Skulptur und Frauenkloster: Studien zu Bildwerken der Zeit um 1300 aus den Frauenklöstern des ehemaligen Fürstentums Lüneburg [Reprint 2018 ed.] 9783050069357, 9783050023946


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German Pages 205 [208] Year 1994

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einführung
I. Befund und Chronologie
II. Die sogenannten Rolandsfiguren
III. Die Kult- und Andachtsbilder
IV Schlußbetrachtung
Quellen- und Literaturverzeichnisse
Abbildungsnachweis
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Skulptur und Frauenkloster: Studien zu Bildwerken der Zeit um 1300 aus den Frauenklöstern des ehemaligen Fürstentums Lüneburg [Reprint 2018 ed.]
 9783050069357, 9783050023946

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KERSTIN HENGEVOSS-DÜRKOP

Skulptur und Frauenkloster Studien zu Bildwerken der Zeit u m 1300 aus F r a u e n k l ö s t e r n des ehemaligen F ü r s t e n t u m s L ü n e b u r g

BAND BAND BAND

GISELA MOELLER, Peter Behrens in Düsseldorf KATJA SCHNEIDER, Burg Giebichenstein K L A U S N I E H R , D i e mitteldeutsche S k u l p t u r der

ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts BAND .

A S T R I T S C H M I D T - B U R K H A R D T , Sehende B i l d e r

BAND

M I C H A E L D I E R S (Hrsg.),

BAND I

ANDREAS B E Y E R , B R U C E B O U C H E R (Hrsg.),

BAND 7

MO(NU)MENTE

Piero de'Medici KERSTIN

HENGEVOSS-DÜRKOP,

Skulptur und Frauenkloster

Herausgegeben von

Tilmann Buddensieg Fritz Neumeyer Martin Warnke

KERSTIN HENGEVOSS-DÜRKOP

Skulptur und Frauenkloster Studien zu Bildwerken der Zeit u m 1300 aus F r a u e n k l ö s t e r n des ehemaligen F ü r s t e n t u m s L ü n e b u r g

Akademie Verlag

Gedruckt mit Unterstützung der Klosterkammer Hannover

Titelbild: Tugendkreuzigung, Glasfenster, Wienhausen (Detail der Abb. 99)

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme: Hengevoss-Dürkop, Kerstin: Skulptur und Frauenkloster : Studien zu Bildwerken der Zeit um 1300 aus Frauenklöstern des ehemaligen Fürstentums Lüneburg / Kerstin Hengevoss-Dürkop. - Berlin : Akad. Verl., 1994

(ARTEfact; 7) Zugl.: Diss. ISBN 3-05-002394-5 NE: GT © Akademie Verlag GmbH, Berlin (1994) Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z. 39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Herstellerische Betreuung: Karla Henning Umschlaggestaltung: Meta Design, Berlin Satz: deutsch-türkischer fotosatz, Berlin Druck: GAM Media GmbH, Berlin Bindung: D. Mikolai, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Einführung I. Befund und Chronologie Die Stellung der Wienhäuser Stifterstatue zum Umkreis der Magdeburger Gnadenmadonna Der Ebstorfer Mauritius und die Holzfigurengruppe um die Wienhäuser Madonna Die Skulpturen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts II. Die sogenannten Rolandsfiguren Das Problem der Naumburg-Nachfolge Juridische Aspekte Assimilation und Rezeption in den Klöstern

VII IX 1 1 21 51 71 72 84 97

III. Die Kult-und Andachtsbilder Der frauenmystische Kontext Bild-und Schriftquellen Die Skulpturen als rhetorisches Mittel und Korrelat mystischen Erlebens Die Wienhäuser Auferstehungsgruppe: Ein durch die Kreuzzugsideologie und die Frauenfrage bedingtes „Andachtsbild"? . . . .

121 121 121

139

IV Schlußbetrachtung

163

Quellen- und Literaturverzeichnis

167

Abbildungsnachweis

191

131

Für meinen Mann und meine Eltern

Vorwort

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um meine im Dezember 1989 eingereichte und für den Druck überarbeitete Dissertation. Eine Reihe von Begegnungen und Gesprächen hat die Entstehung der Arbeit beeinflußt, für die ich an dieser Stelle zu danken hätte. Insbesondere aber möchte ich für entscheidende Impulse und seine Betreuung meinem Lehrer Horst Bredekamp danken. Martin Warnke danke ich für wegweisende Gespräche während der Vorbereitung der Publikation und, zusammen mit Tilmann Buddensieg und Fritz Neumeyer, für die Aufnahme in die ARTEfact-Reihe. Der Klosterkammer Hannover gilt Dank für großzügige finanzielle Unterstützung, darunter die Übernahme der Druckkosten, den Restauratoren der Klosterkammer und den Äbtissinnen der Lüneburger Klöster für ihr Entgegenkommen und vertrauensvolle Aufnahme. Eine unersetzliche Hilfe in archivalischen Fragen war mir Bernd Kappelhoff. Bernd Nicolai und Helga Sciurie sei für ihre Unterstützung gedankt; ferner Anna Moraht-Fromm, Jörg Rosenfeld und Stefan Kubisch, die auf ihre Art freundschaftlichen und kritischen Anteil am Gang der Forschungen genommen haben. Nicht zuletzt möchte ich Dank an den Verlag richten für all die Bemühungen um die Publikation. Juli 1993

Kerstin Hengevoss-Dürkop

Einführung

Die Frage nach dem formalen und funktionalen Kontext von Skulptur und Frauenkloster in der Zeit um 1300 war bisher vorwiegend auf die alemannischen Klöster ausgerichtet. In ihrem Milieu vermutete noch die Kunsthistoriographie der 30er Jahre die Entstehung einer Reihe plastischer Bildtypen. Vesperbild, Christus als Kind, Maria im Wochenbett, Christus-Johannes-Gruppe u.a. schienen in Visionen von Nonnen antizipiert und dann im Bild fixiert einem größeren Kreis von Laien zugänglich gemacht worden zu sein. 1 Auch der Stil der Skulpturen des frühen 14. Jahrhunderts wurde nicht nur dem Einfluß der deutschen Mystik zugeschrieben, sondern dem sich der ganzen Formenwelt bemächtigende(n) weiblichen Gefühlsleben.2 Die Diskussion um den kunstwissenschaftlichen Terminus Andachtsbild führte mit Panofskys Aufsatz von 1927 über die Imago Pietatis3 aus dem Horizont der Frauenklöster und einer auf dualistischer Geschlechterkonzeption basierenden formgeschichtlichen Beurteilung heraus oder blieb nur scheinbar in deren Rahmen. Es folgten zahlreiche Studien über Typenreihen, in denen die ikonographischen und theologischen Grundlagen der Bildwerke im Vordergrund standen. 4 Für die Frage nach der Rezep-

1 G. Dehio, Geschichte der Deutschen Kunst, Berlin/Leipzig 1930, Bd. 2, S. 116; W. Pinder, Die Kunst der ersten Bürgerzeit bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts, Leipzig 1937, S.46; ders., Die deutsche Plastik vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance (Handbuch für Kunstwissenschaft, Bd. 1), Potsdam 1924, S.92ff.; D. Klein, Andachtsbild, in: R D K , Bd. 1, 1937, Sp.681ff. 2 Pinder 1937, S. 45. Diese charakterisiert die kontemplative Passivität der entkörperlichten, in ihrer Physiognomie tiefe Gemütsbewegungen spiegelnde Figurenauffassung im Vergleich zu der körperhaften, diesseitsgewandten Aktivität der Figuren der ergo männlichen spätstaufischen Bildhauerei. Vgl. besonders W. Pinder, Die Deutsche Plastik des Vierzehnten Jahrhunderts, Leipzig 1925, S. 24. 3 E. Panofsky, Imago Pietatis. Ein Beitrag zur Typengeschichte des Schmerzensmannes und der Maria Mediatrix, in: Fs. f. Max Friedländer z. 60. Geb., Leipzig 1927, S. 261—308. 4 Hierzu gehören sämtliche bisherigen Studien zu den Lüneburger Frauenklöstern, darunter vor allem die wichtigen monographischen Erschließungen H. Appuhns (siehe jeweils bei den Objekten), so aber u . a . auch z. B. W. Blank (Dominikanische Frauenmystik und die Entstehung des Andachtsbildes um 1300, in: Alemannisches Jahrbuch, 1964/5, S. 5 7 - 8 6 ; ders., in: Kat. Mystik am Oberrhein 1978, S.25—36), dessen Forschungsziel grundsätzlicher auf das Verhältnis von Mystik und Kunst ausgerichtet war. Für ihn ist die mystische Aussage in Wort und bildender Kunst zwar aus einer geistigen Grundidee erwachsen, die aber als echte Parallelen in keinem Abhängigkeitsverhältnis ständen. Für H. Belting (Bild und Kult, München 1990, S. 462ff.) sind die Studien zum Bild im Zeitalter der Mystik, da sie sich fast alle auf plastische

X tion und Funktion von Bildmotiven in der Frauenmystik wurden die Bildwerke ohne tiefgreifendere Ausführungen zu Bildkunst und Mystik allgemein, auf der Ebene der christlichen Bilderlehre argumentierend, der Meditationsanweisung und theologischen Belehrung der Nonnen zugewiesen. 5 Selbst für die Christus-Johannes-Gruppen resümierte in einer der letzten Stellungnahmen Haussherr, daß ihre spezifische Ausformung als Skulpturen zwar frömmigkeitsgeschichtlich in das Milieu südwestdeutscher Frauenklöster gehöre, da die mit ihnen verbundenen Vorstellungen aber alle älter und allgemein verbreitet gewesen seien, müßten sie doch wohl im Zusammenhang mit einem regional begrenzten Kult gesehen werden. 6 Wieder grundsätzlicher rückte Sciurie die Fragestellung ins Blickfeld. Im Rahmen der Überlegungen des Jenaer Arbeitskreises zum Stil als Kategorie der Kunsthistoriographie fragte sie nach Wechselwirkungen zwischen Skulpturen und jenem gesellschaftlichen Phänomen, das seit Grundmann als religiöse Frauenbewegung bezeichnet wird.7 Die Pole ein und desselben Zeitstils, die sie als süßen Genußstil — mit Hinweis auf die Kölner Domchorapostel — und drastischen Leidensstil — der Astkruzifixus in St. Maria im Kapitol — bezeichnete, seien in der deutschen Skulptur zwischen 1270 und 1350 insbesondere in den frühen Andachtsbildern der Frauenklöster ausgebildet. Für diese stilistischen Phänomene ist immer wieder auf die Krisen während des Interregnums, die sozialen Unruhen, Geldentwertung, Hungersnöte, Pestepidemien, übersteigerte Religiosität hingewiesen worden; immer mehr treten die neuen Entwurfstechniken und Spezialisierungen des Handwerks, der Geschmack und Anspruch eines ken-

Bildwerke nördlich der Alpen konzentrierten, zu eng gefaßt; gleichzeitig beklagt er, daß der seit langem gesehene Zusammenhang der neuen plastischen Andachtsbildtypen und dem Aktionsraum, der diese hervorbringt, die deutsche Mystik und deren Zentrum, die alemannischen Frauenklöster um 1300, noch nicht der gleichzeitigen Predigt- und Erbauungsliteratur vergleichbar systematisch untersucht sei. Siehe dazu weiter ebd. S. 463ff. 5 Ibd.; E . Vavra, Bildmotiv und Frauenmystik - Funktion und Rezeption, in: Frauenmystik im Mittelalter 1985, S. 201-231. P. Zimmer (Die Funktion und Ausstattung des Altares auf der Nonnenempore. Beispiele zum Bildgebrauch in Frauenklöstern aus dem 13. bis 16. Jahrhundert, Köln 1990) macht in ihrem Übergreifenderen Vergleich deutlich, wie schwierig sich die Überlieferungslage darstellt, um tatsächlich genaue Vorstellungen über die Ausstattung der Nonnenchöre um 1300 zu bekommen. Sie plädiert (ebd., S.70ff.) dafür, daß nicht die Feier des Horenoffiziums oder die Konventsmesse für die Retabel oder Kultbilder entscheidend waren, sondern die private Andacht der Nonnen. 6 R. Haussherr, Über die Christus-Johannes-Gruppen. Zum Problem Andachtsbilder und deutsche Mystik, in: Beiträge zur Kunst des Mittelalters, in: Fs. f. H . Wentzel z. 60. Geb., Berlin 1975, S. 100. 7 Die Frauenfrage und der Stil der deutschen Plastik zwischen 1270 und 1350, in: Stil und Gesellschaft. Ein Problemaufriß, hg. v. F Möbius, Dresden 1984, S. 166-199.; vgl. auch dies., Die Frauenfrage in Andachtsbild und Bauskulptur, in: FrauenKunstGeschichte, hg. v. C. Bischoff u . a . , S . 5 3 - 6 3 ; dies., Die Erfurter Jungfrauen und ihr Publikum, in: Bildende Kunst, 1989, H. 5, S. 50f. H. Grundmann, Religiöse Bewegungen im Mittelalter, Darmstadt 1977 (4. Aufl. v. 1935); vgl. zuletzt Religiöse Frauenbewegung und mystische Frömmigkeit im Mittelalter, hg. v. P. Dinzelbacher u. D. R. Bauer (Beihefte z. A. f. Kulturgesch., H. 28), Köln/Wien 1988 (mit Bibl.).

XI nerischen Publikums in den Vordergrund.8 Daß darunter Frauen einen maßgeblicheren Faktor als je zuvor darstellen, ist vor allem für Historiker und Literaturwissenschaftler unbestritten. 9 Als um so prägnanter stellt sich daher die These Sciuries dar, die die frühen Christus-Johannes-Gruppen und Vesperbilder als Medium der Konfliktbewältigung deutet. Schon die Frühgeschichten der südwestdeutschen Dominikanerinnen- und Zisterzienserinnen-Klöster zeigen, daß sich diese aus der religiösen Frauenbewegung formierten, einer Erscheinung der Armuts- und Laienbewegung des 12. und 13. Jahrhunderts, die nicht nur hinsichtlich ihrer Anziehungskraft und kirchlichen Eingliederung Probleme aufwarf. Ihre Vertreterinnen stammten in der Regel aus dem Patriziertum und dem Adel und hatten mit ihrem überwiegend hohen geistigen und sinnlichen Niveau ein streng monastisches Lebensideal von Verzicht, Askese und völliger Weltentsagung zu verkraften. Auch für die Bauplastik legt sie am Jungfrauenportal der Kathedrale von Straßburg, einem Zentrum mystischer Frömmigkeit und Häresie, nahe, daß hier ein Ort der Verständigung in der Frauenfrage war. 10 Die vorliegende Studie konzentriert sich auf norddeutsche Skulpturen der Zeit um 1300 und hier auf den eng begrenzten Bereich der Nonnenklöster des ehemaligen Fürstentums Lüneburg. Im ersten Teil geht die Untersuchung dem Befund, der Überlieferungsgeschichte und der Datierung der Bildwerke nach. Die Stildiskussion versucht dabei zum einen der Chronologie der Bildwerke eine kritische Grundlage zu geben und zum anderen deren Besonderheit über ihr Stilumfeld zu erfassen. Im zweiten Teil wendet sie sich den Stifter- und Klosterpatronfiguren zu, die als Rolande der Frauenklöster gelten. Dieser Funktionszuweisung kommt schon deshalb in der Gesamtfragestellung besondere Bedeutung zu, da die Organisations- und Verwaltungsformen von Frauenklöstern, wie sich auch in dieser Region zeigen wird, zu spezifischen Problemen geführt haben. Überdies bestanden in der Zeit um 1300 im ehemaligen Fürstentum Lüneburg in der Mehrzahl Frauenklöster. Die Untersuchung befaßt sich im letzten Teil mit den Kult- und Andachtsbildern. 11

8 Sciurie 1984, S. 167; R. Suckale, Die Kölner Domchorstatuen. Kölner und Pariser Skulptur in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in: Kölner Domblatt, Bd.44/45, 1979/80, S. 223ff. 9 Ausführliche Lit. bei Sciurie 1984, S. 178ff.; G . Koch, Frauenfrage und Ketzertum im Mittelalter (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte, Bd. 9), Berlin 1962 etabliert; J. Bumke, Mäzene im Mittelalter. D i e Gönner und Auftraggeber der höfischen Literatur in Deutschland 1150—1300, München 1979, S. 231 ff. u. S . 2 4 3 f . ; neuerdings, A . u. W Echols, Women in Medieval Times. A n Annotated Bibliography, Princeton 1992. 10 Der Terminus hat sich seit Koch (siehe vorherige A n m . ) in der Forschung etabliert. 11 Siehe die Bibliographie zur Andachtsbild-Diskussion (H. Belting, Das Bild und sein Publikum im Mittelalter. Form und Funktion früher Bildtafeln der Passion, Berlin 1981, S. 301—303). Wie unbefriedigend diese Begriffsfindung nach wie vor ist, zeigt sich in der letzten Stellungnahme zum Problem (B. Decker, Das Ende des mittelalterlichen Kultbildes und die Plastik Hans Leinbergers, Bamberger Stud. z. Kunstgesch. u. Denkmalpfl., Bd. 3, 1985, S.92—99), in der mit Hinweis auf Haussherr und Ringbom (ebd., ^ n m . 278) die derzeit herrschende Auffassung, der Begriff Andachtsbild sei formal-thematisch und nicht funktional zu verstehen, abgelehnt wird. D a s Argument vom Andachtsverständnis, das sich auf alle

XII Der Charakterisierung der Rolle von Skulpturen in der Frauenmystik und dem Stellenwert einzelner Bildthemen steht als Kernfrage für die norddeutschen Frauenklöster allgemein gegenüber, mit welcher Berechtigung sie als authentische Quellen herangezogen werden können. So auffallend günstig sich nämlich die Überlieferungssituation der Lüneburger Frauenklöster für diese Zeit durch ihre Bildwerke und Baulichkeiten darstellt, so schwer schien bisher das Fehlen einschlägiger Quellen zu wiegen. Klosterbrände, die gewaltsam durchgeführte Reformation und weiterhin schon die Bursfelder Reform haben tiefgreifende Einschnitte in die ältere Überlieferungsschicht der Lüneburger Frauenklöster, vor allem der Klosterbibliotheken, mit sich gebracht. 12 Zuletzt

bildlichen Erzeugnisse der Kirche beziehen konnte, wie von der Funktion des Bildes als Sakralbild, wobei innerhalb der Kirche nicht zwischen offiziellen Kirchenbildern und offiziösen Andachtsbildern unterschieden werden könne (vgl. ebd., S. 95, insbes. Anm. 272/3), sei unspezifisch, vordergründig und verwische die tatsächlich bestehenden Gattungsunterschiede. Dem von Suckale (Arma Christi, in: Stadel-Jb. N F , B d . 6 , 1977, S. 177ff., bes. S. 198) vorgeschlagenen Weg folgend, der die Entwicklung zum formalistischen Begriff umkehrte und Andachtsbilder nur funktional verstanden wissen wollte, sieht Decker das Kriterium für die Unterscheidung der Gattungen Kultbild und Andachtsbild in ihrer Stellung als Funktionsträger. Kultbilder, an offizieller Stelle verwaltete bildliche Güter, würden im Flügelaltar rituell entrückt, während die mit Innerlichkeit rezipierten Andachtsbilder der privaten Erbauung dienten. Es gehörte also nicht schon notwendig zu den Eigenschaften der Bilder selbst, ob sie Kult- oder Andachtsbilder genannt werden können, sondern die ihnen zugedachte Bedeutung ergab sich erst aus der jeweiligen Funktionsbeschränkung (ebd., S. 97). Die Funktionsbeschränkung der Andachtsbilder stellt jedoch ein hierbei zuwenig berücksichtigtes Problem dar. A m eindrücklichsten zeigt der Wienhäuser Grabchristus, daß auch diese Figuren in Gehäusen mit aufklappbaren Türen und Wänden standen, die ihren Sinn nur darin finden, auch diese Bilder rituell dem Gläubigen zu entziehen (zu Figurenschränken siehe auch unten S. 21). Auch für das von Decker angeführte klassische Beispiel eines Andachtsbildes, die ChristusJohannes-Figuren, ist ja tatsächlich die Art der Aufstellung nicht bekannt (Haussherr 1975, S.84); die Gruppe aus St. Katharinental z. B. stand nach der Klosterchronik wie auch immer bei, nach Quellen des 17. Jahrhunderts, auf dem Altar des Nonnenchors (Zimmer 1990, S. 81 ff., bes. S. 92). Man wird bei dem Problem insgesamt mit Belting, der die instabile und komplexe Beziehung zwischen Form und Funktion am Beispiel der Imago Pietatis aufzeigt, besser weiter an der Unscharfe des Begriffs festhalten, als eine von den beiden Komponenten unabhängige Definition zu suchen. 12 Schäden an den Beständen sind durch die großen Klosterbrände 1240 und 1372 in Lüne (Nolte 1932, S. 4 u. S.38; Reinhardt, in: Germ. Bened., Bd. XI, 1984, S. 392/3) und in Walsrode 1482 (Brosius, in: Germ. Bened., Bd. XI, 1984, S. 539; ders. 1986, S. 26/7) vorauszusetzen. Danach wird die Bursfelder Reformzeit als großer Einschnitt in die schriftliche Überlieferung faßbar. Am ausführlichsten schildern ihn zwei lateinische Nonnenberichte von 1487 und 1494 aus Ebstorf über die hier Anfang der 60er Jahre durchgeführte Reform (ed., in: Z. d. hist. V f. Nied., 1905, S.388-407). Alle älteren Chorbücher, Gradualien, Antiphonarien und Lektionarien sind zerschnitten und durch der neuen Liturgie angepaßte Bücher ersetzt worden (ebd., S. 389; vgl. Borchling 1905, S. 370). Auch in den anderen Klöstern dienten schon seit der Klostererneuerung des 15. Jahrhunderts liturgische Bücher als Pergament-Magazine, wovon zahlreiche Einbände der Wienhäuser und Lüner Rechnungsbücher zeugen (Nolte 1932, S.42). Daneben hat die Reformation große Verluste mit sich gebracht. Nach der Wienhäuser Chronik verlangte Herzog Ernst der Bekenner bei der Durchführung der Reformation die Herausgabe der Güter, clenodien oder versiegelte Briefeschafften, weshalb der Konvent sie den Domherren nach Hildesheim in Verwahrung schickte (Chronik S. 73). 1543 sind alle Bücher die auff dem Chor waren weggeschafft worden (Chronik, S.75). Auf weitere Verluste weisen noch die im 18. Jahrhundert erwähnten und heute verschollenen

XIII charakterisierte deshalb Faust über die Benediktinerinnen in Norddeutschland: Als ein Schüler von J. Leclercq hätte ich nur zu gern über die Spiritualität in den mittelalterlichen Frauenklöstern Norddeutschlands berichtet, aber leider schweigen die Quellen darüber. Wer will behaupten, daß sich die Spiritualität in Ebstorf, Lüne und Walsrode im 13. Jahrhundert auf einer vergleichbaren Höhe bewegte wie im Kloster Helfta in Thüringen? 13 Qualitätsurteile, wie sie in dieser Stellungnahme unterschwellig enthalten sind, sollen in dieser Studie nicht getroffen werden. Es ist kaum anders vorstellbar, als daß die mystische Begabung der drei Helftaerinnen auf einem in Norddeutschland verbreiteten Nährboden religiöser Frömmigkeit gewachsen ist, wie auch mit einem Wirkungsgrad ihrer Schriften besonders in Frauenklöstern zu rechnen ist. Das haben insbesondere die in Bibliotheken verstreuten und für dieses Problem bisher kaum beachteten Gebetbücher aus den Lüneburger Klöstern gezeigt. Sie ließen die Frage um so angebrachter erscheinen, inwieweit die Lüneburger Bildwerke, die in Bezug auf ihre Gesamtüberlieferung mit Textilien, kleinen Andachtsbildern, Ebstorfer Weltkarte u . a . innerhalb der deutschen Klöster für die Zeit um 1300 eine Sonderstellung einnehmen, von der Spiritualität der Nonnen geprägt sind. Unter den Lüneburger Frauenklöstern ist Walsrode die älteste Stiftung aus den Jahren kurz vor 986. Zusammen mit der congregatio sanctimonialium von Oldenstadt gehört Walsrode der letzten Phase der Gründungen von Kanonissenstiften an, deren bezeichnendes Merkmal das Fehlen des Klausurgebots und die Erlaubnis persönlichen Eigentums war; ihnen wird in der Identitätsfindung des christlich gewordenen sächsischen Adels besondere Bedeutung beigemessen. 14 Daneben bestanden das Kollegiatsstift Ramelsloh und die mit Mönchen aus St. Pantaleon besetzte Abtei St. Michaelis in Lüneburg, das Hauskloster der Billunger, das zusammen mit der Burg auf dem Kalkberg Verwaltungsmittelpunkt an der Reichsgrenze war.

Handschriften aus Lüne hin (Nolte 1932, S. 35ff.). Nicht zu unterschätzen sind ferner die Maßnahmen in Kriegszeiten, wie die der Lüner Äbtissin von Bock, die nach ihrer Eintragung in die Chronik im Jahr 1795 bei Annäherung der feindlichen Truppen die Obligationen und Schriften im Archiv durchsah und dabei 389 Pfund gänzlich unnützes Papier als Altpapier verkauft hatte (ebd., S. 2). 13 U . Faust, Benediktinerinnen in Norddeutschland, in: Germ. Bened., Bd. XI, 1984, S. 1 9 - 4 3 ; Rezension: M. Sandmann, in: Theologische Revue, Bd. 82, 1986, Sp. 383—387; ders., Monastisches Leben in den Lüneburger Klöstern, in: D a s Benediktinerinnenkloster Ebstorf im Mittelalter, hg. v. K. Jaitner/I. Schwab (Veröff. d. Hist. Kom. f. Nieders. u. Bremen, Bd. 37), Hildesheim 1988, S . 3 0 f . Im folgenden geht er von einer Normalität liturgischer Spiritualität aus und bemerkt d a z u : . . . allerdings wäre es gewagt, aus dem Fehlen geistlicher Literatur in den Lüneburger habe den mittelalterlichen schriftlichen

Niederschlag,

Nonnen wenig bedeutet. weil sie selbstverständlich

Frauenklöstern

Die wichtigsten

schließen zu wollen, die

Spiritualität

Dinge finden ja häufig deshalb

sind und nicht eigens hervorgehoben

werden

keinen müssen.

14 Faust 1984, S. 25; zum folgenden Überblick vgl. G. Streich, Klöster, Stifte und Kommenden in Niedersachsen vor der Reformation mit Quellen und Literaturanhang zur kirchlichen Gliederung Niedersachsens um 1500 (Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas Niedersachsens, H. 30), Hildesheim 1986.

XIV Die Gründungen der Klöster Ebstorf und Lüne fallen in die große Reformzeit des 12. Jahrhunderts. In den Jahren 1133/37 wurde Oldenstadt in ein Benediktiner-Kloster umgewandelt und von Corvey aus besetzt. Dagegen sollen reformwillige Nonnen aus Walsrode nach 1175 die nach einem Brand verwaiste, erst um 1160 gegründete Niederlassung von Prämonstratensern in Ebstorf übernommen haben. Weitgehend im dunkeln bleibt die Herkunft der Sanctimoniales, die im Jahr 1172 das Kloster Lüne an einer ehemaligen Einsiedelei eines Benediktiners aus dem Lüneburger St. Michaelis-Kloster gründeten. Damit bestand die Klosterlandschaft am Ende des 12. Jahrhunderts aus fünf benediktinischen Niederlassungen, unter denen der weibliche Zweig überwog. In der Stadt Lüneburg, die mit der Saline einen der größten mittelalterlichen „Industriebetriebe" Europas besaß, 15 waren ausschließlich Männerklöster angesiedelt: Neben der Abtei auf dem Kalkberg seit 1229 die Franziskaner, die sich in der Nähe von Rathaus und Neuem Markt ansiedelten; 1382 folgten die Prämonstratenser aus Heiligenthal, deren Gründung in die Jahre 1313/14 datiert. Handelt es sich bei den benediktinischen Frauenklöstern um Adelsstiftungen, so sind die beiden Zisterzienserinnenklöster Wienhausen und Isenhagen von Herzogin Agnes, der Schwiegertochter Heinrichs des Löwen und zweiten Frau Herzog Heinrichs des Älteren und Pfalzgrafen bei Rhein, gestiftet worden. Zwei Jahre vor der Auflassung der weifischen Allodialgebiete zum Herzogtum Braunschweig-Lüneburg und der Entstehung des Fürstentums Lüneburg entstanden im Jahr 1233 Wienhausen und im Jahr 1243, zunächst als Kloster für zisterziensische Mönche, seit 1259 für Zisterzienserinnen, Isenhagen. Herzog Otto das Kind förderte zudem die Zweitgründung des Zisterzienserklosters Scharnebeck bei Lüneburg. Nach der Zisterzienserregel lebte ferner ein Frauenkonvent, dessen sich 1241 eines der bedeutendsten weifischen Ministerialengeschlechter, die Marschälle von Medingen, angenommen hatte.

15 Zuletzt H. Witthöfft, D i e Lüneburger Saline, in: Kat. Stadt im Wandel, Bd. 3, 1985, S. 281 ff.

XVI

Abb. 1/2 Agnes von Meißen, Wienhausen

I. Befund und Chronologie Die Stellung der Wienhäuser Stifterstatue zum Umkreis der Magdeburger Gnadenmadonna

Im Raum unter der Nonnenempore steht die Skulptur der Wienhäuser Stifterin (Abb. 1/2/3) auf einem modernen Backstein-Sockel an die Ostwand gelehnt. 1 Das Kirchenmodell, eine Saalkirche mit zwei Westtürmen, 2 weist die Figur als Stifterin des Klosters Wienhausen, Herzogin Agnes, Tochter Konrads von Landsberg, Markgraf der Niederlausitz, und zweite Frau Herzog Heinrichs von Braunschweig und Pfalzgraf bei Rhein aus. 3 Sie verharrt in strenger Frontalität mit weitgeöffneten Augen. Trotz weiter Pupillen, dünngezeichneter Augenbrauen und schmalem, kleinen Mund liegt auf ihrem rundlichen, idealisierten Gesicht ein geradezu warmherziger Ausdruck. Die Stifterin ist in zeitgenössischem Gewand wiedergegeben, einem langärmligen grünen Untergewand, einem schwarzen, an den Ärmeln weit ausgeschnittenen Sürkott und einem roten Mantel, der durch ihren Griff in den Mantelriemen über die Schultern gezogen wird. Ihre flache Brust ziert eine neunblättrige, rosettenförmige Fibel, auf deren Außenblättern sich Fassungsreste ehemals eingelegter Schmucksteine befinden. Diese, wie das Stiftermodell, der Mantelriemen und der Saum des Schleiers und Sürkotts, sind goldgefaßt. Schleier und Gebende mit doppelter Kinnbinde verbergen bis auf wenige lockige, in den Rücken fallende Strähnen ihr Haar. Die strenge Symmetrie der starren, runden Schleierfalten lockert der links sitzende, am Haaransatz in der Stirn sichtbare Scheitel auf. Der wie das Untergewand sich am Boden stauende Mantel verhüllt den Körper weitgehend. Das rechte Stoffende wird straff um den Ellenbogen über den Körper geführt, wodurch ein flaches Relief von gratigen Faltenstegen am Arm und wulstiger

1 Kalkstein; H. 172cm. 2 Der gerade östliche Chorabschluß und die zwei Westtürme - der Grundriß des Westturms , nicht aber die Baugestalt seines oberen Abschlusses ist nachgewiesen — nehmen Bezug auf die spätromanische Klosterkirche (vgl. auch Appuhn 1986, S.9; K. Maier, Materialien zur Frühgeschichte der Klosterkirche in Wienhausen und ihrer Baulichkeiten, in: Nieders. Denkmalpflege, Bd. 6, 1965 - 6 9 , S. 112-121). Zudem entspricht der Bau weitgehend dem Kirchenmodell auf dem Dedikationsbild im oberen westlichen Kreuzgang. In diesem Wandgemälde sind die Fenster verblaßt und die Architektur des neuerbauten Westflügels seitenverkehrt hinzugefügt. Genauere Rückschlüsse vom Stiftermodell auf die Fassadengestaltung der spätromanischen Kirche sind nicht zwingend (vgl. L. H. Heydenreich, Architekturmodelle, in: RDK, Bd. I, Sp. 934.; Bauch 1976, S. 43f.). 3 Zu ihrer Person und der Gründungsgeschichte Wienhausens siehe S. 84 ff. und S. 108 ff.

2

Abb. 3 Agnes von Meißen: Detail

Abb. 4 Madonna, Dom, Hildesheim

Abb. 5 Tympanon, St. Annen-Kapelle, Dom, Hildesheim

3 Schüsselfalten an der linken Körperseite entstehen. Dagegen fällt die linke Mantelseite in langer, gerader Faltenbahn an ihrem Körper herab und gibt nur die Hand frei. Obwohl sich unter den Gewandmassen insgesamt die Körperformen kaum abbilden, vermitteln der sich leicht vorwölbende Bauch, der rundliche Hals und das volle Gesicht den Eindruck leiblicher Präsenz. Dabei wirkt die Gestalt in ihrer geschlossenen Umrißlinie blockhaft, in ihren befangenen Bewegungen schematisiert und dadurch unerreichbar und jenseitig. Hinter ihrem leicht vorgeneigten Kopf bildet ein grob behauener Steinrest eine Ebene mit der geraden Rückseite der Skulptur (Abb. 3). Von weiteren Eingriffen in die ursprüngliche Konzeption zeugen abgeschlagene Faltengrate an den Seiten. Der älteste auffindbare Quellenbeleg, das Klosterinventar von 1723,4 erwähnt die Skulptur im Sommerremter, 5 dessen Bausubstanz aus der Mitte des 16. Jahrhunderts stammt. 6 Nach der Freilegung der Farbfassung unter einem steingrauen Anstrich im Jahr 1942 wurde die Figur von ihrem damaligen Standort, der vergitterten Nische neben dem Eingang zum Nonnenchor, entfernt und an ihren heutigen Aufstellungsort gebracht. 7 Die Datierungsvorschläge zur Skulptur der Wienhäuser Stifterin bewegen sich zwischen dem Jahr 1266 und dem Anfang des 14. Jahrhunderts. Für den jüngeren Zeitansatz, der vorrangig von kunstgeographischen Überlegungen zu einer Hildesheimer Plastik ausging, wurden Übereinstimmungen im Gesichtstypus der Wienhäuser und Heininger Stifterinnen 8 geltend gemacht, die zusammen in die Nachfolge der Madonna aus der Hildesheimer Hl. Kreuzkirche gestellt wurden (Abb. 4),9 mit den Figuren im Tympanon der 1321/22 gebauten St.Annen-Kapelle im Dom-Kreuzgang (Abb. 5). 10

4 Inventarium des Stifts und Klosters Wienhausen von beweglichen und unbeweglichen Gütern . . . , A n n o 1723, S. 5 (Klosterarchiv, Fach I, Nr. 5); in Orig. Guelf. III (S.244) keine Angaben zum Standort der Statue, die ein beigefügter Kupferstich abbildet. 5 Beij vorgedachter

großer

Closter Küche gehet man durch 2 gemauerten

darin ein langer Eichentisch, auch die Hertzogin

an der einen Seite nach dem Hundehoff

Thüren in den großen

Agnesa als Stifterin dieses hauses von steinen gehauen in lebensgroße.

Rembters ist ein langer Gang,...

Rembter,

auch 4fach Fenster. Hier findet Am Ende

sich des

(ibd.).

6 Dendrochronologische Untersuchungen haben ergeben, daß die eingemauerten Außenständer und durchlaufenden Deckenbalken des Nordflügels aus der Zeit um 1550 stammen. D i e überlieferten Baudaten Mitte des 15. Jahrhunderts bestätigten sich damit nicht (J. Bauch/D. Eckstein/W. Liese, Dendrochronologie in Norddeutschland an Objekten der Archäologie, Architektur- und Kunstgeschichte, in: Mitteilungen der Bundesanstalt für Forst- und Holzwirtschaft, Reinbek bei Hamburg, Juli 1970, 77, S. 52; dies., Holzdatierungen

im Kloster Wienhausen

(Celle),

in: Nieders.

