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German Pages 216 Year 2022
Norbert Wiener · Mensch und Menschmaschine
Norbert Wiener
Mensch und Menschmaschine Herausgegeben und mit einem Vorwort von Peter Trawny
KlostermannRoteReihe
Titel der amerikanischen Originalausgabe: The Human Use of Human Beings: Cybernetics and Society Autorisierte Übersetzung von Gertrud Walther zuerst erschienen 1952 bei: Alfred Metzner Verlag, Frankfurt am Main / Berlin
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © für diese Ausgabe Vittorio Klostermann GmbH · Frankfurt am Main · 2022 Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des Nachdrucks und der Übersetzung. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Werk oder Teile in einem photomechanischen oder sonstigen Reproduktionsverfahren oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten, zu vervielfältigen und zu verbreiten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Marion Juhas, Frankfurt am Main Druck: docupoint GmbH, Barleben Printed in Germany ISSN 1865-7095 ISBN 978-3-465-04599-1
Der Erinnerung an meinen Vater LEO WIENER weiland Professor für slawische Sprachen an der Harvard-Universität meinen vertrautesten Mentor und liebsten Gegner
Inhalt Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Vorbemerkung der Übersetzerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I.
Was ist Kybernetik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Die menschenwürdige Verwendung des Menschen. . . . . . 26 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
II.
Fortschritt und Entropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
III
Starrheit und Lernfähigkeit: zwei Schemata des kommunikativen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
IV.
Der Mechanismus der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
V.
Die Geschichte der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
VI.
Der Mensch – eine Nachricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
VII. Recht und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 VIII. Kommunikation und Geheimhaltung in der modernen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 IX.
Der Intellektuelle und der Naturwissenschaftler. . . . . . . 139
X.
Die erste und die zweite industrielle Revolution . . . . . . . 157
XI.
Einige Kommunikationsmaschinen und ihre Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
XII. Stimmen der Starre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Vorwort des Herausgebers Die Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts kann nicht erzählt werden ohne den Nachkriegserfolg der Kybernetik, und die Geschichte der Kybernetik kann nicht verstanden werden, ohne sich mit Norbert Wiener zu beschäftigen. In seinem Buch Das Bewußtsein der Maschinen nennt Gotthard Günther die Kybernetik ein „bizarres, aber imposantes Gedankengebäude“.1 Ihre unmittelbaren Folgen erkannte Günther im Jahre 1957 vor allem in der „Shannonschen Informationstheorie, der generellen Kommunikationstheorie, der Theorie der sich selbst organisierenden Systeme und neu entstehender mathematischer Disziplinen“. All das sei ohne Wieners Arbeiten, die Günther natürlich zitiert, nicht möglich gewesen. 2 Norbert Wiener wurde am 26. November 1894 in Columbia, Missouri, als Kind eines aus Ost-Europa emigrierten jüdischen Elternpaares geboren. Der Vater Leo Wiener war Historiker und Linguist, der unter anderem an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin studiert hatte. Stolz berichtet Norbert, dass sein Familienstammbaum auch den großen jüdischen Mittelalter-Philosophen Moses Maimonides enthielte. 3 Er galt als Wunderkind. 1 Gotthard Günther: Das Bewußtsein der Maschinen. Eine Metaphysik der Kybernetik. Vittorio Klostermann Verlag: Frankfurt am Main 2021, S. 17. Vgl. überhaupt mein Nachwort zu diesem Buch S. 193–200. Mit dem Hinweis auf die „Shannonsche Informationstheorie“ denkt Günther an die Entwicklung des Sender-Empfänger-Modells von Claude E. Shannon und Warren Weaver in den Vierzigerjahren, unter „sich selbst organisierende Systeme“ haben wir uns alle Systeme vorzustellen, die nach den Gesetzen eines Regelkreislaufs funktionieren. 2 Die Geschichte der Kybernetik muss auch den Namen Hermann Schmidt berücksichtigen. Schmidt entwickelte Anfang der Vierzigerjahre in Deutschland die sogenannte „Regelungstechnik“, ohne von Wieners Forschungen zur Kybernetik zu wissen. Vgl. Hermann Schmidt: Die anthropologische Bedeutung der Kybernetik. Reproduktion dreier Texte aus den Jahren 1941, 1953 und 1954. Schnelle Verlag: Quickborn 1965. 3 Norbert Wiener: Ich und die Kybernetik. Der Lebensweg eines Genies. Wilhelm Goldmann Verlag: München o.J., S. 8, 19. Maimonides ist der
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„Mit sieben Jahren“, so schreibt Wiener 1956, habe er „einen wissenschaftlichen Aufsatz“ gelesen, „der unmittelbaren Einfluß auf meine gegenwärtige Arbeit gehabt“ habe; der Text habe „die Bewegung eines Nervenimpulses, der an einer Nervenfaser entlangwandert, als sprunghaft aufeinanderfolgenden Vorgang und nicht als kontinuierliche elektrische Erscheinung“ behandelt: „Der Aufsatz rief in mir den Wunsch wach, Automaten zu bauen, die gleichsam lebten.“4 Wiener sollte sich diesen Wunsch mehr oder weniger erfüllen. 1906, im Alter von 11 Jahren, begann er auf dem Tufts College Mathematik zu studieren, wechselte 1909 nach Harvard, um dort im Jahre 1912, mit 17 Jahren demnach, seine Dissertation abzuschließen. Danach ging er nach Cambridge in England, um bei Bertrand Russell zu studieren. Er hätte dort auf einen gewissen Ludwig Wittgenstein treffen können, der damals an seinem Tractatus logico-philosophicus arbeitete. Ein Studienaufenthalt in Göttingen ermöglichte ihm, Vorlesungen des großen Mathematikers David Hilbert und auch „Professor Husserls Vorlesung über Kant“ zu hören, wobei er einräumt, „daß meine Deutschkenntnisse für die Feinheiten der philosophischen Sprache nicht ausreichten“.5 Ab 1919 arbeitete Wiener am Massachusetts Institute of Technology, besser bekannt als M. I. T., bis zu seiner Emeritierung. „Ein Wissenschaftler muß Weltbürger sein“,6 schreibt er in seiner Autobiographie; und genau als ein solcher lebte er. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er in Göttingen, Cambridge, Paris oder auch Oslo. 1942 schreibt er seinen jenseits der Kybernetik wichtigsten Text für das National Defense Research Council The Extrapolation, Interpretation and Smoothing of Stationary Time Series with Engineering Applications. In diesem Text arbeitet er die noch heute in der Computer-Wissenschaft wichtige Erfindung des sogenannten Wiener-Filters aus, eine Technologie zur Rauschunterdrückung für den Computer-Bildschirm. Dabei ist der Hinweis tor des Führer der Unschlüssigen (Ende des 12. Jahrhunderts), eines monumentalen Textes, der das jüdische Denken durch Aristoteles-Lektüre mit der griechischen Philosophie verbindet. Der Veröffentlichungsort von Wieners Autobiographie sagt einiges über seine Popularität in den Fünfziger- bis Siebzigerjahren aus. Der ursprüngliche Titel ist allerdings weit weniger reißerisch: I am a Mathematician. 4 Ebd., S. 13f. 5 Ebd., S. 26f. 6 Ebd., S. 12.
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auf das National Defense Research Council kein Zufall, denn am M.I.T. beschäftigte sich Wiener lange mit „Vorhersageproblemen“ „bei der Flakfeuerleitung“,7 d.h. mit der Entwicklung effektiver Flakgeschütze. Wiener starb nach einer internationalen Karriere als Pionier der modernen Wissenschaft 1964 auf einer Vortragsreise in Stockholm. * Zur im Jahre 1947 erfolgten Begriffsbestimmung der Kybernetik schreibt Wiener in der „Einführung“ zu seinem Standardwerk Kybernetik. Regelung und Nachrichtenübertragung in Lebewesen und Maschine (im Original: Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine (1948)): Wir haben beschlossen, das ganze Gebiet der Regelung und Nachrichtentheorie, ob in der Maschine oder im Tier, mit dem Namen ‚Kybernetik‘ zu benennen, den wir aus dem griechischen ‚κυβερνήτης‘, ‚Steuermann‘, bildeten. Durch die Wahl dieses Ausdrucks möchten wir anerkennen, daß die erste bedeutende Schrift über Rückkoppelungsmechanismen ein Artikel über Fliehkraftregler (governors) von CLERK MAXWELL ist, der im Jahre 1868 veröffentlicht wurde, und das englische Wort ‚Governor‘ für Fliehkraftregler ist von einer lateinischen Verfälschung von κυβερνήτης abgeleitet. Wir wollten damit auch auf die Tatsache verweisen, daß die Steuermaschine eines Schiffes tatsächlich eine der ersten und am besten entwickelten Formen von Rückkopplungsmechanismen ist.8
Wiener war ohne Zweifel die Galionsfigur der Kybernetik und vermutlich ihr wichtigster, d.h. einflussreichster Theoretiker. Dennoch entstand die Kybernetik aus einem breiten Diskurs, der vor allem in den USA stattfand, um von dort aus in den Fünfziger- und Sechzigerjahren Europa zu erfassen. Wiener erwähnt eine Konferenz in Princeton vom Winter 1943/44, die nicht zu den berühmten Ebd., S. 121, 200. Das Abschießen vor allem von japanischen und deutschen Flugzeugen stellte die US-amerikanischen Ingenieure damals vor größere Probleme. Wiener geht in seinen Texten immer wieder minutiös auf sie ein. So auch in: Kybernetik. Regelung und Nachrichtenübertragung in Lebewesen und Maschine. Rowohlt Verlag: Reinbek bei Hamburg 1968, S. 24f. 8 Ebd., S. 32. In seiner Autobiographie Ich und die Kybernetik erwähnt Wiener, dass er auch an das griechische Wort ἄγγελος (ángelos) im Sinne von „Bote“ gedacht, aber aufgrund der christlichen Bedeutung als „‚Engel‘, Gottesbote“ aufgegeben habe (a.a.O., S. 269). Sonst hätten wir von einer Angeletik sprechen müssen… 7
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Macy-Konferenzen gehörte, die zwischen 1946 und 1953 in New York stattfanden und für gewöhnlich mit der Entstehung der Kybernetik in Zusammenhang gebracht werden.9 Ihre Geschichte stellt zugleich die zentrale Intention, den Zweck der Kybernetik dar. So beschreibt Wiener die Zusammenkünfte von Wissenschaftlern, die regelmäßig „über wissenschaftliche Methodik“10 diskutierten. Dabei meinten er und sein engster Mitarbeiter Arturo Rosenblueth festzustellen, „daß die für das Gedeihen der Wissenschaft fruchtbarsten Gebiete jene wären, die als Niemandsland zwischen den verschiedenen anerkannten Disziplinen vernachlässigt wurden“.11 Dieser Gedanke wendet sich einerseits gegen die Spezialisierung der Wissenschaften. Wiener bezieht sich immer wieder auf Leibniz, den er „das letzte große Universalgenie der Philosophie“12 und einen „Schutzpatron für die Kybernetik“13 nennt. Andererseits ging es darum, von den „Grenzgebieten der Wissenschaft“14 aus diese in einem bisher neuen Sinn für bestimmte Zwecke wie die Entwicklung von Computern, die effektivere Steuerung der Gesellschaft oder die Erfindung neuartiger Prothesen15 zu mobilisieren: „Wir haben jahrelang von einem Institut mit unabhängigen Wissenschaftlern geträumt, die gemeinsam in diesem Niemandsland der Wissenschaft arbeiten; nicht als Untergeordnete irgendeines hohen Exekutivbeamten, sondern vereint durch den Wunsch – ja durch die geistige Notwendigkeit –, das Teilgebiet als Ganzes zu verstehen und einander zu diesem Verstehen zu verhelfen.“16 Die letzte etwas dunkle Bemerkung bedeutet, dass Wiener sich die Kybernetik als ein Ganzes dachte, in das er die Einzelwissenschaften bzw. ihre „Grenzgebiete“ integrieren wollte. Zu diesen Einzelwissenschaften gehörten neben der Mathematik und Physik 9 Vgl. Claus Pias: Zeit der Kybernetik. Eine Einführung. In: Cybernetics – Kybernetik. The Macy-Conferences 1946-1953. Bd. 1. Transactions/Protokolle. Essays und Dokumente. Hrsg. von Claus Pias. Diaphanes: Zürich 2003, S. 9–41. 10 Wiener: Kybernetik. A.a.O., S. 20. 11 Ebd., S. 21. 12 Wiener: Ich und die Kybernetik. A.a.O., S. 17. Wobei Wiener hier zugleich bemerkt, dass er Leibniz als „Höfling, Postenjäger und Philister“ verachte. 13 Wiener: Kybernetik. A.a.O., S. 33. 14 Ebd., S. 21. 15 Ebd., S. 48f. 16 Ebd., S. 22.
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auch die Neurophysiologie, die Biologie, die Soziologie, die Philosophie17 und natürlich die Ingenieurswissenschaften. Die Kybernetik war nach Wiener primär keine Theorie, sondern von vornherein auf technische Anwendung aus. In seiner Autobiographie spricht er einmal von seiner „Erkenntnis, daß das mathematische Werkzeug, das ich suchte, zur Naturbeschreibung geeignet sein mußte, und es wurde mir immer mehr bewußt, daß ich Sprache und Probleme meiner mathematischen Forschungen in der Natur selber suchen mußte“;18 die Mathematik war für Wiener in erster Linie ein „Werkzeug“. * Man könnte vielleicht sagen, dass Wieners Kybernetik sich vor allem um zwei Ideen herum entfaltet: um die der „Rückkopplung“ sowie der „Nachricht“ bzw. der „Information“. Die Kybernetik ist eine Steuerwissenschaft; sie will die Bereiche, in der kybernetische Ideen zum Einsatz kommen, ordnen und dirigieren. Dass dazu Technologien nötig sind, dass die Kybernetik demnach maßgeblich an technischen Innovationen arbeiten musste, liegt auf der Hand. Um aber etwas steuern zu können, bedarf es einer vorgegebenen Richtung, die Wiener einmal als „Muster“ bezeichnet.19 Es ist nicht so, dass das, was geschieht, stets in der ihm vorgegebenen Richtung abläuft. Ein Schiff bleibt nicht ohne Weiteres auf Kurs. Es muss ständig nachgesteuert werden. „Bei einer von einem Muster gelenkten Bewegung“ muss also „die Abweichung der wirklich durchgeführten Bewegung von diesem Muster als neue Eingabe benutzt“ werden, „um den geregelten Teil zu veranlassen, die Bewegung dem Muster näherzubringen“. 20 Die Steuerung eines Schiffes (auch eines Autos oder Flugzeugs oder Panzers etc.) bedarf ständiger Korrekturen, damit es den Kurs zu halten vermag. Diese Korrekturen bekommt es von einem „Rückkopplungssystem“ geliefert, von Daten demnach, die die „wirklich durchgeführte Bewegung“ des Schiffes mithilfe bestimmter Sensoren an den Steuermann sendet. Dieser Steuerung oder Regelung
17 Wiener erwähnt den Philosophen „Dr. F. C. S. Northrup“ (im englischen Original), der eigentlich F. C. S. Northrop heißt. Ebd., S. 40. 18 Wiener: Ich und die Kybernetik. A.a.O., S. 36. 19 Wiener: Kybernetik. A.a.O., S. 26. Vgl. auch Armin Nassehi: Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft. C.H. Beck: München 2019. 20 Wiener: Kybernetik. Ebd.
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bedarf im Prinzip jeder natürliche oder künstliche Organismus, sei er ein einzelnes Tier oder eine ganze Gesellschaft. Es ist klar, dass das, was die „Rückkopplung“ weitergibt, eine „Nachricht“ oder „Information“ sein muss. Wiener expliziert diesen Sachverhalt anhand eines Beispiels: „Nehmen wir nun an, daß ich einen Bleistift aufhebe, so muß ich, um dies zu tun, gewisse Muskeln bewegen.“21 Dieses Muskelbewegen geschieht auf der Basis einer „bewußten oder unbewußten Nachricht an das Nervensystem“. Dazu gehört dann auch, dass die Bewegung hin zum Bleistift (wie die Bewegung des Schiffes) einer ständigen Neuorientierung, d.h. der „Rückkopplung“ bedarf. Die „Nachricht“ aber ist, genauer gefasst, „eine zeitlich diskret oder stetig verteilte Folge meßbarer Ereignisse – genau das, was von den Statistikern eine Zeitreihe genannt“ werde. Dieser statistische Charakter der „Nachricht“ oder „Information“ ist wichtig bei der „Vorhersage der Zukunft“. 22 Und die wiederum ist nötig, um das Schiff oder die Gesellschaft effektiv zu steuern. All das ist elementar auch bei der Steuerung einer Pandemie. Doch Wiener geht noch weiter. In seinem Buch Mensch und Menschmaschine gibt es ein ganzes Kapitel mit der Überschrift „Der Mensch – eine Nachricht“. Wiener bezieht sich hier auf die Genetik, die Information der Erbanlage im Menschen. Die vergleicht er mit der Programmierung von „Rechenmaschinen“, 23 die sich in neuen Programmierungen zu einer neuen Maschine vereinigen können wie bei der „Vereinigung von Keimzellen“. Wenn sich aber die „Nachrichten“ oder „Informationen“ im Technischen und Organischen soweit angleichen lassen, dann gebe „es keine fundamentale absolute Grenze zwischen den Übermittlungstypen, die wir gebrauchen können, um ein Telegramm von Land zu Land zu senden, und den Übermittlungstypen, die für einen lebenden Organismus wie den Menschen zum mindesten theoretisch möglich sind“. 24 In der Tat spricht man in der Genetik von „genetischer Information“ oder einem „genetischen Code“. Dass solche Äußerungen über die Vergleichbarkeit genetischer Sachverhalte mit der Informationsübermittlung bei Wiener nicht unproblematisch sein sollen, ist klar. Wiener will stets auf die Tatsachen als Problem aufmerksam machen, nicht aber sie bloß feststellen. 21 22 23 24
Ebd., S. 27. Ebd. Im vorliegenden Band S. 107f. Ebd., S. 96.
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* Ein Aspekt der Kybernetik verdient hier besondere Erwähnung. Im Gespräch mit Gregory Bateson und Margaret Mead diskutierte Wiener Möglichkeiten der Kybernetik für die Soziologie. Es gebe eine „Dringlichkeit der soziologischen und wirtschaftlichen Probleme des gegenwärtigen Zeitalters der Verwirrung“. 25 Man solle eine „beachtenswerte therapeutische Wirkung auf die gegenwärtige Krankheit der Gesellschaften […] ermöglichen“. An anderer Stelle dekretiert er geradezu, dass „Soziologie und Anthropologie“ „in erster Linie Kommunikationswissenschaften“ seien und daher in die „allgemeine Kategorie der Kybernetik“ fielen. 26 Bemerkenswert dabei ist, dass Wiener die Nachkriegszeit als „Zeitalter der Verwirrung“ bezeichnet. 27 Vermutlich denkt er an den sich anbahnenden Kalten Krieg; aber auch an die neuen Herausforderungen, die er in neuen Technologien auf den Menschen zukommen sieht. So spricht er von „ultraschnellen Rechenmaschinen“, die „im Prinzip ein ideales zentrales Nervensystem für eine automatische Regelungsanlage“28 seien. Mit ihrer Hilfe könne man „die automatische Fabrik und das Fließband“, ja einen „mechanischen Sklaven“ schaffen – Wiener denkt an Roboter. Diesen Möglichkeiten steht er jedoch reserviert gegenüber: Jede Arbeit […], die die Möglichkeit eines Wettbewerbs mit Sklavenarbeit zuläßt, akzeptiert die Bedingungen der Sklavenarbeit und ist wesentlich Sklavenarbeit. 29
schreibt er und sagt voraus, daß „durchschnittliche menschliche Wesen mit mittelmäßigen oder noch geringeren Kenntnissen nichts zu ‚verkaufen‘“30 und daher auf dem Arbeitsmarkt der ZuWiener: Kybernetik. A.a.O., S. 47. Wiener: Ich und die Kybernetik. A.a.O., S. 274. 27 Etwas später wird Martin Heidegger schreiben: „Eine in ihrer geheimen Gewalt noch kaum ermeßliche Verwirrung überzieht die Erde. Wirr, durcheinander-gewirbelt, in einen Wirbel gebannt sind die Ansichten, Glaubensformen, Vorstellungsarten und Denkweisen der Menschen. Verwirrt sind die unausgesprochenen Ansprüche.“ Vgl. Martin Heidegger: Vigiliae und Notturno (Schwarze Hefte 1952/53–1957). GA 100. Hrsg. von Peter Trawny. Vittorio Klostermann Verlag: Frankfurt am Main 2020, S. 144. 28 Wiener: Kybernetik. A.a.O., S. 49. 29 Ebd., S. 50. 30 Ebd., S. 51. 25 26
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kunft keine Chancen mehr hätten. Wiener nahm diese Perspektive offenbar so ernst, dass er Kontakt mit der „C. I. O.“ suchte, dem Congress of Industrial Organizations, der vor allem in den Dreißigerjahren in den USA gesellschaftlich wirkte. Gerade in dieser Möglichkeit der Steuerung gesellschaftlicher Entwicklung sieht Wiener eine Gefahr. In der „Welt von Belsen und Hiroshima“31 könne die Steuerung in Zwangsherrschaft umschlagen. In seinem Buch Mensch und Menschmaschine, das 1952 auf Deutsch erscheint und im Original The Human Use of Human Beings (Cybernetics and Society) heißt, zitiert Wiener eine Rezension seines „Kybernetik“-Buches des „Paters Dubarle“32 von 1948. Dort ist von einer „‚machine à gouverner‘“ die Rede, die vielleicht „‚die gegenwärtige offensichtliche Unzulänglichkeit des mit der herkömmlichen politischen Maschinerie befaßten Gehirns aus dem Wege räumen wird – zum Guten oder zum Bösen‘“. 33 Wiener selbst spricht von einer „Maschine“, in der „menschliche Atome zu einer Gemeinschaft verknüpft sind, in der sie nicht ganz als verantwortliche menschliche Wesen, sondern als Federn, Hebel und Gestänge benutzt werden“. Es bedeute für diese „Maschine“ „wenig, daß ihr Rohmaterial aus Fleisch und Blut sei“. „Was als Element in einer Maschine benutzt“ werde, sei „ein Teil dieser Maschine“. 34 Damit schließt sich der Kreis. Wenn Wiener dem schottischen Physiker James Clerk Maxwell die Ehre gibt, den Begriff der Kybernetik mit seiner Abhandlung von 1868 On Governors vorweggenommen zu haben, so scheint sich schon in dieser Begriffsentscheidung das Problem einer kybernetisch gesteuerten Gesellschaft anzukündigen. Welche Konsequenzen hat es für eine Gesellschaft, wenn sie sich primär als eine zu steuernde Maschine betrachtet? Was für eine Politik entspringt einem solchen Government? Oder müssten wir nicht eigentlich von einem Ende der Politik sprechen?35 Ebd., S. 52. Offenbar ist Dominique Dubarle gemeint (1907–1987). Er war von 1967 bis 1973 Dekan der Philosophischen Fakultät des Katholischen Instituts von Paris. 33 Im vorliegenden Band S. 193. 34 Ebd., S. 186. 35 Vgl. Hannah Arendt: Wahrheit und Politik. In: Dies.: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I. Hrsg. von Ursula Ludz. Piper: München und Zürich 1994, S. 327–370 sowie mein Buch: Krise der Wahrheit. S. Fischer Verlag: Frankfurt am Main 2021. 31
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* Die Folgen der Kybernetik sind schwer einzuschätzen. Vielleicht könnten eher zur Herkunft ein paar Bemerkungen gewagt werden. Ohne Zweifel gehört die Kybernetik zu einer Moderne, die im 20. Jahrhundert begann, Ideen des 18. und 19. Jahrhunderts (siehe Wieners Hinweis auf Leibniz) konsequent zu Ende zu denken. Sie gehört nicht nur in den engeren und durchaus diffusen Kontext der Entwicklung der „Rechenmaschine“ zum „Computer“, sondern überhaupt zum Traum (oder Albtraum) einer totalen technischen Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse auf die Welt. Wiener ist sich dieser Entwicklung bewusst und affirmiert sie. Eine Absicht von Mensch und Menschmaschine ist es, die „Intellektuellen“ seiner Zeit (und dazu zählt er vermutlich auch die Philosophen) vor der modernen Technik zu warnen. Dabei stellt er die „Feindseligkeit“ dieser „Intellektuellen“ fest, die keinerlei Konsequenzen habe. Alles bleibe bei einem „unbestimmten Mißbehagen“. So erinnere ihn der „Intellektuelle“ an eines „jener fragilen Geschöpfe in einer Fabel von Lord Dunsany. Die zarten und verfeinerten Wesen hatten sich so daran gewöhnt, von einer gröberen und brutaleren Rasse aufgefressen zu werden, daß sie ihr Schicksal als natürlich und ihnen gemäß hinnahmen und die Axt willkommen hießen, die ihnen den Kopf abschlug.“36 In der Tat scheint bis heute zwischen den Erfolgen der Technik und Naturwissenschaft und der Ignoranz der Geisteswissenschaftler samt der Philosophen und Philosophinnen in Bezug auf diese Erfolge ein krasses Missverhältnis zu bestehen. Die Kybernetik forderte dennoch da und dort Reaktionen und Reflexionen bei Schriftstellern und Philosophen heraus. Im deutschen Sprachraum waren es vor allem Gotthard Günther und Martin Heidegger, die die Kybernetik und dabei vor allem Texte Norbert Wieners rezipierten. Während Günther eine „Metaphysik der Kybernetik“ präsentiert, bezieht Heidegger die Kybernetik in seine „seinsgeschickliche“ Deutung der Technik mit ein: Die seinsgeschickliche Sage vom Ge-Stell dürfte indes angesichts der aufkommenden Herrschaft der Kybernetik deutlicher werden und in ihrer Tragweite einsichtiger, insofern das Ge-Stell das jetzige Zeitalter Im vorliegenden Band S. 155. Edward Plunkett, 18. Baron Dunsany (1875–1957) war ein irischer Schriftsteller, der sich im Genre der FantasyLiteratur einen Namen gemacht hat.
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im Ganzen bestimmt, das sich anschickt, sich der Macht der Kybernetik auszuliefern. 37
Gerade das aber scheint Ende der Sechzigerjahre keineswegs geschehen zu sein. Zwar wird man für diese Zeit von einer gewissen Popularität Wieners und der Kybernetik sprechen können, doch es kann keine Rede davon sein, dass Heideggers Hoffnung, die Kybernetik könne das „Walten des Ge-Stells“38 im öffentlichen Bewusstsein deutlicher werden lassen, in Erfüllung ging. Die Kybernetik scheint damals eine Art von Orchideen-Diskurs geblieben zu sein. Sensibler reagierten Schriftsteller schon in den Dreißigerjahren. Ein kaum über die Grenzen des Science-Fiction-Genres wahrgenommener Roman Olaf Stapledons mit dem Titel Last and First Men von 1930 erzählt die utopische Reflexion des letzten Menschen, der nach 2 Milliarden Jahren beginnt, den Anfang seiner Geschichte, d.h. uns, zu studieren. Dazu befähigt ihn eine ungeheuerliche technische, aber auch spirituelle Entwicklung. Dystopische Reaktionen auf ein kommendes technisches Zeitalter, in dem wissenschaftliches Wissen die Welt beherrscht, gibt es in Aldous Huxleys Brave New World von 1932 und, mindestens genauso bekannt, bei George Orwell in 1984; Orwell war übrigens einer der wenigen Schriftsteller jener Zeit, die Hitlers „Mein Kampf“ nicht nur wahrnahmen, sondern auch rezensierten (im Jahre 1940).39 Im Grunde ist das „Star Trek“-Universum Gene Roddenberrys, das Mitte der Sechzigerjahre seinen Anfang nahm, die kybernetische Utopie schlechthin; nicht nur ironisch dabei die Idee aus der sogenannten „Next Generation“, dass der Android Data am Ende den Lehrstuhl Isaac Newtons (den sogenannten Lucasian Chair of Mathematics) in Cambridge innehat. Die Kybernetiker selbst reagierten übrigens unterschiedlich auf das Science-Fiction-Genre. Während Gotthard Günther sich sogar als Herausgeber dieser Art von Literatur betätigte,40 winkte Martin Heidegger. Vorläufiges I–IV (Schwarze Hefte 1963–1970). GA 102. Hrsg. von Peter Trawny. Vittorio Klostermann: Frankfurt am Main 2022, S. 75. 38 Ebd., S. 64. 39 https://bookmarks.reviews/george-orwells-1940-review-of-meinkampf/ 40 Vgl. Überwindung von Raum und Zeit. Phantastische Geschichten aus der Welt von morgen. Hrsg. von Gotthard Günther. Rauch Verlag: 37
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Wiener ab. Die „mit den Phantastereien von ‚Science-fiction‘Büchern verbrachten Stunden“ seien „kein Ersatz für ein ordentliches Gespräch unter Männern“;41 eine Aussage, die inzwischen in mehrfacher Hinsicht eine gewisse Patina angesetzt haben dürfte. * Die Veröffentlichungsgeschichte der Wiener’schen Bücher in Deutschland ist merkwürdig. Wieners erster Text, der die Kybernetik im Titel führt, Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine, erschien 1948. Ebenso aus diesem Jahr soll eine deutsche Übersetzung mit dem Titel Kybernetik. Regelung und Nachrichtenübertragung in Lebewesen und Maschine existieren. Doch diese deutsche Erstausgabe ist selbst antiquarisch nicht zu lokalisieren. Dafür gibt es von 1963 eine 2. Auflage im Düsseldorfer/Wiener Econ Verlag auf Grundlage der 1961 in den USA erschienenen 2. englischen Auflage. Im Jahre 1968 wurde das Buch dann in die von Ernesto Grassi herausgegebene renommierte Reihe „rowohlts deutsche enzyklopädie“ aufgenommen. Bis 1971 wurden von diesem schwer lesbaren, weil mit mathematischen Formeln übersäten Buch um die 40 000 Exemplare verkauft. Wieners zweites bekanntes Buch The Human Use of Human Beings (Cybernetics and Society) von 1950, auf Deutsch und gewiss in Rücksprache mit dem Autor Mensch und Menschmaschine genannt, wurde im Jahre 1952 vom Verlag Alfred Metzner in Frankfurt am Main veröffentlicht. Wiener hat es im Verhältnis zum früheren Kybernetik-Buch seinen „kleinen populären Gefährten“42 genannt. Spätere Auflagen erschienen als Lizenzausgabe 1958 bei Ullstein, ebenfalls in Frankfurt, und 1964 beim Frankfurter/Bonner Athenäum-Verlag, den Wolfgang Metzner, der Sohn des Verlagsgründers, 1959 erwarb. Der Verlag Vittorio Klostermann bringt Mensch und Menschmaschine in einer Neuauflage, nicht nur weil es wichtig erscheint, an die wissenschaftshistorische Bedeutung der Kybernetik zu erinnern. In historischer Hinsicht ist einiges in das Buch eingegangen, das heute veraltet ist: der Kalte Krieg, die McCarthy-Ära in den USA zwischen 1950 und 1955 oder überhaupt Hinweise auf seldorf, Bad Salzig 1952. Darunter Erzählungen der berühmten ScienceFiction-Autoren John W. Campbell und Isaac Asimov. 41 Wiener: Ich und die Kybernetik. A.a.O., S. 227. 42 Wiener: Kybernetik. A.a.O., S. 9.
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den nordamerikanischen way of life, schließlich längst überholte Äußerungen zum Schachcomputer, der im Jahre 1996 in Form einer Maschine namens Deep Blue den damals amtierenden Schachweltmeister Garri Kasparow zu besiegen vermochte. Doch darum geht es nicht. Vielmehr hat die soziale und politische Entwicklung der letzten Jahre besonders wegen der Corona-Pandemie gezeigt, wie wichtig und zugleich auch fragwürdig die Möglichkeit ist, eine Gesellschaft zu steuern. Es könnte ja sein, dass das Management der Pandemie deshalb als relativ gelungen bezeichnet werden muss, weil die sozialen Steuerungsmechanismen schon vorher betrieben worden waren. Ist eine „machine à gouverner“ wirklich so weit von uns entfernt? Und ist sie eine Dystopie für uns – oder nicht vielleicht doch die große Lösung des Problems? Das zentrale Anliegen der Veröffentlichungen Wieners war es, auf diese schwierige Entscheidung hinzuweisen.
Editorische Notiz Zur Erstellung des Textes lag uns die deutsche Erstausgabe von Mensch und Menschmaschine. Alfred Metzner Verlag: Frankfurt am Main 1952 vor. Das Exemplar wurde uns freundlicherweise von der Familie Metzner zur Verfügung gestellt. Über den gesamten Text hinweg gibt es da und dort grüne Anstreichungen mit dem Buntstift, die so aussehen, als sollten Veränderungen vorgeschlagen werden. Von wem sie stammen und welchem Zweck sie wirklich dienen sollten, kann nicht mehr festgestellt werden. Ein Wort zur Übersetzung von Gertrud Walther: Das größte Problem stellt ihre im Vorwort der Übersetzerin mitgeteilte Entscheidung dar, den Begriff „feedback“ mit „Rückmeldung“ zu übersetzen. Wenn auch sachlich getroffen wird, worum es geht, so hat sich doch die Übersetzung „Rückkopplung“ ganz und gar durchgesetzt und etabliert. Peter Trawny, 22. Februar 2022
Vorbemerkung der Übersetzerin Für manche Fachausdrücke gibt es im Deutschen keine einheitliche Bezeichnung, die dem amerikanischen Sprachgebrauch an allen Stellen des Buches gerecht würde. So gebraucht Norbert Wiener, wie auch sonst ein Teil der amerikanischen Wissenschaftler, beispielsweise den Ausdruck „feedback“ für Vorgänge, für die in der Elektrotechnik, der Mechanik, der Regelungstechnik und anderen Gebieten im Deutschen die verschiedenen Ausdrücke „Rückführung, Rückkopplung, Rückmeldung“ benutzt werden, und den Ausdruck „feedback system“ für „Regelkreis“. Der Übergang von einer zur anderen Ausdrucksweise ist ohne Sinnveränderung des ursprünglichen Textes oft unmöglich. Deshalb wurde bei der Übersetzung für „feedback“ einheitlich R ü c k m e l d u n g gewählt. Für eine Reihe anderer Begriffe gilt ähnliches. In der folgenden Liste sind für die wichtigsten Fälle dem englischen Wort die in Frage kommenden deutschen Ausdrücke gegenübergestellt; bei der Übersetzung wurde im allgemeinen der erste gewählt. communication engineering pattern information message noise, line noise noise level control input output taping
Kommunikation, Nachrichtenaustausch, Nachrichtenverkehr, Verbindung, Verkehr communication Fernmeldetechnik, Übertragungstechnik Schema, Muster, Modell Information, Nachricht Nachricht, Botschaft, Sendung, Signal Störgeräusch, Rauschen Störpegel, Rauschpegel Regelung, Regelungstechnik, Steuerung, Kontrolle Eingabe, Eingang, Eingangsgröße Ergebnis, Ausgang, Ausgangsgröße, Auslieferung Programmsteuerung, Steuerung durch Lochstreifen, Programm, Programmierung, Verschlüsselung
Vorwort Vor etwa zwei Jahren veröffentlichte ich ein Buch unter dem Titel „Kybernetik, oder Regelung und Kommunikation bei Tier und Maschine“. In diesem Buche habe ich einen neuen Standpunkt zur Kommunikation und ihrer Bedeutung sowohl für die Maschine als auch für den lebenden Organismus entwickelt. Nach der Veröffentlichung dieses ziemlich fachmathematischen Buches drängten mich einige meiner Freunde, ein ähnliches Buch für den Laien zu schreiben, in dem ich mathematische Symbolik und Ideen soweit wie möglich vermeiden und die nicht unbeträchtlichen sozialen Folgerungen meines Standpunktes betonen sollte. Das habe ich getan und lege als Ergebnis dieses Buch vor. Während seiner Abfassung hat mich die ständige Hilfsbereitschaft und Kritik meiner Freunde unterstützt; ich danke besonders Dr. Arturo Rosenblueth vom Instituto Nacional de Cardiologia in Mexiko, den Professoren Jerome Wiesner, Karl Deutsch und Georgio de Santillana vom Massachusetts Institute of Technology und Professor Manuel Vallartas von der National University in Mexiko. Vor allem möchte ich der stetigen verständnisvollen Hilfe meiner Sekretärin, Mrs. Margaret Pickering Zemurray, Dank sagen, die nicht nur den technischen Teil mit äußerster Sorgfalt erledigt hat, sondern mir auch mit ihrem kritischen Urteil eine Hilfe gewesen ist. Instituto Nacional De Cardiologia, Mexiko 12. Oktober 1949
I. Was ist Kybernetik? Seit Jahren beschäftige ich mich mit Problemen der Nachrichtentechnik. Dies hat mich dazu geführt, verschiedene Arten von Maschinen für den Nachrichtenverkehr zu entwerfen und näher zu untersuchen, von denen einige die unheimliche Fähigkeit erkennen lassen, menschliches Verhalten nachzuahmen und dadurch möglicherweise das Wesen des Menschlichen zu erhellen. Sie zeigen sogar das Vorhandensein gewaltiger Möglichkeiten auf, den Menschen in solchen Fällen zu ersetzen, in denen er verhältnismäßig langsam und unvollkommen reagiert. So stehen wir vor der Notwendigkeit, die Kräfte dieser Maschinen, soweit sie den Menschen angehen, und die Folgerungen aus dieser neuen und grundlegenden technischen Revolution zu erörtern. Wir alle, die wir uns mit konstruktiver Forschung und Erfindung abgeben, sind ernstlich in Gefahr, das, was wir erreicht haben, überstark zu betonen. Für die breite Masse besteht eine ähnlich ernste Gefahr: Der Laie nimmt gern an, daß wir Wissenschaftler und Ingenieure die von uns festgestellten Entwicklungsmöglichkeiten rechtfertigen und ihre Ausnutzung auf jeden Fall vorwärtstreiben wollen. Man glaubt, daß ein Erfinder, der die neuen großen Möglichkeiten des Maschinenzeitalters für Kommunikations- und Regelungszwecke erkannt hat, dieses neue „Wissen-Wie“ – „Know-how“ – zum Besten der Maschine und zur Verminderung des menschlichen Elements im Leben auszunutzen strebt. In dieser Absicht ist jedoch, wie ich ausdrücklich betonen möchte, das vorliegende Buch nicht geschrieben worden. Das Ziel dieses Buches ist vielmehr, die Möglichkeiten der Maschine auf Gebieten aufzuzeigen, die bis jetzt als Domäne des Menschen galten, und zu warnen vor den Gefahren einer ausgesprochen egoistischen Ausbeutung dieser Möglichkeiten in einer Welt, in der für uns Menschen die menschlichen Dinge wesentlich sind. Sicherlich werden wir angesichts der neuen Maschinen unseren Lebensstil im einzelnen zu ändern haben; aber dennoch müssen diese Maschinen in den Hintergrund treten bei allen
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chen Fragen, die uns hinsichtlich der angemessenen Einschätzung des Menschen um seiner selbst willen und der Beschäftigung als menschliches Wesen und nicht als zweitrangige Surrogate für mögliche Zukunftsmaschinen am Herzen liegen. Die These dieses Buches wird in seinem ursprünglichen Titel ausgedrückt:
Die menschenwürdige Verwendung des Menschen. Den Menschen definieren zu wollen, ist ein schwieriges und letztlich unmögliches Unterfangen. Nennt man ihn einen federlosen Zweifüßler, so wirft man ihn mit einem gerupften Huhn, einem Känguruh oder einer Springmaus in einen Topf. Das ist eine ziemlich bunte Mischung, und wir können sie nach Herzenslust erweitern, ohne dadurch die wahre Natur des Menschen irgendwie besser zu erhellen. Es geht auch nicht an zu sagen, daß der Mensch ein beseeltes Tier sei; denn leider ist die Existenz der Seele – was man auch darunter verstehen möge – wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden nicht zugänglich; und während die Kirche uns versichert, daß die Menschen Seelen haben und die Hunde nicht, vertritt eine ähnlich autoritative Einrichtung, der Buddhismus, die gegenteilige Ansicht. Ein Merkmal jedoch unterscheidet den Menschen von den anderen Tieren in einer Weise, die nicht den geringsten Zweifel läßt: Er ist ein Tier, welches spricht. Der Trieb, mit seinen Artgenossen in Verbindung zu treten, ist so stark, daß nicht einmal Blindheit und Taubheit zusammen ihn völlig verkümmern lassen. Der blinde Taubstumme wird nicht etwa nur durch eine besondere Ausbildung zu einer Laura Bridgman oder Helen Keller werden, nein, auch ohne jede – wie immer geartete – Ausbildung wird eine Helen Keller den verzweifelten Versuch machen, die fast unüberwindliche Schranke zu durchbrechen, die sie von der übrigen Welt absondert. Zwar gibt es neben den Menschen auch Tiere, die gesellig und in ständiger Verbindung mit ihren Artgenossen leben, aber es gibt keine, bei denen dieser Wunsch nach Kommunikation1) oder eher die Notwendigkeit dazu das Leitmotiv ihres ganzen Lebens ist. Was ist dann diese Kommunikation, die so menschlich und so wesentlich ist? Ich werde dieses Kapitel und sogar den größeren Teil dieses Buches der Einführung in Gedankengänge und Theorien widmen, die zur Beantwortung dieser Fragen beitragen. Von den verschiedenen Betrachtungsweisen der Welt ist eine der
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interessantesten die, sie sich aus S c h e m a t a zusammengesetzt zu denken. Ein S c h e m a1 ist im wesentlichen eine Anordnung. Es ist charakterisiert durch die Ordnung der Elemente, aus denen es gebildet ist, und nicht durch die innere Natur dieser Elemente. Zwei Schemata sind identisch, wenn sie in eine (um einen mathematischen Begriff zu gebrauchen) eineindeutige Beziehung zueinander gebracht werden können, so daß jedem Glied des einen ein Glied des anderen entspricht und daß jeder Ordnungsbeziehung zwischen verschiedenen Gliedern des einen Schemas die gleiche Ordnungsbeziehung zwischen den zugeordneten Gliedern des anderen Schemas entspricht. Der einfachste Fall von eineindeutiger Zuordnung wird durch den gewöhnlichen Vorgang des Zählens gegeben. Wenn ich fünf Pfennige in meiner Tasche habe und fünf Äpfel in einem Korbe, kann ich meine Äpfel in eine Reihe setzen und je einen Pfennig neben jeden Apfel legen. Jeder Pfennig wird einem Apfel entsprechen und nur einem Apfel. Und jeder Apfel wird einem Pfennig entsprechen und nur einem Pfennig. Jedoch ist der Begriff der eineindeutigen Zuordnung nicht auf endliche Folgen beschränkt, denen Zahlen im Sinne der elementaren Arithmetik zugeordnet werden können. Zum Beispiel ist das Schema der Folge der ganzen Zahlen von eins an identisch mit der Folge der geraden Zahlen, da wir jeder Zahl als Partner ihr Doppeltes zuordnen können und da die Beziehungen des Vorangehens und Nachfolgens bei diesen Doppelzahlen dieselben sind wie bei den einfachen. Entsprechend wird die sehr genaue Kopie eines Gemäldes dasselbe Schema wie das Original aufweisen, während eine weniger vollkommene Kopie ein Schema haben wird, das dem Schema des Originals nur in gewissem Grade ähnlich ist. Das Schema einer Sache kann im Raume ausgebreitet sein wie etwa das Schema einer Tapete, oder es kann in der Zeit verteilt sein wie das Schema einer musikalischen Komposition. Das Schema einer musikalischen Komposition hinwiederum legt das Schema einer Telefonunterhaltung nahe oder das Schema der Punkte und Striche eines Telegramms. Diesen beiden letzten Schematypen gibt man die spezielle Bezeichnung „Nachricht“,1) – nicht, weil ihr Schema als solches sich in irgendeiner Weise vom Schema einer musikalischen Komposition unterscheidet, sondern weil es in einer etwas anderen Weise gebraucht wird, nämlich dazu, Information1
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Siehe Vorbemerkung.
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von einem Punkt zu einem anderen zu übertragen und sogar von einem weitentfernten Punkte zu einem andern. Solch ein Schema, das erdacht wird, um Information oder sonst etwas von Individuum zu Individuum Übermittelbares zu übertragen, stellt keine vereinzelte Erscheinung dar. Beim Telegraphieren übermittelt man eine Nachricht durch den zweckentsprechenden Gebrauch von Punkten und Strichen; hierbei ist es nötig, daß diese Punkte und Striche eine Auswahl aus einer Folge sind, die auch andere Möglichkeiten enthält. Wenn ich den Buchstaben e sende, gewinnt er seine Bedeutung teilweise dadurch, daß ich nicht den Buchstaben o gesendet habe. Wenn ich nur den Buchstaben e senden kann, dann ist diese Nachricht 2 nur etwas, was da ist oder nicht da ist, und sie überträgt viel weniger Information. In den Anfängen der Fernmeldetechnik war die bloße Übermittlung einer Nachricht schon etwas so Wunderbares, daß niemand fragte, wie sie wohl am besten übermittelt werden könnte. Die Leitungen konnten die gesamte ihnen auferlegte Information bewältigen, und die eigentlichen Schwierigkeiten bestanden in der Entwicklung der Apparate an den Sende- und Empfangsenden. Unter diesen Verhältnissen waren Probleme der maximalen Trägerkapazität von Telefonleitungen noch völlig bedeutungslos. Als sich indessen die Sache weiter entwickelte und Wege gefunden wurden, durch den Gebrauch von Trägern und anderen ähnlichen Mitteln mehrere Nachrichten über eine einzige Leitung zu geben, gewann bei der Übermittlung von Gesprächen über Leitungen die Wirtschaftlichkeit immer größere Bedeutung. Was wir dabei unter „Trägern“ und „Trägertelefonie“ verstehen, möchte ich nun erklären. Ein mathematischer Satz, den wir Fourier verdanken, sagt aus, daß jede Bewegung innerhalb weiter Grenzen dargestellt werden kann als Summe der einfachsten Art von Schwingungen, welche den harmonischen Tönen entsprechen. Man hat einen Weg gefunden, um eine Schwingung auf eine elektrische Leitung zu geben und jeden einzelnen der Töne, aus denen sie besteht, um eine gewisse gleichbleibende Tonhöhe zu verschieben. Auf diese Weise können wir ein Schema, in dem sonst mehrere Teilschemata überlagert wären, so auseinanderziehen, daß die Teilschemata getrennt nebeneinanderliegen und sich gegenseitig nicht mehr stören. Wir können also drei Nachrichten gleichzeitig übertragen, und zwar 2
Siehe Vorbemerkung.
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entweder in der Weise, daß sie überlagert und verzerrt werden, oder so, daß sie in ihrer richtigen Anordnung bleiben und voneinander getrennt gehalten werden. Dieser Prozeß, verschiedene Sendungen in getrennte Tonlagen zu verlagern, ist bekannt als Modulation. Die modulierte Nachricht kann, wenn die Verschiebung in der Tonhöhe ausreichend ist, über eine Leitung geschickt werden, die bereits eine Nachricht überträgt. Unter geeigneten Bedingungen werden die alte und die neue Nachricht einander nicht beeinflussen; es ist möglich, beide Nachrichten, sowohl die ursprüngliche unverschobene als auch die modulierte, so von der Leitung abzunehmen, daß sie zu getrennten Empfangsapparaten gehen. Die modulierte Nachricht kann dann einem Prozeß unterworfen werden, der die Umkehrung der Modulation ist, und kann auf die Form zurückgeführt werden, die sie ursprünglich hatte, bevor sie dem Sendeapparat anvertraut worden war. Auf diese Weise können über dieselbe Leitung zwei Nachrichten und durch Erweiterung dieses Prozesses viel mehr als zwei übermittelt werden. Dieser Prozeß ist bekannt als Trägertelefonie und hat die Ausnutzbarkeit unserer Telefonlinien ungeheuer erweitert, ohne daß damit eine entsprechend starke Vergrößerung der Anlagen erforderlich geworden wäre. Seit Einführung der Trägermethoden werden die Telefonlinien für Nachrichtenübertragungen weitgehend ausgelastet. Daher ist die Frage, wieviel Information über eine Leitung gesandt werden kann, und damit auch die Messung von Information im allgemeinen wichtig geworden. Diese Frage ist noch zugespitzter in den Vordergrund getreten durch die Entdeckung, daß das bloße Vorhandensein elektrischer Ströme auf einer Leitung das sogenannte S t ö r g e r ä u s c h 3 verursacht, das die Sendungen verstümmelt und eine obere Grenze für deren Übertragungsfähigkeit bildet. Früher litt die Arbeit auf dem Gebiet der Informationstheorie darunter, daß sie Störpegel und andere zufallsmäßig verlaufende Größen außer acht ließ. Erst als der Begriff „Zufall“ zusammen mit den Anwendungen der verwandten Begriffe der Wahrscheinlichkeit voll verstanden wurde, konnte die Frage der Trägerkapazität einer Telegraphen- oder Telefonleitung halbwegs vernünftig gestellt werden. Durch diese Fragestellung wurde erst klar, daß das Problem der Messung des Informationsbetrags eng zusam3
Siehe Vorbemerkung.
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menhing mit dem verwandten Problem der Messung der Regelmäßigkeit oder Unregelmäßigkeit eines Schemas. Es ist ganz klar, daß eine zufällige Folge von Symbolen oder ein rein zufälliges Schema keine Information übermitteln kann. Also muß Information in gewisser Weise das Maß der Regelmäßigkeit eines Schemas sein und insbesondere derjenigen Schematypen, die als Z e i t r e i h e n bekannt sind. Unter Zeitreihe verstehe ich ein Schema, dessen Teile zeitlich ausgebreitet sind. Diese Regelmäßigkeit ist bis zu einem gewissen Grade eine abnormale Sache. Immer kommt das Regellose häufiger vor als das Regelmäßige. Daher muß Information, welche Definition und welches Maß wir auch für sie einführen, immer etwas sein, das zunimmt, wenn die a p r i o r i angenommene Wahrscheinlichkeit eines Schemas oder einer Zeitreihe abnimmt. Später werden wir ein geeignetes numerisches Maß für den Betrag der Information finden. Dieser Gedankengang war bereits in dem als statistische Mechanik bekannten Zweige der Physik üblich und war verbunden mit dem berühmten zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, welcher besagt, daß ein System Ordnung und Regelmäßigkeit zwar spontan verlieren, aber praktisch niemals gewinnen kann. Diesem Gesetz werde ich weiter unten seine angemessene Fassung mit Hilfe des dann zu definierenden wissenschaftlichen Begriffs der E n t r o p i e geben; für den Augenblick genügt die ausgesprochene qualitative Formulierung des Gesetzes. Es hat sich herausgestellt, daß der Begriff der Information einem ähnlichen Gesetz unterworfen ist, und zwar dem, daß eine Nachricht ihre Ordnung während des Aktes der Übertragung wohl von selbst verlieren, aber nicht gewinnen kann. Wenn man etwa in ein Telefon mit beträchtlichem Störgeräusch spricht und bei der Nachricht beträchtlichen Energieverlust hat, wird die Person am anderen Ende Worte vermissen, die gesprochen worden sind, und wird sie auf Grund der mit Sinn verknüpften Information des übrigen Textes rekonstruieren müssen. Auch beim Übersetzen eines Buches besteht nicht jenes genaue Entsprechen zwischen den beiden Sprachen, das der Übersetzung ganz genau die gleiche Bedeutung wie dem Original gäbe. Deshalb hat der Übersetzer nur zwei Möglichkeiten: entweder Sätze zu gebrauchen, die etwas breiter und unbestimmter als das Original sind, und in denen der volle gefühlsmäßige Inhalt sicherlich nicht ganz enthalten ist, oder aber das Original dadurch zu verfälschen, daß er etwas einführt, das nicht genau so gegeben ist, und das mehr seine eigene Meinung als
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die des Verfassers wiedergibt. In beiden Fällen geht etwas von den Gedanken des Autors verloren. Eine interessante Anwendung für den Begriff des Informationsmaßes ergibt sich bei den sorgfältig getexteten Telegrammen, die für Weihnachten oder Geburtstage oder andere besondere Gelegenheiten vorrätig sind. Die Nachricht mag eine ganze Seite Text bedecken, aber gesandt wird nur ein Codesymbol wie beispielsweise G 7, womit das siebente chiffrierte Telegramm für Geburtstage gemeint sein soll. Solche Nachrichten für besondere Zwecke sind nur deshalb möglich, weil die darin ausgedrückten Gefühle gänzlich konventionell und gleichbleibend sind. In dem Augenblick, in dem der Absender auch nur die geringste Originalität der Gefühle zeigt, die er zu übermitteln wünscht, kann er die ermäßigten Gebühren nicht mehr in Anspruch nehmen. Der wirkliche Inhalt der billigen Einheitstelegramme ist unverhältnismäßig klein gegenüber der Textlänge der Nachricht. Wir sehen wieder, daß die Nachricht ein übermitteltes Schema ist, welches seinen Sinn dadurch gewinnt, daß es eine Auswahl aus einer großen Anzahl möglicher Schemata ist. Der Sinnbetrag kann gemessen werden. Es stellt sich heraus, daß einer Nachricht um so weniger Wahrscheinlichkeit4 zukommt, je mehr Sinn sie enthält – was vom Standpunkte des gesunden Menschenverstandes aus ohne weiteres einleuchtet. Wir stellen uns eine Nachricht gewöhnlich als von Mensch zu Mensch gesandt vor. Das braucht durchaus nicht der Fall zu sein. Wenn ich, anstatt frühmorgens aus dem Bett zu steigen, auf einen Knopf drücke, der die selbsttätige Heizung aufdreht, das Fenster schließt und eine elektrische Kochplatte unter dem Kaffeetopf einschaltet, so sende ich Nachrichten zu allen diesen verschiedenen Apparaten. Wenn dann der elektrische Eierkocher nach einer bestimmten Anzahl von Minuten zu pfeifen beginnt, sendet er mir eine Nachricht. Wenn der Wärmefühler der Ölheizung feststellt, daß das Zimmer zu warm ist, veranlaßt er, daß der Brenner sich abstellt. Man kann also sagen, daß das Übermitteln von Nachrichten zum Regelungsverfahren der selbsttätigen Heizung gehört. Mit anderen Worten: Regelung5 beruht wesentlich auf der Weitergabe von Nachrichten [innerhalb eines geschlossenen Kreislaufs],6 die den Zustand des Systems ändern. 4 5 6
Siehe den Anhang zu diesem Kapitel. Siehe Vorbemerkung. Anm. d. Übers.: Der Inhalt der [ ] ist vom Übersetzer zugefügt in
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Dieses Studium von Nachrichten und insbesondere von Regelungsnachrichten ist der Gegenstand einer Wissenschaft, für die ich in einem früheren Buche den Namen Kybernetik7 eingeführt habe. Dieser Name bedeutet die Kunst des Piloten oder Steuermanns, griechisch κυβερνητης, lateinisch gubernator; der Stamm dieser Wörter findet sich auch im englischen governor, das in der Ingenieurwissenschaft den Regler einer Maschine bezeichnet. Der Leitgedanke des vorliegenden Buches ist, daß Gesellschaft nur durch das Studium der Nachrichten und der zugehörigen Kommunikationsmöglichkeiten verstanden werden kann, und daß Nachrichten von Mensch zu Maschine, von Maschine zu Mensch und von Maschine zu Maschine in der zukünftigen Entwicklung der Nachrichten und Kommunikationsmöglichkeiten eine immer größere Rolle zu spielen berufen sind. Um die Rolle der Nachricht im Menschen selbst zu kennzeichnen, vergleiche man menschliche Tätigkeit mit einer gänzlich andersartigen, nämlich mit der Tätigkeit der kleinen Figuren, die auf einer Spieldose tanzen. Diese Figuren tanzen nach einem Schema, aber es ist ein Schema, das im voraus festgelegt ist, und in dem die seitherige Tätigkeit der Figuren praktisch nichts zu tun hat mit dem Schema ihrer künftigen Tätigkeit. Sicherlich ist eine Nachricht vorhanden, aber sie geht von der Maschinerie der Spieldose zu den Figuren und endet da. Die Figuren selber haben keinerlei Kommunikation mit der Außenwelt, ausgenommen diese einseitige Kommunikation mit der Spieldose. Sie sind blind, taub und stumm und können in ihrer Tätigkeit nicht im geringsten vom festgelegten Schema abweichen. Dem stelle man das Benehmen des Menschen gegenüber oder auch das eines einigermaßen intelligenten Tieres, etwa einer Katze. Ich rufe die Katze an, und sie schaut auf. Ich habe eine Nachricht gesandt, die sie durch ihre Sinnesorgane empfangen hat und deren Empfang sie durch ihr Verhalten ausdrückt. – Die Katze ist hungrig und stößt einen jämmerlichen Klagelaut aus. Dieses Mal ist sie der Absender einer Nachricht. – Die Katze schlägt nach einer schwingenden Spule. Die Spule schwingt nach links, und die Katze blick auf die in Deutschland konsequent durchgeführte Unterscheidung zwischen Regelung und Steuerung; siehe dazu die Veröffentlichungen des VDI-Fachausschusses für Regelungstechnik. 7 Cybernetics, or Control and Communication in the Animal and the Machine; 1949, The Technology Press of M. I. T., Cambridge; John Wiley & Sons, New York; and Hermann et Cie, Paris.
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fängt sie mit ihrer linken Pfote. Dieses Mal sind Nachrichten sehr komplizierter Art sowohl gesendet als auch empfangen worden. Die Katze wird über die Bewegung ihrer eigenen Pfote unterrichtet durch Organe, die man Propriorezeptoren oder kinästhetische Organe nennt. Diese Organe sind gewisse Nervenendkörper, die in den Gelenken, Muskeln und Sehnen vorhanden sind; und durch Nervennachrichten, die diese Organe aussenden, ist sich das Tier klar über die augenblickliche Lage und die Spannungen seiner Gewebe. Nur mit Hilfe dieser Organe ist überhaupt so etwas wie Geschicklichkeit möglich, ganz zu schweigen von der außerordentlichen Gewandtheit der Katze. Ich habe das Verhalten der kleinen Figuren auf der Spieldose dem menschlichen und tierischen Verhalten gegenübergestellt. Man könnte glauben, daß die Spieldose ein typisches Beispiel für jedes Maschinenverhalten wäre, im Gegensatz zu jedem Verhalten lebender Organismen. Dem ist nicht so. Die älteren Maschinen und insbesondere die in älteren Versuchen entwickelten Automaten arbeiteten allerdings wirklich auf reiner Uhrwerkbasis. Demgegenüber besitzen die heutigen Maschinen Sinnesorgane, das heißt Empfänger für von außen kommende Nachrichten. Diese mögen so einfach sein wie photoelektrische Zellen, deren elektrischer Zustand sich ändert, wenn Licht auf sie fällt, und welche Licht von Dunkel unterscheiden können. Sie können aber auch so kompliziert sein wie ein Fernsehgerät. Sie können eine mechanische Spannung messen durch die Änderung der elektrischen Leitfähigkeit eines dieser mechanischen Spannung unterworfenen Drahtes. Sie können Temperaturen mit Hilfe eines Thermoelements messen, eines Instruments, das aus zwei verschiedenen sich berührenden Metallen besteht, zwischen denen eine Spannung auftritt, wenn die Kontaktstelle erhitzt wird. Jedes Instrument in einem Katalog wissenschaftlicher Geräte kann ein Sinnesorgan sein und kann so eingerichtet werden, daß es durch Zwischenschaltung geeigneter elektrischer Apparate seine Ablesung an einem entfernten Orte aufzeichnet. So gehört die Maschine, die durch ihre Beziehung zur äußeren Welt und die dort geschehenden Dinge bedingt ist, heutzutage und schon seit geraumer Zeit zu unserem Leben. Auch die Maschine, die mittels Nachrichten auf die äußere Welt einwirkt, ist uns vertraut. Der automatische photoelektrische Türöffner ist jedem Besucher der Pennsylvania Station in New York wohlbekannt; er wird auch in vielen anderen Gebäuden benutzt. Wenn die Nachricht, die durch die Unterbrechung eines
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strahls ausgelöst wird, zum Apparat kommt, setzt sie die Tür in Tätigkeit und öffnet sie, so daß der Ankommende durchgehen kann. Die Stufen zwischen dem Ingangbringen einer Maschine dieses Typs durch Sinnesorgane und ihrer Ausführung einer Aufgabe können so einfach sein wie im Falle der elektrischen Tür; sie können aber auch beliebig kompliziert sein. Kompliziert heißt hier: Die E i n g a b e, 8 das heißt die Gesamtheit der Daten, die eingeführt werden, um auf die Außenwelt eine Wirkung, das Ergebnis oder die A u s l i e f e r u n g,9 zu erzielen, schließt eine große Anzahl von Kombinationen ein. Diese Kombinationen enthalten sowohl die im Augenblick eingegebenen Daten als auch die schon früher gespeicherten Aufzeichnungen, die wir das G e d ä c h t n i s nennen. Sie sind in der Maschine registriert. Die kompliziertesten der bisher gebauten Maschinen, welche eine Eingabe verarbeiten und in eine Auslieferung umformen, sind die elektrischen Hochgeschwindigkeitsrechenmaschinen, die ich später näher besprechen werde. Der Arbeitsablauf dieser Maschinen wird gesteuert durch eine besondere Art der Eingabe, die häufig aus Lochkarten oder -streifen oder magnetisierten Drähten besteht und die Arbeitsweise der Maschine während einer Rechenoperation festlegt zum Unterschied von ihrer Arbeitsweise bei einer anderen Operation. Die bei der Steuerung durch gelochte oder magnetische Streifen eingeführten Daten, die den Arbeitsgang dieser Maschinen zum Kombinieren von Information bestimmen, werden Programm1 genannt. Zur Veranschaulichung füge ich eine schematisierte Zeichnung bei. Ich sagte bereits, daß Mensch und Tier einen Unästhetischen Sinn haben, welcher zur Wahrnehmung der Stellung ihrer Glieder und der Spannung ihrer Muskeln dient. Jede von einer wechselnden Umwelt abhängige Maschine muß, um jeweils wirksam handeln zu können, als Teil der Information für ihre zukünftige Tätigkeit auch Information über die Ergebnisse ihrer bisherigen Tätigkeit erhalten. So genügt es bei Benutzung eines Aufzugs nicht, die Schachttür einfach zu öffnen, wenn auch der Aufzug in diesem Augenblick auf Grund unserer Befehle eigentlich bereits an der Tür sein müßte. Es ist wichtig, daß die Freigabe für das Türöffnen davon abhängt, daß der Aufzug wirklich an der Tür ist. Sonst könnte ihn 8 9
Siehe Vorbemerkung. Siehe Vorbemerkung.
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etwas zurückgehalten haben und der Benutzer träte in den leeren Schacht. Diese Regelung einer Maschine auf der Grundlage ihrer t a t s ä c h l i c h e n statt ihrer e r w a r t e t e n Verrichtung beruht wesentlich auf Rückmeldung;10 sie umschließt sowohl motorische Glieder als auch von diesen betätigte sensorische Glieder, welche die Funktionen von M e l d e r n oder W a r n e r n ausüben, d. h. von Elementen, die eine ausgeführte Verrichtung anzeigen. Ich habe eben als Beispiel für Rückmeldung den Aufzug erwähnt. Es gibt andere Fälle, bei denen Rückmeldung noch viel wesentlicher ist. So erhält ein Richtschütze Information von seinen Beobachtungsinstrumenten und übermittelt sie dem Geschütz, so daß dieses in einer solchen Richtung zielt, daß das Geschoß nach einer gewissen Zeit das sich bewegende Ziel trifft. Nun muß das Geschütz unter allen Wetterbedingungen gebraucht werden. Manchmal ist die Schmierung warm und das Geschütz schwingt leicht und rasch. Unter anderen Bedingungen ist die Schmierung frosthart oder mit Sand verunreinigt und das Geschütz antwortet den ihm gegebenen Befehlen langsam. Der Fehler des Richtschützen wird verkleinert, wenn diese Befehle durch einen zusätzlichen Anstoß verstärkt werden, falls das Geschütz auf die Befehle nicht mehr leicht anspricht und hinter ihnen zurückbleibt. Um eine möglichst gleichbleibende Leistung zu erreichen, ist es gebräuchlich, ein Rückmeldeelement in das Geschütz einzubauen, das das Nachhängen des Geschützes hinter der befohlenen Stellung abliest und diesen Unterschied dazu benutzt, um dem Geschütz den zusätzlichen Anstoß zu geben. Allerdings müssen Vorsichtsmaßregeln getroffen werden, damit dieser Anstoß nicht zu kräftig wird, denn sonst schwänge das Geschütz über seine richtige Stellung hinaus und müßte in einer Reihe von Schwingungen zurückgeführt werden, die sich sehr leicht immer mehr aufschaukeln und zu einer verheerenden Unstabilität führen könnten. Wenn die Rückmeldung gesteuert und innerhalb genügend enger Grenzen gehalten wird, tritt dies nicht ein und das Vorhandensein der Rückkopplung erhöht die Arbeitsstabilität des Geschützes. Mit anderen Worten: das Funktionieren wird unabhängiger von der Reibungsbelastung oder, was das gleiche ist, von der durch die Zähigkeit der Schmierung geschaffenen Hemmung. Etwas diesem Vorgang sehr Ähnliches vollzieht sich bei menschlicher Tätigkeit. Wenn ich nach meiner Zigarre greife, setze 10
Siehe Vorbemerkung.
