze des dialektischen Materialismus mit ihrem Glauben vereinbaren könne. Die Antwort der Nonne lautete : »Wenn der liebe Gott der Materie die Gesetze gegeben hat, die der Diamat feststellt, ist alles in Ordnung.« In Wahrheit hat diese Ordensfrau in aller Kürze das Problem aufgezeigt – und gleichzeitig gelöst. Sie hatte den Prüfer, der sie in Verlegenheit bringen wollte, ihrerseits beschämt und nachdenklich gemacht, wenn auch nicht in seiner Grundüberzeugung erschüttert. Jedenfalls hat ihm die schlagfertige Antwort imponiert. Die Frage, ob und in welcher Form ein Bewusstsein vor der Materie und ihrem Sprung in das tierische und menschliche Bewusstsein existiert habe, ist eine spekulative Frage, die nicht durch Beweise beantwortet, sondern nur durch Plausibilitätsargumente umkreist werden kann. Zunächst scheint Behauptung gegen Behauptung zu stehen : Die Materialisten pochen darauf, dass es kein Bewusstsein gäbe und geben könne, das nicht an die Gehirnmaterie gebunden sei ; die philosophischen Idealisten gehen hingegen davon aus, dass es eine Bewusstseinsform gegeben haben müsse, die dem materiell gebundenen Bewusstsein vorausgehe und ihm überlegen sei. Die Selbstsicherheit, mit der die Materialisten sich als Exponenten der Wissenschaft gebärden, lässt sich durch einige Fragen doch als problematisch erweisen. Zum Beispiel durch die Frage : Was wäre geschehen, wenn die Materie auf ihrem Weg zum Bewusstsein stehen geblieben wäre und den kritischen Punkt des Umschlags nicht erreicht hätte ? Wenn es keine finale Kraft gibt, die die Materie zu diesem Ziel hinführt, hätte dieser Fall ja eintreten können. Dann hätte es nie ein sich selbst erkennendes Sein und keine je wahrgenommene Wirklichkeit gegeben. Nur wer die grandiose Absurdität dieser Annahme aushält, darf sich guten Gewissens Materialist nennen. Die Annahme einer Welt ohne Bewusstsein und ohne Wahrgenommenheit widerspricht dem positivistischen Kriterium des »Wiener Kreises«, wonach nur Aussagen über beobachtbare und messbare Dinge wissenschaftlichen Charakter
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tragen. Sie widerspricht auch der unwiderlegbaren Formel des britischen Philosophen und Theologen George Berkeley, die in der Aussage »esse = percipi« besteht, was besagt, dass es kein Sein gibt und geben kann, das nicht mit der Möglichkeit der Wahrnehmung und des Wahrgenommenwerdens ausgestattet ist. Vereinigt man diese Gedanken, kommt man darauf, dass es nicht die philosophischen Idealisten sind, die sich überflüssigerweise etwas dazu denken, wenn sie den philosophischen Gesamtzusammenhang reflektieren, sondern dass sich umgekehrt die Materialisten etwas wegdenken, was sich nicht wegdenken lässt – denn zum Wegdenken muss man erst recht das Bewusstsein zu Hilfe nehmen. Wenn es als unstrittig gelten kann, dass über eine Welt vor und außerhalb jedes Bewusstseins keine wissenschaftliche Aussage möglich ist, bewegen sich sowohl die Idealisten als auch die Materialisten im Bereich der Metaphysik, der man weder so noch so entrinnen kann. Wenn man ihr aber ohnehin nicht entkommt, ist eine im geistigen Sein fundierte Metaphysik plausibler und weniger widersprüchlich als der Materialismus, der zwar von einer Welt in Raum und Zeit ausgehen muss, sich aber weigert, eine ewige, dem zeitlich-räumlichen Sein überlegene Welt anzuerkennen. Der Idealismus hat keine Schwierigkeit, die wissenschaftliche Erkenntnis einer raum-zeitlichen Welt mit der Ewigkeit des absoluten Geistes zu verbinden. Es war kein Beweis, aber ein weiteres Plausibilitätsargument, das ich Schaff immer wieder entgegenhielt : Die großen Denker der Philosophiegeschichte gehen in seltener Allianz mit der überwältigenden Mehrheit der einfachen Menschen aller Zeiten und Kulturen vom Primat des Bewusstseins aus und nicht von dem der Materie aus. Die Idee des höchsten Wesens, das den Menschen erschaffen hat, erscheint um vieles plausibler als die Behauptung der Selbsterzeugung des Menschen, die der Materialismus postulieren muss. Selbst der Materialist Karl Marx musste in einer seiner Frühschriften zugeben, dass es schwierig sei, die materialistische These vom »Durchsichselbstbestimmtsein« des Menschen zu vermitteln, da sie »allen Handgreiflichkeiten des menschlichen Lebens« widerspreche. Diese und ähnliche Überlegungen trug ich an Schaff heran, der sich zwar nicht zu meinem Standpunkt bekehrte, aber immerhin die folgende Frage stellte : »Welchen Unterschied würde es ausmachen, wenn du Recht hättest ?« Bei Gesprächen während der Hochschulwochen in Alpbach zu Beginn der Achtzigerjahre, an denen auch Kardinal König teilnahm, ließ sich Schaff sogar dazu herbei, eine in der christlichen Gedankenwelt nie heimisch gewordene, aus dem Islam übernommene Lehre von der »doppelten Wahrheit« gelten zu lassen und
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so eine Brücke zwischen Glauben und Unglauben zu schlagen – dergestalt, dass das, was wissenschaftlich nicht als wahr gelten könne, deswegen auf einer anderen Ebene nicht unwahr sein müsse. Adam Schaff schätzte Kardinal König sehr und war, da der Kardinal das Sekretariat, bzw. die päpstliche Kongregation für die Nichtglaubenden leitete, gleichsam sein institutionelles Gegenüber : der Parade-Atheist, der seiner Rolle nicht völlig untreu werden konnte. Ich erinnere mich noch an einen Ausspruch Schaffs nach der Wahl des polnischen Papstes : »Diese Wahl ist eine für die Kirche fantastische. Aber warte nur, bis die Kehrseite dieses Mannes zum Vorschein kommt. Dann wird sich herausstellen, dass er wie eine harte polnische Wurst ist, an der man sich die Zähne ausbeißt.« Damals konnte weder Schaff noch sonst jemand ahnen, welche gewaltige Rolle der Papst bei der Niederringung des Kommunismus spielen würde. In Polen hatte Johannes Paul II. nämlich jene Divisionen, nach denen Stalin gefragt haben soll, als man ihm einen Wunsch des damaligen Papstes übermittelte. Der Kampf der Geister geht weiter, auch nachdem der Kampf zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu Ende gegangen ist. Auf der einen Seite stehen die Evolutionisten, die Vernunft und Bewusstsein aus der Materie ableiten, auf der anderen die wohl tieferen Denker, die den Primat von Bewusstsein und Vernunft verteidigen, weil sie überzeugt sind, dass die Rekonstruktion der Evolution nur durch die Vorgegebenheiten von Vernunft und Bewusstsein zustande kommen kann, dass die Evolution außerstande ist, sich selbst zu interpretieren und dass schließlich die eigentlich philosophischen Fragen erst dort beginnen, wo der Materialismus am Ende ist. Der Grazer Philosoph Peter Strasser, ein zeitgenössischer Mitstreiter gegen Evolutionismus und Materialismus, der, ohne der christlichen Philosophie zugerechnet werden zu können, doch für den Primat des Bewusstseins kämpft und einem seiner Bücher den Untertitel »Gehirn, Computer und das wahre Selbst« gegeben hat, wendet sich gegen alle Versuche, »die Transzendenz des Selbst« zum Verschwinden zu bringen und den Menschen zu einem »horizontlosen Ding« zu degradieren, das in einem »schwarzen Loch« untergehe. Damit schließt sich der Kreis der hier angestellten Betrachtungen. Schon Adam Schaff hat im Zusammenhang mit dem Kommunismus vom »schwarzen Loch« gesprochen, das der Kommunismus in seiner Versenktheit und Versunkenheit historisch darstellt. Zum Glück ist es um den Menschen besser bestellt, ihm ist es vorbehalten und vergönnt, aus allen Abgründen wieder aufzusteigen und sich einer höheren Wirklichkeit zuzuwenden.
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Das Denken Peter Strassers und anderer ist ein Beweis dafür, dass man durch das Fegefeuer der Skepsis gehen kann, ohne in der Hölle des Nihilismus und Materialismus zu landen, und dass man sich wenigstens einen Ausblick auf den Himmel erhalten kann.
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Josef Hindels (1916–1990) Der letzte Austromarxist
Wenn mein Bibliograf und langjähriger Mitarbeiter Georg Rundel Josef Hindels und mich als »idealtypische Antipoden innerhalb der spö« bezeichnet hat, so hat er mit dieser Charakterisierung sicher recht. Doch eingedenk dieser Tatsache werde ich mich im Folgenden bemühen, dem Verstorbenen trotz dieser prinzipiellen Gegnerschaft Gerechtigkeit zuteilwerden zu lassen, nicht nur, weil dies die Fairness, die ein Wissenschaftler trotz aller Emotionalität, die er als Mensch nicht zu verleugnen braucht, walten lassen muss, gebietet, sondern weil Hindels und ich auch Berührungspunkte hatten, wenn die Gegensätze nach außen auch überwogen. Doch zunächst zum äußeren Lebenslauf von Josef Hindels : Von 1930 bis 1933 machte er eine kaufmännische Lehre durch und war in dieser Zeit des Werdens bereits Mitglied des Zentralvereins der kaufmännischen Angestellten Österreichs. Wegen der Teilnahme an einer verbotenen Demonstration wurde er bereits 1933 zum ersten, aber nicht zum letzten Mal verhaftet. Nach einer neuerlichen Haft von Ende April bis Juli 1936 flüchtete er 1937 in die Tschechoslowakische Republik. Von dort reiste er 1939 nach Norwegen, wo er als Mitarbeiter im Sekretariat der Internationalen Arbeiterfront gegen den Krieg tätig war. Von dort wanderte er 1939 nach Schweden aus, wo er in einer Gruppe österreichischer Gewerkschafter und in der Österreichischen Vereinigung in Schweden tätig war. 1946 kehrte er unter dem Emigrationsnamen Karl Popper (und somit als Namensvetter des weltbekannten österreichischen Philosophen) nach Österreich zurück, nahm aber bald wieder seinen eigentlichen, eigenen Namen Josef Hindels an. Bis 1951 arbeitete er als Schulungs- und Bildungssekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten und blieb darüber hinaus Redakteur des Gewerkschaftsorgans »Der Privatangestellte«. Der spätere Vizepräsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und langjährige Nationalrat Friedrich Hillegeist gewährte dem vielfach Angefeindeten Unterschlupf. Hillegeist war Hindels als asketisch lebender Idealist wesensverwandt. Das eigentliche politische Betätigungsfeld aber war und wurde mehr und mehr der Bund Sozialistischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus, in
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dessen Rahmen er eine vielseitige publizistische und Vortragstätigkeit entfaltete. Er war auch einer der maßgeblichen Initiatoren des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands. Er selbst verfasste eine Monografie über »Österreichs Gewerkschaften im Widerstand 1933−1945«. 1976 wurde ihm in Anerkennung seiner Verdienste der Titel »Professor« verliehen, den er auch wirklich als ein Bekenner im Sinne des Wortes seines Bekennermutes wegen verdiente, den nicht alle Träger dieses inflationär verliehenen Titels für sich in Anspruch nehmen können. Er starb kurz vor Wiederkehr des Jahrestags des 12. Februar 1990 im 75. Lebensjahr. Dieser kurze Lebensabriss vermittelt aber noch keinen Einblick in die Dramatik dieses Lebens, das sich nicht nur durch das Erreichte, sondern vielmehr durch das Unerreichte definiert. Denn Hindels war nicht nur ein x-beliebiger Gewerkschaftsfunktionär und Berufsantifaschist : Dieser Mann war eine Persönlichkeit, die durch ungewöhnliche rednerische Begabung und Wirkung auf Menschen, vor allem junge, hervorragte. Es war ein Vergnügen, seinen druckreifen Reden zuzuhören, allerdings spürte man auch den Geifer, der in ihm abrann, wenn er in seinem rhetorischen Element war. Er hätte in der Ersten Republik im damals entsprechenden Alter eine glänzende Karriere machen, ja vielleicht sogar Otto Bauer selbst Konkurrenz machen können. Seine Tragik war, dass er als Nachfahre des Austromarxismus, in den er so gut hineingepasst hätte, in der Zweiten Republik zu spät dran war und in gewissem Sinne als der letzte Austromarxist gestorben ist. Was er vom Austromarxismus Bauer’scher Prägung übernahm und was er fortsetzen wollte, war die Idee des »integralen Sozialismus«, die Bauer in seinem Spätwerk »Zwischen zwei Weltkriegen ?« entwickelte. Obwohl er nicht gemeinsame Sache mit dem 1948 aus der spö ausgeschlossenen Zentralsekretär Erwin Scharf machte, der eine Volksfrontpolitik befürwortete und später zu den Kommunisten überging, hielt er doch an der Bauer’schen Konzeption, dass es früher oder später zu einer Wiedervereinigung der beiden getrennten Fraktionen der Arbeiterbewegung, der sozialdemokratischen und der kommunistischen, kommen werde, fest. Er gab sich trotz allem, was an Trennendem vorlag, noch immer der Hoffnung hin, dass sich die westliche Sozialdemokratie revolutionieren und der sowjetische Kommunismus demokratisieren und liberalisieren würde, bis die getrennten Wege in einen gemeinsamen münden. Stillschweigende Voraussetzung dieser Logik und historischen Perspektive waren die ungebrochene und unerschütterliche Überzeugung von der Überlegenheit der sozialistischen gegenüber der kapitalistischen Wirtschaft und des Weiteren die Überzeugung, dass der Sozialismus
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früher oder später mit, wenn auch verzögerter, historischer Notwendigkeit eintreten und siegen würde. Mit dieser immer wieder vorgetragenen Meinung war er für Adolf Schärf und besonders für Oskar Helmer, bei dem noch eine antisemitische Komponente hinzukam, ein Sicherheitsrisiko. Sie verhinderten alle immer wieder angestellten Bemühungen, Hindels zu einem Mandat oder einer anderen seinen Fähigkeiten entsprechenden Position zu verhelfen, bzw. deren Erfolg. Hindels blieb der zündende Redner in kleinen, seinen Worten andächtig lauschenden Gruppen. Ich habe ihn einmal in einem Anfall von Bosheit als »Theoretiker der Halbwüchsigen und Halbgebildeten« bezeichnet. Als solcher musste er erleben, dass gar manche derer, die an seinen Lippen hingen, darunter spätere Politgrößen wie Karl Blecha, den Marsch durch die Institutionen antraten und in den Positionen, die sie erlangten, auf die Grundsätze, die er ihnen gepredigt hatte, vergaßen. Wenn man ihn, wie ich des Öfteren, auf den stalinistischen Terror ansprach, leugnete und verteidigte er diesen gar nicht, stellte aber die Gegenfrage : »Welches sind die Gesetze der Revolution ? Ich kenne solche Gesetze nicht.« Und er fügte den Verweis auf die Französische Revolution hinzu und fragte in diesem Zusammenhang rhetorisch : »Wer würde es wagen, die Französische Revolution wegen des Terrors, den sie mit sich brachte, zu verurteilen ?« Mit diesem Vergleich bewegte sich Hindels ebenfalls in der Bauer’schen Tradition. Die Französische Revolution aber war schon in der Gesellschaft und Ökonomie vorgebildet, durch sie kam eine Klasse an die Macht, die schon groß und stark genug war, um die Macht an sich zu reißen. Das Proletariat in Russland aber war zu schwach und die Industrialisierung zuwenig entwickelt, um wirklich eine Revolution im Marx’schen Sinne machen zu können. Deshalb hat der Altmeister der marxistischen Orthodoxie, Karl Kautsky, der bolschewistischen Revolution von allem Anfang an die marxistische Legitimation versagt und den Zusammenbruch des bolschewistischen Systems vorausgesagt. Dieser Zusammenbruch sollte allerdings erst nach 70 Jahren eintreten ; rückblickend muss man sich aber mehr darüber wundern, dass dieser Zusammenbruch nicht schon früher eintrat, und nicht darüber, dass er überhaupt eintrat. Hindels höhnte, wenn er auf Kautsky zu sprechen kam, über diesen »Oberlehrer der Revolution«, der der Revolution mit erhobenem Zeigefinger Weisungen erteilen wollte. Hindels musste den Zusammenbruch des Sowjetkommunismus noch erleben ; seine letzten Beiträge in der »Zukunft«, dem damals noch vitalen theoretischen Organ der spö, verraten, dass ihm der Gorbatschow’sche Reformkurs schon zu weit ging, da er die Gefahr des Untergangs des Kommunismus heraufbeschwor.
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Im Rückblick auf meine eigene Entwicklung als Theoretiker muss ich selbstkritisch sagen, dass ich zwar die Hindels’schen Thesen nie teilte, immerhin aber noch 1971 in meinem Buch »Die Odyssee des Marxismus. Auf dem Weg zum Sozialismus« meinerseits die These vertrat, dass das Scheitern des Sozialismus noch nicht beweise, dass dieses Scheitern notwendig gewesen sei. Ich habe diese Meinung als eine unzulässige Umkehrung des marxistischen Determinismus angesehen und insofern damals noch einen Teil der Illusionen, die sich Hindels und Adam Schaff bis zuletzt leisteten, geteilt. Erst das spätere Studium der Nationalökonomen Ludwig von Mises und anderen Kritikern des Sozialismus, die schon in den frühen Zwanzigerjahren die »Undurchführbarkeit des Sozialismus« nicht nur behaupteten, sondern auch mit zutreffenden Argumenten begründeten, änderte meine Meinung. Einen Teil des Scheiterns des marxistischen Sozialismus konnte man noch auf das subjektive Versagen einzelner Führer und auf die versäumte Ausnutzung revolutionärer Situationen wie 1918 zurückführen, aber die ökonomischen Gründe sowie die von den Elitetheoretikern herausgearbeitete Tendenz der Klassen- und Kastenbildung auch nach Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln hätten den Erfolg des Sozialismus auch dann vereitelt, wenn er zeitlich und regional plangemäß, also in den westlichen Industriestaaten, an die Macht gekommen wäre. Hindels war ein Fanatiker der Überzeugung, aber ein persönlich korrekter Mensch, der es verschmäht, ja als unmoralisch betrachtet hätte, im Laufe einer Revolution eine Privatrechnung mit einem persönlichen Rivalen zu begleichen ; die Revolution und deren Rechtfertigung, wenn sie nur in die gewünschte Richtung verläuft, hätte er nie infrage gestellt. Wir zwei sind wiederholt, mündlich und im kleineren Kreis, aber auch schriftlich und damit in aller Öffentlichkeit, aneinandergeraten. So kam es 1965, als ich mit meiner Kritik am Austromarxismus begann, zu einem Schlagabtausch in der »Zukunft«. Hindels griff mich wegen meiner Stellungnahme, die sich vor allem gegen sein Idol Otto Bauer richtete, in einem Beitrag mit dem Titel »Norbert Leser erteilt Zensuren« an ; ich antwortete, mich verteidigend, mit der Frage : »Verträgt die Parteigeschichte Zensuren ?« Heute, im Abstand von Jahrzehnten, wird mir noch klarer als damals, was hinter unserem Gegensatz steckte. Hindels wollte mir durch seinen Beitrag das Recht absprechen, Zensuren zu erteilen. Aber wie soll man historische Phänomene und handelnde politische Akteure anders beurteilen als durch Werturteile, die man, wenn man mit ihnen nicht einverstanden ist, als Zensuren empfindet ? Denn die Alternative zu Zensuren ist die bloße Nacherzählung des Geschehenen, die aber geringen Erkenntnis-
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wert für die Gegenwart hat. Es ist mehr als ein Wortspiel, wenn ich meine, dass hinter der Hindels’schen Intervention die Absicht stand, selbst eine Zensur im anderen Sinne des Wortes auszuüben. Und Hindels wäre als Parteitheoretiker sicher ein strenger Zensor im Dienste der Sache, mit der er sich identifizierte, gewesen. Das aber hat der dogmatische Fanatiker mit dem pragmatischen Repräsentanten der »herrschenden Klasse« gemeinsam, dass sie ihre Person und Position mit der Sache selbst identifizieren und die Frage, ob sie sich mit ihrem persönlichen Wohlergehen an die Stelle der Sache selbst setzen und diese für ihre Zwecke instrumentalisieren, gar nicht zulassen und als lästig abschütteln. Im Juli 1979 nahm ich gegen Hindels Stellung, und zwar in einer Beilage der »Arbeiter-Zeitung«. Ich empörte mich über die Gefühllosigkeit, mit der er in einem Beitrag über das Schicksal von Millionen Vietnamflüchtlingen hinweggegangen war und sie dem Lager der Konterrevolution zuschlug. In diesem Zusammenhang nahm auch der früher lnke Ökonom Eduard März gegen Hindels Stellung und erbat sich von Hindels eine stärkere Differenzierung. In der »Arbeiter-Zeitung« vom 11. Jänner 1982 verteidigte ich mich gegen den erhobenen Vorwurf, Hindels persönlich diffamiert zu haben ; seine Person habe ich stets respektiert ; so habe ich in dem 1988 vom deutschen MarxismusForscher Iring Fetscher und im Verlag Kurt Desch in München herausgegebenen Sammel- und Dokumentationsband »Der Sozialismus – Vom Klassenkampf zum Wohlfahrtsstaat« einen Beitrag über Österreich geschrieben, in dem ich Hindels Anerkennung für seine konsequente, wenn auch doktrinäre Haltung zuteilwerden ließ, während ich Karl Czernetz als jenes Gemisch aus Opportunismus in der praktischen Politik und linker Phraseologie charakterisierte, das oder der er tatsächlich war. Heute sind sowohl Czernetz als auch Hindels keine Säulenheiligen in der Partei mehr, sondern beide zugunsten eines aller Theorie abholden Pragmatismus vergessen und eingeebnet. Es gibt keine echte und lebendige Auseinandersetzung, kein Ringen um die richtige Linie mehr, sondern nur mehr den Druck der Anpassung und das Ziel der Stimmenmaximierung. Der nicht bloß antikirchliche, sondern antireligiöse Affekt gehörte auch zum doktrinären Erbgut Hindels’. So sagte er einmal mit Seitenblick auf mich : »Wer will, der möge seine religiösen Bedürfnisse befriedigen« –, er sagte dies mit spöttischem Unterton, um dann fortzufahren – »aber so weit darf es nicht kommen, dass wir Atheisten« – und in dieser Selbstcharakterisierung schwang Stolz mit – »zu einer verfolgten Minderheit in der Partei werden.« Die Avantgarde musste von allen Resten der Religion frei sein, um ganz für die pseudoreligiöse Botschaft des Atheismus empfänglich zu werden. Der Bauer’sche Idealismus wollte
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die religiösen Haltungen für die eigene Sache einsetzen und sich nicht durch metaphysische Spekulationen ablenken lassen. Dabei war Otto Bauer kein philosophischer Materialist, allerdings auch kein philosophischer Idealist wie Max Adler, sondern ein Positivist mit kantianischem Einschlag. Die Ersatzreligion, die der Austromarxismus anbot, war ein Glaube an die Zukunft, die früher oder später dem Sozialismus gehören müsse. Noch beim großen sozialistischen Jugendtreffen, das 1931 in Wien stattfand, sprach Bauer zu den jungen Menschen als »Generation der Vollendung«. Diese »Vollendung« fiel dann allerdings anders aus : Viele der damals Angesprochenen und in Euphorie Versetzten fielen im Zweiten Weltkrieg oder gingen in kzs zugrunde. Und es war nicht bloß eine Spekulation auf die Zukunft, mit der Bauer aufwarten konnte : Im »Roten Wien« schien diese bessere Zukunft im gesamtösterreichischen und Weltmaßstab vorweggenommen, durch das, was der sonst gar nicht revolutionär gesinnte Karl Renner als »die positive revolutionäre Tat der Verwaltung« nannte. Es gab wenig Verständnis der Lager füreinander ; ja, sie waren geradezu durch die Unfähigkeit, das Wollen des politischen Gegenübers auch positiv zu würdigen, charakterisiert. »In deinem Lager ist Österreich« – diese Ab- und Umwandlung des Grillparzergrußes an Radetzky beherrschte die Szene und das Geschehen. Die Austromarxisten waren im Großen und Ganzen blind für die sozialen Werte und Aspekte der Religion, umgekehrt betrachteten die Bürgerlichen das »Rote Wien« mit Ablehnung und Furcht ; der »Steuersadismus« und der »Wohnungsbolschewismus« Breitners wurden als gefährliche Drohung für die Zukunft angesehen und dementsprechend abgewehrt. Prälat Seipel hätte als Priester erkennen und anerkennen müssen, dass das im »Roten Wien« praktizierte soziale Handeln gelebtes Christentum ist, aber seine Abneigung gegen die »massa damnata« der Sozialdemokratie war stärker als seine aufkeimende Sympathie für die Mühseligen und Beladenen, denen die Sozialdemokratie zu einem menschenwürdigen Dasein verhalf. Aber, wie das Beispiel des Josef Hindels zeigt, wirkte der Hass der Ersten Republik noch in der Zweiten fort, ungeachtet der gemäßigten Koalitionspolitik, zu der die beiden Lager durch die Macht der Umstände, aber auch aus eigener Bequemlichkeit heraus, verurteilt waren. So konnte der Geist von gestern und vorgestern in seiner Reinheit, aber auch Verbohrtheit, nur in kleinen Gruppen und bei einzelnen Persönlichkeiten, wie Hindels eine war, fortleben. Ein Berührungspunkt zwischen Hindels und mir war die gemeinsame Wahrnehmung und Verurteilung der immer mehr und weiter um sich greifenden Geldgier und Genusssucht. Ich erinnere mich, dass Hindels einmal mit Ekel
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und Abscheu über den Opernball sprach, nicht nur über die Tatsache, dass eine solche Zurschaustellung des Reichtums überhaupt stattfindet, sondern dass sozialistische Spitzenpolitiker wie selbstverständlich daran teilnehmen und sich in dieser Umgebung offenkundig wohl und zu Hause fühlen. Denn Hindels ging immer noch davon aus, dass Sozialisten der bestehenden kapitalistischen Gesellschaft immer noch »unversöhnlich« gegenüberstehen und sich nicht mit ihr identifizieren dürfen. Bei solchen Gelegenheiten, die durch die Übertragung im Fernsehen Massenwirksamkeit erlangten, kam ihm und anderen, die gleich ihm dachten, zum Bewusstsein, dass die Annahme der unversöhnlichen Haltung gegenüber dem bürgerlichen Staat eine Fiktion war, der man an Sonn- und Feiertagen noch mit Lippenbekenntnissen huldigte, die aber für den Alltag keine Rolle mehr spielte. Dabei war Hindels’ spartanische und anhanglose Lebensform sicher nicht jedermanns Geschmack und fand daher auch wenig Nachahmer ; was Hindels aber richtig sah und worin ich ihm recht geben musste, war sein Ideal der Selbstbeschränkung im Interesse der Sache. Doch der Gedanke der Gleichheit, den noch Christian Broda als »harten Kern des Sozialismus« bezeichnet hatte, geriet immer mehr ins Hintertreffen. Zunächst wurde der ursprüngliche Gedanke der faktischen und einkommensmäßigen Gleichheit zum Gedanken der Verringerung der Spannen zwischen hohen und niedrigen Einkommen abgeschwächt, bis auch dieses Postulat durch die eingerissene Praxis der Großverdiener ad absurdum geführt wurde und stillschweigend in der Versenkung verschwand. Damit aber hat die Sozialdemokratie einen, wenn nicht den moralischen Vorsprung, den sie gegenüber den konservativen Parteien hatte, verspielt ; fortan herrschte und herrscht auch in der SPÖ der »Gott Nimm«, den man in der Zwischenkriegszeit den Christlichsozialen angelastet hatte. Und diese der Korruption verdächtigen und oft genug auch überführten Christlichsozialen standen immerhin unter Führung des Moraltheologen Seipel, der selbst asketisch lebte und seine Klientel auch sicher verachtete, aber sie nicht für seine Zwecke instrumentalisierte. Urteilt man nicht zu streng, wenn man angesichts dieser Vorgeschichte den Sozialdemokraten verargt, dass sie den Weg alles Fleisches gegangen sind, denn bekanntlich ist der Geist stark, aber das Fleisch schwach ? Jedenfalls bleibt, wie immer man dies moralisch beurteilen mag, die von Hindels und mir, aber auch von vielen anderen beklagte Tatsache bestehen, dass die Sozialdemokratie durch das Fallenlassen innerparteilicher Schranken und Standards zu einer Partei wie jede andere auch geworden ist und nicht mehr für sich in Anspruch nehmen darf, »eine Partei im
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historischen Sinn« zu sein. Diese Einebnung des Parteienspektrums hat sicher auch die begrüßenswerte Konsequenz, vom hohen Ross der Überlegenheit he runtergestiegen zu sein, aber den Nachteil, die alten Ideale leichtfertig geopfert zu haben, ohne andere als Ersatz dafür zu finden. Einmal ging ich sogar in die Junggesellenwohnung von Josef Hindels in Döbling, um mit ihm ein gemeinsames Vorgehen gegen eine von uns beiden abgelehnte Entwicklung zu besprechen. Und zwar, weil es zu einer Annäherung zwischen der SPÖ und der fPÖ in der Habsburg-Frage kam, die 1963 künstlich zur Staatsaffäre hochstilisiert worden war. Hindels und ich waren, wenn auch aus verschiedenen Gründen, gegen diese Verbrüderung zweier einander wesensfremder Parteien, die sich leicht zu einer Koalition hätte entwickeln können. Dazu kam es aber dann doch nicht : Erst zwanzig Jahre später sollte es zu einer solchen Koalition kommen, die allerdings nur drei Jahre dauerte und hielt. Bemerkenswert erscheint mir im Rückblick, dass Hindels und ich, und auch noch einige andere, darunter maßgeblichere als wir, wie der damals allerdings schon kaltgestellte Oscar Pollak, gegen diesen Kurs waren. Damals gab es noch Persönlichkeiten, die sich dagegen wehrten, die Stimmenmaximierung und den Machterhalt zum obersten Maßstab zu erheben. Doch gerade nach dem Ende der rot-blauen Koalition 1986 wurde offenbar, dass fortan nur mehr die Stimmenmaximierung und der Machterhalt zählten und nicht die Treue zu den Grundsätzen. Denn sonst hätte nicht ein Banker wie Franz Vranitzky, der die Partei dann auch wie eine Bank behandelte, Parteivorsitzender werden dürfen ; man hätte dem Staatsmann Vranitzky, der sich als solcher durchaus bewährte, mindestens einen nicht so weit von den Idealen der Sozialdemokratie abgehobenen Parteiobmann zur Seite stellen und als Gegengewicht einsetzen müssen. Noch Alfred Gusenbauer hatte als Vertreter der Sozialistischen Jugend damals den Instinkt, gegen Vranitzky zu stimmen, doch die meisten erkannten die ideelle Gefahr, die der Partei drohte, nicht, sondern überließen sich willig der Führung eines Mannes, für den die Partei nicht mehr als ein Vehikel der Machterhaltung war. Im Rückblick und in der Bilanz fällt das historische Urteil über Josef Hindels zwiespältig aus : Auf der einen Seite war er der letzte Vertreter einer Ideologie, die sich bereits überlebt hatte, auf der anderen Seite bietet er das erfreuliche, weil so selten gewordene Bild eines Einzelkämpfers, der bereit war, um der Sache willen gegen den Strom zu schwimmen und dem Zeitgeist zu trotzen.
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Ernst Koref (1891–1988) Humanistischer Sozialdemokrat
Wenn es eine einzelne Persönlichkeit ist, die für mein Lebensthema, nämlich die praktische und theoretische Beschäftigung mit dem Austromarxismus und der Sozialdemokratie, steht und mich durch persönliche Verbundenheit ausgezeichnet hat, so ist es die von Ernst Koref, und dies aus mehreren Gründen. Der vordergründige liegt darin begründet, dass ich zusammen mit Ernst Koref und dem mir noch enger als väterlicher Freund verbundenen Alfred Migsch eine Tat gesetzt habe, die in die Parteigeschichte eingegangen ist und keinem Geringeren als Bruno Kreisky den Weg bereitet hat. Nach den Märzwahlen des Jahres 1966, die der SPÖ eine vernichtende Niederlage bescherten, war es allen gut informierten und wohlwollenden Parteigängern der SPÖ klar, dass nach diesem Debakel nur eine Änderung an der Spitze der Partei eine Wendung zum Besseren und zur Rückkehr an die Regierung bringen und eine Beendigung der Oppositionsrolle, in die sich die Partei nach der Niederlage begeben hatte, herbeiführen könne. Pittermann, der ein glänzender Parlamentarier und Redner, aber kein guter Parteiführer gewesen war, hatte zu dem Niedergang der Partei wesentlich beigetragen. Die Olah-Krise, die die Partei 1963/64 durchlebt hatte, war nicht zuletzt auf die fehlenden Führungsqualitäten Pittermanns zurückzuführen. Mit dem Sturz Olahs war eine reale personelle Alternative zu Pittermann weggefallen, aber es tauchte eine andere personelle Alternative zu Pittermann auf, die Olah selbst vorbereitet hatte und die durch den Abgang Olahs spruchreif wurde : nämlich die Persönlichkeit Bruno Kreisky. Noch war es aber keineswegs sicher, dass Kreisky rechtzeitig zum Zug kommen würde. Denn trotz der schweren Niederlage arbeitete die Trägheit des Apparats für den zwar angeschlagenen, aber eben noch nicht entmachteten Parteiobmann. Außerdem war der Sturz eines Parteiobmanns etwas, das die Vorstellungskraft vieler Funktionäre überforderte. Wie noch die Debatte am Parteitag 1967, an dem Kreisky der Durchbruch gelang, zeigte, erblickten ehrwürdige Veteranen wie Rosa Jochmann, im Sturz eines Parteiobmanns eine Art Sakrileg, das es in der Geschichte der Partei bis dahin niemals gegeben hatte. Es bestand unter diesen Umständen und Vorzeichen die Gefahr, dass die Debatte um die
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Ablöse Pittermanns über den Sommer einschlafen und damit Pittermann konservieren würde. Es waren vor allem der gewiefte Taktiker Alfred Migsch und ich, die den Ernst der Lage erkannten und beschlossen, eine wirksame Gegenmaßnahme zu ergreifen. Wir beide wussten aus der Geschichte und der Erfahrung, dass die Partei zwar ein Koloss, aber auch einer auf tönernen Füssen war und es nur da rauf ankam, den Koloss an der richtigen und schwachen Stelle zu erwischen und den Plan, das Trägheitsgesetz zugunsten des Amtsinhabers wirken zu lassen, zu durchkreuzen. Wir erkannten, dass der innerparteiliche Willensbildungsprozess allein nicht ausreichen würde, um das Ziel eines Wechsels an der Spitze zu erreichen und die drohende Wiederwahl Pittermanns zu verhindern. Wir erkannten, dass es nur durch eine Einwirkung von außen möglich sei, den schlafenden Unmut der hilflosen Massen zu erwecken und die Frage »Pittermann, ja oder nein ?« bis in die letzte Sektion zu tragen. Es war uns klar, dass nur ein hochrangiger, aber nicht mehr im politischen Ring befindlicher Parteimann imstande sein könnte, diese aufrüttelnde Wirkung auszuüben und die zugunsten Pittermanns wirkende Trägheit zu überwinden. Nach einiger Überlegung kamen wir zu dem Schluss, dass nur der Linzer Altbürgermeister und ehemalige Multifunktionär Ernst Koref für die Rolle, die zu spielen war, infrage kam. Migsch und ich, daneben auch Günther Steinbach und Leopold Gratz, der sich aber bald zurückzog, als er den Braten des Aufstandes, den wir planten, roch, gründeten eine »Gesellschaft für politische Studien«, deren einziger Zweck es war, dem Redner, der den Sturz Pittermanns einleiten sollte, eine Plattform zu bieten. Im Rahmen einer Veranstaltung dieser harmlos klingenden Gesellschaft sollte unter dem ebenfalls harmlos klingenden Titel »Über politischen Stil« der Startschuss erfolgen. Migsch und ich reisten nach Linz, wo der allseits geachtete Altbürgermeister im Café Traxlmayr eine Stammloge innehatte, in der er Hof hielt. Migsch kannte Koref schon recht gut, er wollte nämlich 1965 nach dem Tode des Bundespräsidenten Adolf Schärf Koref lancieren und für ihn wahlkämpfen, so wie er es schon 1957 bei der Wahl Adolf Schärfs getan hatte, als er den bürgerlichen Gemeinschaftskandidaten Wolfgang Denk wider Erwarten schlug. Diesmal aber setzte sich Migsch mit seiner Option für Koref nicht durch, die Partei favorisierte vielmehr Franz Jonas, der dann auch die Wahl gegen Alfons Gorbach gewann. Migsch war also mit Koref bestens bekannt, ich selbst kannte Koref nur flüchtig von offiziellen Veranstaltungen her. Koref nahm mich als Dritten im Bunde mit den Worten »Sag ma sich du« auf. In dem folgenden Gespräch überzeugten wir Koref, dass er und niemand sonst die Rolle, die in diesem Drama zu spielen war, spielen könne.