Denkmalpflege,

Bd.9,

1976-78,

S. 7 7 - 9 2 ) . 7 Über die Restaurierung liegen keine Unterlagen vor. 8 Siehe A n m . 24/25. 9 Habicht 1917, S. 77ff. ( A . 14. Jh.); Middeldorf 1925, S. 162ff. (um 1310); Elbern 1976, S. 67 (um 1260); in zeitstilistischer Nähe zur beschädigten Madonna im Halberstädter D o m , vgl. D . Schubert 1974, Abb. 201. 10 K D M Provinz Hannover II,4:Hildesheim 1911, S. 1 3 6 - 1 3 9 ; Habicht 1917, S . 7 7 f . ; H. Seeland, Die St. Annen-Kapelle im Domfriedhof zu Hildesheim, in: Unsere Diözese in Vergangenheit und Gegenwart, 22. Jg., 1953, S . 2 9 - 4 3 ; V H. Elbern/H. Engfer/H. Reuther, Der Hildesheimer D o m . Architektur Ausstattung Patrozinien, Hildesheim 1976 (2. Aufl.), S. 30/31.

Abb. 6 Agnes von Meißen, Wienhausen

Abb. 7 Statue, St. Blasius, Braunschweig

5

Stilmerkmale des ersten Viertels des 14. Jahrhunderts an diesen Figuren, wie das Ineinanderfliessen dünner sich schlängelnder Faltensäume und die starke Körperbiegung, fehlen hingegen an der Wienhäuser Skulptur. Auch das für die älteste Entstehungszeit angenommene, in der Wienhäuser Chronik tradierte Todesjahr der Stifterin, 1266, steht seit der Überprüfung dieses Datums in Frage. 11 Nach der urkundlichen Überlieferung ist Agnes wahrscheinlich 1248, spätestens im Jahr 1253 verstorben. 12 Stilistisch steht der Grabfigur die Herzogsstatue am südöstlichen Vierungspfeiler im Braunschweiger Dom am nächsten, die nach der Überlieferung des 17. Jahrhunderts mit Heinrich dem Löwen, später mit anderen Herzögen in Verbindung gebracht und auch als Roland gedeutet wurde (Abb. 6/7). 13 Beide aus Kalkstein gearbeitete Skulpturen zeigen bei monumentaler Wirkung denselben Grad von Stilisierung und Erstarrung der Gewandformen sowie denselben Zug von Blockhaftigkeit und Massigkeit der Personendarstellung. Der Vergleich mit den Holzskulpturen Herzog Ottos des Milden (gest. 1344) und seiner Frau Agnes von Brandenburg (gest. 1334) im Südseitenschiff des Domes zeigt, daß dabei der starke Leibes-

11 Weigert 1927, S. 156. Ihm folgt in ihrer stilistischen Einordnung Schönrock 1952 (MS), S. 52f. 12 Auf die entscheidenden Stellen hat bereits Maier (1970, S. 105/6; vgl. auch ders. 1981, S. 7) hingewiesen: Wienhausen Klosterarchiv Urk. 36a ist die letzte von ihr ausgestellte Urkunde. In Wienhausen Klosterarchiv Urk. 38 aus dem Jahr 1248 wird sie als in extremis posita bezeichnet, in Lüneburger U B B d . Y Isenhagen Urk. 28 aus dem Jahr 1253, wird von ihr als einer Verstorbenen (procurante bone memorie A. Relicta quondam Henrici Palatini Reni) gesprochen. Für die Annahme einer möglichen Fälschung (Appuhn 1986, S. 66, A n m . 6) besteht kein Anlaß. Der Wortlaut der 1692 neu verfaßten Klosterchronik (S. 7: Anno 1266 ist diese durchleuchtige Hertzogin und gottseelige Stiffterin des Klosters Wienhusen alt und lebens satt im Herren seelig entschlaffen, nachdem sie in dieser Welt gelebet beynahe 80 Jahr) scheint im übrigen die Inschrift der Gedenktafel zur Grundlage zu haben, die H. Eggeling (1595, S. 21) überliefert. Anno Domini 1266 Deo dilecta Agnes Illustris Duxissa fidelissima Monasterii Weinhausen Fundatrix senex & plena dierum fere circiter 80 Annos vitam suam ecclesiaticis Sacramentis devote perceptis animam suam Creatori suo feliciter reddidit.). Ihr Quellenwert für das 13. Jahrhundert wird dadurch noch zweifelhafter. 13 Kalkstein, H. 207 cm (ohne Plinthe); 1853 Freilegung und Ergänzung der Originalfassung. Die von Scheffler (1925, S.7) erwähnten Restaurierungsakten befinden sich weder im landeskirchlichen Archiv Braunschweig noch im Nieders. Staatsarchiv Wolfenbüttel. Im Herzog Anton Ulrich-Museum derzeit nicht auffindbar (schriftl. Mitteilung R . Wex). Nach Aufstellung in der Krypta seit 1854 an ihrem heutigen Standort auf neuem Sockel, südöstl. Vierungspfeiler. 1935 Entfernung der farbigen Fassung. Älteste bekannte Erwähnung in der Reisebeschreibung Herzog Ferdinand Albrechts von 1658 (zit. in: K. W. Sack, Geschichte Braunschweigs, 1861, Bl. 6: Gegenüber (dem Grabmal Heinrichs des Löwen, Anm. d. Verf.) steht er an einem Pfeiler der Kirche noch einmal in Stein abgebildet, ganz jung ohne Bart, mit einem Schilde, darunter ein Männlein so weint, welches nach Aussage des alten Opfermanns Andres, von 84 Jahren, sein Narr soll gewesen sein.). Die Deutung der Skulptur von P. J. Meier (Braunschweig. Stätten der Kultur, Bd. 27, Leipzig 1910, S. 15/6; vgl. auch v. d. Osten 1957, S. 48) aufgrund seiner Mäßigkeit und modischer Details als Herzog Albrecht den Fetten (gest. 1318) hat schon Scheffler (1925, S . 5 - 1 4 ; mit älterer Lit. - Übersicht) zu Recht als unspezifisch zurückgewiesen; zuletzt: R. Dorn, Mittelalterliche Kirchen in Braunschweig, Hameln 1978, S. 221 u. Abb. 28; M. Gosebruch, Der Braunschweiger Dom und seine Bildwerke, Königstein i. Taunus 1980, S. 14 u. Abb. S. 57.

6

Abb. 8 Otto der Milde und Agnes von Brandenburg, St. Blasius, Braunschweig

Abb. 9/10 Vergleich Braunschweiger Herzogsstatue und Wienhäuser Stifterin

7 umfang des Herzogs offenbar typengeschichtlich zu werten ist (Abb. 8). 14 Die frontale Haltung der Gestalten, der auch bei der Herzogsfigur leicht nach rechts ausgestellte Fuß und das Zurückweichen des Gewandes im Beinbereich stellen in ähnlicher Weise eine Gewichtsverlagerung und Körperbiegung vor, die durch unterschiedlich lange Ellbogen und den aus der Mitte gerückten Fürspan weiter angedeutet wird. Hinzu tritt das unterhalb des Schmuckstücks und an den dünngesäumten Rändern des runden Armausschnitts ansetzende Faltenrelief, dessen stoffliche Illusionierung im Gegensatz zu den schweren Falten im Beinbereich und im Mantel steht. Die gleichförmig starren, runden Röhrenfalten am Knöchel des Herzogs finden eine Parallele im Saum des Schleiers der Wienhäuser Figur. Bei beiden weist der schmale Mantelriemen keine Schmuckauflagen auf. Die exakte, stark stilisierte Ausarbeitung des Armenbeutels an der linken Seite der Herzogsstatue läßt sich mit dem Kirchenmodell der Stifterin, insbesondere deren Turmfronten vergleichen. Darüber hinaus zeigt sich die Nähe der massigen Gesichter mit hoch in die Schläfen gerückten Frisuren in der Ausführung der Gesichtszüge, den eng zusammenliegenden, relativ groß gemeißelten Augen mit scharf gezogenen Brauenbögen, länglichem Nasenrücken und schmalem Mund sowie feinsträhnigen Haarlocken (Abb. 9/10). Das Inkarnat der Wienhäuser Figur läßt ahnen, wie lebensnah der in der steingrauen Oberfläche leerwirkende Gesichtsausdruck des Herzogs in seiner mittelalterlichen Farbfassung gewirkt haben wird. Diese festzuhaltenden Übereinstimmungen und die engen Beziehungen der Herzogsfamilie zu Wienhausen 15 legen nahe, beide Bildwerke derselben Werkstatt zuzuschreiben. Bisher sind die Skulpturen einem Stilkreis zugerechnet worden, dessen Beziehungen untereinander als weitgehend ungeklärt gelten. 16 Die Wienhäuser Stifterin wurde als Ausläufer des Magdeburg-Hildesheimischen Madonnenkreises eingeordnet, zuletzt die Magdeburger Gnadenmadonna als direktes Vorbild angenommen, womit sich die Datierung in das Ende des 13. Jahrhunderts begründete (Abb. 11/12/13).17

14 Scheffler 1925, S. 6 3 - 6 7 ; Dorn 1978, S.222. 15 Siehe Kap. II. 2. 16 V d. Osten Kat. Hannover 1957, S.48: Braunschweiger Herzogsstatue; Wienhäuser Stifterfigur; Grabfigur (Holz) Graf Ludolfs von Gandersheim; Ebstorfer Mauritius; Gnadenmadonna, Magdeburger Dom; Spandauer Madonna (Holz), Märkisches Museum Berlin; Hildeswid und Alburgis (Stuck), Heiningen; Madonna, Küblingen (KDM Braunschweig III, S.223); Leuchtermadonna (Holz), Doberan; Grabfigur (Holz) Königin Margarethes von Dänemark, Doberan; Anna Selbdritt (Stuck), Nikolaikirche in Stralsund; Madonna aus Friedberg (Kat. Alte Kunst am Mittelrhein, Darmstadt 1927, Taf. 6). 17 Bezeichnung Magdeburgisch-Hildesheimischer Madonnenkreis, Wentzel 1947, S. 84. Der Stil der Hildesheimer Madonna aus der Hl. Kreuzkirche unterscheidet sich wesentlich von den anderen Madonnen dieses Kreises und von der Wienhäuser Stifterfigur (vgl. die Madonna, nördl. Empore, Halberstädter Dom, um 1260; Elbern 1976, S. 67). Die Bewegung der Hl. Kreuz-Madonna, der sich der Faltenwurf ihres Gewandes angleicht, ist durch das Standbein-Spielbein-Motiv, die Drehung ihres Oberkörpers und die Neigung ihres Kopfes gelöster. Insgesamt folgt Wentzel der Zusammenstellung und zeitlichen Einordnung des Madonnenkreises durch O. Schmitt (Die Stralsunder Anna Selbdritt, in: Balt. Stud. ,NF Bd. 23,

8

Abb. 11 Madonna, südliches Querhaus, Dom, Magdeburg

Abb. 12/13 Madonna, südliches Querhaus, Dom, Magdeburg, Seitenansichten

10

Abb. 14/15/16 Madonna, Bischofsgang, Dom, Magdeburg

11 Ausschlaggebend für diese Einordnung und Datierung war die Charakterisierung des Madonnentyps dieses Kreises im Vergleich zur Madonna vom Magdeburger Bischofsgang, die sich eng an französische Vorbilder anschließt (Abb. 14/15/16).18 Deren organisch konzipierter, durch das Standbein-Spielbein-Motiv ausponderierter Körper und die stofflich aufgefaßten, die Bewegung unterstreichenden Gewänder wurden im Vergleich zur steifen Haltung der Gnadenmadonna und ihrem breiten Stand sowie der metallenen Gewandbehandlung als Vorstufe aufgefaßt. Die Datierung der Gnadenmadonna im Anschluß an die Madonna des Bischofsgangs um 1275/80 fand eine Bestätigung im zeitlichen Ansatz der dieselbe verhärtete Stilhaltung und herben Typ aufweisenden Halberstädter Madonna aus der Marienkapelle (Abb. 17)19 und der darüber hinaus von jenem manierierten Zug geprägten Regensbur-

H. 1,1931, S. 65 - 8 9 ) . Die Datierung in das Ende des 13. Jahrhunderts vertrat auch schon U. Middeldorf 1925, S. 64; vgl. auch Maier 1981, S. 12; KDM,; Dehio 1977,S. 968; dagegen hatte André (Wienhausen, in: Reclams Kunstführer, Bd. V,1967 (3. Aufl.), S.611), auf den, seit der Freilegung der Originalfassung, den Naumburger Stiftern vergleichbar lebendigen Eindruck hinweisend, die Jahre um 1270 angenommen. 18 Schmitt 1931, S.74ff.; Pinder (1924, S.50) stellte die Madonna des Bischofsgangs in die unmittelbare Nachfolge der Amienser Vierge Dorée, wohingegen Middeldorf (1925, S.36ff.) im Hinblick auf ihre elegantere, körperlichere Auffassung auf die Madonna am Nordquerschiffportal von Paris und auf die Gräber in St. Denis verwies und um 1270 datierte. Vgl. auch D. Schubert 1974, Nr. 199 um 1260; E . Schubert, Magdeburg 1975, S. 208 wohl um 1270180. 19 Anhaltspunkte zur Datierung ergeben sich durch die Zugehörigkeit der Madonna zur Werkstatt der Skulpturen in den Tabernakeln der Strebepfeiler am nördlichen Langhaus des Doms. Der hochgotische Bau des Langhauses wird mit den nach 1252 gehäuft gewährten Ablässen in Verbindung gebracht, insbesondere der Abschluß des Bauabschnitts der drei westlichen Joche mit den für das Jahr 1276 nochmals verstärkt vorkommenden Ablaßbriefen. Daraus ist die von Wolters (1911, S.52ff., bes. S.85) vertretene Datierung in das dritte Viertel des 13. Jahrhunderts nahegelegt. Wolters (ibd.) weist den Werkstattzusammenhang mit den Skulpturen der Nordseite des Mindener Doms, dessen südlichem Langhausportal sowie den im Dommuseum befindlichen Figuren der Ecclesia und Synagoge nach und kann zahlreiche Motivübernahmen und Stilanleihen von Skulpturen der Kathedrale in Reims aufzeigen. Baugeschichtliche Argumente, wie z. B. die Knollenkapitelle im Vergleich zu den Laubkränzen in Halberstadt, stellen Minden als Vorstufe dar (Wolters, ebd., S.84). Die Stilquellen der Skulpturen, Reims und für Minden auch Anleihen von der Goldenen Pforte in Freiberg (vgl. Kessemeier/Luckhardt 1982, S. 14 u. Abb. S. 23,25,27 u. 43), legen eine Datierung mehr zur Jahrhundertmitte nahe. Der Hinweis auf das Pöhlder Chorgestühl (Flemming/Lehmann/Schubert 1976, S. 143; vgl. auch Middeldorf 1925, S. 33ff.) reicht wegen dessen insgesamt provinzieller Auffassung als Argument für eine gegen 1280 zu verschiebende Datierung der Madonna in der Marienkapelle kaum aus. Ihr Ansatz um 1260/70, die aufgrund ihrer verhärteteren, starreren Formen als jüngste unter den Halberstädter Skulpturen anzusehen ist, erscheint im Hinblick auf die gesamte Halberstadt-Mindener, eher zur Jahrhundertmitte angesiedelte Skulpturengruppe plausibler. Auch das von Schmitt (1931, S.78) auf Anregungen der Gnadenmadonna zurückgeführte linksgerichtete Mantelschema scheint im Hinblick auf andere, ältere Bildelemente der Halberstädter Madonna, wie den Typus des Kindes, eher in umgekehrtem Abhängigkeitsverhältnis zu stehen. Vgl. u. a. Goldschmidt 1923, Taf. 8; R. Frenzel, Der Dom zu Halberstadt (Das christliche Denkmal, H. 74/5), Berlin 1982 (2. Aufl.), S.21.

Abb. 17 Madonna, Marienkapelle, Dom, Halberstadt

13 ger Madonna der Verkündigung des Erminold-Meisters. 20 Die im Südquerhaus des Magdeburger Doms auf einem Sockel stehende Madonna (Abb. 11 — 13), deren Wundertätigkeit erst durch Autoren des 18. Jahrhunderts und zudem in nur einer Geschichte belegt wird, 21 umgeben schwere, scharf geschwungene Stoffmassen, die an der linken Seite tiefe, in regelmäßigen Abständen angeordnete Schüsselfalten bilden. Auch der füllige Stoffbausch, den sie mit ihrer rechten Hand an ihren Körper preßt, und die in sich gerollten, Faltentüten des herabfallenden Mantelendes weisen eine hohe Plastizität auf. Dieses Merkmal und weitere, wie die zugespitzten und oval geschwungenen, manieriert wirkenden Saumlinien, weichen grundsätzlich vom Faltenstil der Wienhäuser Skulptur ab. Ebenso fehlen bei dieser weitere charakteristische Einzelheiten der Gnadenmadonna, wie der doppelt gelegte Schleier mit den sich wellenden Enden, die Rechts-Richtung des Mantelschemas, wobei der Mantel hinter und nicht über dem linken Ellenbogen geführt wird, sowie die auf dem Boden umknickenden, füllig um die Figur drapierten Röhrenfalten des Untergewandes. Darüber hinaus ist der Gesichtstypus der Agnes weicher und rundlicher angelegt. Diese Unterschiede machen die Zuweisung der Wienhäuserin in die Nachfolge der Magdeburger Gnadenmadonna ebenso wenig plausibel wie die Annahme, es handle sich um ihr Vorbild. 22 Die Wienhäuser Figur knüpft im Motiv der Rosette auf der Brust an der älteren Madonna vom Bischofsgang (Abb. 14—16) an, der Links-Richtung des Mantelschemas, wobei der gesamte rechte Unterarm straff umwickelt wird und den schwellenden, geknickten und an der Seite angeordneten Schüsselfalten. Sie werden nicht wie bei der Gnadenmadonna in manieriert wirkenden tiefen Schleifen um den

20 U m 1280, vor dem Erminold-Grab (nach der im Grab gefundenen Bleitafel um 1283), vgl. Hubel 1974, S. 160ff. u. S. 193ff. Schon Middeldorf (1925, S. 52), der für die Gnadenmadonna die Datierung um 1290 vorschlug, verwies auf Regensburg. Schmitt (1931, S. 75 f.) beurteilte sie wenig überzeugend als Frühwerk des Erminold-Meisters (zu den in Magdeburg gesuchten Voraussetzungen des Meisters, ohne auf Schmitts These einzugehen, vgl. Hubel 1974, S. 9 3 - 9 9 ) . D . Schubert (1974, Nr. 204; mit Lit. -

Hinwei-

sen, denen Middeldorf 1925, S . 4 5 f f . ; Schmitt 1931, S . 7 5 f f . hinzuzufügen sind) entscheidet sich mit Verweis auf die Stilhaltung der Regensburger Madonna, entgegen älterer Vorschläge, für die Jahre um 1280 (Pinder 1924, S. 51; vgl. zu letzterem speziell Schmitt 1931, S.76; Goldschmidt 1923, Nr. 12; Kunze 1925, S . 6 um 1290; ebenso Fründt 1966, S . 2 5 ) . Mit Hinweis auf charakteristische Merkmale wie die Übersteigerung der Größe und den leeren Gesichtsausdruck, die indirekt auf die Meißner Skulpturen verweisen, datiert E. Schubert (Magdeburger D o m , 1975 (2. Aufl.), S . 2 0 8 ) danach großräumig in das letzte Viertel des 13. Jahrhunderts. 21 . . . im Pabsthum Mariam miraculosam Udo geheißen...,

genannt, und zwar aus folgender

Erzählung,

daß ein Knabe

welcher

ein Schüler der Domschule, von seiner Stupidität geheilt wurde (Eigentliche Beschrei-

bung der Weltberühmten D o m = K i r c h e dero Fundation . . . Magdeburg, o. Verf./o. J., Bogen C3, Nr. 32; vgl. auch A . C. Meinecke, Beschreibung der vorzüglichsten Merkwürdigkeiten und Kunstsachen der Stadt Magdeburg aus alten und neuern Zeiten, Magdeburg 1786, S. 12). Ob die Wundertätigkeit tatsächlich bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht, ist bisher nicht erwiesen. Die Autoren sahen die Madonna noch in einem Schrein, in dem auf Leder gemalt ein Veronika-Bild angebracht war (Beschreibung, C4, Nr. 33; Meinecke, S. 12). 22 Appuhn 1986, S. 9 u. S . 2 9 .

Abb. 18 Gertrud von Amfurt, St. Servatius, Quedlinburg

Abb. 20 Agnes von Meißen

15 Körper geführt, wie auch ihre Gewänder ruhiger auf dem Sockel umknicken. Die geltend gemachte erstarrte Körperauffassung und die kristalline Faltengebung finden sich schon in den Werken der Halberstadt-Mindener Werkstatt in den 60er und 70er Jahren23 und der in diesem Umfeld entstandenen Grabfigur der Quedlinburger Äbtissin Gertrud von Amfurt (gest. 1270, Abb. 18). 24 Letztere zeigt ein ähnlich rundliches Gesicht wie die Wienhäuser Stifterin, bei insgesamt starrer, strenger Faltengebung, deren zugespitzte Schüsselfalten sich an den Rändern ähnlich aufblähen. Auch hier stehen der glatten Fläche am Arm und an der rechten, von der langherabführenden Mantelbahn verhüllten Seite enge, gratige Faltenstege am Untergewand gegenüber und weisen auf dieselbe Entstehungszeit hin. Für den sich daraus erschließenden Zeitansatz der Wienhäuser Skulptur um 1270 spricht weiter die Abhängigkeit von der Grabskulptur Konstanzes von Arles in St. Denis von 1263/64 (Abb. 78). 25 Deren Konzeption, liegende Standfigur, Schrittmotiv, Madonnenschema in der Gewandanordnung und höfische Geste des Berührens vom Mantelriemen, ist typenbildend gewesen. Erst nach ihr treten bei der Grabskulptur auf Reichsgebiet diese Bildelemente wenig variiert auf, wie z. B. bei der Markgräfin Hedwig von Meißen (gest. 1203) im Zisterzienserkloster Altzella (Abb. 19/20), 26 der gotischen Grabfigur der Plektrudis (gest. 726) in St. Maria im Kapital in Köln (Abb. 93) 27 und der Königin Margarethe von Dänemark im Zisterzienser-Kloster (gest. 1282)

23 Siehe Anm. 64. Bei der Skulptur der Königin (vgl. zu ihr bes. Wolters 1911, S.60ff.) finden sich neben dem maskenhaften, glatten Gesicht die ähnlich bei der Wienhäuser Skulptur wie Plissee wirkenden Faltenstege auf ihrem völlig flach angelegten Oberteil. Weitere Übereinstimmungen zeigen sich in der etwas plumpen Gestalt, deren Gewand ein knappes, flaches Faltenrelief aufwirft. Der kürzere, aber ebenso schmale Mantelriemen wird in einer ähnlichen Geste mit dem Daumen und zur Hand geballten Faust heruntergezogen. Darüber hinaus besteht eine direkte Abhängigkeit kaum, wie die schleifenden Gewandfalten am Boden und das Faltenrelief an der linken Seite zeigen, das die schwellenden Schüsselfalten der Wienhäuserin vermissen läßt. 24 D. Schubert 1974, Nr. 47-49. 25 Sauerländer 1970, S. 170/1; Kimpel 1971,S. 195, Abb. 238; Bauch 1976, S.71f. u. S. 103. 26 Im Jahr 1675 zusammen mit drei weiteren Wettiner-Grabplatten aus dem Bauschutt der Ruine des Klosterchores von Altzella ausgegraben, heute im Mausoleum aus der Zeit um 1800 auf dem Klostergelände. Der Kopf und größtenteils die Arme sind nicht erhalten. In C. Schlegels 1703 erschienenem Werk De Cella veteri sind die damals noch erkennbaren Farbfassungen beschrieben sowie vier Kupferstiche beigegeben, die die vier Grabdenkmäler vollständig, in den nachprüfbaren Details sich an die Originale haltend, abbilden (vgl. dazu Maedebach 1957, S. 165-174). Die Abhängigkeit des Entwurfs der Grabfigur Hedwigs von der Grabplatte in St. Denis bestätigt die von Maedebach (ebd.,S. 169ff.) vorgeschlagene Datierung nach 1264 bzw. um 1270, der die vier Grabfiguren einer Werkstatt zuordnet, sie stilistisch in die Nachfolge der Freiberger Goldenen Pforte stellte und für ihre Herstellung auf die Beendigung des Thüringer Erbfolgekrieges hinwies. Er konnte aufgrund der ehemals angebrachten Wappen auf dem Saum Hedwigs und auf dem Schild Herzog Albrechts von Meißen den damaligen Landesherrn, Markgraf Heinrich den Erlauchten (1215/6-1288), der zudem die Schutzherrschaft über das Kloster ausübte, als Auftraggeber nahelegen. 27 Mühlberg 1962, S. 21 ff., zur Datierung um 1300 (ebd., S. 36).

Abb. 21/22 Statue eines Herzogs, St. Blasius, Braunschweig

17

Doberan (Abb. 50). 28 Unter diesen steht der Herzogin Agnes, zwar nicht stilistisch, aber typengeschichtlich, der stark zerstörte, um 1270 angesetzte Altzeller Grabstein am nächsten. Für die Wienhäuser Grabfigur erhärten sich damit als Terminus post quem die Jahre 1263/64 und durch die Vergleichsbeispiele die Anfertigung um 1270. Dieser Zeitansatz hat Konsequenzen für die derselben Werkstatt zugewiesene Braunschweiger Herzogsfigur (Abb. 21/22), für die eine Entstehung Anfang des 14. Jahrhunderts, 29 um 130030 und zuletzt um 123531, angenommen worden ist. Ihre Stilgrundlagen finden sich in der Magdeburger Reiterwerkstatt. 32 Die in sich ruhende, frontale Gestalt der Braunschweiger Figur, die die geballte, eine Waffe senkrecht vor die Schulter haltende Rechte vorweist, während die Linke an der Leiste wie auf einem imaginären Schild liegt, zeigt die charakteristische Blockhaftigkeit des Magdeburger Mauritius (Abb. 23). Trotz der stärker entwickelten Wirklichkeitsauffassung dieser Figur, finden sich beim Braunschweiger Herzog Anklänge an jenen Sinn für Natürlichkeit im Detail, das in seiner Ausführung auf eine hohe Bildhauer-Schulung verweist; so zum Beispiel die feinziselierten Schmuckauflagen am Gürtel und die Ausarbeitung der Schnalle, zudem das verrutschende Gürtelende wie insgesamt die Einschnürung des Leibes und die Kräuselung des dünnen Gewandes über dem Gürtel. Ferner ist auf die Fassung des Rings an der rechten Hand zu verweisen und auf die mit sechs Edelsteinen gefaßte Gewandfibel, deren das Gewand durchstechende Nadel den Stoff anhebt. Hinzu kommt die Bearbeitung der Schuhe, die Querfalten im weichen Leder auf der Oberseite, die gekerbte, dünne Sohle und die Schnürung an den Innenseiten der Schuhe. Der in dieser Weise sich manifestierende Wirklichkeitssinn steht in seiner Prägnanz der Ausführung der Rüstung des Mauritius noch nahe, in ihrer erstarrenderen, stilisier-

28 Vgl. die Lit. - Hinweise bei Wentzel 1938, S. 146/7 und D . Schubert 1974; dazu Schönrock 1952, S. 35ff.; Bauch 1976, S. 104. Für die Datierung des Stilkreises um die Magdeburger Gnadenmadonna und die Stralsunder Anna Selbdritt nahm sie durch das Todesdatum der Königin, das einen der historischen Anhaltspunkte lieferte, eine wichtige Stellung ein. 29 Meier (1910, S. 15/16) bringt sie aufgrund ihres Leibumfanges mit Albrecht dem Fetten (gest. 1318) in Verbindung. Habicht (1917, S. 8 8 0 - 9 0 ) datiert gleichzeitig mit der am nordöstlichen Vierungspfeiler angebrachten Bischofsfigur um 1330. 30 Schefflers (1925, S. 4 - 1 4 ; darauf aufbauend Dorn 1978, S. 221) Argumentation, die kostümliche Details und die starre Stilhaltung geltend macht, kreist um dieselben, in ihrer Datierung und stilistischen Abfolge immer wieder unterschiedlich aufeinander bezogenen Werke der Marienfiguren um die Magdeburger Gnadenmadonna, die Naumburger Stifterfiguren, Ludolf von Gandersheim, die Nordhauser und Blankenburger Stifterfiguren. 31 Gosebruch 1980, S. 14: Stilistisch gehört sie in den Kreis der Werkstatt des Magdeburger ist sie gar nicht so viel später entstanden als das Herzogsgrabmal, Naumburger

Meisters im Sachsenland

Reiters.

Vielleicht

sicher jedoch noch vor dem Auftreten

des

ab Anfang der vierziger Jahre. D i e gegenteilige Ansicht zu letzte-

rem, wie sie Scheffler (1925, S. 11) vertrat, indem er die Wucht und Mäßigkeit der ganzen Erscheinung, den Geist und das Selbstbewußtsein, beschrieb, ist ebenso möglich. 32 Vgl. Gosebruch (ibd.).

den die Figur widerspiegelt, als Nachwirkung der Naumburger Kunst

Abb. 24 Reiterstandbild, Kulturhistorisches Museum, Magdeburg

Abb. 25 Erzbischof Siegfried von Eppstein, Dom, Mainz

19 teren Grundhaltung mehr noch dem Magdeburger Reiter selbst (Abb. 24). 3 3 Bei letzterem finden sich auch die monumental wirkenden Gewandgesten, wie die lange Mantelbahn und die schweren, runden Röhrenfalten des Sürkotts wieder. Sie erscheinen ähnlich auf einem dem Umkreis des Magdeburger Reiters zugewiesenen Mainzer Grabmal des Erzbischofs Siegfried III. von Eppstein (gest.1249) (Abb. 25) 3 4 , an Heinrich Raspe und Willhelm von Holland, die zudem den vergleichbar kalligraphisch wiedergegebenen Armenbeutel, das Schreibzeug, das weitausgeschnittene Sürkott und den durch einen schmalen Mantelriemen zusammengehaltenen, mehr von der Schulter gleitenden Tasselmantel aufweisen. Die im Vergleich zum Magdeburger Reiter glattere Gesichtsbehandlung des Braunschweiger Herzogs, seine schmaler gezeichneten Lippen mit eher abfallenden Mundwinkeln, im Gegensatz zu den aufgeworfenen Lippen der Magdeburger Figur, und die weichere Stoffbehandlung im Achselbereich, an dem bei dem Magdeburger Reiter und den Königen des Mainzer Grabmals scharfe Faltenstege radial ausstrahlen, scheinen auf braunschweigischer Bildhauer-Tradition, dem Grabmal Heinrichs des Löwen (Abb. 33), 3 5 aufzubauen. Die Braunschweiger Figur vertritt einen offenbar an diesen Skulpturen anknüpfenden Stil, der, wie der Wienhäuser Grabfigur, die manierierte, ornamentale Stilprägung der Magdeburger Gnadenmadonna gänzlich fehlt. Beide Skulpturen können daher weder zu ihrem Umkreis gezählt, noch in ein Nachfolge-Verhältnis zu dieser Figur gebracht werden. Im Hinblick auf die herangezogenen Vergleichsbeispiele und die zeitliche Ansetzung der Wienhäuser Stifterfigur gegen 1270 wird die Braunschweiger Herzogsstatue am ehesten kurz zuvor um 1260/70 entstanden sein.

33 Vgl. D. Schubert 1974, Nr. 108-115, 1 2 4 0 - 5 0 (vgl. die Lit.-Hinweise). E . Schubert (1974, S.202ff., bes. S. 206) geht in seiner stark differenzierenden Beschreibung der Magdeburger Dombildwerke von einer Datierung in die Mitte des 13. Jahrhunderts und den Jahrzehnten danach aus. Dabei hält er die häufige Zuschreibung des Mauritius-Torso an die Reiterwerkstatt nur dann für akzeptabel, wenn in dessen Werk eine Entwicklung zum realistischen Menschenbild vorausgesetzt wird und geht damit von einer stark linear geprägten, die Naumburger Figuren als zeitstilistisches Maß ansetzenden Vorstellung aus. Dagegen scheint die Zuweisung des Mauritius-Torso und der Skulpturen der Katharina, des thronenden Herrscherpaares sowie möglicherweise auch der Ecclesia und Synagoge in eine Werkstatt, wie Sauerländer (Kat. Staufer 1977, Bd. 1, S . 3 4 0 f . ) vertritt, wobei er von verschiedenen Bildhauern mit unterschiedlicher Schulung ausgeht, plausibler. Vgl. zuletzt zum Magdeburger Reiter, E . Badstübner, Justiniansäule und Magdeburger Reiter, in: Skulptur des Mittelalters 1987, S. 184-211. 34 Sauerländer, in: Kat. Staufer 1977, Bd. 1, Nr. 450, S. 3 2 9 - 3 3 1 . 35 Fr. N. Steigerwald, Das Grabmal Heinrichs des Löwen und Mathildes im Dom zu Braunschweig (Braunschweiger Werkstücke R. A, Bd. 9), Braunschweig 1972, um 1 2 2 5 - 3 0 ; Sauerländer, in: Kat. Staufer, Bd. I, 1979, Nr. 325, Nr.447, 2. V 13. Jh.; Dorn 1978, S.220, 1 2 3 0 - 4 0 ; zuletzt Brenske (1988, S.243f., Anm. 290) zu Verbindungen mit den Domfresken.

(Foto um 1960) Abb. 26/27/28 Hl. Mauritius, Ebstorf

21 Der Ebstorfer Mauritius und die Holzfigurengruppe um die Wienhäuser Madonna Für die Datierung der als eine Stilgruppe zusammengestellten und einer lokalen, in Lüneburg vermuteten Werkstatt zugeschriebenen Holzskulpturen des hl. Mauritius in Ebstorf, der thronenden Madonna, des auferstehenden Christus und des Grabeschristus in Wienhausen sowie des Salvator Mundi aus Lüne hat der Ebstorfer Mauritius kaum eine Rolle gespielt, noch weniger die Wienhäuser Stifterstatue. Jedoch gibt die Ebstorfer Skulptur Anhaltspunkte für die Chronologie der gesamten Gruppe. Auf dem Ebstorfer Nonnenchor steht die Skulptur in ihrem Schreinkasten an der Südwand zwischen den beiden westlichen Jochen (Abb. 26/27/28). 36 Die säulenhafte Gestalt des Jünglings trägt ein höfisches Gewand, einen gerade herabfallenden Schultermantel mit gezaddeltem Pelzbesatz und Mantelriemen, ein weitausgeschnittenes, gegürtetes Sürkott mit Reiterschlitz und ein Obergewand mit halblangem Arm. Die Stiefel verbinden Eisenspangen mit dem abgeschrägten, sechseckigen Sockel. 37 Dicke gleichmäßig um den Kopf angeordnete, von einem Schapel herabgedrückte Locken umrahmen das spitzovale, idealisierte Gesicht. 38 Die Attribute Lanze und Schild stammen aus den 1960er Jahren. 39 Unter der künstlerisch unbedeutenden Überfassung der vollrund gearbeiteten

36 Eiche, H. 181cm; Schrein: Eiche, H.220, Bd. 70, T. 63cm; zu der Schreinkonstruktion, bestehend aus Sockel, Rückwand und Deckbrett, das an der Vorderseite durch zwei profilierte Stützpfeiler mit Palmettenabschluß abgestützt wird, und mittels zweiteiliger, an der Rückwand befestigter, im Kloster noch vorhandenen Türen verschließbar ist, haben sich Vergleichsbeispiele des 13. Jahrhunderts erhalten; vgl. den Madonnenschrein aus Fröskog, Museum Stockholm (Tangeberg 1986, S.37ff.) den stehenden Heiligen aus Steinkirchen, Staatliche Museen Berlin (Demmler 1930, Nr. 21), an dessen Rückwand noch Scharniere vorhanden sind; vgl. zu den Pfosten, dessen plastische Palmettenformen mit Farbe eingeebnet sind, z. B. am Äbtissinnenstuhl in Wienhausen (Appuhn 1955, Taf. 13; Dat. nach dendrochronologischer Untersuchung um 1280; Appuhn 1986, S. 30/1, Anm. 11). An der Rückseite des Ebstorfer Schreinkastens finden sich Spuren von zwei Scharnier-Garnituren. Auf dem Deckbrett weist ein viereckiges Zapfloch auf eine ehemalige, vermutlich barocke Bekrönung hin. Sie wurde offenbar für die Aufstellung des Schreins in einer der Nischen der Westwand abgenommen, in der sie noch in den 60er Jahren stand. Daher begründet sich auch die Abschrägung an der hinteren Kante des Deckbretts. Der Schrein ist mehrfach überfaßt, zeigt jedoch einen von der Skulptur abweichenden Fassungsaufbau. Unter der sichtbaren, aufgemalten blauen Stoffdraperie liegt ein grüner und darunter ein roter Anstrich; vgl. C. Lohse, Untersuchungsbericht vom 9. 11. 89, Restaurierungswerkstatt Klosterkammer Hannover. 37 Vier Dübel- und zwei Nägellöcher an der Unterseite der Konsole zeigen, daß die Skulptur ehemals auf einer weiteren Unterfläche befestigt war. Im heutigen Zustand zeigt die Figur eine auffällige Rücklage, die durch die festzustellende Mulde des Sockels verstärkt und durch Holzkeile ausgeglichen wird. Vgl. Lohse 1989, S.5. 38 In der Kopfhöhlung fand sich ein unbeschriftetes Stück Pergament. Reste von Reliquien konnten nicht festgestellt werden. 39 Sie ersetzen ein älteres, noch vorhandenes barockisierendes Schild, das grob mit Mohrenköpfen bemalt ist und zusammen mit der obersten Fassung der Skulptur auf das letzte Jahrhundert zurückgeht.