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ich nicht gewisse Muskeln willentlich in Bewegung. In vielen Fällen weiß ich nicht einmal, welche Muskeln ich benutze. Was ich tue, ist, einen gewissen Rückmeldungsmechanismus ins Laufen zu bringen, eine Reaktion, bei der der Unterschied, der mir zum Ergreifen der Zigarre noch fehlt, umgewandelt wird in einen neuen und verstärkten Befehl an die noch nicht ausreichend reagierenden Muskeln. Auf diese Weise ermöglicht ein ziemlich gleichbleibender Willensbefehl, daß die gleiche Aufgabe von sehr unterschiedlichen Ausgangsstellungen aus und unabhängig von dem durch die Muskelermüdung veranlaßten Nachlassen der Spannung erfüllt wird. In ähnlicher Weise führe ich beim Steuern eines Wagens nicht bloß eine Reihe von Befehlen aus, die nur von einem Bilde der Straße in meinem Geist und von der auszuführenden Aufgabe abhängig sind. Wenn ich merke, daß der Wagen zu sehr nach links abweicht, veranlaßt mich das, ihn nach rechts zu drehen, und wenn ich ihn zu weit nach rechts abweichend finde, ziehe ich ihn nach links. Das hängt ab von der wirklich ausgeführten Bewegung des Wagens und nicht einfach von der Straße, und es erlaubt mir, mit nahezu gleichem Wirkungsgrad einen leichten Austin oder einen schweren Lastwagen zu fahren, ohne für das Steuern dieser beiden Fahrzeuge verschiedene Gewohnheiten ausgebildet zu haben. Hierüber werde ich im Kapitel über spezielle Maschinen noch mehr zu sagen haben; dort wird auch zur Sprache kommen, welchen Dienst wir der Neuropathologie durch das Studium von Maschinen mit
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Leistungsmängeln ähnlich den im menschlichen Organismus vorkommenden erweisen können. Ich behaupte nun, daß die Arbeitsweisen des lebenden Individuums und die einiger neuerer Kommunikationsmaschinen völlig parallel verlaufen. Bei beiden sind sensorische Empfänger eine Stufe ihres Arbeitskreislaufs, d. h. in beiden existiert auf niedriger Energiehöhe ein besonderes Organ, um Information aus der Außenwelt zu sammeln und sie für die Vorgänge in dem Lebewesen oder der Maschine verfügbar zu machen. In beiden Fällen werden diese äußeren Nachrichten nicht als solche, sondern durch die inneren umformenden Kräfte des lebendigen oder toten Apparats aufgenommen; die Information wird also in eine neue Form umgewandelt, die sie benutzbar macht für die weiteren Stufen des Vorgangs. Bei beiden, dem Lebewesen und der Maschine, dient dieser Vorgang dazu, auf die Außenwelt zu wirken. In beiden wird die auf die Außenwelt a u s g e ü b t e und nicht nur die b e a b s i c h t i g t e Tätigkeit zurückgemeldet zum zentralen Regulationsapparat. Dieser Verhaltenskomplex bleibt uns gewöhnlich fremd und spielt insbesondere in unserer gewöhnlichen Gesellschaftskritik nicht die ihm gebührende Rolle, einerlei, ob wir Menschen allein oder in Verbindung mit solchen Automaten betrachten, die mit der Welt um sie herum in wechselseitiger Beziehung stehen. In diesem Punkte weicht unsere Ansicht über die Gesellschaft von dem Gesellschaftsideal ab, das von vielen Faschisten, erfolgreichen Geschäftsleuten und Politikern vertreten wird. Auch im Wissenschafts- und Erziehungswesen sind solche machthungrigen Naturen nicht ganz unbekannt. Menschen dieser Art ziehen eine Organisation vor, in der alle Information von oben kommt und keine zurückgeht. Die ihnen unterstehenden Menschen werden herabgewürdigt zu Effektoren für einen vorgeblich höheren Organismus. Ich möchte dieses Buch dem Protest gegen diese unmenschliche Verwendung menschlicher Wesen widmen; denn in meinen Augen ist jede Verwendung eines Menschen, bei der weniger von ihm verlangt und ihm weniger beigemessen wird, als ihm entspricht, Herabsetzung und Verschwendung. Es ist eine Herabsetzung des Menschen, ihn an eine Ruderbank zu ketten und als Kraftquelle zu gebrauchen; aber es ist eine fast ebenso große Herabsetzung, ihm eine sich immer wiederholende Aufgabe in einer Fabrik zuzuweisen, die weniger als ein Millionstel der Fähigkeiten seines Gehirns in Anspruch nimmt. Es ist einfacher, eine Galeere oder
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eine Fabrik in Gang zu setzen, die menschliche Individuen nur mit einem geringen Bruchteil ihres Wertes beansprucht, als eine Welt zu schaffen, in der sie sich voll entfalten können. Die Machtsüchtigen glauben, die Mechanisierung des Menschen sei ein einfacher Weg zur Verwirklichung ihres Machtkomplexes. Ich behaupte, daß dieser bequeme Weg zur Macht in Wirklichkeit nicht nur alle ethischen Werte der Menschen zerstört, sondern auch unsere heute sehr geringen Aussichten für einen längeren Bestand der Menschheit vernichtet. Der Inhalt dieses Buches ist der Entwicklung dieses Themas gewidmet. In jedem Kapitel werden wir entweder Gesichtspunkte, bei denen die Maschine die Kräfte des Menschen vervielfacht, oder Einsichten in den Menschen, welche in Verbindung mit unserem Studium der Maschine klarer werden, oder aber beide untersuchen. Wir beginnen mit den zwei Begriffen E n t r o p i e und F o r t s c h r i t t : Begriffe, die für das Verständnis der Stellung des Menschen in der Welt unbedingt notwendig und erbärmlich mißverstanden worden sind. Wir diskutieren das kommunikative Verhalten des Menschen im Gegensatz zu dem der Ameise; so gewinnen wir eine klarere Vorstellung von der Funktion des Lernens in der menschlichen Gesellschaft. Drei weitere Kapitel behandeln das Problem der Sprache beim Menschen wie bei der Maschine und solchen Bezügen des Menschen, in denen menschliches Individuum und Wesenszüge der Sprache einander ähneln. Es wird einiges über das Rechtswesen zu sagen sein und wesentlich mehr noch über die vielfach mißverstandenen Begriffe der Geheimhaltung und des geistigen Eigentums. Im neunten Kapitel definieren und kritisieren wir die Rolle der beiden hauptsächlichen Träger der Kommunikation in der modernen Welt: des schöngeistigen Intellektuellen und des Naturwissenschaftlers. Das zehnte und elfte Kapitel sind der Maschine gewidmet und den großen Veränderungen, die sie im Leben unserer Generation bereits hervorgebracht hat und voraussichtlich noch hervorbringen wird. Schließlich widmen wir ein Kapitel dem Studium gewisser spezifischer Einflüsse, die scheinbar voneinander sehr verschieden, ihrer Natur nach aber sehr ähnlich sind, und die das richtige Verständnis der Bedeutung der Kommunikation für uns und eine gute Entwicklung der Kommunikation selbst besonders hindern.
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Anhang Ein geeignetes Maß für den Sinnbetrag soll den Sinnbetrag völlig unabhängiger Nachrichten addieren. Nun gibt es einen anderen Weg, zur Information gehörende Mengen zusammenzustellen, bei denen wir diese Mengen nicht addieren. Wenn von zwei Ereignissen jedes mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintritt, und wenn sie völlig unabhängig voneinander sind, hat das gleichzeitige Eintreten beider Ereignisse eine Wahrscheinlichkeit, die das Produkt der beiden Einzelwahrscheinlichkeiten der Ereignisse ist. Wenn wir z. B. zwei Würfel werfen und eine Wahrscheinlichkeit von einem Sechstel besteht, daß jeder von ihnen unabhängig eine Eins zeigt, dann ist die Wahrscheinlichkeit, zwei Einsen zu würfeln, ein Sechsunddreißigstel. Bei zwei Kartenspielen ist die Wahrscheinlichkeit, aus dem einen Spiel einen König zu ziehen, für jedes Spiel ein Dreizehntel, und die Wahrscheinlichkeit, unabhängig davon aus dem anderen Spiel einen König zu ziehen, auch ein Dreizehntel, so daß die Wahrscheinlichkeit, einen König unabhängig aus beiden Spielen zu ziehen, ein Einhundert-neunundsechzigstel sein wird, also ein Dreizehntel eines Dreizehntels. Die Wahrscheinlichkeit, aus einem sorgfältig gemischten Spiel zwei Könige zu ziehen, setzt sich zusammen aus der Wahrscheinlichkeit von einem Dreizehntel, beim ersten Zug einen König zu ziehen, multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit, beim zweiten Zug einen König zu ziehen, wobei wir drei günstige Möglichkeiten unter einundfünfzig haben, so daß die Wahrscheinlichkeit des zweiten unabhängigen Ziehens drei Einundfünfzigstel oder ein Siebzehntel ist. Da sich unabhängige Wahrscheinlichkeiten multiplikativ zusammensetzen, während sich Information additiv zusammensetzt, wird die Beziehung zwischen dem durch eine Nachricht gegebenen Betrag der Information und der Wahrscheinlichkeit dieser Nachricht die sein, die zwischen einer multiplikativen und einer additiven Zahlenfolge besteht. Wenn sich die Zahlen einer Folge addieren, während sich die entsprechenden Zahlen der zweiten Folge multiplizieren, sagen die Mathematiker, daß die Zahlen der ersten Folge die L o g a r i t h m e n der Zahlen der zweiten Folge, der sogenannten Numeri, zu einer gewissen Basis seien. Ein Logarithmus ist jedoch durch seinen Numerus noch nicht vollständig bestimmt, sondern nur bis auf einen Maßstabsfaktor, mit dem der Logarithmus multipliziert werden kann. Dieser Faktor kann positiv oder negativ sein. Nun sind Wahrscheinlichkeiten
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immer kleiner als eins oder gleich eins, denn eins ist die Wahrscheinlichkeit für absolute Gewißheit, und es gibt keine Wahrscheinlichkeit größer als Gewißheit. Der Betrag an Information wird daher so bestimmt, daß er größer als Null ist, wenn die Wahrscheinlichkeit des zugehörigen Ereignisses kleiner als eins ist. Weil der gewöhnliche Logarithmus eines echten Bruches negativ ist und Information natürlich als positiv angenommen werden muß, wird man deshalb den Betrag an Information, der durch ein mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintretendes Ereignis übermittelt wird, als n e g a t i v e n Logarithmus der Wahrscheinlichkeit in irgendeinem geeigneten Maßstabe nehmen. Ein Maß für Information ist ein Maß für Ordnung, sein Entgegengesetztes wird ein Maß für Unordnung sein und wird eine negative Zahl sein. Sie kann künstlich positiv gemacht werden, indem man entweder eine konstante Größe zufügt, oder indem man von einem anderen Werte als Null ausgeht. Dieses Maß der Unordnung ist der statistischen Mechanik bekannt als Entropie; es nimmt in einem isolierten System fast nie spontan ab. Wir sind hier wieder beim zweiten Hauptsatz der Thermodynamik angelangt.
II. Fortschritt und Entropie Eines der ersten Probleme, das in diesem Buche in Erscheinung tritt, ist das des F o r t s c h r i t t s . Wesentlich hierbei ist die Feststellung, in welcher Richtung sich die Welt hinsichtlich gewisser Werte ändert. Wir werden sehen, daß eine der Feststellungsarten mit der statistischen Mechanik verknüpft ist; hiernach ist die Tendenz der Welt als Ganzes abwärtsgerichtet. Wir werden ebenfalls sehen, daß diese Feststellungsart nicht notwendig diejenige unserer normalen menschlichen Begriffe von moralischen Werten ist. Freilich sind diese moralischen Wertsysteme heutzutage nur zu oft mit einem Fortschrittsglauben verknüpft, eine Erscheinung, die weder philosophisch fundiert, noch wissenschaftlich gut unterbaut ist. Der Streit zwischen Optimismus und Pessimismus ist so alt wie die Kultur selbst. In jeder Generation hat es Menschen gegeben, die im Fortschritt der Zeit nur ein Abgleiten aus einem „goldenen“ Zeitalter hinab in eine „Eisen“zeit gesehen haben. Ebenso aber gab es in jeder Generation Menschen, die die Errungenschaften ihrer Zeitgenossen wogen und für gut befanden. Zur Zeit haben jene beiden Tendenzen zum Optimismus und zum Pessimismus besondere Schärfe angenommen, und beide berufen sich auf die modernen naturwissenschaftlichen Anschauungen. Im Anhang zum vorigen Kapitel haben wir die E n t r o p i e erwähnt; für den Pessimisten ist es diejenige wissenschaftliche Idee, die mit seiner Deutung des Weltalls am meisten übereinzustimmen scheint. Sie ist verknüpft mit der Idee des S c h e m a s und gibt den Betrag der Unordnung in einer Schemagruppe wieder. Sie ist ebenso eng verbunden mit dem Begriff der I n f o r m a t i o n und mit deren Maß, welches wesentlich ein Maß der Ordnung ist. Der Informationsbetrag ist ein Maß des Ordnungsgrades, der besonders bei jenen Schemata zu finden ist, die als Nachricht zeitlich verteilt sind. Ich habe Nachricht bereits als ein zeitlich verteiltes Schema erklärt und habe den Begriff des Informationsbetrags einer
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richt eingeführt. Der Begriff des Schemas ist jedoch nicht auf ein in der Zeit verteiltes Schema beschränkt, und der Begriff des I n f o r m a t i o n s b e t r a g s ist im wesentlichen nur der Sonderfall des auf ein Zeitschema angewandten Begriffs des O r d n u n g s b e t r a g s . Die allgemeinen Ideen der Ordnung und Unordnung sind ebensogut wie auf den Sonderfall der Z e i t r e i h e n auch auf Schemata aller Typen anwendbar. Sie sind nicht anwendbar auf ein einzelnes gesondertes Schema, sondern nur auf eine Schemagruppe, die aus einer größeren Gruppe in der Weise ausgewählt ist, daß bei der kleineren eine Wahrscheinlichkeit gemessen werden kann. Je wahrscheinlicher der Schematyp ist, um so weniger Ordnung enthält er, denn Ordnung ist ihrem Wesen nach ein Mangel an Zufälligkeit. Um auf den im Anhang des vorigen Kapitels erklärten Begriff des Logarithmus zurückzugreifen: Das übliche Maß des Ordnungsgrades einer aus einer größeren Gruppe ausgewählten Schemagruppe ist der negative Logarithmus der Wahrscheinlichkeit der kleineren Gruppe, wenn wir die Wahrscheinlichkeit der größeren Gruppe gleich eins annehmen. Leider muß ich hier auf das Vokabularium der Schulmathematik zurückgreifen. Aber ich kann kein Synonym für das Wort Logarithmus entdecken, und jeder Versuch, es durch eine Definition zu ersetzen, würde mich nur noch stärker als Pedanten erscheinen lassen. Man wählt diese logarithmische Skala für Ordnungs-Unordnungsbeziehungen aus dem gleichen Grunde zur Informationsmessung. Wir wenden sie an, weil sie den Ordnungsbetrag zweier völlig unabhängiger Systeme addiert, wenn wir diese durch ein einzelnes umfassenderes System ersetzen. Indessen mißt die Physik traditionellerweise nicht Ordnung, sondern Unordnung; und der positive Logarithmus der Wahrscheinlichkeit ist das Maß der Unordnung. Gewöhnlich wird dieses Maß der Unordnung nicht auf ein absolutes Niveau bezogen, sondern man addiert zu diesem Logarithmus eine geeignete positive Konstante und macht so in den uns interessierenden Fällen das Maß der Unordnung positiv. Dieses positive Unordnungsmaß ist genau das, was wir im Anhang des vorigen Kapitels Entropie genannt haben. Es ist eine der fundamentalen Größen der Physik, und der zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt, daß in einem geschlossenen System die Wahrscheinlichkeit für ein Kleinerwerden der Entropie gleich Null ist. Ein anderer Weg, um diese Gesetzmäßigkeit anschaulicher zu machen, besteht darin, daß man sagt, ein geschlossenes System strebe nach einem Zustand größtmöglicher Unordnung oder, mit
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anderen Worten, zu größtmöglicher Ausgeglichenheit. Ein solches System wird in dem enden, was Boltzmann den Wärmetod genannt hat. Gefühlsmäßig scheint dieser gleichbedeutend zu sein mit einem kosmischen Pessimismus – einer Welten-Götterdämmerung oder einem Jüngsten Gericht. Indessen – und das ist von größter Wichtigkeit – ist es nötig, diese kosmisch-physikalischen Werte von jedem menschlichen Bewertungssystem sorgfältig zu trennen, Die Lage entspricht genau der, die wir in der Darwinschen Entwicklungslehre finden. Dort sind diejenigen Arten, die überleben, offensichtlich der Überrest einer großen Anzahl von Schemata, die nicht überlebt haben. Das Neuauftreten einer Art ist ein außerordentlich seltenes Ereignis, unendlich viel seltener als die erfolgreiche Befruchtung eines Eis und die Empfängnis und Geburt eines Tieres und sogar außerordentlich viel seltener als das fast unwahrscheinliche Wunder, durch das ein bestimmtes Spermatozoon in die Lage kommt, ein Ei zu befruchten. Auch bei einem Tier wie einem Fische, der seine frühen Entwicklungsstadien nicht als behüteter Fötus, sondern als freischwimmende Larve durchmacht, ist ja ein früher Tod das weitaus häufigste Schicksal. Gleichwohl werden aber doch einige Eier befruchtet, einigen Spermien gelingt es vielleicht, ein Ei zu befruchten, und einige Fischlarven wachsen doch zur Reife heran. Vom Standpunkt des menschlichen Interesses aus decken diese wunderbar seltenen Erfolge und die wunderbar seltenen Fälle, in. denen eine neue Art entsteht, die fast ununterbrochene Folge von Versagern der Natur weitgehend zu. Mit anderen Worten: wir wägen die Natur nicht mit einem gleichen Wahrscheinlichkeitsmaß, sondern auf einer Waage, die erheblich vorbelastet ist zugunsten des Neuen und uns Wichtigen. Es kann wohl sein, daß der Herr den Fall jedes Sperlings zählt, aber wenn er ein antropomorpher Gott ist, kümmert er sich nicht viel darum. Halten wir fest, daß die Begründung des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik auf einen engen Bereich beschränkt ist. Es ist wesentlich, daß wir es dabei mit einem geschlossenen oder dem Wesen nach geschlossenen System zu tun haben. In den nicht abgeschlossenen Teilen eines abgeschlossenen Systems kann es sehr wohl Bezirke geben, in denen die in geeigneter Weise definierte Entropie abnimmt. Die Kopplung,11 welche die verschiedenen Teile 11
Man nennt zwei oder mehr Systeme gekoppelt, wenn sie in ihrer
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des Systems zu einem einzigen umfassenderen System vereinigt, wird im allgemeinen Falle sowohl Energie als auch Information übertragen. So ist das Licht, das wir von der Sonne empfangen, eine Energiequelle für Vegetation und Wetter und meldet uns gleichzeitig, was in der Sonne vorgeht. Früher sah man beim Begriff der Kopplung verschiedener Teile eines dynamischen Systems die Energie als das Wichtigste an. Aber gerade in der klassischen Physik, die der Quantentheorie vorausging, konnte irgendein Betrag von Information auf einem beliebig niedrigen Energieniveau übermittelt werden. Von einer telegraphischen Nachricht nahm man ursprünglich an, daß sie unbegrenzt schwach sein könne und bei Verwendung einer geeigneten Apparatur dennoch am Empfangsende ablesbar sei. So brauchte in der älteren, nun überwundenen Physik die für die Entropie und den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik wichtige Kopplung nur den Austausch beliebig kleiner Energien zu umfassen. Es ist eine interessante Tatsache, daß die Entwicklung der Physik zu einer neuen Verbindung von Energie und Information geführt hat. Ein ganz einfaches Beispiel hierfür begegnet uns in den Theorien über das Störgeräusch in einem Telefonkreis oder in einem Verstärker. Man kann nachweisen, daß dieses Störgeräusch unvermeidlich ist, weil der elektrische Strom aus getrennten Teilchen, den Elektronen, besteht; es hat die entscheidende Fähigkeit, Information zu zerstören. Wesentlicher als die Tatsache, die einen gewissen Betrag von Kommunikationsleistung im Stromkreis erfordert, damit die Nachricht nicht vom Störgeräusch überdeckt wird, ist die Tatsache, daß das Licht selbst atomare Struktur hat, und daß Licht einer gegebenen Frequenz in Teilchen ausgestrahlt wird, die als Lichtquanten bekannt sind und die eine genau bestimmte, von jener Frequenz abhängige Energie besitzen. Daher kann es keine Strahlung von kleinerer Energie als ein einzelnes Lichtquant geben. Die Informationsübertragung kann nicht ohne eine gewisse minimale Energieübertragung vor sich gehen, so daß es dort keine scharfe Grenze zwischen Energiekopplung und Informationskopplung gibt. Immerhin ist für die meisten praktisamtheit ein größeres System bilden, dessen Bewegungsgesetze nicht nur eine Aneinanderreihung der für die getrennten Bestandteile gültigen Gesetze sind; dabei können einzelne Gesetze des Gesamtsystems entweder nur einen Energieaustausch zwischen den Teilsystemen enthalten (Energiekopplung) oder, wie man sich vorstellen könnte, nur einen Informationsaustausch (Informationskopplung).
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schen Zwecke ein Lichtquant etwas sehr Kleines; und die für eine wirkungsvolle Nachrichtenkopplung erforderliche Übertragungsenergie ist recht gering. So ist es verständlich, daß bei einem örtlichen Prozeß wie dem Wachstum eines Baumes oder eines Menschen, der direkt oder indirekt von der Sonnenstrahlung abhängt, ein riesiges Absinken der Entropie an diesem Orte mit einer ganz bescheidenen Energieübertragung verbunden sein kann. Das ist eine der grundlegenden Tatsachen der Biologie und insbesondere der Theorie der Fotosynthese – desjenigen chemischen Prozesses, durch den eine Pflanze befähigt wird, mit Hilfe der Sonnenstrahlen aus dem Wasser und dem Kohlendioxyd der Luft Stärke und andere für das Leben notwendige, verwickelte chemische Verbindungen zu bilden. Die Frage, ob wir das zweite Gesetz der Thermodynamik pessimistisch oder ohne jeden düsteren Nebensinn auslegen, hängt von der Bedeutung ab, die wir einerseits dem Weltall im großen zuschreiben und andererseits den in ihm vorhandenen Inseln örtlich abnehmender Entropie. Erinnern wir uns, daß wir selbst solch eine Insel abnehmender Entropie bilden und daß wir zwischen anderen solchen Inseln leben. Das Ergebnis ist, daß der übliche Betrachtungsunterschied zwischen dem Nahen und dem Entfernten uns dazu verleitet, die Regionen abnehmender Entropie und zunehmender Ordnung viel wichtiger zu nehmen als das Weltall im großen. Es kann z. B. sehr wohl möglich sein, daß im Weltall Leben eine seltene Erscheinung ist; vielleicht ist es beschränkt auf das Sonnensystem oder sogar – wenn wir an Leben in einer Form denken, die mit der für uns bedeutsamen vergleichbar ist – nur auf die Erde allein. Aber wir leben nun einmal auf dieser Erde, und daß anderswo im Weltall das Leben möglicherweise fehlt, ist für uns nicht von großer Bedeutung – sicherlich nicht von einer Bedeutung, die der überwältigenden Größe des übrigen Weltalls gleichkäme. Weiterhin ist es durchaus verständlich, daß Leben mit einer begrenzten Zeitdauer verbunden ist und daß es nicht vor den frühesten geologischen Zeitaltern existierte und daß die Zeit durchaus kommen kann, in der die Erde erneut ein unbelebter, ausgebrannter und ausgefrorener Planet ist. Wer den äußerst begrenzten Bereich der physikalischen Bedingungen kennt, unter denen die für das uns bekannte Leben nötigen chemischen Reaktionen stattfinden können, weiß ohnehin, daß der glückliche Zufall, der die Fortsetzung von Leben jeder Form auf dieser Erde erlaubt – selbst
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ohne Einschränkung des Begriffs Leben auf etwas dem menschlichen Leben Ähnliches –, notwendigerweise zu einem völligen und verhängnisvollen Ende kommen muß. Aber es kann uns gelingen, den Rahmen unserer Werte so zu spannen, daß dieses kurzdauernde Ereignis des Vorhandenseins von Leben und dieses zeitlich noch begrenztere Ereignis von menschlichem Leben trotz ihres vergänglichen Charakters als positive Werte von überragender Bedeutung erscheinen. Man sieht, wir sind keineswegs unparteiisch genug, um unsere uns wichtigen menschlichen Besonderheiten auf der ungeheuren Skala der Wahrscheinlichkeit innerhalb des Weltalls aufzutragen. Wir sind vielmehr gezwungen, die menschliche Umgebung mit menschlichen Wertmaßstäben zu messen, und das kann für uns und für den Augenblick wohl zu einem gewissen Optimismus führen. Aber dahinter steht ein memento mori, das viel eindringlicher und zwingender ist als die Losung der Trappisten. Es liegt etwas sehr Wahres in dem Gedanken, daß wir Schiffbrüchige auf einem zum Untergang bestimmten Planeten sind. Aber selbst bei einem Schiffbruch müssen nicht notwendig alle Formen menschlicher Anständigkeit und alle menschlichen Werte verschwinden, und wir müssen alles tun, sie zu bewahren. Wir werden untergehen, aber laßt es uns so tun, wie es unserer Menschenwürde entspricht. Bis jetzt haben wir von einem Pessimismus gesprochen, der mehr der intellektuelle Pessimismus des Berufswissenschaftlers als der gefühlsmäßige Pessimismus des Durchschnittsmenschen ist. Wir haben bereits gesehen, daß die Theorie der Entropie und die Betrachtungen über den endgültigen Wärmetod des Weltalls nicht so niederdrückende moralische Folgen zu haben brauchen, wie es auf den ersten Blick scheint. Selbst dieser bereits gemilderte Pessimismus ist indessen der gefühlmäßigen Hochstimmung des Durchschnittsmenschen und vor allem des Durchschnittsamerikaners fremd. Die im allgemeinen übliche Erziehung des Amerikaners der oberen Mittelschichten will ihn vor allem ängstlich davor behüten, Tod und Schicksal gewahr zu werden. Er wird aufgezogen in einer Atmosphäre, als sei alle Tage Weihnachten, und wenn er erkennt, daß der Nikolaus ein Märchen ist, weint er bitterlich. Tatsächlich findet er sich niemals ganz mit dem Zerbrechen seiner Kindheitsvorstellungen ab und verbringt einen guten Teil seines späteren Lebens damit, nach irgendeinem gefühlsmäßigen Ersatz zu suchen.
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Die Tatsache des persönlichen Todes und die Möglichkeit des Unglücks werden ihm zwar durch die Erfahrungen seiner späteren Jahre aufgezwungen; trotzdem versucht er, diese unglückseligen Wirklichkeiten in die Rolle von Zufällen zu verweisen und einen Himmel auf Erden aufzubauen, in dem Widrigkeiten keinen Platz haben. Für ihn besteht dieser Himmel auf Erden in beständigem Fortschritt und gleichmäßigem Aufstieg zu größeren und schöneren Dingen. Dieses Fortschrittsideal hat zwei Seiten, eine tatsächliche und eine ethische, welche Maßstäbe für Billigung und Mißbilligung liefert. Es besagt im Grunde, daß die geographischen Entdeckungen, deren Beginn dem Anfang der Neuzeit entspricht, übergehen müssen in eine endlose Periode des Erfindens und Entdeckens neuer Techniken zur Beherrschung der menschlichen Umgebung. Dies wird, so sagen die Fortschrittsgläubigen, in einer für menschliche Begriffe faßbaren Zukunft unabsehbar weitergehen. Diese Bannerträger der Fortschrittsidee betrachten den unbegrenzten und beinahe selbständig vonstatten gehenden Änderungsprozeß – von der ethischen Seite her gesehen – als d a s G u t e und als die Grundlage, auf der sie den späteren Generationen den H i m m e l a u f E r d e n garantieren. Es ist möglich, an den Fortschritt als Wirklichkeit ohne zugleich an den Fortschritt als ethisches Prinzip zu glauben; aber im Katechismus des Durchschnittsamerikaners gehen beide Hand in Hand. Die meisten von uns sind viel zu sehr eingefangen von dieser Welt des Fortschritts, um die beiden Tatsachen erkennen zu können, daß dieser Fortschrittsglaube nur zu einem geringen Teil der überlieferten Geschichte angehört und daß er einen scharfen Bruch mit unseren eigensten religiösen Bekenntnissen und Überlieferungen bedeutet. Weder für den Katholizismus, noch für den Protestantismus, noch in diesem Zusammenhange für das Judentum ist die Welt ein g u t e r Ort und einer, in dem dauerndes Glück erwartet werden kann. Die Kirche bietet ihren Lohn für die Tugend nicht in irgendeiner Münze, die zwischen den Königen der Erde gültig ist, sondern als einen Schuldschein auf den Himmel. Schmähend verbindet sie die Welt mit dem Fleisch und dem Teufel. Sie erwartet das Wiederkommen Christi und ein jüngstes Gericht. Danach wird unsere Erde zerstört werden, die Seligen werden durch alle Ewigkeit inmitten der Himmelsfreuden verbleiben, und die Bösen werden verdammt werden zu Leiden ohne Hoffnung auf ein Ende.
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Im wesentlichen nimmt der Calvinist das gleiche an mit der zusätzlichen düsteren Note, daß nur wenige von Gott Auserwählte die gräßlichen Endprüfungen des Gerichtstags bestehen werden und daß diese ausgewählt werden sollen durch Seinen schiedsrichterlichen Ratschluß. Keine Tugend auf Erden und keine moralische Rechtschaffenheit kann auch nur im geringsten nützen, sich diese Seligkeit zu sichern. Mancher Gute wird verdammt werden. Die Calvinisten erwarten die Seligkeit, die sie für sich ja nicht einmal im Himmel zu finden hoffen, bestimmt nicht hier auf Erden. Auch die hebräischen Propheten sehen die Zukunft des menschlichen Geschlechts nicht gerade in rosigem Lichte, ja, nicht einmal die ihres auserwählten Volkes Israel; und das große Moraldrama von Hiob verleiht – obwohl es ihm einen geistigen Sieg gewährt und obwohl der Herr geruht, ihm seine Herden und seine Diener und seine Frauen zurückzugeben– trotzdem keine Sicherheit, daß solch ein verhältnismäßig glückliches Endergebnis immer erwartet werden darf, es sei denn durch das freie Ermessen Gottes. Der Kommunist schaut ebenso wie der Fortschrittsgläubige eher nach seinem Himmel auf Erden aus als nach einer persönlichen Belohnung, die in einem nachirdischen individuellen Dasein einkassiert werden soll. Er nimmt stillschweigend an, daß dieser Himmel auf Erden dem Menschengeschlecht nicht unerreichbar ist – immerhin mit der Einschränkung, daß dieser Himmel auf Erden nicht ohne Kampf und von selbst kommen wird. Er ist ebenso mißtrauisch gegen ein Schlaraffenland der Zukunft wie gegen himmlische Verheißungen. Auch der Islam, der die Ergebung in den Willen Gottes lehrt, ist gegenüber dem Ideal des Fortschritts nicht viel empfänglicher. Vom Buddhismus mit seiner Hoffnung auf das Nirwana und auf eine Befreiung von dem äußeren Getriebe der Dinge brauche ich nichts zu sagen. Er steht der Idee des Fortschritts feindselig gegenüber; das gleiche gilt für alle verwandten indischen Religionen. Vielleicht ist die ganze Welt doch zu groß, um den klaren Gegensatz zwischen dem Credo der gegenwärtigen Fortschrittsepoche und den verschiedenen älteren Ansichten der Dinge zu zeigen. Fassen wir darum jetzt jenes kleine Eckchen der Welt ins Auge, das Neu-England heißt. Als der Wohlstand Neu-Englands auf den Meeren schwamm und in den Ladungen steckte, die die See von den Grenzen der Erde herbeitrug, und als der Bostoner Kaufmann stolzer Besitzer einer großen Flotte war, verehrte er Gott nach dem Bekenntnis Johann Calvins. Der Seemann, mag er nun über
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das Achterdeck schreiten oder in der Koje vor dem Mast wohnen, weiß wohl, daß es auf See nichts selbstverständlich Günstiges gibt; die Möglichkeit eines schrecklichen Todes ist immer gegenwärtig. Auch der Reeder ist nicht gegen alle Berührungen mit der Wirklichkeit gefeit. Ein einziger Sturm kann ihn vom reichen Mann zum Bettler auf der Straße machen. Der Auserwählten sind wenige, und keine noch so großen Tugenden können einen Platz unter ihnen sichern. Nach dem Unglück der Stone-Fleet und der Zerstörung der Walfänger in dem großen Frost von Point Barrow verließ das Kapital Neu-Englands die See und kehrte nie wieder zu ihr zurück. Warum verließ es die See, und wohin ging es? Auf der einen Seite hatte sich die Periode der Abenteuer, welche das Neu-England der Kolonial- und Föderalzeit charakterisierte, erschöpft in einer Generation von Epigonen. Auf der anderen Seite hatten die geologischen Entdeckungen von Alexander Agassiz die neuen Kupferminen des Nordwestens geöffnet, und manche Bostoner Vermögen, die früher über die sieben Meere gesegelt waren, fanden nun einen neuen Ankergrund in den Anleihen und Wertpapieren von Calumet und Hecla. Aus dem Neu-England der Gemeinschaft von „merchant adventurers“ wurde eine Gemeinschaft von Rentiers und von Großgrundbesitzern. Zur selben Zeit entstand in Boston eine neue religiöse Bewegung. Es war das neue Evangelium der Mary Baker Eddy, die sogenannte Christliche Wissenschaft. Diese neue Religion kümmert sich nicht um Erlösung. Erlösung kann in ihren heiligen Büchern als Wort erscheinen, aber dem Christlichen Wissenschaftler liegt viel mehr daran, Schmerzen und Übel dieser Welt zu beseitigen, indem er sich der körperlichen Unzulänglichkeit überlegen erweist. Krankheit ist ein geistiger Irrtum und muß ausgelöscht werden, indem man sie verneint. Wir dürfen nicht vergessen, daß der Besitzer von goldgeränderten Wertpapieren geneigt ist, jeden Zusammenhang mit der Quelle seines Einkommens und jede Verantwortlichkeit für die Mittel, durch die es gewonnen wird, zu leugnen. In diesem Rentnerhimmel unterscheidet sich die Aussicht, in aller Ewigkeit auf einem endlosen Zauberteppich von anderer Leute Erfindungen zu segeln, in nichts von der Wirklichkeit des Lebens. Verantwortlichkeit wurde ebenso wie Tod und Krankheit verbannt. Neben dieser bequemen passiven Fortschrittgläubigkeit gibt es eine andere, die eine männlichere, kraftvollere Nebenbedeutung zu haben scheint. Für den Durchschnittsamerikaner bedeutet
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Fortschritt die Gewinnung des Westens. Er bedeutet die wirtschaftliche Anarchie an der Grenze und die herzhafte Prosa von Owen Wister und Theodore Roosevelt. Historisch gesehen ist die Grenze natürlich geradezu ein Phänomen. Lange Jahre vollzog sich die Entwicklung der Vereinigten Staaten vor dem Hintergrund eines leeren Landes, das immer weiter nach Westen rückte. Trotzdem sind viele von denen, die sich an Versen über die Grenze versucht haben, Lobsänger der Vergangenheit. Bereits 1890 stellt die Volkszählung das Ende wirklicher Grenzlandbedingungen fest; damit waren die geographischen Grenzen der großen Reserven voll unausgeschöpfter und unerwarteter Hilfsquellen für das Land eindeutig festgelegt. Es ist für den Durchschnittsmenschen sehr schwer, einen geschichtlichen Überblick zu gewinnen, bei dem der Fortschritt auf seine wahre Größenordnung zurückgeführt wird. Der Typ der Muskete, mit der ein großer Teil des Bürgerkriegs ausgefochten wurde, stellte nur eine unmerkliche Verbesserung derjenigen dar, die bei Waterloo verwendet worden war, und diese hinwiederum war der Braunen Beß von Marlboroughs Armee in den Niederlanden fast zum Verwechseln ähnlich. Handfeuerwaffen hat es aber schon seit dem 15. Jahrhundert oder früher gegeben und Kanonen noch hundert Jahre eher. Ob die glatt gebohrte Muskete jemals die Reichweite des besten Bogens übertroffen hat, ist zweifelhaft, und sicher ist, daß sie ihm in der Genauigkeit und in der Schußgeschwindigkeit niemals gleichkam. Der Bogen aber ist die fast unverbesserte Erfindung der Steinzeit.12 Ebenso war das Kriegsschiff aus Holz – wenn auch die Entwicklung niemals ganz stillstand – bis zu seinem Verschwinden ein im wesentlichen seit dem frühen 17. Jahrhundert kaum verändertes „Schema“, und selbst damals schon hatte es eine noch manche Jahrhunderte zurückreichende Ahnenreihe. Ein Matrose des Kolumbus wäre auch an Bord von Farraguts Schiffen ein brauchbarer und fähiger Seemann gewesen. Ein Matrose des Schiffes, das Paulus nach Malta trug, hätte sich sogar noch auf einer von Joseph Conrads Barken als ganz leidlicher Vorderdeckmann bewährt. Ein römischer Hirte von der dacischen Grenze würde einen recht guten Viehhirten in Texas zum Treiben der Langhornstiere von den 12 Das widerspricht nicht der Tatsache, daß die Einführung der Feuerwaffen es auch einem weniger geschulten Mann ermöglichte, ein ziemlich brauchbarer Soldat zu werden, und das war eine große s o z i a l e Neuerung auf dem Gebiete der Kriegskunst.
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Weiden zur Bahnstation abgeben, obwohl er wahrscheinlich vor Erstaunen umfiele angesichts dessen, was er dort vorfände. Ein babylonischer Tempelhüter hätte außer in Buchführung und in Sklavenbehandlung keine weitere Ausbildung nötig gehabt, um eine Farm der Frühzeit in den Südstaaten verwalten zu können. Kurzum, die Periode, die die Hauptlebensbedingungen für die große Masse der Menschen wiederholt und umwälzend verändert hat, beginnt gerade erst mit dem Zeitalter der Renaissance und der großen Seefahrten und ist bis ins späte 19. Jahrhundert hinein nicht vergleichbar mit dem beschleunigten Gang der Gegenwart. Unter diesen Umständen nützt es gar nichts, sich in der Geschichte nach Parallelen für die folgenreichen Erfindungen der Dampfmaschine, des Dampfschiffs, der Lokomotive, der modernen Metallverhüttung, des Telegraphen und der Überseekabel, der Einführung der Elektrizität, des Dynamits und des modernen hochexplosiven Geschosses, des Flugzeugs, der Elektronenröhre und der Atombombe umzusehen. Die Erfindungen in der Metallurgie, die den Beginn des Bronzezeitalters kennzeichnen, sind weder zeitlich so konzentriert noch so reichhaltig, als daß sie ein gutes Gegenbeispiel böten. Es ist für einen Vertreter der klassischen Volkswirtschaftslehre sehr leicht, uns wortreich zu überzeugen, daß diese Änderungen im Grunde nur Gradänderungen sind und daß Gradänderungen nicht historische Parallelen entkräften. Der Unterschied zwischen einer therapeutischen und einer tödlichen Strychnindosis ist auch nur graduell. Hier möchte ich auf einen beliebten Fehler der nicht naturwissenschaftlich geschulten Leser hinweisen, nämlich die Unfähigkeit, andere als nur lineare Prozesse zu verstehen oder auch nur ins Auge zu fassen. Ein Prozeß, bei dem eine bestimmte Ursache eine bestimmte Wirkung hervorruft, ist dann linear, wenn die doppelte Ursache auch die doppelte Wirkung hat. Auch für den Naturwissenschaftler sind solche Prozesse weitaus am einfachsten zu beschreiben, und wenn es ihm gelungen ist, eine zusammengesetzte Erscheinung durch gewisse technische Tricks in linearen Ausdrücken zu erklären, ist er sehr glücklich. Indessen ist keine der wirklich katastrophalen Erscheinungen in Natur und Experiment auch nur annähernd linear. Wenn ich eine Stahlkugel gegen ein Glasstück werfe, prallt bei kleiner Geschwindigkeit die Kugel in einer nahezu elastischen Art und Weise ab. Wenn ich unter diesen Bedingungen die Geschwindigkeit der Kugel verdoppele, werde ich ihre Geschwindigkeit nach dem Zurückprall auch
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gefähr verdoppeln. Die lineare Annäherung an die gegebene Erscheinung genügt für die meisten gewöhnlichen Zwecke. Indessen wird an einem gewissen Punkte, den wir nicht sehr genau festlegen können, der Verlauf der Erscheinung ganz andersartig werden. Es wird eine Spannung entstehen, die größer ist als diejenige, die das Glas aushalten kann, und es entsteht ein Sprung. Während dieses Vorgangs ergibt sich innerhalb des Glases eine sehr große Umordnung der Spannungen. Infolge der Scharfheit des Sprunges sind die Spannungen an seinem Ende extrem groß. Daher neigt der Sprung dazu, sich über jeden erreichten Endpunkt hinaus auszudehnen und erzeugt wieder Trennungsspannungen an dem neuen Endpunkt. Unter diesen Umständen werden kleine Ursachen sehr große Wirkungen hervorrufen. Eine völlig unvorhergesehene und unbekannte Unregelmäßigkeit des Glases kann den Sprung nach rechts oder links ablenken. Ein solcher Vorgang wird meist eine beträchtliche Energiemenge absorbieren. Die Kugel selbst wird nicht mehr in einer quasi-elastischen Weise zurückgeworfen werden, sondern wird wie tot herabfallen. Der Unterschied zwischen den Ursachen in unzerbrochenem und zerbrochenem Glase ist zwar nur graduell; aber der Unterschied in der Wirkung ist der zwischen einem einfachen Rückprall und einer zerbrochenen Scheibe. Mit anderen Worten: obwohl es zutrifft, daß innerhalb ziemlich weiter Grenzen eine kleine Änderung der Ursachen in einem genügend kleinen Zeitintervall eine kleine Änderung in der Wirkung hervorruft, ist der Maßstab dieses Zeitintervalls nicht a priori bestimmbar, wenn wir nicht die Dynamik des Systems in ihren Einzelheiten kennen. Auf lange Zeit gesehen können die Ergebnisse zweier nahezu identischer Ursachen nach und nach divergieren, bis die Endverschiedenheit einen beliebig großen Grad erreicht hat. Dabei können je nach den betrachteten besonderen Systemen tausend Jahre eine kurze Zeit und eine Tausendstelsekunde eine lange Zeit sein. Nur eine kleine Änderung in der Stoßkraft des Zündbolzens einer Schußwaffe ist nötig, um eine Fehlzündung in einen wirksamen Schuß zu verwandeln, und falls diese Waffe in den Händen eines Mörders liegt, kann diese verschwindend kleine Differenz den Unterschied zwischen Revolution und friedlicher politischer Entwicklung bedeuten. Daher hält der für gewöhnlich angenommene Unterschied zwischen einer ausgedehnten quantitativen Änderung der Verhältnisse und qualitativer Änderung näherer Untersuchung nicht stand.
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Nun fußen Geschichtswissenschaft und Soziologie auf der Anschauung, daß die von ihnen behandelten Einzelfälle hinsichtlich der sozialen Abläufe einer Periode so weit übereinstimmen, daß sie auf die Abläufe eines anderen Falles übertragbar sind. Aber seit Beginn der neueren Geschichte hat sich die gesamte Stufenleiter der Erscheinungen sicherlich derartig geändert, daß es ausgeschlossen erscheint, die von früheren Perioden abgeleiteten politischen, rassischen und wirtschaftlichen Begriffe einfach auf die heutige Zeit zu übertragen. Fast ebenso einleuchtend ist es, daß die heutige Zeit selber in hohem Maße uneinheitlich ist. In den Augen des Durchschnittsmenschen ist die neue Zeit charakterisiert durch die nach seiner Ansicht vortreffliche Geschwindigkeit des Fortschritts. Ebensogut könnte man sagen, daß die Neuzeit das Zeitalter der beständigen und hemmungslosen Ausbeutung ist: einer Ausbeutung der natürlichen Hilfsquellen, der besiegten „primitiven“ Völker und letzten Endes einer systematischen Ausbeutung des Durchschnittsmenschen. Die Neuzeit beginnt mit dem Zeitalter der Entdeckungen. Damals gewahrte Europa zum ersten Male das Vorhandensein großer dünnbesiedelter Gebiete, die eine weit größere Bevölkerung als die des damaligen Europa aufzunehmen vermochten und die voller unerforschter Werte waren; nicht etwa nur Gold und Silber, sondern auch alle anderen Handelsgüter waren dort zu finden. Diese Hilfsquellen schienen unerschöpflich, und gemessen an dem gesellschaftlichen Niveau der Bevölkerung um 1500 lag ihre Erschöpfung und die Überbevölkerung dieser neuen Länder wirklich in weiter Ferne. Und 450 Jahre sind ein größerer Zeitraum, als die meisten Menschen vorauszublicken vermögen. Der Friede, der in Europa während eines großen Teils des vorigen Jahrhunderts herrschte, schränkte die Möglichkeiten von Kapitalanlagen mit großem Risiko und großen Gewinnaussichten stark ein, und der Zinsfuß der Konsols, der mündelsicheren Staatspapiere der Bank von England, des traditionellen Aufbewahrungsortes großer englischer Vermögen sank immer tiefer. Demgegenüber boten die neuen Länder spekulative Anlagemöglichkeiten mit einer vernünftigen Chance für große Gewinne, und das erste dieser neuen Länder auf dem Geldmarkte waren die Vereinigten Staaten von Amerika. So wurde die Entwicklung Amerikas weit über ihr an sich schon schnelles Normalmaß hinaus vorgetrieben durch den Wunsch der Menschen in den Oststaaten und in der alten Welt, an dem neuen Land teilzuhaben.
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Eine neue Art des Erfindens hatte schon begonnen, mit den neuen geographischen Grenzen Schritt zu halten. Die Eisenbahn setzte sich rasch durch. Sie hatte bereits 1870 die neuen Länder umspannt und sogar den Vorposten Kalifornien so in die Staaten eingegliedert, wie es ohne sie nicht möglich gewesen wäre. Übrigens hätte die Pazifische Eisenbahn ohne weiteres eine gute Reihe Jahre früher kommen können, wenn das Land während und nach dem Bürgerkrieg nicht erschöpft gewesen wäre. Im Grunde waren es Eisenbahn und Telegraph, die die vereinigt genannten Staaten vereinigten. Das Mexiko entrissene Gebiet und die nördlichen Regionen von Oregon und Washington waren 1870 größtenteils noch weite, leere Räume. In den Augen der Zeitgenossen boten sie unerschöpflichen Raum für Ansiedlung und Weideland und sogar geeignete Plätze für die industrielle Entwicklung der weiteren Zukunft. Kaum zwanzig Jahre später begannen die Möglichkeiten dieses neuen Gebietes sich bereits zu erschöpfen. Tausend Jahre im europäischen Lebensstil des Mittelalters oder sogar des achtzehnten Jahrhunderts hätten unsere Quellen nicht so gründlich erschöpfen können wie ein Jahrhundert unseres eigenen uneingeschränkten Vorgehens. Solange noch etwas von dem anfänglichen Reichtum der Natur übrigblieb, war unser Nationalheld der „Ausbeuter“, der alles daransetzte, diesen Reichtum in bare Münze umzuwandeln. In den volkswirtschaftlichen Theorien des freien Handels haben wir ihn gepriesen, als hätte er die Reichtümer geschaffen, die er gestohlen und vergeudet hat. In unserer Prosperity-Atmosphäre haben wir in den Tag hinein gelebt und gehofft, daß irgendein gütiger Himmel unsere Exzesse vergeben und unseren verarmten Enkeln das Leben ermöglichen werde. Das nennen wir die fünfte Freiheit.13 Unter diesen Verhältnissen wurden natürlich die neuen Hilfsmittel der Erfindungen zu noch schnellerer Ausbeutung unserer Bodenschätze verwandt. Der Hacke-und-Schaufel-Bergmann machte dem Dampfbagger Platz. Die unerschöpflichen Quellen der Eisenerze der Mesabixkette sind bis auf Reste heruntergewirtschaftet worden. Zugegeben, dies war das Ergebnis des letzten Krieges, aber wir müssen ebenso zugeben, daß wir den Krieg durchaus nach unserer alten Gewohnheit führten, indem wir un-
Anspielung auf die von F. D. Roosevelt in seiner Botschaft an den Kongreß vom 6.1.1941 verkündeten „vier Freiheiten“. (Anm. d. Übers.)
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sere eigenen, bereits überbeanspruchten Hilfsquelle noch rascher ausbeuteten. Zweifellos kann es nicht mehr viele Jahrhunderte, ja nicht einmal mehr einige Jahrzehnte so weitergehen, ohne daß bei unveränderter Beibehaltung der technischen Arbeitsweisen von heute das Material, das wir suchen, völlig aufgebraucht ist. Das müßte meiner Ansicht nach sogar der durchschnittlich intelligente Geschäftsmann einsehen. Gerade er jedoch setzt seine Hoffnung darauf, daß technische und erfinderische Fähigkeiten immer Neues entwickeln werden. Daß uns technisches Können und Erfinden sehr weit gebracht haben, ist richtig. Aluminium, das zur Zeit unserer Väter ein seltenes Metall war, ist eine der Hauptstützen der modernen Industrie und hat beim Bau vieler unserer Überlandleitungen das Kupfer bereits ersetzt. Vom Meere gewinnen wir Magnesium; das Meer ist überhaupt die unerschöpflichste aller unserer Hilfsquellen. Das Holz der Geräte und Behältnisse unserer Kindheit hat der Pappe und den Kunststoffen Platz gemacht, und Aluminiumfolie hat die Zinnfolie ersetzt, mit der wir einst unsere Pakete zu umhüllen pflegten. Gummi von den Ölquellen und den chemischen Fabriken ist nun ein gewichtiger Konkurrent des Plantagengummis. Als uns der Krieg vom Osten abschloß, wurde auch Seide ersetzt, und zwar durch Nylon. Erfindung ist uns nicht etwa nur Hilfe und Erleichterung, nein, ohne sie wären wir bereits dem Mangel zum Opfer gefallen. Indessen gibt es Gebiete, auf denen auch Erfindergeist keinen frischen Wind in das Segel unserer fortgesetzt steigenden Ansprüche zu bringen vermag. Die Kohlenversorgung der Welt ist günstigstenfalls noch für wenige Jahrhunderte und die Ölversorgung für wenige Jahrzehnte gesichert. Beide sind lebensnotwendige Energiequellen. Selbst die in der ganzen Welt über die gesamte Fallhöhe zwischen Quelle und Meer ausgenutzte Wasserkraft würde nicht genügen, um unseren heutigen Kohlen- und Ölverbrauch zu ersetzen. Die uns bekannten Vorräte von spaltbarem Material für Atomenergie sind durch die Anforderungen der nächsten Jahrzehnte bereits überbeansprucht. Und die Verwendung dieser Energiequellen für Kriegszwecke hat ihren Wert für friedliche Ziele stark und dauernd gefährdet. Kurzum, in wenigen Generationen wird die Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse der Menschen von Erfindungen abhängen, die erst noch gemacht werden müssen.
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Nun ist der Vorgang des Erfindens sehr verwickelt und wird sogar von den Erfindern selbst oft nicht allzu klar verstanden. Sicher spielt ein gut Teil Glück dabei mit, aber er ist nicht völlig dem Zufall unterworfen. Die Erscheinung, daß eine Erfindung durch mehrere Erfinder ohne gegenseitige Beziehungen gleichzeitig und in sehr verschiedenen Teilen der Welt gemacht wird, ist zu häufig, als daß man sie als bloßen Zufall ansehen könnte. Gasverflüssigung und Telefon sind dafür zwei typische Beispiele. Wahrscheinlich wird in solchen Fällen der Weg zu bestimmten in der Luft liegenden Erfindungen frei, so daß mehr als einer aus der veränderten Situation Vorteil ziehen kann. Die Richtungsänderung des Erfindens oder Entdeckens kann ermöglicht werden durch eine umwälzende technische Neuerung wie die der Vakuumröhre. Sie kann andererseits auch auf einer neuen geistigen Begriffsbildung beruhen, wie der der Quantentheorie oder der der Gleichwertigkeit von Materie und Energie. Auf der Hand liegende Erfindungen, die plötzlich in das allgemeine Bewußtsein eintreten, auf grundlegende Änderungen in der technischen Arbeitsweise und auf neuaufkeimende wissenschaftliche Gedankengänge zurückzuführen, verlagert das Problem des statistischen Eintretens von Erfindungen lediglich weiter zurück. Von diesem höheren Standpunkt aus müssen Erfindungen sicherlich in gewissem Sinne als blindlings und zufällig betrachtet werden. Sie sind seltene Ereignisse in einem System, das wir zu wenig verstehen, als daß wir uns zutrauen dürften, solche Begriffe wie Wahrscheinlichkeit und Statistik anzuwenden. Dadurch, daß wir uns auf zukünftige Erfindungen verlassen, welche uns aus Zwangslagen herausziehen sollen, in die wir durch die Verschwendung unserer natürlichen Hilfsmittel geraten sind, zeigen wir aufs deutlichste unsere amerikanische Vorliebe für Glücksspiele und unsere Begeisterung für den Spieler, aber unter Bedingungen, unter denen kein vernünftiger Spieler setzen würde. Welche Fertigkeit der erfolgreiche Pokerspieler auch haben mag – er muß doch mindestens wissen, was er in der Hand hält. Im Glücksspiel der zukünftigen Erfindungen jedoch kennt niemand den Wert der Karte, die er in der Hand hält. Wenn die Nahrungsmittelversorgung knapp wird oder uns eine neue Epidemie droht, müssen Erfindungen zur Abhilfe gemacht werden, bevor Hungersnot und Pestilenz ihr Werk vollbracht haben. Dabei sind uns Hungersnot und Pestilenz viel näher, als wir glauben möchten. Die Wasserversorgung New Yorks braucht
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nur sechs Stunden unterbrochen zu sein, und es wird sich an der Sterbeziffer zeigen. Man lasse die Züge, die die Stadt versorgen, 48 Stunden lang ausfallen, und es werden einige Leute verhungern. Ich weiß wohl, daß wir im Durchschnitt heute in größerer Fülle leben als jemals in der Vergangenheit. Was ich behaupte, ist, daß eine ernstliche Störung und Vernichtung dieser Fülle viel wahrscheinlicher geworden ist als in früheren Zeiten. Wie stark die Verflechtung der internationalen Beziehungen die Verwundbarkeit der Welt gesteigert hat, zeigte sich in den Auswirkungen des Krieges mit Japan auf die Gummi- und Seidenindustrien. Wie ich schon sagte, zwang uns die Besetzung von Malaya, uns auf unseren neuen synthetischen Gummi zu stützen, während die Unterbrechung des Handels mit Japan die Seide vom Markt vertrieb und diesen Markt dem Nylon öffnete. In diesem Falle waren sowohl der synthetische Gummi als auch die synthetische Seide bereits so weit entwickelt, daß begründete Aussicht bestand, den Verlust durch verstärkte Entwicklung dieser synthetischen Produkte wettmachen zu können. Nicht immer dürften wir so glücklich sein. Ich wiederhole, daß nicht die geringste Sicherheit besteht, ein neues Produkt oder einen neuen Prozeß zur Hand zu haben, wenn sich die Notwendigkeit dafür ergibt, und das Fehlen eines solchen Ersatzes in auch nur einem wichtigen Falle kann für die Menschheit verhängnisvoll werden. Bei Fortschritt und Erfindung pflegt man mehr an die physikalischen als an die biologischen Wissenschaften zu denken. Aber die entscheidendsten Änderungen des vorigen Jahrhunderts sind wohl in der Medizin zu verbuchen. Unsere Bekämpfung der Infektionskrankheiten von der Syphilis bis zu Scharlach, vom Typhus bis zur Lungenentzündung, seien sie nun hervorgerufen durch Bakterien, Viren, tierische Parasiten oder Rikettsien, war so dramatisch, daß sie sogar die Voraussetzungen unseres Alltagslebens geändert hat. In fortgeschrittenen Ländern hat man bereits die Reihe der kleinen Grabsteine vergessen, die die Kindersterblichkeit noch in den Zeiten unserer Großväter anzeigten. Wir wissen kaum noch etwas von schwindsüchtigen Poeten wie Keats und syphilitischen Dichtern wie Heine, der in der Matratzengruft des Tabikers für die Sünden seiner Jugend Qualen litt. Ein moderner Hogarth fände unter den Patienten des Londoner Dock-Hospitals keine brandigen Schädel mehr für seine grausigen Darstellungen. Sogar die Diphtherie, die unter unseren Onkeln und Tanten in ihrer Kinderzeit großes Unheil anrichtete, und die Lungenentzündung, die die vorige
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neration nach Erkältungen bedrohte, sind verhältnismäßig selten geworden. Diese Krankheiten sind noch nicht verschwunden, aber mit Hilfe der modernen Chemotherapie und der Antibiotika sind sie wohl auf dem Wege, ausgelöscht zu werden. Und obwohl sie noch nicht völlig ausgestorben sind, sind sie doch von der Gemeinschaft als so abträglich für den Stand ihrer Gesundheitspflege erkannt worden, daß selbst Einzelfälle gründlich bekämpft werden. Heute gibt es viele sehr erfahrene Ärzte, die niemals in ihrem Leben einen typischen Diphtheriefall gesehen haben. Andererseits hätte der beste Arzt aus der Zeit vor hundert Jahren eine harte Schulung nötig, um heute auch nur als Krankenhausassistent arbeiten zu können. Natürlich weist dieser großartige Fortschritt der Medizin noch Lücken auf, auf die unsere heutige fortschrittliche Medizin nicht gerade stolz ist. Der Krebs entzieht sich uns noch. Allerdings sind durch die Entdeckung der Betäubungsmittel und der Asepsis große chirurgische Fortschritte ermöglicht worden. Sie erlauben uns, rechtzeitige Radikaloperationen auszuführen, die dem Krebspatienten eine Aussicht auf Rettung geben, welche in früheren Zeiten kaum bestand. Das Skalpell, der Glühdraht und die koagulierende Elektrode teilen ihre Siege mit den neuen tiefwirkenden und differenzierenden Waffen der Röntgenstrahlen und des Radiums. Nur ist es, wenn es zu spät ist, diese fremden und gefährlichen, nur als Notbehelf dienenden Hilfsmittel zu gebrauchen, meist überhaupt zu spät, den Patienten zu retten. Unsere großen Krebsforschungsstätten versuchen zwar, das Problem im Großangriff zu lösen, aber die Hoffnungen, die sie uns bieten, sind auf zukünftige Erfindungen gezogene Wechsel, und sie sind bis jetzt noch nicht eingelöst. Wir haben die Lebensaussichten des einzelnen Krebskranken weitgehend verbessert, aber dem Zentralproblem des Krebses stehen wir noch hilflos gegenüber. Was über den Krebs gesagt wurde, gilt mit geringfügigen Abänderungen auch von den anderen großen Degenerationskrankheiten. Die meisten Degenerationskrankheiten des Nervensystems entziehen sich uns noch. Bestenfalls vermögen wir die Schmerzen des Patienten zu lindern und sein Leben zu verlängern. Auf dem Gebiete der Geisteskrankheiten haben wir viel getan, um den Zustand des Patienten zu bessern, und in einigen Fällen sogar Heilung erzielt. Aber häufig verstehen wir unsere eigenen Heilungen noch nicht, und nur bei einem Teil dieser psychopathischen Grenzfälle können wir erwarten, ihnen jemals wieder auf der Straße zu begegnen.