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Am 21. September 1966 hatten wir den repräsentativen Saal des Palais Pálffy für den Auftritt Korefs gemietet. Korefs Rede ließ an Deutlichkeit kaum etwas zu wünschen übrig, wenn er auch den Passus, in dem er laut ursprünglichem Manuskript Pittermann direkt zum Rücktritt aufgefordert hatte, auf Anraten von Migsch strich. Aber wenn er von einem »notwendigen Opfer«, das es zu erbringen gelte, sprach, war allen klar, dass nur Pittermann gemeint sein konnte. Koref sprach aber auch Probleme, die ich gesprächsweise in sein Manuskript hineinreklamiert hatte, an : So wandte er sich gegen meinen Erzfeind Karl Czernetz, dem er »eine einseitig-rechthaberische Diktion« des Parteidogmatikers vorwarf und die Macht der Parteisekretäre anprangerte. Paul Lendvai und Karl Heinz Ritschel haben in einem 1972 erschienenen Werk »Kreisky. Porträt eines Staatsmanns« Korefs Vorstoß als »Initialzündung für die Parteireform« bezeichnet. Es ist in der Tat keineswegs sicher, dass die Wahl Kreiskys ohne diesen kühnen Vorstoß zur richtigen Zeit tatsächlich erfolgt wäre. Die Fackel war rechtzeitig und in die erwünschte Richtung geschleudert worden. Meine Kontakte mit Ernst Koref haben sich in dieser gleichsam historischen Begegnung in Linz bzw. Wien 1966 nicht erschöpft. Es ist immer wieder zu Begegnungen und Ermutigungen für mein Wirken seinerseits gekommen. Mündlich und schriftlich hat er sich wiederholt als »Leserianer« bezeichnet und mir das Ehrenprädikat »wissenschaftliches Gewissen der Partei« zugesprochen. Ich hatte und habe das Gefühl, dass diese Haltung und Geste mir gegenüber im politischen Bereich das war, was mir Friedrich Heer vor seinem Tode an Wertschätzung und Zuwendung zuteilwerden ließ. Koref übertrug mir symbolisch eine Funktion, die er von Kennern der Situation verliehen bekommen hatte und die er auch bejahend zitierte, nämlich die des »mahnenden Gewissens«. Er ließ es sich als bereits 92-jähriger Mann nicht nehmen, zur Präsentation meines 1982 erschienenen Buches, dem Band 2 der »Grenzgänger. Österreichische Geistesgeschichte in Totenbeschwörungen«, 16 Jahre nach seinem historischen Auftritt im Palais Pálffy, zur Präsentation dieses der Partei gewidmeten Buches, zu dem er auch ein Vorwort geschrieben hatte, nach Wien zu kommen und für mich, der damals bereits sehr umstritten in der Partei war, Zeugnis abzulegen. Er ließ sich in diesem Zusammenhang wie folgt vernehmen : »Wenn Leser Strukturfehler der Partei und der Demokratie aufdeckt, ist er als Historiker und kritischer Wissenschaftler dazu legitimiert. Wenn ein ehrlicher Freund tadelt, sollte man aufhorchen und diesen Tadel ernster nehmen als die Lobreden der Schmeichler, die im Winde verhallen.« Koref billigte mir auch jene Gesinnung zu, die mir viele in der Partei absprachen, so wenn er ausführte : »Die Verbundenheit und Loyalität Le-
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sers gegenüber des demokratischen Sozialismus ist unverkennbar, einzelne Teile seines Werkes sind geradezu ein Hymnus auf die Partei und durch mitreißende Formulierungen gekennzeichnet.« Einmal gab es einen Punkt, in dem ich in der Lage gewesen wäre, diese Loyalität in institutionalisierter Form unter Beweis zu stellen. Es war dies die Zeit vor Gründung der Renner-Akademie, einer Parteischule, die durch einen akademischen Lehrer eine Aufwertung erfahren sollte. In diesem Zusammenhang rief mich Kreisky sogar in Salzburg an und bot mir die Leitung dieser Neugründung, die noch dazu den Namen des von mir so geschätzten Karl Renner trug, an. Er fügte allerdings gleich hinzu, dass ich mich für die Übernahme dieses Amtes von der Universität karenzieren lassen müsse. Dazu aber konnte ich mich, erst zwei Jahre als Ordinarius im Amt, nicht entschließen und musste daher ohne Bedenkzeit absagen. Rückblickend betrachtet, glaube ich, dass es eine richtige Entscheidung war, mich nicht ganz in die Abhängigkeit von der Partei zu begeben, gemäß der Maxime meines Onkels Ludwig Leser, die ich noch im Ohr hatte : »Man soll für die Partei leben, aber nicht von ihr.« Nach dieser Entscheidung blieb mir nur die Rolle des »wissenschaftlichen Gewissens«, die aber keine dankbare ist, denn die Haltung, die Koref meiner Kritik an der Partei entgegenbrachte, wurde von der Partei nicht übernommen und mitgetragen. Vielleicht aber war die Partei damit wirklich überfordert, denn dem schlechten Gewissen weicht man eben lieber aus, als sich ihm zu stellen. Die mich ermutigende Autorität Korefs stärkte jedenfalls mein Selbstbewusstsein und vermittelte mir zusammen mit anderen Indizien das für die Rolle des »wissenschaftlichen Gewissens« notwendige Sendungsbewusstsein, das keine bloße Einbildung meinerseits war, sondern dem Willen Gottes und der Besten der Zeit, wie Koref und Heer, entsprach. Auch diejenigen in der Partei, die nicht auf meine Mahnungen hören wollten und wollen, kommen nicht umhin, die Präzision meiner Analysen und Prognosen anzuerkennen, indem sie schweigen und sich gar nicht erst auf Auseinandersetzungen mit meinen Aussagen einlassen, da sie wissen, dabei den Kürzeren ziehen zu müssen. Koref wandte sich im Vorwort zu meinen »Grenzgängern« gleich mir »gegen reinen Pragmatismus und ethischen Materialismus«. Wenn der parteitreue Historiker Oliver Rathkolb das ansonsten über mich verhängte Schweigen brach und in einer unfreundlichen Besprechung meines letzten Buches »Der Sturz des Adlers« von mir als der »Kassandra der SPÖ« sprach, zollte er mir wider Willen Anerkennung, denn die Kassandra der griechischen Sage hat ja tatsächlich recht behalten, der Untergang Trojas bewahrheitete ihre Vorhersagen. Doch um das Bild mit der Kassandra
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weiterzuspinnen : Dem durch List erreichten Ziel der Griechen ging ein Jubel der Verblendeten angesichts des verhängnisvollen Pferdes voraus. Auch die Sozialdemokratie Österreichs, aber auch Deutschlands, ist durch trojanische Pferde und goldene Kälber in Menschen- und Führergestalt von den einstigen Höhen in die Niederungen des »reinen Pragmatismus« und des »ethischen Materialismus« der Geldgier und Bereicherungssucht hinabgezogen worden. Koref teilte meine Sorge um die Zukunft der Partei und der Demokratie und er war als Humanist und Zeitgeschädigter prädestiniert dafür, dieser Sorge auch Ausdruck zu verleihen. Er erzählte mir einiges aus seinem Leben, was in seinem Erinnerungsbuch »Die Gezeiten meines Lebens«, das 1980 erschien, nur zum Teil enthalten ist. So berichtete er davon, dass er gemeinsam mit meinem Onkel, dem burgenländischen Landeshauptmannstellvertreter der Ersten Republik, Ludwig Leser, in den letzten sozialdemokratischen Wahlveranstaltungen vor den Wahlen des März 1933 aufgetreten sei. Diese letzten Wahlen, bei denen die n sdap trotz allem keine Mehrheit bekam, stand bereits im Zeichen des Naziterrors, sodass nur die Mutigsten und Treuesten sich noch in diese Versammlungen zu begeben trauten, und auch sie wussten, dass die Nazis die Macht nicht mehr hergeben und teilen würden. Koref erzählte mir auch, dass er väterlicherseits nach den Hitler’schen Rassengesetzen jüdischer Abstammung war und daher 1939 als »wehrunwürdig« galt. Nach dem 20. Juli 1944 wollte ihn der Gauleiter von Oberdonau, Eigruber, ein Bluthund, der nach 1945 auch hingerichtet wurde, ins kz Mauthausen einweisen. Dieser Einweisungsbefehl ging jedoch über den Schreibtisch eines ehemaligen Schülers von Koref, des später auch hingerichteten Kriegsverbrechers Ernst Kaltenbrunner, der seinen einstigen Deutsch- und Englischlehrer am Gymnasium in Linz mit einem Federstrich pardonierte. Koref erzählte mir auch schmunzelnd, dass, je länger der Krieg dauerte, desto mehr Nazigrößen ihre Kinder zu ihm schickten, um Privatstunden in seinen Fächern zu empfangen. Doch so schrecklich die Vergangenheit war : Man durfte und darf deshalb nicht den Fehler begehen, die Übel der Gegenwart zu übersehen und weiterwuchern zu lassen. Ein um das andere Mal beklagte Koref mir gegenüber, also auch öffentlich, die »Ämterkumulierer« und das »innerparteiliche Pfründenwesen« als die »Krebsübel« der Partei. Und gerade Oberösterreich lieferte nach dem Ausscheiden Korefs aus der Politik eindrucksvolle und abschreckende Beispiele für die genannten Übel. So kam es im Februar 1974 in der oberösterreichischen Partei zu einem beispiellosen Vorfall. Der Obmann der Kontrollkommission hatte die Absicht, die Unregelmäßigkeiten, die er bei seinen Untersuchungen
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entdeckte, dem kommenden Landesparteitag vorzulegen. Um dies zu verhindern, wurde der Kontrollobmann Dr. Felix Baumgartner kurzerhand aus der Partei ausgeschlossen. Baumgartner hat all diese Vorgänge in einem 1975 im Eigenverlag erschienenen Büchlein »Scheitert der österreichische Sozialismus ?« dokumentiert und kommentiert. Auf dem nächsten Landesparteitag kam es aufgrund der Vorgänge dann doch zu einem Aufstand der Basis gegen das korrupte und kompromittierte Parteiestablishment, dessen Namen von der Geschichte verweht sind. Als Sieger dieses Aufstandes ging ausnahmsweise eine Persönlichkeit hervor, die nicht aus dem Kreis der Funktionäre stammte, sondern aus einem anderen, das sich durchaus sehen lassen konnte. Der neue Parteiobmann und Landeshauptmannstellvertreter war Dr. Rupert Hartl. Er war vordem Senatspräsident des Oberlandesgerichtes Linz gewesen, blickte also schon auf eine Karriere in einem anderen Lebensbereich als dem der Politik zurück und war in der Lage, das Gewicht und Ansehen seines Berufes in die Politik einzubringen. Ausnahmsweise brachte die SPÖ in Umkehrung des Wiener Sprichworts »Wir werden keinen Richter brauchen« sehr wohl einen solchen. Hartl versuchte in der neuen Position alles Mögliche, um Strukturreformen, die über bloße Kosmetik hinaus gehen sollten, durchzusetzen; so versuchte er vergeblich durchzusetzen, dass Parteisekretäre mehr oder weniger automatisch zu Mandataren werden. Doch Hartl hatte nicht nur mit Widerständen der Betroffenen zu rechnen, er wurde auch vom alles überstrahlenden Parteiobmann bei seinen Reformbestrebungen nicht unterstützt. Dabei wäre es auch vom Standpunkt Kreiskys und der Gesamtpartei vielversprechend gewesen, Reformen zunächst einmal, wenn auch nur versuchsweise, in einem Bundesland in Angriff zu nehmen. Doch Kreisky nahm lieber das Scheitern seines angekündigten Privilegienabbaus in Kauf, als diesen Anlassfall aufzugreifen. Dabei war und ist Oberösterreich als stark industrialisiertes Bundesland, das im Vorfrühling der Ära Kreisky sogar einen sozialistischen Landeshauptmann zum Heranreifen bringen konnte, seither aber laufend abgestürzt ist. Nach rund einem Jahrzehnt in der Landespolitik resümierte Rupert Hartl in seinem 1986 erschienenen Buch »Österreich. Der schwierige Weg zum Sozialismus« recht kritisch und pessimistisch. Hartl zeigte anhand vieler Beispiele aus seinem Erfahrungsbereich auf, welche Sumpfblüten der Postenschacher in der Partei und im Lande trieb. Doch die Betroffenen schwiegen wie gewohnt zu den erhobenen Vorwürfen und saßen sie auf ihren wohldotierten Positionen seelenruhig aus. Jahrzehnte später hat dann die bawag-Affäre gezeigt, welche Missbräuche durch
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die Intervention der Politik in die Wirtschaft durch Filz- und Freunderlwirtschaft einreißen. Die »zehn Gebote«, die Kreisky gleich Moses auf dem Berg Sinai bei einer Pensionistenversammlung am 3. September 1980 ausgerechnet in Linz erließ, erfolgten »too little and too late«, um der Fehlentwicklungen, die die Ära Kreisky überdauern sollten, Herr zu werden. So groß die historischen Verdienste Kreiskys um die Partei und den Staat auch waren. Einen Vorwurf kann man ihm beim besten Willen nicht ersparen, nämlich den, zu wenig dafür vorgesorgt zu haben, dass die Partei nach dem Wegfall seiner Autorität auf einem soliden Fundament aufbauen kann. Am Beispiel Oberösterreichs aber kann man wie an keinem anderen sehen, wohin der Schlendrian, das Schleifenlassen der Zügel, führt. Die Verunsicherung, in der sich die Basis bewegte, kam später in anderen Zusammenhängen zum Vorschein und an die Oberfläche. So wurde der nach den letzten Landtagswahlen 2009 zur Zukunftshoffnung der SPÖ gemachte über sechzigjährige Josef Ackerl vor Jahren gegen den erklärten Willen der eigenen Genossen und mit Unterstützung der övp als Landesrat in der Landesregierung belassen. Dieses Beispiel demonstriert, wie gering das Vertrauen der Mitglieder und Funktionäre der Führung gegenüber war. Es demonstriert aber auch, dass sich die politische Klasse über Parteigrenzen hinaus als Schicksalsgemeinschaft versteht und einen, der einmal zu ihr gehört hat, nicht leicht fallen lässt. Das oberösterreichische Beispiel enthält und enthüllt in krasser Form die Gefahren, denen sich der österreichische Sozialismus gegenübersieht, ja denen er zum Großteil schon erlegen ist. Es bleibt zu hoffen, dass es früher oder später, aber vielleicht schon zu spät, zu Reformbewegungen kommt. Aber die herrschende Inzucht hat Degenerationserscheinungen hervorgebracht, die nur schwer zu beheben sind. Aber es wäre schade, wenn eine solche Erneuerung nicht gelänge. Denn eine starke Sozialdemokratie ist, wenn aus keinem anderen Grunde als dem des innenpolitischen Gleichgewichts, wünschenswert und erforderlich. Freilich ist die Qualitätsminderung des Inhalts der Politik kein ausschließliches Spezifikum Österreichs. Aber Österreich ist wieder einmal, wenn auch unrühmlich, jene »kleine Welt, in der die große ihre Probe hält«. Zur Vervollständigung sei abschließend auch auf eine typisch österreichische, aber auch typisch austromarxistische Eigenschaft, die Reformen erschwert, nämlich die Halbheit, hingewiesen, von der unser Nationaldichter Franz Grillparzer sagt, dass sie »auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mitteln zauderhaft strebt«. Doch meine Entschlossenheit, die mir zugefallene Rolle des Systemkritikers nicht aufzugeben, sondern laufend weiterzuführen, hat nicht bloß von Vaterfi-
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guren wie Ernst Koref und Alfred Migsch Nahrung und Mut zum Ausharren erhalten, sondern auch von gleichaltrigen, ja auch von jüngeren Weggefährten und Jugendfreunden. Viele von diesen geben mir in privaten Gesprächen über das gemeinsam Erlebte recht, sind aber nicht in der Lage oder gewillt, dem Einverständnis mit mir öffentlich und oder schriftlich Ausdruck zu verleihen. Zudem fühlen sich viele nach wie vor von der Partei abhängig und wollen die erreichte Position nicht gefährden, indem sie sich zur Wahrheit bekennen oder einen definitiven Schlussstrich ziehen. Unter diesen Umständen verfallen viele entweder in blanken Zynismus oder sie resignieren. Zum Glück gibt es Ausnahmen, die einem das Gefühl vermitteln, trotz allem auf dem richtigen Wege zu sein. Eine solche Ausnahme muss allerdings auch vom Gefühl getragen werden, selbst ein Ausnahmemensch zu sein und nicht den bequemen Weg des geringsten Widerstandes zu wählen. Ein solcher Ausnahmemensch, der auch eine außergewöhnliche Karriere und ein erfülltes Leben hinter sich hat, ist Peter Michael Lingens. Er hat mich durch seine »Ansichten eines Außenseiters«, die er zu seinem 70. Geburtstag vorlegte, freudig überrascht. Obwohl unser Kontakt aufgrund unserer räumlich und aufgabenmäßig getrennten Entwicklungsverläufe seit vielen Jahren abgerissen war, ist die Nachwirkung unserer Jugendfreundschaft, die seinen Erinnerungen zu entnehmen ist, beglückend und nachhaltig. So führt Lingens, der ein brillanter Rhetoriker und Analytiker war und geblieben ist, der sich mit mir und ich mich mit ihm messen kann, aus, dass er einen Großteil seiner »linken politischen Bildung« mir und meinem Wirken als Vortragender in sozialistischen Jugendorganisationen verdankt. Er hat mir mit dieser Feststellung den Dank, über den man sich freut, weil man sonst viel Undank erlebt hat, abgestattet. Was aber noch viel wichtiger ist, ist die Überzeugung, dass ich sehr wohl in der Lage gewesen wäre, der Partei »ein politisches Profil« zu geben, dass man aber von meiner Kapazität keinen Gebrauch machen wollte, wohl deshalb, weil es bequemere Handlanger gab und gibt. Die Stellungnahme von Lingens ist eine Bestätigung dafür, dass meine Analysen nicht mutwillige Alleingänge, sondern erhellende Markierungen waren, denen man aber nicht die notwendige Aufmerksamkeit schenkte. Wohl liegen in meinem Falle auch enttäuschte Ambitionen vor, diese wären aber nur mich angegangen, wenn meine Enttäuschung nicht in der Enttäuschung der Besten einer Generation, die sich um ihre Ideale betrogen fühlte, aufgegangen wäre. Erst dieses Zusammentreffen des Individuellen mit dem Kollektiven, erst das Erkennen des Allgemeinen im Besonderen, hebt eine Kritik über das Niveau eines
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bloßen Auslebens und Rationalisierens von Gefühlsregungen hinaus. Auch von schon dahingegangenen Gesinnungsfreunden und Kampfgenossen habe ich Zuspruch und Zustimmung erfahren, so von dem leider viel zu früh verstorbenen Programmatiker und Schriftstellerkollegen Egon Matzner, der gleich mir dafür Zeugnis ablegte, dass die Partei sehr wohl einen anderen Weg hätte einschlagen können, wenn sie ihren Grundsätzen treu geblieben wäre.
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Viktor Matejka (1901–1993) Kommunist und doch ehrlich
Ich lernte Viktor Matejka, der längst zu einer legendären Figur der Wiener Nachkriegsgeschichte geworden war, eigentlich erst bei einer Ringvorlesung im Mai/ Juni 1980 näher kennen. Diese Ringvorlesung fand im Rahmen der »Wiener Festwochen« unter der Ägide des Kulturstadtrats Helmut Zilk in den Räumen des internationalen Kulturzentrums in der Annagasse statt, war dem Thema »Das geistige Leben Wiens in der Zwischenkriegszeit« gewidmet und erschien auch ein Jahr darauf in Buchform. Viktor Matejka kam allabendlich zu diesen Vorlesungen. Unter den Vortragenden befanden sich auch prominente Auslandsösterreicher wie Kurt Adler, der Sohn des Begründers der Individualpsychologie Alfred Adler, und Matejka schaltete sich nicht nur in die Diskussionen ein, sondern riss sie förmlich an sich, sodass ich als Moderator meine liebe Not hatte, ihn einzubremsen. Er schöpfte aus dem reichen Fundus eines bewegten Lebens, er war an diesen Abenden nicht nur einer der zahlreichen Zeitzeugen, sondern der Zeitzeuge schlechthin. Ich zehre noch heute von den Erlebnissen, die er an diesen Abenden anekdotenhaft zum Besten gab. Ich las dann auch die drei Bücher aus seiner Feder, deren letztes erst posthum erscheinen konnte. Schon der Titel des ersten dieser Bücher »Widerstand ist alles. Notizen eines Unorthodoxen«, das 1984 erschien, fasste das Grundmotiv, das das Leben Matejkas beherrschte, kurz und prägnant zusammen. Diese drei Bände waren und bleiben neben den 1980 mündlich vorgetragenen Äußerungen Matejkas für mich eine Fundgrube von Anregungen zum Verständnis der österreichischen Zeitgeschichte. Nur einmal war es mir vergönnt, ihn in seiner Wohnung in der Theobaldgasse zu besuchen, die nicht nur mit Büchern, sondern auch mit Zeichnungen und Bildern von Hähnen, dem von ihm bevorzugten Tiersymbol, vollgestopft war. Matejka lud mich ein, selbst einen solchen Hahn zu zeichnen und der bereits bestehenden umfangreichen Sammlung hinzuzufügen. Da ich über keinerlei bildnerische Fähigkeiten verfüge, musste ich dieses Ansinnen zurückweisen, was aber diesen Abend in Matejkas Gesellschaft keineswegs zu einem misslungenen machte. Es war ein Vergnügen, ihm zuzuhören und an seinen Erfahrungen, die er weitergab, teilhaben zu dürfen. Wenn es je einen Politiker gegeben hat, für den sein Amt nicht bloß Beruf, sondern Berufung war und der selbstlos in seiner Aufgabe aufging, so war es
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Viktor Matejka
Viktor Matejka, der 1945–1949 Kulturstadtrat in Wien war und in dieser Funktion Unglaubliches leistete, stellvertretend und anstelle des übrigen offiziellen Österreich, das sich dieser Aufgabe nicht oder nur sehr teilweise unterzog : Das Unrecht, das der Nationalsozialismus vielen Wienern zugefügt hatte, nach Möglichkeit gutzumachen und die Vertriebenen heimzuholen oder geistig zu revitalisieren, wie dies Matejka im Falle von Oskar Kokoschka und Arnold Schönberg auch tatsächlich gelang. Natürlich musste Matejka, um eine solche Aufgabe erfüllen zu können, einer Partei angehören, und die Partei, die ihm diese Möglichkeit eröffnete, war die kPÖ. Rückblickend muss man sich die Frage stellen, wie es ein so freier und unabhängiger, ein so widerständiger und eigenwilliger Mann wie Matejka zwanzig Jahre in dieser Partei, in deren zk er auch integriert war, aushalten konnte und diese erst 1966 verließ. Aber er war in all diesen Jahren kein Konformist, sondern genoss als Original und Person sui generis Narrenfreiheit. Er selbst hat 1945 in einer Broschüre mit dem Titel »Katholik und Kommunist« Zeugnis abgelegt und erklärt, wie es zu dieser politischen Entscheidung kam, die ihm nicht in die Wiege gelegt worden war. Er führte damals aus : »Ich bin der Überzeugung, dass, der Christ, wenn er ein wahrer Christ ist und nicht nur augenblickliche irdische Vorteile im Auge hat, sich aufgrund seines Glaubens für die neue Welt entscheiden muss, die von neuen Menschen in einem neuen Geist aufgebaut wird. Die Aufgabe ist groß und schwer, aber sie ist auch voll Erhabenheit und Würde. Aus innerstem Herzen glaube ich, dass sich der Christ dieser erhabenen Aufgabe zur Verfügung zu stellen hat, dass er aus seinem Christentum hervor sich für diese Aufgabe entscheiden muss. Darum bin ich selbst Kommunist geworden.« Bevor Matejka diesen Weg ging, hatte er fast die gesamte Nazizeit in Kon zentrationslagern verbracht, er gehörte zu den ersten, die kurz nach dem Anschluss mit einem »Prominententransport« nach Dachau gebracht wurden. Doch es war nicht nur die Erfahrung des kz, die ihn den Weg in den Kommunismus gehen ließ. Er hatte im autoritären Ständestaat wesentliche Funktionen in der Wiener Volksbildung, so als Leiter des Volksheims Ottakring, inne und war anschließend Bildungsreferent der Wiener Arbeiterkammer. Er wusste aus der Zeit vor 1934, welcher Ort der Bildung, ja welche Zuflucht für ungezählte, sonst von den Freuden des Lebens Ausgeschlossenen die Volksbildung war. Matejka beschäftigte auch linksstehende Referenten, was ihm den Unwillen des überaus autoritären Wiener Bürgermeisters Richard Schmitz zuzog, der ihn als Volksbildungschef entließ. Der damals Gemaßregelte und derjenige, der diese Maßregel verfügte, trafen im schon erwähnten Prominententransport nach Da-
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chau einander wieder und hatten all die kommenden Jahre die Gelegenheit, über die vergangenen und begangenen Fehler nachzudenken. Es ist also durchaus verständlich und durchaus nicht unehrenhaft, wenn Matejka 1945 oder schon vorher den Entschluss fasste, Kommunist zu werden und so einen Kontrapunkt zum bisherigen und vorherigen politischen Leben zu setzen. Dass dieser Ausbruchsversuch aus einer früheren Lebenssituation eine Illusion war, schien damals nicht ohne Weiteres erkennbar. Matejka und andere in seiner Umgebung, wie der Publizist Nikolaus Hovorka, wollten einfach der Vergangenheit durch eine möglichst scharfe Kehrtwendung entfliehen. Weniger entlastend sind einschlägige Überlegungen, wenn man an den Kampfgefährten Viktor Matejkas und Mitherausgeber der Zeitschrift »Tagebuch«, Ernst Fischer, denkt. Fischer und Matejka gehörten zwar zwei Jahrzehnte lang der kPÖ an, hatten aber nicht nur verschiedene Ausgangspositionen, sondern verschiedene Einstellungen, die sich in zahlreichen Konflikten zwischen den beiden manifestierten. Aber zunächst noch zu den verschiedenen Ausgangspositionen : Matejka hatte die Schrecken des kz erlebt und war daher geneigt, möglichst weit weg davon zu geraten. Und in der Tat waren es ja die Kommunisten‚ die, wenn auch oft von ihrer eigenen Partei missbraucht und vom sicheren Ausland zum Martyrium in die frühere Heimat abkommandiert, den größten Blutzoll geleistet haben, sodass die Hinwendung zum Kommunismus für Matejka und andere auch eine Solidarisierung mit den Opfern war. Wie verhielt es sich aber mit Ernst Fischer ? Ernst Fischer war mir schon ein Begriff, als ich durch Drehen von Knöpfen am häuslichen Radio ohne Wissen meiner Eltern plötzlich die Stimme eines gewissen Ernst Fischer vernahm, der in Österreich-Sendungen des Radio Moskau auftrat. Nur eine kleine Zwischenschaltung aus meiner eigenen Biografie : Ich entdeckte die Möglichkeit, ausländische Sender, nicht nur Radio Moskau also, abzuhören, zufällig, nützte dann aber jede Möglichkeit aus, um die verbotenen Sender und deren Sprecher zu empfangen. Auch meine Eltern taten das gleiche, verheimlichten es aber vor mir wie ich mein verbotenes Spiel vor ihnen. Bis eines Tages ohne unser Zutun offenbar wurde, was wir voreinander verheimlicht hatten. Eines Abends vernahmen wir aus der über uns liegenden Wohnung den Klang der britischen Big Ben, die ein Sendezeichen des britischen Auslandsdienstes war. Auch die gute Frau über uns, im Übrigen eine Kriegerwitwe, huldigte also dem gefährlichen Abhören. Um sie zu warnen, stieg meine Mutter auf eine Leiter und klopfte mit dem Besenstiel nach oben. Die Dame verstand das Signal und stellte das zu vernehmlich gewordene Abhören sofort ein.
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Doch zurück zu Ernst Fischer : Er war als früherer Redakteur der »ArbeiterZeitung« nach dem Februar 1934 zu den Kommunisten übergegangen und später nach Moskau emigriert. Er erlebte in dieser Emigration hautnah den stalinistischen Terror und verdankte sein ungeschorenes Davonkommen der schützenden Hand des großen Georgi Dimitroff, dem er auch Gedichte als Dank für die erwiesene Unterstützung widmete. Ernst Fischer und Johann Kop lenig, die beide bald nach dem Einmarsch der russischen Truppen von den Sowjets nach Wien zurückgebracht wurden, kannten das sowjetische System aus eigener Anschauung, was sie nicht hinderte, Österreich das nämliche Schicksal zu bereiten. Wenn einiges anders gelaufen wäre, als es tatsächlich ablief, wäre Österreich oder wenigstens der östliche Teil sowjetisch besetzt und volksdemokratisch beherrscht geblieben. Dann hätten Fischer & Co. die gleiche Rolle gespielt wie die Kommunisten in benachbarten und anderen Staaten. Die Fischers, Koplenigs und Dürmayers wären zu willfährigen Handlangern einer Entwicklung geworden, die sie dann früher oder später selbst überrollt und unter sich begraben hätte. Zum Glück für alle Beteiligten ist es anders und besser gekommen, das soll uns aber nicht über die bösen Absichten hinwegtäuschen, die die österreichischen Kommunisten hegten und die sie auch bedenkenlos in die Tat umgesetzt hätten, wenn es zum Glück nicht doch anders gekommen wäre. Ernst Fischer vor allem war es, der sich intellektuell prostituierte, nicht nur 1945, sondern lange darüber hinaus. So schrieb er nach dem Bruch Titos mit Stalin ein übles Theaterstück, »Der große Verrat«, das denn auch am kommunistischen Parteitheater Scala aufgeführt wurde. Wie zynisch und menschenverachtend Fischer sein konnte, wird durch einen Zwischenruf von der Abgeordnetenbank aus demonstriert, den Fischer während einer Debatte über das Schicksal von Frau Margarethe Ottillinger, die 1947 nach Russland verschleppt wurde und dort eine langjährige Lagerhaft verbüßen musste, im Parlament machte. Auf die Frage, wo Frau Ottillinger, die als führende Beamtin des Vermögensministeriums aus dem Dienstwagen, den sie mit dem damaligen Minister und späteren Korruptionisten Peter Krauland verhaftet und entführt wurde, geblieben sei, rief Ernst Fischer lautstark »Dort, wo sie besser hinpasst als in ein österreichisches Ministerium«, wohl wissend, was Gefangenschaft in sowjetischen Lagern für die Betroffenen bedeutete. Und nach dem Tode Stalins hielt Fischer im Rahmen einer Trauerveranstaltung der kPÖ eine an Lobhudelei nicht zu überbietende Rede. Fischer sagte sich 1968 nach dem Einmarsch der Sowjets in die Tschechoslowakei vom »Panzerkommunismus« los und hinterließ »Erinnerungen und Refle-
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xionen« sowie das autobiografische Werk »Das Ende einer Illusion«. Aber auch nach Lektüre dieser Bekenntnisschriften bleiben viele der hier gestellten und sich auch sonst aufdrängenden Fragen offen. Alle seine Ausführungen vermögen die Zweifel an seiner Integrität nicht zu zerstreuen. Während ich Ernst Fischer nur einmal in einer Diskussion begegnete, hatte ich wiederholten Kontakt mit der ersten Gattin Fischers, Ruth von Mayenburg, allerdings erst, als sie nicht mehr zu Ernst Fischer gehörte, der seinem Freund, dem Komponisten Hanns Eisler, dessen Gattin entführte. Ruth von Mayenburg machte auf mich den Eindruck einer starken Persönlichkeit und mutigen Frau, die in ihren Büchern »Blaues Blut und rote Fahnen« sowie über das »Hotel Lux«, in dem die kommunistischen Emigranten untergebracht waren, Rechenschaft abgelegt und auch um Verständnis für ihre Fehler und Irrtümer geworben hat. In zweiter Ehe war sie mit dem Publizisten, Sänger und Tausendsassa Kurt Dieman-Dichtl verheiratet, der sich von einem Sowjethörigen über den Umweg der Sozialdemokratie zu einem katholisch-konservativen Zeitgenossen entwickelt hatte. Ich war oft bei dem gastfreundlichen Ehepaar in Mauer eingeladen und lernte dort auch die Tochter Mayenburgs aus der Ehe mit Ernst Fischer, Marina Fischer-Kowalski, kennen, die mir einmal erzählte, dass Viktor Matejka sie notgetauft habe, da ihr Vater es bewusst verabsäumt hatte, ihr dieses Sakrament spenden zu lassen. Diese Einzelheit verrät, dass sich Matejka seine Gläubigkeit bewahrt hat, wenn er der Kirche als Institution auch ähnlich kritisch gegenüberstand wie dem Kommunismus, der aus einer Befreiungsbewegung zu einem Unterdrückungsmechanismus geworden war, der dem Humanisten Viktor Matejka, als er dessen Natur erkannte, ein Gräuel geworden war. Viktor Matejka hat nie aufgehört, ein Menschenfreund und tatkräftiger Helfer in der Not anderer zu sein. Matejka erkannte die Gefahrenquellen, die die Auslöschung Österreichs vorbereiteten und herbeiführten, nicht erst nachträglich, sondern schon als wacher Zeitgenosse der Ersten Republik. So beobachtete er das Anwachsen des Antisemitismus als eine der gefährlichsten, wenn nicht überhaupt die gefährlichste, Waffen der geistig Minderbemittelten, zu deren leider auch Männer der Feder, die auf die Massen wirkten, wie die Schriftsteller Bruno Brehm und Mirko Jelusich, gehörten. Der Antisemitismus verlieh auch noch dem letzten »Arier« das Gefühl, besser als sein jüdischer Nachbar zu sein, den er mehr und mehr nicht als Mitbürger, sondern als Konkurrenten und Störenfried betrachtete. Trotzdem wäre der österreichische Antisemitismus nie zu jener Gewalttätigkeit angewachsen, diese Hinwendung zum Pogrom und zur Gewalt erfolgte erst mit dem Ein-
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marsch der deutschen Truppen und unter dem Tritt des preußischen Militärstiefels. Selbst der letzte Obmann der Christlichsozialen Partei vor ihrer freiwilligen Selbstauflösung und ihrem Aufgehen in der Vaterländischen Front, Unterrichtsminister Emmerich Czermak, ging nie so weit, den jüdischen Mitbürgern die staatsbürgerlichen Rechte absprechen zu wollen. Matejka berichtete in seinen Aufzeichnungen, dass er ihn für den cv anwerben wollte. Die Gewaltbereitschaft, die sich ab März 1938 mit ungeheurer Wucht entladen sollte, war freilich latent schon vorher vorhanden. Ein Beispiel für eine solche nicht nur aus individuellen Motiven gespeiste, sondern der aggressiven Zeitstimmung gegen alles Geistige und »Volksfremde«, auch wenn es nicht jüdisch war, ist die Ermordung des Philosophieprofessors Moritz Schlick in der Wiener Universität im Juni 1936 durch einen psychopathischen, aber auch am gewaltbereiten Zeitgeist leidenden Studenten. Nicht die Tatsache der Ermordung eines führenden Vertreters des Positivismus allein war erschreckend, sondern auch die Reaktion der bereits ziemlich gleichgeschalteten Presse, auch der betont christlicher Ausrichtung, wie der »Schöneren Zukunft«. Die Stellungnahmen zu diesem Verbrechen konnten die Genugtuung über das Geschehene schlecht verhehlen. Es gab kein Wort der Verurteilung des Täters und der Tat als solcher, kein Wort des Mitleids mit dem Opfer, es wurde nicht ausgesprochen und ausgedrückt, aber es erschließt sich aus den gewählten Worten, dass man dieses Attentat für eine Art Gottesurteil hielt. Zur gleichen Zeit wie Schlick wirkte der Sozialphilosoph Othmar Spann an der Wiener Universität. Zum Unterschied von Schlick aber, der angefeindet war, erfreute sich Spann großer Beliebtheit und erzog eine ganze Generation von Studenten im Geiste der Gegenaufklärung, er bereitete seit seiner Berufung von Brünn nach Wien 1918 in seinen Vorlesungen, in denen er den »wahren Staat« verkündete, die Hinwendung zum Faschismus und Nationalsozialismus vor. 1938 wurde er selbst Opfer eines Systems, das er sich freilich ganz anders vorgestellt hatte. Matejka und andere verhinderten 1945 mit Recht, dass aus diesem Vorreiter des Nationalsozialismus wieder ein akademischer Lehrer werden konnte. Aber nicht nur die rechte Reichshälfte trug dazu bei, die Demokratie in Österreich zu unterminieren. Die Forderung nach dem Anschluss an Deutschland stand bis zur Machtergreifung Hitlers im Parteiprogramm der Sozialdemokratie. Die sozialdemokratische Führung, allen voran Otto Bauer, war schon 1918 aktiv, um den Anschluss an Deutschland herbeizuführen. Otto Bauer schickte sogar einen engen Vertrauensmann, den Wiener Geschichtsprofessor Ludo Hartmann, nach Berlin, um die Vereinigung zu betreiben. Die Anschlussforderung scheiterte bekanntlich am Anschlussverbot
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der Siegermächte und wohl auch an der mangelnden Gegenliebe der Deutschen selbst. Die ganze Erste Republik lang hatten allzu viele das Gefühl, es sei ihnen 1918 die rettende Lösung versagt worden, sodass sie 1938 nicht die Kraft aufbrachten, sich gegen den Ansturm Hitlers zu wehren, erfüllte Hitler doch eine alte Sehnsucht, alle Deutschen in einem Reich vereinigt zu haben. Der Deutschnationalismus und der Reichsgedanke waren verführerisch und ließen viele zu Sympathisanten der Nazis werden, die an sich keine Affinität zu deren Ideologie hatten. Auch die Zustimmungserklärung Karl Renners zur Anschlussvolksabstimmung und die Bereitwilligkeit Kardinal Innitzers, die ja beide Sudetenländer waren, ist in diesem Lichte zu verstehen, wenn auch nicht zu billigen. Matejka jedenfalls war nicht bereit, die nachträglichen Erklärungen und Entschuldigungen der beiden gelten zu lassen. Im Übrigen weiß Matejka in seinen Aufzeichnungen zu berichten, dass der österreichische Kommunist Leo Stern, der später in der ddr eine Universitätslaufbahn einschlug, als russischer Offizier 1945 nach Österreich kam und die Sowjets vor Renner warnte. Dies scheiterte am Befehl Stalins, der Renner, wie sich bald herausstellte, zu Unrecht, für einen willkommenen Handlanger hielt. Matejka berichtet auch, dass er nach dem 15. Juli 1927, den auch er als einen Wendepunkt der Entwicklung erkannte, in einem Gespräch mit dem Chefredakteur der »Arbeiter-Zeitung«, Friedrich Austerlitz, diesem Folgendes sagte : »Die sozialdemokratische Partei, die hoffentlich bald das unzeitgemäße DeutschÖsterreich abwirft, um sich besser auf Österreich zu konzentrieren, geht, wenn sie so weitermacht, keinen guten Weg. Das kann auch schiefgehen.« Und es ist auch schiefgegangen, und zwar gründlich. Die Sozialdemokratie ist nicht nur an den Schlägen der Gegner und der Weltgeschichte, sondern auch an den eigenen Fehlern und Versäumnissen zugrundegegangen. Auch dies hat Matejka rechtzeitig erkannt, ohne imstande zu sein, diese aufzuhalten, so wie die wenigen anderen, die die kommende Katastrophe herbeikommen sahen. Matejka durchschaute die Schwächen der oft in bester Absicht, aber ohne Sachkenntnis und Weitblick betriebenen Politik im Österreich der Zwischenkriegszeit, die allesamt Hitler in die Hände arbeiteten.