22

Abb. 30 Detail: Mantelriemen

23 Skulptur liegen zwei weitere, nur noch in Fragmenten erhaltene Schichten. 40 Die Originalfassung zeigte Sürkott und Untergewand ockerfarben, evtl. mit aufgelegtem Muster aus Eisenoxidrot, die Außenseite des Mantels zinnoberrot mit schwarzem Muster (Abb. 29), 41 die Mantelinnenseite und den Pelzbesatz blaugrün und die Schuhe schwarz. In den Haaren und im Inkarnat fanden sich keine Spuren der Originalfassung. Über die gesamte Gewandfläche — der Gürtel eingeschlossen - deuten verstreute Nägel auf ehemals angebrachte Applikationen hin, 42 die Spuren von Einfassungen auf dem Mantelriemen auf ursprünglich eingelassene Schmucksteine (Abb. 30). Bei ihrer ältesten Erwähnung, in Gebhardis Beschreibung des Klosters von 1762 stand sie auf dem Nonnenchor, der selbst aus dem späten 14. Jahrhundert stammt. 43 Zuvor soll sie, diesem Autor zufolge, nebst einer nicht näher beschriebenen Marienfigur in der Kirche gestanden haben. 44 Die schlanke Auffassung der Körper, die erstarrte, gratige Faltengebung und der Kopftypus des Ebstorfer Mauritius finden sich in derselben Weise bei der Wienhäuser Madonna 45 , dem Wienhäuser auferstehenden Christus46 und der Grabfigur des Grafen Ludolfs aus der Stiftskirche in Gandersheim ausgeprägt. 47 Die ersten drei Bildwerke wurden deshalb in der letzten umfassenderen Stilanalyse einer Werkstatt zugewiesen, in der, noch der Tradition der Erstellung von Künstlerviten folgend, ein Meister der

40 Lohse 1989, S. 5. Auf dem verlorenen Verschlußbrett waren, wie an den Rändern der Höhlung erkennbar ist, die Mantelfalten plastisch nachgeformt. Die rechte, mehrfach gebrochene Hand ist, wie der ungebrochene Faserverlauf des Holzes zeigt, in ihrer originalen Haltung zusammengesetzt. Auch die Linke scheint zum originalen Bestand zu gehören; sie mußte wegen des Stammvolumens an dieser Stelle angesetzt werden. Zur Fassung vgl. Lohse S. 2 u. 6f. 41 Durch Strahlen durchbrochene Rauten (Abb. 83), vgl. den auferstehenden Christus (Abb. 132) in Wienhausen (Hartwieg 1988, Abb. 27, S. 244ff.). 42 Möglicherweise Adler, wie auf der Wienhäuser Madonna, vgl. den Mauritius der Wandmalerei des Wienhäuser Nonnenchors (Abb. 115b). Lohse (1989, S.7) vermutet die Anbringung von Schmucksteinen, gleich einer Fibel, auf der Brust. 43 Gebhardi, Bd. 1, S. 477/8: In einem Schrank steht zu lebensgroße eine Statue eines Mannes im langen Talar der in der einen Hand einen Spieß gehalten hat, in der anderen ein spitzes Schild mit einem Kreutze auf die Erde setzet, und um den Kopf ein rotes Diadem hat. Zur Datierung des Nonnenchors vgl. Jaitner 1984, S. 186/7; Appuhn 1984, S. lff.; ders., Mittelalterliche Truhen in Kloster Ebstorf, in: Jb. d. Mus. f. Kunst u. Gewerbe Hamburg, Bd. 3, 1984, S.49f. 44 Möglicherweise bezieht sich die Angabe auf die thronende Madonna aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Jedenfalls scheint die Angabe Appuhns (Kloster Ebstorf (Große Baudenkmäler, H. 176), Berlin 1984 (7. Aufl.), S. 12), die Thronende Madonna aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und das spätgotische Vesperbild, die in den Nischen der Südwand des Nonnenchors ausgestellt sind, seien hier 1913 entdeckt worden, auf einem Mißverständnis zu beruhen. Laut C. v. Plato (Führer durch das Kloster, 1901, S. 109) sind sie 1912/13 zusammen mit den übrigen Madonnen restauriert worden und danach in den damals neuentdeckten Nischen neben der nördlichen Tür auf dem Nonnenchor aufgestellt worden. Von einem Fund in den Nischen der Madonnen ist nirgends die Rede. 45 Befund und Beschreibung siehe S. 31 ff. 46 Befund und Beschreibung siehe S. 35 ff. 47 Befund und Beschreibung siehe Anm. 58.

Abb. 31 Thronende Madonna, Wienhausen

25 Wienhäuser Madonna (Abb. 31) identifziert und in seinen Vorstufen und Nachwirkungen untersucht worden ist. 48 Ihr schien auch der Wienhäuser Grabeschristus zugehörig, dessen Stilmerkmale jedoch auf eine Herstellung im frühen 14. Jahrhundert verwiesen; 49 die vor allem in der Kopfbildung und Physiognomie von der Kerngruppe abweichende Lüner Skulptur des Salvator Mundi wurde in die Nachfolge der Werkstatt gestellt. 50 Danach kam es nurmehr zu einer Gruppierung des Stilumkreises der Bildwerke, deren Datierung und Verstrebungen untereinander noch als unsicher bezeichnet wurden. 51 An der Datierung der Wienhäuser Skulpturen in das letzte Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts, einschließlich des Grabeschristus, und der Lüner Skulptur in die Jahre um 1300 wurde dabei festgehalten. 52 Überlegungen zu Werkstätten in Lüneburg 53 — zu bedenken sind auch Braunschweiger Ateliers, Produktionsstätten in den Klöstern oder wandernde Bildschnitzer — können sich in dieser Zeit an keinem der genannten Orte auf Quellen stützen. Das Amt der Maler- und Glasewerten, deren Bestimmungen anscheinend auch für die Bildschnitzer galten und die schon lange in eyner versamelinge unde beleninge hebben geseten wurde in Lüneburg auffallend spät, erst im Jahr 1497 eingerichtet; die Antragsteller selbst beklagten vor dem Rat der Stadt ihre Rückständigkeit in dieser Hinsicht im Vergleich zu anderen Städten. 54 Es ist wohl in dieser Frage kein Zufall, daß Lüneburg damals de facto den Status einer Reichsstadt erlangt hatte. 55 Doch wird für die künstlerische Produktion und Bedingungen von Werkstätten im 13. Jahrhundert mehr als bisher zu bedenken sein, daß die Salzstadt Lüneburg zwar an einem wichtigen Schnittpunkt von Handelsstraßen lag und als Mitglied der Hanse über einen weitreichenden, organisierten Absatzmarkt verfügte, 56 die Stadt aber noch Herzogsstadt, also höfisch ausgerichtet war und die Anteile an der den Reichtum und die wirtschaftspolitische

48 Wentzel 1947, S. 7 7 - 8 8 , bes. S. 80/83/85. Die Vorstufen siedelt er, ausgehend von der Grabfigur Ludolfs von Gandersheim und der Gnadenmadonna im südniedersächsischen und magdeburgischen Bereich an, über welche er auch die Vermittlung der Gewandschemata, des Lächelns und den Beginn der Verhärtung von der hochgotischen französischen Plastik vermutet. Eine lübische Komponente leitet er typengeschichtlich ab, indem er von einem um 1300 im Küstengebiet der Ostsee erneut aufgegriffenen Repräsentationstypus des frontalen Thronbildes ausgeht (ebd., S. 85; darauf aufbauend André 1967, S. 612). Siehe dazu das Folgende. 49 50 51 52 53

54 55 56

Wentzel 1947, S. 81 f; zu Beschreibung und Befund der Skulptur vgl. S. 45ff. Zu Befund und Beschreibung vgl. S.43ff. Kat. Hannover 1957, S. 47f. KDM Niedersachsen, Bd. 34: Celle, 1970, S. 123; Maier 1981 (4. Aufl.), S. 19; Appuhn 1986, S.23; Hartwieg 1988, S. 199/214/229. Vgl. hierzu Wentzel 1947, S.88f., der Wanderkünstler ausschließt und grundsätzlich nicht glaubt, daß man bei den sehr gut und methodisch organisierten norddeutschen Zünften des hansischen Bereichs mit solchen wandernden, den jeweiligen Aufträgen nachziehenden Meistern als Arbeitshypothese rechnen darf. Zit. n. W. Meyne, Lüneburger Plastik des XV Jahrhunderts, Lüneburg 1959, S. 12. H. Böse, Lüneburgs politische Stellung im wendischen Quartier der Hanse, Lüneburg 1971, bes. S. 11 ff. Von Lübeck aus ging der Warenzug über Lüneburg nach Hannover, Göttingen, Frankfurt a. Main oder

Abb. 32 Ludolf von Gandersheim, Gandersheim

Abb. 33 Heinrich der Löwe, St. Blasius, Braunschweig

27

Abb. 34 Hl. Mauritius, Ebstorf

Abb. 36 Hl. Mauritius, Ebstorf: Detail

Abb. 35 Herzog, St. Blasius, Braunschweig

Abb. 37 Herzog, Braunschweig: Detail

28 Macht in der Stadt begründenden Saline noch im 14. Jahrhundert zum überwiegenden Teil in geistlichen Händen lag. 57 Von den unmittelbaren Vorbildern zweier Figuren der Holzgruppe ist bisher allein die Gandersheimer Stifterfigur als Zitat der Grabfigur Heinrichs des Löwen beachtet worden (Abb. 32/33). 58 Die Überführung der Faltenwirbel des Braunschweiger Grabmals in ein geradliniges, hartkantiges Faltensystem mit dominierenden gestaffelten Schüsselfalten sowie das Sürkott und die eckig geschnittene Frisur mit Außenrolle zeigt die Skulptur als Werk einer anderen Epoche. 59 Um so mehr fällt die enge zeitstilistische Verwandtschaft des Ebstorfer Mauritius mit seinem Vorbild, der Braunschweiger Her-

nach Braunschweig, Magdeburg, Leipzig und Nürnberg oder über Lüneburg nach Minden, Dortmund, Köln bzw. nach Bremen Utrecht, Antwerpen Brügge, ebd., S.22. 57 Die Intensität der Stadtherrschaft der Herzöge geht erst im Laufe des 14. Jahrhunderts kontinuierlich zurück. Bürger scheinen erst im Laufe des 14. Jahrhunderts in steigendem Maße Anteil am Sülzgut gehabt zu haben. Noch im Jahr 1369, als die Herzöge ihren Einfluß verloren hatten, waren 6 0 , 4 6 % der Salinenanteile in Händen der Kirche und Klöster, 8,99% in denen des Klerus, 25,06% in denen der Lüneburger Bürger, 1,24% und 0,08% in denen auswärtiger Bürger und dem Adel. Vgl. H . Witthöft, Die Lüneburger Saline, in: Kat. Stadt im Wandel III, S. 281 ff. T. Vogtherr, Wirtschaftlicher und sozialer Wandel im Lüneburger Landadel während des späten Mittelalters (Veröff. d. Hist. Kommission f. Nieders. u. Bremen, Bd. XXIV), Hildesheim 1983. Vgl. auch die Überlegungen von B. Nicolai („Libido Aedificandi". Walkenried und die monumentale Kirchenbaukunst der Zisterzienser um 1200 (Qu. u. Forsch, z. Braunschw. Gesch., 28, 1990, S. 174ff.) zum Phänomen Bauhütte. 58 Eiche, 216cm; grobe Überfassung, rückwärts ausgehöhlt, im 18. Jh. noch in der Stephanskapelle vor dem Eingang der Krypta im sargartigen Holzschrein erwähnt, heute in der Antoniuskapelle (J. G. Leuckfeld, Antiquitates Gandersheimenses, Wolfenbüttel 1705, S. 19; K D M Hz. Braunschweig, Bd. 5: Kreis Gandersheim 1910, S. 156, Taf.XX; Fink 1915, S.44; Habicht 1917, S.59; Middeldorf 1925, S.55; Scheffler 1925, S. 11; Wentzel 1947, S.83; Gleisberg 1959, S.25). Ludolf übernimmt die Art und Anordnung der Attribute wie Details der Gewandgestaltung. Wie bei diesem gleitet der Mantel über die rechte Schulter und wird von der rechten Hand aufgenommen, wobei der Chor des Kirchenbaues auf dem Manteltuch liegt und der abgespreizte Daumen die untere Kante des Baus berührt. Das Zitat setzt sich in der Lokalisierung der schwerthaltenden Hand auf der herübergezogenen Mantelseite fort sowie in dem knöchellangen, faltigen Gewand, durch welches sich die Beine abzeichnen. Mit den Wienhäuser Figuren verbinden ihn das flache Gesicht mit dem jugendlich lächelnden Ausdruck, die geschürzten Lippen, das rundliche Kinn und die tiefsitzenden, mächtigen Ohren. Die Locken kehren bei dem Kind der Madonna wieder, die schmalen, eckigen Röhrenfalten am Gewand des Auferstehenden. 59 So schon Wentzel (1947, S. 83), wobei seine Charakterisierung Ludolfs als altertümlicher und provinziellsteifer als die Wienhäuser und Ebstorfer Skulpturen, das Gesicht im Vergleich zu dem Anmutig-Heiteren jener, von spannungsloser Gleichmäßigkeit eher leerer, mit Sicherheit mehr der Wirkung der Originalfassung und dem Größenunterschied der Skulpturen zuzurechnen sein wird, als daß es als stilistisches, für eine Werkstatt ausschlaggebendes Merkmal in Anspruch genommen werden kann. Die hinter die Ohren zurückgeschobenen Haarsträhnen erscheinen zum einen als Reminiszenz der Grabfigur Heinrichs, die bei der Herzogsstandfigur nicht vorkommt, zum anderen aber auch als zeitstilistisches Merkmal, vgl. Ebstorfer Mauritius, Wienhäuser Auferstandener, Madonnenfigur, Westportal in Riddaggshausen (Dorn 1978, S. 240ff. u. Abb. 184). Wie eine Gruppe Schleswiger Holzskulpturen des dritten Viertels des 13. Jahrhunderts zeigt, handelt es sich bei diesen tiefsitzenden, mächtigen Ohren nicht um die Eigenart einer Landschaft oder Werkstatt, vgl. St. Michael in Rüllschau (Barfod 1986, Abb. 71), den thronenden St. Nikolaus in Boldixum (ebd., Abb. 72) und St. Laurentius in Sterup (ebd., Abb. 73).

29 zogsstatue, auf (Abb. 34/35). Der Ritterheilige ist in derselben Haltung frontal konzipiert, mit angewinkelter rechter Hand ein Attribut vor den Körper haltend, während die linke flach nach unten gesenkt ist. Unter dem ausgeschnittenen, ebenfalls gesäumten, faltigen und knöchellangen Sürkott mit dem gleichen breiten Reiterschlitz trägt er ein Untergewand, das wie bei der Braunschweiger Figur an den Oberarmen weit fällt und am Ellenbogen Staufalten wirft. Der Rückenmantel sitzt in derselben Weise eng an der Schulter und zeigt denselben gezaddelten Pelzbesatz flach aufgelegt (Abb. 36/37). Im Unterschied zur Herzogsstatue ist die Figur nur schmaler, obwohl mit auffallend kugeligem Bauch, mit dreieckigem Halsausschnitt anstelle eines runden und mit stark ondulierten Haarlocken. Es fehlt zudem der Armenbeutel und das Schreibzeug. Dagegen würden sich die anscheinend auf der Brust angebrachten Schmucksteine wiederum als Reminiszenz der Braunschweiger Statue erweisen. 60 Insgesamt bleibt die Abhängigkeit der Konzeptionen unübersehbar und legt die Frage nahe, ob es sich nicht auch bei dem Ebstorfer Klosterpatron um eine Profanfigur handelt. 61 Die durch diese stilistische Zuordnung naheliegende Datierung der um 1260/ 70 angesetzten Herzogsstatue läßt sich weiter durch die hölzerne Grabfigur des Pfalzgrafen Heinrich in Maria Laach eingrenzen, die neuerdings verläßlich in die 70er Jahre des 13. Jahrhunderts datiert werden kann. 62 Diese Skulptur zeigt in ihren stilisierten Gesichtszügen mit spitzem Lächeln wie insgesamt dem formalisierten Umriß und der Faltenstruktur denselben Zeitstil. Die Ansicht, daß die Braunschweiger Herzogsstatue weit von der HolzfigurenGruppe, zu der der Ebstorfer Mauritius gehört, an das Ende des Stilkreises abzusetzen sei, 63 trifft demnach nicht zu, da ihr Vorbildcharakter für die Ebstorfer Skulptur in

60 Siehe S . 2 3 . 61 Wentzel 1947, S. 80. Vgl. dazu S. 81 ff. 62 Die Datierung dieser Skulptur blieb lange kontrovers, wobei die Argumente um die zeitliche Fixierung um das Kernproblem kreist, das auch den hier behandelten Stilkreis betrifft, nämlich ob es im dritten Viertel des 13. Jahrhunderts eine starre Stilstufe,

wie sie erstmals Weigert (1927, S . 5 f f . ) verteidigte,

gegeben hat oder nicht. R. Suckale ( D i e Kölner Domchorstatuen, in: Kölner Domblatt 44/5, 1979/80, S. 224, A n m . 5) hatte in einer der neueren Stellungnahmen zur Pfalzgrafentumba auf die Nähe zu den stilisierten Ursula-Büsten in Köln hingewiesen und deren geometrisch strenge Formgebung von den Skulpturen der Westfassaden von Notre D a m e in Paris abgeleitet. Seiner Datierung nach 1255 (vgl. auch Weigert 1927, S. 7), die auf stilkritischen Argumenten und erneuter Berufung auf den Wortlaut der Gesta Theoderici sowie der 1785 im Grab gefundenen Urkunde basierte, widersprach der etablierten Datierung ins Ende des 13. Jahrhundert. R. Lauer (Grabmal des Rainald von Dassel, in: Kat. Verschwundenes Inventarium 1984, S. 1 4 - 1 6 ) hielt dem die Stellung des Bildwerks als Nachfolgewerk des Dasselgrabes entgegen, wiederum die zeitliche Einordnung nach 1290 vertretend. Durch die dendrochronologische Untersuchung einer in direkter Beziehung zu den Kölner stilisierten Bildwerken stehenden Skulptur (Schnütgen-Museum, sog. Madonna auf breitem Thronsitz) hat sich die Kontroverse durch eine Ansetzung in die 1270er Jahre entschieden (Kat. Schnütgen-Museum, Holzskulpturen 1989, S. 192). Vgl. dazu auch neuerdings ausführlich Kat. Die Gründer von Laach und Sayn. Fürstenbildnisse des 13. Jahrhunderts, Nürnberg 1992. 63 Kat. Hannover 1957, S. 48.

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Abb. 38 Markgraf Dietzmann, Mus. f. Bild. Künste, Leipzig

Abb. 39 Hl. Florian, St. Florian, bei Linz

31 Rechnung gestellt werden muß. Angesichts der politischen Bedeutung des Standortes der Skulptur im Braunschweiger Dom ist die Umkehrung des Zitats auszuschließen. 64 Weiter zeigt der Vergleich mit Holzskulpturen von Rittergestalten, wie Markgraf Diezmann (gest. 1307) aus der Pauliner Kirche in Leipzig (Abb. 38) 65 und die Figur des Klosterpatrons aus St. Florian (Abb. 39) 66 , die in ihrem unruhiger bewegten reicheren Faltenrelief und der angelegten Körperbiegung trotz ihrer konservativen Gestaltung typische zeitstilistische Merkmale des frühen 14. Jahrhunderts aufweisen, daß der späte Datierungsvorschlag für die Braunschweiger Figur auszuschließen ist. Ließ sich durch die Gandersheimer Skulptur in ihrem Zitat des Braunschweiger Löwen-Grabmals kein Anhaltspunkt zur Datierung gewinnen, so ergibt sich für den gesamten Stilkreis durch das Abhängigkeitsverhältnis der Ebstorfer von der Braunschweiger Skulptur, daß die Holzfigurengruppe im Anschluß an den Braunschweiger Herzog einzuordnen ist, und zwar in die 70er Jahre. 67 Diesen zur Jahrhundertmitte verschobenen Datierungsansatz, legen weiterhin die Wienhäuser Madonna und der Auferstehende nahe. Die weitgehend in originaler Fassung68 erhaltenen Skulpturen (Abb. 40/41) scheinen sich nach den Inventaríen des 17. Jahrhunderts ursprünglich auf dem Nonnenchor befunden zu haben. 69 Verweise in der Chronik stützen zusätzlich die Aufstellung des Auferste-

64 Das betrifft auch die Stifterfiguren im Vorchor der Blankenburger Bartholomäuskirche (Abb. 95a,b), in deren höchst handwerklichen Ausführung bei dem linken Grafen der nördlichen Nische die Konzeption der Braunschweiger Statue einfließt (Hinweis auf die zeitstil. Verwandtschaft, Scheffler 1925, S. 12/3); nur allg. Hinweis auf Naumburg, K D M Hz. Braunschweig, Bd. 6: Kr. Blankenburg 1922, S.27 mit Lit. zum Zustand vor der Neubemalung im späten 19. Jahrhundert; Bildhandbuch d. dt. Kunstdenkm., Sachsen-Anhalt 1968, S.356). Die Bischofsgestalt der südlichen Nische stellt einen Anhaltspunkt zur Datierung der vier Stuckreliefs in den Anfang des 14. Jahrhunderts dar, die sich nur auf Bischof Hermann von Halberstadt (1296-1303) oder Erzbischof Burckhard von Magdeburg (1296-1305), die beide aus dem Blankenburger Grafenhaus stammen, beziehen kann (KDM, ebd., S.27; vgl. auch Görges Spehr, Vaterländische Gesch. u. Denkw., Bd. 1: Braunschweig 1925, S. 366ff.). Von diesen stellte Bischof Hermann 1305 eine Urkunde aus, in der mehrere Förderer des Klosters St. Bartholomäus aus dem Grafenhaus aufgeführt werden. An ihrer Stelle beschreibt die Figuren auch Z . C. Uffenbach (Merkwürdige Reisen durch Niedersachsen, Holland u. England 1753, Bd. 1, S. 571). 65 K D M Sachsen, H. 17: Stadt Leipzig 1895, S. lOOf. 66 H. 203 cm; Holz; 2. V d. 14. Jhs.; vgl. G. Schmidt, Der Ritter von St. Florian und der Manierismus in der gotischen Plastik, in: Fs. K. M. Swoboda, Wien/Wiesbaden 1959, S. 249-263; ders., in: Kat. Die Zeit der frühen Habsburger. Dome und Klöster 1279-1379, Wien 1979, S.82ff. 67 Für die Skulptur der Gandersheimer Stifterfigur und mit Hinweis auf die modischen Details der Wächter schlägt auch Habicht (1917, S. 59) ohne ausführlichere Argumentation die Zeit um 1280 vor. 68 Vgl. B. Hartwieg, Drei gefaßte Holzskulpturen vom Ende des 13. Jahrhunderts in Kloster Wienhausen, in: Z . f. Technologie und Konservierung, 2. Jg., 1988, S. 187-262. 69 Die Madonna heute in einer Nische neben dem Eingang zum Nonnenchor; der Auferstehende im alten Armarium im Westflügel; von 1861 — 1957 Leihgabe in der Niedersächsischen Landesgalerie Hannover; Inv. Nr. W M XXIII,8; in der Liste des Inventariums von 1723 (Fach I, Nr. 5, S. 4) heißt es: Im Armario: Die Bekleidung der beyden Bilder, so sonst auf dem Chor stunden, als der hl. Christus und die Jungfrau Maria. Jedes Bild hat 2 Kleider. Im Inventar von 1685, welches identisch ist mit dem Wortlaut des

Abb. 40 Auferstehungschristus, Wienhausen

Abb. 41 Thronende Madonna, Wienhausen

33 henden auf dem Altar des Nonnenchors, 70 während der urprüngliche Standort der Madonna ungewiß bleibt; für sie wäre auch die Kapelle einer wundertätigen Marienskulptur, so mitten im Kloster vorhanden, zu bedenken. 71

Inventars von 1680 (ebd., S.4f.): 2) Die Bekleidung der beiden bilder auf dem altar im Closter-Chor namblich, des Herrn Christi und der J. Maria. 3) des bildes Christi bekleidung sein dreij rocke, alß Einer von rotem Sammet mit Perlen gesticket, der dritte halb braun und roth, mit geschlagenem Silber behenget, und Perlen, hierbei sein Zwo Engeln haben aber solche bekleidung, und dero anzahl, NB hierbei ist eine gut silberne Krohne, Ein Kristall, zwo Scepter von Silber, daß bild Mariae hat ebenmässig an der Zahl und manier, wie obiges gemeldet, daß Christbild hat solche Kleidung, als daß Christkindlein auf der Hand sitzet, hierbei eine Krohne mit... Perlen. Ob sich die in Punkt 2 genannten Ornate, wie Appuhn (1955, S. 44f.) annimmt, auf die Madonna in der Mittelnische des spätgotischen Altars beziehen, läßt sich aus dem Kontext nicht sicher entscheiden. Bs fällt aber auf, daß, wie an den anderen Stellen, die offensichtlich zwei Bildwerke meinen, von zwei bildern die Rede ist, nach dem Vermerk von 1723 auch die Madonna und der Auferstehende auf dem Chor gestanden haben und zu dieser Zeit keine Ornate für Skulpturen erwähnt werden, die auf dem Altar des Nonnenchors stehen. 70 Appuhn 1955, S. 48; ders. 1961, S. 98; ders. 1986, S. 22. Dies ist meines Erachtens zu Unrecht in Zweifel gezogen worden (Kat. Hannover 1957, S.47; K D M Niedersachsen, Bd. 34: Celle 1970, S. 123.; Hartwieg 1988, S. 194). Hinzu kommt der Wunderbericht (Chronik, S. 141): das Bild des Auferstandenen Jesu, so über dem Altar (das Wunder geschah auf dem Nonnenchor, A n m . d. Verf.) gesetzet war. Zurecht hat Appuhn (1961, S . 9 8 - 1 0 0 , Anm. 122) auf v. d. Ostens (Kat. Hannover 1957, S.47) Kritik, die Formulierung deute nicht auf eine ständige Aufstellung hin, darauf hingewiesen, daß Bild setzen der Sinn von Bild stiften zukommt und in dieser Bedeutung mehrfach in der Chronik verwendet wird. Damit kommt der Holzgruppe als ehemaligem Altarbild auf dem Nonnenchor hohe Wahrscheinlichkeit zu (zur Aufstellung, siehe auch Anm. 69). Für eine ständige Aufstellung spricht sich auch P. Zimmer (Die Funktion und Ausstattung des Altares auf der Nonnenempore. Beispiele zum Gebrauch in Frauenklöstern aus dem 13. bis zum 16. Jahrhundert, Köln 1990, S. 72) aus. 71 Chronik, S. 142; ebd., S. 38: zu dem Ende ließ sie (Catharina Remstede, 1501-1549, Anm. d. Verf.) das Bild der H. Jungfr. Mariae, welches Mechthildis von Wenden eine Hertzogin an das Kloster verehret, wider erneuren, und da es vorhin mit Silbern Blech überzogen war nun mit Golde Verbeßerte vor 40 Güld. Mit den 66 silbervergoldeten Adlern war die Skulptur quasi mit Metall überzogen. Dafür, daß es sich um ein wundertätiges Marienbild handelt, spricht zudem ihre Kopie in der Madonna aus Nikolausberg bei Göttingen (A. 14. Jh., als Leihgabe in der Klosterkammer Hannover; vgl. auch Wentzel 1947, A n m . 23) und eine Replik, die Madonna aus dem Hl. Kreuz-Kloster in Rostock (A. 14. Jh.) (vgl. Kat. Schwerin 1983, Nr. 110). Mitte des 19. Jahrhunderts stand die Wienhäuser Marienskulptur im Kapitelsaal (Mithoff 1853, S. 6). Die Beschreibung des Klosters von 1723 erwähnt den Altar und das Hl. Grab im Kapitelsaal, aber nicht die Madonna (Inventarium 1723, Fach I, Nr. 5, S. 16). Appuhn (1961, S. 124ff.; ders. 1986, S. 26) geht von einer Aufstellung im Westen des spätromanischen wie gotischen Nonnenchores aus, die er wenig überzeugend zum einen mit der Aufstellung des spätgotischen Schranks mit den Prozessionsfiguren der Madonna und des hl. Alexander an diesem Ort begründet und zum anderen die Frontalität der Madonna und des Auferstehenden deutet, wonach beide Figuren ein Gegenüber verlangten (daran zweifelnd schon Maier, in: KDM Niedersachsen, Bd. 34: Celle 1970, S. 124, Nr. 3b). Zimmer vermutet den Standort des Auferstehenden vor der ehemaligen Ostschranke, zumindest auch zeitweilig über dem Altar der Empore. Mit Hinweis auf die häufig in Schnitzaltären vorkommende Szene der Marienkrönung könnte sie sich hier auch eine Aufstellung der beiden Figuren nebeneinander vorstellen (Zimmer 1990, S. 72). Auf eine in Frage kommende Aufstellungsvariante verweist die 13. Tafel der von Lyßmann (Homeyer 1978, Anhang Taf. 13) überlieferten Bilderchronik des Klosters Medingen, die auf ein Gemälde von 1499 zurückgeht und ein Ereignis aus dem Jahr 1383 festhält. Sie zeigt die Skulpturen einer thronenden Madonna und des

Abb. 42/43 Thronende Madonna, Wienhausen

35 Auf einem schmalen Thron sitzt Maria (Abb. 42/43) 72 in frontaler, hochaufgerichteter Haltung. Neben der gratigen, geometrisierenden Faltengebung unterstreichen ihre Strenge der schmale, keine weiblichen Formen aufweisende Körper, der straffe, rechtwinklig um den rechten Arm gezogene Mantel, der links senkrecht über die Brust führt. 73 Selbst geradeausblickend, sitzt das Kind quer auf ihrem linken Arm, wobei es sich mit beiden Füßen auf ihren Knien abstützt. Während es in der linken Hand einen Apfel vorweist, legt es die Rechte flach auf die Brust Mariens. Die Strenge dieser Konzeption überlagert die kindliche, fast puppenhafte Auffassung der strahlend lächelnden Gestalten. Das derselben Werkstatt zuzuweisende Bildwerk zeigt Christus (Abb. 44/45/46) 74 mit dem linken Fuß frontal aus dem Sarkophag steigend. Seine rechte Hand hält er im Segensgestus erhoben, während die linke den Saum des Palliums ergreift und die durch das Fenestrella im Untergewand sichtbare Brustwunde weiträumig freilegt. Aus allen fünf Wunden laufen strahlenförmig Blutrinnsale. In seine geballte Faust konnte als Attribut eine Fahne und ein Szepter gesteckt werden. 75 Vor der durch drei Arkadenbö-

Klosterpatrons auf einem Stufenaltar (vgl. entsprechende Altäre in Isenhagen, Appuhn 1966, S. 42ff.; Eimke (Kr. Uelzen), Dehio Niedersachsen 1977, S.292) aufgesetzt. Zur Aufstellung von Marienskulpturen im 13. Jahrhundert, vgl. zuletzt Klack-Eitzen 1985, S.42ff. 72 Eiche, H . 8 9 ; Bd. 29,5; T. 26,0cm; die Madonna ist bis auf wenige Retuschen in ihrer Originalfassung erhalten (Vgl. B. Hartwieg, Drei gefaßte Holzskulpturen vom Ende des 13. Jahrhunderts in Kloster Wienhausen, in: Z . f. Technologie und Konservierung, 2. Jg., 1988, S.227ff.) Unter den verschieden gestalteten Zierborten ihres goldenen Untergewandes heben sich die schon auf Fassungen romanischer Holzskulpturen verbreiteten (ebd., S.245) kufischen Musterborten über der Brust und an ihrem linken Bein ab. Der blaue, auf der Innenseite rot gefaßte Mantel war ehemals von 66 silbervergoldeten Adlern dicht übersät (ebd., Anm. 182), so daß sich heute krasser als zur Zeit der intakten Fassung mit den goldleuchtenden Metallapplikationen das Kind von der dunkleren Mantelfassung abhebt. Auch der ehemals im Gesamteindruck dominierende Goldton des Throns lockert die farbige Musterung des Thronkissens und des polygonalen Sockels auf; zum Musterschatz vgl. ebd., S. 246, zur Thronkonstruktion und Fassung des Throns bes. S. 231 ff. Aus statischen wie kompositorischen Gründen kommen weder ein Baldachin noch eine rahmende Schreinarchitektur in Frage. Der Sockel ist nicht geöffnet worden, um Reliquien in den, mit verglastem Depositum versehenen Sockel der spätgotischen Madonna zu überführen (ebd., Anm. 162), wie Appuhn (1961, S. 124f.) vermutete. Die rechte Hand Mariens, die nach der Replik der Skulptur aus Nikolausberg (A. 14. Jh.; Leihgabe in der Klosterkammer Hannover) ehemals einen Apfel vorwies, ihre Krone, der Edelstein auf der Brust des Kindes und die Pfosten des Thrones fehlen. An Schleier und Haaren sind Abschnitzungen vorgenommen worden. Sie sind wie die Fehlstellen auf den Schultern und den Faltenstegen typische Abnutzungserscheinungen häufigen Bekleidens und Bekrönens (Hartwieg 1988, S. 195). 73 Sie ist durch eine Nachgravierung in der Grundierung bewußt gesteigert worden (ebd., S. 248). 74 Eiche; H. 106,5; Bd. 70,5; T. 25,5cm; Kat. Hannover 1957, S. 47/8, Nr. 29. 75 Drei der vier erhaltenen Fahnen stammen aus dem 19. Jahrhundert (Hartwieg 1988, S. 225ff. u. Anm. 150). Drei weitere aus Silber, Koralle mit Perlen verziert sowie eine silberne Krone, drei Ornate, einen Kristall und zwei Szepter belegen die Inventare von 1680/85 (Fach I,Nr. 5, S. 4/5), siehe A n m . 336 u. S. 8: Es sein auch bei] dem heilig Zeuge noch 3 fahnen, die werden dem Christbild in die Hand gethan, die eine von geschlagenem Silber, ein ander mit Korallen und kleinen Perlen. Z. T. zit. bei Appuhn 1955, S. 48; zu den erhaltenen Figurenornaten siehe K D M Niedersachsen, Bd. 34: Celle 1970, S. 166f.