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Das sind Zukunftsprobleme. Wir können nur das beste hoffen. Ob die Zukunft diese Probleme lösen kann, weiß niemand. Aber die letzten fünfhundert Jahre sind doch trotz dieser unbesiegten Krankheitsgebiete ein glänzender Fortschritt der Medizin gewesen. Indessen haben sie neue Gefahren herbeigeführt, die zu verkleinern töricht wäre. Zunächst dürfen wir gerade angesichts unseres größten Triumphs, der erfolgreichen Bekämpfung der Infektionskrankheiten, niemals vergessen, daß wir einen Feind bekämpfen, der vielgestaltig und unerschöpflich ist. Im Anfang benutzten wir die Sulfonamide so unzweckmäßig, daß wir es vielen Keimen ermöglicht haben, Stämme zu entwickeln, die diesen Substanzen gegenüber verhältnismäßig immun sind. Die Wirksamkeit der Sulfonamide ist auf einen Bruchteil dessen heruntergegangen, was sie anfangs war. Die ersten Verbraucher dieser Mittel hatten weder die Einsicht, noch in vielen Fällen den Mut, sie in Dosen anzuwenden, die die Krankheit ausrotteten und sie nicht nur abschwächten. So gibt es trotz unserer riesigen Fortschritte auf dem Gebiete der Gesundheitspflege mehr als einen Fall, in dem das Wort F o r t s c h r i t t einen stark Pickwickschen Einschlag hat. Dessenungeachtet hat die Fortschrittsidee ihre stärkste Bestätigung gerade in der Medizin erhalten. Aber sogar hier gibt es sehr ernsthafte Lücken, nicht nur im Fortschritt selbst, sondern auch in unseren Auswertungsmethoden des Fortschritts, die eine ernste, kritische Betrachtung verlangen. Bei psychischen, aber ebenso bei manchen anderen Erkrankungen erscheint mir das unredliche Spiel bedauerlich, das viele Ärzte mit der Statistik treiben. Eine Krankheit wird zunächst an den Fällen erkannt, in denen sie eine akute oder sogar geradezu explosive Form annimmt. Dementsprechend liefern die frühen Statistiken einer jeder beliebigen Krankheit hohe Sterblichkeitsziffern und lange Listen von Komplikationen. Später werden ähnliche physische oder psychische Änderungen bereits an Patienten erkannt, die weniger krank sind und die möglicherweise sowieso wieder gesund geworden wären. Mindestens hätten viele von ihnen noch einige Jahre ein nützliches Leben führen können, vielleicht sogar ohne Behandlung. Diese weniger schweren Fälle sprechen unter Behandlung weit besser an als die bereits aufgegebenen Fälle. „Aha“, sagt der Arzt, „sehen Sie meine Statistik an: Meine geehrten Vorgänger retteten nur die Hälfte ihrer Patienten, und ich rettete neun Zehntel.“ Welch ein Triumph für die Medizin! Dieser
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del, der eher eine Änderung der Diagnose als eine Therapie ist, ist für ein gut Teil der Überfüllung unserer psychiatrischen Anstalten und für viele der berichteten Heilungen verantwortlich. Aber das sind kleinere Mängel. Die wirkliche Gefahr der modernen Medizin liegt viel tiefer. Der Wandel in unseren diätetischen und sonstigen medizinischen Methoden ist tiefgehend und wird mit jedem Jahr größer in dem Maße, wie sich unsere natürliche Ernährungsversorgung erschöpft und wir zu ihrer Ergänzung weiter Umschau halten müssen. Nicht alle diese Veränderungen dürften unschuldiger Natur sein. Mit unserer modernen chemischen Technik können wir Fette nach Belieben hydrieren oder dehydrieren. Darüber hinaus geht die Entwicklung in der Richtung – und ist schon teilweise so weit –, daß wir Mineralölprodukte in Fettsäuren und Glyzerine umwandeln und dadurch synthetische Nahrungsmittel aus unseren Ölquellen herstellen können. In diesen Fällen mag wohl das, was wir chemische Reinheit nennen, verhältnismäßig leicht erreichbar sein, aber diese chemische Reinheit bedeutet nicht notwendig physiologische Reinheit. Wir müssen immer auf der Hut sein, daß nicht kleine Mengen der Katalysatoren, die bei der Umformung unserer Nahrungsfette benutzt werden, schleichend vergiftende Wirkung haben, welche sich erst in einem Menschenalter zeigen. Falls wir dazu kommen sollten, Mineralöl als Rohstoff für Nahrung zu verwenden, müssen wir uns davor hüten, daß in dem Öl winzige Mengen von carzinogenen oder von krebserzeugenden Substanzen zurückbleiben oder in ihnen erzeugt werden. Nach vielen Jahren scheinbar harmlosen Gebrauchs können selbst winzige Mengen dieser und anderer verderblicher Stoffe verhängnisvoll werden und zu Degenerationskrankheiten beitragen. Es ist sicher, daß die Nahrungsmittelverarbeitung unser ganzes Volk, wenn nicht sogar die ganze Menschheit Gefahren aussetzt, die sich erst zeigen werden, wenn man nicht mehr viel gegen sie tun kann. Aber die unmittelbarsten Gefahren der modernen Medizin liegen nicht in dieser Richtung. Jeder Bevölkerungsstatistiker stellt die stark veränderte und sich schnell weiter ändernde Altersschichtung unserer Bevölkerung fest. Der Fortschritt der Medizin erhöht noch immer die durchschnittliche Lebensdauer und die Anzahl derer, die jetzt leben, unter früheren Umständen aber schon gestorben wären. Diese Zunahme ist in den oberen Altersklassen unverhältnismäßig groß. Sie verhüllt den wahren Index der Zeugungskraft der Bevölkerung, der nicht die Gesamtzahl der
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den, sondern die Gesamtzahl der verheirateten Frauen zwischen Pubertät und Klimakterium ist. Diese Zahl steigt sicher viel langsamer an als die Bevölkerung als Ganzes, und könnte sogar auch abnehmen. Die soziale Notwendigkeit, die Bejahrten zu unterhalten, wird wahrscheinlich den Zeugungsindex eines Gemeinwesens noch weiter senken. Wir werden bald soweit sein, unsere Schulen schließen und Altersheime eröffnen zu müssen. Vermehren wir uns rasch genug, um am Leben zu bleiben? Inwieweit sollten wir Geburtenbeschränkung beibehalten? Was sollen wir also tun? Unsere Sehnsucht nach dem „einfachen Leben“ ist älter als der Erfolg der industriellen Revolution, die wir hinter uns haben; sie darf uns nicht der Tatsache gegenüber blind machen, daß wir nicht die Freiheit haben, zu diesem ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Unser technischer Fortschritt hat unsere Zukunft hypothekarisch belastet. Auf der New Hampshire Farm, in deren Gutshaus ich dieses Buch geschrieben habe, gibt es weder Bäume, die genügend große Balken für solch ein Haus liefern könnten, noch einen Boden, der reich genug wäre, ebensolche Ernten zu tragen, wie sie meine Vorgänger erzielten. Wenn ich mich nicht ins Auto unserer Generation setze und zu einem modernen Laden fahre, der seine Lebensmittel von Kühlwagen erhält, muß ich von wirklich sehr knappen Rationen leben. Ich kann mich für meine Ernährung nicht auf den dezimierten, staatlich geschützten Wildbestand verlassen. Und wenn ich im Gewässer meines Flusses fischte, würde ich vermutlich fast nur solche Fische fangen, die von einer staatlichen Fischzuchtanstalt darin ausgesetzt worden sind. Kaufe ich einen Ofen, dann kommt sein Eisen von Pittsburgh und nicht von den Tamwortheisenwerken, denn die Spateisengruben unserer Gegend sind längst unwirtschaftlich geworden. Kurz, es ist zwar ganz schön für mich, die Annehmlichkeiten des Lebens, die in einer solchen Landgemeinde noch übrigbleiben, genießen zu wollen. Ich muß mir aber darüber klar sein, daß diese und ähnliche Gemeinden, während in alten Zeiten die Neu-England-Städte ihnen zinspflichtig waren, heutzutage nur noch wirtschaftliche Anhängsel unserer Städte darstellen. Wir dürfen nicht zurückschauen, wenn wir überleben wollen. Unsere Väter haben vom Baum der Erkenntnis gekostet, und obwohl seine Frucht in unserem Munde bitter schmeckt, steht der Engel mit dem flammenden Schwert hinter uns. Wir müssen weiter erfinden und Brot verdienen, nicht nur im Schweiße unseres Angesichts, sondern mit den Ausschwitzungen unserer Gehirne.
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Man könnte meinen, daß die großen Industrielaboratorien und die Anwendung des Masseneinsatzes das Problem des Erfindens vom sporadischen Auftreten einer schöpferischen Idee bis zum umfassenden praktischen Arbeitsvorgang gelöst hätten. Dem ist nicht so. So wertvoll das große Laboratorium ist, so arbeitet es doch am wirkungsvollsten bei der Entwicklung von bereits am Tage liegenden Ideen und am schlechtesten und unwirtschaftlichsten bei neuen Ideen. D a ß e s u n s w ä h r e n d d e s K r i e g e s so große Dienste leistete, lag daran, daß wir zu jener Zeit einen riesigen Bestand wissens c h a f t l i c h e r I d e e n a u s d e r Ve r g a n g e n h e i t h a t ten, der bis dahin noch nicht für erfinderische Z w e c k e b e n u t z t w o r d e n w a r . Schon beginnt dieser Vorrat abzunehmen. Um ihn zu ergänzen, benötigen wir eine Reichweite der Gedanken, die wirklich die verschiedenen Wissenschaften vereinigt, und zwar bei einer Gruppe von Menschen, die auf ihren besonderen Fachgebieten gründlich ausgebildet sind, jedoch auch auf benachbarten Gebieten entsprechende Kenntnisse besitzen. Nein, Quantität ist nicht genug. Wir müssen schöpferisches Denken kultivieren, wie wir in der Verwaltung die Leistungsfähigkeit gepflegt haben. Wir müssen eine Einrichtung finden, durch die eine Erfindung von öffentlichem Interesse der Öffentlichkeit leicht zugänglich gemacht werden kann. Wir können es uns nicht leisten, die Gehirne unseres Landes ebenso auszulaugen, wie wir unseren Boden ausgelaugt haben. Wir dürfen nicht Leibeigene sein, die in den Büchern unserer Unternehmer als Eigentum aufgeführt werden. Wir benötigen ein System, in dem Variabilität und Anpassungsfähigkeit in hohem und nicht in niedrigem Kurs stehen. Wir brauchen eine Organisation, die ein waches Auge sowohl auf die Tatsachen des Erfindens als auch auf unsere immer größer werdende Abhängigkeit von weiteren Erfindungen hat. Wenn unser Geschlecht nicht untergehen soll, darf man nicht zuerst an das Geschäft und danach erst an den Menschen denken. Daß der eine Versuch, diesen Grundsatz zu verwirklichen, durch die augenblickliche grausame Phase des russischen Totalitarismus untergegangen ist, sollte uns nicht der Tatsache gegenüber blind machen, daß diese Fragen existieren und daß wir, als Einzelne wie in der Gesamtheit, zugrunde gehen werden, wenn wir sie nicht beantworten. Wir dürfen nicht erwarten, daß die Menschheit ewig weiterlebt, ebensowenig wie wir als Individuen immer weiterleben werden. Laßt uns die
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Dinge so sehen, wie sie sind! Dann können wir hoffen, daß wir – als Einzelne wie als Völker – lange genug leben werden, um die in uns liegenden Möglichkeiten zur Entfaltung zu bringen.
III. Starrheit und Lernfähigkeit: zwei Schemata des kommunikativen Verhaltens Wir sagten bereits, daß die Natur sozialer Gemeinschaften in großem Maße von den Mitteln der ihr innewohnenden Kommunikation abhängt. Der Anthropologe weiß sehr wohl, daß die Schemata der Kommunikation in menschlichen Gemeinschaften sehr verschiedenartig sind. Es gibt Gemeinschaften, wie die Eskimos, bei denen es keine Häuptlinge und sehr wenig Rangordnung zu geben scheint, so daß die Grundlage der sozialen Gemeinschaft einfach der gemeinsame Lebensdrang der gegen ungeheure Nachteile des Klimas und der Nahrungsbeschaffung kämpfenden Individuen ist. Es gibt sozial geschichtete Gemeinschaften, z. B. in Indien, in denen die Beziehungen zwischen zwei Individuen eng beschränkt sind und durch Abstammung und Stellung bestimmt werden. Dann gibt es die durch Despoten beherrschten Gemeinschaften, in denen jede Beziehung zwischen zwei Untertanen zweitrangig wird vor den Beziehungen zwischen dem Untertan und seinem König. Ferner gibt es hierarchische Feudalgemeinschaften von Lehnsherr und Lehnsmann und die damit zusammenhängenden sehr ausgebildeten Formen sozialen Verkehrs. In den Vereinigten Staaten leben die meisten Menschen am liebsten in einer ziemlich losen sozialen Gemeinschaft, in der die Schranken der Kommunikation zwischen verschiedenen Individuen und verschiedenen Klassen nicht zu groß sind. Ich möchte nicht behaupten, daß dieses Kommunikationsideal bei uns in den Staaten erreicht sei; solange die Vorherrschaft der Weißen zur Weltanschauung weiter Teile unseres Landes gehört, bringen wir diesem Ideal bloß ein reines Lippenbekenntnis dar. Selbst diese abgewandelte lockere Form der Demokratie ist für diejenigen, deren oberstes Ideal die Leistung ist, zu anarchisch. Diese Anbeter der Leistung sähen es am liebsten, daß der Mensch sich in einem sozialen Bereiche bewegte, der ihm von Kindheit an zugemessen ist, und daß er eine Funktion erfüllte, an die er gefesselt ist wie
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der Sklave an den Block. Innerhalb der gesellschaftlichen Struktur Amerikas darf man diese Sehnsüchte nicht laut werden lassen; daher würden viele, denen ein so geordneter Staat mit dauernd zugemessenen Funktionen sehr gelegen wäre, sich scheuen, dies öffentlich zuzugeben; nur durch ihr Verhalten können sie ihre eindeutige Neigung dafür ausdrücken. Dieses Verhalten aber spricht eine deutliche Sprache. Der Geschäftsmann, der sich von seinen Angestellten durch einen Wall von Jasagern trennt, oder der Leiter eines großen Laboratoriums, der jedem seiner Untergebenen nur ein engbegrenztes Teilproblem zuweist und ihm mißgönnt, selbständig denkend über dem Problem zu stehen und es in seiner Bedeutung zu erfassen: beide zeigen, daß die Demokratie, der sie mit dem Munde ihre Reverenz erweisen, nicht wirklich diejenige Ordnung ist, in der sie am liebsten leben möchten. Der durchorganisierte Zustand vorherbestimmter Funktionen, den sie anstreben, ist der des Ameisenstaates. In der Ameisengemeinschaft führt jeder Arbeiter bestimmte Funktionen aus. Es gibt eine besondere Soldatenkaste. Bestimmte hochentwickelte Individuen erfüllen die Funktionen von König und Königin. Wenn der Mensch diese Gemeinschaft für sich als Schema übernähme, würde er in einem faschistischen Staate leben, in dem jedes Individuum im Idealfalle von Geburt an für seine besondere Beschäftigung vorbestimmt wäre, in der Herrscher ewig Herrscher sind, Soldaten immer Soldaten, der Bauer nichts als Bauer und der Arbeiter verdammt ist, immer Arbeiter zu sein. Es ist der Grundgedanke dieses Kapitels, daß das Streben der Faschisten nach einem Staatswesen, daß dem der Ameisen nachgebildet ist, auf tiefem Mißverstehen sowohl der Natur der Ameise als der des Menschen beruht. Ich möchte zeigen, daß die ganze Entwicklungsweise des Insekts es zu einem im wesentlichen dummen und lernunfähigen Individuum bestimmt, das in einer Gußform entsteht, die nur in geringem Ausmaße wandelbar ist; und ebenso möchte ich zeigen, wie die physiologischen Bedingungen der Ameise sie zu einem billigen Massenartikel von etwa demselben Werte machen wie ein Kuchenpappteller, den man nach einmaligem Gebrauch wegwirft. Auf der anderen Seite möchte ich dartun, wie das menschliche Individuum eine teure Investition von Lernen und Studium darstellt, die sich unter heutigen Bedingungen auf vielleicht ein Vierteljahrhundert und fast auf die Hälfte seines Lebens erstrecken. Natürlich ist es möglich, diesen enormen Vorzug der Lernfähigkeit, den der Mensch vor der Ameise hat, aufzugeben
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und mit menschlichem Material einen faschistischen Ameisenstaat zu organisieren; es geht aber darum, zu erkennen, daß das eine Herabwürdigung der wahren Natur des Menschen und wirtschaftlich gesehen Verschwendung der größten und menschlichsten Werte ist, die der Mensch besitzt. Ich für mein Teil bin überzeugt, daß eine Gemeinschaft menschlicher Wesen eine weit nützlichere Einrichtung ist als eine Ameisengemeinschaft und daß, falls der Mensch dazu verdammt wird, nur Ameisenfunktionen auszuführen und nichts weiter, er nicht einmal eine gute Ameise sein wird, geschweige denn ein guter Mensch. Wer das Leben der Menschen zu einem Ameisendasein mit für den Einzelnen ewig gleichbleibenden Funktionen und ewig gleichbleibenden Einschränkungen organisieren möchte, verdammt die Menschheit dazu, mit weniger als halber Kraft zu fahren. Er wirft damit den größten Teil unserer Anpassungsfähigkeit und unserer Chancen für ein längeres Fortbestehen auf dieser Erde weg. Wenden wir uns nun den Tatsachen und Beschränkungen des Bauplans der Ameise zu, auf die sich das Besondere des Ameisenstaates gründet. Diese Tatsachen und Beschränkungen sind zutiefst begründet in der Anatomie und Physiologie des einzelnen Insekts. Sowohl das Insekt wie der Mensch sind luftatmende Lebewesen und stellen das Ende einer langen Umwandlung vom glatt verlaufenden Leben des wassergeborenen Tieres zu den viel härteren Anforderungen des Lebens auf dem Lande dar. Überall da, wo dieser Schritt vom Wasser zum Lande gemacht wurde, brachte er stets grundlegende Verbesserungen der Atmung, des allgemeinen Kreislaufs, des Körperstützgerüsts und der Sinnesorgane mit sich. Die mechanische Verstärkung des Körpers der Landtiere ging in verschiedenen, voneinander unabhängigen Richtungen vor sich. Bei den meisten Mollusken wie bei bestimmten anderen Gruppen, die, obwohl nicht mit ihnen verwandt, im allgemeinen eine weichtierartige Form angenommen haben, scheidet ein Teil der äußeren Oberfläche eine tote Masse kalkhaltigen Gewebes ab: die Schale. Diese vergrößert sich durch Anlagerung vom Frühstadium des Tieres bis zu seinem Lebensende. Man kann die spiraligen und schneckenartigen Körperformen dieser Gruppen allein aus diesem Prozeß der Anlagerung erklären.14
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Professor d’Arcy Thompson, Growth and Form.
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Falls die Schale für das Tier ein angemessener Schutz bleiben soll und dieses in seinen späteren Entwicklungsstadien zu beträchtlicher Größe heranwächst, wird sie zu einer sehr beachtlichen Bürde, die nur für Landtiere mit trägem Leben, wie die langsam beweglichen Schnecken, paßt. Bei anderen schalentragenden Tieren ist die Schale leichter und eine geringere Last, aber gleichzeitig auch ein geringerer Schutz. Das Prinzip der Schale mit ihrer die Bewegung hemmenden Bürde hat sich bei Landtieren nur begrenzt durchsetzen können. Der Mensch selbst stellt eine andere Entwicklungsrichtung dar – eine Entwicklungsrichtung, die man bei allen Wirbeltieren ausgebildet und bei hochentwickelten wirbellosen wie Limulus und Octopus mindestens angedeutet findet. Bei all diesen Tieren nehmen gewisse innere Teile des Bindegewebes eine Beschaffenheit an, die nicht mehr faserig, sondern die einer sehr harten, steifen, gallertartigen Masse ist. Diese Teile des Körpers werden Knorpel genannt. Sie dienen zum Ansatz der kräftigen Muskeln, die aktiven Tieren nötig sind. Bei den höheren Wirbeltieren dient dieses primäre Knorpelskelett als zeitweiliges Grundgerüst für ein Skelett aus viel härterem Material, nämlich Knochen, das für den Ansatz kräftiger Muskeln noch brauchbarer ist. Diese Skelette aus Knochen oder Knorpel enthalten streng genommen viele Strukturen, welche tot sind, aber innerhalb dieser Masse von Zwischenzellstrukturen befindet sich lebendes Gewebe von Zellen, Zellmembranen und ernährenden Blutgefäßen. Die Wirbeltiere haben nicht nur innere Skelette, sondern auch andere Züge entwickelt, die sie zu aktivem Leben geeignet machen. Ihr Atmungssystem – habe es nun die Form von Kiemen wie bei den Fischen oder die von Lungen wie bei den landlebenden Wirbeltieren – ist dem aktiven Austausch von Sauerstoff zwischen dem äußeren Medium und dem Blut wunderbar angepaßt; dieses Blut erfüllt seine Aufgabe viel besser als das übliche Wirbellosen-Blut, da es sein sauerstofftragendes Atmungspigment in Blutkörperchen konzentriert enthält; es wird von einem Herzen mit verhältnismäßig hoher Leistungsfähigkeit durch ein geschlossenes Gefäßsystem und nicht durch ein offenes System unregelmäßiger Höhlen gepumpt. Diese Entwicklung wird allerdings auch bei einigen höherentwickelten Wirbellosen annähernd erreicht, beispielsweise bei den acht- und zehnarmigen Tintenfischen. Es ist äußerst interessant, daß auch in anderer Beziehung, wie bei den Anfängen eines knorpeligen Skeletts und dem Vorhandensein wirkungsvoll
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abbildender Augen, sich diese Formen der Organisationsstufe niederer Wirbeltiere nähern. Die Insekten und Krustentiere und überhaupt alle Gliederfüßler weisen einen ganz anderen Bauplan auf. Die äußere Hülle des Körpers ist von einem Chitinpanzer umgeben, der von den Zellen der Epidermis ausgeschieden wird. Dieses Chitin ist eine starre, der Zellulose ziemlich nah verwandte Substanz. In den Gelenken ist die Chitinschicht dünn und einigermaßen biegsam, aber über dem übrigen Tier bildet sie ein hartes äußeres Skelett, das wir vom Hummer und der Küchenschabe her kennen. Ein inneres Skelett kann mit dem Tier wachsen. Ein Außenskelett kann dies nicht (es sei denn, daß es wie das Haus der Schnecke durch Anlagerung wächst). Es ist totes Gewebe, dem keine Wachstumsfähigkeit innewohnt; es dient nur dazu, dem Körper sicheren Schutz zu geben und den Muskeln Ansatzstellen zu bieten. Mit anderen Worten, der Gliederfüßler lebt in einer Zwangsjacke. Jedes innere Wachstum kann nur dadurch in äußeres Wachstum übergeführt werden, daß die alte Zwangsjacke abgestreift werden kann und unter ihr eine neue entwickelt wird, die, im Beginn weich und nachgiebig, eine etwas andere und größere Form annimmt, sehr bald aber ebenso starr wie ihre Vorgängerin wird. Mit anderen Worten, die Wachstumsstufen sind durch genau bestimmte Häutungen gekennzeichnet, die bei den Krustentieren verhältnismäßig häufig, bei den Insekten seltener eintreten. Während der Larvenperiode sind verschiedene solche Stufen möglich. Der Puppenzustand stellt eine Übergangsform dar, bei der sich die bei der Larve noch nicht vorhandenen Flügel im Inneren der Puppe bis zum funktionsfähigen Zustand entwickeln. Dieser wird erreicht, wenn die Puppe, das vorletzte Entwicklungsstadium, durch die letzte Häutung das fertig entwickelte Tier entläßt. Das erwachsene Individuum häutet sich nie wieder. Es ist dies das Geschlechtsstadium des Tieres, und obzwar in den meisten Fällen das Tier für Nahrungsaufnahme fähig bleibt, gibt es Insekten, bei deren erwachsenen Formen die Freßwerkzeuge und der Verdauungstrakt verkümmert sind, so daß die Imago, wie sie genannt wird, nur noch sich paaren, Eier legen und sterben kann. Bei primitiveren Insekten, wie der Heuschrecke oder der Küchenschabe, ist die Larve in ihrer Gestalt von der Imago nicht wesentlich verschieden: die Puppe ist beweglich und die letzte Häutung unterscheidet sich von den anderen nur gradweise. Bei den höheren oder holometabolen Insekten ist der Unterschied
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zwischen Larve und erwachsenem Tier so tiefgreifend, daß die Umwandlung ein Zustand völliger Starre zu sein scheint, im Inneren jedoch katastrophenartig vor sich geht. Der größere Teil der Gewebe wird von Leukozyten, den zerstörenden weißen Blutkörperchen, angegriffen. Diese lösen sich in einen strukturlosen Brei auf, der zur Ernährung einiger weniger Teile dient, die man Imaginalknospen oder -Scheiben nennt. Strukturell stellen diese Imaginalscheiben das Ganze der Imago dar. Auf diese Weise wird das Insekt im wahrsten Sinne des Wortes wiedergeboren, Das Nervensystem nimmt an diesem Prozeß des Ab- und Wiederaufbaus teil. Wenn es auch gewisse Beweise gibt, daß etwas Gedächtnis von der Larve bis zur Imago fortdauert, kann dieses der Natur des Falles nach nicht sehr umfänglich sein. Die physiologische Bedingung für Gedächtnis ist offenbar eine gewisse Kontinuität der Organisation, welche die durch äußere Sinneseindrücke verursachten Änderungen als mehr oder weniger dauerhafte Struktur- oder Funktionsänderungen aufzubewahren erlaubt. Die Auslöschung durch die Metamorphose ist zu gründlich, um von diesen Änderungen viel Bleibendes zurückzulassen. In der Tat kann man sich schwer ein einigermaßen genaues Gedächtnis vorstellen, das diesen Prozeß völligen inneren Umbaus überleben kann. Eine andere Begrenzung des Bauprinzips der Insekten liegt in ihrer Atmungs- und Zirkulationsweise. Das Insektenherz ist ein sehr schwaches und kleines Röhrengebilde, das sich nicht in wohlumgrenzte Blutgefäße, sondern in unbestimmte, das Blut zum Gewebe führende Höhlen und Gewebsspalten öffnet. Dieses Blut besitzt keine pigmentierten Körperchen und trägt die Blutpigmente in gelöster Form. Diese Art der Sauerstoffübertragung scheint der Blutkörperchenmethode entschieden unterlegen zu sein. Außerdem wird im Insekt von der Methode der Sauerstoffversorgung der Gewebe durch Blut meist nur örtlich Gebrauch gemacht. Der Körper des Tieres enthält ein System von verzweigten Röhren, die die Luft von der Außenseite direkt an die mit Sauerstoff zu versorgenden Gewebe heranführen. Diese Röhren sind gegen Zusammenfallen durch spiralige Chitinbänder versteift und daher passiv offen, aber nirgends finden wir einen Beweis für ein aktives und leistungsfähiges System zum Bewegen der Luft. Die Atmung erfolgt einzig durch Diffusion. Man beachte, daß die gute Luft durch die gleichen Röhren hineindiffundiert, durch die die verbrauchte, mit Kohlendyoxyd
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dene Luft hinaus an die Oberfläche gelangt. Bei einem Diffusionsvorgang steigt die Diffusionszeit nicht mit der Länge der Röhre, sondern mit dem Quadrat ihrer Länge. Daher pflegt im allgemeinen die Wirksamkeit dieses Systems mit der Größe des Tieres sehr rasch abzusinken; für ein einigermaßen großes Tier fällt sie unter das zum Leben notwendige Maß.15 Um die Tragweite dieser Größenbegrenzung zu verstehen, vergleiche man zwei künstliche Gebilde, die Hütte und den Wolkenkratzer. Der Ventilation einer Hütte wird durch die Luftritzen rund um die Fensterrahmen durchaus Genüge getan, ganz abgesehen vom Schornsteinzug. Ein besonderes Ventilationssystem ist unnötig. In einem Wolkenkratzer aber, mit seinen Räumen innerhalb von Räumen, wird das Versagen des künstlichen Ventilationssystems binnen weniger Minuten in den Arbeitsräumen unerträgliche Luftstickigkeit hervorrufen. Diffusion und auch Konvektion reichen nicht mehr zu, um ein solches Gebäude zu belüften. In gleicher Weise ist bei einem Insekt die absolute Maximalgröße kleiner als die von einem Wirbeltier erreichbare. Andererseits sind die Grundelemente, aus denen sich jenes zusammensetzt, nicht immer kleiner, als sie im Menschen oder sogar im Wal sind. Das Nervensystem des Insekts entspricht seiner Kleinheit, und doch besteht es aus Neuronen, die ebenso groß wie die des menschlichen Gehirns sind. Das ist nur dadurch möglich, daß es sehr viel weniger Neuronen und einen weit weniger komplexen Aufbau hat. Hinsichtlich der Intelligenz ist zu erwarten, daß nicht nur der relative Umfang des Nervensystems zählt, sondern zu einem guten Teil sein absoluter Umfang. In dem einfachen Bau des Insekts ist eben nicht Platz für ein sehr komplexes Nervensystem und ebensowenig für ein Gedächtnis größeren Umfangs. Wegen der Unmöglichkeit eines großen Gedächtnisses, aber auch, weil die Jugendform eines Insekts wie der Ameise von der erwachsenen Form durch die dazwischenliegende Katastrophe der Metamorphose getrennt ist, gibt es für die Ameise keine Gelegen15 Bei dieser Feststellung bin ich mir des Vorkommens fossiler Libellen mit einer Flügelspannweite von mehreren Fuß durchaus bewußt. Dazu ist zunächst zu sagen, daß diese Flügelspannweite keinen besonders großen Körper verlangt, außerdem, daß diese Tiere in der üppigen Vegetation des Karbons lebten, und daß damals möglicherweise die Zusammensetzung der Atmosphäre merklich verschieden von der der jetzigen Zeit war. Der größte Körperumfang heutiger Insekten ist der einer Maus; er wird nur von einigen wenigen tropischen Käfern erreicht.
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heit, viel zu lernen. Fügt man hinzu, daß ihr Verhalten im erwachsenen Zustande der Hauptsache nach von Anfang an vollkommen zu sein hat, so wird es klar, daß beim Insekt die vom Nervensystem erhaltenen Instruktionen im wesentlichen von dessen Aufbau und nicht von irgendwelchen individuellen Erfahrungen abhängen. Bei einem Vergleich mit Rechenmaschinen muß das Insekt das Analogon zu einer solchen sein, deren Instruktionen von vornherein mit nur ganz geringen Änderungsmöglichkeiten auf „Lochstreifen“ (tapes) festgelegt worden sind. Das meinen wir, wenn wir sagen, daß das Verhalten einer Ameise sehr viel mehr eine Sache des Instinkts als der Intelligenz ist. Mit anderen Worten, die körperliche Zwangsjacke, in der ein Insekt aufwächst, ist direkt verantwortlich für die geistige Zwangsjacke, die sein Verhaltensschema regelt. Hier sagt der Leser vielleicht: „Schön, wir wissen schon, daß die Ameise als Individuum kein sehr intelligentes Tier ist. Warum denn all dies Aufhebens, um zu erklären, daß sie nicht intelligent sein kann?“ Nun, dazu möchte ich sagen: Die Betrachtungsweise der Kybernetik betont die Beziehungen zwischen Tier und Maschine und bei der Maschine die spezielle Art ihres Verhaltens als Kennzeichen für die zu erwartende Leistung. Daher ist es vom Standpunkt dieses Buches aus sehr bedeutsam, daß der äußere Bau der Insekten die Intelligenz des einzelnen Insekts begrenzt. Hinsichtlich der Starrheit des Verhaltens ist der größte Kontrast zur Ameise nicht nur das Säugetier im allgemeinen, sondern speziell der Mensch. Es ist oft bemerkt worden, daß der Mensch eine neotenische Form ist, d. h., daß wir beim Vergleichen des Menschen mit seinen nächsten Verwandten, den großen Affen, finden, daß der ausgewachsene Mensch in Haar, Kopf, Gestalt, Körperproportionen, Knochenstruktur, Muskeln usw. dem neugeborenen Affen nähersteht als dem ausgewachsenen. Unter den Tieren ist der Mensch ein Peter Pan, der niemals erwachsen wird. Diese Unausgereiftheit der anatomischen Struktur steht in Beziehung zu seiner unter allen Tieren relativ längsten Kindheitsperiode. Physiologisch gesehen erreicht der Mensch die Pubertät erst, wenn er ein Fünftel seiner normalen Lebensdauer vollendet hat. Vergleichen wir dies mit den Verhältnissen bei der Maus: Sie lebt drei Jahre und beginnt nach Ablauf von drei Monaten sich fortzupflanzen. Das ist ein Zwölftel der Lebensdauer, und das ist für die große Mehrheit der Säugetiere viel typischer als das menschliche Verhältnis. Die Periode der Abhängigkeit von den Eltern wird bei den
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meisten Säugetieren durch die Pubertät oder früher abgeschlossen. In unserer Gemeinschaft wird der Mensch noch bis zum Alter von 21 Jahren als nicht erwachsen angesehen, und die Ausbildungszeit für die höheren Berufe dauert heute bis ungefähr zum 30. Lebensjahr, also über die Periode der aktivsten physischen Kraft hinaus. Der Mensch verbringt also bis zu 40% seines Lebens als Lernender. Es ist für die menschliche Gemeinschaft ebenso völlig natürlich, auf Lernen aufgebaut zu sein, wie es für eine Ameisengemeinschaft ist, auf ein ererbtes Schema gegründet zu sein. Lernen ist seinem Wesen nach eine Form von Rückkopplung, bei der das Verhaltensschema durch die vorangegangene Erfahrung abgewandelt wird. Rückkopplung ist, wie ich im ersten Kapitel dieses Buches ausgeführt habe, ein sehr allgemeines Charakteristikum von Verhaltensformen. In seiner einfachsten Form b e d e u t e t d a s R ü c k k o p p l u n g s p r i n z i p , d a ß d a s Ve r h a l t e n a u f sein Ergebnis hin geprüft wird und daß der Erfolg oder Mißerfolg dieses Ergebnisses das z u k ü n f t i g e V e r h a l t e n b e e i n f l u ß t . Bekanntlich dient es dazu, das Verhalten eines Individuums oder einer Maschine relativ unabhängig von den sogenannten Belastungsbedingungen zu machen. Lernen ist eine sehr komplizierte Form der Rückkopplung und beeinflußt nicht nur die Einzelhandlung, sondern das Handlungsschema. Es ist auch ein Modus, um das Verhalten weniger von der Willkür der Umgebung abhängig zu machen. Ich nenne ein Beispiel, das auf gegenwärtigen in Holland in den Eindhovener Laboratorien der Philips Glühlampengesellschaft ausgeführten experimentellen und konstruktiven Arbeiten beruht. In der gesamten Telefonindustrie trägt die automatische Vermittlung rasch fortschreitend den Sieg über die Handvermittlung davon. Es könnte uns scheinen, daß die vorhandenen Ausführungsformen der automatischen Vermittlung einen sehr vollkommenen Prozeß darstellen. Aber eine kleine Überlegung zeigt, daß sie hinsichtlich ihrer Ausrüstung sehr verschwenderisch sein müssen. Die Anzahl der Menschen, mit denen ich tatsächlich telefonisch zu sprechen wünsche, ist begrenzt und ist mit wenigen Ausnahmen Tag für Tag und Woche für Woche die gleiche begrenzte Gruppe. Ein ziemlich großer Prozentsatz der von mir benutzten Telefoneinrichtungen dient dazu, mit Gliedern dieser Gruppe in Verbindung zu treten. Nun ist beim gegenwärtigen Stand der Vermittlungstechnik der Vorgang zum Erreichen der Personen, die wir täglich vier- oder
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fünfmal anrufen, durchaus nicht anders als der zum Erreichen jener Personen, mit denen wir niemals ein Ferngespräch führen. Vom Standpunkt eines ausgeglichenen Telefondienstes aus benutzen wir entweder zu mangelhafte Apparaturen, um die häufigen Anrufe zu bewältigen, oder zuviel, um die seltenen zu führen. Das bedeutet, daß beim Fernsprechdienst im Hinblick auf die größtmögliche Wirtschaftlichkeit unerwünscht ist, wenn der Vorgang meiner Verbindung mit Herrn A., den ich täglich dreimal anrufe, und mit Herrn B., der für mich nur eine belanglose Nummer im Telefonbuch ist, von der gleichen Ordnung sind. Wenn man mir nur etwas bessere Verbindungsmittel mit Herrn A. zur Verfügung stellte, würde der Zeitverlust im Falle des Herrn B., auf den ich doppelt so lange warten muß, mehr als aufgewogen. Wenn es z. B. möglich wäre, ohne hohe Kosten einen Apparat zu entwickeln, der meine früheren Gespräche registriert und mir je nach deren Häufigkeit bessere Verbindungsmöglichkeiten gewährt, werde ich besser oder billiger bedient oder beides zugleich. Das ist der Philips Glühlampengesellschaft gelungen. Der Wert des Telefondienstes für mich ist weniger abhängig von der Belastung der Vermittlungseinrichtungen geworden und hat mittels Rückmeldung das erhalten, was Bertrand Russell einen „höheren logischen Typus“ nennen würde. Das wird derselbe Leistungsgewinn sein, den wir bei einem niedrigen Typus durch gewöhnliche, nicht die Lernfähigkeit einschließende Rückmeldung erhalten haben. Ich wiederhole, Rückmeldung ist die Steuerung eines Systems durch Wiedereinschalten seiner Arbeitsergebnisse in das System selbst. Wenn diese Ergebnisse nur als zahlenmäßige Angaben für die Kritik des Systems und seiner Regelung gebraucht werden, haben wir die einfache Rückmeldung der Regelungsingenieure vor uns. Wenn indessen die vom Ergebnis zurückgemeldete Information die allgemeine Methode und das Schema der Ausführung zu ändern vermag, haben wir einen Vorgang, der gut und gern Lernen genannt werden kann. Ein anderes Beispiel des Lernprozesses ergibt sich in Verbindung mit dem Problem des Entwurfs von Flakrechengeräten. Zu Beginn des letzten Weltkrieges war der Wirkungsgrad des Flakfeuers verhältnismäßig schlecht. Daher begann man, Geräte zu entwickeln, die die Aufgabe hatten, die Position eines Flugzeugs zu verfolgen, seine Entfernung zu berechnen, die Länge der Zeit bis zum möglichen Einschlag einer Granate zu bestimmen und seine Stellung am Ende dieser Zeit auszumitteln, und zwar all das ohne
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weitere Einwirkung als die des Richtschützen. Wenn das Flugzeug einer völlig eigenmächtigen ausweichenden Handlung fähig wäre, würde uns keine noch so große Geschicklichkeit gestatten, die bisher unbekannte Bewegung des Flugzeugs zwischen dem Abfeuern des Geschützes und dem ungefähren Ankommen der Granate an ihrem Ziel in den Rechenvorgang einzugeben. In den meisten Fällen jedoch wird der Flugzeugführer nicht eigenmächtig ausweichen oder ausweichen können. Er ist durch die Tatsachen eingeengt, daß die Zentrifugalkraft ihn bei einer schnellen Wendung bewußtlos machen würde und daß der Steuerungsmechanismus seines Flugzeugs und der Ausbildungsgang, den er durchlaufen hat, ihm gewisse regelmäßige Steuerungsgewohnheiten aufzwingen, die sich auch bei seiner Ausweichhandlung bemerkbar machen. Diese Regelmäßigkeiten treten nicht sicher und durchgängig auf, sind aber doch statistisch ziemlich bevorzugte Verhaltensweisen des Flugzeugführers. Sie können für verschiedene Flieger verschieden sein, und sie werden es bestimmt für verschiedene Flugzeuge sein. Man erinnere sich, daß bei der Verfolgung eines so schnellen Zieles wie eines Flugzeugs der Berechner keine Zeit hat, seine Instrumente abzulesen und festzulegen, wohin sich das Flugzeug bewegt. Diese Feststellungsvorgänge müssen in die Geschützsteuerung selbst eingebaut sein. Sie müssen Daten berücksichtigen, die sich auf unsere früheren statistischen Erfahrungen über Flugzeuge eines gewissen Typs unter wechselnden Flugbedingungen stützen. Die gegenwärtige Entwicklungsstufe der Flakfeuersteuerung besteht in einem Gerät, das entweder feste Daten dieser Art oder eine Auswahl aus einer kleinen Anzahl von Fällen solcher festgelegter Daten gebraucht. Die eigentliche Wahl zwischen ihnen kann der Schütze nach seinem Ermessen treffen. Noch eine andere Art des Regelungsproblems gibt es, die man mechanisch darzustellen vermag. Das Problem, die Flugstatistik des Flugzeugs von der wirklichen Beobachtung seines Flugs aus zu bestimmen und dann diese statistischen Messungen in Regeln für die Geschützsteuerung umzuformen, ist ein genau abgegrenztes und mathematisches. Verglichen mit dem wirklichen Verfolgen des Flugzeugs nach den überlieferten Regeln ist es eine verhältnismäßig langsame Handlung und schließt beträchtlich mehr an Beobachtung des bereits vom Flugzeug zurückgelegten Weges ein. Es ist trotzdem möglich, diese Langzeithandlung genau so gut zu mechanisieren wie die Kurzzeithandlung, durch die das Geschütz gerichtet wird. Wir können also ein Flakgeschütz konstruieren,
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welches durch seine Bauart den statistischen Ablauf der Bewegung des Zielflugzeugs selbst beobachtet, ihn dann in ein Regelungssystem einarbeitet und schließlich dieses Regelungssystem benützt, um die Geschützstellung rasch an die beobachtete Position und Bewegung des Flugzeugs anzupassen. Meines Wissens ist das bis jetzt noch nicht getan worden, aber es ist eines der Probleme, mit denen wir uns im Laboratorium für Elektronik des M. I. T. (Massachusetts Institute of Technology) beschäftigen und die wir in anderen Problemen der Vorhersage benutzen wollen. Wir konstruieren also eine Maschine, die ein Element des Lernens enthält. Die Anpassung des allgemeinen Planes zum Richten und Feuern des Geschützes an die jeweilige Bewegungsfolge des Zieles ist im wesentlichen ein Lernakt. Es ist ein Wechsel im P r o g r a m m der Rechenmaschine des Geschützes, der nicht so sehr die numerischen Daten als ihren Einwirkungsvorgang ändert; er beruht auf früherer Erfahrung. Er ist in der Tat eine ganz allgemeine Art von Rückmeldung, die die gesamte Verhaltensweise des Geräts beeinflußt. Der Lernprozeß, den wir hier besprochen haben, ist ein ziemlich mechanischer und entspricht sicherlich meist nicht dem normalen Lernprozeß im Menschen. Hier gelten ganz andere Voraussetzungen für die Mechanisierung dieses Prozesses. Sie sind gegeben einmal in der Assoziationstheorie von John Locke und zum anderen in der Pawlowschen Theorie des bedingten Reflexes. Bevor ich beides aufgreife, möchte ich zu einem Vorschlag, den ich machen will, einiges erläuternd bemerken. Lassen Sie mich nochmals die Grundlage klarlegen, auf der eine Theorie des Lernens entwickelt werden kann. Weitaus der größte Teil der Arbeit der Nervenphysiologen hat der Leitung von Impulsen oder Neuronen gegolten; dieser Prozeß läßt sich bekanntlich gut durch einen Alles-oder-Nichts-Vorgang darstellen. Das bedeutet, daß eine Erregung, falls sie überhaupt stark genug ist, um einer Nervenfaser entlang zu wandern und nicht in verhältnismäßig kurzer Entfernung abzuklingen, Wirkungen an einem vergleichsweise entfernten Punkt der Nervenfaser hervorbringt, die im wesentlichen unabhängig von ihrer Anfangsstärke sind. Nun wandern Nervenimpulse von Faser zu Faser über Verbindungen, die als S y n a p s e n bekannt sind. In diesen kann eine Eingangsfaser mit vielen Ausgangsfasern und eine Ausgangsfaser mit vielen Eingangsfasern in Berührung kommen. In den Synapsen ist oft der durch eine einzelne Eingangsfaser gegebene Impuls
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nicht stark genug, um einen wirklichen Ausgangsimpuls zu erzeugen. Im allgemeinen wird die Ausgangsfaser nicht ansprechen, wenn bei ihr zu wenige über synaptische Eingangsverbindungen ankommende Impulse eintreffen. Damit möchte ich weder sagen, daß sich notwendigerweise alle eintretenden Fasern gleich verhalten müßten, noch daß bei irgendeiner Serie eintretender aktiver synaptischer Verknüpfungen die Entscheidung, ob die ausgehende Faser antworten wird, ein für allemal festgelegt wäre. Auch können einige eintretende Fasern dazu neigen, die mit ihnen in Verbindung stehenden ausgehenden Fasern am Empfang neuer Reize zu verhindern, anstatt eine Erregung in ihnen hervorzurufen. Wie dem auch sei, während das Problem der Erregungsleitung entlang einer Faser in ziemlich einfacher Weise als Alles-oder-Nichts-Phänomen beschrieben werden kann, hängt das Problem der Übertragung einer Erregung durch ein Gefüge synaptischer Verknüpfungen von einem verwickelten Schema von Antworten ab. Dieses entscheidet, ob gewisse Kombinationen einkommender Fasern, sofern sie innerhalb einer gewissen begrenzten Zeit funktionieren, die Nachricht weiterlaufen lassen werden, während gewisse andere Kombinationen das nicht tun werden. Diese Kombinationen sind weder ein für allemal festgelegt, noch hängen sie allein von der Vorgeschichte der in jener synaptischen Schicht empfangenen Nachrichten ab. Man weiß, daß sie sich mit der Temperatur verändern und wohl noch von manchen anderen Dingen beeinflußt werden. Wenn eine Kombination ankommender Nachrichten eine ausgehende Faser nicht erregt, sagt man, die Kombination sei u n t e r s c h w e l l i g, im anderen Falle ist sie überschwellig. Die traditionelle Erforschung der Nervenfasern hat das Nervensystem jenem Maschinentyp gleichgesetzt, der aus einer Folge von Schaltelementen besteht, bei der das öffnen eines späteren Schalters von solchen genauen Kombinationen früherer Schalter abhängt, die zu ihm hinführen und zur gleichen Zeit offen sind. Diese Alles-oder-Nichts-Maschine wird als z i f f e r n m ä ß i g a r b e i t e n d e Maschine bezeichnet. Sie hat große Vorteile für die verschiedenartigsten Kommunikations- und Regelungsprobleme. Insbesondere schafft die1 Eindeutigkeit der Entscheidung zwischen „Ja“ und „Nein“ die Möglichkeit, diese Entscheidungen so aufzusammeln, daß sie uns auch noch sehr kleine Unterschiede sehr großer Zahlen zu erkennen gestatten. Neben diesen Geräten, die nach dem Ja-und-Nein-Prinzip
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beiten, gibt es andere Rechen- und Regelungsgeräte, in denen die Größen, mit denen wir zu tun haben, nicht gezählt, sondern gemessen werden. Diese Geräte nennt man A n a l o g i e g e r ä t e oder s t e t i g a r b e i t e n d e I n s t r u m e n t e , da sie auf der Grundlage von Analogiebeziehungen zwischen den gemessenen und den dargestellten Größen arbeiten. Ein Beispiel eines Analogiegerätes ist der Rechenschieber im Gegensatz zur gewöhnlichen Rechenmaschine, die ziffernmäßig arbeitet. Wer einen Rechenschieber gebraucht hat, weiß, daß sowohl die Herstellung der Skala als auch die Schärfe unserer Augen der Präzision, mit der ein Rechenschieber abgelesen werden kann, enge Grenzen setzen. Diese Grenzen können durch Vergrößerung des Rechenschiebers nicht so leicht, wie man vermuten möchte, erweitert werden. Ein zweieinhalb Meter langer Rechenschieber wird eine nur um eine Dezimalstelle größere Genauigkeit liefern als ein 25 cm langer Normal-Rechenschieber, und um das zu erreichen, muß der große Rechenschieber nicht nur in jedem Zehntel seiner Länge mit derselben Präzision gearbeitet werden, wie sie beim kleinen vorhanden ist, sondern diese Zehntel müssen auch mit derselben Genauigkeit aneinandergereiht werden, wie man sie von jedem Normal-Rechenschieber erwarten kann. Nun ist das Problem der mechanischen Festigkeit gegen Durchbiegen bei dem großen Rechenschieber viel schwieriger zu lösen als beim kleinen und wirkt sich als weitere Begrenzung für das Anwachsen der Genauigkeit bei wachsender Stablänge aus. Mit anderen Worten: für praktische Zwecke sind messende Maschinen im Gegensatz zu zählenden Maschinen in ihrer Genauigkeit sehr eng begrenzt. Daher ist die mathematische Maschine, die zählt oder Ja-oderNein-Entscheidungen trifft, für viele Zwecke eine genauere Maschine als diejenige, die mißt. Nehmen wir dazu die Voreingenommenheit des Physiologen zugunsten der Alles-oder-Nichts-Reaktionen, so erkennen wir, weshalb der größte Teil der bisher über die mechanischen Analogien des Gehirns geleisteten Arbeit sich auf Geräte bezieht, die mehr oder weniger auf ziffernmäßiger Grundlage arbeiten. Wir werden uns aber, wenn wir zu stark an unserer Auffassung vom Gehirn als einer wunderbaren Ziffernmaschine festhalten, der sehr berechtigten Kritik sowohl der Physiologen als auch des ziemlich entgegengesetzten Lagers derjenigen Psychologen aussetzen, welche eine Maschinenanalogie ungern gebrauchen. Wir
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sagten schon, daß in einer ziffernmäßig arbeitenden Maschine eine P r o g r a m m i e r u n g enthalten ist, die die Folge der auszuführenden Operationen bestimmt, und daß eine Änderung in dieser Programmierung auf der Grundlage früherer Erfahrung ein Lernprozeß ist oder zum mindesten ein solcher Prozeß sein kann. Dieser Programmierung entspricht im Gehirn am ehesten die Bestimmung der synaptischen Reizschwellen oder in anderen Worten der genauen Kombination derjenigen eintretenden Neuronen, welche ein mit ihnen verbundenes austretendes Neuron erregen. Wir haben bereits gesehen, daß die Reizschwellen mit der Temperatur veränderlich sind, und man kann wohl annehmen, daß sie auch veränderbar sind durch den Chemismus des Blutes und durch viele andere Erscheinungen, die selber ursprünglich keine Alles-oder-Nichts-Natur besitzen. Es ist deshalb nötig, daß wir bei der Betrachtung des Lernproblems sehr zurückhaltend sind, bevor wir die Anwendbarkeit der Alles-oder-Nichts-Theorie auf das Nervensystem einer Kritik unterzogen und spezielle experimentelle Beweise zur Stützung unserer Annahme erhalten haben. Vielfach glaubt man, daß überhaupt keine Theorie des Lernens auf die Maschine auch nur halbwegs anwendbar sei. Man wird auch sagen, daß bei unserem gegenwärtigen Wissensstande jede von mir vorgebrachte Theorie des Lernens verfrüht sei und der tatsächlichen Tätigkeit des Nervensystems wahrscheinlich nicht entspräche. Angesichts dieser beiden Anschauungen möchte ich einen Mittelweg einschlagen. Zunächst einmal möchte ich eine Methode entwickeln für den Bau von Maschinen, welche lernen können. Diese Methode wird mich nicht nur befähigen, bestimmte einzelne Maschinen dieses Typs zu bauen, sondern sie wird auch eine allgemeine technische Verfahrensweise liefern, um ganze große Klassen solcher Maschinen konstruieren zu können. Nur wenn ich diesen Grad von Allgemeinheit erreiche, werde ich in gewissem Maße die Kritik widerlegt haben, daß der mechanische Prozeß, der meiner Ansicht nach dem Lernen ähnlich ist, in Wirklichkeit wesentlich anderer Natur als das Lernen sei. Zum anderen möchte ich derartige Maschinen in solchen Ausdrücken beschreiben, die den tatsächlichen Beobachtungen am Nervensystem und dem menschlichen und tierischen Verhalten nicht zu fremd sind. Ich bin mir durchaus bewußt, daß ich bei der Darstellung des wirklichen Ablaufs der Vorgänge im Menschen vielleicht nicht alle Einzelheiten richtig erfassen werde, ja daß ich sogar grundsätzlich unrecht haben kann. Immerhin werde
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ich mit meiner Entwicklung eines Gerätes, das in Ausdrücken der zum menschlichen Geist und zum menschlichen Gehirn gehörenden Begriffe beschrieben werden kann, einen Ausgangspunkt für fruchtbare Kritik geben und einen Vergleichsmaßstab für die auf der Grundlage anderer Theorien zu erwartenden Ergebnisse liefern. Am Ende des 17. Jahrhunderts war Locke der Ansicht, daß I d e e n den Inhalt des Geistes ausmachen. Der Geist ist für ihn völlig passiv. Er ist nichts als eine leere Tafel, auf der die Erfahrungen des Individuums ihre Eindrücke hinterlassen. Wenn indessen diese Eindrücke oft wiederkehren, entweder unter den Verhältnissen der Gleichzeitigkeit, oder mit einer gewissen Ähnlichkeit, oder unter den von uns Ursache und Wirkung genannten Umständen, dann werden nach Locke diese Eindrücke oder Ideen komplexe Ideen bilden, deren Einzelelemente eine entschiedene Neigung haben, sich miteinander zu verknüpfen. Man behalte im Auge, daß für Locke der Geist absolut passiv ist. Daher muß jeder Mechanismus, durch den Ideen assoziiert werden, in den Ideen selbst liegen; aber durch alle Schriften Lockes zieht sich eine ungewöhnliche Abneigung, einen solchen Mechanismus näher zu beschreiben. Lockes Theorie hat nur die Beziehung zur Wirklichkeit, die ein Lokomotivbild zu einer arbeitenden Lokomotive hat. In der Tat ist dieses Bild wie ein Diagramm ohne alle arbeitenden Teile. Das ist nicht verwunderlich, wenn wir Lockes Theorie im Rahmen seiner Zeit betrachten. Der dynamische Standpunkt, die Betrachtung der Bewegung, kam nicht in den Ingenieurwissenschaften oder in der Psychologie, sondern in der Astronomie zum Durchbruch, und zwar durch Newton, der nicht ein Vorgänger, sondern ein Zeitgenosse Lockes war. Lange Zeit zog man in den Naturwissenschaften das aristotelische Einteilungsprinzip dem heutigen Prinzip, Ursache und Wirkung einer Erscheinung zu untersuchen, vor. Bei der Fülle der früher noch unbekannten Pflanzen und Tiere ist es nicht abzusehen, wie die Biologie ohne das ausdauernde Sammeln der mehr beschreibenden Naturwissenschaften in eine wirklich dynamische Periode hätte eintreten können. Der große Botaniker Linné diene uns als Beispiel. Für Linné waren species und genera festgelegte aristotelische Formen und nicht Wegweiser für einen Entwicklungsablauf. Aber nur auf der Basis der gründlichen Beschreibung Linnés konnte überhaupt jemals ein zwingender Beweis für die Evolution geführt werden. Die alten Naturhistoriker waren die
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praktischen Wegbereiter des deutenden Geistes: sie standen zu stark unter dem Zwang, Neuland zu erobern, als daß sie sich mit der Erklärung neu beobachteter Formen hätten befassen können. Dem Wegbereiter folgt der Bauer, dem beschreibenden Naturforscher der Wissenschaftler der Neuzeit. Im letzten Viertel des vorigen und im ersten des gegenwärtigen Jahrhunderts befaßte sich ein anderer großer Gelehrter, Pawlow, auf seine Weise mit dem Problem, das Locke behandelt hatte. Er bearbeitete dieses Gebiet der bedingten Reflexe experimentell, im Gegensatz zu Locke, der sich reflektierend damit befaßt hatte. Überdies geht er dabei mehr von den Tieren als den Menschen aus. Die Tiere können nicht in der menschlichen Sprache der Ideen und Reflexionen sprechen; sie müssen in der Sprache ihres Verhaltens zum Sprechen gebracht werden. Ein großer Teil ihres sichtbaren Verhaltens ist emotional, und viele dieser emotionalen Erregungen sind mit der Nahrung verbunden. Deshalb experimentierte Pawlow mit der Nahrung, und zwar mit dem physischen Symptom des Speichelflusses. In den Speicheldrüsengang eines Hundes kann man leicht eine Kanüle einführen und die Speichelabsonderung beobachten, die durch Nahrung angeregt wird. Normalerweise erzeugen nicht mit dem Futter zusammenhängende Dinge, wie gesehene Gegenstände, Töne usw., keine Wirkung auf den Speichelfluß. Pawlow aber beobachtete, daß, wenn einem Hunde ein gewisses Zeichen oder ein gewisser Laut zur Essenszeit systematisch dargeboten worden war, später das Darbieten des Zeichens oder Tones allein genügte, um Speichelfluß hervorzurufen, d. h. der Speichelflußreflex war bedingt durch eine früher geschaffene Assoziation. Hier haben wir im Tier und auf dem Gebiet des Reflexes etwas der Ideenassoziation sehr Analoges. Insbesondere trifft das auf die Reflexantworten zu, bei denen das gesamte Verhalten des Hundes etwas bei ihm vermuten läßt, was wir beim Menschen einen stark gefühlsmäßigen Inhalt nennen würden. Betrachten wir die ziemlich komplizierte Natur der früheren Ereignisse, die nötig sind, um einen bedingten Reflex vom Pawlowschen Typ auszubilden. Zunächst einmal haben diese Ereignisse ihren Mittelpunkt normalerweise in einem für das Leben des Tieres ziemlich wichtigen Vorgang; die beobachteten Speichelflußreflexe betreffen etwas mit der Nahrungsaufnahme Verbundenes, selbst wenn in ihrer Endform das Nahrungselement ausgeschaltet worden sein kann. Die Bedeutung des Anfangsreizes eines Pawlowschen bedingten
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flexes für das Leben läßt sich ebenso am Beispiel der elektrischen Zäune zeigen. Auf Viehfarmen ist es nicht leicht, Drahtzäune zu bauen, die kräftig genug sind, einem Stier zu widerstehen. Es ist daher wirtschaftlich, diese kräftigen Zäune durch solche zu ersetzen, bei denen ein oder zwei schwache Drähte eine genügend hohe elektrische Spannung tragen, um auf das Tier einen heftigen Schock auszuüben, wenn es sie durch die Berührung mit seinem Körper kurzschließt. Ein solcher Zaun wird ein oder zweimal dem Druck des Stieres zu widerstehen haben; von da an aber wirkt der Zaun – nicht, weil er dem Druck mechanisch widersteht, sondern weil der Stier einen bedingten Reflex entwickelt hat, der dahinzielt, ihn überhaupt vor der Berührung mit dem Zaun zu bewahren. Hier wird ursprünglich der Reflex ausgelöst durch eine Schmerzempfindung, und die Antwort auf eine Schmerzempfindung ist bei allen Tieren eine der für ihr Weiterleben wichtigsten Reaktionen. Später bewirkt schon der Anblick des Zaunes die Auslösung des Reflexes. Neben Hunger und Schmerz gibt es noch andere Auslösungen, die zu bedingten Reflexen führen können. Anthropomorph ausgedrückt würden wir diese Situationen Gefühle nennen, aber auch ohne Anthropomorphismus kann man sie als Situationen beschreiben, die im allgemeinen eine Wichtigkeit aufweisen wie nur wenige andere Erfahrungen des Tieres. Es sind Erfahrungen, die spontan starke Reflexe hervorrufen. Bei der Bildung irgendeines bedingten Reflexes wird die Reflexantwort auf diejenigen Umstände bei der Auslösung übertragen, die häufig mit der Originalauslösung zusammen aufgetreten waren. Diesem „Wechsel im Reiz, der eine vorgebildete Antwort auslöst, muß irgendein Vorgang in den Nerven entsprechen, wie etwa das öffnen einer synaptischen Bahn, die sonst in geschlossenem Zustand zur Antwort geführt hätte, oder das Schließen einer solchen Bahn, die sonst offen gewesen wäre; er bewirkt auf diese Weise das, was wir nun einen Wechsel im Reaktionsablauf oder einen W e c h s e l i n d e r P r o g r a m m i e r u n g nennen. Diesem Wechsel in der Programmierung geht die Assoziierung des alten, starken natürlichen Reizes für eine bestimmte Reaktion mit dem neuen begleitenden Reiz voraus. Es ist, als wenn der alte Reiz die Kraft hätte, die Durchlässigkeit der zur Zeit seines Einwirkens eine Nachricht tragenden Bahnen zu beeinflussen. Interessant ist, daß der neue aktive Reiz meist keine weiteren Voraussetzungen zu haben braucht als die Tatsache des
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ten gleichzeitigen Auftretens mit dem ursprünglichen Reiz. Anscheinend ruft der ursprüngliche Reiz eine nachhaltige Wirkung in all jenen Bahnen hervor, die zur Zeit seines Geschehens eine Nachricht tragen, oder zum mindesten in einer großen Anzahl von ihnen. Der Bedeutungsmangel des Ersatzreizes zeigt an, daß die ändernde Wirkung des Originalreizes sich weit ausbreitet und sich nicht auf einige wenige Bahnen beschränkt. Deshalb entwickeln wir die Idee, daß durch den ursprünglichen bestimmenden Reiz eine Art von Allgemeinnachricht abgesandt werden kann, daß sie aber nur in jenen Bahnen wirksam wird, die etwa zur Zeit des Originalreizes eine Nachricht tragen. Die Wirkung mag vielleicht nicht für immer bestehen bleiben, aber zum mindesten ist sie ziemlich langlebig. Die Stellen, an denen man den Ablauf dieses sekundären Vorgangs am ehesten vermuten kann, sind wohl die Synapsen, deren Schwellenwerte er höchstwahrscheinlich beeinflußt. Diese Annahme einer ungerichteten Nachricht, die sich ausbreitet, bis sie einen Empfänger findet, der auf sie anspricht, ist nicht ungewöhnlich. Nachrichten dieser Art werden häufig als Alarmzeichen benutzt. So ist die Feuersirene ein Signal für alle Einwohner der Stadt und insbesondere für die Feuerwehrleute, wo sie auch gerade sein mögen. In einem Bergwerk zerbrechen wir, wenn wir alle weit auseinanderliegenden Stollen wegen des Vorhandenseins von feuergefährlichen Gasen räumen wollen, im Luftschacht ein Röhrchen mit Äthyl-Mercaptan. Es ist anzunehmen, daß solche Nachrichten auch im Nervensystem vorkommen. Wenn ich eine Lernmaschine allgemeiner Art konstruieren müßte, würde ich sehr wahrscheinlich diese Methode der Verbindung von ungerichtet sich ausbreitenden Nachrichten „an alle“ („to whom it may concern“) mit Nachrichten in wohlbestimmten Bahnen anwenden. Es dürfte nicht zu schwierig sein, elektrische Methoden für die Ausführung dieser Aufgabe zu entwickeln. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß der Lernvorgang im Tier tatsächlich durch eine solche Verbindung von sich allgemein verbreitenden und von gerichteten Nachrichten geschieht. Offen gesagt, halte ich es für durchaus möglich, daß das so vor sich geht. Aber vorläufig ist es noch nicht mehr als eine Vermutung, da wir noch nicht genug Beweise haben. Hinsichtlich des Wesens dieser Nachrichten „an alle“ bin ich, vorausgesetzt, daß es sie überhaupt gibt, noch mehr auf Spekulationen angewiesen. Sie könnten wohl nervös sein, aber ich neige eher dazu, sie nicht der alternativen, sondern der stetig arbeitenden
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Seite des für Reflexe und Gedanken verantwortlichen Mechanismus zuzuordnen. Es ist ein Gemeinplatz, synaptische Tätigkeit chemischen Erscheinungen zuzuordnen. Tatsächlich ist es unmöglich, während der Tätigkeit eines Nervs chemische und elektrische Potentiale zu trennen, und die Feststellung, daß ein bestimmter einzelner Vorgang chemisch sei, ist meist ohne Sinn. Indessen tut es den üblichen Anschauungen keine Gewalt an, wenn wir wenigstens einer der Ursachen oder Begleitumstände synaptischer Änderungen eine chemische Veränderung zuschreiben, die sich, einerlei, wo sie entsteht, örtlich zeigt. Das Vorhandensein solch einer Veränderung kann dort gleichwohl abhängig von Auslösungssignalen sein, die durch Nerven übermittelt werden. Es ist mindestens ebenso gut möglich, daß Vorgänge dieser Art auf chemischen – üblicherweise durch das Blut und nicht durch die Nerven übermittelten – Veränderungen beruhen. Es ist denkbar, daß es auf dem Nervenweg übermittelte Nachrichten „an alle“ gibt, die sich örtlich in jener Art chemischer Vorgänge sichtbar machen, welche synaptische Veränderungen begleiten. Mir als Ingenieur erschiene es rationeller, Nachrichten „an alle“ durch das Blut und nicht durch die Nerven zu übertragen. Indessen habe ich keine Beweise. Erinnern wir uns, daß solche „an alle“-Einflüsse eher eine gewisse Ähnlichkeit mit den Abläufen beim Flaksteuerungsgerät zeigen, die alle neuen statistischen Feststellungen zum Instrument heranbringen, als mit jenen, die die numerischen Daten selbst tragen. Auch hier haben wir Vorgänge, die sich wahrscheinlich lange Zeit summiert haben und die dann langandauernde Wirkungen hervorbringen. Die Schnelligkeit der Reaktion auf den Reiz bei bedingten Reflexen braucht kein Anzeichen dafür zu sein, daß die Bahnung dieser bedingten Reflexe ebenso schnell vor sich geht. Daher scheint es mir einer diese Bahnung veranlassenden Nachricht angemessen, daß sie von dem langsamen, aber überall hinkommenden Blutstrom getragen wird. Man kommt meinem Standpunkt schon beträchtlich näher, wenn man annimmt, daß der bestimmende Einfluß des Hungers, des Schmerzes oder eines anderen Reizes, der zur Bildung eines bedingten Reflexes nötig ist, durch das Blut geht. Man käme der Sache noch näher, wenn man das Wesen dieses unbekannten, vom Blute getragenen Einflusses – wenn ein solcher überhaupt existiert – spezifizierte. Daß das Blut Substanzen in sich trägt, die die Möglichkeit haben, Nervenaktionen direkt oder indirekt zu ändern,
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scheint mir sehr wahrscheinlich und durch die Wirkung von zum mindesten einigen Hormonen oder inneren Sekreten nahegelegt zu sein. Das ist indessen nicht das gleiche wie die Annahme, daß der Einfluß auf Reizschwellen, der das Lernen bestimmt, das Produkt spezifischer Hormone ist. Nochmals: es liegt nahe, den Oberbegriff für Hunger und für den durch den elektrischen Zaun verursachten Schmerz in etwas zu finden, das wir Gefühl nennen; aber es geht sicherlich zu weit, alles, was bedingte Reflexe hervorbringt, ohne weitere Diskussion seiner jeweiligen Natur als Gefühl zu bezeichnen. Trotzdem ist es interessant, sich klarzumachen, daß das, was subjektiv als Gefühl bewußt wird, nicht etwa nur eine nutzlose Begleiterscheinung der Nervenregung ist, sondern daß es irgendein wesentliches Stadium des Lernprozesses und anderer ähnlicher Prozesse steuern kann. Ich behaupte das nicht endgültig; aber ich sage, daß diejenigen Psychologen, die zwischen der gefühlsbetonten Handlung des Menschen und anderer Lebewesen und der Handlung des modernen Typs von automatischen Mechanismen scharfe und prinzipielle Unterschiede machen, ebenso vorsichtig bei ihren Einwänden sein sollten wie ich bei meinen Behauptungen. Fassen wir zusammen: Wir haben in diesem Kapitel zwei gegensätzliche Formen der geistigen Organisation von Lebewesen untersucht, die der Ameisen, bei denen der Abhängigkeitsgrad vom Lernprozeß minimal ist und bei denen doch die Gesellschaftsstruktur verhältnismäßig verwickelt zu sein scheint, und die des Menschen, bei dem der Lernprozeß im Mittelpunkt seiner ganzen individuellen und sozialen Organisation steht. Wir kennen den Mechanismus menschlichen und tierischen Lernens nicht, aber ich habe versucht, einige hypothetische Methoden anzugeben, durch die ein ähnlicher Prozeß dargestellt werden könnte. Ich bin also nicht der Meinung, daß Lernprozesse, wie kompliziert sie auch immer sein mögen, völlig außerhalb des Bereichs technischer Erfindungen liegen.