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Alfred Maleta (1906–1990) Der immerwährende Zweite
Ich bin Alfred Maleta zu wiederholten Malen bei verschiedenen Gelegenheiten, auch solchen, die nichts mit Politik zu tun hatten, begegnet, so im Alpenhotel Gösing, wo wir die Natur und die gepflegte Atmosphäre zu genießen wussten. Schon in diesen kurzen Gesprächen manifestierte sich ein gemeinsames, parteienübergreifendes Österreichbewusstsein. Von diesem Bewusstsein des staatspolitischen Gemeinbewusstseins legte bereits der 1981 erschienene erste Band der Memoiren Maletas, »Bewältigte Vergangenheit«, die allerdings nur bis zum Beginn der Zweiten Republik reichten, in der Zweiten freilich eine fruchtbare Fortsetzung finden sollten, Zeugnis ab. Der zweite, bisher nicht veröffentlichte Band, der tief in die Geschichte der Zweiten Republik reicht, sollte publiziert werden, obwohl das Bild, das man dann erhalten würde, ein sehr persönlich gefärbtes und nicht historisch-objektives wäre. Ich besprach jedenfalls den ersten Band unter dem Titel »Dazugelernt und nichts vergessen« im Juli/August 1981 in der »Zukunft«, dem theoretischen Organ der sPÖ. Maleta zeigte sich über diese Anerkennung auch seines frühen Wirkens gerührt. Er fühlte sich von mir verstanden und lud mich nach Jahren, in denen immer wieder von einer längeren Aussprache im privaten Rahmen die Rede gewesen war, in den Achtzigerjahren über ein Wochenende in seine Villa in Oberweis ein. Maleta war sehr stolz, in einem eleganten Haus und Landgut zu wohnen, dessen Erbauer der Erbauer des Parlaments, Theophil Hansen, gewesen sein soll. Das Bundesdenkmalamt vermochte diese Urheberschaft anhand der vorhandenen Unterlagen nicht zu bestätigen, aber auch nicht auszuschließen. Der merkwürdige Zufall liegt jedoch darin begründet, dass Maleta die noble Villa nicht im Zusammenhang mit seiner langjährigen parlamentarischen Tätigkeit als privaten Wohnort erhalten hatte, sondern von seiner Frau Gerda Scheid her, die auch sonst Vermögen in die Ehe brachte, was ihr den Spitznamen »Goldscheid« eintrug. An dem besagten Wochenende kam es naturgemäß nicht nur zu mehreren langandauernden Begegnungen mit Alfred Maleta selbst, sondern auch im Rahmen eines ausführlichen Mittagessens mit der Gattin, aber auch eines Protegés von ihr, der den Namen Thomas Bernhard führte. Gerda Maleta hat der prä-
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genden Begegnung mit Bernhard posthum 1992 ein literarisches Denkmal unter dem poetischen Titel »Seteais. Tage mit Thomas Bernhard« gesetzt. Weniger begeistert von Thomas Bernhard war Alfred Maleta selbst, der mir gegenüber seine Vorbehalte gegenüber seinem Hausgast zum Ausdruck brachte. Er fühlte sich erstens durch das Theaterstück »Der Präsident« angesprochen, bzw. nicht angesprochen und war überhaupt der Meinung, dass man nicht lebenslänglich die Wunden der eigenen Kindheit lecken dürfe, denn auch er hatte ein Leben voller Wunden, in dem schon das Überleben ein Wunder gewesen war, hinter sich. Freilich besteht zwischen der Art, in der ein Künstler und ein Politiker mit ihrer Vergangenheit ins Reine kommt, ein prinzipieller Unterschied, der nicht nur eine Folge des verschiedenen Talents ist. Alfred Maleta war eine zutiefst politische Persönlichkeit, die sich nach der Promotion zum Dr. iuris an der Universität Graz 1932 und nach seiner Tätigkeit als Gerichts- und Anwaltspraktikant schon 1933 im Zusammenhang mit der Gesamtentwicklung Geschäftsführer der Vaterländischen Front wurde, in der die alte Christlichsoziale Partei freiwillig aufgegangen war. 1934 übernahm Maleta die Stellung des Ersten Sekretärs der oberösterreichischen Kammer für Arbeiter und Angestellte. Damit war eine Weiche für sein gesamtes Wirken gestellt ; obwohl er durch Heirat und geschickte finanzielle Privatpolitik, die ihn später auch zum Miteigentümer und Herausgeber der »Oberösterreichischen Nachrichten« machte, zu Wohlstand gekommen war, blieb er doch innerparteilich der führende Arbeitnehmervertreter. Schon während des autoritären Ständestaates trat er mit dem Büchlein »Der Sozialist im Dollfuß-Österreich« hervor. Im Rahmen der »Sozialen Arbeitsgemeinschaft« versuchte er, die abgerissene Verbindung mit den illegal gewordenen Sozialisten wiederaufzunehmen, was aber wie bei Dobretsberger und anderen an der starren Haltung Schuschniggs scheiterte, der lieber den Nationalsozialisten als den Sozialisten entgegenkam und damit den Untergang Österreichs beschleunigte. Nach dem Einmarsch der Nazis war Alfred Maleta einer der Ersten, die mit den ersten Promimententransporten nach Dachau und Flossenburg transportiert wurden. Er wurde zwar schon 1941 entlassen, aber nicht etwa nach Hause, sondern in eine Strafkompanie an der Front, wo das schlussendliche Überleben ein nicht minder großes Wunder und Geschenk war als im kz. Maleta war aufgrund dieser Vorgeschichte geradezu prädestiniert dafür, eine leidgeprüfte Vergangenheit in den Aufbau des neuen Österreich einzubringen. Die Feinde von einst waren auf der Lagerstraße von Dachau und wo sich sonst Gelegenheit bot, zu Freunden geworden, die es sich nicht nur vornahmen, Ge-
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stalter im Rahmen des neu aufzubauenden Österreich zu werden. Mit seiner persönlichen Lebenserfahrung und im Zusammenhang mit den Herausforderungen der Zeit wurde Maleta zu einem überzeugten und prononcieren Vertreter der großen Koalition der beiden historischen Lager, zu der es bis 1955 und der damals zustande gekommenen Souveränität Österreichs auch tatsächlich keine praktikable Alternative gab. Das heißt nicht, dass Maleta als führender övpPolitiker darauf verzichtet hat, Politik im Sinne des Führungsanspruchs seiner Partei zu betreiben und zu versuchen, die bei den ersten Wahlen 1945 erhaltene Mehrheit zu verteidigen. So kam es zusammen mit Julius Raab in seiner Villa in Oberweis 1948 zu Gesprächen mit ehemaligen Nationalsozialisten, die man in die övp integrieren und davon abhalten wollte, sich politisch selbstständig zu machen. Doch in der Person des sozialistischen Innenministers und Parteiobmanns Oskar Helmer hatte die övp einen mächtigen Gegenspieler, der mit aller Macht darauf hinarbeitete, bei der Wahlen 1949 den. »Verband der Unabhängigen« ins Leben zu rufen, was auch gelang und der övp die absolute Mehrheit kostete, allerdings aber auch der sPÖ einen gleich hohen Mandatsverlust beschied, ein Beispiel mehr dafür, dass in der Politik getroffene Entscheidungen oft nicht nur die beabsichtigten, sondern auch unerwartete und ungewollte Wirkungen ergeben. Alfred Maleta konnte bei meinen Besuch in Oberweis bereits auf eine bewegte politische Vergangenheit zurückblicken. Er war in den Sechziger- und Siebzigerjahren zum »Präsidenten« des Nationalrates gewählt worden und präsentierte dieses Amt wie kein Zweiter vor ihm oder nach ihm. 1970 verloren seine beiden Stellvertreter durch eine Wahlanfechtung für einige Zeit ihre Mandate, und Maleta leitete alle Sitzungen eine Zeitlang allein. Maletas Ehrgeiz war es, nach dem Krebstod von Bundespräsident Jonas 1974, wie schon bei einer früheren Gelegenheit für die övp zu kandidieren. Doch Maleta überschätzte seine Beliebtheit in der Partei. Er war respektiert, aber weder geliebt noch auch war er nur beliebt. Den Hass seines Erzrivalen Julius Raab hatte er schon 1960 zu spüren bekommen, als Raab in den »Salzburger Nachrichten« einen Artikel unter dem kämpferischen Titel »Via mala − via Maleta« lancierte, der dann auch tatsächlich zu seiner Absetzung als Generalsekretär der övp 1960 führte. Nach dem Abgang von Jonas und schon vorher bei der Kandidatur gegen die Wiederwahl von Jonas 1971 hielt sich Maleta selbst für den geeigneten Mann, um der sPÖ durch eine »Wahlkampfführung, bei der dieser das Sehen und Hören vergangen« wäre, eine Niederlage zuzufügen und den Sieg zu bringen. 1986 brachte Waldheim denn dann auch, freilich um einen staatspolitisch hohen Preis
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und nicht so, dass die övp als Partei etwas davon gehabt hätte, den Sieg. Es ist zu bezweifeln, dass Maleta trotz oder gerade wegen seiner intellektuellen Fähigkeiten den Sieg in einem solchen Kampf davongetragen hätte. Waldheim wurde 1986 nicht zuletzt deshalb gewählt, weil er, wie Maleta in einem durch Indiskretion bekannt gewordenen, im Februar 1985 verfassten Brief an Parteiobmann Alois Mock ausführte, »eine farblose Persönlichkeit« war. Gerade Waldheims Kriegsvergangenheit erleichterte es der Mehrheit der Wähler, vom Universitätsprofessor bis zum Taxifahrer, sich mit der Haltung Waldheims während des Krieges zu identifizieren. Maleta hatte auch ein Handicap, das gerade in einem zugespitzten Wahlkampf eine Belastung gewesen wäre. Er hatte einen kleinen Sprachfehler, ein Lispeln, das im Volksmund auch »Hölzeln« genannt wird, und im Wahlkampf, ähnlich wie die Tatsache, dass Gorbach einen Stock trug, als Behinderung in Erscheinung getreten wäre. Im Übrigen gab es auch auf sozialistischer Seite 1974 einen Kandidaten, der gern Bundespräsident geworden wäre, nämlich der langjährige »Fürst« des Königreiches der Verstaatlichten Industrie, Karl Waldbrunner. Damals verhinderte Bruno Kreisky die Kandidatur eines so profilierten Parteigängers aus den eigenen Reihen, dessen Autorität auch ihm zu schaffen gemacht hätte, der aber, als zu parteilich abgestempelt, wahrscheinlich nicht gewählt worden wäre. Kreisky verfiel auf den rettenden Einfall, einen eher bürgerlichen Mann, noch dazu mit katholischer Gesinnung, wie Rudolf Kirchschläger aufzustellen und mit dessen wiederholter Wahl für zwölf Jahre zu etablieren. Weder Waldbrunner noch Maleta hätten jedenfalls die harmonisierende Kraft gehabt, die von Kirchschläger ausging, obwohl Maleta weitaus mehr als Mann des Geistes in Erscheinung getreten wäre als Kirchschläger oder gar Karl Waldbrunner. Die Gespräche mit Maleta verliefen in amikaler und einander ergänzender Weise und ergänzten einander so sehr, dass Maleta vertraulich zu mir sagen konnte : »Lieber Freund, wir sind beide bei der falschen Partei. Sie sind doch kein Sozialist im traditionellen Sinne, machen wir uns nichts vor. Und ich frage mich, wie ich in dieser Partei von Kerzelschluckern und Kommerzialräten so lange ausgehalten habe.« Einmal hat Maleta, mit dem zusätzlichen Gewicht des Fernsehens, Ähnliches über Franz Vranitzky gesagt. Er meinte zuerst, dass der Genannte über große Fähigkeiten verfüge, um die es schade wäre und die sich nicht so auswirken würden, wie sie es an sich könnten. Warum dies so sei, dürfe er freilich nicht sagen. Als ihn der Interviewer aber dann ermunterte, sagte es Maleta doch : »Er ist leider bei der falschen Partei.« Die Frage, ob ich bei der falschen Partei war oder die Partei falsche Wege gegangen ist, wird jedenfalls von
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der Frage, ob Vranitzky der richtige Mann für den Staat, als Bankier mit entsprechender Mentalität der falsche für die Partei war, überschattet und relativiert. Den Eindruck, den man im Gespräch und beim Vorlesen aus den unpublizierten Erinnerungen gewinnt, ist unter anderem der, dass persönliche Gegensätze und Rivalitäten, selbst und gerade wenn sie öffentlich verborgen und dementiert bleiben, doch die entscheidenden Faktoren sind. So hielt sich Maleta selbst für den einzigen wirklichen Staatsmann, der aus innerparteilichen Rivalitäten heraus daran gehindert wurde, seine Qualitäten voll auszuleben. Nicht nur Julius Raab und Hermann Withalm, der ihn als Generalsekretär der övp beerbte, waren Lieblingsfeinde, auch an Josef Klaus und seinem Messianismus ließ er kein gutes Haar. So las er mir vor, dass er eines Tages zum Parteiobmann gerufen wurde und ihm Klaus den Vorschlag machte, eine Reihe von Problemen zu besprechen. Als ihn Maleta fragte, wie viel Zeit er sich für diese Aussprache genommen habe und Klaus geantwortet hatte »Eine Viertelstunde«, soll Maleta seinerseits geantwortet haben, dass allein die Verlesung dieser Fragen eine längere Zeit in Anspruch nehme als die angesagte Viertelstunde. Klaus soll daraufhin streng gesagt haben : »Du hast zu wenig Demut gegenüber deinem Bundeparteiobmann.« In einem anderen Zusammenhang sollen die beiden aneinandergeraten sein, als Klaus den Hinweis Maletas auf andere övp-Politiker mit der Bemerkung quittiert habe : »Ich bin eben kein Politiker wie ein Gorbach und andere. Ich bin eben ein Politiker sui generis.« Als Maleta scheinbar zustimmend die Bemerkung gemacht habe »Du bist wirklich ein Politiker sui generis«, soll Klaus seinerseits nicht bemerkt haben, dass er sein Gegenüber nicht bestätigte, sondern sich über sein Gegenüber lustig gemacht hat. Der Besuch bei Maleta brachte mir nicht nur zum Bewusstsein, dass persönliche Machtkämpfe, wenn auch verschleiert und verbrämt, das Um und Auf der Politik darstellen, sondern dass auch nicht selten zwischen dem offiziellen programmatischen Bekenntnis, das das politische Wirken einrahmt, und der persönlichen Überzeugung und Schwerpunktsetzung erhebliche Diskrepanzen bestehen. So habe ich den Gesprächen mit Maleta entnommen, dass die christliche Glaubenslehre keinen prägenden Einfluss auf sein persönliches Leben hatte, obwohl einige seiner Schriften das christliche Erbe beschworen, so sein 1962 erschienenes Buch »Christliche Demokratie in einer pluralistischen Gesellschaft« und sein 1968 erschienenes programmatisches Werk »Christliche Demokratie im Herzen Europas«. Auch auf die private Lebensführung eines Politikers muss das öffentlich abgelegte Glaubensbekenntnis keinen bestimmenden Einfluss haben. Maleta war in seinem persönlichen Lebensstil jedenfalls viel eher ein Lebemann und
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Damenliebling, der sich gelegentlich gern mit einem Damenflor im nahe seiner Wiener Wohnung gelegenen Hotel Sacher zeigte und dazu hie und da auch Kollegen des Faches wie mich einlud. Bei Politikern, deren persönliches Glaubensleben katholisch-intensiv war, dagegen, wie bei Josef Klaus, herrschte dann auch ein asketisch-monogames Verhalten vor, das freilich auch mit der Gefahr der puritanischen Selbstgerechtigkeit verknüpft war. Das Lebenswerk Maletas ist aber auch ein Beispiel dafür, dass sich inmitten persönlicher Kämpfe und programmatischer Widersprüche mit der eigenen Lebensführung doch Bleibendes entwickeln und dann der Nachwelt als kostbares Vermächtnis hinterlassen werden kann. So rief Maleta zusammen mit Bruno Kreisky, dessen große Ära eben erst begonnen hatte, die Wissenschaftliche Kommission zur Erforschung der Geschichte der Republik Österreich aus. Zwei große alte Männer wirkten nicht nur für die Gegenwart und die Zukunft, sie verstanden es, dass auch die Aufarbeitung einer schmerzlichen gemeinsamen Vergangenheit zu den Aufgaben der Überlebenden und an der Gestaltung der Gegenwart Arbeitenden gehört. Diese Idee fiel auf fruchtbaren Boden und führte zu zahlreichen Tagungen, Symposien und Seminaren, die zum Großteil auch publiziert sind und an denen auch ich neben zahlreichen anderen Historikern und Zeitzeugen teilgenommen habe, nicht immer zur Freude der Partei, aus der ich herkomme, deren einseitige Schuldzuweisung an die andere politische Seite ich aber nicht mitzutragen vermochte. Maleta förderte auch an der Politischen Akademie der övp, deren Präsident Maleta in seinen letzten Lebensjahren war, ein offenes Denken und eine Aussprache auf höchstem Niveau. Mit Fug und Recht kann Maleta als einer der wenigen die Parteigrenzen überragenden staatsmännischen Figuren und Charaktere der Zweiten Republik geehrt werden und sich dem Bleibenden in dieser Republik einverleibt sehen. Erst durch Überwindung der Schwächen und auf Umwegen gelangen die wenigen, deren Namen bleiben, zu ihrem historischen Status.
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Hertha Firnberg (1909–1994) Charmeurin mit Krallen
Da meine akademische Karriere aufs Engste mit der Person und Position Hertha Firnbergs als Wissenschaftsministerin, die sie als Chefin des neu geschaffenen Ressorts in der Ära Kreisky war, zusammenhängt, möchte ich zunächst über diese höchstpersönlichen Erfahrungen, die durchaus erfreuliche und für mich weichenstellende waren, berichten. Nach meiner Habilitation an der Universität Graz, die noch unter Minister Alois Mock erfolgte, war es natürlich mein Bestreben, möglichst bald ein Ordinariat an einer österreichischen Universität zu erlangen. Es bot sich hiefür die erst einige Jahre vorher gegründete Universität Salzburg an. Obwohl für Rechts- und Staatsphilosophie und nicht für Politikwissenschaft, die das Grazer Professorenkollegium damals noch nicht für universitätswürdig erachtete, habilitiert, wurde ich mit 1. Februar 1971 zum Professor für Politikwissenschaft an der Universität Salzburg ernannt. Da ich mich in Graz sowohl für Rechts- und Staatsphilosophie als auch für das Fach Politikwissenschaft beworben hatte, griff Hertha Firnberg auf meine damalige Bewerbung zurück, was sie selbst mir gegenüber als eine Art »wissenschaftliche Urzeugung« bezeichnete. Jedenfalls war ich der erste Ordinarius, der dieses Fach im Nachkriegsösterreich vollinhaltlich vertrat, Teilbereiche dieses Faches, wie politische Philosophie und Ideologiekritik unter der Ägide des von Deutschland kommenden Heinrich Schneider, waren schon vorher etabliert, und bald nach mir kamen andere Vertreter dieses Faches, wie der bei mir habilitierte Anton Pelinka, hinzu. Das Ernennungsdatum des 1. Februar 1971 ist mir deshalb so gut in Erinnerung, weil es mit einer köstlichen Episode zusammenhängt. Am 1. Februar 1971 nahm ich nämlich als bereits designierter, aber noch nicht formell ernannter und bestätigter Professor an einer juristischen Fakultätssitzung teil. Während der Sitzung erfolgte ein Anruf aus Wien, dass die Frau Minister eben meine Ernennung unterschrieben habe. Dieser Anruf wurde der versammelten Fakultät vom Dekanatssekretariat aus zur Kenntnis gebracht. Daraufhin meldete sich der Kronjurist der Fakultät, der Professor für deutsche und österreichische Rechtsgeschichte, Ernst Hellbling, zu Wort und erklärte, dass diese mündliche Mitteilung einer schriftlichen gleichkomme und ich daher ab nun stimmberechtigt sei.
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Hertha Firnberg
Hertha Firnberg war meine große Fördererin und Mentorin. Was uns verband, war erstens die politische Gesinnung und das gemeinsame Großwerden in der Ära Kreisky, zu deren Kommen wir beide, jeder auf seine Art, Vorarbeiten geleistet hatten, die dann auch honoriert wurden. Wurde ich so etwas wie ein universitäres Aushängeschild der Partei, so war sie das erste sozialistische weibliche Regierungsmitglied und darüber hinaus Vorsitzende der sozialistischen Frauen. Trübungen des politischen Gleichklangs zwischen uns ergaben sich erst gegen Ende der Ära Kreisky, mit der ich mich nicht mehr so identifizieren konnte wie am Anfang, als ich Feuer und Flamme für die neue Ära war. Was uns aber, abgesehen vom Politischen, noch verband und ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen uns begründete, war der verwandte Lebensstil. Wir verstanden einander von Single zu Single sehr gut. Firnberg war zwar einmal verheiratet gewesen, aber sie sagte selbst darüber, dass dies nur eine Episode war, die keine besonderen Spuren in ihrem Leben hinterlassen habe. Auch hatte sie in den ersten Jahren ihrer Ministerschaft eine Art Lebensgefährten, der aber nie öffentlich in Erscheinung trat. Das wenige Privatleben, das sie hatte, ordnete sie ihrer bemerkenswerten Karriere unter, die über die niederösterreichische Arbeiterkammer in den Bundes- und Nationalrat und 1971, zu einer Zeit, in der die meisten Frauen schon in Pension sind, zur Spitze als das weibliche Glanzstück der Ära Kreisky führte. Firnberg war aber nie eine militante Feministin, sondern betrachtete sich und ihren Erfolg ihrem Einzelkämpfertum geschuldet. Ich selbst war und blieb Junggeselle, was mir auch in meiner akademischen Karriere schon vor der Ernennung zum Ordinarius zugutekam und mir großen Frei- und Spielraum schuf. Ich hatte nicht auf Weib und Kind Rücksicht zu nehmen und konnte meine eigene Haut zu Markte tragen, ohne Verantwortung für andere tragen zu müssen. Doch meine akademische Karriere war mit der Ernennung in Salzburg nicht zu Ende. Als pannonischer Mensch, der die Ebene und das Hügelland, aber auch den Wein liebt, ließ mich der Westen Österreichs bei all seinen Schönheiten kalt. Ich empfand und empfinde die hohen Berge als bedrückend, Innsbruck mit seinen überhohen Bergen und seinem Föhn wäre geradezu tödlich für mich gewesen, aber selbst Salzburg war besonders in der Winterzeit nicht meine Welt, in der ich mich dauernd wohlfühlen konnte. Trotzdem blicke ich auf das schwache Jahrzehnt, das ich zwischen 1971 und 1980 in Salzburg verbrachte, nicht ungern zurück. Schwach war dieses Jahrzehnt freilich nur, was die Anzahl der Jahre anbelangt, im Übrigen war es voller Aktivitäten, Reisen und Gastprofessuren, so an der Pädagogischen Hochschule in München, wo ich mit Vertretern
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der »Neuen Linken« Bekanntschaft machte, die in Salzburg nur in äußerst gezähmter Form und nicht in großer Zahl existierten. Ich konnte aufgrund der geringen Studentenzahl in Salzburg mein Vorlesungs-, Prüfungs- und sonstiges Programm in drei Tagen absolvieren, ohne irgendwelche Pflichten zu vernachlässigen. Ich hatte meinen Hauptwohnsitz in Wien nie aufgegeben und auch nicht die Hoffnung, eines Tages an die Universität Wien, an der ich 1958 zum Dr. iur. promoviert hatte, zurückzukehren. Auch bei dieser Transferierung nach Wien war mir Hertha Firnberg behilflich. Es gelang mir zwar nicht, den politologischen Lehrstuhl, den die Juridische Fakultät 1974 zu vergeben hatte, zu erlangen, aber es bot sich einige Jahre später die Möglichkeit, ein Ordinariat für Sozialphilosophie an der Grund- und Integ rativwissenschaftlichen Fakultät, eine der Nachfolgefakultäten der alten Philosophischen, zu besetzen. Nun erwies es sich als großer Vorteil, dass ich mich seinerzeit in Graz für Rechts- und Staatsphilosophie beworben hatte, damit war ich – pars pro toto – auch für das Gesamtfach Philosophie und erst recht Sozialphilosophie ausgewiesen. In den zwanzig Jahren, in denen ich an der Universität Wien wirken konnte, hatte ich aber noch ein anderes Betätigungsfeld, das meine Lehr- und Forschungstätigkeit ideal ergänzte : Ich wurde nämlich, durch Hertha Firnberg und Leopold Gratz, der ein geistiger Mensch und eine Ausnahmeerscheinung in der Politik war, Leiter eines Boltzmann-Institutes, das im Einvernehmen mit Hertha Firnberg, die ein gewichtiges Wort in der Boltzmann-Gesellschaft zu reden hatte, als »Institut für neuere österreichische Geistesgeschichte« benannt wurde. Dieses Institut gab mir die Möglichkeit, mein besonderes Interesse an der österreichischen Geistesgeschichte und an der Wiener Kultur des Fin de Siècle und an der der Zwischenkriegszeit institutionalisiert zu pflegen. Zur Dokumentation einiger dieser Symposien wurde auch im Böhlau Verlag eine Schriftenreihe begründet. Dieses Institut hatte von 1984 bis 2004 Bestand, konnte also noch über meine Emeritierung hinaus gepflegt werden. Leider ist mein Institut 2004 eingestellt worden, doch nicht allein meines, sondern über neunzig, also ein Großteil der vorhandenen Ein-Mann- oder EinFrau-Institute wurde eingestellt. Es wurden bei dieser Gelegenheit einige neue Institute ins Leben gerufen, die noch geisteswissenschaftlichen Charakter hatten und beibehielten, im Großen und Ganzen aber wurde die naturwissenschaftlichmedizinische Schlagseite, die die Institute seit jeher hatten, noch verstärkt. Die kleineren Institute wurden entweder kassiert oder gingen in Großinstituten auf, als ob es nie einen großen Österreicher, wie Leopold Kohr einer war, gegeben
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hätte, der »small is beautiful« zur Maxime seiner Philosophie erkoren hatte. Die Tendenz, die bei dieser Reorganisation zum Ausdruck und Durchbruch kam, war eine auch auf der Universität selbst immer sehr um sich greifende, die Ersetzung einer persönlichen, dem Humboldt’schen Ideal der Einheit von Wissen schaft und Forschung verpflichteten Einzelforschung durch standardisierte und technisch strukturierte Unternehmungen mit Leistungsansprüchen und -vorgaben, die dem herrschenden Prinzip der Evaluation entsprechen, aber den individuellen Forschergeist vermissen lassen. Je weiter die Ära Kreisky fortschritt, desto deutlicher wurden auch die Defizite, die bei der Erfüllung des Programms, mit dem Kreisky und sein Team angetreten waren, ein- und zutage traten. Im Besonderen war es die Ankündigung des Privilegienabbaus, deren Erfüllung zu wünschen übrig ließ. Wenn man eine Bilanz der Ära Kreisky, bevor diese noch zu Ende ging und nach deren Ende 1983 erst recht, versuchte, konnte man, wenn man intellektuell redlich sein und bleiben wollte, unmöglich an diesen Defekten vorbeigehen und sie unthematisiert lassen. Man kann als Historiker und Ideologiekritiker, wenn man seiner bisherigen Linie der Darstellung, aber auch Aufarbeitung der Vergangenheit treu bleiben will, nicht vor eingetretenen Fehlentwicklungen die Augen verschließen. In diesem Sinne habe ich 1988 in dem im Orac Verlag erschienenen Buch »Salz der Gesellschaft. Wesen und Wandel des österreichischen Sozialismus« meine Anerkennung der Leistungen der Ära Kreisky mit einer Kritik an ihren Defekten verbunden. Ich sah nicht voraus, dass mir Hertha Firnberg, die mich bis dahin immer gegen innerparteiliche Angriffe verteidigte, dies verübeln und darin Undank und Verrat erblicken würde. Ich hätte es aber, auch wenn ich dies schon vorher gewusst hätte, getan, weil man seine Lebensaufgabe nicht einfach mit Rücksicht auf Personen, so nahe sie einem auch stehen mögen, vorzeitig abbrechen und beenden kann. Doch Firnberg identifizierte sich so sehr mit der Ära Kreisky, dass sie einen noch so gut gemeinten und gut argumentierten Angriff auf diese Ära als auch gegen sie gerichtet ansah. Dabei war ihr Einvernehmen mit Kreisky seit dem Oktober 1976, als Kreisky Hannes Androsch zum Vizekanzler machte, nicht mehr das Beste. Sie hat ihm nie verziehen, dass er, noch dazu im Fernsehen, auf die Frage, warum er nicht sie als das dienstälteste Regierungsmitglied mit dieser Aufgabe betraute, antwortete : »Alt bin ich selber.« Aber trotzdem identifizierte sie sich so weit mit ihm und seiner Ära, dass sie negative Aussagen nicht ohne innere Abwehr und Erregung hinnehmen konnte. Ich hatte Ähnliches wie mit Hertha Firnberg schon zwanzig Jahre vorher mit Julius Deutsch er-
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lebt, für den ich der große Mann war, solange ich die zeitgenössische Partei, die ihm Unrecht angetan hatte, kritisierte und solange ich für den Übergang von der großen Koalition zu einem System von Regierung und Opposition, weil sie ihm in seiner großen Zeit vertraut war, eintrat. Als ich aber gegen Ende seines Lebens im Zusammenhang mit meinen Forschungen über den Austromarxismus auch diesen kritisch beleuchtete und fortwirkende Fehlerquellen in diesem entdeckte, war es mit der Freundschaft plötzlich aus. Offenbar darf man nicht erwarten, dass Menschen, und noch dazu Politiker, so viel Distanz zur eigenen Vergangenheit und Gegenwart haben, dass sie eine Kritik, wenn schon nicht begrüßen, so doch hinnehmen und auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen. Diese Erfahrungen, die nicht die letzten dieser Art waren, sondern sich, so im Verhältnis zu Heinz Fischer, fortsetzten, belegen immer wieder den Satz, den Lord Attlee in lakonischer britischer Kürze formuliert hat : »There is no room for friendship at the top.« Und der Satz gilt nicht nur für Spitzenpolitiker, sondern für alle, die der Macht zu nahe kommen und sich dabei wie weiland Ikarus in der antiken Sage die Flügel verbrennen. Firnberg hatte in mir einen neuen Otto Bauer gesehen und dabei übersehen, dass ich als Universitätslehrer für die Übernahme dieser Rolle, aber auch ohne diese, ungeeignet war. Meine Schuld, wenn man überhaupt von einer solchen sprechen kann, besteht darin, dieses Missverständnis nicht rechtzeitig erkannt und aufgeklärt zu haben. So konnte ich von 1980 bis 2001 noch über zwanzig Jahre an der Alma Mater Rudolfina wirken und meine bisherige Lehrtätigkeit philosophisch überhöhen. Es waren drei Hauptvorlesungen, die ich im Wintersemester jeden Jahres anbot und die großen Anklang in überfüllten Hörsälen fanden. Eine Vorlesung war eine Einführungsvorlesung in die Sozialphilosophie, die dann auch zu einem lehrbuchartigen Leitfaden führte, der 1984 in erster Auflage erschien. Die zweite, im Titel meines Ordinariats enthaltene Vorlesung war eine Einführung in die Hermeneutik. Im Rahmen dieser Vorlesung konnte ich die ganze Spannweite meines wissenschaftlichen Gesamtforschungsgebietes entfalten : Ich konnte sowohl die juristische als auch die philosophische, nicht zuletzt aber auch die ästhetische entfalten, die dann auch Eingang in mein drittes Spezifikum, nämlich die »Philosophie der Kunst«, fand. Es ist als ein Stück Universitäts- und damit auch Zeitgeschichte berichtenswert, dass ich auch noch für eine andere Professur im Gespräch war und auch hierbei auf die Unterstützung Firnbergs rechnen konnte. Als nämlich nach dem überraschenden Tod Professor Ludwig Jedlickas 1977 das Ordinariat für Zeitge-
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schichte vakant wurde und zur Nachbesetzung anstand, befürwortete sie, mich auch um dieses Institut zu bewerben. Sie begründete dies damit, dass meine Habilitationsschrift über den Austromarxismus mindestens so sehr zeitgeschichtlich wie politologisch war. Ich aber wusste, dass ich, obwohl zeitgeschichtlich versiert, bei den gelernten Historikern keine Chance hatte und dort als Fremdkörper empfunden worden wäre, selbst wenn Firnberg mich durchgesetzt hätte. Schließlich ist ja dann auch Erika Weinzierl in den Genuss dieser Nachfolge gekommen, denn wenn Jedlicka der Vater der Zeitgeschichtsschreibung war, so war Erika Weinzierl die Mutter, ja die Mutter Courage dieser Disziplin. Doch ursprünglich war Firnberg nicht auf ihrer Seite, sondern wollte mich oder den deutschen Historiker Hans Mommsen, der sich mit österreichischen Themen wie der Nationalitätenfrage beschäftigt hatte und überdies mit einer Österreicherin verheiratet war. Firnberg stand dem Erfolg weiblicher Kandidaten ambivalent gegenüber : Auf der einen Seite musste sie sich für mehr Frauen an den Universitäten einsetzen, auf der anderen spielte bei ihr sicher auch der Umstand mit, da sie selbst Assistentin am Institut für Sozialgeschichte unter Professor Alfons Dopsch gewesen war und gern eine wissenschaftliche Karriere gemacht hätte, die aber damals Frauen noch weitgehend verschlossen war. Ich jedenfalls war froh, nicht bei der Zeitgeschichte, sondern bei der mir wesentlich näher stehenden Sozialphilosophie zu landen und damit meine Karriere und mein Lebenswerk zu krönen und zu vollenden. Nachdem die Entscheidung für die Sozialphilosophie und gegen die Zeitgeschichte längst gefallen war, zeigte mir Hertha eines Tages einen Brief Otto Habsburgs an sie, in dem er sie aufforderte, dafür Sorge zu tragen, dass ich die Nachfolge Ludwig Jedlickas erhalte. Jedlicka hatte so wie ich einen Stich ins Schwarz-Gelbe, auf seinem Schreibtisch befand sich wie zur Demonstration dieser Hinwendung zum alten Österreich ein Foto von Kaiser Karl. Als ich 1952 zu studieren begonnen hatte und Jus und, nicht meinem Herzenswusch folgend, Philosophie inskribierte, hätte ich mir nie vorstellen können, dereinst als Philosophieprofessor an der ältesten noch existierenden deutschsprachigen Universität Philosophie unterrichten zu dürfen. Ich bin mir, zum Unterschied von manchen Kollegen, bewusst, dass ich diese Position nicht nur meinen Leistungen, sondern auch der Gunst der Umstände und bestimmten Personen verdanke. Hertha Firnberg war aber nicht die Einzige, die mich mit Otto Bauer in Zusammenhang brachte. Auch die Altersvorsitzende der SPÖ, Gabriele Proft, die ich bei Sitzungen des Bezirksvorstandes Alsergrund der Partei regelmäßig traf, sagte einmal zu mir : »Ich weiß gar nicht, was du gegen Otto Bauer hast. Du
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weißt gar nicht, wie ähnlich du ihm bist.« Vielleicht aber kritisierte ich ihn und seine Politik gerade deshalb so scharf, weil er für mein Bewusstsein eine in mir selbst liegende, zum Glück aber nicht zur Verwirklichung gelangte Möglichkeit darstellte. Freud soll Otto Leichter, einem engen Vertrauten Otto Bauers, zufolge zu Bauer gesagt haben, als er ihn einmal aufsuchte, wohl nur deshalb, weil seine Schwester bei Freud in Behandlung war und Freud den berühmten »Fall Dora« untersuchte, sich der Wissenschaft zuzuwenden, und noch hinzugefügt haben : »Ich weiß schon, Sie wollen die Menschen glücklich machen. Aber die Menschen wollen gar nicht glücklich sein.« Jedenfalls lehrt der Fall Otto Bauer für die Erste wie der von Bruno Pittermann für die Zweite Republik : dass ein guter Redner noch lange kein guter Parteiführer und Stratege sein muss, dass gerade bei einem begabten Redner die Versuchung groß ist, sich an der Macht der eigenen Worte und an deren Wirkung auf die Zuhörer zu berauschen und diesen euphorischen Zustand für die Realität zu halten. Das unerwartete Zerwürfnis mit Hertha Firnberg, mit der ich bis 1998 gute Kontakte hatte und die ich auch einige Male zu Autofahrten ins Burgenland einlud, setzte mir seelisch sehr zu. Ich musste erleben, dass einem die ödipale Situation nicht nur den Vatermord, sondern eine verunglückte Mutterbeziehung, eine Kränkung der Mutter bescheren kann. Es kam aber doch zu einer Art Versöhnung zwischen uns, die mich einigermaßen beruhigt und das gestörte innere Gleichgewicht wiederhergestellt hat. Bei einer Jubiläumsfeier des Ford-Instituts nämlich, in dem ich mir die ersten wissenschaftlichen Sporen verdient hatte, traf ich ungefähr ein Jahr vor ihrem Tode mit ihr zusammen. Damals sagte sie vor Zeugen : »Ich habe den Leser wie einen Adoptivsohn behandelt. Aber die Söhne gehen dann oft andere Wege, als die Mütter wollen.« Hertha Firnberg genoss ihre Macht und Funktion in vollen Zügen und war dabei von menschlichen Schwächen und Eitelkeiten nicht ganz frei. Wer wollte ihr dies auch verdenken, hatte sie doch etwas erreicht, von dem die Frauen im Allgemeinen und die politischen Frauen im Besonderen nur träumen konnten. Was ihr an Schönheit fehlte, versuchte sie durch betonte tägliche Pflege ihrer Haare zu kompensieren. Gelegentlich machte sich auch das Alter, das sie in den Augen vieler zur Oma stempelte, bemerkbar. So weiß Thomas Bernhard in dem posthum veröffentlichten »Meine Preise« zu berichten, dass sie während einer Rede zur Verleihung des Grillparzerpreises in der Akademie der Wissenschaften eingeschlafen sei und sogar vernehmlich geschnarcht habe. Im Großen und Ganzen aber war sie ein Musterbeispiel, eine Musterfrau, was Disziplin und Hingabe an das Amt anbelangt. So war es wohl keine Übertreibung, wenn ich in
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einem Beitrag zu ihrem 70. Geburtstag, der in der »Arbeiter-Zeitung« veröffentlicht wurde, zum Schluss die Worte schrieb : »Es wird dereinst jedem Nachfolger schwer fallen, seinen Mann zu stellen – nach dieser Frau !« Wenn man auf die Ära Kreisky als Gesamtheit zurückblickt, so sind es vor allem die Persönlichkeiten, die durch ihr Wesen und ihr Werk, durch ihr Format, überdauerten und nicht bloß eine Statistenrolle im Kabinett Kreisky spielten. Diese Persönlichkeiten waren Hannes Androsch, Christian Broda und Hertha Firnberg. Leider muss man sagen, dass der Vergleich zwischen Christian Broda und Hertha Firnberg zwar menschlich durchaus zugunsten Hertha Firnbergs ausfällt, sachlich aber nicht im gleichen Umfang. Die Justizreformen Brodas sind, vor allem auf dem Sektor des Strafrechts, Marksteine gewesen und auch geblieben. Bei der Hochschulreform aber kam es zu Gegenreformen des 1975 beschlossenen Hochschulgesetzes, das die Mitbestimmung in Form der Drittelparität zwischen Professoren, Assistenten und Studenten einführte. Zum Teil waren diese Gegenreformen 2002 und 2005 politisch motiviert und reaktionär, zum Teil aber korrigierten sie Mängel, die das Gesetz von 1975 bei seiner Anwendung offenbarte. So stellte es sich heraus, dass die Mitbestimmung an der fehlenden Qualifikation des Mittelbaus und der Studenten scheiterte, eine wissenschaftliche Persönlichkeit zu beurteilen. Aber auch der freie Zugang zu den Hochschulen und die Befreiung von Studiengebühren, Errungenschaften, die mit Schwung und Begeisterung, die auch mich ansteckte, inszeniert wurden, stießen an die Grenzen, im Sinne des Dichterwortes »Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen«. Der sozialistischen Hochschulpolitik erging es im universitären Bereich wie der sozialistischen Wirtschaftspolitik im Bereich der Verstaatlichten Industrie. Dort war man lange Zeit stolz auf die soziale Vorreiterrolle, die die verstaatlichte Wirtschaft im Rahmen der Gesamtwirtschaft spielen konnte, so fiel diese Vorbildfunktion mit der fehlenden Finanzierbarkeit weg und erzwang aus diesem Grunde und anderen die Privatisierung. Auch der sozialistische »Konsum«, eine der drei historischen Säulen der Arbeiterbewegung, ging durch Misswirtschaft und überhöhte Gehälter der Funktionäre zu Ende. Doch in den ersten Jahren der Ära Kreisky hatte der Staat noch die Spendierhosen an und führte nicht nur in der Hochschulpolitik, sondern auch im übrigen Bildungsbereich Gratisaktionen durch, die ihren Eindruck auf die Begünstigten nicht verfehlten und auch in der übrigen Gesellschaft den Eindruck erweckten, dass alles kostenlos zu erhalten und zu verteilen sei.