Abb. 44/45/46 Auferstehungschristus, Wienhausen

37 gen gegliederten Sarkophagwand ruhen jugendliche Wächter in zeitgenössischer Rüstung, die beiden äußeren sitzend und der mittlere, unter dem Fuß Christi, liegend. Ihre Waffen sind abgebrochen. Der linke Wächter, der sich mit einem Arm auf ein Schild mit dem Wappen des Lüneburger Fürstenhauses stützt, hält in der rechten Hand noch den Griff eines Schwertes. Die beiden anderen Grabwächter haben vermutlich Lanzen oder Hellebarden umfaßt. Das Dübelloch am Knie des rechten und der hervorstehende Stift am Arm des mittleren Kriegers weisen darauf hin, daß auch sie ursprünglich Schilder getragen haben. Aus der Kombination der auch hier zu erwartenden Wappen wird sich über den Hinweis auf die Verbindung zum Fürstenhaus hinaus der Stifter ausgewiesen haben. Auch die beiden Engel, die auf dem Sarkophagdeckel den Auferstehenden flankierend montiert waren, fehlen. 76 Die Skulptur charakterisiert auch ohne die erwähnten Beigaben eine hohe Prachtentfaltung. Sie wird geprägt durch den auffallend großen, mit Kristallen verzierten mehrfarbigen Kreuznimbus, 77 durch den Schmuck des Sarkophags, über dessen goldene, mit Edelstein-Imitaten und blauen Arkadenbögen geschmückte Vorderwand die Stoffmasse des roten, gemusterten Palliums in reichem Faltenrelief fällt, und schließlich intensiviert die strahlende Erscheinung des jugendlichen, lächelnden Christus die prunkvolle Gesamterscheinung. Deutet der sich zur Vorderseite wendende rechte Ellenbogen und der aus der Bildfläche gedrehte Nimbus eine Torsion und damit den Aufstieg aus dem Grab an, dominiert doch das verharrende Moment, welches sich durch die strenge, auf die Mitte ausgerichtete Komposition der Gruppe und die Anordnung der Gewänder ergibt. Der außerordentlich gute Zustand der in der originalen Fassung erhaltenen Skulptur weist darauf hin, daß abgesehen von häufigerem Bekrönen die Figur selten oder erst spät bekleidet worden sein kann. 78 Das Rückbrett der vollrund gearbeiteten Skulptur fehlt. Das Ciborium als vorgeschlagene architektonische Umrahmung konnte die technische Untersuchung nicht belegen. 79 Die bisher angenommene Datierung um 1300 dieser beiden Bildwerke begründete zum einen ihre stilistische Nähe zu der monumentalen Figurengruppe der Anna Selbdritt in der Nikolaikirche von Stralsund (Abb. 47). 8 0 Hinzu kam das typengeschicht-

7 6 Vgl. die Erwähnung zweier Engel in der Inventarliste von 1685 (siehe A n m . 3 3 6 ) ; Schleifspuren auf dem Sarkophag lassen vermuten, daß sie ausgewechselt worden sind (Hartwieg 1988, S . 2 1 8 ) . Ein noch vorhandenes Engelsflügelpaar könnte zu der Gruppe gehören, obwohl ihre Polimentglanzvergoldung vom Faßmaler an der Gruppe nicht vorkommt (ebd., S. 226, A b b . 3 0 ) . 77 Hartwieg (1988, S . 2 2 4 ) stellte fest, daß der Nimbus abgenommen und neugefaßt worden ist. 78 Hartwieg 1988, S. 194 u. S. 212 ff., zur Fassung bes. S . 2 1 8 f. 7 9 Appuhn 1955, S . 4 8 ; ders. 1961, S. 104 u. A n m . 143; Hartwieg 1988, S . 2 1 8 . 8 0 H . 2 2 4 c m ; Thronrückwand Eiche; in der Nische des nördl. Chorumganges; davor in einer Nische am nördl. Haupteingang ( K D M Pommern, Bd. 1,5: Stralsund 1902, S . 4 8 4 ) ; vgl. Wentzel 1938, Kat. Nr. 90, S. 193 u. S . 4 2 f f . , ders. 1947, S . 8 1 f . ; Schönrock 1952, bes. S. 11 ff. u. S . 3 6 ; N. Zaske, Die gotischen Kirchen Stralsunds und ihre Kunstschätze, Berlin 1964, S. 108ff.; ders., Kunst in Hansestädten, Köln/ Wien 1986, S. 122f.; Fründt 1966, S . 2 4 1 / 2 0 8 ; Grzimek 1975, A b b . 127.

Abb. 47 Anna Selbdritt, St. Nicolai, Stralsund

Abb. 48 Madonna, Domkammer, Münster

39 liehe Argument des um 1300 an der Ostseeküste wieder aufgenommenen Repräsentationstypus der frontal thronenden Skulptur, die in der Anna Selbdritt ihren Höhepunkt erreicht habe. 81 Seit jedoch eine Reihe der von der Stralsunder Plastik in Abhängigkeit gestellten Madonnen aus stilistischen Gründen überzeugend früher datiert wird, wie die Madonna von Hansühn 82 und die Madonna von Viöl, ist letzteres Argument hinfällig. 83 Zudem weist die als westfälisches Vergleichsbeispiel herangezogene Madonna von Boele 8 4 in ihrer Haltung und Zuwendung zum Kind das gelöstere, enge Verhältnis der thronenden Madonnen des frühen 14. Jahrhunderts auf. Die hieratisch altertümlichere Haltung der Wienhäuser Madonna hingegen ist bereits in der Nähe der Madonna in der Domschatzkammer zu Münster (um 1260) anzusiedeln (Abb. 48). 8 5 Darüber hinaus basiert die Datierung der Stralsunder Anna Selbdritt, die zweifellos in ihrer steinernen, ja glasklaren Schärfe, distanzierenden, nahezu eiskalten Unnahbarkeit und straffen Symmetrie und Frontalità^ den Wienhäuser Figuren der Madonna und dem Auferstehenden am nächsten steht, selbst auf Überlegungen zu einer linear verlaufenden Entwicklung, die um 1300 einen Höhepunkt der Erstarrung erreicht haben soll. 87

81 Dieser Repräsensationstypus werde nach den Skulpturen am Doberaner Kelchschrank (um 1270/80, vgl. Wentzel 1938, S. 147ff., Nr. 11; Fründt 1966, S.240), in erneutem Anschluß an französische Vorbilder, gegen Ende des Jahrhunderts aufgenommen (Wentzel 1947, S.82; vgl. auch ders. 1937, S. 1—12; ders. 1938, S.43). 82 Wentzel 1938, Kat. Nr. 20, S. 155; ders. 1947, S. 81 f. 1310; Barfod 1986, S. 109 mittleres, letztes Jahrhundertviertel. 83 Städtisches Museum Flensburg, Inv. Nr. 4110; Wentzel 1938, S.42ff. u. S. 193; Kat. Flensburg 1986, S. 32, Nr. 12 um 1270180. 84 Diözesanmuseum Paderborn, Inv. Nr. SK73; Klack-Eitzen 1985, S. 61 u. Taf. 32. 85 Klack-Eitzen 1985, Taf. 7,8 u. S. 20 (mit Hinweis auf die Madonna in Wienhausen ohne deren Datierung in Frage zu stellen) u. S. 56. 86 Wentzel 1947, S.81f. 87 Wentzel nimmt hierin die Argumentationslinie Schmitts (1931, S. 82) auf, nach der in einer Entwicklung von der Magdeburger Gnadenmadonna über die Grabfigur in Doberan und die Leuchterfigur über die Spandauer Madonna ein Prozeß der allmählichen Schrumpfung des Körpers und Erstarrung des Organismus seit der Mitte des Jahrhunderts angenommen wurde, in dem sich die Anna Selbdritt als die äußerste Emanzipation vom Geist des 13. Jhs. darstellte und damit als Endstadium aufgefaßt worden ist. In dieser Weise begründete Schmitt (ebd., S. 73ff.; vgl. auch ihm folgend Schönrock 1952, S. 11) die Datierung des Bildwerks aus stilistischen Gründen vor dessen viermaliger Erwähnung in den Stralsunder Stadtbüchern, in denen es um die Bewachung einer Ymago S. Anne geht und die erstmals 1307 zum Thema wurde (vgl. Baudenkmäler Reg. - bez. Stralsund, H. 5, Stettin 1902, S.484). Auf die Beschreibung einer vergleichbar linearen Entwicklung verzichtend, ordnete Middeldorf (1925, S. 185 u. S. 44ff.) die Stralsunder Figur, indem er auf die erstarrte Gewandbehandlung, die prallen Falten, die Knickungen und das Rollen der Säume am Boden und die Gesichtsbildung hinwies, überzeugender der Magdeburger, Spandauer und Küblinger Madonna gleich, wobei sein chronologischer Ansatz in die 1290er Jahre auf der Nachstellung der gesamten Madonnen hinter die Doberaner Grabfigur der Margarethe basiert (siehe dazu das Folgende). Schon Schmitt wies auf der Suche nach stilistisch verwandten Werken zur Anna Selbdritt auf den

Abb. 49 Leuchtermadonna, Doberan

Abb. 50/51 Margarethe von Dänemark, Doberan

41

Der Vergleich mit den Doberaner Holzbildwerken, insbesondere mit der Leuchtermadonna, macht jedoch deutlich, daß die Holzskulpturengruppe der Lüneburger Frauenklöster überwiegend ältere Stilelemente aufweist. 88 Die Leuchtermadonna (Abb. 49), die sich in der Schrittstellung, einzelnen Gewandmotiven wie dem Typus des Kindes der Magdeburger Gnadenmadonna anschließt, weicht nicht wie diese steif mit ihrem Oberkörper zurück, sondern ist in einer stärker ausgebildeten S-Kurvatur, bei deutlicher Drehung des Körpers und schmalen, zurückgebogenen Schultern, konzipiert und weist hierin bereits auf die Skulpturen des Doberaner Hochaltares hin. 89 Hinzu kommt die nur von den älteren Autoren genügend betonte Nähe zur Doberaner Grabfigur der Königin Margarethe von Dänemark (Abb. 50/51).90 Beide besitzen ähnlich dünne Arme, mit den charakteristisch überaus schmalen, langen Händen sowie eine wesentlich weichere, stofflichere Gewandauffassung als die Magdeburger Gnadenmadonna oder die Lüneburger Skulpturen. Den schmalen Händen entsprechend dürften auch die ursprünglichen Gesichtsumrisse, die durch die an den Wangen vorgenommenen Ausbesserungen mit Gips 91 verändert worden sind, schmaler und damit der Leuchtermadonna noch ähnlicher gewesen sein. Gemäß der deutlich weniger geometrischen und metallenen Auffassung als bei der Wienhäuser Madonna und der Gnadenmadonna wird bei der Grabfigur der dänischen Königin und bei der Leuchtermadonna außerdem der Busen angedeutet, dessen Wölbung durch weiche Ziehfalten unterstrichen wird. Dagegen erweist sich die steilgerade, gratige Auffassung der Bildwerke der Lüneburger Frauenklöster als älter. Die kantigen, hartbrechenden Röhrenfalten am Schienbein des Auferstehenden sind Rudimente des Zackenstils wie die gesamte Konzeption, die frontale Auffassung, die Gewandanordnung und die ungelenke Bewegung des wie aufgesetzt wirkenden rechten, segnenden Armes Parallelen in der Chorausmalung des Braunschweiger Doms finden. 92 Charakteristischerweise führt auch Wentzel als

Wienhäuser Auferstehenden hin. Er lehnte die von Habicht (1917, S. 7 3 - 7 5 ) mit nicht näher abgestützten kostümlichen Hinweisen um 1280 vorgeschlagene Datierung in Ermangelung örtlicher wie zeitlich schlagender Vergleichsbeispiele für nicht bündig beweisbar ab und verschob die Datierung aufgrund der steilgeraden Haltung, der geringen Tiefe des Schoßes, des Faltencharakters und der Modellierung des Kopfes wie bei der Stuckplastik ebenfalls in die Zeit um 1300. Die von Wentzel geschlossene Lücke niedersächsischer Vergleichsbeispiele führte nicht zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Schmitts These, sondern schloß sich dieser Einordnung an. 88 Doberaner Leuchtermadonna: H. 145 cm; Eiche; um 1290\ Umwandlung zur Leuchtermadonna wohl 15. Jahrhundert, vgl. Wentzel 1938, Kat. Nr. 13, S. 150; Fründt 1966, Nr. 75, S . 2 0 3 f . ; dies., 1976, S. 7f. 89 Wentzel 1938, Kat. Nr. 14, S. 150f. um 1310\ Fründt 1966, Nr. 81 um 1310\ dies. 1976, S. 15ff. um 1310\ diese jünger anzusetzende Stillage verdeutlicht auch der Vergleich der Draperie ihrer Gewänder, ihrer Haltung und Kopfgestaltung mit der Madonna aus dem Schleswiger Dreikönigsaltar, vgl. Barfod 1986, S. 101 f., Abb. 95, mittleres letztes

Jahrhundertviertel.

90 Brückner 1926, S . 7 - 9 ; Middeldorf 1925, S . 4 3 ; Schmitt 1931, S . 8 0 , A n m . 3; und im Vgl. dazu D . Schubert 1974, Nr. 205; Fründt 1966, S. 203/4; dies. 1976, S. 7f. 91 Nach mündlicher Mitteilung von J. Voss, Denkmalpflege Schwerin. 92 Brenske 1988, Abb. 3 5 - 3 7 .

Abb. 52/53/54 Salvator Mundi, Lune

43 Beispiel eines möglichen französischen Vorbilds jener um 1300 angesiedelten Thronbilder eine Miniatur aus der Jahrhundertmitte auf. 9 3 Dies bestätigt in erster Linie, daß die Plastik der Anna Selbdritt Anknüpfungspunkte bei französischen thronenden Madonnen des dritten und nicht des letzten Jahrhundertviertels findet. 9 4 Daraus erhärtet sich die Datierung der Gruppe in die 70er Jahre des 13. Jahrhunderts. Die Lüneburger Skulpturen und die Anna Selbdritt sind der Doberaner Leuchtermadonna vor und nicht in einer erneut anzunehmenden Erstarrung der Formen gegen 1300 nachzuordnen. Der Tod der Königin Margarethe im Jahr 1282, der sich als einer der wenigen Anhaltspunkte zur Datierung der Bildwerke anbietet, dürfte damit für die Holzskulpturen der Lüneburger Frauenklöster als Terminus antequem anzunehmen sein, die Datierung der Braunschweiger Herzogsstatue — um 1260/70 — als Terminus postquem. Auf diesen Zeitansatz verweist auch der Salvator Mundi (Abb. 52/53/54) aus Kloster Lüne, ohne daß ein Nachfolge-Verhältnis zu den Wienhäuser Figuren konstituiert werden könnte. Die Skulptur, seit 1891 als Leihgabe im Museum des Fürstentums Lüneburg, 9 5 gehört zusammen mit einigen Textilien und der 1945 in Berlin verschollenen Altartafel (zweites Viertel 14. Jahrhundert) zu den wenigen Ausstattungsstücken aus der älteren Klosteranlage Lünes vor dem Brand von 1372, nachdem das Kloster an seinen jetzigen Ort verlegt worden war. 9 6 Christus, in langem, faltigem Untergewand

93 Wentzel 1947, S. 82. 94 Vgl. z . B . Thronende Madonna, Metropolitan Museum of Art, Inv. Nr. 17. 190. 213, um 1250-1279, abgeb. in: W. D . Wixom, A Late Thirteenth-Century English Ivory Virgin, in: Z. f. Kunstgesch., Bd. 50, 1987, S.347. Damit rückt wieder der ältere Datierungsvorschlag von Zaske (1964, S. 108ff.; dagegen ohne Begründung ders., Kunst in Hansestädten, Köln/Wien 1986, S. 122f.: „um 1290") um 1270 und damit der Zusammenhang mit dem Baubeginn des Kathedralchores in den Vordergrund. Erste Erwähnung der Kirche im Jahr 1276, in der der Rat der Stadt Baugelder bestätigt ( K D M Pommern, Bd. 1,5: Stralsund 1902, S. 465); weitere Stiftungen für Altäre 1278/9 (ibd.). Der ursprüngliche Aufstellungsort ist nicht bekannt. 95 Eiche; H. 88; Bd. 22; T. 10cm; Corpus und Sockel weit ausgehöhlt, Durchbrüche an der Brust; Rückbrett fehlt; am Hinterkopf rechteckiger Ausbruch. Lit: Kat. Museum Lüneburg 1975 (3. Aufl.), H. 55, S. 138; W Reinecke, Kloster Lüne und seine Kunstschätze, Elmshorn 1948, S . 3 2 u. Taf. 31 (mit rechtem Arm); Wentzel, 1947, S. 87; Appuhn 1961, S. 106; Krause 1987, S. 312 u. S. 334. 96 Ein erster Brand im Jahr 1240 zerstörte die an die Jacobi-Kapelle gebaute Gründungsanlage aus der Zeit um 1172. Zu den genannten Ausstattungsstücken Michael 1984, S. X / X I ; Reinhardt, in: Germ. Bened., Bd. X I , 1984, S. 393—399. Der sog. Erscheinungsteppich von 1503 mit 16 Szenen aus dem Leben Jesu von der Auferstehung bis zur Himmelfahrt (Abb. 148), die wie Andachtsbildanweisungen zur Skulptur erscheinen, weisen auf eine möglicherweise gesteigerte Kultbedeutung der Skulptur hin (zum Teppich, vgl. Schuette 1927, S. 48ff.; zuletzt E . Michael, Bildstickereien aus Kloster Lüne als Ausdruck der Reform des 15. Jahrhunderts., in: Die Diözese Hildesheim, Jg. 53,1985, S. 73ff.; zu den Inschriften ders., 1984, S. 146ff.) O b es sich allerdings um das zentrale Altarbild des Klosters handelte (Appuhn 1983, S . 2 4 ) , läßt sich nicht mehr entscheiden; Aufstellungsorte der Skulptur in Lüne sind nicht belegt. In Gebhardis (Collectanea, Bd. II, 1764, Nr. 39, S . 3 9 4 f f . ) detailreicher Beschreibung der Ausstattung des Kloster bleibt sie unerwähnt. Ältere Inventaríen, die Gebhardi noch auswertete, sind verschollen (siehe Nolte 1932, S. 36 und 37).

Abb. 55 Hl. Grab, Wienhausen

45 und Pallium, greift in Körperhaltung und Gewandanordnung den Beau-Dieu-Typus auf. 9 7 Der rechte, im Segensgestus erhobene Arm hat sich im Gegensatz zum linken in den 30er Jahren angefunden. 9 8 Die Brustwunde legt ein langer, schmaler Gewandschlitz frei. Auf der vorderen Seite des Sockels sind die Spuren einer abgelaugten Inschrift (Salvator Mundi) erkennbar. 99 Mit den Skulpturen um die Wienhäuser Madonna teilt er zeitstilistische Merkmale wie die steilgerade Haltung und Frontalität in der Figurenkonzeption, die unorganische Bewegung, wie sie sich durch das sich abzeichnende rechte Knie manifestiert, sowie die monumentale Gewandgestik. Sein schmales Gesicht mit der edlen Auffassung der Gesichtszüge unterscheidet die Skulptur jedoch grundlegend von den rundlicheren und flachen Gesichtern der Wienhäuser Figuren und weist auf französische, im Lübecker Umkreis mehrfach festgestellte Einflüsse hin; 1 0 0 hinzu kommt, daß die charakteristischen bizarren dünnen Faltenstege und abgeflachten Röhrenfalten an dieser Skulptur nicht vorkommen. D e n Grabeschristus (Abb. 55—58) dagegen heben von diesen Werken zeitstilistische Elemente ab. Die als Hochrelief gearbeitete Skulptur des Leichnams Christi ist unverrückbar in dem von Äbtissin Katharina von Hoya (1422-1469) gestifteten, reich bemalten Holzschrein in Zweitverwendung befestigt, der heute inmitten des Nonnenchors steht. 1 0 1 Der Grabschrein des 15. Jahrhunderts ermöglicht, einem Flügelaltar

97 Wentzel 1947, S.87; Appuhn 1961, S. 106. 98 Leitfaden 1975, S. 138; die rundliche Anlage der Hand wirkt nicht original (vgl. auch Appuhn 1961, S. 106). 99 Es handelt sich um keine gotischen Majuskeln (mündl. Mitteilung von E. Michael). 100 Wentzel 1937, S. 139ff., vgl. auch den Bischof aus der Trese der Marienkirche: Wentzel 1938, Kat. Nr. 61 (um 1305); Kat. Lübeck 1981, Kat. Nr. 21 (2. V 14. Jh.). 101 Skulptur: Eiche; L.247, Bd.58, H . 3 0 c m ; Schrein: L.252; Bd.80,5; H. 172cm; vgl. Chronik, S. 15; Nekrolog 18. Febr., S. XL; Appuhn 1955, S.47f.; ders. 1986, S.24; KDM Niedersachsen, Bd.34: Celle 1970, S. 115-119. Auch bei der Konstruktion des Vorgängergrabes kann es sich um einen Sarkophag ähnlicher Art gehandelt haben. Da der Grabchristus mit seiner Untergrundfläche verbunden ist und damit typologisch in die Nähe der oberrheinischen steinernen Hl. Gräber und von weltlichen hölzernen Grabdenkmälern wie dem Stiftergrab Heinrichs II. in Maria Laach rückt, hält Jezler (1982, S.42ff.) die ältere Konzeption für eine Christusgrabtumba dieser Art. Darüber hinaus ist auf die Grablegungsdar. Stellungen des Klosters im Glasfenster des oberen sudlichen Kreuzganges, die Szene in der Deckenmalerei des Nonnenchores und das kleine Andachtsbild aus der Zeit um 1330 verwiesen worden (Appuhn /Heusinger 1965, S. 188, Nr. 14; Jezler 1982, S. 46/7; Hartwieg 1988, S. 192/3). Sie stellen stets Christusfiguren dar, die mit der Grabskulptur die Schauseite, die Umhüllung in die Sindone und die parallele Armstellung gemeinsam haben (vgl. zur Ikonographie von Grabchristusfiguren: K. Hengevoss, Der Vaduzer Grabchristus und sein künstlerischer Umkreis, MA Hamburg 1985, S.7ff.). Da die Grablegungsikonographie jedoch stets Tumben und keine Gräber mit Satteldach aufweist, besitzen diese Bilder nur relative Beweiskraft und zeugen in erster Linie von der hohen Verehrung der Skulptur. Hinzu kommt, daß auch weltliche Grabmäler überliefert sind, deren Tumbenfiguren, in sargartigen Schreinen untergebracht waren. Das der Werkstatt des Naumburger Meisters zugeschriebene Bischofsgrabmal im Ostchor, besaß eine solche dem 13./14. Jahrhundert zugewiesene aufklappbare Konstruktion aus Holz, mit inschriftlich bezeichneten Gemälden Kaiser Konrads II. und Papst Johannes XIX. auf den Innensei-

Abb. 56 Hl. Grab, Wienhausen

47 gleich, mehrere Wandlungen durch Öffnen der auf den Innenseiten mit Figurenszenen bemalten Türen am Kopf- und Fußende, der Dachschrägen und der Vorderseite des Kastens. Eine Schauseite legt die Perspektive der Malereien auf den Innenflächen der Dachschrägen fest. 102 Sein Aufstellungsort bleibt unsicher. 1 0 3 Die Skulptur stellt den toten Christus in herber Strenge dar, dem jeglicher Liebreiz der beiden älteren Skulpturen, der Madonna und des Auferstehenden, fehlt. Kopf und Gliedmaßen, insbesondere die parallel auf den Oberschenkeln liegenden, flachen Hände, wirken auffallend mächtig und teilweise derb. Der schmale, leichenblaß gefaßte Körper ist in ein weißes, mit gbldenen Kreuzen gemustertes Grabtuch gewikkelt, dessen blaue Innenseite ein Streumuster von goldenen Sternen aufweist. Um die Taille gewickelt, läßt es den Oberkörper und die Füße frei und bildet neben der rechten

ten (vgl. zuletzt E. Schubert, Zur Naumburg-Forschung der letzten Jahrzehnte, in: Wiener Jb. f. Kg XXXV 1982, S. 131). Auch die Grabfigur Kaiser Heinrichs des III. in Goslar lag in einer schreinartigen Holzkonstruktion, deren Inschrift von 1740 einen älteren, damals in gleicher Gestalt erneuerten Sarg belegt (KDM Hannover, Bd. 11,7: Goslar 1937, S.65; vgl. auch den Schrein Ludolfs von Gandersheim; KDM Braunschweig, Bd. 5: Gandersheim 1910, S. 156; E. Borgwardt, Die Typen des mittelalterlichen Grabmals in Deutschland, Schramberg 1939, S.41, Anm. 56). Somit ist das verschließbare Hl. Grab auch für die ältere Wienhäuser Konstruktion anzunehmen, wie ihn die Sargschreine aus Salzwedel (14. Jh.) oder Maigrauge (14. Jh.) darstellen (für den Hinweis auf das Salzwedeler Beispiel danke ich H. Gmelin, Landesgalerie Hannover; Nachweise weiterer Hl. Grabtruhen Taubert 1969, S. 113, Anm. 101; A. Schwarzweber, Das Heilige Grab in der deutsche Bildnerei des Mittelalters, Freiburg 1940, S. 3 und S. 34ff.; Hartwieg 1988, S.200, Anm. 92). 102 Die bei geschlossenem Zustand sichtbare Malerei, auf den Dachflächen und der Sarkophagwand, je vier hockende Wächter mit Wappen, stammt aus dem 19. Jahrhundert. Auf die Innenseiten der Dachschrägen sind 30 Szenen aus dem Leben Christi von der Verkündigung bis zur Ausgießung des Hl. Geistes gemalt. Die Szenen am Kopf, Gottvater, der Christi Krone hinhält, und an den Füßen, Maria Magdalena mit Salbgefäß, bieten auf den jeweiligen Körperteil bezogene Andachtsanleitungen. Die Vordertüren des Kastens, die nur bei geschlossenem Dach zu öffnen sind, wobei der Leichnam Christi unsichtbar bleibt, illusionieren das leere Grab des Auferstandenen, dessen weiteren Erlebnisse die vier Erscheinungsszenen dem Gläubigen vergegenwärtigen. Ausführliche Beschreibung einschließlich der transkribierten Schriftbänder: KDM Niedersachsen, Bd. 34: Landkreis Celle 1970, S. 116ff.; vgl. auch Jezler 1982, S. 48ff.; B. Gallistl, Eine ikonographische Besonderheit am Heiligen Grab in Wienhausen, in: Die Diözese Hildesheim, Bd. 53, 1985, S. 53ff.; Appuhn 1986, S. 29f; Hartwieg 1988, S. 19. 103 Die ältesten Erwähnungen, sechs Lichtstiftungen zwischen 1314 und 1470, enthalten keine Angaben zum Ort der Aufstellung. Appuhn (1955, S.47/8) verwies auf Urk. 189,404,438; Urk. d. Gemeinde Wienhausen Nr. 12,13. Es hat zumindest seit der Ablaßerteilung von 1448 außerhalb der Klausur gestanden. Appuhn (1955, S. 47; ders. 1986, S. 24 und Anm. 20) geht mit Hinweis auf die 1470 getätigte Stiftung vor dem hilligen lichname unde dem hilligen crüce (Urk. 498) von einer Aufstellung in der Hl. Kreuzkapelle aus, die im abgebrochenen Ostflügel an der Stelle des Kapitelsaales erwähnt wird (Urk. 674a von 1531; vgl. auch Chronik, S.77; KDM Niedersachsen, Bd. 34: Landkreis Celle 1970, S.62, Nr. 4). Eine 1974 wiederentdeckte Öffnung in der Wand vom Kapitelsaal zur Gemeindekirche deutet er als ehemals vergitterte Verbindung, durch welche die Kapelle über eine Empore zugänglich gewesen sein soll (vgl. auch Hartwieg 1988, Anm. 48). Die älteste Erwähnung eines Hl. Kreuzes, nämlich im Dormitorium in der Lichtstiftung von 1345 (Urk. 297; vgl. Appuhn 1955, S.48), ist dahingehend zu werten, daß die Hl. Kreuz-Kapelle damals noch nicht bestand. Das Inventar von 1723 (S. 16) und Mithoff (1853, S. 6) nennen ein Heiliges Kreuz im Kapitelsaal.

Abb. 57/58 Grabchristus: Detailaufnahmen

49 Körperseite eine lange schmale Kaskade. Indem Blutstropfen blütenblätterartig von den gebohrten Wundmalen an Händen und Füßen abstrahlen, verliert die ansonsten leichenartig, abweisende Gestalt an schreckenerregendem Realismus. Dem Schleier einer Madonna ähnlich, umrahmt die an den Säumen sich rollende, die Schwerkraft an dieser Stelle leugnende Sindone das Gesicht. Ein mit Edelsteinimitaten verzierter Kreuznimbus, unter dem ein rotes Kissen sichtbar wird, überhöht weiter den Kopf. Die abfallenden Mundwinkel, die schrägen, geschlossenen Augenlider und der symmetrisch angeordnete Bart markieren einen strengen Gesichtsausdruck, der noch durch die sich wiederholenden Rundbögen des goldgesäumten Tuchs, des Haaransatzes und die schmalen Augenbrauenbögen vertieft wird. Die Skulptur ist abgesehen von einigen frühen Retuschen in ihrer Originalfassung erhalten, die durch eine 1885 vorgenommene Überfassung verdeckt war. 104 Charakteristische Stilmerkmale, wie die weichere, lappigere Auffassung des Gewandstoffes, die in sich gerollten Faltenkaskaden an der rechten Körperseite und am Kopf, die sich zuspitzenden Stoffenden und oval geschwungenen Saumlinien, kommen an der Magdeburger Gnadenmadonna und der Doberaner Leuchtermadonna vor (Abb. 10/48). Die im Vergleich zu diesen Bildwerken flächigere Figurenauffassung des Grabeschristus ist dabei typengeschichtlich bedingt. 1 0 5 Signifikant für die spätere Datierung, gegen 1300, erscheint darüber hinaus der Hüftschwung des lang hingestreckten Leichnams (Abb. 58), der zum Beispiel der Gandersheimer Grabskulptur (Abb. 32) fehlt. 106 Die Gemeinsamkeiten der gesamten Gruppe von Bildwerken reichen nicht zur Beschreibung eines Lüneburger Kunstkreises aus. 1 0 7 Überdies verweist das Beziehungsgeflecht der Bildwerke — ausgenommen der Lüner Salvator —, über das Zitat der

104 Vgl. die eingehende technische Untersuchung Hartwieg 1988, S. 197ff.; einige Eingriffe an den Rändern erforderte die Einpassung in den neuen Schrein. Daneben fanden sich frühe Retuschen an der Zeichnung der Augen, den Fingernägeln und Zehen (ebd., S . 2 0 6 f . ) . Zur Überfassung des 19. Jhs., K D M Niedersachsen, Bd. 34: Celle 1970, S. 116; Hartwieg 1988, S . 2 0 7 f . Das genaue Jahr der Freilegung der Originalfassung ist nicht bekannt. Eine Ergänzung aus dem 19. Jahrhundert ist die Nase. Auffällige Benutzungsspuren stellen die Abreibungen der goldenen Kreuze auf dem Grabtuch an der Schauseite und an den Blutstropfen der nachträglich vergrößerten Seitenwunde dar, ebenso wie die Graffiti am vorderen rechten Arm, ebd., S.206. 105 Die rund 60 bekannten Beispiele dieses Bildtyps legen diesen Schluß nahe (Hengevoss 1985, S. 7 f f . ) . 106 Damit bekommt die Datierung der Skulptur durch Appuhn (1964, S. 133f.) in die Jahre um 1290 aufgrund eines Reliquienverzeichnisses, das unter anderem in den nachträglich eingebauten Reliquienkammern im Kopf- und Fußende gefunden wurde, eine neue Relevanz. Sein Vorschlag, mit dem er sich Wentzel anschließt, der Grabchristus sei zusammen mit der Madonna und dem Auferstehenden in einer Werkstatt in Auftrag gegeben worden, erscheint dagegen nicht stichhaltig. Auch die Datierungen von O. Karpa (Wienhausen, Reclam-Führer Bd. IV, 1960, S . 7 4 8 f . ) und R. B. André (Wienhausen, ReclamFührer, Bd. Y 1967, S.612) in das erste Viertel des 14. Jahrhunderts lassen sich nicht mit dem Stilbild der Skulpturen dieser Zeit übereinbringen. Siehe dazu das folgende Kapitel. 107 Wentzel 1947, S . 8 7 ; Appuhn 1955, S.48.