IV. Der Mechanismus der Sprache Ich habe bereits ausgeführt, daß Sprache vielleicht das ist, was den Menschen am meisten vom Tier unterscheidet. In diesem Kapitel möchte ich indessen zeigen, daß Sprache nicht eine ausschließlich dem Menschen vorbehaltene Eigenschaft ist, sondern eine, die er bis zu einem gewissen Grade mit den von ihm entwickelten Maschinen teilt. Ich möchte zeigen, daß die Sprache sicher eine Fähigkeit darstellt, die dem Menschen, nicht aber seinen nächsten Verwandten, den großen Affen, eingeboren ist. Aber ich werde dartun, daß sie ihm nur als eine Anlage gegeben worden ist, die erst durch Lernen ausgebildet werden muß. Wir denken uns gewöhnlich Kommunikation und Sprache als von Person zu Person gehend. Indessen ist es durchaus möglich, daß eine Person zu einer Maschine spricht, eine Maschine zu einer Person und eine Maschine zu einer Maschine. In den unwirtlicheren Gebieten des Westens der USA und Nordkanadas gibt es viele weit von jeder menschlichen Niederlassung entfernte Kraftwerkstationen, die zu klein sind, um die Gründung selbständiger neuer Siedlungen zu rechtfertigen, aber wiederum nicht so klein, daß die Kraftnetze ganz auf sie verzichten könnten. Es ist deshalb wünschenswert, diese Stationen so zu unterhalten, daß sie kein dort wohnendes Personal benötigen und zwischen den regelmäßigen Runden eines überwachenden Ingenieurs monatelang unbeaufsichtigt gelassen werden können. Dazu ist zweierlei nötig. Das eine ist die Verwendung einer Automatik, die es unmöglich macht, einen Generator auf eine Sammelschiene oder ein Schaltglied zu schalten, bevor er nicht auf richtige Frequenz, Spannung und Phase gekommen ist, und die ebenso gegen andere Störungen elektrischer, mechanischer und hydraulischer Art schützt. Eine solche Automatik würde genügen, wenn der Tageslauf der Station ununterbrochen und unveränderlich wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Belastung eines Kraftnetzes hängt von vielen veränderlichen Faktoren ab. Dazu gehören der
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Bedarf der Wirtschaft, Notfälle, die einen Teil des Systems aus der Tätigkeit ausschalten können, und sogar aufkommende Wolken, die Zehntausende von Büros und Heimen veranlassen können, mitten am Tage ihr elektrisches Licht anzuschalten. Daraus folgt, daß die automatisch gesteuerten Stationen für den Lastverteiler ebenso jederzeit erreichbar sein müssen wie die durch Menschen bedienten. Er muß also imstande sein, seinen Maschinen Befehle zu geben, und das bewerkstelligt er, indem er entsprechend verschlüsselte Signale zur Kraftstation sendet, entweder über eine besondere Leitung oder über schon vorhandene Telegraphen- oder Telephonleitungen oder über ein die Kraftleitung selbst benutzendes Trägersystem. Andererseits muß der Lastverteiler über den Stand der Dinge an der Kraftstation unterrichtet sein, um seine Befehle sinnvoll geben zu können. Insbesondere muß er wissen, ob die von ihm gegebenen Befehle ausgeführt worden sind oder ob sie infolge irgendeines Versagens in der Anlage aufgehalten worden sind. So müssen die Maschinen im Kraftwerk imstande sein, Rückmeldungen zum Lastverteiler zu senden. Es gibt also hier eine vom Menschen ausgehende und an die Maschine gerichtete Sprache und eine von der Maschine ausgehende und an den Menschen gerichtete Sprache. Es mag dem Leser seltsam erscheinen, daß wir Maschinen zum Bereich der Sprache zulassen und andererseits bei den Ameisen die Möglichkeit des Sprechens ganz verneinen. Es ist aber beim Bau von Maschinen oft sehr wichtig für uns, auf sie gewisse menschliche Attribute auszudehnen, die bei den niederen Arten der tierischen Gemeinschaft nicht vorkommen. Wenn der Leser das als bloße Übertragung unserer menschlichen Eigenschaften auffassen will, mag er das tun; aber es sollte ihn zur Vorsicht mahnen, daß die neuen Maschinen nicht aufhören zu arbeiten, falls wir etwa unsere Verbindungen zu ihnen unterbrechen. Die an die Maschine gerichtete Sprache besteht in Wirklichkeit aus mehr als einer einzigen Stufe. Vom Gesichtspunkt des Leitungsingenieurs aus gesehen ist der über die Leitung übermittelte Code in sich selbst abgeschlossen. Wir können alle Begriffe der Kybernetik oder der Nachrichtentheorie auf diese Nachricht anwenden. Den ihr innewohnenden Informationsbetrag können wir ermitteln, indem wir seine Wahrscheinlichkeit in der Gesamtheit aller möglichen Nachrichten bestimmen und dann in Übereinstimmung mit der im ersten Kapitel entwickelten Theorie den negativen Logarithmus dieser Wahrscheinlichkeit nehmen.
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dessen stellt das nicht die wirklich durch die Leitung übertragene Information dar, sondern den Maximalbetrag, den sie übertragen könnte, falls sie in das geeignete Empfangsgerät geführt würde. Der mit den tatsächlich vorhandenen Empfangsgeräten übertragene Informationsbetrag hängt von deren Fähigkeit ab, die empfangene Information weiterzuleiten oder anzuwenden. So gelangen wir zu einem neuen Verständnis der Art und Weise, wie das Kraftwerk die Befehle empfängt. Seine tatsächliche Leistung – Schalter zu öffnen und zu schließen, Generatoren in Gleichlauf zu bringen, die Wasserströmung in Schleusen zu steuern und Turbinen an- und auszuschalten – kann als eine selbständige Sprache mit einem durch seine eigene Geschichte gegebenen System von Verhaltenswahrscheinlichkeiten betrachtet werden. Innerhalb dieses Rahmens hat jede mögliche Folge von Befehlen ihre eigene Wahrscheinlichkeit und daher ihren eigenen Informationsbetrag. Es ist natürlich möglich, daß zwischen Leitung und Empfangsgerät die Anpassung so vollkommen ist, daß sowohl der in einer Nachricht enthaltene Informationsbetrag, bezogen auf die Übertragungskapazität der Leitung, als auch der Informationsbetrag der ausgeführten Befehle – gemessen an der Wirkungsweise des Geräts – beide identisch sind mit dem Informationsbetrag, der über das Verbundsystem aus Leitung und nachfolgender Maschine übermittelt wird. Im allgemeinen wird aber zwischen der Leitung und dem Gerät eine Übersetzungsstufe bestehen, und in diesem Stadium kann Information verlorengehen, aber niemals gewonnen werden. Der Übermittlungsprozeß von Information kann sogar mehrere aufeinanderfolgende Übertragungsstufen einschließen, die einander additiv bis zur End- oder Leistungsstufe folgen, und zwischen je zwei von diesen wird ein Übersetzungsakt vor sich gehen, bei dem Verlust von Information möglich ist. Diese Tatsache, daß Information verloren, aber nicht gewonnen werden kann, ist die kybernetische Form des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik. Bis jetzt haben wir Kommunikationssysteme besprochen, die in Maschinen oder Geräten enden. In gewissem Sinne enden alle Kommunikationssysteme in Geräten, aber die gewöhnlichen Kommunikationssysteme der Sprache enden in einer ziemlich speziellen Art von Gerät, dem menschlichen Wesen. Der Mensch als Endgerät hat ein Kommunikationssystem mit drei deutlich unterscheidbaren Stufen. Für die gewöhnliche gesprochene Sprache besteht die erste Stufe aus dem Ohr und aus dem Teil des
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mechanismus, der in dauernder und starrer Verbindung mit dem inneren Ohr steht. Dieses Gebilde stellt zusammen mit den Schallschwingungen in der Luft oder ihrem Äquivalent in elektrischen Stromkreisen das Gerät dar, das mit der sogenannten p h o n e t i s c h e n Seite der Sprache zu tun hat. Die phonetische Seite der Sprache befaßt sich mit dem Laut und die s e m a n t i s c h e Seite der Sprache mit der Bedeutung. Übersetzungsschwierigkeiten zwischen Deutsch und Englisch rühren beispielsweise her vom Mangel einer genauen Entsprechung zwischen dem Sinn der Wörter in beiden Sprachen und sind semantischer Art. Andererseits hat man gezeigt, daß man eine dem Englischen bemerkenswert ähnliche Sprache gewinnen kann, indem man eine Folge von Wörtern, Wortpaaren oder Wortdreiheiten entsprechend ihrer in der Spache vorkommenden statistischen Häufigkeit nimmt. Das Kauderwelsch, das man auf diese Weise erhält, ähnelt gutem Englisch in bemerkenswerter Weise und ist vom phonetischen Standpunkte aus praktisch einer sinnvollen Sprache gleichwertig, obwohl es ein sinnloses Scheinbild intelligenten Sprechens und semantisch gesehen Gewäsch ist. Das Englisch eines intelligenten Ausländers, dessen Aussprache den Einfluß seiner Muttersprache zeigt oder der Buch-Englisch spricht, ist semantisch gut und phonetisch schlecht. Der durchschnittliche Tischredenstil ist phonetisch gut und semantisch schlecht. Kehren wir zum menschlichen Kommunikationsapparat zurück. Es ist möglich, aber schwierig, die Charakteristika dieses phonetischen Geräts zu bestimmen, und daher ebenso möglich, wenn auch schwierig, zu bestimmen, was phonetisch wichtige Information ist, und diese zu messen. Ohr und Gehirn haben natürlich eine Frequenzbandbeschneidung, die den Empfang höherer Frequenzen verhindert, welche durch das Telefon ankommen und in das Ohr eindringen können. Mit anderen Worten: diese hohen Frequenzen besitzen für das Ohr keinen bedeutsamen Informationsbetrag, welche Information sie auch einem anderen für sie geeigneten Empfänger geben mögen. Wenn die Sprache durch das Auge statt durch das Ohr aufgenommen wird, ergibt sich ähnlich eine visuelle Stufe. In der englischen Sprache haben wir zwar meines Wissens kein Wort, welches in einer bildhaften Sprache, wie dem geschriebenen Chinesisch, der phonetischen Stufe entspräche. Diese Stufe besteht jedoch und wird von denjenigen chinesischen Schülern, die hinsichtlich der Rolle des Auges und Ohres in den europäischen Sprachen und in
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ihrem eigenen Sprechen einen europäischen Grad intellektueller Schulung noch nicht erreicht haben, immer verwechselt mit dem phonetischen Stadium. Wenn Sprechen oder Schreiben die phonetische Empfangsstufe oder ihr Äquivalent durchschritten haben, müssen sie sich noch zu den Begriffen und Abstraktionen entwickeln, die wir für sinnvolle sprachliche Zusammenhänge verwenden. Diese auf ihren phonetischen und visuellen Vorstufen begründete Stufe ist die semantische. Semantisches Aufnehmen ist mit beträchtlicher Gedächtnisbeanspruchung und mit den daraus folgenden langen Verzögerungen verbunden. Die zu der wichtigen semantischen Stufe gehörenden Abstraktionstypen entsprechen nicht den dauernden Zusammenschlüssen von Neuronen im Gehirn, wie sie beispielsweise wohl bei der Wahrnehmung geometrischer Formen eine große Rolle spielen, sondern den Neuronengruppen, die für größere Zusammenschlüsse verfügbar sind, die aber nicht für dauernd in sie eingebaut werden. Neben den hochorganisierten und dauernden Zusammenschlüssen im Gehirn, die zweifellos bestehen und sich in den mit den speziellen Sinnesorganen assoziierten Teilen des Gehirns ebenso wie an anderen Stellen finden, gibt es besondere Schaltungen und Verbindungen, die anscheinend zeitweilig für spezielle Zwecke gebildet worden sind, wie etwa erworbene Reflexe und ähnliches. Damit solche besonderen Schaltungen zustande kommen können, muß es möglich sein, für diesen Zweck verfügbare und nicht schon in Benutzung befindliche Neuronenfolgen zusammenzufassen. Diese Frage des Zusammenschlusses berührt die synaptischen Reizschwellen der aneinandergefügten Neuronenfolgen. Da es Neuronen gibt, die entweder innerhalb oder außerhalb solcher zeitweiliger Zusammenschlüsse vorhanden sein können, ist ein besonderer Name für sie angebracht. Wie ich bereits angedeutet habe, nehme ich an, daß sie ziemlich genau dem entsprechen, was die Neurophysiologen als internuncial pools kennen. Dies ist nun zum wenigsten eine vernünftige Theorie ihres Verhaltens. Das semantische Aufnahmegerät empfängt oder übersetzt die Sprache nicht Wort für Wort, sondern Gedanke für Gedanke, und oft noch allgemeiner. In gewissem Sinne ist es in der Lage, in seinen Umformungen die Gesamtheit der vergangenen Erfahrung anzufordern, und diese Übertragungen über lange Zeiten hin sind nicht der kleinste Teil seiner Aufgabe.
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Es gibt eine dritte Kommunikationsebene, die eine Übersetzung teils von der semantischen Stufe und teils von der früheren phonetischen Stufe her darstellt. Das ist die Übertragung der bewußten wie der unbewußten Erfahrungen des Individuums in Handlungen, die von außen beobachtet werden können. Wir können diese die Verhaltensebene der Sprache nennen. Bei den Tieren ist es die einzige Sprachebene, zu der wir über die phonetische Eingabe hinaus vollen Zugang haben. Dies gilt auch für jedes menschliche Wesen – mit Ausnahme der angesprochenen Person – in dem Sinne, daß jemand zu den inneren Gedanken eines anderen Zugang nur durch dessen Handlungen haben kann. Diese Handlungen bestehen aus zwei Teilen, den direkten handgreiflichen Handlungen, wie wir sie auch bei Tieren beobachten, und den verschlüsselten und symbolischen Systemen von Handlungen, die wir als gesprochene und geschriebene Sprache kennen. Es ist theoretisch möglich, die Statistik der semantischen und Verhaltenssprachen zu einer solchen Höhe zu entwickeln, daß wir ein gutes Maß des Informationsbetrags in jedem System erhalten. Jedenfalls können wir ganz allgemein zeigen, daß phonetische Sprache im Verhältnis zur Eingabe weniger Gesamtinformationen enthält oder auf jeden Fall nicht mehr als das zum Ohr führende Übermittlungssystem, und daß semantische und Verhaltenssprache noch weniger enthalten. Diese Tatsache ist wieder eine Form des zweiten Hauptsatzes des Thermodynamik und gilt nur, wenn wir bei jeder Stufe die übertragene Information als Maximalinformation betrachten, die mit einem entsprechend verschlüsselten Empfangssystem übertragen werden könnte. Ich möchte nun die Aufmerksamkeit des Lesers auf etwas lenken, das er wahrscheinlich überhaupt nicht als Problem ansehen wird, nämlich auf die Frage, warum Schimpansen nicht sprechen. Immer schon ist das Verhalten der Schimpansen ein Rätsel für die Psychologen gewesen, die sich mit diesen interessanten Tieren beschäftigt haben. Der junge Schimpanse ist einem Kinde außerordentlich ähnlich und ihm in intellektueller Beziehung offensichtlich gleich oder vielleicht sogar überlegen. Die Tierpsychologen konnten sich nicht genug wundern, warum ein Schimpanse, der in menschlicher Umgebung aufgezogen wird und bis zu einem Alter von ein bis zwei Jahren unter dem Einfluß der menschlichen Sprache steht, nicht diese als Ausdrucksform übernimmt und spontan wie ein Baby gebraucht. Glücklicherweise oder unglücklicherweise, wie man es nimmt,
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bleiben die meisten Schimpansen – zum mindesten alle bisher beobachteten – richtige Schimpansen und werden nicht menschenähnliche Kretins oder Idioten. Ich glaube trotzdem, daß der durchschnittliche Tierpsychologe noch immer sehnsüchtig auf den Schimpansen wartet, der seine Affenvorfahren verrät und zu menschlichen Lebensformen übergeht. Das ist keine Frage der reinen Intelligenzmasse, denn es gibt menschliche Wesen, deren Gehirn einem Schimpansen zur Schande gereichen würde. Sprechen oder sprechen wollen gehören eben nicht zur Natur eines Tieres. Das Sprechen ist also eine so ausschließlich dem Menschen vorbehaltene Tätigkeit, daß es selbst durch die nächsten Verwandten des Menschen und seine aktivsten Nachahmer nicht erreicht wird. Die wenigen von Schimpansen hervorgebrachten Laute haben zwar ein gut Teil Gefühlsinhalt, aber sie haben nicht das Kunstgerechte einer klaren und wiederholten Anordnungsgenauigkeit, das sie zu einem genaueren Code als das Jaulen einer Katze machen könnte. Darüber hinaus (und das scheint sie von der menschlichen Sprache zu unterscheiden) sind sie den Schimpansen eher als angeborene Äußerung zu eigen, denn als das angelernte Verhalten eines Gliedes einer gegebenen Gemeinschaft. Es ist höchst bemerkenswert, daß allgemein Sprechen zum Menschen als Menschen gehört, daß aber der Mensch als Glied einer bestimmten menschlichen Gemeinschaft eine zu dieser gehörende Form des Sprechens benutzt. Aus dem breiten Umfang unseres heutigen Wissens vom Menschen ergibt sich zunächst mit Sicherheit, daß jede Gemeinschaft von nicht durch Gehörs- oder Geistesdefekt verstümmelten Individuen ihre eigene Art des Sprechens hat. Zweitens sind alle Arten des Sprechens erworbene Eigenschaften, und es gibt, ungeachtet der Versuche des 19. Jahrhunderts, zu einer genetischen Entwicklungstheorie der Sprachen zu gelangen, nicht die geringste Begründung für eine Ursprache, von der sich alle gegenwärtigen Formen herleiten. Zweifellos werden Kleinkinder, die sich selbst überlassen werden, versuchen zu sprechen. Diese Versuche zeigen indessen ihre eigenen Neigungen, etwas zu äußern, und folgen keiner bestehenden Sprachform. Ebenso wird eine Gemeinschaft von Kindern, die während der kritischen sprachformenden Jahre ohne Verbindung mit der Sprache der Älteren bleibt, ohne Zweifel etwas hervorbringen, das unmißverständlich eine – wenn auch noch so rohe – Sprache ist. Woran liegt es also, daß man Schimpansen nicht zwingen und menschliche Kinder nicht daran hindern kann, zu sprechen?
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ran liegt es, daß diese allgemeine Neigung zu sprechen und die allgemeinen visuellen und psychologischen sprachlichen Erscheinungen bei großen Menschengruppen so gleichmäßig auftreten, während die besonderen linguistischen Äußerungen dieser Erscheinungen so vielfältig sind? Das mindestens teilweise Verständnis dieser Dinge ist wesentlich für jedes Verstehen der auf der Sprache beruhenden Gemeinschaft. Wir stellen nur die Grundtatsachen fest, wenn wir sagen, daß im Unterschied zu den Affen sich beim Menschen der Impuls, irgendeine Sprache zu gebrauchen, Bahn bricht, daß aber die jeweils gebrauchte Sprache in jedem einzelnen Falle gelernt werden muß. Offensichtlich ist unser Gehirn so beschaffen, daß wir eine Beschäftigung mit Codes und mit den Lauten der Sprache haben müssen und daß diese Beschäftigung mit Codes von den mit der Sprache verbundenen Codes ausgedehnt werden kann auf solche, die visuelle Reize betreffen, wie Schreiben und Quipu.16 Aber es gibt kein einziges Teilstück dieser Codes, das uns als ein vorher festgesetztes Ritual angeboren wäre, wie die Balztänze mancher Vögel oder das System, durch das Ameisen Eindringlinge in ihrem Bau erkennen und vertreiben. Die Gabe des Sprechens geht nicht auf eine universelle adamitische Sprache zurück, die beim Turmbau zu Babel auseinandergerissen worden ist. Sie ist ein psychologischer Impuls; und streng genommen ist sie nicht eine Gabe des Sprechens, sondern des Sprechvermögens. Mit anderen Worten: die Hemmung, die junge Schimpansen am Sprechenlernen hindert, ist eine Hemmung, die das semantische und nicht das phonetische Stadium der Sprache betrifft. Der Schimpanse hat einfach keinen eingebauten Mechanismus, der ihn dazu führen könnte, gehörte Laute in eigene Gedanken oder in eine komplexe Verhaltensweise zu übersetzen. Die erste dieser Behauptungen können wir nicht mit Sicherheit aufstellen, denn wir haben keinen direkten Weg, sie zu beobachten. Die zweite ist einfach eine feststellbare Erfahrungstatsache. Sie mag ihre Grenzen haben, aber daß im Menschen solch ein eingebauter Mechanismus vorhanden ist, ist offenbar. Wir haben in diesem Buche bereits die außerordentliche Lernfähigkeit des Menschen als Artmerkmal betont, welches sein soziales Leben zu einer Erscheinungsform macht, die von dem scheinbar analogen sozialen Leben der Bienen, Ameisen und anderen sozial lebenden Insekten vollkommen verschieden ist. Wie ich bereits 16
Knotenschrift der alten Peruaner (Anm. d. Übers.).
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sagte, hängt die Benutzung der Sprache durch den Menschen völlig von seiner Lernfähigkeit ab. Kinder, denen man in den für die normale Spracherwerbung kritischen Jahren die Berührungsmöglichkeit mit ihrer eigenen Art genommen hat, sind vielleicht kein eindeutiger Beweis dafür. Die Berichte über in starrendem Schmutz aufgefundene „Wolfskinder“ sind hierfür ebenso unzuverlässig wie Kiplings phantasievoll idealisierende Dschungelbücher. Immerhin deuten sie darauf, daß es eine kritische Periode gibt, während der Sprechen sehr leicht gelernt werden kann, und daß, falls diese Periode ohne Berührung mit irgendwelchen menschlichen Artgenossen vorübergegangen ist, das Sprechenlernen begrenzt, langsam und in hohem Maße unvollkommen wird. Das gesamte menschliche Sozialleben in seinen normalen Erscheinungen hat die Sprache zum Mittelpunkt, und wenn die Sprache nicht zur richtigen Zeit gelernt wird, verkümmern sämtliche Beziehungen des Individuums zur Gemeinschaft. Im ganzen gesehen scheint das Phänomen des menschlichen Sprechens ein ureigener Trieb zum Verschlüsseln und Entschlüsseln zu sein, und das scheint so speziell menschlich zu sein, wie es nur irgendein Anliegen sein kann. S p r e c h e n i s t d a s größte Anliegen und die her vorragendste Leistung des Menschen.
V. Die Geschichte der Sprache Seit Urzeiten hat sich der Mensch bemüht, in das Geheimnis der Sprache einzudringen. Bei manchen primitiven Völkern liegen Schreiben und Zauberei nicht weit auseinander. Es gibt Gegenden Chinas, wo die Ehrfurcht vor dem Geschriebenen so weit geht, daß die Menschen sich scheuen, Fetzen von alten Zeitungspapieren und nutzlose Buchreste wegzuwerfen. All diesen Erscheinungen eng verwandt ist das Phänomen des „magischen Namens“, bei dem Angehörige gewisser Kulturen von der Geburt bis zum Tode nicht ihre eigentlichen Namen führen, damit sie keinem Zauberer die Möglichkeit geben, ihre wirklichen Namen zu erfahren. Der uns bekannteste dieser Fälle ist der Name Jehova bei den Juden, in den die Vokale von „Adonai“, jenem anderen Namen Gottes, übernommen sind, damit der Name des Allmächtigen nicht entweiht wird, wenn profane Lippen ihn aussprechen. Von der Wortmagie ist es nur ein Schritt zu einem tieferen und wissenschaftlicheren Interesse an der Sprache. Als textkritisches Interesse an der Echtheit mündlicher Traditionen und geschriebener Texte läßt es sich bis zu den alten Überlieferungen aller Kulturen zurückführen. Ein heiliger Text muß rein gehalten werden; wenn es voneinander abweichende Lesarten gibt, müssen sie durch einen kritischen Kommentator ausgelegt werden. Dementsprechend haben die Bibel der Christen und Juden, die heiligen Bücher der Perser und Hindu, die Buddhistischen Texte und die Schriften des Konfuzius alle ihre frühen Kommentatoren. Das, was man gelernt hatte, indem man sich bemühte, die Religion zu bewahren, wurde dann als literarische Disziplin fortgeführt; und so ist Textkritik eine der ältesten Forschungsarten. Während des letzten Jahrhunderts beschränkte sich die Philologie lange Zeit auf eine Reihe von Dogmen, was mitunter eine überraschende Unkenntnis vom Wesen der Sprache zeigt. Das Vorbild der Darwinschen Entwicklungslehre dieser Zeit war zu schematisch und zu unkritisch übernommen worden. Da diese Fragen eng
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mit unseren Ansichten über das Wesen der Kommunikation zusammenhängen, muß ich näher auf sie eingehen. Die frühen Theorien, daß das Hebräische die Sprache des Menschen im Paradies war und daß die Sprachverwirrung ihren Ursprung beim Turmbau zu Babel nahm, brauchen uns hier nur als primitive Vorläufer wissenschaftlichen Denkens zu interessieren. Aber auch die späteren Entwicklungen des philologischen Denkens haben lange Zeit hindurch fast die gleiche Naivität beibehalten. Erst die kühnen philologischen Geister der Renaissance kamen zu Beobachtungen wie denen, daß Sprachen verwandt sind und daß sie Entwicklungen durchmachen, welche am Ende zu völlig verschiedenen Sprachen führen. Ein Buch wie Ducanges „Glossarium Mediae atque Infimae Latinitatis“ konnte nicht geschrieben werden, ohne daß klar wurde, daß die Wurzeln der romanischen Sprachen nicht etwa im Latein, sondern im Vulgärlatein zu suchen sind. Viele gelehrte Rabbis werden wohl die Ähnlichkeit des Hebräischen, Arabischen und Syrischen erkannt haben. Als auf den Rat des vielbeschimpften Warren Hastings die East India Company in Fort Williams ihre Schule für orientalische Studien gründete, war nicht länger zu übersehen, daß Griechisch und Latein einerseits und Sanskrit andererseits aus dem gleichen Stoff geschnitten waren. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zeigte die Arbeit der Brüder Grimm und des Dänen Rask nicht nur, daß die germanischen Sprachen in den Kreis der sogenannten indogermanischen Gruppe gehörten, sondern sie erhellten auch weitergehend die Beziehungen dieser Sprachen untereinander und zu ihrer entfernten gemeinsamen Ursprache, wie sie auch immer gewesen sein mag. So gibt es den Entwicklungsgedanken in der Sprachphilosophie, ehe ihn die Biologie entwickelt. Stark, wie dieser Evolutionsgedanke ist, übertraf er sehr bald den biologischen Evolutionismus dort, wo jener nicht anwendbar war. Das heißt, er nahm an, daß die Sprachen unabhängige quasibiologische Ganzheiten wären, die sich allein nach den ihnen innewohnenden Kräften und Gegebenheiten entwickelten. In Wirklichkeit sind sie Begleiterscheinungen des menschlichen Verkehrs und damit infolge des Wechsels im Schema dieses Verkehrs allen sozialen Kräften unterworfen. Angesichts des Vorhandenseins von M i s c h s p r a c h e n , wie Lingua Franca, Suaheli, Chinook Jargon und sogar Englisch in beträchtlichem Ausmaße, ist der Versuch gemacht worden, jede Sprache auf einen einzigen rechtmäßigen Vorfahren zurückzuführen
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und die anderen Teilhaber an ihrem Ursprung nur als Taufpaten des neugeborenen Kindes zu behandeln. Man hat unterschieden zwischen legitimen phonetischen Bildungen, die die anerkannten Gesetze zeigen, und solch bedauerlichen Zufallsbildungen wie Gelegenheitswörtern, Volksetymologien und Slang. Auf grammatischem Gebiet folgte dem ursprünglichen Versuch, alle Sprachen jeden Ursprungs in die für Latein und Griechisch geschneiderte Zwangsjacke zu pressen, ein ebenso rücksichtsloser Versuch, für jede von ihnen eigene Baugesetze zu bilden. Erst seit den Arbeiten von Otto Jespersen hat eine beträchtliche Anzahl von Philologen die Objektivität gezeigt, aus ihrer Wissenschaft eine Darstellung der wirklich gesprochenen und geschriebenen Sprache zu machen an Stelle des Lehrbuchversuchs, die Eskimos zu lehren, wie man Eskimo sprechen, und die Chinesen, wie man Chinesisch schreiben soll. Die Auswirkungen eines verfehlten grammatischen Purismus sind jenseits der Schulmauern allenthalben zu greifen. Vielleicht ihre erste ist die Art, in der die lateinische Sprache, wie das erste Geschlecht der klassischen Götter, von ihren eigenen Kindern erschlagen worden ist. Während des Mittelalters blieb Latein unterschiedlicher Qualität, von dem das beste für jeden Nichtpedanten recht erträglich war, die Universalsprache der Geistlichkeit und aller Gelehrten in ganz Westeuropa, so wie es in der mohammedanischen Welt das Arabische bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Diese gleichbleibende Wertschätzung des Lateinischen wurde möglich durch die Bereitwilligkeit der Sprecher und Schreiber dieser Sprache, alles das, was für die Diskussion der aktuellen philosophischen Probleme ihrer Zeit nötig war, entweder von anderen Sprachen zu entlehnen oder innerhalb des Rahmens des Lateinischen selbst zu bilden. Das Latein des heiligen Thomas ist nicht das Latein Ciceros, aber Cicero wäre es nicht möglich gewesen, Thomistische Ideen in ciceronischem Latein zu entwickeln. Man könnte meinen, daß die Entwicklung der europäischen Volkssprachen notwendig das Ende der Funktion des Lateinischen bedeutet hätte. Dem ist nicht so. In Indien hat Sanskrit trotz des Emporwachsens der neusanskritischen Sprachen bis heute eine bemerkenswerte Lebenskraft bewahrt. Ich sagte schon, daß die mohammedanische Welt u. a. durch die Überlieferung des klassischen Arabisch zusammengehalten wird, obwohl sogar die Mehrzahl der Moslems nicht Arabisch spricht und das heute gesprochene Arabisch sich in eine Anzahl sehr verschiedener Dialekte aufgespalten
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hat. Es ist für eine Sprache, die nicht mehr die Sprache der üblichen Kommunikation ist, gut möglich, für Generationen, ja sogar für Jahrhunderte die Sprache der Gelehrten zu bleiben. In den folgenden Ausführungen werde ich mich auf den Gebrauch des Lateins als einer Gelehrtensprache beschränken. Zu Beginn der Renaissance wurden die künstlerischen Anforderungen der Latinisten höher, und es kam mehr und mehr die Tendenz auf, alle nachklassischen Neologien auszumerzen. In den Händen der großen italienischen Renaissancegelehrten konnte dieses verbesserte Latein ein Kunstwerk sein und war es auch oft; aber die Schulung, die nötig war, solch ein empfindliches und verfeinertes Werkzeug zu beherrschen, ging über das hinaus, was zur Schulung des Naturwissenschaftlers zu gehören pflegte, bei dessen Arbeiten es mehr auf den Inhalt selbst als auf die Vervollkommnung der Form ankommt. Das Ergebnis war, daß diejenigen, die Latein l e h r t e n , und diejenigen, die Latein a n w e n d e t e n , sich immer weiter voneinander entfernten, bis die Lehrer sich scheuten, ihre Schüler etwas anderes als die geglättetste und die am schlechtesten verwendbare ciceronische Sprache zu lehren. Durch diese Kluft beschränkten sie selbst letztlich ihre Wirksamkeit auf die von Spezialisten, und als das Spezialfach des Latinismus immer weniger allgemein gefragt wurde, vernichteten sie so ihre eigene Wirkungsmöglichkeit. Für diesen sündhaften Stolz haben nun wir damit zu bezahlen, daß uns eine geeignete internationale Sprache fehlt, die den künstlichen wie Esperanto weit überlegen und für die Anforderungen der heutigen Zeit geeignet wäre. Ach, die Haltung der Klassizisten geht oft über das Verständnis des intelligenten Laien hinaus. Ich hatte neulich das Vergnügen, eine Semestereröffnungsrede eines Klassizisten zu hören, der die gesteigerte Zentrifugalkraft des modernen Studiums beklagte, welche den Naturwissenschaftler, den Sozialwissenschaftler und den Geisteswissenschaftler immer weiter auseinanderführt. Er kleidete dies in die Form eines erfundenen Spaziergangs, den er als Führer und Mentor eines wiedergeborenen Aristoteles durch eine moderne Universität machte. Seine Rede begann damit, daß er Proben technischen Jargons aus jedem modernen geistigen Gebiet an den Pranger stellte, die er Aristoteles als abschreckende Beispiele zeigen wollte. Darf ich bemerken, daß alles, was wir von Aristoteles besitzen, nur das ist, was wir in den Schulheften seiner Schüler finden, und diese sind in einem der verworrensten technischen Jargons der Weltgeschichte geschrieben und jedem
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zeitgenössischen Griechen, der nicht durch das Lycaeum gelaufen ist, völlig unverständlich. Daß dieser Jargon durch die Geschichte geheiligt und dadurch selber Gegenstand klassischer Erziehung wurde, ist unerheblich, denn das geschah nach Aristoteles, nicht zu seinen Lebzeiten. Das Wichtige ist, daß die griechische Sprache der Zeit des Aristoteles bereit war, mit dem technischen Jargon eines glänzenden Gelehrten Kompromisse zu schließen, während sogar das Englische seiner gelehrten und ehrwürdigen Nachfolger nicht willens ist, ähnlichen Nöten modernen Sprechens entgegenzukommen. Mit diesen mahnenden Worten wollen wir zur modernen Sprachbetrachtung zurückkehren, die den Vorgang der sprachlichen Übertragung und die damit zusammenhängenden Vorgänge der Interpretation der Sprache durch Ohr und Gehirn gleichsetzt der Arbeitsweise und der Zusammenfügung außermenschlicher Kommunikationssysteme. Wir werden sehen, daß das durchaus im Einklang mit den modernen und einst ketzerischen Ansichten von Jespersen und seiner Schule steht. Sprache ist nicht länger etwas primär Normatives. Sie ist etwas Tatsächliches geworden. Die Frage ist nicht, welchen Code wir benutzen sollten, sondern welchen Code wir tatsächlich benutzen. Zwar stimmt es, daß beim genaueren Studium der Sprache auch normative Fragen tatsächlich eine Rolle spielen und sehr heikel sind. Aber sie stellen nur die letzte feine Blüte des Kommunikationsproblems dar und nicht seine elementarsten Stufen. Auf diese Weise haben wir die Grundlage für das einfachste Element der Kommunikation beim Menschen gefunden: nämlich die Kommunikation des Menschen mit dem Menschen durch den Gebrauch der Sprache unmittelbar von Angesicht zu Angesicht. Daß die unmittelbare Anwesenheit des Individuums nicht unbedingt erforderlich ist, haben die Erfindungen von Telefon, Telegraph und anderen ähnlichen Kommunikationsmitteln gelehrt: wir haben viele Mittel, dieses Werkzeug der Kommunikation bis in alle Winkel der Erde auszudehnen. Bei primitiven Völkerschaften wird die Größe der Gemeinschaft für ein wirksames Gemeinleben eingeschränkt durch die Schwierigkeit, Sprache in die Ferne zu übertragen. Viele Jahrtausende lang genügte diese Schwierigkeit, um die optimale Größe eines Staatswesens auf etwa einige Millionen Menschen und im allgemeinen sogar weniger zu begrenzen. Man wird sich erinnern, daß die großen Reiche, die diese begrenzte Zahl überschritten,
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durch vervollkommnete Mittel der Kommunikation zusammengehalten wurden. Die Schlagader des persischen Reiches war die Königliche Straße und das Relais von Boten, die ihr entlang das königliche Wort beförderten. Das große Römische Reich war nur möglich durch den Fortschritt im Straßenbau. Diese Straßen dienten nicht nur dazu, die Legionen, sondern ebenso die geschriebenen Befehle des Kaisers zum Ziele zu führen. Mit dem Flugzeug und dem Radio von heute reicht das Wort der Herrscher bis an die Enden der Welt, und sehr viele Gründe, die früher die Existenz eines Weltstaates verhinderten, sind weggefallen. Es ist sogar möglich zu behaupten, daß die moderne Kommunikation, die uns zwingt, die internationalen Ansprüche von Rundfunksystemen und Luftverkehrsnetzen anzuerkennen, den Weltstaat unvermeidlich gemacht hat.
VI. Der Mensch – eine Nachricht Die älteren Auffassungen von der Individualität waren irgendwie mit dem Begriff der Identität verknüpft, sei es nun, daß es sich um die materielle Substanz des Animalischen oder um die geistige der menschlichen Seele handelte. Heutzutage müssen wir zugestehen, daß Individualität mit der Kontinuität des Schemas in Zusammenhang steht und infolgedessen mit ihr das Wesen der Kommunikation teilt. Vor etwa 45 Jahren schrieb Kipling eine höchst bemerkenswerte kleine Geschichte. Es war die Zeit, als zwar die Flüge der Brüder Wright aller Welt bekanntgeworden waren, das Flugwesen aber noch nichts Alltägliches war. Er nannte diese Erzählung „Mit der Nachtpost“; sie soll der Bericht von einer Welt sein, in der das Flugwesen zur Selbstverständlichkeit und der Atlantik ein Teich geworden war, der in einer Nacht überkreuzt werden konnte. Er nahm an, daß die durch die Flugzeuge erleichterten Verkehrsverbindungen die Welt so sehr geeint hätten, daß der Krieg außer Mode gekommen wäre und daß alle wirklich wichtigen Dinge der Welt in der Hand eines Zentralrates für Luftfahrt lägen, dessen erste Aufgabe es sei, sich um den Luftverkehr zu kümmern, während sich seine Verantwortlichkeit im weiteren Sinne auf alles das bezöge, was damit zusammenhängt. Er stellte sich vor, daß auf diese Weise die verschiedenen regionalen Machtzentren schrittweise genötigt worden wären, ihre Rechte aufzugeben, oder den Verfall ihrer regionalen Rechte geduldet hätten und daß der Zentralrat für die Luftfahrt diese Verantwortungsbereiche übernommen hätte. Das Bild, das Kipling entwirft, ist ziemlich faschistisch, was verständlich wird im Hinblick auf seine geistige Herkunft, aber keine notwendige Voraussetzung der Lage ist, die er ins Auge faßt. Sein Tausendjähriges Reich ist das Tausendjährige Reich, wie es sich eben ein britischer Oberst vorstellt, der gerade aus Indien zurückkommt. Darüber hinaus sieht er bei seiner Vorliebe für die Technik mit ihrer Anhäufung rollender und lärmender Räder nur das gewaltig anwachsende Hin- und Herfluten der Menschen selbst,
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während es ihm fast völlig entgeht, wie Ideen und Sprache hin und her fluten. Offenbar hat er nicht erkannt, daß sich der Einflußbereich des Menschen und in einem gewissen Sinne seine physische Existenz bis zu dem Punkt erstrecken, bis zu dem sein Wort und seine Wahrnehmungsfähigkeit reichen. Die ganze Welt sehen und der ganzen Welt Befehle erteilen, ist fast das gleiche, wie überall zu sein. Trotz all dieser natürlichen Einschränkungen hat Kipling die Schau eines Dichters, und die Dinge, die er vorhergesehen hat, beginnen jetzt in schneller Folge abzurollen. Um die größere Wichtigkeit der Kommunikation gegenüber der materiellen Beförderung zu erkennen, nehmen wir an, daß ein Architekt in Europa die Konstruktion eines Bauwerkes in den Vereinigten Staaten zu überwachen habe. Natürlich ist ein entsprechender Arbeitsstab von Ingenieuren und Verwaltungsangestellten usw. am Bauort Voraussetzung. Unter diesen Bedingungen kann der Architekt, sogar ohne materielle Dinge zu senden oder zu empfangen, an dem Hochwachsen des Baus aktiv teilnehmen. Er zeichnet wie gewöhnlich seine Entwürfe und Einzelheiten. Selbst heutzutage schon ist nicht einzusehen, warum die Arbeitskopien dieser Pläne und Aufstellungen auf demselben Papier nach dem Bauort übermittelt werden müssen, auf das sie im Atelier des Architekten entworfen wurden. Der moderne Ultrafax bietet die Möglichkeit, Faksimile aller zugehörigen Dokumente im Bruchteil einer Sekunde zu übermitteln; die empfangenen Kopien sind genau so gute Arbeitspläne wie die Originale. Der Architekt kann sich durch täglich oder mehrmals täglich gemachte fotografische Berichte, die ihm durch Ultrafax gesandt werden, über das Fortschreiten der Arbeit auf dem laufenden halten. Alle Hinweise oder Richtlinien, die er seinem Stellvertreter mitzuteilen für nötig hält, können durch Telefon, Ultrafax oder Fernschreiber vermittelt werden. Kurzum, die materielle Hinbeförderung des Architekten und seiner Dokumente kann sehr wirksam durch die Übertragung von Nachrichten vollständig ersetzt werden, wobei nicht einmal die Beförderung auch nur eines einzigen Stoffteilchens von einem Ende der Leitung zum anderen nötig ist. Wir haben also zwei Arten von Kommunikation: nämlich Übermittlung von Materie und Übermittlung von Information allein. Zur Zeit kann ein Mensch nur durch materielle Übermittlung und noch nicht als Nachricht von einem Ort zum anderen gelangen. Indessen dient sogar heute schon die Übermittlung von Nachrichten dazu, eine Erweiterung seiner Wahrnehmungs- und Aktionsmöglichkeiten über die ganze
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Welt zu ermöglichen. Ist diese Unterscheidung zwischen materieller Übermittlung und Nachrichtenübermittlung unbedingt ewig und unüberbrückbar? Mit dieser Fragestellung berühren wir grundlegende Probleme der menschlichen Individualität. Die Frage nach dem Wesen der menschlichen Individualität und der Schranke, die eine Person von der anderen trennt, ist so alt wie die Geschichte. Die christliche Religion und ihre Vorgänger im Mittelmeerraum haben den Begriff Person mit dem Begriff Seele verquickt. Das Individuum besitzt eine Seele, sagen die Christen, die ins Dasein getreten ist durch den Akt der Empfängnis, jedoch in alle Ewigkeit weiterbestehen wird, entweder unter den Erlösten oder unter den Verdammten oder in einer der kleinen dazwischenliegenden Stationen des Fegefeuers, die der christliche Glaube annimmt. Die Buddhisten folgen einer Überlieferung, die mit der christlichen darin übereinstimmt, daß sie der Seele ein Fortleben nach dem Tode gibt, aber im Körper eines Tieres oder eines anderen Menschen und nicht in irgendeinem Himmel oder einer Hölle. Es gibt wohl buddhistische Himmel und Höllen, der Aufenthalt des einzelnen in ihnen ist aber im allgemeinen nur vorübergehend. Im allerletzten Himmel der Buddhisten, dem Nirwana, verliert die Seele ihre Individualität und geht ein in die große Weltseele. Diese Ansichten haben sich völlig unbeeinflußt von den Wissenschaften gebildet. Die interessanteste frühe wissenschaftliche Darstellung der Unsterblichkeit der Seele stammt von Leibniz. Leibniz begriff die Seele als zu einer größeren Klasse unsterblicher geistiger Substanzen gehörig, die er M o n a d e n nannte. Diese Monaden verbringen ihr gesamtes Dasein von der Erschaffung an im Zustand gegenseitigen Wahrnehmens, wobei einige mit großer Klarheit und Deutlichkeit wahrnehmen und andere in dunkler und verworrener Art. Dieses Wahrnehmen stellt indessen keine echte Wechselbeziehung zwischen den Monaden dar. Die Monaden „haben keine Fenster“ und sind von Gott bei der Erschaffung der Welt wie Uhren aufgezogen worden, so daß sie durch alle Ewigkeit miteinander in Harmonie bleiben. Sie sind unzerstörbar. Hinter der Monadenlehre von Leibniz stehen einige sehr interessante biologische Überlegungen. Gerade zur Zeit von Leibniz verwandte Leeuwenhoek zum ersten Male das einfache Mikroskop zum Studium winziger Tiere und Pflanzen. Unter den Lebewesen, die er sah, waren auch Spermatozoen. Bei den Säugetieren sind Spermatozoen unendlich viel leichter zu finden und zu sehen
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als Eier. Die menschlichen Eier werden stets eines nach dem anderen ausgestoßen, und unbefruchtete uterine Eier oder sehr frühe Embryos waren bis vor kurzem in Anatomiesammlungen Seltenheiten. Daher waren sehr natürlicherweise die frühen Mikroskopiker versucht, das Spermatozoon als das einzige wichtige Element zur Entwicklung des Jungen zu betrachten und die Möglichkeit des bis dahin noch nicht beobachteten Vorgangs der Befruchtung vollkommen abzuleugnen. Darüber hinaus zeigte ihnen ihre Einbildungskraft im Vordersegment oder Kopf des Spermatozoon einen winzigen mit dem Kopf vorwärts aufgerollten Foetus. Von diesem Foetus nahm man an, daß er in sich selbst Spermatozoen enthielte, die sich wieder in die nächste Generation von Foeten und Erwachsenen entwickeln sollten, und so weiter ad infinitum. Das weibliche Tier war nach ihrer Ansicht nur die Nährmutter des Spermatozoon. Natürlich sind derartige biologische Gedankengänge vom Standpunkt der heutigen Zeit aus einfach falsch. Das Spermatozoon und das Ei sind ungefähr gleichwichtige Faktoren in dem weit wichtigeren Vorgang der Vererbung. Außerdem sind die Keimzellen der zukünftigen Generation in ihnen nur potentia und nicht actu enthalten. Materie ist nicht unbegrenzt teilbar; genauer besehen ist sie sogar nur sehr begrenzt teilbar; und die fortgesetzten Verkleinerungen, die nötig wären, um ein Leeuwenhoeksches Spermatozoon von verhältnismäßig hoher Ordnung zu bilden, brächten uns sehr rasch in Größenordnungen jenseits des Elektrons hinab. Nach der heutigen, der Leibnizschen entgegengesetzten Anschauung hat die Kontinuität eines Individuums einen sehr bestimmten Anfang in der Zeit, aber sie kann durchaus auch einen Endpunkt in der Zeit haben, der nicht mit dem Tod des Individuums zusammenfallen muß. Ist es doch bekannt, daß die erste Zellteilung eines befruchteten Froscheies zu zwei Zellen führt, die unter geeigneten Bedingungen getrennt werden können. Nach dieser Trennung wird jede zu einem vollständigen Frosch auswachsen. Das ist nichts anderes als die normale Erscheinung der Bildung eineiiger Zwillinge, hier in einem Falle, in dem der Embryo anatomisch leicht genug zugänglich ist, um ein Experimentieren zu ermöglichen. Es ist genau das, was bei der Bildung eineiiger menschlicher Zwillinge geschieht, und ist der Normalfall bei einem der Gürteltiere, das bei jeder Geburt einen Satz von eineiigen Vierlingen zur Welt bringt. Darüber hinaus führt diese
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Erscheinung, falls sich die beiden Teile des Embryos unvollständig trennen, zu Doppelmißgeburten. Dieses Problem der Zwillingsbildung mag vielleicht zunächst nicht so wichtig scheinen, wie es ist, weil es nicht Tiere und Menschen betrifft, deren Geist und Seele schon als wohlentwickelt angesehen werden. Hierbei ist nicht einmal das Problem der Doppelmißgeburt, der unvollkommen getrennten Zwillinge, allzu wichtig. Lebensfähige Doppelmißgeburten müssen immer entweder ein einziges Zentralnervensystem oder ein Paar völlig getrennte wohlentwickelte Gehirne haben. Die Schwierigkeit ergibt sich auf einer anderen Ebene: im Problem der gespaltenen Persönlichkeiten. Vor einem Menschenalter veröffentlichte Dr. Morton Prince von Harvard die Krankheitsgeschichte eines Mädchens, in dessen Körper verschiedene mehr oder weniger gut entwickelte Persönlichkeiten aufeinander zu folgen und sogar in einem gewissen Ausmaße gleichzeitig zu existieren schienen. Heutzutage rümpfen die Psychiater die Nase, wenn die Arbeit von Dr. Prince erwähnt wird, und ordnen die Erscheinung der Hysterie zu. Es ist durchaus möglich, daß die Trennung der Persönlichkeiten niemals so vollkommen war, wie Prince manchmal angenommen zu haben scheint, aber immerhin war es eine Trennung. Das Wort Hysterie bezieht sich auf eine von den Ärzten gut beobachtete Erscheinung, die aber so wenig erklärt ist, daß es nur als fragendes Epitheton betrachtet werden kann. Auf jeden Fall ist eines klar: die körperliche Identität eines Individuums beruht nicht auf der Identität der Substanz, aus der es gemacht ist. Mit modernen Methoden der Markierung der am Stoffwechsel teilhabenden Elemente hat man einen sehr viel stärkeren Stoffumbau, als man ihn lange für möglich hielt, festgestellt, nicht nur beim Körper als Ganzem, sondern auch bei jedem seiner einzelnen Teile. Die biologische Individualität eines Organismus scheint in einer gewissen Kontinuität der Umsetzungen und im Erinnerungsvermögen des Organismus an die Tatsachen seiner vergangenen Entwicklung zu bestehen. Das scheint auch für seine geistige Entwicklung zu gelten. Vom Standpunkt der Rechenmaschine aus besteht geistige Individualität in der Speicherung ihrer früheren Programmierungen und Gedächtnisinhalte und in der Fortsetzung ihrer Entwicklung in bereits angelegten Richtungen. Ebenso, wie man mit einer Rechenmaschine andere Rechenmaschinen programmieren kann, und ebenso, wie das zukünftige
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Arbeiten dieser Maschinen parallel verlaufen wird – ausgenommen zukünftige Wechsel in Programmierung und Erfahrung –, wird auch keine innere Unstetigkeit bei einem lebenden Individuum eintreten, das sich in zwei Individuen aufteilt oder gabelt, die die gleiche Vergangenheit miteinander haben, aber mehr und mehr verschieden aufwachsen. Das geschieht bei eineiigen Zwillingen; es gibt aber keinen Grund, warum es nicht auch ohne entsprechende Spaltung des Körpers mit dem, was wir Geist nennen, geschehen könnte. Um nochmals Rechenmaschinensprache zu gebrauchen: auf einer gewissen Stufe kann eine Maschine, die vorher einen geschlossenen Gesamtverband darstellte, in Teilzusammenschlüsse von höherem oder niederem Unabhängigkeitsgrad aufgeteilt werden. Das wäre die beste Erklärung der Fälle von Dr. Morton Prince. Darüber hinaus ist es denkbar, daß zwei große Maschinen, die vorher nicht gekoppelt gewesen waren, so gekoppelt werden können, daß sie von diesem Augenblick an als eine einzige Maschine arbeiten. Genau dies geschieht auf der Ebene der Vereinigung von Keimzellen, allerdings nicht auf einer Ebene, die wir gewöhnlich eine rein geistige nennen würden. Sicherlich besteht geistige Identität, wie sie die Kirche für ihre Auffassung der Individualität der Seele fordern muß, nicht in einem absoluten Sinne, der für sie annehmbar wäre. Um zu wiederholen: die Individualität des Körpers ist eher die einer Flamme als die eines Steines, eher die einer Form als die eines Teilchens Materie. Diese Form kann übermittelt oder abgeändert und verdoppelt werden; allerdings wissen wir heute nur, wie wir sie über eine kurze Entfernung hin verdoppeln. Wenn eine Zelle sich in zwei teilt, oder wenn eines der Gene, das unser körperliches und geistiges Erbe trägt, bei der Vorbereitung zur Reduktionsteilung einer Keimzelle gespalten wird, ist dies eine Trennung von Materie, bedingt von der Kraft eines dem lebenden Gewebe innewohnenden Schemas, sich selber zu verdoppeln. Da dies so ist, gibt es keine fundamentale absolute Grenze zwischen den Übermittlungstypen, die wir gebrauchen können, um ein Telegramm von Land zu Land zu senden und den Übermittlungstypen, die für einen lebenden Organismus wie den Menschen zum mindesten theoretisch möglich sind. Gestehen wir denn, daß die alte Vorstellung der Kinder, daß es ebenso denkbar wäre, mit dem Telegraphen reisen zu können, wie man mit Zug oder Flugzeug reist, nicht schlechthin absurd
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ist, so weit sie auch von der Verwirklichung entfernt sein mag. Die Schwierigkeiten sind natürlich enorm. Es ist möglich, so etwas wie die Anordnung der bedeutsamen Information, die von allen Genen in einer Keimzelle getragen wird, auszuwerten und die Frage nach dem Verhältnis der ererbten zur erworbenen Information eines menschlichen Wesens zu beantworten. Nehmen wir zum Vergleich als kleinsten in Betracht kommenden Informationsbetrag denjenigen in einem kompletten Satz der Encyclopaedia Britannica. Wenn wir z. B. die Anzahl asymmetrischer Kohlenstoffatome17 in allen Molekülen einer Keimzelle mit der Anzahl der für die Verschlüsselung der Encyclopaedia Britannica benötigten Punkte und Striche vergleichen, erkennen wir, daß sie sogar eine noch größere Nachricht darstellen; dies wird noch eindrucksvoller, wenn wir uns vergegenwärtigen, welche Voraussetzungen für die telegraphische Übermittlung solch einer Nachricht erfüllt werden müssen. Jedes analysierende Rastern (scanning) des menschlichen Organismus wird eine alle seine Bausteine erfassende Abtastung sein und so eine mehr oder weniger starke Tendenz haben, auf seinem Wege das Gewebe zu zerstören. Einen Organismus stabil erhalten, während ein Teil von ihm langsam zerstört wird, in der Absicht, ihn aus irgendwelchem Material anderswo wiederherzustellen, schließt eine Herabsetzung seines Aktivitätsgrades ein, die in den meisten Fällen das Leben der Gewebe unmöglich machen wird. Mit anderen Worten: die Tatsache, daß wir das Schema eines Menschen nicht von einem Ort zu einem anderen telegraphieren können, liegt wahrscheinlich an technischen Schwierigkeiten und insbesondere an der Schwierigkeit, einen Organismus während solch einer umfassenden Rekonstruktion am Leben zu erhalten. Sie liegt nicht an der Unmöglichkeit der Idee. Zum Problem der vollständigen Rekonstruktion eines lebenden Organismus ist zu sagen, daß es schwer sein würde, einen viel tiefer greifenden Umund „Wiederaufbau zu finden als den eines Schmetterlings während seiner Puppenperiode. Ich habe diese Dinge dargestellt, nicht weil ich einen wissenschaftlichen Roman utopischen Stils über die Möglichkeit, den Menschen zu telegraphieren, schreiben möchte, sondern um das Verständnis dafür zu erleichtern, daß die grundlegende Idee der 17 Es ist klar, daß die Nachricht n i c h t von den asymmetrischen Kohlenstoffatomen getragen wird, aber sie sind diejenigen kennzeichnenden Merkmale, die man als Träger einer Nachricht auffassen könnte.
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Kommunikation die der Übermittlung von Nachrichten ist, und daß die körperliche Übermittlung von Stoff und Nachrichten nur e i n denkbarer Weg zu jenem Ziele ist. Wir sind auf dem richtigen Wege, wenn wir Kiplings Überlegungen über die Bedeutung des Verkehrs in der modernen Welt wiederaufnehmen in der Sicht eines Verkehrs, der sehr viel weniger die Übertragung menschlicher Körper als die Übertragung menschlicher Informationen darstellt.