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Die heutige Universität bietet ein wenig erfreuliches Bild : nicht nur wegen der explodierenden Hörerzahlen und der Überbelastung der Hörsäle. Auch der persönliche Kontakt zwischen Studenten und Lehrenden, der in der alten Universität möglich war und auch gepflegt wurde, ging verloren. Ich selbst habe noch alle meine Prüfungen mündlich abgelegt und wäre vielleicht heute mit all meinen Talenten wie viele andere auch einem technisierten System der Benotung zum Opfer gefallen. Man soll sich vor der Idealisierung der alten Universität hüten, und es ist klar, dass sie nicht so bleiben konnte, wie sie damals war. Aber man lief Gefahr und erlag auch der Gefahr, das Kind mit dem Bad auszuschütten und sich von den Reformen allzu viel zu erhoffen. So erinnere ich mich an Gespräche mit Hertha Firnberg, in denen ich, als die Reform eben erst anlief, meine Zweifel äußerte, ob die drittelparitätische Universität zu einem Abbau von Machtspielen und Animositäten, wie man sie der alten Ordinarien universität nachsagte und ankreidete, führen würde. Meine Befürchtung war, dass die neue Konstruktion die negativen Spannungen nicht beseitigen, sondern multiplizieren würde. Ich erlebte die Genugtuung, dass Hertha Firnberg nach ihrem Ausscheiden aus der Politik bei einem Besuch in meinem Institut vor Zeugen zugab, dass ich mit meiner Skepsis recht behalten habe. Heute ist die alte Universität durch Reform und Gegenreform bis zur Unkenntlichkeit entstellt worden. Das Hauptübel sind die Verschulung, die die Universität zu besseren oder gar schlechter funktionierenden Fachhochschulen gemacht hat, und die Tendenz, wissenschaftliche Leistungen am unmittelbaren Ertrag und Erfolg zu messen. Die Anstellungsverhältnisse der meisten Lehrenden sind prekär im doppelten Sinn des Wortes : Sie sind zeitlich befristet und prekaristisch. Die freie Wahl der Themen wird durch inhaltliche Vorgaben und Bindung an Projekte eingeschränkt. Es ist nicht mehr jene Universität, in der, um mit einem biblischen Bild zu reden, »der Geist weht, wo er will«, sondern eine Engführung. Dazu kommt noch die Problematik, die sich mit in kurzer Zeit erworbenen, in der Praxis der Berufswelt aber nicht anerkannten akademischen Abschlüssen eröffnet hat. Es ist für mich ein Zeichen der Krise, in der sich die Universität befindet, dass der am längsten dienende Rektor in der Geschichte der Universität Wien, Alfred Ebenbauer, Selbstmord begangen hat. An dieser Verzweiflungstat waren, wie ich überzeugt bin, nicht nur private Motive beteiligt, sondern auch die Angst, den Anschluss an die Universität von heute nicht mehr zu finden, und die Befürchtung, dass die Universität insgesamt diesen Anschluss an die Zukunft und an die große Welt nicht mehr findet, was in der
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steigenden Zahl Begabter, die ihre Tätigkeit ins Ausland verlegen, zum Ausdruck kommt. Trotzdem bleibt die Hoffnung, dass die Universität durch diese Krise hindurch zu ihrer alten Größe und Sendung zurückfindet, bestehen. Einer Gefahr, der die Universität auf keinen Fall unterliegen darf, ist die, in eine Art Fachidiotie zu verfallen und sich mit der Funktion der Ausbildung möglichst funktionstüchtiger Mitglieder der Gesellschaft zufriedenzugeben. Ich habe das Glück gehabt, schon in Salzburg ein vom zu früh verstorbenen René Marcic, der auch an meiner Berufung an die Universität Salzburg beteiligt war, gegründetes Institut kennenzulernen und schon vor meiner Berufung an ihm zu wirken. An diesem Institut kamen, vor allem durch die Vielseitigkeit von Marcic selbst, Rechtsphilosophie, Jurisprudenz, Politikwissenschaft und Theologie, repräsentiert durch den Dominikaner Franz Martin Schmölz, zu ihrem Recht. Die Trans- und Interdisziplinarität, das Zusammenwirken verschiedener Fächer in verschiedenen Fakultäten und verwandten Disziplinen, begleitete mich durch mein ganzes akademisches Leben. Hertha Firnberg, die als Ressortchefin in einer Dekade voll stürmischer Aufbruchsstimmung Motor und Beobachterin dieser damaligen Entwicklung war, hat im Vorwort zu dem 1986 erschienenen Buch aus meiner Feder »Genus Austriacus. Beiträge zur politischen Geschichte und Geistesgeschichte Österreichs« folgende Aussage über mich getroffen : »Im Rahmen des akademischen Lebens Österreichs stellt Leser aufgrund seines komplizierten Werdeganges, der wohl einmaligen Kombination von Fächern, Disziplinen und Interessen im Laufe seiner Entwicklung ohnehin so etwas wie ein wissenschaftliches Unikum im besten Sinne des Wortes, einen positiven Sonderfall, der seinesgleichen sucht, dar.« Ich bin auf dieses Urteil aus berufenem Munde natürlich sehr stolz, obwohl ich mir dessen bewusst bin, dass sich eine solche Laufbahn, die durch besondere förderliche Umstände begünstigt war, heute nicht wiederholen ließe. Damals herrschten eben ein Nachholbedarf und das Bedürfnis, bestehende Lücken zu schließen. Heute ist der Aufstieg für junge Wissenschaftler weitaus schwieriger, sodass auch Begabte mehr Schwierigkeiten als Chancen vor sich sehen und das akademische Leben insgesamt wie verstopft anmutet. Auch dieser Engpass war wohl ebenso wenig vorhersehbar wie die übrigen widrigen Umstände, die einer dauernden Beibehaltung der eingeleiteten Reformen abträglich waren und sind.
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Milovan Djilas (1911–1995) Einzelkämpfer gegen die »neue Klasse«
Obwohl ich Milovan Djilas nur einmal persönlich getroffen und mit ihm bloß einige Worte gewechselt habe, erscheint es mir unverzichtbar, ihn in die Reihe der von mir porträtierten Persönlichkeiten aufzunehmen und Reflexionen über ihn und sein Werk anzustellen, und dies aus mehreren, im Folgenden zu erläuternden Gründen. Zunächst aber müssen einige Fakten über seinen äußeren Lebensverlauf rekapituliert werden, da vor allem jüngere Leser nicht mehr jene Vertrautheit mit seinem Wirken mitbringen wie politisch interessierte ältere. Der 1911 in einem kleinen Dorf in Montenegro geborene Djilas war in eine Familie hineingeboren, deren Mitglieder und Vorfahren im Kampf gegen die nationale und politische Unterdrückung durch das monarchische System erprobt waren und in diesem Kampf auch Blutzoll geleistet haben. Diese Umgebung war es wohl, die Djilas dazu prädestinierte, seinerseits lebenslängliche Kämpfe an den verschiedensten Fronten auszufechten. Vorerst aber widmete sich der Heranwachsende dem Studium der Philosophie und der Rechtswissenschaften an der Universität Belgrad. Schon 1932 schloss er sich der damals illegalen Kommunistischen Partei (KPJ) an. Bald darauf, nämlich 1933–1936, machte er erstmalig mit dem Gefängnis Bekanntschaft. 1936 wurde er Mitglied des Zentralkomitees und 1940 des Politbüros der Partei, die seine geistige und politische Heimat war, aber nicht für immer blieb. Während des Zweiten Weltkriegs nahm Djilas an der Vorbereitung und Organisation des bewaffneten Aufstandes gegen die Faschisten, 1941 beginnend, teil. Er war während des Partisanenkriegs Mitglied des Obersten Stabes und hatte den Rang eines Generalleutnants der »Volksbefreiungsarmee«. 1944 fungierte er als Verbindungsmann nach Moskau und lernte in Erfüllung dieser Mission auch Stalin, den personalisierten Inbegriff sowjetischer und kommunistischer Macht, kennen. Damals war er jedenfalls noch ein loyaler Vollstrecker sowohl der Befehle Stalins als auch des jugoslawischen Partisanenführers Josip Broz Tito, mit denen er Jahre später in dramatische Konflikte kommen sollte. In der Provisorischen Regierung vom 8. März 1945 war Djilas Minister für seine engere Heimat Montenegro. Ab Februar 1946 war er in verschiedenen Regierungen Minister
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ohne Portefeuille. 1948 wurde er in Zentralkomitee und Politbüro der KPJ gewählt. Ab Jänner 1953 war er Mitglied des Präsidiums des Bundes-Exekutivrats. 1948 kam es zum Bruch Titos mit Stalin, da die jugoslawischen Kommunisten, die sich ihre Freiheit selbst erstritten hatten, nicht länger bereit waren, nach der Pfeife Stalins zu tanzen, sondern den Kommunismus im eigenen nationalen Machtbereich selbstständig aufbauen und verwalten wollten. Djilas vollzog diesen Bruch mit, und es schien alles gut weiterzulaufen. Djilas gehörte zum engsten Führungskreis und galt nicht nur als Praktiker, sondern auch als glänzender Theoretiker. Gerade diese Stellung aber sollte ihn in Konflikt mit der Partei bringen, die einen Theoretiker nur so lange brauchen oder tolerieren wollte, solange er dem bestehenden System Handlangerdienste leistete. Und das System, das in Jugoslawien unter der Führung Titos, der später sogar zum Staatspräsidenten auf Lebenszeit gewählt wurde, etabliert war, erhob den Anspruch, dem ursprünglichen Wollen von Karl Marx näherzukommen als der Sowjetkommunismus und seine volksdemokratischen Ableger. Djilas hatte zur theoretischen Fundierung dieses Systems fundamentale Beiträge und Begründungen geliefert und wurde in dieser Beziehung nur vom Parteiideologen Edvard Kardelj übertroffen. Was war das Spezifische am jugoslawischen Wirtschaftssystem ? Es bestand, abweichend von den sowjetischen Modellen zur Zentralverwaltungswirtschaft, darin, die obligate zentrale ökonomische Planung mit einer Art Arbeiterselbstverwaltung zu verbinden, ein Gedanke, der nicht nur bei Marx vorgeprägt ist, sondern auch in den Nachkriegsplänen Otto Bauers, die er in einer Schrift »Der Weg zum Sozialismus« darlegte, Parallelen hat. Nichtsdestoweniger funktionierte die jugos lawische Wirtschaft trotz dieses ideellen Vorsprungs nicht besser als die anderen kommunistischen Ökonomien. Doch nicht das ökonomische System als solches geriet in das Visier des kommunistischen Theoretikers Djilas. Djilas nahm es sich nämlich heraus, die marxistische Methode und Ideologie, die nur als Legitimationsbasis des Systems zu dienen bestimmt war, auf dieses System selbst anzuwenden und in Verfolgung dieses Bestrebens die Herrschenden selbst, zu denen er gehört hatte, zu kritisieren und sich damit selbst aus der »neuen Klasse« herauszukatapultieren. Er setzte seine Position und alle Annehmlichkeiten, die mit ihr verbunden waren, aufs Spiel und behielt die Meinung, die er sich über die herrschenden Zustände gebildet hatte, nicht bei sich, sondern veröffentlichte sie, anfangs noch im Parteiorgan »Borba«, später aber im Ausland, nicht nur durch schriftliche Auslassungen in Büchern und Artikeln, sondern auch in Form von Interviews
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in führenden ausländischen Zeitungen. Damit hörte sich aber der Spaß auf : Er wurde wegen »Stellungnahmen gegen die jugoslawischen Interessen«, später wegen »Verrat von Staatsgeheimnissen« verurteilt und saß insgesamt acht Jahre im Gefängnis. Das berühmteste Werk, das Djilas in der ersten Haft verfasste und später im Ausland veröffentlichte, war wohl »Die neue Klasse«. Mit diesem Werk entlarvte er die kommunistische Behauptung, auf dem Weg zur »klassenlosen Gesellschaft« zu sein, als Lüge und behauptete gleichzeitig als marxistischer Theoretiker, als der er sich nach wie vor fühlte, dass es sich bei dieser neuen Klassenherrschaft nicht um die Anwendung der von Marx verkündeten und vorhergesagten »Diktatur des Proletariats« handle. Djilas war nicht der Erste und auch nicht der Letzte, der auf diese Weise mit dem »realen Sozialismus« abrechnete. Schon Trotzki vor ihm beklagte »Die verratene Revolution« in Russland, und nach ihm hat der ehemalige Sowjetideologe Michael Voslensky in seinem Werk über »Die Nomenklatura« feststehende Tatsachen in ein System gebracht. Alle diese Bücher fanden keine inhaltliche Widerlegung und Antwort, sondern wurden so weit als möglich totgeschwiegen, als Verrat bzw. »Kollaboration mit dem Klassenfeind« abgetan. Tito bedauerte, dass sein ehemaliger Mitkämpfer ein »Anarchist« geworden sei und sich in Träumereien verloren habe. Es kam zu keiner persönlichen Begegnung zwischen den beiden mehr. Zu sehr hatten sich Macht und Geist voneinander getrennt. Djilas hat 1980, schon nach dem Tod Titos, eine »kritische Biografie« über ihn veröffentlicht. Jedenfalls ist es erstaunlich und auch wieder nicht, weil einem historischen Schema folgend, dass sich der ehemalige Arbeiter und Partisan Josip Broz Tito zu einem eitlen, selbstgefälligen und dem Luxus verfallenen Potentaten entwickelt hatte. Der Bruch mit Stalin hätte ein Anlass sein können, auch die stalinistischen Methoden abzulegen und einen demokratischen Pluralismus für das vorgegebene System durchzusetzen. Aber Tito nahm diese Gelegenheit nicht wahr, sondern wendete selbst stalinistische Methoden gegen die stalintreu gebliebenen Genossen an. So wurde auf der »kahlen Insel«, im Jugoslawischen »goli otok« genannt, ehemalige Mitkämpfer nicht nur verbannt, sondern es wurden ihnen bei quälender Hitze Qualen des Verdurstens und ähnliche Grausamkeiten mehr zugefügt. Djilas selbst gegenüber ließ Tito relative Milde walten und ihn nicht töten oder quälen. Diese nicht an den Existenznerv rührende Behandlung ist wohl auf die alte Kampfgenossenschaft und auf die internationale Bekanntheit Djilas’ zurückzuführen. Schwer erklärlich ist der Umstand, dass man Djilas seine Unterstützung der ungarischen Revolution 1956 zum Vorwurf machte, hatten die Ungarn doch
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nur jenes Recht auf nationale Selbstbestimmung in Anspruch genommen wie Jugoslawien 1948. Doch logische Widersprüche sind in Diktaturen nie ein Hindernis, so und nicht anders zu handeln, gibt es doch keine Instanz, an die man in einem solchen System appellieren kann. Der Anknüpfungspunkt für meine Einbeziehung von Milovan Djilas in dieses Buch ist die Tatsache, dass ich einmal als Bote und Mittelsmann zwischen Djilas und seinem Anwalt Christian Broda, der seit 1960 Justizminister war, fungierte. Und zwar kam diese Mittlertätigkeit durch meinen ältesten Freund und Schulkollegen Alfred Missong zustande, der in den Sechzigerjahren Attaché an der österreichischen Botschaft in Belgrad war. Missong hatte von der Frau des inhaftierten Milovan Djilas Unterlagen, Manuskripte und Prozessdokumente, die er mir überreichte. Wir übergaben dann in einer Zeit, in der ich ein enger Mitarbeiter Brodas war, der 1962 auch seine gesammelten Aufsätze unter dem Titel »Demokratie – Recht – Gesellschaft« herausgab, die von Djilas übermittelten Schriftstücke. Viele Jahre später hielt Djilas in Wien einen Vortrag, nach dem ich mich ihm vorstellte und er mir für die damalige Mittlertätigkeit dankte. Aber nicht deshalb allein ist mir die Begegnung mit diesem großen Mann in bleibender Erinnerung geblieben. Es war ein Satz in der Diskussion, der mir unvergesslich bleibt. Und zwar wurde er gefragt, ob er bei all dem, was er getan und heraufbeschworen hatte, nicht Angst, die ihn abgehalten hätte, gehabt hätte. Die Antwort Djilas’ war kurz, aber vielsagend. Er antwortete damals nämlich : »Ich habe immer große Angst vor den Folgen meines Tuns gehabt, aber eine Angst war noch größer : die nämlich, durch mein Schweigen an dem Heranwachsen eines neuen Stalins schuldig zu werden. Ich nahm alle Risiken auf mich, selbst auf die Gefahr hin, das Schicksal Trotzkis zu erleiden.« Jahre später, wieder im Zusammenhang mit meinem Freund Missong, der Botschafter in Mexiko war, lernte ich das zu einem Museum gewordene Haus, in dem Trotzki lebte und von einem Emissär Stalins ermordet wurde, kennen. Trotzki hatte sich verbarrikadiert, sodass ihn die Einschüsse der Kugeln, die heute noch zu sehen sind, nicht erreichten. Stalin aber hatte einen anderen Weg gefunden, seinen gefährlichen Widersacher zu ermorden. Totalitäre Systeme schrecken eben vor nichts und niemandem zurück, insofern hatte Djilas noch Glück, obwohl er, wie seine Äußerung verrät, auch mit Schlimmerem gerechnet hatte. Auch in demokratischen Systemen, in denen die Hinrichtung und Mundtotmachung eines Missliebigen nicht leicht oder überhaupt nicht möglich ist, findet die Macht Mittel und Wege, um Unbequeme auszuschalten. So erinnere
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ich mich, dass der schon erwähnte Christian Broda mir gegenüber das Vorgehen gegen seinen Hauptfeind Franz Olah mit dem Hinweis verteidigte, Trotzki habe auch zu lange gewartet und gezögert, gegen Stalin vorzugehen und seinen Aufstieg zu stoppen. In der Tat hatte die generalstabsmäßige Art, in der die politische Vernichtung Olahs vom Justizministerium aus inszeniert wurde, etwas Stalinistisches an sich. Ich kannte Olah damals, als ich bei Broda aus- und einging, noch gar nicht, aber mir missfiel schon damals die Art, in der diese Haupt- und Staatsaktion, die in einen Prozess und eine Verurteilung mündete, durchgeführt wurde. So traf ich den sozialistischen Wirtschaftskämmerer in den Tagen, bevor das Schiedsgericht gegen Olah zusammentrat, im Zimmer Brodas, sein Name war Ludwig Kostroun, und es war auf der Hand liegend, dass er sich Ezzes für das kommende Schiedsgericht, das nur eine bereits beschlossene Sache zu exekutieren hatte, holte. Viele Jahre später lernte ich erst Olah persönlich kennen. Er stellte mir natürlich seine Sicht der Dinge dar und verglich Broda, der ja früher Kommunist gewesen war, mit Stalin. Ohne eine endgültige Entscheidung über die Berechtigung dieser beiderseitigen Vergleiche anstellen zu wollen, erscheint es mir doch bemerkenswert, dass linke Politiker, die noch die Moskauer Schauprozesse erlebt und in Erinnerung hatten, in Kategorien des sowjetischen Realsozialismus dachten und agierten. Dabei soll der himmelhohe Unterschied zwischen kommunistischer und sozialdemokratischer Politik und Praxis nicht verkannt und verwischt werden, aber ein Hauch des Totalitarismus, eine Schlagseite in diese Richtung, ist auch für die Sozialdemokratie nachweisbar, auch sie ist nicht gegen die Gefahr des Machtmissbrauchs und der Verwendung der Justiz für politische Zwecke gefeit. Um Djilas’ Kritik an der »neuen Klasse« richtig einordnen und würdigen zu können, erscheint es mir unerlässlich, auf die Parallelität bzw. Vorwegnahme Vilfredo Parelos, Gaetano Moscas und Robert Michels hinzuweisen und auf sie einzugehen. Denn diese Theoretiker haben schon vor Djilas, wenn auch in ganz anderen Zusammenhängen und mit ganz anderen Konsequenzen, eine These einer »politischen Klasse« vertreten, die den Gedanken der Demokratie untergrabe, ja ad absurdum führe. Diese Denker haben den Boden für die faschistische Ideologie geschaffen. Robert Michels, der schon vor dem Ersten Weltkrieg am Beispiel der deutschen Sozialdemokratie das »eherne Gesetz der Oligarchie« entdeckt hat, wurde sogar ein begeisterter Anhänger, ja geradezu ein Staatsphilosoph Mussolinis, der ja auch ein enttäuschter Sozialdemokrat war. In diesem Zusammenhang ist wohl auch der deutsche Staatsrechtlehrer Carl Schmitt, der aus der Analyse des Parlamentarismus, der nur eine Fassade sei und die von der de-
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mokratischen Theorie postulierte Einheit von Herrschern und Beherrschten Lügen strafe, den antidemokratischen Schluss zog, die versteckte Oligarchie durch eine offene Führerdiktatur zu ersetzen. Carl Schmitt, »das geniale Schwein«, wie er einmal genannt wurde, wurde dann auch in Verfolgung dieser Linie zum Kronjuristen der charismatischen Führerherrschaft Hitlers. Djilas stand natürlich nicht auf dem Boden dieser offen oder versteckt faschistischen Denker und Vorläufer, er wollte weder auf die Demokratie noch auf eine sozialistisch funktionierende Wirtschaft verzichten, im Gegenteil : Er wollte durch Abschüttelung der Parteiherrschaft sowohl der erstickten Demokratie als auch dem deformierten Sozialismus Auftrieb verleihen. Seine innerparteilichen Gegner, allen voran Tito selbst, warfen ihm vor, mit seinen Ambitionen zu früh zu kommen. Sie gaben sich zur Beruhigung der Reste des eigenen Gewissens, die bei ihnen noch vorhanden waren, dem Glauben hin, dass es später einmal zu der von Djilas schon jetzt reklamierten Überwindung der bis auf Weiteres für unentbehrlich gehaltenen Vorherrschaft der Partei kommen werde. Und sie hatten noch einen guten Grund, nicht nur zur Erhaltung ihrer Privilegien für die Beibehaltung des Status quo einzutreten. Tito und die Seinen wussten, dass nur die Autorität Titos und der eiserne Griff der Partei den Staat, der sich aus fünf verschiedenen Nationen Serben, Kroaten, Slowenen, Mazedoniern und Montenegrinern zusammensetzte, die formell eine Teilautonomie genossen, zusammenhalten konnte. Darin kann man sogar ein gewisses historisches Verdienst Titos erblicken, dass er die zentrifugalen Kräfte daran hinderte, gegeneinander aufzutreten und den Gesamtstaat zu sprengen. Es hat sich nach dem Tod Titos denn auch herausgestellt, dass dieser Einheitsstaat ohne starke Lenkung nicht zu halten war, sondern in blutigen Auseinandersetzungen in Teilund Nachfolgestaaten zerfiel. Auch die Tschechoslowakei zerfiel nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in zwei Teilstaaten und vernichtete damit das Lebenswerk des großen Präsidenten Thomas Masaryk, der zum Unterschied von Tito kein Tyrann war und so wie Tito die Zerstörung seines Lebenswerkes nicht mehr erlebte. Sowohl die demokratische als auch die diktatorische Zwangsvereinigung musste früher oder später der Gewalt des Nationalismus und der Kleinstaaterei weichen, die erst im Zeichen und unter dem Gebäude der Europäischen Union eine gewisse Berechtigung erlangt und alles Getrennte wieder zusammenführt. Auch durch das Leben und Wirken von Milovan Djilas zieht sich die ambivalente Haltung, die der historische Sozialismus sowohl dem Internationalismus als auch dem Nationalismus gegenüber an den Tag legte. Djilas, der nicht
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nur ein Theoretiker und Politiker, sondern ein hochbegabter Literat war, dessen Werk auch ohne seine politische Haupttätigkeit Bestand hätte, hat dem montenegrinischen Heros Njegoš in seinem Werk »Njegoš – Dichter zwischen Staat und Kirche« ein Denkmal gesetzt. In diesem Sinne war Djilas ein montenegrinischer Patriot, der die Geschichte des Freiheitskampfes seiner Landsleute gegen die osmanische Fremdherrschaft feierte. Auch sein Kampf gegen die Monarchie und gegen die deutschen Besatzer zehrte von dieser Substanz eines jahrhundertealten Kampfes gegen die Fremdherrschaft. Die ganze Geschichte des Sozialismus und nicht nur die Jugoslawiens ist vom Ringen mit dem Nationalismus überschattet. Anfangs gab sich der Sozialismus jener Illusion hin, die Otto Bauer in seinem grundlegenden Werk über die Nationalitätenfrage »naiven Kosmopolitismus« nannte, der Illusion, die darin bestand, den Nationalismus und Partikularismus durch eine proklamierte internationale Haltung zu überwinden und instrumentalisieren zu können. Doch der Ausbruch des Ersten Weltkriegs und die mit ihm einhergehende, gerade in Österreich besonders starke Kriegsbegeisterung der Massen zeigten, dass nicht der Sozialismus den Nationalismus absorbierte und zum Verstummen brachte, sondern umgekehrt der Nationalismus den Sozialismus hinwegfegte und unter seine Gewalt brachte. Auch in diesem Punkt irrte die marxistische Theorie, deren Erwartungshorizont die Überwindung des Nationalismus durch den erfolgreich geführten Klassenkampf war. Es stellte sich aber heraus, dass der Nationalismus als eine die ganze Bevölkerung umfassende Bewegung und Emotion eine viel zähere und dynamischere Erscheinungsform des sozialen Lebens ist als der Klassenkampf, dass die Geschichte nicht nur und nicht einmal in erster Linie eine Geschichte von Klassenkämpfen, sondern von nationalen Rivalitäten und Auseinandersetzungen ist. Die Fehlerfülle, die Wurzel dieser Fehleinschätzung, lag also schon in der marxistischen Theorie und nicht erst in deren verfehlter Anwendung. Auch Djilas erlag in dieser Frage der Faszination einer falschen Theorie. Diese Überlegung führt wieder zum Zentralproblem der »neuen Klasse« zurück, in der Djilas’ Kritik zu kurz griff und zu wenig weit zurückging. Nach seiner Darstellung war es vor allem Stalin, der die Deformation des sowjetischen Kommunismus herbeiführte. Lenin und Marx, auf den sich Lenin berief, werden für die späteren Entartungen nicht oder zu wenig verantwortlich gemacht. Doch dem ist entgegenzuhalten, dass Trotzki schon 1904, damals noch nicht Bolschewik, erkannte, dass das Lenin’sche Konzept von Berufsrevolutionären letzten Endes zu einer Diktatur der Partei und dann eines Einzelnen über die
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Partei führen müsse. Rosa Luxemburg kritisierte den Leninismus schon in seinen Anfängen, während Djilas der russischen Revolution an sich positiv gegenüberstand und erst ihre spätere Entartung beklagte. Angesichts des Schicksals des jugoslawischen Einheitsstaates und dessen Zerfalls ist es naheliegend, auch auf das historische Schicksal des alten Österreich zurückzugreifen, dessen Nachfolge der jugoslawische Staat in gewissem Sinne antrat. Erst im Vergleich mit all dem, was nach dem Zusammenbruch des Habsburgerstaates an dessen Stelle trat, wird deutlich, wie wenig dieser Staat jener »Völkerkerker« war, als den man ihn bezeichnete. Verglichen mit den Erfahrungen, die die Völker mit totalitären Systemen linker und rechter Prägung machen mussten, waren die im alten Österreich herrschenden Zustände geradezu paradiesisch. Das ändert aber nichts daran, dass auch dieser Staat nicht imstande war, die nationalen Probleme in einer die Nationen zufriedenstellenden Weise zu lösen. Schon mein Lehrer August Maria Knoll sagte in seinen Vorlesungen immer wieder, dass es die deutschen und ungarischen Herrenvölker waren, die ihre slawischen Untertanen ihrer Freiheitsrechte beraubten. Vielleicht hätte ein an die Macht gekommener Franz Ferdinand mit der von ihm angestrebten »trialistischen« Lösung den rettenden Ausweg bringen können, vielleicht wäre die von Karl Renner propagierte »national-personale Autonomie« eine probate Lösung gewesen. Es ist eine der vielen Ironien, in denen sich die Geschichte gefällt, dass es gerade Karl Renner, der dem alten Staat bis an den Rand seines Grabes hin die Treue bewahrt hatte, durch die Macht der Umstände dazu ausersehen war, Staatskanzler eines Staates zu werden, den er gar nicht wollte, der aber durch den Exodus der nichtdeutschen Nationalitäten aus dem gemeinsamen Staatsverband notwendig geworden war. Renner erkannte, dass die Zerschlagung des gemeinsamen Staates nur Unheil bringen und ein Machtvakuum entstehen lassen würde, in das nicht nur die Kräfte des Nationalismus, sondern auch die der Barbarei eindringen würden. Auch die Linke Rosa Luxemburg trat nicht für die Selbstständigkeit Polens, sondern für die Autonomie im Rahmen des gegebenen russischen Staates ein. Doch der Zug der Geschichte ging und geht ungeachtet solcher Wünsche und Konzepte dahin, Einheitsstaaten und Großräume zu zerstören und diese auseinanderfallen zu lassen. Dann aber streben, wie auch die Erfahrung lehrt, die Völker wieder die Schaffung größerer Einheiten an, die einen Ersatz für die weggefallenen großen Einheiten bieten sollen. Das Beispiel von Djilas und Jugoslawien aber zeigt, dass es keine Patentlösung für die nationalen Probleme gibt und der Weg zum friedlichen Zusammenleben
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der Völker über die Umwege von Kriegen, Katastrophen und Zusammenbrüchen führt. Vom »ewigen Frieden«, von dem der große Immanuel Kant träumte, sind und bleiben wir wohl auch weit entfernt. Es ist mir wohl nicht zu verdenken, wenn ich mich selbst mit Djilas identifizierte und identifiziere und mich in seiner Kritik an der herrschenden Parteibürokratie wiedererkenne. Ich bin im Zusammenhang mit meiner Kritik am Privilegienabbau, den Kreisky angekündigt, aber nicht durchgefochten hatte, von Außenstehenden und von Zeitgenossen, auch solchen innerhalb der Partei, daraufhin angesprochen worden. Man meinte, dass ich in Jugoslawien mit einer ähnlich gearteten Kritik, wie ich sie in meinen Büchern »Salz der Gesellschaft. Wesen und Wandel des österreichischen Sozialismus« (1988) und »Der Sturz des Adlers« (2003) geäußert habe, das Schicksal Djilas’ erlitten hätte. Ich verkenne trotz dieser Hinweise nicht, dass zwischen mir und Djilas ein gewaltiger Unterschied besteht. Erstens weil ich nie eine so hohe und exponierte Stellung in der Partei hatte, zweitens weil die in Österreich eingerissenen Übel unvergleichlich kleiner und meine Stimme drittens nie die Gewalt und Gewichtigkeit der von Djilas hatte und hat. Aber wenn auch en miniature : Meine Kritik an den Fehlentwicklungen des österreichischen Sozialismus ist für österreichische Verhältnisse ähnlich singulär wie die von Djilas in seinem Bezugssystem. Auch die Abstufung der Sanktionen für das Ausscheren aus der Masse ist unverkennbar : unter Stalin musste man um sein Leben fürchten, auch wenn man nichts angestellt hatte, unter Tito kam Djilas mit dem Leben davon, und in Österreich wird man in einer Partei, die zwar oligarchisch ist und eine totalitäre Schlagseite hat, im Übrigen aber in ein demokratisches System, wenn auch mit Defiziten gegenüber westlichen Demokratien, eingebettet ist, nur marginalisiert und links, bzw. rechts liegen gelassen. In jedem Falle aber wird aus geäußerter Kritik nicht der Schluss gezogen, diese anhand der Realität zu überprüfen, ob die Kritik berechtigt und wenn notwendig die Praxis zu ändern ist. Die politische Klasse identifiziert ihr eigenes Wohlergehen mit dem allgemeinen Wohlbefinden der Gesellschaft, ein fataler Fehlschluss, der eingerissene Fehlentwicklungen begünstigt und perpetuiert. Das Einzige, was ernst genommen wird, ist der Verlust bei Wahlen und auch da ist man mit Konsequenzen, nur wenn es gar nicht anders geht, bei der Hand. Eines scheint auch von universeller Gültigkeit zu sein : dass die große Masse der Anhänger alles schweigend über sich ergehen lässt und dass es immer nur einige wenige sind, die sich den Luxus leisten und die Mühe antun, wider den Stachel zu löcken. Vielleicht ist des Rätsels Lösung ganz einfach die, die der
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damals schon altersweise Stadtschulratspräsident Leopold Zechner in einer Diskussion, an die ich mich gut erinnere, einmal resignierend gesagt hat, als ein Diskussionsteilnehmer eine ethische Haltung einforderte : »Die Menschen sind nicht ethisch, die Menschen sind schwach.« Freilich dürfen sich auch die Kritiker nicht herausnehmen, sich wegen ihrer Kritikfreudigkeit für ethisch stark zu halten, sie weisen gewöhnlich andere Schwächen auf, was ihre Kritik nicht entwertet, wohl aber relativiert.