50

iLLUSTPvIS PRlNCEPS WALO De AHNHOLT, CÖMLS IN ASCAN iA .DOMINUS IN BERNBÜRC FUNDATOK HUiU.S HONASTEKlj. Abb. 59 Graf Walo, Walsrode

51 Herzogsstatue des Braunschweiger Doms hinaus, wie noch zu zeigen sein wird, eher nach Braunschweig als nach Lüneburg. 108

Die Skulpturen aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts Vereinzelter als die Skulpturen des 13. Jahrhunderts stehen die Holzbildwerke der Lüneburger Frauenklöster des frühen 14. Jahrhunderts da. Einen Anhaltspunkt für die Chronologie bietet zunächst die Walsroder Stifterfigur. Die Skulptur (Abb. 59/60) steht auf einem erneuerten profilierten Sockel in einem vermauerten romanischen Fenster der Südwand im Nonnenchor, rund 4m über dem Äbtissinnenstuhl. 109 Schon bei ihrer ältesten Erwähnung im Jahr 1654 in Merians Topographia wird der Text der Tafel unter dem Bildwerk zitiert: Illustris princeps walo de anholt commes in ascania dominus in Bernborg fundator huius monastery anna 986.110 Ende des 17. Jahrhunderts wird sie nochmals, in zutreffender Beschreibung ihres heutigen Ortes Auff dem Chor der Kirchen zu Walsrode gleich über der Thür beim Eingang erwähnt. 111 Die mehrfach überfaßte, rundsichtig bearbeitete Skulptur 112 zeigt den Stifter in

108 Zu weiteren historischen Hintergründen vgl. Kap. II. 2. u. Kap. III. 2., darüber hinaus Herzogin Agnes und die Besetzung des Konvents auf S. 84 ff. 109 Eiche, H . 170cm; die folgenden technischen Details stützen sich auf eine im August 1990 durchgeführte Untersuchung von C. Lohse; vgl. ihren Bericht vom 6. August 1990, Restaurierungswerkstatt, Klosterkammer Hannover. 110 M. Merian, Topographia und eigentliche Beschreibung . . . , Frankfurt 1654, S. 201; heutige Ausführung der Inschrift 18. Jh. (mündl. Mitteilung E. Michael, Museum Lüneburg). Einen Anhaltspunkt zur Anbringung der Tafel bietet die behauptete Verwandtschaft des Stifters mit den Anhaltinern. Sie spielte Ende des 15. Jahrhunderts im Prozesses um die Rückgewinnung des Besitzes aus der Gründungsausstattung, der königlichen Schenkung des Ortes Zitowe (Anhalt-Köthen), eine Rolle und beruhte auf einer reinen Konstruktion (Grütter 1886, S. 13-15; Fleckenstein 1986, S. 15). 111 R. Lodemann, Beschreibung der Kirchen, PfarrDiaconats, . . . Walsrode 1693—1695, S.2. Merian erwähnt den Standort nicht. J. Grütter (Stiftung des Klosters Walsrode durch den Grafen Walo, FS. 900 Jahre Kloster Walsrode, Walsrode 1886, S. 16) bezieht die Bemerkung auf eine nördlich gelegene Eingangstür des spätgotischen Baus, während J. Skrowanek (Kloster Walsrode. Ein Baudenkmal und seine Kunstwerke, Walsrode 1979, S. 4) auf den Zugang von der Pfarrkirche zum Nonnenchor schließt. Auf beide Plätze trifft die Bezeichnung auf dem Chor auch bei der denkbarerweise auf den Kirchenchor bezogenen Bemerkung nicht zu (vgl. Grundriß). Nach Grütter (ebd., S. 16) soll die Skulptur nach einem nicht weiter belegten Streit auf fürstlichen Befehl ans Kloster gekommen und an die heutige Stelle im Klosterchor gebracht worden sein. 112 Füße und Standfläche in einem Stück geschnitzt; originaler Verschluß der Kopfhöhlung verloren; auf der

Abb. 60 Graf Walo, Rückseite

Abb. 61 Graf Walo: Detail

53 blauem, seitlich geschlitztem, langem Obergewand mit halblangem Arm und schmalem, schmucklosem Gürtel. Den roten bodenlangen Schultermantel, der an der rechten Seite hochgerafft wird, hält eine goldene Kette mit breiten Ziergliedern zusammen. 113 Das stark angegriffene plastische Relief auf der wohl im 15./16. Jahrhundert im Zuge der ersten Überfassung erneuerten Schmuckplakette scheint einen Pelikan mit seinen Jungen abzubilden. 114 Mit der flach ausgestreckten Rechten lehnt er ein mit dem Schwertgurt umwickeltes Schwert, dessen ursprüngliche Parierstange verloren gegangen ist, an den Leib; 115 auf dem linken Arm trägt er das Kirchenmodell (Abb. 61), 1 1 6 ein einschiffiger Bau mit zwei Westtürmen und Querschiff, aus dessen Fenster eine Nonne über ein Gitter herausblickt. 117 Die grobe Überfassung der Skulptur zeigt die Kinnbinde der Nonne und andere Details der Stifterfigur mißverständlich überstrichen. Zum Beispiel handelt es sich bei der Perlschnur am Rosenschapel ursprünglich um Stirnlocken, die wie die hochangesetzten Schläfen vertuscht wurden. Insgesamt wirkt die Überfassung karikierend. Details, wie die Ausführung der Fingernägel und Fingergelenke, lassen die wesentlich

plastisch durchformulierten Rückseite Leinwandreste und Inschriften mit Hinweis auf Restaurierungen der Skulptur und des Nonnenchores. Vgl. Lohse, 1990, S. 2ff. Mehrere Inschriften weisen auf Restaurierungen der Skulptur und des Nonnenchores hin; Fund zweier unleserlicher Schriftstücke in der Aushöhlung des Kopfes und eines Stücks der erneuerten Profilleiste des Sockels. Ein dem Corpus entnommenes Schriftstück berichtet von einer im Klosterhof vorgenommenen kalte(n) Abwaschung des Bildwerks, die nach den aufgeführten Zeugen, sämtliche Konventsmitglieder und Handwerker, zwischen 1907 und 1910 stattgefunden hat. Die Beschriftungen der Rückseite in chronologischer Reihenfolge, siehe Lohse 1990, S. 3. 113 Vier Fassungen nachgewiesen: 1. Überfassung: 15./16. Jh., roter Mantel, Obergewand mit Metallauflage und wohl Brokatmuster, darunter azuritblaues Hemd mit drei Steineinlagen als Knöpfe am Kragen, auch auf der plastisch hervorgehobenen Bordüre des Obergewandes Mulden von Steineinlagen; Kirchenmodell violett, rosa und braun; Stiefel rot. 2. Überfassung: 1729, helles Haar, roter Mantel, grünweißes Untergewand, Kirchenmodell rot, hellblau und grau; braune Stiefel. 3. Überfassung: A . 19. Jh., roter Mantel, grünes Obergewand, rosa und schwarzes Kirchenmodell, schwarze Stiefel; 4. Überfassung, 20. Jh.; originale Fassung nicht nachgewiesen. 114 Ursprünglich, wie die Kette, Weichholz, spätestens bei der ersten Überfassung, im 15./16. Jh., abgeschnitzt und durch eine Bleiplakette ersetzt; Lohse 1990, S. 6,9. 115 Ebd., S. 2. 116 Aus fünf Teilen zusammengesetzt und in der Hand verdübelt; ebd. 1990, S. 6. 117 Heutiger Nonnenchor, ebenfalls im südl. Querhaus; Teile davon aus der gegen 1230 errichteten dreischiffigen, flachgedeckten Pfeilerbasilika; 1482 größtenteils abgebrannt; Neubau in der l . H . 19. Jh. (vgl. den 1971 bei Grabungen erstellten Grundriß bei K. H. Marschalleck, Archäologische Untersuchungen in der Stadtkirche zu Walsrode, in: Nachrichten aus Nieders. Urgesch., Bd. 45, 1976, S. 499-516, bes. S. 205). Über den westl. und östl. Abschluß des spätromanischen Kirchenbaus keine Kenntnisse; der nördl. Bogen im Nonnenchor zur Pfarrkirche sowie die verblendeten Rundbogenfenster der Südwand Relikte des spätromanischen Baus; die Fensterformen der Ost- und Westwand Hinweis auf Bauerweiterungen des Nonnenchores im 1. D. 14. Jh. (Korn, in: 1000 Jahre Walsrode 1986, S. 65ff.; vgl. auch Brosius, in: Germ. Bened., Bd. II, 1984, S.539). Vgl. hierzu das Stiftermodell, besonders die Fenster mit je zwei Lanzetten und einem Okulus; auch die spätromanisch wirkenden Rundbogenfenster am Langhaus des Modells können auf den tatsächlichen Kirchenbau Bezug genommen haben.

Abb. 62 Eine der elftausend Märtyrerinnen, Reliquienbüste, Nieders. Landesgalerie Hannover

55 höher anzusetzende Qualität des Schnitzwerkes in seiner originalen Fassung erahnen. Die Skulptur ist als derbe Nachahmung der Werke des Meisters der Wienhäuser Madonna, vor allem mit Hinweis auf den Ebstorfer Mauritius, aufgefaßt worden. 118 In ihren Gesichtszügen wie in der gesamten Kopfbildung steht der Walsroder Stifterfigur jedoch die Reliquienbüste aus der Goldenen Tafel der St. Michaeliskirche am nächsten (Abb. 62). 119 Beide Skulpturen weisen im Vergleich zu den Wienhäuser Holzbildwerken der Madonna und des Auferstehenden und dem Ebstorfer Mauritius (Abb. 26/40) eine eckigere und kantigere Gesichtsbildung auf, mit breiten Kinnladen, lang herabgezogener Nase und auffallend schmalen, langgebildeten Lippen. Hinzukommen die niedrige Stirn, die schräggestellten, auseinanderliegenden Augen und eine vergleichbare drahtige Auffassung der Haarlocken, Merkmale, die insgesamt am ehesten Anknüpfungspunkte beim Wienhäuser Grabchristus finden. 120 Sind sie bei diesem Hinweis auf eine spätere Datierung, deutet die stilistische Nähe des Walsroder Bildwerks zur Jungfrauenbüste, soweit die grobe Überfassung der Walsroder Stifterfigur ein solch weitgehendes Urteil überhaupt erlaubt, auf dieselbe Werkstatt hin. 121 Nicht nur der Kopftypus, sondern auch die Gewandbehandlung und ikonographischen Elemente weisen nicht auf die Bildwerke hin, die um die Wienhäuser Madonna gruppiert wurden. Die Neigung des länglichen Kopfes, die zurückgebogenen Schultern und die vorgeschobene Hüfte deuten in der Holzfigur des Walsroder Stifters eine auffallende Biegung des Körpers an. Zusammen mit den ondulierten, drahtigen Haarlocken, dem flüssigen, die Bewegung am Oberkörper und am linken Knie nachzeich-

118 Wentzel 1947, bes. S. 80. 119 H. 41 cm, Eiche, urspr. Fassung; Kopf innerhalb des Kronreifs abnehmbar; nach Inventarzeichnung des 15. Jahrhunderts als caput de XI milium virginum in der Predella der Goldenen Tafel vermerkt; vgl. E Stuttmann, Der Schatz der Goldenen Tafel des St. Michaelisklosters in Lüneburg, Berlin 1937, Nr. 22, S. 84f.; zuletzt Kat. Hannover 1957, Kat. Nr. 31,S. 52 (mit Lit.). 120 Wentzel, hierin von seiner älteren Zuweisung in die Nähe der Jungfrau vom Hamburger Domlettner abrückend (Wentzel 1938, S. 16, Anm. 26), ging bei seiner Einordnung der Büste, ebenfalls in die Nachfolge des Wienhäuser Meisters, wenig überzeugend von einem Vergleich der Fassungen aus und erklärte die unterschiedliche plastische Behandlung, wie die drahtigeren Haarlocken, nicht zeitstilistisch, sondern mit der Büsten-Form, bei der sich alle Form-Mittel auf das Haupt konzentrierten (ebd., S. 88). 121 In jedem Falle ist die Verwandtschaft so markant, daß sich die Ansicht Stuttmanns (1937, S.85) bestätigt, wonach der Ursprung der Büste in Niedersachsen, vielleicht in Lüneburg selbst zu suchen sei. Er wies auf Übereinstimmungen mit Kölner Reliquienbüsten hin, vor allem die ähnliche Haarbehandlung, wobei jedoch die Krone und der reiche Schmuck an Glasflüssen gegen ein Exportwerk sprächen und nur auf die Kenntnis rheinischer Werkstätten hindeuten (vgl. zuletzt U. Bergmann, Kölner Bildschnitzerwerkstätten vom 11. bis zum ausgehenden 14. Jahrhundert, in: Kat. Schnütgen-Museum 1989, S. 19-63, bes. S. 29ff. (sowie die einzelnen Kat. Nr.). Die Nähe zur Walsroder Stifterfigur läßt die Datierung um 1300, die im Verweis (O. Karpa, Kölnische Reliquienbüsten, in: Rhein. V f. Denkmalpfl. u. Heimatsch. 27. Jg. H. 1, 1934, S. 92) auf die sog. stilisierten Ursula-Büsten (Kat. Schnütgen-Museum 1989, S. 192; Wentzel 1947, S.88; Kat. Hannover 1957, S.52), neuerdings in die 70er Jahre des 13. Jahrhundert datiert, zu früh erscheinen und spricht eher für das zweite Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts (vgl. auch Stuttmann 1937, S.84f.: erstes Vierteides 14. Jahrhunderts).

Abb. 65 Chorstatuenzyklus, Hl. Kreuz, Nordhausen

57 nenden Gewand werden Stilelemente deutlich, wie sie im Tympanon der 1321/22 erbauten St. Annen-Kapelle im Hildesheimer D o m 1 2 2 und in der zwischen 1310 und 1340 entstandenen Bauplastik im Maßwerk der Querhausfronten der Martini-Kirche in Braunschweig 123 vorkommen. Direkte Anknüpfungspunkte in diesen Werkstätten werden jedoch nicht erkennbar. 124 Der typengeschichtliche Vergleich verweist eher auf sächsische Stilgrundlagen. Im Statuenzyklus im Chor der Hl. Kreuz-Kirche in Nordhausen aus der Zeit um 1320/30 stehen sich je drei männliche und weibliche gekrönte Gestalten, von denen nur Königin Mathilde und Friedrich II. identifiziert werden konnten, an den Chorwänden unter Baldachinen und figurengeschmückten Konsolen gegenüber. 125 Vor allem der östliche König gleicht in Kopf- und Schulterhaltung dem Walsroder Stifter, wobei die Bewegung in dem hier noch weiter vordrängenden Knie und durch die parallele Fußstellung ähnlich unorganisch bleibt (Abb. 63/64/65). Dabei zeigen die Stifter in Nordhausen dieselben dünnen, gratigen Gewandfalten, die sich an fülligem Leib über schmalem, schmucklosem Gürtel stauen. Der straff über die Schulter gezogene Mantel weist dieselbe Charakteristik der eng an den Seiten herabgeführten, sich schlängelnden Faltensäume auf. Hinzu treten ikonographische Details. Der

122 Siehe A n m . 10. 123 Kunze 1925. S.7, S. 14 u. Taf.30; Middeldorf 1925, S. 187f.; Scheffler 1925, S . 3 1 - 6 3 ; Dorn 1978. S. 231/232; Stadt im Wandel, Bd. 2, S. 1234/5, Nr. 1073. 124 Abgesehen von den pralleren Gesichtern der Skulpturen des Annen-Tympanons, ist ihre Faltenstruktur weicher, ihre spitzen Faltenenden sind breiter und ihr Hang, sich großflächig ineinanderzuschieben, fehlt (siehe Abb. 27). Unter der Braunschweiger Bauplastik stehen dem Grafen Walo die Skulpturen der Nordseite (Altarweihen 1316—1321; Christus mit den klugen und törichten Jungfrauen, Ecclesia und Synagoge, Apostel; im Tympanon Marientod; Abb. 65 —68) durch ihre stärker vordrängende Leiblichkeit und die Körperbiegungen näher als diejenigen der gegenüberliegenden Seite (stehende Madonna mit den hl. Drei Königen, Johannes dem Täufer, Petrus u. Paulus; alle überlebensgroß), die teils untersetzte, teils überaus schmale Gestalten mit überlangen Hälsen und wallendem Haar aufweisen (Abb. 62—69). Vgl. den Versuch einer Händescheidung und Hinweise auf Freiburger und Wormser Einflüsse bei Scheffler 1925, S. 15-63; Middeldorf 1925, S. 187/8; Meier-Steinacker 1926, S.22; Kat. Stadt im Wandel, Bd. 2, Nr. 1073. 125 Königin Mathilde gründete 961 hier ein Frauenstift, das 1220 von König Friedrich II. in ein Chorherrenstift umgewandelt wurde (vgl. A. Stolberg, Die Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Nordhausen, Nordhausen 1927, bes. S.87ff., Abb. 43 —46). Die Statuen wurden nachträglich zusammen mit der Erneuerung des Gewölbes im 1267 geweihten Chor angebracht. O . Doering (Nordhausen. Deutsche Kunstführer, Bd. 30, Augsburg 1929, S. 22ff.) datiert Ende 13. Jahrhundert mit dem kaum stichhaltigen Hinweis auf das Erfurter Gleichen-Grabmal und die Mainzer Grabplatte des Erzbischofs Siegfried. Middeldorf (1925, S. 187) setzt den Zyklus um 1320 an, mit Verweis auf die Gewölbeformen und auf die vergleichbare Haartracht und Kopftypen der Marburger Gräber. Kunze (1925, S. 14, Abb. 31) schlägt um 1320 vor und schreibt sie derselben Werkstatt zu, die am Martinstympanon am Nordportal der Stiftskirche Heiligenstadt im zweiten Viertel des 14. Jahrhundert gearbeitet hat (vgl. in: Dt. Kunstdenkmäler. Bildhandbuch. Thüringen, erl. v. F u. H. Möbius, Leipzig 1968, Abb. 143). Der von Möbius (ibd.) vermutete Zusammenhang mit den Streitigkeiten zwischen dem Stiftsklerus und der Stadt Nordhausen, die zwischen 1319 und 1326 ihren Höhepunkt fanden, weist ebenfalls in die Zeit nach 1300. Vgl. auch Bauch 1976, S. 169; Wallrath 1964, S.46; Sauerländer, in: Kat. Staufer 1979, Bd. V S.218.

Abb. 66 Ludwig I. der Kelheimer und Ludmilla, Seligenthal

59 westliche König hält das Schwert in vergleichbarer Geste wie der Walsroder Stifter mit der rechten Hand vor sich. 126 Wie am Walsroder Bildwerk wird in Nordhausen auf der Brust des mittleren Königs die Mantelschließe figürlich gestaltet — hier das Wappen, das zudem ein Schlußstein im Gewölbe abbildet. 127 Das altertümliche langärmlige Obergewand anstelle eines modischen Sürkotts tragen auch die Stifter im Zisterzienserinnen-Kloster Seligenthal, die in die Jahre um 1320 datiert werden (Abb. 66). 1 2 8 Dagegen stellt die breite Zierkette, die ebenfalls am Herzog Ludwig I. in Seligenthal und gleichförmig bei den Nordhauser Frauen erscheint, ein jüngeres modisches Detail dar. Überaus häufig tritt das Rosenschapel, das nur gelegentlich bei Stifter- und Grabfiguren des 13. Jahrhunderts vorkommt, in der Zeit um 1320/30 auf. 129 Damit wird auch für die Walsroder Stifterfigur eine Datierung um 1320 nahegelegt. Auf ihre Herkunft aus einer Werkstatt in Lüneburg deutet nicht nur die demselben Atelier zugeschriebene Reliquienbüste hin, die aus dem Schatz der Goldenen Tafel des Klosters St. Michaelis in Lüneburg stammt, sondern auch der historische Umstand, daß Heinrich, der Bruder des in Lüneburg residierenden Herzogs Otto, genannt der Strenge, von 1306 bis 1324 das Amt des Propstes im Kloster Walsrode innehatte. 130 Trotz der während seiner Amtszeit belegten Bautätigkeit in der Klosterkirche wird die Statue nicht ihn darstel-

126 Die Geste ist nicht von den Naumburger Stiftern abgeleitet, die ihr Schwert fest am Griff umfassen oder aber die Hand auf den am Schwert befindlichen Bügel legen; vgl. E. Schubert 1968, Abb. 92/94/99/102/ 103/109/110/120. Sie taucht aber zum Beispiel schon, in gelösterer Durchführung, bei der Grabfigur des Ritters von Hahn auf (Abb. 72), vgl. D. Schubert 1974, Abb. 187; S. 316ff. 127 Doering 1929, S. 23. 128 Vgl. auch die Grabfigur des Arndt von Gröpelingen (gest. 1304) in Bremen; K D M Bremen, Bd. 2,1962, S. 144; S. Fliedner, W. Kloos, Bremer Kirchen, Bremen 1961, S. 7 9 - 8 1 . Zu den Holzfiguren vom Stiftergrab des Zisterzienserinnen-Klosters Seligenthal, Ludwig I. von Bayern (Abb. 75) vgl. Kat. Wittelsbach 1980, Bd. 1,2, S. 82/3, Nr. 93. 129 Vgl. Kupferstich der ehemaligen Bronzegrabplatte Herzog Ottos von Braunschweig und Lüneburg (gest. 1330), St. Michaelis, Lüneburg (Michael 1984 S. 3 9 - 4 6 , Taf. VI); Brustbild eines Ritters, Levitensitz 2. V 14. Jh., östl. Wange, Verdener Dom (KDM Prov. Hannover V: Stade Verden Rotenburg Zeven, 1908, S. 65, Taf. VIII); hl. Alexander, Nordwand des Wienhäuser Nonnenchors (Appuhn 1986, Taf. 20); Ritter in der Schar des hl. Mauritius, Miniatur, Einband einer Chronik, Lüne Klosterbibliothek (Uhde-Stahl 1976, S.64, Abb. 2.); vgl. auch Bauch 1976, S. 120 und Abb. 97,168,191,424. Mit dem Rosenschapel verbindet sich einerseits die Sinnschicht romantisierender Verklärung des Rittertums, indem es einen Bezug zum höfischen Minnedienst herstellt (ebd., S. 110, Abb. 168; vgl. auch P. E . Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik ( M G H , Bd. 13, III), Stuttgart 1956, S. 984-986, bes. A n m . 3). Andererseits verweist es auf die aus römischen und frühchristlichen Quellen schöpfende Grabsymbolik, in der das Rosenschapel als Attribut der Seligen auftritt (LCI Rose, bes. Sp.563 u. Kranz, Sp. 558-560; Sauerländer, in: Kat. Die Staufer, Bd. 1 1977, S.359f., Nr. 476; Steigerwald 1972, S. 59; vgl. auch die Quellenhinweise bei: G. Raudszus, Die Zeichensprache der Kleidung. Untersuchungen zur Symbolik des Gewandes in der deutschen Epik des Mittelalters (Ordo. Stud. z. Lit. u. Gesellschaft d. M A . u. d. fr. Neuzeit, Bd. 1), Hildesheim/Zürich/ New York 1985, A n m . 28. Unter den erhaltenen herzoglichen Grabbildern findet sich im Diadem Mathildes im Braunschweiger Dom eine Parallele (Steigerwald 1972, S. 52). 130 Siehe S. 96.

Abb. 67/68/69 Gnadenstuhl, Isenhagen

61 len, da jeder Hinweis auf seinen geistlichen Stand — er war gleichzeitig Domherr in Minden — fehlt. Die übrigen Skulpturen der Lüneburger Frauenklöster aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts lassen sich nicht der Walsroder Stifterfigur vergleichbar verorten. Sie stehen in keinem direkten Abhängigkeitsverhältnis zu dieser Skulptur oder einem der genannten Werke aus Lüneburg, Braunschweig oder Hildesheim. Unter ihnen scheinen die Skulpturen des Gottvaters von einem Gnadenstuhl im Kloster Isenhagen und die kleinplastische Ausführung der Auferstehung Christi aus dem Kloster Ebstorf aus engeren Werkstattverbindungen zu stammen. Die auf dem Nonnenchor in Isenhagen in ihrem originalen Schrein aufgestellte Skulptur (Abb. 67/68/69) 131 stellt Gottvater auf einer Thronbank in einem goldenen Mantel mit blauem Innenfutter und einem grauen, gegürteten Untergewand vor vergoldeten Schreininnenwänden dar. Skulptur und Schrein, der auch ursprünglich keine Türen aufwies, sind in ihrer Originalfassung erhalten. 1 3 2 Die Physiognomie Gottvaters prägen der lange, drahtig gelockte Bart, auf dem wie auf dem schulterlangen, glatten Haar schwarz-graue Strähnen plastisch aufgelegt waren. 1 3 3 Die Arme der Figur, das durch den Bodenabdruck nachgewiesene Kreuz und die Taube, die die Gruppe zur Darstellung eines Gnadenstuhls ergänzten, fehlen; 1 3 4 ein Reliquiensepulcrum, wie bei dem jüngeren der beiden Bildwerke desselben Themas aus dem ZisterzienserinnenKloster Hl. Kreuz in Rostock (Abb. 70/71), 1 3 5 wurde nicht gefunden. Es liegt nahe, die Skulptur und die Altarstaffel aus Isenhagen, die sich heute in der

131 Linde, H . 6 5 ; Bd. 26,5; T . 2 1 c m ; A p p u h n (Isenhagen) 1966, S . 4 6 f . und S. 110 zu Taf. 15. Schrein: Nadelholz, H . 9 2 ; Bd. 60; T. 4 0 c m ; trotz des rot-grün gefaßten Thrones, der roten Boden- und Deckplatte und des grünen Falzes dominiert der Eindruck strahlenden Goldes. 132 Vgl. Restaurierungsbericht 1985 von Frhr. M. v. Boeselager, Klosterkammer Hannover. Überfassungen oder spätere Freilegungen sind nicht festgestellt worden. Die heutigen Gittertüren (16. Jh.) stammen vom Chorpult und wurden 1951 am Schrein montiert. Anzeichen älterer Befestigungen wie Schleifspuren am Falz fanden sich nicht (ebd., S. 3; vgl. dagegen A p p u h n 1966, S. 46f. u. S. 110 zu Taf. 15). 133 Diese Auffassung als Greis tritt seit dem 13. Jh. neben die jugendliche Gestalt Gottvaters. Z u den verschiedenen Gestaltungen Gottvaters, Pearman 1974, S. 41 ff. 134 Die Taube wird am oberen Kreuzbalken befestigt gewesen sein; zur Begriffsfindung der Übersetzung Luthers von propitiatorium (2. Mose 25,17) (Sühnedeckel=Deckel der Bundeslade) und „thronum gratiae" (Hebr. 4,16) an verschiedenen Stellen des A T u. N T mit Gnadenstuhl und die inschriftlich erst seit Luther auf diesen ikonographischen Typus bezogene Bezeichnung, z. B. einem zerstörten Dogmenbildrelief Peter Dell d. Ä . von 1548, vgl. W. Braunfels, Die Heilige Dreifaltigkeit, Düsseldorf 1954, passim; G . N e u m a n n , Die Ikonographie des Gnadenstuhls, Diss. Berlin 1952 (MS), S. 12ff.; S. J. Pearman, T h e iconographic development of the cruciform throne of grace from the twelfth to the sixteenth Century, Diss. Case Western Reserve University 1974, S . 4 9 f . 135 Eiche, H . 3 0 , 6 c m , Niederdt., um 1300, vgl. Kat. Schwerin 1983, Nr. 145; N u ß b a u m , H . 3 0 c m , um 1320, vgl. Kat. Schwerin 1983, Nr. 111. Z u den Bildwerken demnächst ausführlicher in ihrer Dissertation K. Hegner, Kleinbildwerke des Mittelalters in den Frauenklöstern des Bistums Schwerin, vornehmlich im Zisterzienserinnen-Kloster zum Hl. Kreuz in Rostock und im Klarissenkloster Ribnitz.

Abb. 72 Isenhagener Altarstaffel, Nieders. Landesgalerie Hannover: Detail

63 Niedersächsischen Landesgalerie in Hannover befindet (Abb. 72), 1 3 6 in Zusammenhang mit dem Umzug des Konvents im Jahr 1327 nach Hankensbüttel zu setzen und als Neuaustattung des dortigen Nonnenchores anzusehen. 137 Gnadenstuhldarstellungen, die im 12. Jahrhundert hauptsächlich als Illuminierung zum Text des Meßkanons vorkommen und eine Aufstellung auf dem Hochaltar oder dem Altar des Nonnenchores nahelegen würden, sind indessen zur Zeit der Entstehung der Holzgruppe auch außerhalb dieses Kontextes in der Bauplastik, an Grabmälern, Elfenbeinen und in anderen Medien überaus verbreitet. 138 Die Skulptur kann daher als Andachtsbild an mehreren Orten des Klosters aufgestellt gewesen sein. 139 Der schmale Körperbau, die längliche, hagere Kopfform und die Haarbehandlung der Isenhagener Skulptur zeigt ebenso die Ebstorfer Auferstehungsgruppe (Abb. 73/ 74), die nicht ausgestellt ist. 140 Christus steigt in aktionsbetonter Körperbewegung aus

136 M. Wolfson, Kat. Gemälde 1992, Nr. 48. 137 1243 in Alt-Isenhagen als Zisterzienser Kloster von Herzogin Agnes gegründet, 1259, nach Abwanderung der Mönche nach Marienrode in Zisterzienserinnen-Kloster umgewandelt; 1327 Verlegung nach Hankensbüttel (vgl. UB Isenhagen, Nr. 126); 1346 Verlegung an den heutigen Ort (vor Hankensbüttel) (UB Isenhagen, Nr. 218: Bewilligung der Verlegung durch Bischof Erich zu Hildesheim; vgl. Mithoff 1875, Bd.4, 1875, S. 103ff.; Appuhn 1966, S. 11 ff.; ders. 1981, S.2ff. 138 Neumann 1952, passim; Pearmann 1974, bes. S. 40. Die steigende Popularität des Gnadenstuhls vom 13. bis 16. Jahrhundert scheint mit der Einführung des Trinitatisfests, der Pest, in deren Bezug das Bild häufig auftritt, und der Diskussion um die Filioque-Doktrin zusammenzuhängen (zuletzt Pearman 1974, S. 83ff.,91 ff., 101 ff.). Die Datierung der Skulptur weist in die Zeit der Einführung des Trinitatisfests im Jahr 1334 durch Papst Johannes XX. Die Zisterzienser haben das Hochamt zu Ehren der Trinität jedoch schon 1271 eingeführt (ebd., S.86). Im Gegensatz zu Lüne, woher aus derselben Zeit eine Altardecke (Kroos 1970, S.75f, Kat. Nr. 92, Abb. 231/233) und das verschollene Altarretabel, vermutlich vom Hochaltar, überliefert werden — es gilt als frühestes Beispiel eines von Passionsszenen umgebenen Gnadenstuhls (Neumann 1952, S.35f.) - ist in Isenhagen kein Patrozinium der Trinität überliefert (Appuhn 1966, S. 34). In Lüne bestand ein 1157 neben Jacobus, Hl. Kreuz, Maria, Michael etc. genanntes Patrozinium in der alten Jacobi-Kapelle, die bis zur Verlegung von 1372 an den heutigen Ort als Klosterkirche diente (Reinhardt, in: Germ. Bened., Bd. XI, 1984, S. 377). 139 Appuhn begründet seine Vermutung, der Altar auf dem Nonnenchor sei ursprünglich Trinitas geweiht gewesen, mit der Gnadenstuhldarstellung im Gesprenge des Marienaltars (um 1515) (ders. 1966, S.41, u. Taf. 11). Das Patrozinium überliefern keine Quellen. Die These schränkt weiter ein, daß Maria häufig mit dem Gnadenstuhl assoziiert wird (vgl. Neumann 1952, S.32f.; Pearman 1974, S.61ff.), wie im wenige Jahre nach dem Isenhagener Altar geschaffenen Marienaltar des Wienhäuser Nonnenchores (Appuhn 1986, Taf. 27, S.54ff.). Um die Maße des Mensagestells auf dem Nonnenchor als Ausgangspunkt für die Rekonstruktion eines älteren Aufbaus zu nehmen (ebd., S.45f.), müßte das Alter des Gestells zunächst sichergestellt werden. Ob der hinter dem Chorgestühl gefundene Einblattholzschnitt eines Gnadenstuhls (1. H. 15. Jh., Papier 11,4 x 11cm, niederdt., vgl. Appuhn 1966, Taf. 14) Appuhns These stützt, bleibt fraglich. Heusinger (ebd., S.9), der die Entstehung des Urbilds um 1400 vermutet, verwies auf einen entsprechenden Einblattholzschnitt vom Meister des Buxheimer Christophorus von 1431; von einer Reproduktion der Skulptur, die ehemals auf dem Altar gestanden habe, wird man demnach kaum sprechen können (ebd., S.47). 140 Eiche; H.34cm; Abb. 138-140; die Bohrung der Grabrückseite, dessen perspektivische Verkürzung und die auffallend flache Anlage deuten auf eine architektonische Rahmung hin. Wie bei der Auferste-

Abb. 73/74 Auferstehungschristus, Ebstorf

65 dem Sarkophag, an dessen Vorderwand die Wächter lagern. 141 In der RenaissanceFassung 142 legt im weißen Untergewand ein Schlitz die nur leicht gerötete Brustwunde und das Inkarnat des Oberkörpers frei. Auffallend ist die exaltierte, durch die Gewandführung gesteigerte Bewegung. Das rote Pallium, das über der Brust eine runde Mantelschließe zusammenhält, fällt über den linken Arm in breiter Faltenkaskade, schlingt sich eng um den Körper und läuft vor der Sarkophagwand in einem flatternden Gewandzipfel aus. Das Formenvokabular dieser wie der Isenhagener Skulptur tritt nicht nur in einigen Miniaturen der Klöster auf, die mit Hinweis auf den Codex Gisle, bereits um 1300 bis 1310 datiert werden. 1 4 3 Es kommt auch in der Glasmalerei im oberen südlichen Kreuzgangflügel in Wienhausen vor, in der mehrere Werkstätten unterschieden werden. D a offensichtlich die Werke aufeinander Bezug nehmen, darunter auch die Isenhagener Predella, ist auf lüneburgische Werkstätten geschlossen

hungsgruppe aus dem Hl. Kreuz Kloster in Rostock (A. 15. Jh.; H.31,2; B d . 2 5 , 4 c m : Abb.72/72a) dürfte es sich um ein Bildwerk zur Privatandacht gehandelt haben. Die vollrund gearbeitete Figur des stehenden Christus ist wie die Wächter und der noch vorhandene Engel auf dem perspektivisch nicht verkürzten Sarkophag aufgesteckt. Nur einer der Wächter, die um den Sarkophag herumlagern, ist erhalten. Die Bildkonzeption findet ihre Entsprechung auf dem sog. Wichmannsburger Antependium des zweiten Drittels des 15. Jahrhunderts; vgl. Kat. Schwerin 1983, S.20, Nr. 146; KDM Mecklenburg, Bd. 1, 1896, S.231, Nr. 35; Datierung und die überzeugende Zuweisung an die Werkstatt Henning Leptzows in Wismar, Hegner, wie Anm. 135. Appuhn (1961, S. 231, Anm. 252) hält sie für eine in der Osterliturgie verwendete Auferstehungsfigur. Die gesamte Verwendung der kleinplastischen Bildwerke, deren Themen sich auf die Osterzeit beziehen (neben dem Rostocker Beispiel auch das Hl. Grab, 62,5 x 25,4 x 31 cm, Badisches Landesmuseum, Karlsruhe, um 1350, aus dem Zisterzienserinnen Kloster Lichtental, vgl. Jezler 1982, S.35ff.; G. Schiller, Ikonographie der christl. Kunst, B d . I I , 1968, Abb. 642 und S. 591) und dem ebenfalls aus Lichtental stammenden 50cm langen Grabchristus (Hengevoss 1985, S. 51 f.) werden eher im Bereich der privaten Andacht liegen (vgl. dazu auch Jezler, ibd.). 141 G r a b und Skulpturen aus einem Holzstück geschnitzt; Sockel, und Profilbretter angesetzt; Zapflöcher der ehemaligen Rahmung auf dem Sarkophag und in den vorderen Ecken des Sockelbretts. Für die Anbringung von Engeln, wie Brücker (1979, S. 1) annimmt, erscheint die Anlage zu flach und klein; vgl. Auferstehungsrelief (H. 57cm), Cismarer Altar, um 1310/20 (Abb. 140a); Wentzel 1938, Kat. Nr. 7; vgl. auch B. Löffler-Dreyer, Voruntersuchung am Cismarer Altar, in: Z . f. Kunsttechnologie u. Konservierung 1987, H. 1, S. llOff. 142 Appuhn 1961, Anm. 252; sie wird im technischen Bericht U. Brückers vom 10. 11. 1979 und 12. 3. 1982 (Restaurierungswerkstatt, Klosterkammer Hannover) nicht datiert. Originalfassung: Mantel Christi Mennige mit Vergoldung, Mantelfutter Mennigerot mit Grüngelb, Untergewand helleres Weiß, Wunde helleres Rot, Inkarnat grau-rosa, Haar (das zu der letzten Fassung gehörende Gelb wurde abgenommen) schwarz, Sarg dunkles Grün mit kleinteiligem floralem Muster, Sarginneres schwarz, Rüstung der Soldaten grau-schwarz (wahrscheinlich Silber), Haare Gold, Sockel Mennige mit Zinnoberrot und Silber (Brücker 1982, S . l f . ) . 143 Verkündigung, hl. Mauritius, Einband einer Chronik aus Ebstorf, Klosterbibliothek Lüne (o. Sign.); Auferstehung Christi, Fragment, Klosterbibliothek Ebstorf (Ze), vgl. B. Uhde-Stahl, Drei Miniaturen aus den ehemaligen Klöstern Lüne und Ebstorf, in: Niederdt. Beiträge zur Kunstgeschichte, 15, 1976, S.63—70; zum Codex Gisle, Dombibliothek Osnabrück, R. Kroos, in: Niederdt. Beiträge zur Kunstgeschichte, Bd. 18, 1973, S. 117-134.