VII. Recht und Kommunikation Das Recht kann definiert werden als die ethische Seite der Kommunikation und der Sprache als einer Form der Kommunikation, und zwar besonders, wenn diese normative Seite von einer Stelle gelenkt wird, die sicher genug in sich ruht, um ihren Entscheidungen eine gesellschaftliche Rechtfertigung zu geben. Es ist die Kunst, die „Kupplungen“, die das Verhalten verschiedener Individuen verbinden, so aneinander anzupassen, daß das erreicht werden kann, was wir Gerechtigkeit nennen, und daß Meinungsverschiedenheiten vermieden oder zum mindesten einer Lösung zugeführt werden können. Daher umfassen Theorie und Praxis des Rechts zwei Problemkreise, denjenigen seines allgemeinen Zweckes, seines Gerechtigkeitsbegriffes, und denjenigen der Verfahrensweise, durch die dieser Gerechtigkeitsbegriff wirksam gemacht wird. Die Erfahrung zeigt, daß die jeweils verfochtenen Gerechtigkeitsbegriffe so unterschiedlich wie die Religionen der Welt oder die durch die Anthropologen festgestellten Kulturkreise sind. Ich zweifle, ob man sie durch eine höhere Rechtfertigung als durch unser Sittengesetz selbst, das ja nur eine andere Bezeichnung für unseren Gerechtigkeitsbegriff ist, zu verteidigen und zu festigen vermag. Durchdrungen von einem freiheitlichen Geist, der seine Hauptwurzeln in der europäisch-amerikanischen Kulturtradition hat, sich jedoch auch auf die östlichen Länder mit starker geistigsittlicher Tradition ausgedehnt und viel von ihnen übernommen hat, kann ich nur feststellen, was ich selbst und meine Umgebung für das Bestehen der Gerechtigkeit als notwendig erachten. Es wird am besten ausgedrückt durch die Forderungen der französischen Revolution: liberté, egalité, fraternité, die im einzelnen besagen: die Freiheit des Einzelmenschen, sich unabhängig seinen natürlichen Anlagen gemäß zu entwickeln, die Gleichheit, derzufolge das, was für A und B recht und billig ist, dies auch bleibt, wenn A und B miteinander vertauscht werden, und der gute Wille unter den Menschen, der keine Grenzen außer denen der Humanität kennt. Diese erhabenen Grundsätze der Gerechtigkeit bedeuten und verlangen,
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daß es niemandem möglich sein sollte, unter Ausnutzung seiner Stellung einen anderen mit Gewalt zu übervorteilen. Der Zwang, auf den Gesellschaft und Staat sich stützen müssen, sollte stets so ausgeübt werden, daß er keine unnötige Freiheitsbeeinträchtigung hervorruft. Selbst die größte menschliche Anständigkeit und Toleranz in der allgemeinen Rechtsauffassung wird nicht von selbst klare und brauchbare Gesetze hervorbringen. Außer den allgemeinen Rechtsprinzipien muß das Recht so klar und reproduzierbar sein, daß der einzelne Bürger seine Rechte und Pflichten im voraus abschätzen kann, auch dort, wo sie mit denen anderer in Konflikt zu kommen scheinen. Er muß mit weitgehender Sicherheit feststellen können, welche Ansicht ein Richter oder die Geschworenen von seinem Fall haben werden. Wenn er dies nicht vermag, kann er bei allen guten Absichten, in denen die Gesetze erlassen werden, sein Leben nicht ohne Rechtsstreitigkeiten und Verwirrung führen. Betrachten wir das Gesagte vom einfachsten Standpunkt aus, dem des Vertrages. Hierbei übernimmt A die Verpflichtung einer gewissen Dienstleistung, die für B vorteilhaft sein wird, während seinerseits B die Verpflichtung übernimmt, einen Dienst auszuführen oder eine Bezahlung zu leisten, die für A vorteilhaft ist. Wenn Leistung und Bezahlung auf beiden Seiten klar sind und wenn nicht eine der Parteien vertragsfremde Methoden einführt, um ihren Willen der anderen Partei aufzuzwingen, dann kann die Entscheidung, ob der Handel recht und billig ist, getrost dem Urteil der zwei vertragschließenden Parteien überlassen bleiben. Wenn er offensichtlich unbillig ist, muß zum mindesten eine der vertragschließenden Parteien in der Lage sein, vom Vertrag gänzlich zurückzutreten. Es kann jedoch nicht erwartet werden, daß sie ihre Geschäfte in gerechter Weise untereinander in Ordnung bringen, wenn die angewandten Begriffe keine festgelegte Bedeutung haben oder wenn die Bedeutung von einem Gericht zum anderen wechselt. Daher ist es die erste Pflicht des Gesetzes, dafür zu sorgen, daß die dem einzelnen in einer bestimmten Lage gegebenen Rechte und Pflichten unzweideutig sind. Darüber hinaus sollte es eine Körperschaft für die Gesetzesauslegung geben, die soweit wie möglich vom Willen und der Auslegung der einzelnen befragten Behörden unabhängig ist. Reproduzierbarkeit geht vor Billigkeit, denn ohne sie gibt es keine Billigkeit. Von hier aus wird es klar, warum der Präzedenzfall in den meisten Rechtssystemen ein sehr bedeutendes theoretisches und
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in allen Rechtssystemen ein bedeutendes praktisches Gewicht hat. Der Inhalt einiger Rechtssysteme ist auf gewisse abstrakte Rechtsprinzipien aufgebaut. Das römische Recht und seine Abkömmlinge, die ja den größeren Teil des Rechts des europäischen Kontinents ausmachen, gehören zu dieser Klasse. Es gibt andere Systeme, wie das des englischen Rechts, in denen unzweideutig festgelegt ist, daß der Präzedenzfall die Hauptgrundlage des Rechtsdenkens ist. In jedem Falle hat kein neuer Rechtsbegriff einen bestimmten Sinn, solange er und seine Begrenzungen nicht in der Praxis festgelegt worden sind, und das ist Sache des Präzedenzfalles. Von einer Entscheidung abzuweichen, die in einem schon bestehenden Falle gefällt worden ist, bedeutet die Einheit der Auslegung der Gesetzessprache anzugreifen und ist ipso facto ein Grund für Unbestimmtheit und für sehr wahrscheinlich daraus folgende Ungerechtigkeit. Jeder entschiedene Fall sollte die Festlegung der darin vorkommenden juristischen Begriffe in einer Art vorantreiben, die den Zusammenhang mit früheren Entscheidungen wahrt, und sollte organisch zu neuen weiterführen. Jedes Stück der Fachsprache sollte an den Gewohnheitsrechten des Ortes und des menschlichen Wirkungsfeldes geprüft werden, auf die es sich bezieht. Die Richter als diejenigen, denen die Aufgabe der Rechtsauslegung anvertraut ist, sollten ihre Aufgabe in dem Geiste ausüben, daß bei einem Wechsel zwischen Richter A und Richter B kein wesentlicher Wechsel in der gerichtlichen Auslegung von Gewohnheitsrecht und Gesetzesrecht zu erwarten ist. Das wird natürlicherweise bis zu einem gewissen Grad mehr ein Ideal als ein erreichtes Ziel bleiben; doch wofern wir uns nicht bemühen, uns diesem Ideal zu nähern, beschwören wir chaotische Zustände herauf und, was noch schlimmer ist, ein Niemandsland, in dem unehrenhafte Menschen von der Unsicherheit bei der möglichen Auslegung der Paragraphen profitieren. All das tritt klar zutage bei Verträgen. Aber es erstreckt sich ziemlich weit auf andere Zweige des Rechts und insbesondere des Bürgerlichen Rechts. Ein Beispiel dafür: A beschädigt auf Grund der Nachlässigkeit eines Angestellten B einen Gegenstand, der C gehört. Wer hat für den Verlust aufzukommen und inwieweit? Wenn diese Streitfragen jedem im voraus gleicherweise bekannt sind, ist es demjenigen, der normalerweise das größte Risiko trägt, möglich, für seine Unternehmungen einen höheren Preis anzusetzen und sich so zu sichern. So kann er seinen Nachteil in beträchtlichem Maße ausgleichen. Die Hauptwirkung liegt darin,
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den Verlust auf die Allgemeinheit umzulegen, so daß niemand durch seinen Anteil daran schwer betroffen wird. So neigt das Rechtssystem der unerlaubten Handlung dazu, etwas vom Wesen des Vertragsrechts anzunehmen. Jede rechtliche Verpflichtung, die außerordentliche Verlustmöglichkeiten mit sich bringt, wird im allgemeinen den sich dem Verlust Aussetzenden veranlassen, sein Risiko in Form eines erhöhten Preises für seine Waren und Leistungen auf die Gemeinschaft im ganzen umzulegen. Hier, ebenso wie im Falle der Verträge und vor allem bei der Verteilung der Verantwortlichkeiten, sind Unzweideutigkeit, Präzedenz und eine gute klare Auslegungstradition mehr wert als theoretische Gerechtigkeitsanforderungen. Natürlich gibt es Ausnahmen für diese Behauptungen. Das alte Schuldturm-Gesetz beispielsweise war insofern unbillig, als es den Schuldner ausgerechnet in die Lage brachte, in der es ihm am wenigsten möglich war, die Mittel zum Bezahlen zu erwerben. Es gibt heutzutage viele Gesetze, die unbillig sind, weil sie z. B. auf Seiten einer Partei eine Freiheit der Wahl voraussetzen, die unter den bestehenden sozialen Umständen nicht vorhanden ist. Wenn wir unsere Auffassung von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit verwirklichen wollen, dann müssen wir der Forderung, daß gesetzliche Verpflichtung unzweideutig sein sollte, die weitere Forderung zufügen, daß die eine Rechtspartei nicht einem Druck ausgesetzt ist, dem die andere nicht unterworfen ist. Die Geschichte unseres Verhaltens gegenüber den Indianern ist voll von Beispielen in dieser Hinsicht, sowohl für die Gefahren des einseitigen Drucks wie für die der Doppeldeutigkeit des Rechts. Von den frühesten Kolonialzeiten an hatten die Indianer weder die Bevölkerungsmenge noch die Waffengleichheit, um dem Weißen auf gleicher Basis zu begegnen, besonders als die sogenannten Landverträge zwischen Weißen und Indianern verhandelt wurden. Neben diesen groben Ungerechtigkeiten gab es noch eine semantische Ungerechtigkeit, die vielleicht noch größer war. Die Indianer hatten als Volk von Jägern keinen Begriff von Land als persönlichem Besitz. Der Begriff des Landbesitzes als eines übertragbaren Eigentums war ihnen fremd. Sie hatten wohl den Begriff von Jagdrechten über bestimmte Gebiete. Das, was sie in ihren Verträgen mit den Siedlern festzulegen wünschten, waren Jagdrechte und im allgemeinen nur gemeinschaftliche Jagdrechte über gewisse Gebiete. Die Weißen andererseits glaubten – wenn wir heute ihrem Verhalten eine möglichst günstige Auslegung geben wollen –, daß
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die Indianer ihnen Rechtstitel auf persönliches Eigentum gewähren wollten. Nicht einmal ein Schein von Gerechtigkeit war unter diesen Umständen möglich. Am wenigsten befriedigend ist heute die Gesetzgebung der westlichen Länder auf dem Gebiete des Strafrechts. Das Recht scheint die Strafe auf ganz verschiedene Weise zu betrachten: einmal als Drohung, um andere kriminell Veranlagte abzuschrecken, ein anderes Mal als rituellen Akt der Buße auf Seiten der Schuldigen oder aber als Mittel, den Verbrecher von der Gesellschaft zu entfernen und diese vor der Gefahr wiederholten Mißverhaltens zu schützen, und schließlich als Mittel zur sozialen und moralischen Besserung des einzelnen. Das sind vier verschiedene Aufgaben, die durch vier verschiedene Methoden erreicht werden sollen; und wenn wir kein exaktes Verfahren haben, sie im rechten Verhältnis anzuwenden, wird unser ganzes Verhalten dem Rechtsbrecher gegenüber ad absurdum geführt werden. Heute bedient sich das Strafgesetz einmal der einen Sprache, einmal der anderen. Solange wir uns in der Gemeinschaft nicht entschieden haben, ob das, was wir wirklich wollen, Sühne ist oder Absonderung oder Besserung oder die Abschreckung kriminell Veranlagter, werden wir nichts von alledem erreichen, sondern nur einen Wirrwarr, in dem Verbrechen weiteres Verbrechen zeugt. Jedes Gesetzbuch, das sich aufbaut zu einem Viertel auf der britischen Vorliebe des 18. Jahrhunderts für das Hängen, zu einem Viertel auf der Fernhaltung des Verbrechers von der Gesellschaft, zu einem Viertel auf einer lauwarmen Besserungstheorie und zu einem Viertel auf dem Versuch, mit einer toten Krähe die anderen verscheuchen zu wollen, führt uns zu gar nichts. Anders ausgedrückt: die erste Pflicht des Rechts, was auch immer die zweite und dritte sein mögen, ist zu wissen, was es will. Die erste Pflicht des Gesetzgebers oder des Richters ist, klare unzweideutige Feststellungen zu treffen, die nicht nur der Fachmann, sondern der einfache Mann unserer Tage auf eine und nur eine Weise auslegen kann. Die Verfahrensweise bei der Auslegung früherer Urteile muß so sein, daß ein Rechtsanwalt nicht nur wissen sollte, was ein Gerichtshof gesagt hat, sondern sogar mit hoher Wahrscheinlichkeit, was der Gerichtshof sagen wird. Die Rechtsprobleme sind kommunikativ und kybernetisch, d. h. sie sind die Probleme der geordneten und wiederholbaren Regelung gewisser kritischer Situationen. Es gibt weite Rechtsgebiete, auf denen keine befriedigende
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griffliche Übereinstimmung vorhanden ist zwischen dem, was das Gesetz zu sagen beabsichtigt, und dem tatsächlichen Fall, mit dem es sich beschäftigt. Immer dann, wenn solch eine theoretische Übereinstimmung nicht besteht, sehen wir uns der gleichen Art von Niemandsland gegenüber wie bei der Betrachtung zweier Währungssysteme ohne festgelegte Paritätsgrundlage. In der Zone des Nichtübereinstimmens zweier Gerichtshöfe oder zweier Währungen gibt es immer einen Unterschlupf für den unehrenhaften Mittelsmann, der finanziell wie moralisch Entlohnung nur in dem für ihn günstigen System annehmen wird und sie nur in dem System geben wird, in dem er am wenigsten opfert. Diese Stellung als unredlicher Makler in den Lücken des Gesetzes birgt für den Verbrecher der modernen Gemeinschaft die denkbar größten Gelegenheiten. Unser Patentrecht baut sich auf einer Verkennung des Begriffs der Erfindung auf. In diesem Kapitel will ich mich darauf beschränken, die rechtlichen Auswirkungen dieser Verkennung und den Weg, auf dem es zu Verwirrung und Unrecht geführt hat, zu besprechen. Im nächsten Kapitel werde ich die innere Natur dieser Verwirrung aufgreifen, indem ich zeige, wie sie mit einem grundlegenden, das Wesen der Kommunikation selbst betreffenden Irrtum verknüpft ist. Für den Augenblick genügt es indessen, die Schwierigkeiten kurz darzulegen. Das Urheberrecht ist besonders voll von wirklichkeitsfremden gesetzlichen Voraussetzungen, in deren Lücken die kleine lichtscheue Fauna der Gerichtshöfe Unterschlupf finden kann. Zunächst einmal basiert es schon auf einem Mißverständnis. Es setzt eine Theorie des Erfindens voraus, die in den alten Tagen der kleinen Werkstatt und des erfinderischen Handwerkers einen vernünftigen Sinn gehabt haben mag, die aber einen heute immer weniger gebräuchlichen Vorgang darstellt. In den Anfängen der Ingenieurwissenschaft war jede neue Erfindung in hohem Maße eine Sache des Suchens neuer Kombinationen und verlangte intuitive Begabung, aber kein besonderes Verständnis. Solcherart waren die frühen Erfindungen von Edison und anderen hinsichtlich verschiedener Formen der Vielfachtelegraphie. Sie hatten keine besonderen Beziehungen zu anderen Arbeiten, und man entfernt sich nicht sehr weit von den Tatsachen, wenn man jede von ihnen als die Entwicklung und das geistige Eigentum eines einzigen Mannes betrachtet. Als indessen die verschiedenen Gebiete der Wissenschaft gründlicher und besser
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erforscht wurden, begannen Gefüge und Umrisse der einzelnen Wissensgebiete in größerer Klarheit zum Vorschein zu kommen. Das Problem, einen Stromkreis für einen bestimmten Zweck zu entwerfen, ist z. B. heutzutage inzwischen in das Problem des Entwerfens aller Stromkreise für jeden Zweck eingegangen. In diesem Stadium wird wohl der nächste Schritt der sein, daß ein gesamtes Gebiet gleichzeitig aufgehellt wird. In der Sprache des Patentamtes ist ein Entwicklungsschritt dieser Art aber nicht eine Erfindung, die die frühere Gruppe von Erfindungen erweitert, sondern die Entdeckung eines Naturgesetzes. Als solches ist sie ihrem Wesen nach nicht patentfähig, obwohl ein genügend geschickter Patentanwalt sie auf ein Prokrustesbett spannen und sie bis zur Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Patentamtes verstümmeln oder dehnen kann. Mit anderen Worten: eine Erfindung ist nur dann eine Erfindung, wenn sie sich auf eine nicht zu vollkommene Kenntnis ihres Gegenstandes gründet. Man stelle einen Stromkreis durch ein Probierverfahren her, und wenn er nur einige erkennbare Merkmale hat, die ihn von bestehenden Kreisen unterscheiden, ist er eine gute Erfindung. Man stelle durch kluge Benutzung statistischer Prinzipien und der Variationsrechnung den bestmöglichen Stromkreis her, und man hat nur eine neue Anwendung einer älteren Kunst, die selber kaum eine Erfindungskunst ist. Daß sich der Vorgang des Erfindens gewandelt hat, ist nicht nur eine Theorie, die in den Büchern steht. Unsere großen Firmen sind in den letzten paar Jahren gezwungen worden, ihre alte Patentpolitik völlig umzustellen. Vor dem letzten Kriege ging eine große Firma gewöhnlich darauf aus, einen Ringwall von unbenutzten Patenten aufrechtzuerhalten, um die Tätigkeit mächtiger Konkurrenten einzuschränken und schwächere daran zu hindern, überhaupt zum Start zu kommen. Heute beschränken die Gesellschaften – vor allem wegen der Kartellisierungstendenzen im Kriege, aber mehr noch wegen des sehr großen Widerstandes des Obersten Gerichtshofes, in Patenten einen Akt echten Erfindens zu sehen – ihre Anstrengungen mehr auf die Sicherung der Freiheit ihrer eigenen zukünftigen Arbeit als auf die Lizenzgebühreneintreibung bei der Konkurrenz. Wir haben schon gesagt, daß das Unrecht immer ein Schlupfloch findet, wenn Gesetzestheorie und tatsächliche Gegebenheiten des Falles ernstlich auseinanderklaffen. Der sehr scharfe Gegensatz zwischen der Theorie des Erfindens und der Praxis dessen,
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was modernes Erfinden wirklich ist, hat zu der üblichen Region von Gesetzlosigkeit innerhalb des Rechtes geführt. Zunächst ist die Aussicht, daß ein Patent vor dem Obersten Gerichtshof aufrechterhalten werden kann, so gering geworden, daß ein Patent der Vereinigten Staaten nicht eine Bescheinigung des Besitzrechtes auf irgendeine Erfindung ist, sondern nur ein Fahrschein für einen Rechtsstreit. Es ist wohl bekannt, daß ein starkes Patent in schwachen Händen stets weniger wirkungsvoll ist, als ein schwaches Patent in starken Händen. Ein Rechtsanwalt, der einen Prozeß befürwortet oder seinem Klienten empfiehlt, nach einem bestimmten Verfahren vorzugehen, obgleich er weiß, daß die einzige Sicherung dieses Verfahrensweges die Ausgaben sind, die dem Gegner bei Verteidigung seiner Rechtsposition entstehen, macht sich auf den meisten Rechtsgebieten eines schweren Verstoßes schuldig, der oft genügt, den Entzug seiner Anwaltsberechtigung zu veranlassen. Auf dem Gebiete des Patentrechts aber wird dieses Verhalten ihn reich und angesehen machen. Das moralische Niveau des Patentrechtes erweist sich nicht nur in diesem Punkte als sichtlich niedriger als das anderer Rechtsgebiete. Überall in der Rechtspflege ist die Rolle des sachverständigen Zeugen unbefriedigend, ja sogar unwürdig. Aber auf keinem Gebiet ist der Mißbrauch des Gutachters so üblich und beinahe universell wie in der Patentpraxis. Es liegt sehr im Interesse der Ehrlichkeit und guter gesetzgeberischer Praxis, daß die Rolle des Advokaten und des Gutachters scharf getrennt werden. Der Gutachter unterliegt, abgesehen von seinen beruflichen Befähigungen, derselben rechtlichen und moralischen Verantwortung wie jeder gewöhnliche Zeuge, wird aber von der einen oder anderen Seite wie ein Advokat in Dienst genommen. Schon wenn er auf einem Gebiete aussagt, auf dem hinsichtlich der Haupttatsachen allgemeine Übereinstimmung besteht und in dem die Gesetzesbegriffe eine einigermaßen entsprechende Beschreibung der wirklichen Sachlage bilden, ist es schwer genug, diese zwei Funktionen zu vereinen. In dem Augenblick, in dem irgendeine Diskrepanz zwischen der Gesetzestheorie und dem konkreten Tatbestand des Falles besteht, liegt das Ermessen, das der Gutachter aufzubringen hat, zwischen so weiten Grenzen, daß dabei immer ein Weg für ihn offen ist, sein Gewissen mit jedem für die Interessen seines Auftraggebers anzufertigenden Bericht in Übereinstimmung zu bringen. Diese Lage ermöglicht nicht nur den Mißbrauch, sie fordert ihn geradezu heraus.
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Wenn der Gutachter eine nicht mit den Interessen seines Auftraggebers übereinstimmende Meinung zum Ausdruck bringt, wird er ein sehr einträgliches Geschäft verlieren. Daß er der Versuchung widerstehen sollte, im Interesse der ihn bezahlenden Partei seine Aussagen zu färben, hieße von seiner menschlichen Anständigkeit zuviel verlangen; praktisch ist es unmöglich zu beweisen, daß jenes Zeugnis nicht die ehrliche Meinung des Zeugen ist und auf unrechtmäßigen Grundlagen beruht. So ergibt sich, daß in Patentverfahren ein großer Teil der Gutachten, vielleicht der überwiegende Teil, mehr im Geiste eines Eideshelfers18 als in dem eines Gutachters geleistet wird. Welche Vorschläge sollen wir machen, um die Lage zu verbessern? Es kommen zum mindesten zwei in Betracht, die bereits von Zeit zu Zeit gemacht worden sind, aber beide nicht der durchschnittlichen Patentpraxis entsprechen. Zunächst sollte auf derselben Bank mit dem Richter ein Beisitzer mit mehr technischer als juristischer Ausbildung sitzen, um dem Richter in den Punkten beizustehen, in denen die übliche juristische Ausbildung nicht ausreicht. Außerdem sollten Gutachter durch den Richter und nicht durch die Prozeßparteien herangezogen und entweder vom Gerichtshofe oder aus Geldern, die zu gleichen Teilen von beiden prozeßführenden Parteien stammen, bezahlt werden. Diese Zeugen wären aus einer Geschworenenliste zu wählen, zu der beide Prozeßführende Zugang hätten, aber in jedem Falle hätten sie als amici curiae, als Freunde des Gerichtshofes, und nicht ex parte zu sprechen. Solange der Gerichtshof ein Miniaturschlachtfeld zwischen bezahlten Sachverständigen bleibt, wird das Patentrecht in schlechtem Geruch stehen und das auch verdienen. Ich habe den gegen dieses Verfahren erhobenen Einwand gehört, daß die Geschworenenliste offizieller Gerichtssachverständiger natürlich aus den konservativsten Naturwissenschaftlern und Ingenieuren aufgestellt würde. Hier liegt eine tatsächliche Schwierigkeit. Aber es scheint mir mehr eine verwaltungsmäßige als eine grundsätzliche Schwierigkeit zu sein. Bis zu einem gewis18 Im Mittelalter wurde es Brauch, in Fällen, in denen in einer Sache die direkte Zeugenschaft erreichbar war, und sogar dort, wo das nicht möglich war, zugunsten desjenigen Mannes zu entscheiden, der bei Gericht die größte Anzahl Menschen beibringen konnte, welche zu schwören bereit waren, daß er recht hatte, gleichviel ob sie direkte Kenntnis von der Angelegenheit hatten oder nicht. Diese Praxis der Eideshelferschaft läßt sich kaum unterscheiden von dem heute üblichen Vorgehen in Patentfällen.
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sen Ausmaße wäre die beste Politik die, den interessierten Parteien zu erlauben, zusätzliche Sachverständige zu benennen, die aber einen neutralen Standpunkt haben und ihre Entschädigung zu Lasten des Verfahrens erhalten. Welches auch immer das schließlich gewählte Verfahren sein möge, sein ordentliches Arbeiten hängt natürlich vom guten Willen aller Beteiligten ab. Kein lediglich formaler Wechsel in den jetzigen Einrichtungen wird Erfolg haben, wenn er nicht ernsthaft und in gutem Glauben vollzogen wird. Ich möchte hier nicht näher eingehen auf das größere Problem der Beziehung zwischen den Beweisermittlungsverfahren und der wissenschaftlichen Methode, Information zu sammeln. Da es in den Beweisregeln viele Teile gibt, die eine rationale Grundlage haben, besteht ihr allgemeiner Eindruck auf naturwissenschaftlich gebildete Laien darin, daß sich gesetzliche Beweisregeln und wissenschaftliche Information nicht nur weitgehend ähneln, sondern geradezu übereinstimmen.
VIII. Kommunikation und Geheimhaltung in der modernen Welt Die verflossenen Jahre waren gekennzeichnet durch zwei Entwicklungen, die einander entgegengesetzt waren und sich sogar widersprachen. Einerseits besitzen wir innerstaatlich und zwischenstaatlich ein Kommunikationssystem von einer bisher in der Geschichte nie dagewesenen Vollständigkeit: in kurzen und regelmäßigen Abständen versorgen die Nachrichtenagenturen unsere öffentliche Presse, die wissenschaftlichen Zeitschriften und das wissenschaftliche Berichtswesen unsere Spezialisten mit einem Querschnitt durch die Neuigkeiten der Welt. Andererseits nähern wir uns unter dem Antrieb der Dies-, Rankin- und Mundt-Ausschüsse unseres Kongresses, der militärischen Geheimhaltungsmaßnahmen und der kürzlichen Enthüllungen über gewisse Laxheiten im State Department einer geistigen Einstellung, zu der wir eine geschichtliche Parallele nur im Venedig der Renaissance finden. Die außerordentlich genauen Gesandtenberichte der Venezianer (die eine unserer Hauptquellen der europäischen Geschichte bilden) waren von einer nationalen Geheimhaltungssucht begleitet, die sich zu einem derartigen Ausmaße steigerte, daß der Staat insgeheim die Ermordung von auswandernden Handwerkern anordnete, um so in gewissen ausgewählten Künsten und Handwerken sein Monopol aufrechtzuerhalten. Das moderne Spiel von Räuber und Gendarm, das die Verhältnisse sowohl in Rußland als auch in den Vereinigten Staaten, den beiden rivalisierenden Weltmächten dieses Jahrhunderts, zu charakterisieren scheint, ist also nur eine erweiterte Neuauflage des alten italienischen Mantel- und Dolch-Melodramas. Das Italien der Renaissance war auch die Wiege der modernen Naturwissenschaften. Aber die Wissenschaft der heutigen Zeit ist nicht die der italienischen Renaissance. So sollte es möglich sein, alle Elemente der Nachrichtengebung und Geheimhaltung in der
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modernen Welt mit etwas größerer Reife und Objektivität zu untersuchen, als sie dem Denken der Zeit Machiavellis eigen war. Dies gilt besonders im Hinblick auf die Tatsache, daß die Kommunikationsforschung heute einen Grad von Unabhängigkeit erreicht hat, der sie zu einer eigenen Wissenschaft werden läßt. Was hat die moderne Naturwissenschaft bezüglich des Zustands und der Wirksamkeit von Kommunikation und Geheimhaltung auszusagen? Wiederholen wir unsere allgemeine Ansicht über Information. Ein Lebewesen wie der Mensch ist in eine Umwelt eingebettet, die es durch seine Sinnesorgane wahrnimmt. Diese Information wird durch sein Gehirn und Nervensystem koordiniert, dem zugehörigen Prozeß von Speicherung, Vergleichung und Auswahl unterworfen und kommt dann über die Effektororgane, gewöhnlich Muskeln, wieder zum Vorschein. Diese wirken ihrerseits auf die äußere Welt und auch wieder – über Rezeptoren, wie die kinästhetischen Organe – zurück auf das Zentralnervensystem; dort wird die durch die kinästhetischen Organe empfangene Information mit dem bereits aufgesammelten Informationsvorrat verknüpft und beeinflußt so künftiges Handeln. Information ist also ein Name für den Inhalt dessen, was mit der äußeren Welt ausgetauscht wird, wenn wir uns ihr anpassen und sie dies spüren lassen. Der Vorgang des Empfangens und Gebrauchens von Information ist der Vorgang unserer Anpassung an die Außenwelt und unseres tätigen Lebens in dieser. Die Notwendigkeiten des modernen Lebens stellen in ihrer Vielfalt größere Anforderungen an diesen Informationsvorgang als je zuvor, und unsere Presse, unsere Museen, unsere Forschungslaboratorien und Universitäten, unsere Bibliotheken und Lehrbücher sind entwickelt worden, um den Notwendigkeiten dieses Vorgangs zu entsprechen. Tätig leben heißt mit angemessener Information leben. Ich schreibe dieses Buch in erster Linie für Amerikaner in amerikanischer Umwelt. In dieser Umwelt werden Informationsfragen entsprechend dem dort herrschenden Bewertungskriterium eingeschätzt: Ein Ding wird als Ware danach gewertet, was es auf dem freien Markte einbringt. Dies ist das offizielle Dogma einer Glaubenslehre, der zu widerstehen für einen Bürger der Vereinigten Staaten immer schwieriger wird. Es lohnt sich vielleicht, aufzuzeigen, daß es nicht eine allgemeingültige Grundlage menschlicher Werte darstellt: daß es weder mit der Lehre der Kirche übereinstimmt, die das Heil der menschlichen Seele sucht, noch mit der
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des Marxismus, die eine Gesellschaft wertet nach ihren Anschauungen über die Idee menschlichen Wohlergehens. In der typisch amerikanischen Welt ist es das Schicksal der Information, zu einer mit einem Preis versehenen Ware zu werden, die gekauft oder verkauft werden kann. Es ist nicht meine Aufgabe, herauszutüfteln, ob diese merkantile Haltung moralisch oder unmoralisch, klug oder unklug ist. Ich habe nur darzulegen, daß sie zu Mißverstehen und Mißbrauch von Information und den damit verknüpften Begriffen führt. Ich werde das in verschiedenen Gebieten aufzeigen, zunächst in dem des Patentrechts. Hierbei werde ich einige der Ideen und Bemerkungen des letzten Kapitels weiterverfolgen und -entwickeln. Die Patenturkunden, die einem Erfinder ein begrenztes Monopol über den Gegenstand seiner Erfindung gewähren, sind das, was die Verleihungsurkunde für eine Gesellschaft ist. Dahinter steht eine gewisse stillschweigend darin einbegriffene Auffassung von geistigem Eigentum und den hierauf gerichteten Rechten. Diese Auffassung nähert sich weitgehend den Zuständen im Zeitalter der Werkstatterfindungen fähiger Handwerker. Sie gibt aber nicht ein auch nur halbwegs zutreffendes Bild der Erfindungen der Gegenwart. Sie setzt voraus, daß ein Handwerker auf Grund der sogenannten mechanischen Begabung durch Hin- und Herprobieren, Basteln und Tüfteln von der Kunstfertigkeit seiner Zeit zu einer höheren Stufe fortgeschritten ist, die sich in einem besonderen Gerät verkörpert. Das Gesetz unterscheidet die Begabung, die zu dessen Entwicklung nötig ist, von der anderen Art Begabung, die man zur Erforschung wissenschaftlicher Tatsachen über die Welt braucht. Diese zweite Begabungsrichtung wird als Entdeckung eines Naturgesetzes etikettiert, und in den Vereinigten Staaten spricht das Gesetzbuch – ebenso wie in vielen anderen Ländern mit ähnlichen industriellen Gepflogenheiten – dem Entdecker jedes Eigentumsrecht auf ein von ihm entdecktes Naturgesetz ab. Ich werde zeigen, daß diese Unterscheidung recht praktisch ist, wenn Werkstatterfinder und Wissenschaftler von vollkommen verschiedenen Voraussetzungen und Überlieferungen herkommen. Daniel Doyce aus Dickens’ „Klein Dorrit“ kann sicher nicht verwechselt werden mit den Mitgliedern der Mudfog Association, die Dickens anderswo behandelt. Den ersten verherrlicht Dickens als den Handwerker mit dem gesunden Menschenverstand, mit dem breiten Daumen des Handarbeiters und der Redlichkeit des
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Menschen, der immer den Tatsachen ins Auge sieht, während die Mudfog Association weiter nichts als ein herabsetzender Name für die British Association for the Advancement of Science während ihrer ersten Jahre ist. Dickens schmäht diese in einer Sprache, die Swift für die Beschreibung der Projektemacher von Laputa nicht unangemessen gefunden haben würde, als eine Vereinigung nutzloser Träumer, die Wahnbildern nachjagen. Nun besteht ein modernes Forschungsinstitut wie das der Bell Telephone Company, obwohl es den Kontakt mit der Praxis, der einem Doyce entspräche, durchaus aufrechterhält, im Grunde genommen aus den geistigen Ururenkeln der Mudfog Association. Wenn wir Faraday als typisches Mitglied der frühen British Association for the Advancement of Science nehmen, ist die Kette bis zu den Forschern der Bell-Telephon-Laboratorien der Gegenwart über Maxwell und Heaviside zu Campbell und Shannon geschlossen. In der Frühzeit des modernen Erfindens war die Wissenschaft dem Arbeiter weit voraus. Die Höhe des technischen Könnens war damals die des Schmiedes. Ein Kolben wurde als in einen Dampfzylinder passend angesehen, wenn, wie bei Watt, ein dünnes Sixpencestück gerade zwischen beiden durchgeschoben werden konnte. Stahl war ein Handwerkserzeugnis für Schwerter und Panzer, Eisen war das zähe, schlackendurchsetzte Produkt des Puddlers. In den Vereinigten Staaten verkörpert Edison genau den Übergang zwischen den Doyces und den Männern der Mudfog Association. Er hatte selber sehr viel von einem Doyce, und noch mehr wünschte er, als einer zu erscheinen. Nichtsdestoweniger wählte er viele seiner Mitarbeiter aus dem Mudfog-Lager. Seine größte Erfindung war das industrielle Forschungslaboratorium, welches Erfindungen gewerbsmäßig hervorbringt. Die General Electric Company, die Firma Westinghouse und die Bell-Telephon-Laboratorien treten in seine Fußtapfen, indem sie hundert Wissenschaftler dort ansetzen, wo Edison zehn hatte. Erfinden bedeutet heute nicht mehr den technischen Instinkt des Handwerkers, sondern das Ergebnis sorgfältigen systematischen Suchens einer Gruppe fachkundiger Wissenschaftler. Angesichts der allgemeinen geistigen Struktur der neuen Erfindungen beginnt heute die Erfindung ihre Identität als Ware zu verlieren. Was macht ein Ding zu einer guten Handelsware? Im wesentlichen, daß es von Hand zu Hand wandern kann, ohne seinen
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substantiellen Wert zu verlieren, und daß die Stücke dieser Ware in derselben Weise additiv zusammengesetzt werden können wie das für sie bezahlte Geld. Dieses Gesetz der Unveränderlichkeit ist eine Eigenschaft, die jede gute Ware haben sollte. Beispielsweise kommt ein Betrag elektrischer Energie bis auf winzige Verluste am anderen Ende einer Leitung als derselbe Betrag von Energie heraus, und eine praktische Lösung des Problems, für ihn einen gerechten Preis in Kilowattstunden festzusetzen, ist nicht allzu schwierig. Die Lage ist fast die gleiche wie beim Gesetz von der Erhaltung der Materie, und unsere üblichen Wertmesser sind Mengen von Gold, das einen besonders stabilen Stoff darstellt. Kraft und Stoff waren im 19. Jahrhundert die Lieblinge der Wissenschaft. Damals wurden sie als unterschieden angesehen. Heute wissen wir, daß sie nur zwei Hälften eines siamesischen Zwillingspaares sind. Die Soziologen des 19, Jahrhunderts forschten nach „soziologischen Energien“, die Psychologen des 19. und 20. Jahrhunderts nach „psychologischen Energien“ und die Experimentalbiologen nach einer „Energie der Organisation“. Trotz alledem macht der Begriff der Energie nicht das Ganze der Physik aus und noch viel weniger das Ganze der neuen Naturwissenschaften, die nach dem Schema der Physik heranwachsen. Während des letzten Jahrhunderts bildete sich indessen ein anderer Begriff heraus, der der Energie verwandt, jedoch bei den Fragen der Kommunikation und Information viel wichtiger ist. Dieser Begriff ist der schon erwähnte der E n t r o p i e . Wir haben gesehen, daß diese Entropie nicht unverändert bleibt. Sie kann spontan anwachsen, kann aber in einem geschlossenen System nicht abnehmen. Infolge dieser Neigung zur Änderung ist Entropie nicht direkt als Ware geeignet. Im ersten Kapitel haben wir gesehen, daß Kommunikation auf einem mit der Entropie verknüpften Begriff begründet ist, den wir als Betrag der Information kennen. Dieser Informationsbetrag ist eine Größe, die sich von der Entropie nur durch ihr Vorzeichen und unter Umständen durch einen Zahlenfaktor unterscheidet. Genau so wie Entropie dazu neigt, sich in einem geschlossenen System spontan zu vermehren, neigt Information dazu, abzunehmen. Genau so wie Entropie ein Maß der Unordnung ist, ist Information ein Maß der Ordnung. Information und Entropie bleiben nicht unverändert und sind gleichermaßen ungeeignet, Ware zu sein. Entwickeln wir den Begriff Information oder Ordnung vom wirtschaftlichen Standpunkt aus an einem Beispiel. Der Wert eines
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goldenen Schmuckstücks setzt sich aus zwei Teilen zusammen, dem des Goldes und dem der „Facon“ oder Handwerksarbeit. Wenn ein altes Schmuckstück zum Pfandleiher oder Taxator gebracht wird, ist der feste Preis des Stückes nur der des Goldes. Ob für die Facon eine weitere Vergütung gezahlt wird oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab, wie von der Hartnäckigkeit des Verkäufers, vom Modestil der Entstehungszeit, vom rein künstlerischen Wert, vom historischen Wert des Stückes für Museumszwecke und vom Widerstand des Käufers. Manches Vermögen ist dadurch verlorengegangen, daß der Unterschied zwischen diesen zwei Werttypen, dem des Goldes und dem der Facon, außer acht gelassen wurde. Der Briefmarkenmarkt, der Markt der Buchseltenheiten, der Markt für Sandwich-Glas und für Duncan-Phyfe-Möbel sind alle künstlich in dem Sinne, daß neben der echten Freude des Eigentümers am Besitz eines solchen Objektes ein großer Teil des Wertes der Facon vielfach nicht nur von der Seltenheit des Stückes, sondern auch vom zufälligen Vorhandensein einer sich darum reißenden Käufergruppe abhängt. Eine Depression, die die Zahl der Käufer einschränkt, kann den Wert auf ein Viertel oder ein Fünftel herabsetzen, und ein großer Schatz verfliegt ins Nichts nur aus Mangel an konkurrierenden Kauflustigen. Ein neu aufkommendes populäres Steckenpferd mag das alte in der Beachtung in Frage kommender Sammler ausstechen – und schon schwindet der Markt für die Sache dahin. Es gibt keinen gleichbleibenden allgemeinen Nenner für den Sammlergeschmack, zum mindesten nicht, bis etwas das höchste künstlerische Niveau erreicht hat. Selbst dann noch spiegeln z. B. die Preise, die für berühmte große Gemälde bezahlt werden, zum großen Teile den Wunsch des Käufers wider, im Ruf von Wohlstand und Kennerschaft zu stehen. Das Problem des Kunstwerks als Ware läßt eine große Anzahl der in der Theorie der Information wichtigen Fragen auftauchen. Zunächst ist – ausgenommen den Fall des Sammlers im engsten Sinne, der alle seine Besitztümer dauernd hinter Schloß und Riegel hält – der physische Besitz eines Kunstwerks weder genügend noch notwendig für den Genuß, den es vermittelt. Es gibt ja gewisse Arten von Kunstwerken, die sich ihrem Wesen nach eher an die Öffentlichkeit als an den Einzelnen wenden und bei denen die Frage des Besitzes fast unerheblich ist. Ein großes Fresko ist kaum ein marktgängiger Gegenstand, ebensowenig wie das Gebäude, auf dessen Wände es gemalt ist. Wer formal auch der Besitzer solcher Kunstwerke sein mag – er muß sie zum mindesten mit dem das
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bäude benutzenden Publikum teilen und sehr oft mit der gesamten Welt. Er kann sie weder in einen feuerfesten Safe verbringen und sich ihrer im kleinen Kreis erlesener Kenner freuen, noch sie alle miteinander als privates Eigentum einschließen. Nur sehr wenige Fresken genießen eine solche zufällige Abgeschlossenheit wie eines der Fresken von Siqueiros, welches eine große Wand des mexikanischen Gefängnisses schmückt, in dem er eine Strafe für eine politische Beleidigung absaß. Soviel über den rein physischen Besitz eines Kunstwerks. Die Probleme des Eigentums in der Kunst liegen aber viel tiefer. Betrachten wir die Frage der Reproduktion von Kunstwerken. Zweifellos ist es wahr, daß die sublimste Form künstlerischen Genießens nur an Originalen möglich ist. Aber es ist ebenso wahr, daß ein umfassender und kultivierter Geschmack auch von jemandem entwickelt werden kann, der niemals große Kunstwerke im Original gesehen hat, und daß weitaus der größere Teil der ästhetischen Wirkung einer künstlerischen Schöpfung durch gute Wiedergaben vollauf vermittelt wird. In der Musik liegt der Fall ähnlich. Zwar wird für die Würdigung einer musikalischen Komposition etwas sehr Wichtiges gewonnen, wenn der Hörer bei der Darbietung physisch gegenwärtig ist, aber die Vorbereitung für das Verständnis dieser Darbietung kann durch Hören guter Schallplatten dieser Komposition so stark gefördert werden, daß es schwer zu entscheiden ist, welches von beiden das größere Erlebnis darstellt. Vom Eigentumsstandpunkt aus fallen Wiedergaberechte unter unser Copyright-Gesetz. Es gibt andere Rechte, die unter kein Copyright-Gesetz fallen können und die ebenfalls die Frage aufwerfen, ob jemand in der Lage ist, eine künstlerische Schöpfung in des Wortes wirklicher Bedeutung zu besitzen. Hier erhebt sich das Problem der Natur echten Schöpfertums. Ein Beispiel: Im Zeitalter der Hochrenaissance entdeckten die Künstler die geometrische Perspektive, und ein Maler vermochte seiner Umwelt durch die kunstfertige Ausnutzung dieses Elementes große Eindrücke zu vermitteln. Man sieht bei Dürer, Leonardo da Vinci und ihren Zeitgenossen, welches Interesse die führenden künstlerischen Geister jener Zeit an diesem neuen Kunstgriff hatten. Da die Kunst der Perspektive sehr schnell an Interesse verliert, wenn sie einmal beherrscht wird, steht die gleiche Sache, die in der Hand ihrer Schöpfer groß war, nun jedem gefühlvollen Pinsler, der Werbekalender zeichnet, zur Verfügung. – Was früher ausgesagt wurde, mag nicht der Wiederholung wert sein; der informative Wert eines Gemäldes
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oder eines Werks der Literatur kann nur beurteilt werden, wenn man in Betracht zieht, was von seinem Inhalt der Allgemeinheit in früheren und zeitgenössischen Werken schon zugänglich war. Nur selbständige Information ist additiv. Die abgeklatschte Information des zweitrangigen Kopisten ist keineswegs unabhängig vom Vorbild. So beachten die übliche Liebesgeschichte, der herkömmliche Detektivroman, die allgemein verlangte handfeste Unterhaltungsliteratur alle den Buchstaben, aber nicht den Geist des Copyright-Gesetzes. Es gibt keine Form des Copyright-Gesetzes, die einen Filmerfolg davor behütet, von einem Strom zweitrangiger Filmstreifen gefolgt zu werden, die die zweite und dritte Schicht des Publikumsinteresses für den gleichen Gefühlskomplex ausnutzen. Es gibt auch keinen Weg, um eine neue mathematische Idee oder eine neue Theorie wie die der natürlichen Auslese oder etwas Ähnliches durch Copyright zu schützen, ausgenommen die völlig gleiche Wiedergabe derselben Idee mit denselben Worten. Ich wiederhole: Das ist kein Zufall, sondern liegt in der Natur der Information. Das Eigentumsrecht an Information leidet an dem notwendigen Nachteil, daß eine Information, die zum allgemeinen Informationsstand der Gemeinschaft beitragen soll, etwas vom vorherigen allgemeinen Informationsbesitz der Gemeinschaft wesentlich Verschiedenes aussagen muß. Sogar bei den großen klassischen Werken der Literatur und Kunst hat sich viel von dem informativen Wert, den sie offenbar besitzen, nur durch die Tatsache verflüchtigt, daß das Publikum mit ihrem Inhalt vertraut geworden ist. Die Schuljugend liebt Shakespeare nicht, weil er ihr nur eine Anhäufung geläufiger Redensarten zu sein scheint. Nur wenn das Studium eines solchen Autors in eine tiefere Schicht vordringt als die, welche in die oberflächlichen Klischees der Zeit eingegangen ist, können wir mit ihm wieder in ein informatives Verhältnis treten und ihm einen neuen und frischen literarischen Wert geben. Von diesem Gesichtspunkt aus ist es interessant, daß es Dichter und Maler gibt, die durch ihre umfassende Erkundung der einem gewissen Zeitalter offenen künstlerischen und geistigen Wege auf viele Jahre hinaus einen beinahe verhängnisvollen Einfluß auf ihre Zeitgenossen und Nachfolger haben. Ein Maler wie Picasso, der viele Schaffensperioden und Stufen durchläuft, sagt letzten Endes alle diejenigen Dinge aus, die dem Zeitalter auf der Zunge liegen, und bringt damit die Ursprünglichkeit seiner Zeitgenossen und Jünger zum Erliegen.
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Die immanenten Grenzen der Warennatur der Kommunikation werden vom weitaus größeren Teil des Publikums kaum verstanden. Der Mann auf der Straße nimmt an, daß die Aufgabe des Mäzens eher die sei, Kunstwerke aufzukaufen und zu stapeln, als die Künstler seiner Zeit in ihrem Schaffen zu ermutigen. In ganz der gleichen Weise glaubt er, daß es möglich sei, unsere militärischen und wissenschaftlichen Kenntnisse des Landes unverändert in Büchereien und Laboratorien zu stapeln, genau wie es möglich ist, die militärischen Waffen des letzten Krieges in den Arsenalen einzulagern. Er geht sogar noch weiter und meint, daß Information, die in den Laboratorien seines Landes entwickelt worden ist, über das Gesetz hinausgehend moralisch Eigentum seines Landes sei und daß die Benutzung dieser Information durch andere Völker nicht nur auf Verrat beruhe, sondern auch den Charakter eines Diebstahls trage. Er kann sich Information nicht ohne Eigentümer vorstellen. Der Gedanke, daß Information in einer sich ändernden Welt ohne merkbare Minderung ihres Wertes gestapelt werden kann, ist falsch. Er ist kaum weniger falsch als der näher liegende Vorschlag, nach einem Krieg unsere vorhandenen Waffen zu sammeln, ihre Läufe mit Maschinenöl zu füllen, ihre Außenseiten mit Gummi zu übersprühen und sie dann unverändert den nächsten Ernstfall erwarten zu lassen. Nun kann man im Hinblick auf die Wechsel der Kriegstechnik Gewehre ziemlich gut, Tanks schon schlechter, Kriegsschiffe und Unterseeboote überhaupt nicht aufbewahren. Es ist eine Tatsache, daß die Wirksamkeit einer Waffe genau davon abhängt, welche anderen Waffen zu einer gegebenen Zeit bekämpft werden müssen und von welcher Grundidee des Krieges die Zeit ausgeht. Daher legt – wie man in mehr als einem Falle erprobt hat – das Vorhandensein ausgedehnter Lager von gestapelten Waffen das militärische Verhalten in einer falschen Richtung fest, und es ist ein sehr schätzbarer Vorteil, wenn man einem neuen Ernstfall mit der Freiheit entgegentritt, zu seiner Meisterung genau die richtigen Werkzeuge wählen zu können. Auf einem anderen Gebiete, dem der Wirtschaft, gilt dies offensichtlich ebenfalls, wie das britische Beispiel zeigt. England war das erste Land, das durch eine alle Gebiete erfassende industrielle Revolution hindurchging; aus dieser frühen Zeit erbte es die schmale Spur seiner Eisenbahnen, die schwere Ausrüstung seiner Baumwollspinnereien mit veralteten Maschinen und die Begrenzungen seines gesellschaftlichen Aufbaus; dadurch sind die sich
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steigernden Unzulänglichkeiten heute zu einer überwältigenden Schwierigkeit geworden, der nur durch Maßnahmen begegnet werden kann, die auf eine soziale und industrielle Revolution hinauslaufen. Zur gleichen Zeit aber haben die jungen Industrieländer die Möglichkeit, sich der neuesten und wirtschaftlichsten Ausrüstung zu erfreuen und ein modernes Eisenbahnsystem aufzubauen, das ihre Waren in wirtschaftlich günstig bemessenen Wagen befördert; sie sind dadurch in der Lage, in der heutigen Zeit zu leben, statt in der vor hundert Jahren. Was in Europa für England gilt, gilt in den Vereinigten Staaten für Neu-England. Es ist oft viel teurer, eine Industrie zu modernisieren, als sie zu verschrotten und irgendwo völlig neu aufzubauen. Ganz abgesehen von den Behinderungen einer verhältnismäßig straffen industriellen Gesetzgebung und sehr fortgeschrittener sozialer Verhältnisse ist – offen gesagt – einer der Hauptgründe, weshalb die Spinnereien Neu-England verließen, der, daß sie nicht von jahrhundertealten Traditionen gehemmt werden wollten. So hängen auf rein materiellem Gebiet Produktion und Sicherheit auf lange Sicht von neuen Erfindungen und Weiterentwicklungen ab. Information ist eben mehr eine dynamische als eine Stapelungsangelegenheit. Dasjenige Land wird die größte Sicherheit haben, dessen informatorischer und wissenschaftlicher Stand hoch genug entwickelt ist, um auftretenden Anforderungen zu begegnen – das Land, in dem voll erkannt worden ist, daß Information wichtig ist als eine Stufe in dem unaufhörlichen Prozeß, durch den wir die Außenwelt beobachten und unsere Handlungen auf sie einwirken lassen. Mit anderen Worten: kein sorgfältig in Büchern und Abhandlungen niedergelegter und dann mit Geheimhaltungsvermerken in unsere Büchereien eingestellter Betrag wissenschaftlicher Forschung wird hinreichen, um uns auch nur für kurze Zeit in einer Welt zu beschützen, deren tatsächlicher Stand an Information sich ständig hebt. Es gibt keine Maginotlinie des Gehirns. Ich wiederhole: am Leben sein bedeutet, an einem stetigen Einstrom von Einflüssen der Außenwelt und an Handlungen auf die Außenwelt teilnehmen, in der wir nur die Durchgangsstufe darstellen. Am Leben, auf dem „Qui vive“ gegenüber den Ereignissen der Welt sein, heißt, an einer fortdauernden Entwicklung des Wissens und dessen ungehemmtem Austausch teilnehmen. In einigermaßen normalen Situationen ist es für uns weit schwieriger, aber auch weit wichtiger, daß wir die für die Lage erforderlichen Kenntnisse besitzen, als zu erreichen, daß der mögliche Gegner sie
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n i c h t hat. Die ganze Art eines militärischen Forschungslaboratoriums läuft unserer eigenen optimalen Informationsanwendung und -entwicklung zuwider. Im letzten Krieg ergab sich ein besonderer Typ einer Integralgleichung, für deren Lösung ich in gewissem Grade verantwortlich war, und zwar trat sie nicht nur bei meiner Arbeit, sondern in mindestens zwei davon völlig getrennten Entwicklungen auf. In einem Falle war sie zu erwarten, und im anderen würde mich eine nur ganz flüchtige Anfrage darauf aufmerksam gemacht haben. Da diese drei Anwendungen desselben Gedankens zu drei völlig verschiedenen militärischen Vorhaben gehörten, die mit unterschiedlichem Geheimhaltungsgrad an weit voneinander entfernten Orten bearbeitet wurden, gab es keinen Weg, auf dem eine Mitteilung von einer dieser Anwendungen zu den anderen durchdringen konnte. Das Ergebnis war, daß drei unabhängige Entdeckungen nötig wurden, um auf allen drei Gebieten zu Resultaten zu kommen. Zeitlich gesehen lag die dadurch entstandene Verzögerung etwa in der Größenordnung von sechs Monaten bis zu einem Jahr und wahrscheinlich noch beträchtlich höher. Was die Kosten anlangt, die natürlich im Kriege weniger wichtig sind, so verschlang sie eine große Anzahl von Jahresgehältern beachtlicher Höhe. Nur die wirklich sinnvolle Ausnutzung unserer Ergebnisse durch den Gegner hätte so nachteilig wirken können wie der Umstand, daß wir alle Arbeit ein zweites und drittes Mal leisten mußten. Denn der Gegner, der nicht an allen übrigen Gesprächen, die auch unter unseren Geheimhaltungsbestimmungen unerlaubterweise stattfanden, hätte teilnehmen können, wäre nie in der Lage gewesen, unsere Ergebnisse auszuwerten und zu benützen. Diese Beachtung des Zeitfaktors ist in allen Beurteilungen des Informationswertes wesentlich. Man hat wohl erkannt, daß, soweit es sich auf diesem Gebiet überhaupt um den Gebrauch von Codes und Chiffren19 handelt, ein gewisses D u a l i t ä t s prinzip mitspielt. Ein Code oder eine Chiffre, die eine beachtliche Menge Nachrichten von hohem Geheimhaltungsgrad tragen können, sind 19 Ein Code ist eine Umformung einer Nachricht, die nur für eine bestimmte sinnvolle Nachricht durchgeführt werden kann, während die Chiffrierung ohne Rücksicht auf den Sinn der Nachricht nur die die Nachricht zusammensetzenden Buchstaben betrifft. Daher ist ein vom Telegraphenamt veröffentlichtes Codebuch bei verstümmelt ankommenden Sätzen oder Briefen völlig unbrauchbar. Ein Code ist semantisch, eine Chiffre ist visuell oder phonetisch.
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nicht nur ein mühsam zu öffnendes Schloß, sondern erfordern auch zur rechtmäßigen Öffnung geraume Zeit. Im Kriege wird beim Einsatz kleiner Einheiten taktische Information fast stets in ein oder zwei Stunden veraltet sein. Es ist von untergeordneter Bedeutung, ob sie der Gegner innerhalb drei Stunden entziffern kann, aber es ist entscheidend, daß jeder die Meldung empfangende Feldwebel oder Offizier sie in zwei Minuten lesen kann. Die Planung größerer Operationen andererseits ist eine zu wichtige Sache, als daß man sie einem derart begrenzten Geheimhaltungsgrade anvertrauen könnte. Wenn ein diese Pläne empfangender Offizier allerdings einen ganzen Tag braucht, um sie zu entschlüsseln, könnte die Verzögerung immerhin viel folgenschwerer als jedes Durchsickern sein. Die Codes und Chiffren für einen ganzen Feldzugsplan oder für einen diplomatischen Schritt sollen und dürfen noch weniger leicht zu erschließen sein; aber es gibt keine, die nicht in irgendeiner bestimmten Zeitspanne entziffert werden könnten, wenn sie einen bedeutsamen Informationsbetrag und nicht nur eine kleine Anzahl unzusammenhängender Einzelentscheidungen übertragen. Der gewöhnliche Weg, in eine Chiffre einzubrechen, besteht darin, ein mit ihr verschlüsseltes Beispiel zu finden, das lang genug ist, um das Schema der Verschlüsselung dem erfahrenen Untersucher zu offenbaren. Im allgemeinen muß wenigstens eine Mindestzahl von Wiederholungen der Schemata darin auftreten; sehr kurze Abschnitte ohne Wiederholungen können nicht entziffert werden. Wenn aber eine Anzahl Abschnitte in einem Chiffrentyp verschlüsselt wird, der der gesamten Folge gemein ist, obwohl im einzelnen die Verschlüsselung wechselt, kann es immer noch genug Gemeinsames zwischen den verschiedenen Abschnitten geben, das zu einem Einbruch zunächst in den allgemeinen Typ der Chiffre und dann zu einem Entziffern der einzelnen benutzten Chiffren führen kann. Wahrscheinlich ist die höchste Genialität, die sich beim Einbrechen in Chiffren gezeigt hat, nicht in den Annalen der verschiedenen Geheimdienste niedergelegt, sondern in der Arbeit des Hieroglyphenforschers. Wir alle wissen, wie der Stein von Rosette entschlüsselt wurde, als es sich herausstellte, daß gewisse Schriftzeichen in der ägyptischen Version als die Namen der Ptolemäer zu deuten waren. Es gibt indessen einen Entschlüsselungsvorgang, der noch weit großartiger ist. Dieses größte, einzig dastehende Beispiel der Entschlüsselungskunst ist die Entschlüsselung der
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Geheimnisse der Natur selbst und ist die Provinz des Naturwissenschaftlers. Wissenschaftliche Forschung besteht darin, ein Seinsgebäude, das ohne Hinblick auf uns geschaffen worden ist, uns angepaßt auszulegen. Daraus ergibt sich, daß ein Naturgesetz das letzte ist, was durch Geheimhaltung und ein hochentwickeltes Codesystem geschützt werden müßte. Neben der Möglichkeit, das Geheimnis durch direkten Angriff auf die menschlichen oder dokumentären Träger dieses Geheimnisses zu lösen, gibt es immer die Möglichkeit, den ihnen übergeordneten Code zu packen. Es ist wohl unmöglich, irgendeinen untergeordneten Code zu entwickeln, der ebenso schwer zu entziffern wäre wie der natürliche Code des Atomkerns. Bei einer Entzifferungsaufgabe ist die wichtigste Information, die wir besitzen können, die, daß die zu lesende Nachricht kein Kauderwelsch ist. Eine wohlbekannte Methode, Codebrecher zu verwirren, besteht darin, in die wirkliche Nachricht eine Nachricht hineinzumischen, die nicht entschlüsselt werden kann, weil sie tatsächlich keine sinnvolle Nachricht, sondern eine reine Anhäufung von Zeichen ist. Ähnlich ist bei Betrachtung eines Naturproblems wie der atomaren Reaktionen und der atomaren Sprengstoffe die weitestgehende einzelne Informationstatsache, die wir angeben können, die, daß sie bestehen. Sobald ein Wissenschaftler weiß, daß es auf ein Problem, das er angreift, eine Antwort gibt, ändert sich seine ganze Position. Er hat damit schon mehr als die Hälfte des Weges zu dieser Antwort hinter sich. Wenn man dies bedenkt, kann man durchaus sagen, daß das einzige die Atombombe betreffende Geheimnis, welches hätte gehütet werden sollen, das aber der Öffentlichkeit und allen möglichen Gegnern ohne die geringste Hemmung preisgegeben wurde, das Geheimnis der Möglichkeit ihrer Herstellung war. Man greife ein Problem dieser Bedeutung auf und versichere der wissenschaftlichen Welt, daß es eine Antwort hat – sowohl die intellektuelle Fähigkeit der Wissenschaftler als auch die vorhandenen Forschungsmöglichkeiten sind so weit über die Welt ausgebreitet, daß die quasi unabhängige Lösung der Aufgabe überall in der Welt dann nur eine Frage weniger Jahre sein wird. Bei uns besteht der rührende Glaube, daß wir die alleinigen Besitzer eines gewissen Informationstyps, des sogenannten „Wissens wie“ seien, der uns nicht nur die Priorität auf alle technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen und alle größeren
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gen, sondern auch, wie wir schon sagten, das moralische Recht auf diese Priorität sichere. Sicherlich hat dieses „Wissen wie“ nichts zu tun mit der nationalen Herkunft derer, die an solchen Problemen wie der Atombombe gearbeitet haben. In früheren Zeiten wäre es so gut wie unmöglich gewesen, auf dieses Vorhaben die Anstrengungen solcher Wissenschaftler wie des Dänen Bohr, des Italieners Fermi, des Ungarn Szilard und vieler anderer zu vereinen. Es wurde nur möglich durch die allgemeine Erkenntnis der Notlage und das Gefühl einer gemeinsamen Gefährdung, das durch die Nazibedrohung ausgelöst wurde. Wenn eine solche Gruppe aber über die lange Wiederaufrüstungsperiode, zu der wir durch die Politik des State Department verurteilt sind, beisammengehalten werden soll, ist dazu mehr nötig als aufgeblähte Propaganda. Es steht außer jedem Zweifel, daß wir die höchst entwickelte Methode der Welt besitzen, die Anstrengungen einer großen Zahl von Wissenschaftlern und große Geldmengen zur Verwirklichung eines einzelnen Projektes zu vereinen. Das sollte uns nicht zu unangebrachter Selbstgefälligkeit hinsichtlich unserer wissenschaftlichen Stellung führen, denn es ist ebenso klar, daß wir eine Generation junger Leute heranbilden, die bei jedem wissenschaftlichen Vorhaben nur in großen Mitarbeiterzahlen und großen Geldmitteln zu denken vermögen. Die Geschicklichkeit, mit der Franzosen und Engländer große Leistungen mit Hilfsmitteln vollbringen, die ein amerikanischer höherer Lehrer als behelfsmäßige kümmerliche Basteleien verspotten würde, wird leider nur bei einer verschwindend kleinen Minderheit unserer jungen Leute gefunden. Die augenblickliche Mode des großen Laboratoriums ist in der Wissenschaft etwas Neues. Manche unter uns möchten wünschen, daß sie nicht zu lange andauere. Wenn die Zeit kommt, in der die wissenschaftlichen Ideen unserer Generation erschöpft sind oder nur noch rasch abnehmende Zinsen aus ihrem geistigen Kapital abwerfen, sehe ich keine Möglichkeit, wie die nächste Generation fähig sein soll, die gewaltigen Ideen hervorzubringen, auf denen gewaltige Vorhaben ihrer Natur nach beruhen. Der Informationsbegriff in seiner Anwendung auf wissenschaftliche Arbeit zeigt, richtig verstanden, daß das bloße Nebeneinanderbestehen zweier Informationsinhalte von verhältnismäßig geringem Wert ist, solange sie nicht in irgendeinem Kopf oder durch irgendein Organ wirksam verbunden werden, die einander zu befruchten vermögen. Das ist das genaue Gegenteil einer Organisation, in der jedes Mitglied seine vorgeschriebene Bahn einhält
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und in der die Wachtposten der Wissenschaft, wenn sie ans Ende ihrer Ronde kommen, die Waffen präsentieren, eine Kehrtwendung machen und in der Richtung, aus der sie gekommen sind, zurückmarschieren. Der Kontakt zwischen zwei Wissenschaftlern hat großen befruchtenden und beiderseits belebenden Wert; er kann aber nur zustande kommen, wenn ein Vertreter der Wissenschaft oder beide sich so weit über ihre eigenen Grenzen hinauswagen, daß sie die Ideen des Nachbarn aufzunehmen und in ihr Denkgebäude organisch einzugliedern vermögen. Diese Arbeitsweise läßt sich am natürlichsten verwirklichen in einem Plan, in dem das Betätigungsfeld jedes Wissenschaftlers mehr durch die Weite seiner Interessen als durch seinen ihm vorgeschriebenen Bereich bestimmt wird. Solche losen menschlichen Organisationen bestehen sogar in den Vereinigten Staaten, nur stellen sie heute das Ergebnis der Anstrengung einiger uneigennütziger Männer dar und sind nicht berücksichtigt in der Rahmenorganisation, in die wir hineingezwungen werden von denjenigen, die sich einbilden, zu wissen was für uns gut ist. Indessen genügt es für die breite Schicht unserer Naturwissenschaftler nicht, ihre Vorgesetzten – die ernannten wie die von eigenen Gnaden – für ihre Kurzsichtigkeit und für die Gefahren der jetzigen Zeit verantwortlich zu machen. Die breite Öffentlichkeit fordert ein Höchstmaß an Geheimhaltung für alle Bereiche der modernen Naturwissenschaft, die von militärischer Bedeutung sind. Diese Forderung ist im Grunde nichts anderes als der Wunsch einer kranken Kultur, das Fortschreiten ihrer eigenen Erkrankung nicht zur Kenntnis zu nehmen. Solange wir fortfahren zu behaupten, daß mit der Welt alles in Ordnung sei, verstopfen wir unsere Ohren gegenüber kriegkündenden Kassandrarufen. In dieser Haltung der großen Masse der Forschung gegenüber liegt eine Revolutionierung der Wissenschaft, die weit über das hinausgeht, was der Öffentlichkeit zum Bewußtsein kommt. Ja, selbst nicht einmal die führenden Köpfe der heutigen Wissenschaft sind sich völlig im klaren über die Folgen dessen, was im Gange ist. Früher wurde die Richtung der Forschung in weitem Maße der Neigung des einzelnen Gelehrten und dem allgemeinen Zuge der Zeit überlassen. Heute dagegen versucht man entschieden, die für die Sicherheit der Nation wichtige Forschung so zu lenken, daß – soweit möglich – auf allen Gebieten alles getan wird, um einen undurchdringlichen wissenschaftlichen Schutzwall zu errichten. Wissenschaft aber ist unpersönlich, und das Ergebnis ist, daß die
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weiter vorgeschobenen Grenzen der Wissenschaft uns nicht nur viele Waffen gegen mögliche Gegner, sondern auch viele Gefahren eben dieser Waffen aufzeigen, Gefahren, die darin liegen können, daß sie gegen uns wirksamer als gegen unsere Gegner anwendbar sind oder daß wir uns bei ihrer Benutzung selbst gefährden, wie etwa bei der radioaktiven Verseuchung. Dies sind Gedankengänge, die mir Professor J. B. Wiesner vom Laboratorium für Elektronik im M.I.T. entwickelt hat. Die Hast, mit der wir in unserer aktiven Gemeinschaftsarbeit gleichzeitig nach allen zum Angriff auf unsere Gegner und zum Schutz für uns geeigneten Mitteln forschen, führt zu stetig wachsenden Forderungen nach neuen Forschungen. Die konzentrierte Leistung von Oak Ridge und Los Alamos während des Krieges etwa hat die Frage des Schutzes der Bevölkerung der Vereinigten Staaten nicht nur gegen die Atombombe möglicher Gegner, sondern auch gegen die atomare Strahlung unserer eigenen neuen Industrie zu einem Problem werden lassen, das uns n u n auf den Nägeln brennt. Wäre der Krieg nicht gekommen, so hätte es uns innerhalb der nächsten 20 Jahre wohl kaum beschäftigt. Bei unserer gegenwärtigen Art, alles nach militärischen Gesichtspunkten zu beurteilen, hat uns dies gezwungen, etwa mögliche Gegenmaßnahmen gegen einen Einsatz dieser neuartigen Mittel seitens eines Gegners zu erwägen. Zu einem großen Teil ist dieser Gegner nicht Rußland, sondern unser eigenes widergespiegeltes Selbst. Um uns gegen dieses Trugbild zu verteidigen, müssen wir wiederum nach neuen wissenschaftlichen Maßnahmen Ausschau halten, von denen eine schreckenbringender als die andere ist: eine riesige apokalyptische Spirale ohne Ende. Wir sind in der Lage eines Mannes, dessen Leben nur von zwei Wunschzielen beherrscht wird: einmal, ein universales Lösungsmittel zu finden, das jede feste Substanz auflösen kann, und zum anderen, ein für alle Flüssigkeiten brauchbares Gefäß zu schaffen. Wie sehr sich dieser Erfinder auch müht, nie wird er Erfolg haben. Überdies wird, wie schon gesagt, kein Geheimnis, dessen Wahrung nur von menschlicher Zuverlässigkeit abhängt, so sicher sein wie eines, das sich selbst schützt durch die Schwierigkeiten wissenschaftlicher Forschung. Ich sagte schon, daß das Bekanntwerden jedes wissenschaftlichen Geheimnisses immer nur eine Frage der Zeit ist, daß in diesem Spiel ein Jahrzehnt eine lange Zeit ist und daß es, auf lange Sicht gesehen, nichts ausmacht, ob wir uns selbst oder unsere Gegner bewaffnen. Dabei unterwirft uns jede grauenvolle Entdeckung
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mer mehr der Notwendigkeit, eine neue Entdeckung zu machen. Das wird zwangsläufig so weiter gehen, bis das gesamte geistige Potential des Landes von jeder aufbauenden Verwendung weggezogen worden ist zu den vielfältigen – heutigen und künftigen – Bedürfnissen der Nation. Im Endergebnis vermehren diese Waffen die Entropie unserer Planeten, bis alle Unterschiede zwischen heiß und kalt, gut und böse, Mensch und Stoff untergegangen sind in der weißen Glut eines neu entstehenden Sterns. Wir haben gleich den Säuen der Gadarener die Teufel der Zeit in uns aufgenommen, und die Zwangsneurose der wissenschaftlichen Kriegführung treibt uns sinnlos Hals über Kopf ins Meer unserer eigenen Zerstörung. Oder vielleicht könnten wir auch sagen, daß die Herren, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, unsere Führer zu sein, und die das neue Wissenschaftsprogramm verwalten, Zauberlehrlinge sind, so fasziniert von ihrer eine Teufelei heraufbeschwörenden Zauberformel, daß sie nicht wieder aufzuhören vermögen. Selbst die neue Psychologie der Propaganda und der kaufmännischen Methoden wird in ihren Händen zu einem Mittel, die Gewissensskrupel der Wissenschaftler auszurotten und jene Hindernisse zu zerstören, die diese dem Abrutschen in den Mahlstrom der Vernichtung entgegensetzen könnten. Jene weisen Männer, die zur Verfolgung eigener Ziele die Geister der Tiefe heraufbeschworen haben, mögen bedenken, daß im Lauf der Welt ein Gewissen, das einmal käuflich war, auch zweimal gekauft werden kann. Die Bindung an die Gesetze der Menschlichkeit, die durch geschickte Austeilung behördlicher Zuckerbrote untergraben werden kann, wird abgelöst von einer Bindung an Vorgesetzte, die gerade so lange andauern wird, als wir die größeren Zuckerbrote verteilen können. Der Tag wird kommen, an dem dies die größte Gefahr für unsere eigene Sicherheit bilden wird. In dem Augenblick, in dem irgendeine andere Macht, sei sie faschistisch oder kommunistisch, größere Belohnungen anzubieten hat, werden unsere guten Freunde, die – auf unsere Kosten – sich für unsere Verteidigung eingesetzt hatten, sich ebenso eifrig für unsere Unterwerfung und Vernichtung einsetzen. Mögen diejenigen, die die Geister der Atomkriegführung aus der dunklen Tiefe heraufbeschworen haben, sich in ihrem eigenen, wenn schon nicht in unserem Interesse erinnern, daß sie nicht über das erste Aufblitzen des Erfolgs bei unseren Gegnern hinaus damit warten dürfen, diejenigen zu vernichten, die sie bereits verdorben haben!