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Helmut Zilk (1927–2008) Vollblutbürgermeister und Medienstar
Wenn ich an Helmut Zilk und die Begegnungen mit ihm zurückdenke, werde ich von einer Welle von Sympathie bestürmt, ja geradezu überwältigt. Obwohl die Beziehung zwischen uns beiden eher punktuell und nicht kontinuierlich war, sodass sich keine regelrechte Freundschaft im herkömmlichen Sinn entwickeln konnte, waren die geplanten und ungeplanten Zusammenkünfte doch immer markant und aussagekräftig. Was uns jenseits gemeinsamer Überzeugungen verband, war das ähnliche Temperament, das man in einschlägigen Studien den im Tierkreiszeichen des Zwillings Geborenen nachsagt. Wenn es da heißt, dass sich Zwillinge durch Vielseitigkeit, Originalität, Kreativität und Doppelbödigkeit bzw. Janusköpfigkeit auszeichnen, so treffen alle diese Charakteristika auf uns beide zu. Wir haben dieses Thema auch in Gesprächen, die wir führten, berührt und sind dabei draufgekommen, dass wir nicht nur gläubig, sondern auch abergläubisch sind und auch etwas von der prägenden Macht der Sterne und der Geburtskonstellation halten. Ich verfolgte die steil aufwärts führende Karriere Helmut Zilks mit Bewunderung und lebhaftem Interesse, und auch er begleitete meinen Aufstieg mit Zuspruch und Anerkennung. Als ich im Februar 1971 zum ersten österreichischen Ordinarius für Politikwissenschaft ernannt wurde, war er außer einem Wiener akademischen Kollegen der Einzige, der diesen Anlass wahrnahm und seinen Charakter als Zäsur nicht bloß der Universitätsgeschichte erkannte, und mich ins Sacher zum Abendessen einlud. Er stand damals noch nicht im politischen Leben, hatte aber auch schon als Fernsehdirektor ein Auge für relevante zeitgenössische Vorgänge. Es war nicht der große Saal oder die Rote Bar des Sacher, wohin er mich einlud, sondern ein intimes Fischerstüberl mit Zithermusik, wo wir ein Gespräch auch über persönliche Dinge führen konnten. Zilk war der geborene Medienmensch, ja Star, der unermüdliche Kommunikator und Organisator, der sich in die Geschichte des ORF in mannigfachen Funktionen eingebracht hat und als einer der Initiatoren des Rundfunkvolksbegehrens 1964, schon vor Bekleidung dieser Funktionen, Fernseh- und Mediengeschichte geschrieben hat. Er wäre fast Generalintendant geworden, unterlag aber gegenüber dem noch medientüchtigeren Gerd Bacher, ohne dass dies der
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Helmut Zilk
Freundschaft der beiden Giganten Abbruch getan hätte. Zilk hatte aber auch Feinde und pflegte diese Feindschaften, so die mit dem Freimaurerbruder Jörg Mauthe und dem Schauspieler Fritz Muliar, der ihm die Berufung Claus Peymanns als Direktor des Burgtheaters nie verzieh. Helmut Zilk hat aber nicht nur Mediengeschichte geschrieben und gestaltet, er griff auch in politische Entwicklungen ein. So war das Gespräch, das er mit Franz Olah 1964 über die Spitzelakten, die im Innenministerium lagen und wie eine Zeitbombe tickten, im Fernsehen führte, auslösend für innenpolitische Erosionen, die mit dem Sturz Olahs und der größten innerparteilichen Krise der spö endeten. Als Helmut Zilk 1979 Wiener Kulturstadtrat wurde, trat ich an ihn heran, um eine Ringvorlesung zum Thema »Das geistige Leben Wiens in der Zwischenkriegszeit« abhalten zu können, die dann auch in den Räumen des Internationalen Kulturzentrums in der Annagasse stattfand und 1981 in Buchform erschien. 1983, als Zilk vom Wiener Rathaus ins Unterrichtsministerium als Ressortchef wechselte, besuchte er als Gast eine andere, im selben Rahmen veranstaltete Vortragsreihe, die das Türkengedenkjahr 1983 zum Anlass nahm, um das Thema »Religion und Kultur an Zeitenwenden. Auf Gottes Spuren in Österreich« zu umkreisen. Der Erste, der zu diesem Thema unter dem. Motto »Was hat unsere Gesellschaft noch mit Religion zu tun ?« sprach, war der damalige Bundespräsident Dr. Rudolf Kirchschläger, am Tag darauf sprach als Zweiter Kardinal König, den Helmut Zilk in seiner Autobiografie »Meine drei Leben« als Lebensmenschen gleich neben seinem Vater einreiht und würdigt. Die Ausführungen Kirchschlägers wirkten pastoraler und getragener als die des Kardinals. Bemerkenswert waren die Schlussworte des Bundespräsidenten : »Denn Gottes Wirken, Gottes Allmacht und Gottes Barmherzigkeit steht hinter allem, was auf dieser Welt geschieht. Er wirkt auch durch Menschen, die in unseren Augen religionsfern sind. Er weiß es warum, und das genügt.« Nach diesem Vortrag machte einer der Teilnehmer dieses Abends die Anregung, ein gemeinsames Gebet zu sprechen. Dazu hätte sich das ökumenische »Vaterunser« wohl am besten geeignet. Ich aber fürchtete, durch ein formelles Gebet die anwesenden Nichtgläubigen vor den Kopf zu stoßen oder wenigstens in Verlegenheit zu bringen, und schlug daher vor, eine Schweigeminute der Besinnung einzulegen, in der jeder auf seine Art meditieren könne. Zilk gratulierte mir anschließend zu dieser salomonischen Lösung, die der Situation jede Peinlichkeit ersparte und die Würde des Anlasses wahrte. Eine andere Episode, die sich mir unauslöschlich eingeprägt hat, hängt mit dem Begräbnis der Ex-Kaiserin Zita 1989 zusammen. Zilk besuchte das Re-
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quiem für die hohe Dame im Stephansdom, was ihm Ärger seitens der Wiener spö einbrachte. Im Allgemeinen genügte es, wenn der Vizebürgermeister Hans Mayr einsprang, um ihm die Wiener Partei, die bei Zilk den lokal-sozialistischen Stallgeruch vermisste, vom Leibe zu halten. In diesem Falle aber war zusätzliche Hilfe gefragt. Ich war im Rundfunk über Intervention Zilks in der Sendung »Im Journal zu Gast« zu Wort gekommen. Ich verteidigte Zilk und meinte, dass die verstorbene Zita schließlich Bürgerin einer kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt gewesen und der Besuch des Bürgermeisters von Wien ein Akt der Pietät und der historischen Kontinuität sei. Zilk dankte mir für diese Schützenhilfe, die ich ihm angedeihen ließ, und lud mich am kommenden Morgen zum Frühstück ins Rathaus ein. Er sagte zu mir : »Alle haben mich im Regen stehen gelassen, nur du bist mir zur Hilfe geeilt.« Ohne besonderen Anlass gab Zilk einmal ein Mittagessen für mich, das im Rathauskeller stattfand und an dem auch sein Sekretär Kurt Scholz teilnahm. Zu Beginn dieses Mahls betonte Zilk, dass diese Einladung dem lieben Norbert Leser und nicht dem Professor gelte. Bei dieser Gelegenheit machte Scholz den Vorschlag, ich sollte eine Biografie des Bürgermeisters schreiben. Zilk aber wehrte dies mit den Worten »Dazu bin ich viel zu unbedeutend« ab. Es ist aber dann doch einige Jahre später, 2003, zu einer Biografie gekommen, und zwar aus der Feder von Hans Werner Scheidl, der sich zu so etwas wie zu einem Stefan Zweig der »Presse« entwickelt und ein faszinierendes Bild der Persönlichkeit Zilks gezeichnet hat. Ich war bei der Präsentation dieses Buches im Rathaus anwesend. Zilk schrieb mir nur drei Worte in mein Exemplar : »Ich verehre Dich.« Zilk war nicht nur ein Medienstar, der auch nach außen wirkte und dessen Stimme alle und alles übertönte. Er war auch ein Arbeitstier und Energiebündel, der seine Kräfte nicht schonte, sondern sich gern verausgabte. Kurt Scholz sagte mir einmal, dass Zilk an einem Tag so viel arbeite wie sein Vorgänger Leopold Gratz die ganze Woche. Auch Helmut Zilk war den Genüssen des Lebens nicht abgeneigt, aber er kümmerte sich im Gegensatz zu Gratz, der sich die angenehmen Repräsentationsaufgaben vorbehielt und alles andere gern delegierte, auch um die kleinen und alltäglichen Dinge. Helmut Zilk hat sich, schon vor dem Bombenattentat im Dezember 1993, besonders aber nach ihm, stark verinnerlicht und hat sich in dem Maße, in dem er sich von der Freimaurerei verabschiedete, der katholischen Kirche angenähert. Er hat vom Krankenbett aus das Kreuz ins Fernsehen gehalten und damit nur das nach außen getragen, was sich in seinem Inneren längst abgespielt hatte. Er schildert die bewegende Begebenheit, dass er am Krankenbett, das zum Glück
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noch nicht sein Totenbett war, zusammen mit Kardinal König, der ihn besuchte, betete. Die Beziehung mit Dagmar Koller, die sogar in eine kirchlich geschlossene Ehe mündete, hat ihm nicht nur das Leben gerettet und bei dem Attentat vor dem Verbluten bewahrt, sondern ihn auch veredelt und geläutert, ohne dass er aufgehört hätte, ein sinnenfreudiger Mensch zu sein. Es war ihm trotz der schweren Krankheiten noch vergönnt, seinen achtzigsten Geburtstag zu feiern, zu genießen und noch einmal das von ihm so geliebte Bad in der Menge zu nehmen. Doch gelegentlich kam auch ihm ein Satz wie der »Man wird einsam« über die Lippen. Viel hat Helmut Zilk getan, um das Unrecht, das den Juden Wiens in der Nazizeit angetan wurde, so weit als möglich gut zu machen. Eine besondere Freundschaft verband ihn mit dem gebürtigen Wiener, dem langjährigen Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Kollek. Im Rahmen eines Herzl-Symposions, das ich mit veranstalten durfte, stellte er mich dem Alt-Wiener Veteranen mit so fulminanten Worten vor, dass Kollek mir eine fulminante Widmung in sein Buch schrieb. Auch das Denkmal am Albertinaplatz sollte der Erinnerung an die geschundenen Juden von Wien dienen und die Erinnerung an die Schande von damals festhalten. In Gesprächen über unseren Lebensweg stießen wir auf Gemeinsamkeiten, die wir auch mit vielen anderen Zeitgenossen teilten und die daher generationsspezifisch sind. Obwohl wir beide eine beachtliche Laufbahn eingeschlagen und mit Anstand und Bravour hinter uns gebracht haben, waren wir zu Beginn unserer Karriere doch nicht gegen Rückschläge und Zurücksetzungen gefeit. So wusste Zilk zu berichten, dass er mangels entsprechenden Schulerfolges von der Mittel- in die Hauptschule zurückgeschickt wurde. Auch mir erging es ähnlich : Bald nach meinem Eintritt in die Mittelschule wurden meine Eltern mit der Aufforderung konfrontiert, mich aus der Schule zu nehmen, da ich nicht dem Niveau einer Mittelschule entspreche. Erst die Intervention meines Volksschuldirektors führte zu einer Rücknahme dieser ersten Entscheidung. Dieses Beispiel zeigt, wie wenig der spätere Erfolg von den Anfangserfolgen oder -misserfolgen abhängt. Zilk und ich sind ungeachtet der ungünstigen Vorzeichen und Startschwierigkeiten beide, jeder in seiner Sphäre, begeisterte Schulmänner und Lehrer geworden. Dieses Beispiel lehrt aber auch, dass alles darauf ankommt, einen toten Punkt nicht als endgültig hinzunehmen, sondern von ihm aus den Kampf aufzunehmen. Eine andere Begebenheit, die Zilk berichtete, hat Parallelen in der Geschichte meiner Familie, aber wohl auch zahlreicher anderer. Zilks Vater drohte ihm den
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Liebesentzug an, wenn er, wie andere in seiner Schulklasse, zur Waffen-SS gehe. Zilk folgte nicht dem Ruf des Führers, sondern dem seines Vaters, der ihn sicher vor Unheil bewahrte. Etwas Ähnliches hat mir meine Mutter von einem ihrer Brüder berichtet, der als junger Mensch in eine Nazifamilie einheiratete und wahrscheinlich zur sa oder ss gegangen wäre. Seine Mutter aber nahm ihm am Totenbett das Versprechen ab, nicht zu einer dieser Formationen zu gehen, da dies mit einem Kirchenaustritt verbunden gewesen wäre. Mein Onkel grollte meiner Mutter damals, dass sie ihn an einer Karriere gehindert hatte, die wahrscheinlich eine kriminelle geworden wäre. Erst später erkannte er, vor welchem Unheil ihn seine Mutter bewahrt hatte. Auch Zilks Leben hätte wohl eine Wendung genommen, die seinen späteren Aufstieg verhindert hätte. Diese Beispiele zeigen, dass die Weisheit von nahen Angehörigen manchmal die Torheit der Jüngeren in Schach halten kann. In seiner Autobiografie »Meine drei Leben« spricht Zilk seine Bewunderung für jene aus, die »Versöhnung gesucht haben«, und erwähnt mich namentlich neben Günther Nenning und Zentralsekretär Karl Blecha. Auch diese Würdigung war eine Ermutigung für mich und ein Zeichen, dass ich mich auch mit meinen Abweichungen auf dem rechten Weg befunden habe, ganz im Sinne des Dichterwortes : »Der gute Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewusst.« Gleich Helmut Zilk habe ich mich bemüht, ein Brückenbauer zwischen den Lagern zu sein und die Einseitigkeiten reinen Parteidenkens zu überwinden. Leider hat mich Helmut Zilk nie in seine Sendung »Lebenskünstler« eingeladen, obwohl ich gut in sie gepasst hätte. Aber in dem vorliegenden Buche habe ich einiges, was zu diesem Thema zu sagen ist, ausgesprochen und dokumentiert. Die Erinnerung an Helmut Zilk ist mir dabei Pate gestanden. Wenn man versucht, das Wirken Helmut Zilks als Wiener Bürgermeister in größere historische Zusammenhänge einzuordnen, wird man gewahr, dass Zilk der Entwicklung der Stadt eine neue Dimension erschlossen und hinzugefügt hat. Der große Volksbürgermeister Dr. Karl Lueger, der wohl nach wie vor bekannteste und nachhaltigst wirksame in der Geschichte der Stadt, hat die Infrastruktur geschaffen bzw. ermöglicht, auf der alle Späteren aufgebaut haben und von der wir alle heute noch zehren. Das Rote Wien der Zwischenkriegszeit stellte zwar parteipolitisch einen Bruch mit der Lueger’schen Vergangenheit dar, indem das Proletariat an die Stelle der Kleinbürger, Handwerker und Beamten trat, die die Klientel Luegers gebildet hatten, kommunalpolitisch aber war es eine Fortsetzung und Verbreiterung des unter Lueger Begonnenen. In beiden
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Fällen war die Stadt eine solche der »kleinen Leute«, die nicht nur das allgemeine und gleiche Wahlrecht, das ab 1918 auch die Frauen umfasste, erobert hatten und in Anspruch nahmen, sondern auch in den Genuss der Leistungen der Stadtverwaltung für sie kamen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es unter sozialdemokratischen Bürgermeistern, unter denen vor allem Theodor Körner als Repräsentant des Wiederaufbaus hervorragte, nicht nur zur Beseitigung der Kriegsschäden und zur Fortsetzung der in der Ersten Republik begonnenen Wohnbaupolitik, sondern auch zu einer geistigen Vertiefung und neuen Zugänglichkeit der Stadt, im Besonderen des Rathauses und des Rathausplatzes. Zilk als begnadeter Kommunikator und Mann der Öffnung setzte Taten, die durchaus historische Dimension haben und sich würdig an volkstümliche Projekte der Vergangenheit anreihen. Kaiser Josef hat die Praterauen und den Augarten dem Volke erschlossen und der Aristokratie als privilegierter Aufenthaltsort entrissen. Unter Zilk hat auch das Rathaus den Charakter als bloß bürokratisches Gehäuse und Glanzlicht der Ringstraßenarchitektur verloren und hat die Menschen eingeladen, es nicht nur zu besonderen Anlässen zu besuchen und sich in seinen Räumen wohlzufühlen. Es lag in der Tendenz Zilks, zum Teil aber schon seiner Vorgänger, auch die bildungsfernen Schichten durch Wiener Vorlesungen volksbildnerisch anzuwerben und auch den Rathausplatz in den Sommermonaten zu einem Tummelplatz der Wiener zu machen, die sich dort nicht nur laben und vergnügen, sondern auch konzentriert Kultur genießen können. Damit wurde bewusst an die Traditionen der Ersten Republik, die Kultur des Volks zu pflegen und das Volk an die Kultur in ihren mannigfachen Erscheinungsformen heranzuführen, angeknüpft. Zilk war ein Popularisator, der auch das Populistische nicht immer scheute, wenn es dazu beitragen konnte, die Bürger und Bürgerinnen der Stadt in das öffentliche Leben und Geschehen einzubeziehen. Jedenfalls ist es keine Übertreibung, wenn man Helmut Zilk als ersten bewussten Medienbürgermeister bezeichnet, der auf dem Klavier der Medien souverän spielte, ohne ins Banale und Triviale abzugleiten. In diesem Sinne war er nicht nur ein langdienender Wiener Bürgermeister, der ein Jahrzehnt dominierte, sondern stellte auch einen Qualitätssprung, hinter den nicht mehr zurückgegangen werden kann, dar.
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Otto von Habsburg »Der hohe Herr«
Unter den vielen Persönlichkeiten, deren Weg ich im Laufe meines Lebens kreuzte bzw. sie den meinen, nimmt Otto Habsburg den wohl wichtigsten Platz ein, weil er alle Anderen an Herkunft, Vielfältigkeit der Aktivitäten und Dauer eines nun schon fast hundert Jahre währenden Lebens überragt. Er ist wirklich, wie der englische Schriftsteller und Otto-Biograf Gordon Brook-Shepherd im Titel seines Buches über Otto aussagte »The Uncrowned Emperor«, der unge krönte Herrscher, der keinen Thron bestiegen hat, dem aber viele gekrönte Häupter an Größe und persönlichen Qualitäten nachstehen. Für mich war Otto von Habsburg immer schon ein Begriff, wenn auch mehr als Schemen denn als lebendiges Wesen. Solange ich noch parteitreu und der hoffnungsvolle junge Mann im Gefolge Bruno Kreiskys war, hinterfragte ich den »Habsburgerkannibalismus«, dem die spö laut Günther Nenning verfallen war, kaum. Ja, als es 1963 zur innenpolitischen Krise rund um die Rückkehr Otto Habsburgs nach Österreich kam, unterstützte ich Christian Broda, der im Kampf Pittermanns gegen das Habsburgergespenst federführend war und im Zusammenhang mit dem Verwaltungsgerichtshoferkenntnis vom 24. Mai 1963, das Otto die Rückkehr ermöglichte, von einem »Juristenputsch« sprach, noch publizistisch. Es dauerte aber nicht lange, bis ich sowohl die Inszenierung des Parteitages 1963, der ganz im Zeichen der Abwehr einer eingebildeten Gefahr stand, als auch die damit im Zusammenhang stehende Inszenierung des Parteiausschlusses von Franz Olah als ein Komplott zur Ablenkung von den wahren innerparteilichen Problemen durchschaute. In dem Maße, in dem dies geschah, kühlte auch mein Verhältnis zu Christian Broda, das jahrelang ein sehr enges gewesen war, ab. Ich begann die Abneigung, die Kreisky gegen Broda hatte, obwohl er ihn in Ermangelung einer Alternative in seiner Ära zum Justizminister machte, zu teilen, obwohl ich die Justizreformen nach wie vor für echte gesellschaftliche Fortschritte halte. Es sollte noch ein Jahrzehnt dauern, bis ich einen Anlass fand, meine positiv revidierte Auffassung über Otto von Habsburg und die Habsburger insgesamt publik zu machen. Im März 1974 nahm ich in der »Zukunft« gegen eine These des in England lebenden österreichischen Historikers J. W. Brügel Stellung, und
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Otto von Habsburg
zwar unter dem Titel mit der rhetorischen Frage : »Gab es eine k. k. Sozialdemokratie ?« Brügel hatte nämlich eine These vertreten, die mich zum Widerspruch als Historiker der Sozialdemokratie, zu dem ich mich schon entwickelt hatte, herausforderte. Brügel hatte behauptet, dass die Sozialdemokratie immer schon gegen das alte Österreich und die Monarchie war und diese republikanische Haltung nur aus Angst vor der Zensur und anderen Sanktionen verschleierte. Ich antwortete, dass es keine Belege für diese These gäbe, weder in parteioffiziellen Dokumenten noch in Briefen und sonstigen privaten Äußerungen maßgeblicher Sozialisten. Nicht nur Karl Renner, sondern auch Victor Adler boten den Völkern Österreichs bis zuletzt das Verbleiben im gemeinsamen Staatsverband an und sahen in der monarchischen Regierungsform kein Hindernis für die Verwirklichung sozialdemokratischer Zukunftsperspektiven. Und in der Tat waren ja das allgemeine Wahlrecht (wenn auch unter Ausschluss der Frauen) und sozialpolitische Maßnahmen, wie der Kündigungsschutz und Zinsstopp als Vorläufer des Mieterschutzes der Ersten Republik, noch im Rahmen der Monarchie durchgesetzt worden, ja sind, wie die letztgenannten Schutzbestimmungen, auf Initiative Kaiser Karls erfolgt. Der Fortbestand der Monarchie und des Vielvölkerstaates wäre der Verwirklichung sozialdemokratischer Ziele also durchaus nicht im Wege gestanden. Die Haltung der Sozialdemokratie gegenüber dem alten Österreich änderte sich freilich schlagartig mit dessen Ende. So wie gleich nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs die bis dahin bezogene pazifistische Linie einem Hurrapatriotismus wich, so verwandelte sich die bis dahin staatstreue k. k. Sozialdemokratie, ein Ausdruck, der nicht erst im Rückblick entstand, sondern durchaus zeitgenössisch war, in eine streng republikanische Partei, die ihre eigene Vergangenheit verfälschte, indem sie sich im Widerspruch zu den historischen Tatsachen zur Zerstörerin der alten Ordnung und zur Schöpferin der Republik hochstilisierte. Die Versuchung, eine Republik und eine Revolution, die zu ihr geführt hatte, für sich reklamieren zu können, ohne sie eigentlich gemacht haben zu müssen, war doch zu verlockend, um ihr widerstehen zu können. Um die Haltung glaubwürdiger gestalten zu können, datierte man den republikanischen Eifer nicht nur zurück, sondern überschüttete das alte Österreich mit Spott und Hohn. Mein verehrter Lehrer August Maria Knoll sagte in seinen Vorlesungen wiederholt, dass die Hetze gegen die Kirche und das alte Österreich, in der sich vor allem die »Arbeiter-Zeitung« hervortat, kleinbürgerliche Schichten, deren Interessen bei der Sozialdemokratie an sich gut aufgehoben gewesen wären, der Sozialdemokratie entfremdeten und sie in eine Front mit dem Bürgertum hineinzwang.
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Meinen Beitrag aus der »Zukunft«, der diese und andere Gedanken enthielt, auf die J. W. Brügel keine Antwort mehr hatte, schickte ich an Otto Habsburg nach Pöcking. Ich erhielt eine nicht bloß höfliche Bestätigung des Erhalts meiner Sendung, sondern ein ausführliches Schreiben, dessen markantester Satz mir in dauernder Erinnerung geblieben ist. Otto schrieb nämlich damals, er bedaure es sehr, dass sein seliger Vater es nicht mehr erleben durfte, einen so habsburgerfreundlichen Artikel in einer sozialdemokratischen Zeitschrift lesen zu können. Dabei war mein Aufsatz keine Liebedienerei gegenüber Otto oder dem Hause, sondern nur die mir geboten erschienene Zurechtrückung und Anerkennung historischer Tatsachen. Es sollte wieder geraume Zeit vergehen, bevor es zu einer persönlichen Begegnung mit Otto von Habsburg kam. Soweit ich mich erinnere, kam diese erst Jahre später am Frauenberg bei Admont zustande, wo Otto wiederholt in der Woche vor der Karwoche im Rahmen einer Veranstaltung der dortigen landwirtschaftlichen Fachschule als Teilnehmer und Redner auftrat. Auch der Südtiroler Senator Peter Brugger, der mich einmal in sein Haus bei Bozen einlud, war unter den Teilnehmern. Es sollten weitere Jahre ins Land gehen, bevor es zu einer engeren Bindung an eine katholische Landsmannschaft, deren oberster Chef und Bandinhaber Otto war und ist, kam. 1986 erhielt ich eine Einladung, als sogenannter »alter Herr«, also als Ehrenmitglied, in diese Mutterverbindung der katholischen Landsmannschaften, die 1921 gegründet worden war, einzutreten. Ich nahm einige Male an Kommersen und Kneipen, aber auch an Ausflügen dieser Verbindung teil und fühlte mich in diesem Kreis adretter junger Männer mit guten Manieren und christlichem Hintergrund sehr wohl. Ich bedachte damals nicht, dass die Annahme dieses Ehrenbandes meine Entfremdung gegenüber meiner Partei verstärken würde. Ich bereue aber diesen Schritt trotzdem keineswegs, weil ich ihm viele schöne Stunden und wertvolle Freundschaften verdanke. Viele fanden es erstaunlich, dass ich mich auf meine alten Tage zu einem solchen Schritt und Anschluss an die Jugend bewegen ließ. Doch vielleicht waren es bei mir ähnliche Motive wie in einem anderen mir bekannt gewordenen Fall, der mir durch einen Wiener Hörer zur Kenntnis gelangte. Zunächst konnte ich es gar nicht glauben, aber Fotoaufnahmen überzeugten mich von der Richtigkeit des Berichteten. Der Hörer, der heute als Verlagslektor in Graz tätig ist, hatte mir berichtet und dann vor Augen geführt, dass der ehemalige kommunistische Chef der Staatspolizei, den der sozialistische Innenminister Oskar Helmer später aus seinem Amt entfernte, Hofrat Dr. Heinrich Dürmayer, in seine frühere
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Otto von Habsburg
Studentenverbindung, in das liberale Korps namens Marchia zurückgekehrt und plenis coloribus reintegriert worden sei. Damals stellte ich die Frage und behandelte sie auch in einer Kolumne in der »Furche«, die mehrfach nachgedruckt wurde und mich in Couleurkreisen mehr bekannt machte als alles sonst : Was kann einen Alt-Kommunisten und Spanienkämpfer, der im Falle einer volksdemokratischen Entwicklung in Österreich, die die Sowjets ursprünglich ja anstrebten, die Rolle eines kleinen Beria gespielt hätte, dazu bewegen, in seine alte Verbindung, die noch dazu farbtragend und schlagend, also mensurbehaftet, war, zurückzukehren und dort Unterschlupf nach einer zum Glück gescheiterten kommunistischen Karriere zu suchen. Ich schrieb damals, dass es wohl eine schönere Perspektive gewesen sein müsse, Kappe und Band ins Grab nachgeworfen zu erhalten als Hammer und Sichel oder – wie in meinem Falle – das Parteiemblem der drei Pfeile. Tatsächlich haben weder die Sozialdemokratie noch die zusammengeschrumpften Rest-Kommunisten nach dem Abklingen, ja Verklingen des revolutionären Pathos alter Kampflieder außer einer öden Geselligkeit ohne Farbe und Farbigkeit, ohne Spiel und Spaß, nichts zu bieten, was jüngere, aber auch ältere Menschen anziehen oder animieren könnte. Die Verbindungen der verschiedensten Observanz aber tragen dem Bedürfnis, im Kreis Gleichgesinnter tafeln und singen zu können, nach wie vor Rechnung. Es muss, wie mein Beispiel zeigt, nicht gerade der cv sein, der solche Auflockerungen des grauen Alltags bereithält und in »Buden«, wie die Kneiplokale auch genannt werden, anbietet. Ich betrachtete und betrachte meine Altersaktivität in der Landsmannschaft als den Versuch, die von der spö verleugnete und verdrängte k.u.k. Sozialdemokratie in eine noch gepflegte schwarz-gelbe Tradition einzubringen und zu beheimaten, so wie ich es als eine meiner Lebensaufgaben angesehen habe und ansehe, die wertvollen Elemente beider historischer Lager in einer gelebten schöpferischen Synthese zusammenzuführen. Denn das alte wie das neue Österreich und die beiden politischen Lager enthalten wertvolle Elemente, die zu verbinden und zu verbrüdern sich lohnt. Dies überfordert aber offenbar das Verständnis vieler Zeitgenossen und vor allem vieler Parteifreunde. Dabei sollte ein einfacher Vergleich veranschaulichen, wie anachronistisch diese Haltung ist. Vor nicht allzu langer Zeit, während des »Tausendjährigen Reichs«, das zum Glück nur zwölf bzw. in Österreich sieben Jahre dauerte, galt das Prinzip der Reinrassigkeit. Als vollwertig galt nur der, der eine lückenlose »arische« Abstammung nachweisen konnte. Heute erscheint uns dieser Standpunkt, der so viel Leid über ungezählte Menschen brachte, nicht nur überwunden, sondern überhaupt unverständlich.