Abb. 75 Kruzifixus, Wienhausen

67 worden. 144 Es ist auffallend, wie die plastischen Bildwerke in der bewegten Linienführung der Gewänder und den Kopftypen — dem Ausdruck momentaner Mimik , 1 4 5 den eingefallenen Wangen und der Frisurenform — der Malerei der Isenhagener Predella nahestehen. Appuhn ordnete auch den nur schlecht erhaltenen Kruzifixus (Abb. 75), 1 4 6 der sich heute im Kapitelsaal des Klosters Wienhausen befindet, in die Nähe des Isenhagener Gnadenstuhls, wobei er auf den Faltenstil des Lendentuchs verwies. 147 Die Körperproportionen, die weichere Kopf- und Gesichtsbildung lassen jedoch auf keine Werkstattzusammenhänge schließen. Die tropfenden Faltenkaskaden an den Enden des Lendentuchs haben eine Parallele im Schleier der Ebstorfer Madonna und weisen den Corpus zusammen mit diesem Bildwerk eher der Jahrhundertmitte zu. Die in ihrer Originalfassung freigelegte Madonna (Abb. 76/77), 148 steht heute außerhalb ihres Schreins in einer Nische der Westwand des Ebstorfer Nonnenchors. 149 Ältere Standorte sind bis auf eine museale Aufstellung im Refektorium nicht nachgewiesen. 150

144 U.-D. Korn, Die Glasmalereien, Kloster Wienhausen V 1975, bes. S.42; Wolfson, Kat. Gemälde 1992, Nr. 48. 145 A. Stange, Deutsche Malerei der Gotik, Bd. I, München/Berlin 1934, S. 102f. 146 Linde; H . 105 cm; am Corpus nurmehr Fassungsreste, die nicht näher untersucht worden sind; Kreuzesbalken und A r m e fehlen; Seiten und Fußspitzen stark angegriffen; der Kopf, an dem an der linken Schläfe und am Bart künstliches Haar aufgenagelt war, abgebrochen und mit Holzschrauben wieder befestigt; ursprüngliche Aufstellung unbekannt. In den Quellen wird 1531 eine Hl. Kreuzkapelle erwähnt, die sich im Ostflügel an der Stelle des Kapitelsaals befand, sowie 1345 ein Hl. Kreuz im Dormitorium. Siehe Anm. 354; vgl. auch Appuhn 1986, S. 23 u. S. 26f. 147 Dagegen André 1967, S. 612 um 1300\ Appuhn 1955, S. 53 A. 14. Jh. ; ders. 1986, S. 23; O. v. Boehn, Die mittelalterlichen Kruzifixe des Stadt- und Landkreises Celle, in: Heimatkalender f. Stadt u. Land Celle 1931, S. 3 9 , 1 . D. 15. Jh. , vgl. auch KDM Niedersachsen, Bd. 34: Celle 1970, S. 124f., 3d. 148 Linde; H. 113; Bd. 34,5; T. 32cm; drei Fassungsschichten; Originalfassung, soweit vorhanden, freigelegt (Restaurierungsbericht vom 3.11.1979, U. Brücker, Klosterkammer Hannover). Maria, Fassung I (jüngste): Mantel graue Ölfarbe; II: Mantel violette Temperafarbe; III (freigelegte Originalfassung, zweischichtig): Mantelfutter rosa auf Mennege; nur Gesicht und Hals geringe Reste der Originalfassung. Christuskind, Fassung I: graugrünes Gewand ohne Bordüre, dunkles Inkarnat; II: hellrosa Inkarnat, keine Neufassung des Gewandes; III: grünes Gewand, rosa, nur am Hals erhaltenes Inkarnat (vgl. ebd., S. 2). Retouchen: Blick Mariens, Fehlstellen im Blau des Mantels und dem roten Untergewand, Gesicht Christi in der Zweitfassung (ebd. S.3); Ergänzungen an der Faltenkaskade des Schleiers, am Thron, insbesondere dem Thronkissen und am Sockel (ebd., S. 2). 149 Der Schrein, eine einfache kastenartige Konstruktion mit braunem Anstrich und ohne Türen, ist nicht ausgestellt. Die geringe Tiefe der Skulptur und die weiträumige Öffnung der Rückseite zeigen, daß das Bildwerk zur Benutzung im Schreinkasten konzipiert ist. 150 In den Inventarien von 1744—1805 (Klosterarchiv, Akten der Registratur, Nr. 10) nicht erwähnt; Gebhardi (Collectaneen, Bd. 1, 1762, S. 477/8) nennt ohne nähere Kennzeichnung eine Madonnenfigur (In der Kirche stand ehedem eben dieser Mann, nebst Maria und einem geharnischten Heiligen... ). Es könnten damit auch die thronende Madonna (um 1230, vgl. K. Niehr, Die mitteldeutsche Skulptur der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, Artefact Bd. 3, Weinheim 1992, Kat. Nr. 25), die thronende Madonna mit Lilie und Traube (A. 15. Jh.) und das 1492 von Priorin Mette von Niendorf gestiftete

Abb. 76/77 Thronende Madonna, Ebstorf

69 Die durch ihren auffallend gewölbten Leib und langen Oberkörper eher unförmig wirkende Madonna sitzt in gerader Haltung und mit leicht gesenktem Kopf auf einer Thronbank. Im Kontrast dazu wirkt das schmale, frontal auf ihrem linken Bein sitzende und sich mit beiden Füßen auf ihrem Knie abstützende Kind überaus zart. 1 5 1 Diesen Eindruck unterstützt die Geste, mit der Maria die linke Körperseite und den dünnen Arm des Kindes umfaßt. Der schwerfällig wirkenden Madonnengestalt verleihen die reichen Faltenkaskaden am Schleier und der locker über die Knie gezogene, zahlreiche Querfalten bildende Schultermantel einen fließenden, weichen Zug. Dies wie die langen dünngedrehten Haarlocken, die zugespitzten, aber flüssigeren Schüsselfalten an den Seiten und zwischen den Knien sowie der schleifende Stoff auf dem Sockel weisen auf eine Datierung des provinziellen Bildwerks gegen die Jahrhundertmitte hin. 1 5 2 Die unter den Madonnen der Umgebung vereinzelt dastehende Skulptur erscheint durch die an den Sedes-Sapientiae-Typ anknüpfende Komposition und die geraden Faltenstege im Beinbereich auffallend retrospektiv. Gestik und Gewandwicklung greifen den Madonnentyp vom Nordportal des Mindener Doms auf. 1 53

Gnadenbild der Madonna auf der Mondsichel (heute Schiankenwert, Sudetenland) gemeint sein. Als einziger Marienaltar wird anläßlich seiner Stiftung im Jahr 1296 durch Propst Albert derjenige unter dem Nonnenchor belegt; vgl. U B Ebstorf 1985, Nr. 64. 151 Zu ihm ist ein nicht ausgestelltes Ornat erhalten. 152 Wentzel (1947, S. 88, A n m . 55) datiert mit Hinweis auf die streng frontale Haltung der Thronenden um 1300; D e h i o Niedersachsen 1977, S. 285: wohl um 1300-, Brücker 1979, S. 1: 1. V 14. Jh.; die parallelen Ziehfalten, die Faltenkaskade am Schleier und die weichere und dünnere Stoffauffassung lassen sie jünger als den Wienhäuser Grabchristus, den Isenhagener Gnadenstuhl und die Walsroder Stifterfigur erscheinen. 153 Vgl. Klack-Eitzen 1985, S. 20/21, Taf. 10.

II. Die sogenannten Rolandsfiguren

Die Stifter- und Klosterpatronfiguren von Wienhausen, Walsrode und Ebstorf werden seit Wentzel als Rolande der Frauenklöster bezeichnet, die für deren Rechte und Freiheiten gestanden hätten. 1 Zu dieser Funktionszuweisung hatte kein konkreter historischer Hintergrund geführt, wie territorialpolitische Auseinandersetzungen, in welche die Klöster verwickelt waren und in denen Gründungsvereinbarungen eine Rolle spielten. Anscheinend regten Wentzel die Diskussionen um die Braunschweiger Herzogsstatue (Abb. 7), für die wenige Jahre zuvor die Rolands-These erhoben worden war, zu dieser Titulierung an. 2 Auf das Kirchenmodell und das geschulterte Schwert als Hoheits- und Rechtsgestus verweisend, führte er die Grabfigur des Grafen Ludolf in Gandersheim (Abb. 32) als Bindeglied der Stifterfiguren zu den Rolanden an. Daneben waren für die Argumentation die Naumburger Stifterstatuen maßgeblich, für deren Aufstellung bis heute tatsächlich der juridische Gesichtspunkt unwiderlegt geblieben ist. 3 Diese weithin als Vorbilder wirkenden Skulpturen hätten in formaler

1 Wentzel 1947, S.77ff.; Appuhn 1955, S.9; überarbeit. Neuaufl. 1986, S . 9 f . ; ders. 1961, S. 135. 2 Die Hauptargumente der Roland-These (vgl. T. Schmidt-Reindahl, Ein Roland im Dom zu Braunschweig, in: Braunschweigische Heimat, 1941, 32. Jg., H. 1, S.30; W. Scheffler, Ein Roland im Dom zu Braunschweig, in: ebd., 1941, 32. Jg., H. 2, S.58 - 6 0 ; T. Schmidt-Reindahl, Nochmals der Roland im Dom zu Braunschweig, in: ebd., 1943, 34. Jg., H. 1, S.37/8; C. Römer, Der Braunschweiger Löwe. Weifisches Wappentier und Denkmal (Veröff. d. Braunschw. Landesmus. 32), Braunschweig 1982, S . 9 u. S.32) sind das geschulterte Schwert und eine 1658 erwähnte, kaum näher beschriebene Narrenfigur. (Gegenüber steht er (Heinrich d. L.) ... ganz jung ohne Bart, mit einem Schild, darunter ein Männlein so weint, welches nach Aussage des alten Opfermanns Andres von 84 Jahren sein Narr soll gewesen sein., zit. nach Scheffler 1941, S. 58) Scheffler deutete die Figur als Eulenspiegel. Wie das gezogene Schwert bei Stifter- und Grabfiguren vorkommt (vgl. auch Scheffler 1941, S. 58ff.), so auch Figuren, die bei diesen am Sockel bzw. der Konsole angebracht sind; vgl. z. B. die Konsolen unter den Stiftern in Nordhausen (Abb. 71). 3 W. Sauerländer, Die Naumburger Stifterfiguren. Rückblick und Fragen, in: Kat. Die Staufer, 1979, Bd. 5, S. 169-245; ders./J. Wollasch, Stiftergedenken und Stifterfiguren in Naumburg, in: Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter (Münstersche Mittelalter-Schriften, Bd. 48), Münster 1984, S. 354-383. E. Schubert, Zur Naumburg-Forschung der letzten Jahrzehnte, in: Wiener Jb. f. Kunstgesch., Bd.35, 1982, S. 121 — 138; ders.. Drei Grabmäler des Thüringer Landgrafenhauses aus dem Kloster Reinhardsbrunn, in: Skulptur des Mittelalters. Funktion und Gestalt, hg. v. E Möbius/E. Schubert, Weimar 1987, S. 211-242.

72 und funktionaler Hinsicht zu einer Vermischung von Grabstein- und Stiftertypus geführt. Sie seien ausschlaggebend für zahlreiche weitere Neuerrichtungen von Grabanlagen und Stifterfiguren im heutigen niedersächsischen Gebiet gewesen. 4 Zunächst wird deshalb der Frage nach der Wirkung der Naumburger Stifterfiguren nachzugehen sein. Vor allem die Wienhäuser Stifterstatue ist in ein direktes Abhängigkeitsverhältnis zu diesen Skulpturen gestellt worden. Um die Vielschichtigkeit des gesamten Problems der Naumburg-Nachfolge zu skizzieren, soll ihr Fall weitgehend in den Mittelpunkt gestellt und exemplarisch entwickelt werden. In einem weiteren Schritt werden die Rechte und Freiheiten der Klöster Wienhausen, Walsrode und Ebstorf untersucht und im Zusammenhang mit der Aufstellung der Patronsfiguren diskutiert. Vor dem Hintergrund der im letzten Kapitel entwickelten Chronologie der Skulpturen und den in dieser Zeit tatsächlich auftretenden spezifischen Problemen, zu denen die Organisations- und Verwaltungsformen der weiblichen Ordenszweige führten, kommt der Rolands-These in unserem Zusammenhang eine neue Relevanz zu. Zwei eigene, thematisch hier eingebundene Kapitel gehen der Rezeption und Assimilation der Bildthemen in ihrem spezifischen Kontext der Frauenklöster nach. Die Beibehaltung des Roland-Begriffs im Titel dieses Kapitels, der in Anbetracht fehlender schlagender Beispiele grundsätzlich für Skulpturen des 13. Jahrhunderts eher fragwürdig erscheinen kann, unterstreicht die Richtung der Untersuchung. 5

Das Problem der Naumburg-Nachfolge Die Auswirkung der in ihrer Wirklichkeitsnähe im 13. Jahrhundert kaum je erreichten Naumburger Stifterfiguren ist bis auf verstreute Bemerkungen in Einzelstudien und in der unveröffentlichten Diplomarbeit Gleisbergs nicht umfassender erforscht worden. 6

4 Siehe dazu im folgenden. 5 A . D . Gathen (Rolande als Rechtssymbole. Der archälogische Bestand und seine rechtshistorische Deutung, Berlin 1960, Neue Kölner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, H. 14) zweifelt grundsätzlich an der Existenz von Rolandsfiguren im 13. Jahrhundert. Nur zwei Skulpturen sind aus dieser Zeit überliefert, für die die Rolandsdeutung in Frage kommt, diejenige aus Halle, eine durch die Kopie von 1719 auf das zweite Viertel des 13. Jahrhunderts datierte Skulptur — von Gathen als Leibzeichen des Burggrafen Burckhard VI. von Querfurt gedeutet

und als zweite die Herzogsfigur im Braunschweiger D o m , die in

dieser Identifizierung mehrfach abgelehnt und als Stifterfigur gedeutet wird (siehe A n m . X X ) . Ohne speziell auf Gathen oder die Braunschweiger Figur einzugehen, vertrat neuerdings wieder die Theorie einer langen Tradition der Aufstellung von Rolandsstatuen H. Rempel ( D i e Rolandstatuen. Herkunft und Geschichtliche Wandlung, Darmstadt 1989). Vgl. auch H. Appuhn, Reinold, der Roland von Dortmund. Ein kunstgeschichtlicher Versuch über die Entstehung der Rolande, in: Fs. H. Wentzel, Berlin 1975, S. 1 ff.; Nordharzer Jb., Bd. 11, 1986; G. Suckale-Redlefsen, Mauritius: Der heilige Mohr/The Black Saint Maurice, Menil Foundation, Houston/München/Zürich 1987, S. 142. 6 Gleisberg 1959. Vgl. v. a. Buchner 1902, S. 15ff; Middeldorf 1925, S . 3 1 f f . ; Scheffler 1925, S. 11; Behrens

73 Unter den Lüneburger Stifter- und Klosterpatronsfiguren wird seit der Freilegung ihrer Farbfassung vor allem die Skulptur der Wienhäuser Stifterin zur NaumburgNachfolge gerechnet. Hatte sie noch Weigert 7 in ihrer steingrauen Überfassung als Werk „von trostloser Leerheit" beurteilt, dem als Repräsentant der von ihm postulierten „starren Stilstufe" der deutschen Plastik im dritten Viertel des 13. Jahrhunderts nur deshalb Bedeutung zukomme, weil selbst führende Werke dieser Zeit ohne Leben seien, beurteilte sie André nach ihrer Restaurierung als, trotz monumentaler Wirkung verblüffend lebendig durch die wieder freigelegte Originalfassung, dem Kreis der Bildwerke in Naumburg und Meißen noch nahestehend.8 Ebenso deuteten Habicht 9 , Appuhn 1 0 und Sauerländer 11 - anders als Weigert 12 und Maier 1 3 — die Figur nicht als Grabskulptur, sondern als Standbild und Vertreterin jenes Statuentypus der Fundatores, deren berühmtesten Vertreter die Naumburger und Meißner Stifterfiguren sind. An ihren schriftlich nachgewiesenen nachmittelalterlichen Aufstellungsorten erfüllte die Wienhäuser Stifterfigur die Funktion dieses Bildtyps: Im Sommerremter und neben dem Eingang zum Nonnenchor 1 4 konnte das liturgische Gedenken und das Gebet für die Tote auf sie bezogen werden, sie erinnerte an die von ihr verliehenen Wohltaten und Privilegien 15 , darüber hinaus aber sollte sie wohl an diesen zentralen Stellen des Klausurbereichs für die zu beobachtende Disziplin wirksam werden. Auf ähnliche Weise verbindet auch das im Wienhäuser Liederbuch überlieferte Gelübde den Gedanken von Klosterstiftung und Gehorsam. 1 6 Ursprünglich handelte es sich bei der Skulptur jedoch zweifellos um eine Tumbenfigur, die das in den Quellen des 16. Jahrhunderts erwähnte Grab der Stifterin in der Klosterkiche bedeckte. 1 7 Der unbehauene Steinrest an ihrem Hinterkopf (Abb. 2), der

1951, S.253; Bauch 1972, S . 2 2 5 f f . , bes. S . 2 2 7 u. A n m . 13.; ders. 1976, S. 168/9; Gloede 1960, S . 9 1 ; Fründt 1969, S. 8; Sauerländer, in: Kat. Staufer, Bd. V 1977, S. 218. 7 Weigert 1927, S. 18. 8 Reclams Kunstführer, Bd. 5, 1971, S.611/12. 9 Habicht 1917, S. 77. 10 Appuhn 1955, S.42/3; Appuhn 1986, S.9/10. 11 Sauerländer in: Kat. Staufer, B d . Y 1979, S.218; ders./Wollasch 1984, S . 3 7 8 . 12 Weigert 1927, S. 18. 13 K D M Niedersachsen, Bd. 34, 1970: Landkreis Celle, S. 128; Maier 1981, S. 12. 14 Vgl. Anm. 21 und 22. 15 Ebd., S. 378; vgl. dazu auch Wallrath 1964, S. 4 5 - 5 8 ; Wischermann 1980; Reinle 1984. 16 Ut Jesus Christus dominus/laudeturhoris observantiam! hosamme

virtutisque

omnibus,

constantiam

! sind alle kloster sticht, concordes foedere.

— sind from

leven, / to Winhußen lifsele gevent...

und anders nicht, / ergo kyrie.

Sedhaecper

We wilt in

rechtem

Das Wienhäuser Liederbuch, ed. P. Alpers, in: Niederdt.

Jb., Bd. 69/70, 1943/47, Nr. 39; derselbe Text auch in Kloster Wöltingerode, ebd., S. 28f. 17 Der genaue Ort läßt sich daraus nicht sicher erschließen. Isenhagener Urkunde von 1540 ( U B Isenhagen, S. 676): ... in der Kirchen doselbsfur

der Taufe in einem Messings sarcke, welches in Eisern Ketten

hanget.

1595 dazu der Isenhagener Chronist Eggeling (Kurtze Summarische Erzelung . . . 1721, S.43/4):

Agnes

daselbst

Ketten

vor der

Taufe begraben

und soll

in einem

Messingsarg

liegen,

welches

in eisern

74

Abb. 78 Konstanze von Arles, St. Denis

75 nur als Relikt eines ehemaligen Kopfkissens verständlich wird und ganz im Gegensatz zur flachen Rückseite im Bereich des Unterkörpers steht, und die Eingriffe in die Faltenkonzeption der Seiten weisen unmißverständlich auf diesen Figuren-Typus hin. Die als Gegenargument angeführte gerade Plinthe 18 stellt sich wie das Standmotiv als charakteristisches Element in der Grabplastik aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts dar: Dasselbe Schrittmotiv und die ebene Standfläche treten mit derselben Wirkung zum Beispiel bei den Grabfiguren der Konstanze von Arles in St. Denis (Abb. 78), Plektrudis in St. Maria im Kapitol in Köln (Abb. 93) und Hedwig von Meißen (Abb. 19) in Altzella auf. Die Wienhäuser Skulptur ist nur ein Beispiel jener Reihe von freistehenden Stifterstandbildern, die unter Naumburger Einwirkung im mitteldeutschen Gebiet entstanden sein sollen, sonst jedoch weder dort noch anderswo aufträten. 19 Unbeachtet blieb dabei, daß die meisten der hierzu gerechneten Beispiele nicht als freistehende Skulptu-

hänget, wovon in solchem Kloster (Wienhausen!) nachverzeichnete lateinische Schrift zu finden ist. Anno Domini 1266 Deo dilecta Agnes Illustris Duxissa fidelissima Monasterii Weinhausen Fundatrix senex & plena dierum fere circiter 80 Annos vitam suam ecclesaticis Sacramentis devote perceptis animam suam Creatori suo feliciter reddidit. Intradenbuch der Pfarre Wienhausen (VI 22, S.54) Von Begräbnissen (Anno 1636): ... in der Kirche unter dem Tauffstein lieget die Fundatrix dieses Closters begraben, ihr Sarg hanget an Ketten, stehet nicht an der Erde. Mit der Marginalie: Man hat by dem Kirchenbau 170 (3 danach gegraben? Die Stelle ist überklebt und kaum leserlich, Anm. d. Verf.), daßelbe aber nicht gefunden. Zwei Veränderungen des Taufbereichs sind überliefert: im Jahr 1471 Erneuerung des Taufsteins und dessen Zerstörung im Jahr 1531 (Chronik, S. 63/64). Aus rituellen Gründen lagen Taufen in der Nähe des Einganges, der sich in Wienhausen spätestens seit der Errichtung der Nonnenkirche und der Erweiterung des südlichen Seitenschiffs an der Südseite befand. Eine Weststellung war seit der Reformation nicht mehr zwingend (vgl. u . a . Teuchert 1986, bes. S.65). Es liegt daher nahe, das G r a b an der Stelle zu suchen, wo sich die Stiftergrablegen üblicherweise befanden, vor dem Hochaltar oder inmitten der Kirche, wie auch in den Zisterzienserinnenklöstern Bersenbrück (Hoene, Bersenbrück 1977, S. 109) oder Neuwerk in Goslar. Die Lokalisierung Appuhns (1955, S. 8 u. 43) im Westen ist durch seinen Hinweis auf Wöltingerode nicht abgesichert, da hier die Grablege der Grafen von Wöltingerode-Wohldenberg unter der Nonnenempore nur vermutet wird (vgl. KDM Hannover II, Landkreis Goslar, 1937, S. 271-285). Als Parallele bietet sich eher Fröndenberg an, wobei hier für die Lage der Stiftergräber auch der Hl. Kreuzaltar unter der Nonnenempore ausschlaggebend gewesen sein kann (vgl. J. Luckhardt 1982, S. 459-472). Die Grüfte unter den Nonnenemporen in Isenhagen, Wienhausen und Ebstorf, weisen auf keine mittelalterliche Entstehungszeit hin, wobei bei letzterem die Anlage im Jahr 1670 durch Äbtissin Barbara von Wittorf belegt ist (Klosterführer 1934, S. 16/17). Zum Thema Krypten unter Nonnenchören, vgl. Coester, in: Die Cistercienser 1986, S.385. 18 Appuhn 1986, A n m . 6, S. 66. 19 Bauch 1976, S. 169. Als Beispiele führt er (ebd., Anm. 362.) ausser der Wienhäuser als Stifterstatuen auf: Alburgis und Hildeswid (Stiftskirche Heiningen), Markgraf Heinrich IV von Solms (Stiftskirche Altenberg a. d. Lahn), Helmburgis (Stiftskirche Fischbeck), Markgraf Dietrich von Wettin, genannt Diezmann (Universitätskirche Leipzig), den Chorstatuenzyklus in der Stiftskirche Hl. Kreuz Nordhausen, Herzog Otto den Milden von Braunschweig und Herzogin Agnes (St. Blasius Braunschweig). D. Schubert (1974, S. 71 f.) führt weiter Dietrich den Weisen von Landsberg (Klarenkirche Weißenfels) und König Dagobert (Peterskloster Erfurt) an. Hinzu kommen: Herzogsstatue (St. Blasius Braunschweig), Graf Walo (Klosterkirche Walsrode), die vier Grafen von Regenstein (St. Bartholomäus Blankenburg). Vgl. auch die

Abb. 79 Helmburgis, Fischbeck

Abb. 80 Grabstein eines Ritters, Wennigsen

77 ren gearbeitet sind, womit in jedem Fall zu klären wäre, ob es sich nicht um ehemalige Grabfiguren handelt. Überaus üblich scheint es nämlich gewesen zu sein, Skulpturen von ihren Grabplatten zu entfernen und aufzurichten, wie, um nur zwei Beispiele zu nennen, den Ritter in Hohenviecheln 20 oder der ausführlich untersuchte Fall der an der Brüstung der Nonnenempore in der Afra-Kapelle angebrachten Stifterfiguren des Zisterzienserinnenklosters Seligenthal (Abb. 66). 21 So ist zum Beispiel auch die in der Reihe der Stifterfiguren angeführte Helmburgis in Fischbeck, die auf einer Konsole an der Chorwand der Stiftskirche steht, tatsächlich 1903 auf einer noch im Kloster vorhandenen Holzplatte gefunden worden (Abb. 79). 22 Die Figur und diese Unterlage, die eine Vertiefung mit dreibogigem Abschluß aufweist, entsprechen einem, noch um 1300 üblichen, romanischen Typus, wie der auf dem Klosterfriedhof in Wennigsen gefundene Grabstein eines Ritters zeigt (Abb. 80). 23

Aufstellung der Stifterdenkmäler von Gleisberg (1959, Anhang), in der einige der oben genannten Skulpturen fehlen. 20 Schlie berichtet im Inventar von der Umarbeitung des in einem Kirchenprotokoll von 1648 als Fundator der Kirche von Hohenviecheln bezeichneten Rittergrabsteins und erwähnt insbesondere die Entfernung des Kissens bei einer Renovierung (Abb. bei Wentzel 1938, Taf. 60, Abb. 23; Schönrock 1952, S. 152, Anm. 4). 21 G. Spitziberger, Die Wittelsbacher Fürstenfiguren in der Afrakapelle zu Seligenthal, in: Kat. Wittelsbach und Bayern, B d . I . 1, 1950, S. 453-463. So wird auch bei der Steinskulptur Graf Heinrichs d. Ä. von Solms-Braunfels in Altenberg a. d. Lahn von einer abgearbeiteten Tumbenfigur ausgegangen (Gleisberg 1959, S. 57, Anm. 46; Dehio, Hessen, 1966, S. 6 4 1 - 3 ) . In letzterem wird auf die Ritterfigur im Prämonstratenser-Kloster Arnstein aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts verwiesen, bei der Reste des abgearbeiteten Plattengrundes noch sichtbar waren, als die Figur 1933 in den Levitensitz eingelassen worden ist (vgl. Dehio, Rheinland-Pfalz, Saarland, 1984, S. 4 2 - 4 5 ) . 22 Eiche, H. 153cm; Rückseite ausgehöhlt; Originalfassung 1966 freigelegt, vgl. Kat. Kunst und Kultur im Weserraum, Corvey 1966, S. 353. Hier wird ohne Begründung für wahrscheinlicher gehalten, daß es sich um eine Stand- denn um eine Liegefigur handelt. Die Unterlage, auf der die Skulptur gefunden wurde und die nicht aus Stein (ibd.), sondern aus Holz besteht, befindet sich noch heute auf Rollen befestigt unter dem Altar der Nonnenempore. Da ein Kirchenmodell als Attribut und modische Details der Kleidung fehlen, bleibt die Identifizierung ungewiß. Eine Deutung als Maria (KDM Kassel, III: Kreis Schaumburg 1907, S.48) kommt sicher nicht in Frage. Die Neukonstituierung des Klosters, die nach dem verheerenden Brand von 1234 eingeleitet und nach der Weihe der Kirche im Jahr 1254, spätestens seit 1262 zur Übernahme der Augustiner-Chorfrauenregel führte, könnte zu einer verstärkten Gedächtnispflege geführt haben. In diesem Zusammenhang würde die Deutung als Klosterstifterin Helmburgis, die nicht in Fischbeck begraben, aber im Nekrolog des 13. Jahrhunderts eingetragen ist, plausibel (vgl. Helmbold 1984, S.9ff. und S.19ff.). Darauf verweist auch der stilistische und konzeptionelle Merkmale des 13. Jahrhunderts rezipierende, die Gründungslegende darstellende Teppich aus dem Jahr 1583 (vgl. H. W. Krumwiede/H. Meyer-Bruck 1964, S.29 u. Taf. 14). 23 Die oben kleeblattförmig abschließende Vertiefung kommt schon auf Grabsteinen des 12. Jahrhunderts z. B. auf dem des Priesters Bruno vor (vgl. Elbern 1976, Abb. 40; vgl. auch Borgwardt/Schramberg 1939, S.28ff.). Noch dieselbe Form liegt der Vertiefung der gotischen Plektrudis-Grabplatte in St. Maria im Kapitol in Köln zugrunde. Das fehlende Kissen erweist sich nicht als Argument gegen die Deutung als Grabskulptur, vgl. die Grafen von Gleichen (D. Schubert 1974, Abb. 189; Bauch 1976, Anm. 236; E . Lehmann/E. Schubert, Dom und Severikirche Erfurt, Stuttgart 1988, S. 145ff.).

Abb. 83 Ernst II. von Gleichen mit zwei Frauen, Dom, Erfurt

Abb. 84 Hermann von Meißen und Reglindis, Dom, Naumburg

79 Ebenso unmißverständlich sind die Hinweise für die als freistehende Stifterfiguren in die Naumburg-Nachfolge gestellten Stuckplastiken im Augustinerinnen-Chorfrauenstift Heiningen (Abb. 81/82).24 Sie sind heute am südwestlichen Langhauspfeiler der Klosterkirche auf einem Sockel aufgestellt, dessen in der Mitte des 18. Jahrhunderts angebrachte Inschrift die dargestellten Personen benennt und sie ausdrücklich als STATUAE SEPULCHRALES ... TAE b e z e i c h n e t . 2 5 In der Fassung der Gründungsgeschichte des frühen 16. Jahrhunderts wird erwähnt, die beiden Frauen seien in der Kirche begraben vor dem Kore alse ale dage noch sünth.2(> Das Grab der in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts verstorbenen Frauen war also zu dieser Zeit noch bekannt. Die Frage der Naumburg-Nachfolge stellt sich aber nicht nur über den, als eigene Gattung aufgefaßten, Statuentypus, sondern auch unter ikonographischen und phänomenologischen Gesichtspunkten. Insbesondere in der Grabplastik konnten Bezugnahmen auf die Naumburger Stifterfiguren festgemacht werden, 27 wie z. B. beim GleichenGrabmal (Abb. 83/84).28 Der Graf von Gleichen zitiert Hermann in Gewandanordnung und Gestik bis in spezifische Details, wie seinem Griff nach dem über die Schulter geglittenen Mantel, und ebenso weitgehend die rechts neben ihm stehende Frau, die von der Konzeption der Reglindis nur durch das Buch in ihrer rechten Hand abweicht. 29 Die für die Grabskulptur der Wienhäuser Stifterin geltend gemachten Argumente wie die modischen Details der zeitgenössischen Kleidung und die Art ihrer Präsentation bleiben dagegen unspezifisch und können, wie die Datierung gezeigt hat, kaum als in zweiter oder dritter Generation überliefert angenommen werden. Gewandgesten, wie das Verhüllen einer Körperseite durch eine lang herabgezogene, zur Plinthe hin umschlagende Mantelbahn stellen einen älteren Topos weiblicher Grabskulpturen vor. Sie tritt nicht nur in Naumburg und Meißen als ein auffallend häufig variiertes Thema auf, sondern auch bei älteren wie der Herzogin Mathilde in Braunschweig und Gräfin Mechthild in Wechselburg (Abb. 85). 30 Ebenso ist der mo-

24 Stuck, H. 170cm; Mithoff 1875, S.91; Fink 1915, S.59; Habicht 1917, S.80ff.; Middeldorf 1925, S.64; KDM Provinz Hannover II, 7: Landkreis Goslar 1937, S. 115, Taf. 47; Römer-Johannsen 1978, S. 9/10. 25 HILDESWID ET ALBURGISI SAXONIAE DUCISSAE ALTFR1DI E STIRPE GERMANORUM REGIS 1TALIAEI OTTONIS III IMPERANTE IN PRAELIO CONTRA SARACENOS CA ESI/ UXOR ISTA/ HAEC FILIA/ PARTHENONIS CANONICARUM REGULARIUM IN HEININGEN/ ANNO MCII FUNDAT .../ QUARUM STATUAE SEPULCHRALES ... TAE/ ANNO MDCCL? Mitthoff (1875, S. 91) und Römer-Johannsen (1978, S. 10) ergänzen sepulchrales reperatae und 1766. 26 Zit. n. Taddey 1966, S. 15. 27 Buchner 1902, S. 15ff; Bauch 1976, S. 168/9; Fründt 1969, S.8; Middeldorf 1925, S.31f. 28 D. Schubert 1974, Nr. 189; vgl. auch zuletzt E. Lehmann/E. Schubert 1988, S. 145ff. (mit neuen Überlegungen zur Identifikation der Personen und Datierung). 29 Z. B. reflektiert das durch einen Kupferstich überlieferte Grab Peter Vlasts und seiner Frau, ehemals im Vinzenzkloster vor Breslau, Uta und Eckehard (Gündel 1926, Taf. 1/2). 30 D. Schubert 1974, Abb. 81; neuerdings Niehr 1992, Kat. Nr. 112, Abb. 199 vgl. auch den Grabstein der Äbtissin Agnes in Quedlinburg (um 1210), abgeb. in D. Schubert 1974, Abb. 47; Niehr 1992, Abb. 223.

Abb. 85 Dedo V von Groitzsch-Rochlitz und Mechthild, Schloßkirche Wechselburg

81 dische Griff in den Mantelriemen ein zu weitverbreitetes Motiv, als daß hier speziell Naumburger Einfluß geltend gemacht werden könnte, wie zum Beispiel im Hinblick auf die Magdeburger Jungfrauen deutlich wird. 31 Darüber hinaus wirken auch die Tumbenfiguren der älteren Grabplastik in ihren zeitgenössischen Gewändern und ihrer Körperauffassung überaus lebensnah, so daß auch dieser, durch die Fassung der Wienhäuser Skulptur erreichte Zug einer älteren Tradition verhaftet ist. Da die Wienhäuser Stifterin weder im Gewandschnitt oder den Gewandgesten, noch im Fürspan und Gebende eine der Naumburgerinnen oder die Statue der Kaiserin Adelheid in Meißen zitiert, wie andere Skulpturen dieser Zeit in der nachstaufischen Ära zitiert werden, tritt jener Bezug, trotz der wettinischen Abstammung der Klosterstifterin, in den Hintergrund. Ikonographie und Gestik der beiden Patronsfiguren in Walsrode und Ebstorf lassen sich ebensowenig von den Naumburger Stifterfiguren ableiten. Der Vergleich stellt bei der Ebstorfer Rittergestalt vielmehr seine Identität in Frage. Obwohl das Ebstorfer Bildwerk die Herzogsfigur im Braunschweiger Dom zitiert 32 und kaum von einem Stifterdenkmal unterscheidbar erscheint, handelt es sich tatsächlich wie nach der im Kloster bis ins 18. Jahrhundert zurückzuverfolgenden Tradition um die Skulptur des Hauptheiligen Ebstorfs, des hl. Mauritius. 33 Dagegen könnte auf die nicht eindeutige Haltung der rechten Hand, in der als signifikantes Attribut die Lanze des hl. Mauritius vermutet wird, 34 verwiesen werden. 35 Darüber hinaus erscheint verwunderlich, daß Mauritius nicht wie üblicherweise in zeitgenössischer Rüstung, sondern in höfischem Gewand dargestellt ist. 36 Und schließlich konnte kein abgedunkeltes Inkarnat als Anspielung auf die afrikanische Herkunft des Heiligen festgestellt werden, wie die beiden Mauritius-Skulpturen in Magdeburg es aufweisen. 37

31 Vgl. die äußere und die dritte Jungfrau von außen der Nordvorhalle des Magdeburger Doms (D. Schubert 1974, Abb. 132) oder die Königin vom Südseitenschiff des Halberstädter Domes (siehe Abb. 43/44). 32 Vgl. S. 28ff. 33 Siehe Anm. 235. 34 Zu den Attributen des Heiligen (Schild, in Norddeutschland mit rotem oder schwarzem Balkenkreuz auf weißem Grund oder schwarzem Reichsadler auf goldenem Grund, später Mohrenköpfe; Lanze; Schwert) vgl. Braun 1943, S. 528-531; LCI, Bd. 7, Sp. 610-613; Horstmann 1970, S. 226-236; Suckale-Redlefsen 1987, S. 134-138. 35 Vgl. Wienhäuser Agnes; Ludolf von Gandersheim; Mauritius (auch als Theodor und Roland gedeutet), linkes Südportal, Chartres (Sauerländer 1970, Abb. 116/7 und S. 117.) und Mauritius-Torso, Magdeburger Dom (Abb. 49); zur Kult-Verbindung von Mauritiuslanze und Hl. Lanze siehe Brackmann 1967, S.217ff.; Suckale-Redleffsen 1987, S.34ff. (mit Lit.-Übersicht). 36 Braun 1943, Sp. 528-531.; LCI, Bd. 7, Sp. 610-613; Suckale-Redlefsen 1987, S. 134ff. 37 Lohse 1989, S.6; vgl. Schweriner Fenster aus Wienhausen (Abb. 115a); zu Mauritius mit europäischen Gesichtszügen mit abgedunkeltem Inkarnat vgl. Suckale-Redlefsen 1987, S.48f., vgl. auch die Auffassung als Europäer, Miniatur, 2. V 14. Jh., ehemals Ebstorf, Chronikeinband, Klosterarchiv Lüne (UhdeStahl 1976, S. 63ff., Abb. 2); dagegen zeigen ihn weitere Darstellungen im Kloster als Mohren: Schaft des dreiarmigen Leuchters, Nonnenchor, um 1400 (Appuhn 1984, S. 10); Fragment eines spätgotischen Altars (H.-G. Gmelin, Spätgot. Malerei in Niedersachsen, Bremen und Münster (Veröff. d. Nieders.