IX. Der Intellektuelle und der Naturwissenschaftler Wir haben gesehen, daß Kommunikation der Mörtel der Gesellschaft ist und daß diejenigen, die sich die ungestörte Aufrechterhaltung der Kommunikationswege zur Aufgabe gemacht haben, auch am meisten mit dem Fortbestehen oder dem Verfall unserer Kultur zu tun haben. Unglücklicherweise teilen sich diese Priester der Kommunikation ziemlich scharf in zwei Orden oder Sekten, die verschiedene Prinzipien verfechten und verschiedene Ausbildung haben. Diese zwei Orden der Priester der Kommunikation sind auf der einen Seite die Intellektuellen und Geisteswissenschaftler und auf der anderen Seite die Naturwissenschaftler. In früheren Zeiten war das Gleichgewicht zwischen Geistes- und Naturwissenschaftlern einigermaßen gewahrt. Demgegenüber ist die Gegenwart nicht nur in ihren physischen Lebensbedingungen anomal, sondern auch anomal in dem Verteilungsverhältnis ihrer intellektuellen Anstrengungen. So waren bis vor kurzem für den Naturwissenschaftler, auch für den mehr theoretischen Typ, gute Zeiten. Mancher der großen Wissenschaftler der Gegenwart braucht den Vergleich mit den besten der Vergangenheit nicht zu fürchten, und das gilt gleichermaßen für England wie für die Vereinigten Staaten. Nicht nur die Journalisten vergleichen Einstein mit Newton, denn Einsteins Arbeiten heben sich in der Gegenwart als ebenso revolutionär heraus wie diejenigen Newtons in seiner Zeit. Darüber hinaus bilden die Männer um Einstein eine Gruppe, mit denen sich Newtons Zeitgenossen schwerlich messen können. Niels Bohr in Kopenhagen, Heisenberg in Göttingen, Planck in Berlin und Dirac in Cambridge sind nur einige der vielen Namen, die spontan in uns aufsteigen beim Vergleich mit den Bernouillis, mit Taylor, Halley und Maclaurin des 18. Jahrhunderts. Auch die reine Mathematik steht in dieser Hinsicht nicht zurück. Der deutsche Mathematiker Hilbert, der erst vor kurzem gestorben ist, würde in jedem Zeitalter zu den großen Namen gehört haben. Weyl in Princeton und Kolmogoroff in Moskau sind noch unter uns. Poincaré, der große französische Mathematiker, ragte noch
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weit in unser Jahrhundert hinein, und Amerika hatte Birkhoff an der Harvard-Universität. Wenn man auch nicht erwarten kann, daß einer von ihnen die ungeheure Arbeitsleistung eines Euler vollbracht oder so viele Gebiete wie Gauß eröffnet hat, haben sie doch über den Umkreis des bereits entwickelten mathematischen Bereichs hinaus Probleme von größter Schwierigkeit gemeistert und eine ebenso große oder noch größere fachliche Gewandtheit wie ihre größten Vorgänger bewiesen. Die Geschichte zeigt, daß die Entwicklung von Naturwissenschaft und Kunst im allgemeinen parallel läuft. Im verflossenen halben Jahrhundert jedoch hat sich die Entwicklung der Künste weit von der der Wissenschaften entfernt. In der Musik erleben wir das Dahinschwinden der Gattung der Komponisten. Ausübende Künstler haben wir in Fülle. Aber man muß sich vor Augen halten, daß es die Komponisten und nicht die ausübenden Künstler sind, die die Flamme der Musik leuchtend erhalten. Nur ein verhältnismäßig kleiner Teil unserer großen nachschaffenden Musiker nimmt wirklich Anteil an den Kompositionen der Gegenwart. Auf dem Gebiet der Malerei ist die Lage wohl etwas besser, zum mindesten wenn wir uns bei ihrer Betrachtung nicht auf die Grenzen der Vereinigten Staaten beschränken. Die neueren Richtungen haben bereits ihre grand old men entwickelt, wie Matisse und Picasso. In Mexiko hat eine nationale Schule der Freskomalerei bemerkenswerte Anzeichen von Originalität und Kraft gezeigt. Trotzdem kommen heute auf jeden bedeutenden Künstler, der eine neue Botschaft der Schönheit oder Wahrheit zu verkünden hat, wahrscheinlich zehn Wissenschaftler von gleich hohem Rang wie die entsprechenden großen Namen der Vergangenheit. Musik und Malerei überschreiten die Landesgrenzen fast ebenso leicht wie die Wissenschaft. Die Wertschätzung der Literatur aber ist weitgehend beschränkt auf die Landsleute der Autoren und die, die deren Sprache sprechen. Hierüber ist deshalb ein umfassender Überblick sehr viel schwieriger zu geben. Immerhin habe ich den Eindruck, daß sich sowohl in England als auch in den Vereinigten Staaten die zeitgenössischen Schriftsteller mehr durch ihr ziemlich hohes sprachliches Können als durch ihre besondere schöpferische Kraft auszeichnen. Ob es in anderen Ländern ebenso ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Daß Verzweiflung und Entmutigung für das Gesamtbild unserer Zeit verantwortlich sind, kann ich nicht glauben. Vieles vom
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besten griechischen Schrifttum gehört der Periode der Peloponnesischen Kriege an, und der Verfall des Römischen Kaiserreiches ist das große Zeitalter der Kirchenväter. Mehr als eines der tiefsten religiösen Gedichte des Mittelalters beginnt damit, die Übel der Zeit und den drohenden Untergang zu beweinen. Weder Voltaire noch Swift noch Heine haben sich von der Trefflichkeit und der Zuversichtlichkeit ihrer Zeit beeindrucken lassen. Es muß also dann irgendeinen anderen Grund oder mehrere Gründe geben für die relative künstlerische und literarische Unfruchtbarkeit der Zeit, besonders in den Vereinigten Staaten. Einer von ihnen liegt auf der Hand. Er besteht in der Entwicklung von Kommunikationsmethoden, die, obwohl sie je Kopf der daran Teilhabenden billig sind, doch in der kleinsten kaufmännisch gewinnbringenden Menge schon so kostspielig werden, daß sie nur konventionelle und flachgründige Unternehmungen zulassen. Ich denke dabei an die Fülle der modernen Zeitschriften, an das Grammophon, das Radio, das Kino und das Fernsehen. Man bemerke wohl, daß sich ihr Einfluß auf Schrifttum und Musik erstreckt, daß ihr Einfluß auf die Malerei hingegen gebremst wird durch den Wunsch reicher Kenner, anerkannte Originale von Meistern zu besitzen; die Malerei ist meiner Ansicht nach diejenige Kunst, die heutzutage die größte Lebenskraft besitzt. Die großen Rotationspressen unserer Illustrierten vermögen eine Arbeitsmenge zu bewältigen, an die man früher in den alten Druckereien niemals hätte denken können, aber sie bilden auch eine weit größere Kapitalsanlage, als ein Drucker der alten Zeit aufbringen konnte. Das Radio wird zu tragbarem Preis verkauft, aber dieser tragbare Preis ist bedingt durch einen hoch in die Zehntausende gehenden Umsatz. Das Kino hält seinen 75 Cent-Eintrittspreis nur bei einer Nachfrage durch, die noch bei einem bis zu einer Million Dollar kostenden Film dem Produzenten, dem Kinobesitzer und einer Unmenge von Mittelsleuten Gewinn zu bringen vermag. Die Folge ist, daß diese Künste in den Händen von Unternehmern sind, die es sich nicht leisten können, ein Wagnis einzugehen. In den Tagen des echten Theaters und der Theatertruppen mochte es für die Schauspieler verhängnisvoll sein, wenn das von ihnen aufgeführte Stück durchfiel, aber der Aufwand war begrenzt. Für ein gutes Stück bildeten ein paar hundert verständnisvolle Leute eine ausreichende Zuhörerschaft. Der Provinzverleger schrieb für die wenigen hundert Leser seiner Provinzstadt. Er
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konnte ihren Puls fühlen. In vielen Fällen kam er durch die gleiche Umgebung dazu, so wie sie zu denken. Selbst wenn er die Rolle Savonarolas zu übernehmen und die Mängel und Laster seiner Umwelt zu geißeln wünschte, waren gerade diese Bemerkungen dazu angetan, seine Leser zu interessieren und ihn mehr Zeitungen absetzen zu lassen. Wenn er schließlich doch aus irgendeinem Grunde die Stadt verlassen mußte, konnte er in einer anderen Stadt wieder eine neue Zeitung herausbringen, unterstützt durch die wertvolle Erfahrung, die er gemacht hatte, und mit wohl begründeter Hoffnung auf Erfolg. Man vergleiche sein Los mit dem eines seinem Trust verpflichteten Spaltenfüllers von heute. Je größer sein Erfolg, um so größer ist das Publikum, an das er sich wenden muß, um so wesentlicher ist es für ihn, nichts zu sagen, was bei einem großen Teil seiner Leser unpopulär wäre. Er muß auf den Katholiken, den Protestanten, den Juden, den Neger, den Geschäftsmann, den Bauern, den Arbeiter und den Arbeitslosen gleichzeitig Rücksicht nehmen. Sollte er auch nur versuchen, die Mauern seines Gefängnisses zu überspringen, so wird sich das früher oder später in irgendeiner Beurteilung, nach der sein Brotgeber seine Arbeit bewertet, auswirken. Er muß sich anpassen, muß widerrufen oder untergehen. Bis jetzt haben wir nur jene Seite der Einengung der künstlerischen Freiheit erwähnt, die sich zwangsläufig aus dem Umfang und den enormen Kapitalinvestierungen bei modernen Unternehmungen ergibt. Hand in Hand mit den großen Kapitalinvestierungen in modernen Kommunikationsmitteln geht jedoch auch große M a c h t . Diese hat neben ihrem direkten eigenen Gewinn oft noch andere Interessen. Wir alle kennen solche Fälle, wo lokale Zeitungen in den Händen von Bauholz- oder elektrischen Firmen bereit gewesen sind, einen Sonderfeldzug zugunsten der Unternehmen ihrer Besitzer zu führen. Andererseits gibt es für den reichen Abenteurer faschistischer Neigungen kein wirksameres Werkzeug als eine große illustrierte Wochenschrift. Das ist ein Thema, über das man eine unbegrenzte Anzahl von Variationen spielen kann. Es genügt zu sagen, daß der Zeitungsbesitzer oder der Filmmagnat, der seine Unternehmen mit anderen Gewinnquellen als solchen zur Unterhaltung oder Erbauung seines Publikums verbindet, wahrscheinlich in Geschäftslagen, in denen sein mehr gradsinniger Konkurrent bankrott geht, durchzuhalten vermag. So werden einem Schriftsteller und sogar einem Musiker die besten Einnahmequellen nicht allein durch den Druck
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vergiftet, der sich schon aus dem Umfang der Unternehmen ergibt, sondern auch dadurch, daß sie irgendeinem äußeren, nicht zu ihrer Arbeit gehörigen und sehr wahrscheinlich ihrer Meinung gerade entgegengesetzten Interesse dienstbar sein müssen. Doch das ist nicht das Schlimmste. Es gibt eine dritte Quelle der Demütigung, unter der sie leiden. Es ist nun einmal so, daß jemand, der in erster Linie Geschäftsmann ist, sein Geschäft sehr wahrscheinlich nach den skrupellosen Prinzipien des Geschäftslebens – fressen oder gefressen werden – leiten wird. Wenn der Boß es als eine gute Geschäftsmethode ansieht, für eine Erzählung, die er wirklich veröffentlicht, zwanzig aufzukaufen, wandern neunzehn von den zwanzig Erzählungen in den Papierkorb. Dem Schriftsteller bleibt die Demütigung, unfruchtbare Arbeit geleistet zu haben. Zwar mag er für diese Unterordnung gut bezahlt werden, aber er wird nicht mit der Münze der Selbstachtung entlohnt. Es gibt noch einen anderen Grund für die Mutlosigkeit unter den jungen Künstlern, deren Kunst von den Methoden der Massenverbreitung abhängig ist. Durch ihre riesigen Auflagen können sich Unternehmen dieses Stils auf die verhältnismäßig kleine Anzahl von Schriftstellern, Musikern oder Photographen beschränken, die gerade jene Talente, welche für den Unternehmer Geld bedeuten, am erfolgreichsten entwickelt haben. Die Liebhaber seichter Unterhaltung mögen gegenüber den Ideen wenig kritisch sein, bestimmt aber haben sie Gelegenheit, dies hinsichtlich des Stiles zu werden. So hat der junge Schriftsteller, der etwas zu sagen hat – und es eines Tages gut sagen wird –, gerade jetzt in dem Stadium, in dem er es am meisten nötig hätte, keinen Absatz für seine Manuskripte. Immerhin ist dieser Zustand schon einigen dieser Großvermittler der Künste zum Bewußtsein gekommen. Sie mußten etwas dafür tun, daß ihre Versorgung mit Künstlern nicht an der Quelle versiegte. Die Kinos sahen sich gezwungen, die Theater zu unterstützen, vor allem die Theatertruppen, um den Nachwuchs an fähigen Schauspielern zu sichern; im Musikleben war etwas Ähnliches nötig. Nur durch diese Art direkter oder indirekter Unterstützung gibt es heute überhaupt noch eine beträchtliche Anzahl von ausübenden Künstlern. So ist es leicht zu sehen, woran es bei dem Künstler hapert, der für sein tägliches Brot von seiner Kunst abhängt. Er hat immer Gönner nötig gehabt, aber niemals haben seine Hauptgönner aus einer so engen, eigeninteressierten Gruppe bestanden wie heute. Dies kann jedoch nicht die einzige Erklärung für die Flaute sein,
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in der sich die schöpferischen Künste befinden. Zu allen Zeiten hat es viele gute Schriftsteller gegeben, die ihren Lebensunterhalt aus einer anderen Quelle als aus ihrer Kunst gewannen. Ruskin war der Sohn eines reichen Weinhändlers und hatte niemals nötig, seine Schriftstellerei in Pfunde, Schillinge und Pence umzumünzen. Miltons Werk entstand zum guten Teile neben seiner Tätigkeit als Staatssekretär des Commonwealth. Es erübrigt sich, diese Beispiele zu vermehren; es gibt deren genug, um erkennen zu lassen, daß die heutige literarische Unfruchtbarkeit neben dem wirtschaftlichen Motiv noch eine andere Ursache haben muß. Eine dieser Ursachen ist in Amerika wie auch in manchen anderen Ländern der Bankrott der Erziehung. Das deutsche Gymnasium der letzten Generation war ebenso wie das französische Lycée und sogar wie die englische Public School auf einer ziemlich feststehenden Vorstellung vom gebildeten Menschen begründet. An erster Stelle war erforderlich, daß er das klassische Altertum kannte. Lateinisch und Griechisch wurden so viele Jahre lang in ihn hineingetrichtert, daß sie ein Teil seiner selbst wurden, und Aufsatzübungen in diesen Sprachen waren nicht nur formale, auf den Stoff der Lehrbücher beschränkte Aufgaben, sondern wirkliche Essays und wurden sogar auf das Verfassen leidlicher Poesie ausgedehnt. In seiner Muttersprache wurde vom Schüler nicht nur das Schreiben halbwegs gehaltvoller Aufsätze, sondern die Gestaltung guter fehlerfreier Prosa in Übereinstimmung mit den besten Maßstäben der Sprache verlangt. Wenn der Schüler eine fremde Sprache lernte, konnte er zwar (nicht in Deutschland, aber in Frankreich und in England) die Aussprache etwas auf die leichte Achsel nehmen; aber er mußte im Lesen und Verstehen so weit kommen, daß ihm die Sprache ein brauchbares Werkzeug lieferte. Sein Mathematiklehrer versuchte nicht, ihn auf einem wohlgebahnten Wege zu seinem Ziele zu führen. Es wurde von ihm verlangt, daß er seine Lehrsätze kannte und sie anzuwenden wußte, aber darüber hinaus, daß er sogenannte Originalaufgaben von beträchtlichem Spitzfindigkeitsgrade durchführte. Der junge Engländer der gehobenen Schichten lebte in seiner Public School unter der ständigen Bedrohung von Stock und Rute, der junge Deutsche war den geschrienen Beschimpfungen eines nicht allzu sanften Lehrers ausgesetzt, und der Franzose lernte unter der noch bedrohlicheren Aussicht, niemals eine zweite Chance zu erhalten, wenn er einmal in der Prüfung versagt hatte; er konnte dadurch sein ganzes Leben verpfuschen und seine gesellschaftliche Stellung für immer
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ren. Die Anfangsstadien der amerikanischen Erziehungsmethode folgten zwar dem englischen Muster, aber die moderne amerikanische Erziehung hat sich nicht aus diesem entwickelt. Harvard fing nicht als englische Universität an, sondern vielmehr als das, was wir heute eine englische Höhere Schule nennen. Das ersieht man aus dem jugendlichen Alter der damaligen Studenten. Mit ihrer Betonung der Mathematik und der klassischen Sprachen unterschied sie sich in keiner Weise von ihrem englischen Urtyp. Im Laufe der Zeit nahm die Bedeutung Harvards und anderer amerikanischer Erziehungsstätten immer mehr zu, ebenso wie sich das Alter der Studenten immer mehr erhöhte; schließlich wurde die Stellung des College der englischen Universität und später die der englischen und deutschen Universitäten erreicht. Ein paar höhere Schulen wie Andover, Exeter, Groton, St. Paul’s und ähnliche folgten in etwa dem englischen Vorbild der Public Schools und füllten so die Lücke, die dort die früheren Colleges bei ihrem Aufstieg zurückließen. Aber auf das Land als Ganzes waren sie von immer geringerem Einfluß. Die wirkliche höhere Bildung in Amerika befand sich in den Händen der öffentlichen höheren Schulen, die sogar viel ihrer Lehrmethode auf die privaten höheren Schulen übertragen konnten. Die höhere Schule ist, obwohl sie viel von dem Exeter-Andover-Typ einer Akademie in sich aufgenommen hat, der Sproß eines Public School-Systems, das beim Little Red Schoolhouse begonnen hat. Dorthin begaben sich die Farmjungen und -mädchen während der Jahreszeit, in der es wenig Arbeit gab, teils um ihre drei R’s20 zu lernen, aber auch, damit sie keinen Unfug trieben. Das Bild, das uns Eggleston in seinem „Hoosier Schoolmaster“ zeichnet, gilt für viele ländliche Schulen bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts. Von Anfang an waren die öffentlichen Schulen in den Städten dem Little Red Schoolhouse nur durch ihre Unterteilung in Klassen überlegen. Der Stundenplan bestand aus Lesen, Schreiben, einer ganz dünnen Schicht Arithmetik und einer höchst herkömmlichen Geographie. Nicht vorgesehen war bei ihnen, den Schüler auf den nachfolgenden Lehrplan der höheren Schule vorzubereiten, der auf dem der privaten Anstalten aufgebaut war. Überdies begann dieser Lehrplan der höheren Schule erst im 14. Lebensjahr, so daß selbst ein Schüler von nur mäßiger Begabung diese kritische 20 reading, writing, ’rithmetic (Lesen, Schreiben, Rechnen). (Anm. d. Übers.)
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Periode erreichen konnte, ohne sich vorher je den Anforderungen auch nur eines Schultages unterziehen zu müssen, die hart genug gewesen wären, die Grenzen seiner Begabung aufzuzeigen. Wenn man von Disziplin sprach, meinte man die Disziplin, keine Tafellappen umherzuwerfen, und nicht die Zucht des Lernens. Und im Grenzland des Westens pflegten die älteren Burschen ihren Eifer dadurch zu zeigen, daß sie mit dem Lehrer ihr Spiel zu treiben versuchten. Kein Wunder, daß der Lehrer eher ein Unteroffizier als ein wissenschaftlich gebildeter Mann sein mußte. Und dann kamen diese rohen und ungehobelten, halberwachsenen Burschen auf die höhere Schule, wo sie in vier Jahren ein Pensum meistern sollten, das aus Latein, möglicherweise Griechisch, Mathematik bis einschließlich Trigonometrie und wenigstens einer Fremdsprache bis zum freien Sprechen, etwas Geschichte und einer Würdigung Shakespeares bestand. Es ist erstaunlich, daß selbst kleine Orte so begeisterte Lehrer besaßen, daß einige überdurchschnittliche Schüler all das wirklich mit Erfolg bewältigten. Für die überwältigende Mehrzahl aber war das Ergebnis dieses blinden Strebens nach Bildung ein reiner Mißerfolg. So ist es kein Wunder, daß bei uns für den durchschnittlichen höheren Schüler und seine Eltern die gehaltvolleren Fächer der Erziehung zum Kennzeichen eines besonderen Privilegs der Klügsten und außergewöhnlich Begabten wurden und für die übrigen zu einer Falle und Marter. Da aber nach der amerikanischen Auffassung die ganze Gemeinschaft an der Erziehung teilhaben sollte und nicht nur eine privilegierte Schicht – selbst wenn diese Schicht nur privilegiert war, durch ihre Begabung von dieser Erziehung wirklich Gebrauch zu machen –, war es klar, daß die Erziehung der höheren Schule schon sehr früh einen völligen Wandel durchmachen mußte. Dieser Wandel erfolgte zuerst beim Griechischen, das fast überall nie mehr als ein freiwilliges Fach gewesen war und bereits vor vielen Jahren völlig vom Durchschnittslehrplan der höheren Schule verschwunden war; was diese Entwicklung noch beschleunigte, war die langsam, aber stetig zunehmende Geringschätzung des Geistlichen in der Gemeinde. Wenn der Geistliche nur irgendwie Gelehrter sein wollte, war das Griechische ein wesentliches Werkzeug für ihn. Aber sonst schien es beinahe für niemand ein brauchbares Werkzeug zu sein. Schon während meiner Knabenzeit war Griechisch verschwunden, und Latein kam bereits ins Wanken. Latein, wie überhaupt der ganze Lehrplan der höheren Schule
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in Sprachen und Mathematik, hatten weitgehend ihre Verbindung mit dem amerikanischen Leben verloren und waren mehr ein formelles Erfordernis für die Zulassung zum College als ein Gegenstand lebendigen Studiums geworden. Die Stellung der modernen Sprachen an unseren höheren Schulen war teils fördernden, vorwiegend aber hemmenden Einflüssen unterworfen. Fördernd wirkte das Bedürfnis nach modernen Sprachen, besonders Französisch und Deutsch, als Hilfsmitteln in der Ausbildung des Naturwissenschaftlers, darüber hinaus der Wunsch, Handel mit den spanisch sprechenden Ländern im Süden zu pflegen. Als europäische Erziehung noch als wesentlich für die höhere Ausbildung jedes vorwärtsstrebenden amerikanischen Naturwissenschaftlers, ja selbst des Geisteswissenschaftlers galt, waren Französisch und Deutsch viel mehr im Schwange als heute. Französisch hatte damals noch stärker den Charakter einer Kultursprache. Heute spielen die lebendigeren Seiten der französischen Sprache und die Schätzung der französischen Kultur in ihrem vollen Sinne schon längst keine bedeutende Rolle mehr im Schulfranzösisch. Der Deutschunterricht der höheren Schulen lag während des ersten Weltkrieges größtenteils recht darnieder, und im zweiten Weltkrieg erlosch er ganz. Sowohl Französisch als Deutsch bleiben heute, wenn sie von fortgeschrittenen Studenten als Werkzeug und notwendige Hilfsmittel zur wissenschaftlichen Ausbildung gebraucht werden, den Bemühungen des einzelnen Studenten und den letzten College-Jahren oder der Graduate-Ausbildung überlassen. Die Kenntnis des Spanischen ist zweifellos in Texas und anderswo nahe der mexikanischen Grenze so wichtig, daß man ihr in der höheren Schule wirkliche Aufmerksamkeit schenkt. Gleichwohl ist der Standard des in der höheren Schule gelernten Spanischen selten so, daß es denjenigen, die Spanisch zu Geschäftszwecken in Mexiko und Südamerika benötigen, erlaubte, auch nur an einem einfachen geselligen Abend in einem spanisch-sprechenden Hause teilzunehmen. Dieser Mangel an sprachlicher Ausbildung ist zurückzuführen auf die Tatsache, daß wir geographisch gesehen einen der größten Bevölkerungsblocks mit einheitlicher Sprache darstellen. Ein Holländer, der seine Geschäfte voranbringen will, wird beinahe jeden Tag in die Lage kommen, Englisch, Französisch oder Deutsch benutzen zu müssen. Sogar der Engländer schätzt seine Ferien auf dem Kontinent. Der Amerikaner aber begegnet zwischen
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treal und Laredo nirgendwo der Notwendigkeit, eine Fremdsprache anwenden zu müssen. Die vielen Ausländer, mit denen er etwa in Kontakt kommt, gelten ihm wegen ihres Nichtamerikanismus als minderwertig, und er erwartet von ihnen, daß sie die Initiative ergreifen und seine Sprache erlernen. Diese feindliche Einstellung gegenüber anderen Sprachen wird vom amerikanischen Touristen überall als Schutzmittel benutzt; und wenn etwa in Mexiko oder in Französisch-Kanada die Einheimischen sich nicht an seine Gewohnheiten anpassen wollen, so beschränkt er eben seinen Verkehr nur auf diejenigen, die sich nach ihm richten. Daher sind für den durchschnittlichen Schüler der höheren Schulen sogar die lebenden Sprachen etwas Totes. Das gleiche gilt für das Studium lebender Kulturen außer seiner eigenen. Einen gründlichen historischen Unterricht hat er nur in amerikanischer Geschichte empfangen. Dieser Geschichtsunterricht ist oft durch die vorherrschende öffentliche Meinung und sogar durch Gesetze so stark gefärbt, daß er viel mehr nur Patriotismus predigt, als den Versuch macht, das Geschehen wirklich zu erkennen. Wenn die Lehrbuchverfasser zwei Variationen einer Geschichte des Bürgerkrieges für unsere höheren Schulen veröffentlichen müssen, eine für den Norden und eine für den Süden, so ist dabei nicht sehr viel Unparteilichkeit zu erwarten; Geschichtslehrgänge dieser Art können kaum dem Zweck dienlich sein, den Schüler in der Welt, in der er lebt, zu orientieren. Durch die Erfordernisse der Ingenieurschulen und anderer technischer Unterrichtsanstalten von College-Charakter konnte sich ein ihnen gemäßer Unterricht in Mathematik, Physik und Chemie und sogar in einigen der anderen naturwissenschaftlichen Fächer in einigen Fällen halten. Das bezieht sich aber nur auf diejenigen Schulen, die wie das M. I. T. genügend überlaufen sind, um eigene Zulassungsanforderungen durchsetzen zu können. In den staatlichen Colleges werden sogar die Ingenieurstudenten mit so niedriger Vorbildung in diesen Grundfächern zugelassen, daß zwei College-Jahre damit verbracht werden, den Studenten auf den Stand zu bringen, der auf einem kontinentalen Gymnasium oder einer Realschule im Alter von sechzehn Jahren erreicht wird. Unter normalen Bedingungen haben nur diejenigen, die nach abgeschlossenem Studiengange weiterstudieren, Hoffnung, etwas mehr als gerade nur Kochbuchingenieure zu werden, die ihr Leben lang an eins der umfassenden Ingenieurhandbücher gebunden bleiben. Als einziger Unterrichtsgegenstand der höheren Schulen, der
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noch von gewissem kulturellen Wert sein kann, bleibt das Englische. In den Händen eines in seinem Berufe aufgehenden Lehrers mit eigenen kulturellen Interessen kann dieser Wert durchaus vorhanden und sogar hoch sein. Aber es muß daran erinnert werden, daß an durchschnittlichen höheren Schulen weder die Bezahlung noch die soziale Stellung des Lehrers genügen, um ihnen Lehrer mit besonderen kulturellen Interessen zuzuführen. Die meisten Lehrer des Englischen an höheren Schulen sind junge Frauen ohne besonderes geistiges Niveau, die die Zeit bis zur Heirat in standesgemäßer, aber keine übermäßigen Ansprüche stellender Beschäftigung verbringen. Der in das Durchschnittscollege eintretende durchschnittliche Student vermag weder eine Seite annehmbares Englisch zu schreiben, noch ein schöngeistiges Buch mit Verständnis zu lesen. Was ich eben von der Technischen Hochschule gesagt habe, gilt mutatis mutandis von den Universitäten, mit dem Ergebnis, daß die Last ernsthafter Lernarbeit auf die Jahre von achtzehn bis zwanzig übertragen wird. Das ist verzweifelt spät für den durchschnittlichen jungen Mann oder das junge Mädchen, die sich nicht bereits kulturelle Neigungen und zweckmäßige Studiengewohnheiten angeeignet haben. Von diesem Alter an lassen sich solche Neigungen und Gewohnheiten zunehmend schwerer entwickeln, besonders da der Student so stark in Anspruch genommen ist, daß es meist hoffnungslos für ihn ist, in der dürftigen verbleibenden Zeit in mehr als einer Richtung auch nur ein Mittelmaß von Können zu erreichen. Wenn er sich geisteswissenschaftlich betätigt, hat er keine Zeit, zu erfassen, was Naturwissenschaften eigentlich sind, und wenn er Naturwissenschaften studiert, findet er im allgemeinen, daß ihm geisteswissenschaftliche Bücher verbotenes Land sind. Die verschiedenen Füllfächer wie Volkswirtschaft und Staatsbürgerkunde, die den verdünnten Stundenplan des Schülers ergänzen und in vielen Fällen ganz ersetzt haben, liefern weder genügend Zucht noch genügend sichere objektive Grundlagen, um die früheren traditionellen Fächer im Bildungsgang der Jugend zu ersetzen. Wenn sie überhaupt ernst genommen werden und nicht nur als Notbehelf dienen sollen, um den Schüler der höheren Schulen während der Jahre zu beschäftigen, in denen die Gesetze unseres Landes ihm ein festes Arbeitsverhältnis noch verbieten, müssen sie mit einem Erfahrungsstand und einer Reife angegangen werden, die im allgemeinen nur dem völlig Erwachsenen gegeben sind.
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Die Fächer, die die Grundlage der Erziehung bildeten und heute aus dem einen oder anderen Grunde weniger beliebt sind, sind einem unaufhörlichen Angriff durch den Lehrberuf und durch die staatliche Gesetzgebung ausgesetzt. Bei uns ist die merkwürdige Idee im Schwange, daß zur Demokratie eine Erziehung gehöre, welche nicht über die Fassungskraft des Dümmsten hinausgeht und daß jede Unterscheidung auf Grund intellektueller Fähigkeiten oder jedes Sitzenbleiben zurückgebliebener Schüler verderblich sei. Ein junger Mensch von außergewöhnlicher Begabung wird im allgemeinen entweder nicht beachtet oder wie ein Störenfried behandelt, der den sanften Lauf unseres demokratischen Schullebens in Unordnung bringt. Nur selten wird erkannt, daß er wahrscheinlich einen unersetzlichen Beitrag für die Zukunft seiner Gemeinschaft liefern könnte, und nur selten wird ihm die Gelegenheit gegeben, seine Kräfte an Problemen zu erproben, die seinen Fähigkeiten gemäß sind. Daher ragt das Schülermaterial, das auf die Colleges und Universitäten kommt, selten über eine farblose Mittelmäßigkeit heraus. Dieses magere Erz muß einem besonderen Prozeß unterworfen werden, bevor es brauchbares Metall ergeben kann. Die heute übliche Behandlung der Kulturfächer kommt einem Überblickslehrgang gleich. Nun kann ein solcher Lehrgang sehr nützlich sein, um dem Studenten, der schon voller Spezialwissen steckt, eine allgemeine Orientierung zu vermitteln. Bei dem Studenten aber, der in einem solchen Kursus zum ersten Male auf Plato und Aristoteles, Bacon und Locke stößt, kann dies nur zu Sophisterei führen, d. h. dazu, mit einer gewissen Überzeugungskraft über Dinge zu reden, von denen er nichts versteht. Wenn diese Methode über Philosophie und Literatur hinausgeht und (ausgerechnet!) in Mathematik angewandt wird und besonders, wenn sie auf die ziemlich oberflächliche Lektüre einiger großer Werke beschränkt wird, ist sie nicht nur sinnlos, sondern entschieden schädlich; denn sie gibt ein falsches Bild von dem, was Mathematik heutzutage bedeutet und was ihre gegenwärtige geistige Entwicklung ausmacht. Das gilt gleichermaßen für Physik und Biologie. Ich sagte bereits, daß den Collegestudenten, die unsere höheren Schulen üblichen Stils durchlaufen haben, viel zu wenig Zeit bleibt, um in mehr als einem Fache wesentliche Fortschritte zu machen. Einige von ihnen werden annehmbare Ingenieure und sogar annehmbare wissenschaftliche Arbeiter werden, vorausgesetzt, daß sich die Erfordernisse ihrer Wissenschaften nicht über
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mehr als ein oder zwei Gebiete erstrecken. Einige von ihnen, die eine Methode gefunden haben, um auch außerhalb ihres Studienganges zu lernen und selbständige Studien zu treiben, haben sich zu leidlich gebildeten Menschen entwickelt. Diejenigen, denen das nicht gelingt, finden sich, wenn sich ihr Interesse auf Literatur und Sozialwissenschaften richtet, genau so wie die Jünger der Naturwissenschaften auf ein einzelnes Gebiet beschränkt, aber ohne den Vorteil der geistigen Zucht, der jene wenigstens in gewissem Maße unterworfen sind. Einige studieren Jura und folgen damit der begrenztesten und am wenigsten bildenden aller Disziplinen. Einige schließlich werden Künstler und Literaten. Aber von diesen haben die meisten keine Zeit mehr, ihr Handwerk in einer angemessenen Lehre zu erlernen: Gewöhnlich werden sie Kritiker. Die seelische Struktur dieser Kritiker nimmt gewöhnlich eine bestimmte Form an. Die allermeisten von ihnen sind unbefriedigte Menschen, und zwar in doppelter Hinsicht: unbefriedigt zunächst in ihrem Mangel an Kontakt mit den Entwicklungen der modernen Kultur und Zivilisation; zum anderen durch ihre Unfähigkeit, auf ihrem eigenen Interessengebiet wirklich schöpferische Arbeit zu leisten. Natürlich ist diese Unfähigkeit ebensosehr einer emotionalen Hemmung als der Unwissenheit zu verdanken, aber letzten Endes ist es, um etwas Neues hervorzubringen, leichter, emotionale Zufälligkeiten zu überwinden, wenn eine gesunde handwerkliche Tradition dafür eingesetzt werden kann. Noch vor einer Generation war die Abteilung für klassische Sprachen die hauptsächliche akademische Zufluchtstätte für den außerhalb seiner Zeit lebenden Intellektuellen. Heute ist es vor allem die Abteilung für Englisch. Theoretisch sollte der Professor des Englischen den Ausdruck seiner selbst im Schreiben finden oder mindestens in der Würdigung und Bewahrung der literarischen Schätze der Vergangenheit und in der kritischen Beurteilung neu an die Öffentlichkeit tretender Schriftsteller. In Wirklichkeit gibt es wenig Anglisten, die in der Lage sind, sich solcher kongenialen Arbeit zu widmen. Diese Ausnahmeleistungen sind eben nur um den Preis jahrelangen Dienens zu erringen; der Anglist aber vertut gut die Hälfte seiner Zeit, um dem Collegeanfänger das Skelett einer Stilschulung zu geben, die dieser eigentlich 5–10 Jahre früher empfangen haben sollte, mit dem Erfolg, daß auf jeden Schüler, auf den er mit bescheidenem Stolz blicken kann, zehn andere kommen, deren Erziehung für ihn einen offenbaren Mißerfolg darstellt. Seine restliche Zeit ist so
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grenzt, daß ihm wenig Gelegenheit dafür bleibt, die Fähigkeiten und die Sprachgewandtheit seiner Schüler mit der für wirklichen Erfolg notwendigen Muße zu entwickeln. Das Ergebnis ist wieder der Überblickslehrgang. Dieser setzt sich häufig aus einer Anzahl von Texten zusammen, die sinnvoll sind, wenn sie einer nach dem anderen durchgenommen werden, und deren Aufeinanderfolge für den verständlich ist, der schon ein gewisses kulturgeschichtliches Wissen hat. Bei dem Tempo, in dem sie in einem zusammengedrängten Lehrgang durchgenommen werden müssen, bilden sie jedoch eine fast ebenso gleichmäßige magere Aufeinanderfolge wie das Lexikon. Ragout kann unter gewissen Umständen sehr nahrhaft sein, aber für die Erziehung eines Feinschmeckergaumens ist es nicht ganz das Richtige. Das Ergebnis von alledem ist der „versauerte Englischlehrer“. Diese Berufskrankheit ist in ihrem voll entwickelten Stadium nicht unberührt von der Tatsache, daß Literatur der Bühne verwandt ist und daß eine gewisse Pose olympischen Mißvergnügens das Ansehen des Lehrers als Persönlichkeit und Gelehrter erhöht. Der elfenbeinerne Turm und die damit verbundene persönliche Einstellung würden nicht sehr viel bedeuten, wenn die Aufgabe des Literaturkritikers und des Beschützers der Kultur wirklich so wenig verantwortlich und unwichtig wäre, wie manche glauben. Sie ist es durchaus nicht, und sie sollte sehr verantwortungsbewußt ausgeübt werden. Niemals gab es ein Zeitalter, das sich seiner eigenen Voraussetzungen so wenig bewußt war wie die jetzige Zeit. Das kommt nicht daher, daß es ein minderwertiges Zeitalter, sondern daß es ein verworrenes Zeitalter ist und daß der Weg zu seinem Verständnis noch nicht klar abgesteckt worden ist. Wir beklagen es oft als ein Zeitalter, dem es an handwerklichem Können fehlt. Aber der durchschnittliche Automechaniker oder Radiotechniker auf dem Lande ist ein vorzüglicher Handwerker. Im Vergleich mit diesen Männern war der altmodische Dorfschmied oft nicht mehr als ein roher Stümper. Wenn er vor der Eintönigkeit seines Geschäftslaufs gelegentlich bei einem feinen Stück schmiedeeiserner Arbeit Zuflucht suchte – nun gut, der Radiomann tut dasselbe beim Bau eines Rundfunkempfängers von ungewöhnlicher Tonreinheit. Die Tatsache, daß der eine dieser Männer sich an das Auge wendet und der andere an das Ohr oder sogar an den Intellekt, setzt die Geschicklichkeit und die Handwerkskunst der gegenwärtigen Generation nicht herab.
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In diesem Zusammenhang zeigt sich, daß merkwürdigerweise gerade diejenigen unsere Zeit am wenigsten verstehen, die die Hüter ihrer Ideale sein sollten. Weil das Handwerk der Gegenwart den Hobel und die Drehbank benutzt, neigt es dazu, Gegenstände mit großen ebenen oder zylindrischen Oberflächen herzustellen. Das Flugzeug, jene Spitzenleistung der modernen Technik, hat Flügel, Propeller und Streben mit gewissen aerodynamischen Eigenschaften, und diese Eigenschaften verlangen geschwungene glatte Oberflächen. Diese zufälligen Oberflächeneigenschaften der Bearbeitung sind in die Köpfe der Industriekonstrukteure und Innendekorateure eingegangen. Diese Herren unterliegen einer verständlichen, aber nicht zu rechtfertigenden Neigung, auch Schneeschläger, Stehlampen und Bildhauerarbeiten stromlinienförmig zu gestalten. Diese Entwurfsart ist ebensowenig werkgerecht und ebenso sehr auf den Schein berechnet wie vor fünfzig Jahren die Mode der Nähmaschinenkonstrukteure, die ihre Maschinen mit sorgfältig verschnörkelten schmiedeeisenähnlichen gußeisernen Rahmen ausstatteten. Auch die Literatur wendet weit mehr Aufmerksamkeit der äußeren Erscheinung der Gegenwart als den Dingen zu, die den Pulsschlag des heutigen Lebens ausmachen. Ein Roman, der den Unrat der Großstadt-Slums oder den üblen Geruch der „Tobacco Road“-Hintergebäude an sich hat, gilt als groß und realistisch. Zwar gibt es Romane, welche zeigen, wieso die Süd-Chicagoer Slums zum allgemeinen Bild der Zeit gehören und welche Faktoren die Tobacco Road zu dem machen, was sie ist. Aber sie sind nicht allzu häufig und neigen im allgemeinen dazu, sich in stark parteiliche Lehrhaftigkeit zu verlieren. Noch geschaffen werden muß das umfassende Bild unseres Jahrzehnts oder Halbjahrhunderts, auf dem sich das Leben echter individueller Charaktere statt propagandistischer Figuren vom Hintergrund des wechselseitigen Zwischenspiels technischer und politischer Umstände abhebt. Ich schreibe dieses Buch aus dem Blickwinkel des Professors einer amerikanischen Technischen Hochschule, und zwar des M. I. T. Dabei bin ich mir wohl bewußt, daß ein großer Teil unserer Studenten durch Ausbildung und Neigung mehr auf technischem als auf kulturellem Gebiet ansprechbar ist. Ich bin mir indessen ebenso wohl bewußt, daß ein beachtlicher Teil unserer begabteren Studenten echten Bildungsdrang hat. Ihr Interesse an Musik, an Literatur und Philosophie und ihr geistiges Verständnis ihrer eigenen Aufgabe und Stellung zeigen eine Frische und
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keit, die man bei vielen Studenten der Universität vermißt, deren Hauptzweck doch ein kultureller sein sollte. Diese jungen Menschen sind Teilnehmer an der neuen Welt, nicht bloße Betrachter. Wenn wir eine Kultur entwickeln sollen, die die Welt, in der sie besteht, voll erfaßt und versteht, kann sie nur von solchen Menschen kommen. Der überfeinerte Mensch der Elfenbein-Kultur, dessen stärkste Gefühlsregung eine Art Herdentrieb ist, anderen gebildeten Menschen zu gleichen, ist zu bleichsüchtig und asthenisch, um viel zum Verständnis des gegenwärtigen Zustands der Welt beitragen zu können. Seine sehr kritische, fast snobistische Reinheit der Betrachtung ist im Grunde eine Selbstverteidigung. Wenn er versucht, eigenen Geschmack und eigenen Jargon zu haben, ist dies immer der Geschmack und Jargon eines Kults oder einer Clique, der ihn vor der rauhen Luft der Außenwelt beschützen soll, indes er sich mit seinesgleichen zusammendrängt wie blinde Kätzchen in einem Korbe. Das Evangelium nach Freud verkörpert gerade jene besondere Verbindung von Gelehrsamkeit und Hokuspokus, die seinen Eigendünkel anspricht. Die große Quelle des Intellekts, wenn nicht gar der Intellektuellen, wird jedoch in Zukunft jene Gruppe von Menschen sein, die für die Berufe des Ingenieurs, des Mediziners oder des Naturwissenschaftlers geschult sind – Berufe, die intellektuelle Ausdauer verlangen und intellektuellen Wissenstrieb ermutigen. Wenn diese Menschen Zugang zu den Sozialwissenschaften und zur Literatur finden können – nicht durch einige wenige klischeehafte Kurse, sondern durch verständnisvolle Lehrer mit soziologischen oder literarischen Neigungen, welche mit naturwissenschaftlichen Denkmethoden und -gewohnheiten bereits vertraut sind – dann werden sie weit bessere, ja sogar wahrhaft amerikanische Grundlagen für die Soziologie und Literatur des kommenden Zeitalters liefern, als frühere Zeiten oder Länder sie gekannt haben. Sie müssen erkennen lernen, daß Wissen und Kultur nicht private Schätze sind, die in einem Safe eingeschlossen und nur von einer Elite geschaut werden sollen, und daß alles Wissen und alle Kulturen eins und unteilbar sind. Sie müssen lernen, sich in dem zu bewähren, was sie schon fühlen: daß für den Gelehrten, den Künstler und den Mann der Tat nur der ganze Mensch genug ist. Es ist dieses Gefühl für Ganzheit und Unteilbarkeit, das eine größere Gruppe von uns M. I. T.-Leuten in unseren Studenten zu erwecken und bewußt zu machen versucht.
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Ich tadele nicht die feindliche Einstellung des amerikanischen Intellektuellen gegenüber Naturwissenschaft und Maschinenzeitalter. Feindliche Haltung ist etwas Positives und Aufbauendes, und vieles an dem Vorwärtsdrängen des Maschinenzeitalters verlangt aktiven und überlegten Widerstand. Vielmehr tadele ich ihn wegen seines mangelnden Interesses am Maschinenzeitalter. Er hält es für nicht wichtig genug, die Haupttatsachen der Naturwissenschaften und der Technik gründlich kennenzulernen und ihnen gegenüber aktiv zu werden. Seine Haltung ist feindselig, aber seine Feindseligkeit geht nicht so weit, ihn zu irgendetwas zu veranlassen. Es ist mehr ein Heimweh nach der Vergangenheit, ein unbestimmtes Mißbehagen gegenüber der Gegenwart, als irgendeine bewußt eingenommene Haltung. Er unterwirft sich den Strömungen des Tages und nimmt sie als unangenehm, aber unvermeidbar hin. So erinnert er an jene fragilen Geschöpfe in einer Fabel von Lord Dunsany. Die zarten und verfeinerten Wesen hatten sich so daran gewöhnt, von einer gröberen und brutaleren Rasse aufgefressen zu werden, daß sie ihr Schicksal als natürlich und ihnen gemäß hinnahmen und die Axt willkommen hießen, die ihnen den Kopf abschlug.
X. Die erste und die zweite industrielle Revolution Die vorangehenden Kapitel dieses Buches waren dem Studium des Menschen als eines kommunikativen Organismus gewidmet. Indessen kann, wie wir bereits gesehen haben, auch die Maschine ein kommunikativer Organismus sein. In diesem Kapitel werde ich das Gebiet behandeln, in dem die kommunikativen Eigenschaften des Menschen und der Maschine aufeinanderstoßen, und zu ermitteln versuchen, in welcher Richtung die Entwicklung der Maschine gehen wird und welche Wirkungen auf die menschliche Gesellschaft wir erwarten können. Schon einmal in der Geschichte ist von der Maschine ein Anstoß mit ungeheuren Auswirkungen auf die menschliche Kultur ausgegangen, der als die industrielle Revolution bekannt ist. Hier trat die Maschine rein als Ersatz des menschlichen Muskels in Erscheinung. Es ist vielleicht sinnvoll, bei der Untersuchung der gegenwärtigen Krise, die wir die zweite industrielle Revolution nennen werden, die Geschichte der früheren Krise als Muster zu erörtern, auf das wir zurückgreifen können. Die erste industrielle Revolution hatte ihren Ursprung in der geistigen Gärung des 18. Jahrhunderts, das bereits die durch Newton und Huygens gut entwickelten Methoden der naturwissenschaftlichen Forschung, jedoch noch keine Anwendungen vorfand, die über die Astronomie hinausgingen. Aber es war schon allen einsichtigen Naturwissenschaftlern klar geworden, daß sich diese neuen Methoden weitgehend auf die anderen Gebiete der Naturwissenschaft auswirken mußten. Zuerst trat dies auf dem Gebiet der Schiffahrt und der Uhrmacherei in Erscheinung. Schiffahrt ist eine Kunst, die bis auf die ältesten Zeiten zurückgeht; aber bis etwa um 1730 haftete ihr eine offensichtliche Schwäche an. Das Problem, die geographische Breite zu bestimmen, hatte schon lange seine Lösung gefunden, selbst die Griechen kannten sie schon. Es ist einfach das Problem, die Polhöhe zu bestimmen. Das wird roh so gemacht, daß man den Polarstern als den wirklichen Himmelspol annimmt; es kann aber auch sehr genau durchgeführt
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werden durch weitere Verfeinerungen, die den Mittelpunkt des sichtbaren Kreiswegs des Polarsterns festlegen. Das Problem der geographischen Länge hingegen ist stets schwieriger. Dort, wo die Bestimmung durch geodätische Messung nicht möglich ist, kann es nur durch einen Vergleich der Ortszeit mit irgendeiner Standardzeit, beispielsweise der von Greenwich, gelöst werden. Dazu muß entweder die Greenwichzeit auf einem Chronometer mitgeführt werden, oder es muß irgendeine andere Himmelsuhr als die Sonne gefunden werden, die das Chronometer ersetzt. Solange keine dieser beiden Methoden dem praktischen Seefahrer zugänglich war, blieb er in seiner Navigation stark gehemmt. Er segelte solange der Küste entlang, bis er die Breite seines Ziels erreichte. Dann schlug er diesem Breitenkreise entlang östlichen oder westlichen Kurs ein, bis er Land sichtete. Wie weit er auf diesem Kurse gekommen war, konnte er nur durch eine Überschlagsrechnung feststellen. Er mußte deshalb stets auf der Hut sein, daß er sich nicht unvermerkt einer gefährlichen Küste näherte. Wenn er dann Land ausgemacht hatte, segelte er wieder der Küste entlang bis zu seinem Bestimmungsorte. Man begreift, daß unter solchen Umständen jede Reise weitgehend ein Abenteuer war. Nichtsdestoweniger war dies für viele Jahrhunderte die übliche Art, Meere zu überqueren. Beispiele dafür sind der von Columbus eingeschlagene Kurs, der Kurs der Silberflotte und der Kurs der Acapulco-Galleonen. Dieses langsame, höchst unsichere Verfahren war für die Admiralitäten des 18. Jahrhunderts nicht befriedigend. Einmal lagen die Überseeinteressen Englands und Frankreichs, im Gegensatz zu den spanischen, in hohen Breiten, in denen der Vorteil eines direkten Großkreiskurses gegenüber einem Ost-West-Kurs am augenfälligsten ist. Zum anderen bestand zwischen den beiden nördlichen Mächten eine starke Nebenbuhlerschaft um die Vorherrschaft der Meere, und der Vorteil einer besseren Navigationskunst wog sehr schwer dabei. Es kann nicht überraschen, daß beide Regierungen hohe Belohnungen für eine genaue Methode zur Bestimmung geographischer Längen aussetzten. Die Geschichte dieser Preiswettbewerbe ist verwickelt und nicht sehr erbaulich. Mancher fähige Mann wurde seines rechtmäßigen Erfolges beraubt und ging bankrott. In beiden Ländern wurden schließlich diese Preise für zwei ganz verschiedene Errungenschaften gewährt. Die eine war die Konstruktion eines genauen Schiffschronometers, d. h. einer Uhr, die so gut konstruiert und
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abgestimmt war, daß sie bei den andauernden heftigen Schiffsbewegungen während der Fahrten die Zeit bis auf wenige Sekunden genau halten konnte. Die andere war die Herstellung brauchbarer mathematischer Tafeln der Mondbewegung, die es dem Steuermann ermöglichten, diesen Himmelskörper als Uhr zur Kontrolle der scheinbaren Bewegung der Sonne zu benutzen. Diese beiden Methoden haben seitdem die gesamte Schiffahrt bis zum Aufkommen von Radio- und Radartechnik beherrscht. So bestand in der industriellen Revolution die Avantgarde der Handwerker aus Uhrmachern, die die neue Mathematik von Newton bei dem Entwurf ihrer Pendel und ihrer Steigräder benutzten, und aus Optikern mit ihren Sextanten und Teleskopen. Diese beiden Gewerbe hatten viel Gemeinsames. Sie verlangten beide die Herstellung von genauen Kreisen und exakt geraden Linien und deren Teilung in Grade oder in Zoll. Ihre Werkzeuge waren die Drehbank und die Teilmaschine. Diese maschinellen Hilfsmittel des damaligen Feinmechanikers sind die Ahnen unserer gesamten Werkzeugmaschinenindustrie von heute. Es ist interessant zu sehen, wie jedes Werkzeug eine Genealogie hat und von den Werkzeugen abstammt, mit denen es selbst gebaut worden ist. Die Uhrmacherdrehbänke des 18. Jahrhunderts haben über eine deutlich verfolgbare historische Kette von Zwischenlösungen zu den großen Karusselldrehbänken der Gegenwart geführt. Die Reihe der Zwischenschritte hätte natürlich etwas kürzer sein können – andererseits war eine gewisse Mindestlänge unumgänglich. Es ist sichtlich unmöglich, beim Bau einer großen Karusselldrehbank das Gießen des Metalls, das Aufbringen der Gußstücke auf die Bearbeitungsmaschinen und vor allem die Bearbeitung selbst nur mit Menschenkraft ohne jede andere Hilfe bewältigen zu wollen. Es muß durch Maschinen geschehen; diese sind wieder durch andere Maschinen hergestellt worden, und über viele Stufen dieser Art kommt man bis zu den Original-Hand- oder Fußdrehbänken des 18. Jahrhunderts zurück. Es ist deshalb ganz natürlich, daß zum Entwickeln neuer Erfindungen diejenigen berufen waren, die entweder selbst Uhrmacher oder Hersteller wissenschaftlicher Instrumente waren oder Leute dieser Berufe an der Hand hatten. Watt beispielsweise war Instrumentenmacher. Aber selbst ein Mann wie Watt mußte seine Zeit abwarten, bis er die Genauigkeit von Uhrmachermethoden auf größere Konstruktionen ausdehnen konnte. Ich erinnere noch einmal: Es war ein Standardmaß für die Passung eines Kolbens in
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einen Zylinder, daß man gerade noch ein dünnes Sixpencestück zwischen beide einschieben und bewegen konnte. Wir müssen also die Schiffahrt und die Notwendigkeit brauchbarer Instrumente dafür als Ausgangspunkt einer industriellen Revolution vor der industriellen Hauptrevolution betrachten. Diese industrielle Hauptrevolution beginnt mit der Erfindung der Dampfmaschine. Die früheste Form der Dampfmaschine war die roh ausgeführte und unwirtschaftliche Newcomen-Maschine, die für die Wasserhaltung in Gruben angewandt wurde. In der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte man einige unglückliche Versuche gemacht, sie zur Krafterzeugung zu benutzen, indem man mit ihrer Hilfe Wasser in erhöhte Reservoire pumpte und seinen Fall zum Antrieb von Wasserrädern ausnutzte. Diese schwerfälligen Anlagen kamen außer Gebrauch mit der Einführung der vervollkommneten Watt’schen Maschinen, die schon sehr bald sowohl für Fabrikzwecke wie für Grubenwasserhaltung benutzt wurden. Am Ende des 18. Jahrhunderts war die Dampfmaschine in der Industrie überall eingeführt, und Flußdampfer und Eisenbahn standen vor ihrer Verwirklichung. Halten wir fest, daß die erste praktische Anwendung der Dampfkraft eine der rohesten Formen menschlicher oder tierischer Arbeit ersetzte: das Pumpen des Wassers aus den Gruben. Im besten Falle betrieb man das durch Zugtiere oder durch grobgezimmerte, von Pferden getriebene Maschinen, im schlimmsten Falle, wie in den Silberminen von Neu-Spanien, durch die Arbeit menschlicher Sklaven. Es ist eine Arbeit, die niemals endet und die niemals unterbrochen werden darf, wenn man nicht das nicht wiedergutzumachende Absaufen der Grube riskieren will. Die Beendigung dieser Sklavenarbeit durch die Dampfmaschine muß unbedingt als großer humanitärer Fortschritt angesehen werden. Aber Sklaven pumpten nicht nur Gruben aus, sie zogen auch beladene Flußschiffe aufwärts. Der zweite große Erfolg der Dampfmaschine war das Aufkommen des Dampfschiffes und speziell des Flußdampfers. Bei den seegängigen Schiffen blieb neben den Segeln die Dampfmaschine viele Jahre lang nur eine zusätzliche Hilfskraft von zweifelhaftem Wert; demgegenüber wurde das Innere der Vereinigten Staaten eigentlich erst durch den reinen Dampfbetrieb auf dem Mississippi erschlossen. Auch die Dampflokomotive begann wie das Dampfschiff eben dort, wo sie jetzt auszusterben scheint: bei der Beförderung schwerer Frachten. Das nächste Gebiet, auf dem sich die industrielle Revolution
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merkbar machte – vielleicht ein bißchen später als auf dem Gebiete der schweren Grubenarbeit, aber gleichzeitig mit der Revolution im Verkehrswesen –, war die Textilindustrie, eine Industrie, die bereits krank war. Schon vor Einführung der mechanischen Spindel und des mechanischen Webstuhls ließen die Bedingungen für die Spinner und Weber sehr viel zu wünschen übrig. Die Produktionsmenge, die sie herstellen konnten, reichte bei weitem nicht für die Anforderungen ihrer Zeit aus. Man kann deshalb kaum begreifen, daß der Übergang zur Maschine ihre Lage verschlechtert haben könnte. Aber er verschlechterte sie ohne Zweifel. Die Entwicklung der Textilmaschine setzte früher ein als die der Dampfmaschine. Der Strumpfwirkerstuhl hat in einer von Hand betriebenen Form bereits seit der Zeit der Königin Elisabeth bestanden. Das Maschinenspinnen war ursprünglich gebraucht worden, um Kettgarne für Webstühle herzustellen. Die völlige Mechanisierung der Textilindustrie, die sowohl Weben als auch Spinnen umfaßte, begann erst mit dem 19. Jahrhundert. Die ersten Textilmaschinen wurden mit der Hand betrieben, doch der Gebrauch von Pferdekraft und Wasserkraft folgte sehr rasch. Die Entwicklung der Watt-Maschine als Gegenstück zur Newcomen-Maschine entsprang zum Teil dem Wunsche, Energie in Form von Drehbewegung zu erhalten, wie sie für Textilzwecke benötigt wird. Die Textilfabriken gaben das Muster für fast die gesamte Industriemechanisierung ab. Auf dem sozialen Gebiet waren sie es, die die Verpflanzung der Arbeiter vom Heim in die Fabrik und vom Lande in die Stadt einleiteten. Es kam zur Ausbeutung der Kinder- und Frauenarbeit in einem Ausmaße und mit einer Brutalität, die heutzutage kaum mehr faßbar ist, wenn man die südafrikanischen Diamantminen und die Neu-Industrialisierung von China und Indien, sowie die Plantagenarbeit in allen Ländern außer acht läßt. In der Hauptsache war das darauf zurückzuführen, daß neue Arbeitsmethoden, neue moralische Verpflichtungen mit sich gebracht hatten, zu einer Zeit, in der man noch keine Formen für deren Erfüllung entwickelt hatte. Es war eine mehr technische als moralische Phase. Das ergab sich aus der Natur der Dampfkraft und ihrer damaligen Übertragungsmöglichkeiten. Die Dampfmaschine arbeitete, mit modernen Maßstäben gemessen, sehr unwirtschaftlich; allerdings ist das nicht so wichtig wie es scheinen könnte, wenn man berücksichtigt, daß die damaligen Dampfmaschinen ja nicht mit modernen Typen in Konkurrenz zu
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treten brauchten. Immerhin, für sich allein betrachtet waren sie im Großbetrieb sehr viel wirtschaftlicher als in einem kleinen. Im Gegensatz zur Kraftmaschine ist die Textilmaschine, ganz gleich ob Webstuhl oder Spindel, eine verhältnismäßig leichte Maschine und benötigt wenig Energie. Es war deshalb wirtschaftlich notwendig, diese Maschinen in große Fabriken zusammenzufassen, in denen viele Webstühle und Spindeln von einer einzigen Dampfmaschine angetrieben werden konnten. Damals kannte man nur mechanische Kraftübertragungsmittel. Dazu gehörten vor allem die langen Transmissionen mit Treibriemen und Riemenscheiben. Noch in meiner Kindheit war das typische Bild einer Fabrik das einer großen Halle mit langen an den Deckenbalken aufgehängten Transmissionen, deren Riemenscheiben die einzelnen Maschinen durch Treibriemen in Bewegung setzten. Solche Fabriken gibt es heute noch, wenn sich auch in den meisten Fällen die moderne Ausrüstung mit Einzelantrieb der Maschinen durch Elektromotoren durchgesetzt hat. Jedenfalls ist dieses zweite Bild heute das typische. Das Arbeitsfeld des Maschinenbauers hat ein völlig neues Gesicht erhalten. Hierin liegt eine wichtige, für die gesamte Geschichte der Erfindungen bedeutsame Tatsache. Gerade die Maschinenbauer und andere neue Handwerker des Maschinenzeitalters sollten jene Erfindungen entwickeln, die die Grundlage unseres Patentwesens bilden. Die mechanische Verbindung von Maschinen hat nämlich Schwierigkeiten, die recht ernsthaft sind und sich nicht leicht durch irgendeine einfache mathematische Formulierung fassen lassen. In erster Linie müssen entweder lange Transmissionen gut ausgerichtet werden, oder es müssen sinnreiche Verbindungsarten wie Kardangelenke oder Parallelkupplungen angewandt werden, die einen gewissen Spielraum freigeben. Zweitens ist der Kraftverbrauch der vielen für solche Wellen nötigen Lager sehr hoch. Bei der einzelnen Maschine bestehen ähnliche Anforderungen hinsichtlich der exakten Anordnung der umlaufenden und hin und her gehenden Teile, und die Zahl der Lager muß um des niedrigen Kraftverbrauchs und der einfachen Herstellung willen so weit wie möglich verringert werden. Diese Bedingungen können schwer erfüllt werden mit Hilfe allgemeiner Formeln, aber sie bieten ausgezeichnete Gelegenheiten für Erfindergabe und bastlerisches Geschick des alten Handwerkertyps. Infolge dieser Tatsache war der Übergang von mechanischer zu elektrischer Kraftübertragung im Maschinenbau von so großen
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Wirkungen. Der elektrische Motor ist eine Kraftmaschine, die sehr leicht in kleinen Größen gebaut werden kann, so daß jede einzelne Maschine ihren eigenen Motor haben kann. Die Übertragungsverluste in den elektrischen Leitungen einer Fabrik sind verhältnismäßig klein, und der Wirkungsgrad des Motors selbst ist relativ hoch. Die Verbindung des Motors mit seiner Leitung muß weder starr sein, noch besteht sie aus vielen Teilen. Aus Verkehrs- und Annehmlichkeitsgründen wird man zwar oft die Gewohnheit beibehalten, die verschiedenen Maschinen eines industriellen Prozesses in einer einzigen Fabrik aufzustellen, aber die Notwendigkeit, alle Maschinen mit einer einzigen Kraftquelle zu verbinden, ist nicht länger der entscheidende Grund für diese Zusammenballung. Mit anderen Worten, wir sind nun in der Lage, zur Heimindustrie zurückzukehren, wenn es aus anderen Gründen zweckmäßig ist. Darüber hinaus kann dort, wo es wünschenswert ist, eine einzelne Maschine mehrere Motoren enthalten, die die Kraft an den Stellen abgeben, wo sie benötigt wird. Das befreit den Konstrukteur von manchem Gedankenaufwand, den er früher beim mechanischen Entwerfen hätte aufbringen müssen. Bei einem elektrotechnischen Entwurf enthält das eigentliche Problem der Verbindung der Teile kaum irgendwelche Schwierigkeiten, die nicht einfacher mathematischer Formulierung und Lösung zugänglich wären. Das ist ein Beispiel dafür, wie Erfinderkunst durch die vorhandenen Mittel beeinflußt wird. Als die Industrie im dritten Viertel des letzten Jahrhunderts den Elektromotor zu verwenden begann, sah man in ihm zunächst nichts weiter als ein neues Gerät zur Durchführung vorhandener technischer Arbeitsgänge. Man ahnte wahrscheinlich nicht, daß er im Endeffekt eine neue Art der Fabrik entstehen lassen würde. Eine andere große elektrische Erfindung, die Vakuumröhre, hat eine ähnliche Geschichte gehabt. Vor der Erfindung der Vakuumröhre stellte die Regelung von Systemen großer Leistung eine Vielzahl unabhängiger Entwicklungsaufgaben. Denn die meisten der damaligen Regler arbeiteten keineswegs mit niedrigem Energiepegel. Zwar gab es schon einige besser entwickelte Regelungsmethoden, aber diese Ausnahmen lagen auf speziellen Gebieten, z. B. dem der Schiffssteuerung. 1915 überquerte ich den Ozean noch auf einem der alten Schiffe der Amerikalinie. Es entstammte der Übergangsperiode, in der die Schiffe noch Masten trugen, an denen man wirklich Segel aufziehen konnte. Nicht weit achteraus vom Hauptaufbau befand sich
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eine vorsintflutliche Maschine, die aus vier oder fünf Handspeichenrädern von sechs Fuß Durchmesser bestand. Mit diesen Rädern sollte das Schiff gesteuert werden, falls seine automatische Rudermaschine ausfiele. Bei einem Sturm hätten zehn oder mehr Männer ihr Letztes hergeben müssen, um das große Schiff auf seinem Kurs zu halten. Das war nicht die normale Methode, das Schiff zu steuern, sondern eben ein Ersatz für den Notfall oder, in der Seemannssprache, ein „Notsteuerstand“. Für normale Steuerung trug das Schiff, wie es alle anderen großen Schiffe seit Jahren hatten, eine Rudermaschine, die die verhältnismäßig kleinen Kräfte des Steuermannsmaats am Rad in die Bewegung des massiven Steuerruders umsetzte. Auf diese Weise wurde sogar auf rein mechanischer Basis ein gewisser Fortschritt zur Lösung des Problems der Kraft- und Drehmomentverstärkung erzielt. Aber diese damalige Lösung war weder für sehr große Unterschiede zwischen Eingangs- und Ausgangspegel anwendbar noch hatte sie einen befriedigend universellen Gerätetyp herauszubilden vermocht. Das anpassungsfähigste Universalgerät zur Verstärkung kleiner Energiebeträge in hohe Energiebeträge ist die Vakuumröhre oder die Elektronenröhre. Ihre Geschichte ist interessant, aber zu verwickelt, um sie hier zu besprechen. Indessen ist der Gedanke erheiternd, daß die Elektronenröhre, die auf die größte wissenschaftliche Entdeckung Edisons zurückgeht, vermutlich seine einzige Entdeckung war, die er nicht in einer Erfindung ausmünzte. Er beobachtete, daß in einer elektrischen Lampe zwischen dem Glühfaden und einer auf positiver Spannung gehaltenen Elektrode dann ein Strom floß, wenn der Faden beheizt wurde, sonst aber nicht. Hieraus entwickelten andere eine wirkungsvollere Methode als je zuvor, um einen starken Strom durch eine kleine Spannung zu steuern. Dies ist die Grundlage der modernen Radioindustrie, aber es ist auch ein Hilfsmittel der Technik, das sich weit in neue Gebiete hinein ausbreitete. Es ist nun nicht mehr nötig, einen Prozeß mit hohen Energiepegeln durch einen Mechanismus zu steuern, der selbst auf diesem hohen Energiepegel arbeitet. Es ist durchaus möglich, ein bestimmtes Verhaltensschema auf einer Pegelhöhe zu bilden, die sogar viel niedriger als die in gewöhnlichen Radiogeräten ist, und dann mit dieser Anordnung über eine Serie von Verstärkerröhren hinweg etwa eine so schwere Maschine wie eine Walzstraße zu steuern. Auswahl und Bilden des Verhaltensschemas hierfür geschieht unter Bedingungen, bei denen die
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Kraftverluste unbedeutend sind; aber die Endanwendung dieses Auswahlprozesses wird doch auf beliebig hohen Kraftpegeln wirksam. Diese Erfindung wandelt die Grundbedingungen für die Industrie offensichtlich ebenso tiefgreifend um, wie Übertragung und Verteilung von Energie durch den Gebrauch des kleinen elektrischen Motors umgewandelt wurden. Die Überwachung des Verhaltensschemas wird auf einen besonderen Teil des Geräts übertragen, in dem der Energieverbrauch eine sehr geringe Rolle spielt. Dadurch haben die bisher angewandten Kniffe und Erfindungen, die eine mechanische Übertragung auf möglichst wenig Elemente beschränken und Reibung und Spiel geringhalten sollten, viel von ihrer Bedeutung verloren. Der Entwurf neuartiger Maschinen ist damit von der Domäne des geschickten Werkstattmechanikers auf die des Wissenschaftlers im Laboratorium übergegangen; hier stehen alle Hilfsmittel der Schaltungstheorie zur Verfügung, um die Erfindungsgabe alter mechanischer Prägung zu ersetzen. Erfindung im alten Sinne ist durch die intelligente Anwendung der Naturgesetze verdrängt worden. Der Schritt von den Naturgesetzen zu ihrer Anwendung ist hundertfach kürzer geworden. Ich sagte früher schon, daß eine geraume Zeit zu verstreichen pflegt, bevor die Möglichkeiten einer Erfindung voll erkannt werden. Es dauerte lange, bis die Menschen den gewaltigen Einfluß des Flugzeugs auf die internationalen Beziehungen und auf die Bedingungen des menschlichen Lebens erkannten. Die Wirkung der Atomenergie auf die Menschheit und auf die Zukunft ist noch nicht abzuschätzen, wenn auch viele engstirnige Leute der Gegenwart in ihr nur eine weitere Waffe neben all den schon vorhandenen Waffen sehen. Mit der Vakuumröhre war es ähnlich. Im Anfang wurde sie nur als zusätzliches Hilfsmittel zum Ausbau der schon bestehenden Fernsprechtechnik angesehen. Die Elektroingenieure erkannten die wirkliche Bedeutung der Vakuumröhren zunächst so wenig, daß sie sie nur als speziellen Teil der Übertragungsapparaturen auffaßten. Dieser Teil wurde dann mit anderen Elementen verbunden, die nur aus den üblichen sogenannten inaktiven Stromkreiselementen – Widerstand, Kapazität und Induktivität – bestanden. Erst seit dem Kriege sind die Ingenieure in der Anwendung der Vakuumröhre sicher genug geworden, um sie mit derselben Freiheit einzuschalten, mit der sie früher diese drei passiven Elemente verwandten.