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In der politischen Farbenlehre aber gilt kurioserweise noch immer das Prinzip der Einfarbigkeit, Mischlinge sind im Sinne dieser Logik verdächtig. Man muss, um für voll genommen zu werden, entweder ganz schwarz oder ganz rot, allenfalls noch blau sein. Man gilt aber für beide Seiten als unsicherer Kantonist, wenn man sich dieser Einfarbigkeit und Einseitigkeit nicht beugt, sondern danach trachtet, die Werte beider oder sogar mehrerer Traditionen zu kombinieren. Die Überzeugung, dass die herrschende Einsinnigkeit eine Verengung der persönlichen Perspektive und der historischen Betrachtung darstellt, ist jedenfalls noch nicht Gemeingut geworden. Nach dieser ersten persönlichen Fühlungnahme am Frauenberg ist es in der Folge zu zahlreichen Begegnungen mit dem »hohen Herren«, wie Otto in seiner Umgebung ehrfurchtsvoll genannt wird, gekommen. Jedes Mal war es ein Erlebnis, mit diesem Mann zu sprechen und zu erleben, dass einen 800 Jahre habsburgische Geschichte anblicken, mit allen Höhen und Tiefen, die diese Geschichte mit sich brachte und den Erben prägte. Auch im persönlichen Umgang ist Otto Habsburg frei von jeder Großmannssucht und jenem Dünkel, den man niederrangigen Aristokraten oft nachsagt. Einer der Anlässe war der 75. Geburtstag, den ich im quasifamiliären Kreis im Braurestaurant des Klosters Andechs in Bayern begehen durfte. Ottos Tochter Walburga gab damals eine Festschrift heraus, in deren Rahmen ich meine Gedanken über die k. k. Sozialdemokratie weiter ausbaute. Walburga Habsburg ist im Übrigen unter den auch sonst erfolgreichen sieben Kindern Otto Habsburgs besonders bemerkenswert, als sie durch Heirat mit Archibald Graf Douglas nach Schweden verschlagen wurde, dort politische Karriere machte und sogar in den Reichstag gewählt wurde. Den 90. Geburtstag verbrachte Otto mit seiner inzwischen verstorbenen Frau Regina bei einem Festakt in der Nationalbibliothek. Auffällig und erwähnenswert war für mich, dass Regina Habsburg im Gegensatz zu Mitgliedern der feinen Gesellschaft, die ihren Reichtum zur Schau stellen, überaus einfach gekleidet war, ohne dass man dies als gekünstelte Tiefstapelei empfunden hätte. Es passte zum Lebensstil dieser hochrangigen, aber einfach gebliebenen Frau, dass sie nicht durch äußeren Prunk hervorstechen und wirken wollte, trotzdem aber, ja gerade deswegen eine natürliche Würde ausstrahlte. Der 95. Geburtstag, den Otto Habsburg 2007 im zum Stift Klosterneuburg gehörigen Schüttkasten feierte und der eine Art Verabschiedung des Hochbetagten, der geistig noch immer voll präsent war, aber bereits die Spuren des hohen Alters aufwies, darstellte, wird allen Beteiligten unvergesslich bleiben. Ich
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Otto von Habsburg
saß in dem großen Saal, der einige hundert Menschen beherbergte, ziemlich nahe von ihm und bat ihn um ein Autogramm in eines seiner Bücher. Es war mehr als ein Namenszug, mit dem er mich bedachte und gleichzeitig würdigte. Seine Worte »in jahrzehntelanger Freundschaft« besiegelten den Bund, den wir schon Jahrzehnte vorher unter der Ägide seines Vaters geschlossen hatten. An diesem Abend ließ ich die zahlreichen Feste, Feiern und sonstigen Begegnungen Revue passieren. Im Rahmen dieser Revue kam nicht nur sein Vater, sondern auch meine eigene Mutter ins Spiel. Den 70. Geburtstag, den Otto Habsburg im Dezember 1982 im Palais Auersperg in Wien beging, durfte ich mit meiner damals noch lebenden Mutter Jolanthe mitfeiern. Beim Empfang kam es zu einer rührenden Szene. Meine Mutter zeigte Otto Habsburg ein Foto, auf dem sie als Gymnasiastin zusammen mit ihren Schulkolleginnen bei einem der beiden Restaurationsversuche Kaiser Karls in Ungarn zu sehen war. Meine Mutter, die das Mädchengymnasium in Steinamanger, dem ungarischen Szombathely und dem altrömischen Savaria, besuchte, rückte zur Begrüßung des Kaisers bzw. Königs aus, wohl nicht aus eigenem Antrieb, sondern deshalb, weil der kaiserbzw. königstreue Bischof Graf János Mikes die Mädchen, Fähnchen haltend und schwingend, zur Begrüßung Karls zusammenströmen ließ. Doch abgesehen von solchen Sentimentalitäten, deren man sich aber durchaus nicht schämen sollte, gibt es objektive Gründe genug, Otto Habsburg zu huldigen. Er wäre sicher ein großartiger Herrscher gewesen und schrammte auch zweimal daran vorbei, eine Präsidentschaft zu bekleiden, ja sogar einen Thron zu besteigen. Ersteres wäre in Ungarn nach dem Zusammenbruch des Kommunismus möglich, ja in Reichweite gewesen. Die andere Möglichkeit, die sich ihm tatsächlich eröffnete, die er aber nach längeren Gesprächen mit dem spanischen Diktator General Franco ablehnte, wäre die ihm von diesem offerierte Übernahme des historischen österreichischen Throns nach seinem Ableben gewesen. Otto Habsburg empfahl Franco stattdessen die Einsetzung des nunmehrigen Königs Juan Carlos I., der dann auch tatsächlich den Thron bestieg, später aber nicht zu einem Helfershelfer putschender faschistischer Militärs, sondern zu einem Anwalt und Verteidiger der Demokratie wurde, die heute unangefochten in Spanien herrscht. Dies ist ein historisches Beispiel dafür, dass Monarchie und Demokratie einander nicht nur nicht ausschließen, sondern wertvoll stützen und ergänzen können. Auch in Österreich hätte eine »soziale Monarchie« durchaus Aussicht gehabt, beide Komponenten ideal zu kombinieren. Doch es sollte anders kommen. Otto Habsburg, dem es so wie seinem Vater versagt blieb, Träger einer solchen »sozialen Monarchie« zu werden, hat dennoch
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im Rahmen der ihm nach dem Zusammenbruch des alten Österreich verbliebenen Möglichkeiten viel für Österreich geleistet, und er hätte noch mehr leisten können, wenn man ihn nicht daran gehindert hätte. Es steht jedenfalls, wenn auch als unverwirklichte Möglichkeit, als eine Art »ungeschehene Geschichte« (Alexander Demandt) mit goldenen Lettern in das Buch der Ewigkeit, die auch das Unverwirklichte einbezieht und den Gegensatz zwischen dem tatsächlich Geschehenen und dem bloß Gewollten relativiert, eingetragen, dass Otto Habsburg als blutjunger Erzherzog bereit war, sein Leben aufs Spiel zu setzen und sich an die Spitze eines Volksaufstandes gegen Hitler und den Einmarsch deutscher Truppen zu stellen. Vielleicht wäre die ganze Weltgeschichte anders verlaufen, wenn Hitler schon im ersten Land, das er eroberte und überrannte, auf Widerstand gestoßen wäre. Es ist kein Zufall, dass der Überfall auf Österreich im Stadium der Planung den Namen »Operation Otto« verpasst bekam. Doch Schuschnigg zog es in Fortsetzung jener Halbheit vor, die Grillparzer als dem »Fluch von diesem edlen Haus« bezeichnet hatte, die aber gerade ein junger Habsburger überwinden sollte, kampflos der Gewalt zu weichen, eine Haltung, die Otto Habsburg mit den Worten »Nicht geschossen ist auch verfehlt« bzw. »Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben« kommentierte. Auch in der amerikanischen Emigration bemühte sich Otto Habsburg um das Zustandekommen einer Exilregierung, die aber an der mangelnden Einigkeit der Emigrantengruppen scheiterte, wie auch die von ihm befürwortete Installierung und Mobilisierung eines österreichischen Bataillons, das aufseiten der Alliierten für die Befreiung Österreichs kämpfen sollte. Die Angst vor der Größe dieses Mannes, der auch ohne Thron alle überragte und eine universale Perspektive hatte, war vor 1945 und nach 1945 zu groß, sodass Otto Habsburg nicht in die Lage kam, seine polyglotte Weltläufigkeit zugunsten Österreichs einzusetzen. Franz Josef Strauß erkannte die Bedeutung dieses Mannes und vertraute ihm nicht nur einen bayrischen Wahlkreis an, sondern ließ ihn im Europaparlament im Dienste der Bundesrepublik, ja des viel größeren europäischen Gedankens walten. In Österreich kam es zwar nach der von ihm am 31. Mai 1961 abgegebenen Verzichtserklärung und nach dem beschämenden Zwischenspiel einer beispiellosen Habsburgerhetze zu dem historischen Handschlag zwischen Bruno Kreisky und ihm am 4. Mai 1972. Otto hatte auf alle Rechte, die aus seiner dynastischen Rolle erwachsen wären, verzichtet, Österreich aber hatte schon vorher darauf verzichtet, die einmalige Kapazität dieses Mannes für Österreich zu nützen. Es war wiederum kein Zufall, dass dieser historische Hand- und Brückenschlag im Rahmen einer Tagung der Paneuropäischen Union zustande kam.
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Otto von Habsburg
Der Ahnherr dieser Union, Graf Richard Nicolaus Coudenhove-Kalergi (1894– 1972), war ein Vorkämpfer der europäischen Einigung, der zunächst vergeblich gegen den verblendeten Nationalismus der Zwischenkriegszeit ankämpfte, aber durch die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg gleich Otto Habsburg eine glänzende Rehabilitation seiner Bemühungen erlebte.
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Julius Meinl III. (1903–1991) Grandseigneur der alten Schule .
Als Junggeselle, der sich meist in Restaurants, Beisln und beim Heurigen verköstigt, kaufe ich seit jeher wenig ein, das wenige aber soll dafür von besonderer Qualität sein. Ich denke mit Wehmut an die Zeit zurück, in der es noch möglich war, diese Einkäufe in nahegelegenen Meinl-Filialen zu tätigen. Schon der als Logo fungierende Knabe mit dem roten Fes auf gelbem Grund, den ich niemals als Angehörigen einer anderen Rasse, sondern als netten Buben, der noch dazu die Handreichung mit einer Schale Kaffee andeutete, empfunden habe, war eine Verlockung, in einem unter diesem Zeichen firmierenden Geschäft einzukaufen. Die Ware war zwar etwas teurer als in den sonstigen Geschäften, aber dafür von besonderer Qualität, und die Bedienung war zuvorkommend und auf den individuellen Geschmack eingehend, waren die Lehrlinge doch in einer eigenen Schule, in der nicht nur auf Sachkenntnis, sondern auch auf gute Manieren und gepflegtes Äußeres Wert gelegt wurde, ausgebildet. Heute muss man, wenn man nicht das Glück hat, einen Greißler aus der aussterbenden Spezies der guten, alten Zeit in Reichweite zu haben, mit einer lieblosen Abfertigung in einer Billaoder sonstigen Kette vorliebnehmen, wo der Einkauf aufhört, ein Vergnügen und ein Seelenbad zu sein, sondern zu einer mechanischen Verrichtung herabsinkt. Ich genoss also, solange es die Meinl-Geschäfte noch gab, die dortige Atmosphäre und das dort Erworbene. Ich hätte mir nie gedacht, dass ich einmal in die Lage kommen würde, einen Vertreter, ja ein Haupt dieser Dynastie persönlich kennenzulernen und mit ihm sogar ins Gespräch zu kommen. Es sollte aber doch eines unerwarteten Tages zu einer solchen Begegnung kommen, die mir auch Gelegenheit bot, meine Zufriedenheit mit dem Meinl-Betrieb einem Maßgeblichen gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Und diese Begegnung kam folgendermaßen zustande : 1980 trat ich an den damaligen Kulturstadtrat Helmut Zilk mit dem Ansinnen heran, während der Wiener Festwochen eine Ringvorlesung über »Das geistige Leben Wiens in der Zwischenkriegszeit« zu veranstalten und damit eine im deutschen Hochschulbetrieb längst etablierte Form der volksbildnerischen Kommunikation auch nach Österreich zu verpflanzen. Zilk nahm die Anregung dankend auf und ließ mir freie Hand,
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Julius Meinl III.
welche Themen und welche Referenten, die diese Themen bearbeiten sollten, einzuladen seien. Ich ließ meine Kenntnisse und meinen Erfindergeist spielen, und es gelang mir, über zwanzig Persönlichkeiten nach Wien und in Wien zu Gehör zu bringen. Unter den Eingeladenen waren solche, die vorher noch nie die Ehre einer Einladung durch die Stadt Wien erlebt hatten, darunter z. B. der Sohn des Begründers der Individualpsychologie, Kurt Adler. Die Ringvorlesung fand vom 19. Mai bis 20. Juni 1980 in den Räumen des Internationalen Kulturzentrums, dem ehemaligen Palais des Erzherzogs Karl, statt und erfreute sich lebhaften Zuspruchs. Um diese wertvolle Akkumulation von Geistigkeit nicht auf die damaligen Zuhörer zu beschränken, leitete ich eine Veröffentlichung der Referate und zum Teil auch der Diskussion unter den Teilnehmern dieses Symposions in die Wege. Auch dafür konnte ich die Hilfe Helmut Zilks in Anspruch nehmen, sodass schon ein Jahr später, 1981, ein stattlicher Band von mehr als 300 Seiten im Österreichischen Bundesverlag erscheinen konnte. Auch der Rundfunk, Ö1 mit seiner Sendung »Tag für Tag«, nahm sich des Themas an und lud mich zu einer Aussprache im Rahmen dieser Sendung ein. Wenige Tage nach dieser Sendung erhielt ich den Anruf des damaligen Chefs der Meinl-Dynastie, Julius Meinl, des Dritten. Er lud mich zu einem Mittagessen in seiner im Dornbacher Cottage gelegenen Villa ein. Auch seine Gattin nahm an diesem Treffen teil, es kam zu einer angeregten Diskussion. Der alte Herr gestand mir, dass meine Präsentation Erinnerungen an längst vergangene, glanzvollere Zeiten in ihm erweckt habe und dass es ein großes Verdienst meinerseits sei, die Schätze einer besseren Vergangenheit ans Licht zu heben. Er deutete auf den Platz, den ich an der Tafel des Mittagessens einnahm, und sagte dazu : »Dort, wo Sie jetzt sitzen, sind einst Lammasch und Seipel gesessen.« Natürlich waren mir diese Namen ein Begriff und auch die Friedensinitiative, die der Vater des Gastgebers, Julius Meinl II., 1917 entfaltet hatte, um einen Friedensschluss mit den Ententemächten herbeizuführen und dem sinnlosen Blutvergießen ein Ende zu setzen. Geraume Zeit später erfuhr ich, dass der Enkel Meinls III., der jetzige Julius Meinl V., eines Abends mit seiner Großmutter, also der Gattin des damals Einladenden, in die Oper gegangen sei. Nach der Vorstellung und während des Schlussapplauses brach Meinls Großmutter tot zusammen, und der Enkel hatte nun die schwere Aufgabe, seinen Großvater mit dieser erschütternden Tatsache zu konfrontieren. Damals muss ihm wohl die Vergänglichkeit des Lebens und alles Irdischen, hoffentlich auch die von Besitz und Reichtum, zum Bewusstsein gekommen sein.
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Nach diesem Vorfall, der sein ganzes Leben veränderte, lud mich der Grandseigneur Meinl noch einmal, zusammen mit einem Professorenkollegen von der Wirtschaftsuniversität, zu einem Mittagessen ein. 1991 verstarb Julius Meinl III. im gesegneten Alter von 88 Jahren. Mir ist er in diesen beiden Begegnungen zu einem unvergesslichen Zeitzeugen, der eine große Ära repräsentierte, in Erinnerung geblieben. Angeregt durch diese Begegnungen habe ich mich dann eingehender mit den Friedensbemühungen beschäftigt, die Julius Meinl II. unternommen hatte, um der Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen. Leider sind diese Bemühungen gescheitert, für sie aber gilt das lateinische Zitat : »in magnis et voluisse sat est«, womit Properz in seinen »Elegien« sagen wollte, dass es bei den großen Dingen und Vorhaben genügt, sie gewollt, wenn auch nicht erreicht zu haben. Der Altmeister der österreichischen Geschichtsschreibung, Heinrich Benedikt, dessen Leben von 1886 bis 1981 fast ein ganzes Jahrhundert umspannte, hat 1962 im Böhlau Verlag eine Sammlung von Dokumenten zur »Friedensaktion der MeinlGruppe 1917/18« herausgegeben, die eindrucksvolle Zeugnisse von durchaus realistischen Schritten zur Herbeiführung eines Verständigungsfriedens statt eines Siegfriedens, von dem vor allem der deutsche Generalstab damals noch träumte, zustande zu bringen. Meinl II. war in diesem Streben durchaus kein Einzelkämpfer, sondern stand in enger Fühlung mit Kaiser Karl und bildete zusammen mit dem Völkerrechtler und späteren letzten Ministerpräsidenten Professor Heinrich Lammasch und dem aus einer assimilierten jüdischen Familie stammenden Historiker Josef Redlich, dessen von Fritz Fellner ediertes Tagebuch eine Fundgrube zeitgeschichtlicher und biografischer Einblicke darstellte, ein Triumvirat, das Aussicht gehabt hätte, ein Friedenskabinett zu werden, wenn die Pläne Meinls, der seine ausländischen Verbindungen benützte, um den Frieden Wirklichkeit werden zu lassen, aufgegangen wären. Doch die gut gemeinten, aber mit wenig diplomatischem Geschick angestellten Versuche Kaiser Karls, über seine Gattin Zita Friedensfühler nach Frankreich auszustrecken, durchkreuzten die Pläne Meinls eher, als dass sie sie, wie es notwendig gewesen wäre, ergänzten. Die »Sixtus-Affäre« erwies sich als Eigengoal und zwang Kaiser Karl zu einem demütigenden Dementi. Aber auch ohne diese Komplikationen ist es fraglich, ob den Friedensinitiativen Erfolg beschieden gewesen wäre. Österreich hatte sich zu lang und zu eng an Deutschland gekettet, um rechtzeitig von dieser Waffenbrüderschaft loszukommen. Meinl, der ein Weltmann war und schon frühzeitig ein Büro für Kaffee- und Teeimport in London errichtet hatte, dachte dementsprechend in weltmännischen und welthistorischen Kategorien. Er war
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maßgeblich an der Gründung der politisch-literarischen Wochenschrift »Der Friede« beteiligt, die von Jänner 1918 bis Sommer 1919 erschien und an der alle guten und großen Geister, über die Österreich verfügte, zu Worte kamen, unter ihnen Egon Erwin Kisch, Alfred Polgar, aber auch deutsche Mitstreiter wie Thomas Mann und René Schickele. Parallel zu der Gründung der Zeitschrift, ja schon zur Jahreswende 1915/16, gründete Meinl II. zusammen mit dem Großindustriellen Max Friedmann die »Österreichische Politische Gesellschaft«, die eine Plattform für zahlreiche Vorträge abgab, die meist in der Johannesgasse 20 stattfanden. Der Diplomat Meinl II. kannte die katastrophale Ernährungslage der Bevölkerung besser als alle anderen, sie war für ihn ein Grund mehr, dem sinnlosen Blutvergießen eine Ende zu setzen. Sein Einsatz aber war in erster Linie durch das Bestreben motiviert, das alte Österreich zu erhalten und die Nationen, die auseinanderstrebten, dessen ungeachtet in einem gemeinsamen Staatsverband zusammenzuhalten. Er erkannte vor allem die Gefahr, die in den Sudetenländern im Falle eines Auseinanderbrechens des alten Österreich drohte. Seine Warnungen erfolgten im Anschluss an die Aussagen des tschechischen Historikers Jan Palacky, der bekanntlich sagte, dass man Österreich erfinden müsste, wenn es nicht schon existierte, und dass die Länder, die die spätere Tschechoslowakei bildeten, im Falle eines Verschwindens des alten Österreich entweder eine Beute Russlands oder Deutschlands würden, was sie infolge der verfehlten Politik der Siegermächte, die das alte Österreich zum Abschuss freigaben, statt es zu erhalten, auch wurden. Der Diplomat Meinl erkannte auch frühzeitig, dass der Anschluss an Deutschland keine gute Lösung für Österreich sei. Die Fortsetzung der Waffenbrüderschaft konnte nur neues Unheil heraufbeschwören. Jedenfalls erfüllte sich die Mahnung, die Karl Renner schon 1914 ausgesprochen hatte : »Denn was heute die Voraussicht der Herrschenden im Rahmen dieser Staatsgrenzen nicht vollzieht, wird morgen das Schwert vollbringen gegen diesen Staat.« Die Sünden der herrschenden Klassen und Herrenvölker, der entfesselte Nationalismus und die Absicht der Siegermächte, das alte Österreich aufzugeben, wirkten in unheilvoller Weise zusammen, um das eintreten zu lassen, was nicht nur kein Segen für die Völker war, die sich endlich frei wähnten, sondern auch die Saat für einen in Deutschland entstehenden und unter Hitler zur Macht gelangten Revanchismus und damit zum Zweiten Weltkrieg darstellte. Persönlichkeiten wie Meinl haben, eben weil sie nicht bloß Geschäftsleute, sondern auch Männer von Format und Welt waren, letzten Endes auch das Tausendjährige
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Reich, das Julius Meinl III. mit seiner jüdischen Frau verließ, um den Krieg in England zu überdauern und die während der Nazidiktatur unter kommissarischer Verwaltung stehende Firma wiederaufzubauen, überlebt. Angesichts der großen Erfolge, die die Firma Meinl seit Beginn des 20. Jahrhunderts aufzuweisen hatte, nimmt sich die gegenwärtige Situation unter Julius Meinl V. eher trist aus. Es drängen sich Parallelen zu wirklichen und literarisch stilisierten Verfallsgeschichten von Familien, wie die »Buddenbrooks« von Thomas Mann, auf. Die Geschichte des Hauses Meinl lehrt jedenfalls, dass man mit Bankgeschäften wesentlich mehr Geld verdienen kann als mit Kolonialwaren und Geschäftsnetzen, dass man aber auch viel größeren Schaden an Geld und Ansehen erleiden kann als mit dem solideren Reichtum der Vergangenheit. Trotzdem wäre es verfrüht, den jetzigen Träger der Dynastie als den Letzten abzuschreiben, zumal es einen jungen Sohn gibt, der in England eine ebenso gute Ausbildung genießt wie seine Vorfahren. Eine große Unternehmung wie die Meinls kann auch Verluste, die nun einmal, für die Bank, aber auch für die Anleger, zum Geschäft gehören, verkraften, wenn es nicht gelingt, nachzuweisen, dass diese Verluste in betrügerischer Absicht und voll arglistiger Täuschung entstanden sind. Der Mohr lässt jedenfalls, auch wenn er nicht mehr als Logo fungiert, bis auf Weiteres grüßen.
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Günther Nenning (1921–2006) Der wandlungsreiche Proteus
Günther Nenning war ohne Zweifel eine der schillerndsten, vielseitigsten und anregendsten, aber auch umstrittensten Persönlichkeiten des Geisteslebens der Zweiten Republik. Trotz der Grundverschiedenheit unserer Charaktere weisen seine Persönlichkeit und die meine einige Parallelitäten und Berührungspunkte auf. Unsere Gemeinsamkeiten reichten freilich nicht für eine echte Freundschaft aus, dazu waren und sind wir beide zu narzisstisch und verschieden strukturiert : Er war eher ein Leithammel wechselnder Bewegungen und Strömungen unserer gemeinsamen Zeit, ich dagegen ein Einzelgänger und gruppendynamisch eher ein Männerbündler, Nenning dagegen ein Frauenheld. Unsere Namen wurden in der Öffentlichkeit oft im gleichen Zusammenhang und Atemzug genannt, dies vor allem in den Jahren bzw. Monaten, in denen die Ablöse Bruno Pittermanns durch Kreisky zur Diskussion stand. Wir unterstützten Kreisky durch Wort und Tat, es wurde sogar ein Redeverbot seitens der Wiener Partei über uns verhängt. Die Begegnungen zwischen uns waren meist zufällig oder anlassbezogen, dann aber immer auch mit dem produktiven Hintergrund eines gemeinsamen Auftretens und Vorgehens. Als ich ihn nach meiner Rückkehr von meinem postgradualen Studium in England Ende der Fünfzigerjahre kennenlernte, hatte er bereits eine interessante publizistische Laufbahn hinter sich. Er war, wie er mir erzählte, als junger Mann mit dem Geburtsjahrgang 1921 freiwillig in die deutsche Wehrmacht gegangen. Nicht aus Begeisterung für den Krieg und den Nationalsozialismus, sondern um seine in einer Mischehe lebende und dadurch gedeckte, aber trotzdem gefährdete Mutter als Wehrmachtsangehöriger, der nicht als wehrunwürdig galt, zusätzlich zu schützen. Sie ist dann auch noch vor dem Kriegsende eines natürlichen Todes gestorben. Obwohl in Wien geboren, verschlug es den Aufstrebenden dennoch nach Graz, an deren Universität er im Abstand von zehn Jahren zwei Doktorate, ein juristisches und ein staatswissenschaftliches, ablegte. Er widmete sich seiner akademischen Ausbildung freilich nur nebenberuflich, hauptsächlich agierte er als Redakteur der sozialistischen Tageszeitung »Neue Zeit«, deren Chefredakteur der sehr profilierte Heinz Paller war, der eine deutschnationale Schlagseite auf-
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Günther Nenning
wies. Die Auseinandersetzung mit dem Problem des Verhältnisses Österreichs gegenüber dem Deutschen Reich beschäftigte ihn auch noch später, so in dem 1988 erschienenen Werk »Grenzenlos deutsch. Österreichs Heimkehr ins falsche Reich.« Ab 1958 wirkte er zusammen mit Friedrich Torberg an der neu gegründeten Zeitschrift »Forum«, die er 1965 in das »Neue Forum« mit ihm als Chefredakteur verwandelte. Für mich war die von Nenning dominierte Zeitschrift, die ursprünglich ganz unter amerikanischem Einfluss stand und Torberg wie Nenning zu kalten Kriegern machte, dann aber mehr und mehr ihre Linie zugunsten eines weltoffenen und progressiven Magazins veränderte, eine willkommene Plattform für folgenreiche publizistische Vorstöße. Im Besonderen waren es zwei Beiträge aus den Jahren 1964 und 1965, die in dieser Monatszeitschrift erschienen. Der erste Beitrag erschien im Februar 1964, also dreißig Jahre nach dem blutigen 12. Februar 1934. Der provozierende Titel, den Nenning meinen Ausführungen gab, lautete »Schwarze Hauptschuld, rote Mitschuld«. Die in diesem Beitrag verpackte und belegte These war die, dass das bürgerliche Lager zwar die Hauptschuld am Untergang der Ersten Republik und der Zerstörung der österreichischen Demokratie getragen habe, dass aber auch die Strategie und Taktik der Sozialdemokratie ungewollt, aber dennoch kausal wirksam, zu diesem fatalen Ende beigetragen habe. Damit war die These von der »geteilten Schuld« geboren, die ich dann in meinem 1968 erschienenen Werk »Zwischen Reformismus und Bolschewismus. Der Austromarxismus als Theorie und Praxis« ausführlich entwickelt und begründet habe. Doch schon diese erste Andeutung meiner Position erregte gar manche Gemüter in der Partei. So brachte der Tandler-Schüler, der Anatom Alfred Gisel, meinen Vorstoß im Bezirksvorstand der SPÖ Alsergrund, dem wir beide angehörten, zur Sprache. Die Empörung bei den Linken und den Traditionalisten der Partei war groß, obwohl ich immer betonte, dass die Sozialdemokratie nur eine entferntere Mitschuld, und diese wiederum hauptsächlich den eigenen Anhängern gegenüber, mit denen die Führung ein fragwürdiges Spiel trieb, traf. Der zweite Beitrag, der im März 1965 unter dem Titel »Krise der SPÖ – Krise der Republik« veröffentlicht wurde und später mehrfach nachgedruckt wurde, brach auch mit liebgewordenen Denkmustern und Haltungen der Partei. Ich hatte schon vorher versucht, meine Bedenken gegen den von der Partei gesteuerten Kurs unter der Überschrift »Permanente Koalition – Endlösung des Sozialismus ?« in der »Zukunft«, dem theoretischen Organ der SPÖ, unterzubringen, doch Oscar Pollak, dem damals nach seinem Ausscheiden als Chefredakteur
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der »Arbeiter-Zeitung« dieses Organ anvertraut war und der sonst alle meine Beiträge abdruckte, hatte in diesem Fall Bedenken gehabt, so dass ich in Nennings Blatt ausweichen musste. Meine Hauptthese war, dass die große Koalition eine Sackgasse für die Sozialdemokratie darstelle und durch ein System von Regierung und Opposition zu vertauschen sei. Um dieses politischen Wechsel herbeiführen zu können, bedürfe es allerdings einer Wahlrechtsänderung vom herrschenden Verhältniswahlrecht zum Mehrheitswahlrecht hin. Dieser mein Artikel fand große Beachtung in der bürgerlichen Presse, wurde aber in der Partei selbst eisig und eisern totgeschwiegen. Man gab mir inoffiziell zu verstehen, dass ich ein weltfremder Theoretiker sei, der nach seinem Studium in England dazu neige, das britische System nach Österreich zu verpflanzen. In Österreich werde es auf unabsehbare Zeit keine andere Regierungsform als die der großen Koalition geben. Doch schon ein Jahr später, nach den Wahlen des März 1966, trat der für unmöglich gehaltene Fall des Ganges der Partei in die Opposition ein. Ich erhielt für diese meine Leistung 1967 auch den Karl-Renner-Preis der Journalistengewerkschaft, deren Präsident Günther Nenning 1960–1985 war. Er hatte mir nicht nur den Raum zur Veröffentlichung meiner ketzerischen Meinung zur Verfügung gestellt, sondern auch dafür gesorgt, dass diese meine abweichende Meinung, die sich so bald bestätigen sollte, auch belohnt wurde. Für mein Selbstbewusstsein und für meine weitere Entwicklung war dieses Ereignis, auch ohne Preis, eine mich aufbauende Wohltat. Ich hatte erlebt, dass nicht ich mich geirrt und verrannt hatte, sondern die Machtträger, die zwar den Vorteil des Informationsvorsprunges, dafür aber den Nachteil der professionellen Deformation der Macht haben, die sich oft allzu sicher fühlt und die Zeichen der Zeit nicht erkennt. Meine Analyse hatte sich bestätigt und war kein bloßer Zufallstreffer gewesen. Ich leitete daraus nicht den Anspruch der Unfehlbarkeit für meine Aussagen ab, aber ich verlor jeden Respekt vor den Überzeugungen der Mächtigen, die häufig dem Wunschdenken und der Mechanik der Macht huldigen und von Entwicklungen, die sich ankündigen, aber nicht beachtet werden, überrascht werden. Die enge Fühlungnahme mit Nenning und seiner Zeitschrift riss nicht ab und spielte auch in die Zeit hinein, in der nach den Wahlen 1966 die Ablöse Pittermanns durch Kreisky spruchreif wurde. Wir trugen beide auf unsere Art dazu bei, den Wechsel an der Spitze im Bewusstsein der Partei und der Öffentlichkeit vorzubereiten und schmackhaft zu machen. Doch sollte es schon im Jahr nach der Machtübernahme durch Kreisky zu einem Konflikt zwischen diesem und Nenning kommen. Denn der wandlungsrei-
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Günther Nenning
che Günther Nenning hatte sich vom kalten Krieger zu einem Guru der nachrückenden Achtundsechziger-Generation gemausert. Am 1. Mai 1968 kam es im Rahmen des geheiligten ersten Mai auf dem Rathausplatz zu Demonstrationen und Störungen linker Gruppen, die dann von der Polizei vertrieben und zum Schweigen gebracht wurden. Nenning gab diesen Vorstößen im »Neuen Forum« volle Rückendeckung und prangerte das Vorgehen der Ordnungskräfte als »Polizeisozialismus« an. Daraufhin wurde Kreisky fuchsteufelswild, griff Nenning massiv an, ja überschüttete ihn mit ehrenrührigen Vorwürfen, so mit dem, von der Industriellenvereinigung bestochen und von der Kommunistischen Partei Italiens finanziert zu sein. Nenning klagte daraufhin, und es bahnte sich ein Prozess an, in dem auch ich aufgrund einer Kreisky von seinem Sekretär hinterbrachten angeblichen Äußerung als Zeuge geführt werden sollte. Es kam dann durch eine vermittelnde Intervention von Präsident Anton Benya und Generaldirektor Heinz Kienzl doch nicht zu diesem Prozess, der am liberalen Image Kreiskys gehörig gekratzt hätte. Es blieb bei der am Parteitag 1968 über Nenning gemachten Äußerung Kreiskys, Nenning sei ein »Wurstel«. Aber ein Wurstel hat eben auch Freiheiten, die den sonstigen Sterblichen nicht zustehen. Nenning entwickelte sich also vom kalten Krieger zum Mentor der »Neuen Linken«, sein Blatt eröffnete sogar eine pornografische Schlagseite, die sich in der nackt aufgenommenen Redaktion manifestierte. Nun wandten sich selbst alte Freunde Nennings, wie die Historikerin Erika Weinzierl, von Nenning ab und traten aus dem Beirat der Redaktion aus. Nenning musste seine Kehrtwendung nach links auch mit dem Scheitern seiner Ambitionen, an der Universität Fuß zu fassen, bezahlen. Er war schon zu sehr mit dem Ludergeruch der Revolution behaftet, um vom akademischen Establishment akzeptiert werden zu können. Seine an der Universität Salzburg eingereichte Arbeit über den österreichischen Sozialhistoriker Carl Grünberg wurde nicht als habilitationswürdig anerkannt, René Marcic hat die Zurückweisung des von ihm Protegierten als persönliche Niederlage empfunden, und Nenning selbst ist um eine Hoffnung ärmer geworden. Nenning war das, was man in der angelsächsischen Tradition einen »troublemaker«, in der deutschen Terminologie einen Unruhestifter nennt, der von den Etablierten als Störenfried betrachtet wird. So war er neben Hugo Portisch und Gerd Bacher einer der Initiatoren des Rundfunkvolksbegehrens 1964 und zusammen mit Wilfried Daim ein Betreiber einer Initiative zur Reform bzw. Abschaffung des Bundesheeres. Seine Aktionen waren aber nicht nur Abwehrmaßnahmen gegen erstarrte Strukturen, er hatte auch ein Gespür für Entwicklungen,
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die den Rahmen Österreichs sprengten und in die Zukunft wiesen. So engagierte sich Nenning in Zusammenarbeit mit der deutschen Paulus-Gesellschaft für den christlich-marxistischen Dialog, ich selbst habe mit ihm an Tagungen in Salzburg und in Herrenchiemsee teilgenommen. Überhaupt entdeckte Nenning immer mehr seine religiöse Ader, die in der Spätphase seines Wirkens als Kolumnist der »Kronen-Zeitung« sogar die Form einer »Papolatrie« Johannes Pauls II. annahm. Doch dazwischen gab es noch Zäsuren und Brüche in der Biografie des Vielseitigen und Umtriebigen. Kreisky hatte den Aufmüpfigen noch als »Wurstel« abqualifiziert, aber ertragen, sein Nachfolger Sinowatz, der vom Burgenland her gewohnt war, gegen Unbotmäßige mit administrativer Parteigewalt vorzugehen, war Nenning gegenüber weniger tolerant und erwirkte den Ausschluss Nennings aus der SPÖ, zu dem auch noch der Ausschluss aus der Gewerkschaft kam. Nenning hatte sich wieder einmal zu weit vorgewagt : In der Hainburger Au trat er bei den Demonstrationen gegen den geplanten Kraftwerkbau Ende 1984 führend auf, er verwandelte sich in einen Auhirsch und wurde zu einer Leitfigur der sich formierenden Grünen, die die SPÖ als engste Konkurrenz betrachteten, ohne aus dieser Aktivität einen Nutzen in Form eines Mandats zu ziehen. Im Grunde war und blieb Nenning zwar ein Kämpfer in der Gruppe, der sich aber der Institutionalisierung und dauernden Disziplinierung, die die Politik eben mit sich bringt, entzog. In Hainburg fand Nenning, der auch in seinem Privatleben abwechslungsreich war, eine Frau, die ihm bis zu seinem Tode 2006 zur Seite stand und ihm sogar noch einen Sohn schenkte. Nenning war ein enorm produktiver Schriftsteller, Kolumnist und Fernsehstar und -moderator, seine Tätigkeit erstreckte sich über Österreich hinaus auf den deutschen Sprachraum, so wenn er in der »Zeit« einen Beitrag nach dem anderen lancierte. Nenning war ein Meister des Wortspiels, aber auch des Spiels mit Menschen, vor allem jungen Frauen, bei denen er nicht minder erfolgreich war als in den Medien, die er bediente. Um auf die Gemeinsamkeiten zwischen mir und Günther Nenning, die in der gemeinsamen politischen Heimat, der SPÖ nämlich, begründet liegen, muss ich noch weiter zurückgreifen als in der bisherigen Darstellung, die mit dem Kampf gegen Pittermann und dem Eintreten für Kreisky begonnen hat. Zugleich ist dieser Rückgriff ein Anlass, um auf eine köstliche Episode, die durch die Wiedergabe hoffentlich auch zur Anekdote avanciert, zu sprechen zu kommen. Sie klingt zu komisch, um wahr sein zu können, sie ist aber wahr und verbürgt. In den frühen Sechzigerjahren bewarb ich mich, um endlich von der
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Günther Nenning
elterlichen Wohnung auf der Alserstraße Abschied nehmen zu können, um eine Gemeindewohnung. Wie ich später aus zuverlässiger Quelle erfuhr, war man im Rathaus ursprünglich geneigt, mir eine Bleibe in Döbling zu verschaffen. Doch die Bezirksorganisation der SPÖ, die von dieser Absicht Kenntnis erhielt, legte Protest beim zuständigen Stadtrat Hubert Pfoch ein, mit der Begründung, dass der Bezirk zwei so unruhige Geister wie Nenning und mich nicht ertrage. Nenning wohnte damals noch mit seiner Frau Ditha, einer Psychotherapeutin, in einem Gemeindebau in der Boschstraße in Heiligenstadt, wo ich des Öfteren Gast der beiden war. Auf diesen Protest hin sorgte Pfoch, der auch Obmann der Ottakringer Bezirksorganisation war, dafür, mir eine Wohnung in seinem Bezirk zuzuweisen, die ich dann auch fast ein Jahrzehnt bewohnte, bis es mich – man entrinnt seinem Schicksal nicht – in eine Döblinger buwog-Wohnung verschlug, in der ich heute, nach mehr als 35 Jahren, noch lebe. Mich amüsierte diese Geschichte, die ich erst nachträglich erfuhr, königlich, und wem immer ich sie auch erzählte, ein Gelächter blieb nie aus. Es erinnerte mich an die Zeiten Luthers, als ketzerische Geister bei mächtigen Landesfürsten und durch sie Unterschlupf und Schutz erhielten. Pfoch soll damals gesagt haben : »Wir halten den Leser schon aus.« Denn Ottakring hatte und hat eine solide sozialdemokratische Mehrheit, während Döbling ein unsicherer Bezirk war und seit 1978 auch in övp-Händen ist. Stellte diese Episode einen Rückgriff auf die Sechzigerjahre dar, so die folgende, für den Zusammenhang zwischen mir und Nenning ebenfalls charakteristische, einen Ausflug in die Achtzigerjahre im Zusammenhang mit dem Ausschluss Nennings aus der SPÖ. Auch hier eine kleine Szene, die den Vorgeschmack auf den in Gang befindlichen Ausschlussprozess, den ein Schiedsgericht zu führen hatte, vermittelt. Nenning und ich saßen zusammen im Café Landtmann, als plötzlich Fred Sinowatz aus der unweit gelegenen Löwelstraße vorbeikam. Als er uns so sitzen sah, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen und sagte wörtlich : »Da sitzen die zwei Richtigen beisammen.« In dieser Missfallenskundgebung lag schon bereit, was sich kurz darauf in Form des Parteiausschlusses von Nenning vollstrecken sollte. Und nun wieder eine denkwürdige Episode kurz nach dem erfolgten Ausschluss Nennings aus der Partei : Bei einer Pressekonferenz, die der bereits entmachtete Kreisky im Presseclub Concordia abhielt, verurteilte er auf die Frage eines Journalisten hin den erfolgten Ausschluss Nennings und fügte, mich anblickend und musternd, hinzu : »Es wäre mir auch nie eingefallen, den Norbert Leser aus der Partei auszuschließen.« Ich erinnerte mich in diesem Augenblick
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daran, dass Kreisky, bevor er noch Parteiobmann war und ein Kesseltreiben gegen mich und Nenning mit drohendem Parteiausschluss stattfand, in einer Rede sagte, die Partei dürfe »Talente nicht verstoßen«. Jedenfalls bewies mir die Assoziation, die Kreisky zwischen mir und Nenning herstellte, dass ich der Nächste auf der Abschussliste von Sinowatz sein könnte. Daher empfand ich es in dieser Situation wie schon in ähnlichen früheren als wohltuende Schützenhilfe, dass Hannes Androsch in Umkehrung eines Dramentitels von John Priestley, »Schafft den Narren fort« einen Artikel mit der Aufforderung »Schafft den Narren nicht fort«, schrieb. Ein wohlmeinender Freund hat einmal Nenning und mich als »zwei Narren, die schreiben« apostrophiert. Ich habe diese Titulierung nicht als verletzend oder unzutreffend empfunden, ist es doch die Figur des Hofnarren, die mich stets faszinierte und mit der ich mich identifizierte, so sehr, dass ich bei der Feier an der Universität Wien zu meinem 75. Geburtstag und goldenem Doktorjubiläum eine Narrenkappe aufsetzte, um unter diesem Schutz einige Wahrheiten aussprechen zu können, im Sinne des Wiener Sprichwortes : »Kinder und Narren dürfen die Wahrheit sagen.« Eine bildliche Darstellung dieser Sachlage vermittelt ein Relief auf dem Goldenen Dachl in Innsbruck, auf dem drei Personen auf gleicher Höhe zu sehen sind : der Kaiser Maximilian im Jagdkostüm, der Kanzler und der als solcher erkennbare Narr. Doch während der Kanzler wie gebannt auf den Kaiser blickt, schaut der Narr in eine ganz andere Richtung. Eine solche Konfiguration ist freilich nur in einer Weltsicht möglich, in der die Vergänglichkeit der Macht, ihre Stellung der Vorläufigkeit im Lichte der Ewigkeit, im Bewusstsein aller Handelnden ist. Andernfalls sind Staats- und Parteilenker, erst recht natürlich Diktatoren, humorlos und verstehen keinen Spaß, sondern zelebrieren ihre Macht mit tierischem Ernst. Doch die Gemeinsamkeit zwischen mir und Nenning war nicht nur durch die SPÖ, sondern durch einen viel weiteren geistigen Horizont gestiftet, der sich als fruchtbar und tragfähig erweisen sollte. Immer wieder ließ mich Günther Nenning zu Wort kommen und würdigte mich im Rahmen seiner Möglichkeiten, so als er mir zweimal am Wochenende Breit- und Doppelseiten in der »Kronen-Zeitung« widmete, er, der ein Meister der Porträtierung von Zeitgenossen und schon Dahingegangenen war und sich so gern in der Geschichte umtat wie ich, von dem er einmal schrieb : »Die SPÖ hat nicht den Historiker, den sie verdient, sondern einen besseren.« Es war nicht nur die Parteigeschichte, die wir getrennt, aber in ähnlichem Geiste beackerten. Eine Lieblingsfigur Nennings war der ihm wesensverwandte und mit Frauengunst bedachte Erzherzog Johann.