Abb. 86 Hl. Mauritius, Dom, Naumburg

83

Die Identifikation als Mauritius stützt zunächst ein im Kloster erhaltenes, allerdings höchst ungewöhnliches Skulpturenornat. Es ist dem Vorderteil eines Sürkotts nachgebildet, wobei seine Zugehörigkeit zu einer Skulptur des Heiligen die Inschrift ORNATUS SCI MAURICII belegt (Abb. 91 ). 3 8 Die gleichmäßig um den Kopf angeordneten Locken, wie sie bei Frisuren zeitgenössischer Grab- und Stifterfiguren unüblich sind, 39 kommen bei Mauritius-Darstellungen wie zum Beispiel bei dem ebenfalls mit einem Schapel angetanen Heiligen aus dem Zisterzienserinnen-Kloster Fröndenberg (um 1430) vor.40 Die fehlende Rüstung scheint der Sonderfall der Darstellung des Heiligen als Herzog zu erklären. Als solcher kommt Mauritius in einem Glasfenster des Naumburger Doms (um 1245/55; Abb. 86), 41 in Hollern (Kr. Stade) 4 ? und an der Chorpfeilerfigur im Magdeburger Dom (Abb. 87) 43 vor, wobei die Kopfbedeckung den Heiligen als Herzog charakterisiert. Offenbar handelt es sich um eine Magdeburger Bilderfindung, die sich wahrscheinlich auf die Titulierung des Heiligen als herzöge der More in der Kaiserchronik begründet. Ältere Vorbilder scheint es nicht zu geben. 44

Landesgalerie Hannover), Hannover 1974, S. 190ff.), Pyxis, um 1400 (Kat. Parier, Bd. 1, S.228); Klingelbeutel, um 1500 (nicht ausgestellt). 38 Schürzenartiges Gewand, das wie die Figur selbst in den Inventaríen von 1744—1805 (Klosterarchiv, Akten in der Registratur, Nr. 10) nicht erwähnt wird und sich möglicherweise unter jenen Objekten aus katholischer Zeit befunden hatte, die im Jahr 1830 in einem lange ungenutzten Raum des Klosters entdeckt wurden. Nach dem Bericht von Amtmann Wömpner, Vaterländisches Archiv, 1932 (laut Rosien 1952, S. 17) fanden sich unter den aufgefundenen Objekten neben der Weltkarte vasa sacra, Prozessionsstangen, Marienbilder, Altardecken und dgl. Das Gewand (H. 98; B. 13cm) ist aus mehreren Stoffen zusammengesetzt, Goldbrokat mit Lederriemchen aus mongolischem Herrschaftsbereich, it. Goldbrokat des 15. Jhs., Bildleiste in der Mitte Goldseidenstickerei, um 1300 (Kroos 1970, Kat. Nr. 16, S. 119f.; vgl. auch Uhde-Stahl 1978, S.53, A n m . 8 2. V 14. Jh.). Es handelt sich um das einzig bekannte modisch geschnittene Skulpturenornat (Kroos 1970, S. 49). Der Skulptur angezogen, reicht es bis zur Öffnung des Reiterschlitzes. 39 Bauch 1976, Kap. IV-X; vgl. auch die gewellten Haarsträhnen der Braunschweiger Herzogsstatue und dem Gandersheimer Ludolf, die in einer Außenrolle münden; die Ebstorfer Lockenfrisur dagegen ähnlich beim Kind der Wienhäuser Madonna oder auch bei Reliquienbüsten (Büste des Maximinus Dux, St. Ursula, Köln, Goldene Kammer Bergmann 1989, Abb. 27, S.35); zu den verschiedenen Typen von Haartrachten vgl. Karpa 1934, S. 82ff. 40 Einzelstatue (H. 87cm, mit Rüstung, goldenen Haaren und dunklem Inkarnat) in einem über der Sakristeitür angebrachten Holzschrein, an dem sich ehemals eine 1683 angebrachte Inschrift befand (SuckaleRedlefsen 1987, Kat. Nr. 19, S. 172f, Abb. S. 68). 41 Durch Beischrift (S. MAURICIUS) identifiziert; Suckale-Redlefsen 1987, Kat. Nr. 2, S. 161 f. Siehe dazu auch S. 90. 42 Eiche, H. 112cm, stark übermalt; Pfarrkirche St. Mauritius, Nische der Südwand; aus einem Apostelzyklus; nach urkdl. Überlieferung 1572 neu gefaßt; KDM Niedersachsen, Landkreis Stade, S. 407 um 1300; Suckale-Redlefsen 1987, S. 162, Kat. Nr.3 „3. V. 13. Jh.". 43 Kalkstein, H . 235cm; vgl. D. Schubert 1974, Nr. 36; ausführlichere Beschreibung: Sauerländer 1977, S. 123; vgl. auch Götz 1966, S.97ff.; Suckale-Redlefsen 1987, S.42f. 44 Suckale-Redlefsen (1987, S. 42/48) rechnet die Magdeburger Skulptur nicht zu diesem ikonographischen Typus; der um den kegelförmigen Helm angebrachte Kronreif läßt hierin jedoch kaum Zweifel. Auf die

84 Auch für die Ebstorfer Skulptur tritt damit der Bezug zu den Naumburger Stiftern in den Hintergrund. Allein bei der überlebensgroßen Braunschweiger Herzogsstatue, dessen ursprünglicher Standort nicht zu klären ist, und bei der Walsroder Stifterstatue handelt es sich tatsächlich um Standbilder, die sich wie in Naumburg auf weltliche Personen beziehen. Aber auch hier machen die Isolierung ihrer Gestalten und die Konzentration der Darstellungsmittel - vor allem der Braunschweiger Figur mit der frontalen Repräsentation des im Hoheitsgestus erhobenen Schwerts und des Schildes deutlich, daß nicht nur weitere Bildtraditionen wirksam geworden sein müssen, sondern auch deren Bildfunktion spezifischer ist. Gerade das, was die Besonderheit der Naumburger Stifter ausmacht, das Agieren der Personen in ihrer Versammlung und die Bandbreite der vorgeführten psychischen Ausdrucksmöglichkeiten, scheint bei jenen Figuren völlig bedeutungslos. Im Hinblick auf die hochentwickelte Kultur der figürlichen Grabausstattung in Sachsen, zu denen neben den genannten auch verschwundene Anlagen, z. B . diejenige von Petersberg bei Halle, bedacht werden müssen und eingedenk der Tradition gemalter und skulpierter Standbilder eines Verstorbenen in der Nähe seines Grabes 4 5 sowie jener Tradition von Stifterbildern, die seit dem frühen Mittelalter an den Kirchenportalen standen, stellt sich die Frage der Naumburg-Nachfolge wohl vielschichtiger dar, als bisher gehandhabt. Neben einer unmittelbaren Abhängigkeit nach stilistischen Kriterien und direkten Zitaten der Naumburger, wie in Erfurt, sollten wohl deshalb allein der Meißner Domchor und die Chöre der Stifts- und Klosterkirchen von Nordhausen, Blankenburg und möglicherweise Tulln zur Naumburg-Nachfolge gerechnet werden. 46

Juridische Aspekte In allen drei Fällen, in Wienhausen, Ebstorf und Walsrode, stehen die sogenannten Rolande, die angeblich die Rechte und Freiheiten der Klöster propagierten, bei näherer Untersuchung im Zusammenhang mit dem Vordringen weifischer Positionen in die geistlichen Institute. Am merkwürdigsten mag sich diese These zunächst für Wienhausen ausnehmen, das laut der Urkunde vom 24. April 1233 von Herzogin Agnes von Celle, der Frau des ältesten Sohnes Heinrichs des Löwen, zu ihrem und ihres Mannes Seelenheil gegründet

Kaiserchronik als Quelle ( M G H , Deutsche Chroniken, B d . 1, S . 2 2 , V 6 0 3 ) für die Darstellung des Heiligen als Mohren wies bereits Suckale-Redlefsen hin. Der Bezug wird um so relevanter, als der Naumburger und Holler Mauritius ein dunkles Inkarnat aufweisen und eine entsprechende Untersuchung auf Farbreste an der Chorpfeilerfigur (Suckale-Redlefsen 1987, S . 4 2 ) ein ähnliches Ergebnis zutage fördern könnte. 45 Gleisberg 1959, S. 83; E . Schubert 1964, S. 41; D . Schubert 1974, S. 7 0 / 1 ; Bauch 1976, S. 161. 46 Sauerländer 1979, S. 218; ders. 1984, S. 354ff. Zu den Orten vgl. Doering 1920; Bildhandbuch Thüringen, erl. v. E u. H. Möbius, 1968, S. 3 9 0 / 1 ; K D M Braunschweig, Bd. 6, Kreis Blankenburg 1922, S. 2 7 / 2 8 .

85 worden war. Bischof Konrad von Hildesheim (1221—47) gestattete ihr zu diesem Zweck ein Zisterzienserinnen-Kloster zu gründen und schenkte ihr dazu die Kirche in Wienhausen, Archidiakonatssitz im Bistum Hildesheim, nebst Pertinentien und einigen weiteren Besitzungen, und gewährte in wortgetreuer Übereinstimmung mit den Privilegien des Zisterzienserordens Vogtfreiheit. 47 Das Amt des Archidiakons sollte fortan mit dem des Propstes verbunden werden. 48 Rechte oder Pflichten der Gründerin oder ihrer Familie, die üblicherweise bei den Zisterziensern das Amt der defensio innehatten, 49 werden in der Urkunde nicht abgehandelt. Damit stellt sich das Verhältnis zu den Stiftern aber in anderer Weise dar als z.B. im Zisterzienserinnen-Kloster Wöltingerode, der ältesten niedersächsischen Frauenzisterze, die für zahlreiche Neugründungen, darunter auch für Wienhausen, Konventsmitglieder zur Unterweisung stellte. 50 Die Grafen von Wöltingerode-Wohldenberg, die sich als patroni, tutores und defensores des Klosters bezeichneten, werden auch in der Ausübung von Vogteirechten faßbar.51 Statt dessen behielt sich Bischof Konrad von Hildesheim das ius patronatus

47 In nomine sancte & individue Trinitis. Conradus Dei gratia Hildensemensis Episcopus omnibus hoc scriptum inspecturis satutem in vero salutari. Accedens ad nos humiliter & devote dilecta in Christo, nobilis Domina, AGNES, Ducissa de Schielte, suum desiderium nobis aperire curavit de institutione novi conventus sacrarum virginum Cysterciensis ordinis, in nostra diocesi a se facienda, ob remedium peccatorum suorum, & mariti sui bone memorie, cari nostri Palatini Rheni, locum quemdam suo proposito congruum previdens, matricem scilicet ecclesiam in Huginhusen, qui in vulgari dicitur Winhusen super Aleram fluvium, cuius proprietas sive donatio cum omnibus suis pertinentiis tarn in temporalibus, quam in spiritualibus, ad ius episcopale Hildensemensis ecclesie pleno iure noscitur pertinere. (...) Securitati etiam huius sacri collegii prospicere volentes & quieti, statuimus, ut ecclesia ipsa, sicut hactenus fuit, ita deinceps in eis, que nunc habet, quam que dante Deo ex fidelium elemofinis vel alio quocumque titulo iuste adquifierit, ab omni honore & potestate advocatorum sit soluto, & secundum tenorem privilegiorum sui ordinis in suorum iurisdictione bonorum piena gaudeat liberiate, ut neque nos, neque successores nostri dandi eis advocatum aliquo tempore potestatem habeamus. (...) ed., in: Orig. Guelf. III, VII, S. 715f.; Regest, in: UB Hochstift Hildesheim, Bd. 2, 1901, Nr. 360, S. 169 (mit weiteren Verweisen). Zu den Zisterziensern in der Frage der Vogtei vgl. H. Hirsch, Die Klosterimmunität seit dem Investiturstreit, Weimar 1913 (Nachdruck 1967), S. 144ff. 48 (...) Ut autem ad deprecandum pro nostro & ecclesie nostre statu magis reddatur obnoxia, adicimus de consueta ipsius ecclesie benevolentia, ut prefati collegii prepositus, quicumque pro tempore fuerit, bannum prefati ecclesie, sicut eum prefatus Sifridus Archidiaconus tenuit, habeat & ministret, ipsium de manu nostra vel successorum nostrorum, secundum aliorum Archidiaconorum consuetudinem, manualiter recepturus (...)(ibd). 49 Das Defensionsamt stellte mit der päpstlichen und kaiserlichen Inschutznahme die drei Rechtskreise zum Schutz einer Zisterzienserabtei dar. Sie war um Gottes Lohn und sollte keine Abgaben nachsichziehen (Hirsch 1967, S. 121 u. S. 147; E. G. Krenig, Mittelalterliche Frauenklöster nach den Konstitutionen von Citeaux unter besonderer Berücksichtigung fränkischer Nonnenkonvente, in: Analecta Sac. Ord. Cist., Bd. 10, 1954, S.34ff.). Bei vielen Gründungen von Landesherren wurde in der Fundationsurkunde festgehalten, daß das Kloster diesen allein als Schutzherrn haben sollte (ebd., S.35). 50 Anläßlich der Verleihung des Königsschutzes durch Friedrich I. 1188 erstmals als ZisterzienserinnenKloster faßbar (UB Hochstift Hildesheim, Bd. 1,468). Die Nonnen kamen aus Ichtershausen (vgl. Streich 1986, S. 12ff. u . S . 131 f.). 51 Vgl. UB Hochstift Hildesheim, Bd. 2, Nr. 711 (Juli 1244) S. 360; sowie W. Petke, Die Grafen von Wöltin-

86 vor, 52 zu dessen Anerkennung jährlich auf dem Hauptaltar des Doms Wachs gestiftet werden sollte. 53 Die Regelung ist bestimmt durch die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts mit der religiösen Frauenbewegung für die Zisterzienser entstandene Frage der Bewältigung des Andrangs zum weiblichen Ordenszweig, ein Problem, das hier im Falle Wienhausens, im machtpolitischen Konflikt zwischen den weifischen Landesherren und dem Hildesheimer Bistum, instrumentalisiert worden zu sein scheint. 54 Den Hintergrund bildet die Rolle, die den Hildesheimer Bischöfen im staufisch-welfischen Gegensatz zukam. Bedingt durch die fehlenden territorialen Grundlagen der Staufer im niedersächsischen Gebiet wurde die königliche Politik über die Reichskirche und hierbei vor allem über das Bistum Hildesheim verfolgt. 55 Auch nach dem Sturz Heinrichs des Löwen, nachdem sich der Hildesheimer Bischof seine weifischen Lehen hatte zurückerstatten lassen, beanspruchten die Söhne des Löwen weiterhin im Bistum oberhoheitliche Rechte, in deren Ausübung Pfalzgraf Heinrich auch faßbar wird. 56 Vermutlich

gerode-Wohldenberg. Adelsherrschaft, Königtum und Landesherrschaft am Nordwestharz im 12. und 13. Jahrhundert, Hildesheim 1971 (Veröff. d. Inst. f. hist. Landesforsch, d. Uni. Gott., 4), S.319. Realpolitisch stellte sich die Situation nicht nur in Frauenklöstern, wie z . B . in Wöltingerode, sondern auch in niedersächsischen Männerklöstern wie in Mariental, das unter der Vogtei seiner Stifter, der Grafen von Sommerschenburg verblieben war, häufig anders dar (H. Wiswe, Grangien nieders. Zisterzienserklöster, in: Braunschw. Jb, Bd. 34, 1953, S.59ff. G. Schnath, Vom Wesen und Wirken der Zisterzienser in Niedersachsen im 12. Jahrhundert, in: Nieders. Jb., 1963, Bd. 35, S. 78ff., bes. Anm. 13, S. 87). 52 ( . . . ) Volentes, quod in recognilione iuris patronatus, quod nobis & successoribus nostris retinemus, cereus trium librarum cere ad principale nostrum altare in annunciatione gloriose virginis dubio detur annuatim. Orig. Gulf. III, VII, S. 716. 53 Vergleichbare Vorbehalte eigenkirchenrechtlicher Art von Bischöfen finden sich in den Stiftungsvereinbarungen der frühen deutschen Zisterzienserklöster wie Lützel und Kaisersheim, die ebenfalls zum Zeichen ihrer Abhängigkeit jährlich ein Pfund Wachs an die bischöfliche Kirche abzuführen hatten (Hirsch 1913, S.93ff., bes. S. 104f.). 54 Vgl. hierzu insbesondere S. Roisin, L'efflorescence cistercienne et le courant féminin de piété au XIII siècle, in: Revue d'histoire ecclésiastique, Bd. 39, 1943, S. 342-378; J. B. Freed, Urban Development and the Cura monialum in the Thirteenth Century Germany, in: Viator. Médiéval and Renaissance Studies, Bd. 3, California 1972, S. 311—327; B. Degler-Spengler, Die Zisterzienserinnen in der Schweiz (Helvetia Sacra Abt. III, Bd. 3, T. 2, Bern 1982, S. 507-574; mit Bibl.); dies., Zisterzienserorden und Frauenklöster, in: Kat. Zisterzienser 1982, Erg.-Bd., S. 213 - 2 2 0 . Die Autoren haben einige Topoi der Ordenshistoriographie ins Wanken gebracht, wie den der grundsätzlichen Abwehr der Zisterzienser gegen einen weiblichen Zweig, der letzten Endes als etwas Ordensfremdes angesehen worden sein soll. Vor allem Degler-Spengler widerlegte theoretische und formaljuristische Argumentationen, durch welche die Ordenszugehörigkeit einzelner Frauenklöster in Zweifel gezogen wurden. Ähnlich war auch die Untersuchung der Konstituierung Wienhausens auf diese Fragestellung ausgerichtet (Maier 1970, S. llOff.), ohne den Hintergrund sich verändernder machtpolitischer Konstellationen und Interessenkonflikte zu erwägen. Zu Übergriffen weltlicher und geistlicher Mächte auch bei pleno-iure inkorporierten Klöstern zusammenfassend, vgl. Kuhn-Rehfus 1982, S. 125ff.; Degler-Spengler, Helvetia Sacra 1982, bes. S. 535f. u n d S . 5 3 9 f f . 55 Zillmann 1975, S.23ff. 56 Ebd., S. 25.

87 nutzte Heinrich seine vom Kaiser übertragene Stellung als Reichsvikar vor allem dazu aus, die weifischen Rechte in diesem Gebiet zu halten und die endgültige Auseinandersetzung hierüber hinauszuschieben, um zunächst für die Restauration der Dynastie Zeit zu gewinnen. 57 Daß sein Neffe Herzog Otto 1235 vor dem Reichstag die herzogliche Oberhoheit über das mitten im weifischen Gebiet liegende Bistum Hildesheim offen gefordert hat, zeigt das Festhalten an den alten Positionen. 58 Damit stellt sich die Klostergründung der weifischen Landesherrin in Wienhausen, das zum Besitz des Hochstifts gehörte, von vorneherein im Umfeld der Auseinandersetzungen dar. Entsprechend entschieden waren die Gründungsvereinbarungen getroffen. Das unter dem Eindruck des Frauenproblems entstandene Ordensstatut von 1228 bestimmte, daß bei nichtinkorporierten Zisterzienserinnen-Klöstern, zu welchen Wienhausen 1233 zählte, die Kontrolle über die Seelsorge und Jurisdiktion nicht dem Orden aufgelastet werde, sondern beim Diözesanbischof zu bleiben habe. Das Generalkapitel verbot in diesem Jahr nicht nur die Errichtung und Aufnahme von Frauenklöstern, wobei sie Konventen freistellte, den zisterziensischen Institutionen nachzuleben, sondern es erließ auch Strafbestimmungen für Mönche und Äbte, die entgegen dieser Bestimmungen die cura monialum übernahmen. 59 Aus diesen Gründen ist wenig erstaunlich, daß weder der Abt von Riddagshausen, der bei der Inkorporation von 1244 als pater immediatus eingesetzt wurde, noch ein anderer Zisterzienser in der Gründungsurkunde erscheint. 60 Durch das dem Hildesheimer Bischof vorbehaltene ius patronatus, die unterbliebene Regelung zum Defensionsamt und das Privileg der Vogtfreiheit stellte sich Wienhausen als Patronatskloster des Hochstifts dar.61 Dies schloß auch die Bestellung des Propstes, dem als eigentlichem Vertreter des Klosters nach außen die Leitung des Wirtschaftsbetriebes und die Wahrnehmung der klösterlichen Rechte oblag, von Seiten des Bischofs mit ein. Aus der wichtigen Position dieses Klosterbeamten, nicht nur für die Wirtschaftspolitik des Klosters, sondern auch für die Territorialpolitik, resultierten häufig Interessenskonflikte zwischen weltlichen und geistlichen Instanzen. 62 Im Falle von Wienhausen war die Position des Propstes um ein Vielfaches durch die festgelegte Doppelfunktion von Propst und Archidiakon ver-

57 58 59 60

Ibd.; vgl. auch Boshof 1980, S.253ff. Chron. Hild. MGH SS. VII, S. 861; zum Mainzer Reichstag vgl. Boshof 1980, S. 270ff. Canivez 1934, vol. 2, p. 68; abgedr. bei Roisin 1943, S. 344f., Anm. 2. Zu den Autgaben des Weisungsabts vgl. u. a. Kuhn-Rehfus 1981, S. 130; nachgewiesene Einflußnahmen des Riddagshausen Abtes, G. Zimmermann, Heinrich Meiboms Chronik des Klosters Riddagshausen 1145-1620, Braunschweig 1983, S.31, Anm. 62. Hinzu kommt die Papsturk. v. 3. Juni 1288 (Klosterarchiv Nr. 129), in der Papst Nikolaus IV den Abt von Riddagshausen beauftragt, dafür zu sorgen, daß entfremdete Güter wieder in den Besitz des Klosters gelangen.

61 Vgl. H. Homann, Kloster und Bistum in der Diözese Hildesheim vom 9. bis zum 13. Jahrhundert, Diss. Marburg 1925 (MS), S. 143ff. 62 Vgl. Krenig 1955, S.55ff.; Kuhn-Rehfuss 1981, S. 141 f.; Töpfer 1983, S. 174.

88 stärkt, 63 wodurch die Leitung des Klosters eng an Hildesheim gebunden war. Im Hinblick auf die prostaufische Politik der Hildesheimer Bischöfe und die erfolgreiche Abwehr Konrads gegen die auf dem Reichstag in Mainz im Jahr 1235 von Herzog Otto vorgebrachten alten weifischen Ansprüche der Oberhoheit über das Bistum Hildesheim ist hier von der realpolitischen Durchsetzung der getroffenen Vereinbarungen auszugehen. 64 Vor diesem Hintergrund stellen sich die erfolgreichen Bemühungen Herzog Ottos des Kindes um Aufnahme in den Zisterzienserorden, die 1244 nach Inspektion des Klosters durch die Äbte von Loccum und Michaelstein vorgenommen worden ist, 65 als Versuch dar, die Stiftung aus dem Diözesanverband zu lösen. Dies betraf unter anderem auch die Propst wähl, die bei korporierten Klöstern unter Aufsicht des pater immediatus im Konvent stattfand und durch die Äbtissin eingesetzt wurde. 66 Wie für die Zisterzienserinnenklöster der Diözese Würzburg unter Bischof Hermann von Lobdeburg hielt jedoch Bischof Konrad von Hildesheim an seinen Rechtsansprüchen fest. 67 In einer Urkunde aus dem Jahr 1247 erwähnt Herzogin Agnes die beim Diözesanoberen verbliebenen jurisdiktioneilen Rechte. 68 1252 bestätigt Bischof Heinrich von Hildesheim die Verleihungen seines Vorgängers Konrad und die Übernahme der Verpflichtungen gegenüber dem Kloster. 69 Noch Herzogin Mechthild anerkennt die fraglichen Übereinkünfte im Jahr 1259, indem sie dem Kloster urkundlich die Vögtfreiheit und das ius specialis dem Hildesheimer Bischof weiterhin zusichert, den sie hierbei als Dominus und Magister bezeichnet. 70

63 Zu den Hildesheimer Archidiakonaten, vgl. H. A. Lüntzel, Die ältere Diözese Hildesheim, Hildesheim 1837, bes. S. 303ff. 64 Lüntzel 1858, Bd. 1, S.4ff. u. S. 523-543; Bertram 1899, Bd. 1, S.232 u. S.247; Zillmann 1975, S.23ff. Im Gegensatz dazu geht Brosius (1988, S. 138) davon aus, daß der bestimmende Einfluß bei der herzoglichen Familie lag, da die Grundausstattung mit Güterbesitz aus dem persönlichen Vermögen der Herzogin Agnes stammt, ohne einzubeziehen, daß auch Bischof Konrad durch die Schenkung der Kirche mit ihren Gerechtsamen und weiteren umliegenden Besitzungen wesentlich zur Grundausstattung beigetragen hat, wie er durch zahlreiche Schenkungsurkunden vor und nach der Klostergründung hervortritt (vgl. Wienhausen, Klosterarchiv, Urk. 7, 8,14, 15, 16, 17 etc.) 65 Canivez, Bd. II, 1934, S.283. 66 Vgl. Krenig 1955, S.55.; zu den weiteren Privilegien, S.22f.; Kuhn-Rehfuss 1981, S. 141 f.; Töpfer 1983, S. 174. 67 Krenig 1954, S. 23ff. 68 Huic igitur ecclesie predicte C. Dei gratia Hildensemensis Episcopus exigente iusticia pontificali... (Wienhausen, Klosterarchiv, Urk. 36a). 69 Ex tenore presencium omnibus fieri volumus manifestum quod nos motu pietatis propter deum in anime nostre remedium collationes a venerabili patre domino conrado predecessore nostro bone memorie factas ecclesie in winhusen ubi sanctimoniales die noctuque exercent laudibus se divinis in decimis agris et possessionibus aliis et obligaciones etiam in quocumque factas diete ecclesie per eundem ratas etgratas habemus... (Wienhausen, Klosterarchiv, Urk. 41a. (24. März 1252)). 70 Orig. Guelf. IV S. 251/2: ( . . . ) Cum ea, que geruntur in tempore, labuntur a memoria hominum ex facili, significandum duximus omnibus, presentem paginam inspecturis, quod in omnibus bonis suis & prediis ecclesiam in Winhusen a potestae & iure Advocatorum quorumlibet esse & fuisse dicimus liberam &

89 Die Wende trat in den 60er Jahren ein. 1267 bezeichnte der Vogt von Hannover Herzog Johann von Lüneburg als Vormund von Wienhausen. 7 ! Symptomatisch für die sich realpolitisch wendenden Machtverhältnisse der rivalisierenden Territorialmächte in Wienhausen ist das Vordringen der Weifen in das Zentrum des Bistums Hildesheim durch die Besetzung des Bischofsstuhls mit^Otto von Braunschweig-Lüneburg. 72 Die Titulierung der Stifterfamilie als Vormund erfährt im Vertrag der ersten weifischen Landesteilung desselben Jahres eine Sinnfüllung. Der Vertrag hält fest, daß Herzog Johann und Albrecht die Besetzung der Propststellen in den Nonnenklöstern ihres Herrschaftsgebiets künftig vornehmen werden, wie Gott es ihnen eingebe. 73 Die durch die Ordenszugehörigkeit bedingten Unterschiede der Frauenklöster des Landes wie weitere in den Statuten verankerte Vereinbarungen werden dabei nicht berücksichtigt. Folgerichtig entwickelte sich Wienhausen mehr und mehr zum weifischen Familienkloster. Hatte noch Herzogin Agnes nach der Chronik Mägde von der Gaßen ins Kloster aufgenommen und von Zisterzienserinnen aus Wöltingerode unterweisen lassen, 74 sollten seit 1253 nur noch Mädchen aus der herzoglichen Familie zum Unterricht in das Kloster aufgenommen werden. 75 Der exklusive Charakter Wienhausens kommt darüber hinaus in der Dominanz des Hochadels in der Leitung des Konvents zum Ausdruck, insbesondere den Äbtissinnen des 14. Jahrhunderts aus der Herzogsfamilie. 76 Letztlich eigenkirchenrechtliche Züge zeigt das Verhalten Herzog Ottos im Jahr 1469, als er kraft seiner Vormundschaft und Landeshoheit in das religiöse Leben des Konvents ohne Anwesenheit des Hildesheimer Bischofs oder Abts von Riddagshausen eingriff und die Reformierung mit Gewalt durchsetzte. 77 Das Grabmal der Wienhäuser Stifterin ist nicht direkt im Anschluß an den Tod von Herzogin Agnes in den Jahren um 1250 errichtet worden, obwohl die sich 1253 lockernden Bestimmungen der Zisterzienser zur Ausgestaltung von Gräbern in ihren Kirchen schon wenige Jahre nach ihrem Tod ein aufwendigeres Grabmal zugelassen hätten. 78

absolutam.

Solum siquidem

recognoscimus

esse Dominum

venerabilem

patrem,

& Magistrum

(...)

Hildensemensis

ecclesie

Episcopum,

in iure

speciali

(Wienhausen, Klosterarchiv, Urk. 66; Orig. Guelf. IV

S . 2 5 1 f . , Nr. 131. Hüttebräuker 1927, S . 2 9 f . ; Maier 1970, S. llOff. weist daraufhin, daß das Kloster in späteren Zeiten die Exemtion erlangt habe. 71 Urk. vom 21. Aug. (Wienhausen, Klosterarchiv, Nr. 91) abgedr. bei L. Hüttebräuker, D a s Erbe Heinrichs des Löwen, 1927, S . 2 9 f . 72 Lüntzel 1858, Bd. 2, S. 264ff. 73 Similiter preposituras

Sanctimonialium

que ab eis conferri debent, quiuis in suo dominio

persone

ydonee

conferat ( U B Sudendorf I, Nr. 64. Urk. v. 31. März 1267). Vgl. auch Havemann 1853, Bd. 1, S . 4 0 0 f . ; Heinemann 1886, Bd. 2, S. 18f.; insbes. Brosius 1988, S. 145. 74 Chronik, S. 2. 75 Wienhausen, Klosterarchiv, Urk. 46. 76 Vogtherr 1988, S. 127. 77 Chronik, S. 19ff. 78 Nach den Generalkapitelsbeschlüssen war erstmals im Jahr 1253 der Zisterze von Royaumont erlaubt worden, über die Maße des Einfachen

hinausgehende Grabmäler für die an diesem Ort bestatteten

Mitglieder der Königsfamilie zu errichten, wobei der Ausnahmecharakter ausdrücklich Erwähnung fand

90 Wenn daher, rund 15 Jahre nach ihrem Tod, der Klosterstifterin gerade in der Zeit ein Grabmal gesetzt worden ist, in der der Zugriff der Gründerfamilie auf die Leitung des Klosters offen beansprucht wird, so kann es kaum im Sinne einer Rolandsfigur die Rechte und Freiheiten der Gründungszeit vertreten haben. Es unterstreicht vielmehr das Vordringen weifischer Positionen, die die Gründungsvereinbarungen zugunsten des Hildesheimer Bischofs in Frage stellen. Innerhalb der Entwicklung eines Patronatsklosters des Hochstifts zu einem weifischen Familienkloster mit eigenkirchenrechtlichen Zügen plädiert die um 1270 entstandene Stifterfigur für die neuen Verhältnisse. Die Wienhäuser Stifter-Grabfigur zeigt sich auf eine Situation bezogen, die tatsächlich alle Frauenklöster des Landes betraf. In Ebstorf wurde in derselben Ära die Figur des Hauptpatrons des Klosters in Gestalt des Landesherrn vorgestellt. Wie sehr der Zitatcharakter der Braunschweiger Herzogsstatue hervorzuheben ist, 79 zeigt der Vergleich mit anderen Darstellungen des Mauritius als Herzog. Zum Beispiel fehlt der Ebstorfer Skulptur im Gegensatz zur Variante des Heiligen als Herzog im Naumburger Glasfenster (Abb. 86) der Herzogshut. Auch wird der Schultermantel nicht wie dort über die linke Hand geschlagen. Dagegen scheint er bei dem Ebstorfer Mauritius in derselben Art wie in Braunschweig an den Schultern zu stehen und weist ähnliche Formen des Pelzbesatzes auf. Als markante Unterschiede fallen weiter der Griff des Naumburger Mauritius in den Tasselriemen, sein Gestus, mit dem er Schwert und Schild vorweist, und der Gestus, mit dem der Mauritius aus Hollern das vergleichsweise mächtige Schwert mit beiden Händen vor seinen Körper hält, ins Gewicht. Die Abhängigkeit des Entwurfs der Ebstorfer von der Braunschweiger Skulptur unterstreicht darüber hinaus der Mauritius im Wienhäuser Fenster, 80 auf dem der Heilige, dessen Mantel über der Brust zusammengezogen ist, in der Linken die Hl. Lanze hält und mit der rechten Hand einen Zeigegestus ausführt. Damit erscheint das Braunschweiger herzogliche Bildargument in ähnlicher Weise in zentrale kultische Zusammenhänge eingebunden wie die Skulptur eines Klostergründers. Dies erscheint um so bedeutsamer, als in Ebstorf im Unterschied zu Wienhausen und Walsrode die Memoria der Stifterfamilie, der Grafen von Dannenberg, 8 1 nicht mit

(Canivez, vol. 2, 1934, S. 283; ebd., vol. 3, S. 11). Seit 1256, als das ursprüngliche Bestattungsverbot, von dem Könige, Bischöfe und Erzbischöfe seit 1152 ausgenommen waren, nur mehr für den liturgischen Chor aufrechterhalten wurde, ist von einem Grabbilderverbot nicht mehr die Rede (vgl. Saur 1913, bes. S. 516ff. u. S. 696.; Schneider 1974, S. 60; Kobler, in: Kat. Zisterzienser 1981, S. 383). Der Fall Wienhausen spricht eher gegen die These Luckhardts (1982, S. 459), daß hierin möglicherweise in Frauenklöstern nicht die gleiche Strenge gegolten habe wie in Männerklöstern, da sie — nicht in demselben Maße durch Feldarbeit autark - Sepulturen als wesentliche Bestandteile für die Existenz ihrer Klöster anerkennen mußten. 79 Siehe S. 28ff. 80 Korn 1975, Abb. S. 43. 81 D i e chronikalischen Aufzeichnungen zweier Ebstorfer Nonnen aus den Jahren um 1487 (abgedr. in: Z. d. hist. V f. Nieders. 1905, S. 388ff.; vgl. zur Hs. Borchling 1905, S. 367ff.) überliefern die Namen (comes Walradus

cum Gerburgi

coniuge,

ebd., S.397) der Stifter, die die Gründung eines Chorherrenstifts

91 der des Landesherrn zusammenfiel, so daß das Gebet für die Herzöge und das Land nicht in die vornehmste geistliche Verpflichtung der Stiftung eingeschlossen war. 82 Diese stand vielmehr im Dienst des neben den Grafen von Lüchow bedeutendsten Dynastengeschlechts im Lüneburger Raum, deren Klostergründungen den Höhepunkt ihrer adligen Herrschaftsbildung darstellen. 83 Von der Zeit Heinrichs des Löwen bis in die Jahre um 1235 traten die Grafen von Dannenberg als Lehensträger und Vasallen in engerer Verbundenheit mit dem weifischen Herzogshaus auf, 84 in der darauffolgenden Zeit aber, die Stellung ihrer Grafschaft zwischen der Mark Brandenburg und dem Herzogtum Lüneburg ausnutzend, gelangten sie zu größerer Unabhängigkeit. 85 Ihre Städtegründungen, der Besitz von Zoll- und Münzhoheit sowie die Verfügung über eigene Lehnsvasallen, Ministerialen und Hofbeamte zeigen, daß sie im Laufe des 13.