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Die Vakuumröhre wurde zunächst benutzt, um vorher vorhandene Bauteile in den Schaltungen der Ferntelefonie und der damaligen drahtlosen Telegraphie zu ersetzen. Es dauerte indessen nicht lange, bis man erkannte, daß die drahtlose Telefonie den Stand der drahtlosen Telegraphie erreicht hatte und daß Rundfunksendungen möglich waren. Man lasse sich durch die Tatsache, daß dieser große Erfindungserfolg der Seifenreklameoper und den Schlagerstars ausgeliefert worden ist, nicht blind machen gegenüber der ausgezeichneten Arbeit, die bei seiner Entwicklung geleistet worden ist, und gegenüber seinen großen zivilisierenden Möglichkeiten, auch wenn bei uns diese jetzt zu allgemeinen Werbesendungen für Arzneimittel pervertiert werden. So erlebte die Vakuumröhre ihren ersten Auftritt in der Nachrichtenindustrie. Grenzen und Möglichkeiten dieser Industrie wurden lange Zeit hindurch nicht voll erkannt. Es gab vereinzelte Anwendungen der Vakuumröhre und ihrer Schwestererfindung, der fotoelektrischen Zelle, zur Prüfung von Industrieprodukten, beispielsweise zum Regeln der Dicke der aus einer Papiermaschine herauskommenden Papierbahnen oder zum Überwachen der Farbe von Ananasdosen. Diese Anwendungen bildeten aber noch kein eigentliches neues Verfahren und waren ingenieurmäßig noch nicht mit den Problemen der Kommunikation verknüpft. All das änderte sich im Kriege. Eine der wenigen positiven Erscheinungen dieses großen Konfliktes war die schnelle Entwicklung von Erfindungen, unter dem Zwang der Notwendigkeit und dem Anreiz der unbegrenzten Geldmittel; dazu kam noch besonders, daß viel junges Blut zur industriellen Forschung herangezogen wurde. Bei Kriegsbeginn bestand unsere größte Aufgabe darin, England vor dem vollständigen Zusammenbruch durch die überwältigenden Luftangriffe zu bewahren. Dementsprechend war eines der ersten Objekte unserer wissenschaftlichen Kriegsanstrengungen das Flakgeschütz, besonders in Verbindung mit der Flugzeugpeilung durch Radar oder ultrakurze Hertzsche Wellen. Die Radartechnik gebrauchte dieselben Gegebenheiten wie die bestehende Radiotechnik und erfand daneben neue eigene. Radarforschung wurde dadurch ganz natürlich zu einem Zweig der Kommunikationstheorie. Ich habe das Problem der Flakfeuerleitung im ersten Kapitel dieses Buches behandelt. Ich habe gezeigt, wie die Schnelligkeit des Flugzeugs es nötig machte, dem Flakrechengerät selbst Kommunikationsfunktionen zu geben, die früher menschlichen Wesen
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zugeteilt gewesen wären. So machte das Problem der Feuerleitung den Begriff einer Kommunikation geläufig, die nicht an eine Person, sondern an eine Maschine gerichtet war. Wir haben übrigens in unseren Betrachtungen über die Sprache bereits ein anderes Gebiet erwähnt, in dem dieser Begriff einer begrenzten Gruppe von Ingenieuren schon lange Zeit vertraut geworden war, nämlich das des automatischen Wasserkraftwerks. Schon in der Vorkriegszeit hatten sich auch andere Anwendungen ergeben, bei denen die Vakuumröhre mehr mit der Maschine direkt als mit menschlichem Tun gekoppelt war. Die Großrechenanlagen, wie sie unter anderen von Vannevar Bush entwickelt worden sind, arbeiteten ursprünglich rein mechanisch. Die Integration geschah durch Reibradgetriebe, die mit Hilfe von Wellen und Zahnrädern gekoppelt waren, und die Übertragung zwischen diesen Reibrädern geschah durch einen klassischen Aufbau aus Wellen und Zahnrädern. Die Mutteridee dieser ersten Rechenmaschinen ist viel älter als die Arbeit von Vannevar Bush. In gewisser Hinsicht geht sie auf das Werk von Babbage im Anfang des letzten Jahrhunderts zurück. Diesem schwebte eine Rechenmaschine vor, die überraschend modern ist. Aber seine mechanischen Hilfsmittel blieben weit hinter seinen Ideen zurück. Die erste Schwierigkeit, auf die er stieß und mit der er nicht ins Reine kam, war, daß ein großes Zahnradgetriebe bei seiner Bewegung beträchtliche Energie verbraucht, so daß die Abgabe von Kraft und Drehmoment sehr bald zu klein wird, um die übrigen Teile des Geräts zu treiben. Bush sah diese Schwierigkeit und überwand sie auf einem sehr genialen Wege. Neben den von Vakuumröhren und ähnlichen Geräten abhängenden elektrischen Verstärkern gibt es gewisse mechanische Drehmomentverstärker, die jedem vertraut sind, der Schiffe und deren Entladeweise kennt. Der Stauer hebt die Lasten, indem er eine Windung des Seils, an dem seine Last hängt, um die Trommel einer kleinen Seilwinde oder eines Spills legt. Auf diese Weise wird der Zug, den er mechanisch ausübt, um einen Faktor vermehrt, der ungeheuer schnell mit dem Umschlingungswinkel zwischen seinem Seil und der rotierenden Trommel anwächst. So genügt ein Mann, um das Heben einer Last von vielen Tonnen zu beherrschen. Dieses Hilfsmittel ist grundsätzlich ein Kraft- oder Drehmomentverstärker. Es war ein geistreicher Konstruktionseinfall von Bush, solche mechanischen Verstärker zwischen den Stufen seiner
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Rechenanlage einzuführen, und so gelang ihm, das wirklich auszuführen, was sich Babbage nur erträumt hatte. Bei einem der ersten Modelle der „Integrieranlage“ von Vannevar Bush wurden alle hauptsächlichen Verstärkungsfunktionen durch mechanische Geräte dieser Art ausgeführt. Die einzige Aufgabe der Elektrizität bestand darin, die Energie für die Antriebsmotoren der ganzen Maschine zu liefern. Dieser Typ von Rechenanlagen war ein Übergangs- und Zwischenstadium. Man sah sehr bald, daß mittels Drähten statt Wellen verbundene Verstärker auf elektrischer Basis nicht nur billiger, sondern auch anpassungsfähiger sind als mechanische Verstärker und Übertragungen. Deshalb machte man auch bei den späteren Formen von Bushs Anlage Gebrauch von Vakuumröhrengeräten. Dies ist bei allen nachfolgenden Geräten beibehalten worden, sowohl bei den heute als Analogiegeräten bezeichneten, die vorzugsweise durch Messen physikalischer Größen arbeiten, als auch bei den Ziffernmaschinen, die hauptsächlich zählen und arithmetische Operationen ausführen. Die Entwicklung dieser Rechenmaschinen ist seit dem Kriege ungeheuer rasch gegangen. Für eine große Reihe von Berechnungsarbeiten haben sie sich als weitaus schneller und weitaus genauer als der menschliche Rechner erwiesen. Ihre Geschwindigkeit hat schon lange eine derartige Höhe erreicht, daß das Einschalten menschlicher Vermittlung bei ihrer Arbeit gar nicht mehr in Frage kommt. So erzwingen sie wie beim Flakrechengerät auch hier den Ersatz menschlicher Fähigkeiten durch Fähigkeiten der Maschine. In der Maschine müssen die Teile in einer ihnen angemessenen Sprache zueinander sprechen, ohne – ausgenommen in den Endund Anfangsstufen des Prozesses – zu irgendeinem Menschen zu sprechen oder auf irgendeinen Menschen zu hören. Hier treffen wir wieder etwas, das zur allgemeinen Ausdehnung der Kommunikationsidee auf Maschinen beigetragen hat. In diesem Gespräch zwischen den Teilen einer Maschine ist es oft nötig, das nochmals zur Kenntnis zu nehmen, was die Maschine bereits gesagt hat. Hier tritt der Begriff der Rückmeldung auf, den wir bereits besprochen haben; er ist älter als seine Anwendung in der Schiffs-Rudermaschine, ja, er findet sich schon beim Drehzahlregler an Watts Dampfmaschine. Dieser Regler wird benötigt, um zu verhindern, daß die Maschine durchgeht, wenn ihre Belastung wegfällt: Wenn sie zu schnell zu laufen beginnt, fliegen die Kugeln des Reglers durch Zentrifugalkraft nach oben, und durch ihre Aufwärtsbewegung verschieben sie einen Hebel,
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der den Dampfzustrom teilweise drosselt. So erzeugt die Neigung schneller zu werden, eine teilweise ausgleichende Neigung zum Langsamerwerden. Clerk Maxwell hat im Jahre 1868 diese Regelungsmethode einer gründlichen mathematischen Analyse unterzogen. Hier wird die Rückmeldung benutzt, um die Schnelligkeit einer Maschine zu regeln. Bei der Schiffs-Rudermaschine regelt sie die Stellung des Ruders. Der Mann am Steuer bedient ein leichtes Übertragungssystem, das über Ketten oder auf hydraulische Weise einen Hebel in dem Raume bewegt, in dem die Rudermaschine steht. Dort stellt ein besonderes Gerät den Abstand zwischen diesem Hebel und der Ruderpinne fest, und das Maß dieses Abstandes steuert den Zustrom des Dampfes zur Dampf-Rudermaschine; bei einer elektrischen Rudermaschine regelt es in ähnlicher Weise die Zufuhr der elektrischen Energie. Diese Änderung der Zufuhr ist, unabhängig von der Art des jeweiligen Übertragungsmechanismus, immer so gerichtet, daß die Ruderpinne und der von dem Rade in Bewegung gesetzte Hebel in Übereinstimmung gebracht werden. So kann ein einziger Mann am Rad mit Leichtigkeit das tun, was an dem alten, von Hand gesteuerten Rade eine ganze Mannschaft nur mit Mühe tun konnte. Wir haben bisher Beispiele gegeben, bei denen der Rückmeldevorgang hauptsächlich mechanisch vor sich geht. Indessen kann eine ganze Reihe ähnlicher Operationen mit elektrischen Hilfsmitteln und sogar mit Vakuumröhren ausgeführt werden. Sie versprechen, die zukünftige Standardmethode beim Entwurf von Regelungsgeräten zu werden. Die Neigung, Fabriken und Maschinen zu automatisieren, hat völlig unabhängig von Vakuumröhre und Regelungstechnik schon seit langem bestanden. Außer für Sonderfälle würde man nicht mehr daran denken, Schrauben mit einer gewöhnlichen Drehbank herzustellen, bei der ein Mechaniker den Vorschub des Drehstahls überwachen und von Hand bedienen muß: Die Massenherstellung von Schrauben ohne wesentliches Eingreifen von Hand ist zur normalen Aufgabe der gewöhnlichen Automatendrehbank geworden. Obwohl diese weder Regelungstechnik noch Vakuumröhre benutzt, erledigt sie eine irgendwie ähnliche Aufgabe. Der Fortschritt, den Regelungstechnik und Vakuumröhre gebracht haben, liegt aber nicht in dem vereinzelten Entwurf solch spezieller Automaten, sondern in allgemeinen Konstruktionsmöglichkeiten für automatische Mechanismen vielfältigster Art. Dabei kommt
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unsere moderne theoretische Behandlung der Nachrichtenübermittlung zu Hilfe, welche die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Maschine und Maschine voll berücksichtigt. Erst dieses Zusammentreffen von Umständen macht unser automatisches Zeitalter möglich. Der gegenwärtige Stand industrieller Technik umschließt neben der Gesamtheit der Ergebnisse der ersten industriellen Revolution gleichzeitig viele Erfindungen, die wir nun als Vorläufer der zweiten industriellen Revolution erkennen. Es ist noch zu früh, um sagen zu können, wo die genaue Grenze zwischen diesen beiden Revolutionen liegt. In ihrer potentiellen Bedeutung gehört die Vakuumröhre sicherlich einer anderen industriellen Revolution an, als derjenigen im Kraftzeitalter. Aber erst heute ist die wahre Bedeutung der Erfindung der Vakuumröhre genügend erkannt worden, um uns zu erlauben, das gegenwärtige Zeitalter einer neuen, der zweiten industriellen Revolution zuzuschreiben. Bis jetzt haben wir über den gegenwärtigen Stand der Dinge gesprochen. Dabei haben wir lediglich einen kleinen Teil der Aspekte der vorausgegangenen industriellen Revolution überblickt. Wir haben weder das Flugzeug noch den Raupenschlepper mitsamt den anderen mechanischen Werkzeugen des Bauwesens, noch das Automobil, noch auch nur ein Zehntel jener Faktoren erwähnt, die das moderne Leben vom Leben in allen früheren Zeiten völlig verschieden gestalten. Abgesehen von einer ganzen Reihe einzelstehender Beispiele hat die industrielle Revolution, wie man zugeben muß, Mensch und Tier als Kraftquellen entthront, ohne bis jetzt andere menschliche Funktionen näher berührt zu haben. Das Beste, was ein Erdarbeiter heutzutage noch machen kann, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist, als eine Art Nacharbeiter hinter der Planierraupe herzugehen. Wer nichts als seine Körperkraft zu verkaufen hat, hat – im großen gesehen – nichts anzubieten, wofür jemand Geld ausgibt. Gehen wir nun weiter zum Bild eines noch vollständiger automatisierten Zeitalters. Stellen wir uns etwa die Automobilfabrik der Zukunft vor und insbesondere ihr Fließband, denjenigen ihrer Bestandteile, der die meiste Arbeit umsetzt. Vor allem wird der Arbeitsablauf durch etwas gesteuert werden, was einer modernen Hochgeschwindigkeitsrechenmaschine ähnelt. In diesem Buche und an anderen Orten habe ich oft gesagt, daß die Hochgeschwindigkeitsrechenmaschine in erster Linie eine logische Maschine ist, die verschiedene Vorschläge einander gegenüberstellt und daraus
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einige der möglichen Folgerungen zieht. Man kann die gesamte Mathematik in die Ausführung einer Folge rein logischer Aufgaben übersetzen. Wenn die Mathematik in der Maschine auf diese Art dargestellt wird, so wird die Maschine eine Rechenmaschine im gewöhnlichen Sinne sein. Über die gewöhnlichen rechnerischen Aufgaben hinaus ist eine solche Maschine für die logische Aufgabe eingerichtet, eine Folge von Befehlen, die mathematische Operationen betreffen, richtig ablaufen zu lassen. Deshalb wird sie, wie es bei den heutigen Hochgeschwindigkeitsrechenmaschinen tatsächlich der Fall ist, zum mindesten e i n e große Baueinheit enthalten müssen, die rein logisch ist. Die Anweisungen an solch eine Maschine – auch hier spreche ich von der jetzigen Praxis – werden durch etwas gegeben, das wir das Programm (taping) genannt haben. Die Befehle können in die Maschine eingeführt werden durch ein Programm, das vorher völlig festgelegt ist. Aber auch die bei der Arbeit der Maschine bereits aufgetretenen Vorgänge können als Grundlage zu weiterer Steuerung an ein neues durch die Maschine selbst hergestelltes Programm oder an eine Abwandlung des alten übergeben werden. Ich habe bereits dargelegt, daß meiner Ansicht nach solche Prozesse dem Lernen verwandt sind. Man könnte meinen, daß der heutige hohe Preis von Rechenmaschinen von ihrer Verwendung in industriellen Prozessen abschreckt, und daß ferner die bei ihrem Bau benötigte Feinarbeit und der weite Spielraum ihrer Funktionen den Gebrauch von Massenproduktionsmethoden ausschließt. Keine dieser Annahmen trifft zu. Gewiß kosten die riesigen, heute für den höchsten Stand mathematischer Arbeit benutzten Rechenmaschinen Hunderttausende von Dollars. Für eine wirklich große Fabrik würde selbst eine so teuere Steuerungsanlage nicht unerschwinglich sein, aber tatsächlich braucht der Preis nicht einmal so hoch zu werden. Die heutigen Rechenmaschinen entwickeln sich so außerordentlich schnell, daß praktisch gesprochen jede einzelne ein neues Modell ist. Mit anderen Worten, ein großer Teil dieser anscheinend ungeheuren Beträge geht in neue Entwicklungsarbeit ein und in neue Teile, die durch sehr hochqualifizierte Arbeit unter kostspieligsten Umständen hergestellt werden. Wenn nun daher eine dieser Rechenmaschinen im Modell und Preise festgelegt und in Mengen von zehn oder zwanzig Stück hergestellt würde, läge ihr Preis vermutlich nicht höher als bei einigen zehntausend Dollar. Eine ähnliche Maschine kleinerer Kapazität, nicht für die
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ten rechnerischen Probleme, aber immerhin durchaus geeignet für Fabrikationssteuerung, würde wahrscheinlich bei einer Herstellungsart in mittlerer Serie nicht mehr als ein paar tausend Dollar kosten. Wie steht es nun mit der Massenproduktion? Wenn die einzige Möglichkeit für Massenproduktion die von vollständigen Maschinen wäre, ist es klar, daß wir auf lange Zeit hin höchstens auf Produktion in mittlerer Serie hoffen könnten. Indessen wiederholen sich in jeder dieser Maschinen gleiche Teile in sehr beträchtlicher Anzahl. Das ist der Fall beim Gedächtnisteil, beim logischen Gerät und beim Rechenwerk. So würde die Produktion von nur einigen wenigen Dutzend Maschinen die Massenproduktion gewisser Einzelteile ermöglichen und dabei die entsprechenden wirtschaftlichen Vorteile mit sich bringen. Es könnte noch scheinen, als ob bei solch hochentwickelten Maschinen jede Aufgabe ein besonderes neues Modell verlange. Das ist ebenfalls falsch; denn selbst wenn die verschiedenen mathematischen und logischen Operationen, die man von den mathematischen und logischen Einheiten der Maschine verlangt, nur eine schwache Ähnlichkeit miteinander haben, kann der gesamte Arbeitsablauf durch das Programmieren geregelt werden. Das Programmieren einer solchen Maschine ist eine hohe geistige Anforderungen stellende Spezialaufgabe für eine qualifizierte Fachkraft, aber es ist weitgehend oder überhaupt eine einmalige Aufgabe und braucht, wenn die Maschine für einen neuen industriellen Produktionsgang abgewandelt wird, nur teilweise wiederholt zu werden. So verteilen sich die Kosten solch eines geschulten Spezialisten über eine ungeheure Produktionsmenge und werden im Gebrauch der Maschine kein wirklich ins Gewicht fallender Faktor sein. Die Rechenmaschine stellt das Zentrum der automatischen Fabrik dar, aber sie wird niemals die ganze Fabrik sein. Auf der einen Seite empfängt sie ihre ins einzelne gehenden Anweisungen von Elementen, die Sinnesorganen entsprechen. Ich denke an „Sinnesorgane“ wie fotoelektrische Zellen, Kondensatoren für das Ablesen der Dicke einer Papierbahn, Thermometer, Wasserstoffionenkonzentrationsmesser und an die große Zahl von Geräten, die allenthalben von Instrumentenfirmen für nichtautomatische Steuerung industrieller Prozesse gebaut werden. Diese Instrumente werden heute bereits so hergestellt, daß sie über entfernte Stationen elektrisch berichten. Damit sie ihre Information in einen automatischen Hochgeschwindigkeitsrechner einführen können,
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gen sie lediglich ein Gerät, das Stellungs- oder Skalenwerte abliest und in das Schema einer Ziffernfolge übersetzt. Solche Geräte gibt es bereits, und weder ihr Prinzip noch ihre Konstruktionseinzelheiten bieten große Schwierigkeiten. Das Sinnesorgan-Problem ist nicht neu, es hat bereits gute Lösungen gefunden. Neben diesen Sinnesorganen muß das Regelungssystem Effektoren oder Stellglieder enthalten, die auf die Außenwelt einwirken. Einige von diesen sind von bereits bekanntem Typ, wie ventilbetätigende Motoren, elektrische Kupplungen und ähnliches. Einige andere müssen erfunden werden, um die Funktionen der vom menschlichen Auge unterstützten menschlichen Hand möglichst gut zu ersetzen. Bei der maschinellen Bearbeitung von Automobilchassis ist es ohne weiteres möglich, gewisse Metall-Ansätze stehen zu lassen, die auf der glatten Oberfläche als Bezugspunkte dienen; das Werkzeug – sei es nun Bohrer oder Nieter oder was immer wir brauchen – wird zuerst durch einen fotoelektrischen Mechanismus, der z. B. durch Farbpunkte in Gang gebracht wird, in die ungefähre Nachbarschaft dieser Oberfläche geführt. Die endgültige Einstellung bringt es dann auf die Bezugspunkte, und zwar so, daß eine feste, aber nicht zu enge Berührung hergestellt wird. Das wäre einer der Wege, um diese Aufgabe zu erfüllen. Jedem sachverständigen Ingenieur werden ein Dutzend weitere einfallen. Natürlich nehmen wir an, daß die als Sinnesorgane handelnden Geräte nicht nur über den augenblicklichen Stand der Arbeit, sondern auch über das Ergebnis des Arbeitens aller vorhergehenden Prozesse berichten. So kann die Maschine Regelungshandlungen ausführen, sowohl solche der einfachen jetzt schon häufig erwähnten Art, als auch solche mit komplizierten Unterscheidungsprozessen, die von der zentralen Regelung mit ihrem logischen oder mathematischen „Gehirn“ ausgeführt werden. Mit anderen Worten: Das Gesamtsystem kommt einem vollständigen Lebewesen mit Sinnesorganen, Effektoren und Propriozeptoren gleich und entspricht nicht, wie die Höchstgeschwindigkeitsrechenmaschine, einem isolierten Gehirn, das für seine Erfahrung und für seine Wirksamkeit von unserem Eingreifen abhängt. Die Schnelligkeit, mit der diese neuen Erfindungen in industriellen Gebrauch kommen werden, wird bei den einzelnen Industriezweigen sehr verschieden sein. Automatische Geräte, die den hier beschriebenen vielleicht nicht genau gleichen, die aber roh genommen die gleichen Funktionen erfüllen, sind bereits in ausgedehntem Maße in Industrien mit kontinuierlichen
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tionsprozessen wie Blechdosenfabriken, Walzwerken und besonders Draht- und Feinblechwerken in Gebrauch. Ebenso sind sie in Papierfabriken üblich, die auch einen kontinuierlichen Ausstoß haben. Unerläßlich sind sie auch bei Herstellungsprozessen, deren Regelung für eine größere Anzahl von Arbeitern mit Lebensgefahr verbunden wäre, und in denen eine Störung wahrscheinlich so ernsthaft und kostspielig wäre, daß man ihre Möglichkeit besser vorher in Betracht ziehen und nicht der erregten Beurteilung im Ernstfalle überlassen sollte. Kann man einen Produktionsablauf im voraus ausarbeiten, so kann man ihn auch in ein Programm übertragen, das den vorgesehenen Ablauf in Übereinstimmung mit den Ablesungen der Anlage steuern wird. Mit anderen Worten, solche Fabriken sollten unter einem Kommandosystem stehen, das dem des Eisenbahnstellwerks mit seinen Signalen und Weichen ähnelt. Ein solches System besteht schon in Ölraffinerien, ebenso in manchen anderen chemischen Werken und bei der Verarbeitung derjenigen gefährlichen Stoffe, die bei der Ausbeutung der Atomenergie auftreten. Wir haben schon erwähnt, daß beim Fließband diese Methoden angewandt werden. Beim Fließband wie in der chemischen Fabrik oder in der kontinuierlich arbeitenden Papierfabrik ist es nötig, eine gewisse statistische Kontrolle über die Güte des Produktes auszuüben. Solche Kontrollen beruhen auf einer Probenahme. Durch Wald und andere sind diese Probenahmen heute zu einer Methode entwickelt worden, die wir S e q u e n z a n a l y s e nennen; hierbei entnimmt man nicht vorher festgelegte Stichproben, sondern die Entnahme erfolgt als fortlaufender Prozeß Hand in Hand mit der Produktion. Da diese Auswertung nun so genormt ist, daß sie in die Hände eines statistischen Rechners gelegt werden kann, der die zugrunde liegenden Theorien nicht versteht, kann sie auch durch eine Rechenmaschine ausgeführt werden: d. h. die Maschine sorgt – wieder mit Ausnahme von Sonderfällen – für die regelmäßigen statistischen Kontrollen ebenso gut, wie sie schon für den Produktionsprozeß sorgt. Im allgemeinen ist in Fabriken die Buchhaltung unabhängig von der Produktion. Alle die Kostenberechnung angehenden Daten könnten, soweit sie von der Maschine oder dem Fließband kommen, direkt in die Rechenmaschine eingegeben werden. Andere Daten würden von Zeit zu Zeit durch menschliche Operatoren eingegeben, aber die große Masse der nötigen Schreibarbeit könnte auf die außergewöhnliche beschnitten werden. Man würde
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also für den Außenschriftverkehr und ähnliches noch Angestellte brauchen. Aber sogar davon könnte ein großer Teil durch die Korrespondenten auf Lochkarten empfangen oder durch äußerst niedrigbezahlte Arbeitskräfte auf Lochkarten übertragen werden. Von diesem Punkte an kann alles von der Maschine getan werden. Auch ein nicht zu unterschätzender Teil der Bücherei- und Registratureinrichtungen eines industriellen Betriebs ließe sich so mechanisieren. Mit anderen Worten: Der Maschine ist es einerlei, ob sie Werkskittel-Arbeit oder Stehkragen-Arbeit tut. Die neue industrielle Revolution wird daher wahrscheinlich in sehr viele Gebiete eindringen und sich jede Arbeit, die in der Ausführung von Entscheidungen einfacher Art besteht, erobern, in ähnlicher Weise, wie die frühere industrielle Revolution auf allen Gebieten die menschliche Kraft verdrängte. Es wird natürlich Berufszweige geben, in die die neue industrielle Revolution des Entscheidens nicht eindringen wird: sei es, daß die neuen Regelungsmaschinen für Industrien nicht wirtschaftlich sind, die die beträchtlichen damit verbundenen Kosten nicht zu tragen vermögen, oder sei es, daß durch die Vielgestaltigkeit ihrer Arbeit für fast jeden neuen Arbeitsgang eine neue Programmierung notwendig würde. Ich glaube nicht, daß automatische Maschinen des beschriebenen Typs beim Kolonialwarenhändler an der Ecke oder in der Hinterhof-Tankstelle in Gebrauch kommen, während ich sie mir sehr wohl beim Großhändler und dem Automobilhändler vorstellen kann. Auch der Landarbeiter ist, obwohl er ihren Einfluß zu spüren beginnt, vor ihrem vollen Druck geschützt, teils wegen des Bodens, den er zu bearbeiten hat, teils wegen der Verschiedenartigkeit der Ernten, die er einbringen muß, und teils wegen der besondern Witterungsumstände usw., mit denen er rechnen muß. Trotzdem wird auch hier der Plantagenfarmer zunehmend abhängig von baumwollpflückenden und krautverbrennenden Maschinen, so wie der Weizenfarmer bereits seit langem von dem McCormick-Mäher abhängt. wo derartige Maschinen benutzt werden können, ist auch eine gewisse Verwendung von Entscheidungsmaschinen vorstellbar. Wie und wann die neuen Geräte eingeführt werden, hängt natürlich weitgehend von wirtschaftlichen Bedingungen ab, für die ich kein Fachmann bin. Abgesehen von heftigen politischen Änderungen oder einem neuen großen Krieg möchte ich sagen, daß es grobgeschätzt etwa 10–20 Jahre dauern wird, bis sich die neuen
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Geräte durchsetzen werden. Ein Krieg würde all dies über Nacht ändern. Wenn wir in einen Krieg mit einer Großmacht wie Rußland verwickelt werden sollten, was ernste Anforderungen an die Infanterie und infolgedessen an unsere Menschenreserven stellen würde, wäre unsere industrielle Erzeugung nur sehr schwer aufrechtzuerhalten. Unter diesen Umständen könnte der Ersatz menschlicher Produktionskraft durch andere Produktionsweisen für uns wohl eine Frage auf Leben oder Tod werden. Wir haben bei der Entwicklung eines einheitlichen Systems automatischer Regelungsmaschinen bereits den Stand erreicht, den wir bei der Radarentwicklung 1939 hatten. Ebenso wie durch die gefährliche Lage der Schlacht um England das Radarproblem in intensiver Art und Weise in Angriff genommen werden mußte und dadurch die natürliche Entwicklung eines Gebietes beschleunigt wurde, die sonst Jahrzehnte erfordert hätte, genau so wird wahrscheinlich im Falle eines neuen Krieges auch die Notwendigkeit des Arbeiterersatzes einwirken. Der Kreis geschulter Radioamateure, Mathematiker und Physiker, die sich damals rasch für die Zwecke der Radarplanung in brauchbare Elektroingenieure verwandelten, ist für die sehr ähnliche Aufgabe der Entwicklung automatischer Maschinen noch verfügbar, und eine neue und von ihnen ausgebildete Generation wächst heran. Unter diesen Umständen wird die Entwicklungszeit von zwei Jahren, die Radar bis zur vollen Einsatzfähigkeit auf dem Schlachtfelde brauchte, von der automatischen Fabrik wahrscheinlich kaum überschritten werden. Am Ende eines solchen Krieges wird das für den Aufbau derartiger Fabriken benötigte „Wissen-Wie“ allgemein geworden sein. Von den für die Regierung hergestellten Geräten wird sogar recht viel überschüssig sein und wahrscheinlich verkauft oder für die Industriellen verfügbar werden. So wird ein neuer Krieg fast unvermeidlich innerhalb weniger als fünf Jahren das automatische Zeitalter in vollem Schwange sehen. Ich habe davon gesprochen, wie aktuell und gegenwartswichtig diese neue Möglichkeit ist. Was können wir an wirtschaftlichen und sozialen Folgen von ihr erwarten? In erster Linie wird wohl die Nachfrage nach demjenigen Typ von Arbeitskräften, der rein repetitive Aufgaben erfüllt, plötzlich und endgültig aufhören. Auf lange Sicht gesehen, wäre das bei der tödlich stumpfsinnigen Natur repetitiver Aufgaben nur zu begrüßen und böte zugleich die Freizeit, die zur ganzheitlichen Bildung des Menschen erforderlich ist. Freilich könnten dadurch auch ebenso oberflächliche und
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überflüssige kulturelle Begleiterscheinungen angebahnt werden, wie die bislang von Radio und Kino ausgelösten. Sei es, wie es wolle, die Anlaufzeit dieser neuen Methoden wird – vor allem wenn sie in der bei einem neuen Kriege zu erwartenden, einschneidenden Form kommt – sofort zu einer Periode von verheerender Verwirrung führen. Wir wissen ja zur Genüge, wie die Industriellen ein neues industrielles Potential betrachten. Ihr ganzes Bestreben geht dahin, zu erreichen, daß es nicht als ein Geschäft der Regierung betrachtet werde, sondern für alle Unternehmer, die darin Geld zu investieren wünschen, offengelassen werden muß. Wir wissen ebenso, daß sie sehr wenig Hemmungen haben, wenn es sich darum handelt, den gesamten Profit, der aus einer Industrie gezogen werden kann, auch herauszuziehen und dann für die Allgemeinheit die Krümel übrigzulassen. Die ganze Geschichte der Holz- und der Grubenindustrie besteht nur daraus. Das gehört zu dem Phänomen, das wir bereits an anderer Stelle die traditionelle Fortschrittsgläubigkeit des Amerikaners genannt haben. Unter diesen Umständen wird die Industrie mit den neuen Geräten rasch in solchem Umfange durchsetzt werden, daß sie sofortigen Gewinn abzuwerfen versprechen, – ohne Rücksicht auf die Dauerschäden, die sie anrichten könnten. Wir werden dann einen Vorgang erleben, der dem bei der Benutzung der Atomenergie gleicht: Ihre Verwendung für Bomben hat es problematisch gemacht, sie an Stelle unserer Öl- und Kohlenvorräte zu setzen, die in Jahrhunderten, wenn nicht Jahrzehnten vollkommen erschöpft sein werden. Man bedenke wohl, daß Atombomben und Energiewirtschaft zweierlei sind. Erinnern wir uns, daß der Automat, abgesehen von unserer Meinung über die Gefühle, die er haben oder nicht haben kann, das genaue wirtschaftliche Äquivalent des Sklaven ist. Jede Arbeit, die sich mit Sklavenarbeit mißt, muß sich an die wirtschaftlichen Bedingungen von Sklavenarbeit angleichen. Es ist völlig klar, daß das eine Arbeitslosigkeitslage herbeiführen wird, mit der verglichen die augenblicklichen Rückgänge und sogar die Depression der dreißiger Jahre als harmloser Spaß erscheinen werden. Diese Krise wird viele Industrien ruinieren und vielleicht gerade diejenigen Industrien, die aus den neuen Wirkungsmöglichkeiten Gewinn gezogen haben. Nun, in der industriellen Überlieferung gibt es nichts, was einem Industriellen verböte, einen sicheren und schnellen Profit einzustreichen und auszusteigen, bevor der Bankrott ihn persönlich berührt.
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So ist die neue industrielle Revolution ein zweischneidiges Schwert. Sie kann zum Wohl der Menschheit benutzt werden, vorausgesetzt, daß die Menschheit lange genug am Leben bleibt, um in eine Zeit einzutreten, in der das möglich wird. Wenn wir indessen den klaren und sichtbaren Linien unseres traditionellen Verhaltens folgen und unserer traditionellen Vergötterung des Fortschritts und der fünften Freiheit – der Freiheit, auszubeuten – treu bleiben, ist es so gut wie sicher, daß wir ein Jahrzehnt oder mehr des Darniederliegens und der Verzweiflung gewärtigen müssen.
XI. Einige Kommunikationsmaschinen und ihre Zukunft Wir haben eben ganz allgemein das Problem der systematischen Mechanisierung der Entscheidungshandlung in der Industrie und ihrer Auswirkungen auf die Menschheit betrachtet. Nun möchte ich einige Maschinen besprechen, bei deren Anregung oder Entwurf ich selbst beteiligt war und bei denen recht ins einzelne gehende Kommunikationsprobleme auftreten. Die erste dieser Maschinen wurde als Modell für eine frühere Arbeit entworfen, die auf theoretischer Grundlage von meinen Kollegen Dr. Arturo Rosenblueth und Julian Bigelow bereits vor einigen Jahren durchgeführt worden war. Damals vermuteten wir, daß der Mechanismus willentlichen Handelns einen Rückmeldekreislauf entfalte, und dementsprechend suchten wir im menschlichen willentlichen Handeln nach Erscheinungen des Zusammenbrechens, wie sie bei Rückmeldemechanismen vorkommen, wenn sie überlastet werden. Im einfachsten Falle zeigt sich dieses völlige Versagen als eine Schwingung in einer zielstrebigen Handlung, die nur dann auftritt, wenn diese Handlung in Gang gebracht wird. Das ist etwa das Bild der als I n t e n t i o n s t r e m o r bekannten Erscheinung beim Menschen, bei der beispielsweise die Hand eines Patienten, der nach einem Glase Wasser langt, immer stärker hin und her zittert, so daß er das Glas nicht heben kann. Es gibt beim Menschen noch eine Art des Tremors, die dem Intentionstremor gewissermaßen diametral entgegengesetzt ist. Sie ist als P a r k i n s o n s c h e Krankheit bekannt und uns allen als die Schüttellähmung alter Menschen geläufig. Hier zeigt der Patient den Tremor auch bei Ruhe und, wenn die Krankheit nicht zu stark ausgeprägt ist, sogar nur bei Ruhe. Wenn er sich dagegen bemüht, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sinkt der Tremor so stark ab, daß ein Parkinsonkranker im Frühstadium sogar erfolgreicher Augenchirurg sein kann.
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Wir verglichen diesen Parkinson-Tremor mit einer Rückmeldung besonderer Art, die sich von der mit der Erfüllung eines Zwecks verbundenen Rückmeldung etwas unterscheidet. Um eine Zweckhandlung richtig durchführen zu können, müssen die einzelnen Glieder, die nicht direkt in der Zweckbewegung mitwirken, in einem solchen T o n u s , einer leichten Spannung, gehalten werden, daß die eigentlich bezweckte Muskelkontraktion geeignete Ansatzpunkte zur Verfügung hat. Dazu wird ein untergeordneter Rückmeldemechanismus benötigt; dieser scheint nicht im Kleinhirn lokalisiert zu sein, das zentral jenen Mechanismus zu regeln hat, dessen Versagen sich im Intentionstremor zeigt. Diese zweite Art Rückmeldung ist bekannt als Posturalrückmeldung oder Haltungswahrnehmung. Es läßt sich mathematisch zeigen, daß bei beiden Arten des Tremors eine äußerst starke Rückmeldung auftritt. Betrachten wir nun die für die Parkinsonsche Krankheit wichtige Rückmeldung, so ergibt sich, daß die Rückmeldung, die die willentliche Hauptbewegung steuert, der Posturalrückmeldung entgegengerichtet ist, soweit die Bewegung solche Glieder betrifft, die durch die Posturalrückmeldung gesteuert werden. Das Vorhandensein eines Zwecks führt also dazu, eine übermäßig verstärkte Posturalrückmeldung zu verringern und kann sie dabei sehr gut unter die Oszillationsschwelle herabdrücken. Theoretisch waren uns diese Dinge sehr gut bekannt, aber wir hatten uns bisher noch nicht der Mühe unterzogen, ein arbeitsfähiges Modell davon zu entwerfen. Nun wurde es aber doch wünschenswert, ein Demonstrationsgerät zu bauen, das unseren Theorien entsprechend handelte. Demgemäß besprach Prof. J. B. Wiesner vom Laboratorium für Elektronik des M.I.T. mit mir die Möglichkeit, ein Tropismusgerät zu bauen, ein Gerät mit einem eingebauten einfachen, festgelegten Zweck; seine Bauelemente sollten genügend variabel sein, um die Hauptphänomene der willentlichen Rückmeldung und der Posturalrückmeldung zeigen und ihr Versagen demonstrieren zu können, Auf unsere Anregung hin übernahm Henry Singleton die Aufgabe, ein solches Gerät zu bauen und löste sie mit glänzendem Erfolg. Dieses Gerät hat zwei verschiedene Aktionsweisen, einmal ist es positiv phototrop und sucht das Licht, das andere Mal ist es negativ phototrop und läuft vom Lichte weg. Dem entsprechen seine beiden Spitznamen „Motte“ und „Wanze“. Das Gerät besteht aus einem kleinen dreirädrigen Wagen, der durch einen Motor an der Hinterachse angetrieben wird. Das Vorderrad ist eine an einer
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Lenkstange befestigte Laufrolle. Er trägt ein Paar nach vorn gerichteter Fotozellen, von denen die eine dem linken und die andere dem rechten Quadranten zugeordnet ist. Diese Zellen sind die entgegengesetzten Zweige einer elektrischen Meßbrücke. Die Ergebnisspannungen der Brücke sind umkehrbar und werden über einen einstellbaren Verstärker zu einem Verstellmotor geführt, der die Stellung des einen Schleifers an einem Potentiometer21 reguliert. Auch der andere Schleifer wird durch einen Verstellmotor betätigt, der zugleich die Lenkstange bewegt. Die am Potentiometer abgegriffene Spannung, die dem Unterschied zwischen der Stellung der beiden Schleifer proportional ist, führt über einen zweiten einstellbaren Verstärker zum zweiten Verstellmotor und steuert so die Lenkbewegungen. Je nach der Richtung des Ausgangs der Meßbrücke steuert der Wagen entweder nach der Seite des stärker beleuchteten Quadranten hin oder von ihm weg. In beiden Fällen versucht er, von sich aus ins Gleichgewicht zu kommen. Hier ist also eine von der Stellung der Lichtquelle abhängige Rückmeldung vorhanden, die vom Licht zu den fotoelektrischen Zellen verläuft und von dort über das Regelsystem zur Lenkstange, durch die sie schließlich die Richtung der eigenen Bewegung regelt und den Winkel zum Einfall des Lichts ändert. Diese Rückmeldung tendiert dahin, entweder die positiv oder die negativ fototrope Zweckhandlung zustande zu bringen. Sie ist der willentlichen Rückmeldung beim Menschen analog, denn wir nehmen an, daß willentliches Handeln im wesentlichen eine Wahl zwischen Tropismen ist. Wenn diese Rückmeldung durch Anwachsen der Verstärkung überlastet wird, wird der kleine Wagen – die „Motte“ oder die „Wanze“ – je nach der Richtung seines Tropismus das Licht in hin- und herpendelnder Bewegung entweder ansteuern oder meiden, wobei die Ausschläge immer größer werden. Das ist ein genaues Analogon zur Erscheinung des Intentionstremors, der bei Kleinhirnverletzungen auftritt. Der Verstellmechanismus für die Lenkung enthält eine zweite Rückmeldung, die als postural angesehen werden kann. Diese Rückmeldung läuft vom Potentiometer zum zweiten Motor und zurück zum Potentiometer, und ihr Nullpunkt wird durch den 21 Ein Potentiometer ist ein Widerstand, an den eine feste Spannung angelegt ist; zwischen zwei Abgriffen erhält man eine veränderliche Spannung, die proportional zur Entfernung der Abgriffe ist.
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Ausgangswert der ersten Rückmeldung reguliert. Wenn diese überlastet ist, geht das Lenkrad in eine zweite Art des Tremors über, den wir beim Fehlen von Licht beobachten können, also dann, wenn der Maschine kein Zweck gegeben wird. Theoretisch rührt das davon her, daß die erste Rückmeldung der zweiten – soweit diese überhaupt davon beeinflußt wird – entgegenwirkt und dazu neigt, sie zu vermindern. Diese Erscheinung ist beim Menschen das, was wir als Parkinsonsche Krankheit beschrieben haben. Kürzlich erhielt ich einen Brief von Dr. Grey Walter vom Burden Neurological Institute in Bristol, England, in dem er sein Interesse an der „Motte“ oder „Wanze“ ausdrückt. Er berichtet mir darin weiter von einem eigenen ähnlichen Mechanismus, der sich von meinem dadurch unterscheidet, daß er einen bestimmten, aber veränderlichen Zweck hat; mit seinen Worten: „Wir haben ihm noch andere Eigenschaften als die Rückmeldung gegeben, die ihm neben der rein tropistischen, zielsuchenden auch eine forschende und ethische Haltung dem Universum gegenüber geben.“ Die Möglichkeit eines solchen Wechsels im Verhaltensschema wurde in dem das Lernen betreffenden Kapitel dieses Buches besprochen, und diese Betrachtungen beziehen sich direkt auf Walters Gerät, wenn ich auch noch nicht genau weiß, welche Mittel er zur Darstellung eines solchen Verhaltenstyps gebraucht. Die „Motte“ und Dr. Walters neueste Entwicklung eines Tropismusgeräts scheinen auf den ersten Blick geistreiche Spielereien zu sein oder bestenfalls technische Kommentare zu einem philosophischen Text. Sie haben jedoch auch eine gewisse Anwendbarkeit. Das Army Medical Corps der Vereinigten Staaten hat photographische Aufnahmen der „Motte“ gemacht, um sie im Vergleich mit Aufnahmen tatsächlicher Fälle nervösen Tremors als Hilfsmittel bei der Ausbildung von Heeresneurologen heranzuziehen. Wir haben uns weiter mit einer zweiten Klasse von Maschinen beschäftigt, die einen besser sichtbaren und medizinisch unmittelbar wichtigen Wert haben. Diese Maschinen können dazu dienen, Versehrten zu helfen, aber auch dazu, den Diktatoren neue und gefährliche Machtmittel zu liefern. Die Hilfe der Maschine kann die Konstruktion besserer künstlicher Glieder ermöglichen; ihr Einfluß kann sich auf Instrumente erstrecken, die den Blinden helfen, Seiten mit gewöhnlicher Schrift durch Übersetzung des visuellen Bildes in Gehörseindrücke zu lesen, und auf andere ähnliche Hilfen, die ihnen drohende Gefahren melden und die ihnen erlauben,
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sich frei zu bewegen. Besonders gut können wir die Maschine als Hilfe für völlig Taube benützen. Geräte dieser letzten Art sind wahrscheinlich am leichtesten zu konstruieren, teils weil die Telefontechnik das besterforschte und geläufigste Gebiet der Übertragungstechnik ist, weiter, weil der Verlust des Gehörs im wesentlichen der Verlust nur einer einzelnen Fähigkeit ist, nämlich der der freien Teilnahme an menschlicher Unterhaltung, 22 und schließlich auch, weil die von der Sprache getragene sinnvolle Information so konzentriert werden kann, daß sie innerhalb der Aufnahmefähigkeit des Tastsinns liegt. Vor einiger Zeit teilte mir Professor Wiesner mit, daß er sich für die Möglichkeit interessiere, eine Hilfe für völlig taube Menschen zu konstruieren, und daß er gern meine Meinung darüber hören möchte. Ich entwickelte meine Ideen, und es zeigte sich, daß wir weitgehend übereinstimmten. Wir wußten, daß die Bell-Telephon-Laboratorien bereits etwas über sichtbare Sprache veröffentlicht hatten, was auch in Zusammenhang mit ihren früheren Arbeiten am Vocoder stand. Die Arbeit über den Vocoder gab uns ein Maß des Informationsbetrages, den man übertragen muß, um eine größere Verständlichkeit des Sprechens zu erreichen als bei irgendeiner früheren Methode. Wir erkannten indessen, daß ein Gerät auf der Basis des sichtbaren Sprechens zwei Nachteile hatte, nämlich, daß es anscheinend nicht ohne weiteres in einer handlichen Form hergestellt werden konnte und daß es zu große Anforderungen an den Gesichtssinn stellte, der beim Tauben schon verhältnismäßig stärker belastet ist als bei den übrigen Menschen. Eine rohe Schätzung zeigte, daß eine Übertragung des im Sichtsprechinstrument benutzten Prinzips auf den Tastsinn möglich war, und wir entschlossen uns, dies für unseren Apparat als Grundlage zu benutzen. Sehr bald nachdem wir begonnen hatten, erfuhren wir, daß die Forscher in den Bell-Laboratorien ebenfalls die Möglichkeit des Schallempfangs durch den Tastsinn untersucht und in ihre Patentanmeldung eingeschlossen hatten. Sie teilten uns entgegenkommenderweise mit, daß sie darüber nicht experimentell gearbeitet Da das Hören mit dem Sprechen aufs engste verknüpft ist, erzeugt der Verlust des Gehörs wegen der Isolierung von der Umwelt viel ernstere Wirkungen als der an sich viel schlimmere Verlust des Sehvermögens. Es ist ja bekannt, daß der Taube zu mürrischer und egozentrischer Wesenshaltung neigt, während der Blinde, sofern er nur halbwegs wieder hochgekommen ist, heiter und zuversichtlich zu sein pflegt.
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hatten und daß sie uns die Bahn zur Weiterführung unserer Forschungen freigäben. So arbeiteten wir weiter und übergaben den Entwurf und die Entwicklung dieses Geräts an Leon Levine, einen jungen Mitarbeiter im Laboratorium für Elektronik. Es war uns klar, daß das Übungsproblem einen wesentlichen Teil unserer Entwicklungsarbeit darstellen würde; hierbei wurden wir in dankenswerter Weise durch Dr. Alexander Bavelas von unserer Psychologieabteilung beraten. Das Problem, Sprache durch einen anderen Sinn als durch den Gehörsinn aufzunehmen, beispielsweise durch den Tastsinn, kann vom Standpunkt der Sprache aus folgendermaßen erläutert werden. Wie wir schon sagten, können wir, grob gesagt, zwischen der äußeren Welt und dem subjektiven Informationsempfang im wesentlichen drei Sprachstufen und zwei dazwischenliegende Übersetzungen unterscheiden. Die erste Stufe besteht in den akustischen Zeichen, die vom Körper als Luftschwingungen aufgenommen werden. Die zweite oder phonetische Stufe besteht in den verschiedenartigen Erscheinungen im inneren Ohr und dem dazugehörigen Teil des Nervensystems; die dritte oder semantische Stufe stellt die Umsetzung dieser Zeichen in gedankliche Begriffe dar. Beim tauben Menschen sind die erste und die dritte Stufe noch vorhanden, aber die zweite fehlt. Also ist es naheliegend, die zweite Stufe durch etwas zu ersetzen, was den Gehörsinn umgeht und beispielsweise durch den Tastsinn ausgeführt wird. Dabei wird die Übersetzung zwischen der ersten und der neuen zweiten Stufe nicht durch einen physisch-nervlichen Apparat, der uns eingeboren ist, sondern durch ein künstliches, von Menschen konstruiertes System ausgeführt. Die Übersetzung zwischen der neuen zweiten und der dritten Stufe ist unserer Einsicht nicht direkt zugänglich, stellt aber die Bildung eines neuen Systems von Gewohnheiten und Reaktionen dar, ähnlich wie wir es entwickeln, wenn wir Autofahren lernen. Der gegenwärtige Stand unseres Gerätes ist folgender: Den Übergang zwischen der ersten und der neuen zweiten Stufe beherrschen wir gut, wenn wir dabei auch noch einige technische Schwierigkeiten werden meistern müssen. Über den Lernvorgang, d. h. den Übergang von der zweiten zur dritten Stufe, haben wir Versuche laufen, die sich unserer Meinung nach äußerst verheißungsvoll anlassen. Bei einem eingelernten Wortschatz von zwölf einfachen Wörtern war ein Durchlauf von 80 willkürlich herausgegriffenen Wiederholungen mit nur sechs Fehlern das beste Ergebnis, das wir bisher aufweisen können.
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Bei unserer Arbeit hatten wir immer gewisse Tatsachen im Auge zu behalten. An erster Stelle steht, wie bereits gesagt, die Tatsache, daß Hören nicht nur ein Kommunikationssinn im allgemeinen ist, sondern ein Kommunikationssinn, dessen Hauptbedeutung darin liegt, daß er die Kommunikation mit anderen Individuen herstellt. Er ist auch ein Sinn, der gewissen kommunikativen Handlungen unsererseits entspricht: Denen des Sprechens. Auch andere Verwendungen des Hörens sind bedeutsam, beispielsweise die Wahrnehmung der Naturlaute und der Genuß der Musik, aber sie sind doch nicht so wichtig, daß wir jemanden, der an der gewöhnlichen Verbindung der Menschen untereinander durch Sprechen, sonst aber an keinem anderen Gebrauch des Hörvermögens teilhätte, als in sozialem Sinne taub ansähen. Mit anderen Worten: Das Hörvermögen hat die Eigenschaft, daß wir aller seiner Anwendungen außer der sprachlichen Kommunikation völlig verlustig gehen können, ohne unter mehr als einer kleinen Behinderung zu leiden. Für den Bau einer Sinnesprothese müssen wir den gesamten Sprechprozeß als eine Einheit ansehen. Wie wesentlich das ist, können wir sofort feststellen, wenn wir das Sprechen von Taubstummen betrachten. Bei den meisten Taubstummen ist eine Schulung im Lippenablesen möglich und nicht übermäßig schwierig; und sie erreichen dabei eine recht beträchtliche Fertigkeit im Empfangen von Sprechbotschaften anderer. Andererseits sprechen mit sehr wenig Ausnahmen – und diese sind das Ergebnis der besten und allerneuesten Schulung – bei weitem die meisten Taubstummen, obwohl sie den Gebrauch von Lippen und Mund zur Hervorbringung von Lauten lernen können, mit einer grotesken und rauhen Tongebung, die als Form einer Verständigung höchst unbefriedigend ist. Die Schwierigkeiten liegen darin, daß für diese Menschen der Akt der Unterhaltung in zwei völlig getrennte Teile zerlegt worden ist. Wir können diese Lage sehr leicht für einen normalen Menschen nachbilden, wenn wir ihn mit einem anderen Menschen über ein Telefonsystem sprechen lassen, bei dem er sein eigenes Sprechen durch das Telefon nicht selbst hören kann. Man kann solche Tot-Mikrofon-Übertragungssysteme ohne weiteres bauen; sie sind kürzlich von den Telefongesellschaften in Erwägung gezogen und nur deshalb verworfen worden, weil sie ein schreckliches Unsicherheitsgefühl verursachen; vor allem weiß man nicht, wieviel von der eigenen Stimme in die Leitung eingeht. Menschen, die ein solches System benützen, müssen immer mit höchstem
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wand schreien, um sicher zu sein, daß sie keine Gelegenheit versäumt haben, die Nachricht auch wirklich der Leitung anvertraut zu haben. Kehren wir zum gewöhnlichen Sprechen zurück. Wir sehen, daß die Prozesse des Sprechens und Hörens im normalen Menschen nie getrennt gewesen sind, und daß Sprechenlernen durch die Tatsache bedingt ist, daß jedes Individuum sich selbst sprechen hört. Beim Sprechenlernen genügt es nicht, daß sich das Individuum nur bei weit auseinanderliegenden einzelnen Gelegenheiten selbst sprechen hört, und daß es die dazwischenliegenden Lücken gedächtnismäßig ausfüllt. Eine gute Sprachbeschaffenheit kann nur erreicht werden, wenn sie dauernder Überwachung und Selbstkritik unterworfen ist. Diese Tatsache muß bei jedem Hilfsgerät für völlig Taube gebührend berücksichtigt werden, auch wenn es sich statt an den fehlenden Gehörsinn an einen anderen Sinn, beispielsweise den Tastsinn, wendet: es muß ähnlich wie die heutigen elektrischen Hörgeräte leicht mitführbar sein und ununterbrochen getragen werden. Die weitere Theorie der Hörgeräte hängt von dem Informationsbetrag ab, der beim Hören wirklich ausgenutzt wird. Als sehr rohe Abschätzung für diesen Betrag benutzt man das Maximum, das über einen Frequenzbereich von 10.000 Hertz und einen Amplitudenbereich von etwa 80 Dezibel mitgeteilt werden kann. Da dieser Umfang jedoch das Maximum dessen angibt, was das Ohr denkbarerweise bewältigen könnte, ist er viel zu groß im Vergleich mit der beim gewöhnlichen Sprechen wirklich gebrauchten Information. Zum Beispiel umfaßt Sprache von einer Qualität, wie sie das Telefon wiedergibt, nicht mehr als 3.000 Hertz, und der Amplitudenbereich ist sicher nicht größer als 5 bis 10 Dezibel. Aber wir gehen damit – während wir bei dem, was dem Ohr übermittelt wird, nicht zu hoch gegriffen haben – noch weit über das hinaus, was von Ohr und Gehirn wirklich benötigt wird, um Sprache verständlich aufzunehmen. Wir haben bereits erwähnt, daß das Brauchbarste über dieses Abschätzungsproblem die Arbeit über den Vocoder der BellTelephon-Laboratorien ist. Er zeigt folgendes: Wenn man die menschliche Sprache in geeigneter Weise in nicht mehr als fünf Frequenzbänder zerteilt, die so gewonnenen Schwingungszüge gleichrichtet, so daß nur ihre Hüllkurven oder äußeren Umrisse wahrnehmbar sind, diese zum Modulieren ganz willkürlicher Laute innerhalb ihres Frequenzbereiches benutzt und schließlich
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diese Laute zusammenfügt, dann ist die ursprüngliche Sprache als Sprache wiedererkennbar, und fast sogar als die Sprache einer bestimmten Person. Dennoch ist der Betrag möglicher übermittelter Information, und zwar genutzter wie ungenutzter, auf weniger als ein Zehntel oder ein Hundertstel der ursprünglich vorhandenen Informationen beschnitten worden. Wenn wir zwischen der ungenutzten und der genutzten Information beim Sprechen unterscheiden, meinen wir einmal die maximale Verschlüsselungsfähigkeit der am Ohr angekommenen Sprache und zum anderen den maximalen Informationsbetrag, der durch die aufeinanderfolgenden Stufen des Kaskadennetzwerks dringt, welche aus dem Ohr und dem nachfolgenden Gehirn besteht. Der erste Begriff betrifft nur die Übertragung der Sprache durch die Luft und durch zwischenliegende Instrumente wie das Telefon einschließlich des Ohres, nicht aber irgendwelche Einrichtungen, die im Gehirn beim Verstehen der Sprache benutzt werden. Der zweite bezieht sich auf das Übertragungsvermögen des Gesamtkomplexes Luft-Telefon-Ohr-Gehirn. Selbstverständlich wird es feinere Schattierungen geben, die nicht durch das gesamte Schmalbandübertragungssystem, das wir im Auge haben, übermittelt werden; es ist schwer, den Betrag der damit verlorengehenden Information zu ermitteln, aber er scheint verhältnismäßig gering zu sein. Dies nutzt der Vocoder aus. Vorher waren die Schätzungen der Ingenieure über die erforderliche Information unvollständig, da sie das Endelement jener Kette von der Luft zum Gehirn nicht berücksichtigten. Werden andere Sinne eines Tauben angesprochen, so müssen wir im Auge behalten, daß sie alle außer dem Sehen dem Gehör in der Bedeutung nachstehen und je Zeiteinheit weniger Information übermitteln. Man kann die Wirksamkeit eines untergeordneten Sinnes wie des Tastsinns nur dadurch erhöhen, daß man durch ihn nicht die volle Information sendet, die wir durch Hören erhalten, sondern nur einen solchen ausgewählten Bruchteil des Hörens, der das Verstehen des Sprachinhalts ermöglicht. Mit anderen Worten, wir ersetzen einen Teil der Funktionen, die normalerweise die Hirnrinde nach dem Lautempfang ausführt, durch eine Filterung der Information, bevor wir sie die taktilen Rezeptoren beeinflussen lassen. Wir übertragen also einen Teil der Funktionen der Hirnrinde auf eine künstliche äußere Hirnrinde. In dem von uns geplanten Gerät führen wir das im einzelnen so aus, daß wir wie im Vocoder die Frequenzbänder des Sprechens trennen, diese verschiedenen gleichgerichteten Bänder
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dazu benutzen, durch die Haut optimal wahrnehmbare Schwingungen zu modulieren, und sie dann auf räumlich getrennte taktile Bezirke übertragen. Beispielsweise können zum Daumen und den vier Fingern einer Hand fünf Bänder gesandt werden. Das etwa sind die Grundzüge eines Geräts für den Empfang verständlichen Sprechens durch elektrische Umwandlung der akustischen Erscheinungen in Reize für den Tastsinn. Wir wissen heute bereits, daß die Schemata einer beträchtlichen Anzahl von Wörtern genügend voneinander verschieden sind und bei einer Anzahl von Sprechern genügend gleich bleiben, daß sie auch ohne großen Aufwand von Sprechschulung erkennbar sein können. Die Hauptaufgabe der Forschung wird also sein, die Taubstummen in möglichst wirkungsvoller Weise in der Wiedererkennung und Wiedergabe zu schulen. Auf der technischen Seite sind als wichtigste Probleme die bessere Tragbarkeit des Gerätes und die Herabminderung seines Energieverbrauchs ohne wesentlichen Leistungsverlust zu lösen. Diese Dinge sind noch sub judice. Ich möchte bei den Betroffenen
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und ihren Freunden keine falschen und insbesondere vorzeitigen Hoffnungen erwecken, aber ich glaube als sicher sagen zu können, daß die Aussichten auf Erfolg recht beachtenswert sind. Bisher haben wir Geräte besprochen, die für die Allgemeinheit offenbar entweder etwas von der moralischen Indifferenz der Wissenschaft haben, oder die eine ausgesprochen segensreiche Hilfe für die Versehrten sind. Jetzt kommen wir zu einer anderen Geräteklasse, der einige sehr düstere Aspekte anhaften. Merkwürdigerweise enthält diese Klasse den Schachspielautomaten. Vor einiger Zeit entwickelte ich, wie man eine moderne Hochgeschwindigkeitsrechenmaschine ohne weiteres dazu benützen könnte, eine zum mindesten erträgliche Partie Schach zu spielen. Mit diesem Vorschlag greife ich ein Thema von neuem auf, das eine bemerkenswerte Geschichte hinter sich hat. Poe berichtete über eine angebliche Schachspielmaschine von Maelzel und enthüllte sie, indem er zeigte, daß sie durch einen beinlosen Krüppel im Innern bedient wurde. Meine Maschine dagegen soll echt sein und sich die jüngsten Fortschritte bei Rechenmaschinen zunutze machen. Es ist leicht, eine Maschine zu bauen, die gerade bei Befolgung der Regeln sehr kümmerlich Schach spielt; es ist hoffnungslos, eine Maschine entwerfen zu wollen, die vollendet Schach spielen kann, denn es gibt zu viele Kombinationen. Professor John von Neumann vom Institute for Advanced Studies hat diese Schwierigkeiten untersucht. Hingegen ist es zwar nicht leicht, aber auch nicht hoffnungslos, eine Maschine zu bauen, die auf eine begrenzte Anzahl Züge – etwa zwei – vorausschaut, daraufhin das Bestmögliche tut und dann in der Stellung stehen bleibt, die gemäß einer mehr oder weniger einfachen Auswertungsmethode die günstigste ist. Die neuen Höchstgeschwindigkeitsrechenmaschinen können so umgebaut werden, daß sie wie Schachautomaten arbeiten – freilich kann man auch zu einem phantastischen Preis eine bessere Maschine herstellen, wenn man die Mühe nicht scheut. Die Geschwindigkeit der neuen Rechenmaschinen ist hoch genug, daß sie jede Möglichkeit für die nächsten zwei Züge in der für einen einzelnen Zug üblichen Spielzeit durchprobieren können. Die Anzahl der Kombinationen steigt grob genommen in geometrischer Progression. Daher ist es ein ungeheurer Unterschied, ob alle Möglichkeiten für zwei oder aber für drei Züge durchgespielt werden. Ein ganzes Spiel – sagen wir fünfzig Züge – in vernünftiger Zeit durchzuführen, ist hoffnungslos; doch es wäre, wie von
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mann gezeigt hat, durchaus möglich, wenn man nur lang genug lebte, und ein von jeder Seite vollkommen gespieltes Spiel würde zwangsläufig entweder immer zum Gewinn durch Weiß oder immer zum Gewinn durch Schwarz oder am wahrscheinlichsten immer zu einem Unentschieden führen. Claude Shannon von den Bell-Telephon-Laboratorien hat eine Maschine derselben Art wie die von mir betrachtete Zwei-Zug-Maschine, aber mit wesentlichen Verbesserungen angeregt. Zunächst berücksichtigt sie bei der Endstellung nach zwei Zügen sowohl die Lage auf dem Brett, die gegenseitige Deckung der Figuren usw., als auch die Anzahl der Figuren, Schach und Schachmatt. Darüber hinaus würde, wenn nach zwei Zügen das Spiel durch ein gebotenes Schach oder das Einstehen einer wichtigen Figur oder einer Gabel nicht eindeutig wäre, der mechanische Spieler automatisch ein oder zwei Züge weiterspielen, bis Stabilität erreicht wäre. Wie weit dies das Spiel verlangsamen würde, indem es jeden Zug über die übliche Zeit hinaus verlängerte, weiß ich nicht; allerdings bin ich überzeugt, daß wir in dieser Richtung sehr weit gehen können, ohne bei unseren gegenwärtigen Geschwindigkeiten in Zeitnot zu kommen. Ich möchte mit Shannon vermuten, daß solch eine Maschine Schach von hohem Amateurrang und möglicherweise sogar von Meisterrang spielen würde. Ihr Spiel wäre starr und ziemlich reizlos, aber viel sicherer als das jedes menschlichen Spielers. Wie Shannon ausführt, ist es möglich, in ihre Arbeitsweise genügend Zufall einzubauen, um ihre bei gegebener starrer Spielfolge systematisch herbeiführbare beständige Niederlage zu verhüten. Dieser Zufall oder diese Unbestimmtheit kann in die Auswertung der Endstellungen nach zwei Zügen eingebaut werden. Die Maschine würde Gambits und möglicherweise Endspiele wie ein menschlicher Spieler aus dem Gedächtnisvorrat von Standard-Gambits und Endspielen spielen. Eine bessere Maschine würde jedes Spiel, das sie einmal gespielt hat, auf einem Lochstreifen (tape) speichern und würde die von uns bereits erwähnten Vorgänge ergänzen durch eine Durchmusterung aller früheren Spiele, um etwas Entsprechendes zu finden, kurz, durch die Kraft des Lernens. Zwar wissen wir, daß Maschinen, die lernen, gebaut werden können, aber ihre Herstellungs- und ihre Anwendungsweise sind noch sehr unvollkommen. Die Zeit ist für den Entwurf einer Schachspielmaschine auf Lerngrundlage noch nicht reif, obwohl sie wahrscheinlich in nicht sehr ferner Zukunft liegt.