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Günther Nenning
Auch in dem letzten von ihm und anderen Mitarbeitern, wie dem ebenfalls schon verstorbenen Milo Dor, edierten Magnum Opus, dem über zwanzig Bände umfassenden Literaturkoffer unter dem Titel »Landvermessung«, hat mich Nenning mit seiner Aufmerksamkeit bedacht und in dem Band über und mit Essays meinen Beitrag aus dem »Forum« über die geteilte Schuld aus 1964 aufgenommen und damit das vor vierzig Jahren Geschriebene für die Mit- und Nachwelt resümiert. Was mich aber mit Nenning mehr verband als alles andere war die Gottsuche, der wir beide verfallen sind, ohne dass uns diese Suche immer nur reines Glück, sondern auch das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit angesichts der Normen und Anforderungen der Religion an den Menschen beschert hätte und hat. Beide haben wir atheistische Zeitgenossen als oberflächlich und undankbar empfunden und sie primär bedauert, weil sie die Wirklichkeit um eine wesentliche Dimension verkürzen und den Menschen aus der höheren Welt, aus der wir stammen und auf die wir zugehen, ausbürgern wollen. Vor allem der Sozialismus hat durch die unselige Allianz mit dem Atheismus Schaden gelitten, so hat sich der Kommunismus mit seiner atheistischen Staatsreligion durch diese Haltung um das Eindringen in die meisten Weltkulturen, die auf religiösen Grundlagen beruhen, gebracht und ist auch in Russland selbst gescheitert. Nicht die Religion ist, wie die Prognose lautete, abgestorben, sondern der Kommunismus als eine falsche Ersatzreligion. Der Kommunismus ist nicht nur an seiner verkehrten Wirtschaftsordnung gescheitert, sondern im mindestens gleichen Umfang an der irrigen Anthropologie, die den Menschen nicht als religiöses und der übernatürlichen Erlösung bedürftiges Wesen gelten lassen wollte. In vielen seiner Werke und Beiträgen hat Nenning lebenslänglich gegen die verhängnisvolle Saat des Atheismus im Sozialismus angekämpft und angeschrieben. So hat er der marxistischen These vom »Opium des Volkes« die der Heilung der Massen durch die Religion entgegengestellt, so in dem 1995 erschienenen Büchlein »Mehr Opium, Herr. Rückwege zur Religion«. Manchmal wagte er sich bis an die Grenze des Blasphemischen vor, so wenn er die These »Gott ist verrückt« in den Raum stellte, damit aber nur meinte, dass die Wege Gottes nicht die von uns Menschen sind und mit unserer beschränkten Vernunft nicht verstanden werden können, trotzdem aber im Vertrauen darauf, dass letzten Endes alles gut ausgeht, demütig angenommen werden sollen. Wenn er und ich als »zwei Narren, die schreiben«, bezeichnet wurden, so habe ich einmal an diese Charakterisierung die Hoffnung geknüpft, dann wenigstens »Narren in Christo« zu sein und als solche in die Geschichte und letzten En-
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des in die Ewigkeit einzugehen, auch wenn wir uns der Verheißung der göttlichen Botschaft als nicht immer würdig erwiesen haben. Nenning ist zuletzt, von Wien, seinen Wiener Bezugspersonen und von den Medien abgeschnitten, in Tirol nicht nur physisch gebrochen, sondern auch, seelisch vereinsamt, gestorben, verdient aber, als eine Persönlichkeit besonderen Formats in Erinnerung gehalten zu werden.
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Hans Schmid (1897–1987) Der Herr des Wienerliedes
Eine Seite meines Wesens, die erst spät, in bereits ziemlich fortgeschrittenem Alter, zur Entfaltung kam, nämlich die musikalische Neigung und Begabung, bedurfte als schlummernde Anlage, wie andere Anlagen auch, eines Erweckers. In einem Volksschulzeugnis wurde mir zwar musikalische Begabung attestiert, mit der zusätzlichen Bemerkung und Hoffnung, dass diese Neigung bei entsprechender Pflege auch Früchte tragen könne. Damals ahnte ich freilich noch nicht, dass diese Früchte in Form des Gesangs von Wienerliedern bestehen würden. Das damals obligatorische Instrument, das in meinem Zeugnis aufscheint, nämlich das Spielen mit der Blockflöte, habe ich längst verlernt, während ich den Gesang des Wienerliedes, wenn auch nicht professionell, so doch gelegentlich pflege. Diese Liebe zum Wienerlied hat der legendäre Populisator des Wienerliedes, Herr Hans Schmid, in mir erweckt, den ich in den von ihm zu einer Heimstätte des Wienerliedes ausgestalteten Kaffeehaus in der Schulgasse in Wien-Währing oft singen hörte, manchmal auch mit mir, mit und ohne Begleitung am Tisch. Es entwickelte sich eine über das Rollenbild von Wirt und Gast hinausgehende Beziehung, die väterliche und freundliche Züge annahm. Hans Schmid, »der Schmid-Hansl«, wie ihn die Wiener liebevoll nannten, war kein Berufsmusiker, sondern ein in der Privatwirtschaft erfolgreicher Mann, der nebenbei, aber mit nachhaltiger Wirkung, das Wienerlied, damals noch auf Schallplatten, wie man in Wien zu sagen pflegt, »unter die Leut’ brachte«. Zu den von ihm bekannt gemachten Wienerliedern gehörten das vom Komponisten Oskar Schima geschaffene »Lausbub«-Lied sowie das von Ferry Wunsch herrührende »Stellt’s meine Ross’ in Stall«. Als ich dem alten Herrn Schmid und seiner bereits etwas brüchigen, aber noch immer wohlklingenden und unverwechselbaren Stimme lauschte, dachte ich nicht daran, selbst zu singen. Erst nach seinem Tode animierten mich die im Lokal auftretenden Berufsmusiker Rudi Luksch und Gerhard Heger dazu, mitzusingen und mich auch solo zu produzieren. Aus dieser Zusammenarbeit entstand dann auch eine CD, der ich den Titel »in vino veritas« gab, die durch die Edition Hochmuth verlegt wurde und kurz vor meiner Emeritierung als
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Hans Schmid
Professor 2001 herauskam, sodass ich sie und meine Stimme dazu bei meiner Verabschiedung im Kleinen Festsaal der Universität Wien präsentieren konnte. Was mich am Wienerlied schon seit jeher faszinierte und auch heute noch fasziniert, ist nicht nur der Wohlklang der ungezählten und unzählbaren Wiener Lieder, sondern auch deren Themen, die gerade einen Philosophen ansprechen. Neben dem Tod, den Arthur Schopenhauer als den »Musageten«, den Musenführer der Philosophie, bezeichnet hat, der im Wienerlied eine zentrale, immer wiederkehrende Schlüsselrolle spielt, ist es der Wein, der nicht zuletzt von Philosophen gerühmt und auch konsumiert wurde und wird. Der Wein beflügelt den Poeten und erfreut auch das Herz einfacher Menschen, kann freilich auch, wie die Erfahrung lehrt, im Übermaß genossen, fatale Folgen haben. Natürlich sind auch Wien und Umgebung selbst ein nie versiegender Stoff für sentimentale Lieder; auch die österreichische Geschichte, innerhalb derer Gestalten wie der »alte Kaiser« Franz Joseph und die Kaiserin Maria Theresia, von den Wienern das »Reserl aus Wien« genannt, auftauchen, gibt reichlichen Stoff für das Wienerlied ab. Es wird und kann nie eine vollständige Sammlung aller Wiener Lieder geben, des zum Teil uralten Liedguts, von dem, je weiter man historisch zurückgeht, nicht einmal die Textdichter und die Komponisten, in den meisten Fällen nicht ein und dieselbe Person, bekannt sind. Es gibt auf der ganzen Welt, in jedem Land und jeder Stadt, Volkslieder, so in Paris Chansons, in Berlin Gassenhauer genannt, aber keine andere Stadt kann es mit der Fülle an Liedern, die Wien zu bieten hat, aufnehmen. Und das Wienerlied ist nicht bloß ein historisches Phänomen, auch heute noch entstehen solche Lieder, wie die Kompositionen von Roland Neuwirth und Karl Hodina mit seinem »Herrgott aus Sta« beweisen. Der Aufstieg des Wienerliedes zur Massenkultur ist im 19. Jahrhundert eng mit den Brüdern Schrammel und dem Heurigen, den Kaiser Josef schon im 18. Jahrhundert durch eine »Buschenschankverordnung« institutionalisiert hatte, verbunden. Der Begriff »Heuriger« bezeichnet sowohl den Wein des heurigen Jahres als auch den Ort, an dem dieser Heurige samt Buffet dargeboten wird. Der Heurige ist eine quasidemokratische Institution, denn wenigstens für die Dauer eines Abends sind die sonst existierenden Etiketten zugunsten eines verbindenden Neben- und Miteinanders aufgehoben, kann – wie es in einem Wienerlied heißt – »der Kräutler mit dem Hofrat piperln«. Hans Schmid war ein echter Wiener, der daher auch gern das Lied »Kennst Du den alten Wiener, den mit der Virginia ?« sang. Er war aber kein bloßer
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Der Herr des Wienerliedes
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Phäake, sondern auch ein kulturbeflissener Mensch, der ebenso gern in die Oper wie zum Heurigen ging. Er konnte das Kaffeehaus, das er 1952 kaufte und zu einem Lieblingsort der Liebhaber des Wienerlieds machte, noch fast dreißig Jahre führen, unterstützt von seinem Sohn, der ebenfalls Hanns, wenn auch mit Doppel-n, der das Lokal vor einigen Jahren seinerseits verkaufte, zum Glück an Nachfolger, die den Charakter des Kaffeehauses erhalten und weiterführen wollen. Der alte Herr Schmid, dem ein langes Leben in Gesundheit und Vitalität beschieden war, unterhielt sich oft mit mir und erzählte mir Geschichten aus seinem Leben, die ihn nicht bloß als Volkssänger, sondern auch als zeitgeschichtliche Figur ausweisen. So wusste er davon zu berichten, dass er im Ersten Weltkrieg als Soldat an der Isonzofront war und den späteren Bundespräsidenten, den General Theodor Körner, zu seinem militärischen Vorgesetzten hatte. Über dessen Ansuchen abonnierte er die »Arbeiter-Zeitung«. Er, der damals schon mit der Sozialdemokratie sympathisiert haben dürfte, besorgte sich die politisch-geistige Nahrung durch einen Untergebenen, der ebenfalls Sozialdemokrat war und diese Sympathie auch nicht wie sein Vorgesetzter verhehlen musste. Der alte Herr Schmid war also ein Sozialdemokrat der ersten Stunde, nur bei den Wahlen 1966 wurde er der Partei, wie er mir gestand, untreu und wählte damals die Partei Franz Olahs, den er als Volkstribun verehrte. Auch ich freundete mich mit dem gestürzten Franz Olah Jahre nach seinem Sturz an und schrieb nicht nur einiges über ihn (Olah nannte das Kapitel über ihn im 1988 erschienenen »Salz der Gesellschaft« »das Beste, was je über mich geschrieben wurde«), sondern besuchte mit ihm und seiner Frau das Lokal des Herrn Schmid, wovon ein heute noch im Lokal über meiner Stammloge angebrachtes Farbfoto Zeugnis ablegt. Herr Schmid war aber nicht nur ein überzeugter Sozialdemokrat und zeitweiliger Olah-Anhänger, sondern auch ein strikter Anti-Nazi. Er konnte von sich sagen, was wohl nur auf wenige seiner Zeitgenossen zutraf : dass er keine Sekunde mit Hitler sympathisiert habe und dass es für ihn nur zwei Kategorien von Nazis gegeben habe : Dummköpfe und Verbrecher. In diesem Zusammenhang erscheint mir eine Episode berichtenswert, die er mir wiederholt erzählte. Eines Tages kam während der Kriegszeit Joseph Goebbels nach Wien. Man rief bei ihm an und ersuchte ihn, zu einem Heurigen am Schreiberweg, wo Goebbels mit Gefolge eingekehrt war, zu kommen und dem mächtigen Herrn etwas vorzusingen. Da Schmid kein Nazi war, gebrauchte er eine Ausrede, um sich der unerwünschten Konfrontation zu entziehen. Als es
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Hans Schmid
aber zu einem neuerlichen Anruf kam, konnte Herr Schmid, ohne Schlimmes zu riskieren, nicht bei seinem Nein bleiben und begab sich in den Garten des Löwen. Unter anderem sang er Goebbels auch das Lied »Wien im Mai«, das wohl zur Jahreszeit passte, vor. Als Goebbels die Bemerkung machte : »Das ist aber ein besonders schönes Lied«, sagte der Herr Schmid: »Das ist aber von einem Juden«, der Paul Pallos hieß. Der Herr Schmid sagte mir, dass er sich diese unvorsichtige Äußerung nicht vorgenommen habe, sondern dass sie ihm gleichsam herausgerutscht sei. Er gab Goebbels damit zu verstehen, dass er kein Nazi war, ohne dass er ihm deswegen etwas anhaben konnte. Goebbels überhörte die Bemerkung, obwohl er sicher wusste, woran bzw. an wen er geraten war. Die übrigen Anwesenden erbleichten nach der für damalige Verhältnisse geradezu bekennerhaften Bemerkung. In der Geschichte des Wienerliedes haben Persönlichkeiten jüdischer Herkunft denn auch tatsächlich eine hervorragende Rolle gespielt, um nur den unvergesslichen Hermann Leopoldi zu nennen, einer der wenigen Vertriebenen, der von Stadt und Land Wien nach dem Zweiten Weltkrieg nach Wien zurückgeholt wurde und hier noch eine Spätblüte als Genugtuung erleben durfte. Dass auch eine so liebenswürdige und leutselige Persönlichkeit, wie es der Herr Schmid war, ihre Abgründe hat, möge das folgende Zitat belegen. Wenn der Abend schon spät und die Zunge durch den Wein gelockert war, sagte Schmid einige Male zu mir: »Fünf Minuten möchte ich Herrgott sein. Dann würde ich allen den Sauerstoff entziehen, dass Alle auf der Nasen liegen und endlich a Ruah is.« Wer hätte dem gemütlichen Wiener eine solche Äußerung, einen solchen Wunsch nach der Auslöschung aller, das eigene Selbst eingeschlossen, zugetraut ? Und da traut sich noch jemand zu behaupten, dass die Lehre vom Todestrieb, die von Sigmund Freud stammt, zufällig auf Wiener Boden entstanden ist. Sigmund Freud und Hans Schmid liegen mit ihren Auslassungen zu diesem Thema durchaus auf einer Linie des Wienerliedes, in dessen Text es irgendwo heißt : »Und vielleicht is für uns olle guad, dass kaner übrigbleiben tuat.« Aus dem Munde bzw. der Feder von Ernst Bloch habe ich eine ganz ähnliche Überlegung in Erinnerung : »Ein letzter Wunsch geht durch alle Wünsche, ein nicht unbedenklicher, der nach Ruhe.« Freilich ist die christliche Ruhe, an die sich das Wienerlied anlehnt, nicht ein Verlöschen ins und im Nichts, sondern der Friede in Gott, das »Requiescat in pace !«. Im Zusammenhang mit dem Tod ist eine Anekdote erwähnenswert, deren Kenntnis ich Herrn Schmid jun. verdanke. Dieser erzählte mir, dass ihm sein Vater, der in der letzten Zeit seines Lebens wiederholt Privatpatient des
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Der Herr des Wienerliedes
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Lainzer Primarius Pesendorfer war, auf seine Frage, wie die dort arbeitenden Schwestern seien, geantwortet habe: »Die sind Mörderinnen.« Schmids Sohn hielt diese Auskunft für einen Ausdruck von Altersdemenz. Dabei muss der alte Herr Schmid jene Vorgänge um die als Munddusche getarnten Tötungen, die sicher keinen Gnadentod, sondern einen sehr qualvollen darstellten, beobachtet oder vermutet haben, die wenig später zur Verurteilung der Lainzer Mordschwestern, die heute wieder auf freiem Fuße sind, führten. Vielleicht verdankte der alte Herr Schmid den friedlichen Tod, den er sterben durfte, nur dem Umstand, dass er als Privatpatient unter dem besonderen Schutz des Primarius war. Doch um die mit Herrn Schmid zusammenhängenden Episoden, die den Vorzug haben, allesamt wahr zu sein, nicht so makaber zu beenden, sei abschließend noch eine solche wiedergegeben, die den alten Herrn von seiner heiteren und zugleich wienerischen Seite zeigt. Eines Tages kam der aus Wien stammende Direktor der Metropolitan Opera, Rudolf Bing, in das Lokal und war von dem Gehörten so begeistert, dass er Schmid einlud, eine Tournee durch die Vereinigten Staaten, wo sich ja viele vertriebene Österreicher befinden, zu unternehmen und seine Wienerlieder zu Gehör zu bringen. Schmid erbat sich kurze Bedenkzeit und erteilte Bing eine Absage in Form eines Wienerliedes, und zwar mit den Worten »Mi bringt’s von da mit zehn Rössern net fort«. Der erfolgreiche Rudolf Bing ist auch in seinem Gästebuch verewigt, in dem alle Größen des Wiener Kulturlebens zu ersehen sind : von den Wesselys und Hörbigers über Fritz Imhoff bis zu kleineren und größeren Lichtern. Freilich ist dieses Gästebuch gleichzeitig auch ein Totenbuch, alle die hier versammelten und verzeichneten Namen sind bereits Geschichte, wobei diejenigen, die schon im Zeitalter der modernen Medien wirksam wurden, mit ihrem Tod nicht erloschen sind, sondern in Ton und Bild weiterleben und damit Friedrich Schiller Lügen strafen, der für seine Zeit und eine geraume darüber hinaus resignierend sagen musste: »Den Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze.« Das Fortleben nicht bloß in der Erinnerung der Überlebenden ist zweifellos ein Vorteil, den die später Geborenen den früher Geborenen voraus haben. Ich hatte das Glück, noch den 90. Geburtstag Schmids am 1. Dezember 1987 mit ihm und einem zahlreichen Publikum in seinem Lokal zu feiern. Doch ehe der Monat und das Jahr am Ende waren, starb der so Lebenslustige noch am alten Jahrestag. Die Fotos, die ich aus diesem Anlass machte, verrieten bereits, dass dem guten alten Herrn bereits der Tod, den er so oft besungen hat, aus den Augen schaute.
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Hans Schmid
Das Begräbnis auf dem Ottakringer Friedhof war ein eindrucksvolles Zeugnis für die Beliebtheit des Verewigten. Es kamen Tausende Menschen, nach Auskunft der dort beruflich Tätigen das größte Begräbnis seit Menschengedenken. Eine solche Massenansammlung gibt es sonst nur bei Staatsbegräbnissen, deren Teilnehmer aber meist nur aus Pflicht und Neugier kommen. Die versammelten Massen beim Begräbnis des alten Herrn Schmid aber kamen aus vollem Herzen und demonstrierten, dass das Wienerlied die Herzen der Menschen zu rühren vermag. Bei diesem Begräbnis sprach unter anderem auch der Wiener Bürgermeister Helmut Zilk davon, dass der »gute, alte Herr« wie weiland Kaiser Franz Joseph nun vom Himmel herunterblicken und sich über die große Anteilnahme der Hinterbliebenen freuen könne. Schon Jahre vorher hatte Zilk, mit dem ich auch einmal im Lokal Schmids war, über und noch zu Hans Schmid gesprochen, und zwar anlässlich der Enthüllung einer Gedenktafel am Geburtshaus Schmids in der Redtenbachergasse in Ottakring. Damals fragte Zilk in Anwesenheit Schmids, der von zu Hause mit einem Fiaker abgeholt worden war : »Warum muss erst immer einer sterben, bis er geehrt wird ?« Dem alten Herrn Schmid war es jedenfalls vergönnt, diese besondere Form der Ehrung neben anderen Ehrungen zu erleben und im Kreise seiner Freunde und Fans zu feiern, zu denen ich auch mich selbst rechnen durfte.
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Nachwort
Ich habe mithilfe der literarischen Porträts von Persönlichkeiten, die meinen Lebensweg begleitet haben wie ich den ihren, in diesem Buch versucht, einen Einblick in und Überblick über die österreichische Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts zu geben. Diese mosaikartigen Darstellungen konnten nicht wie gelungene Mosaiksteine in der Bildwelt jene Vollständigkeit erreichen, die den menschlichen Bau- und Edelsteinen nicht gegeben ist, nicht einmal im besten Fall, der wahrlich höchst selten ist. In diesem Zusammenhang sei wieder einmal und zum letzten Mal in diesem Buch Goethe mit dem Satz, ja der Maxime zitiert : »Willst Du ins Unendliche schreiten, so geh nur im Endlichen nach allen Seiten.« Menschliche Begegnungen sind durch den Tod, aber auch durch die Ewigkeit, auf die wir zugehen, eben nur endliche Ereignisse und Kreuzungen. Vielleicht war mir die Vielzahl von Begegnungen in unterschiedlichen Sphären auch nur deshalb möglich, weil ich mich lebenslang an keinen anderen Menschen fest band, so dass ich Zeit und Kapazität für zahlreiche, aber nicht nur flüchtige Begegnungen hatte und bis zum heutigen Tage habe, obwohl mit höherem Alter mehr dem Rückblick als dem neuen Erleben vorbehalten bleibt. In dieser Form des Lebens, die mir beschieden war, ist es eben auch möglich, die »ungesellige Geselligkeit«, von der der große Philosoph Immanuel Kant spricht, zu verwirklichen, freilich auch in diesem Falle nur bruchstückhaft.
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Personenregister Seitenzahlen in gewidmeten Kapiteln sind fett gedruckt
Ackerl, Josef 173 Adler, Alfred 82, 137–139, 142, 177 Adler, Kurt 177, 226 Adler, Max 40, 82- 83, 115- 116, 153, 164 Adler, Viktor (Victor) 38, 18 Altenhofer, Norbert 91, 93 Androsch, Hannes 194, 198, 237 Annunzio, Gabriele D´ 101 Aquin, hl. Thomas von 127 Aristoteles 25, 34, 42 Aslan, Raoul 56, 89 Attlee, Lord Clement 195 Augustinus, hl. Aurelius 33 Austerlitz, Friedrich 39, 183 Bacher, Gerd 211, 234 Bachmann, Ingeborg 55, 91 Barta, Richard 21 Barth, Karl 24 Bartsch, Rudolf Hans 95 Basedow, Johann Bernhard 116 Bauer, Otto 41, 44, 160–164, 182, 195–197, 202, 207 Baumgartner, Felix 172 Beer-Hofmann, Richard 93 Benedikt, Heinrich 227 Benn, Gottfried 76 Benya, Anton 234 Berczeller, Adolf 47–48, 50 Berczeller, Mutzi 47–48 Berczeller, Peter 47–49 Berczeller, Richard 47–53 Beria, Lawrenti 220 Berkeley, George 83, 155 Bernatzik, Edmund 118
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Bernhard, Thomas 13, 31, 60, 63–69, 185, 186, 197 Bettauer, Hugo 45 Bing, Rudolf 245 Blecha, Karl 161, 215 Bleuler, Eugen 93, 111 Bloch, Ernst 79–87, 244 Bloch, Karola und Jan Robert 80 Boëthius, Anicius Manlius Severinus 22 Böhm-Bawerk, Eugen von 139 Bois-Reymond, Emil Heinrich du 84 Böll, Heinrich 66 Boltzmann, Ludwig 77 Bourdieu, Pierre 141–142 Brecht, Bert 58–59 Brehm, Bruno 181 Breitner, Hugo 48, 164 Breschnew, Leonid Iljitsch 151 Broda, Christian 75, 115, 121, 165, 198, 204, 217 Bronner, Gerhard 60 Brook-Shepherd, Gordon 217 Bruckner, Anton 57 Brügel, J.W. 217–219 Brugger, Peter 219 Buber, Martin 12, 29 Bühler, Charlotte und Karl 103, 135–142 Burger, Rudolf 85 Busek, Erhard 128 Canetti, Elias 37 Cassirer, Ernst 30 Churchill, Winston 35 Coudenhove-Kalergi, Richard Nicolaus 224 Csokor, Franz Theodor 96
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Personenregister
Curtis, Michael 48 Czermak, Emmerich 182 Czernetz, Karl 163, 169 Daim, Wilfried 234 Dallinger, Alfred 17 Danneberg, Robert 53 Dante Alighieri 111 Darwin, Charles 34 Demandt, Alexander 223 Denk, Wolfgang 168 Desch, Kurt 163 Deutsch, Julius 37, 42, 195 Diamant, Alfred 144 Dieman-Dichtl, Kurt 181 Dietrich, Marlene 48 Dimitroff, Georgi 180 Djilas, Milovan 201–210 Döbrentei, Beda 91 Dobretsberger, Josef 143–147, 186 Doderer, Heimito von 10, 12–13, 35–45, 68 Dollfuß, Engelbert 106, 186 Dopsch, Alfons 196 Dor, Milo 237 Dorsch, Käthe 56–59 Douglas, Graf Archibald 221 Dreyfus, Alfred 66 Drimmel, Heinrich 56, 72–75 Duns Scotus, Johannes 25, 76 Dürmayer, Heinrich 180, 219 Dutschke, Rudi 79 Ebenbauer, Alfred 199 Ehalt, Hubert Christian 78 Eifler, Alexander 42 Eigruber, August 171 Eisler, Hanns 58, 181 Ellenbogen, Wilhelm 40, 42 Engels, Friedrich 81, 84 Erasmus von Rotterdam 64 Ermacora, Felix 128 Esterházy, Fürst 51 F Fechner, Ernst 123
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Fellner, Fritz 227 Fetscher, Iring 163 Feuchtwanger, Lion 97 Fichtenau, Heinrich 87 Firnberg, Hertha 28, 77, 110, 141, 191–200 Fischer, Ernst 41, 179–181 Fischer, Heinz 195 Fischer-Kowalski, Marina 181 Fischhof, Adolf 52 Fleischer, Wolfgang 45 Franco, Francisco 222 Frankl, Viktor 142 Freud, Sigmund 13, 67, 82, 93, 105–106, 111–112, 137, 141, 197, 244 Freumbichler, Johannes 64 Friedmann, Max 228 Frisch, Max 91 Frischenschlager, Friedhelm 116 Fritsch, Gerhard 55 Fröschl, Erich 116 Fuchs, Gräfin Charlotte 91–92 G Gaisbauer, Adolf 71, 78 Gastager, Heimo und Susanne 26 George, Stefan 90, 99 Gide, André 34 Gisel, Alfred 232 Gleispach, Graf Wenzel 118–119 Goebbels, Joseph 243–244 Goethe, Johann Wolfgang von 45, 78, 87, 92, 116, 247 Gorbach, Alfons 168, 188–189 Gorbatschow, Michail 161 Graßberger, Roland 109 Gratz, Leopold 168, 193, 213 Grillparzer, Franz 13, 35, 58, 164, 173, 223 Groër, Kardinal Hans Hermann 17 Gropp, Rugard Otto 81 Grosavescu, Nelly und Trajan 106–107 Grössing, Peppi 43 Grotius, Hugo 127 Grünberg, Carl 234 Gusenbauer, Alfred 166
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Personenregister
Habsburg, Erzherzog Johann von 237 Habsburg, Franz Ferdinand von 208 Habsburg, Kaiser Franz Joseph 133, 242, 246 Habsburg, Kaiser Josef II. von 216 Habsburg, Kaiser Maximilian I. 237 Habsburg, Kaiserin Maria Theresia 91–92, 242 Habsburg, Karl von 49, 196, 218, 222, 227 Habsburg, Otto von 12, 49, 119, 166, 196, 217–224 Habsburg, Regina von 221 Habsburg, Walburga von 221 Handke, Peter 91 Hanisch, Ernst 41 Hansen, Theophil 185 Hanslick, Eduard 57 Hartl, Rupert 172 Hartmann, Ludo 182 Hebbel, Friedrich 51 Heer, Friedrich 22, 71–78, 169–170 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 86, 153 Heger, Gerhard 241 Heinz, Wolfgang 59 Hellbling, Ernst Carl 191 Helmer, Oskar 140, 161, 187, 219 Hentschel, Franz 121 Herberstein, Gräfin Nora 150 Herzl, Theodor 113, 214 Heß, Moses 81 Heydte, Friedrich August von der 73 Hilferding, Rudolf 117 Hillegeist, Friedrich 159 Hindels, Josef 159–166 Hitler, Adolf 27–28, 71, 75, 86, 97, 108–110, 113, 118, 124–125, 135, 171, 182–183, 206, 223, 228 Hodina, Karl 242 Hoff, Hans 108 Hofmannsthal, Elisabeth 91 Hofmannsthal, Franz 91 Hofmannsthal, Gertrude 91 Hofmannsthal, Hugo von 10, 58, 89–103 Hofmannsthal, Raimund 91 Holzer, Wolfgang 110 Hörbiger, Familie 245
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Horn, Heinz Johannes 81 Hornbostel, Theodor von 128 Hovorka, Nikolaus 179 Hueber, Anton 38 Humboldt, Alexander von 194 Hutten, Ulrich von 45 Iffland, August Wilhelm 78 Imhoff, Fritz 245 Innitzer, Kardinal Theodor 15, 183 Jambor, Walter 18, 90 Jedlicka, Ludwig 195 Jelinek, Elfriede 68 Jelusich, Mirko 181 Jesus Christus 21–22, 24, 30, 94, 123, 152 Jochmann, Rosa 167, 192 Johannes Paul II., Karol Wojtyła, Papst 17, 72, 156, 235 Johnston, William M. 10–12, 44 Jonas, Franz 168, 187 Juan Carlos I., König 222 Kainz, Josef 138 Kaltenbrunner, Ernst 171 Kamitz, Reinhard 73 Kant, Immanuel 209, 247 Kardelj, Edvard 202 Kautsky, Karl 152, 161 Kelsen, Hans 115–119, 124, 127–128, 130– 131, 133, 143 Kery, Theodor 51 Kienzl, Heinz 234 Kindermann, Heinz 59–60 Kirchschläger, Rudolf 15, 188, 212 Kisch, Ego Erwin 228 Klaus, Josef 75, 189–190 Knepler, Georg 58 Knoll, August Maria 17, 72, 116, 128, 131, 144–145, 208, 218 Kohr, Leopold 193 Kokoschka, Oskar 178 Kollek, Teddy 214 Koller, Dagmar 214
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Personenregister
König, Kardinal Franz 11, 15–24, 155–156, 212, 214 Koplenig, Johann 180 Koref, Ernst 167–175 Körner, Theodor 42, 216, 243 Körtner, Ulrich 24 Kostroun, Ludwig 205 Krätzl, Weihbischof Helmut 17 Krauland, Peter 180 Kraus, Karl 21, 23, 58, 98, 113 Kreisky, Bruno 10, 15–19, 75, 119, 150, 167, 169–170, 172–173, 188, 190–192, 194, 198, 209, 217, 223, 231, 233–237 Kreisler, Georg 33–34 Kyrle, Martha 108, 112 Lammasch, Heinrich 226–227 Lavater, Johann Caspar 116 Leber, Julius 42 Lefebvre, schismat.Bischof Marcel 23 Leibniz, Gottfried Wilhelm 85 Leichter, Otto 197 Leiminger, Karl 115 Lendvai, Paul 151, 169 Lenin, Wladimir Iljitsch Uljanow 80, 82, 151–154, 207 Leopoldi, Hermann 244 Lernet-Holenia, Alexander 68 Leser, Franz 50 Leser, Jolanthe 222 Leser, Ludwig 47–48, 51–52, 89, 137, 170–171 Leser, Norbert (erwähnt) 20–21, 75, 77, 236 Leser, Viktoria 89 Lingens, Peter Michael 174 Löw, Isaak 102 Löwith, Karl 86 Lueger, Karl 113, 215 Lukács, Georg 80, 152 Luksch, Rudi 241 Luther, Martin 23–24, 29, 64, 236 Luxemburg, Rosa 208 Magaziner, Alfred 42 Maleta, Alfred 185–190
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Mandelstam, Nadeshda und Osip 87 Mann, Thomas 228–229 Marcic, René 75, 200, 234 Marx, Karl 81, 145, 149, 155, 161, 202, 207 März, Eduard 163 Masaryk, Thomas 206 Matejka, Viktor 143, 177–183 Matzner, Egon 175 Mauthe, Jörg 212 Mayenburg, Ruth von 181 Mayer, Hans 80 Mayr, Hans 213 McCarthy, Joseph Raymond 58 Meinl II., Julius 226–228 Meinl III., Julius 225–229 Meinl V., Julius 226, 229 Mell, Max 95 Merkl, Adolf Julius 121–125, 127, 129–131, 133 Messerschmidt, Franz Xaver 12 Métall, Rudolf Aladár 130 Meyer, Conrad Ferdinand 45 Michels, Robert 205 Michels, Thomas 86 Migsch, Alfred 167–169, 174 Mikes, Graf János 222 Mindszenty, Kardinal József 16–17 Mises, Ludwig von 146, 152, 162 Missong, Alfred 69, 204 Mock, Alois 188, 191 Mohler, Armin 97 Molière, Jean-Baptiste Poquelin 57 Mommsen, Hans 196 Morus, hl. Thomas 22 Mosca, Gaetano 205 Moses 102, 173 Muckenschnabel, n.n. 85 Muliar, Fritz 212 Münzer, Thomas 81 Musil, Robert 100 Mussolini, Benito 205 Nenning, Ditha 236 Nenning, Günther 215, 217, 231–239 Neuwirth, Roland 242
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Personenregister
Nietzsche, Friedrich 86, 137, 142 Njegoš, Petar II. Petrović- 207 Olah, Franz 121, 167, 205, 212, 217, 243 Orel, Anton 72 Ott, Elfriede 55–57, 60 Ottilinger, Margarethe 180 Palacky, Jan 228 Paller, Heinz 231 Pallos, Paul 244 Papen, Franz von 144 Pareto, Vilfredo 205 Paryla, Karl 59 Paul VI., Giovanni Montini, Papst 74 Paulus, Apostel 28–33, 87 Pelinka, Anton 116, 191 Pesendorfer, Franz Xaver 245 Peymann, Claus 212 Pfabigan, Alfred 55 Pfoch, Hubert 236 Pietschmann, Herbert 84 Piffl, Kardinal Friedrich Gustav 15 Pilcz, Alexander 110 Pimen, Patriarch 19 Pittermann, Bruno 167–169, 197, 217, 231, 233, 235 Plato 30, 33, 118 Polgar, Alfred 228 Pollak, Oscar 166, 232 Popper, Karl 134, 159 Portisch, Hugo 234 Portschy, Tobias 49 Preradović, Paula von 50 Priestley, John 237 Proft, Gabriele 196 Propertius, Sextus Aurelius 227 Raab, Julius 15, 73, 144, 187, 189 Radetzky, Josef Wenzel 164 Rathkolb, Oliver 170 Ratzinger, Joseph/Papst Benedikt XVI. 23– 24 Rauch, Maja 92 Rauschning, Hermann 97
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Redlich, Josef 227 Rehrl, Stefan 25–34, 86 Reinhardt, Max 97, 98, 100 Renner, Karl 41, 51–52, 146, 164, 170, 183, 208, 218, 228 Renner, Luise 51 Ringel, Erwin 29, 90, 110 Ritschel, Karl Heinz 169 Rundel, Georg 128, 159 Sailer-Wlasits, Paul 43 Sartre, Jean Paul 149 Schaff, Adam 149–157, 162 Schärf, Adolf 108, 140, 161, 168 Scharf, Erwin 145, 160 Scheid, Gerda 185 Scheidl, Hans Werner 213 Schenk, Otto 90 Schickele, René 228 Schiller, Friedrich 9, 71, 245 Schima, Oskar 241 Schlesinger, Gertrud 92 Schlick, Moritz 182 Schmid, Hanns jun. 243–245 Schmid, Hans sen. 241–246 Schmidt, Guido 143 Schmidt-Dengler, Wendelin 68 Schmitt, Carl 205–206 Schmitz, Richard 178 Schmölz, Franz Martin 200 Schneider, Heinrich 191 Schnitzler, Arthur 97, 107 Scholz, Kurt 213 Schönberg, Arnold 178 Schopenhauer, Arthur 44, 105, 242 Schrammel, Johann und Josef 242 Schreiner, Helmut 27 Schuschnigg, Kurt 143, 186, 223 Schütz, Alfred 9 Seipel, Prälat Ignaz 15, 41, 145, 164–165, 226 Seitz, Karl 40 Seneca, Lucius Annaeus 36 Seyß-Inquart, Arthur 143 Silvester I., Papst 11, 19
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Personenregister
Sinowatz, Fred 17, 51, 235–237 Sixtus Ferdinand von Bourbon-Parma 227 Solschenizyn, Alexander 66 Spaemann, Robert 83 Spann, Othmar 116, 182 Spiel, Hilde 58 Spinoza, Baruch 34 Srbik, Heinrich Ritter von 74 Stalin, Josef 19, 87, 113, 156, 180, 183, 201–205, 207, 209 Stavianicek, Hedwig 64, 68 Steger, Heinrich 106 Stegmüller, Wolfgang 83 Steinbach, Günther 168 Steinberg, Michael P. 100 Stern, Josef Luitpold 40 Stern, Leo 183 Stourzh, Gerald 53 Stransky, Erwin 12, 105–113 Stransky, Josefine 106–107 Stransky, Moritz 105 Strasser, Peter 156–157 Strauß, Franz Josef 223 Strauss, Richard 91, 100 Tandler, Julius 48, 112, 232 Thirring, Walter 84 Tillich, Paul 118 Tito, Josip Broz 180, 201–203, 206, 209 Toman, Walter 140 Torberg, Friedrich 13, 44, 58, 60, 232 Trebitsch, Arthur 97 Trotzki, Leo 203–205, 207 Tschadek, Otto 18 Tscharmann, Josef und Hieronymus 43 Tuppy, Karl 106
Voltaire, François Marie Arouet 66 Voslensky, Michael 203 Vranitzky, Franz 17, 64, 166, 188–189 Wagner-Jauregg,, Julius 105–106 Waldbrunner, Karl 188 Waldheim, Kurt 188 Wałęsa, Lech 151 Walheim, Alfred 51 Weber, Marianne und Max 80 Weigel, Hans 55–61, 100 Weinzierl, Erika 77, 196, 234 Wessely, Familie 245 Wildgans, Anton 10, 58, 89–103 Wildgans, Lilly 89, 90 Wildgans, Ralf 92 Withalm, Hermann 189 Wittgenstein, Paul und Ludwig 67 Wolff, Karl 133–134 Wuketits, Franz M. 85 Wunsch, Franz Ferry 241 Zechner, Leopold 210 Zeemann, Dorothea 35 Zilk, Franz 214, 215 Zilk, Helmut 177, 211–216, 225, 226, 246 Zimmer, Christiane und Heinrich 91 Zita, Kaiserin 212–213, 227 Zola, Émile 66 Zweig, Stefan 113, 213
Ungar, Prälat Leopold 16, 18, 21–23, 77 Unseld, Siegfried 63 Urban, Hubert 110 Verdroß-Droßberg, Alfred 127–131, 133 Vergil, Publius Vergilius Maro 36 Verosta, Stephan 73 Voegelin, Eric 125
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HER AUSGEGEBEN VON CHRISTIAN BRÜNNER, WOLFGANG MANTL , MANFRIED WEL AN 1
KORRUPTION UND KONTROLLE. HG. V. CHRISTIAN BRÜNNER. 1981. 726 S. MIT 8 TAB. I. TEXT. BR. ISBN 3-205-08457-8 (VERGRIFFEN)
2
UNBEHAGEN IM PARTEIENSTAAT. JUGEND UND POLITIK IN
ÖSTERREICH. VON FRITZ PLASSER UND PETER A. ULRAM. 1982. 208 S., TAB. U. GRAPH. I. TEXT. BR. ISBN 3-205-08458-6 (VERGRIFFEN)
3
LANDESVERFASSUNGSREFORM. HG. V. REINHARD RACK. 1982. 255 S. BR. ISBN 3-205-08459-4 (VERGRIFFEN)
4
NATION ÖSTERREICH. KULTURELLES BEWUSSTSEIN UND GESELLSCHAFTLICH-POLITISCHE PROZESSE. VON ERNST BRUCKMÜLLER. 2. ERWEITERTE AUFLAGE 1996. 472 S., ZAHLR. GRAPH. I. TEXT. BR. ISBN 978-3-205-98000-1
5
KRISE DES FORTSCHRITTS. HG. V. GRETE KLINGENSTEIN. 1984. 172 S., GRAPH. I. TEXT. BR. ISBN 3-205-08461-6 (VERGRIFFEN)
6
PARTEIENGESELLSCHAFT IM UMBRUCH. PARTIZIPATIONSPROBLEME V. GROSSPARTEIEN. VON ANTON KOFLER. 1985. 132 S., 58 TAB. BR.