(canonicos regulares, ebd., S.398) unter Bischof Hermann von Verden (1148-1167) getätigt haben sollen. Nach einem Brand, der zum Auszug der Kanoniker führte, habe Graf Heinrich auf Bitten seiner Schwester einen Frauenkonvent mit Nonnen aus Walsrode eingerichtet (ibd. u. S.402). Borchling (1905, S. 600-609; auf ihm aufbauend zuletzt Jaitner 1988, S. 1 bzw. ders., in: Ein Weltbild 1991, S.42ff.) identifzierte Walradus mit Graf Volrad I. von Dannenberg (1158—1174), den er wie schon W. Hammerstein (in: Z. d. hist. V Nieders. 1853, S. 233/39 u. 1855, S. 355/63) aufgrund des nahegelegenen Stammsitzes Bode, dem häufigen gemeinsamen Auftreten Volrads in Zeugenlisten mit Heinrich von Bodwede, dem ersten Grafen von Ratzeburg, der Familie der Edelfreien von Bodwede zuweist. Ohne Beachtung der Argumentation Borchlings ging Meyer-Seedorf (1911, S. 11 u. S.77; darauf aufbauend: Isenburger Stammtafeln, Bd. 4, Taf. 46; Schulze 1963, S. 90f.) unter Berufung auf die altmärkischen Besitzungen und besonders dem Auftauchen eines Volrads von Salzwedel und in einer späteren Urkunde Graf Volrads von Dannenberg in Verbindung mit dem Grafen Otto von Hillersleben von der Abstammung von den Edelfreien von Salzwedel aus, jedoch erscheint auch schon in einer von Konrad III. ausgestellten Urkunde von 1145 Heinrich von Bodwede mit seinem Bruder Volrad in der Umgebung Graf Ottos von Hillersleben. Schulzes (1963, S. 91) unbelegter Hinweis auf die Gründung Dambecks (Kr. Salzwedel) als Familienkloster der Grafen von Dannenberg beruht allein auf einer bezweifelten Überlieferung des späten 16. Jahrhundert; vgl. S. W. Wohlbrück, Geschichte der Altmark, Berlin 1855 (Neudruck 1974), S.207. Die erste urkundlich gesicherte Nachricht Ebstorfs, dessen Gründung nach den Nonnenberichten (ebd., S.397) unter Bischof Hermann von Verden (1148-1167) stattfand, stellt die Gründungsurkunde des Altklosters in Buxtehude von 1197 dar, in der als Zeuge der Ebstorfer Propst Dietrich genannt wird. Vgl. zuletzt mit Zusammenfassung der älteren Lit. zur Geschichte des Klosters, die ausschließlich auf Borchling aufbaut: Jaitner 1988, S. 1. 82 Vgl. zum weifischen Familienbewußtsein im 13. Jahrhundert B. Schneidmüller, Billunger-Welfen-Askanier. Eine genealogische Bildtafel aus dem Braunschweiger Blasius-Stift und das hochadlige Familienbewußtsein in Sachsen um 1300, in: Archiv f. Kulturgesch., Bd. 69, 1987, S. 3 0 - 6 2 . 83 Schulze 1975, S. 167-176; zu Kloster Diesdorf als Familienkloster der Grafen von Lüchow, vgl. ebd., S. 82 ff. 84 Zudem treten sie als Lehensträger des Verdener Bistums, der Markgrafen von Brandenburg und nach der Trennung des sächsischen Herrschaftsgebiets vom weifischen Allod noch zusätzlich von den Herzögen von Sachsen auf. Meyer-Seedorf 1911, S. 72; Zillmann 1975, S. 156ff. 85 Bernhard von Dannenberg und Graf Adolf werden häufiger im Gefolge des Markgrafen von Brandenburg faßbar, während sie beim Abschluß wichtiger Friedenverträge im weifischen Gefolge auftauchen. Meyer-Seedorf 1911, S. 130ff.; Zillmann, S. 164, Anm. 1398 u. 1402.

92 Jahrhunderts landesherrliche Rechte wahrnahmen. 86 Diese Entwicklung zu eigener Territorialbildung war nur durch Schwierigkeiten möglich geworden, mit welchen sich die weifischen Landesherrn nach dem Sturz Heinrichs des Löwen beim Aufbau ihrer Territorialherrschaft konfrontiert sahen. 87 Andauernde hausinterne Fehden und Kämpfe, in denen es auch zur Frontstellung gegen die Weifen kam, 88 leiteten mit der ersten größeren Güterveräußerung im Jahr 1275 den Verfall der Grafschaft Dannenberg ein, der 1303 mit der Übertragung der gesamten im lüneburgischen Herrschaftsbereich liegenden Besitzungen, darunter auch die Schutzvogtei über das Kloster Ebstorf, in weifischen Besitz endete. 89 Die in den 70er Jahren entstandene Skulptur fand damit in der Zeit des Machtzerfalls der Gründerfamilie ihre Aufstellung. Indem sie die Gestalt des Landesherrn zitierte, zeigte sie jene neue Epoche an, in welcher die Weifen den bestimmenden Einfluß auf die Klosterangelegenheiten beanspruchten. Im Vordergrund standen hierbei die Versuche des Landesherrn, auf die Wahl der Pröpste Einfluß zu gewinnen, ein Bemühen, das im Vertrag der ersten weifischen Landesteilung von 1267 zu der eindeutigen Formulierung geführt hatte und einem Patronatsanspruch gleichkommt, wie es das Skulpturenzitat vor Augen führt. 90 Seit Heinrich von Offensen

86 Um die Mitte des Jahrhunderts erreichte die Grafschaft ihre größte Ausdehnung, die einen geschlossenen Territorialbezirk nur im Land Weningen bildete, wozu eine große Anzahl von Alloden und eine Fülle verschiedener Rechte und Besitzungen kamen. Zillmann 1975, S. 163. Übersicht über den Besitzstand Meyer-Seedorf 1911, S. 125, 151ff. 87 Vgl. dazu Boshof 1980, S. 249ff. 88 Der gemeinsame Besitz der Söhne der beiden um 1267 verstorbenen Grafen Adolf I. und Bernhard I. (vgl. Stammtafel Meyer-Seedorf 1911, S. 148) führt zum Streit um die Grafschaft (ebd., S. 136ff.; vgl. auch die Schwerin-Dannenberg-Fehde, S. 138). Nach dem Überfall Gunzels III. von Schwerin in einem Wald bei Oldesloe auf lübische Kaufleute entbrannte ein Kampf zwischen den Schweriner Grafen, unter dessen Verbündeten sich Graf Adolf II. von Dannenberg gegen Herzog Johann von BraunschweigLüneburg und der Stadt Lübeck, deren Schirmherr Johann war, befand. Dem gegen diese Übergriffe 1274 geschlossenen Bündnis trat, ein charakteristisches Merkmal der hausinternen Auseinandersetzungen, auch Graf Friedrich von Dannenberg bei (Meyer-Seedorf 1911, S. 138f.; Zillmann 1975, S. 164/5). 89 Graf Nikolaus verzichtete gegen eine Leibrente von jährlich 40 Mark auf Burg und Stadt Dannenberg sowie alles Land links der Elbe und Jeetzel zugunsten Herzog Otto Strenuus (Sudendorf, Bd. I, Nr. 172; vgl. auch Meyer-Seedorf 1911, S. 144; Zillmann 1975, S. 165f.; Jaitner, in: Germ. Bened., Bd. XI, 1984, S. 167; ders. 1988, S.9). Wie die Grafen von Lüchow im Hinblick auf Diesdorf treten die Grafen von Dannenberg in den Quellen in der Ausübung der Vogteigewalt über Ebstorf nicht hervor, ohne daß in diesem Punkt Zweifel aufkommen müßten (vgl. Schulze 1963, S. 83). 90 Zum Beispiel bestätigte der Landesherr die im Konvent in Anwesenheit der Äbte von St. Michael aus Lüneburg und Oldenstadt durchgeführte Wahl Johann Meyers am 8. April 1393 zum Propst nicht (Jaitner 1988, S. 12); in der folgenden Zeit erscheint Wasmod Kind in der Funktion als Propst von Ebstorf. Noch deutlicher werden die Machtverhältnisse beim Interessenkonflikt zwischen Konvent und Landesherrn im Falle des Propstes Hildebrand von Eltze (gest. 1487) (ebd., S. 15ff.). In dieser Zeit wird im 2. Nonnenbericht in der Gründungszeit gewährtes freies Propstwahlrecht genannt (Borchling 1905, S. 398: ...et quod virginibus inhibi deo dicatis nulla u(is) a principibus seu episcopis posset inferri in constitutione prepositi, set haberent liberam voluntatem eligendi quemeumque inspirante dei gracia intelligerent militanti ecclesie expedire). Im allgemeinen nahmen die Stifterfamilien der Benediktinerinnen-Klöster Einfluß auf die Wahl der Äbtissinnen und der Pröpste (Hilpisch 1951, S. 46f.). Dagegen hat das Propstwahlrecht in den

93 (ab 1365) stammten die Ebstorfer Pröpste nachweislich bis auf wenige Ausnahmen aus der herzoglichen Kanzlei und gehörten mit zu den bedeutendsten Mitgliedern auf der Prälatenbank der Landtage. 91 Unter den nur mit Vornamen überlieferten Pröpsten des 13. Jahrhunderts konnte für Propst Johannes, der zwischen 1256 und 1281 amtierte, nahegelegt werden, daß er aus der herzoglichen Umgebung stammt. Es handelt sich um eine politisch erfahrene Persönlichkeit, die im Jahr 1263 zusammen mit Abt Gerhard von St. Michael in Lüneburg und einem Hildesheimer Kanoniker von Papst Urban IV mit der Prüfung der Exemtionsansprüche des Klosters Harsefeld beauftragt worden war.92 Seine Identität mit dem zwischen 1246 und 1254 nachgewiesenen Notar Herzog Albrechts, Johannes Polemann, der zur Entstehungszeit der Skulptur des Klosterpatrons Propst von Ebstorf war, erhärtet zusätzlich den Bezug zur Braunschweiger Herzogsskulptur.93 Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts wird innerhalb der gesamten Klostergeschichte zunehmend die Nähe zum Landesherrn greifbar, die nicht nur hinsichtlich des Propstwahlrechts für das Kloster auch Nachteile hatte. 94 Noch unmittelbarer stellt sich der weifische Zugriff auf das Kloster Walsrode am Anfang des 14. Jahrhunderts dar, der wiederum mit der Aufstellung des Bildes des

norddeutschen Benediktinerinnen-Klöstern formal beim Konvent gelegen (Faust, in: Germ. Bened., Bd. XI, S. 28ff.), dessen Handhabung sich im einzelnen allerdings nur schwer nachprüfen läßt. 91 Jaitner 1988, S.2; ders., in: Ein Weltbild 1991, S.46. 92 Ebd., S. 7; O . H . May, Regesten der Erzbischöfe von Bremen, Bremen 1928, Nr. 106a; Jaitner 1988, S. 7. Nach wie vor umstritten blieb die Frage, ob Propst Gervasius, der zwischen 1223 und 1234 in diesem Amt belegt ist, mit Gervasius von Tilbury identisch ist, vgl. hierzu Jaitner 1988, S.4ff.; Wolf 1988, S.98ff.; Jaitner (1988, S.5) wies auf einen gleichnamigen Kanoniker von Verden hin. Unter den übrigen 10 Pröpsten vor Heinrich von Offensen vermutet Jaitner (1988, S.6ff.) bei Helmerich (1244, 1254) aufgrund der Häufigkeit des Namens und der Mitgliedschaft eines Helmbert von Kommene einen Angehörigen dieser Familie und verwies auf einen Kanoniker und Propst Helmerich von Bardowick sowie auf einen Domvikar Helmerich in dieser Zeit. Mit Sicherheit war Propst Albert (1293—1307) Domscholaster in Verden und Kanoniker in Bardowick und Propst Heinrich von Moisburg Propst von St. Andreas in Verden. Auch Propst Hermann Niebuhr besaß Kanonikate in Verden und Bardowick. Vgl. neuerdings auch Jaitner, in: Ein Weltbild 1991, S. 44ff.; Wolf, ebd., S. 91 ff. 93 U B Ebstorf Nr. 22, 23, 25, 32, 33, 39; U B Lüneburg 1872, S. 88 Nr. 124, vgl. Jaitner 1988, S. 7. F Busch, Beiträge zum Kanzleiwesen der Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg (1200-1252), Wolfenbüttel 1921, S. 70f. 94 Vgl. zur Bereitstellung von Krediten z. B . im Jahr 1309 und Abhaltung von Hoflager Jaitner 1988, S. 9ff. Die Nähe des Landesherrn zeigt im Jahr 1290 die Gewährung des freien Einkaufsrechts in Uelzen ( U B Ebstorf Nr. 47), der Abschluß eines Bündnisvertrages zwischen Bischof Konrad von Verden und seinem Neffen, Herzog Otto II. von Lüneburg (UB Herzöge Bd. 1, Nr. 148), in Ebstorf, im Jahr 1322 die Befreiung von allen Zöllen und Abgaben auf Lebensmittel im Fürstentum Lüneburg und Bestätigung aller früheren Privilegien (UB Ebstorf Nr. 168), im Jahr 1330 die Aufnahme des gerade verstorbenen Otto II. und seiner Gemahlin Mathilde (gest. 1319), seines Sohnes Otto III. (gest. 1352) und dessen Gemahlin Mathilde in die Gebentsverbrüderung des Klosters (UB Ebstorf Nr. 213-216); zum wirtschaftlichen Aufschwung, den das Kloster in dieser Zeit der allgemeinen wirtschaftlichen Blüte bis 1350 erlebte und der in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts beginnenden Wallfahrt zu den sog. Ebstorfer Märtyrern vgl. Jaitner 1988, S. 7ff.

94 Walsroder Stifters zusammenfällt. Graf Walo war damals bereits rund 400 Jahre verstorben. 95 Die einzigen erhaltenen Quellen zu seiner Memoria, die im Kloster tradierte Gründungslegende und die königliche Schenkungsurkunde aus dem Jahr 986, zeigen, daß der Status dieses Klosters über den der beiden anderen Adelsklöster ursprünglich hinausging. 96 Nach der Legende kam Graf Walo von einer Jerusalem-Reise mit zahlreichen dort erworbenen Reliquien zurück, als ihm in Visionen befohlen worden sein soll, an dieser Stelle ein Kloster zu bauen. 97 Die Schenkungsurkunde vom 7. Mai 986, die einzige Urkunde aus der Frühzeit des Klosters, 98 nennt die Namen der Stifter Walo und Odelint, die das Kloster kurz zuvor erbaut hatten. 99 Nach den Schenkungsmodalitäten zu urteilen, die die Grundlage einer Memorialstiftung für das ottonische Herrscherhaus ist, gehörten die beiden Stifter zu jenem Kreis sächsischer Adliger, die besonders eng mit dem Königshaus verbunden waren. 100 Der Vergleich von Nekrologeinträgen der Klöster St. Gallen, Reichenau und St. Michaelis in Lüneburg ergab, daß Odelint eine Sippenangehörige des Markgrafen Gero war und Walo einer billungischen Seitenlinie

95 Für seine Grabstätte gibt es keine Hinweise, vgl. Skrowanek 1979, S. 7. 96 Der größte Teil der Archivalien ging beim Klosterbrand von 1482 zugrunde, der erhaltene Rest verbrannte 1943 im Staatsarchiv in Hannover, darunter auch die drei Kopiare, die dem Hodenbergschen Urkundenbuch von 1859 zugrunde liegen. U B Walsrode, S . X V f . ; Brosius, in: Germ. Bened., Bd. II, 1984, S. 540 f. 97 Abgedr. in: UB Walsrode, S.4, Anm. 3; Brosius 1986, S . 8 f . Die Bezeichnung Walos als Princeps et Comes de anholt ist eine freie Konstruktion, die Ende des 15. Jahrhunderts auftaucht; auch die Behauptung, Walo habe den Grund und Boden den Grafen von Wölpe vererbt, die tatsächlich erst Anfang des 13. Jahrhunderts die Klostervogtei erwarben, verweisen auf eine jüngere Entstehungszeit der Legende (vgl. Grütter 1886, S. 10f.; Fleckenstein 1986, S. 11-25, bes. A n m . 19). 98 König Otto III. schenkt, auf Bitten der Äbtissin Mechthild zu Quedlinburg, seines Vaters Schwester, und des Grafen Wale, dem Kloster Rode, welches dieser Graf und dessen Gemahlin Odelint vor kurzem aufgebaut haben, das von ihm bis dahin dem Grafen Wale zur lehnbaren Nutzung überlassene Dorf Zitowe, im Gau Zirimund und in der Grafschaft des Grafen Gero gelegen, zu seinem und dem Seelenheil seines Großvaters, seines Vaters und seiner Mutter Theophanu. Er verpflichtet dabei die Klosterfrauen (sanctimoniales) für die Seelen seiner Vorfahren und das Heil und die Beständigkeit des Reiches zu beten. Die Urkunde ist in Merseburg ausgestellt (UB Walsrode, Nr. 1). Die nächste Urkunde stammt von 1176 und ist von Heinrich dem Löwen ausgestellt (UB Walsrode, Nr. 2). 99 . . . fidelis nostri Wale Comitis ... ad monasterium suum Rode nominatum quod ipse et Coniux sua Odelint nominata In honore dei nouiter construxerunt... (UB Walsrode, Nr. 1). Die in der Urkunde festgehaltene Schenkung des Orts Zitowe, das zwischen Saale und Mulde gelegene Wohlsdorf, gehörte in das deutschslawische Grenzgebiet, um dessen Sicherung es auf dem Hoftag in Merseburg, dem Ausstellungsort der Urkunde, ging (ebd., S. 14). Graf Walo war damit an der königlichen Markenpolitik und den Feldzügen gegen die Elbslawen beteiligt, worauf nach den Krisenjahren 983/84 in Merseburg gerüstet wurde. Das Jerusalem-Motiv der Gründungslegende, verbunden mit der Hl. Blut und Hl. Kreuz-Verehrung im Kloster, verweist auf einen Sinnzusammenhang mit dieser Frühgeschichte des Klosters. Zur CorpusChristi-Kapelle, deren Lage und Alter unbekannt sind und in der eine Reliquie des Hl. Blutes verehrt wurde, vgl. Brosius 1986, S. 16. 100 Vgl. Fleckenstein 1986, S. 15f.

95 entstammt. 1 0 1 Da weitere Nachkommen nicht erkennbar sind, scheint die Klostergründung, die als adliges Damenstift mit Kernbesitz im alten Loingau getätigt wurde, im Zusammenhang mit dem Erlöschen dieses Familienstrangs zu stehen. Sie war damit nicht herrschaftlich, sondern religiös motiviert. 102 Die in der Urkunde genannte Gebetsverpflichtung für die königliche Familie, die als Reichsdienst galt, zeigt, daß das monasterium Rode in der Frühzeit auf dem Weg war, Reichskloster zu werden, zu dem ihm nur noch die Verleihung des Königsschutzes fehlte. 1 0 3 Bei ihrem Landesausbau wird das weifische Interesse an Walsrode nicht nur auf dessen ursprünglichen Status und die Genealogie seiner Stifter ausgerichtet gewesen sein. Dem Kloster kam durch seine Lage als einziger im westlichen Teil des Fürstentums Lüneburg gelegenen geistlichen Anstalt mit großem Ausstrahlungsfeld besondere Bedeutung zu. Wie sich schon für Wienhausen abzeichnete, aber auch zum Beispiel für das Kloster Marienthal und die Abtei Helmstedt im östlichen Grenzraum gilt, haben die weifischen Herzöge seit dem Fall Heinrichs des Löwen in Randgebieten ihres Herrschaftsbereichs geistliche Stiftungen gezielt in ihre auf Konsolidierung und Ausdehnung ihrer Macht ausgerichtete Territorialpolitik einbezogen. 104 Im Fall Walsrode ging es um den Ausbau ihrer Machtstellung gegenüber dem Bistum Verden. Heinrich der Löwe hatte die in seiner Hand vereinigten Hoheitsrechte, die stiftischen Grafschaften, die Domstiftsvogtei und die Vogtei über das Kloster Walsrode abgeben müssen. 1 0 5 Wiederum im Jahr 1244 verzichtete Herzog Otto das Kind auf alle umfassenderen Rechtsansprüche gegenüber dem Bistum Verden, die sein Onkel, Pfalzgraf Heinrich, gestellt hatte. 1 0 6 1228 war Otto in den Besitz von Verdener Lehen gelangt, die jedoch im Falle der Vogtei von Walsrode mit der Verpflichtung zur Weiterbelehnung an die Grafen von Wölpe verbunden waren. 1 0 7 Hier erreichte Herzog Otto über die aktive Förderung des Klosters, anscheinend besonders durch die Schenkung der

101 Ebd., S. 15f. 102 Ibd. Nach der Gründungslegende (UB Walsrode, S.4, Anm. 3B) soll ihre Tochter Mechtildis die erste Äbtissin des Klosters gewesen sein. 103 Ebd., S. 20/21. 104 Zillmann 1975, S. 324.; zu Marienthal ebd., S. 302f. u. Helmstedt S. 303ff. Als geistliche Großgrundbesitzer stellten die Klöster Verwaltungsstützpunkte dar und brachten dem Landesherrn kontinuierliche Geldeinnahmen sowie Rechte auf Einlagen 105 Zillmann 1975, S. 181 f.; Brosius (in: Germ. Bened., Bd. I, 1984, S. 535; ders. 1986, S. 10) vermutet, daß er die Klostervogtei bereits als Lehen der Verdener Kirche besessen hat. 106 Verdener Geschichtsquellen, Bd. II, hg. v. W. v. Hodenberg, Celle 1857, S. 112f. Zillmann (1975, S. 185) vermutet aufgrund dessen, daß Pfalzgraf Heinrich, der seine Stellung als königlicher Stellvertreter in Sachsen schon 1219 benutzt hatte, herzogliche Rechte über die von den Askaniern abhängigen Grafschaften in der Diözese Verden in Anspruch zu nehmen, versuchte, die Stiftsvogtei über Verden oder über einen Teil der Bistumgüter aufrechtzuerhalten. 107 UB Sudendorf, Bd.I, S. 11, Nr. 11; UB Walsrode, Nr. 14; vgl. Zillmann 1975, S. 183ff. und S.247ff.; Brosius, in: Germ. Bened., Bd. II, 1984, S. 535; ders., 1986, S. 10. Die Grafen von Wölpe verpfändeten die Vogtei mehrfach, 1233 (UB Walsrode, Nr. 18) an den Bischof von Verden und 1259, 1262 und 1267 (ebd., Nr. 50, Nr. 54, Nr. 58) an das Kloster selbst.

96 Besitzungen in Büchten mit Vogtei und Herrschaft im Jahr 1237, daß in demselben Jahr Propst Siegfried und der Konvent von Walsrode ihn und seine Söhne zu Schutzherren (tutores, dominos und defensores) wählten. Damit stellte sich Walsrode als starker weifischer Stützpunkt dar. 108 Durch die mit Gewalt durchgesetzte Wahl Konrads, ein Sohn Ottos des Kindes, gelangte schließlich von 1269 bis 1300 das Zentrum der Verdener Territorialherrschaft, in dem die Weifen keine Besitzungen hatten, unter ihren Einfluß. 109 Welche unmittelbare Folgen die bereits mehrfach erwähnte Regelung hinsichtlich der Frauenklöster bei der Landesteilung von 1267 für Walsrode hatte, bleibt im dunkeln. Als Spätfolge zeigt sich, daß von 1306 bis 1324 ein Bruder Herzog Ottos des Strengen, Heinrich, der zugleich Domherr in Minden war, Propst von Walsrode wurde. Damit ist auch insofern ein Höhepunkt in der herzoglichen Politik gegenüber den Frauenklöstern erreicht, als die Propststellen der Frauenklöster des Landes zwar häufig von herzoglichen Sekretären und Kaplänen, Notaren oder Kanzlern besetzt worden waren, nicht jedoch durch legitime Söhne der Herzöge. 110 Diese, sofern sie für die geistliche Laufbahn bestimmt waren, erscheinen in der Regel als Deutschordensritter, Domherren und Bischöfe der umliegenden Bistümer. 111 Der Status Walsrodes geradezu als weifisches Familienkloster erwies sich in dieser Zeit weiterhin durch die Begräbnisse zweier Neffen Propst Heinrichs, Johann, Administrator von Bremen (gest. 1324), und Bischof Ludwig von Minden (gest. 1346). 112 1324 tätigte Herzog Otto und im Jahr 1330 Bischof Ludwig eine Memorienstiftung. 113 Obwohl das Herzogshaus

108 U B Walrode, Nr. 23a und Nr. 24; Zillmann 1975, S. 188. 109 Ibd., vgl. auch Pfannkuche 1830, S. 125ff. u. S. 165ff.; Meyer 1939, S.49/50; Siedel 1915, S. 14f. 110 Vgl. die Propstlisten der Beneditkinerinnen-Klöster, in: Germ. Bened., Bd. II, 1984, S. 188, 396, 539; für Wienhausen: Chronik, S. X X V f f . ; Medingen: Homeyer 1978, S.50ff.; Isenhagen: Appuhn 1966, S.98. Innerhalb der Lüneburger Stiftsgeschichte erscheinen die Besetzungen der Propsteistelle mit Ludolph, einem illegitimen Sohn Otto Strenuus, in Kloster Medingen (1326-1355; vgl. Lyßmann S. 20) und im Männerstift Ramelsloh im Jahr 1317 mit Heinrich Dux, vermutlich ebenfalls ein illegitimer Sproß des Weifenhauses, als weitere Ausnahmen. Die Wahl des letzteren erfolgte in der genannten Absicht, die Beziehungen zum Landesherrn zu verbessern (vgl. D. Brosius, Zur Geschichte des Stifts Ramelsloh im Mittelalter, in: Lüneburger Blätter 25/26, 1982, S. 39). 111 Vgl. Isenburger Stammtafeln, Bd. 1, Taf. 67 - 69, auf denen Heinrich im übrigen fehlt. 112 U B Walsrode, Nr. 123. Die Bischofschroniken des Mittelalters (Mindener Geschichtsquellen, Bd. 1), hg. v. K. Löffler Münster 1917, S. 69f.; Brosius, in: Germ. Bened., Bd. II, 1984, S. 535. Zu diesen beiden Söhnen Herzog Ottos des Strengen vgl. auch Havemann, Bd. 1, 1853, S. 461 f. Heinemann, Bd. II, 1886, S. 29. Ihre Grabstätten werden im Kapitelhaus vermutet (Skrowanek 1979, S. 7). 113 U B Walsrode, Nr. 123; Nr. 134. Schenkungsurk. vom 23. Aug. 1324 (UB Walsrode, Nr. 123), ausgestellt durch Herzog Otto mit der Erwähnung vom Tod seines Bruders (per mortem honorabilis virj domini hinrici in Walsrode prepositi quondam karrissimi fratris) (vgl. auch Heinemann, Bd. II, 1886, S.21; P. Zimmermann, Otto der Strenge, in: A D B , Bd. 24, 1887 (Neudruck 1970), S. 675ff. Brosius, in: Germ. Bened., Bd. II, 1984, S. 535; ders. 1986, S. 11. Die weifischen Herzöge hatten sich auch gegenüber dem Bistum Minden, in dessen Archidiakonat Ahlden das Kloster lag, in den Auseinandersetzungen im Gebiet zwischen Weser und Leine schon Ende des 13. Jahrhunderts durchgesetzt (vgl. Meyer 1939, S.49; D. Scriverius, Die weltliche Regierung des Mindener Stifts von 1140 bis 1397, Diss. Hamburg

97 das Kloster schon zuvor begünstigt hatte, hat eine vergleichbar enge Beziehung zuvor nicht bestanden. 114 Die Walsroder Stifterstatue zeigt sich in diesem Kontext wiederum nicht im Sinne eines Rolandes des Klosters. 115 Vielmehr scheint sie sichtbarer Hinweis auf die Tradition dieses ältesten aller Lüneburger Frauenklöster, das den neu konstituierten Status eines weifischen Familienklosters mit begründen sollte. In allen drei Fällen, der Wienhäuser und Walsroder Stifter- und der Ebstorfer Patronsfigur zeichnet sich damit ab, daß die Skulpturen bestimmte vom Landesherrn auf die Klöster ausgerichtete Interessen vertreten. Dies scheint unter den üblicherweise vorgestellten Gründen für die plötzlich zahlreich hergestellten Grab- und Stifterdenkmäler der Zeit für längst Verstorbene, wie dem „Drang nach Vergegenwärtigung der Toten in dieser Zeit", den liturgischen Feiern ante effigiem, dem möglicherweise heiligenähnlichen Status der Fundatores, 116 ihre eigentliche Aufgabe gewesen zu sein. 117

Zu Assimilation und Rezeption in den Klöstern Die Untersuchung der juridischen Aspekte der als Rolande bezeichneten Skulpturen befaßte sich mit deren Funktion überwiegend unter dem eingeschränkten Blickwinkel ihrer Aufstellung. Sie zeigte sich in einem Problemfeld, das unmittelbar mit der besonderen Stellung der Frauenklöster unter den geistlichen Instituten des Landes zusammenhing. Das Verhältnis von Skulptur und Frauenkloster erscheint aber doch komplexer. Im folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wie die Bildthemen an ihre Umgebung assimiliert worden sind, wie sie rezipiert wurden bzw. wie sie die Vorstellungen der Nonnen geprägt haben. Die Grenzen dieser Fragestellung setzt die in der Einleitung beschriebene Quellenlage der Klöster; zum Beispiel war daher die Stifterfigur des Grafen Walo auszusondern. Die innerhalb der deutschen Klosterlandschaft

1968, S . 2 2 4 f f . ; Zillmann 1975, S. 245ff.). Durch die Feindseligkeiten an der wirtschaftlichen Nutzung ihrer im weifischen Einflußbereich gelegenen Güter gehindert, zeigen sich in der Wahl Herzog Ludwigs zum Bischof im Jahr 1334 Bestrebungen sich zu arrangieren. Ludwig stellte das finanziell zerrüttete Stift 1339 unter die Vormundschaft seiner Brüder, den regierenden Herzögen von Lüneburg, die dadurch unbeschränkte Verfügungsgewalt über die Stiftsburgen hatten. A m ausführlichsten über die Regierungszeit Bischof Ludwigs vgl. Scriverius 1968, S. 115. 114 Im 13. Jahrhundert wurde vom Herzogshaus nur eine Memorie bestellt, und zwar am 1. Juni 1237 von Herzog Otto dem Kind und seiner Frau (Urk. 24). A m 26. August 1283 verlieh Herzog Otto freies Durchfahrtsrecht (Urk. 75). 115 Die Stadt Walsrode stand in dieser Zeit noch in völliger Abhängigkeit zum Kloster, die sich erst durch die Verleihung des Weichbildrechts im Jahr 1383 lockerte. H. Stuhlmacher, Geschichte der Stadt Walsrode, Walsrode 1964, S. 30f. 116 Vgl. zuletzt mit weiterführender Lit. Bauch 1976, S. 13ff. u. passim; Sauerländer/ Wollasch 1984, S. 3 5 4 - 383; E. Schubert 1987, S. 2 1 1 - 2 4 2 , bes. S . 2 2 1 f f . 117 Vgl. Keller 1939, S.254.

Abb. 87 Hl. Mauritius, Chorpfeiler, Dom, Magdeburg

99 außergewöhnlich reiche Gesamtüberlieferung an Bau-, Bild- und Schriftquellen in Ebstorf und Wienhausen lassen dagegen Rückschlüsse zu, die für die Bestimmung der Bildwerke in Frauenklöstern insgesamt signifikant erscheinen. Für die unterschiedliche ikonographische Prägung des hl. Mauritius ist in zwei Fällen auf funktionale Gründe verwiesen worden. Die Mauritiusfigur am Chorpfeiler des Magdeburger Doms (Abb. 87), in der Höhe des um 1225/30 konzipierten Bischofsganges (Einwölbung des Chors gegen 1240), erschloß sich als Teil eines monumentalen Gesamtprogrammes, das den Chor als Rechtsstätte vergegenwärtigt.118 Wie die am benachbarten Pfeiler angebrachte Skulptur des Innocentius, ein weiterer Anführer der Thebäischen Legion und Titelheiliger des Magdeburger Doms, scheint Mauritius im Gegensatz zu den benachbarten Apostelfiguren bereits für diesen Ort bestimmt gewesen zu sein. 119 Das blanke erhobene Schwert des Heiligen zeigt ihn in einer Haltung wie auf Münzen Erzbischof Wichmanns (1152—92), welche als Medium benutzt wurden, um Territorialherren oder Personen, die Rechte usurpieren, zu zeigen. 120 Die Gestaltung der Chorpfeilerfigur wurde deshalb in Bezug zu den machtpolitischen Auseinandersetzungen um die Oberhoheit über die Stadt gebracht, in denen sich Erzbischof Albrecht II. auf den von Otto I. und Otto III. dem hl. Mauritius verliehenen Bann berief, durch welche Stadt, Markt und Gericht dem Erzbischof unterstellt worden waren. 121 Diese Bedeutung ist durch die Erscheinung des Heiligen verschärft worden. Die im Vergleich zu den stilistisch an westlichen Vorbildern anknüpfenden benachbarten Chorpfeilerfiguren meist als von minderer Qualität beurteilte Mauritiusfigur 122 knüpft in ihren archaisierenden Zügen und der materiellen Übersteigerung ihrer Rüstung an die Erscheinung von Skulpturen des 10./11. Jahrhunderts an. 123 Der Titelheilige wird hier möglicherweise sogar in ottonischer Gestalt zur Unterstreichung der Gültigkeit des ottonischen Privilegs vorgestellt. Auch die Erscheinung der in ihrer Lebensnähe kaum übertroffenen Skulptur des hl. Mauritius als Mohr aus der Zeit um 1240, die heute auf einem Sockel der Südwand des Magdeburger Domchores aufgestellt ist, scheint funktional bedingt zu sein. 124 Die

118 Götz 1966, S . 9 7 - 1 2 0 . Vgl. auch D. Schubert 1974, S.39ff. u. Nr.27, 3 4 - 4 4 , S.259-263; neuerdings B. Nicolai, Überlegungen zum Chorbau des Magdeburger Domes unter Albrecht II. (1209—1232), in: Der Magdeburger Dom, hg. v. E. Ullmann, Leipzig 1989, S. 147ff. 119 Götz 1966, S. 110; D. Schubert 1974, S. 260. 120 Götz 1966, Abb. 16, S. 115f., bes. Anm. 82 u. S. 86. Als Attribut des Richters und mögliches Symbol eines bestimmten Rechts bezeichnet Götz (ebd., S. 113) das geschulterte blanke Schwert als allgemeines Machtsymbol und, da Macht gleich Rechtsmacht sei, als ein Zeichen des Rechts schlechthin. Götz folgt hier im wesentlichen den Ansichten Gathens (1960, S.77f. u. 81 f.) und v. Schwerins (1939, S. 324ff.). 121 Ebd., S. 115f. 122 Ebd., S. 110; D. Schubert 1974, S.260; vgl. auch W. Sauerländer, Erfahrung und Wirklichkeit, Das Herrscherbild, in: Stauferzeit. Geschichte, Literatur und Kunst, hg. v. R. Krohm u.a., Stuttgart 1977, S. 123; neuerdings Niehr 1992, Kat. Nr. 83. 123 Vgl. zum Beispiel die Fides von Conques; zuletzt J. Wirth, L'image médiévale, Paris 1989. 124 Suckale-Redlefsen 1987, Kat. Nr. 1, S. 158-161; vgl. auch D. Schubert 1974, Kat. Nr. 115, S. 293-295.

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