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Eine Schachspielmaschine, die lernt, wird eine Vielfalt in ihrem Spiel zeigen, die von der Qualität der Spieler abhängt, gegen die man sie hat kämpfen lassen. Die beste Art, sie zu einer Meistermaschine zu machen, wäre wahrscheinlich die, sie gegen die allerverschiedensten guten Schachspieler einzusetzen. Auf der anderen Seite könnte eine wohlersonnene Maschine durch unüberlegte Wahl ihrer Gegner mehr oder weniger ruiniert werden. Auch ein Pferd wird durch die unüberlegte Wahl seiner Reiter zugrundegerichtet. Bei der lernenden Maschine muß man wohl unterscheiden zwischen dem, was die Maschine lernen kann und was nicht. Eine Maschine kann entweder mit einer statistischen Vorliebe für eine gewisse Verhaltensweise gebaut werden, die indessen die Möglichkeit anderen Verhaltens erlaubt, oder aber es können gewisse Züge ihres Verhaltens starr und unveränderlich festgelegt werden. Nennen wir die erste Art von Festsetzung V o r l i e b e und die zweite Art Z w a n g . Wenn z. B. die Regeln des gewöhnlichen Schachs nicht als Zwang in die Maschine eingebaut sind und wenn der Maschine Lernfähigkeit gegeben wird, kann sie von einer Schachmaschine unbemerkt in eine Maschine überwechseln, die eine völlig andersartige Aufgabe erfüllt. Andererseits kann eine Schachmaschine mit als Zwang eingebauten Regeln durchaus noch eine lernende Maschine hinsichtlich Taktik und Vorgehen sein. Der Leser wird sich wundern, warum wir überhaupt an Schachmaschinen interessiert sind. Sind sie nicht nur eine neue harmlose kleine Nichtigkeit, mit der einige Experten der Welt ihre Fertigkeiten zu beweisen und sie mit ihren Errungenschaften in ein atemberaubendes Staunen zu versetzen hoffen? Ich muß ehrlich gestehen, daß eine Spur prahlerischen Narzißmus’ latent zumindest in mir liegt. Indessen ist dies, wie wir bald sehen werden, nicht das einzige hier wirksame Element, noch ist es das für den Nicht-fachmann wichtigste. Shannon hat einige Gründe dargelegt, weshalb seine Forschungen mehr sein können als Entwurf eines Kuriosums, das nur für Spieler von Interesse wäre. Er zeigt unter anderem auch die Möglichkeit auf, daß ein solches Gerät der erste Schritt zur Konstruktion einer Maschine sein kann, mit der man militärische Lagen auswerten und jeweils die besten Entscheidungen treffen kann. Man denke nicht, daß er das leichthin sagt. Das große Buch von J. von Neumann und Morgenstern über die Theorie der Spiele hat einen bedeutenden Eindruck in der Welt und nicht zuletzt in
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Washington hinterlassen. Wenn Shannon von der Entwicklung militärischer Taktiken spricht, redet er nicht ins Blaue hinein, sondern erörtert eine höchst aktuelle und bedrohliche Möglichkeit. In der bekannten Pariser Zeitung „Le Monde“ vom 28. Dezember 1948 hat ein Dominikanermönch, Pater Dubarle, eine außerordentlich gründliche Besprechung meines Buches K y b e r n e t i k veröffentlicht. Ich zitiere einen seiner Gedankengänge, der über die Auswirkungen der erwachsen gewordenen, in ein kriegerisches Gewand gehüllten Schachspielmaschine weit hinausgeht. „Eine der interessantesten dadurch eröffneten Aussichten ist die der rationalen Regelung menschlicher Angelegenheiten, insbesondere derjenigen, die die Gemeinschaften angehen und eine gewisse statistische Gesetzmäßigkeit zu zeigen scheinen, wie etwa das Phänomen der menschlichen Meinungsbildung. Kann man sich nicht eine Maschine vorstellen, die diese oder jene Art von Information, etwa Information über Produktion und Verkauf sammelt und daraus als Funktion der menschlichen Durchschnittspsychologie und der in einem gegebenen Augenblick meßbaren Mengen bestimmt, welches die wahrscheinlichste Entwicklung der Lage sein könnte? Könnte man sich nicht sogar einen Staatsapparat denken, der alle Systeme politischer Entscheidungen entweder unter einer Herrschaft vieler über die Erde verteilter Staaten oder unter der anscheinend viel einfacheren Herrschaft einer menschlichen Weltregierung umfaßt? Nichts hindert uns heute, an so etwas zu denken. Wir können von der Zeit träumen, in der die ‚machine à gouverner‘ die gegenwärtige offensichtliche Unzulänglichkeit des mit der herkömmlichen politischen Maschinerie befaßten Gehirns aus dem Wege räumen wird – zum Guten oder zum Bösen. Menschliche Gegebenheiten sind auf jeden Fall Gegebenheiten, die sich nicht exakt bestimmen lassen wie numerische Daten beim Rechnen. Sie erlauben nur das Bestimmen ihrer wahrscheinlichen Werte. Eine Maschine zur Bearbeitung solcher Prozesse und der Probleme, die sich aus ihnen ergeben, muß deshalb an Stelle der exakten Abläufe des deterministischen Denkens, wie sie sich beispielsweise in modernen Rechenmaschinen darbieten, den Stil des Wahrscheinlichkeitsdenkens anstreben. Das macht sie verwickelter, aber nicht unmöglich. Ein Beispiel dafür gibt das Flaksteuerungsgerät, das den Wirkungsgrad des Flakfeuers bestimmt. Theoretisch ist weder Zeitvoraussage noch die Voraussage der günstigsten Entscheidung zum mindesten innerhalb gewisser Grenzen unmöglich. Die Möglichkeit von Spielmaschinen wie der
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Schachmaschine scheint das zu bestätigen. Denn die menschlichen Vorgänge, die den Gegenstand des Regierens bilden, können mit Spielen verglichen werden in dem Sinne, wie sie J. von Neumann mathematisch untersucht hat. Diese Spiele haben einen unvollständigen Satz von Spielregeln, es gibt noch andere Spiele mit einer sehr großen Anzahl von Spielern, deren Daten äußerst verwickelt sind. Die ‚machines à gouverner‘ werden den Staat zum bestinformierten Spieler auf jeder einzelnen Ebene machen, und der Staat ist der einzige und höchste Koordinator aller Teilentscheidungen. Das sind außerordentliche Privilegien; wenn sie wissenschaftlich fundiert werden, werden sie den Staat unter allen Umständen in die Lage versetzen, alle anderen Spieler eines menschlichen Spiels zu schlagen, indem er sie vor die Entscheidung stellt: Unmittelbare Vernichtung oder organisierte Zusammenarbeit. Das werden die Konsequenzen sein, die sich aus dem Spiel von selbst ergeben, ohne daß willkürlich von außen her eingegriffen zu werden braucht. Wahrlich eine frohe Botschaft für die, die von der besten aller Welten träumen! Dessen ungeachtet – und vielleicht glücklicherweise – ist die ‚machine à gouverner‘ noch nicht für die nahe Zukunft zu erwarten. Denn neben den sehr schwierigen Problemen, die der Umfang des zu sammelnden und rasch zu verarbeitenden Informationsmaterials in seiner Gesamtheit noch stellt, liegen die Probleme der Voraussagestabilität noch weit jenseits dessen, was wir zu beherrschen ernsthaft erträumen können. Denn menschliche Vorgänge sind Spielen vergleichbar, deren Regeln unvollkommen definiert und vor allem selbst wieder Funktionen der Zeit sind. Die Abwandlung der Regeln hängt ebenso von den einzelnen Auswirkungen der durch das Spiel selbst hervorgebrachten Situationen ab, wie auch von der Gesamtheit der psychologischen Reaktionen der Spieler angesichts der in jedem Augenblick erhaltenen Ergebnisse. Die Abänderung kann sogar schneller sein als diese. Ein sehr gutes Beispiel dafür scheint die Gallup-Befragung bei der letzten Wahl Trumans zu sein. Alles das läuft nicht nur darauf hinaus, die Faktoren zu verwickeln, welche die Voraussage beeinflussen, sondern macht vielleicht sogar die gerätemäßige Behandlung menschlicher Gegebenheit völlig unfruchtbar. Soweit man es beurteilen kann, können hier nur zwei Bedingungen Stabilisierung im mathematischen Sinne garantieren. Die eine ist eine genügende Unwissenheit bei der Masse der Spieler, die durch einen geschulten Spieler ausgenutzt wird, welcher darüber hinaus auch noch eine Methode
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ersinnen kann, um das Bewußtsein der Massen zu lähmen; die andere ist die Bereitwilligkeit, um der Stabilität des Spieles willen zu erlauben, die Entscheidungen auf einen oder einige wenige Spieler des Spieles zu übertragen, die dann das Vorrecht unabhängiger Entscheidung haben. Das ist eine harte Lektion nüchterner Mathematik. Aber sie wirft einiges Licht auf das Abenteuer unseres Jahrhunderts: Das Schwanken zwischen dem völligen Durcheinander menschlicher Verhältnisse und den Aufstieg eines ungeheuren Leviathans. Im Vergleich mit ihm war Hobbes’ Leviathan nur ein harmloser Spaß. Wir sind heute in der Gefahr, einen großen Weltstaat aufzubauen, in dem vorsätzliche und bewußte primitive Ungerechtigkeit die einzig mögliche Bedingung für das statistische Glück der Massen sein kann, eine Welt, die für jeden klaren Geist schlimmer als die Hölle ist. Vielleicht wäre es kein schlechter Gedanke für die heute die Kybernetik entwickelnden Arbeitsgemeinschaften, ihrer Gruppe von Technikern, die von allen Bereichen der Naturwissenschaften zusammengekommen sind, einige ernsthafte Anthropologen beizugesellen und vielleicht auch einen Philosophen, der etwas Interesse für die Angelegenheiten der Welt aufbringt.“ Die Entwicklungslinien von meinem ursprünglichen Vorschlag der Schachmaschine über Shannons Bemühung, sie zu bauen, den Gebrauch von Rechenmaschinen für die Kriegsplanung zur riesigen Staatsmaschine von Pater Dubarle sind kurz gesagt klar und erschreckend. Sogar heute schon ist die Auffassung vom Kriege, die unseren neugeschaffenen Regierungsstellen zugrunde liegt, welche sich mit den Konsequenzen der von Neumann’schen Spieltheorie befassen, umfassend genug, um das ganze zivile Leben während eines Krieges, vor einem Krieg und vielleicht sogar zwischen Kriegen einzubeziehen. Der Zustand, von dem Pater Dubarle erhofft, daß er von einer wohlwollenden Bürokratie im Interesse der Humanität im höchsten Sinne durchgeführt wird, wird höchstwahrscheinlich geplant von geheimen militärischen Stellen für die Zwecke des Krieges und der Beherrschung. Pater Dubarle hat recht – und wie sehr hat er recht! –, wenn er nach dem Anthropologen und dem Philosophen ruft. Mit anderen Worten, wir werden den Menschen nur dann mit Erfolg beherrschen können, wenn wir die ihm eingeborenen Zielsetzungen kennen und wissen, warum wir ihn beherrschen wollen. Unsere Zeitungen haben sich, seit wir das Unglück hatten, die Atombombe zu entdecken, auf das amerikanische „Know how“
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– wissen wie – viel zugute getan. Es gibt eine andere Eigenschaft, die wichtiger ist als das „Know how“, und wir können nicht behaupten, daß wir sie in den Vereinigten Staaten im Übermaß besäßen; das ist das „Know what“, das Wissen, was zu tun ist, also nicht nur zu entscheiden, wie wir unsere Ziele erreichen, sondern welches unsere Ziele sein sollten. Ich will den Unterschied an einem Beispiel klarmachen. Vor einigen Jahren kaufte ein berühmter amerikanischer Ingenieur ein teures elektrisches Klavier. Nach einer oder zwei Wochen wurde es klar, daß dieser Kauf keinerlei tiefgehendem musikalischen Interesse, sondern nur brennendem Interesse am Mechanismus des Klaviers entsprang. Für ihn war das elektrische Klavier kein Musikinstrument, sondern eine Gelegenheit für einen Erfinder, zu zeigen, wie geschickt er mit den Schwierigkeiten bei der Musikwiedergabe fertig wurde. Bei einem Quintaner wäre eine solche Einstellung nicht übel. Was jedoch davon zu halten ist, wenn wir sie bei einem derjenigen Männer finden, die die kulturelle Zukunft des Landes mitbestimmen, mag der Leser selbst abschätzen. Ich weiß nicht, was die Jugend unseres Landes liest. Ich bin kein Kenner der Kinderwitzblätter und habe alle Achtung vor Al Capp und Little Abner; aber ich glaube kaum, daß sie sich alle zur Höhe von Mr. Capps bissiger Lebensphilosophie erheben. Bis zu einem gewissen Ausmaße erfüllen sie einen Teil der Funktion, die in meinen Tagen Märchen und Sagen erfüllten, nämlich die, der Jugend etwas von der überlieferten Weisheit alter Zeiten nahe zu bringen. Aus ihnen lernten wir einige der einfachen und fundamentalen Lebensweisheiten, so, daß ein Geist, den man in einer Flasche findet, besser eingesperrt bleibt; daß der Fischer, der wegen seines Weibes zu oft eine Gabe vom Himmel erfleht, genau dort endet, wo er anfing; daß man sehr vorsichtig sein muß beim Wünschen, wenn einem drei Wünsche offenstehen. Diese einfachen und einleuchtenden Wahrheiten stellen das kindliche und jugendliche Gegenstück zu jenem tragischen Weltgefühl dar, das den Griechen und vielen heutigen Europäern eigen ist, während es unserem Lande der Fülle irgendwie fremd ist. Die Griechen betrachteten die Entdeckung des Feuers mit sehr gemischten Gefühlen. Ihnen erschien wie uns das Feuer als eine große Wohltat für die gesamte Menschheit, andererseits aber kam das Herabtragen des Feuers vom Himmel zur Erde einer Herausforderung der olympischen Götter gleich und mußte von ihnen als Verletzung ihrer Vorrechte bestraft werden. So sehen wir die
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stalt des Feuerträgers Prometheus, das Urbild des Wissenschaftlers: als einen Helden, aber einen der Verdammung preisgegebenen Helden, der an den Kaukasus geschmiedet, von Geiern gequält wird, die an seiner Leber nagen. Wir lesen die klingenden Verse des Äschylos, in denen der gefesselte Gott den Erdkreis unter der Sonne zum Zeugen anruft für das, was er von der Hand der Götter erleidet. Tragisches Weltgefühl ist das Gefühl, daß die Welt nicht ein behagliches, kleines, für unseren Schutz gebautes Nest ist, sondern eine grenzenlose, weithin feindliche Umwelt, in der wir Großes nur vollbringen können, wenn wir den Göttern trotzen, und in der diese Anmaßung unvermeidbar die Bestrafung nach sich zieht. Es ist eine gefährliche Welt, in der es keine Sicherheit gibt, ausgenommen die etwas fragwürdige der Demut und der eingedämmten Strebungen. Es ist eine Welt, die nicht nur den gebührend bestraft, der in bewußtem Hochmut sündigt, sondern auch den, dessen einziges Verbrechen es ist, die Götter und die Welt um ihn herum nicht zu kennen. Wenn ein Mensch mit tragischem Schicksalsbewußtsein sich nicht dem Feuer, sondern einer anderen Offenbarung der Urkraft, wie der Atomspaltung, nähert, so tut er das mit Furcht und Bangen. Er wird nicht dort voranstürmen, wo Engel kaum zu schreiten wagen, er sei denn bereit, gleich gefallenen Engeln bestraft zu werden. Er wird auch nicht gelassenen Herzens der nach seinem eigenen Bildnis geschaffenen Maschine die Verantwortung für seine Entscheidung zwischen Gut und Böse übertragen, ohne die volle Verantwortung für diese Entscheidung auf sich zu nehmen. Ich sagte schon, daß der moderne Mensch und vor allem der moderne Amerikaner, soviel „Know how“ er auch haben mag, sehr wenig um das „Know what“ weiß. Er wird die überlegene Gewandtheit der Entscheidungen, die die Maschine fällt, annehmen, ohne allzu sehr nach ihren Motiven und Hintergründen zu forschen. Dadurch wird er sich früher oder später in die Lage des Vaters in W. W. Jacobs „The Monkey’s Paw“ (Die Affenpfote) versetzt sehen, der sich hundert Pfund gewünscht hat, und der dann an seiner Tür den Beauftragten der Fabrik vorfindet, in der sein Sohn arbeitet, und von jenem hundert Pfund überreicht erhält als Trost für den Tod seines Sohnes in der Fabrik. Oder es kann ihm wie dem arabischen Fischer aus Tausendundeiner Nacht ergehen, der das Salomonssiegel an der Flasche erbrach, die den bösen Geist enthielt.
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Erinnern wir uns, daß es Spielmaschinen sowohl vom Affenpfotentypus als auch vom Typus des Flaschengeistes gibt. Jede zum Fällen von Entscheidungen gebaute Maschine wird sich starr an den Buchstaben halten, wenn sie nicht die Fähigkeit zu lernen besitzt. Wehe uns, wenn wir sie unser Verhalten bestimmen lassen, ohne vorher die Gesetze ihres Handelns geprüft und uns überzeugt zu haben, daß es sich nach für uns annehmbaren Grundsätzen vollzieht! Die Maschine aber, die wie der Flaschengeist lernen kann und auf Grund ihres Lernens Entscheidungen fällen kann, wird durchaus nicht gebunden sein, Entscheidungen zu treffen, wie wir sie getroffen hätten oder wie sie für uns annehmbar wären. Denn der Mensch, der das Problem seiner Verantwortung blindlings auf die Maschine abwälzt, sei sie nun lernfähig oder nicht, streut seine Verantwortung in alle Winde und wird sie auf den Schwingen des Sturmwinds zurückkommen sehen. Ich spreche von Maschinen, aber nicht nur von Maschinen, deren Hirne von Erz und deren Sehnen von Stahl sind. Wenn menschliche Atome zu einer Gemeinschaft verknüpft sind, in der sie nicht ganz als verantwortliche menschliche Wesen, sondern als Federn, Hebel und Gestänge benutzt werden, bedeutet es wenig, daß ihr Rohmaterial aus Fleisch und Blut besteht. W a s a l s E l e m e n t i n e i n e r M a s c h i n e b e n u t z t w i r d , i s t e i n Te i l d i e s e r M a s c h i n e . Ob wir unsere Entscheidungen Maschinen aus Metall oder Maschinen aus Fleisch und Blut – den Büros und Großlaboratorien und Heeren und Gesellschaften – anvertrauen, wir werden niemals die richtigen Antworten auf unsere Fragen empfangen, wenn wir nicht die richtigen Fragen stellen. Die „Affenpfote“ aus Haut und Knochen ist ebenso tödlich wie etwas, das aus Stahl und Eisen geschmiedet ist. Der Flaschengeist, das Symbol jener Heere und Büros, ist nicht minder furchtbar als die Gestalt der modernen Zaubermaschinen. Die Stunde drängt, Gut und Böse pochen an unsere Tür; wir müssen uns entscheiden.
XII. Stimmen der Starre An mehreren Stellen dieses Buches habe ich aufgezeigt, daß die unmittelbare Zukunft der menschlichen Gesellschaft von düsteren Gefahren umgeben ist und daß wir unseren Kurs an Hand von Seekarten der Fortschrittsidee verfolgen, auf denen die drohenden Untiefen nicht verzeichnet sind. Auf einem meinen eigenen Interessen noch unmittelbarer verknüpften Gebiet hatte ich einiges über die sehr gefährlichen Probleme des neuen Maschinenzeitalters zu sagen sowohl vom Standpunkte der wirtschaftlichen Erschütterungen, die es wahrscheinlich auslösen wird, als auch von dem eines neuen Faschismus, der in der „machine à gouverner“ droht. Was sollen wir nun in dieser Lage tun? Mit „wir“ meine ich sowohl allgemein die Bevölkerung der Welt als auch die Bürger der Vereinigten Staaten und im besonderen den Teil der Menschheit, dem ich zugehöre: die sozial verantwortungsbewußten Wissenschaftler und Ingenieure. In keinem Falle gibt es hier eine einfache Antwort. Das Beste, was wir für die Bevölkerung im großen erhoffen können, ist eine lange und wahrscheinlich unwillkommene Erziehung in den Naturwissenschaften mit ihren politischen Hintergründen und in den uns unmittelbar drohenden Gefahren. Für Wissenschaftler und Gelehrte wie mich ergibt sich die Aufgabe, diese Erziehung durchzuführen. Wir müssen irgendeinen Weg finden, um der Allgemeinheit die Einsicht zu vermitteln, die wir in die neuen Probleme besitzen. Dabei sind wir sehr gehemmt durch die falsche Beurteilung, der Naturwissenschaft und Naturwissenschaftler in der öffentlichen Meinung unterliegen. Trotz aller naturwissenschaftlichen Erziehung in unseren Schulen und aller naturwissenschaftlichen Popularisierung und Propaganda in unseren Zeitschriften weiß der Mann auf der Straße zwar einiges von den Resultaten wissenschaftlicher Erfindungen und Entdeckungen, die sein tägliches Leben berühren, hat aber nicht die geringste Vorstellung von den inneren Begriffen der Wissenschaft und von der Aufgabe des Wissenschaftlers. Für ihn ist der Wissenschaftler genau dasselbe, was
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der Medizinmann für den Wilden ist; eine von Geheimnis umwitterte, zweideutige Gestalt, die verehrt werden muß als Träger geheimnisvollen Wissens und als Mittler geheimnisvoller Kräfte, die man aber auch fürchtet, ja haßt, und die auf ihren Platz verwiesen werden muß. Der Medizinmann mag eine Macht sein, aber er ist auch ein sehr willkommenes Opfer für die Götter. Diese Anschauungen bestehen seit langem, aber durch die Atombombe und die durch sie verursachten Gefühle allgemeiner Furcht und allgemeiner Schuld sind sie verschärft worden. Fast jedem ist bewußt, daß ihn die Atombombe mit der Möglichkeit persönlicher Auslöschung bedroht, aber noch unmittelbarer damit, daß er seine Lebensführung ändern und vielleicht sogar zum Höhlendasein zurückkehren muß. Auf der anderen Seite ist der Gebrauch derart mächtiger Mittel der Massenvernichtungen ein Schock für das moralische Gefühl aller, die bereits durch die Drohung der Benutzung von Giftgas als Kriegsmittel erschreckt worden waren. Die unmittelbare Reaktion auf die Bombe von Hiroshima war ein Frohlocken über diese neuerliche Demonstration unserer nationalen Macht. Innerhalb weniger Tage aber ergriff das volle Entsetzen, das dieses Geschehen bereits in den feiner Empfindenden ausgelöst hatte, das Publikum im großen. Die Menschen sagten zueinander: „Das ist furchtbar! Es ist so furchtbar, daß ich nicht irgendwie daran teilgehabt haben kann.“ Mindestens beruhigten sie damit ihr inneres Gewissen. Das natürliche Ergebnis war, daß sie nach denjenigen forschten, die daran beteiligt gewesen waren. Während der Kriegsstimmung hatte sich der Durchschnittsbürger selbst zu sehr mit der Regierung und mit den militärischen Stellen identifiziert, als daß er die Schuld auf diese hätte schieben können; sie waren eine Ausdehnung seines inneren Selbst geworden. Er suchte nach einem unbekannten Sündenbock außerhalb des ihm vertrauten Personenkreises. Wer konnte für diesen Zweck geeigneter sein als der Wissenschaftler? Der Wissenschaftler war für ihn immer ein nicht recht begreifbarer Menschentyp, der in einer dem Laien unverständlichen Sprache redete und den er nicht in seinem Klub und nicht auf seiner Kegelbahn traf. Der Wissenschaftler hatte gewissermaßen etwas vom Teufel an sich, und vor allem war er nie da, um Rede und Antwort zu stehen. Dieser schlechte Ruf des Wissenschaftlers wuchs durch die Geheimhaltungspropaganda und die laufenden – gerechtfertigten oder ungerechtfertigten – Spionageanklagen gefährlich rasch an.
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Ohne Zweifel hat bei uns in gewissem Umfange Spionage Platz gegriffen, genau so wie wir versucht haben, die geheimgehaltenen Angelegenheiten fremder Länder zu erfahren. Auf jeden Fall sind verhältnismäßig unbedeutende, nur wenige Personen einschließende Fälle so aufgebläht worden, daß sie den wissenschaftlichen Beruf als Ganzes in schlechten Ruf gebracht haben; besonders aus dem Grunde, weil natürlich nur Angehörige dieser Berufe in der Lage waren, die Geheimnisse der Atombombe aufzudecken und zu verkaufen oder mindestens zu verstehen. So ist ein Schriftsteller wie ich, der die Öffentlichkeit über die aus der neuen wissenschaftlichen Ära entstehenden Gefahren aufzuklären versucht, in der Lage der Maus, die den anderen Mäusen rät, der Katze eine Schelle anzuhängen. Ich persönlich bin in abenteuerlichen Unternehmungen wie dem Schellenumhängen bei Katzen nicht von großem Nutzen. Aber zum mindesten kann ich hoffen, daß ich zu anderen spreche, die trotz der dabei unvermeidlichen Schmähungen zu politischer Arbeit bereit sind und die diese Anschauungen bei den Wahlen wirksam machen. Sehen wir einmal zu, welchen Katzen die Schelle umgehängt werden soll. Da ist vor allem die große Katze, die in Amerika vom Mann auf der Straße am meisten gefürchtet wird: Die sowjetrussische Regierung mit ihrem Bundesgenossen, der Komintern. Zunächst hatte diese Machtgruppe eine ausdrücklich erklärte prowissenschaftliche Haltung, die sich z. B. in den Pawlow gewährten recht weitgehenden Freiheiten in der aktiven Durchführung neuer wissenschaftlicher Forschungen in Rußland zeigte; so hofften viele von uns, daß die Übertreibungen der Revolution und ihrer unmittelbaren Fortsetzung mit der Zeit einer aufgeschlosseneren und umfassenderen Haltung der Welt im allgemeinen anderen Ländern und der Wissenschaft gegenüber Platz machen würden. Aber die Sowjetpolitik ist entweder unter dem Druck des Hasses von außen oder unter der inneren Notwendigkeit ihrer eigenen Entwicklung zunehmend doktrinärer und enger und immer weniger tolerant und human geworden. Tatsächlich ist der Sowjetstaat eine geschlossene und starre Institution geworden, die der historischen Kirche sehr ähnelt, sogar in den kleinsten Einzelheiten ihres Verhaltens und ihrer Organisation. Ich habe schon früher gesagt, daß für den Menschen seines Bleibens auf Erden nicht mehr lange sein wird, wenn er sich nicht zur vollen Höhe der in ihm liegenden Kräfte erhebt. Kein ganzer Mensch sein, bedeutet: Weniger als lebendig sein. Diejenigen, die
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nicht innerlich lebendig sind, leben selbst in ihrem schattenhaften Dasein nicht lange. Ich habe darüber hinaus gesagt, daß für den Menschen lebendig sein bedeutet, an einem weltweiten Schema der Kommunikation teilzunehmen. Man muß die Freiheit haben, neue Meinungen zu prüfen und herauszufinden, welche von ihnen zu etwas führen und welche von ihnen uns nur verwirren. Wir müssen die Anpassungsfähigkeit haben, uns überall in die Welt zu schicken, die Anpassungsfähigkeit, die uns dazu führt, Soldaten zu haben, wenn wir Soldaten brauchen, aber auch Heilige, wenn wir Heilige brauchen. Gerade diese Anpassungsfähigkeit und diese kommunikative Integrität des Menschen finde ich beeinträchtigt und verletzt durch die heutige Neigung, sich nach einem umfassenden vorgeschriebenen Plan zusammenzuscharen, der uns von oben eingehändigt wird. Wir müssen aufhören, die Peitsche zu küssen, die uns schlägt. In den großen Zeiten der intellektuellen Entwicklung waren die Menschen noch bereit, selbst für unpopuläre Ideale und Meinungen einzustehen. Heutzutage fehlt offensichtlich diese Art geistigen Mutes. Nicht nur, daß wir unter der Furcht vor Verfolgung durch die Obrigkeit leiden, wir verkrampfen uns unter der noch größeren Furcht, uns der Verfolgung auszusetzen, weil wir anders als andere Menschen sind. Die Schuljungengrausamkeit, die einen anders gearteten Mitschüler in die Rolle eines Außenseiters drängt, wird von Behörden gebilligt, die über dieses üble Stadium der Pubertät längst hinausgewachsen sein sollten. Wenn unser Zeitalter Frucht tragen und vor der Geschichte bestehen soll, müssen wir dem psychopathischen Drang zu allgemeiner Nivellierung Einhalt gebieten. Ich möchte nun den Unterschied zwischen der Liebe zur Wahrheit und der Liebe zu Folgerichtigkeit und Logik erörtern. Auf lange Sicht gesehen muß Wahrheit entweder folgerichtig sein oder sie muß für uns im Unergründlichen liegen. Indessen haben wir eine folgerichtige Betrachtung der Dinge nicht notwendigerweise schon bei den ersten Schritten unseres geistigen Eindringens in neue Gebiete, sondern häufig erreichen wir sie erst bei der endgültigen Durchdringung und Einbeziehung in einen größeren Zusammenhang, der in organischer Form alles das enthält, was sich von den verschiedenen und zunächst ungelösten Alternativen als gültig erwiesen hat. Ein Prozeß dieser Art wird in der Tat bewußt durch den Marxismus anerkannt durch die Hereinnahme der Hegelschen Dialektik von These, Antithese und Synthese.
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Diese Folgerichtigkeit des Endresultats, das als Folgerung aus dem Erfindungs- und Forschungsprozeß hervorgeht, ist nicht für alle Stufen charakteristisch, durch die wir die Wahrheit erkennen. So stellen heute die scheinbaren Widersprüche zwischen Relativitätstheorie und Quantentheorie ein noch unerschlossenes Gebiet der Physik dar. Intellektuelle Aufrichtigkeit verlangt, daß man zugibt, was in der Wissenschaft noch ungelöst ist, daß man auf Mittel zur Versöhnung der entgegengesetzten Meinungen hofft, und daß man sich dazu getrieben fühlt, die Herbeiführung dieser Versöhnung in die Hand zu nehmen. Wenn eine geistige Bewegung zur kämpferisch religiösen Propaganda wird, neigt sie leicht dazu, unvollkommen zu verteidigende Außenposten der Wissenschaft aufzugeben, die noch nicht in eine geschlossene, dichte Verteidigungslinie einbezogen sind, und sich hinter der Sicherung einer scheinbar unüberwindlichen Logik in ein bloßes Ritual zurückzuziehen. Dies ist ein Schritt nach rückwärts und sollte als solcher erkannt werden. Zwei Beispiele hierzu liefern der Jesuitenorden und die kommunistische Partei. Der gesamte Katholizismus ist ja im wesentlichen eine totalitäre Religion. Der Anspruch, die Schlüssel zu Himmel und Erde zu besitzen oder, mit anderen Worten, der Anspruch, den einzigen Weg zum Heil zu besitzen, ist durchaus totalitär. Solch ein Anspruch ist immer gezwungen, sich auf ein geschlossenes logisches System zu gründen. Dieses ist im Falle der Kirche die durch Thomas von Aquino interpretierte Aristotelische Logik. Trotzdem ist die katholische Kirche ein Haus mit vielen Wohnungen. Es gibt weite Gebiete des Katholizismus und ganze religiöse Orden, in denen weder Propaganda noch totalitärer Eifer ausdrücklich im Vordergrund stehen. Der Jesuitenorden aber ist so etwas wie eine Kirche innerhalb der Kirche, wie beide, der Orden und die größere Kirche, wiederholt zu ihrem Kummer erfahren haben. Er ist ein militärischer und militanter Orden, begründet in einem Spanien, das noch nicht völlig frei von der Bedrohung durch die Mauren war, und in einem Geiste, der etwas von dem maurischen Jehad in sich hatte. Und der spanische Katholizismus ist immer, selbst zur Zeit Ihrer Allerkatholischsten Majestäten, in seinen Ansprüchen und in seiner Ergebenheit das Spiegelbild der kriegerischen Inbrunst der Anhänger Mohammeds gewesen. Worin unterscheidet sich der Jesuitenorden von den anderen Orden der Kirche? In seiner Disziplin, in seiner Logik und darin, daß er die Logik dazu verwendet, die Wahrheit dem Willen der
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Kirche und des Ordens Untertan zu machen. Sein großer Dienst an der Erziehung hat weitgehend in Richtung einer Erziehung in Kasuistik gelegen. Ich gebrauche dieses Wort nicht in einem irgendwie boshaften Sinne, denn die Jesuiten selbst benutzen es. Es meint die Behandlung von Moralproblemen in der Weise, daß man sie an Einzelfällen klarmacht, genau so wie etwa an der Harvard-Universität Jura durch Behandlung von Rechtsfällen gelehrt wird. Von einem gewissen Standpunkt aus bedeutet es die Verwandlung des Moralgesetzes selbst in ein Gebiet des Kampfes, ähnlich wie es das Bürgerliche Recht in unseren Gerichtshöfen geworden ist. Sein Hauptwerkzeug ist eine strenge Logik. Mit dieser kriegerischen Glut, die manche Helden des Kreuzes wie St. Francis Xavier und Matteo Ricci hervorgebracht hat, verband sich ein großartiges System der Organisation. Die R e l a t i o n e s der Jesuiten sind als eine der großen Geschichtsquellen bekannt, die den Berichten der Venezianischen Gesandten einer früheren Zeit kaum nachstehen. Wie diese bestehen sie in Aufzeichnungen nicht nur über das innere Leben ihres religiösen Ordens, sondern über jedes politische, militärische oder soziale Ereignis, das für die Kirche und den Orden von Interesse hätte sein können. Hier lag immer eine der Pflichten für einen Jesuiten, und zwar eine Pflicht, welche keinen Winkel unerforscht ließ beim Berichten über Dinge, die für ihre Zeit ebenso bedeutsam waren wie für unsere Zeit die Entdeckung und die Einzelheiten der Atombombe. Für die Kirche und den Orden sind die Gesetze der Kirche Gesetze Gottes, die alle Gesetze weltlicher Fürsten übersteigen und beiseiteschieben. Jeder Zug dieser Beschreibung trifft mit bloßer Abänderung in den Bezeichnungen auch auf die kommunistische Partei in ihrem heutigen Aufbau zu. Die Kommunisten betrachten sich nicht als Diener Gottes, wohl aber als Diener einer Sache, der sie sich uneingeschränkt hingeben und von der sie glauben, daß sie die höchste Pflicht des Menschentums einschließe. Sie sind ein militärischer Orden, gehärtet durch Jahre der Untergrundbewegung und auswärtiger Kriege, ebenso wie die Jesuiten durch ihren unaufhörlichen Kampf mit den Mauren gehärtet worden waren. In der Verfolgung ihrer Ziele kennen sie nicht mehr Erbarmen, als es der Jesuit bei seinem Heilswerk kannte. Sie schonen weder sich selbst noch andere. Ihre Logik bedeutet für sie dasselbe wie die Logik Thomas von Aquins für die Kirche und insbesondere für die Jesuiten: Ein Kernstück des Glaubens. Aber es ist die durch
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das Wort von Karl Marx interpretierte Logik Hegels und nicht die des heiligen Thomas. Selbst dort, wo diese Logik im Verlauf ihrer inneren Geschichte eine wechselseitige Einwirkung und Abänderung durch wissenschaftliche Ideen zu zeigen scheint, bleibt sie selbst ein Punkt der Doktrin. Endlich haben die Kommunisten auch ein genau so ins einzelne gehendes und strenges System von Berichten und R e l a t i o n e s wie das der Jesuiten. Ein bemerkenswertes Beispiel für den Wunsch der Sowjets nach Folgerichtigkeit zeigt sich bei Betrachtung der Probleme der Spionage und des Verrats. Die westlichen Länder haben auf diesem Gebiete durchaus eine doppelte Moral. Jedes militärische Hauptquartier und jedes Außenministerium, einschließlich unserer eigenen, macht gewohnheitsmäßig Gebrauch von jenen widerlichen Typen in anderen Ländern, die aus Groll oder für Geld bereit sind, Geheimnisse ihres Landes zu verraten. Jede große Nation unterhält auch eigene Angestellte mit der Pflicht, im Auslande als unauffälliger Bürger zu leben und über gerade diejenigen Dinge zu berichten, die ihr Aufenthaltsland am meisten geheim hält. Wer von uns zwanglos mit militärischen Freunden verkehrt hat, kennt die Einzelheiten hierüber nur allzu gut. Wie die Welt nun einmal ist, sind alle diese Dinge notwendig; nur sprechen wir leise davon, um nicht die zarte Empfindlichkeit des braven Bürgers zu verletzen. Man gibt vor, daß diese Spionage nicht bestehe oder daß sie zum mindesten nur durch schmutzige Fremde ausgeführt werde und daß unsere eigene Weste sauber sei. Das ist Heuchelei, aber es ist wohl eine Heuchelei, die sich nicht umgehen läßt; ohne sie würden sich die Bürger jedes Landes in einer Atmosphäre von Intrige und Zynismus verlieren, die der Ausübung der Bürgerpflichten mehr als feindlich wäre. Die Sowjetunion rebelliert gegen diese Heuchelei und macht in ihrer Spionagepolitik sehr wenig Umstände. Sie verlangt, daß die Mitglieder ihrer Partei ihr jede Information übermitteln, die für ihr Fortbestehen lebensnotwendig sein könnte. Im Grunde und wirkungsmäßig unterscheidet sich das nicht von dem, was wir als Berichte einiger religiöser Orden kennen. In unserem Lande sind wir vor den Gefahren des Kommunismus sehr auf der Hut, während wir uns den politischen Möglichkeiten der Kirche gegenüber bisher etwas gleichgültig verhalten. Es gibt wichtige Punkte, wo diese Möglichkeiten zu Tage getreten sind. Denken wir nur an das Schicksal einer Gesetzesvorlage zur Geburtenbeschränkung in Massachusetts, und erinnern wir uns an das konzentrische Feuer, das die
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Kirche auf Mrs. Roosevelt eröffnete, und die sich daraus ergebende kalte Inquisition. Ich möchte Menschen mit doppelter Loyalität und insbesondere solche, die unsere Geheimdokumente verkaufen und weggeben, keinesfalls verteidigen. Ich hasse diese ganze Atmosphäre des Räuber- und Gendarmenspiels, die den Anstand unseres nationalen Lebens zerstört. Aber ich glaube nicht, daß alle Angriffe auf den Verdacht von Spionage und Verrat hin durch Tatsachen gerechtfertigt sind; und ich weiß durchaus, daß über das ganze Land hin Geschrei und Gezeter geht, welches eine Verurteilung als solche schon als eine Errungenschaft betrachtet, unabhängig von der Frage wirklicher Schuld. Was ich in diesem Abschnitt zu erreichen versuche, ist etwas ganz anderes: Nämlich die Lage von dieser „Haltet-den-Dieb!“-Atmosphäre zu befreien. Kehren wir zur allgemeineren Frage des Vergleichs zwischen der Haltung der Jesuiten und der der kommunistischen Partei zurück, namentlich hinsichtlich der Stellung der Wissenschaft. Um mit den Jesuiten zu beginnen: Auf Gebieten, in die nichts von religiöser Doktrin hineinspielt, haben sie eine lange und ehrenvolle Reihe wissenschaftlicher Leistungen aufzuweisen. Ihre Erforschung der Erdbeben ist erstklassig; denn dieses Forschungsgebiet ist aus menschlichen Gründen wichtig und kann kaum zu irgendwelchen doktrinären Erörterungen führen. Die Geschichte der reinen Mathematik enthält Namen großer Jesuiten wie den von Saccheri, ebenso auch Namen von Mitgliedern der kommunistischen Partei. Auch hier in der Mathematik gibt es nur ganz selten Punkte, die mit der Lehre der Kirche oder der Partei in Widerstreit stehen, und sie können von denen, die im Hinblick auf die Doktrin makellose Personalakten wünschen, leicht vermieden werden, Auf der anderen Seite möchte ich keinem Naturforscher oder Historiker mit liberalen und individuellen Ansichten raten, an einer Jesuitenuniversität zu lehren, ebensowenig wie an einer kommunistischen Universität, vorausgesetzt, daß er überhaupt an einer dieser Schulen angestellt werden könnte. Unter beiden Systemen kann Wissenschaft bestehen; aber es ist Wissenschaft in einer Zwangsjacke, die für die Bedingungen ihres Fortbestehens fürchten muß. Um vom Kommunismus zu sprechen: Gegenüber der Wissenschaft ist seine Haltung nicht unveränderlich gewesen, sondern hat mit der Parteilinie geschwankt. Es gab eine Periode, in der Sowjetrußland mit den Gelehrten der Welt Fühlung suchte, um als kultiviertes und gebildetes Land anerkannt zu werden. Damals
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fentlichten die russischen Zeitschriften, auch die Publikationen der russischen Akademie der Wissenschaften, nach jeder Abhandlung einen Auszug in englisch, französisch oder deutsch. Diese Epoche endete nach dem zweiten Weltkriege. Heute beschränken sich die russischen Zeitschriften streng auf russisch, allenfalls benutzen sie andere in der Sowjetunion gesprochene Sprachen. Zu gleicher Zeit hat sich das freundliche Entgegenkommen gegen Gastgelehrte, die früher sogar als Bewerber für Stellungen im russischen Erziehungswesen in Frage kamen, stark vermindert. Beziehungen zum Ausland sind für den russischen Professor gefährlicher denn je geworden. Am schlimmsten ist es, daß die russische Regierung Gegenstände wie die Gentheorie der Vererbung, die Quantentheorie, die Relativitätstheorie und verschiedene logische Theorien über das Wesen der Mathematik offiziell als Fragen behandelt, zu denen der Staat eine orthodoxe Ansicht hat, von welcher der einzelne nur auf eigene Gefahr abweichen kann. Wenden wir uns nun zur anderen Seite der gegenwärtigen internationalen Machtgruppierung. Die Haltung Westeuropas ist uneinheitlich und neigt dazu, entweder der Führung Rußlands oder der Führung der Vereinigten Staaten zu folgen. Außerdem gibt es eine große Mittelgruppe von Intellektuellen, die sozialistisch denken, aber nicht willens sind, sich ganz und gar in das kommunistische System einzufügen. Diese Mittelgruppe ficht zurzeit einen hoffnungslosen Kampf nach zwei Seiten aus: Gegen die russische Gegnerschaft und gegen die amerikanische Neigung, schon den leichtesten Anhauch von Sozialismus in Mißkredit zu bringen. Nur in Amerika und in der Vatikanstadt liegen heute die festgefügten Zentren der Gegenkräfte der Sowjetunion. Nur bei ihnen und ihren Verbündeten zieht man ernsthaft einen – heißen oder kalten – Krieg gegen die Sowjetunion in Betracht. Was die Kirche anbelangt, die sich eindeutig als der Hauptfeind aller kommunistischen Umtriebe herausgestellt hat, so möchte ich noch einmal sagen, daß kein Mensch an dem zu ihrem Wesen gehörenden totalitären Charakter zweifeln kann. „Quod semper, quod ubique, quod ab Omnibus“ sind vortreffliche Worte, aber sie gestatten nur eine totalitäre Auslegung. Die Kirche ist geduldig. Wenn sie sich in einer Lage befindet, in der sie nicht einen ganzen Laib Brot erhält, ist sie bereit, für einen halben Laib einen Kompromiß zu schließen; aber dieser Kompromiß ist nur eine Zwischenlösung, und auf die Dauer wird die Kirche stets nach dem ganzen Brote trachten. In einem demokratischen Staatswesen wie
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den Vereinigten Staaten ist die Bereitwilligkeit der Kirche, eine Religion neben anderen Religionen zu sein, durch die Tatsache bedingt, daß sie noch eine Minderheit ist und daß dies das Beste ist, was sie erreichen kann. Doch sie betrachtet sich immer noch als den einzigen Weg zur Erlangung des Heils und zur Gegenwart Gottes. Und solange sie diesen Anspruch erhebt, kann sie in keinen dauernden Kompromiß einwilligen. Die Kirche hat niemals der Inquisition abgeschworen. Wie könnte sie das tun, wenn sie Ketzerei als Verrat an Gott und als die höchste aller Sünden betrachtet? Die Inquisition verbleibt im Köcher der Kirche zusammen mit der Exkommunikation und dem Bann. Erst kürzlich hat die Kirche den Pfeil der Exkommunikation herausgezogen, und auf den Bogen gelegt. An dieser Stelle möchte ich sagen, daß ich nicht von Feindschaft gegen die katholische Kirche erfüllt bin. Als die mächtigste der bestehenden kirchlichen Organisationen – möglicherweise die kommunistische Partei ausgenommen – hat die Kirche die Merkmale im höchsten Maße ausgebildet, die zu allen kirchlichen Organisationen mit Totalitätsanspruch gehören. Nur wenige christliche Kirchen erheben keinen Anspruch dieser Art oder unterscheiden sich von der römischen Kirche in irgendeiner Weise außer in ihrer Macht. Deshalb gibt es unter ihnen nur wenige, die nicht grundsätzlich ihre Allgemeingültigkeit, ihre Unvereinbarkeit mit allen anderen Religionen und die völlige und fraglose Richtigkeit ihrer Prinzipien annehmen. Diese Ansprüche sind nicht notwendige Begleitumstände von Religion. Sie sind aufgegeben in der religiösen Gleichgläubigkeit, durch die ein Chinese gleichzeitig Konfuzianer, Buddhist und Taoist sein kann, und sie sind bis fast zum Verschwinden abgeschwächt im Unitarianismus und bei den Quäkern. Demgegenüber waren weder Calvin noch Luther frei von der Überzeugung, daß außerhalb ihrer Kirchen kein Weg zum Heil wäre. Die Neigung, für die Kirche eine totalitäre Basis zu beanspruchen, bleibt beim Übergang von der Kirche der Heiligen zur Kirche der Bischöfe bestehen. Solange die Kirche keine Macht außer der moralischen besitzt und solange ihre Anhänger sehr real von persönlichen Leiden und Martyrien bedroht werden, kommt sie nicht in Verlegenheit, ihre Ansprüche über die eigenen Glieder hinaus auszudehnen. In dem Augenblick, in dem Petri Nachfolger seinen Frieden mit dem Kaiser schließt, Würdenträger einer dem Staate gleichgestellten öffentlichen Einrichtung wird, und seine
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Aufgaben mit denen des Staates durch gegenseitige Übereinkunft teilt, wird die Kirche eine Organisation, die Beförderung und persönliche Karriere bietet. Wenn solch eine Organisation bestehen bleiben will, muß sie die Pflicht ihres Fortlebens sehr ernst nehmen, und dann ist der Pfad zur Totalität nur noch kurz. Die Kirche der Bischöfe muß unterstellen, daß sie eine allumfassende Organisation ist und daß es keinen Weg zum Heil gibt, der nicht durch sie hindurchführt. Aus diesem Grunde gibt es für einen Bischof nichts Ärgerlicheres, als wenn ein Heiliger in seiner Diözese auftritt. Es liegt in der Natur des Heiligen, daß er eine direkte Verbindung mit Gott beansprucht. Diese Verbindung umgeht die Autorität der Kirche, selbst wenn sie ihr nicht zuwiderläuft. Ein Heiliger zu sein, setzt etwas voraus, das einem Wahlakt verwandt ist, und das Wort Häresie ist nichts anderes als das griechische Wort für Wahl. Daher wird ein Bischof, so sehr er einen toten Heiligen verehren mag, einem lebenden gegenüber niemals allzu freundliche Gefühle hegen. Das bringt mich auf eine sehr interessante Bemerkung, die Professor John von Neumann mir gegenüber gemacht hat. Er sagte, daß in der modernen Wissenschaft die Ära der Urkirche zu Ende geht und daß die bischöfliche Ära über uns kommt. In der Tat ähneln die Leiter großer Laboratorien sehr den Bischöfen in ihrer Verkörperung der Macht auf allen Lebensgebieten und in den Gefahren, denen sie durch die fleischlichen Sünden des Stolzes und der Machtgier ausgesetzt sind. Andererseits fühlt der unabhängige Wissenschaftler, wenn er auch nur im geringsten der Einschätzung als Wissenschaftler würdig ist, eine Verpflichtung, die völlig aus ihm selbst kommt: Eine Berufung, die die Möglichkeit höchster Selbstaufopferung verlangt. In der Geschichte ist der Bischof nicht nur der Mann des Kreuzes; er ist auch der Mann des Szepters. Er darf kein Blut vergießen, aber er legt dieses Verbot nicht so streng aus, daß er nicht doch Schädel spalten dürfte. Erzbischof Turpin im Rolandslied ist ein ebenso gewalttätiger Mann wie Roland oder Oliver; und bei Hastings ficht Odo von Bayeux an der Seite seines Bruders, des Bastards der Normandie. Da der Bischof nicht immer ein Mann des Friedens ist, können wir nicht überrascht sein, wenn das, was wir über die Kirche der Heiligen und die Kirche der Bischöfe gesagt haben, gleichermaßen auf den Kommunismus paßt. Die Männer der russischen Revolution waren, welche Gewalttätigkeiten sie auch verübten und welche
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Absichten sie auch bei der Vernichtung bestehender Einrichtungen hatten, Männer großen Muts und großer Leidensfähigkeit. Fast keiner der alten Kommunisten überlebte die Revolution um mehr als ein Jahrzehnt: Eine Folge der Mühsale, denen sie sich ausgesetzt hatten. Sie waren oft Menschen von Kultur, selbst wenn sie einen begrenzten und bigotten Standpunkt hatten. Viele von uns hatten gehofft, daß sich nach der Revolution und nach einer Periode der Reorganisation die Eigenschaften dieser Männer durchsetzen und die Härten des Kommunismus teilweise von selbst verschwinden würden. Es gab in der russischen Revolution Phasen, die diese Erwartung rechtfertigten, aber in der heutigen Welt der Konflikte und der Machtgier scheint es uns, die wir nicht in Rußland leben, als ob sich der früher hervortretende Zug zum Liberalismus ins Gegenteil verkehrt habe. Bei der neuen kommunistischen Führerschicht trat an Stelle des Rebellentums der ersten Revolutionäre die Starrheit der allmächtigen Staatsmaschinerie. Die Ähnlichkeit, die wir zwischen der Kirche und dem Sowjetsystem festgestellt haben, ist nicht so überraschend, wie es scheinen könnte. Der Kampf setzt beide Seiten demselben Schlachtfeld und denselben Mühsalen aus und macht sie schließlich einander sehr ähnlich. Diese Ähnlichkeit zeigt sich mehr in den Lastern als in den Tugenden der einzelnen Persönlichkeiten. Das Christentum des Spaniers hat, wie wir schon sagten, vieles mit dem Islam der Mauren gemeinsam. Die Flammen der Inquisition lodern wieder auf im Feuer, zu dem Servetus durch Calvin verurteilt wurde. Und sind der kommunistische Kommissar und der Jesuitensuperior nicht Brüder, obwohl der eine Christus anruft und der andere das neue Azan proklamiert: „Es gibt keinen Gott, und Marx ist sein Prophet“? Ich habe aufgezeigt, daß die Meinungsfreiheit heutzutage zwischen den zwei starren Blöcken der Kirche und der kommunistischen Partei zermalmt wird. In den Vereinigten Staaten sind wir mitten in einem Prozeß, ein weiteres solches starres System zu entwickeln, welches die Methoden der beiden bestehenden vereinigt, ohne ihre begeisternde Glut zu teilen. Unsere Konservativen aller Schattierungen haben sich irgendwie zusammengefunden, um den amerikanischen Kapitalismus und die fünfte Freiheit des Geschäftsmannes in der ganzen Welt auf den Thron zu erheben. Unsere Militärs und unsere großen Industriekönige haben die Propagandatechnik der Russen geprüft und für gut befunden. Sie
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haben ein würdiges Gegenstück zur GPU im FBI 23 in dessen neuer Rolle als politisches Überwachungsinstrument gefunden. Sie haben nicht bedacht, daß diese Waffen der Menschlichkeit grundlegend zuwider laufen und daß hinter ihnen, um sie auch nur erträglich zu machen, die volle Kraft eines überwältigenden Glaubens und Vertrauens stehen muß. Diesen Glauben und dieses Vertrauen einzubauen haben sie sich nirgends bemüht. So werden sie dem teuersten Teil unserer amerikanischen Überlieferungen untreu, ohne uns – außer einem nur negativen Haß gegen den Kommunismus – irgendwelche Ideen zu geben, für die wir sterben könnten. Es ist ihnen gelungen, unamerikanisch zu werden, ohne radikal zu sein. Zu diesem Ende hat man eine neue Inquisition wiederauferstehen lassen: Die Inquisition der Lehrereide und der Untersuchungsausschüsse des Kongresses. Wir haben eine neue Propaganda zusammengebraut, in der nur ein Element fehlt, das Kirche und kommunistischer Partei eigen ist: Das Element des Glaubens. Wir haben die Methoden, aber nicht die Ideale unserer möglichen Gegenspieler übernommen, ohne recht zu bedenken, daß es gerade die Ideale waren, die den Methoden ihre überzeugende Kraft gegeben haben. Wir, die wir selbst ohne Glauben sind, maßen uns an, Ketzerei zu bestrafen. Möge die Absurdität unserer Lage bald in dem homerischen Gelächter untergehen, das sie verdient. Einem dreifachen Angriff auf unsere Freiheiten müssen wir also widerstehen, wenn Kommunikation wirklich den Raum erhalten soll, den sie als die Zentralerscheinung der Gesellschaft verdient, und wenn die menschliche Persönlichkeit ihre volle Entfaltung erreichen und aufrechterhalten soll. Wieder hemmt uns die amerikanische Anbetung des „Wissens-Wie“ im Gegensatz zum „Wissen-Was“. Mit Recht sehen wir im totalitären System des Kommunismus große Gefahren. Auf der einen Seite haben wir zu ihrer Bekämpfung die Hilfe einer totalen Kirche herbeigerufen, die in keiner Hinsicht bereit ist, zur Unterstützung ihrer Ansprüche mildere Mittel gelten zu lassen als die, auf welche sich der Kommunismus stützt. Auf der anderen Seite haben wir versucht, ein starres System aufzubauen, das Feuer mit Feuer bekämpfen und dem Kommunismus Einrichtungen entgegensetzen soll, die mehr als zufällig denen des Kommunismus ähnlich sind. Dabei haben wir übersehen, daß dasjenige Element des Kommunismus, welches wirklich unseren Respekt verdient, seine Überzeugungstreue und sein Eintreten 23
Federal Bureau of Investigation (Anmerkung d. Übers.).
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für die Würde und die Rechte des Arbeiters ist. Schlimm sind dagegen die rücksichtslosen Verfahren, zu denen die gegenwärtige Phase der kommunistischen Revolution ihre Zuflucht genommen hat. Unsere Führer zeigen eine beunruhigende Neigung, diese Rücksichtslosigkeit zu übernehmen, und eine beunruhigende Abneigung, ihre Handlungen irgendwelchen höheren Grundsätzen unterzuordnen. So wird unsere rücksichtslos vorgehende Abwehr nicht von Zustimmung aus vollem Herzen getragen. Hoffen wir, daß es noch möglich ist, die augenblickliche Strömung zu wenden und ein Amerika der Zukunft zu schaffen, in dem Menschen leben und aufwachsen können, denen es möglich ist, im vollsten und reichsten Sinne des Wortes Mensch zu sein.
Sachverzeichnis Akustische Stufe der Sprache 185 Alles oder Nichts, Reaktion 76–79 Ameise, s. a. Insekt 38, 66f., 70ff. Analogiegeräte 168 Auslieferung 21, 34 Automatische Fabrik, Entwicklung der 15, 172, 176 Bauplantypen, tierische 67–72 Chiffre 131f. Code 14, 88, 93, 101, 131, 133 Eingabe 13, 21, 34, 92 Entropie 40–46, 125, 137 Entwicklung 43, 97, 99, 106f., 116, 140f., 158, 161 – der automatischen Fabrik 15, 172, 176 – der Schiffahrt 157, 159f. – der Textilmaschinen 161 – der Vakuumröhre 56, 163–167, 169f. Entzifferung 133 Erfinden 55, 118, 124 s. a. Patentrecht 116, 119 Erregungsleitung, in Nerven und durch das Blut 77
Erziehung, amerikanische 46, 144–147, 150ff., 199 Flak 11, 74f., 85, 166, 168, 193 Fortschritt 41, 47, 50, 102, 160, 164, 169 – in der Medizin 57–61 Fortschrittsideal 47 Gedächtnis 70f. Geheimhaltung 38, 121f., 133, 135 Gehirn als ziffernmäßig arbeitende Maschine 78ff., 90f., 173, 187f. Geräte, siehe Maschinen und Instrumente 7, 9, 14, 25f., 33, 35, 37, 55, 72, 74f., 77ff., 88f., 107f., 129, 153, 155, 159ff., 164, 167ff., 172f., 175f., 184f, 187, 189f., 194 Großrechenanlagen 167 Hochgeschwindigkeitsrechenmaschinen 170ff. Hörgerät 187 Idee, schöpferische und Auswertung 41f., 47f., 59, 62, 80f. 83, 99, 104, 109, 123, 128, 134f. 142, 167, 199, 205, 211
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Individualität 103, 105, 107f. Industrielle Revolution, erste und zweite 61, 130, 157, 159f., 163, 170, 175, 178 Information 13f., 21, 27–30, 34f. 35, 37, 39–42, 44, 88ff., 92, 104, 109f., 120, 122f., 125f., 128ff., 131–134, 172, 184f. 187f. – Eigentumsrecht an 128 – Maß für 30 Informationsbetrag 19, 41, 88f., 92, 109, 125, 132, 184, 188 Insekt, Bauplan, Verhaltensschema 66–72, 94 Instrumente, stetig arbeitende 78 s. a. Maschinen Internuncial pool 91 Kapazität, Träger von Telefonleitungen 28, 89, 165, 171 Katholische Kirche 203, 208 Kommunikation 15, 21, 23, 26, 32, 37f., 44, 65, 77, 87, 89f., 92, 98, 100ff., 104, 111, 116, 121f., 137, 141f., 167, 170, 179, 186, 211 Kommunikationsmöglichkeiten 32, 170 Kommunikationsprobleme 179 Kommunikation, 15, 125 soziologische Bedeutung Kommunikatives Verhalten des Menschen 38 Kommunismus 205f., 209ff. Kopplung 11, 13f., 20f., 35, 43ff., 73
Sachverzeichnis
Kraftübertragung, Übergang von mechanischer zu elektrischer 162 Kunstentwicklung 126–129, 140f., 143f. Kybernetik 9–13, 15–19, 23, 32, 72, 88, 195 Lernfähigkeit 95, 192 Lernprozeß 74, 76, 79, 85 Literaturentwicklung 128, 153f. machine à gouverner 11, 16, 19f., 32, 194f. 199 Maschinen, lernende 192 Maschine, Staats- 195, 210 Maschinenzeitalter 25, 155, 162 Maschine, ziffernmäßig arbeitende, s. a. Instrumente 77ff., 168, 173 – Gehirn als 78f., 89f. Modulation 29 „Motte“ 180f., 183 Muskeltonus 14, 33f., 36, 68f., 72, 122, 157 Nachricht 13f., 19, 21, 25, 27–33, 37, 39, 41, 44f., 77, 82ff. 88f., 105, 109f., 121, 131, 133, 170, 187 – ungerichtete 83 Naturwissenschaftler in der öffentlichen Meinung 139, 147f. Nerv, Erregungsleitung im 10, 14f., 33, 58, 70ff. 76f., 79, 82–85, 107, 122, 183, 185
Sachverzeichnis
Optimismus 41, 46 Ordnung, Informationsbetrag als Maß der 41, 92, 125 Ordnungsbetrag 42 Patentrecht 116–119, 123, 162, 184 Pessimismus, 41, 43, 46 Entropie und Phonetische Stufe der Sprache 90ff., 94, 185 Posturalrückmeldung 180f. Programm 14, 21, 34, 137, 171, 174 Programmierung 14, 21, 79, 82, 107f., 175 Propriorezeptoren 33, 173 Prozesse, lineare und nichtlineare 29, 45, 47, 51, 57, 67, 70, 73f., 76, 79, 85, 89, 118f., 122, 130, 150, 164, 168, 171–174, 186f., 193, 202f., 210 Recht, Rechtsauffassungen 38, 103, 111–116, 118f., 123, 127f., 134, 204, 211f. Rechenmaschinen 14f., 17, 34, 72, 76, 107f., 167f., 170–174, 190, 193, 195 Regelung 9, 13 15, 21, 23, 25, 31f., 35, 74–78, 115, 163, 169, 173, 176, 193 Regler 11, 32, 163, 168 Reflexe, bedingte 76, 81f., 84f., 91 Reizschwellen 79, 85, 91 Rückmeldung, Rückkopplung 11, 13f., 20f., 35ff., 73f., 76, 88, 168f., 180f., 183
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Schachmaschine 192f., 195 Schema 21, 27f., 30ff., 34, 41ff., 50, 65f., 72f., 74, 77, 98, 103, 108f., 125, 132, 164f., 173, 183, 189, 202 Schiffahrt, Entwicklung der 157, 159f. Semantische Stufe der Sprache 91f., 185 Sinnesprothese 186 Sinnesorgane 32ff., 67, 70, 91, 122, 172f., 186, 188 Sprache, Mechanismus der 87–95 – die drei Stufen der 185 Sprachen, Entwicklung der 93, 98f. Sprechenlernen 94f., 187 Starrheit 72 Störgeräusch 21, 30, 44 Synapsen 76f., 83f. Taubheit 26 – Hilfsgeräte bei 187 Teilschemata 28 Textilmaschinen, 161f. Entwicklung der Thermodynamik, 40, 43ff., 89, 92 Gesetz der 30, 45 Totalitäre Systeme 203, 207f., 211 Trägertelefonie 28f. Tremor 179ff., 183 Tropismusgerät 180f. Übersetzungsstufen 89 Übertragung, Substanz und Nachrichten 21, 29f., 44f., 70, 77, 88f., 91f., 101, 104,
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110, 161ff., 165, 168f., 184, 186, 188 Vakuumröhre, Entwicklung der 163–170 Verhaltensschema der Ameise 72f. Verstärker 44, 164, 167f., 181 Vocoder 184, 187f. Vorliebe als Verhaltensweise 192
Sachverzeichnis
Wahrscheinlichkeit 30, 39f., 42f. 46, 56, 88f., 115, 193 „Wanze“ 180f., 183 Zeitreihen 42 Ziffernmaschine 78, 168 Zufall und Wahrscheinlichkeit 29f., 42, 56, 191 Zwang als Verhaltensweise 72, 192