ISBN 3-205-08463-2 (VERGRIFFEN)
7
GRUNDRECHTSREFORM. HG. V. REINHARD RACK. 1985. 302 S. BR.
ISBN 3-205-08462-4 (VERGRIFFEN)
8
AUFGABENPLANUNG. ANSÄTZE FÜR RATIONALE VERWALTUNGSREFORM. VON HELMUT SCHATTOVITS. 1988. 220 S. BR.
9
ISBN 3-205-08464-0 (VERGRIFFEN) DEMOKRATIERITUALE. ZUR POLITISCHEN KULTUR DER INFORMATIONSGESELLSCHAFT. HG. V. FRITZ PLASSER, PETER A. ULRAM U. MANFRIED WELAN. 1985. 291 S., 91 TAB. I. TEXT. BR. ISBN 978-3-205-08467-9
10 POLITIK IN ÖSTERREICH. DIE ZWEITE REPUBLIK: BESTAND UND WANDEL.
HG. V. WOLFGANG MANTL. 1992. XV, 1084 S. GB.
ISBN 978-3-205-05379-8 (VERGRIFFEN)
11 FLEXIBLE ARBEITSZEITEN. EINE FIXE IDEE. VON RUDOLF BRETSCHNEIDER, RUPERT DOLLINGER, JOACHIM LAMEL U. PETER A. ULRAM. 1985. 133 S., 33 TAB. I. TEXT. BR. ISBN 3-205-08469-1 (VERGRIFFEN) 12 VERFASSUNGSPOLITIK. DOKUMENTATION STEIERMARK. VON CHRISTIAN BRÜNNER, WOLFGANG MANTL, DIETMAR PAUGER UND REINHARD RACK. 1985. 294 S. BR. ISBN 3-205-08465-9 (VERGRIFFEN) 13 KRISEN. EINE SOZIOLOGISCHE UNTERSUCHUNG. VON MANFRED PRISCHING. 1986. 730 S., ZAHLR. TAB. U. GRAPH. I. TEXT. BR.
ISBN 978-3-205-08468-6
böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, 1010 wien. t : + 43(0)1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HER AUSGEGEBEN VON CHRISTIAN BRÜNNER, WOLFGANG MANTL , MANFRIED WEL AN 14 SCHWEIZ – ÖSTERREICH. ÄHNLICHKEITEN UND KONTRASTE. HG. V. FRIEDRICH KOJA U. GERALD STOURZH. 1986. 279 S. BR.
ISBN 3-205-08902-2 (VERGRIFFEN)
15 WAS DIE KANZLER SAGTEN. REGIERUNGSERKLÄRUNGEN DER ZWEITEN REPUBLIK 1945–1987. VON MAXIMILIAN GOTTSCHLICH, OSWALD PANAGL U. MANFRIED WELAN. 1989. VI, 325 S. BR. ISBN 3-205-08900-6 (VERGRIFFEN) 16 TECHNIKSKEPSIS UND NEUE PARTEIEN. POLITISCHE FOLGEN EINES „ALTERNATIVEN“ TECHNIKBILDES. VON ERICH REITER. 1987. 167 S. BR. ISBN 3-205-08904-9 (VERGRIFFEN) 17 DEMOKRATIE UND WIRTSCHAFT. HG. V. JOSEPH MARKO U. ARMIN STOLZ. 1987. 367 S. BR. ISBN 3-205-08905-7 (VERGRIFFEN) 18 SOCIETY, POLITICS AND CONSTITUTIONS. WESTERN AND EAST EUROPEAN VIEWS. VON ANTAL ADAM U. HANS G. HEINRICH. 1987. 212 S. BR. ISBN 3-205-08907-3 (VERGRIFFEN) 19 USA: VERFASSUNG UND POLITIK. VON FRANCIS H. HELLER. 1987. 120 S. BR. ISBN 3-205-08906-5 (VERGRIFFEN) 20 UMWELTSCHUTZRECHT. VON BERNHARD RASCHAUER. 2. AUFL. 1988. 304 S. BR. ISBN 3-205-05143-2 (VERGRIFFEN) 21 VERFALL UND FORTSCHRITT IM DENKEN DER FRÜHEN RÖMISCHEN KAISERZEIT. STUDIEN ZUM ZEITGEFÜHL UND GESCHICHTSBEWUSSTSEIN DES JAHRHUNDERTS NACH AUGUSTUS. VON KARL DIETRICH BRACHER. 1987. 348 S. BR. ISBN 3-205-08909-X (VERGRIFFEN) 22 DAS ÖSTERREICHISCHE PARTEIENSYSTEM. HG. V. ANTON PELINKA U. FRITZ PLASSER. 1988. 800 S. BR. ISBN 978-3-205-08910-0 (VERGRIFFEN) 23 PARTEIEN UNTER STRESS. ZUR DYNAMIK DER PARTEIENSYSTEME IN ÖSTERREICH, DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND UND DEN VEREINIGTEN STAATEN. VON FRITZ PLASSER. 1987. 344 S. BR.
ISBN 3-205-08911-1 (VERGRIFFEN)
24 IDEOLOGIE UND AUFKLÄRUNG. WELTANSCHAUUNGSTHEORIE UND POLITIK. VON KURT SALAMUN. 1988. 142 S. BR. ISBN 3-205-05126-2
(VERGRIFFEN)
25 DIE NEUE ARCHITEKTUR EUROPAS. REFLEXIONEN IN EINER BEDROHTEN WELT. HG. V. WOLFGANG MANTL. 1991. 332 S. LN. M. SU.
ISBN 978-3-205-05412-2
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HER AUSGEGEBEN VON CHRISTIAN BRÜNNER, WOLFGANG MANTL , MANFRIED WEL AN 26 DIE GROSSE KRISE IN EINEM KLEINEN LAND. ÖSTERREICHISCHE FINANZ- UND WIRTSCHAFTSPOLITIK 1929–1938. VON DIETER STIEFEL. 1989. X, 428 S. BR. ISBN 3-205-05132-7 (VERGRIFFEN) 27 DAS RECHT DER MASSENMEDIEN. EIN LEHR- UND HANDBUCH FÜR STUDIUM UND PRAXIS. VON WALTER BERKA. 1989. II, 356 S. BR.
ISBN 3-205-05194-7 (VERGRIFFEN)
28 STAAT UND WIRTSCHAFT. AM BEISPIEL DER ÖSTERREICHISCHEN FORSTGESETZGEBUNG VON 1950–1987. VON WERNER PLESCHBERGER. 1989. 579 S. BR. ISBN 3-205-05204-8 (VERGRIFFEN) 29 WEGE ZUR GRUNDRECHTSDEMOKRATIE. STUDIEN ZUR BEGRIFFS- UND INSTITUTIONEN-GESCHICHTE DES LIBERALEN VERFASSUNGSSTAATES. VON GERALD STOURZH. 1989. XXII, 427 S. BR. ISBN 978-3-205-05218-0 (VERGRIFFEN) 30 GEIST UND WISSENSCHAFT IM POLITISCHEN AUFBRUCH MITTELEUROPAS. BEITRÄGE ZUM ÖSTERREICHISCHEN WISSENSCHAFTSTAG 1990. HG. V. MEINRAD PETERLIK UND WERNER WALDHÄUSL. 1991. 268 S. BR.
ISBN 978-3-205-05464-1
31 FINANZKRAFT UND FINANZBEDARF VON GEBIETSKÖRPERSCHAFTEN. ANALYSEN UND VORSCHLÄGE ZUM GEMEINDEFINANZAUSGLEICH IN ÖSTERREICH. HG. V. CHRISTIAN SMEKAL U. ENGELBERT THEURL. 1990. 307 S. BR. ISBN 3-205-05237-4 (VERGRIFFEN) 32 REGIONALE UNGLEICHHEIT. VON MICHAEL STEINER. 1990. 258 S. BR. ISBN 978-3-205-05281-4 33 BÜROKRATISCHE ANARCHIE. DER NIEDERGANG DES POLNISCHEN „REALSOZIALISMUS“. VON AUGUST PRADETTO. 1992. 156 S. BR.
ISBN 978-3-205-05421-4
34 VOR DER WENDE. POLITISCHES SYSTEM, GESELLSCHAFT UND POLITISCHE REFORMEN IM UNGARN DER ACHTZIGER JAHRE.
HG. V. SÁNDOR KURTÁN. AUS D. UNGAR. V. ALEXANDER KLEMM. 1993. 272 S. BR. ISBN 978-3-205-05381-1
35 HEGEMONIE UND EROSION. POLITISCHE KULTUR UND POLITISCHER WANDEL IN ÖSTERREICH. VON PETER A. ULRAM. 1990. 366 S. BR.
ISBN 3-205-05346-X (VERGRIFFEN)
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HER AUSGEGEBEN VON CHRISTIAN BRÜNNER, WOLFGANG MANTL , MANFRIED WEL AN 36 GEHORSAME REBELLEN. BÜROKRATIE UND BEAMTE IN ÖSTERREICH 1780–1848. VON WALTRAUD HEINDL. 1991. 388 S., 12 SW-ABB. GB. ISBN 978-3-205-05370-5 37 KULTUR UND POLITIK – POLITIK UND KUNST. VON MANFRED WAGNER. 1991. 367 S. BR. ISBN 978-3-205-05396-5 38 REVOLUTION
UND
VÖLKERRECHT.
VÖLKERRECHTSDOGMATISCHE
GRUNDLEGUNG DER VORAUSSETZUNGEN UND DES INHALTS EINES WAHLRECHTS IN BEZUG AUF VORREVOLUTIONÄRE VÖLKERRECHTLICHE RECHTE UND PFLICHTEN. VON MICHAEL GEISTLINGER. 1991. 554 S. BR. ISBN 978-3-205-05414-6 (VERGRIFFEN) 39 SLOWENIEN – KROATIEN – SERBIEN. DIE NEUEN VERFASSUNGEN. HG. V. JOSEPH MARKO UND TOMISLAV BORIC. 1994. 467 S. BR.
ISBN 3-205-98283-5 (VERGRIFFEN)
40 DER BUNDESPRÄSIDENT. KEIN KAISER IN DER REPUBLIK. VON MANFRIED WELAN. 1992. 119 S. BR. ISBN 978-3-205-05529-7 41 WEGE ZUR BESSEREN FINANZKONTROLLE. VON HERBERT KRAUS UND WALTER SCHWAB. 1992. 167 S. BR. ISBN 3-205-05530-6 42 BRUCHLINIE EISERNER VORHANG. REGIONALENTWICKLUNG IM ÖSTERREICHISCH- UNGARISCHEN GRENZRAUM. VON MARTIN SEGER U. PAL BELUSZKY. 1993. XII, 304 S., 16 S. FARBABB. GB. ISBN 978-3-205-98048-3 43 REGIERUNGSDIKTATUR ODER STÄNDEPARLAMENT? GESETZGEBUNG IM AUTORITÄREN ÖSTERREICH. VON HELMUT WOHNOUT. 1993. 473 S. BR. ISBN 978-3-205-05547-1 44 DIE ÖSTERREICHISCHE HANDELSPOLITIK DER NACHKRIEGSZEIT 1918 BIS 1923. DIE HANDELSVERTRAGSBEZIEHUNGEN ZU DEN NACHFOLGESTAATEN. VON JÜRGEN NAUTZ. 1994. 601 S. BR.
ISBN 978-3-205-98118-3 (VERGRIFFEN)
45 REGIMEWECHSEL. DEMOKRATISIERUNG U. POLITISCHE KULTUR IN OST-MITTELEUROPA. HG. V. PETER GERLICH, FRITZ PLASSER U. PETER A. ULRAM. 1992. 483 S., ZAHLR. TAB. U. GRAPH. BR.
ISBN 978-3-205-98014-8
46 DIE WIENER JAHRHUNDERTWENDE. HG. V. JÜRGEN NAUTZ UND RICHARD VAHRENKAMP. 2. AUFL. 1996. 968 S., 32 S. SW-ABB. GB.
ISBN 978-3-205-98536-5
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HER AUSGEGEBEN VON CHRISTIAN BRÜNNER, WOLFGANG MANTL , MANFRIED WEL AN 47 AUSWEG EG? INNENPOLITISCHE MOTIVE EINER AUSSENPOLITISCHEN UMORIENTIERUNG. VON ANTON PELINKA, CHRISTIAN SCHALLER UND PAUL LUIF. 1994. 309 S. BR. ISBN 978-3-205-98051-3 48 DIE KLEINE KOALITION IN ÖSTERREICH: SPÖ – FPÖ (1983–1986). VON ANTON PELINKA. 1993. 129 S. BR. ISBN 3-205-98052-2 (VERGRIFFEN) 49 MANAGEMENT VERNETZTER UMWELTFORSCHUNG. WISSENSCHAFTSPOLITISCHES LEHRSTÜCK WALDSTERBEN. VON MAX KROTT. 1994. 325 S. BR. ISBN 978-3-205-98129-9 50 POLITIKANALYSEN. UNTERSUCHUNGEN ZUR PLURALISTISCHEN DEMOKRATIE. VON WOLFGANG MANTL. 2007. 345 S. BR. ISBN 978-3-205-98459-7 51 AUTONOMIE UND INTEGRATION. RECHTSINSTITUTE DES NATIONALITÄTENRECHTS IM FUNKTIONALEN VERGLEICH. VON JOSEPH MARKO. 1995. XIV, 550 S. + LXVIII. BR. ISBN 978-3-205-98274-6 52 GRUNDZÜGE FREMDER PRIVATRECHTSSYSTEME. EIN STUDIENBUCH. VON WILLIBALD POSCH. 1995. XXVIII, 205 S. BR. ISBN 978-3-205-98387-3 53 IDENTITÄT UND NACHBARSCHAFT. DIE VIELFALT DER ALPEN-ADRIA-LÄNDER. HG. V. MANFRED PRISCHING. 1994. 424 S. BR.
ISBN 978-3-205-98307-1
54 PARLAMENTARISCHE KONTROLLE. DAS INTERPELLATIONS-, RESOLUTIONS- U. UNTER SUCHUNGSRECHT. EINE RECHTSDOGMATISCHE DARSTELLUNG MIT HISTORISCHEM ABRISS U. EM PIRISCHER ANALYSE. VON ANDREAS NÖDL. 1995. 198 S. BR. ISBN 978-3-205-98161-9 55 ALFRED MISSONG. CHRISTENTUM UND POLITIK IN ÖSTERREICH. AUSGEWÄHLTE SCHRIFTEN 1924–1950. HG. ALFRED MISSONG JR. IN VERBINDUNG MIT CORNELIA HOFFMANN UND GERALD STOURZH. 2006. 476 S. GB. ISBN 978-3-205-77385-6 56 STAAT UND GESUNDHEITSWESEN. ANALYSEN HISTORISCHER FALLBEISPIELE AUS DER SICHT DER NEUEN INSTITUTIONELLEN ÖKONOMIK.
VON ENGELBERT THEURL. 1996. 302 S. BR. ISBN 978-3-205-98461-0
57 ELITEN IN ÖSTERREICH. 1848–1970. VON GERNOT STIMMER. 1997. 2 BDE., ZUS. 1140 S. 38 SW-ABB. GB. ISBN 978-3-205-98587-7 58 FRANKREICH – ÖSTERREICH. WECHSELSEITIGE WAHRNEHMUNG UND WECHSELSEITIGER EINFLUSS SEIT 1918. HG. V. FRIEDRICH KOJA U. OTTO PFERSMANN. 1994. 307 S., 19 SW-ABB. BR.
ISBN 978-3-205-98295-1
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HER AUSGEGEBEN VON CHRISTIAN BRÜNNER, WOLFGANG MANTL , MANFRIED WEL AN 59 FAHNENWÖRTER DER POLITIK. KONTINUITÄTEN UND BRÜCHE. HG. V. OSWALD PANAGL. 1998. 351 S. BR. M. SU. ISBN 978-3-205-98867-0 60 AVANTGARDE DES WIDERSTANDS. MODELLFÄLLE MILITÄRISCHER AUFLEHNUNG IN OSTMITTEL- UND OSTEUROPA IM 19. UND 20. JAHRHUNDERT. VON RICHARD G. PLASCHKA. 1999. 2 BDE., 630 + 432 S. 32 SW-ABB. GB. ISBN 978-3-205-98390-3 61 BERNARD BOLZANO. STAAT, NATION UND RELIGION ALS HERAUSFORDERUNG FÜR DIE PHILOSOPHIE IM KONTEXT VON SPÄTAUFKLÄRUNG, FRÜHNATIONALISMUS UND RESTAURATION. HG. V. HELMUT RUMPLER. 2000. 423 S. BR. ISBN 978-3-205-99327-8 62 UM EINHEIT UND FREIHEIT. STAATSVERTRAG, NEUTRALITÄT UND DAS ENDE DER OST-WEST-BESETZUNG ÖSTERREICHS 1945–1955. VON GERALD STOURZH. 5., DURCHGESEHENE AUFL. 2005. II, 848 S., 19 SWABB. GB. ISBN 978-3-205-77333-7 63 ÖSTERREICH UNTER ALLIIERTER BESATZUNG 1945–1955. HG. V. ALFRED ABLEI TINGER, SIEGFRIED BEER UND EDUARD G. STAUDINGER. 1998. 600 S. ISBN 978-3-205-98588-4 64 EVALUATION IM ÖFFENTLICHEN SEKTOR. VON EVERT VEDUNG. 1999. XVIII, 274 S. 47 GRAPHIKEN U. TABELLEN. BR. ISBN 978-3-205-98448-1 65 LIBERALISMUS. INTERPRETATIONEN UND PERSPEKTIVEN. HG. V. EMIL BRIX U. WOLFGANG MANTL. 1996. 320 S. GB. ISBN 978-3-205-98447-4 (VERGRIFFEN) 66 HERBERT STOURZH – GEGEN DEN STROM. AUSGWÄHLTE SCHRIFTEN GEGEN RASSISMUS, FASCHISMUS UND NATIONALSOZIALISMUS 1924– 1938. HG. GERALD STOURZH. 2008. 186 S. BR. ISBN 978-3-205-77875-2 67 DIE UNIVERSITÄT ALS ORGANISATION. DIE KUNST, EXPERTEN ZU MANAGEN. VON ADA PELLERT. 1999. 346 S. M. 5 S. SW-ABB. BR.
ISBN 978-3-205-99080-2
68 GEMEINDEN IN ÖSTERREICH IM SPANNUNGSFELD VON STAATLICHEM SYSTEM UND LOKALER LEBENSWELT. HG. V. DORIS WASTL-WALTER. 2000. 248 S. 18 GRAPH. 17 KARTEN. 71 TAB. 1 FALTK. BR.
ISBN 978-3-205-99212-7
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HER AUSGEGEBEN VON CHRISTIAN BRÜNNER, WOLFGANG MANTL , MANFRIED WEL AN 69 NOCH EINMAL DICHTUNG UND POLITIK. VOM TEXT ZUM POLITISCHSOZIALEN KONTEXT, UND ZURÜCK. HG. V. OSWALD PANAGL UND WALTER WEISS. 2000. 462 S. BR. ISBN 978-3-205-99289-9 70 POLITIK, STAAT UND RECHT IM ZEITENBRUCH. SYMPOSION AUS ANLASS DES 60. GEBURTSTAGS VON WOLFGANG MANTL. HG. V. JOSEPH MARKO UND KLAUS POIER. 2001. 197 S. MIT 3 SW-ABB. GB.
ISBN 978-3-205-99259-2
71 QUALITÄTSSICHERUNG UND RECHENSCHAFTSLEGUNG AN UNIVERSITÄTEN. EVALUIERUNG UNIVERSITÄRER LEISTUNGEN AUS RECHTS- UND SOZIALWISSENSCHAFTLICHER SICHT. VON EVA PATRICIA STIFTER. 2002. 410 S. BR. ISBN 978-3-205-99317-9 72 KULTURGESCHICHTE DES HEILIGEN RÖMISCHEN REICHES 1648 BIS 1806. VERFASSUNG, RELIGION UND KULTUR. VON PETER CLAUS HARTMANN. 2001. 510 S. MIT ZAHLR. SW-ABB. GB. ISBN 978-3-205-99308-7 73 MINDERHEITENFREUNDLICHES MEHRHEITSWAHLRECHT. RECHTS- UND POLITIKWISSENSCHAFTLICHE ÜBERLEGUNGEN ZU FRAGEN DES WAHLRECHTS UND DER WAHLSYSTEMATIK. VON KLAUS POIER. 2001. 379 S. 18 TAB. 8 GRAPH. BR. ISBN 978-3-205-99338-4 74 RECHTSENTWICKLUNG IM BANNKREIS DER EUROPÄISCHEN INTEGRATION. VON HUBERT ISAK. BR. ISBN 3-205-99326-8. IN VORBEREITUNG. 75 GIGATRENDS. ERKUNDUNGEN DER ZUKUNFT UNSERER LEBENSWELT. HG. V. FRANZ KREUZER, WOLFGANG MANTL UND MARIA SCHAUMAYER. 2003. XII + 339 S. M. 13 SW-ABB. UND 2 TAB. GB. ISBN 978-3-205-98962-2 76 AUTONOMIE IM BILDUNGSWESEN. ZUR TOPOGRAPHIE EINES BILDUNGSPOLITISCHEN SCHLÜSSELBEGRIFFS. VON WALTER BERKA. 2002. 213 S. BR. ISBN 978-3-205-99309-4 77 HOCHSCHULZUGANG IN EUROPA. EIN LÄNDERVERGLEICH ZWISCHEN ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND, ENGLAND UND DER SCHWEIZ. VON ELISABETH HÖDL. 2002. 227 S. BR. ISBN 978-3-205-99421-3 78 FORSCHUNG UND LEHRE. DIE IDEE DER UNIVERSITÄT BEI HUMBOLDT, JASPERS, SCHELSKY UND MITTELSTRASS. VON HEDWIG KOPETZ. 2002. 137 S. M. 4 SW-ABB. BR. ISBN 978-3-205-99422-0
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HER AUSGEGEBEN VON CHRISTIAN BRÜNNER, WOLFGANG MANTL , MANFRIED WEL AN 79 EUROPÄISCHE KULTURGESCHICHTE: GELEBT, GEDACHT,
VERMITTELT. VON MANFRED WAGNER. 2009. 922 S. GB.
ISBN 978-3-205-77754-0
80 ULTUR DER DEMOKRATIE. FESTSCHRIFT FÜR MANFRIED WELAN ZUM 65. GEBURTSTAG. HG. VON CHRISTIAN BRÜNNER, WOLFGANG MANTL, ALFRED J. NOLL UND WERNER PLESCHBERGER. 2002. 383 S. M. ZAHLR. TAB. UND 1 SW-ABB. GB. ISBN 978-3-205-77005-3 81 OKKUPATION UND REVOLUTION IN SLOWENIEN (1941–1946). EINE VÖLKERRECHT LI CHE UNTERSUCHUNG. VON DIETER BLUMENWITZ. 2005. 162 S. BR. ISBN 978-3-205-77250-7 82 DER KONVENT ZUR ZUKUNFT DER EUROPÄISCHEN UNION. HG. VON WOLFGANG MANTL, SONJA PUNTSCHER RIEKMANN UND MICHAEL SCHWEITZER. 2005. 185 S. BR. ISBN 978-3-205-77127-2 83 ART GOES LAW. DIALOGE ZUM WECHSELSPIEL ZWISCHEN KUNST UND RECHT. HG. VON DIETMAR PAUGER. 2005. 269 S. MIT 9 SW-ABB. BR.
ISBN 978-3-205-77128-9
84 DIREKTE DEMOKRATIE. VON KLAUS POIER. IN VORBEREITUNG 85 HOCHSCHULRECHT – HOCHSCHULMANAGEMENT – HOCHSCHULPOLITIK. SYMPOSION AUS ANLASS DES 60. GEBURTSTAGES VON CHRISTIAN BRÜNNER. HG. VON GERHARD SCHNEDL UND SILVIA ULRICH. 2003. 258 S. M. 7 GRAPH. UND 5 TAB. GB. ISBN 3-205-99468-X 86 DAS ZERRISSENE VOLK. SLOWENIEN 1941–1946. OKKUPATION, KOLLABORATION, BÜRGERKRIEG, REVOLUTION. VON TAMARA GRIESSER-PEČAR. 2003. 583 S. GB. ISBN 978-3-205-77062-6 87 ZUR QUALITÄT DER BRITISCHEN UND ÖSTERREICHISCHEN DEMOKRATIE. EMPIRISCHE BEFUNDE UND ANREGUNGEN FÜR DEMOKRATIEREFORM. VON E. ROBERT A. BECK UND CHRISTIAN SCHALLER. 2003. XXII + 620 S. MIT ZAHLR. TAB. BR. ISBN 978-3-205-77071-8 88 DIE ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. AUFGABEN, RECHTS STELLUNG, ORGANISATION. VON HEDWIG KOPETZ. 2006. XX + 457 S. MIT 8 SW-ABB. BR. ISBN 978-3-205-77534-8 89 RAUMFAHRT UND RECHT. FASZINATION WELTRAUM. REGELN ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE. HG. VON CHRISTIAN BRÜNNER, ALEXANDER SOUCEK UND EDITH WALTER. 2007. 200 S. MIT ZAHRLEICHEN ABB. IN SW UND FARBE. BR. ISBN 978-3-205-77627-7
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HER AUSGEGEBEN VON CHRISTIAN BRÜNNER, WOLFGANG MANTL , MANFRIED WEL AN 90 SOZIOKULTURELLER WANDEL IM VERFASSUNGSSTAAT.
PHÄNOMENE POLITISCHER TRANSFORMATION. FESTSCHRIFT FÜR WOLFGANG MANTL ZUM 65. GEBURTSTAG. HG. VON HEDWIG KOPETZ, JOSEPH MARKO UND KLAUS POIER. 2004. XXIV + 700 S.,
X + 1000 S. MIT ZAHLR. TAB., GRAPH. UND ABB. 2 BDE. GB. IM SCHUBER. ISBN 978-3-205-77211-8
91 NATIONALES WELTRAUMRECHT. NATIONAL SPACE LAW. DEVELOPMENT IN EUROPE – CHALLENGES FOR SMALL COUNTRIES. HG. VON CHRISTIAN BRÜNNER UND EDITH WALTER. 2008. 231 S. MIT ZAHLREICHEN ABB. BR. ISBN 978-3-205-77760-1 93 KARL LUEGER (1884–1910). CHRISTLICHSOZIALE POLITIK ALS BERUF. VON JOHN W. BOYER. AUS DEM ENGLISCHEN ÜBERSETZT VON OTMAR BINDER. 2009. 595 S. MIT 19 SW-ABB. GB. ISBN 978-3-205-78366-4 94 DER ÖSTERREICHISCHE MENSCH. KULTURGESCHICHTE DER EIGENART ÖSTERREICHS. VON WILLIAM M. JOHNSTON. BEARBEITET VON JOSEF SCHIFFER. 2009. 384 S. GB. ISBN 978-3-205-78298-8 95 FUNKTIONEN DES RECHTS IN DER PLURALISTISCHEN WISSENSGESELLSCHAFT. FESTSCHRIFT FÜR CHRISTIAN BRÜNNER ZUM 65. GEBURTSTAG. HG. VON SILVIA ULRICH, GERHARD SCHNEDL UND RENATE PIRSTNEREBNER. GESAMTREDAKTION: ANDREA LAUER. 2007. XXIV + 696 S. GB. ISBN 978-3-205-77513-3 97 DEMOKRATIE IM UMBRUCH. PERSPEKTIVEN EINER WAHLRECHTSREFORM. HG. VON KLAUS POIER. 2009. 329 S. MIT ZAHLREICHEN TAB. BR.
ISBN 978-3-205-78434-0
101 SKURRILE BEGEGNUNGEN. MOSAIKE ZUR ÖSTERREICHISCHEN
GEISTESGESCHICHTE. NORBERT LESER. 2011. 254 S. GB. MIT SU.
2 S/ W ABB. ISBN 978-3-205-78658-0
105 LEBENSZEUGNISSE ÖSTERREICHISCHER VIZEKANZLER. DAS POLITISCHE SYSTEM ÖSTERREICHS IM EUROPÄISCHEN VERGLEICH. VON WOLFGANG MANTL . 2012. ISBN 978-3-205-77759-5
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